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Hanna Proner Ist keine Antwort auch eine Antwort?
Hanna Proner
Ist keine Antwort auch eine Antwort? Die Teilnahme an politischen Umfragen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Die vorliegende Arbeit wurde vom Fachbereich 02 – Sozialwissenschaften, Medien und Sport der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Jahr 2010 als Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) angenommen.
1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Frank Schindler / Verena Metzger VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17829-5
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis........................................................................ 5 Tabellen- und Abbildungsverzeichnis ....................................... 9 Tabellen ............................................................................................................... 9 Abbildungen ...................................................................................................... 10
Vorwort ...................................................................................... 13 I Theoretischer Teil 1 Einleitung ................................................................................ 17 1.1 Umfragen und ihre Rolle im politischen System ....................................... 18 1.1.1 Funktionen von Umfragen.................................................................. 18 1.1.2 Die Qualität von Umfragen ................................................................ 21 1.2 Der Umgang mit Nonresponse in der empirischen Forschung .................. 24 1.3 Erkenntnisinteresse und zentrale Fragestellung ......................................... 27 1.4 Vorgehensweise ......................................................................................... 30
2 Nonresponse als Untersuchungsgegenstand ........................ 33 2.1 Definition ................................................................................................... 33 2.1.1 Die Unterscheidung von Item- und Unit-Nonresponse ...................... 33 2.1.2 Typologisierung von Unit-Nonresponse ............................................ 35 2.1.3 Systematische und unsystematische Ausfälle .................................... 36 2.1.4 Nicht-Erreichte, Nicht-Befragbare, Verweigerer ............................... 37 2.2 Die empirische Analyse von Nonrespondenten ......................................... 40 2.2.1 Das Paradoxon der Befragung von Verweigerern .............................. 40 2.2.2 Nonresponse im ALLBUS ................................................................. 41
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Inhaltsverzeichnis
3 Der Forschungsstand: Von theoretischem Vakuum zu komplexen Analysen ............................................................. 44 3.1 Problemwahrnehmung und bivariate Einzelerkenntnisse .......................... 44 3.1.1 Erste Schritte der Nonresponse-Forschung ........................................ 44 3.1.2 Das Ausmaß von Nonresponse und die Diskussion um Ausschöpfungen ................................................................................. 47 3.1.3 Der Weg zu inhaltlichen Modellen..................................................... 50 3.2 Komplexe Modellierungen zur Erklärung von Kooperation...................... 52 3.2.1 Ein allgemeines Konzept der Kooperation bei Umfragen .................. 53 3.2.1.1 Gesellschaftliche Faktoren ............................................................ 54 3.2.1.2 Design- und Interviewerfaktoren .................................................. 58 3.2.1.3 Die Interaktion zwischen Interviewer und Zielperson .................. 61 3.2.1.4 Leverage-Salience-Theorie ........................................................... 65 3.2.2 Erklärungsmodelle auf der Ebene der Zielperson .............................. 67 3.2.2.1 Die Erklärung bei Groves/Couper auf der Individualebene .......... 68 3.2.2.2 Das Vier-Ebenen-Modell von Brehm............................................ 74 3.2.2.3 „Social involvement” und „Attachment to society” bei Voogt ..... 77 3.2.2.4 Die handlungstheoretische Fundierung des Teilnahmeverhaltens bei Schnell .................................................. 79 3.3 Zwischenfazit ............................................................................................. 81
4 Die Teilnahme an politischen Umfragen: Ein handlungstheoretisch fundiertes Erklärungsmodell und seine Konsequenzen ........................................................................ 84 4.1 Handlungstheoretische Fundierung ............................................................ 84 4.1.1 Methodologischer Individualismus und Wert-Erwartungstheorie ..... 84 4.1.2 Menschenbild und Rationalitätsbegriff .............................................. 86 4.2 Duales Prozessieren ................................................................................... 88 4.2.1 Der Einstellungsbegriff ...................................................................... 88 4.2.2 Heuristisches und reflektiert-rationales Entscheiden ......................... 90 4.2.3 Die Wahl des Entscheidungsmodus ................................................... 93 4.2.4 Die Teilnahme an Umfragen im Kontinuum zwischen Heuristiken und bewussten Kosten-Nutzen-Abwägungen..................................... 94 4.3 Die Theorie geplanten Verhaltens und die Kompatibilität zu den bisherigen Annahmen ................................................................................ 96 4.3.1 Die Theorie geplanten Verhaltens ...................................................... 96 4.3.2 Die Kompatibilität der Theorie geplanten Verhaltens und der SEUTheorie ............................................................................................. 100 4.4 Zwischenfazit ........................................................................................... 103
Inhaltsverzeichnis
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4.5 Die Modellierung ..................................................................................... 107 4.5.1 Determinanten von Verweigerungen in politischen Umfragen ........ 108 4.5.1.1 Objektive und subjektive Kontrollmöglichkeiten als Determinanten der Teilnahmeentscheidung ................................ 109 4.5.1.2 Einstellungen zur Handlung als Determinanten der Teilnahmeentscheidung ............................................................... 114 4.5.1.3 Normative Orientierungen als Determinanten der Teilnahmeentscheidung ............................................................... 119 4.5.2 Kooperation und Verweigerung bei politischen Umfragen .............. 121 4.6 Zusammenfassung und Integration des Common Cause-Modells ........... 124 4.6.1 Zusammenfassung ............................................................................ 124 4.6.2 Das Common Cause-Modell ............................................................ 125 4.7 Hypothesenübersicht ................................................................................ 131
II Empirischer Teil 5 Das Design der Studie .......................................................... 139 5.1 Rahmenbedingungen: Stichprobenziehung und Feldzeit ......................... 143 5.1.1 Stichprobenziehung .......................................................................... 143 5.1.2 Feldzeit ............................................................................................. 147 5.2 Ausschöpfungssteigernde Maßnahmen .................................................... 149 5.2.1 Kontaktmodalitäten .......................................................................... 149 5.2.2 Der Einsatz von Incentives ............................................................... 152 5.2.3 Interviewereinsatz ............................................................................ 157 5.2.4 Aufwand / Länge der Befragung ...................................................... 157 5.2.5 Die Salienz des Themas der Befragung............................................ 159 5.2.6 Die Nennung des Sponsors der Befragung ....................................... 160 5.3 Zwischenfazit: Das Design des ALLBUS+ ............................................. 161 5.4 Anmerkungen zur Analyse ....................................................................... 163 5.4.1 Analysestrategien ............................................................................. 163 5.4.2 Umgang mit fehlenden Werten ........................................................ 165
6 Operationalisierung ............................................................. 167 6.1 Die Indikatoren zur Messung der objektiven Kontrollmöglichkeiten ...... 168 6.2 Die Indikatoren zur Messung der subjektiv wahrgenommenen Verhaltenskontrolle .................................................................................. 170 6.3 Die Indikatoren zur Messung der Einstellung gegenüber der Teilnahme an einer politischen Befragung .............................................. 171
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Inhaltsverzeichnis 6.4 Die Indikatoren zur Messung der subjektiven Norm ............................... 177 6.5 Die Messung des politischen Partizipationsniveaus................................. 179
7 Empirische Analyse ............................................................. 185 7.1 Die Ausschöpfung in beiden Studien ....................................................... 187 7.2 Bivariate Unterschiede zwischen ALLBUS und ALLBUS+ ................... 194 7.2.1 Überblick: Analyse über alle Merkmale........................................... 194 7.2.2 Inhaltliche Analyse der Unterschiede ............................................... 196 7.2.2.1 Objektive Kontrollmöglichkeiten ................................................ 197 7.2.2.2 Subjektive Kontrollmöglichkeiten .............................................. 201 7.2.2.3 Die Einstellung gegenüber der Teilnahme an einer politischen Befragung .................................................................................... 203 7.2.2.4 Die subjektive Norm ................................................................... 209 7.2.2.5 Politische Partizipation ................................................................ 212 7.2.3 Zwischenfazit zum bivariaten Vergleich von ALLBUS und ALLBUS+ ........................................................................................ 215 7.3 Multivariate Analyse: ALLBUS und ALLBUS+ im Vergleich............... 219 7.4 Der Vergleich von Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+ ....... 226 7.4.1 Überblick: Analyse über alle Merkmale........................................... 229 7.4.2 Inhaltliche Analyse der Unterschiede ............................................... 231 7.4.2.1 Objektive Kontrollmöglichkeiten ................................................ 231 7.4.2.2 Subjektive Kontrollmöglichkeiten .............................................. 234 7.4.2.3 Die Einstellung gegenüber der Teilnahme an einer politischen Befragung .................................................................................... 236 7.4.2.4 Die subjektive Norm ................................................................... 243 7.4.2.5 Politische Partizipation der Verweigerer ..................................... 246 7.4.3 Zwischenfazit zum bivariaten Vergleich von Kooperativen und Verweigerern .................................................................................... 252 7.5 Multivariate Analyse: Kooperation und Verweigerung des Interviews ... 254 7.6 Die Nachfassaktionen: Annäherung an den harten Kern?........................ 267 7.6.1 Die telefonische Nachbefragung ...................................................... 270 7.6.2 Die schriftliche Nachbefragung ........................................................ 273 7.7 Zwischenfazit: Die empirischen Ergebnisse ............................................ 275
8 Schlussbemerkung und Forschungsausblick .................... 282 Literatur .................................................................................. 291 Anhang .................................................................................... 321
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
Tabellen Tabelle 1: Die Indikatoren zur Messung der objektiven Kontrollmöglichkeiten....................................................................... 170 Tabelle 2: Die Indikatoren zur Messung der subjektiven Kontrollmöglichkeiten....................................................................... 171 Tabelle 3: Die Indikatoren zur Messung der Einstellung gegenüber dem Verhalten ........................................................................................... 176 Tabelle 4: Die Indikatoren zur Messung der subjektiven Norm......................... 179 Tabelle 5: Hauptkomponentenanalyse zur Intention Politischer Partizipation ... 183 Tabelle 6: Die Ausschöpfung nach einzelnen Nonresponse-Typen ................... 192 Tabelle 7: Signifikante Verteilungsunterschiede in ALLBUS und ALLBUS+ . 196 Tabelle 8: Soziale Integration in ALLBUS und ALLBUS+ .............................. 198 Tabelle 9: Soziale Integration in ALLBUS und ALLBUS+, Haupt-/ Nachbearbeitung ................................................................................ 200 Tabelle 10: Items zur Messung der internen Efficacy in ALLBUS und ALLBUS+ ......................................................................................... 202 Tabelle 11: Politisches Interesse in ALLBUS und ALLBUS+ ............................ 205 Tabelle 12: Institutionenvertrauen (metrisch) bei ALLBUS und ALLBUS+ im Vergleich ...................................................................................... 206 Tabelle 13: Institutionenvertrauen (ordinal) in ALLBUS und ALLBUS+ .......... 208 Tabelle 14: Wahlnorm in ALLBUS und ALLBUS+............................................ 222 Tabelle 15: Die berichtete Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2005 in ALLBUS und ALLBUS+ .................................................................. 212 Tabelle 16: Die Verteilung der Wahlabsicht in ALLBUS und ALLBUS+ .......... 213 Tabelle 17: Logistische Regressionsmodelle zum Einfluss der Merkmale aus den Bereichen der objektiven und wahrgenommenen Kontrolle, Einstellung gegenüber der Teilnahme und subjektiver Norm auf die Unterscheidung von ALLBUS und ALLBUS+ .......... 222 Tabelle 18: Logistische Regressionsmodelle zum Einfluss der Merkmale auf die Unterscheidung von ALLBUS und ALLBUS+: Politische Partizipation und Gesamtmodelle...................................................... 223 Tabelle 19: Verteilungsunterschiede zwischen Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+ ............................................................. 230
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Tabellen und Abbildungsverzeichnis
Tabelle 20: Soziale Integration bei Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+ ......................................................................................... 233 Tabelle 21: Subjektives politisches Wissen bei Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+ ............................................................. 235 Tabelle 22: Recht auf freie Meinungsäußerung als wichtigstes Politikziel im ALLBUS+ ......................................................................................... 237 Tabelle 23: Politisches Interesse bei Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+ ......................................................................................... 238 Tabelle 24: Institutionenvertrauen bei Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+ ......................................................................................... 240 Tabelle 25: Vertrauen in Mitmenschen bei Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+ .................................................................................... 242 Tabelle 26: Wahlnorm bei Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+ ....... 244 Tabelle 27: Anomie bei Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+ ............ 245 Tabelle 28: Berichtete Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2005 bei Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+ ............................... 247 Tabelle 29: Die Verteilung der Sonntagsfrage bei Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+ ............................................................. 248 Tabelle 30: Einstellung gegenüber verschiedenen Formen politischer Partizipation bei Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+ .... 251 Tabelle 31: Logistische Regressionsmodelle zum Einfluss der Merkmale aus den Bereichen der objektiven und wahrgenommenen Verhaltenskontrolle, der Einstellung ggü. der Teilnahme und der subjektiven Norm auf die Teilnahmeverweigerung in der Hauptbearbeitung im ALLBUS+ ...................................................... 256 Tabelle 32: Survey Variable Cause-Modell zur Erklärung der Teilnahmeverweigerung in der Hauptbearbeitung des ALLBUS+ ... 259 Tabelle 33: Erweiterte logistische Regressionsmodelle ....................................... 262 Tabelle 34: Politisches Interesse im telefonischen Nachfass ............................... 271 Tabelle 35: Rechtsextreme Einstellungen im telefonischen Nachfass ................. 272 Tabelle 36: Wahlabsicht und Sonntagsfrage im schriftlichen Nachfass .............. 274 Tabelle 37: Ergebnisse der Hypothesenprüfung ................................................... 276
Abbildungen Abbildung 1: Forschungsfragen ........................................................................... 28 Abbildung 2: Modelle zur Erklärung von Unterschieden zwischen Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern ............................................. 29 Abbildung 3: Nonresponse als mehrstufiger Prozess ........................................... 37 Abbildung 4: Das Ausmaß von Nonresponse im ALLBUS von 1992 bis 2006 .. 39 Abbildung 5: Der Nonresponse-Fehler ................................................................ 46
Tabellen und Abbildungsverzeichnis Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15: Abbildung 16:
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Die Grundidee der Leverage-Salience-Theorie .............................. 66 Die Lücke in den theoretischen Annahmen von Groves/Couper ... 70 Die Theorie geplanten Verhaltens .................................................. 97 Das Erklärungsmodell auf der Ebene des Individuums ............... 123 Das Common Cause-Modell ........................................................ 125 Die Integration des Common Cause-Modells .............................. 126 Das Design von ALLBUS und ALLBUS+ im Überblick ............ 162 Analysestrategien ......................................................................... 165 Das modifizierte Gesamtmodell ................................................... 184 Ausschöpfung der Studie auf den einzelnen Erhebungsstufen..... 189 Der Einfluss der Anomie auf die Verweigerungswahrscheinlichkeit (Punktschätzung) ........................................... 261
Vorwort
Die vorliegende Arbeit wurde von mir im Mai 2010 als Dissertationsschrift eingereicht und schließt damit ein spannendes, intensives, oft auch sehr herausforderndes, dennoch lieb gewonnenes und letztlich erfolgreiches Kapitel meines Lebens ab. Am Anfang stand eine fixe Idee. Nach der Bundestagswahl im Jahr 2005, als viele Wahlprognosen den Wahlausgang nur wenig präzise vorhersagten, stand die ganz praktische Frage: Woher kommen diese Verzerrungen? Verschiedene Erklärungen sind plausibel: Sowohl unentschlossene Wähler als auch Nicht-Wähler oder auch diejenigen, die kurz vor der Wahl ihre Meinung noch einmal ändern, können dazu beitragen, dass die Prognosen vor einer Wahl daneben liegen. Neben den genannten Aspekten haben Umfragen aber auch immer stärker mit einem anderen gravierenden Problem zu kämpfen, nämlich der Teilnahmeverweigerung einzelner Zielpersonen. Viele Bürger nehmen nicht mehr an Umfragen teil. Wenn sich diese systematisch von den Teilnehmern unterscheiden, sind die Ergebnisse der Umfragen verzerrt. Dieses Problem betrifft dabei aber nicht nur Wahlprognosen (bei denen man ja am Wahltag sieht, ob sie daneben lagen), sondern auch alle anderen empirischen politikwissenschaftlichen Umfragestudien, die auf die Kooperationsbereitschaft der Zielpersonen angewiesen sind, um ein möglichst vollständiges Bild der Bevölkerung zu zeichnen. Damit war die Fragestellung gegeben: Wer sind diejenigen, die eine Teilnahme an Umfragen verweigern? Unterscheiden sie sich von den Teilnehmern? Und wenn ja, wie? Auf diese Weise ergab sich ein ambitioniertes - manche nannten es auch paradoxes - Projekt: Die Befragung von Personen, die sich (unter Normalbedingungen) nicht befragen lassen. Viele Menschen haben mich dabei unterstützt und so wesentlich dazu beigetragen, dass dieses Promotionsprojekt nun zu einem Abschluss gekommen ist. Ihnen möchte ich an dieser Stelle ganz ausdrücklich danken. Zuerst ist dabei mein Doktorvater Professor Dr. Jürgen W. Falter zu nennen. Er hat mich mit einem Vortrag im Oktober 2005 überhaupt erst auf die Idee gebracht, mich mit den Nichtteilnehmern an Umfragen zu beschäftigen. Während der gesamten Arbeit hat er mich zudem als Mentor begleitet. Hervorzuheben ist, dass er mir neben wichtigen Impulsen gleichzeitig alle Freiräume bot, die man sich für die eigenständige wissenschaftliche Arbeit nur wünschen kann. Er beschäftigte mich als wissenschaftliche Mitarbeiterin und ermöglichte es, die gemeinsamen Ideen mithilfe eines großen DFG-Projekts auch tatsächlich in die Praxis umzusetzen. An dieser Stelle geht der Dank damit auch an die DFG, die dieses Projekt finanziell unterstützt und getragen
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Vorwort
hat. Daneben existierten weitere Kooperationen, von denen ich profitieren konnte. Hierbei sind insbesondere Michael Blohm und Achim Koch von GESIS in Mannheim zu nennen, die für den ALLBUS das DFG-Projekt mit umgesetzt haben sowie Herr Schneekloth und Herr Leven von Infratest München. Sie haben das Projekt auch zu ihrem Projekt gemacht und boten mir die Gelegenheit, in zahlreichen Treffen und Telefonaten verschiedene Aspekte der Studie durchaus kritisch zu diskutieren und von ihrem enormen Sachverstand zu profitieren. Zugleich ist auch Richard Hilmer von Infratest dimap zu nennen, der es ermöglichte, die Ergebnisse der Studie früh in Berlin vorzustellen und damit ein direktes Feedback und hilfreiche Anmerkungen aus der Praxis zu erhalten. Große Unterstützung hatte ich auch in zwei meiner Kollegen, die ich besonders hervorheben möchte: Prof. Dr. Harald Schoen hat mir in jeder Situation quer über den Flur mit hilfreichen, pragmatischen, immer konstruktiven und punktgenauen Ratschlägen zur Seite gestanden und geholfen, so manches Problem zu meistern. Und auch Dr. Cornelia Frings hat besonders am Ende der Arbeit mit präzisen und wertvollen Vorschlägen und Anmerkungen dazu beigetragen, dass sich der Wald lichtete, den man vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehen vermochte. Darüber hinaus haben mir weitere Personen mit Anregungen, Korrektur- und Formatierungshilfe zur Seite gestanden. Stellvertretend für all diejenigen möchte ich insbesondere Daniel Weber, Marlene Mauk, Sarah Kirschmann, Janina Fortmann und Marco Pecht nennen. Der größte Dank gilt jedoch meiner Familie. Meinen Eltern, die mit ihrem Glauben an mich jederzeit hinter mir stehen, meinem Bruder und meiner guten Freundin Nele Schüller. Sie alle haben mir auch immer wieder gezeigt, dass es anderes gibt, als nur die Wissenschaft. Ganz besonders danke ich meinem Mann Patrick. Ohne ihn gäbe es diese Arbeit sicher nicht. Er hat mich und diese Arbeit durch alle Höhen und Tiefen der letzten Jahre begleitet und sich immer wieder mit mir und meinen Ideen auseinander gesetzt. Sein anhaltendes Interesse, sein Antrieb, seine Kreativität und seine klugen Kommentare waren mir die wertvollsten Anregungen. Selten habe ich soviel über mich selbst gelernt, wie in der Zeit der Promotion. Jetzt freue ich mich auf alles, was an neuen Projekten kommen wird.
Mainz, im September 2010
I Theoretischer Teil
1 Einleitung „Keine Antwort ist auch eine Antwort!“ - Sprichwort -
Umfragen beeinflussen unsere Vorstellung von der Welt. In vielen Bereichen, wenn man beispielsweise etwas über das Denken der Bevölkerung erfahren möchte, sind sie eine der wenigen Möglichkeiten, Einstellungen, Werte und Normen überhaupt messbar zu machen. Umfragen können jedoch nur dann ein realistisches Abbild liefern, wenn sie gewissen Qualitätskriterien unterliegen und systematische Verzerrungen vermieden werden. Mit diesem Problem systematischer Verzerrungen bei Umfragen beschäftigt sich diese Arbeit und fokussiert dabei eine ganz bestimmte potenzielle Fehlerquelle: Diejenigen Personen, die eine Teilnahme an Umfragen bewusst verweigern. Es soll dabei verschiedenen Fragen nachgegangen werden: Wer sind diejenigen, die eine Teilnahme verweigern? Unterscheiden sie sich von den Kooperativen und können sie damit zu systematischen Verzerrungen führen? Jeder, der schon einmal mit Umfragen gearbeitet hat, gerade im Bereich der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung, kennt Indizien, die für derartige systematische Ausfälle sprechen. In der Regel fehlen in den Befragungen gerade die „interessanten Fälle“, z.B. Nichtwähler, Extremwähler, Menschen mit extremistischem Gedankengut oder auch Uninteressierte. Dennoch treten genau diese Fälle an manch anderen Stellen auf der politischen Bühne auf, beispielsweise bei Wahlen. Wie kommt es dazu? Sind Teilnahmeverweigerungen eine Ursache dafür, dass es einen Unterschied zwischen der Realität und der Wahrnehmung der Realität gibt? Warum verweigern Menschen die Teilnahme an derartigen Befragungen? Und welche Konsequenzen hätten diese systematischen Ausfälle? Führt das verzerrte Bild, das uns die Umfragen liefern, dazu, dass Krisenindikatoren eventuell nicht erkannt werden und man die Stabilität des politischen Systems überschätzt? Werden in Anbetracht der Umfragen Policy-Entscheidungen gefällt, die an den tatsächlichen Bedürfnissen der Bevölkerung vorbeizielen? Dieser Fragen nimmt sich die vorliegende Arbeit an. Dazu wird nun in der Einleitung die zentrale Funktion von Umfragen in repräsentativen Demokratien herausgearbeitet. Es wird gezeigt, dass Präzision eine der Voraussetzungen ist, damit Umfragen ihre Funktionen auch tatsächlich erfüllen können und wie Nonrespondenten diese Präzision von Umfragen beeinträchtigen können. Im Anschluss wird diskutiert, wie mit dem Problem der Nonrespondenten in der Forschung umgegangen wird. Daraus lässt sich schließlich das Erkenntnisinteresse ableiten, welches wiederum das weitere Vorgehen der Arbeit determiniert.
H. Proner, Ist keine Antwort auch eine Antwort?, DOI 10.1007/978-3-531-92721-3_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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1 Einleitung
1.1 Umfragen und ihre Rolle im politischen System 1.1.1 Funktionen von Umfragen Umfragen haben sowohl für die empirische Politikforschung als auch aus demokratietheoretischer Perspektive für das politische System eine große Bedeutung. Zunächst sind sie für die empirische Politikforschung eine der wichtigsten Formen der Datenerhebung und wurden bereits in den 1960er Jahren als der „Königsweg der praktischen Sozialforschung“ (König 1969: 27) beschrieben. Sie ermöglichen es, Informationen über politische Einstellungen und politisches Verhalten der Bevölkerung zu erheben (vgl. Diekmann 1995: 371; siehe auch Atteslander/Kneubühler 1975; Bortz/Döring 2002: 237; Groves et al. 2004; Schnell 1997: 11).1 Nur mithilfe von Befragungen können bestimmte politikwissenschaftliche Konstrukte – bspw. Einstellungen, die nicht direkt beobachtbar sind – überhaupt erhoben werden. Auf diese Weise können auf der Individualebene Aussagen über Zusammenhänge zwischen verschiedenen Merkmalen getroffen werden. Dies ist eine Vorausetzung, um bestimmte politikwissenschaftliche Phänomene zu erklären und auf dieser Grundlage Prognosen aufstellen zu können. Umfragen erfüllen aber nicht nur für die politikwissenschaftliche Forschung, sondern auch im politischen System wichtige Funktionen. Sie ermöglichen einerseits der politischen Elite2, sich über die Bürger zu informieren (vgl. Kaase 1999: 4).3 Andererseits bieten sie den Bürgern die Möglichkeit, ihre Interessen zu artikulieren, die damit eine Chance haben, in den politischen Prozess integriert zu werden (vgl. Schuh 2009: 29ff.; Shaiko et al. 1991: 86). Insgesamt haben sie damit eine Feedback-Funktion, die maßgeblich zur Systemstabilität beitragen kann. Ein kurzer systemtheoretischer Exkurs soll dies verdeutlichen: In einem politischen System werden für alle Mitglieder der Gesellschaft verbindliche Entscheidungen getroffen (vgl. z.B. Easton 1953: 96ff.; 1965b: 57). In der Bundesrepublik Deutschland, die als repräsentative Demokratie ausgestaltet ist, werden dabei die meisten Sachfragen nicht durch das gesamte Volk, sondern durch gewählte Abgeordnete entschieden. Wenn derartige repräsentative Demokratien einerseits wandelbar und an aktuelle Herausforderungen angepasst, andererseits aber auch in sich stabil und wenig krisenanfällig bleiben wollen, dürfen sich die Eliten auch zwischen den Wahlen nicht zu sehr von den Interessen der Bürger ent1 So zeigt eine Inhaltsanalyse von vier für die empirische Politikwissenschaft relevanten deutschsprachigen Fachzeitschriften (Politische Vierteljahresschrift, Zeitschrift für Parlamentsfragen, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie und die Zeitschrift für Soziologie), dass im Zeitraum von 2003 bis 2007 von 221 Beiträgen, die quantitative Daten aus einer Befragung, einer Inhaltsanalyse oder einer Beobachtung analysierten, 80,5% der Beiträge (n=178) auf Befragungsdaten, 15,8% auf Daten aus Inhaltsanalysen und nur 3,7% auf Beobachtungsdaten basierten. 2 Zum Begriff der politischen Elite siehe Herzog/Bürklin 2003: 509ff. 3 Schon in den 50er Jahren konstatiert (obgleich mit einer negativen Konnotation) Hennis: „Solange es politische Herrschaft gibt, haben die Herrschenden ein Interesse daran gehabt, zu wissen, was in den Köpfen ihrer Untertanen vorgeht“ (Hennis 1957: 16).
1.1 Umfragen und ihre Rolle im politischen System
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fernen.4 Daher ist es wichtig, dass sich die Entscheidungen der Eliten durch Responsivität auszeichnen. Unter „responsiv“ ist in Anlehnung an Pennock „reflecting and giving expression to the will of the people“ (Pennock 1952: 790) zu verstehen, oder- anders formuliert- die weitgehende Übereinstimmung des Abstimmungsverhaltens der Repräsentanten mit den Einstellungen und Interessen der Wähler (vgl. Miller/Stokes 1963: 45ff.). Dabei wird angenommen, dass dem System, den Parteien oder auch den Politikern die Unterstützung des Volkes nur dann auf Dauer erhalten bleibt, wenn weitestgehend akzeptierte Entscheidungen getroffen werden. Fehlende Responsivität kann zu einem Graben zwischen politischer Elite und Bürgern führen, was zunächst direkte Folgen für den einzelnen Abgeordneten hat, etwa weil er nicht wiedergewählt wird. Aus der Makroperspektive betrachtet kann fehlende Responsivität aber auch weitreichende Folgen für die Systemstabilität haben (vgl. Easton 1965b: 381f.; Gabriel 2000; Miller/Stokes 1963; Putnam 1993; Völkl 2005: 249ff.).5 Aus diesem Grund gibt es sowohl für die einzelnen Politiker als auch für das System als Ganzes ein großes Informationsbedürfnis. Aus Sicht der Politiker lässt sich folglich konstatieren: Wer eine Wiederwahl anstrebt, sollte sich nicht zu weit von den Wählerpräferenzen entfernen. Aus diesem Grund ist die politische Elite auf Informationen über eben diese Präferenzen, Einstellungen, Interessen und Forderungen der Bevölkerung angewiesen. Nur wenn die Bürger die Entscheidungen der Regierung wahrnehmen, sie bewerten und über das Ergebnis der Bewertung wieder mit den politischen Eliten kommunizieren, sind responsive Entscheidungen möglich (vgl. Schlozman 2002: 437f.). Nun kommt die Umfrage als Instrument ins Spiel: Die Ergebnisse aus Umfragen sind ein wichtiger, vielleicht sogar der wichtigste und verlässlichste Feedback-Kanal, um Reaktionen und Bewertungen der Gesellschaft an die Eliten weiterzuleiten (vgl. 4 Easton (1965a: 77ff.) bezeichnete die Stabilität von demokratischen Systemen als „Persistenz“. In der neueren politischen Kulturforschung ist neben der Persistenz auch die Leistungsfähigkeit (=Performanz) der Demokratien als Kriterium für deren Überlebensfähigkeit hinzugekommen (vgl. etwa Putnam 1993; auch Gabriel 2000, 2007). 5 In Eastons (1957: 384, 1965b: 364ff.) populärer, vereinfachter, modellhafter Vorstellung des politischen Prozesses wird die Responsivität des Systems über eine Feedbackschleife innerhalb des Modells ermöglicht: (Konkrete) politische Forderungen sowie die politische Unterstützung der Gemeinschaft, des Regimes und der Autoritäten gehen in das politische System ein, werden gefiltert, verdichtet, zusammengeführt, bearbeitet und in kollektiv verbindliche Policy-Entscheidungen (also Outputs) umgewandelt. Dabei versuchen die Autoritäten solche Outputs zu produzieren, die zu einer Zunahme der Unterstützung führen. Die Verbindung von den Outputs zurück zu den Inputs wird im Modell als „Feedback“ bezeichnet. Policy-Entscheidungen beeinflussen demnach wieder die Forderungen und die Systemunterstützung der Bürger, je nachdem wie die Bürger die Entscheidungen bewerten. Das Feedback ermöglicht für die politische Elite einen Lerneffekt, da sie eine Rückmeldung über die Reaktionen der Bürger erhält. Die Feedback-Schleife funktioniert jedoch nur dann, wenn die Outputs erstens von den Bürgern tatsächlich wahrgenommen werden, die Bürger zweitens über neue Forderungen und/oder Unterstützung reagieren, diese Reaktionen drittens die Autoritäten erreichen, bevor die Autoritäten viertens darauf wieder reagieren und neue Outputs produzieren können. Funktioniert das Feedback, so argumentiert Easton, sind moderne Staaten prinzipiell anpassungsfähig und damit weniger krisenanfällig, da das System auf einen sich andeutenden Entzug der Unterstützung reagieren kann (vgl. Easton 1965b: 381f.). Die Unterstützung der Bürger kann sich dabei auf verschiedene Ebenen beziehen, etwa auf die politische Gemeinschaft, das Regime und die damit verbundenen Werte, die Systemperformanz, die Institutionen und die politischen Akteure selbst (vgl. Norris 1999: 10).
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1 Einleitung
Brettschneider 2000: 500; Kaase 1999: 4).6 Eine kontinuierliche direkte Kommunikation zwischen Bürgern und politischer Elite, etwa in Form regelmäßiger Gespräche, wäre normativ vielleicht wünschenswert, ist aber praktisch aus verschiedenen Gründen nicht möglich.7 Die Wahlkreise sind viel zu groß, als dass der Abgeordnete die Möglichkeit hätte, mit allen Bürgern im Wahlkreis zu kommunizieren.8 Hinzu kommt, dass der direkte Kontakt der Abgeordneten meist nur mit einigen wenigen interessierten, aktiven Bürgern zustande kommt und das daraus resultierende Bild verzerrt ist (vgl. Miller/Stokes 1963: 54f.). In Umfragen auf der Grundlage von Zufallsstichproben können hingegen (im Idealfall) in einem überschaubaren Zeitrahmen nicht nur Einzelmeinungen, sondern die Verteilung der Einstellungen der Gesamtbevölkerung abgebildet werden: „Surveys produce just what democracy is supposed to produce – equal representation of all citizens. The sample survey is rigorously egalitarian; it is designed so that each citizen has an equal chance to participate and an equal voice when participating” (Verba 1996: 3). Aus der Sicht der Bürger sind Umfragen auch dann eine Möglichkeit des Feedbacks, wenn sie nicht direkt von der politischen Elite mit dem Ziel der Informationsgewinnung durchgeführt werden. Umfragen werden beispielsweise auch von Medien in Auftrag gegeben, um Interessen der Bürger zu artikulieren. Diese werden in der Regel dann auch öffentlich besprochen. Beispiele hierfür sind das ZDF-Politbarometer oder der ARD-Deutschlandtrend, deren Ergebnisse regelmäßig in den Nachrichtensendungen und in den übrigen Leitmedien aufbereitet werden. Auch Ergebnisse wissenschaftlicher Umfragen werden medial aufbereitet und als Nachricht verbreitet.9 Auf diese Weise können Themen in den öffentlichen Diskurs eingebracht werden (vgl. Roth 2009: 241). Zusammenfassend kann man konstatieren, dass Umfragen damit sowohl eine politikwissenschaftliche als auch eine genuin demokratietheoretische Relevanz haben. Sie erfüllen für die empirisch arbeitende Wissenschaft, für die Gesellschaft und für das politische System eine wichtige Funktion: Umfragen bilden Einstellungen, Meinungen und (beabsichtigtes bzw. berichtetes) Verhalten ab. „Gerade die Erhebung subjektiver Phänomene macht die Umfrageforschung für bestimmte Forschungszwecke unentbehrlich“ (Kaase 1999: 13) und macht sie damit zu einer der wichtigsten Grundlagen der empirischen politischen Verhaltens- und Einstellungsforschung. Auf der Basis von Umfragedaten werden Themen auf die politische, 6
Schon Easton verweist bereits explizit auf die Feedback-Möglichkeit durch Umfragen. Zugleich stellt er jedoch fest, dass die Methode der Umfrage (zu dieser Zeit) noch nicht weit genug entwickelt ist (vgl. Easton 1965b: 414). 7 Ein Versuch, den direkten Kontakt zwischen Abgeordneten und Bürgern herzustellen, sind die Wahlkreisbüros und die dort stattfindenden Bürgersprechstunden. Diese können jedoch nur einen kleinen exemplarischen Einblick in die Bedürfnisse der Bevölkerung geben und werden auch nur von einem Bruchteil der Bürger genutzt. Der Aufwand für den Bürger, den Abgeordneten direkt anzusprechen, ist deutlich höher als die (anonyme) Teilnahme an einer Umfrage. 8 Ein Wahlkreis für die Bundestagswahl umfasst zzt. etwa 180.000 bis 250.000 Wahlberechtigte (vgl. www.bundeswahlleiter.de). 9 Schuh (2009: 24ff.) zeigt, dass die Ergebnisse von Umfragen einen hohen Nachrichtenwert haben und daher eine hohe Publikationswahrscheinlichkeit aufweisen.
1.1 Umfragen und ihre Rolle im politischen System
21
wissenschaftliche, mediale und gesellschaftliche Agenda gesetzt und bearbeitet. Sie bilden über ihre Informationsfunktion eine Entscheidungshilfe für Politiker, die darauf reagieren können, wenn sie vor Policyentscheidungen stehen (vgl. Brehm 1993: 3). So können responsive Entscheidungen getroffen werden, die kurzfristig für die Wiederwahl der Repräsentanten wichtig sind. Langfristig bleibt damit dem System die Unterstützung der Bevölkerung erhalten.10 Umfragen können Trends, Probleme oder Krisensymptome ankündigen, ohne dass es erst zu schwerwiegenden Systemkrisen kommen muss. Umfragen haben zusätzlich aus der Perspektive der Bevölkerung eine Artikulations- und Repräsentationsfunktion (vgl. Dran/Hildreth 1995: 128). Für die Bürger sind Umfragen damit eine Möglichkeit, die eigene Meinung zu äußern und zu veröffentlichen.11
1.1.2 Die Qualität von Umfragen Damit die Ergebnisse aus Umfragen aussagekräftig sind und auch tatsächlich ein Abbild der Realität liefern – eine zentrale Voraussetzung, damit die Entscheidungen des politischen Systems von den Bürgern akzeptiert werden – müssen bei der Datenerhebung gewisse Regeln und Qualitätskriterien eingehalten werden (vgl. Kaase 1999; König 1969; Mohler et al. 2003). Zunächst hat man bei der Durchführung einer Umfrage die Wahl zwischen einer Vollerhebung, d.h. der Befragung aller Objekte bzw. Personen, über die man etwas aussagen möchte, und der Befragung einer Stichprobe, d.h. eines bestimmten Teils, der stellvertretend für die Grundgesamtheit steht. In der empirischen Wahl- und Einstellungsforschung sind Vollerhebungen aus den verschiedensten Gründen nur selten durchführbar. So ist es z.B. kaum möglich, 62 Mio. Wahlberechtigte am Tag vor der Wahl zu ihrer Wahlabsicht zu befragen, um eine kurzfristige Prognose zur Wahlentscheidung abzugeben. Ebenso wenig lassen sich über 80 Mio. Deutsche zu ihrem Vertrauen in die Demokratie zu einem bestimmten Zeitpunkt (etwa nach einem politischen Skandal) befragen. Bis der letzte Bürger befragt wäre, hätten sich die Einstellungen 10
Es existieren auch gegenteilige Meinungen, die diese deliberative Dimension der Umfrageforschung sehr kritisch bewerten. So kritisiert etwa Hennis bereits in den 1950er Jahren, dass die Qualität des demokratischen Prozesses nicht gesteigert werde und spricht von einer „Abwertung des Bürgers“ (Hennis 1957: 36) durch die Umfrageforschung. 11 Außer Acht gelassen wurde hier bewusst die – in Wissenschaft und Politik durchaus populäre – Diskussion zur Wirkung von Umfragen auf die Bürger, die ein weiteres Argument für die Relevanz von Umfragen bilden kann (eine gute Zusammenfassung der Diskussion findet sich bei Schuh 2009: 48ff.). Dabei wird angenommen, dass Umfragen nicht nur die Meinungen der Bevölkerung abbilden, sondern diese auch beeinflussen können. Besonders in der kommunikationswissenschaftlichen Forschung werden verschiedene Formen der Wirkung von Umfragen diskutiert. Für die politikwissenschaftliche Diskussion sind besonders die Effekte von Umfragen auf das Stimmverhalten und die Wahlbeteiligung von Bedeutung, wie etwa Bandwagon- und Underdog-Effekte, Defätismus- und Lethargie-Effekte. Auch die „wissenschaftlich und politisch einflussreiche“ (Schoen 2002: 183) Theorie der Schweigespirale von Noelle-Neumann bezieht sich auf die Wirkungen von Umfragen (siehe auch NoelleNeumann 2001). Da jedoch eindeutige Forschungserkenntnisse ebenso wie Belege für die Wirkung von Umfragen auf die Bürger fehlen, wird dieses Argument an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt.
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1 Einleitung
vieler bereits wieder verändert. Daher werden Stichprobenverfahren eingesetzt, deren Vorteile vielfältig sind. Stichproben sind meist günstiger und schneller in ihrer Erhebung und Auswertung. Zudem sind sie in der Regel auch valider und reliabler als Vollerhebungen, weil man besseres Befragungspersonal einsetzen und die Datenerhebung stärker kontrollieren kann (vgl. etwa Cochran 1972: 16f.; Kaase 1999: 16f.; Schnell et al. 2008: 268f.).12 Aus diesem Grund werden für empirische Studien meist Zufallsstichproben aus einer zuvor festgelegten Grundgesamtheit gezogen. Die derart ausgewählten Zielpersonen versucht man anschließend vollständig zu befragen. Auf der Grundlage der so gewonnenen Daten können dann mittels inferenzstatistischer Verfahren Rückschlüsse auf die Grundgesamtheit gezogen werden. Voraussetzung zur Anwendung der Methoden der schließenden Statistik ist das Vorliegen einer Zufallsstichprobe, da nur in diesem Fall die mathematischen Grundlagen der Stichprobentheorie gelten.13 In einem ein- oder mehrstufigen Prozess werden dabei zufällig Elemente aus der Grundgesamtheit so ausgewählt, dass für jedes Element die Wahrscheinlichkeit angegeben werden kann, in die Stichprobe zu gelangen. Auf diese Weise erhält man die Brutto-Ausgangsstichprobe, die im idealen Fall ein verkleinertes Abbild der Grundgesamtheit, „ein Miniaturbild der Gesamtheit“ (Kaase 1999: 16) darstellt.14 Die (unsystematischen) Fehler, die man bei diesem Inferenzschluss macht, lassen sich genau berechnen und angeben, so dass Hypothesen über die Grundgesamtheit getestet werden können (vgl. zur Theorie der Inferenzstatistik bereits Pearson 1903; Neyman 1934; zur Anwendung Bortz 2005: 85ff.; Mosler/Schmid 2009; Schumann 2006). Bevölkerungsumfragen sind aber nur dann „repräsentativ“, wenn keine systematischen Fehler auftreten. Systematische Verzerrungen von Umfragedaten können verschiedene Ursachen haben, die z.B. in den Instrumenten, den Interviewern, aber auch in der Auswahl der Stichprobe begründet sein können. Eine der Ursachen systematischer Verzerrungen von Daten soll in dieser Arbeit einer genaueren Betrachtung unterzogen werden: Unit-Nonresponse, d.h. der Ausfall einzelner Zielpersonen der Stichprobe. In der Praxis der sozialwissenschaftlichen Umfrageforschung ist es – im Gegensatz zur theoretischen Konzeption einer Zufallsstichprobe – kaum möglich, von allen zuvor ausgewählten Personen Daten zu erheben. Dieses Ausfallen einzelner zuvor ausgewählter Stichprobenelemente (UnitNonresponse) ist eines der zentralen methodischen Probleme der Umfragefor-
12 Dadurch, dass man bei einer Erhebung auf der Grundlage einer Stichprobe weniger Interviewer einsetzen muss, kann man diese besser schulen. 13 Im Gegensatz zu bewussten oder willkürlichen Auswahlverfahren, wie etwa bei der Quotenauswahl (siehe zur Zusammenfassung der Diskussion zur Aussagekraft von Quotenverfahren etwa Schnell et al. 2008: 303f.). 14 Bei disproportionalen Auswahlverfahren kann man dieses verkleinerte Abbild mittels Designgewichtung herstellen.
1.1 Umfragen und ihre Rolle im politischen System
23
schung, weil es die Repräsentativität der Ergebnisse gefährdet (vgl. neben vielen anderen etwa Kish 1967: 532ff.).15 Schlussfolgerungen von Stichproben auf die Grundgesamtheit können ungenau und durch Nonresponse verzerrt sein, vor allem, wenn die Nonresponse-Quote hoch ist und sich Respondenten und Nonrespondenten systematisch unterscheiden (vgl. Schnell et al. 2008: 310ff.; Singer 2006: 637; Stocké/Stark 2005: 3f.). Zugleich erscheint es durchaus plausibel, dass systematische Unterschiede zwischen Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern existieren. Häufig wird dabei angenommen, dass Umfragen ein tendenziell zu positives Bild der Gesellschaft liefern („a slightly improved version of reality“ Lindström 1983: 81, zitiert nach Schnell 1991: 148), da sich eher die zufriedenen, aktiven, interessierten Bürger daran beteiligten. Daher könnten die Erkenntnisse über Verteilungen, über Anteils- und Mittelwerte sowie über Zusammenhänge politischer Einstellungen und Verhaltensweisen, die auf der Grundlage von Befragungsdaten gewonnen wurden, verzerrt sein. Dies hätte, kommt man noch einmal zurück auf die Relevanz von Umfragen (Kap. 1.1.1), nicht nur Auswirkungen auf die Genauigkeit von Umfragen und die Ergebnisse politikwissenschaftlicher Forschung, sondern auch demokratietheoretische Konsequenzen. Wenn in Umfragen bestimmte Gruppen nicht repräsentiert sind, können ihre Einstellungen von den politischen Eliten auch nicht berücksichtigt werden. Eine dauerhafte Unterrepräsentation bestimmter Gruppen im Feedbackprozess führt damit zu deren politischer Unterrepräsentation, da diese Bedürfnisse nicht im politischen Exkurs erscheinen und daher auch nicht bearbeitet werden können (vgl. Brehm 1993: 23). Werden im Gegensatz dazu dauerhaft nur die Bedürfnisse und Forderungen eines Teils der Gesellschaft in Umfragen repräsentiert, können Outputs resultieren, die auf Dauer auch nur von einem Teil der Bevölkerung unterstützt werden. Kritik und Forderungen kommen nur noch bedingt bei den politischen Eliten an. Die Vernachlässigung der Interessen dieser Bürger kann zur Instabilität und zur Krise des gesamten Systems führen, insbesondere wenn es sich um einen relevanten Anteil der Bevölkerung handelt, der nicht repräsentiert wird und diese Vernachlässigung über einen längeren Zeitraum stattfindet. Um Krisensymptome wie Teilnahmslosigkeit, Extremismus oder Unzufriedenheit frühzeitig zu erkennen und ein hohes Maß an Responsivität des Systems aufrecht zu erhalten, ist es daher essentiell, inhaltliche Aussagen über diejenigen treffen zu können, die in Umfragen als zentralem Feedback-Instrumentarium nicht erfasst werden: die Nonrespondenten und dabei insbesondere die aktiven Verweigerer. Um einschätzen zu können, inwiefern sich durch die Ausfälle tatsächlich Verzerrungen ergeben, sind theoretisch fundierte Nonresponse-Modelle notwendig, die 15 Der Fehler aufgrund von Nonresponse ist nur eine von mehreren möglichen Fehlerquellen, neben Stichprobenfehlern, Messfehlern und Coverage-Fehlern (siehe dazu die Übersicht Abb. A1 im Anhang, vgl. Engel/Reinecke 1994: 254; Kalton et al. 1989: 249; siehe auch zum „Total Survey Error“ Biemer/Lyberg 2003: 34ff.; Weisberg 2005). Er ist jedoch derjenige, der (anders als der Stichprobenfehler) nicht zu berechnen ist, am wahrscheinlichsten zu systematischen Unterschieden zwischen Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern führt und vom Forscher am wenigsten kontrolliert werden kann.
24
1 Einleitung
Aussagen über den Unterschied zwischen Respondenten und Nonrespondenten treffen (vgl. Groves 2006: 651; Groves/Peytcheva 2008: 167f.; Hox et al. 1996: 101ff.). Die mögliche Verzerrung aufgrund von Nonresponse16 ist dabei – wie bereits erwähnt – von zwei Faktoren abhängig: sowohl von der Höhe der Nonresponse-Quote als auch vom Ausmaß des Unterschiedes zwischen Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern. Gleichzeitig kann die Verzerrung je nach Merkmal variieren und tritt weder „pauschal“ auf, noch ist sie für alle Merkmale linear (vgl. Cochran 1972: 415ff.; Deming 1960: 66f.; Kish 1967: 532ff.; Koch 1998: 67ff.; Moser 1959: 127ff., 178ff.; Schnell et al. 2008: 310; Tourangeau et al. 2000: 320). Die Angabe der Höhe der Ausschöpfung einer Studie ist – bei eindeutigen Definitionen von Nonresponse – möglich, hat jedoch für die Interpretation der Verzerrung alleine nur wenig Aussagekraft (vgl. Groves 2006: 646ff.; Groves/Peytcheva 2008: 168). Relevanter ist die Frage nach dem Unterschied zwischen Respondenten und Nonrespondenten, wozu jedoch meist kaum inhaltliche Informationen vorliegen (vgl. O'Neil 1979: 219; siehe auch Daniel 1975). Die Nicht-Teilnahme einzelner zuvor ausgewählter Zielpersonen an Umfragen ist demnach genau dann problematisch für die Umfrageforschung sowie die empirische politikwissenschaftliche Einstellungs- und Verhaltensforschung, wenn sich die Nicht-Teilnehmer von den Teilnehmern systematisch unterscheiden und damit in Kombination mit geringen Responseraten nicht repräsentative Ergebnisse resultieren. Daher ist die sorgfältige Analyse der Nonrespondenten und der Ursachen ihrer Nicht-Teilnahme ein zentrales Qualitätskriterium für Umfragen. „As political scientists, too many of us trust survey research as the indicator of how people think of politics. We are in a rather vulnerable position if something threatens survey research” (Brehm 1993: 16).
1.2 Der Umgang mit Nonresponse in der empirischen Forschung Wenn es sich, wie gerade ausgeführt, bei Nonresponse um eines der zentralen Probleme der Umfrageforschung handelt, könnte man annehmen, es würde in zahlreichen Studien thematisiert. Der Umgang mit dem Auftreten von Nonresponse ist jedoch sehr unterschiedlich (vgl. etwa Neller 2005; Smith 1983). Zum Teil wird das Problem in der Praxis beim Arbeiten mit Umfragedaten schlicht ignoriert und davon ausgegangen, dass sich diejenigen, die aus der Ausgangsstichprobe herausfallen, nicht von den übrigen Befragten unterscheiden. Damit werden alle Ausfälle als zufällig und unsystematisch deklariert (vgl. King et al. 2001; Montgomery et al. 2008). Ein Indiz für dieses Verhalten zeigt sich darin, dass bei der Präsentation von Forschungsergebnissen nur selten Aussagen über Ausschöpfungsquoten oder ver16 Andere mögliche Fehlerquellen, wie z.B. Messfehler, Spezifikationsfehler oder Prozessfehler (vgl. Biemer/Lyberg 2003: 39) werden dabei nicht betrachtet.
1.2 Der Umgang mit Nonresponse in der empirischen Forschung
25
schiedene Ursachen von Nonresponse gemacht werden (vgl. exemplarisch Dalton 1985). Eine Inhaltsanalyse der Artikel, die in den vier wichtigsten deutschsprachigen Fachzeitschriften aus dem Bereich der empirischen Sozialforschung17 im Zeitraum von 2003 bis 2007 erschienen sind, zeigt, dass von 24 Beiträgen, die mit Daten aus persönlichen Befragungen arbeiten, lediglich ein Beitrag explizit auf die Ausschöpfungsquote bzw. auf inhaltliche Ursachen von Nonresponse und die damit verbundenen Konsequenzen eingegangen ist (siehe Anhang, Tab. A1). Ein ähnliches Ergebnis zeigt die Analyse der acht wichtigsten internationalen sozialwissenschaftlichen Fachzeitschriften18 zwischen 1998 und 2001: In über 60 Prozent der Aufsätze gibt es überhaupt keine Informationen über Ausschöpfungsquoten, bei den Publikationen in den explizit politikwissenschaftlichen Zeitschriften lag der Anteil mit über 73 Prozent sogar noch höher (vgl. Smith 2002b: 470). Andere Autoren erkennen hingegen das Problem, das sich durch die fehlenden Fälle ergeben könnte, und vergleichen aus diesem Grund einzelne, meist soziodemographische Merkmale aus (Quasi-)Vollerhebungen mit den Randverteilungen ihrer Daten (vgl. Schnell et al. 2008: 306; siehe auch Abraham et al. 2006; Montgomery et al. 2008). In der Bundesrepublik Deutschland wird dazu in der Regel der Mikrozensus herangezogen. Bei diesem handelt es sich um die amtliche Repräsentativstatistik, bei der die Teilnahme verpflichtend ist, weswegen auch Rücklaufquoten von über 95 Prozent erreicht werden (vgl. Koch 1997). Alternativ stehen der wissenschaftlichen Forschung auch Strukturdaten der Einwohnermeldeämter als Kontrolle zur Verfügung. Wenn es beim Vergleich der soziodemographischen Struktur keine allzu großen Abweichungen gibt, wird Nonresponse auf der Basis dieses Arguments in der Regel ebenfalls nicht weiter thematisiert. Eine weitere Strategie im Umgang mit Nonresponse ist die Verwendung von mehr oder weniger geeigneten Gewichtungsprozeduren. Diese Strategie wird oft auch in Kombination mit der zuvor genannten Strategie des Vergleichs gewählt, als Reaktion auf Differenzen zwischen einzelnen Merkmalen in der Stichprobe und den Daten aus der Grundgesamtheit.19 Dabei werden die eigenen Daten auf der Grundlage einiger weniger Merkmale gewichtet, um sie der „Realität“ möglichst gut anzupassen (vgl. Schnell 1997: 245ff.).20 Alle drei Strategien, das Ignorieren des Ausfalls, der Vergleich mit amtlichen Daten und die Gewichtung nach bestimmten Merkmalen, sind jedoch mit gravie17
Politische Vierteljahresschrift, Zeitschrift für Parlamentsfragen, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie und die Zeitschrift für Soziologie. 18 Untersucht wurden: American Journal of Political Science, American Political Science Review, American Journal of Sociology, American Sociological Review, Social Forces, International Journal of Public Opinion Research, Journal of Official Statistics, Public Opinion Quarterly. 19 Diese drei Strategien sind die gebräuchlichsten. Für eine Aufzählung anderer Möglichkeiten des Umgangs mit Nonresponse siehe Smith (1983). 20 Dies geschieht meist, wenn die zweite Strategie, der Abgleich mit Vollerhebungen, zeigt, dass es deutliche Abweichungen bezüglich einzelner soziodemographischer Merkmale gibt.
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1 Einleitung
renden Problemen behaftet. Wenn man die Nonresponse-Problematik ignoriert und ein systematischer Unterschied zwischen Respondenten und Nonrespondenten existiert, sind sowohl Mittelwerte als auch Anteilswerte, Verteilungen und Zusammenhänge systematisch verzerrt. „We usually do not know how biased nonresponse is, but it is seldom a good assumption that nonresponse is unbiased” (Fowler 1984: 51f.). In der Wahlforschung bieten sich vereinzelt Indizien für derartige Verzerrungen: Die Wahlbeteiligung wird in Umfragen meist überschätzt (vgl. z.B. Bolstein 1991; Brehm 1993: 138; Clausen 1968; Kleinhenz 1995)21, die Wechselwahlanteile werden unterschätzt (vgl. z.B. Schoen 2003)22 und auch im Bereich der Wahlprognosen treten klare Fehleinschätzungen auf (vgl. z.B. Curtice/Sparrow 1997; Durand et al. 2001; Jowell et al. 1993; Martin et al. 2005; Mitofsky 1998, 2002; Squire 1988; Traugott/Price 1992; Traugott 2001)23. Wahlstudien sind im Vergleich zu Studien aus dem Bereich der Einstellungsforschung deshalb gut geeignet um Verzerrungen zu erkennen, weil das tatsächliche Ergebnis am Wahltag die Möglichkeit bietet, zumindest für die Wahlbeteiligung und die Parteiwahl die Prognosegüte durch einen Abgleich von prognostizierten und wahren Werten retrospektiv festzustellen (vgl. Kohut 1986: 1).24 Bei der Analyse politischer Einstellungen gibt es diese Möglichkeit nicht. Dennoch werden auch hierbei Verzerrungen angenommen: „Bei Befragungen fehlen (aus unterschiedlichen Gründen) üblicherweise marginale, ‚extreme‘ und ‚abweichende‘ bzw. ‚unkonventionelle‘ Populationsteile“ (Esser 1986: 38). Die zweite Strategie im Umgang mit Nonresponse, der Vergleich zwischen den Randverteilungen der Soziodemographie in der Stichprobe und in der Grundgesamtheit, postuliert, dass sich alle unterschiedlichen politischen Einstellungen und Verhaltensweisen in diesen Merkmalen (meist: Alter, Geschlecht, Bildung) widerspiegeln.25 Diese Annahme erscheint jedoch sehr gewagt (vgl. Daniel 1975). Problematisch ist zunächst, dass meist nur einige wenige demographische Merkma21 Natürlich sind für diese Fehlangaben nicht nur Nonresponse-Effekte ursächlich: Bei der Angabe der Wahlbeteiligung spielt neben Nonresponse auch Overreporting eine wichtige Rolle. Damit ist gemeint, dass Personen aufgrund einer subjektiv empfundenen Wahlnorm angeben, dass sie gewählt haben, obwohl sie zur Gruppe der Nichtwähler gehören (vgl. z.B. Hardmeier/Fontana 2006). Unklar ist dabei, wie stark beide Effekte in Relation zueinander sind. 22 Für die Wechselwahl gilt, dass Underreporting neben dem Nonresponse einen Einfluss auf die Verzerrung haben kann. Menschen könnten dem Interviewer gegenüber wechselndes Wahlverhalten nicht zugeben, um kognitive Dissonanzen zu vermeiden. 23 Auch bei der Bundestagswahl 2005 war zu beobachten, dass die Wahlprognosen deutlich das spätere Endergebnis verfehlten. Wenn man die Prognosen in der Woche vor der Wahl berücksichtigt und den Mittelwert der Schätzungen der sechs größten deutschen Institute berechnet, wurde z.B. das Ergebnis für die CDU um mehr als 6 Prozentpunkte überschätzt. Eine Quelle für diese Fehleinschätzung könnten beispielsweise neben denjenigen, die sich umentscheiden („Last-minute-swing“) und denjenigen, die zum Zeitpunkt der Befragung noch unentschlossen waren, ebenfalls die Nonrespondenten darstellen. 24 Dies wäre die Prüfung der Validität durch ein externes Kriterium, im Sinne von Kriteriumsvalidität („predictive validity“, vgl. Schnell et al. 2008: 155). Jedoch muss auch hier mit Hilfsannahmen operiert werden, etwa dass zwischen dem Zeitpunkt der Prognose und der Erhebung des Kriteriums keine Veränderung stattgefunden hat. 25 Auch Befürworter von Quotenstichproben gehen häufig von diesen Annahmen aus (vgl. Bausch 1990; Kaplitza 1982: 168; Noelle-Neumann/Piel 1983: 223ff.; siehe zur Kritik daran auch Schnell 1993).
1.3 Erkenntnisinteresse und zentrale Fragestellung
27
le der Grundgesamtheit bekannt sind (vgl. Kruskal/Mosteller 1979: 16ff.; Schnell 1997: 137). Außerdem nimmt man auf der theoretischen Ebene stillschweigend an, dass die „bekannten“ Daten, etwa aus dem Mikrozensus, die wahren Werte angeben (vgl. Schnell et al. 2008: 306). Unklar ist schließlich, wie groß Abweichungen sein dürfen, bevor man annimmt, mit den Daten nicht adäquat arbeiten zu können. Wenn der Vergleich der Randverteilungen nicht im Sinne des Forschers ausfällt, sind verschiedene Konsequenzen möglich: Gewichtet man dann pauschal anhand einzelner Merkmale? Welche Folgen ergeben sich daraus für die nicht untersuchten Merkmale? Unternimmt man nichts? Oder verwirft man die Daten? Gewichtungsfaktoren werden verwendet, um bereits bekannte Verzerrungen (zumeist soziodemographischer Merkmale) auszugleichen. Dabei lassen sich grundsätzlich zwei verschiedene Formen von Gewichtungen unterscheiden: Designgewichte und Anpassungsgewichte (vgl. Faas/Schoen 2009: 148). Für zuvor klar definierte Stichprobendesigns, wie etwa bei einer disproportional geschichteten Stichprobe, existieren Designgewichtungen. Diese sind in ihrer Anwendung weitgehend unproblematisch, da lediglich bewusst getroffene Unterschiede in den Auswahlwahrscheinlichkeiten zurückgerechnet und damit korrigiert werden (vgl. Diekmann 2004: 365; Häder 2006: 179ff.; Schumann 2006: 94ff.). Problematischer ist die Verwendung von Anpassungsgewichten. Deren Anwendung setzt ebenfalls inhaltliche Kenntnisse über die Grundgesamtheit voraus, die jedoch im Hinblick auf Einstellungen kaum zur Verfügung stehen (vgl. Montgomery et al. 2008: 494; O’Neil 1979: 219; Rösch 1994; Schnell 1997). Zudem muss beachtet werden, dass eine Gewichtung anhand einiger weniger Merkmale zu neuen Verzerrungen bei anderen Merkmalen führen kann (vgl. Alt/Bien 1994; Diekmann 2004: 366; Kish 1990: 127; Rothe/Wiedenbeck 1987; Schnell 1993). Als am erfolgversprechendsten, was die mathematisch-statistischen Korrekturverfahren für den Fehler durch die Nicht-Teilnahme von Zielpersonen angeht, gelten derzeit die so genannten „Response Propensity“-Modelle. Dabei wird die individuelle Teilnahmewahrscheinlichkeit einer Person auf der Basis von inhaltlichen Modellen geschätzt und die Daten anschließend gewichtet (vgl. Eltinge 2002; Engel et al. 2004; Rosenbaum/Rubin 1984; Schnell 1997: 249f.; Särndal 1981; Tourangeau et al. 2000: 321). Das grundlegende Problem lässt sich jedoch dadurch nicht lösen. Der gewinnbringende Einsatz dieses Verfahrens zur Gewichtung setzt das Vorliegen weitergehender, substanzieller inhaltlicher Informationen über die Nicht-Teilnehmer und den Ausfallprozess voraus.
1.3 Erkenntnisinteresse und zentrale Fragestellung Man kann demnach konstatieren: Die theoretische und methodische Diskussion über den Umgang mit Nonresponse gewinnt in der empirischen Sozialforschung zunehmend an Bedeutung und es werden immer bessere, komplexere mathema-
28
1 Einleitung
tisch-statistische Korrektur- und Gewichtungsprozeduren entwickelt. Gleichzeitig fehlt bisher gerade in der politischen Wahl- und Einstellungsforschung in der Bundesrepublik Deutschland eine intensive Beschäftigung mit den inhaltlichen Fragen, was Nonrespondenten in Studien mit politikwissenschaftlichen Fragestellungen charakterisiert und warum manche Personen an politischen Befragungen teilnehmen und andere nicht. Daraus resultieren verschiedene Teilfragen, denen in dieser Arbeit auf den Grund gegangen werden soll: Wie verhalten sich diejenigen, die nicht an Befragungen teilnehmen, im politischen System? Welche politischen und gesellschaftlichen Einstellungen haben sie? Unterscheiden sie sich signifikant von den kooperativen Zielpersonen? Wenn ja, warum? Was sind die Determinanten einer Umfrageteilnahme? Haben politische und soziale Einstellungen einen Einfluss auf die Teilnahmeentscheidung? Welche politikwissenschaftlich relevanten Konzepte könnten systematische Verzerrungen aufweisen, weil ihnen die gleichen Determinanten wie der Teilnahmeentscheidung zugrunde liegen? Und schließlich: Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Umfrageforschung und aus demokratietheoretischer Perspektive für das politische System? Abbildung 1 visualisiert die zentralen Forschungsfragen, die in der Arbeit beantwortet werden sollen. Abbildung 1:
Forschungsfragen
WARUM: Ursachen?
Existieren Unterschiede zwischen Respondenten und Nonrespondenten?
Konsequenzen?
Quelle: Eigene Darstellung.
Diese Arbeit verfolgt damit das inhaltliche Ziel, die politischen Einstellungen und Verhaltensweisen derjenigen Personen zu untersuchen, die in „normalen“ politikwissenschaftlichen face-to-face-Befragungen Nonrespondenten wären. Es geht dabei nicht um eine rein methodische Auseinandersetzung mit den NichtTeilnehmern, sondern um die Frage, ob, und wenn ja, wie und warum, sich Teilnehmer und Nicht-Teilnehmer (und dabei insbesondere die Verweigerer) bei Umfragen zu politikwissenschaftlich relevanten Themenkomplexen in ihren politischen Einstellungen und Verhaltensweisen unterscheiden. Anschließend soll daraus abgeleitet werden, welche Konsequenzen sich daraus für das politische System ergeben. Grundsätzlich können Unterschiede zwischen den Teilnehmern und NichtTeilnehmern einer Befragung auf zwei verschiedene Mechanismen zurückgeführt werden. Es kann sich um direkte oder indirekte Effekte handeln. Beide werden nun etwas genauer erläutert. Verzerrungen aufgrund direkter Effekte sind bei denjenigen Merkmalen anzunehmen, die einen direkten Einfluss auf die Teilnahmebereit-
1.3 Erkenntnisinteresse und zentrale Fragestellung
29
schaft haben („Survey Variable Cause-Modell“). So könnte man bspw. annehmen, dass politisches Interesse (X1) die Teilnahmebereitschaft (TN) direkt positiv beeinflusst. Dann wären politisch interessierte Personen in der Stichprobe überrepräsentiert, der Anteil politisch Interessierter würde somit überschätzt. Es wäre aber auch möglich, dass die Teilnahme an Umfragen und bestimmte andere Merkmale lediglich die gleichen Ursachen haben, beide also von den gleichen Hintergrundvariablen beeinflusst werden („Common Cause-Modell“). Sie sind daher nur indirekt in Form einer Scheinkorrelation miteinander verbunden. Dennoch würden sie verzerrt geschätzt, wenn man die direkten Einflussfaktoren nicht kontrolliert (vgl. Groves 2006: 651; Groves/Peytcheva 2008: 168, siehe Abb. 2).26 Abbildung 2:
Modell 1: X1
Modelle zur Erklärung von Unterschieden zwischen Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern Survey Variable Cause-Modell TN
Modell 2:
Common CauseModell
X1
TN
X2 Quelle: Eigene Darstellung nach Groves/Peytcheva (2008: 168).
Beispielsweise könnte man annehmen, dass politisches Interesse (X1) im Sinne des zuerst ausgeführten Modells direkter Effekte die Teilnahme an einer politischen Befragung (TN) beeinflusst, zugleich aber auch Determinante der Wahlbeteiligung (X2) ist. Für die Wahlbeteiligung (X2) würden nun die erläuterten indirekten Effekte auftreten: Personen, die sich nicht an Wahlen beteiligen (X2), wären seltener in Umfragen vertreten (TN). Dies liegt aber nicht daran, dass es eine direkte Kausalverbindung zwischen der Umfrageteilnahme (TN) und der Wahlteilnahme (X2) gibt, sondern dass beiden Konstrukten das politische Interesse (X1) zu Grunde liegt. Auf diese Weise ließe sich erklären, warum der Anteil der Nichtwähler in Befragungen meist unterschätzt wird (vgl. Brehm 1993: 138; Clausen 1968; Kleinhenz 1995). Um entscheiden zu können, auf welche Konstellation ein aufgetretener Unterschied bei einem Merkmal zurückzuführen ist, sind inhaltliche Modelle des Aus26
Daneben könnten auch andere, komplexere Variablenkonstellationen, wie etwa Interventionen, Multikausalität oder Interaktionseffekte, vorliegen (vgl. Schumann 2006: 122). Zudem lässt sich bei Groves (2006: 651) nachlesen, wie andere Kausalmodelle neben dem Nonresponsefehler auch noch die Messfehler mit einbeziehen. Um die zu untersuchenden Modelle nicht zu komplex werden zu lassen und um zunächst sparsame Theorien zu entwickeln, werden derartige Effekte in dieser Arbeit jedoch ausgeklammert und nur die Basismodelle untersucht. Damit wird der Frage nachgegangen, welche Merkmale die Teilnahmebereitschaft direkt beeinflussen und welche Merkmale gemeinsame Determinanten mit der Teilnahmebereitschaft haben.
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1 Einleitung
fallprozesses notwendig (vgl. Groves 2006; Groves/Peytcheva 2008). Zunächst kann ein Erklärungsmodell, das sich auf die Gründe einer Person, eine Teilnahme zu verweigern, bezieht, Merkmale (wie X1) aufzeigen, für die eine Verzerrung im Sinne des Modells 1 angenommen wird. Im Anschluss daran kann man untersuchen, für welche anderen verwandten Konzepte ähnliche Erklärungsmodelle existieren. Auf diese Weise lassen sich theoretische Annahmen aufstellen, bei welchen Merkmalen (wie X2) Unterschiede zwischen Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern auftreten, obwohl sie die Teilnahmeentscheidung selbst nicht direkt beeinflussen.
1.4 Vorgehensweise Auf den ersten Blick erscheint das zentrale Ziel der Arbeit paradox. Man möchte diejenigen befragen, die sich nicht befragen lassen, um etwas über ihre politischen Einstellungen und ihr Verhalten zu erfahren. Naturgemäß muss dieses Vorhaben präzisiert werden, um es nicht von vorneherein zum Scheitern zu verurteilen. Daher werden zunächst einige Grundannahmen expliziert. Zuerst wird daher im zweiten Kapitel der Arbeit der Untersuchungsgegenstand „Nonresponse“ definiert, wichtige Begriffe werden voneinander abgegrenzt und präzisiert. Diese Arbeit richtet den Fokus gezielt auf politische Einstellungen und politisches Verhalten derjenigen, von denen in regulären face-to-face-Designs einer allgemeinen Bevölkerungsumfrage unter Standardbedingungen keine Daten erhoben werden können. Nonresponse als Untersuchungsgegenstand ist gerade im deutschsprachigen Raum noch vergleichsweise unbearbeitet. Zum einen gibt es keine konsistente, bewährte Theorie, die sich mit politikwissenschaftlich relevanten Determinanten der Kooperation bei Umfragen beschäftigt. Vielmehr zeichnet sich der Forschungsstand dadurch aus, dass meist einzelne theoretische Annahmen und empirische Forschungserkenntnisse unverbunden nebeneinander stehen. Zum anderen sind empirische Erkenntnisse zu Nonrespondenten in der Bundesrepublik Deutschland ebenfalls rar.27 Hinzu kommt, dass die wenigen existierenden Modelle zur Erklärung der Kooperation bei Umfragen nicht mit anderen Erklärungsmodellen, z.B. zu politischem Verhalten, zusammengeführt werden. Daher sind sie auch nicht in einen umfassenderen theoretischen Rahmen eingebettet. Diese Integration soll (und muss) aber geleistet werden, um die demokratietheoretischen Folgen von Nonresponse umfassender bewerten zu können. Dazu wird im dritten Kapitel ein Überblick über relevante Erkenntnisse der nationalen und internationalen Forschung zu Nicht-Teilnehmern bei Umfragen gegeben. Es werden sowohl theoretische Ansätze als auch empirische Befunde zu Ausmaß, Ursachen und Konsequenzen von Nonresponse dargestellt, zusammengeführt und verdichtet. Insbesondere 27 Ausnahmen sind die Studien von Neller (2005) zum ESS, die Erkenntnisse von Schnell (1997) und Schnauber/Daschmann (2008).
1.4 Vorgehensweise
31
bei den empirischen Erkenntnissen muss beachtet werden, dass sich die Studien auf verschiedene Formen von Befragungen (schriftliche, persönlich-mündliche, telefonische) beziehen und ihnen unterschiedliche Grundgesamtheiten (allgemeine Bevölkerung oder Spezialpopulationen) sowie vor allem unterschiedliche Stichprobenverfahren (Random Walk, Quoten) zugrunde liegen. Die Variationen in den Forschungsdesigns erschweren die Vergleichbarkeit der Erkenntnisse. Außerdem stammen sie aus unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Kontexten wie beispielsweise den USA, den Niederlanden oder Großbritannien, und man kann noch nicht abschätzen, inwieweit politisch-kulturelle Unterschiede zwischen den Ländern eine Übertragbarkeit von Befunden gefährden.28 Im letzten Teil des dritten Kapitels werden die innovativsten und für die vorliegende Fragestellung interessantesten komplexeren Modelle aufgezeigt und die daraus resultierenden Annahmen expliziert (vgl. Brehm 1993; Groves/Couper 1998; Hox et al. 1996; Schnell 1997; Voogt/Saris 2003; Voogt 2004). Nach dem Überblick über den Forschungsstand wird im vierten Kapitel die Entscheidung zu Verweigerung oder Kooperation aus verschiedenen bewährten Annahmen und metatheoretischen Überlegungen modelliert. Dazu wird ein handlungstheoretisches Modell zur Erklärung von Kooperation bzw. Verweigerung bei Befragungen entwickelt, die Teilnahme an Umfragen dabei als „rationale“ Entscheidung verstanden. Dies kann noch weiter präzisiert werden: In Anlehnung an allgemeine Handlungstheorien, wie die subjektive Werterwartungstheorie und die Überlegungen zur Frame-Selektion (vgl. Esser 1986a, 1990, 1991, 1993, 1996), sowie in Anlehnung an die Theorie geplanten Verhaltens, die einen starken Fokus auf die Relevanz von Einstellungen für das Handeln von Individuen legt (vgl. Ajzen 1991; Ajzen/Fishbein 2000; Ajzen/Gilbert Cote 2008; Hox et al. 1996), wird die Entscheidung zur Kooperation als subjektive Kosten-Nutzen-Abwägung eines begrenzt rationalen Individuums angesehen, die in ein soziales Umfeld eingebettet ist. Schließlich werden aus dem theoretischen Modell konkrete Hypothesen abgeleitet. Es werden Annahmen formuliert, wie und warum sich Respondenten und Nonrespondenten von politikwissenschaftlichen Untersuchungen in Bezug auf relevante inhaltliche Variablen systematisch unterscheiden sollten. Anschließend wird im Sinne des Common Cause-Modells dargelegt, für welche Konstrukte Verzerrungen aufgrund gemeinsamer Hintergrundvariablen angenommen werden. Hierbei ist die zentrale Annahme forschungsleitend, dass politische Partizipation und die Beteiligung an Umfragen ähnlichen Mechanismen folgen und daher gerade bei den Kernkonstrukten politischer Beteiligung systematische Unterschiede zwischen Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern auftreten sollten. 28
Die vergleichende Forschung zeigt, dass Kontexteffekte bei der Erklärung von Nonresponse wirken und damit verschiedene Merkmale in unterschiedlichen Kontexten die Teilnahmebereitschaft mehr oder weniger beeinflussen (vgl. Billiet et al. 2007: 143; siehe auch Couper/de Leeuw 2003; de Heer 1999; de Heer/Israels 1992; de Leeuw/de Heer 2002; Groves/Couper 1998; Johnson et al. 2002; Stoop 2005; Smith 2007). Auch zeitliche Effekte wären denkbar, die eine Übertragbarkeit der Ergebnisse in Frage stellen.
32
1 Einleitung
Das fünfte Kapitel der Arbeit beschäftigt sich mit der Beschreibung der Datengrundlage der Studie. Als Basis der Untersuchung dienen Daten aus einer Nonresponse-Studie („ALLBUS+“), die im Jahr 2008 parallel zum ALLBUS durchgeführt und von der DFG finanziert wurde. Um eine Vorstellung von der Datengewinnung und der Datenqualität zu bekommen, wird zunächst das Forschungsdesign vorgestellt, in das bereits theoretische Erkenntnisse aus den zuvor erörterten Forschungskonzepten (etwa zum Einsatz von Interviewern und Incentives) mit eingeflossen sind. Gleichzeitig werden an dieser Stelle aufgetretene Probleme und Restriktionen bei der Entwicklung des Forschungsdesigns sowie die damit verbundenen Implikationen dargestellt und diskutiert. Das methodische Kapitel ist umfangreicher als bei den meisten Studien zur Wahl- und Einstellungsforschung, was jedoch durch die Positionierung der Arbeit an der Schnittstelle zwischen Einstellungs- und Methodenforschung begründet ist. Methodische Probleme und Entscheidungen für oder gegen bestimmte Aspekte innerhalb des Studiendesigns haben eine große Wirkung auf die Interpretation der Ergebnisse und sind relevant für das Verständnis der gewonnenen Erkenntnisse. Das (scheinbare) Paradoxon einer „Befragung von Nonrespondenten“ wird aufgezeigt, die Lösung des Problems dargestellt und argumentiert, warum diese Arbeit dennoch einen Einblick in die „Black Box“ der Nonrespondenten geben kann. Im Anschluss daran wird im sechsten Kapitel die Operationalisierung der zentralen Konstrukte diskutiert. Im siebten Kapitel werden die empirischen Ergebnisse präsentiert. Dazu werden zunächst zwei Studien mit unterschiedlichen Ausschöpfungen untersucht und analysiert, wie sich die unterschiedlichen Nonresponse-Quoten auswirken. Anschließend werden explizit kooperative und verweigernde Zielpersonen miteinander verglichen. Das bedeutet, dass die Nicht-Erreichten und die Nicht-Befragbaren sowie all diejenigen, bei denen die Ausfallgründe nicht auf eine aktive Verweigerung schließen lassen, ausgeklammert werden und der Fokus auf die tatsächliche Handlungsentscheidung gelegt wird. Zunächst erfolgen die Analysen bivariat, damit man eine Vorstellung hat, wie sich die Aussagen über Verteilungen tatsächlich unterscheiden, je nachdem auf der Basis welcher Befragtengruppe (ALLBUS/ ALLBUS+, Kooperative/Verweigerer) man Schätzungen abgibt. Im Anschluss daran werden multivariate Modelle gerechnet, um die Erklärungsmodelle und die davon abgeleiteten Hypothesen unter Kontrolle möglicher Drittvariablen zu überprüfen. Im letzten Kapitel werden die wichtigsten Erkenntnisse noch einmal zusammengefasst und die zentralen Forschungsfragen beantwortet. Gleichzeitig sollen Schlussfolgerungen für den Bereich der empirischen Wahl- und Einstellungsforschung sowie für die Umfrageforschung gezogen werden. Dazu wird zunächst erläutert, welche demokratietheoretischen Konsequenzen sich aus den Erkenntnissen für das politische System ableiten lassen. Abschließend werden ein Ausblick auf offene Fragen und damit Hinweise für zukünftige Forschungsprojekte auf dem Gebiet gegeben.
2 Nonresponse als Untersuchungsgegenstand
2.1 Definition 2.1.1 Die Unterscheidung von Item- und Unit-Nonresponse Bei der Durchführung von Umfragen gelingt es in aller Regel nicht, von allen zuvor ausgewählten Personen einer Stichprobe Messwerte zu allen Items des Fragebogens zu erhalten. Dieses Problem unvollständiger Daten wird unter dem Begriff „Nonresponse“ zusammengefasst. Nonresponse ist demnach als „das Fehlen von Daten eines Teils oder aller Variablen für die ausgewählten Einheiten einer Stichprobe“ (Schnell 1997: 17; vgl. auch Lessler/Kalsbeek 1992: 103) definiert. Dabei kann man, je nach Ausmaß der fehlenden Information, zwischen Item- und UnitNonresponse unterscheiden (vgl. etwa Dillman et al. 2002: 3; Groves et al. 2004b: 169; Schnell 1997: 17). Beim Phänomen des Item-Nonresponse beantwortet eine Person zwar einen Teil der Fragen, einzelne Items bleiben jedoch unbeantwortet. Klassische Beispiele für Fragen mit hohen Item-Nonresponse-Quoten sind die Sonntagsfrage nach der Wahlabsicht, Fragen nach dem Haushaltseinkommen oder Vermögen, aber auch inhaltliche Fragen wie beispielsweise die nach rechts- oder linksextremen Einstellungen (vgl. Stöss 2009). Diese werden von vielen Befragten als Eingriff in ihre Privatsphäre betrachtet, daher wird eine Beantwortung verweigert („keine Angabe“) oder es wird angegeben, man wisse keine Antwort („weiß nicht“). Bei Fragen nach sichtbaren Merkmalen, wie z.B. dem Geschlecht, gibt es – selbstverständlich – weniger Item-Nonresponse-Probleme.29 Für den Umgang mit Item-Nonresponse und der damit verbundenen Missing Data-Problematik gibt es in der Forschungspraxis verschiedene Lösungsstrategien und statistische Korrekturverfahren. Meist werden die fehlenden Angaben aus bereits bekannten Informationen der Zielperson geschätzt (vgl. dazu Allison 2002; Little/Schlenker 1995; Little/Rubin 2002; Schnell 1986; aber auch Kroh 2006).30
29
Item-Nonresponse muss jedoch nicht allein auf den Befragten zurückzuführen sein. Auch Fehler in der Filterführung oder des Interviewers können dazu führen, dass für einen Teil der Merkmale Angaben eines Befragten fehlen. 30 Für eine ausführliche Bibliographie und exemplarische Analysen zu diesem Gebiet siehe auch www.missingdata.org.uk. Bei allen Modellen zur Schätzung fehlender Werte gilt aber ebenso, dass sie inhaltliche Modelle zum Ausfallprozess voraussetzen.
H. Proner, Ist keine Antwort auch eine Antwort?, DOI 10.1007/978-3-531-92721-3_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
34
2 Nonresponse als Untersuchungsgegenstand
Unit-Nonresponse bedeutet hingegen, dass von einer zuvor ausgewählten Person überhaupt keine Daten direkt erfragt werden können. Da von diesen Zielpersonen in der Regel kaum Informationen vorliegen31, ist das Ersetzen der fehlenden Daten deutlich schwieriger bzw. nicht möglich. Der Fokus der vorliegenden Untersuchung liegt auf dieser Problematik des Ausfallens von Zielpersonen, weshalb im Folgenden auch immer Unit-Nonresponse gemeint ist, wenn vereinfachend von „Nonresponse“ gesprochen wird. Bereits die – scheinbar eindeutige – Unterscheidung zwischen Unit- und Item-Nonresponse ist jedoch nicht unproblematisch. Der Übergang zwischen beiden Kategorien ist fließend und es gibt keine festgelegte „Grenze“, wie groß der Anteil an nicht-beantworteten Fragen einer Person sein muss, damit der Befragte als Totalausfall, also als „Unit-Nonrespondent“, gewertet wird. Wenn das Interview beispielsweise vom Befragten an irgendeiner Stelle abgebrochen wird, steht der Forscher vor dem Problem, ob er die bis dahin erhobenen Daten verwenden kann oder nicht. Für die hier vorliegende Untersuchung wird definiert, dass es sich nur dann um Unit-Nonresponse handelt, wenn das Interview gar nicht erst beginnt und damit keine Daten aus Auskünften des Befragten existieren. Damit werden angefangene und dann abgebrochene Interviews ausgeschlossen und die Trennung zwischen Item- und Unit-Nonresponse am Extremwert eines (gedachten) Kontinuums angesetzt. Diese konservative Definition bietet die notwendige Trennschärfe für eine präzise Analyse der Ausfallgründe. Zugleich ermöglicht die Definition, die potenziellen Einflussfaktoren auf die Phase vor dem Interviewbeginn zu begrenzen. Sobald das Interview startet (auch wenn es später im Verlauf abgebrochen wird), wird von einer zunächst vorhandenen grundsätzlichen Kooperationsbereitschaft des Befragten ausgegangen, so dass dieser nicht als Nonrespondent erfasst wird.32 Von Unit-Nonresponse zu unterscheiden ist schließlich noch das Phänomen des Undercoverage. Darunter versteht man diejenigen Personen, über die man als Forscher zwar Aussagen treffen möchte, d.h. die zur Grundgesamtheit gehören, die jedoch schon aufgrund des Stichprobenverfahrens keine Chance haben, befragt zu werden. Das heißt, sie gehören zwar der Grund-, nicht aber der Auswahlgesamtheit an (vgl. Behnke et al. 2006: 136; Gehring/Weins 2004: 162f.; Schumann 2006: 85). So existieren beispielsweise Personen, die nicht im Einwohnermelderegister eingetragen sind, obwohl sie zur bundesdeutschen Bevölkerung gehören. Dazu gehören sowohl Personen, die zur so genannten „Anstaltsbevölkerung“ zählen (Gefängnisinsassen, Bewohner von Wohnheimen, Langzeitpatienten in Kliniken, etc.), aber auch z.B. Obdachlose (siehe für einen Überblick über die verschiedenen Bevölkerungsgruppen und eine Schätzung der jeweiligen Gruppengröße Schnell 1991: 106ff.). Zieht man nun eine Einwohnermeldeamtsstichprobe, um etwas über die 31
Ausnahmen sind bspw. das Geschlecht oder der Wohnort, die man bei Registerstichproben der Einwohnermeldeämter an den Namen und Adressen ablesen kann. 32 Empirisch zeigt sich, dass nur wenige Zielpersonen die Interviews abbrechen. Die meisten Interviews, die begonnen werden, können auch bis zum Ende durchgeführt werden (vgl. Schnell 1997: 123, 144, 168).
2.1 Definition
35
deutsche Bevölkerung auszusagen, werden diese Personen nicht erfasst. Das Phänomen des Undercoverage wird in dieser Arbeit jedoch nicht berücksichtigt, da es sich nach der oben angegebenen Definition nicht um Nonresponse im eigentlichen Sinn handelt. Voraussetzung dafür, dass eine Person als Nicht-Teilnehmer angesehen wird, ist im Folgenden also die grundsätzliche Chance, befragt zu werden.
2.1.2 Typologisierung von Unit-Nonresponse Unit-Nonresponse wird in der Umfrageforschung meist noch weiter kategorisiert bzw. typologisiert (vgl. Goyder 1987: 80; Swensson 1982). Die Typenbildung kann sowohl aufgrund empirischer als auch aufgrund theoretischer Annahmen erfolgen. Zunächst lassen sich empirisch unechte und echte Ausfälle differenzieren (vgl. etwa Statistisches Bundesamt 2009: 6). Als unechte Ausfälle werden dabei all diejenigen Ausfälle bezeichnet, die auftreten, weil Personen zwar in der Auswahlgesamtheit und damit in der Stichprobe sind, in der Feldzeit aber nicht mehr im Befragungsgebiet existieren, weil sie bspw. verstorben, ausgewandert oder unbekannt verzogen sind, weil es sich bei der Adresse nicht um einen Privathaushalt handelt oder weil die Adresse schlicht falsch ist und nicht existiert. Das bedeutet, dass es sich um Fälle handelt, die zum Zeitpunkt der Datenerhebung nicht mehr zur Grundgesamtheit gehören. Diese unechten Ausfälle werden auch als „qualitätsneutrale Ausfälle“ bezeichnet und es wird angenommen, dass sie bei der Feldarbeit (meist) gut erkannt werden können.33 Je kürzer der zeitliche Abstand zwischen der Stichprobenziehung und der Durchführung der Befragung ist, desto weniger unechte Ausfälle treten auf. Als echte Ausfälle werden hingegen all diejenigen Personen bezeichnet, die zwar existieren, von denen aber aus den unterschiedlichsten Gründen keine Daten erhoben werden können (siehe hierzu auch Esser et al. 1989: 96).34
33
Das Design der ALLBUS-Erhebung sieht beispielsweise vor, dass für qualitätsneutrale Ausfälle zuvor im Institut Ersatzadressen definiert werden, durch die diese Ausfälle dann substituiert werden können. Die Ersatzadressen werden eingesetzt, damit – wie es das gewählte mehrstufige Stichprobenverfahren fordert – in allen Primäreinheiten der Stichprobe die gleiche Anzahl an Bruttoadressen zum Einsatz kommt (vgl. etwa Wasmer et al. 2007; TNSInfratest Sozialforschung 2008: 28). 34 An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass bereits diese Unterscheidung zwischen echten und unechten Ausfällen (und damit die Annahme „qualitätsneutraler Ausfälle“) eine empirische Einschränkung der theoretischen Annahmen ist. Streng genommen kann man nicht nachweisen, dass diese Ausfälle wirklich qualitätsneutral sind und damit nicht bereits selbst zu Verzerrungen führen. Es lassen sich Argumente finden, warum ein Teil der so genannten qualitätsneutralen Ausfälle nicht qualitätsneutral ist: Man kann bspw. annehmen, dass diejenigen, die häufig unbekannt verziehen, keine Chance haben, befragt zu werden. Diese unterscheiden sich aber inhaltlich von denjenigen, die befragt werden können, weil es sich in der Regel um mobilere, berufstätige, jüngere Menschen handelt.
36
2 Nonresponse als Untersuchungsgegenstand
2.1.3 Systematische und unsystematische Ausfälle Eine ähnliche, obgleich stärker theoretische Unterscheidung differenziert zwischen systematischen und unsystematischen Ausfällen. Unsystematische Ausfälle sind zufällige Ausfälle, die nicht mit den interessierenden Variablen zusammenhängen. In Bezug auf die Zielpersonen wird angenommen, dass ihre Teilnahmewahrscheinlichkeit völlig unabhängig von den interessierenden Merkmalen einer bestimmten Studie ist. Diese werden auch als „missing completely at random“ (MCAR) bzw. „missing at random“ (MAR) bezeichnet (vgl. Little/Rubin 2002; Rubin 1976, 1987; Stoop 2005: 35). Die daraus resultierenden Verzerrungen werden insgesamt als unproblematisch gewertet, da sie im ersten Fall (MCAR) mathematisch zufällig verteilt und damit berechenbar sind (vgl. das „Seperate Cause-Modell“, Groves 2006: 651; Groves/Peytcheva 2008: 168). Im zweiten Fall (MAR) sind die Ausfälle zwar nicht rein zufällig, aber zumindest die Mechanismen des Ausfalls sind (vollständig) bekannt. Aus diesem Grund können die Verzerrungen ebenfalls korrigiert werden, obgleich auch dabei bereits ein Verlust an Präzision auftritt (vgl. Lynn 1996: 211). Systematische Ausfälle („not missing at random“ = NMAR) hängen hingegen mit dem Thema der Befragung und/oder den interessierenden Merkmalen zusammen und führen zu systematischen Verzerrungen (vgl. Stoop 2005: 35; Bethlehem 2002). Für die empirische inhaltliche Analyse von Nonresponse in allgemeinen Bevölkerungsumfragen erscheint diese theoretische Differenzierung in systematische und unsystematische Ausfälle jedoch wenig nützlich. Aus verschiedenen Gründen lassen sich in den seltensten Fällen tatsächlich unsystematische Ausfälle annehmen. Zunächst handelt es sich bei allgemeinen Bevölkerungsumfragen meist um Mehrthemen-Umfragen, bei denen nur schwer differenziert werden kann, wie die Beziehung zwischen den einzelnen Themen und dem Ausfall ist. Hinzu kommt, dass selbst bei Einthemen-Befragungen die Determinanten und Wirkungszusammenhänge rund um das Thema höchst komplex und zudem meist unbekannt sind. Daher ist bei einem Ausfall nicht a priori einzuschätzen, ob es sich um einen systematischen oder einen unsystematischen Ausfall handelt. Prinzipiell sollte man daher bei allen Total-Ausfällen annehmen, dass sie zu Verzerrungen führen könnten, und sie aus diesem Grund einer genaueren Betrachtung unterziehen. Longford et al. konstatieren bereits: „The assumption that the process acts like simple random sampling (observations missing completely at random) is in most contexts rather optimistic“ (Longford et al. 2006: 509). Hinzufügen könnte man für die MAR-Fälle, dass es ebenso optimistisch erscheint anzunehmen, bereits alle Mechanismen der Ausfälle zu kennen.
2.1 Definition
37
2.1.4 Nicht-Erreichte, Nicht-Befragbare, Verweigerer Die nun fokussierten echten, potenziell systematischen Ausfälle können weiter kategorisiert werden. Am gebräuchlichsten ist dabei die empirische Unterscheidung von Nicht-Erreichten, Nicht-Befragbaren und Verweigerern. Nicht-Erreichte sind diejenigen Personen, die innerhalb der Feldzeit vom Interviewer nicht kontaktiert werden können. Zu den Nicht-Befragbaren werden diejenigen Personen gezählt, mit denen z.B. aufgrund von Sprachbarrieren keine Kommunikation möglich ist oder die aufgrund einer schweren Krankheit nicht interviewt werden können. Zu den Verweigerern gehören schließlich all jene, die zwar angetroffen werden, aber eine Teilnahme an der Befragung ablehnen und nicht kooperativ sind (vgl. etwa Brehm 1993: 40; Esser et al. 1989: 96; Groves/Couper 1998: 12; Koch 1997; Lievesley 1983; Scheuch 1974: 59f.; Schumann 2006: 104; siehe aber auch für z.T. abweichende Kategorisierungen Blom 2008: 22; Cochran 1972: 420f.; Kreutz 1970/71: 253; Leverkus-Brüning 1966). Wenn man diese Unterscheidung auf den zeitlichen Ablauf bei einer face-toface-Befragung anwendet, ist ein Typ von Unit-Nonresponse jeweils das Ausschluss-Kriterium für den nächsten (vgl. Brehm 1993: 40, siehe Abb. 3). Das bedeutet, wenn jemand nicht erreicht wird, ist eine weitere Differenzierung, ob die Zielperson befragbar oder kooperativ gewesen wäre, empirisch in der Regel nicht möglich. Abbildung 3:
Nonresponse als mehrstufiger Prozess Erreichbarkeit?
nein
ja nein
ja
ja
nein
Verweigerung
Kooperationsbereitschaft?
Interview Quelle: Eigene Darstellung nach Brehm (1993: 40) und Schnell (1997).
Nonresponse
Befragbarkeit?
38
2 Nonresponse als Untersuchungsgegenstand
Nur wenn die Zielperson (bzw. eine Auskunftsperson) erreicht wird, stellt sich die Frage, ob sie befragungsfähig ist. Und nur wenn jemand erreicht wurde und prinzipiell befragbar wäre, ist die Entscheidung relevant, ob diese Person auch kooperiert oder nicht. Auf dieser letzten Stufe steht die Handlungsentscheidung „Verweigerung“ oder „Kooperation“, die den Kern der Untersuchung darstellen soll. Dabei muss beachtet werden, dass diese Kategorienbildung eine empirische und keine systematisch-theoretische ist (vgl. Schnell 1997: 18ff.). Die Grenzen zwischen den Typen sind auch hier fließend. Gleichzeitig sind die Gründe für Nonresponse je nach Datenerhebungsmethode unterschiedlich und für die Interviewer und Forscher häufig nur schwer einzuschätzen. Das zeigt die Situationsschilderung eines durchaus prototypischen Falls bei einer persönlichen Befragung: „Ein Interviewer klingelt bei einer zuvor ausgewählten Adresse und möchte eine Umfrage durchführen. Ein Türspion existiert, der es der Zielperson ermöglicht, von innen zu sehen, wer vor der Tür steht. Keiner öffnet.“ Eine eindeutige Zuordnung durch den Interviewer, ob die Zielperson nun tatsächlich nicht zu Hause und damit nicht erreichbar ist, ob sie nicht an die Tür geht, weil sie schwer krank und daher nicht befragbar ist, oder ob sie die Teilnahme verweigert, ist in diesem Fall nicht möglich.35 Wahrscheinlich wird die Zielperson zunächst als „nicht erreicht“ klassifiziert. Empirisch werden in den meisten Studien nur diejenigen als Verweigerer bezeichnet, die explizit eine Verweigerungshaltung ausdrücken (vgl. Kreutz 1970/71: 243ff.). Es gibt jedoch auch Studien, die Personen auch dann als Verweigerer einordnen, wenn sie ein Interview aus Zeitgründen mehrfach aufschieben oder über einen längeren Zeitraum trotz häufiger Kontaktversuche nicht erreichbar sind (vgl. z.B. Schräpler 2000: 123; Steeh 1981: 41; Steeh et al. 2001). Gerade weil es sich bei der Einordnung der Fälle eher um eine empirische als um eine theoretische Kategorisierung handelt, sind präzise Intervieweranweisungen zur Einordnung jedes einzelnen Falls sowie die genaue Einzelfallkontrolle durch den Forscher für das Ergebnis einer Studie ausschlaggebend. Die Ausfallgründe müssen in der Feldphase möglichst detailliert protokolliert werden, wofür standardisierte Raster meist ungeeignet sind. Vielmehr ist ein flexibler und intensiver Kontakt zwischen Feldabteilung und Forscher notwendig. Ein Kritikpunkt an den gängigen Typologisierungen von Nonresponse zielt daher auch auf die fehlende Präzision und Nähe zur Umfragepraxis ab. Schnell konstatiert etwa, dass die Typologisierungen „dem tatsächlichen Geschehen bei Erhebungen […] kaum gerecht“ (Schnell 1997: 18) werden und fordert eine präzisere Analyse der Ausfallursachen je nach Forschungsdesign und Fragestellung (vgl. Schnell 1997: 18). Grundsätzlich werden aufgrund der genannten Schwierigkeiten bei der Differenzierung im weiteren Verlauf dieser Arbeit zunächst alle Personen untersucht, die in der Ausgangsstichprobe sind und von denen Informationen fehlen. D.h. es 35
Ähnlich verhält es sich, wenn bei einem telefonischen Kontaktversuch nur der Anrufbeantworter erreicht wird.
2.1 Definition
39
werden zunächst alle Unit-Nonrespondenten analysiert: Nicht-Erreichte, NichtBefragbare und Verweigerer. Die expliziten Verweigerer stehen jedoch bei den empirischen Analysen im Fokus des Interesses (vgl. Schnell 1997: 84). Für diese Entscheidung spricht sowohl ein theoretisches als auch ein empirisches Argument: Theoretisch ist bei diesen Zielpersonen am ehesten eine inhaltliche Verzerrung zu erwarten, da sie sich aktiv gegen eine Teilnahme an der politischen Umfrage entscheiden. Gründe dafür könnten z.B. Aversionen gegenüber dem Thema der Befragung sein. Das empirische Argument ist ein quantitatives: Die Verweigerer bilden in den meisten Studien36 die größte Gruppe unter den Nonrespondenten (siehe exemplarisch für den ALLBUS Abb. 4). Abbildung 4:
Das Ausmaß von Nonresponse im ALLBUS von 1992 bis 2006
50
40
30
20
10
0 1992
1994
1996
1998
nicht-erreicht West Verweigerer West nicht-befragbar West
2000
2002
2004
2006
nicht-erreicht Ost Verweigerer Ost nicht-befragbar Ost
Quelle: Eigene Darstellung, nach den Methodenberichten des ALLBUS 1992 -2006.
Aus diesem Grund würden bereits geringe Unterschiede zwischen Verweigerern und Teilnehmern zu deutlichen Verzerrungen führen. Da die Entscheidung zu kooperieren oder die Teilnahme zu verweigern damit im Vordergrund steht, liegt der Arbeit im weiteren Verlauf auch ein handlungstheoretisches Modell zugrunde, das von einer aktiven Entscheidung des potenziellen Befragten für oder gegen das Interview und damit für oder gegen eine Kooperation ausgeht.
36 Eine Ausnahme sind dabei Spezialstudien. So ist es plausibel, dass z.B. im medizinischen Bereich die Befragbarkeit von Teilnehmern ein Problem darstellt, bei Mobilitätsstudien die Erreichbarkeit.
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2 Nonresponse als Untersuchungsgegenstand
2.2 Die empirische Analyse von Nonrespondenten 2.2.1 Das Paradoxon der Befragung von Verweigerern Das Grundproblem, dass es nicht befragungsbereite Personengruppen gibt, lässt sich nicht vollständig lösen. Von denjenigen, die sich weigern, Auskunft zu geben oder die Tür zu öffnen, lassen sich keine Informationen über politische Einstellungen und politisches Verhalten erheben. Wer soll daher im Folgenden tatsächlich untersucht werden? In der empirischen Analyse wird versucht, durch verschiedene ausschöpfungssteigernde Maßnahmen die Nonresponse-Quote einer Studie deutlich zu reduzieren und so stufenweise diejenigen zu erreichen, die unter Standardbedingungen nicht teilnehmen würden (vgl. ein ähnliches Design für eine Telefonstudie bei Keeter et al. 2000). Es wird angenommen, dass man von denjenigen, die zunächst nicht an der Befragung teilnehmen wollen, dann aber durch verschiedene ausschöpfungssteigernde Mittel doch noch überzeugt werden können und schließlich auf einer späteren Stufe innerhalb des Forschungsdesigns bereit sind, Auskunft zu geben, etwas über die endgültigen Verweigerer erfahren kann. Wenn man auf der Grundlage dieser spät überzeugten Zielpersonen Prognosen über die Nicht-Teilnehmer abgibt, steht dahinter eine kontinuierliche Vorstellung der Teilnahmeentscheidung. Es wird angenommen, dass am einen Ende des Kontinuums diejenigen stehen, die unter Normalbedingungen sofort teilnehmen (Kooperative). Dann folgen diejenigen, die eine Teilnahme zunächst ablehnen oder nicht erreicht werden und daher bei „Normalstudien“ zu den Nonrespondenten zählen würden, und die lediglich durch bestimmte Maßnahmen dazu bewogen werden können, doch noch teilzunehmen (Konvertierte). Und schließlich bilden diejenigen, die eine Teilnahme verweigern, das andere Ende des Kontinuums (Nonrespondenten). Von den Konvertierten wird schließlich angenommen, dass sie den endgültigen Nonrespondenten ähnlicher sind als den Kooperativen. Diese kontinuierliche Vorstellung von Nonresponse ist in der Forschung nicht unumstritten. Einige Kritiker zeigen empirisch, dass sich eine Verzerrung durch Nonresponse nicht exakt auf der Basis der von den Konvertierten erhaltenen Informationen schätzen lässt. Sie konstatieren jedoch gleichzeitig, dass durch die Vorgehensweise eine inhaltliche Annäherung an die Richtung der Verzerrung möglich ist (vgl. etwa bereits Pace 1939; auch Andersen et al. 1979; DeMaio 1980; Ellis et al. 1970; Smith 1984; Stinchcombe et al. 1981). Das würde bedeuten, man könnte über die Konvertierten eine Vorstellung davon erhalten, in welche Richtung die Verzerrung verläuft, ohne konkret schätzen zu können, wie groß die Verzerrung für einzelne Merkmale letztendlich ist. Dieses Argument spricht dafür, die Konvertierten als Annäherung an die endgültigen Nonrespondenten zumindest zu untersuchen. Gleichzeitig muss man einschränkend erwähnen, dass sich auf dieser Grundlage keine genauen Prognosen über die Gesamtverteilungen abgeben lassen.
2.2 Die empirische Analyse von Nonrespondenten
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Stoop (2004: 44) und Neller (2005: 28) stellen in ihren Nonresponse-Studien für einzelne – allerdings soziodemographische – Merkmale fest, dass sich die konvertierten Verweigerer deutlich von den Nicht-Konvertierbaren unterscheiden und den Kooperativen, die man bereits ohne verstärkte Maßnahmen erreicht, ähnlicher sind. Sie folgern, dass Konvertierungsmaßnahmen daher sogar zu einer Verstärkung des Problems systematischer Verzerrungen führen. Allerdings existieren auch gegenteilige Ergebnisse, die darauf hinweisen, dass Konvertierungsmaßnahmen zur Reduzierung von Stichprobenfehlern geeignet sind. Für die Merkmale Geschlecht, Bildung sowie für das Politikinteresse zeigen Studien zum European Social Survey (ESS) etwa, dass die Konvertierten den Nonrespondenten ähnlicher sind als den Kooperativen und eine Konvertierung tendenziell zur Reduktion des NonresponseBias beiträgt (vgl. Phillippens/Billiet 2004). Keeter et al. (2000) weisen nach, dass kaum Unterschiede zwischen Respondenten und Konvertierten existieren. Zudem zeigen sie, dass es von den untersuchten Merkmalen abhängt, ob man die Verzerrungen reduzieren kann oder nicht. Letztlich muss man feststellen, dass in dieser Frage kein eindeutiger Forschungsbefund existiert. Die empirische Analyse kann für einen Teil der Merkmale jeweils zeigen, inwiefern eine kontinuierliche Vorstellung von Nonresponse gerechtfertigt ist. Die bisherigen, sehr heterogenen Forschungsergebnisse lassen vermuten, dass es sich um eine Frage des Ausschöpfungsniveaus handelt. Wahrscheinlich erreicht man durch Konvertierungsmaßnahmen zunächst diejenigen, die auch in der Hauptbearbeitung erreicht wurden („more of the same“). Man kann jedoch annehmen, dass man mit steigender Ausschöpfung auch die extremeren Fälle erreicht, die im Datensatz unterrepräsentiert sind. Ob es damit insgesamt zu einer „Verbesserung“ der Datenqualität kommt, hängt in einem solchen Fall davon ab, wie hoch das Konvertierungsniveau ist und um welche Merkmale es sich handelt. Da man bei bestimmten Merkmalen die tatsächlichen Verteilungen in der Grundgesamtheit weder weiß noch schätzen kann, kann man auch keine Bewertung abgeben. Im folgenden Abschnitt soll nun zunächst der Untersuchungsgegenstand auf ein bestimmtes Studiendesign eingegrenzt werden. Dies ermöglicht die von Schnell (1997: 18) geforderte präzise Analyse der einzelnen Stufen des Partizipationsprozesses und damit in der Folge auch die Formulierung eines theoretischen Konzepts zur Teilnahme an Umfragen.
2.2.2 Nonresponse im ALLBUS Eine der umfangreichsten Datenquellen für die empirische Sozialforschung ist das Angebot der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS). Die Daten des ALLBUS sind in der empirischen Wahl- und Einstellungsforschung eine der wichtigsten Quellen für Sekundäranalysen, da sie nach
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2 Nonresponse als Untersuchungsgegenstand
ihrer Erhebung allen interessierten Personen und Institutionen schnell und kostengünstig zur Verfügung stehen und eine hohe Datenqualität aufweisen. Seit 1980 werden in der Trendstudie alle zwei Jahre persönlich-mündliche Befragungen durchgeführt, die sowohl einen festen Fragenkern als auch variable Themenmodule beinhalten. Alle zehn Jahre werden bestimmte Module repliziert, einzelne Items sogar häufiger. Aus diesem Grund bieten die Daten des ALLBUS die Möglichkeit, im Aggregat Entwicklungen über die Zeit zu verfolgen. Die Grundgesamtheit des ALLBUS bestand bis einschließlich 1990 aus allen wahlberechtigten Personen der Bundesrepublik (inklusive West-Berlin), die in Privathaushalten lebten. Nach der Wiedervereinigung wurde die Definition der Grundgesamtheit verändert und besteht seither aus der erwachsenen Wohnbevölkerung (vgl. Wasmer et al. 2007: 4). Die Stichprobenziehung des ALLBUS erfolgte in den ersten Jahren zunächst im ADM-Design (vgl. Arbeitsgemeinschaft ADM-Stichproben und Bureau Wendt 1994; Behrens/Löffler 1999).37 In den Jahren 1994 und 1996 sowie seit dem Jahr 2000 liegt der Erhebung eine Registerstichprobe der Einwohnermeldeämter zugrunde. Dabei handelt es sich um eine zweistufige, disproportional geschichtete Zufallsauswahl. Auf der ersten Stufe werden Gemeinden, proportional zur Anzahl der in ihr lebenden erwachsenen Einwohner, ausgewählt. In der zweiten Auswahlstufe werden von den Einwohnermeldeämtern Personen nach einem vorgegebenen systematischen Zufallsverfahren gezogen. Der Vorteil einer derartigen Registerstichprobe ist, dass die Zielpersonen vor der Feldphase eindeutig festgelegt sind und nicht erst, wie in Random Walk-Designs, vom Interviewer ermittelt werden müssen. Die Daten des ALLBUS werden seit dem Jahr 2000 in computergestützten persönlich-mündlichen Interviews (CAPI) erhoben (vgl. Wasmer et al. 2007: 5). Dem empirischen Teil dieser Arbeit liegen Daten aus dem ALLBUS 2008 und einer daran angegliederten Methodenstudie (ALLBUS+) zugrunde. Daher wird der Untersuchungsgegenstand zunächst auf die Nicht-Teilnehmer an einer CAPIStudie auf der Basis einer zweistufigen Einwohnermeldeamts-Registerstichprobe eingegrenzt, da bei der Verwendung anderer Stichprobenverfahren oder Erhebungsmethoden auch andere Ausfallgründe auftreten können. Für eine derartige persönliche Befragung lassen sich verschiedene Stufen des Partizipationsprozesses unterscheiden, bei denen ein Ausfall der zuvor ausgewählten Person auftreten kann (vgl. Schnell 1997: 18; Groves/Couper 1998: 26). Die erste Stufe bezieht sich auf die Bearbeitung der Adresse. Dabei ist zu fragen, ob eine Adresse überhaupt vom Interviewer besucht wurde und ob die zuvor angegebene Person auch dort wohnt. Bereits bei dieser ersten Phase kann aus verschiedenen Gründen ein Ausfall einer zuvor ausgewählten Adresse auftreten. Ein Interviewer könnte, beispielsweise auf37
Beim ADM-Design handelt es sich um ein dreistufiges Stichprobenverfahren. Auf der Basis der statistischen Bezirke werden zunächst ca. 60.000 sample points, d.h. Stimmbezirke, gebildet und davon einzelne proportional zu ihrer Größe (PPS-Design) ausgewählt. Diese Gebiete sind die Auswahlgrundlage für die Adressen, die mithilfe des Random Route-Verfahrens ausgewählt werden. Schließlich wird mithilfe des Schwedenschlüssels (Kish 1949) oder mit der Geburtstagsmethode in den Haushalten eine Zielperson ermittelt (vgl. ADM 2003: 20).
2.2 Die empirische Analyse von Nonrespondenten
43
grund einer Erkrankung, die ihm gelieferten Adressen nicht in der Feldzeit bearbeiten oder er findet eine bestimmte Adresse nicht. Auf dieser Stufe kann ein Ausfall verhindert werden, wenn die Interviewer in direktem Kontakt zur Feldabteilung stehen: Im Krankheitsfall würde dann der Interviewer ausgetauscht; wenn die Adresse nicht existiert oder die Zielperson verstorben ist, würde die Adresse als qualitätsneutraler Ausfall (siehe Kap. 2.2) direkt ersetzt. Die Praxis zeigt jedoch, dass auf dieser Stufe bereits vereinzelt Nonresponse auftritt, ohne dass dies mit der Entscheidung einer Zielperson zusammenhängt. Auf die Adressbearbeitung folgt die zweite Phase der Kontaktaufnahme, d.h. die Frage, ob ein Kontakt zustande kommt und jemand an der Adresse angetroffen wird. Dabei beginnt die erste Interaktionsphase, nämlich die Kommunikation zwischen Interviewer und erstem Ansprechpartner, wobei eine sinnvolle Verständigung mit dem Ansprechpartner notwendig ist. Zugleich muss dieser auch kooperativ sein, d.h. den Zugang zur Zielperson ermöglichen. Wenn die Ansprechperson bereits die Teilnahme für die Zielperson verweigert und keinen Kontakt ermöglicht, kann auch an dieser Stelle bereits ein Ausfall erfolgen, der unter Umständen unabhängig von der Entscheidung der Zielperson ist. Allerdings gibt es hier die Möglichkeit, durch weitere Kontaktversuche den Zugang zur Zielperson zu ermöglichen. Eventuell erhält der Interviewer an dieser Stelle auch die Information, dass die Zielperson nicht befragbar ist. Diese Phase der Kontaktierung eines Ansprechpartners wird übersprungen, wenn es sich beim ersten Kontakt schon direkt um die Zielperson handelt. Wenn der Kontakt zur Zielperson hergestellt ist, muss geklärt werden, ob mit ihr eine sinnvolle Verständigung möglich ist und eine Befragung durchgeführt werden kann. Im Falle der Kooperationsbereitschaft der Zielperson, kann das Interview beginnen. Wenn sich die Zielperson für eine Teilnahme entscheidet, können theoretisch, nach der zuvor aufgestellten Definition von Unit-Nonresponse, keine Ausfälle mehr auftreten. In der Umfragepraxis können jedoch technische Probleme im Nachhinein noch zu Ausfällen führen. Dies ist der Fall, wenn beispielsweise nicht alle Daten im Computer gespeichert sind oder im Nachhinein Fehler und Fälschungen zutage treten und Fälle ausgeschlossen werden. Auch muss die Befragung einer Zielperson noch innerhalb der Feldzeit liegen, damit sie in die Auswertung eingehen kann. Für die Haupt-Fragestellung dieser Arbeit ist diese Phase der Interaktion zwischen Interviewer und Zielperson sehr wichtig. In dieser Phase entscheidet der Befragte, ob er partizipieren kann und will oder eben eine Teilnahme verweigert. Nachdem nun die zentralen Begrifflichkeiten theoretisch erläutert und die Annäherung an die empirische Analyse von Nonrespondenten beschrieben wurde, befasst sich das nächste Kapitel mit dem Forschungsstand zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit denen, die nicht an Umfragen teilnehmen. Daraus sollen die relevanten Annahmen abgeleitet werden, die anschließend zur Modellierung der Erklärung der Teilnahme benötigt werden.
3 Der Forschungsstand: Von theoretischem Vakuum zu komplexen Analysen
3.1 Problemwahrnehmung und bivariate Einzelerkenntnisse 3.1.1 Erste Schritte der Nonresponse-Forschung Nonresponse, d.h. der Ausfall von Zielpersonen, ist kein neues Phänomen in der Umfrageforschung. Erste Pionierstudien finden sich bereits in der psychologischen Methodenforschung der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts (siehe Toops 1923, 1926; Crossley/Fink 1951; vgl. Porst/von Briel 1995: 4; Neller 2005: 11). In den 1940er und 1950er Jahren erreichte die Thematik in der amerikanischen Umfrageforschung, die der deutschen Umfrageforschung in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg einige Jahrzehnte voraus war, größere Popularität (vgl. Smith 2002b: 27). Weitgehender Konsens war bereits in dieser frühen Zeit, dass die Annahme, Respondenten seien im Allgemeinen ein repräsentatives Abbild der Grundgesamtheit, nicht aufrecht erhalten werden kann (vgl. Hansen/Hurwitz 1946). Allerdings wurde zugleich noch davon ausgegangen, dass dieses Problem hauptsächlich schriftliche Befragungen beträfe und bei persönlichen Befragungen empirisch weniger relevant sei. Für diese wurde angenommen, dass „personal interviews generelly elicit a substantially complete response“ (Hansen/Hurwitz 1946: 517). Die Realität zeigt jedoch, dass sich diese Annahme einer vollständigen Ausschöpfung auch bei persönlichen Befragungen nicht aufrechterhalten lässt. Durch die Verbreitung der Umfrage als Methode der empirischen Sozialforschung wurde die Diskussion um Nonresponse angeregt, was zu einer ersten Hochphase der Forschung führte. Zwar konstatierte George Gallup, Pionier der amerikanischen Umfrageforschung, in den vierziger Jahren: „when samples are correctly selected, they do reflect opinions of the entire nation“ (Gallup 1944: 21), dies ist jedoch eine verkürzte Darstellung der Realität: Die korrekte Stichprobenziehung ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Genauigkeit und Repräsentativität von Stichproben. Die ausgewählten Personen müssen eben auch teilnehmen wollen und können. Da dies aber in der Praxis der Umfrageforschung nicht für alle Elemente der ausgewählten Stichproben gegeben ist, entstanden erste Forschungsprojekte zu den Nicht-Teilnehmern. Gaudet und Wilson (1940) fragten „Who escapes the personal investigator?“, zehn Jahre später beschrieb Barnette (1950) „The Non-Respondent Problem in Questionnaire Research“ und auch Benson et al. (1951) stellten Überlegungen an, was diejenigen ausmacht, die eine Teil-
H. Proner, Ist keine Antwort auch eine Antwort?, DOI 10.1007/978-3-531-92721-3_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
3.1 Problemwahrnehmung und bivariate Einzelerkenntnisse
45
nahme an einer Befragung verweigern.38 Die Kernaussage ist bereits in diesen frühen Studien, dass es gute Gründe gibt anzunehmen, dass sich diejenigen Personen, die sich nicht an Umfragen beteiligen, signifikant von den Teilnehmern unterscheiden. Zudem wurden bereits systematische Fehler angenommen und damit unterstellt, dass sich die Unterschiede nicht nur auf einzelne soziodemographische Merkmale, sondern auch auf die eigentlich interessierenden inhaltlichen Variablen beziehen (vgl. z.B. Lundberg/Larsen 1949; Reuss 1943; für einen Überblick siehe Ellis et al. 1970). Allerdings bleibt es meist bei plausiblen Erklärungen, wie sich Verzerrungen aufgrund von Nonresponse auswirken könnten, ohne dass empirische Überprüfungen der Annahmen oder eine theoretischen Fundierung der Teilnahmeentscheidung erfolgen. Daher fehlen gesicherte Erkenntnisse, wie sich der Unterschied zwischen beiden Personengruppen konkret darstellt und auf welche Variablen er sich aus welchen Gründen bezieht. Zudem beziehen sich die Analysen – mit Ausnahme der Studie von Gaudet und Wilson (1940) – weiterhin vor allem auf die zu dieser Zeit sehr populären schriftlichen Befragungen sowie auf QuotenStichproben und willkürliche Auswahlen. Gerade bei diesen weiß man jedoch nichts über den Ausfallprozess an sich und kann daher lediglich Spekulationen über diejenigen, die nicht teilnehmen, anstellen. Die Forschung zeichnet damit zunächst ein sehr bruchstückhaftes Bild der Determinanten von Nonresponse. Die abhängige Variable ist meist pauschal die aggregierte Nonresponse-Quote einer Befragung und nicht die Entscheidung eines Individuums, an einer Befragung teilzunehmen oder nicht. Die gewonnenen Erkenntnisse werden kaum repliziert und überprüft und können damit auch nicht als empirisch gesichert bezeichnet werden. Fitzgerald und Fuller bemerken durchaus zu Recht auch noch in den 1980er Jahren: „The literature on nonresponse provides few replicated findings“ (Fitzgerald/Fuller 1982: 3; vgl. auch Goyder 1987: 80; Neller 2005: 11). Es lassen sich jedoch erste grundsätzliche Annahmen erkennen: Unstrittig ist, dass die Verzerrung von Umfrageergebnissen durch Nonresponse (Nonresponse-Bias) grundsätzlich von zwei Faktoren abhängig ist, wobei jeder davon notwendigerweise ungleich Null sein muss: Erstens von der Höhe der Nonresponse-Quote, also davon, wie viele der zunächst ausgewählten Personen nicht teilnehmen. Zweitens hängt das Ausmaß der Verzerrung von der Größe des Unterschieds zwischen Respondenten und Nonrespondenten ab (vgl. Cochran 1972: 415; Curtin et al. 2000: 414; Deming 1960: 66f.; Groves/Couper 1998: 1ff.; Groves et al. 2006: 722ff.; Kish 1967: 532ff.; Koch 1998: 67ff., 2002: 31). Dieser so bezeichnete Nonresponse-Bias kann vom reinen Messfehler unter-
38 Sie erreichten in einer Befragung zunächst nur eine Ausschöpfungsquote von 56 Prozent (136 von 230 Adressen), befassten sich dann in weiteren Stufen intensiv mit den Verweigerern und konnten im Verlauf der Feldzeit 229 der 230 Zielpersonen doch noch von einer Teilnahme überzeugen (vgl. Benson et al. 1951: 118). Allerdings gab es in dieser Studie eine recht vage formulierte Auswahlregel der Zielpersonen („a responsible adult“) innerhalb der Haushalte (Benson et al. 1951: 116).
46
3 Der Forschungsstand
schieden werden, so dass man von zwei unterschiedlichen Fehlertermen sprechen muss (vgl. Biemer/Lyberg 2003: 39; Olson 2006: 739). Möchte man beispielsweise auf der Grundlage von Umfragedaten eine Aussage über einen Mittelwert (= x ) angeben (z.B. die durchschnittliche Sympathie für einen Politiker), lässt sich die Verzerrung aufgrund von Nonresponse folgendermaßen darstellen (vgl. Bethlehem 1988; Biemer/Lyberg 2003: 85; Erbslöh/Koch 1988; Groves 2006: 648; Koch 1998: 67). Abbildung 5:
Bias NR
Der Nonresponse-Fehler
x R
x NR
n NR n R n NR
BiasNR = Verzerrung durch Nonrespondenten xR = Mittelwert der Teilnehmer xNR nR nNR
= Mittelwert der Nicht-Teilnehmer = Fallzahl Teilnehmer = Fallzahl Nicht-Teilnehmer
Quelle: Eigene Darstellung.
Der vordere Teil des Terms (=1. Faktor) beinhaltet dabei den Unterschied zwischen Respondenten und Nonrespondenten, der zweite Teil des Terms (=2. Faktor) beinhaltet den Anteil der Nonrespondenten an der Ausgangsstichprobe. Wenn einer der beiden Faktoren gegen Null geht, ist das gesamte Produkt sehr klein. Das bedeutet, wenn die Ausschöpfung nahe an 100 Prozent ist, ist der letzte Teil der Gleichung minimal. Damit ist auch nur wenig Verzerrung zu erwarten. Wenn es keinen bzw. fast keinen Unterschied zwischen den Mittelwerten von Respondenten und Nonrespondenten gibt, ist der vordere Teil der Gleichung minimal. Dann sind, unabhängig von der Ausschöpfung, ebenfalls kaum Verzerrungen zu erwarten. Empirisch ist davon auszugehen, dass zumindest die Ausschöpfung nicht nahe an 100 Prozent liegt und damit der hintere Teil der Gleichung deutlich größer ist als Null. Daher sind Verzerrungen möglich, sobald sich der erste Teil des Terms von Null unterscheidet. Teilnehmer und Nicht-Teilnehmer einer Studie sollten daher genauer im Hinblick auf den ersten Faktor des Terms, d.h. ihre Unterschiede hin, untersucht werden.39
39 Groves (2006: 648ff.) kritisiert, diese Darstellung impliziere, dass Nonresponse etwas Konstantes sei, eine feste Eigenschaft von Personen. Dies träfe jedoch nicht zu, da es sich bei vielen Menschen bei der Teilnahmebereitschaft um eine variable Wahrscheinlichkeit handele, die je nach Situation zu Kooperation oder Verweigerung führen könne. Daher bevorzugt er andere, differenziertere Darstellungsformen des Nonresponsebias, wie etwa bei Bethlehem (2002) (vgl. Groves 2006: 648ff.). Auch Tourangeau et al. (2000: 320) formulieren den Bias eines Parameters durch Nonresponse allgemeiner als BNR PNR (YR YNR ) bzw. Bezug nehmend auf die Response
Propensity-Modelle zur Schätzung der individuellen Teilnahmebereitschaft: B NR ( yˆ )
cov( p i , Y i ) (1 p ) Y .
Für den hier verfolgten Zweck der Unterscheidung der beiden Elemente Ausschöpfungshöhe und Unterschied zwischen Respondenten und Nonrespondenten ist die oben gewählte Formel von Koch (1998) jedoch immer noch am anschaulichsten.
3.1 Problemwahrnehmung und bivariate Einzelerkenntnisse
47
3.1.2 Das Ausmaß von Nonresponse und die Diskussion um Ausschöpfungen In der Forschung beobachtete man jedoch zunächst verstärkt den zweiten Faktor, d.h. die Ausschöpfung. Ein wichtiger Untersuchungsgegenstand war die Entwicklung von Nonresponse-Raten im Zeitverlauf und damit das Ausmaß von Nonresponse (vgl. de Leeuw/de Heer 2002; Groves 1989; Lyberg/Rapaport 1979; Steeh 1981; Steeh et al. 2001; Synodinos/Yamada 2000). Die These steigender Nonresponse-Quoten über die Zeit wurde dabei, sowohl für einzelne Länder als auch international vergleichend, sowohl für persönlich-mündliche Befragungen als auch für andere Erhebungsmodi, empirisch weitgehend bestätigt (siehe die empirischen Studien von Baim 1991; Bradburn 1992; Brehm 1993, 1994; Brown 1994; Curtin et al. 2000, 2005; Daniel 1975; Fan 1994; Groves 1989; Groves/Lyberg 1988; Remington 1992; Schorr 1992; Singer/Martin 1994). So verwundert es nicht, wenn Bradburn (1992: 392) konstatiert: „We all believe strongly that response rates are declining and have been declining for some time“. Auch Brehm (1994: 45) stellt zusammenfassend fest: „Response rates for all surveys – academic, government, business, media – have been falling since the 1950s.“40 Eine Unterscheidung des Verlaufs nach den verschiedenen Ausfall-Typen, d.h. der Verweigerer, Nicht-Kontaktierten und Nicht-Befragbaren, ist jedoch zugleich selten und stellt damit eine Forschungslücke dar (vgl. Brehm 1994; Steeh 1981; Steeh et al. 2001). Hinzu kommt das Fehlen einer einheitlichen Definition von Ausschöpfungsquoten. Damit verbunden ist, dass es auch keine standardisierte Berechnung der Nonresponse-Quote gibt. Es existieren vielmehr zahlreiche unterschiedliche Möglichkeiten, die Ausschöpfung einer Studie zu bestimmen und anzugeben (vgl. Groves 1989: 136, 140ff.; Jowell 1998: 171; Schnell 1997: 19ff.; Stoop 2005: 27).41 Diese Unterschiede verhindern eine angestrebte Vergleichbarkeit der NonresponseRaten über die Zeit und relativieren Aussagen über Trendentwicklungen. Schließlich erschwert auch die fehlende Konstanz bei den Forschungsdesigns und der Feldarbeit präzise Aussagen über das Ausmaß von Nonresponse. Es werden nur 40
Es existieren jedoch auch gegenteilige Positionen, welche die empirische Evidenz der Hypothese generell sinkender Ausschöpfungsquoten zumindest kritisch beobachten und vor allem die daraus gezogenen pauschalen Schlussfolgerungen in Frage stellen (vgl. Gonzales et al. 1994, 1995; Marquis 1979; Singer 2006; Smith 1995). Dabei ist das zentrale Argument, dass sinkende Response-Quoten noch nichts darüber aussagen, welcher Typ Nonresponse sich wie über die Zeit entwickelt (vgl. de Heer/Israels 1992). Stabile Nonresponse-Raten könnten sowohl Stabilität als auch Variabilität innerhalb der einzelnen Kategorien von Nonresponse bedeuten. So könnte beispielsweise die Zahl der Nicht-Erreichten absinken, während die Zahl der Verweigerer deutlich ansteigt. Das Resultat wären gleichbleibende Gesamtquoten. Wenn es unterschiedliche Ursachen für einzelne NonresponseArten gibt, kann eine solche Variabilität zu unterschiedlichen Verzerrungen über die Zeit führen, die sich nicht in den stabilen Gesamtwerten widerspiegeln müssen (vgl. Groves 1989: 146; Stoop 2005: 31). 41 Die Unterschiede in den Berechnungsformeln haben meist damit zu tun, ob Ausfälle als stichprobenneutral oder systematisch eingestuft werden (vgl. Neller 2005: 10), gleichzeitig variieren sie auch mit unterschiedlichen Stichprobenverfahren. Einige Organisationen (z.B. AAPOR 2009), aber auch Einzelautoren (Lynn et al. 2002) haben versucht, präzise Definitionen für Gebiete oder einzelne Länder durchzusetzen. Es bleibt jedoch das Problem, dass bei vielen Datenerhebungen auf Auskünfte zur Ausschöpfung verzichtet wird und wenn Ausschöpfungen angegeben werden, die Art und Weise des Zustandekommens der Quoten wenig transparent ist (vgl. Couper/de Leeuw 2003; Groves/Couper 1998; Neller 2005; Schnell 1997: 48ff.; Smith 1995, 2002a).
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3 Der Forschungsstand
selten Informationen publiziert, die Aufschluss über den Aufwand geben, der betrieben wird, um gewisse Ausschöpfungen zu erreichen (vgl. Schnell 1997; Stoop 2005).42 Zwar wird oft angenommen, dass gleichbleibende Ausschöpfungen mit gestiegenem Aufwand der Institute verknüpft sind (vgl. etwa Erbslöh/Koch 1988: 30), Belege dafür lassen sich jedoch nicht finden (vgl. Schnell 1997: 130).43 Auch der Blick auf die deutschsprachige Forschung über das Ausmaß von Nonresponse in Umfragen zeigt aus den bereits genannten Gründen, dass man keinen eindeutigen empirischen Trend allgemein ansteigender Nonresponse-Raten erkennen kann. Vielmehr muss das Problem auch hier differenziert betrachtet werden. Schnell (1997) weist in einer Metaanalyse zwar nach, „daß die Ausschöpfungsraten in allen Surveys von 1970 bis 1990 um ca. 5% sinken“ (Schnell 1997: 130). Er gibt aber gleichzeitig zu bedenken, dass sich die Ausschöpfungen signifikant je nach Surveytyp (kommerziell, akademisch, Mediaanalysen), Erhebungsperiode, Institut und Nonresponse-Typ (Verweigerer, Nicht-Erreichte, Sonstige) unterscheiden (vgl. Schnell 1997: 77ff.). Man kann demnach festhalten, dass zum Ausmaß und zur Entwicklung von Nonresponse-Raten über die Zeit zahlreiche heterogene empirische Befunde existieren. Der wahrgenommene Trend verändert sich, wenn verschiedene Typen von Nicht-Teilnehmern untersucht werden und wenn Einschränkungen in der Aussagekraft aufgrund verschiedener Designvariationen vorgenommen werden (müssen). Dies bedeutet wiederum, dass Aussagen zum Ausmaß von Nonresponse immer nur für eine präzise definierte Umfrageform, ein bestimmtes Design und bestimmte Nonresponse-Typen möglich sind. Die Ausschöpfungsquoten sind kontextabhängig, d.h. das Phänomen muss im Rahmen eines einzelnen Studientyps substanziell analysiert werden. Generalisierte Aussagen sind in diesem Bereich der Methodenforschung wenig erfolgversprechend (vgl. Engel et al. 2004: 44; Stoop 2005). Für die allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften, den ALLBUS, der eine der größten deutschen sozialwissenschaftlichen Trendstudien ist, zeigt die Analyse der Ausschöpfungsquoten von 1992 bis 2006 (siehe Abb. 4, Kap. 2.1.2.2) schwankende Quoten, die sich in den einzelnen Jahren deutlich unterscheiden. Gerade der Anteil der Verweigerer steigt im Zeitverlauf – trotz weitge42
Selbst wenn man konstante Kategorien hat, welche Ausfälle stichprobenneutral und welche dies nicht sind, ist ein Vergleich über die Zeit problematisch. Es könnte ja bei zwei Studien mit der gleichen Ausschöpfung von 75% jeweils unterschiedlicher Aufwand betrieben worden sein, um diese Ausschöpfungen zu erreichen. Hinzu kommen Unterschiede in den Verfahren der Stichprobenziehung oder in der Feldarbeit. Selbst in Längsschnittanalysen werden die Methoden durch technische Neuerungen verändert. Ein Beispiel dafür ist die Umstellung des ALLBUS von PAPI auf CAPI. Gleichzeitig können sich Nonresponse-Raten durch unterschiedlich lange Befragungsintervalle verändern. Langzeitstudien mit vielen Erhebungswellen und konstantem Design fehlen, welche jedoch zur Zeitreihenanalyse besonders wünschenswert wären, um das „Rauschen“ auszugleichen, das sich durch unterschiedliche Befragungsrhythmen und Zeitabstände zwischen einzelnen Wellen ergibt. Groves/Couper stellen bereits 1998 fest: „We believe trends in nonresponse rates may appropriately be measured in terms of decades than years“ (Groves/Couper 1998: 159). 43 Auf diese Probleme weisen de Heer/Israels (1992) zu den „Response Trends in Europe“ hin, wenn sie für neun europäische Länder vergleichend zeigen, dass es keine klare Tendenz allgemein sinkender Ausschöpfungen gibt (vgl. de Heer/Israels 1992: 100f.).
3.1 Problemwahrnehmung und bivariate Einzelerkenntnisse
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hend konstanter Feldarbeit – an. Eines lässt sich damit, trotz der angesprochenen Probleme zur Vergleichbarkeit von Ausschöpfungen, sicher konstatieren: Erstens kann ein bestimmter Teil der angestrebten Population nicht befragt werden und zweitens verschwindet dieses Phänomen nicht im Zeitverlauf. Je nach Studie und Design gibt es einen (unterschiedlich hohen) Anteil der Bevölkerung, der mit den Standardprozeduren nicht erreicht werden kann. Meist sind explizite Verweigerungen ausschlaggebend für die Nicht-Teilnahme, seltener Nicht-Erreichbarkeit und Nicht-Befragbarkeit. Zugleich kann man feststellen, dass vermutlich in den meisten sozialwissenschaftlichen Mehrthemenbefragungen, wie dem ALLBUS, die Verweigerungen den überwiegenden Teil der Nonrespondenten ausmachen (siehe Abb. 4, Kap. 2.1.2.2). Doch hat sich die Forschung aus diesem Grund einer inhaltlichen Analyse der Verweigerer gewidmet? Die Antwort lautet: Nicht direkt. Der Fokus verblieb zunächst bei den Ausschöpfungen und der Frage, wie diese über Designvariationen oder den Interviewereinsatz erhöht werden können (vgl. Alreck/Settle 1995: 184). Die Fokussierung der Forschung auf das Ausmaß von Nonresponse lässt sich leicht erklären: Die erreichte Ausschöpfung – und damit nur eine Seite der Medaille – wurde lange Zeit als einfaches Qualitätskriterium für Studien angesehen: „For many years, it seemed as if the design of the sample and the response rate were the only two indicators of a survey’s quality“ (Fowler/Mangione: 1990: 142). Diese Grundannahme spiegelt sich auch in der Literatur zur Umfrageforschung wider: „A response rate of 50 percent is adequate for analysis and reporting. A response of 60 percent is good. And a response rate of 70 percent is very good” (Babbie 1998: 262)44 oder: „For interview surveys, a response rate of 85 percent is minimally adequate; below 70 percent there is a serious chance of bias” (Singleton/Straits 2005: 145).45 Erstaunlich ist, wie unterschiedlich (und willkürlich) die Angaben in der Literatur sind: 70 Prozent werden einerseits als sehr gut, andererseits als Minimalstandard eingeschätzt.46 Dieser einseitige Blickwinkel bringt verschiedene Probleme mit sich: Das erste Problem ist, wie bereits erwähnt, dass eine einheitliche Berechnung von Ausschöpfungsquoten fehlt. Aus diesem Grund werden in den vorliegenden Studien häufig Fakten miteinander verglichen, die nicht vergleichbar sind, und durch „NeuDefinitionen“ unsystematischer Ausfälle künstlich hohe Ausschöpfungen konstru44
Babbie (1998: 262) weist zwar auf die Probleme derartig pauschaler Aussagen hin, trifft sie aber dennoch. Besonders erstaunlich ist, dass es sich bei den Büchern von Babbie und Singleton/Straits dabei jeweils um Lehrbücher handelt, die den Fokus auf die reine Höhe der Ausschöpfung legen bzw. eindeutige „Grenzwerte“ angeben (vgl. Groves 2006: 647). 46 In einer empirischen Untersuchung der Ausschöpfungen sozialwissenschaftlicher Studien wird als „Benchmark“ (zumindest für schriftliche Befragungen) ein Wert von 60 Prozent +/- 20 Prozentpunkte für Studien zur Gesamtbevölkerung angegeben (vgl. Baruch 1999: 434). Dabei wurde ein Bereich von einer Standardabweichung um den Mittelwert aller untersuchten Studien (n=175) gewählt. Wie unterschiedlich jedoch die Ausschöpfung in den Studien angegeben und berechnet wurde, geht nicht mit in die Analyse ein. Der praktische Nutzen einer derartigen Angabe im Sinne von: „Ausschöpfungen zwischen 40 und 80 Prozent sind unproblematisch“ kann bezweifelt werden. 45
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3 Der Forschungsstand
iert. Da die Ausschöpfung in der Regel als Anteil der Interviews an der „bereinigten Bruttostichprobe“ definiert wird, ist es eben höchst relevant, wie der Begriff der Bereinigung verstanden wird (vgl. Schnell 1997: 19ff.). Daher sind auch die Benchmarks meist ungeeignet. Hinzu kommt, dass verschiedene Stichprobenverfahren unterschiedliche Implikationen mit sich bringen. Während etwa bei einer Registerstichprobe eindeutig festgelegt ist, wer befragt werden soll, ist dies bei dem in den USA üblichen Random Route-Verfahren viel schwieriger zu konstatieren. Grundsätzlich bleibt festzuhalten, dass die Ausschöpfung, wie in der Gleichung in Abbildung 5 (siehe Kap. 3.1.1) gezeigt, nur das Potenzial für eine Verzerrung angibt. Diese kommt unter bestimmten Umständen, sollte es etwa keinen Unterschied zwischen Nonrespondenten und Respondenten geben, überhaupt nicht zum Tragen. So ist es möglich, mit einer geringen Ausschöpfung valide Ergebnisse zu erhalten, wenn es keine (oder nur geringe) Unterschiede zwischen Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern gibt (vgl. die Studie von Keeter et al. 2000). Eine reine Reduktion des Forschungsinteresses auf die Höhe der Ausschöpfung ignoriert diesen Aspekt (vgl. Groves/Peytcheva 2008: 168; Koch 2002: 31; Olson 2006: 739; Voogt 2004: 85). Das bedeutet aber wiederum, dass man diejenigen, die nicht an einer Befragung teilnehmen wollen, genauer analysieren muss.
3.1.3 Der Weg zu inhaltlichen Modellen In den letzten zwanzig Jahren hat sich die Nonresponseforschung ausdifferenziert. Auf der einen Seite entwickelte sich die Methodenforschung weiter, daneben entstanden aber auch inhaltlich orientierte und theoretisch fundierte Pionierstudien. Im Bereich der Methodenforschung stehen weiterhin Details der Feldarbeit (Stichprobenziehung, Interviewertraining, der Einsatz von Incentives oder auch die Konvertierung von Verweigerern) und deren Auswirkungen auf allgemeine Ausschöpfungsquoten sowie der statistische Umgang mit (Unit- und Item-) Nonresponse im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Daraus ergeben sich relevante methodische Innovationen, wie etwa die Entwicklung der multiplen Imputation oder andere spezifische Gewichtungsprozeduren, um Verzerrungen durch Nonresponse auszugleichen (vgl. Singer 2006: 640; siehe auch Bethlehem 2002; Gelman/Carlin 2002; Heeringa et al. 2002; Marker et al. 2002; Rubin/Zanutto 2002). Der Grund für diese eher als pragmatisch zu bezeichnende Herangehensweise, die sich nicht mit den Ursachen beschäftigt, sondern eine Bekämpfung von Symptomen bedeutet, liegt in der Angst vor steigenden Surveykosten und sinkender Datenqualität (vgl. Groves/Peytcheva 2008: 168; Schnell 1997: 30). Diese Angst führte, nicht nur von Seiten der universitären, sondern auch und insbesondere von Seiten der kommerziellen Sozialforschung, zu einer intensiven Beschäftigung mit dem Gebiet. Jedoch muss man trotz aller Bemühungen um ideale Erhebungsdesigns feststellen, dass eine vollständige Aus-
3.1 Problemwahrnehmung und bivariate Einzelerkenntnisse
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schöpfung utopisch bleibt und ein gewisser Anteil der Zielpersonen nicht erreicht werden kann (vgl. Singer 2006: 240). Gleichzeitig zeigen alle Bemühungen um Gewichtungs- und Korrekturprozeduren, dass auch deren erfolgreicher Einsatz ein umfassendes theoretisches Verständnis des Ausfallprozesses und damit substanzielle Informationen über Nicht-Teilnehmer voraussetzt (vgl. Goyder et al. 2006). Damit rücken die inhaltliche Analyse der Charakteristika der Nicht-Teilnehmer und die Frage, was die Entscheidung zur Teilnahme beeinflusst, in den Vordergrund des Forschungsinteresses. Wenn man inhaltlich wissen möchte, was Personen, die nicht an einer Befragung teilnehmen, von den Teilnehmern unterscheidet, wendet man sich vom zweiten Teil der Formel (siehe Abb. 5, Kap. 3.1.1) dem ersten Teil des Terms zu. An dieser Stelle sind nun – unter der Prämisse, dass es keine pauschalen, sondern merkmalsspezifische Unterschiede gibt – inhaltliche Modelle relevant. Man benötigt Informationen über die Nonrespondenten, um die potenziellen Verzerrungen abschätzen zu können. Das bedeutet zugleich, dass ein Schritt von der reinen Methodenforschung hin zur inhaltlichen Forschung einzelner Disziplinen erfolgen muss. Diesen Weg gehen für die Sozial- bzw. Politikwissenschaft erstmals Goyder (1987) und Brehm (1993). Sie setzten sich inhaltlich mit der Frage auseinander, was Nonrespondenten in politikwissenschaftlichen Umfragestudien charakterisiert, konzentrierten sich dabei auf politikwissenschaftlich relevante Determinanten von Nonresponse und formulierten Konsequenzen, die sich daraus für das politische System ergeben können.47 Die bis dahin gewonnenen, meist bivariaten Erkenntnisse zu den Unterschieden zwischen Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern wurden hierfür zunächst systematisiert und komplexere theoretische Modelle zur Erklärung von Kooperation oder Verweigerung aufgestellt (vgl. Brehm 1993; Groves 1989; Groves et al. 1992; Groves/Couper 1998; Groves et al. 2002; Hox et al. 1996; Voogt 2004; Voogt/Saris 2003). Diese Modelle beziehen unterschiedliche Determinantenbündel auf Mikround Makroebene ein, um eine möglichst umfassende Erklärung der Teilnahmeentscheidung zu liefern.48 Die empirische Überprüfung der theoretischen Modelle war jedoch zunächst nur bedingt möglich. In der Regel wurden die Modelle lediglich im US-amerikanischen Kontext auf der Basis von staatlichen Befragungsdaten, die zudem zu anderen Zwecken erhoben wurden, sekundäranalytisch geprüft (vgl. 47
In der Literatur ist zu beobachten, dass die Konzentration auf den ersten Teil der Formel, d.h. die Unterschiede zwischen Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern, vereinzelt dazu geführt hat, anzunehmen, die Ausschöpfungsquoten seien irrelevant. Diese Annahme wurde bestärkt, da in einzelnen Studien für verschiedene Merkmale keine Unterschiede zwischen Respondenten und Nonrespondenten gefunden wurden (vgl. Curtin et al. 2000; Keeter et al. 2000; Merkle/Edelman 2002). Auch dieser Schluss ist jedoch nicht zutreffend und wird der Komplexität des Problems nicht gerecht. Groves (2006) und Groves/Peycheva (2008) zeigen in Metaanalysen verschiedener Studien, dass die Ausschöpfung alleine immer noch zwischen vier und elf Prozent der Varianz der Verzerrung durch Nonresponse erklärt. Sowohl die Höhe der Ausschöpfung, als auch die Unterschiede zwischen Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern müssen daher berücksichtigt werden. 48 Damit ist jedoch auch häufig ein Mangel an Präzision der Aussagen für die konkrete Entscheidung auf Individualebene verbunden.
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3 Der Forschungsstand
Groves/Couper 1998: 22). Bei den nachfolgenden international vergleichenden Studien zeichnete sich aber ab, dass weniger von allgemein gültigen Determinanten von Nonresponse auszugehen ist, sondern vielmehr kontextabhängige Wirkungsmechanismen (z.B. je nach Thema der Befragung, politischem oder gesellschaftlichem System) plausibler erscheinen (vgl. neben anderen Billiet et al. 2007).49 Damit einher geht die Forderung nach spezifischeren Modellen des Ausfallprozesses, die in verschiedenen Umfragekontexten überprüft werden. Für die Bundesrepublik Deutschland versuchte dies zunächst Schnell (1997), der in seiner Arbeit ein theoretisch fundiertes Erklärungsmodell aufstellte, aber ebenfalls das Problem fehlender Primärdaten hatte. Im folgenden Abschnitt sollen nun einige dieser komplexeren Modelle ausgewählt und vorgestellt werden. Zugleich wird versucht, jeweils den Bezug zu wichtigen und bewährten empirischen Forschungserkenntnissen herzustellen.
3.2 Komplexe Modellierungen zur Erklärung von Kooperation Das Forschungsgebiet war zunächst weitgehend von empirischen Einzelergebnissen dominiert, wobei verschiedene Instrumente meist experimentell eingesetzt wurden, um Nonresponse-Raten in Studien zu reduzieren. Die dahinter liegenden theoretischen Annahmen wurden dabei nur selten ausführlich formuliert. Die Forschung kann daher als insgesamt wenig theoriegeleitet bezeichnet werden (vgl. Goyder et al. 2006: 28; Schnell 1997: 133). Zudem kann man feststellen, dass sich die relevantesten Forschungsarbeiten verschiedenen sozialwissenschaftlichen Forschungskonzepten zuordnen lassen, ohne dass die damit verbundenen unterschiedlichen Prämissen und Konsequenzen explizit herausgearbeitet werden. Um die Begriffsverwirrung und die theoretische Unschärfe noch zu steigern, kommt hinzu, dass sich die Erkenntnisse aus der empirischen Überprüfung der theoretischen Konzepte auf unterschiedliche Typen von Nonresponse (Erreichbarkeit, Befragungsfähigkeit, Kooperation) beziehen, die Studien mit Individual- und Aggregatdaten arbeiten und sowohl direkte als auch indirekte Effekte aus Scheinkorrelationen modellieren, ohne diese Differenzierungen immer zu benennen und zu berücksichtigen. Im Folgenden soll daher bewusst nicht der gesamte Forschungsstand in aller Breite wiedergegeben werden. Die Fokussierung auf einzelne zentrale Studien soll vielmehr dazu beitragen, relevante Aspekte für die anschließende Modellbildung abzuleiten und damit den theoretischen Rahmen für die vorliegende Fragestellung abzustecken. Als Ausgangspunkt wird das Modell der Kooperation bei Umfragen von Groves/Couper (1998) verwendet. Es eignet sich gut als Heuristik, um den 49 „The relationship between the type of respondent and the attitudinal and background variables was not all in the same direction in all countries. This needs further research and discussion because it creates a serious challenge to any scholar who believes there is a theory of nonresponse that applies cross-nationally” (Billiet et al. 2007: 159).
3.2 Komplexe Modellierungen zur Erklärung von Kooperation
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Forschungsstand zu Einflussfaktoren auf verschiedenen Ebenen aufzuarbeiten und zu systematisieren. Auf diese Weise können Erkenntnisse zu gesellschaftlichen Einflussfaktoren, Designfaktoren, Interviewerfaktoren, Einflüsse der Interaktion zwischen Interviewer und Befragtem sowie Merkmale auf der Ebene des Befragten dargestellt, bilanziert und diskutiert werden. Anschließend konzentriert sich die Arbeit auf die Ebene des Individuums und dessen Handlungsentscheidung zu Kooperation oder Verweigerung. Dazu werden neben den Annahmen von Groves/Couper noch weitere Arbeiten vorgestellt, welche, mit zum Teil unterschiedlichen Annahmen und Vorgehensweisen, die Handlungsentscheidung des Individuums modellieren.
3.2.1 Ein allgemeines Konzept der Kooperation bei Umfragen Nachdem insbesondere im angelsächsischen Raum50 bereits seit den 1980er Jahren verschiedene kleinere Studien zu den Einflussfaktoren von Nonresponse bei Umfragen durchgeführt wurden, legten Groves und Couper im Jahr 1998 ein umfassendes „Konzept der Kooperation bei Umfragen“ (Groves/Couper 1998: 29ff.) vor. Damit wird eine Skizze verschiedener denkbarer Erklärungsgrößen von Nonresponse auf Makro- und Mikroebene gezeichnet, die verschiedenen Forschungsparadigmen entlehnt sind. Es handelt sich weniger um eine konkrete Theorie im Sinne eines „System[s] von Aussagen, das mehrere Hypothesen oder Gesetze umfasst“ (Schnell et al. 2008: 54), die widerspruchsfrei miteinander verbunden sind, als eher um die Vorstufe einer Theorie, die eine Sammlung potenzieller Einflussfaktoren darstellt. Demnach können (1) (2) (3) (4) (5)
gesellschaftliche Einflussfaktoren, Designfaktoren, Attribute des Interviewers, Elemente der Interaktion zwischen Interviewer und Zielperson sowie Attribute der Zielperson bzw. des Haushalts
die Entscheidung einer Zielperson bzw. eines Zielhaushalts51 an einer Befragung teilzunehmen direkt oder indirekt beeinflussen (vgl. Groves et al. 1992; Groves/Couper 1998: 30). Die fünf Kategorien werden noch einmal in zwei Gruppen unterteilt. In die erste Gruppe fallen diejenigen Faktoren, die vom Forscher kontrollierbar sind. Dazu gehören Designfaktoren und Interviewer-Eigenschaften, die bereits bei der Erstellung des Forschungsdesigns einer Nonresponse-Studie berück50
Hier ist besonders der Forscherkreis um den amerikanischen Sozialwissenschaftler Robert Groves zu nennen. In der amerikanischen Forschung werden meist keine Personenstichproben auf der Basis von Einwohnermelderegisterdaten, sondern Haushaltsstichproben auf der Basis von Random Route-Verfahren gezogen. Daher sprechen Groves/Couper (1998) auch von „Haushalten“ und nicht von „Zielpersonen“. 51
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3 Der Forschungsstand
sichtigt und in die Planungen einbezogen werden sollten. In der anderen Gruppe befinden sich die Faktoren, die außerhalb der Kontrolle des Forschers liegen, wie gesellschaftliche Einflussfaktoren und Eigenschaften des Haushalts oder der Zielperson selbst (vgl. Groves/Couper 1998: 29ff.). Insbesondere die Eigenschaften der Zielpersonen können in der Folge zu systematischen Unterschieden zwischen Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern führen, die sich kaum verhindern lassen. In den nächsten Abschnitten sollen die genannten Einflussfaktoren-Bündel beschrieben werden, wobei die Merkmale, die vom Forscher weitgehend kontrollierbar sind (Design- und Interviewerfaktoren), gemeinsam betrachtet werden. Dabei werden sowohl die zentralen Annahmen von Groves und Couper als auch darüber hinausgehend weitere Erkenntnisse, die in die einzelnen Kategorien gehören und sich bislang empirisch bewährt haben, dargestellt. Gesellschaftliche Faktoren (Kap. 3.2.1.1) sind für ein besseres Verständnis individueller Effekte notwendig, Designund Interviewereffekte (Kap. 3.2.1.2) müssen bei der Umsetzung der empirischen Studie berücksichtigt werden. Über den Weg der Leverage-Salience-Theorie, die sich mit dem Einfluss verschiedener Designelemente in der Interaktion zwischen Interviewer und Zielperson beschäftigt (Kap. 3.2.1.3 und 3.2.1.4), wird schließlich die Handlungsentscheidung des Individuums beleuchtet. Diese Erkenntnisse der Einflussfaktoren auf der Ebene der Zielperson bilden anschließend den Kern der weiteren theoretischen Überlegungen (siehe Kap. 3.2.2).
3.2.1.1 Gesellschaftliche Faktoren Die gesellschaftliche Umgebung als Makroebene kann unmittelbar auf die Akteure auf der Mikroebene, d.h. die Zielperson und den Interviewer, wirken und damit indirekt deren Handlungsentscheidungen beeinflussen. Dahinter steckt die Annahme, dass das soziale Umfeld zu bestimmten Erwartungen in der Bevölkerung führt, die sich wiederum auf die Entscheidung zu Kooperation oder Verweigerung auswirken können. Diese gesellschaftlichen Faktoren bezeichnen Groves und Couper als „Schranken“ (Groves/Couper 1998: 31), innerhalb derer die Handlungen von Interviewer und Befragtem stattfinden. Sie wirken nicht direkt auf die Teilnahmeentscheidung, sondern vielmehr indirekt auf die Erwartungen der interagierenden Personen und ihre Strategien und können darüber die Handlungen der beteiligten Personen beeinflussen. 52 52 Diese Annahme wird bspw. bei einem Augenzeugenbericht eines Umfrageteams deutlich, das im Jahr 2007 für die Sender ARD, ABC News, BBC und die Zeitschrift USA Today im Irak mehr als 2.200 Bürger befragte. Der Chef des Umfrageteams wird dabei zitiert: „Die Leute – besonders in den gefährlichen Gebieten mit ethnischen und religiösen Spannungen – haben Angst. Wenn jemand an ihre Tür klopft, dann nehmen sie an, dass jemand kommt, um ihre Tochter oder ihren Sohn zu entführen. Darum sind wir immer zu zweit aufgetreten – ein Mann und eine Frau – damit die Befragten sich von vorneherein wohler fühlten und nicht in Gefahr wähnten“ (Sami Ibrahim Ali, auf http://www.tagesschau.de/ausland/meldung49082.html; Referenzdatum 22.11.2007). Die Kriegssituation führt zu Kriminalitätsfurcht, daher öffnen die Menschen nicht die Tür. Die Interviewer rechnen schon damit und
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Erkenntnisse aus anderen Studien unterstützen die Annahme, dass gesellschaftliche Einflussfaktoren die Teilnahme an Umfragen beeinflussen. Ein empirisches Indiz für den Einfluss des jeweiligen Kontextes auf die Teilnahmebereitschaft ist, dass in vergleichenden Untersuchungen auf Aggregatebene für unterschiedliche Länder abweichende Ausschöpfungsquoten bei ähnlichen bzw. identischen Befragungsstudien aufgezeigt wurden (vgl. etwa de Heer/Israels 1992: Stoop 2005; Smith 2007).53 Grundsätzlich sind verschiedene Ursachen für die Unterschiede zwischen den Ländern denkbar, die sowohl auf der gesellschaftlichen (Makro-) Ebene als auch bei Interviewern oder Design oder eben den Zielpersonen selbst, und damit auf Meso- oder Mikroebene, liegen können: Auf der Makroebene sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen, wie etwa verpflichtende Teilnahmen oder spezifische Datenschutzregelungen zu nennen. Daneben kann sich auch das Umfrageklima oder der Verstädterungsgrad in den verschiedenen Ländern unterscheiden (vgl. Smith 2007: 45). Zudem könnten aber auch die Interviewerauswahl (Ausbildung, Training, Vorgaben), die Themen der Befragungen oder andere Elemente des Forschungsdesigns (Incentives, Modus, Felddauer) die Ausschöpfung beeinflussen (vgl. Goyder 1987). Weil diese Faktoren in vergleichenden Studien jedoch meist nicht kontrolliert werden, kann das unterschiedliche Teilnahmeverhalten in den Ländern in den meisten Fällen nicht ursächlich auf einzelne Elemente des gesellschaftlichen Umfelds zurückgeführt werden. Drei Merkmale, die in der Literatur als zentrale Faktoren bezeichnet werden, die auf der Makroebene angesiedelt sind, sollen einer detaillierteren Betrachtung unterzogen werden. Dazu gehören das Umfrageklima, der Verstädterungsgrad und das Nachbarschaftsklima. Zunächst ist das so genannte Umfrageklima einer Region ein Merkmal, das als relevanter Einflussfaktor in der Forschung diskutiert wird und auf der gesellschaftlichen Ebene angesiedelt ist (vgl. Goyder 1986; Groves/Couper 1992, 1998: 155; Harkness 1999; Lyberg/Dean 1992; Stoop 2004, 2005). Darunter wird die aggregierte Einstellung der Bevölkerung gegenüber Umfragen verstanden, die über Indikatoren wie Häufigkeit und wahrgenommene Legitimität von Umfragen gemessen wird (siehe dazu auch Schleifer 1986). Man könnte dieses Merkmal auch in Anlehnung an den Begriff der politischen Kultur als „Umfragekultur“ bezeichnen. Die Grundidee hinter der Operationalisierung ist, dass sich die Anzahl der Befragungen in einer Gesellschaft (auf der Makroebene) auf die Einstellung der Bevölkerung gegenüber Umfragen und darüber schließlich auf die individuelle Entscheidung zur Teilnahme auswirkt. Wenn nur selten Umfragen durchgeführt werden, sind sie passen daher ihr Verhalten an. Gleichzeitig zeigt das Beispiel, wie die soziale Umgebung auch das Forschungsdesign beeinflusst, weil man versucht, dem Problem des Misstrauens entgegenzusteuern, indem im Forschungsdesign zwei Interviewer unterschiedlichen Geschlechts vorgesehen sind. 53 Empirisch wird die Hypothese eines Einflusses des gesellschaftlichen Umfelds auf Nonresponse meist auf der Grundlage vergleichender Untersuchungen überprüft. Das Problem der vergleichenden Analysen ist, dass dabei oft nur Aggregatdaten zur Verfügung stehen, die keine Aussagen über individuelles Handeln erlauben bzw. sich weitreichender Prämissen über die Verknüpfung von Makro- und Mikroebene bedienen müssen. Es besteht das Risiko von ökologischen Fehlschlüssen (siehe Robinson 1950: 351ff.).
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3 Der Forschungsstand
etwas Interessantes und Abwechslungsreiches. Wird die Bevölkerung jedoch andauernd mit Befragungen und Interviewanfragen konfrontiert, kann daraus eine regelrechte Befragungsmüdigkeit resultieren. Dieser Effekt wird in der Forschung auch unter dem Stichwort des „oversurveying“ bzw. der „research tiredness“ besprochen (vgl. Dillman et al. 1974; Groves/Kahn 1979; Groves/Couper 1998: 31; Groves et al. 2004b: 176; Költringer 1992; Nederhof 1981, 1986, 1987; Remington 1992).54 Die Legitimität von wissenschaftlichen Umfragen ist ebenfalls ein Indikator des Umfrageklimas. Diese nimmt ab, wenn in einem Land viele unseriöse Verkaufsgespräche als Umfragen getarnt werden. Das Problem wurde bereits in den 1960er Jahren erkannt (vgl. Allen/Colfax 1968; Baxter 1964; McDaniel et al. 1985; Rugg 1971: 625; Schleifer 1986; Sheets et al. 1974) und dürfte seither eher zu- als abgenommen haben, da Marketing und Vertrieb über „angebliche“ Umfragen populärer geworden sind (vgl. Forsa 2000, 2006: 3; Groves/Couper 1998: 300; Steeh et al. 2001: 227; Stocké/Langfeldt 2003). Der Effekt trifft jedoch wahrscheinlich vor allem Telefonbefragungen, da Marketing- und Vertriebsmaßnahmen in der Regel telefonisch durchgeführt werden.55 Für die Bundesrepublik Deutschland kann man – zumindest Anfang der 1990er Jahre – zeigen, dass die Markt- und Sozialforschung (noch) ein positives Image besitzt (vgl. Leiblein/Klass 1990: 259; Leiblein/Oglesby 1993: 48). Zu all diesen Effekten muss man jedoch feststellen, dass Aussagen über die individuellen Motive der agierenden Personen auf der Grundlage der vorliegenden Aggregatdatenanalysen immer die Gefahr ökologischer Fehlschlüsse beinhalten (siehe Robinson 1950). Zudem wird kritisiert, dass das Konzept des Umfrageklimas noch nicht hinreichend präzise definiert und operationalisiert ist (vgl. die Kritik bei Smith 2007: 48). Auch der Verstädterungsgrad eines Gebiets wird als ein weiterer gesellschaftlicher Einflussfaktor diskutiert, der sich – etwa über eine höhere Kriminalitätsrate (vgl. Groves/Couper 1998: 145) oder einen höheren Grad sozialer Desintegration (vgl. Couper/Groves 1996: 174) – auf die Mikroebene auswirkt (vgl. auch Brehm 1993; Goyder et al. 1992; House/Wolf 1978; Smith 1983; Steeh 1981). Die Kriminalitätsraten sind in größeren Städten höher als in ländlichen Regionen. Dies wird auf der Individualebene mit einer höheren Verbreitung von Kriminalitätsfurcht verbunden. Die Annahme ist, dass potenzielle Befragte aus Angst vor Verbrechen keine Unbekannten in ihre Wohnungen lassen und eine Teilnahme am Interview 54
Studien in Ländern bzw. Regionen, in denen selten oder noch nie Befragungen durchgeführt wurden, zeigen eine sehr hohe Bereitschaft der Befragten zu antworten und weisen außerordentlich hohe Responseraten auf (siehe etwa die erste Runde des Afrobarometers in Tansania im Jahr 2001, bei dem über 99% der Zielpersonen erreicht und befragt werden konnten; Abruf auf: http://www.jdsurvey.net/jds/afrobarometer.jsp, Referenzdatum: 22.11.2007). Zu berücksichtigen ist bei der Interpretation der Ausschöpfung jedoch wiederum jeweils das gewählte Auswahlverfahren. 55 Dabei sind jedoch auch Ausstrahlungseffekte auf andere Befragungsmodi möglich. Bei persönlichen Interviews sind etwa Probleme aufgrund der unseriösen „Drückerkolonnen“ denkbar, die versuchen, Zeitungsabonnements über den persönlichen Kontakt an der Haustür zu vertreiben. Wenn der Zielperson nun ein Interviewer an der Haustür gegenübersteht, ist es möglich, dass die Situation falsch interpretiert und aus diesem Grund eine Teilnahme verweigert wird.
3.2 Komplexe Modellierungen zur Erklärung von Kooperation
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bereits an der Gegensprechanlage oder an der Haustür verweigern (vgl. Blohm et al. 2007; Goyder et al. 1992: 39; House/Wolf 1978: 1036; Koch 1997). Dabei wird erneut postuliert, dass sich das Merkmal „Verstädterungsgrad“ auf der Makroebene über die individuellen Erwartungen („Kriminalitätsangst“) auf das individuelle Handeln der Zielpersonen („Verweigerung“) auswirkt. Schließlich nimmt man auch für das Nachbarschaftsklima an, dass es eine wichtige Rolle bei der Erklärung der Kooperationsbereitschaft spielen kann. So kann man feststellen, dass in ökonomisch gut gestellten Wohngegenden seltener Verweigerungshaltungen auftreten. Begründet wird dies über das höhere soziale Vertrauen, das bei einer positiven Atmosphäre in der Nachbarschaft vorliegt. Persönlich-mündliche Interviews profitieren davon in besonderem Maße, da das Interview (meist) direkt in den Privaträumen der Befragten stattfindet und dieser Eingriff in die Privatsphäre soziales Vertrauen der Zielpersonen voraussetzt. Groves/Couper bezeichnen die Einzelfaktoren, die sich auf das soziale Vertrauen einer Zielperson auswirken können, als „social responsibility“-Grad eines Kontextes. Dieser wird über verschiedene Dimensionen operationalisiert und ergibt sich aus der Akzeptanz von Institutionen, dem Grad sozialer Ähnlichkeit, dem ökonomischen Status, dem Entfremdungsgrad und der Verbreitung zivilgesellschaftlicher Normen innerhalb eines Gebiets. Die Autoren weisen empirisch nach, dass die Kooperationsbereitschaft mit einem steigenden Grad an sozialer Verantwortung zunimmt (vgl. Groves/Couper 1998: 31, 170f.; Groves et al. 1992: 477; siehe auch Goyder 1987 zum Zusammenhang von sozialer Kohäsion, gesellschaftlichem Verantwortungsbewusstsein und Kooperationsraten). Bei diesen Untersuchungen ist besonders interessant, dass letztlich politikwissenschaftlich relevante Merkmale, wie etwa das Institutionenvertrauen, gesellschaftliche Integration oder Anomie als Determinanten von Nonresponse diskutiert werden (vgl. Couper et al. 1997; Groves et al. 1992; Knack 1992; Mathiowetz et al. 1991; siehe auch Knack/Kropf 1998; Putnam 1995).56 Es wird angenommen, dass: „[...] the relative lack of participation or involvement in the community may reduce the willingness to engage in activities (such as surveys) that are seen to benefit either that community or the society at large“ (Couper/Groves 1996: 175). Darauf wird im späteren Verlauf der Arbeit, insbesondere bei der Entwicklung eines handlungstheoretischen Modells, noch einmal eingegangen und gezeigt, wie diese letztlich individuellen Merkmale die Handlungsentscheidung beeinflussen.
56 Damit eng verbunden ist die Forschungsfrage, ob – und wenn ja wie – das vieldiskutierte Konzept des Sozialkapitals (Bourdieu 1983; Coleman 1988, 1990; Erickson 1996; Lin 2001; Putnam 1993) mit Kooperationsraten verknüpft ist. Im vierten Kapitel dieser Arbeit wird eine Verbindung zwischen den Konzepten hergestellt.
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3 Der Forschungsstand
3.2.1.2 Design- und Interviewerfaktoren Neben den gesellschaftlichen Faktoren, die meist über die Erwartungen der interagierenden Personen wirken, benennen Groves und seine Kollegen auch Elemente des Forschungsdesigns und die Auswahl der Interviewer als potenzielle Einflussfaktoren auf die Entscheidung einer Person zu Kooperation oder Verweigerung. In der Regel können diese beiden Bereiche nicht vollständig isoliert voneinander betrachtet werden, da die Interviewer oftmals als Vermittler der Designelemente eingesetzt werden. Beide Bereiche sind der Methodenforschung zuzurechnen und, folgt man der Argumentation von Groves und Couper, weitgehend vom Forscher zu beeinflussen (vgl. Groves/Couper 1998: 30). Einschränkend zu erwähnen ist dabei, dass beim Design einer Studie selbstverständlich wirtschaftliche Restriktionen und personelle Ressourcen beachtet werden müssen. Die theoretische Annahme, dass man Interviewereffekte als Forscher vollständig kontrollieren könne, erscheint daher empirisch nur bedingt tragfähig. Zum einen können nur diejenigen Interviewer eingesetzt werden, die sich einsetzen lassen, d.h. man hat das Problem der Selbstselektion. Zudem müssen Interviewer in vielen Studien aus Kosten- und Effizienzgründen wohnortnah eingesetzt werden, was die „freie Auswahl“ weiter eingrenzt. Schließlich sind die Kontrollmöglichkeiten eines Forschers in der konkreten Interaktionssituation nur sehr gering, da die Interviewer gerade bei persönlich-mündlichen Interviews in der Regel allein und ohne Kontrolle – etwa durch eine Aufzeichnung – arbeiten. Sowohl die Wirkungen einzelner Designelemente als auch die Wirkungen bestimmter Interviewermerkmale müssen aber bereits in der Planungsphase einer empirischen Studie berücksichtigt werden. Im Bereich des Forschungsdesigns werden Effekte des Einsatzes von Incentives ebenso wie die Wirkungen verschiedener Kontaktmodalitäten, der Länge einer Studie bzw. des damit verbundenen Aufwands, der Salienz des Themas oder auch des Auftraggebers einer Befragung diskutiert und aufgezeigt (vgl. Groves/Couper 1998: 269ff.; Groves et al. 1992, 2000). Auf konkrete empirische Erkenntnisse zu den einzelnen Bereichen wird anschließend bei der Beschreibung des Forschungsdesigns noch einmal ausführlicher eingegangen (siehe Kap. 5). Der große Einfluss der Interviewer manifestiert sich in deutlich unterschiedlichen Erfolgsquoten (vgl. auch Biemer/Lyberg 2003: 110f., 156ff.; Lyberg/Lyberg 1991; Lyberg/Dean 1992; Wasmer et al. 2007).57 Sie nehmen im Ablauf einer Umfrage eine Schlüsselposition ein und werden in der Forschung als „one of the most important means to improve nonresponse“ (de Leeuw et al. 1998: 240) gesehen (vgl. auch Campanelli et al. 1997; Campanelli/O’Muircheartaigh 1999; Groves et al. 1992, 2002; Loosveldt et al. 1998; Loosveldt et al. 2004; Morton-Williams 1993; Snijkers et al. 1999). Die in der Forschung diskutierten Attribute des Inter57 Im Jahr 2006 wurden beim ALLBUS insgesamt 231 Interviewer eingesetzt, acht von ihnen führten mehr als 50 Interviews durch, während andere nur geringe Antwortraten aufweisen konnten bzw. 22 Interviewer gar keinen Interviewerfolg hatten (vgl. Wasmer et al. 2007: 69).
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viewers, die einen Einfluss auf die Kooperationsbereitschaft der Zielpersonen haben können, lassen sich zunächst theoretisch in verschiedene Kategorien einteilen: Erstens werden soziodemographische Merkmale des Interviewers, wie etwa Alter, Geschlecht oder Bildung, diskutiert. Zweitens wird auch für die Erfahrung der Interviewer ein Einfluss auf seinen Interviewerfolg angenommen. Drittens wird vermutet, dass Persönlichkeitsmerkmale, die Erwartungen und Einstellungen des Interviewers gegenüber sich selbst, der Situation und der Zielperson den Interviewerfolg beeinflussen können. Dazu gehören beispielsweise das Selbstbewusstsein und der Glaube an die eigene Fähigkeit. Schließlich kann viertens auch das konkrete Interviewerverhalten, das insbesondere in der Interaktion mit der Auskunfts- oder Zielperson relevant wird, die Kooperationsbereitschaft beeinflussen (vgl. Biemer/Lyberg 2003: 111; Blohm et al. 2007: 97; Groves/Couper 1998: 194f.; Sturgis/Campanelli 1998). In der Regel wirken die einzelnen Interviewermerkmale weder direkt auf die Handlungsentscheidung der Zielperson, noch sind sie unabhängig voneinander (vgl. Groves/Couper 1998: 191).58 Gerade bei den soziodemographischen Merkmalen des Interviewers werden keine eigenständigen direkten Effekte angenommen, sondern es wird vermutet, dass Unterschiede über die Erfahrung (vgl. de Leeuw et al. 1998: 240; Groves/Fultz 1985) sowie über die Einstellungs- und Verhaltensebene der Interviewer und der Zielpersonen vermittelt sind. Ältere Interviewer haben meist einen größeren Erfahrungsschatz und ein größeres Verhaltensrepertoire, auf das sie zurückgreifen können. Soziodemographische Merkmale des Interviewers können der Zielperson zudem Hinweise auf die Intention des Besuchs geben und bestimmte Erwartungen aktivieren. Darüber hinaus können sie Auswirkungen auf Emotionen (Ängste, Vertrauen etc.) aller beteiligten Akteure haben, bspw. sind ältere weibliche Interviewerinnen vertrauenswürdiger als junge männliche (vgl. etwa Groves 1989; Groves/Couper 1996: 68; Groves/Couper 1998: 36). Für die Berufserfahrung der Interviewer konstatieren zahlreiche Studien einen deutlich positiven Zusammenhang mit dem Interviewerfolg. Gerade dabei kommt das bereits zu Beginn des Kapitels angesprochene Problem der Selbstselektion jedoch zum Tragen, da es die theoretische Wirkungsrichtung zwischen Erfolg und Erfahrung umkehren kann. Interviewer, die lange Zeit bei einem Institut sind, könnten dies aufgrund ihres Erfolges sein, weil ihnen die erfolgreiche Tätigkeit Spaß macht. Das Umfrageinstitut wird diese erfolgreichen, mit Freude arbeitenden Interviewer auch gerne weiterhin beschäftigen. In diesem Fall wäre die Erfahrung nicht Ursache, sondern Wirkung des Erfolgs (vgl. auch dazu Groves/Couper 1998: 200ff.).
58
Soziodemographische Merkmale, wie beispielsweise das Alter, hängen eng mit der Berufserfahrung zusammen. Die Erfahrung ist zugleich ein Indikator für bestimmte Einstellungen wie beispielsweise das Selbstbewusstsein des Interviewers. Zwischen Einstellungen und dem Verhalten der Interviewer können ebenfalls Zusammenhänge angenommen werden (vgl. Groves/Couper 1998: 194).
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3 Der Forschungsstand
Auch auf den Einfluss von Persönlichkeitsmerkmalen des Interviewers auf die Kooperationsbereitschaft der Zielpersonen wird in der Forschung hingewiesen (vgl. bereits Hyman 1954; auch Blohm et al. 2007; Macfarlane Smith 1972: 28ff.). Es wird angenommen, dass Interviewerfolg mit emotionaler Stabilität und Introvertiertheit des Interviewers (vgl. Axelrod/Cannell 1959; Macfarlane Smith 1972), mit Überzeugungskraft und Organisationstalent (vgl. Johnson/Price 1988), mit Extraversion (vgl. Blohm et al. 2007) oder auch mit „other-directedness“ (Groves/Couper 1998: 200), d.h. Empathie, assoziiert ist. Jedoch lassen sich diese Hypothesen zum Zusammenhang von Persönlichkeitsmerkmalen der Interviewer und Kooperationsraten häufig empirisch nicht bestätigen. Eine Ursache dafür könnte die geringe Varianz der Persönlichkeitsmerkmale in der Gruppe der Interviewer sein (vgl. Groves/Couper 1998). Zudem ist umstritten, inwieweit Persönlichkeitsmerkmale von erlernbaren Techniken abgrenzbar sind. Manche Autoren argumentieren, dass der Interviewerfolg zwar mit sozialen Fähigkeiten verbunden sei, diese aber keine stabilen Persönlichkeitseigenschaften darstellen, sondern lern- und wandelbar und damit eng an die Erfahrung als Interviewer geknüpft seien (vgl. Argyle 1969; Hox/de Leeuw 2002; Morton-Williams 1993). Als empirisch erklärungskräftige Merkmale haben sich insbesondere die Einstellungen und Erwartungen der Interviewer herausgestellt, die meist in der Interaktion mit der Zielperson wirken.59 Dazu zählen Faktoren wie das Selbstbewusstsein des Interviewers, der Glaube an die eigene Fähigkeit sowie die Überzeugung, etwas Wichtiges und Legitimes zu tun (vgl. de Leeuw 1999; Groves/Couper 1998: 212; Hox/de Leeuw 2002; Singer et al. 1983). Wenn ein Interviewer von sich selbst annimmt, erfolgreich zu sein, ist er dies tatsächlich eher als wenn er sich unsicher fühlt. Psychologisch lässt sich dies über das Phänomen der „self-fulfilling prophecy“ (siehe Merton 1995) erklären. Auch die eigene Einstellung gegenüber dem Thema einer Studie, die wahrgenommene Schwierigkeit, jemanden zu einem Thema zu befragen, und die Einstellung gegenüber der Anwendung von Überzeugungsstrategien im Allgemeinen wirken sich auf die Kooperationsraten aus (vgl. Hox/de Leeuw 2002; Lehtonen 1996; Singer/Kohnke-Aguirre 1979; Singer et al. 1983).60 Dabei wird angenommen, dass positiv eingestellte Interviewer ihre Einstellung auf die Zielperson übertragen und diese daher eher überzeugen können. Neben soziodemographischen Merkmalen, der Erfahrung, Persönlichkeitsmerkmalen und Einstellungen der Interviewer, beeinflusst schließlich auch das Verhalten der Interviewer die Kooperationsbereitschaft der Zielpersonen. Die Einflüsse auf der Verhaltensebene sind jedoch komplex und nur schwer abzubilden, da 59 Dies zeigten z.B. Hox/de Leeuw (2002) in einer vergleichenden Studie für neun Länder. Sie untersuchten verschiedene Determinanten von Response-Raten und verwendeten als erklärende Variablen soziodemographische Merkmale, Erfahrung, Einstellungen sowie das Verhalten der Interviewer. Dabei zeigte sich, dass die Variablen auf der Einstellungsebene in allen Ländern am meisten zur Erklärung der Varianz beitragen konnten. 60 Hier zeigen beispielsweise Lehtonen (1996) und de Leeuw et al. (1998), dass diejenigen Interviewer, die der Aussage zustimmen, dass eine Interviewteilnahme freiwillig erfolgen muss und jeder die Freiheit hat, zu antworten, niedrigere Responseraten haben, als diejenigen, die der Aussage weniger zustimmen.
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sie meist nur über das selbstberichtete Verhalten der Interviewer gemessen werden können. Dennoch sind sie relevant, da man davon ausgehen kann, dass die Interaktion – und damit das Verhalten von Interviewer und Zielperson – bei der Erklärung des Teilnahmeverhaltens eine zentrale Rolle spielt (vgl. Groves et al. 1992; Groves/Couper 1998; Snijkers et al. 1999). Wenn eine Zielperson ausgewählt wird, um an einer persönlich-mündlichen Befragung teilzunehmen, erhält diese meist zunächst ein Anschreiben, das sie über den Besuch eines Interviewers informiert. In der Regel fällt die Entscheidung zu Kooperation oder Verweigerung dennoch erst während der Interaktion zwischen Interviewer und Zielperson. Nur die wenigsten Zielpersonen verweigern bereits direkt beim Umfrageinstitut oder Studienleiter, nachdem sie das Anschreiben erhalten haben und bevor ein Interviewer sie das erste Mal besucht.61 Während der Interaktion wirken die zuvor diskutierten Merkmale des gesellschaftlichen Umfelds, des Forschungsdesigns sowie Merkmale des Interviewers und der Zielperson zusammen und die Zielperson trifft die Entscheidung zu Kooperation oder Verweigerung.
3.2.1.3 Die Interaktion zwischen Interviewer und Zielperson Theoretisch lässt sich die Frage, in welcher Form die Interaktion zwischen Interviewer und Zielperson abläuft und was die Entscheidung zu Kooperation oder Verweigerung beeinflusst, mit soziologischen Ansätzen verbinden. Schon früh wurde in den Ansätzen der sozialen Austauschtheorie (vgl. Blau 1964; Homanns 1958, 1961; Thibaut/Kelley 1959) beschrieben, dass sich bei Individuen Erfahrungen und zuvor „Erlerntes“ in aktuellen Erwartungen und Situationsdefinitionen widerspiegeln. Das bedeutet, eine Interaktion startet nicht jedes Mal an einem Nullpunkt, sondern findet in einem bestimmten sozialen Rahmen statt, der die Situation definiert. Esser bezeichnet diese subjektive Definition aus der Perspektive des Handelnden als „Framing“ der Situation (Esser 1999: 165).62 Bereits Dillman (1978) bettet die Entscheidung eines Individuums zur Umfrageteilnahme in den theoretischen Rahmen der Austauschtheorie ein. Damit wurde erstmals ein schlüssiges umfassenderes theoretisches Fundament der Nonresponse-Forschung erarbeitet. Der Interviewer muss sich auf die Situation einstellen, dass eine Zielperson einen gewissen Bestand an sozialem Wissen besitzt. Dieses steht kognitiv in Form 61 Dahinter steckt die Annahme, dass es nur einen kleinen Teil Verweigerer gibt, für die eine Teilnahme unter keinen Umständen in Frage kommt und die zudem die Mühe auf sich nehmen, von sich aus aktiv beim Institut zu verweigern. Der Großteil der Verweigerungen ist situationsabhängig (vgl. auch den Vortrag von Schnell 16.11.2004 in Zürich; Esser 1986a: 38). 62 Ableiten lässt sich die Definition der Situation aus dem Thomas-Theorem: „If men define situations as real, they are real in their consequences“ (Thomas/Thomas 1928: 572). Das bedeutet, dass Menschen unabhängig von der objektiven Beschaffenheit einer Situation ein subjektives Bild einer Situation entwickeln und diese dementsprechend einordnen.
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3 Der Forschungsstand
von Skripten oder Schemata zur Verfügung und kann abgerufen werden (vgl. Esser 1996, 2001; siehe auch Abelson 1981). Hat eine Zielperson schon einmal schlechte Erfahrungen mit Fremden an der Haustür gemacht, die ihr z.B. etwas verkaufen wollten, wird sie die Situation, dass eine ihr fremde Person an der Haustür steht und klingelt, anders bewerten (und damit einen anderen „Frame“ setzen), als jemand, der diese schlechten Erfahrungen noch nicht gemacht hat. Für beide Akteure gilt in diesem Zusammenhang: „Past experience with similar situations will dictate behavior“ (Groves/Couper 1996: 64).63 Für die Zielperson gibt es grundsätzlich mehrere Möglichkeiten, die Situation „Eine mir fremde Person steht vor der Tür oder ruft mich an“ zu deuten. Eine mögliche Deutung wäre „Die Person erwartet etwas von mir, will mir etwas verkaufen und nimmt Zeit in Anspruch“, worauf eine legitime Reaktion wäre, zu sagen „Ich bin zu beschäftigt“ (vgl. Groves/Couper 1998). Dies ist für den Interviewer jedoch das falsche, nicht intendierte Skript. Interviewer können mit ihrem Verhalten hingegen direkt aktiv falsche Skripte zerstreuen und etwa in ihrer Einleitung anmerken, dass sie nichts verkaufen, nur wenig Zeit brauchen oder etwa flexibel Termine machen können (vgl. de Leeuw/Hox 2004; Gonzenbach/Jablonski 1993). Die Anfrage des Interviewers sollte daher möglichst individuell auf die Zielperson und ihre Erfahrungen zugeschnitten sein. Diese Passgenauigkeit, die Interaktionssituation einschätzen zu können und die „richtige“ Ansprache zu wählen, wird in der Forschung als „Tailoring“ bezeichnet (vgl. Blohm et al. 2007; Groves et al. 1992; Groves/Couper 1998: 37, 213; Groves/McGonagle 2001; Stoop 2004). Es gilt als eines der wichtigsten Elemente des Interviewerverhaltens zur Steigerung der Kooperationsrate. Bei persönlich-mündlichen Interviews hat der Interviewer verschiedene Möglichkeiten, bei der Zielperson das „richtige“ Skript zu aktivieren. Er kann sich als Mitarbeiter eines großen Instituts vorstellen und dies etwa über Ausweise legitimieren (anders als bei Telefonbefragungen, siehe Prince 1985: 261). Jede Reaktion der Zielperson kann anschließend den Verlauf der Argumentation verändern. Der Interviewer kann mit jeder neuen Information neu entscheiden, welche Argumente ihm als geeignet erscheinen. Daraus ergibt sich direkt eine zweite Annahme erfolgreicher Interaktionen: „Maintaining Interaction“ (vgl. Groves et al. 1992; Groves/Couper 1996, 1998). Je länger die Interaktion andauert, desto mehr Informationen erhält der Interviewer über die Zielperson und desto passender sollte er argumentieren können. Zudem wird über die Interaktionsdauer die Beziehung zwischen den Akteuren gestärkt und es wird für die Zielperson umso schwieriger, die ihr gegenüberstehende Person abzuweisen. Daher ist es aus der
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Ein empirisches Indiz für die Relevanz dieser Skripte geben Blohm et al. (2007), die nachweisen, dass es bei telefonischen Anfragen mehr Verweigerungen gibt als bei persönlich-mündlichen Interviewanfragen. Die Ursache sehen sie darin, dass es am Telefon schwieriger sei, das „richtige“, positiv besetzte Skript bei der Zielperson zu aktivieren (vgl. Blohm et al. 2007: 98).
3.2 Komplexe Modellierungen zur Erklärung von Kooperation
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Perspektive des Interviewers wichtig, die Interaktion so lange wie möglich andauern zu lassen und kein schnelles „Nein“ der Zielperson zu erhalten.64 Studien zeigen, dass sich die theoretischen Annahmen zum „Tailoring“ und zur „Maintaining Interaction“ empirisch bewähren. Dabei wurde die Kommunikation vom Interviewer aufrechterhalten, Informationen gesammelt und versucht, einen zweiten Termin zu ermöglichen. Anschließend wurde die „passende“ Strategie eingesetzt, um Interviews zu generieren. So kann belegt werden, dass eine Anpassung des Verhaltens der Interviewer nach dem ersten Besuch beim zweiten Kontakt zu höheren Kooperationsraten führt (vgl. Groves/Couper 1996; de Leeuw 1992; Groves/Couper 1998; Groves/McGonagle 2001). Leider existieren bislang aber nur vage Operationalisierungen der beiden Konzepte, weswegen die empirischen Erkenntnisse auch nur als Indizien gewertet werden können.65 Sie sind jedoch als Argument dafür geeignet, dass sozialpsychologische Faktoren in Modelle zur Erklärung der Kooperationsentscheidung integriert werden sollten. Die beiden Konzepte lassen sich theoretisch in die sozialpsychologische Forschung einordnen, die sich mit der Anwendung so genannter „ComplianceTechniken“ beschäftigt (vgl. Cialdini et al. 1975; Cialdini 1987, 1997; Groves et al. 1992). Unter „Compliance“ wird dabei die Veränderung des eigenen Verhaltens nach der Konfrontation mit den Meinungen anderer verstanden.66 Nun existieren verschiedene Techniken, die eingesetzt werden können, um jemanden zu einer solchen Verhaltensänderung in eine bestimmte gewünschte Richtung zu bewegen. Für den Interviewer stellen sie eine Art „Werkzeugkasten“ dar (vgl. Groves/Couper 1998).67 Die zentrale Frage ist dabei jedoch nicht ob, sondern in welcher Form und wann genau die Techniken eingesetzt werden. Die „Aufrechterhaltung der Interaktion“ ist eine Voraussetzung dafür, dass Compliance-Strategien überhaupt angewandt werden können. Das „Tailoring“ ist das Finden der „richtigen“ Strategie. Verschiedene Argumentationsstrategien sind denkbar und werden in der Forschung gerade im Hinblick auf die Formulierung von Anschreiben und Einleitungen diskutiert. Dazu gehört das Betonen von Reziprozität oder der sozialen Nützlichkeit einer Studie (vgl. auch Dillman et al. 1976), das Betonen einer legitimen und anerkannten Autorität, etwa durch die Nennung eines Sponsors (vgl. Hawkins 1979; 64
Groves/Mc Gonagle (2001: 251) beschreiben, dass es beim Aufrechterhalten der Interaktion gar nicht darum geht, die Zielperson zur Kooperation zu bewegen, sondern nur darum, eine Verweigerung zu verhindern. 65 Entgegen der theoretischen Annahme lässt sich beispielsweise für die nachfolgenden Kontakte kein Effekt zeigen. 66 Compliance ist ein Begriff aus der Sozialpsychologie. Hierunter versteht man die (meist kurzfristige) Verhaltensänderung einer Person, die durch den sozialen Einfluss einer anderen Person oder Gruppe (durch eine Bitte, eine Forderung) ausgelöst wird und durch Belohnung oder Vermeidung von Strafe motiviert ist (siehe etwa Cialdini et al. 1975; Cialdini 1988). 67 Eines dieser Werkzeuge ist beispielsweise die „Foot-in-the-door“-Technik. Darunter versteht man ein Verfahren aus der Persuasionsforschung: Man beginnt mit kleineren Anfragen, die der Interaktionspartner kaum ablehnt, bevor man zur eigentlichen Anfrage, in diesem Fall der Interviewanfrage, kommt. Diese Technik wird auch in Verkaufsgesprächen angewandt und basiert auf der psychologischen Annahme, dass Menschen, die bereits einer kleineren Anfrage positiv begegnet sind, auch auf die folgenden Anfragen positiv reagieren, um sich möglichst konsistent zu verhalten (siehe etwa Burger 1999; DeJong 1979; Freedman/Fraser 1966).
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3 Der Forschungsstand
Orr 1976) oder auch das Herstellen von Sympathie durch Mitgefühl, Ähnlichkeit oder andere Mittel. Vielfach ist auch die Betonung der Einmaligkeit der Situation einer Interviewanfrage eine Möglichkeit, die Zielperson zu überzeugen. Hier könnte der Interviewer darauf hinweisen, dass man nur selten in der Lage sein wird, mit der eigenen Meinung stellvertretend für viele andere Menschen zu stehen (vgl. Groves/Couper 1998: 210; siehe auch Cialdini 1984, 1988, 1997). Der Einsatz von Interaktionsstrategien ist nicht unabhängig vom jeweiligen Kontext, in dem eine Umfrage durchgeführt wird. Je nach Land bzw. Kultur können unterschiedliche Verhaltensstrategien der Interviewer wirken. So wurde für Deutschland empirisch gezeigt, dass Argumente, die auf den gesellschaftlichen Nutzen bzw. den Spaß aufgrund der Abwechslung vom Alltag durch Umfragen abzielen, nicht sonderlich erfolgreich sind. Dazu gehört etwa das Argument, eine Befragung habe einen hohen gesellschaftlichen Wert, das Thema der Befragung sei interessant, alle anderen nähmen auch daran teil und die Teilnahme mache Spaß. Erfolgreicher im Hinblick auf die Kooperationsbereitschaft in deutschen Studien sind so genannte „Knappheitsargumente“: Dabei wird argumentiert, der Befragte habe nun die einmalige Chance seine Meinung zu sagen und damit andere Personen zu repräsentieren (vgl. Hox/de Leeuw 2002: 108ff.).68 Auch Groves et al. (1992) weisen bereits auf diese Kontextabhängigkeit hin, wenn sie feststellen, dass die Auswahl der Interviewerstrategien (und damit der Inhalt des „Werkzeugkastens“) durch das Forschungsdesign und die Umweltfaktoren eingeschränkt sind (vgl. Groves et al. 1992: 479). Aus diesem Grund lassen sich keine allgemeingültigen Konzepte erarbeiten. Festzuhalten ist, dass der Interviewer vor der schwierigen Aufgabe steht, die situativ passenden Instrumente auswählen zu müssen: „No one introduction is suitable to adress the concerns of diverse sample persons.[…] Interviewers must have ways of learning the concerns to make salient those attributes given positive leverage by the sample persons” (Groves et al. 2004: 177). Der Einsatz der Compliance-Techniken ist damit über die Ebene der Zielpersonen modellierbar, indem man fragt, welche Argumente bei welcher Zielperson salient gemacht werden müssen, weil sie von dieser positiv bewertet werden und ihr zugleich wichtig sind (vgl. auch Kap. 3.2.1.4 zur Leverage-Salience-Theorie). Die Subjektivität der Erwartungen der Zielpersonen sollte in einer Erklärung des Teilnahmeverhaltens berücksichtigt werden, indem man ihre Bewertungen berücksichtigt. Letztlich basieren jedoch all diese Strategien auf der theoretischen Vorstellung einer subjektiven Kosten-Nutzen-Analyse der Zielperson, bei der ein weiter Nutzenbegriff angenommen wird. Diese Vorstellung der sozialen Einbettung der Kosten-Nutzen-Abwägung findet sich sowohl in der Austauschtheorie (vgl. Blau 1964; 68
Wenn man nicht nur die Bundesrepublik Deutschland, sondern alle neun untersuchten Länder analysiert, weisen die Daten nicht auf einen signifikanten Einfluss des Interaktionsverhaltens auf die Kooperationsbereitschaft hin. Bei den Daten muss jedoch berücksichtigt werden, dass es sich um selbstberichtetes Verhalten der Interviewer handelt und diese Messung nicht unbedingt geeignet ist (vgl. Hox/de Leeuw 2002).
3.2 Komplexe Modellierungen zur Erklärung von Kooperation
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Homans 1961; Thibaut/Kelley 1959) als auch in den Compliance-Ansätzen. Neuere Studien zeigen, dass eine theoretische Integration der beiden Forschungsstränge möglich ist (vgl. Goyder et al. 2006: 28ff.). Genau diese Perspektive wird bei der Theoriebildung im vierten Kapitel aufgenommen.
3.2.1.4 Leverage-Salience-Theorie Man kann konstatieren, dass dem Gesamtkonzept von Groves und Couper (1998) implizit die Annahme zugrunde liegt, dass die Wirkungen der einzelnen Determinantengruppen, d.h. der gesellschaftlichen, der Design- und Interviewerfaktoren sowie der Elemente, die in der Interaktion eingesetzt werden können, letztlich meist über die individuellen Erwartungen der Zielperson, d.h. über die fünfte der von Groves/Couper (1998) ausgeführten Kategorien (siehe Kap. 3.2.1) verlaufen. Dahinter steckt die handlungstheoretische Annahme, dass bei der Zielperson eine individuelle Kosten-Nutzen-Abwägung vollzogen wird, wenn sie sich zwischen den beiden Handlungsalternativen Kooperation oder Verweigerung entscheiden muss. Die Hypothese einer handlungsleitenden Kosten-Nutzen-Analyse zur Erklärung von Befragtenverhalten ist nicht neu (vgl. Goyder 1987: 163). Während frühere Studien jedoch meist bivariate Effekte für einzelne Designmerkmale untersucht haben – im Sinne von „Ein Incentive erhöht bei Zielpersonen den Nutzen, wirkt daher (situationsunabhängig) ausschöpfungssteigernd“ – wurden über die so genannte Leverage-Salience-Theorie von Groves und seinen Kollegen erstmals multiple Einflüsse modelliert (vgl. Groves et al. 2000: 299). Im Gegensatz zu einer einfachen (bivariaten) Kosten-Nutzen-Abwägung wird dabei davon ausgegangen, dass verschiedene Designelemente, wie etwa ein Incentive, das Thema oder der Sponsor von bestimmten Zielpersonengruppen positiv oder negativ bewertet werden. Gleichzeitig sind die Merkmale den einzelnen Personen unterschiedlich wichtig. Diese Wichtigkeit drückt sich bildlich in ihrer „Hebelkraft“ (=„leverage“) aus. Wenn man sich eine Balkenwaage vorstellt, sind die Merkmale daher entweder auf der einen (=positive Bewertung) oder auf der anderen Seite (=negative Bewertung) angesiedelt. Gleichzeitig liegen sie weiter innen (=kleine Hebelkraft) oder weiter außen (=große Hebelkraft) auf dem Balken. Hinzu kommt, dass gewisse Designelemente vom Interviewer (oder Forscher) hervorgehoben, d.h. „salient“ gemacht werden können. So kann bei einer politischen Umfrage, z.B. im Anschreiben oder durch den Interviewer, explizit darauf hingewiesen werden, dass es sich um Fragen zum politischen System handelt, wenn man davon ausgeht, dass die Zielperson daran interessiert ist. Aus der Kombination der Faktoren Wichtigkeit, Bewertung und Salienz setzt sich die Wirkung eines Merkmals im Hinblick auf die Kooperationsbereitschaft zusammen (vgl. Groves et al. 2000; Groves/Peytcheva 2008). Die Gesamtbetrachtung gibt schließlich den Ausschlag, um bei der verwen-
66
3 Der Forschungsstand
deten Metapher zu bleiben, auf welche Seite – Kooperation oder Verweigerung – sich die Waage senkt. Abbildung 6:
Die Grundidee der Leverage-Salience-Theorie Incentive Sponsor
Thema Sponsor
Thema
Incentive
Verweigerung
Verweigerung
Kooperation
Kooperation
Person 2
Person 1
Bewertung negativ
Hebelkraft L (Leverage)
Bewertung positiv Größe des Balls S (Salience)
Verweigerung
Kooperation
Quelle: Eigene Darstellung nach Groves et al. (2000: 300).
Ein Vorteil der Leverage-Salience-Theorie ist, dass sie „Gegengewichte“ (Groves et al. 2000: 302) erlaubt, d.h. die Annahme beinhaltet, man könne über ein entsprechend positiv gewichtetes Designelement ein negatives ausgleichen. Damit lässt sich beispielsweise gut erklären, warum Personen, die dem Sponsor einer Studie zwar positiv, dem Thema jedoch negativ gegenüberstehen, bei der Gabe eines Incentives doch noch kooperieren (Abb. 6, Person 1), während andere, die Thema und Sponsor einer Studie sehr viel negativer bewerten, trotz Incentive nicht kooperieren (Abb. 6, Person 2) (vgl. Groves et al. 2004a: 2ff.; Groves et al. 2000; Groves et al. 2006). Die Interviewer werden innerhalb der Leverage-Salience-Theorie als Vermittler angesehen. Sie überbringen das Thema der Studie, repräsentieren den Sponsor und vermitteln die Designelemente wie etwa Incentives oder die Länge der Studie (vgl. Groves/Couper 1998: 192). Letztlich liegt es an ihnen, ob in der Interaktion mit der Zielperson ein bestimmtes Designelement hervorgehoben wird oder nicht. Ein Problem in der Überprüfung der Theorie besteht darin, dass man die kombinierten situationsspezifischen Einflüsse nur in komplexen Forschungsdesigns überprüfen kann. Das theoretische Modell zeigt jedoch, wie NichtBefragungswillige doch noch zu Befragten werden können: Man hat die Möglichkeit, über ein Gegengewicht auf der Designebene (höhere Incentives, geeignete
3.2 Komplexe Modellierungen zur Erklärung von Kooperation
67
Sponsoren, das Nennen bestimmter Themen) die Entscheidung des Individuums zu verändern. Die Grundidee einer individuellen Abwägung ermöglicht es nicht nur, den Einfluss von Designmerkmalen in der Interaktionssituation zwischen Interviewer und Interviewtem zu modellieren, wie es bei Groves et al. (2000: 300) explizit dargestellt wird. Vielmehr ist eine Verallgemeinerung des Modells möglich, indem man davon ausgeht, dass auch andere Einflüsse, wie Normen, Einstellungen gegenüber den Inhalten der Befragung oder bestimmte Werte eine individuelle Hebelkraft entwickeln können. Damit ist die Leverage-Salience-Theorie, die zunächst in der Umfrageforschung zur Erklärung des Einflusses verschiedener Merkmale des Forschungsdesigns entwickelt wurde, geeignet, die Handlungsentscheidung eines Individuums insgesamt zu veranschaulichen. In ein solches allgemeines Modell zur Erklärung der Teilnahmebereitschaft auf der Ebene der Zielpersonen lassen sich dann verschiedene Determinantengruppen der Kooperationsentscheidung einbetten.
3.2.2 Erklärungsmodelle auf der Ebene der Zielperson In der Forschungsliteratur zu Ursachen und Konsequenzen der Nicht-Teilnahme bei (politischen) Umfragen und den daraus resultierenden Konsequenzen lassen sich vier Erklärungsmodelle hervorheben, die sowohl einen integrativen Ansatz verfolgen als auch mehrere, für die politische Einstellungs- und Verhaltensforschung relevante, Erklärungsfaktoren einbeziehen. Neben dem bereits erwähnten Konzept von Groves/Couper (1998) sind hier die Arbeiten von Brehm (1993), Voogt (2004) und Schnell (1997) zu nennen. Allen gemeinsam ist die Grundannahme, dass die Zielperson eine Kosten-Nutzen-Abwägung vornimmt, in der verschiedene Nutzenanreize wirken können (vgl. Brehm 1993; Groves/Couper 1998: 119ff.; Groves et al. 1992). Sowohl materielle als auch (sozial-)psychologische Anreize, die sich aus Einstellungen ableiten lassen, können die Entscheidung des Individuums beeinflussen (vgl. bereits Bradburn 1978). Meist lassen sich die Modelle im Rahmen der subjektiven Wert-Erwartungstheorie (=SEU-Theorie, „subjective expected utility“-Theorie) reformulieren (vgl. Esser 1999, siehe dazu auch Kap. 4). Bei dieser Variante der Rational Choice-Theorie wird angenommen, dass Personen bei gegebenen Präferenzen eine Situation und die eigenen Handlungsalternativen subjektiv wahrnehmen und interpretieren, die Folgen einer Handlung abwägen und anschließend diejenige Handlungsalternative auswählen, deren Nutzenwert ihnen im Vergleich zu den anderen Alternativen am höchsten erscheint. Auch Erfahrungen und Ressourcen können dabei als Grundlage mit in die subjektiven Bewertungen eingehen. Im Folgenden werden zunächst die einzelnen Modelle vorgestellt, anschließend werden die zentralen theoretischen Annahmen daraus abgeleitet.
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3 Der Forschungsstand
3.2.2.1 Die Erklärung bei Groves/Couper auf der Individualebene Bereits Groves und Couper konstatieren, dass Theorien aus der Sozialpsychologie zur Erklärung der Kooperationsentscheidung auf der Individualebene herangezogen werden sollten, um eine „strenge“ Kosten-Nutzen-Perspektive zu ergänzen: Die Autoren benennen dabei explizit die soziale Austauschtheorie, die soziale Isolationsthese, die Wirkung von Autoritäten sowie „weitere Einflüsse“ wie Kriminalitätsfurcht oder die Wichtigkeit des Themas, die – so argumentieren sie – komplementär zu einer „rein materiellen“ Kosten-Nutzen-Abwägung angelegt sind (vgl. Groves/Couper 1998: 125ff., 131ff., 141ff., 145ff.). Zunächst soll nun das Grundkonzept der Kombination von ökonomischen Theorien mit sozialpsychologischen Ansätzen vorgestellt werden. Im Anschluss daran wird auf die einzelnen Theorien eingegangen, die zur Ergänzung der Kosten-Nutzen-Abwägung bei den beiden Autoren beschrieben sind. Groves und Couper plädieren dafür, dass auch Einstellungen, Werte sowie Normen in die theoretischen Überlegungen einbezogen werden sollten, weil sie die Kosten-Nutzen-Abwägung der Zielpersonen beeinflussen können. Die zentrale Annahme ist, dass alle durch die Kooperation entstehenden Kosten mit dem erwarteten Nutzen verrechnet werden. Solange das Ergebnis dieser „rationalen“ Abwägung positiv ist, wird kooperiert. Als mögliche Kosten für die Befragten nennen Groves und Couper den kognitiven Aufwand beim Verstehen und Beantworten der Fragen, die Zeit, die man benötigt, um an der Umfrage teilzunehmen, die Opportunitätskosten, d.h. den entgangenen Nutzen aus anderen Tätigkeiten, denen man sich in der für das Interview notwendigen Zeit hätte widmen können, und die Peinlichkeit, die daraus entstehen kann, dass man Informationen über sich selbst preisgeben muss (vgl. Groves/Couper 1998: 119ff.; auch Biemer/Lyberg 2003: 107; Bradburn 1977). Der Nutzen einer Umfrageteilnahme kann hingegen daraus resultieren, dass man lästigere Aufgaben, die man erledigen müsste, aufschieben kann oder auch aus der alltäglichen Routine herauskommt (vgl. auch Morton-Williams/Young 1987: 48). Hinzu kommt, dass man Spaß daran haben könnte, über neue Themen nachzudenken und mit anderen Menschen zu interagieren, in der Interaktion mit dem Interviewer neue Informationen erhält oder man sich geehrt fühlt, weil die eigene Meinung gefragt ist. In diesem Modell wird die Entscheidung damit als KostenNutzen-Abwägung modelliert. Der Akteur ist dabei aber auch von Einstellungen und sozialen Einflüssen beeinflusst, da sich auch daraus Kosten- oder Nutzenfaktoren ergeben können. So kann auch die Vorstellung, eine „gute Tat“ vollbracht zu haben, d.h. die Zufriedenheit, einer subjektiv wahrgenommenen Bürgerpflicht nachgekommen zu sein und damit so etwas wie einen sozialen Dienst an der Gesellschaft verrichtet zu haben, eine Teilnahmemotivation sein (vgl. Groves/Couper 1998: 121; Goyder 1987: 173). Damit sind expressive bzw. altruistische psychologische Anreize mit in die Erklärung der Handlungsentscheidung einbezogen und es ist ausdrücklich ein weiter Nutzenbegriff zugrunde gelegt.
3.2 Komplexe Modellierungen zur Erklärung von Kooperation
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Groves und Couper weisen im weiteren Verlauf ihrer Argumentation darauf hin, dass eine „stärker rationale“ – womit sie materiell meinen – Kosten-NutzenAnalyse insbesondere dann stattfindet, wenn die „zentrale Route“ der Informationsverarbeitung69 abläuft, d.h. wenn die Zielperson interessiert und motiviert ist (vgl. Groves/Couper 1998: 122). An dieser Stelle spiegelt sich die Annahme wider, dass aufgrund der begrenzten Informations- und Entscheidungskapazitäten nicht alle Entscheidungen eines Akteurs wohlüberlegt sein können (vgl. zu dem dahinter liegenden Menschenbild auch Lindenberg 1985, 1990 und zum Konzept der begrenzten Rationalität auch Simon 1955, 1959). Aus diesem Grund beziehen sich Groves und Couper auf die verschiedenen Routen der Informationsverarbeitung. Damit liegt ihrem Ansatz implizit die Idee dualer Prozesse der Informationsverarbeitung zugrunde, die bereits seit Mitte der 1980er Jahre in der sozialpsychologischen Einstellungs- und Verhaltensforschung diskutiert werden. In Anlehnung an das MODE-Modell zum dualen Prozessieren von Fazio (1990) nehmen sie an, dass Zielpersonen verschiedene Entscheidungsmodi besitzen können, in denen jeweils unterschiedliche Determinanten die Handlungsentscheidung beeinflussen. Im automatisch-spontanen Modus wirken stärker generalisierte Einstellungen auf die Handlungsentscheidung, im rationalen Modus eher Kosten-Nutzen-Analysen. Diese Annahmen bilden bei Groves und Couper den Begründungszusammenhang, warum die theoretische Perspektive einer Kosten-Nutzen-Abwägung durch andere Theorieelemente, wie generalisierte Einstellungen gegenüber der Gesellschaft, anderen Menschen, dem Sponsor oder auch dem Interviewer zur Erklärung der Teilnahmeentscheidung ergänzt werden sollte (zum dualen Prozessieren siehe auch Kap. 4). Die Ausführungen sind an dieser Stelle jedoch nicht ganz eindeutig, was an der fehlenden Präzision des Rationalitätsbegriffs liegt. Problematisch ist an der Darstellung, dass bei der Begründung der Ergänzung einer Rational Choice (RC)Perspektive zwei Aspekte miteinander vermischt werden. Zum einen beschreiben Groves und Couper, dass auch weiche Faktoren, wie Normen und (spezifische) Einstellungen als Nutzenmotive in die Kosten-Nutzen-Abwägung eingehen. Dafür müssten sie jedoch die Grundidee einer rationalen Entscheidung nicht aufgeben, sondern lediglich (wie bspw. bei der SEU-Theorie) auf der Grundlage einer Variante der RC-Theorie mit einem weiten Nutzenbegriff argumentieren. Sie beziehen sich in der Begründung, warum sie Normen, Werte und Einstellungen zur Erklärung hinzunehmen, aber zum anderen auch auf die periphere Route der Informationsverarbeitung, d.h. auf das so genannte automatisch-spontane Prozessieren. Dabei sind (generalisierte) Einstellungen als unabhängige Variablen notwendig, um stärker heuristische und unreflektierte Entscheidungen von wenig motivierten Zielpersonen zu erklären. Leichte Inkonsistenzen zeigen sich, wenn Groves/Couper in
69 Zur Annahme verschiedener Routen der Informationsverarbeitung und dem theoretischen Konzept des Elaboration Likelihood Models siehe Petty/Cacioppo (1986).
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3 Der Forschungsstand
der Folge ihrer Argumentation bei den interessierten und motivierten Zielpersonen wieder auf „rein materielle“ Kosten-Nutzen-Abwägungen hinweisen. In der theoretischen Argumentation vermischen die Autoren damit zwei Argumente: die Variante der RC-Theorie und das duale Prozessieren. Die Variante der RC-Theorie ist aber zunächst unabhängig von der Idee des dualen Prozessierens. Sie gibt lediglich an, welche verschiedenen Formen von Nutzenanreizen wirken können. Entweder sind dies nur materielle Nutzenanreize, wie z.B. Geld oder drastische Sanktionen, oder auch weichere Anreize, wie z.B. ein positives Gefühl, weil man einem sympathischen Interviewer helfen konnte oder der Spaß, den man an einer Teilnahme hat. Wenn sich Groves und Couper daher auf einen weiten Rational Choice-Begriff beziehen, müssten sie auch bei den interessierten und motivierten, reflektiert agierenden Zielpersonen weiche Nutzenanreize zulassen, die in die rationale Kosten-Nutzen-Abwägung eingehen. Dieses Argument beziehen sie jedoch nicht mit in ihre Überlegungen ein (siehe Abb. 7, „Lücke“). Abbildung 7:
Die Lücke in den theoretischen Annahmen von Groves/Couper
rational-überlegt/ reflektiert automatisch-spontan/ heuristisch Quelle: Eigene Darstellung. Entscheidungsmodus
Rational-Choice-Begriff eng weit X (Lücke) X
Vielmehr modellieren sie lediglich einerseits rational-überlegtes Handeln ohne den Einfluss von weichen Anreizen und andererseits automatisch-spontanes Handeln, das einstellungsdominiert ist. Sie unterscheiden nicht zwischen spezifischen Einstellungen, die auch situativ in die rational-überlegte Abwägung eingehen können, und generalisierten Einstellungen, die wirken, wenn automatisch-spontane Handlungsmuster ausgelöst werden. Diese Perspektive könnte jedoch zu einem umfassenderen Verständnis der Handlungsentscheidung beitragen und würde neuere Forschungserkenntnisse zum Einstellungsbegriff in die Modellierung integrieren (vgl. dazu auch die weiteren Ausführungen zum Einstellungsbegriff in Kap. 4). Dennoch kann man festhalten, dass bei Groves und Couper erstmals konkrete Annahmen einer Erweiterung der strengen RC-Perspektive getroffen werden. Diese Sichtweise ist innovativ und soll daher detaillierter vorgestellt werden. Dazu werden nun die vier sozialpsychologischen Konzepte (Austauschtheorie, Isolationsthese, das Konzept der Autoritäten und die „weiteren“ Einflüsse) im Einzelnen vorgestellt. Man kann zeigen, dass die letzten drei im Grunde genommen auch auf die Annahmen der Austauschtheorie zurückzuführen sind. Die soziale Austauschtheorie, die von Groves/Couper (1998: 125) als erstes Theoriekonzept zur Ergänzung der „reinen RC-Erklärung“ benannt wird, ist ein
3.2 Komplexe Modellierungen zur Erklärung von Kooperation
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Ansatz, der dem RC-Ansatz nahe steht (vgl. auch Heath 1976; Goyder 1987) und bereits von Dillman (1978) zur Erklärung der Teilnahme an schriftlichen Befragungen herangezogen wurde. Dabei wird angenommen, dass soziales Handeln – ähnlich wie das „Markthandeln“ – grundsätzlich ein Austausch von Gütern ist. Diese Güter beim sozialen Handeln können jedoch – im Gegensatz zum marktorientierten Handeln – sowohl materiell als auch immateriell sein. Eine weitere Grundannahme des Konzepts der Austauschtheorie ist, dass die Handlungsentscheidung des Individuums in ein soziales Umfeld eingebettet ist und damit Normen, insbesondere Normen der Reziprozität, wirken (vgl. Goyder 1987: 163).70 Die soziale Austauschtheorie integriert damit explizit Merkmale auf der Einstellungsebene in die Kosten-Nutzen-Abwägung zur Erklärung einer Handlungsentscheidung: Wenn der Austausch zwischen Individuen nicht rein ökonomischen Prinzipien unterliegt, können auch längerfristige soziale Normen und Werte, wie Vertrauen und Gerechtigkeit zwischen den interagierenden Personen zur Erklärung von Verhalten beitragen (vgl. allgemein zur Austauschtheorie Blau 1964; Homanns 1961; konkret auf die Interviewsituation bezogen Groves/Couper 1998; Dillman 1978; Dillman et al. 2002). So resultieren aus eigenen Erfahrungen oder aus Erfahrungen von Personen, die man als sich selbst ähnlich wahrnimmt, Erwartungen oder Verpflichtungen und damit stärker emotionale Kosten-Nutzen-Abwägungen:71 „All social ‚commodities‘ (ranging from measurable entities, such as time and information, to less tangible socio-emotional goods, such as approval) are part of an intuitive bookkeeping system in which debts […] and credits […] are documented” (Groves/Couper 1998: 126).72 Damit wird berücksichtigt, dass eine Interaktion demnach nicht immer wieder neu am Nullpunkt startet, sondern in einem Geflecht von Erwartungen stattfindet. Ein zentrales Argument im Rahmen der Austauschtheorie ist die sozialpsychologische Vorstellung einer Reziprozitätsnorm, deren Annahme ist, dass eine Person eher positiv reagiert, wenn ihr zuvor positives Verhalten entgegengebracht wurde (vgl. Cialdini et al. 1975; Groves et al. 1992: 480; Regan 1971; siehe auch Stegbauer 2002). Für Umfragen, die meist stellvertretend für bestimmte gesellschaftliche Institutionen (Staat, Wissenschaft, etc.) durchgeführt werden, resultiert daraus, dass Zielpersonen, die diesen Institutionen insgesamt positiv gegenüberstehen oder sich aus früheren Kontakten verpflichtet fühlen, 70
In der Forschung ist umstritten, ob es sich dabei eher um ein ökonomisches Konzept, wie z.B. bei Blau (1964) dargestellt, handelt, oder ob der behavioristische Aspekt eher im Vordergrund steht, wie etwa bei Homans (1961) oder Schwartz (1977) formuliert (vgl. Goyder 1987: 166). Dabei ist die zentrale Frage, wie bewusst bzw. rational die Entscheidung zu Kooperation oder Verweigerung abläuft. 71 Dillman (1978) konstatiert in diesem Zusammenhang für die Beziehung zwischen Zielperson und Studienleitung, dass eine gesellschaftlich universell gültige Reziprozitätsnorm greifen kann („Hilf demjenigen, der Dir hilft“), wenn beispielsweise kleine symbolische Geschenke als Vorableistung eingesetzt werden und auf diese Weise Vertrauen gegenüber der sozialen Austauschbeziehung generiert wird (vgl. auch Gouldner 1960). Goyder (1987) fasst die Idee des sozialen Austauschs weiter und argumentiert, dass diese Beziehung auch zwischen einem Individuum und der Gesellschaft wirken kann. 72 Das Problem dieser theoretischen Konzeption und ihrer Anwendung auf die Situation der Anfrage eines Interviews ist, dass sie diffus und unspezifisch ist und dass die daraus abgeleiteten Hypothesen nur schwer zu falsifizieren sind (vgl. Groves/Couper 1998: 127).
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3 Der Forschungsstand
etwas zurückzugeben, mit einer höheren Wahrscheinlichkeit kooperieren (vgl. Groves et al. 1992: 481). Hierbei handelt es sich um eine Form „altruistischer“ Anreize, die jedoch nicht völlig selbstlos sind, sondern vielmehr den Nutzen eines positiven Gefühls für das Individuum mit sich bringen (vgl. Heberlein/ Baumgartner 1978: 461).73 Aus der sozialen Austauschtheorie lässt sich die soziale Isolationshypothese ableiten (vgl. Groves/Couper 1998: 131ff.; siehe ähnliche Konzepte auch bei Brehm 1993 mit der „social involvement hypothesis“ und bei Voogt 2004, Voogt/Saris 2003 mit den Konstrukten „social involvement“ und „attachment to society“ im weiteren Verlauf dieses Kapitels). Diese besagt, dass die Kooperationsbereitschaft eines Individuums mit zunehmender Integration in die Gesellschaft steigt und mit zunehmender sozialer Isolation sinkt. Sie bezieht sich damit nicht nur auf den Einfluss von Einstellungen gegenüber der konkreten Institution oder Person, die die Umfrage durchführt, sondern integriert die Position der Zielperson gegenüber der Gesamtgesellschaft. Dabei wird argumentiert, dass mit zunehmendem Grad sozialer Isolation bei den Individuen ein Gefühl der Entfremdung von der Gesellschaft entsteht. Die Zielperson nimmt sich selbst als außerhalb der Gesellschaft stehend und wenig einflussreich wahr. Für diese entfremdeten Zielpersonen hat die Teilnahme an einer Umfrage, deren Ergebnisse der Gesellschaft zugutekommen, keinen Nutzen. Dahinter liegt die Annahme, dass durch sozialen Austausch langfristig universell geteilte Normen in einer Gesellschaft entstehen, wie z.B. das Gefühl der Bürgerpflicht („Civic Duty“). Diese führt dazu, dass sich integrierte Menschen zu sozialer Beteiligung verpflichtet fühlen. Die Teilnahme an einer Befragung wird als sozialer Event angesehen, weil gesellschaftliche Fragen und Phänomene thematisiert werden und die Erkenntnisse aus den Umfragestudien wieder der Gesamtgesellschaft zur Verfügung stehen (vgl. Dillman 1978; Gallup 1944; Goyder 1987: 161; Groves et al. 2000: 302f.). Diejenigen, die sozial isoliert sind, fühlen sich nicht in dem Maße an diese gesellschaftlichen Partizipationsnormen gebunden. Entfremdung aufgrund von sozialer Isolation kann sich sowohl in Form eines Gefühls der eigenen Machtlosigkeit als auch in fehlendem Vertrauen in die Responsivität des Systems äußern. Aus beiden Gründen könnte man annehmen, dass die Teilnahme von entfremdeten Personen eher verweigert wird als bei sozial eingebundenen Zielpersonen (vgl. Groves/Couper 1998). Im ersten Fall gehen die Zielpersonen davon aus, dass ihre eigene Meinung sowieso nichts verändert, im zweiten Fall, dass Umfragen bzw. die daraus gewonnenen Informationen keine relevante Rolle im System haben. Beide Determinanten erinnern an relevante Kon73 Das aus der sozialen Austauschtheorie abgeleitete „intuitive bookkeeping system [...]“ (Groves/Couper 1998: 126) bezieht sich sowohl auf spezifische Einstellungen, die mit in die konkrete Kosten-Nutzen-Abwägung eingehen, als auch auf die Herausbildung generalisierter Einstellungen. Diese können dann in der konkreten Situation einer Interviewanfrage das automatisch-spontane Prozessieren einer Zielperson dominieren. Wie bereits kritisiert, fehlt bei Groves/Couper jedoch die Integration spezifischer Einstellungen in beide Entscheidungsmodi.
3.2 Komplexe Modellierungen zur Erklärung von Kooperation
73
zepte, die in der politischen Partizipationsforschung diskutiert werden: die interne und externe politische Efficacy (siehe Kap. 4). Die Annahme, dass sich die Einbindung in die Gesellschaft positiv auf die Kooperationsbereitschaft auswirkt, formulierte Esser bereits Anfang der 1970er Jahre: „Die Involviertheit in die soziale Umwelt scheint somit eine der grundlegendsten Voraussetzungen zur Teilnahme an sozialwissenschaftlichen Interviews zu sein“ (Esser 1973: 121).74 Neben sozialen Normen und gesellschaftlicher Isolation nennen Groves und Couper auch Einstellungen gegenüber Autoritäten und die wahrgenommene Legitimität einer Umfrage als Faktoren, die zur Erklärung von Kooperation und Verweigerung beitragen können (vgl. Groves et al. 1992; Groves/Couper 1998: 141ff.; Morton-Williams/Young 1987). Den Anfragen von Autoritäten kommt man demzufolge eher nach als Anfragen von unbekannten Personen oder Institutionen, die nicht als Autorität wahrgenommen werden. Daraus ergibt sich, dass Zielpersonen wahrscheinlicher an einer Befragung teilnehmen, wenn sie die Studie als legitime Anfrage einer Autorität (etwa des Staates oder einer Universität) wahrnehmen. Was jedoch als „Autorität“ angesehen wird, kann sich von Individuum zu Individuum unterscheiden und ist abhängig von der jeweiligen Einstellung gegenüber den einzelnen Institutionen. Dieser Ansatz kann beispielsweise den empirisch auftretenden Einfluss der Nennung verschiedener Sponsorentypen auf die Kooperationsbereitschaft erklären. Studien mit universitärem und/oder staatlichem Hintergrund zeigen dabei höhere Ausschöpfungen als Studien aus dem kommerziellen Marktforschungsbereich (vgl. Blumberg et al. 1974; Fox et al. 1988; Goyder 1985a: 247; Heberlein/Baumgartner 1978; Orr 1976; Presser et al. 1992; siehe aber auch die Metaanalysen von Yammarino et al. 1991; Engel/Schnabel 2004).75 Die Wirkung der Wahrnehmung von Autoritäten ist jedoch kein neuer Aspekt, sondern ist bereits im Rahmen der Austauschtheorie enthalten. Auch dort wird argumen-
74 Aus diesem theoretischen Argument, das einen Zusammenhang zwischen der sozialen Einbindung in die Gesellschaft und der Entscheidung zu kooperieren postuliert, lassen sich empirisch Hypothesen über den Zusammenhang zwischen dem Alter, der Wohnortgröße oder dem sozioökonomischen Status und der Kooperationsbereitschaft ableiten. Ältere Menschen sind oft weniger in die Gesellschaft involviert als jüngere Personen. Diesen Effekt bezeichnet Goyder (1987) als „disengagement“, Groves/Couper (1998) fassen ihn unter den Begriffen „soziale Isolation“ oder „Desintegration“ dieser Gesellschaftsteile zusammen. Dies erklärt den Befund, dass ältere Menschen eher verweigern, weil sie häufiger am Rand der Gesellschaft stehen (vgl. Allehoff 1980: 27; Esser 1973: 120; Goyder 1987; Groves/Couper 1998: 131). Das Argument könnte in ähnlichem Maß auf Menschen in prekären Lebensverhältnissen und damit auf den sozioökonomischen Status als Einflussfaktor zutreffen. Dazu gehören Langzeitarbeitslose bzw. Arbeiter im Niedriglohnsektor, einkommensschwache Selbstständige und Angestellte, Praktikanten, Alleinerziehende oder Kranke. Auch für diese Gruppe kann man annehmen, dass sie weniger in die Gesellschaft eingebunden sind. Allerdings lässt sich dieser Zusammenhang in bisherigen Studien empirisch nicht zeigen. Schließlich lässt sich auch der Zusammenhang zwischen der Wohnortgröße und der Kooperationsbereitschaft auf die soziale Einbindung einer Person zurückführen: In Städten ist der Grad sozialer Desorganisation aufgrund einer höheren Bevölkerungsdichte größer, was sich auf die Einstellung der Bürger gegenüber HilfeAnfragen auswirken kann (vgl. Couper/Groves 1994, 1996; House/Wolf 1978). 75 Hierbei sind auch Wechselwirkungen möglich, etwa zwischen sozialer Integration und der Wahrnehmung von Autoritäten. Man könnte annehmen, dass diejenigen, die sozial isoliert leben, weniger legitime soziale und politische Autoritäten wahrnehmen werden, da sie weniger in gesellschaftliche Auswahlprozesse involviert sind.
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3 Der Forschungsstand
tiert, dass die Autoritäten positiv auf die Kooperationsbereitschaft wirken, wenn positive Assoziationen, etwa aus früheren Erfahrungen, mit ihnen verbunden sind. Neben Austauschtheorie, Isolationsthese und Autoritäten-Ansatz werden bei Groves und Couper noch „weitere Einflüsse“ diskutiert, welche die Teilnahmeentscheidung auf der Individualebene beeinflussen. Hierbei nennen sie das Interesse am Thema und die individuelle Kriminalitätsfurcht (vgl. Groves/Couper 1998; Couper 1997). Die diskutierten Einflüsse müssen jedoch nicht, wie bei Groves/Couper, getrennt von den zuvor aufgezeigten Theorien diskutiert werden. Sie sind problemlos auf die Annahmen der sozialen Austauschtheorie und der daraus abgeleiteten sozialen Isolationsthese zurückzuführen.76 Sozial isolierte Menschen haben in der Regel weniger Interesse an ihrer Umwelt und damit auch an den Themen sozialwissenschaftlicher Befragungen. Gleichzeitig lässt sich vermuten, dass mit zunehmenden sozialen Kontakten auch die Kriminalitätsfurcht sinkt, da erlernt wird, dass Fremde nicht unbedingt Böses wollen (vgl. zur Kriminalitätsfurcht auch die bereits diskutierten Einflüsse auf der gesellschaftlichen Ebene, siehe Kap. 3.2.1.1).
3.2.2.2 Das Vier-Ebenen-Modell von Brehm Das von Groves und Couper im vorangegangenen Abschnitt vorgestellte Konzept nimmt Bezug auf eine Arbeit von Brehm (1993). In „The Phantom Respondents“ wird ein integratives Modell zur Erklärung der Kooperationsbereitschaft bei Umfragen entwickelt, das sowohl verschiedene Formen von Einstellungen in die Erklärung einbezieht als auch auf das grundlegende Prinzip einer Kosten-NutzenAbwägung rekurriert. Dabei werden vier Einstellungsebenen genannt, welche die Entscheidung zu Kooperation oder Verweigerung beeinflussen können: die Einstellung gegenüber Fremden im Allgemeinen, gegenüber dem Interviewer, gegenüber der Umfrage (und Umfragen im Allgemeinen) sowie die Einstellung gegenüber sich selbst (vgl. für die folgenden Ausführungen Brehm 1993: 50ff.). Als erstes nennt Brehm die Einstellung gegenüber Fremden im Allgemeinen („suspiciousness“, Brehm 1993: 52) als Einflussfaktor auf die Kooperationsbereitschaft. Wenn man Angst vor Fremden hat, ist die Teilnahme an einer persönlich-mündlichen Befragung unwahrscheinlicher als wenn man Spaß daran hat, Fremde zu treffen, mit ihnen zu kommunizieren und Meinungen auszutauschen. In diesen Bereich fällt auch die hohe Kriminalitätsfurcht einer Zielperson, die sich aus der Einstellung gegenüber Fremden ergibt. Auch wenn man andere Menschen als Eindringlinge in die eigene Privatsphäre empfindet, ist eine Kooperation eher un76
Vielleicht diskutieren Groves und Couper diese Einflüsse getrennt von den anderen Erweiterungen als viertes Determinantenbündel, weil sie erkennen, dass es sich bei diesen so genannten „weiteren Einstellungen“ um einen anderen Typ von Einstellungen handelt. Gerade das Interesse am Thema ist eine situative spezifische Einstellung, im Gegensatz zu den bis dahin diskutierten generalisierten Einstellungen.
3.2 Komplexe Modellierungen zur Erklärung von Kooperation
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wahrscheinlich (vgl. eine ähnliche Argumentation bei Goyder 1986; Hartmann et al. 1968; Stocké/Langfeldt 2003: 58).77 Zweitens beeinflusst die Einstellung der Zielperson gegenüber dem konkreten Interviewer die Kooperationsbereitschaft. Wenn die Zielperson dem Interviewer vertraut und man sich sympathisch ist, steigt die Wahrscheinlichkeit zur Teilnahme an der Umfrage, weil sich ein positives Gefühl für den Befragten ergibt, wenn er jemandem, der ihm sympathisch ist, eine Anfrage positiv beantworten kann. Brehm argumentiert, dass in diesen ersten beiden Bereichen – der Einstellung gegenüber Fremden im Allgemeinen und dem Interviewer im Speziellen – „reine RC-Erklärungen“ (Brehm 1993: 68), wie er sie nennt, nur bedingt Plausibilität für sich beanspruchen können und eher „Bauchentscheidungen“ getroffen werden (vgl. Brehm 1993: 68f.). Allerdings muss man hierbei, unter Verwendung des weiter gefassten SEU-Verständnisses von Esser, den RC-Ansatz und die Annahme einer rationalen Entscheidung des Individuums zunächst nicht verlassen. Die Sympathie gegenüber dem Interviewer führt dazu, dass die Teilnahme für die Zielperson mit einem Nutzen verbunden ist: Man kann einem sympathischen Menschen eine Bitte erfüllen, woraus ein gutes Gefühl bzw. eine positive Emotion resultiert. Ebenso lässt sich aus der Einstellung gegenüber Fremden ein Kostenfaktor ableiten. So kann die Anfrage, ob (in der eigenen Wohnung) ein Interview geführt werden kann, bei ängstlichen Menschen psychische Kosten in Form von Angst, Misstrauen oder Unsicherheit hervorbringen. Neben der Einstellung zu Fremden und zu Interviewern sind auch positive Zusammenhänge zwischen der Einstellung gegenüber Umfragen im Allgemeinen bzw. der bestimmten Umfrage im Speziellen und der Kooperationsbereitschaft zu erwarten (vgl. Brehm 1993: 59f.). Dabei sind wiederum verschiedene Einstellungsformen bedeutsam, sowohl langfristige Einstellungen aufgrund von Erfahrungen mit früheren Befragungen als auch spezifische Einstellungen, die auf die konkrete Situation der Umfrage bezogen sind. Wenn Umfragen generell als etwas Relevantes und Interessantes wahrgenommen werden und der Nutzen von Umfragen für die Gesellschaft, die Wissenschaft und letztlich für die Zielperson selbst hoch ist, wird angenommen, dass das Individuum kooperiert (vgl. auch Biemer/Lyberg 2003: 108; Bradburn 1978; Stocké/Langfeldt 2003). Bereits Goyder (1987: 161) weist darauf hin, dass stärker generalisierte Einstellungen, wie der Schutz der eigenen Privatsphäre oder eine Begeisterung für die Umfrageforschung, Faktoren sind, die die Kooperationsentscheidung beeinflussen können. Bei der Einstellung gegenüber einer konkreten Umfrage wird angenommen, dass einerseits selektive ergebnisorientierte Erwägungen, andererseits aber auch generellere Entscheidungsmuster zur Erklärung des Verhaltens beitragen können. Brehm argumentiert, dass die – in seinem Sprachge77 Über diese Annahme einer Unsicherheit gegenüber Fremden wird in der Forschung oftmals die empirisch auftretende Unterrepräsentation von Frauen und Älteren erklärt (vgl. Schräpler 2000: 119; siehe auch Koch 1997; Morton-Williams 1993).
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3 Der Forschungsstand
brauch „rationalen“ – selektiven ergebnisorientierten Kosten-Nutzen-Argumente wirken können, wenn die Zielperson motiviert und interessiert ist. „Sozialpsychologische Reize“ wirken hingegen stärker, wenn die Zielpersonen vom Thema der Anfrage nur wenig persönlich betroffen sind (vgl. Brehm 1993: 69). Brehms Herangehensweise lässt sich grundsätzlich in Form einer RCModellierung umsetzen, ohne dass man – wie er – zwischen RC und sozialpsychologischen Modellen trennen muss. Dabei wird nicht davon ausgegangen, dass es sich um zwei unterschiedliche Theorieblöcke handelt, sondern ein weiter Nutzenbegriff verwendet. Zudem lassen sich seine Annahmen in ein Modell mit der Unterscheidung verschiedener Entscheidungsmodi einfügen, wie bereits bei Groves und Couper ausgeführt (siehe ausführlicher Kap. 4). Auf diese Weise lassen sich sowohl generalisierte als auch spezifische Einstellungen in die Erklärung des Kooperationsverhaltens integrieren. Damit wird angenommen, dass es durchaus „rational“ ist, in bestimmten Situationen automatisch-spontan und stärker von generalisierten Einstellungen geleitet zu handeln, weil dadurch etwa Informationskosten reduziert werden (vgl. Esser 1996, 2001). Gleichzeitig können spezifischere Einstellungen auch in eine reflektierte Kosten-Nutzen-Entscheidung eingehen. Die Entscheidung, in welchem Modus gehandelt wird, ist – zumindest nach Esser – wiederum eine Entscheidung, die in rationaler Art und Weise gefällt wird: Weil automatisch-spontanes Handeln nach generalisierten Einstellungen die Handlungsentscheidungen vereinfacht, handelt man nach ihnen, solange man annimmt, dass es effizient und passend ist. Relevant ist hierbei auch die Unterscheidung in Hochund Niedrigkostensituationen, die es ermöglicht anzugeben, wann welcher Entscheidungsmodus dominiert. In ersteren sind die Zielpersonen motiviert, stärker rational-überlegt zu entscheiden, in den letztgenannten werden Entscheidungen eher automatisch-spontan gefällt (vgl. zu dieser Unterscheidung die Arbeiten von Kliemt 1986; Mensch 2000; Quandt/Ohr 2004). Schließlich beeinflusst das Bild, das eine Zielperson von sich selbst hat, als vierte Einstellungsebene in Brehms Modell die Teilnahmebereitschaft. Die Zielperson muss annehmen, kompetent zu sein und daher auch teilnehmen zu können. Sie muss das Gefühl haben, mit ihrer Teilnahme etwas bewegen zu können. Gleichzeitig muss sie dem Interviewer gegenüber auch kooperativ sein wollen und sich selbst als jemanden wahrnehmen, der gerne hilfsbereit ist (vgl. Brehm 1993: 51, 64). Brehm entwickelt damit ein Erklärungsmodell für die Teilnahme an politischen Umfragen, das Einstellungen auf vier Ebenen mit in die individuelle KostenNutzen-Abwägung einbezieht. Er unterscheidet nicht eindeutig zwischen generalisierten und spezifischen Einstellungen, jedoch sind beide in seinen Ausführungen angelegt. Ähnlich verhält es sich mit den verschiedenen Entscheidungsmodi: Auch darauf bezieht sich Brehm nicht explizit, deutet aber stärker automatisch-spontanes Prozessieren bei uninteressierten und wenig betroffenen Zielpersonen an.
3.2 Komplexe Modellierungen zur Erklärung von Kooperation
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Ein weiteres Element der Brehm’schen Studie ist für die vorliegende Arbeit relevant: Die empirische Überprüfung des theoretischen Modells zeigt, dass das Selbstbild und die Einstellung gegenüber der konkreten Anfrage nicht nur auf die Umfrageteilnahme, sondern in ähnlicher Form auf politische Partizipation im Allgemeinen wirken (vgl. Brehm 1993: 69f.). Zentrale Determinanten für beide Formen der Teilhabe sind demnach politisches Interesse und politische Informiertheit. Sie tragen einerseits dazu bei, dass sich eine Person an einer Befragung beteiligt, andererseits bewirken sie, dass sich Bürger politisch und gesellschaftlich engagieren. Brehm schlussfolgert daher, dass diejenigen, die weniger an Politik interessiert sind, in den Umfragen ebenso unterrepräsentiert sind wie diejenigen, die weniger informiert sind. Beide Effekte lassen sich, so Brehm, auf individuelle KostenNutzen-Abwägungen hinsichtlich der Einstellung gegenüber der konkreten Umfrage zurückführen, da die kognitiven Kosten, an einer politischen Umfrage teilzunehmen, höher sind, weil man sich für das Thema nicht interessiert. Gleichzeitig besteht die Gefahr, vor dem Interviewer und sich selbst schlecht auszusehen, wenn man wenig informiert ist und Angst haben muss, die gestellten Fragen nicht oder falsch zu beantworten (vgl. Brehm 1993: 61, 159). Damit deutet Brehm als einer der ersten Autoren nicht nur Effekte im Sinne des Survey Variable Cause-Modells an, sondern weist auch auf Effekte im Sinne des Common Cause-Modells hin (wie in der Einleitung beschrieben, siehe Abb. 2, S. 29).
3.2.2.3 „Social involvement” und „Attachment to society” bei Voogt In Anlehnung an die Modelle von Brehm und Groves/Couper entwickelte auch der niederländische Forscher Voogt (2004, siehe auch Voogt/Saris 2003) ein Modell zur Erklärung der Teilnahme an Umfragen. Zwei Aspekte sind in diesen Arbeiten interessant: Erstens greift er den Zusammenhang zwischen Nonresponse bei politischen Umfragen, dem politischen Interesse und dem Wahlverhalten auf. Damit nimmt er eine explizit politikwissenschaftliche Perspektive ein und bezieht auch andere politikwissenschaftliche Konzepte, wie bspw. die beiden Konstrukte der internen und externen politischen Efficacy (vgl. Voogt 2004: 44) zur Erklärung des Phänomens der Teilnahmeverweigerung ein. Zweitens ist der regionale Kontext seiner empirischen Studie interessant, da Voogt nicht aus dem angelsächsischen Raum, sondern aus den Niederlanden stammt. Voogts Interesse ist es, gemeinsame Hintergrundvariablen zur Erklärung der Wahlteilnahme, einer Teilnahme an Umfragen und dem politischen Interesse zu finden (vgl. Voogt/Saris 2003).78 Ausgangspunkt seiner theoretischen Argumenta-
78 Problematisch ist die fehlende Verknüpfung der endogenen Variablen untereinander. Voogts Argumentation läuft darauf hinaus, dass politisches Interesse, Wahlbeteiligung und Umfragebeteiligung ähnliche Determinanten haben. Direkte Effekte zwischen politischem Interesse und den beiden Partizipationsvariablen werden jedoch
78
3 Der Forschungsstand
tion ist, ähnlich wie bei den Studien von Brehm (1993) bzw. Groves/Couper (1998), die soziale Isolations- bzw. (positiv formuliert) Integrationsthese und die damit verbundene Annahme, dass mit steigender sozialer Einbindung auch die Kooperationswahrscheinlichkeit steigt. Voogt unterscheidet zwei Dimensionen sozialer Einbindung: Die erste Dimension beinhaltet die Einstellung gegenüber der eigenen aktiven Teilhabe in der Gesellschaft („social involvement“). Dabei handelt es sich um die Einstellung gegenüber einem konkreten Verhalten. Daneben diskutiert Voogt mit der emotionalen Bindung an die Gesellschaft eine zweite Dimension, die sich lediglich auf das Teilen von Normen und Pflichten bezieht („attachment to society“). Eine positive Einstellung gegenüber bestimmten gesellschaftlichen Normen und Pflichten, die mit einer starken Bindung an die Gesellschaft einhergeht, ist jedoch nach Voogt keine hinreichende Bedingung dafür, dass Menschen auch tatsächlich aktiv an der Gesellschaft teilhaben. Sie könnten sogar annehmen, dass andere als sie selbst geeigneter seien, eine aktive Rolle zu erfüllen und sich aus diesem Grund passiv verhalten (vgl. Voogt 2004: 113f.). Damit ist implizit das Konzept des wahrgenommenen Selbstbilds („internal efficacy“) im Modell integriert, obgleich es nicht explizit im Kausalmodell mitmodelliert wird. Menschen, die glauben, soziale Teilhabe an sich sei eine wichtige Norm, aber daraus keine eigene Aktivitätsintention ableiten, haben nach Voogt ein hohes „attachment to society“, aber nur ein geringes „social involvement“. Voogt geht an dieser Stelle sogar einen Schritt weiter und postuliert theoretisch einen negativen Zusammenhang zwischen den beiden Konstrukten „social involvement“ und „attachment to society“. Dieses Argument erscheint jedoch nicht wirklich plausibel. Man kann zwar argumentieren, dass eine normative Bindung, d.h. das „attachment to society“, keine hinreichende Bedingung für gesellschaftliche Aktivität ist, allerdings ist ein negativer Zusammenhang nur schwer nachvollziehbar. Durch die Verwendung des mehrdimensionalen Einstellungsbegriffs in Kombination mit widersprüchlichen empirischen Ergebnissen ist die Studie an dieser Stelle wenig überzeugend. Ein positiver Zusammenhang zwischen den beiden Konstrukten wäre theoretisch ebenso plausibel abzuleiten. Personen, die bestimmte gesellschaftliche Normen kennen und mit ihnen sozialisiert sind, könnten (und sollten) auch eingebundener in die Gesellschaft sein und daher die Absicht haben, aktiv zu partizipieren. Das Konstrukt des „attachment to society“ erscheint bei Voogt daher mehr als eine Art Hilfskonstruktion, um divergierende empirische Befunde, insbesondere im Hinblick auf das Alter als Hintergrundvariable, zu erklären. Die Richtung des Zusammenhangs ist vor diesem Hintergrund mehr das Ergebnis der empirischen Berechnungen – und damit a posteriori – als theoretisch und somit a priori begründet (vgl. dazu Voogt 2004: 129). Auch bei der Operationalisierung und der Überprüfung der Hypothesen sind nicht alle Schritte in der Studie von Voogt unmittelbar plausibel. Die beiden zentausgeklammert und damit auch nicht überprüft. Die endogenen Variablen politisches Interesse, Umfrage- und Wahlteilnahme werden als unabhängig voneinander dargestellt.
3.2 Komplexe Modellierungen zur Erklärung von Kooperation
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ralen Konstrukte „attachment to society“ und „social involvement“ werden jeweils nur über soziodemographische Indikatoren gemessen. Die meisten der untersuchten Merkmale (Alter, Ethnie, Bildung, Einkommen und die Haushaltszusammensetzung) fließen dabei jedoch gleichzeitig in beide Konstrukte ein (vgl. Voogt/Saris 2003: 167; Voogt 2004: 115). Damit ist die Operationalisierung nicht trennscharf. Das eigentliche theoretische Argument bei Voogt, dass sich politische Einstellungen (wie z.B. Informiertheit) und politisches Verhalten (wie die Einbindung in Netzwerke) über die beiden zentralen Konstrukte „attachment to society“ und „social involvement“ positiv auf die Teilnahmebereitschaft auswirken (vgl. Voogt 2004: 107; ähnliche Argumente bei Wolfinger/Rosenstone 1980; Eveland/ Scheufele 2000; Straits 1991), wird im Rahmen der empirischen Überprüfung des Modells nur unzureichend abgebildet. Letztlich bleibt es damit bei einer Form der „Variablensoziologie“ (Esser 1999: 402), bei der versucht wird, die passende Kombination verschiedener soziodemographischer Merkmale zu finden, um einen großen Teil der empirisch auftretenden Varianz zu erklären. Dazu passt auch die Anpassung und Veränderung des theoretischen Modells im Verlauf der empirischen Analyse. Letztlich ergibt diese, dass „social involvement“ sowohl die Wahlbeteiligung als auch das politische Interesse und die Teilnahmebereitschaft an Umfragen beeinflusst (vgl. Voogt 2004: 129).79 Das Innovative an der Studie von Voogt ist, dass er gemeinsame Determinanten für die Teilnahme an Wahlen und Umfragen annimmt. Er zeigt, dass für die politikwissenschaftliche Forschung systematische Verzerrungen aufgrund von Nonresponse insbesondere im Sinne des Common Cause-Modells (vgl. Abb. 2, Kap. 1.3) zu erwarten sind, da ähnliche Determinanten auf die Wahlbeteiligung und politisches Interesse sowie die Teilnahme an Umfragen wirken.80
3.2.2.4 Die handlungstheoretische Fundierung des Teilnahmeverhaltens bei Schnell Ein Blick auf die deutsche sozialwissenschaftliche Forschung zeigt zunächst nur vereinzelte Erkenntnisse über diejenigen, die nicht an Umfragen teilnehmen. Leverkus-Brüning machte zwar bereits 1966 auf das Problem der „Meinungslosen“ (Leverkus-Brüning 1966) in Umfragen aufmerksam, bezog sich darin aber noch nicht explizit auf Nicht-Teilnehmer, sondern hatte eher die Konsequenzen von Item-Nonresponse im Blick. Aus theoretischer Perspektive beschäftigte sich anschließend vor allem die soziologische Forschung mit der Erklärung des 79 Für „attachment to society“ ergeben sich lediglich positive Effekte auf die Wahlteilnahme, die Kooperationsbereitschaft wird dadurch nicht beeinflusst. Zwischen beiden zentralen Konstrukten ergibt sich der von Voogt postulierte, obgleich theoretisch nicht hinreichend erklärbare, negative Zusammenhang (vgl. Voogt 2004: 129). 80 Auch wenn man kritisieren kann, dass er dabei eine theoretisch konsistente Erklärung zugunsten einer hohen empirischen Erklärungskraft seines Gesamtmodells aus dem Blick verliert.
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3 Der Forschungsstand
Befragtenverhaltens (vgl. Esser 1973, 1975, 1985). Aufgrund fehlender Primärdaten wurden die theoretischen Annahmen jedoch nicht oder nur in Ansätzen empirisch überprüft. Schnell legte schließlich 1997 eine erste umfassende Studie zu „Nonresponse in Bevölkerungsumfragen“ vor. Neben einer Analyse der Ausschöpfungsraten in Befragungen aus dem Bereich der deutschen Sozialwissenschaft im Zeitverlauf widmet sich Schnell auch aus theoretischer Perspektive dem Teilnahmeverhalten. In Anlehnung an die Überlegungen von Esser zur SEU-Theorie entwickelt er ein handlungstheoretisches Modell zur Erklärung des Teilnahmeverhaltens auf der Individualebene (vgl. Schnell 1997: 157ff.). Die Grundannahme dabei ist, dass das Befragtenverhalten das Ergebnis einer subjektiven Kosten-Nutzen-Abwägung zwischen „subjektiv vorstellbare[n] Handlungsalternativen“ (Schnell 1997: 158) ist. In seinen konkretisierenden Ausführungen weist Schnell sowohl auf die Relevanz von Ressourcen als „unüberschreitbare Grenzen“ (Schnell 1997: 160) als auch auf die Relevanz von „bewährten Strategien“ (Schnell 1997: 160) hin, die in typisierten Situationen Anwendung finden. Damit werden zwei relevante Aspekte modelliert: Zum einen der subjektive Einfluss von Ressourcen auf die Teilnahmebereitschaft: Ein Verhalten ist demnach nur dann möglich, wenn es auch ausgeführt werden kann, d.h. wenn die Ressourcen gegeben sind. Zum anderen beinhalten die theoretischen Ausführungen von Schnell die Existenz eines Kontinuums zwischen den Polen zweier Entscheidungsmodi. Eine „vollständige Optiminierung“, d.h. eine rein rational-überlegte Entscheidung trifft der Akteur nur dann, „wenn er mit Situationen konfrontiert wird, in denen die habitualisierten Strategien nicht den gewohnten Erfolg zeigen“ (Schnell 1997: 161). In Bezug auf die Überlegungen von Groves et al. (1992) und Cialdini (1987) führt Schnell aus, dass in Low-Cost-Situationen, die für den Akteur nicht sonderlich relevant sind, stärker generelle Normen wie z.B. Reziprozität oder die Reaktion auf Autoritäten wirken (siehe zu Low-Cost-Situationen auch Kap. 4.2). Schnell bettet die Entscheidung zu Kooperation oder Verweigerung damit in die SEU-Theorie ein. Allerdings nimmt er als Soziologe (meist) keine politikwissenschaftliche Perspektive ein und bezieht sich auf Umfragen im Allgemeinen und nicht politische Umfragen im Speziellen, weshalb der Fokus auf den für die Soziologie relevanteren Merkmalen liegt. Daher kommt er auch zu dem Schluss, dass „der größte Teil der Verweigerungen auf vorübergehende situationale Einflüsse zurück [geht]“ (Schnell 1997: 214). Wenn man sich auf Umfragen im Allgemeinen bezieht, ist dieser Schluss korrekt. Fokussiert man jedoch einen bestimmten Typ Umfragen, z.B. diejenigen zu politischen Themen, sind die so genannten situationalen Einflüsse, wie das Interesse oder die Einstellung gegenüber dem Thema, wiederum substanzielle und stabile Verzerrungen: Diejenigen Zielpersonen, die negative politische Einstellungen haben, würden in diesem Fall nie an einer politischen Umfrage teilnehmen, auch wenn sie sich beispielsweise über die Nutzung eines Waschmittels bereitwillig befragen lassen würden. Das theoretische
3.3 Zwischenfazit
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Konzept von Schnell kann daher als Rahmen dienen, um die Teilnahme an politikwissenschaftlichen Befragungen zu modellieren. Gleichzeitig zeigt es, wie wichtig spezifische, auf den konkreten Untersuchungsgegenstand bezogene Modelle der Teilnahmeentscheidung sind: „Die Mechanismen, die einer Verweigerung [...] zugrunde liegen, [müssen] expliziert werden. [...]. Diese Beurteilung muß für jeden Survey abhängig von seinem Thema, seinem Design und den Details der Feldprozeduren jeweils neu durchgeführt werden“ (Schnell 1997: 216). Neuere Studien, z.B. von Stocké/Stark (2005) oder Stöss (2009: 47ff.), analysieren das Problem fehlender Antworten in Bezug auf verschiedene politikwissenschaftliche Merkmale, wie beispielsweise rechtsextremistische Einstellungen. Dabei werden Einzelhypothesen aufgeworfen, etwa dass eine Antwortverweigerung bei Personen mit rechtsextremen Einstellungen wahrscheinlich ist, da diese ihre Privatsphäre schützen wollen. Es wird argumentiert, dass sie eine Antwort vermeiden, weil sie annehmen, sie sei sozial nicht erwünscht (vgl. Stöss 2009: 47). Zudem, so argumentiert Stöss, könnten der Beantwortung der Fragen und den rechtsextremen Einstellungen gleiche Hintergrundvariablen zugrundeliegen, wie ein geringes Bildungsniveau oder auch der Grad der Systemloyalität (vgl. Stöss 2009: 48). Ähnliche Argumente findet man auch bei Stocké und Stark (vgl. 2005: 3). Der Fokus dieser Studien liegt jedoch auf der Nicht-Beantwortung einzelner Fragen durch Personen, die grundsätzlich an einer Befragung teilnehmen. Die Untersuchungen konzentrieren sich damit auf das Problem des Item-Nonresponse. Die theoretischen Annahmen werden zudem nicht in einen größeren theoretischen Rahmen eingebettet.81
3.3 Zwischenfazit Es wurde gezeigt, dass der Forschungsstand zu den Determinanten von Nonresponse anfangs aus meist bivariaten Einzelerkenntnissen bestand. Explizite theoretische Fundierungen waren rar. Erst in den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden komplexere theoretische Modelle zur Erklärung der Kooperationsentscheidung, die auch empirisch überprüft wurden. Für die politische Wahl- und Einstellungsforschung sind dabei die Erklärungsmodelle von Verweigerungen bei politischen Umfragen besonders interessant, wovon einige in diesem Kapitel dargestellt wurden (vgl. insbesondere Brehm 1993; Voogt/Saris 2003; Voogt 2004).
81 Zwei weitere Studien von Bosnjak (2002) und Kaczmirek (2008) beschäftigen sich mit Nonresponse in Deutschland. Sie beziehen sich jedoch auf Online-Surveys. Bosnjak wählt in seiner Studie dabei eine theoriegeleitete Erklärung über die sozialpsychologische Theorie geplanten Verhaltens. Allerdings liegt bei ihm, wie auch in der Studie von Kaczmirek (2008), der inhaltliche Schwerpunkt auf der Wirkung der Umfrageeinstellungen und daraus resultierenden methodischen Fragen. Der Zusammenhang mit politikwissenschaftlich relevanten Konzepten wird in keiner der Studien aufgenommen.
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3 Der Forschungsstand
Potenzielle Einflussfaktoren auf die Entscheidung zu Kooperation oder Verweigerung bei politischen Umfragen liegen auf der Ebene der Gesellschaft, des Forschungsdesigns, des Interviewers oder der Zielperson selbst. Das Forschungsdesign und (obgleich begrenzt) der Interviewer-Einsatz sind – zumindest theoretisch – vom Forscher kontrollierbar; gesellschaftliche Faktoren wirken als Rahmen auf der Makroebene und damit nicht direkt, sondern indirekt über die Einstellungen und das Verhalten der Akteure (vgl. Groves/Couper 1998: 30). Man geht dabei nicht davon aus, dass die einzelnen Determinantenbündel unabhängig voneinander auf die Entscheidung zu Kooperation oder Verweigerung wirken, sondern dass sie sich gegenseitig beeinflussen (vgl. Groves/Couper 1998: 30ff.; Groves/Peytcheva 2008: 172f.). Forscher müssen sich zudem darauf einstellen, etwa unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen und Restriktionen (wie z.B. bestimmten Datenschutzgesetzen eines Landes) nur bestimmte Designelemente einsetzen zu können. Aus diesem Grund können sich auch in Gesellschaften mit verschiedenen politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen unterschiedliche Umfragekulturen entwickeln. Daher haben ähnliche Erklärungsmodelle je nach Kontext wechselnden Erfolg, woraus sich die Forderung nach situations- und kontextspezifischen Überprüfungen ergibt. Die Determinanten auf der Ebene der Zielperson haben eine besondere Relevanz. Sie sind nicht vom Forscher kontrollierbar und wirken zugleich direkt auf die individuelle Handlungsentscheidung zu Kooperation oder Verweigerung. Daraus können sich systematische Unterschiede zwischen Teilnehmern und NichtTeilnehmern ergeben, die zu Verzerrungen führen. Daher muss man auf dieser Ebene der Zielpersonen fragen, in welcher Form und warum diese Unterschiede auftreten. In der Forschungsliteratur ist zwar keine einheitliche Theorie der Erklärung der Teilnahmeentscheidung zu erkennen, man kann aber feststellen, dass allen theoretischen Modellen die Annahme einer Kosten-Nutzen-Abwägung der Zielperson gemeinsam ist (vgl. Schnell 1997: 157). Dillman (1978, 2000) gab der bis dahin stark empirisch ausgerichteten Forschung mit seinen Überlegungen zur sozialen Austauschtheorie eine theoretische Fundierung. Er erarbeitete die Idee einer handlungsleitenden Kosten-NutzenAbwägung, in die nicht nur rein ökonomische, sondern auch soziale Anreize eingehen (vgl. auch Goyder et al. 2006; Groves/Couper 1998). Dies ebnete den Weg hin zu Erklärungen, die auf einem weiten Verständnis von Rational Choice basieren. Daneben entwickelte sich ein Forschungsstrang zur Erklärung des Teilnahmeverhaltens, der die Teilnahme an Befragungen weniger als rationalen Prozess, sondern als Ergebnis einer rein heuristischen Entscheidung ansieht (vgl. Groves et al. 1992). Stoop (2005: 101) spricht in diesem Zusammenhang von „two conflicting nonresponse schools“, Goyder et al. (2006) zeigen allerdings, dass sich die Annahmen gegenseitig nicht ausschließen. Sie argumentieren, dass die soziale Austauschtheorie ein Kontinuum darstelle, „ranging from decisions based on habits and scripts right up to the deep weighting of every alternative“ (Goyder et al.
3.3 Zwischenfazit
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2006: 38). Ökonomische und sozialpsychologische Ansätze lassen sich unter dieser Prämisse in eine gemeinsame Modellvorstellung integrieren: Ein solches integriertes Modell basiert auf den Grundannahmen des weiten RC-Ansatzes, der annimmt, dass sowohl materielle Anreize als auch weichere Anreize wie spezifische Einstellungen in die Kosten-Nutzen-Abwägung eines Indivduums eingehen. Zusätzlich wird angenommen, dass Handlungsentscheidungen sowohl spontan und unter Rückgriff auf einfache Entscheidungsheuristiken als auch stärker rational reflektiert ablaufen können (=duales Prozessieren; vgl. Fazio 1986, 1990; Fazio/Towles-Schwen 1999; Fiske/Neuberg 1990; siehe auch Ajzen/Sexton 1999; Esser 1986a, 1991, 1993).82 Die Bilanzierung des Forschungsstands zeigt, dass – zwar zeitlich versetzt, aber dennoch vom Verlauf her ähnlich zur Entwicklung in den USA – das Problem der Nicht-Teilnehmer an Umfragen auch in der deutschen sozialwissenschaftlichen Forschung zunehmend stärker wahrgenommen wird (vgl. Schnell 1997; siehe auch die Metaanalyse von Engel/Schnabel 2004). Gleichzeitig wird die Beschäftigung mit dem Thema durch die vergleichende Politikwissenschaft angeregt, wenn bspw. große Umfragestudien wie der European Social Survey (ESS) parallel zueinander in verschiedenen Ländern durchgeführt werden und die Vergleichbarkeit der Ergebnisse maßgeblich von der Datenqualität abhängt (vgl. Blom 2008; Harkness et al. 2002; Mohler et al. 2003; Neller 2005; Smith 2007). Dennoch bestehen weiterhin Forschungslücken: Diese liegen im Besonderen in der Verknüpfung der allgemeinen Theorien zu Kooperation und Verweigerung mit Merkmalen aus dem Bereich der politischen Kulturforschung. Zudem fehlt bislang eine empirische Analyse der politikwissenschaftlich relevanten Merkmale der Nicht-Teilnehmer in Deutschland. Zum einen lassen sich damit Aussagen über den Prozess des Ausfalls gewinnen, zum anderen Konsequenzen für die empirische Politikforschung im Allgemeinen und das politische System und die politische Kultur der Bundesrepublik Deutschland ableiten.83 Daher muss der Ausfallprozess an sich zunächst in Bezug auf die für die empirische Politikforschung relevanten Variablen theoretisch modelliert werden. Anschließend sollen die theoretischen Annahmen empirisch auf der Basis einer großen sozialwissenschaftlichen Bevölkerungsbefragung überprüft werden. 82
Damit wird angenommen, dass es nicht die eine, in sich homogene Rational-Choice-Theorie gibt, sondern dass es sich um ein Forschungsprogramm im Sinne Lakatos‘ (1982) handelt, in dessen Rahmen unterschiedliche Theorievarianten existieren. Diese besitzen einen gemeinsamen Kern, in dem sie übereinstimmen und Zusatzannahmen, in denen sie variieren können. Ob die Annahmen zum dualen Prozessieren und die damit verbundene Annahme eines rein automatisch-spontanen Entscheidens noch mit den Kernannahmen des RC vereinbar sind, ist in der Forschung umstritten. In der hier vorliegenden Arbeit wird in Anlehnung an Esser (1990, 1996, 2001) argumentiert, dass auch das heuristische Handeln rational erklärbar und damit im Rahmen der RC-Theorie anzusiedeln ist, da es unaufwändig und in gewissen Situationen kostensparend und effizient ist. Rationalität bezieht sich damit lediglich auf die Art und Weise der Entscheidungsfindung (siehe dazu ausführlicher die Modellbildung in Kap. 4). 83 Gerade im Bereich der politischen Kulturforschung, die versucht Erkenntnisse über die Verteilung von Einstellungen und Handlungsintentionen der Bevölkerung zu gewinnen, bieten alternative Erhebungsmethoden, wie etwa Beobachtungen oder Inhaltsanalysen, keinen äquivalenten Ersatz zu Umfragedaten.
4 Die Teilnahme an politischen Umfragen: Ein handlungstheoretisch fundiertes Erklärungsmodell und seine Konsequenzen
In diesem Kapitel sollen nun noch einmal die zentralen Prämissen, die aus dem Forschungsstand abzuleiten sind und die Grundlage für das folgende Erklärungsmodell darstellen, ausgeführt werden (Kap. 4.1 bis 4.3). Danach wird im Sinne des Survey Variable Cause-Modells ein handlungstheoretisches Modell zur Erklärung der Kooperationsentscheidung aufgestellt, um Hinweise auf Unterschiede zwischen Kooperativen und Verweigerern zu erhalten (Kap. 4.4). Anschließend wird theoretisch abgeleitet, für welche anderen relevanten Konzepte aus dem Bereich der politischen Einstellungs- und Verhaltensforschung im Sinne des Common Cause-Modells ebenfalls Verzerrungen aufgrund von Teilnahmeverweigerungen zu erwarten sind (Kap. 4.5). Das Kapitel wird von einer Zusammenfassung des Theorieteils (Kap. 4.6) und einer Übersicht über die Hypothesen (Kap. 4.7) abgerundet, die anschließend im empirischen Teil der Arbeit überprüft werden sollen.
4.1 Handlungstheoretische Fundierung 4.1.1 Methodologischer Individualismus und Wert-Erwartungstheorie Die Erklärung von Kooperations- und Verweigerungsverhalten lässt sich zunächst auf die einfache Frage reduzieren, warum eine Zielperson auf eine gewisse Art und Weise handelt. Mit dieser Perspektive ist eine Fokussierung auf individuelle Handlungsmotive und Restriktionen verbunden. Damit ist die Fragestellung wissenschaftstheoretisch in den methodologischen Individualismus eingebettet, der soziale Phänomene auf das Handeln84 von Individuen zurückführt (vgl. Weber 1976; auch Druwe 1995; Esser 1999: 177ff.; Green/Shapiro 1994: 14ff.; Hennen/Springer 1996; Zintl 1997: 33ff.). Bei der Frage der Teilnahmebereitschaft an Interviews kann man den Handlungsbegriff sogar noch weiter spezifizieren und von sozialem Handeln sprechen, da nicht nur ein einzelnes Individuum, sondern mehrere Akteure 84
„Handeln“ wird dabei intentional definiert, d.h. es ist im Gegensatz zum allgemeineren Begriff des „Verhaltens“ aktiv motiviert und zielgerichtet. Allerdings werden beide Begriffe im weiteren Verlauf dieser Arbeit weitgehend synonym verwendet. Bei den hier untersuchten Gegenständen bezieht sich beides immer auf eine zielgerichtete Form individuellen Agierens.
H. Proner, Ist keine Antwort auch eine Antwort?, DOI 10.1007/978-3-531-92721-3_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
4.1 Handlungstheoretische Fundierung
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relevant sind (vgl. Weber 1976: 1). Eine zuvor ausgewählte Zielperson trifft ihre Entscheidung zu Kooperation oder Verweigerung in der Situation der Interviewanfrage nicht völlig isoliert. Der Interviewer als direktes Gegenüber oder der Forscher, der zuvor ein Anschreiben mit der Teilnahmeanfrage gesendet hat, sowie andere Menschen, wie etwa das soziale Umfeld, das Umfragen eventuell ablehnend gegenübersteht, können die Entscheidung beeinflussen (vgl. Cialdini et al. 1992, zitiert nach Hox et al. 1996).85 Die im vorigen Kapitel erläuterten Erklärungsmodelle kooperativen Verhaltens basieren alle auf ähnlichen Grundannahmen, obgleich sie nicht immer explizit ausgeführt werden. Dazu gehören neben dem methodologischen Individualismus die Annahmen, dass Individuen zielgerichtet handeln, dass sie Handlungsbeschränkungen unterliegen und dass sie innerhalb der gegebenen Restriktionen ihren jeweiligen Nutzen maximieren. Damit basieren die Ansätze auf dem, was verschiedene Autoren als „harten Kern“ des Rational Choice-Forschungsprogramms bezeichnen (vgl. Opp 1991: 106; Kunz 2004: 36; Frings 2008: 77). Es kommen jedoch noch weitere Prämissen hinzu. Grundsätzlich wird für die Kooperationsbereitschaft einer Zielperson angenommen, dass die Entscheidung zu Kooperation und Verweigerung über eine subjektive Kosten-Nutzen-Abwägung fällt. Die zentrale Überlegung dabei ist, dass es für ein Individuum nur dann rational ist, sich an einer Befragung zu beteiligen, wenn der subjektiv angenommene Nutzen einer Teilnahme die erwarteten Kosten übersteigt und die angenommenen positiven Folgen einer Handlung auch wahrscheinlich sind. Diese Zusatzannahmen entsprechen der allgemeinen WertErwartungstheorie und deren Handlungsmaxime: „Versuche dich vorzugsweise an solchen Handlungen, deren Folgen nicht nur wahrscheinlich, sondern Dir gleichzeitig auch etwas wert sind! Und meide ein Handeln, das schädlich bzw. zu aufwendig für Dich ist und/oder für Dein Wohlbefinden keine Wirkung hat!“ (Esser 1999: 248). Die Grundannahme der Wert-Erwartungstheorie in ihrer SEU-Variante ist, dass ein Individuum zwischen Handlungsalternativen wählen muss, deren Ausführung Konsequenzen hat. Diese können auf der Grundlage einer transitiven und in sich verbundenen, subjektiven Präferenzordnung des Akteurs positiv oder negativ bewertet sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte Handlungsfolge eintritt, ist in den subjektiven Erwartungen eines Individuums abgebildet. Auf der Grundlage dieser Erwartungen gewichtet das Individuum die verschiedenen Handlungsalternativen und wählt die Alternative mit der „besseren“ Bewertung (vgl. Esser 1999: 248; Green/Shapiro 1994: 14ff.; Mensch 1998: 38). Bei der Frage, in welcher Art und Weise die Alternativen gewichtet werden, gilt die SEU-Regel, welche die Subjektivität von Bewertungen und Erwartungen betont (vgl. Esser 1999: 344): 85
Dies trifft auch bei einer Interviewanfrage für eine schriftliche Befragung zu, da soziales Handeln nicht unbedingt impliziert, dass eine andere Person physisch anwesend sein muss (vgl. Esser 2000: 5).
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4 Die Teilnahme an politischen Umfragen SEUi=w(pij)*Uj.
SEUi ist dabei der subjektive Gesamtnutzen einer Alternative i, w(pij) beschreibt die subjektiven Erwartungen des Akteurs, dass bestimmte Konsequenzen j eintreten, wenn die Alternative i gewählt wird. Uj beinhaltet die Bewertung des Nutzens U, den das Individuum der Konsequenz j zuspricht (vgl. Esser 1999: 344). Die Grundannahmen der SEU-Theorie sind – mehr oder weniger explizit – der Ausgangspunkt für fast alle theoretischen Konzepte, die zur Modellierung der Teilnahmeentscheidung in der Forschung diskutiert werden. Die Abwägung einer Zielperson basiert dabei in der Regel nicht nur auf materiellen Nutzenanreizen. Aus diesem Grund wird auch in dieser Arbeit ein offener Nutzenaspekt zugrunde gelegt, der auch weiche Motive wie intrinsische Befriedigung und immaterielle Nutzenaspekte umfasst. Auch die Ziele eines psychischen Wohlergehens, einer inneren Befriedigung oder eines positiven Gefühls können damit das Handeln von Individuen beeinflussen (vgl. Arzheimer 2008: 57; Esser 1996; Frings 2008: 78; Opp 1991; Kühnel 1993: 18; Lindenberg 1985: 104). Aus dieser Perspektive sind Einstellungen, Normen und Wertorientierungen als mögliche Determinanten in der Kosten-Nutzen-Abwägung relevant. Der Einfluss von Einstellungen auf Handlungsentscheidungen wird somit nicht als „Alternative“ (im Sinne von „entweder einstellungsdominiertes oder rationales Handeln“), sondern als Ergänzung innerhalb der Kosten-Nutzen-Abwägung verstanden. Nicht jede Handlungsalternative, die gewählt wird, muss nach dieser Nutzenkonzeption den materiellen Nutzen maximieren, wenn andere, weiche Nutzenmotive in einer bestimmten Situation als relevanter erachtet werden. Vielmehr wird angenommen, dass das Individuum diejenige Handlungsalternative wählt, die ihren materiellen und/oder psychischen Nutzen maximiert. Ein konkretes Beispiel für die Wirkung nicht-materieller Nutzenanreize wäre, wenn eine Zielperson die Teilnahme an einer Umfrage als Bürgerpflicht empfindet und mit der Entscheidung zu kooperieren einem inneren Pflichtgefühl nachgeht.
4.1.2 Menschenbild und Rationalitätsbegriff Auf der Grundlage des methodologischen Individualismus und der WertErwartungstheorie wird angenommen, dass eine Zielperson bei einer Befragung kooperiert, wenn sie sich in der Lage fühlt teilzunehmen und wenn der aus der Teilnahme resultierende subjektiv angenommene Nutzen die zu erwartenden Kosten übersteigt (vgl. Esser 1985; Lindenberg 1989: 176). Obwohl die Teilnahme an Befragungen damit als rationales Handeln dargestellt ist, ist das dahinter stehende Menschenbild nicht das eines homo oeconomicus, sondern vielmehr der RREEMM (vgl. Lindenberg 1985; siehe auch Esser 1999: 238f.). Darunter versteht man einen Akteur, der resourceful, restricted, expecting, evaluating und maximizing ist. Das
4.1 Handlungstheoretische Fundierung
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bedeutet, er ist findig, verschiedene Handlungsalternativen zu erkennen und kann ständig neue hinzugewinnen. Zugleich ist er durch soziale und natürliche Restriktionen eingeschränkt und wird sich für diejenige Handlungsalternative entscheiden, die ihm als subjektiv beste Alternative erscheint (vgl. Lindenberg 1985: 100). Diese Subjektivität unterscheidet ihn von der Konzeption des unabhängig von seinem Umfeld agierenden „objektiv“-rationalen homo oeconomicus. Dieses Akteursmodell erscheint deshalb so geeignet, weil es den rationalen Aspekt des Handelns betont, aber dennoch Restriktionen wie z.B. institutionelle Regeln oder die begrenzte Verfügbarkeit von Zeit sowie die Subjektivität von Erwartungen und Bewertungen und damit auch frühere Erfahrungen mit einbezieht. „Rationale Entscheidung“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass eine Person bei bestimmten Präferenzen und Restriktionen in einer bestimmten Situation gewisse Handlungsalternativen erkennt, diese in Relation zueinander bewertet und in eine transitive Reihung bringen kann. Anschließend wählt es entsprechend des subjektiv angenommenen eigenen Vorteils konsistent eine Handlungsalternative aus und handelt dementsprechend (vgl. Lindenberg 1985: 100; Kunz 2004: 36). Das heißt, bei der „Rationalität“ handelt es sich um die Rationalität des Verfahrens der Handlungsentscheidung. Als Auswahlregel bei der Selektion der Handlungsalternativen wird angenommen, dass die subjektive Nutzenerwartung maximiert wird (vgl. Esser 1999). „Dabei ist es egal, ob die Einschätzung des Nutzens eines Zieles und die Erwartungen über die Effizienz eines Tuns objektiv richtig oder subjektiv und/oder falsch sind. […] Das Etikett der Rationalität eines Handelns bezieht sich – kurz gesagt – auf die Regel und eben nicht auf die Randbedingungen seiner Selektion“ (Esser 1999: 216). Damit liegt ein weites Verständnis von Rationalität zugrunde (vgl. Opp 1999: 172ff.). Darin spiegelt sich eine weitere Prämisse: In den letzten Jahrzehnten wurde, insbesondere im Rahmen von psychologischen Entscheidungstheorien, verstärkt auf die begrenzten Informations- und Entscheidungskapazitäten von Individuen hingewiesen. Simon führte diese bereits in den 1950er Jahren mit seinem Konzept der „bounded rationality“ aus (vgl. Simon 1955: 99ff., 1957: 241ff.; auch Kirchgässner 1991: 31; Schmitt 1996: 112). Der Mensch wird dabei als Akteur angesehen, der nur begrenzte kognitive Fähigkeiten hat. Das bedeutet, er kann nicht alle theoretisch denkbaren Handlungsalternativen erkennen und nicht alle möglichen Konsequenzen einer Handlung mit in die Analyse einbeziehen. Aus diesem Grund ist die Bewertung einer Situation nicht unbedingt vollständig. Daraus lässt sich die Annahme ableiten, dass ein Akteur nicht unbedingt den Nutzen im Sinne eines theoretischen Ziels absolut maximiert, sondern auch eine Alternative wählt, wenn der daraus resultierende Nutzen zufriedenstellend ist („satificer“) oder die bestmögliche Alternative wählt, die er erkennt.86 Im RREEMM ist dies mit abgebildet. 86 Esser führt aus, dass diese Form des „satisficing“ lediglich ein Spezialfall des Maximierens ist, da der Akteur vermutet, dass ein weiteres Maximieren wiederum mit Kosten verbunden wäre (vgl. Esser 1999: 259).
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4 Die Teilnahme an politischen Umfragen
Mayerl (2009: 160) bezeichnet die Gesamtheit der so getroffenen theoretischen Annahmen, die geeignet sind „eine soziologische RCT-Erklärung mit ‚harten‘ sowie ‚weichen‘ Bestimmungsfaktoren zu modellieren“ (Mayerl 2009: 160) als Rational Choice-Theorie Typ „weit I“.87 Einstellungen und Normen können demnach Anreize schaffen oder Kosten verursachen und werden in die Abwägung mit einbezogen. Es kommt jedoch noch ein weiterer Aspekt hinzu: Einstellungen sind zudem als Mittel geeignet, dem begrenzt rational agierenden Individuum in einer bestimmten Situation, die Beurteilung der Entscheidungssituation zu vereinfachen und damit Kosten zu sparen. Aus diesem Grund ist es durchaus rational auf Einstellungen zurückzugreifen (vgl. auch Esser 1990, 1991). Damit wird angenommen, dass eine soziale Situation wie ein Interview nicht „immune from general norms“ (Bradburn 1977: 35) ist, sondern sowohl normgeleitet als auch stärker von situativen Anreizen geprägt ablaufen kann.
4.2 Duales Prozessieren Wenn in eine Abwägung sowohl Normen als auch stärker situative Anreize eingehen können, stellt sich die Frage, wann welche Form der Anreize dominiert. Außerdem ist dabei bereits implizit die Annahme verschiedener Entscheidungsmodi und damit die Annahme des dualen Prozessierens angelegt. Daher wird nun in diesem Kapitel auf das duale Prozessieren eingegangen, das von verschiedenen Entscheidungsmodi ausgeht und die Handlungsentscheidung zweistufig modelliert. Zuvor muss zum besseren Verständnis jedoch noch ein Blick auf die Einstellungsdefinition und die Unterscheidung von generalisierten und spezifischen Einstellungen geworfen werden, die in diesem Zusammenhang relevant ist.
4.2.1 Der Einstellungsbegriff Unter einer Einstellung wird im Folgenden, in Anlehnung an den eindimensionalen Einstellungsbegriff von Fishbein (1963, 1965; vgl. auch etwa Eagly/Chaiken 1993; Fazio 1986; Fishbein/Ajzen 1975), zunächst ganz allgemein die Reaktion auf ein Einstellungsobjekt verstanden. Diese Reaktion basiert auf der Summe der gewichteten Bewertungen, die ein Individuum den Merkmalen und Eigenschaften eines Einstellungsobjekts entgegenbringt (vgl. zu den verschiedenen Einstellungsbegriffen Schumann 2001, zur Entstehung von Einstellungen nach der WertErwartungstheorie bereits Feather 1959, 1982). Anfangs wurden in der Einstellungsforschung unter Einstellungen nur generelle, stabile, situationsunabhängige Konstrukte verstanden. In der jüngeren kogniti87 Daneben gibt es die noch einmal erweiterten RC-Theorien Typ („weit II“). Zu diesen Annahmen, siehe Kap. 4.2.2.
4.2 Duales Prozessieren
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onspsychologischen Einstellungsforschung ist jedoch die Erkenntnis gewachsen, dass bestimmte Einstellungen nicht unbedingt auskristallisiert in fester Form vorliegen, sondern bei Bedarf vom Individuum in einer bestimmten Situation zusammengesetzt werden (vgl. Zaller 1992: 34ff.; Ajzen/Fishbein 2000; Steenbergen/ Lodge 2003; Taber 2003). Das bedeutet, eine Person hat positiv und negativ besetzte Eindrücke, Vorstellungen und Assoziationen zu einem Objekt, die im Langzeitgedächtnis verankert sind. Bei Bedarf, etwa wenn der Interviewer vor der Tür steht und um ein Interview bittet, können daraus Einstellungen zusammengesetzt werden (siehe zu diesem eher neueren Einstellungsbegriff den Literaturbericht bei Schoen 2006). Damit wird nicht mehr angenommen, dass es sich bei Einstellungen nur um generalisierte, stabile, gleichförmige, situational unabhängige Bewertungen von Objekten handelt (vgl. Stocké/Langfeldt 2003: 55ff.). Vielmehr nimmt man an, dass (spezifische) Einstellungen in einer bestimmten Situation unter bestimmten Bedingungen aufgrund von Überzeugungen auch kurzfristiger gebildet werden können. Sie sind dann „Ergebnis der Selektion einer quasi bewertungsmäßigen ‚Verfassung‘ durch Akteure mit begrenzter Rationalität“ (Stocké/Langfeldt 2003: 59; vgl. auch Vanberg 2002). Nicht unbedingt alle vorliegenden Eindrücke gehen in die Bildung dieser Einstellungen ein, sondern nur diejenigen, die in einer bestimmten Situation verfügbar sind (vgl. Eagly/Chaiken 1993; Zaller 1992). Die Folge dieser neueren Entwicklungen ist, dass zwischen verschiedenen Typen von Einstellungen unterschieden werden kann: „attitudes that are based on systematic analysis of available information and attitudes that are produced without much conscious deliberation“ (Ajzen/Fishbein 2000: 7). Das bedeutet, es gibt sowohl situationsspezifische Einstellungen als auch stärker generalisierte Formen von Einstellungen.88 Die letztgenannten sind erlernte und gefestigte Prädispositionen auf bestimmte Objekte. Die Annahme verschiedener Einstellungstypen geht auf die Studien von Fazio zum MODE-Modell zurück, der empirisch feststellt, dass es Einstellungen gibt, die einfacher abzurufen und demnach generalisierter sind, und Einstellungen, die schwieriger zu bilden und damit spezifischer sind. Fazio geht davon aus, dass die Einstellungen umso eher das Verhalten eines Individuums beeinflussen, je einfacher sie abrufbar und je verfügbarer sie sind (vgl. Ajzen/Gilbert Cote 2008: 297; Fazio/Williams 1986; Fazio et al. 1989; Stocké 2002).89 Zu den klassischen Forschungsgegenständen der sozialpsychologischen Einstellungsforschung gehören Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Einstellungen und Verhalten. Der Fokus auf Einstellungen als latente Konstrukte ist durch die Hoffnung begründet, über Einstellungen das Handeln von Menschen 88 Die Annahme generalisierter und spezifischer Einstellungen findet sich in zahlreichen politikwissenschaftlichen Theorien wieder, etwa bei dem sozialpsychologischen Ann-Arbor-Modell zur Erklärung der Wahlentscheidung. Dabei wäre die Parteiidentifikation eine generalisierte Einstellung, die kurzfristig variablen Einstellungen gegenüber Themen oder Kandidaten vorgelagert ist (vgl. Campbell et al. 1954). 89 Die Abrufbarkeit der Einstellung wird in den empirischen Studien über die Latenzzeit von Antworten gemessen.
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4 Die Teilnahme an politischen Umfragen
erklären und prognostizieren zu können (vgl. Frings 2008: 194; Olson/Zanna 1993: 131). Vor dem Hintergrund der Ausdifferenzierung des Einstellungsbegriffs in generelle und spezifische Einstellungen ist nun gut erklärbar, warum frühe Studien nur vereinzelt einen Zusammenhang zwischen Einstellungen und Verhalten nachweisen konnten: Sie bezogen sich lediglich auf generalisierte Einstellungen.
4.2.2 Heuristisches und reflektiert-rationales Entscheiden Die Annahmen zum Einfluss von Einstellungen auf das Handeln von Individuen können damit also berücksichtigt werden, ohne die Idee einer handlungsleitenden Kosten-Nutzen-Analyse der Zielperson aufgeben zu müssen. Die Entscheidung zur Teilnahme an Umfragen wird dabei als Ergebnis eines komplexen sozialen Prozesses modelliert, der je nach Befragtem und Situation in verschiedenen Entscheidungsmodi, sowohl stärker rational-systematisch als auch eher automatischspontan und unter Rückgriff auf vorgefertigte Einstellungen, verlaufen kann (vgl. Esser 1985). Zum einen können spezifische Einstellungen dabei direkt als Anreize in die überlegt-rational ablaufende Kosten-Nutzen-Abwägung einbezogen werden. Zum anderen können generalisierte Einstellungen über einen stärker heuristischen Weg die Handlungsentscheidung beeinflussen. Auf der Basis des RREEMMMenschenbildes und der Annahme begrenzter Informations- und Entscheidungskapazitäten ist es nicht möglich, dass alle Entscheidungen auf der Grundlage einer allumfassenden Kosten-Nutzen-Abwägung getroffen werden. Es wird daher zwischen den verschiedenen Entscheidungsmodi unterschieden und angenommen, dass der Rückgriff auf normativ gestützte oder einstellungsdominierte Routinehandlungen Spezialfälle rationaler Entscheidungen sind (vgl. Esser 1985, 1990, 1991). Die Prämisse, dass ein Individuum in „rationaler Art und Weise“ entscheidet, wird nicht aufgegeben, sondern es wird angenommen, dass es rational sein kann, einstellungsdominierte Heuristiken zu verwenden. Diese sind „(meist) relativ unaufwendig [...], effizient [...] und sie finden (häufig) eine zusätzliche normative Stütze“ (Esser 2004: 55). Damit sparen sie Informations-, Entscheidungs- und Transaktionskosten (vgl. Ajzen/Fishbein 2000; Esser 1985, 1996, 2001; Fiske/Neuberg 1990; Nisbett/Ross 1980; Tversky/Kahneman 1974, 1981).90 Die Handlungsentscheidung wird damit zweistufig modelliert: Auf der ersten Stufe wird in rationaler Art und Weise der Entscheidungsmodus gewählt und entschieden, ob rational-reflektiert oder automatisch-spontan gehandelt wird. Auf der zweiten Stufe läuft anschließend wiederum auf rationale Art und Weise die Bewertung
90 Für eine Übersicht über Dual-Process-Theorien in der Sozialpsychologie siehe Chaiken/Trope (1999). Mayerl (2009: 157ff.) subsummiert Theorien, die diese Annahme verschiedener Handlungsmodi beinhalten unter dem Begriff der „RCT (‚weit II‘)“.
4.2 Duales Prozessieren
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der Handlungsalternativen ab, wenn ein rational-reflektierter Entscheidungsmodus gewählt wurde. Es wird sogar angenommen, dass ein Akteur zunächst versuchen wird, heuristisch zu agieren (vgl. Esser 2005: 88; Fazio 1990: 100). Hier ist der Begriff des Framings relevant. „Das Framing ist eine Strategie der Vereinfachung und Zuspitzung der Situation“ (Esser 1996b: 17). Das Prinzip wird dann eingesetzt, wenn es in einer Situation um nichts sonderlich Relevantes für den Akteur geht, d.h. wenn die wahrgenommenen Handlungskonsequenzen sehr gering sind. In Alltagssituationen eintreffende Informationen werden dazu mit vorhandenen Skripten und Schemata abgeglichen, um eine Situation zu klassifizieren und zu entscheiden, nach welchen Mustern gehandelt wird.91 Das Ziel des Akteurs ist es, kostengünstig automatisch mit einem bestimmten Verhalten zu reagieren, ohne bewusst aufwändige, kognitive Prozesse aktivieren zu müssen. Er versucht damit zunächst, die Situation in einen bereits bekannten „Frame“ einzubetten und die damit verbundenen Skripte und Schemata zu aktivieren (vgl. Esser 1996, 2001; Stocké/Langfeldt 2003: 58f.).92 Esser konstatiert: „Empirisch überwiegt als Alltagshandeln das reflexhafte Handeln […]. Das überlegte oder gar das (zweck-) rationale Handeln sind dagegen überaus seltener Ausnahmefall“ (Esser 2001: 294). Unter Alltagshandeln werden dabei eben jene Handlungen verstanden, die im Wesentlichen routiniert ablaufen und früheren Handlungssituationen ähnlich sind. An dieser Stelle werden, wie bei den Annahmen der Austauschtheorie, frühere Erfahrungen in die Handlungsentscheidung integriert. Daraus resultierende Erwartungen, Normen und Werte können sich in generalisierten Einstellungen gegenüber bestimmten Objekten widerspiegeln. Diese Idee des Framings und der Entscheidungsmodi nimmt auch Lindenberg auf. In neueren Publikationen modifiziert er das Menschenbild des RREEMM noch einmal explizit im Hinblick auf die Dual-Prozess-Theorien und spricht von einem RREEMM#2, der „restricted, resourceful, expecting, evaluating, motivated [und] meaning“ ist (vgl. Lindenberg 2001a, 2001b).93 Mit dem Begriff des „meaning“ in91
Der Einfluss dieser kognitiven Handlungsschemata und -skripte auf das menschliche Handeln wurde bereits Anfang der 80er Jahre von Abelson expliziert (1981). Gerade zur Entstehung der Skripte und Schemata können sozialpsychologische Theorien einen Erklärungsbeitrag leisten. In den Skripten und Schemata spiegeln sich frühere Erfahrungen und Einstellungen der Zielpersonen. Damit ermöglichen sie z.B. eine Modellierung der Annahmen der Austauschtheorie. 92 Diese Handlungsskripte, die im Laufe der Zeit immer weiter eingeübt werden können und damit immer weiter automatisiert werden, werden von Esser als „Habits“ bezeichnet (Esser 1990, 1993). 93 Zunächst erscheint es so, als würde man damit das Menschenbild des RREEMM verlassen und von einem soziologischen Akteursbegriff ausgehen. Lindenberg (1985: 104) weist jedoch bereits darauf hin, dass es Situationen gibt, in denen es rational ist, dass ein RREEMM-Akteur entsprechend generalisierter Einstellungen handelt, nämlich wenn es sich um eine Routinesituation handelt. Damit ist der RREEMM vom OSAM (optionated, sensitive, acting man) nicht mehr unterscheidbar (siehe auch Arzheimer 2002: 67ff.). Kritisiert wird am OSAM-Modell meist die mangelnde Differenzierung zwischen Einstellungen und Verhalten (Esser 1996: 14), zumal sich empirisch Indizien dafür ergeben, dass Einstellungen nicht immer kongruent zu Handlungen sind. Dieses Phänomen lässt sich jedoch innerhalb des RREEMM#2 erklären, wenn man mit Fazios MODE-Konzept arbeitet und verschiedene Entscheidungsmodi annimmt, die der RREEMM#2 erkennt und nach denen er entweder rationalüberlegt oder automatisch-spontan handelt (vgl. Fazio 1986, 1990; Fazio/Towles-Schwen 1999; Ajzen 1996).
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4 Die Teilnahme an politischen Umfragen
kludiert das Menschenbild nun die Idee des Framings: Ein Individuum versucht einer Situation zunächst eine Bedeutung zu geben und sie zu klassifizieren, um – wenn möglich – automatisch-spontan agieren zu können (vgl. Lindenberg 2001b: 631; Mayerl 2009: 161). In der jüngeren sozialpsychologischen Forschung wird damit vermutet, dass generelle Einstellungen als „intuitive short-cuts“ (Ajzen/Fishbein 2000: 2) bei der Handlungsentscheidung verwendet werden (vgl. Ajzen/Fishbein 2000; Fiske/Neuberg 1990; Nisbett/Ross 1980; Tversky/Kahneman 1974, 1981). Dabei wird angenommen, dass es für ein Individuum rational ist, bei der Bildung einer spezifischen Einstellung gegenüber einer Handlungsoption generalisierte Einstellungen, Normen und Wertorientierungen einzubeziehen. Diese sind, gerade in Situationen, in denen das Individuum wenig tangiert ist, zunächst bewährt und erfordern keine aufwändigen neuen Evaluationen einer Situation (vgl. Esser 2004: 47ff.). Ein Beispiel verdeutlicht diese Annahme: Bei der Entscheidung, ob man bei einer Bundestagswahl wählen geht, ist es für eine Person mit einer internalisierten Wahlnorm am einfachsten, entsprechend der eigenen Norm zu agieren. Bei der Wahl handelt es sich um eine typische Low-Cost-Situation, in welcher nur geringe Kosten anfallen, aber auch nur ein geringer Nutzen resultiert.94 Dieses Verhalten ist erprobt, normgestützt und kaum mit negativen Folgen besetzt. Das bedeutet, wenn man sich normengeleitet verhält, muss man keine aufwändigen Kosten-NutzenAbwägungen der Situation vornehmen, die mit hohen Informationskosten verbunden wären. Wenn ein Individuum hingegen annimmt, eine Handlungsentscheidung auf der Basis der vorhandenen generalisierten Einstellungen nicht ausreichend treffen zu können, werden auch stärker situationsspezifische Aspekte relevant. Neben dem automatisch-spontanen Handeln in Low-Cost-Situationen, das einstellungsdominiert ist, existiert damit auch das rational-überlegte Entscheiden, das spezifische Einstellungen als positive und negative Nutzenanreize mit in die Kosten-Nutzen-Abwägung einbezieht (vgl. Ajzen 1996: 387; Esser 1996, 2001). Dabei werden die in einer bestimmten Situation vorliegenden Handlungsalternativen kognitiv intensiver durchdrungen und die Konsequenzen abgewogen. Um daraus nun keine „universelle Theorie“ zu konzipieren, die nicht mehr falsifizierbar ist, müssen Rahmenbedingungen festgesetzt werden, welche Determinanten die Wahl des Entscheidungsmodus beeinflussen. In der Literatur werden dazu verschiedene Determinanten diskutiert. Ohne an dieser Stelle den gesamten Forschungsstand zu referieren, lassen sich dabei einige zentrale Annahmen festhalten.
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Der Nutzen kann darin liegen, die eigene Bürgerpflicht erfüllt zu haben. Bereits Brennan/Lomasky (1993) und Brennan/Hamlin (2000: 142ff.) haben solche Normen als expressive Anreize in Kosten-Nutzen-Modellen zur Erklärung der Wahlbeteiligung integriert und diese als zentrale Faktoren herausgearbeitet.
4.2 Duales Prozessieren
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4.2.3 Die Wahl des Entscheidungsmodus Ein bewusst rationales Verhalten als Entscheidungsmodus wird für die Zielperson insbesondere dann notwendig und auch erst möglich, wenn sich Informationen nicht in die bestehenden Schemata einordnen lassen und wenn das erlernte Handlungsmodell in einer Situation nicht genau passt. Wenn eine solche fehlende Passung auftritt, ahnt der Akteur, dass es erfolgreichere Handlungsalternativen als die Routinehandlung geben kann (vgl. Quandt/Ohr 2004: 699f.). Hinzu kommen zwei weitere notwendige Determinanten: Der Akteur muss motiviert sein, die Kosten einer nicht spontanen Handlung auszugleichen (vgl. Esser 1996: 16). Das bedeutet, dass er die Handlungskonsequenzen als hinreichend relevant einschätzen muss, um kognitiv aufwändige Prozesse in Gang zu setzen. Neben der Motivation braucht er schließlich die Gelegenheit (Opportunitäten), d.h. ein notwendiges Maß an zeitlichen und kognitiven Kapazitäten, um überhaupt rationale Überlegungen anzustellen. Diese Vorstellung verschiedener Modi der individuellen Informationsverarbeitung sind im MODE-Modell (=Motivation und Opportunitäten als DEterminanten des Modus der Entscheidungsfindung) von Fazio (1986, 1990; Fazio/TowlesSchwen 1999) erstmals präzise formuliert worden. Esser integrierte diese Annahmen in die allgemeinere SEU-Theorie, indem er – wie bereits zuvor ausgeführt – argumentiert, dass bei der Handlungsentscheidung eigentlich zwei rationale Handlungsentscheidungen nacheinander ablaufen: Auf der ersten Stufe findet die Wahl des Entscheidungsmodus, danach die Wahl der Handlungsalternative statt (vgl. Esser 1996, 2001, 2004). In den ersten Studien von Fazio (1986, 1990) sind die beiden Entscheidungsmodi noch als Alternativen konzipiert. Es gibt demnach entweder das automatischspontane Handeln nach generalisierten Einstellungen oder das rational-überlegte Handeln, bei dem situationsspezifische Kosten-Nutzen-Abwägungen ablaufen. In neueren Arbeiten werden zudem auch „mixed processes“ (Fazio/Towles-Schwen 1999: 102) als dritter Typ konzeptualisiert. Innovativ und grundlegend für die folgenden Ausführungen sind jedoch die Arbeiten, die noch weitergehen und von einer Gradualität der Informationsverarbeitung und damit von einem Kontinuum zwischen den beiden Polen „spontan“ und „rational“ ausgehen (vgl. für eine Zusammenfassung des Forschungsstands Frings 2008: 214ff.). Dabei wird angenommen, dass diejenigen stärker rational agieren, die einen höheren Grad an Involvierung gegenüber der Anfrage aufweisen. Dies passt wiederum zum Modell der Einstellungsbildung nach Zaller (1992). Es wird vermutet, dass eine Person umso eher neue Informationen zu den bereits bestehenden Prädispositionen hinzunehmen wird, je involvierter, d.h. je motivierter, sie ist. Gleichzeitig nimmt man an, dass ein stärker rationaler Entscheidungsmodus bei der Zielperson bewusst aktiviert werden kann. Dies wäre bei einer Befragung z.B. durch die Gabe von Incentives oder aufgrund einer interessanten Einleitung möglich (vgl. Brehm 1993: 69; Groves et al. 1992: 477ff.; Groves/Couper 1998: 119ff.;
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4 Die Teilnahme an politischen Umfragen
Stocké/Langfeldt 2003: 59; Vanberg 2002). Grundsätzlich kann man konstatieren, dass sowohl generalisierte Normen, Werte und Einstellungen als auch spezifische, situative Kosten-Nutzen-Abwägungen die Handlungsentscheidung eines Individuums beeinflussen. In welcher Form dies bei der Handlung „Teilnahme an Umfragen“ geschieht, soll im nächsten Abschnitt noch einmal explizit dargestellt werden.
4.2.4 Die Teilnahme an Umfragen im Kontinuum zwischen Heuristiken und bewussten Kosten-Nutzen-Abwägungen Folgt man den theoretischen Ausführungen von Mensch (2000: 253ff.) oder auch Ajzen/Fishbein (2000: 8) kann man annehmen, dass die Unterscheidung in Hochund Niedrigkostensituationen empirisch keine einfache Dichotomie darstellt, sondern dass es sich bei sozialen Interaktionssituationen, in denen sich Individuen für eine bestimmte Handlung entscheiden müssen, eher um ein „Elaborationskontinuum“ zwischen „zwei Pole[n] menschlicher Informationsverarbeitung“ (Mayerl 2009: 151) handelt. Je nach Position auf dem Kontinuum können unterschiedliche Arten der Bewertung von Nutzenmotiven in unterschiedlichem Maß zur Erklärung beitragen. Empirisch ist damit nicht davon auszugehen, dass ein Individuum, das vor einer derartigen Entscheidung steht, entweder nur nach generalisierten Einstellungen entscheidet oder alle situativen Anreizstrukturen komplett überlegt evaluiert. In der Regel werden sowohl pauschalere Urteile in Form von generalisierten Einstellungen, bspw. die generelle Einstellung gegenüber Umfragen oder das politische Interesseals auch bewusste Kosten-Nutzen-Abwägungen in die Entscheidung eingehen. Dabei können sowohl materielle Anreize, wie beispielsweise ein versprochenes Incentive, als auch immaterielle Anreize, wie beispielsweise die Sympathie gegenüber dem Interviewer, für die Bildung und Bewertung der Handlungsalternativen bedeutsam sein (vgl. Mayerl 2009: 151; Mensch 2000: 261). Die Entscheidungssituation ist für das Individuum bei der Anfrage, an einer Umfrage teilzunehmen, zunächst recht einfach über nur zwei Handlungsalternativen zu modellieren. Es kann an der Befragung teilnehmen oder eine Teilnahme verweigern. Die „Teilnahme an einer Befragung zum Thema Politik und Gesellschaft“ beinhaltet dabei jedoch verschiedene Dimensionen: Zum einen geht es darum, an einer Umfrage teilzunehmen. Gleichzeitig bedeutet die Teilnahme für das Individuum über politische und soziale Themen, die eigenen politischen Einstellungen und das politische Verhalten zu sprechen. Zudem befindet sich die Zielperson in der konkreten Situation in einer Interaktion mit einem meist fremden Interviewer. Gegen die Annahme eines rein rational-reflektierten Modus bei der Erklärung von Kooperation und Verweigerung wird in der Literatur argumentiert, dass die Entscheidung zur Teilnahme an Umfragen ein komplexer Prozess ist, der in der Regel nicht durchdrungen wird, sondern eher heuristisch abläuft (vgl. Brehm 1993:
4.2 Duales Prozessieren
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69; Groves et al. 1992: 486f.; siehe auch Fazio 1990; Fazio/Towels-Schwen 1999; Petty/Cacioppo 1986). Da die Teilnahme an einer Befragung zudem für die wenigsten Menschen mit schwerwiegenden Handlungskonsequenzen behaftet ist, findet man in der Literatur auch häufig die Aussage, es handele sich bei der Entscheidung zur Teilnahme an einer Befragung um eine typische „Low-CostSituation“ (vgl. Diekmann/Preisendörfer 2003; Groves/Couper 1998: 32; Schnauber/Daschmann 2008: 103; Schnell 1997: 198; siehe zum Begriff der LowCost-Situation Kirchgässner 1992; Kliemt 1986: 333; Mensch 2000).95 Das Definitionskriterium für diese Low-Cost-Situationen ist, wie in den vorigen Abschnitten bereits ausgeführt, dass im Fall einer „falschen“ Entscheidung dies in der Regel nur wenig Relevanz für das Individuum hat, d.h. keine oder nur minimale Opportunitätskosten daraus resultieren. Daraus folgernd wird in Frage gestellt, ob die Zielpersonen in einer derartigen Situation überhaupt Kosten-Nutzen-Abwägungen anstellen oder doch eher rein intuitiv handeln. Andererseits kann man aber argumentieren, dass die wenigsten Menschen eine fest vorgefertigte Meinung und generalisierte Einstellungen zur „Teilnahme an einer politischen Befragung“ haben werden. Sie haben die Situation wahrscheinlich noch nicht oft erlebt. Daher wird die Entscheidung nicht langfristig, sondern in den meisten Fällen situationsspezifisch an der Tür, während der Interaktion mit dem Interviewer, getroffen. Hierbei könnte die Zielperson bewusst motiviert werden. Dies würde für stärker situationsspezifische, rational-überlegte Entscheidungen sprechen. Letztlich ist es wohl eine empirische Frage, welche Determinanten in welcher Stärke die Handlungsentscheidung eines Individuums beeinflussen. Für die Situation der Teilnahme an einer Befragung kann man daher feststellen, dass sie zunächst zwar eher auf der Seite der Low-Cost-Situation angesiedelt ist, es sich bei der Entscheidung zu Kooperation und Verweigerung jedoch nicht um eine reine Niedrigkostensituation handelt. Dies würde nämlich implizieren, dass es keine Opportunitätskosten gäbe. Je nach Forschungsdesign, beispielsweise durch den Einsatz von monetären Incentives, können die Opportunitätskosten durch den Forscher aber deutlich gesteigert werden (wie in der nachfolgenden Studie, siehe Kap. 5). Empirisch ist damit von einer Situation auszugehen, in der unterschiedliche Determinanten die Entscheidung der Zielperson beeinflussen (vgl. auch Brehm 1993: 68f.; Brennan/Lomasky 1993; Mensch 2000: 261). Das bedeutet, es gibt kein „entweder-oder“, sondern ein „sowohl-als auch“ von generalisierten und spezifischen Einstellungen, die in die Modellierung eingehen.96
95
Damit ist das Handeln der Zielpersonen in den Begrifflichkeiten von Brennan/Lomasky (1993) als „Wahlverhalten“ im Gegensatz zum rein ökonomischen „Marktverhalten“ zu bezeichnen. 96 Ähnliche weitreichende Kosten-Nutzen-Modelle findet man auch für die Erklärung von politischem Verhalten, z.B. bei den „General Incentive“-Modellen von Seyd und Whiteley. Auf der Seite der positiven Anreize werden dabei die wahrgenommene Wirksamkeit des Handelns, kollektive sowie selektive Nutzenanreize, soziale Normen und expressive Motive modelliert und den Kosten gegenübergestellt (vgl. Pattie et al. 2003: 444; Seyd/Whiteley 1992; Whiteley/Seyd 1996, 1998).
96
4 Die Teilnahme an politischen Umfragen
4.3 Die Theorie geplanten Verhaltens und die Kompatibilität zu den bisherigen Annahmen 4.3.1 Die Theorie geplanten Verhaltens Die meisten Erklärungsmodelle in der Forschung zu Kooperation und Verweigerung bei der Umfrageteilnahme sind, wie in den letzten Kapiteln dargestellt, in den Rahmen des Rational Choice-Forschungsprogramms eingebettet und im Sinne der Wert-Erwartungstheorie spezifiziert. Die herausgearbeiteten Modellprämissen und Spezifikationen lassen sich jedoch ebenso gut in eine der einflussreichsten sozialpsychologischen Theorien, die Theorie des geplanten Verhaltens (vgl. Ajzen 1985, 1991), eine Weiterentwicklung der Theorie überlegten Handelns (vgl. Ajzen/Fishbein 1980), integrieren.97 Die Idee, dass die existierenden Annahmen zur Erklärung von Kooperation bzw. Verweigerung im Rahmen der Theorie geplanten Verhaltens zu formulieren sind, ist besonders für die sich anschließenden Überlegungen zu Effekten im Sinne des Common Cause-Modells relevant. Wenn sich das Kooperationsverhalten von Individuen über die Theorie geplanten Verhaltens erklären lässt, gelten für das Kooperationsverhalten ähnliche Erklärungsmuster wie für zahlreiche andere politische Verhaltensvariablen, z.B. für politische Partizipation. In diesem Fall sind Verzerrungen durch Nonresponse nicht nur für die Determinanten der Kooperationsentscheidung, sondern auch für andere Konzepte der politischen Einstellungs- und Verhaltensforschung anzunehmen (siehe Kap. 4.7). Letztlich sind die beiden Theorien, die Theorie geplanten Verhaltens und die SEU-Theorie, nicht unabhängig voneinander. Vielmehr handelt es sich bei der Theorie geplanten Verhaltens um eine Spezifikation der SEU-Theorie. Diese theoretische Integration soll im Folgenden dargestellt werden. Die Grundidee der Theorie geplanten Verhaltens, „one of the most popular social-psychological models for the prediction of behavior” (Ajzen/Gilbert Cote 2008: 301), ist in Abbildung 8 visualisiert.
97 Hierbei muss angemerkt werden, dass die Begriffe Handeln und Verhalten bei Ajzen und Fishbein weitgehend synonym verwendet werden. Die Differenzierung von „Handeln“ als aktiver Entscheidung eines Individuums und „Verhalten“ als normgeleitetem, nicht bewusst kontrollierbarem Tun wird dabei außer Acht gelassen. Da es sich jedoch um feststehende Begriffe handelt, wird in diesem Abschnitt auch von Handlung und Verhalten als Synonymen ausgegangen.
4.3 Theorie geplanten Verhaltens und Kompatibilität zu bisherigen Annahmen Abbildung 8:
97
Die Theorie geplanten Verhaltens
behaviorale Erwartungen
Einstellung ggü. Verhalten
normative Erwartungen
subjektive Norm
KontrollErwartungen
wahrg. Verhaltenskontrolle
HandlungsIntention
Handlung
objektive Kontrolle
Quelle: Ajzen/Gilbert Cote (2008): 310.
Dabei wird angenommen, dass die Einstellung gegenüber einer spezifischen Handlungsalternative gebildet wird, wobei die Mechanismen der subjektiven Wert-Erwartungstheorie greifen, d.h. es kommt zu einer Abwägung verschiedener vorliegender Erwartungen. In der theoretischen Konzeption der Theorie geplanten Verhaltens wird davon ausgegangen, dass der tatsächlichen Handlung die Intention, eine bestimmte Handlung auszuführen, direkt vorgeschaltet ist. Diese Handlungsintention ist wiederum abhängig von drei Determinanten: erstens von der Einstellung gegenüber dem Verhalten, zweitens von der subjektiven Norm und drittens von der subjektiv wahrgenommenen Verhaltenskontrolle. Die Einstellung gegenüber einem bestimmten Verhalten (z.B. gegenüber der Teilnahme an einer Umfrage) kann positiv oder negativ sein. Sie basiert auf einer Kosten-Nutzen-Abwägung der in der spezifischen Situation verfügbaren Erwartungen und Bewertungen.98 Das bedeutet, die Zielperson versucht bereits, mögliche Folgen einer bestimmten Handlungsentscheidung zu ermitteln, die Wahrscheinlichkeit des Eintretens dieser Folgen abzuschätzen und diese Folgen zu bewerten. Daraus resultiert eine Einstellung gegenüber diesem Verhalten. Die Theorie geplanten Verhaltens bezieht sich dabei strenggenommen nicht auf die Bewertung unterschiedlicher Handlungsalternativen und ist damit im eigentlichen Sinn keine Entscheidungstheorie. Handeln impliziert jedoch immer auch die Möglichkeit des 98 Diese haben in den Modellvorstellungen von Fishbein und Ajzen sowohl eine kognitive als auch eine evaluative Komponente (vgl. Kühnel 1993: 32).
98
4 Die Teilnahme an politischen Umfragen
Nicht-Handelns. Daher kann man die Theorie derart interpretieren, dass die Werte für die beiden Alternativen des Ausführens der Handlung und des Unterlassens derselben in Relation zueinander gesetzt werden (vgl. bereits Ajzen/Fishbein 1980). Damit wird davon ausgegangen, dass bei der Bildung der Einstellung gegenüber einer Handlung jeweils die Differenz zwischen den positiven und negativen Erwartungen für das Ausführen und das Unterlassen der Handlung gebildet und die besser bewertete Alternative angestrebt wird. Die Parallelen zu den Annahmen der subjektiven Wert-Erwartungstheorie, bei der ebenfalls Erwartungen und darauf basierenden Bewertungen verschiedener Handlungsalternativen die Handlungsentscheidung beeinflussen, sind damit klar erkennbar. Die Handlungsentscheidung ist jedoch nicht nur von der spezifischen Einstellung gegenüber einem Verhalten, sondern auch von der subjektiven Norm abhängig. An dieser Stelle differenziert die sozialpsychologische Theorie geplanten Verhaltens stärker als die allgemeinere Wert-Erwartungstheorie: In die Bildung der subjektiven Norm geht ein, welche Erwartungen das Individuum darüber hat, wie sein soziales Umfeld auf eine bestimmte auszuführende Handlung reagieren wird. Die Bewertung erfolgt, analog zur zuvor ausgeführten Bildung der behavioralen Einstellungen, als Differenz der Nutzenwerte der Handlungsausführung und des Unterlassens der Handlung. Dabei unterscheidet sich nur die Form salienter Erwartungen, die nun normativer Natur sind. Die Zielperson könnte beispielsweise evaluieren: „Es ist meine Bürgerpflicht, dass ich an der Befragung teilnehme, das macht man als guter Demokrat. Und dem Interviewer würde ich damit zudem einen Gefallen tun. Er erwartet es sicher von mir. Obgleich meine Frau diese Umfragen unnütz findet, aber das ist nicht so wichtig, sie nimmt es mir auch nicht übel, wenn ich daran teilnehme.“ Schließlich kommt die wahrgenommene Verhaltenskontrolle hinzu, d.h. das Individuum muss annehmen, die Handlung auch ausführen zu können. In die Bildung dieser wahrgenommenen Verhaltenskontrolle werden Erwartungen darüber einbezogen, wie wahrscheinlich die Ausführung einer bestimmten Handlung in der Kontrolle des Individuums liegt. Auch dabei sind wiederum positive und negative Nutzenanreize relevant. Eine mögliche Abwägung in diesem Sinne wäre: „Ich habe mich noch nie für Politik interessiert und kann die Fragen, die mir der Interviewer stellt, sicher nicht beantworten. Ich kann da nicht teilnehmen.“ Je schwieriger eine Handlung ist, desto stärker wirkt die wahrgenommene Verhaltenskontrolle (vgl. Madden et al. 1992). Die drei Einstellungskonstrukte wirken zusammen und determinieren gemeinsam die Handlungsintention des Individuums, d.h. die Absicht, die Handlung tatsächlich auszuführen. Die Stärke des Einflusses der einzelnen Konstrukte auf die Handlungsintention kann sich je nach Population und untersuchtem Verhalten unterscheiden (vgl. Ajzen/Gilbert Cote 2008: 301ff.). Die Intention, eine Handlung ausführen zu wollen, alleine reicht jedoch nicht aus, um sie auch tatsächlich ausführen zu können. Um dies zu berücksichtigen
4.3 Theorie geplanten Verhaltens und Kompatibilität zu bisherigen Annahmen
99
wurde ein weiterer Faktor zusätzlich in das Modell eingeführt, nämlich die objektive Kontrollmöglichkeit, d.h. die tatsächlich vorhandenen Ressourcen und Fähigkeiten eines Individuums (vgl. Kühnel 1993: 33). Die objektive Kontrolle beinhaltet die faktischen Restriktionen. Sie kann im Modell sowohl direkt auf die Handlungsausführung als auch zugleich auf die subjektiv wahrgenommene Verhaltenskontrolle wirken (vgl. Ajzen 1985; Ajzen/Fishbein 2005; Ajzen/Gilbert Cote 2008). Insgesamt bezieht sich die Theorie des geplanten Verhaltens zunächst auf die Bildung spezifischer Einstellungen und auf einen eher bewusst-reflektierten Entscheidungsmodus (vgl. Esser 2001: 294). Häufig findet man die Kritik formuliert, dass stärker heuristisches Entscheiden nicht mit in die Erklärung einbezogen wird (vgl. etwa Eagly/Chaiken 1998: 273). Dieses automatische Entscheiden ist jedoch gut mit der Modellvorstellung zu vereinen, worauf Ajzen und Fishbein schon 1980 bei der Entwicklung der Vorstufe ihrer Theorie hinweisen: „[…] we view the processes involved as largely automatic or implicit, and only in rare cases do we become fully aware of these processes“ (Ajzen/Fishbein 1980: 245). Sie gehen damit sogar generell von stärker heuristischem Entscheiden aus. Nur in „seltenen Fällen“, wenn der Akteur motiviert ist, finden demnach die Entscheidungen bewusst statt. Auch andere Autoren stellen die Frage, wie generalisierte Einstellungen in die Theorie geplanten Verhaltens einbezogen werden können. Kühnel weist beispielsweise darauf hin, dass generalisierte Einstellungen als „Hintergrundvariablen zum einen die Herausbildung bedeutsamer Vorstellungen beeinflussen und zum anderen die Stärke der Effekte moderieren“ (Kühnel 1993: 33) können. Damit verbunden ist die Vorstellung, dass generelle Einstellungen einen Bezugsrahmen bilden, der die vorliegenden Erwartungen in der Situation der Einstellungsbildung strukturiert. Je nachdem, wie die generellen Einstellungen eines Akteurs aussehen, sind dann nur bestimmte Assoziationen und Eindrücke abrufbar.99 Diese Vorstellung sieht generalisierte Einstellungen weniger als Determinanten, sondern als externe Faktoren an, die nicht direkt in das Modell integriert sind, sondern auf die vorliegenden Erwartungen wirken. Ob generalisierte Einstellungen als externe, die Erwartungen strukturierende Variablen oder als aus Erwartungen gebildete Variablen in das Modell eingehen, soll an dieser Stelle nicht weiter thematisiert werden. Dies erscheint gerechtfertigt, da es nicht Ziel der Arbeit ist, die Theorie geplanten Verhaltens in ihren Einzelaspekten zu falsifizieren. Vielmehr wird sie als Instrument verwendet, um mögliche Variablen zu erkennen, bei denen man aufgrund der theoretischen Konzeption einen Einfluss auf die Teilnahme oder Nicht-Teilnahme an Umfragen annimmt. Dafür wird angenommen, dass generalisierte Einstellungen ebenso wie spezifische Einstellungen die Handlungsentscheidung beeinflussen können. 99
Auch die Annahme von Interaktionseffekten findet sich bei Kühnel, der feststellt, dass zur Verbesserung der Prognosequalität „über die Wertausprägung externer Variablen Subgruppen definiert werden“ (Kühnel 1987: 68) sollten, da für diese unterschiedliche Verteilungen zur Salienz von Verhaltens-, Kontroll- und normativen Erwartungen gelten könnten (vgl. Kühnel 1993: 68ff.).
100
4 Die Teilnahme an politischen Umfragen
Ob dies direkt oder indirekt geschieht, ist zur Beantwortung der Fragestellung weitgehend unerheblich.
4.3.2 Die Kompatibilität der Theorie geplanten Verhaltens und der SEU-Theorie Manche Forscher bezweifeln, dass sich die Theorie geplanten Verhaltens (TpB) und die Wert-Erwartungstheorie (SEU-Theorie) unter einen gemeinsamen Rational Choice-Ansatz stellen lassen (vgl. etwa Kühnel 1993). Diese Arbeit vertritt jedoch die Auffassung, dass beide Theorien im Ansatz einer weiten RC-Modellierung verortet werden können (vgl. etwa Esser 2001: 294; Mayerl 2009: 192). Dies geschieht vor dem Hintergrund der Annahme, dass sich „Rational Choice“ wie zuvor ausgeführt nur auf die Rationalität des Verfahrens bezieht. Unter dieser Prämisse wird angenommen, dass es sich bei der TpB um eine Erweiterung und Ergänzung der SEU-Theorie handelt. Beide Theorien basieren zunächst auf identischen Grundannahmen und unterscheiden sich lediglich im Schwerpunkt ihres Erkenntnisinteresses. Sie sind beide zunächst sparsam konzipiert. Die TpB ist aber geeignet, „blinde“ Stellen der SEU-Theorie zu füllen. Im Folgenden sollen die Unterschiede und Gemeinsamkeiten beider Theorien kurz erläutert und der Frage nachgegangen werden, inwiefern die TpB eine Explikation der SEU-Theorie ist. In den Publikationen von Fishbein und Ajzen formulieren die beiden Autoren selbst, dass innerhalb der Theorie geplanten Verhaltens ein „Erwartungs-WertModell“ die Bildung einer Einstellung gegenüber einem Verhalten erklärt (vgl. Fishbein/Ajzen 1975: 30; auch Ajzen/Gilbert Cote 2008: 290).100 Eine Analyse beider theoretischen Modelle zeigt, dass der Nutzen einer Handlungsalternative innerhalb der SEU-Theorie, ebenso wie die Einstellung gegenüber einer Handlung in der TpB, als Produktsumme aus Bewertungen und Erwartungen bi*ei gebildet wird (vgl. Kühnel 1993: 78). Für Kühnel (1993: 77ff.) reicht dies jedoch nicht, um beide Theorien im gleichen Ansatz zu verorten, da es seines Erachtens zwischen den beiden Theorien dennoch Unterschiede gibt. Seine zentralen Argumente sollen hier kurz aufgezeigt und, in Anbetracht der zuvor aufgestellten Annahmen zur SEU-Theorie, weitestgehend widerlegt werden. Kühnel nennt verschiedene Argumente, die ihn von der Inkompatibilität der Theorien ausgehen lassen. Erstens beschreibt er als zentralen Unterschied, dass es sich bei der Wert-Erwartungstheorie um eine deterministische und bei der Theorie geplanten Verhaltens um eine stochastische Theorie handele. Die SEU-Theorie wurde jedoch – wie Kühnel selbst erwähnt (vgl. Kühnel 1993: 78) – von Esser (1990) und Lindenberg (1989) bereits als stochastische Theorie reformuliert. Zweitens weist Kühnel darauf hin, dass in den beiden Theorien unterschiedliche Handlungskonsequenzen in die Bewertung mit eingehen. Bei der TpB nur die bedeutsa100
Auch andere Studien unterstützen diese Verknüpfung der beiden theoretischen Modelle innerhalb eines Ansatzes (vgl. Muller 1979; Stephan 1990).
4.3 Theorie geplanten Verhaltens und Kompatibilität zu bisherigen Annahmen 101 men, bei der SEU-Theorie hingegen alle Handlungskonsequenzen. Dabei liegt jedoch ein Missverständnis vor: Innerhalb der SEU-Theorie wird nicht angenommen, dass alle potenziellen Handlungskonsequenzen berücksichtigt werden. Da auch im Rahmen der SEU-Theorie von beschränkten Informationsverarbeitungskapazitäten von Individuen ausgegangen wird, ist in ihr angelegt, dass nur bestimmte Konsequenzen – diejenigen nämlich, die subjektiv verfügbar sind – mit in die Entscheidung eingehen. Bei Esser findet man dies in dem expliziten Hinweis auf die Subjektivität der Randbedingungen, welche die Rationalität der Selektionsregel nicht beeinflussen (vgl. Esser 1999: 216). Als weiteren Unterschied erwähnt Kühnel die beiden Konstrukte der sozialen Norm und der Kontrollerwartung in der TpB, die er in der Nutzentheorie nicht wiederfindet. Bereits in den Ausführungen von Lindenberg (1985) und Esser (1985) wird jedoch darauf hingewiesen, dass ein rationaler Akteur auch nach gesellschaftlichen Normen handeln kann. Soziale Normen sind zwar nicht explizit im Rahmen des SEU-Ansatzes als Determinanten der Handlungsentscheidung modelliert, können aber implizit mit ins Entscheidungskalkül einfließen. In der TpB wird zwischen der Einstellung gegenüber dem Verhalten und der subjektiven Norm getrennt. Sie differenziert damit lediglich stärker als die SEU-Theorie. Innerhalb der einzelnen Konstrukte gelten bei der Bildung der Einstellungen jedoch wieder die Mechanismen der Wert-Erwartungstheorie. Empirisch bleibt offen, ob zwischen der Norm und der Einstellung gegenüber dem Verhalten tatsächlich unterschieden werden kann. Kühnel selbst weist an anderer Stelle darauf hin, dass dies nicht unbedingt der Fall ist (vgl. Kühnel 1993: 23; auch Fishbein/Ajzen 1975: 304). Dies ist aber auch nicht unbedingt notwendig, um die Kompatibilität der beiden Theorien annehmen zu können. Letztlich ist es damit ein definitorischer Unterschied, ob man die beiden Konzepte trennt, wie bei der TpB, oder nicht, wie bei der SEU-Modellierung. Vor dem Hintergrund eines detaillierteren Begriffsverständnisses ist eine Trennung der normativen Einflüsse von der Einstellung gegenüber dem Verhalten durchaus legitim. Wie bereits erwähnt, haben die beiden Theorien ein jeweils unterschiedliches Erkenntnisinteresse. Die TpB bezieht sich zunächst explizit auf die Erklärung der Herausbildung einer Handlungsintention, die dann direkte Determinante der Handlungsausführung ist. Die SEU-Theorie bezieht sich hingegen auf die direkte Erklärung einer Handlungswahl zwischen verschiedenen Handlungsalternativen. Sie bildet damit einen Rahmen grundlegender Prinzipien der Handlungsentscheidung. Die TpB ist dann geeignet, die Erklärung auf der theoretischen Ebene zu vervollständigen, indem sie die Blackbox zwischen Einstellungen und Verhalten beleuchtet, auf die bei der SEU-Theorie nicht detaillierter eingegangen wird. In der Literatur wird jedoch häufig kritisiert, dass bei der TpB die Auswahl verschiedener Handlungsalternativen nicht modelliert wird. Es wird konstatiert, dass ihr eine explizite Selektionsregel fehle, was wiederum die SEU-Theorie leisten kann (vgl. Mayerl 2009: 75). Dennoch kann man, wie bereits beschrieben, immer zwischen der Intention, eine Handlung auszuführen oder sie zu unterlassen, unterscheiden
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4 Die Teilnahme an politischen Umfragen
und damit zwischen mindestens zwei Handlungsalternativen diskriminieren. Die TpB lässt sich damit problemlos als Handlungstheorie modellieren und in den Kontext des weiten RC-Ansatzes stellen. In Kombination mit den Annahmen der SEUTheorie, bei der die Selektionsregel eindeutig formuliert ist, kommt man somit zu einer vollständigeren Erklärung. Ein weiterer Unterschied zwischen den Theorien besteht im Umgang mit generellen Einstellungen. In der SEU-Modellierung werden sie direkt mit aufgenommen, in der TpB meist als „externe Variablen“ (vgl. Ajzen/Fishbein 1980: 84; Kühnel 1993) angesehen. Diese können in der TpB zu den „bedeutsamen Attributen der Einstellung zum Verhalten“ (Kühnel 1993: 119) gehören, müssen es aber nicht. Das bedeutet, politische Einstellungen könnten in dieser Formulierung nur indirekt auf die Einstellung gegenüber der Teilnahme an einer politischen Befragung wirken, während sie bei der SEU-Modellierung als direkte Kosten/Nutzenanreize im Modell integriert wären. In der empirischen Überprüfung wird jedoch nicht zwischen direkten und indirekten Determinanten unterschieden. Aus diesem Grund ist dieser Aspekt von untergeordneter Relevanz. Insgesamt kann man daher festhalten, dass die von Kühnel genannten Argumente nicht ausreichen, um von zwei völlig getrennten theoretischen Konzepten zu sprechen. Erweitert man die TpB um die Idee der Wahl zwischen Handlungsalternativen, kann man sie sehr gut als „Variante der Wert-Erwartungs-Erklärung des Verhaltens“ (Esser 2001: 248) ansehen. In diesem Fall stellt sie die detailliertere Theorie dar, die präzisere Erklärungen postuliert, die Determinanten strukturiert und zugleich höhere Anforderungen an die Daten stellt (vgl. dazu auch die methodologischen Anweisungen zur Überprüfung der Theorie von Ajzen/Fishbein 1980). Die Grundidee entspricht aber der einer SEU-Modellierung. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit wird aus den genannten Gründen von einer weitgehenden Kompatibilität der theoretischen Annahmen ausgegangen. Beide lassen sich in den Rahmen einer weiten RC-Perspektive einordnen. Zur Strukturierung der potenziellen Determinanten ist die TpB die geeignetere Modellierung. Da die Handlungsintention bei den vorliegenden Daten empirisch jedoch nicht getrennt erfasst wurde, sondern lediglich die Handlung selbst erhoben wurde, wird – wie bei klassischen SEUModellierungen – die Handlung an sich als zentrale zu erklärende abhängige Variable eingeführt. Dabei wird theoretisch nicht ausgeschlossen, dass dieser Handlungsentscheidung eine Handlungsintention vorausgeht, jedoch kann diese Detailebene empirisch nicht mit den vorliegenden Daten untersucht werden. Da sich die zentrale Fragestellung der Arbeit aber auch auf den Aspekt der möglichen Unterschiede zwischen Respondenten und Nonrespondenten bezieht, stehen nicht die theoretischen Modellierungen (Handlung vs. Handlungsintention) im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses. Die Theorien werden vielmehr als Instrumente herangezogen, um relevante Variablen herauszuarbeiten, bei denen Unterschiede zwischen Verweigerern und Kooperativen angenommen werden. Dieses Forschungsziel
4.4 Zwischenfazit
103
rechtfertigt den „gröberen“ Zugang auf theoretischer Ebene, der gewisse Detailfragen der Modellierung ausklammert.
4.4 Zwischenfazit Als Zwischenfazit lässt sich festhalten, dass ein Modell zur Erklärung der Kooperation bei politischen Umfragen auf der Individualebene zunächst auf klassische Handlungstheorien zurückgreift. Kooperation oder Verweigerung werden dabei als zwei Handlungsalternativen (Handlung und Unterlassung derselbigen) konzeptualisiert. Die Wahl der Alternative erfolgt nach den Regeln der subjektiven WertErwartungstheorie. In der Forschung werden meist zwei grundlegende Strömungen zur Erklärung der Handlungsentscheidung unterschieden: sozialpsychologische Modelle, die Einstellungen als zentrale Determinanten diskutieren, und Theorien, die die Entscheidung als Kosten-Nutzen-Abwägung erklären. Im vorangegangenen Kapitel wurde gezeigt, dass sich diese beiden nicht entgegenstehen oder widersprechen. Dazu wurde zum einen von einem weiten Nutzenbegriff ausgegangen und angenommen, dass spezifische Einstellungen als Kosten- oder Nutzenmotive in die Abwägung eines Individuums eingehen. Zum anderen wurden die Ideen des dualen Prozessierens aufgenommen und verschiedene Entscheidungsmodi unterschieden. Dabei wird angenommen, dass die Entscheidung eines Individuums für eine Handlungsalternative, je nach Grad der Informationsverarbeitung, stärker überlegt-reflektiert oder automatisch-spontan bzw. heuristisch ablaufen kann. Im ersten Fall wirken stärker spezifische Einstellungen und/oder materielle Kosten-NutzenÜberlegungen, im zweiten Fall beeinflussen eher generalisierte Einstellungen, Wertvorstellungen und Normen die Handlungsentscheidung. Dabei wird argumentiert, dass aufgrund der begrenzten Informationsverarbeitungskapazitäten von Individuen ein dauerhaft reflektiertes Vorgehen und eine intensive Kosten-Nutzen-Abwägung nicht in jeder Handlungssituation möglich ist. Daher werden zunächst generalisierte Einstellungen auf die Wahl der Alternativen wirken. Erst wenn bestimmte Bedingungen eine Situation kennzeichnen, sind stärker reflektierte Kosten-Nutzen-Abwägungen anzunehmen. In der Literatur werden verschiedene Determinanten genannt, die beeinflussen, welcher Entscheidungsmodus gewählt wird. Diskutiert wurden im vorangegangenen Abschnitt vor allem diejenigen Merkmale, die sich als empirisch erklärungsstark herausgestellt haben: Ein Akteur wird stärker überlegt-rational agieren, wenn er merkt, dass es sich nicht um eine Alltagssituation handelt, wenn seine Standardhandlung nicht genau passt oder wenn die wahrgenommenen Informationen nicht zu bestehenden Handlungsmodellen passen. Gerade für eine in Befragungssituationen unerfahrene Zielperson ist anzunehmen, dass es kaum eine Standardhandlung für die Situation einer Interviewanfrage gibt. Dies kann sogar noch gesteigert wer-
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4 Die Teilnahme an politischen Umfragen
den, wenn ein hohes Incentive ausgezahlt wird, das in der deutschen empirischen Sozialforschung einen gewissen Seltenheitswert hat. Zudem muss der Akteur auch motiviert sein, die Kosten einer nicht spontanen Handlung auszugleichen und er braucht ein notwendiges Maß an Zeit und kognitive Kapazitäten, um überhaupt rationale Überlegungen anstellen zu können. Alle diese Merkmale können als moderierende Variablen genannt werden. Je stärker diese Voraussetzungen gegeben sind, desto eher bildet der Akteur auf der Grundlage von stärker situativen Anreizen und Kostenfaktoren spezifische Einstellungen gegenüber einem bestimmten Verhalten heraus. Die Motivation eines Akteurs hängt, so die Annahme, hauptsächlich mit der Schwere der individuellen Handlungskonsequenzen zusammen. Diese wird in der Literatur über die Klassifikation der Situation als Low- oder High-Cost-Situation abgebildet: In Low-Cost-Situationen „lohnen“ sich keine reflektierten Überlegungen, in Situationen mit höheren Kosten und höherer Relevanz dagegen schon. Dabei wird jedoch nicht davon ausgegangen, dass es sich um zwei alternative Situationstypen handelt, sondern vielmehr um ein Kontinuum, in dem Situationen angesiedelt sein können. Auf diesen Grundlagen wurde schließlich die Theorie geplanten Verhaltens herangezogen und ihre Nähe zum SEU-Ansatz aufgezeigt. Sie ist geeignet, um die Merkmale zu strukturieren, die die Handlungsentscheidung des Individuums beeinflussen. Dies sind im Wesentlichen drei Kategorien von Determinanten: die Einstellung gegenüber dem Verhalten, die subjektive Norm und die Handlungskontrolle, wobei man noch einmal zwischen der subjektiv wahrgenommenen und der objektiven Handlungskontrolle unterscheiden kann. Die Grundannahme bleibt, dass ein Zusammenspiel von situativen Faktoren („states“) und situationsunabhängigen Einstellungen („traits“) die Entscheidungssituation beeinflusst (vgl. Schnauber/Daschmann 2008). Bevor im nächsten Abschnitt die Merkmale, für die ein Einfluss auf die Entscheidung zwischen Kooperation und Verweigerung angenommen werden kann, diskutiert werden, sollen an dieser Stelle noch zwei Anmerkungen erfolgen: Bei der Wert-Erwartungstheorie handelt es sich zunächst um ein Konzept zur Erklärung parametrischer Entscheidungssituationen. Dabei wird angenommen, dass ein Akteur in einer unbelebten, nicht reaktiven Handlungsumgebung agiert (vgl. Frings 2008: 133; Spohn 1994: 198). Daher wird häufig argumentiert, dass zur Erklärung von Interaktionssituationen und damit zur Erklärung von sozialem Handeln spieltheoretische Modellierungen notwendig seien. Verschiedene Autoren zeigen jedoch, dass auch die subjektiven Wert-Erwartungstheorien geeignet sind, Interaktionssituationen, d.h. Situationen, in denen die Handlungskonsequenzen der beteiligten Akteure mit kontrolliert und die potenziellen Reaktionen des Gegenübers mit einkalkuliert werden müssen, zu modellieren (vgl. Frings 2008: 134; Hennen/Kunz 2002: 613). Dies ermöglichen explizit subjektive Wahrscheinlichkeitsschätzungen, die in der TpB in den subjektiven Erwartungen abgebildet sind, die in die Bildung der Einstellung gegenüber dem Verhalten, der subjektiven Norm
4.4 Zwischenfazit
105
und der wahrgenommenen Handlungskontrolle eingehen. Aus diesem Grund ist die Modellierung über die TpB auch für eine Situation strategischer Interdependenz vertretbar. Die zweite Anmerkung bezieht sich auf die Frage, ob es sich bei der Teilnahme an einer politischen Umfrage nicht einfach um eine Form politischer Partizipation handelt. Aus diesem Grund, könnte man argumentieren, sind keine neuen theoretischen Modellierungen notwendig, sondern die Auswahl der Determinanten kann auf der breiten theoretischen und empirisch gesicherten Forschungsbasis zur Erklärung politischer Partizipation erfolgen (vgl. neben vielen anderen Ajzen/Fishbein 1980; Barnes et al. 1979; Gabriel 2004; Kaase/Marsh 1979; Koch et al. 2001; Parry et al. 1992; Pattie et al. 2004; Teorell et al. 2007; Uehlinger 1988; Verba et al. 1978; Verba et al. 1995; Verba/Nie 1972). Dazu wird in dieser Arbeit eine differenzierte Position bezogen, die nun kurz dargestellt werden soll. Wie im vorangegangenen Kapitel gezeigt, handelt es sich bei der Entscheidung zu Kooperation oder Verweigerung um eine Form sozialen Handelns. Bei einer Umfrage zu politischen Themen kann man zusätzlich annehmen, dass es sich um eine Form politischen Handelns handelt. Brehm (1993: 69) vermutet: „The respondent’s decision to participate in surveys may share common factors with a citizen’s decision to participate in politics. [...] [S]ome respondents may view participation in the survey as a political act“. Ob es sich um „politische Partizipation“ oder lediglich um „Reden über Politik“ und damit politische Kommunikation handelt, hängt von den Begrifflichkeiten und Definitionen der beiden zentralen Konzepte „Politische Partizipation“ und „Umfrageteilnahme“ ab. Diese müssen daher präzisiert werden. Unter politischer Partizipation wird jede freiwillige Handlung verstanden, die mit dem Ziel durchgeführt wird, politische Entscheidungen zu beeinflussen (vgl. etwa Kaase/Marsh 1979: 42; Verba/Nie 1972: 2).101 Die Teilnahme an Umfragen wäre gemäß dieser Definition genau dann politische Partizipation, wenn die Befragten darauf abzielten, Repräsentanten zu beeinflussen, sich öffentlich zu artikulieren und die Ablehnung bzw. Zustimmung zu Entscheidungen und gesetzlichen Regelungen kundzutun. Studien, insbesondere aus dem angelsächsischen Raum, zeigen, dass Politiker und ihre Entscheidungen durch Umfragen („Volksbefragungen“) entweder direkt oder indirekt über die Medien beeinflusst werden 101
Es existieren daneben Definitionen von politischer Partizipation, die den Begriff deutlich weiter fassen. Radtke (1976: 16) versteht unter politischer Partizipation etwa jede Beschäftigung mit Politik. Dann wären Umfragen eine Form politischer Partizipation. Eine derart umfassende Begriffsdefinition erscheint jedoch nicht geeignet, da die Verwendung des Begriffs unpräzise ist und notwendige Abgrenzungen zu verschiedenen Formen von Partizipation nicht mehr möglich erscheinen. Eine derartige Unschärfe trägt nicht zum Erkenntnisgewinn bei. Ein enges instrumentelles Verständnis findet man z.B. bei Verba/Nie (1972: 3), die unter politischer Partizipation nur zielgerichtete Aktivitäten verstehen und von „those activities […] that are more or less aimed at influencing the selection of governmental personnel and/or the actions they take“ sprechen. Davon unterscheiden lassen sich Konzepte, die auch nicht-zielgerichtete Tätigkeiten mit politischen Auswirkungen einbeziehen, z.B. symbolische Akte. Diese Auffassung vertreten z.B. Milbrath/Goel, wenn sie zu politischer Partizipation feststellen: „[I]t includes not only active roles that people pursue in order to influence political outcomes but also ceremonial and support activities“ (Milbrath/Goel 1977: 2).
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4 Die Teilnahme an politischen Umfragen
(vgl. Paletz et al. 1980: 508f.; auch Burstein 2003; Cohen 1997; Druckman/Jacobs 2006; Erikson et al. 2002; Jacobs/Page 2005; Manza et al. 2002; Page/Shapiro 1983; Soroka/Wlezien 2005).102 Man könnte daher annehmen, dass Bürger über eine Teilnahme auch diesen Zweck verfolgten. Dann wäre die Teilnahme eine Form politischer Partizipation, ähnlich wie beispielsweise eine Unterschriftensammlung. Andererseits kann man jedoch auch argumentieren, dass den Zielpersonen die Beeinflussung der Politik gar nicht bewusst ist und sie annehmen, dass es sich bei einer Umfrage um reinen Zeitvertreib beziehungsweise Kommunikation über politische Themen handelt. Dann läge keine politische Partizipation im zuvor definierten Sinne vor. Es könnte sich zwar um eine Voraussetzung späterer politischer Partizipation handeln, wäre selbst aber keine gezielte Einflussnahme. Man kann versuchen, die Zielpersonen in Richtung der ersten Annahme zu beeinflussen, indem beispielsweise bereits im Anschreiben explizit auf die Möglichkeit der Beeinflussung von Politik und Politikern Bezug genommen wird. Empirisch lässt sich die Frage: „Sind Umfragen mit politischen Inhalten politische Partizipation oder Beschäftigung mit Politik?“ jedoch nicht eindeutig klären, wenn man die Zielpersonen nicht explizit danach gefragt hat, was sie mit der Teilnahme beabsichtigen. Die allgemeinere Vorstellung „Die Teilnahme an einer Umfrage zu politischen Themen ist politische Kommunikation“ basiert auf weniger strengen Annahmen über die Zielpersonen. Sie kann in diesem Fall intentional und damit politische Partizipation sein, sie muss es aber nicht unbedingt. Man kann ebenso an Umfragen teilnehmen, ohne gezielt politische Prozesse beeinflussen zu wollen. Ob, und wenn ja wie viele, Personen ihre Umfragebeteiligung tatsächlich als politische Beteiligung wahrnehmen, ist eine empirische Frage, zu der bislang leider keine Daten erhoben wurden.103 So lässt sich weder empirisch noch theoretisch entscheiden, wie die Zielpersonen die Teilnahme an Umfragen einordnen. Für die vorliegende Arbeit wird daher zunächst vom allgemeineren Fall „politischer Kommunikation“ ausgegangen und angenommen, dass mit der Teilnahme nicht notwendigerweise ein bestimmtes politisches Ziel verfolgt wird. Klassische Erklärungsfaktoren politischer Partizipation können dennoch gut in ein Erklärungsmodell integriert werden, da sich viele davon nicht nur explizit auf den intentionalen Aspekt beziehen, sondern auf politisches und soziales Handeln allgemein (vgl. Esser 1973: 220ff.). Dies zeigt das Beispiel des Interesses am Thema. Allgemein wird davon ausgegangen, dass Interesse am Thema einer Studie die Teilnahmebereitschaft positiv beeinflusst (vgl. Baumgartner et al. 1998). Bei politischen Umfragen kann man daraus ableiten, dass politisches Interesse die Teilnahmewahrscheinlichkeit erhöht. Politisches Interesse wird in der Forschung gleichzeitig als relevanter Einflussfaktor für politi-
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Siehe dazu auch das Interview mit Pappi in der Zeitschrift für Politikberatung (2008: 93-100) zum Einfluss von Umfragen auf Politiker in der Bundesrepublik Deutschland. 103 Hier wäre eine Frage der Art „Ist die Teilnahme an einer politischen Umfrage für Sie eine Möglichkeit, sich politisch zu beteiligen?“ nötig.
4.5 Die Modellierung
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sche Partizipation diskutiert (vgl. etwa Brehm 1993: 70; Vetter/Maier 2005: 52; Voogt/Saris 2003; Voogt 2004). Der Vorteil bei dieser Vorgehensweise ist, dass man sich nicht auf ein zu weites Begriffsverständnis politischer Partizipation einlassen muss. Das vorgestellte Konzept der Teilnahme an Umfragen als „Reden über Politik“ basiert auf weniger Prämissen und ist nicht in dem Moment hinfällig, in dem gezeigt wird, dass die Befragten mit ihrer Teilnahme nicht auf die Beeinflussung der Politik abzielen. Hinzu kommt, dass sich in einem darauf basierenden Kausalmodell auch nichtpolitische Handlungsmotive (wie beispielsweise Einstellungen gegenüber Umfragen und Reaktionen auf einzelne Designelemente) zur Erklärung der Handlungsentscheidung aufnehmen lassen. Diese werden in den klassischen Erklärungsmodellen politischer Partizipation nicht berücksichtigt, können jedoch für die Teilnahme an Umfragen relevant sein. Wenn sich anschließend im allgemeinen Modell zeigt, dass zentrale politische Variablen, die sich bereits in der Literatur als relevante Determinanten von politischer Partizipation erwiesen haben, auch auf die Teilnahmeentscheidung bei einer Umfrage wirken, gelten diese Zusammenhänge erst recht unter der Prämisse, dass die Teilnahme an politischen Umfragen einen Spezialfall der politischen Partizipation darstellt. Allgemein formuliert wird damit angenommen: „Both forms of participation may be seen as participation in society“ (Brehm 1993: 70), für die ähnliche, aber nicht identische Mechanismen gelten.
4.5 Die Modellierung In diesem Kapitel wird nun auf der Grundlage der Theorie geplanten Verhaltens und den dazu kompatiblen Regeln der SEU-Theorie ein Modell zur Erklärung von Verweigerungen in politischen Umfragen entwickelt. Das bedeutet, es wird keine neue Theorie formuliert, sondern bestehende Erklärungsansätze auf die spezifische Fragestellung der Teilnahme an einer politischen Befragung angepasst, um anschließend Hypothesen zu Unterschieden zwischen den Merkmalen von Verweigerern und Kooperativen aufzustellen. Dazu werden zunächst Merkmale diskutiert, von denen ein Einfluss auf die Kooperationsentscheidung angenommen wird. Anschließend werden diese im Rahmen der genannten theoretischen Ansätze zu einem Gesamtmodell zusammengefügt. Die Grundannahme dabei ist, dass die Entscheidung zur Teilnahme an Befragungen auf der Individualebene fällt und ein komplexer Entscheidungsprozess ist, bei dem sowohl stärker situative Faktoren als auch stärker situationsunabhängige Merkmale zusammenwirken (vgl. Esser 1999; Schnauber/Daschmann 2008).
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4 Die Teilnahme an politischen Umfragen
4.5.1 Determinanten von Verweigerungen in politischen Umfragen Die Kernfrage, warum Personen die Teilnahme an einer politischen Befragung verweigern, lässt sich in Anlehnung an einen Klassiker der politischen Partizipationsforschung mit: „Because they can’t, because they don’t want to, or because nobody asked“104 (Brady et al. 1995: 271) beantworten. Zur Erklärung der Teilnahme an Umfragen werden daher verschiedene Faktoren einbezogen: Die Zielperson muss zunächst teilnehmen können, d.h. über gewisse Ressourcen105 und Fähigkeiten verfügen. Zugleich muss sie sich dieser Ressourcen auch bewusst sein. Dabei geht es nicht um allgemeine Ressourcen, wie etwa Geld oder Besitz, sondern um die für die Situation einer persönlich-mündlichen Befragung zu politischen Themen relevanten Ressourcen, wie Zeit, Wissen oder Kommunikationsfähigkeit. Diese sind in der Theorie des geplanten Verhaltens als objektive und subjektiv wahrgenommene Kontrollmöglichkeiten integriert. Zwischen der objektiven und der subjektiven Kontrollmöglichkeit können deutliche Differenzen auftreten, d.h. die tatsächlichen Ressourcen müssen nicht immer mit dem Selbstbild übereinstimmen. Es reicht aber nicht aus, dass eine Zielperson an einer Befragung teilnehmen kann. Darüber hinaus muss sie auch an einer konkreten Umfrage teilnehmen wollen, d.h. eine positive Einstellung gegenüber der Handlungsausführung haben, wofür sie über positive Nutzenanreize motiviert werden kann (vgl. neben vielen anderen Esser 1986a). Bei der Bildung der Einstellung gegenüber den Handlungsalternativen „Kooperation oder Verweigerung bei einer politischen Umfrage“ können verschiedene Aspekte relevant sein: Einerseits stärker situative Faktoren, wie die Wahrnehmung und Bewertung der konkreten Umfrage bzw. des konkreten Interviewers, andererseits aber auch generellere Einstellungen, wie das interpersonale Vertrauen, die Umfrageeinstellung, die Einstellung gegenüber Beteiligungsnormen an sich sowie die Einstellungen einer Person gegenüber dem politischen System. Neben dem „Teilnehmen-Können“ und dem „Teilnehmen-Wollen“ bezieht sich das zuvor erwähnte Zitat von Brady et al. (1995) noch auf das „GefragtWerden“. Im Ursprungszitat, das sich auf die Erklärung von politischer Partizipati104
Neben den rein linearen Effekten kann man zudem annehmen, dass zwischen den Faktoren Wechselwirkungen existieren. Auch in der politischen Partizipationsforschung wurde bereits gezeigt, dass ein gewisses Maß an Ressourcen die Voraussetzung ist, um sich überhaupt an Netzwerken beteiligen zu können (vgl. Verba et al. 1995: 270, 343; Hansen 2009). Diese Interaktionseffekte werden jedoch zunächst bewusst vernachlässigt, um die Komplexität des Modells nicht zu groß werden zu lassen. 105 In der politischen Partizipationsforschung werden Ressourcen meist nur über sozialstrukturelle Merkmale wie Bildung, Schichteinstufung oder Einkommen erhoben (vgl. Uehlinger 1988: 170). Daher wird das Ressourcenmodell in der Literatur häufig auch als „socio-economic-status-model“ (Brady et al. 1995: 271) bezeichnet. Das Modell basiert auf der indirekten Annahme, dass Individuen mit einem höheren sozioökonomischen Status auch ein höheres Maß an Bürgerkompetenzen besitzen, die sich dann wiederum positiv auf die Partizipationsbereitschaft auswirken (vgl. Verba/Nie 1972: 126). Diese „civic skills“ (ebd.) erleichtern politische Partizipation ebenso wie die Teilnahme an einer Befragung zu politischen Themen (vgl. Brehm 1993: 50ff.; Goyder 1986, 1987). Auf dieser Grundlage wird z.B. häufig versucht, den „Mittelschichtbias“ – die Überrepräsentation mittlerer Schichten – bei Befragungen zu erklären (vgl. Esser 1986a; Hartmann/Schimpl-Neimanns 1992).
4.5 Die Modellierung
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on bezieht, geht es dabei um die Rekrutierung von politisch Aktiven durch das eigene soziale Umfeld. Bei Meinungsumfragen auf der Grundlage von Zufallsstichproben ist das soziale Umfeld als Rekrutierungsweg nicht von Bedeutung. In der Situation einer persönlich-mündlichen Befragung wird die Zielperson zufällig ausgewählt und anschließend vom Interviewer direkt angesprochen, ob sie teilnehmen möchte. In einer weiter gefassten Interpretation des Zitats könnte man mit dem „Gefragt-Werden“ aber auf das Konstrukt der subjektiven Norm innerhalb der TpB rekurrieren. Dann bezieht es sich auf die Wertschätzung des sozialen Umfelds, die das Individuum antizipiert, wenn es vor der Entscheidung steht, an einer Umfrage teilzunehmen. Dafür wird ebenfalls ein Einfluss auf die Handlungsentscheidung angenommen. Die subjektive Norm wird aus der Abwägung normativer Erwartungen gebildet. Dabei kann man vermuten, dass sowohl die soziale als auch die politische Einbindung eines Individuums auf die Kooperationsintention eines Individuums einwirkt. Wenn Individuen in einem hohen Maße sozial und/oder politisch involviert sind, werden sie eher annehmen, dass eine Kooperation an einer Umfrage vom Umfeld positiv honoriert wird. In den folgenden Abschnitten sollen nun die einzelnen möglichen Determinanten eines Modells zur Erklärung der Teilnahme an politischen Umfragen diskutiert werden. Dabei wird auf die objektiven und subjektiven Kontrollmöglichkeiten (Kap. 4.5.1.1), die Einstellung gegenüber der Teilnahme (Kap. 4.5.1.2) und auf die subjektive Norm (Kap. 4.5.1.3) Bezug genommen und es werden die Merkmale herausgearbeitet, die deren Bildung beeinflussen. Der Fokus des Modells liegt dabei auf der Erklärung individuellen Handelns und damit ausschließlich auf der Individualebene. Gesellschaftliche Einflüsse oder Einflüsse des Forschungsdesigns auf der Makroebene (z.B. der Verstädterungsgrad eines Landes oder die soziale Kohärenz eines Gebiets), wie sie in den zuvor vorgestellten Modellen z.B. bei Groves/Couper (1998) diskutiert wurden, werden theoretisch zwar nicht ausgeschlossen, jedoch gleichzeitig auch nicht explizit empirisch analysiert. Die Fragestellung bezieht sich im Kern auf die Handlungsentscheidung des Individuums und es wird angenommen, dass die Einflüsse auf den anderen Ebenen im empirisch untersuchten gesellschaftlichen Umfeld entweder weitgehend konstant sind oder indirekt über die modellierten Einstellungen des Individuums, wie z.B. das soziale Vertrauen, wirken (vgl. Voogt 2004: 4; ähnlich auch Groves/Couper 1998).
4.5.1.1 Objektive und subjektive Kontrollmöglichkeiten als Determinanten der Teilnahmeentscheidung Damit sich eine Zielperson an einer Umfrage beteiligen kann, wird zunächst angenommen, dass sie über bestimmte objektive, partizipationsrelevante Ressourcen verfügen muss (vgl. u.a. Esser 1973: 245; siehe auch schon Gaudet/Wilson 1940:
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4 Die Teilnahme an politischen Umfragen
775). Dabei lassen sich sowohl kognitive Fähigkeiten als auch soziale und zeitliche Ressourcen unterscheiden. Um eine Interviewanfrage verstehen und richtig einordnen sowie sie gegenüber anderen Anfragen abgrenzen zu können, braucht eine Zielperson zunächst ein gewisses Maß an kognitiven Fähigkeiten. Gleichzeitig fällt die Beantwortung von Fragen zu politischen und gesellschaftlichen Themen umso leichter, je höher die kognitive Ressourcenausstattung ist. Deren Einfluss auf die Kooperationsbereitschaft lässt sich damit gut innerhalb einer Kosten-Nutzen-Vorstellung modellieren: Wenn eine Zielperson eine Teilnahme in Betracht zieht, entstehen Informationskosten. Nachdem sie über ein Anschreiben oder den Interviewer von der Teilnahmebitte erfahren hat, muss sie sich über die Studie, den Sponsor oder auch das Thema informieren, um das Vorhaben einschätzen und bewerten zu können. Die Informationskosten sind bei einer anspruchsvollen politischen Befragung umso höher, je weniger kognitive Ressourcen die Zielperson besitzt. In diesem Bereich kann man zwischen langfristig und mittelfristig erworbenen Fähigkeiten differenzieren. Zu den langfristigen Ressourcen zählt z.B. das Bildungsniveau einer Person, das im Laufe der Bildungssozialisation erworben wird und anschließend weitgehend konstant bleibt. Ein gewisses Maß an Bildung ist nötig, um überhaupt der Situation einer Teilnahme gewachsen zu sein. Die langfristigen kognitiven Ressourcen sind aber gleichzeitig auch relevant für das Erkennen der kollektiven Nutzenanreize einer wissenschaftlichen Befragung: Bei Personen mit einem hohen Bildungsniveau kann man im Gegensatz zu niedrig Gebildeten annehmen, dass sie wissenschaftliche Umfragen als etwas Relevantes einschätzen (vgl. Cannell/Kahn 1968: 535; allgemein zum Einfluss von kognitiven Ressourcen auf Partizipation vgl. Dalton 2002: 56; Jones et al. 1979: 69). Das ist eine Voraussetzung dafür, dass die Zielperson solche kollektiven Anreize auch in die individuelle Kosten-Nutzen-Abwägung mit einbeziehen kann. Eher als mittelfristig106 zu bezeichnende kognitive Ressourcen sind themenspezifische Ressourcen. Dabei ist weniger zu fragen, ob eine Person überhaupt an einer Umfrage teilnehmen kann, sondern ob sich eine Person an einer bestimmten Befragung zum Thema Politik beteiligen kann. Für eine politische Umfrage bedeutet dies konkret, dass politische Informiertheit das Beantworten der Fragen vereinfacht. Dieses Argument gewinnt insbesondere vor dem Hintergrund des zuvor angesprochenen Einstellungsbegriffs an Bedeutung: Man kann annehmen, dass politisch informierte Zielpersonen zuvor schon häufiger mit den angesprochenen Themen konfrontiert wurden und daher auf eine größere Anzahl von Eindrücken und Überlegungen zu diesem Gebiet zurückgreifen können. Daher können Einstellungen einfacher, d.h. ohne großen Aufwand, gebildet und weitergegeben werden. Expertise auf einem Gebiet – in diesem Fall im Bereich der Politik – führt dazu, 106 Hierbei wird von mittelfristigen und nicht von kurzfristigen Ressourcen gesprochen, weil nicht angenommen wird, dass sie spontan erworben werden können, sondern auch hierbei ein „Lernprozess“ nötig ist, der jedoch, im Unterschied zu den langfristigen Ressourcen, nicht unbedingt während der Bildungssozialisation erworben wird.
4.5 Die Modellierung
111
dass bei diesen Personen viele, leicht aktivierbare Vorstellungsbündel zu Institutionen, Personen oder Themen vorliegen. Wenn man sich über Politik informiert, kennt man Politiker, aktuelle Fragestellungen und Probleme. Hat sich hingegen jemand bislang nicht mit dem Bereich beschäftigt, sind keine Assoziationen zu der angesprochenen Materie präsent. Dann ist es deutlich aufwändiger und schwieriger, eine Einstellung zu einem bestimmten unbekannten Objekt neu zu bilden und diese dem Interviewer mitzuteilen (vgl. Schoen 2006: 91; siehe auch Bassili/Krosnick 2000; Billiet et al. 2004; Bizer et al. 2004; Lavine et al. 2000). Die Anstrengung bei der Beantwortung von Fragen wird in der Literatur zu den zentralen Kostenfaktoren einer Befragung gezählt (vgl. Riphahn/Serfling 2005: 524). Man könnte annehmen, dass neben der politischen Informiertheit auch objektives politisches Wissen zu den kognitiven Ressourcen gehört, die in der Situation einer politischen Befragung benötigt werden. Da jedoch in Umfragen in der Regel kein Wissen, sondern Einstellungen abgefragt werden, wird nicht angenommen, dass objektives politisches Wissen eine Teilnahme an den üblichen sozialwissenschaftlichen Befragungsstudien tatsächlich erleichtert. Vielmehr wird angenommen, dass eine Zielperson subjektives politisches Wissen besitzen muss – doch darauf wird später im Bereich der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle noch einmal eingegangen (zur Unterscheidung der verschiedenen Konzepte subjektiven und objektiven politischen Wissens vgl. Vetter/Maier 2005: 55). Neben den kognitiven Fähigkeiten vereinfachen auch soziale Kompetenzen („civic skills“) eine Interviewteilnahme. Zu den sozialen Kompetenzen gehören dabei sowohl die Organisationsfähigkeit als auch die Kommunikationsfähigkeit einer Zielperson. Gerade in persönlich-mündlichen Interviews erfordert die Befragungssituation ein hohes Maß dieser kommunikativen und organisatorischen Fähigkeiten (vgl. Brehm 1993: 50ff.; Brady et al. 1995; Goyder 1986; Verba et al. 1995): Man muss eine (meist) fremde Person in die eigene Wohnung lassen und mit dieser über politische und soziale Themen kommunizieren. Auch zuvor finden bereits kommunikative Interaktionsprozesse zwischen Interviewer und Zielperson statt, beispielsweise an der Haustür. Die benannten Ressourcen wird eine Zielperson in der Regel zuvor in anderen sozialen Interaktionssituationen, etwa in sozialen Netzwerken107, erworben haben. Aus diesem Grund wird angenommen, dass von dem Maß an sozialer Einbindung positive Effekte auf die Kooperationsbereitschaft ausgehen (vgl. bereits Esser 1973: 121; Groves/Couper 1998: 131ff.). Dies ist die zentrale Annahme der sozialen Integrations- bzw. Isolationsthese.108 107
Unter einem Netzwerk wird dabei eine soziale Struktur verstanden, die auf Dauer angelegt ist und in der mehr als zwei Akteure agieren. Gleichzeitig wird angenommen, dass es sich um informelle Gebilde handelt. Die eindeutige Abgrenzung von Organisationen und Gruppen ist jedoch meist schwierig (vgl. Frings 2008: 224f.; siehe Coleman 1990, 1991, der die Begriffe synonym verwendet). 108 In klassischen Modellen aus der politischen Partizipationsforschung, bspw. im „Civic Voluntarism Model“, wird die Aktivität eines Individuums in sozialen und politischen Netzwerken als unabhängige Determinante neben den Ressourcen eingeführt (vgl. Kwak et al. 2004; McClurg 2003; Schlozman 2002). Im Gegensatz dazu wird hier
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4 Die Teilnahme an politischen Umfragen
Mit zunehmender sozialer Einbindung erwirbt das Individuum sowohl soziale als auch kognitive Ressourcen, weswegen sich die soziale Einbindung positiv auf die Kooperationsbereitschaft auswirken sollte: Zunächst kann man feststellen, dass mit zunehmender Aktivität innerhalb des politischen und gesellschaftlichen Systems relevante Ressourcen, wie etwa kommunikative Fähigkeiten bei gesellschaftlichen Aktivitäten, erlernt bzw. geübt und erweitert werden (vgl. McClurg 2003: 449; Olsen 1972: 318). Zugleich wird über die Aktivität sowohl das Interesse an Zusammenhängen als auch das Wissen über politische und soziale Vorgänge steigen, da über die Kommunikation in den Gruppen Informationen ausgetauscht und geteilt werden können. Aus der Aktivität in Netzwerken und dem Grad der sozialen Einbindung resultieren damit direkte und indirekte Effekte über die sozialen und kognitiven Ressourcen. Für Personen mit hoher sozialer Ressourcenausstattung kann man aber auch argumentieren, dass deren Opportunitätskosten sehr hoch sind (vgl. Mehlkop/Becker 2007: 9; van Deth 2001). Das Interview nimmt eine gewisse Zeit und Energie in Anspruch, die der Zielperson für andere Tätigkeiten verloren geht. Ein in zahlreichen Vereinen aktiver Mensch, der gleichzeitig eine Vielzahl an Freunden und Kollegen hat, verliert während der Interviewteilnahme wertvolle Zeit, die er stattdessen für die Pflege seines Netzwerks hätte nutzen können (vgl. Verba et al. 1995). Statt am Interview teilzunehmen, könnte er daher in der gleichen Zeit vielen anderen Tätigkeiten nachgehen, die er ebenso als Pflicht ansieht und (eventuell) sogar priorisiert (vgl. auch Hirschman 1979). Diese Annahme hoher Opportunitätskosten würde für eine Verringerung der Teilnahmebereitschaft und damit für einen negativen Zusammenhang zwischen hohen sozialen Ressourcen und der Kooperationsbereitschaft sprechen. Durch Designelemente, wie etwa eine flexible Termingestaltung und Mehrfachkontakte, kann den Zielpersonen allerdings die Möglichkeit gegeben werden, zu einem Zeitpunkt teilzunehmen, an dem keine anderen dringenden Tätigkeiten erledigt werden müssen. Das bedeutet, für die Opportunitätskosten wird angenommen, dass es sich in erster Linie um sehr situative Kosten handelt. Wenn eine Teilnahme zu einem bestimmten Zeitpunkt als „zu teuer“ bewertet wird, könnte ein anderer Zeitpunkt in Form eines Termins, an dem der Interviewer wiederkommt, vereinbart werden, der „günstiger“ ist. Bei der Teilnahme an Umfragen handelt es sich zudem auch nicht um ein längerfristiges Engagement, das erforderlich ist, sondern um ein meist einmaliges Ereignis, das zeitlich flexibel absolviert werden kann. Der negative Effekt der hohen Opportunitätskosten bei sozial eingebundenen Zielpersonen sollte daher bei flexiblen Forschungsdesigns empirisch kaum einen Einfluss besitzen. Daher wird zunächst ein jedoch nicht angenommen, dass es sich bei dem Einfluss der Netzwerke um eigenständige Effekte handelt. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass der Einfluss von Netzwerken sowohl über die objektiven und subjektiven kognitiven und sozialen Ressourcen als auch über gesellschaftliche Einstellungen (siehe das nächste Kapitel 4.5.1.2) verläuft. Daher wird die Aktivität in Netzwerken nicht als weiterer autonomer Faktor eingeführt, sondern innerhalb der anderen Konzepte verortet.
4.5 Die Modellierung
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positiver Effekt der zuvor genannten Ressourcen auf die Kooperationsbereitschaft vermutet. Um das Opportunitätskostenargument zu berücksichtigen, wird aber auch die Hypothese eines negativen Einflusses überprüft. Das gerade angeführte Argument der Opportunitätskosten zeigt, dass neben kognitiven und sozialen Kompetenzen auch der Faktor Zeit eine wichtige Voraussetzung für die Kooperationsbereitschaft ist. Um sich an einer umfangreichen sozialwissenschaftlichen Studie beteiligen zu können, muss die Zielperson ausreichend Zeitressourcen besitzen. Gerade für vielbeschäftigte Menschen ist Zeit ein wertvolles Gut. Man kann daher annehmen, dass die Belastung durch das Interview umso höher ist, je geringer die zeitliche Ressourcenausstattung eines Befragten ist. Wenn einer Zielperson dauerhaft nur wenig Zeit zur Verfügung steht, weil sie etwa ganztags berufstätig ist und eine große Familie hat, ist die zeitliche Belastung eines 30minütigen Interviews deutlich höher einzuschätzen als bei einer alleinstehenden, nichterwerbstätigen Zielperson. Damit ist die zeitliche Belastung durch ein Interview auch nicht unbedingt über den tatsächlichen Aufwand (etwa in Minuten) abzubilden, sondern in Relation zur zeitlichen Ressourcenausstattung zu sehen. Kurzfristigere situative Zeiteffekte können durch die bereits geschilderte flexible Termingestaltung in Verbindung mit langen Feldzeiten abgemildert werden. Dennoch wird für gewisse Merkmale, wie etwa die Berufstätigkeit, angenommen, dass sie dauerhaft die frei verfügbare Zeit einer Zielperson reduzieren und man kann aus diesem Grund einen negativen Effekt auf die Kooperationsbereitschaft vermuten. In das Modell werden damit nicht nur langfristige Ressourcen einbezogen, die im Sozialisationsprozess einmal erworben werden und anschließend stabil bleiben. Es können vielmehr auch mittel- und kurzfristigere Resourcen, die in der Situation der Interviewanfrage relevant sind, zur Erklärung herangezogen werden. Die zentrale Annahme lautet: „Eine Zielperson benötigt kognitive, soziale und zeitliche Ressourcen, um sich an einer politischen Befragung beteiligen zu können.“ Allerdings wird dabei nicht angenommen, dass es sich bei den Ressourcen um einen Einfluss handelt, bei dem es nur darauf ankommt, dass er vorhanden ist oder nicht. Vielmehr wird für den Einfluss ein ansteigender Verlauf angenommen und mit Wahrscheinlichkeiten argumentiert: „Je höher die Ausstattung einer Zielperson mit partizipationsrelevanten Ressourcen, desto wahrscheinlicher ist sie bereit, sich an einer politischen Befragung zu beteiligen.“ Das bedeutet für den Unterschied von Teilnehmern und Verweigerern einer politischen Befragung, dass Verweigerer ein niedrigeres Maß an kognitiven, sozialen und zeitlichen Ressourcen aufweisen sollten als kooperationsbereite Zielpersonen. Die Annahmen beziehen sich dabei auf ansonsten konstante Bedingungen. Ressourcen als Bestimmungsfaktoren sozialen Handelns können recht gut erklären, warum sich Gesellschaftsgruppen, die eine geringe Ressourcenausstattung aufweisen, nicht an Befragungen beteiligen. Ein auf Ressourcen basierendes Erklärungsmodell kann jedoch nicht unbedingt zeigen, warum sich das Verhalten einer Zielperson trotz gleichbleibender Ressourcenausstattung über die Zeit verändern
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kann. Ebenfalls lässt sich damit nicht begründen, warum sich zwei Zielpersonen mit der gleichen Ressourcenausstattung, die aufgrund dieser Ressourcen an einer Befragung teilnehmen könnten, dennoch unterschiedlich verhalten: Die einen kooperieren, die anderen verweigern eine Beteiligung. Daher soll nun in Anlehnung an die zuvor ausgeführten Überlegungen zur Theorie des geplanten Verhaltens die wahrgenommene Kontrollmöglichkeit als weiterer Faktor in das Modell integriert werden, um die Entscheidung einer Zielperson, an einer politischen Umfrage teilzunehmen oder nicht, besser erklären zu können. Bei der subjektiv wahrgenommenen Verhaltenskontrolle geht es nicht darum, ob eine Zielperson an einem Interview teilnehmen kann, sondern ob sie sich dieser Fähigkeiten auch bewusst ist. Damit wird dem Gegenstand Rechnung getragen, dass es nicht ausreicht, dass eine gut gebildete, politisch informierte Zielperson theoretisch in der Lage ist, an einer Umfrage teilzunehmen. Wenn sie nur ein geringes Selbstbewusstsein aufweist und sich die Teilnahme nicht zutraut, wird sie diese trotzdem verweigern. Das Selbstbild einer Person trägt damit ebenso zu der Entscheidung bei, ob sie an einer Befragung teilnehmen will oder nicht. Die subjektive Einschätzung der eigenen Kompetenz beeinflusst die Bewertung einer Handlungsoption: Nur wenn man davon überzeugt ist, eine gestellte Anfrage zufriedenstellend erfüllen zu können, wird man an einer Befragung teilnehmen. Wenn man hingegen annimmt, den gestellten Anforderungen nicht gerecht zu werden, ist eine Verweigerung wahrscheinlicher, weil negative Konsequenzen bspw. in Form von Schamgefühl drohen (vgl. Brehm 1993: 63). Bei einer Befragung zu politischen Themen muss die Zielperson daher annehmen, die Fragen beantworten zu können, sich vor dem Interviewer nicht zu blamieren und nichts vermeintlich Falsches zu sagen. Aus diesem Grund kann nicht nur die tatsächliche politische Informiertheit, sondern auch die subjektive politische Kompetenz die Kooperationsbereitschaft bei politischen Befragungen beeinflussen. Dazu zählt beispielsweise, ob man sich selbst zutraut, über die Artikulation der eigenen politischen Einstellungen Einfluss nehmen zu können. An dieser Stelle ist erneut ein zentrales Konzept der politischen Einstellungsforschung zu erkennen, nämlich die interne politische Efficacy (vgl. Vetter 1997a, 1997b). Insgesamt gilt: „Je eher ein Individuum glaubt, die gestellte Anfrage erfüllen zu können, je größer also der Glaube an sich selbst und die eigene politische Kompetenz, desto eher wird es an der politischen Befragung teilnehmen.“
4.5.1.2 Einstellungen zur Handlung als Determinanten der Teilnahmeentscheidung Die objektive und subjektiv wahrgenommene Verhaltenskontrolle eines Individuums kann erklären, warum es für manche Zielpersonen mit geringeren und für andere mit höheren Kosten verbunden ist, sich an einer Umfrage zu beteiligen. Dies bedeutet jedoch noch nicht, dass sich diejenigen, für die es einfacher wäre teilzu-
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nehmen, auch an einer bestimmten politischen Umfrage beteiligen möchten und der Kooperation positiv gegenüberstehen. Neben dem „Teilnehmen-Können“ muss daher auch das „Teilnehmen-Wollen“ in der Erklärung berücksichtigt werden. In theoretischen Modellen aus der politischen Partizipationsforschung werden dabei sowohl die politische Involvierung als auch die Unterstützung verschiedener Objekte des politischen Systems sowie gesellschaftliche Normen und Werte als relevante Determinanten der Beteiligungsbereitschaft diskutiert (vgl. Barnes et al. 1979; Farah et al. 1979; siehe auch Easton 1975).109 Wenn man diese Erkenntnisse nun auf die Erklärung des Teilnahmeverhaltens bei politischen Befragungen übertragen möchte, geht es zunächst darum, zu verstehen, um welche Form der Partizipation es sich bei der Teilnahme an Umfragen handelt. Wie zuvor in Kapitel 4.4 gezeigt, wird davon ausgegangen, dass es sich dabei im weiteren Sinne um „Reden über Politik“ handelt, was eine gesellschaftliche, eine politische und eine UmfrageKomponente impliziert. Das bedeutet, es sind nicht nur die Einstellungen eines Individuums gegenüber dem konkreten Thema der Umfrage, d.h. gegenüber dem politischen System, relevant. Die politische Involvierung ist nur eines von mehreren Bündeln potenziell relevanter Einstellungsobjekte. Daneben wird auch für Einstellungen gegenüber Umfragen im Allgemeinen (vgl. Schwartz 1964; Dran/Hildreth 1995) und Einstellungen gegenüber der Gesellschaft bzw. den Mitmenschen ein Einfluss auf die Absicht teilzunehmen oder zu verweigern angenommen.110 Hier zeigen sich die von Brehm (1993) bereits in seinem Vier-EbenenModell aufgeführten Einstellungen gegenüber Umfragen im Allgemeinen und der konkreten Umfrage im Speziellen sowie gegenüber dem Interviewer und Fremden. Die einzelnen Dimensionen wirken alle über das Konzept der „Einstellung gegenüber dem Verhalten“ in der Theorie geplanten Verhaltens und werden im Folgenden vorgestellt. Zunächst wird angenommen, dass eine Zielperson umso eher kooperieren wird, je involvierter sie in das Thema einer Umfrage ist (vgl. Stocké/Becker 2004: 95). Das bedeutet für politische Umfragen, dass sich das Politikinteresse – in der Literatur wird auch von steigender „political awareness“ (Zaller 1992) gesprochen 109
In der politischen Partizipationsforschung weisen verschiedene Autoren (vgl. etwa Verba et al. 1995: 272; Whiteley/Seyd 1996: 217) darauf hin, dass das „politische Handeln-Wollen“ hauptsächlich über die politischen Einstellungen eines Individuums erklärt werden kann (siehe etwa Ajzen/Fishbein 1980; Ajzen 1985; Brady et al. 1995; Verba et al. 1995; Zaller 1992; für die Bundesrepublik auch Gabriel/Völkl 2008). Zu den diskutierten relevanten Einstellungen, die die politische Partizipation beeinflussen, gehören sowohl das politische Interesse als auch die politische Informiertheit sowie die subjektive politische Kompetenz und die Bindung an Parteien. Verba et al. fassen diese unter den Begriff des „political engagement“ zusammen (vgl. Verba et al. 1995: 272), bei Gabriel/Völkl (2008: 290) wird dies als „social involvement“ bezeichnet. Dabei wird angenommen, dass mit steigendem „political engagement“ auch das Partizipationsniveau zunimmt. Andere Autoren beziehen den Medienkonsum, die subjektive Salienz des Themas oder auch Normen (wie etwa Beteiligung als Bürgerpflicht) als sozialpsychologische Determinanten mit in ihre Analysen ein (vgl. etwa van Deth 2004). 110 Diese Faktoren auf der Einstellungsebene sind in der Theorie geplanten Verhaltens keine direkten Determinanten, sondern indirekt als „externe Faktoren“ eingebettet, die auf die Evaluation der behavioralen Erwartungen und damit die Bildung einer Einstellung gegenüber einer Handlungsoption wirken. In der SEU-Modellierung wird nicht zwischen internen und externen Faktoren unterschieden.
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– positiv auf die Kooperationsbereitschaft auswirken sollte (vgl. etwa Groves et al. 2004a; Voogt/Saris 2003; Voogt 2004). Menschen wenden sich gerne Themen zu, die sie als wichtig, spannend, interessant und abwechslungsreich empfinden. Dazu haben sie dann auch verschiedene vorliegende Assoziationen, die einfach abrufbar sind. Themen, die von Zielpersonen als unwichtig, uninteressant, langweilig oder sogar als unangenehm oder zu privat empfunden werden, versuchen sie hingegen zu vermeiden, da auf diese Weise emotionale Kosten entstehen können (vgl. Harris-Kojetin/Tucker 1999: 169; Jones et al. 1979: 69; Riphahn/Serfling 2002: 5; Stocké/Langfeldt 2003: 59; siehe auch das Konzept der Vermeidung kognitiver Dissonanz nach Festinger 1957). Zu den politischen Orientierungen der Zielpersonen, bei denen man – über den Weg der Herausbildung einer Einstellung gegenüber der Teilnahme – von einem Einfluss auf die Teilnahmebereitschaft ausgehen kann, gehören neben dem politischen Interesse diffuse und spezifische Einstellungen und Bewertungen der Demokratie, der politischen Institutionen und der Akteure (vgl. Fuchs 2002: 37; Norris 1999: 10; Westle 1989: 100).111 Es wird angenommen, dass eine Zielperson die Teilnahme an einer Studie zum Thema Politik umso eher erwägen wird, je positiver diese Einstellungen sind. Je negativer die Bewertungen, etwa nach einem politischen Skandal, ausfallen, desto eher wird eine Teilnahme verweigert (vgl. Couper et al. 1998; Harris-Kojetin/Tucker 1999: 169; Mathiowetz et al. 1991). Neben den politischen Einstellungen kann aber auch die allgemeine Umfrageeinstellung einen Einfluss auf die Kooperationsbereitschaft haben. Hierzu wird angenommen, dass die Erfahrung mit Umfragen die Kosten einer Teilnahme reduzieren kann (vgl. Brehm 1993: 159; Erbslöh/Koch 1988; Goyder 1986; Nederhof 1981: 111, 1986: 282; Porst 1998: 10; Stinchcombe et al. 1981; Stocké/Langfeldt 2003; aber auch Hox et al. 1996: 104112). Je häufiger man bereits an Befragungen teilgenommen hat – im Idealfall mit positiven Erfahrungen – und je eher man das Prinzip der Beantwortung von standardisierten Fragen oder der anonymen Auswertung erhobener Informationen verstanden hat, desto niedriger ist der Aufwand, den eine Teilnahme mit sich bringt. Man weiß in einem solchen Fall, was auf einen zukommt und kann die Folgen der Teilnahme besser abschätzen, d.h. die Informationskosten sind geringer. Ein weiterer, instrumenteller Einflussfaktor auf der Ebene der Umfrageeinstellung, der die Kooperationsbereitschaft erhöht, ist die wahrgenommene Wichtigkeit von Umfragen für die Gesellschaft (vgl. Bradburn 1978; Dran/Hildreth 1995; Erbslöh/Koch 1988: 42; Stocké/Langfeldt 2003: 59). Wenn man annimmt, Umfragen könnten nichts bewirken und seien überflüssig, nimmt man nicht daran teil (vgl. Brehm 1993). Dahinter verbirgt sich in Bezug auf die 111
Hierbei findet eine Anlehnung an das „support“-Konzept von Easton statt (vgl. Easton 1965b: 160). Hox et al. (1996: 104) zeigen in einer experimentellen Studie unter Studenten, dass die generelle Umfrageeinstellung keinen Effekt auf die Teilnahmeintention hat, die Einstellung gegenüber einer spezifischen Umfrage hingegen schon. Es könnte jedoch sein, dass es sich dabei um ein Artefakt der speziellen Population handelt, da Studenten insgesamt eine sehr positive Umfrageeinstellung aufweisen. 112
4.5 Die Modellierung
117
Kosten-Nutzen-Abwägung die Vorstellung, dass die Höhe der Opportunitätskosten mit dem Wert zusammenhängt, den eine Zielperson Umfragen beimisst. Je relevanter Umfragen eingeschätzt werden, desto weniger entsteht das Gefühl, dass man in der Zwischenzeit Wichtigeres erledigen könnte. Wenn man Umfragen als wertlos ansieht, ist hingegen jede andere Tätigkeit wichtiger. Um von einer Relevanz politischer Umfragen auszugehen, muss eine Zielperson glauben, dass die Politik auf Umfrageergebnisse reagiert. Dies setzt voraus, dass das politische System responsiv ist, d.h. dass die politischen Eliten auf das von den Bürgern Geäußerte reagieren. Wenn man daher annimmt, über die Teilnahme an einer politischen Umfrage etwas bewegen zu können, ist eine Teilnahme wahrscheinlicher (vgl. Bradburn 1978; Goyder 1986).113 Schließlich könnte man auch rein expressive Motive annehmen, dass diejenigen Zielpersonen, die Spaß daran haben, Fragen des Interviewers zu beantworten und mit ihm zu kommunizieren, dies auch gerne tun. Neben der Umfrageeinstellung und der Einstellung gegenüber dem politischen System können auch Einstellungen gegenüber Mitmenschen, wie z.B. das interpersonale Vertrauen, auf die Bewertung der Handlungsoptionen Kooperation oder Verweigerung wirken. Für diejenigen Menschen, die einer anderen – obgleich in der Regel fremden – Person generell zunächst positiv entgegentreten und ihm vertrauen, sind die Handlungskosten, die in einer solchen Situation durch Misstrauen oder Unsicherheit entstehen können, geringer. Misstrauische Menschen haben hingegen höhere Kosten, sollten sie sich für eine Teilnahme entscheiden. Aus diesem Grund wird angenommen, dass die Wahrscheinlichkeit einer Teilnahme mit zunehmendem interpersonalen Vertrauen steigt. Bei der Wirkung des interpersonalen Vertrauens geht es in der Situation der Interviewanfrage primär um die konkrete Einstellung gegenüber dem Interviewer. Dabei zeigt sich, wie bereits zuvor bei den subjektiven und objektiven Kontrollmöglichkeiten, der dahinterliegende Einfluss der Integrationsthese (vgl. Brehm 1993; Groves/Couper 1998: 131ff.; Voogt/Saris 2003). Ein hohes Maß gesellschaftlicher Integration, also die Einbindung in Netzwerke, kann eine positive Einstellung gegenüber anderen Menschen fördern (vgl. Groves/Couper 1998: 131ff.; Olsen 1972: 318). Die Annahmen der Austauschtheorie und die theoretischen Überlegungen der Sozialkapitalforschung (siehe Bourdieu 1983; Burt 2005; Coleman 1988, 1990, 1991; Lin 2001; Putnam 1993, 1995) sind sich dabei sehr ähnlich. Es wird angenommen, dass durch Netzwerke gegenseitiges Vertrauen generiert werden kann (vgl. Kwak et al. 2004: 644; McClurg 2003: 450; Schlozman 2002: 435). Dieses wirkt sich, wie erste empirische Studien zeigen, wiederum positiv auf die Beteiligungsbereitschaft in Gesellschaften aus (vgl. Couper et al. 1998; 113 Dahinter verbirgt sich nicht nur die konkrete Umfrageeinstellung, sondern auch das Konzept der externen politischen Efficacy (vgl. Vetter 1997a, 1997b). Dieses Konzept bezieht sich nicht explizit auf die Teilnahme an Umfragen, sondern allgemein auf das Gefühl einer Person, dass das politische System überhaupt responsiv auf die Aktivitäten der Bürger reagiert. Aus diesem Grund wird ein positiver Zusammenhang zwischen dem Gefühl der externen politischen Efficacy und der Kooperationsbereitschaft vermutet, wie nachfolgend bei der Operationalisierung noch detaillierter beschrieben wird (Kap. 6).
118
4 Die Teilnahme an politischen Umfragen
Eveland/Scheufele 2000; Knack 1992; Knack/Kropf 1998; Mathiowetz et al. 1991; Putnam 1995; Straits 1991; Wolfinger/Rosenstone 1980). Gesellschaftlich eingebundene Menschen haben häufiger die Möglichkeit, mit Fremden zu interagieren. Diejenigen, die aktiv sind und dies auch über einen längeren Zeitraum bleiben, haben wahrscheinlich nur wenige negative und viele positive Erfahrungen, da sie ihre Kontakte im Fall vieler negativer Erfahrungen vermutlich abgebrochen hätten. Daraus resultiert, dass die Eingebundenen auf ein größeres Reservoir positiver Erfahrungen zurückgreifen können. Diese positiven Erfahrungen generieren Vertrauen in andere Menschen und können darum Transaktionskosten, die durch Misstrauen entstehen, reduzieren (vgl. Brehm/Rahn 1997; Putnam 1993; Putnam 1995: 49ff.; van Deth et al. 1999). So lässt sich, analog zu den Annahmen der sozialen Austauschtheorie, bei den „aktiven Netzwerkern“ ein hohes Maß an Vertrauen in Mitmenschen sowie gemeinsame Normen und Werte annehmen (vgl. Blau 1964; Homanns 1961; aber auch Groves/Couper 1998; Dillman et al. 2002). Netzwerke können dabei sowohl aufgrund einer Mitgliedschaft in formellen Organisationenals auch durch informelle soziale Kontakte entstehen. Die Integrationsthese impliziert aber noch ein anderes Argument: Mit zunehmender Integration nimmt die Bewertung der Relevanz der gesellschaftlichen Entwicklung zu, da sich die integrierte Zielperson selbst als Teil davon ansieht. Daher wird sie sich eher aktiv am gesellschaftlichen Diskurs beteiligen als eine pessimistische, entfremdete Zielperson. Die Teilnahme an Umfragen ist eine solche Möglichkeit, am gesellschaftlichen Diskurs teilzunehmen. Für Menschen mit einem starken Zugehörigkeitsgefühl zur Gesellschaft ist die Teilnahme daher auch mit einem kollektiven Anreiz verbunden, da die Ergebnisse der Umfragen wiederum allen Mitgliedern der Gesellschaft zur Verfügung stehen. Zeichnet sich eine Zielperson hingegen durch ein hohes Maß an gesellschaftlicher Entfremdung aus, hat sie ein allgemeines Gefühl der Verunsicherung und Orientierungslosigkeit, der sozialen Desintegration und Machtlosigkeit. Dann ist eine Teilnahme am gesellschaftlichen Diskurs, und damit auch an Umfragen, unwahrscheinlicher (vgl. Goyder 1987; Groves/Couper 1998: 170f.; zum Konzept der Entfremdung bzw. „Anomia“ siehe Srole 1956114). In dieser Argumentation spielen auch internalisierte Werte und Normen eine Rolle, für die ebenfalls angenommen wird, dass sie die Kooperationsbereitschaft beeinflussen. Wenn eine Zielperson der Beteiligung an sich einen hohen Wert zuschreibt und Beteiligungsnormen internalisiert hat, ist davon auszugehen, dass sie wahrscheinlicher an einer Befragung teilnimmt als eine Person, die der gesellschaftlichen Beteiligung weniger Wert beimisst (vgl. eine ähnliche Argumentation 114 Hierbei wird nicht auf das von Durkheim (1977) oder auch Merton (1995) eingeführte Phänomen sozialer Desintegration auf der Makroebene Bezug genommen, sondern auf das von Srole (1956) eingeführte sozialpsychologische Phänomen der individuellen Empfindung fehlender gesellschaftlicher Integration. Daher ist es an der Schnittstelle zwischen Selbstbild und Einstellungen gegenüber der Gesellschaft angesiedelt (vgl. dazu auch McClosky/Schaar 1965; Srole 1965).
4.5 Die Modellierung
119
für die Erklärung politischer Beteiligung bei Gabriel/Völkl 2008; Lüdemann 2001: 53; Opp 1990). Die Einbindung in die Gesellschaft, die mit dem Teilen von Normen einhergeht, führt demnach dazu, dass ein Individuum eher kooperiert, um die geteilten Normen und Werte weiter zu stützen (vgl. van Deth 2004: 295ff.). Dies gilt eben, wie zuvor ausgeführt, umso mehr, wenn die Zielperson den kollektiven Nutzen annimmt und glaubt, dass die erörterten Fragen und die daraus resultierenden Erkenntnisse der Gesamtgesellschaft nutzen können (vgl. Dillman 1978; Gallup 1940; Goyder 1987; Groves et al. 2000: 302f.; siehe auch Esser 1973: 94; Porst/von Briel 1995: 10; Schleifer 1986: 24). In diesem Fall könnte man die Motive auch als „altruistische“ Anreize bezeichnen, die dazu führen, dass eine Zielperson kooperiert (vgl. Daschmann/Schnauber 2008: 100). Gleichzeitig lässt sich im Sinne sozialpsychologischer Compliance-Ansätze argumentieren, dass man bei geteilten gesellschaftlichen Normen und Werten den Mitmenschen insgesamt positiver gegenübersteht und einer Bitte – etwa der Bitte teilzunehmen – eher nachkommt (vgl. Cialdini et al. 1975; Dillman et al. 1976; Dillman 2000: 14; Groves et al. 1992: 480; Groves/Couper 1998: 131; Regan 1971).115 Das bedeutet, eine Person muss sich aktiv an der Gesellschaft beteiligen wollen und eine positive Einstellung gegenüber der Teilnahme an einer Befragung entwickeln. Im Verhältnis zwischen der Zielperson und dem gesellschaftlichen Umfeld kommt ein weiterer Aspekt hinzu, von dem ein Einfluss auf die Handlungsentscheidung angenommen wird, auf den im nächsten Abschnitt eingegangen wird: die subjektive Norm.
4.5.1.3 Normative Orientierungen als Determinanten der Teilnahmeentscheidung Personen, die Beteiligungsnormen internalisiert haben, werden die Teilnahme an einer Befragung eher als soziale Pflicht und als sozial erwünscht wahrnehmen. Einer derartigen Pflicht kommt man nach, um einen Dienst an der Gesellschaft zu verrichten (=kollektiver Nutzen) und um daraus für sich selbst ein positives Gefühl zu ziehen (=individueller Nutzen). Eine Nicht-Teilnahme wäre in diesem Fall mit psychischem Druck verbunden, weil man mit negativen Sanktionen des Umfelds, wie z.B. Missbilligung oder Abwendung rechnet (vgl. Opp/Finkel 2001: 76). Wenn sich jemand also diesen Normen und Werten verpflichtet fühlt, wird er eher an einer Umfrage teilnehmen als eine Person, die diese nicht internalisiert hat (vgl. Sniderman 1975: 254ff.). An dieser Stelle wird erneut die Verknüpfung zur sozialen Integrationsthese deutlich: Je integrierter eine Person in die Gesellschaft ist, desto eher teilt sie soziale Normen und Werte und nimmt an, dass dies in ihrem 115
Dafür sprechen beispielsweise auch empirische Aggregatbefunde zum Zusammenhang zwischen sozialer Ähnlichkeit und sozialer Verantwortung und der Kooperationsbereitschaft. Je höher der soziale Zusammenhalt in einem Gebiet, desto höher sind die Kooperationsraten in einer Region (vgl. Groves/Couper 1998: 31, 170f.; Goyder 1987).
120
4 Die Teilnahme an politischen Umfragen
Umfeld ebenso gilt. Je integrierter sie ist, desto wichtiger ist ihr auch das soziale Umfeld und dessen Reaktionen, und desto eher wird sie auch an einer Befragung teilnehmen. Die aktive Beteiligung für die Gesellschaft stützt in diesem Fall den Erhalt der gemeinsam wahrgenommenen Normen und Werte. Gleichzeitig kann man annehmen, dass aktive Menschen in Netzwerken mit anderen aktiven Menschen zusammentreffen. Dadurch erwarten sie, dass Aktivität im eigenen Umfeld positiv bewertet wird. Das Gefühl der Bürgerpflicht, etwas für die Gesellschaft tun zu sollen, ist daher bei sozial integrierten, aktiven Menschen ausgeprägter und der Integrationsgrad einer Zielperson kann als Indikator zur Messung des Konzepts des verinnerlichten Pflichtbewusstseins herangezogen werden (vgl. das Konzept der „Civic Duty“ bei Groves et al. 2000: 302, mehr zur Operationalisierung der zentralen Konzepte in Kap. 6). Auch die Einschätzung der eigenen politischen Positionen in Relation zur wahrgenommenen Position der Gesamtgesellschaft kann die Teilnahmebereitschaft beeinflussen. Was ist darunter zu verstehen? Bei Umfragen zu politischen Einstellungen gibt es bei den meisten Fragen kein objektives „richtig“ oder „falsch“. Die Kooperationsbereitschaft der Zielperson kann jedoch auch davon beeinflusst werden, ob sie annimmt, die „sozial erwünschten“ Antworten auf die gestellten Fragen zu geben. Eine Zielperson, die die eigene Position als Minderheit einschätzt, wird sich nicht in eine Situation begeben wollen, in der sie unerwünschte Antworten gibt. Man möchte dem Interviewer gegenüber nicht negativ auffallen, so dass man nur teilnimmt, wenn man selbst glaubt, die normativen Erwartungen auch erfüllen zu können. Bei sozial unerwünschten Antworten steigen die emotionalen Kosten, die man auch als „normative Kosten“ bezeichnen kann: Gerade Personen, die sich selbst als vom gesellschaftlichen und politischen System isoliert, als entfremdet oder auch in den eigenen Einstellungen als extrem wahrnehmen, könnten daher annehmen, dass ihre Antworten unpassend sind. Um diese Situation zu umgehen, so könnte man annehmen, verweigern sie eine Teilnahme.116 Sozialpsychologisch ist dies mit dem Phänomen der Isolationsfurcht zu erklären (vgl. Noelle-Neumann 2001: 59ff.): Wenn man eine Position vertritt, die von der empfundenen Mehrheitsmeinung abweicht, äußert man diese nicht, um nicht in soziale Isolation zu geraten. Für die Teilnahme an der Befragung resultiert daraus die Annahme, dass Menschen mit extremen Minderheitspositionen eher die Teilnahme an politischen Umfragen verweigern als diejenigen, die sich in ihrer Position als gemäßigt ansehen.
116
Zum Konzept der sozialen Erwünschtheit siehe auch Paulhus (1984) und Winkler et al. (2006).
4.5 Die Modellierung
121
4.5.2 Kooperation und Verweigerung bei politischen Umfragen Aus den obigen Annahmen ergibt sich ein Modell zur Erklärung von Verweigerung und Kooperation (siehe Abb. 9). Die Entscheidung zur Teilnahme („Kooperiere ich oder nicht“) wird dabei als „rationales Handeln“ der Zielperson angesehen, es erfolgt also eine subjektive Bewertung der Handlungsalternativen. Die Theorie geplanten Verhaltens führt die Handlungsentscheidung auf drei zentrale Konzepte zurück, die einen Einfluss auf die Herausbildung der Handlungsintention einer Zielperson haben: Erstens die Evaluation von positiven und negativen Konsequenzen und damit die Bewertung der Handlungsalternativen, zweitens die subjektive Norm und damit verbunden die antizipierten positiven und negativen Sanktionen sowie drittens die Frage, ob das Individuum glaubt, die Handlung in einer bestimmten Situation auch ausführen zu können (vgl. Ajzen 1991: 181; Ajzen/Fishbein 1980, 2000). Hinzu kommt der Aspekt der objektiven Kontrollmöglichkeit, d.h. der Frage, ob das Individuum die Handlung auch tatsächlich ausführen kann. Eine Zielperson wird die Ausführung einer Handlung – in diesem Fall die Teilnahme an einer politischen Befragung – genau dann beabsichtigen, wenn sie die Teilnahme positiver bewertet als eine Verweigerung. In den letzten Abschnitten wurden nun die Merkmale herausgearbeitet, von denen ein Einfluss auf diese Abwägung angenommen wird. Diese sind in der Theorie des geplanten Verhaltens nicht als direkte Determinanten, sondern indirekt als „externe Faktoren“ eingebettet, die auf die Evaluation der behavioralen Erwartungen und damit die Bildung einer Einstellung gegenüber einer Handlungsoption wirken. In der vorliegenden Arbeit wird jedoch nicht zwischen internen und externen Faktoren unterschieden. Analog zu den Annahmen der subjektiven Wert-Erwartungstheorie wird allgemeiner argumentiert. Im Fokus des Interesses steht im Folgenden nicht der konkrete Weg der Handlungsentscheidung, sondern die Verknüpfung der Merkmale auf der Einstellungsebene mit der Handlungsentscheidung. Die Handlungsentscheidung wird situationsspezifisch modelliert (vgl. auch Ajzen/Fishbein 2000: 13) und angenommen, dass sowohl generalisierte als auch spezifische Einstellungen die Abwägung beeinflussen können. Welche Einstellungen stärker zum Tragen kommen, hängt von dem Entscheidungsmodus ab, in dem sich die Zielperson befindet. Die Bildung einer Einstellung gegenüber der Teilnahme kann entweder eher automatisch-spontan ablaufen, indem bedeutsame Einstellungen zu Objekten, die mit der Befragung zusammen hängen, hervortreten und bestimmte automatisch ablaufende Skripte aktiviert werden. Oder die Bildung der Einstellung und die darauf folgende Entscheidung, teilzunehmen oder die Teilnahme zu verweigern laufen stärker auf der Grundlage überlegter Bewertungen ab. Dabei handelt es sich nicht um zwei sich ausschließende Entscheidungstypen, sondern eher um ein Kontinuum, in dem sich die tatsächliche Entscheidung bewegt. Aus theoretischer Sicht bleibt zunächst unklar, wie die Gewichtung der einzelnen Anreizstrukturen ist, d.h. welche Motive über welchen
122
4 Die Teilnahme an politischen Umfragen
Modus letztlich zur Entscheidung des Individuums führen. Dieser Aspekt ist jedoch auch für die Beantwortung der Fragestellung von untergeordnetem Interesse. Vielmehr wird auf der Grundlage von probabilistischen Aussagen argumentiert, dass bestimmte Eigenschaften einer Zielperson die Wahrscheinlichkeit, die Teilnahme zu verweigern, steigern oder beeinträchtigen können (vgl. Ajzen/Fishbein 1980; siehe eine ähnliche theoretische Argumentation, obgleich zu einem anderen Erklärungsgegenstand bei Arzheimer 2008: 58). Insgesamt ist das Modell damit ein Instrument, das geeignet ist, um Unterschiede zwischen Kooperativen und Verweigerern im Sinne des Survey Variable Cause-Modells zu erklären. Aus diesem Grund ist die Frage, wann genau eine Entscheidung stärker reflektiert oder stärker automatisch-spontan abläuft, von nachrangigem Interesse. Im Fokus steht vielmehr die Frage, bei welchen Variablen ein Zusammenhang mit der Wahrscheinlichkeit, eine Teilnahme zu verweigern oder zu kooperieren, angenommen werden kann. Die Beziehungen innerhalb des Modells, d.h. der Kausalzusammenhang zwischen den zentralen Konzepten, der in der Theorie geplanten Verhaltens postuliert ist, wird nicht überprüft, sondern unterstellt. Das Ajzen-Fishbein-Modell ist in den einzelnen Schritten (Erwartungen–Einstellungen–Handlungsintention–Handlung) schon deshalb nicht überprüfbar, da die Handlungsintention und die zentralen vorgelagerten Konstrukte nicht direkt und nur ein Teil der relevanten Orientierungen überhaupt erhoben wurden. Aus diesem Grund sind die inneren Elemente in der Darstellung des Modells auch grau eingefärbt (siehe Abb. 9). Der theoretische Hintergrund und das Erklärungsmodell sollen aber auch nicht in allen Einzelschritten überprüft werden. Sie werden vielmehr zur Beantwortung der zentralen Fragestellung zu den Unterschieden zwischen Respondenten und Nonrespondenten herangezogen. Damit werden mögliche Determinanten der Handlungsentscheidung herausgearbeitet und strukturiert und daraus Erwartungen abgeleitet: So kann analysiert werden, bei welchen Merkmalen im Sinne des Survey Variable Cause-Modells unterschiedliche Verteilungen bei Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern und damit Verzerrungen zu erwarten sind. Die Ebene der Orientierungen und Erwartungen, die den Einstellungen jeweils noch einmal vorgeschaltet ist, wurde nicht visualisiert, um die Abbildung möglichst einfach zu halten. Für die Beziehungen zwischen den einzelnen Konstrukten gilt, dass diese zwar theoretisch plausibel sind, jedoch aus den folgenden statistischen Berechnungen keine Aussagen über tatsächliche Kausalität abgeleitet werden können (vgl. zur Problematik des Nachweises von Kausalität Schnell et al. 2008: 463; für einen Überblick über Kausalanalysen mit nicht-experimentellen Daten siehe King et al. 1994; Winship/Morgan 1999; vgl. zu Kausalschlüssen auch Berk 2004: 223ff.). Unter dem Begriff der „Erklärung“ werden daher keine Kausalerklärungen im strengen Sinne, sondern eher „formalisierte Plausibilitätsüberlegungen“ (Arzheimer 2008: 131) verstanden.117 117
Schließlich muss auch berücksichtigt werden, dass die Indikatoren im Datensatz nicht eindeutig sind. Sie können nicht unbedingt die „wahren“ Konzepte allumfassend messbar machen, sondern stellen lediglich Annähe-
4.5 Die Modellierung Abbildung 9:
123
Das Erklärungsmodell auf der Ebene des Individuums
Pol. Interesse Vertrauen in Institutionen
Einstellungen ggü. Politik
Zufriedenheit mit dem politischen System Externe Efficacy Erfahrung mit Umfragen
Einstellungen gegenüber Umfragen
Einst. ggü. der Teilnahme an einer politischen Umfrage
Interesse an Umfragen / Spaß Beteiligungsnormen Geteilte Normen und Werte
Einstellung. ggü. der Gesell-
subjektive Norm
Selbstbild
wahrgen. Verhaltenskontrolle
Handlungsentscheidung: Kooperation / Verweigerung
Intention
Interpersonales Vertrauen Anomie Extreme pol.
tatsächliche Kontrolle: Ressourcen
Interne Efficacy Pol. Wissen
Kognitive Ressourcen
Soziale Ressourcen
Bildung
Kommunikation
pol. Informiertheit
Organisation
ZeitRessourcen
Erwerbstätigkeit
Quelle: Eigene Darstellung.
rungen dar, die die relevanten Erwartungen abbilden sollen. Sie haben grundsätzlich mit der MessfehlerProblematik zu kämpfen. Viele der Indikatoren sind zudem rein nach theoretischen Gesichtspunkten ausgewählt (vgl. Kap. 5). Hinzu kommt, dass – wie bereits angedeutet – die Analysen auf Grundlage der Querschnittsdaten nicht experimenteller Natur sind und damit sowieso keine Aussagen über Kausalitäten erlauben.
124
4 Die Teilnahme an politischen Umfragen
4.6 Zusammenfassung und Integration des Common Cause-Modells 4.6.1 Zusammenfassung Ziel dieser Arbeit ist es, zu untersuchen, ob sich diejenigen Personen, die nicht an Studien mit politikwissenschaftlichen Fragestellungen teilnehmen, von den Teilnehmern unterscheiden. Der Fokus liegt dabei auf der Gruppe der Teilnahmeverweigerer, bei denen eine aktive Handlungsentscheidung vorausgesetzt wird. Diese sollen mit der Gruppe der Teilnehmer verglichen werden. Bereits in der Einleitung der Arbeit wurde darauf hingewiesen, dass Unterschiede zwischen den Teilnehmern und den Nicht-Teilnehmern prinzipiell aufgrund zweier verschiedener Konstellationen entstehen können (siehe Kap. 1, Abb. 2): Entweder entstehen Unterschiede, weil bestimmte Merkmale direkt die Teilnahmebereitschaft beeinflussen („Survey Variable Cause-Modell“) oder weil gemeinsame Determinanten der Merkmale und der Entscheidung zu Kooperation und Verweigerung existieren („Common Cause-Modell“). Um entscheiden zu können, bei welchen Merkmalen Verzerrungen zu erwarten sind und ob diese auf das erste oder das zweite Modell zurückzuführen sind, ist zunächst ein theoretisches Verständnis des Ausfallprozesses notwendig. Man muss zunächst den Prozess der Teilnahmeentscheidung an sich verstehen, um anschließend mögliche Scheinkorrelationen aufzudecken. Um ein anschlussfähiges Modell zu den Ausfallgründen aufzustellen, wurde dazu im dritten Kapitel zunächst der Forschungsstand berichtet. Verschiedene Modelle zur Erklärung von Teilnahmeverhalten wurden mit ihren jeweiligen Stärken und Schwächen aufgezeigt. Aus der Perspektive des methodologischen Individualismus wurde nun im vierten Kapitel ein handlungstheoretisches Modell formuliert, das die Entscheidung zu Kooperation oder Verweigerung als subjektive, in ein soziales Umfeld eingebettete Kosten-Nutzen-Abwägung des Individuums ansieht. Damit wird von einem weiten Verständnis von Rational Choice ausgegangen, das nicht das Menschenbild eines homo oeconomicus, sondern das eines RREEMM mit begrenzter Rationalität zugrundelegt. Dieses weite Verständnis von Rational Choice erlaubt zunächst einen weiten Nutzenbegriff. Sowohl materielle als auch psychologische Anreize, die sich aus verschiedenen Erwartungsstrukturen bilden können, gehen in die Entscheidung zu Kooperation oder Verweigerung ein. Eine weitere Zusatzannahme betrifft den Modus der Handlungsentscheidung. Das Individuum besitzt demnach verschiedene Entscheidungsmodi, die stärker rationalreflektiert bzw. stärker automatisch-heuristisch ablaufen. Im ersten Fall wirken eher spezifischere Überlegungen zur Bewertung der Handlungsalternativen, die sowohl materieller als auch nicht-materieller Natur sein können. Die Handlung erfolgt spontan und weniger reflektiert, wenn stärker generalisierte Einstellungen wirken. Welcher Modus gewählt wird, hängt von der Situation ab. Für die Situation, dass eine Zielperson gebeten wird, an einer persönlich-mündlichen Befragung mit einem hohen Incentive teilzunehmen, wird angenommen, dass die Entschei-
4.6 Zusammenfassung und Integration des Common Cause-Modells
125
dung in der Regel stärker reflektiert verläuft. Da jedoch von einem Entscheidungskontinuum ausgegangen wird, können sowohl generalisierte Orientierungen als auch situationsspezifische Erwartungen wirken.
4.6.2 Das Common Cause-Modell Mit der Formulierung des Modells zur Erklärung von Kooperation und Verweigerung sind die Variablen angegeben, bei denen aufgrund des „Survey Variable Cause-Modells“ Unterschiede zwischen Respondenten und Nonrespondenten erwartet werden, die auf direkte Effekte zurückzuführen sind (siehe Merkmale X1 in Abb. 10). Bei Merkmalen, die direkt auf die Handlungsentscheidung des Individuums (TN) wirken, ist anzunehmen, dass sie bei Kooperativen und Verweigerern in unterschiedlichem Ausmaß auftreten. Abbildung 10: Das Common Cause-Modell X1
X2
TN
Quelle: Eigene Darstellung nach Groves/Peytcheva (2008: 168).
Das im vorigen Abschnitt aufgestellte Modell zur Erklärung von Kooperation und Verweigerung bei politischen Umfragen weist in seiner Grundstruktur deutliche Parallelen zu klassischen Erklärungsmodellen der politischen Partizipationsforschung auf. Dort werden ebenfalls Effekte der individuellen Ressourcenausstattung, der politischen Einstellungen sowie der Integration in Netzwerke und den damit verbundenen Konsequenzen auf die politische Partizipation diskutiert (vgl. etwa Barnes et al. 1979; Dalton 2002; Parry et al. 1992; Verba et al. 1995: 269; Verba/Nie 1972). Diese Merkmale, wie bspw. das politische Interesse, die Entfremdung oder das Institutionenvertrauen, sind demnach nicht nur als Variablen im Modell zur Erklärung von Kooperationsverhalten bei politischen Umfragen enthalten, sondern auch dazu geeignet, verschiedene Formen politischer Partizipation zu erklären. Die Ausstattung mit objektiven und subjektiv wahrgenommenen Ressourcen sowie die politischen, sozialen und umfragespezifischen Einstellungen würden daher im Sinne des „Survey Variable Cause-Modells“ direkt verzerrt geschätzt (siehe X1, Abb. 10). Unterschiede zwischen Kooperativen und Verweigerern bei Variablen der politischen Partizipation (siehe X2, Abb. 10) sind jedoch nach dem „Common Cause-Modell“ ebenso zu erwarten, da die gleichen erklärenden Varriablen auf beide Konzepte wirken.
126
4 Die Teilnahme an politischen Umfragen
Abbildung 11 visualisiert die Integration der politischen Partizipation in das zuvor aufgestellte Erklärungsmodell. Dabei sieht man zunächst im unteren Bereich der Abbildung das bereits im vorigen Kapitel aufgestellte Modell zur Erklärung von Kooperation und Verweigerung bei Umfragen. Drei der vier Gruppen von Einstellungen, nämlich das Selbstbild, die Einstellungen gegenüber der Gesellschaft und die politischen Einstellungen sind aber nicht nur für die Teilnahmeentscheidung an Umfragen von Bedeutung. Von ihnen wird gleichzeitig angenommen, dass sie relevante Determinanten der politischen Partizipation sind. Dies ist im oberen Teil der Abbildung dargestellt und wird durch die gestrichelten Linien angedeutet. Abbildung 11: Die Integration des Common Cause-Modells Einstellung ggü. pol. Partizipation
subjektive Norm
Intention
wahrg. Verhaltenskontrolle Einstellungeng gü. Politik
ZeitRessourcen objektive Kontrolle: Ressourcen
Einstellungen gegenüber Umfragen
Einst. ggü. der Teilnahme an einer politischen Umfrage
Einstellung ggü. der Gesellschaft
subjektive Norm
politische Partizipation
soziale Ressourcen kognitive Ressourcen
Intention
Kooperation / Verweigerung pol. Umfrage
= Erklärungsmodell pol. Partizipation Selbstbild
Quelle: Eigene Darstellung.
wahrg. Verhaltens-kontrolle
= Erklärungsmodell Teilnahme an pol. Befragung
4.6 Zusammenfassung und Integration des Common Cause-Modells
127
Nach den Grundannahmen der Theorie geplanten Verhaltens wird auch für die politische Partizipation angenommen, dass der tatsächlichen Handlung die Intention zu partizipieren vorgeschaltet ist. Diese wird wiederum durch die Einstellung gegenüber dem konkreten Partizipationsverhalten, durch die subjektive Norm und die wahrgenommene Verhaltenskontrolle beeinflusst. Gleichzeitig beeinflusst auch die objektive Ressourcenausstattung die aktive Teilnahme im politischen System. Nun zeigt sich, dass manche der im Modell vorliegenden generalisierten und spezifischen Einstellungen, wie z.B. das Politikinteresse, die Zufriedenheit mit dem politischen System, das interpersonale Vertrauen oder auch die interne und externe Efficacy (nur um exemplarisch einzelne Beispiele zu nennen), nicht nur auf die Umfrageteilnahme, sondern auch auf die politische Partizipation wirken. Daher werden, im Sinne der Annahme gemeinsamer Hintergrundvariablen, auch in diesem Bereich Verzerrungen durch Nonresponse angenommen. Um die Aussage zu den potenziellen Verzerrungen im Bereich der politischen Partizipation zu differenzieren, werden nun die relevantesten Dimensionen politischer Beteiligung herausgearbeitet und einer genaueren Betrachtung in Bezug auf die genannten Merkmale unterzogen. Dabei erhebt die Untersuchung nicht den Anspruch, alle möglichen Formen politischer Partizipation zu diskutieren. Vielmehr werden zunächst auf der Grundlage theoretischer Überlegungen und empirischer Daten verschiedene Partizipationstypen ermittelt und im Anschluss daran die Erwartungen zu potenziellen Verzerrungen dieser Merkmale formuliert. Zunächst wird zwischen dem Wahlverhalten und anderen Formen politischer Beteiligung unterschieden. Beim Wahlverhalten handelt es sich um die am stärksten etablierte Form politischer Partizipation. Dies gilt nicht nur, aber auch, für die Bundesrepublik Deutschland und schlägt sich hier in den hohen Wahlbeteiligungsraten nieder: Für viele Bürger ist Wählen die einzige Form politischer Beteiligung, derer sie sich bedienen (vgl. Caballero 2005: 327; Wolfinger/Rosenstone 1980: 1). Wahlen finden nur zu bestimmten Zeitpunkten statt und sind in ihrer Bedeutung, sowohl medial als auch demokratietheoretisch, hervorgehoben sowie in hohem Maße institutionalisiert (vgl. Aldrich 1993: 246; Verba/Nie 1972: 44ff.; Schmitt 2005: 11ff.). Bei der Entscheidung eines Bürgers, zur Wahl zu gehen oder nicht, können prinzipiell ähnliche Determinanten wirken wie bei der Entscheidung zur Umfrageteilnahme (vgl. Bolstein 1991; Brehm 1993: 138; Caballero 2005: 334; Clausen 1968; Granberg/Holmberg 1991: 450; Kleinhenz 1995: 75). Dies gilt insbesondere für die Wirkung politischer Einstellungen, wie z.B. dem politischen Interesse und der Systemunterstützung. Zudem wirkt aber auch die Wahrnehmung des sozialen Umfelds, in Form der Wahlnorm, auf die Wahlbeteiligung. Je stärker ein Individuum glaubt, das soziale Umfeld erwarte eine Teilnahme, desto eher wird es teilnehmen. Diese normative Erwartung hat sich empirisch als erklärungsstärkste Determinante der Wahlbeteiligung erwiesen (vgl. Caballero 2005: 345; Rattinger/Krämer 1995: 279). Die Wahlnorm kann zugleich aber auch als Indikator für gesellschaftliches Pflicht-
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4 Die Teilnahme an politischen Umfragen
bewusstsein herangezogen werden, das einen direkten Einfluss auf die Umfrageteilnahme hat. Nicht nur die Wahlbeteiligung lässt sich auf ähnliche Determinanten wie eine Umfrageteilnahme zurückführen. Auch für die Parteiwahl kann man Unterschiede zwischen Kooperativen und Verweigerern vermuten, die sich auf gemeinsame Hintergrundvariablen zurückführen lassen. In der Wahlforschung existieren verschiedene Theorien zur Erklärung von Parteipräferenzen und der Parteiwahl, in denen die Einflussfaktoren sowohl auf Mikro- als auch auf Makroebene angesiedelt sind (für einen Überblick siehe Falter/Schoen 2005). Zur Erklärung individuellen Wahlverhaltens haben sich dabei in der Forschung besonders soziologische, sozialpsychologische und rationale Ansätze etabliert. Ohne die einzelnen Theorien detaillierter zu beleuchten, lassen sich daraus verschiedene Hypothesen ableiten, von denen exemplarisch drei Annahmen ausgesucht und überprüft werden. Erstens kann man annehmen, dass die Orientierungen gegenüber gewissen Sachfragen sowohl die Kooperation bei Umfragen als auch die Wahlentscheidung beeinflussen können. Eine derartige Sachfrage, die in direktem Zusammenhang mit einer Umfrageteilnahme und der Parteiwahl steht, ist der Umgang mit Daten bzw. der Datenschutz. Die Einstellung gegenüber dem Datenschutz wäre damit die gemeinsame Hintergrundvariable einer Umfrageteilnahme und der Wahl bestimmter Parteien. Auf der Angebotsseite der Parteien machen sich in der Bundesrepublik Deutschland insbesondere die FDP und Büdnis 90/Grünen für dieses Thema stark. Man kann vermuten, dass Parteien, die für Bürgerrechte, Datenschutz und die Wahrung der Privatsphäre eintreten, deutlich stärker von denjenigen gewählt werden, die auch eine Teilnahme verweigern, weil sie eine gewisse Einstellung gegenüber dieser Frage haben. In der Konsequenz müsste damit auf der Grundlage der kooperativen Zielpersonen das Wahlergebnis derjenigen Parteien unterschätzt werden, deren Wähler gehäuft nicht an Umfragen teilnehmen. Dies würde in besonderem Maß die beiden Parteien FDP und Bündnis 90/Die Grünen betreffen. Man könnte nun vermuten, dass sich dieser Effekt über die Vielzahl an relevanten Themen in einem Wahlkampf wieder aufhebt, allerdings ist damit gerade bei den FDPWählern nicht nur eine Einstellung gegenüber einer Sachfrage, sondern eine gewisse liberale Werthaltung verbunden. Aus diesem Grund wird angenommen, dass der Effekt gerade bei diesem Thema doch zu Verzerrungen führen kann. Ein zweiter Zusammenhang, der insbesondere in der angelsächsischen Literatur diskutiert wird, besteht zwischen der Wahl konservativer Parteien und der Verweigerung einer Umfrageteilnahme. Das Wahlergebnis konservativer Parteien wurde in der Vergangenheit bereits mehrfach in Prognosen unterschätzt. Gerade nach ungenauen Wahlprognosen, wie z.B. 1992 in Großbritannien oder 2004 bei den Präsidentschaftswahlen in den USA, werden – meist a posteriori – Erklärungen dafür gesucht (vgl. Jowell et al. 1993: 251; Martin et al. 2005; Pew Research Center for the People and the Press 1998). Verschiedene Merkmale kommen als gemeinsame Hintergrundvariablen der konservativen Wahl und der Umfrageverwei-
4.6 Zusammenfassung und Integration des Common Cause-Modells
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gerung in Betracht, die eine Unterschätzung konservativer Parteien und Kandidaten erklären könnten. Sherkat (2007) argumentiert bspw. auf der Grundlage der religiösen Überzeugungen konservativer Wähler, die zu sozialer Exklusivität und damit zu einer geringeren sozialen Integration führten. Da die soziale Integration nicht nur auf das Wahlverhalten, sondern auch auf die Teilnahme an einer Umfrage wirke, gehörten die konservativen Wähler eher zu den Verweigerern. Eckberg (1992) argumentiert über die Religiösität als gemeinsame Hintergrundvariable und konstatiert, dass der Zusammenhang zwischen konservativer Wahl und Umfrageteilnahme über die Bedeutung und Wahrnehmung der Wissenschaft vermittelt sei: Streng religiöse Menschen seien der Wissenschaft gegenüber negativer eingestellt und nähmen aus diesem Grund seltener an wissenschaftlichen Umfragen teil. Die Umfrageeinstellung dieser Kernwähler konservativer Parteien sei daher negativer (vgl. auch Sherkat 2007: 84).118 Die Argumentationen können in ihren Einzelschritten nur sehr begrenzt empirisch nachgewiesen werden. Bei allen Analysen wird jedoch der Einfluss des individuellen politischen und gesellschaftlichen Kontextes deutlich: Gerade in Bezug auf die Rolle der Religion für die Wahlentscheidung und den Zusammenhang zwischen Wissenschaftsskeptizismus und Religiösität existieren bspw. deutliche Unterschiede zwischen dem politischen System der USA und dem der Bundesrepublik Deutschland. Ein Blick auf das deutsche politische System zeigt, dass die klassische Verbindung zwischen der Kirchenbindung und der Wahlentscheidung zwar ebenfalls existiert, aber an Relevanz verloren hat, da immer weniger Bürger eine Kirchenbindung aufweisen (vgl. Arzheimer/Schoen 2007). Zudem werden in Wahlprognosen in der Bundesrepublik Deutschland konservative Wähler in der Regel nicht unter-, sondern überschätzt, was eventuell auf die verstärkte soziale Integration zurückzuführen ist. Der empirische Teil wird zeigen, inwiefern hier Effekte auftreten und wie diese im Anschluss erklärt werden können. Ein dritter Befund ist, dass in Befragungen meist Wähler extremer Parteien unterrepräsentiert sind. Daher wird davon ausgegangen, dass auch die Wahl extremer Parteien und die Verweigerung der Teilnahme an einer politischen Befragung auf gemeinsame Hintergrundvariablen zurückzuführen sind. Für beide Verhaltensformen kann ein Zusammenhang mit dem Grad sozialer Desintegration vermutet werden (vgl. Arzheimer 2005: 400). Zudem könnten beide Verhaltensweisen aus einer Unzufriedenheit mit dem System entstehen. Der Zusammenhang zwischen der Unzufriedenheit mit dem System und der Wahl extremer Parteien ist im Rahmen der Protestwahlhypothese bereits gezeigt worden (vgl. Arzheimer 2002, 2005; Falter 1994). Wenn Unzufriedene nun auch seltener an politischen Befragungen teilnehmen, ist die Unterrepräsentation in Umfragen zu verstehen. In diesem Fall würde auf der Grundlage der kooperativen Zielpersonen die Wahl extremer Parteien 118
An dieser Stelle muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass auch die konträre Position Anhänger findet, wonach angenommen wird, religiöse Menschen seien „nice people“ mit einem hohen Maß an Integration und Kooperation (vgl. Brennan/London 2001).
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4 Die Teilnahme an politischen Umfragen
unterschätzt. Neben der Protestwahlhypothese wird in der Extremismus-forschung auch die Überzeugungswahlhypothese zur Erklärung extremen Wahlverhaltens diskutiert. Auch aus dieser Perspektive heraus lässt sich jedoch argumentieren, warum Wähler extremer Parteien zugleich eher Befragungsverweigerer sind: Eine gemeinsame Hintergrundvariable ist dabei die extreme Einstellung. Das Vorliegen extremer Einstellungen führt zur Überzeugungswahl extremer Parteien. Ebenso können extreme Einstellungen zu einer Verweigerung einer Umfrageteilnahme führen, weil die Zielpersonen nicht in soziale Isolation geraten wollen und annehmen, dass ihre Einstellungen sozial nicht erwünscht sind. Dies gilt in der Bundesrepublik Deutschland besonders für rechtsextreme Einstellungen, gegen die es einen breiten gesellschaftlichen und medialen Konsens gibt. Neben Effekten im Hinblick auf das Wahlverhalten lassen sich zugleich auch für andere politische Partizipationsformen Zusammenhänge mit der Teilnahmeentscheidung finden, die auf gemeinsame Hintergrundvariablen zurückzuführen sind. Dabei sind gemeinsame Ursachen im Bereich der Ressourcenausstattung und der politischen Einstellungen anzunehmen, für die positive Effekte im Hinblick auf die politische Partizipation empirisch bewährt sind (vgl. Ajzen/Fishbein 1980; Ajzen 1985; Barnes et al. 1979; Brady et al. 1995; Farah et al. 1979; Gabriel/Völkl 2008; Verba et al. 1995; Whiteley/Seyd 1996; Zaller 1992) und im Erklärungsmodell zur Kooperationsentscheidung Effekte postuliert wurden. Diejenigen, die sich im politischen System aktiv beteiligen, wären nach dieser Prämisse auch diejenigen, die sich kooperativ verhalten und sich gerne befragen lassen. Dies sollte zumindest für „konstruktive“ Partizipationsformen gelten. Eine Ausnahme wird jedoch für das Protestverhalten angenommen: Hier sind vielmehr entgegengesetzte, negative Zusammenhänge zu erwarten. Diejenigen, die mit dem politischen System unzufrieden sind, sind diejenigen, die stärker zu Protestverhalten tendieren und beispielsweise eher an nicht genehmigten Demonstrationen teilnehmen. Gleichzeitig wird angenommen, dass sich die Unzufriedenen aus den zuvor ausgeführten Gründen eher nicht befragen lassen. Die Bereitschaft zu Protestverhalten, die durchaus als Krisenindikator eines politischen Systems gelten kann, würde daher in Umfragen tendenziell unterschätzt. Mit den verschiedenen Facetten politischen Partizipationsverhaltens wurden nun exemplarisch einige Merkmale genannt, für die im Sinne des Common CauseModells Verzerrungen angenommen werden, wenn auf der Grundlage von Umfragedaten empirische Aussagen getroffen werden. Im nächsten Abschnitt sollen der Übersichtlichkeit halber noch einmal alle Hypothesen, die sich aus den theoretischen Ausführungen in diesem Kapitel ableiten lassen, dargestellt werden. Die Auflistung erhebt dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit: Gerade im Bereich des Common Cause-Modells wurden nur einzelne Merkmale herausgenommen, um die Mechanismen der Entstehung von Verzerrungen aufzuzeigen.
4.7 Hypothesenübersicht
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4.7 Hypothesenübersicht Bevor die zentralen Konzepte im nächsten Abschnitt operationalisiert werden und das Forschungsdesign detaillierter dargestellt wird, sollen die aus dem Modell abgeleiteten Arbeitshypothesen zunächst noch einmal in einer Gesamtübersicht aufgezeigt werden. Dabei lassen sich Hypothesen unterscheiden, die unterschiedliche Reichweiten haben. Zunächst lautet die Basishypothese: H1.1: Es existieren signifikante Unterschiede zwischen Teilnehmern und NichtTeilnehmern einer politischen Befragung. Um den Begriff der Nicht-Teilnehmer einzugrenzen und den Fokus auf die inhaltlich interessanten Verweigerer zu legen, wird diese Hypothese spezifiziert: H1.2: Es existieren signifikante Unterschiede zwischen Kooperativen und Verweigerern einer Teilnahme an einer politischen Befragung. Da im Laufe des vierten Kapitels ein Erklärungsmodell aufgestellt wurde, das relevante Variablen der Wahl- und Einstellungsforschung als Bestimmungsfaktoren der Handlungsentscheidung aufzeigt, kann die Hypothese weiter konkretisiert werden: H1.3: Diese Unterschiede zwischen Verweigerern und Kooperativen treten auch bei den für die politische Wahl- und Einstellungsforschung inhaltlich relevanten politischen Einstellungs- und Verhaltensvariablen auf. Wie gezeigt, wird theoretisch angenommen, dass sich Unterschiede sowohl auf direkte als auch auf indirekte Effekte zurückführen lassen. Die direkten Effekte sind von der Grundidee einer handlungsleitenden Kosten-Nutzen-Analyse des Individuums abgeleitet. Über eine Kosten-Nutzen-Analyse im Sinne der WertErwartungstheorie bildet das Individuum gegenüber beiden Handlungsoptionen (Kooperation und Verweigerung) eine Einstellung aus, die einen bestimmten Wert besitzt. Neben der Einstellung gegenüber der Handlungsoption wirken die subjektive Norm und die subjektiv wahrgenommene Verhaltenskontrolle. Außerdem muss das Individuum eine Handlung tatsächlich auch ausführen können, d.h. auch objektiv die Kontrollmöglichkeit besitzen. Folgende Hypothesen ergeben sich daraus: H2: Je höher die objektive Ressourcenausstattung einer Zielperson ist, desto eher wird sie sich an einer Befragung beteiligen können.
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4 Die Teilnahme an politischen Umfragen
Bei den Ressourcen lassen sich verschiedene Dimensionen unterscheiden. H2.1: Je höher die kognitive Ressourcenausstattung einer Zielperson ist, desto wahrscheinlicher wird sie sich an einer Befragung beteiligen können. H2.2a: Je höher die soziale Ressourcenausstattung einer Zielperson ist, desto wahrscheinlicher wird sie sich an einer Befragung beteiligen können. Für diese Hypothese existiert jedoch auch die gegenteilige Annahme eines negativen Zusammenhangs aufgrund des Opportunitätskosten-Arguments. Daher wird die Hypothese ebenso mit umgekehrter Wirkungsrichtung formuliert: H2.2b: Je höher die soziale Ressourcenausstattung einer Zielperson ist, desto unwahrscheinlicher ist es, dass sie sich an einer Befragung beteiligen kann. H2.3: Je größer die zeitliche Ressourcenausstattung einer Zielperson ist, desto wahrscheinlicher wird sie sich an einer Befragung beteiligen können. Neben den objektiven Ressourcen, die sich auf die tatsächliche Verhaltenskontrolle beziehen, wirkt aber auch die subjektiv wahrgenommene Kontrollmöglichkeit, d.h. das Ausmaß, in dem das Individuum selbst daran glaubt, an der Befragung teilnehmen zu können (=Selbstbild). Daraus ergibt sich: H3: Je eher eine Zielperson annimmt, die gestellte Aufgabe auch tatsächlich erfüllen zu können und je positiver damit das Selbstbild einer Person ist, desto eher wird sie an einer politischen Befragung teilnehmen. Diese Hypothese lässt sich wiederum konkretisieren, im Hinblick auf die beiden zentralen Merkmale, die das Selbstbild der Person in Bezug auf die Teilnahme an einer politischen Umfrage beeinflussen: H3.1: Je höher die Zielperson ihr eigenes politisches Wissen einschätzt, desto eher wird sie an einer politischen Befragung teilnehmen. H3.2: Je eher eine Zielperson glaubt, politisch Einfluss nehmen zu können (d.h. je höher die interne politische Efficacy einer Zielperson ist), desto eher wird sie an einer politischen Befragung teilnehmen. Neben der wahrgenommenen und objektiven Handlungskontrolle werden für weitere Merkmale auf der Ebene der Einstellungen Einflüsse auf die Handlungsentscheidung angenommen. Allgemein gesprochen gilt:
4.7 Hypothesenübersicht
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H4: Je positiver eine Zielperson gegenüber der Teilnahme an einer politischen Befragung eingestellt ist, desto eher wird sie sich an einer derartigen Umfrage beteiligen. Verschiedene Erwartungen können in die Bildung der Einstellung gegenüber der Teilnahme an einer politischen Umfrage eingehen. Unterschieden werden politische, umfragespezifische und gesellschaftliche Einstellungen. H4.1: Je positiver die politischen Einstellungen einer Zielperson sind, desto eher wird sie an einer politischen Befragung teilnehmen. Die politischen Einstellungen lassen sich noch weiter konkretisieren, indem man die drei als zentral erachteten Merkmale Interesse am Thema, Akteure und Institutionen sowie Systemzufriedenheit fokussiert: H4.1.1: Je stärker das Politikinteresse einer Zielperson ist, desto eher wird sie an einer politischen Befragung teilnehmen. H4.1.2: Je größer das Institutionenvertrauen einer Zielperson ist, desto eher wird sie an einer politischen Befragung teilnehmen. H4.1.3: Je höher die Zufriedenheit einer Zielperson mit dem politischen System, desto eher wird sie an einer politischen Befragung teilnehmen. Neben den politischen Einstellungen hat auch die Umfrageeinstellung einen Einfluss auf die Teilnahmebereitschaft. H4.2: Je positiver die Einstellung einer Zielperson gegenüber Umfragen ist, desto wahrscheinlicher wird sie an einer Befragung teilnehmen. H4.2.1: Je höher eine Zielperson die Relevanz von Umfragen einschätzt (d.h. je responsiver sie das politische System wahrnimmt), desto wahrscheinlicher wird sie an einer Befragung teilnehmen. H4.2.2: Je stärker die Zielperson Beteiligungsnormen internalisiert hat, desto eher wird sie sich an einer Befragung beteiligen, weil sie ihr wichtig erscheint. H4.2.3: Je eher eine Person positive Erfahrungen mit Umfragen gemacht hat, desto eher wird sie sich daran beteiligen. H4.2.4: Je mehr die Zielperson annimmt, durch die Teilnahme Spaß und Abwechslung zu erhalten, desto wahrscheinlicher wird sie an der Befragung teilnehmen.
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4 Die Teilnahme an politischen Umfragen
Auch bei den sozialen Orientierungen, die auf die Einstellung gegenüber der Teilnahme an einer Befragung wirken, können verschiedene Einstellungen unterschieden werden. Zunächst wird allgemein angenommen, dass positive Einstellungen gegenüber der Gesellschaft die Teilnahmewahrscheinlichkeit erhöhen. H4.3: Je größer das soziale Vertrauen einer Zielperson ist, desto eher wird sie an einer Befragung teilnehmen. Schließlich wirken die sozialen Einstellungen nicht nur auf die Herausbildung der Einstellung gegenüber dem Verhalten, sondern auch im Sinne der subjektiven Norm. H5: Je stärker ein Individuum annimmt, dass das soziale Umfeld eine Teilnahme erwartet oder sogar positiv bewertet, desto eher wird es kooperieren. Da zudem angenommen wird, dass mit zunehmender Integration in die Gesellschaft Normen und Werte (auch im Hinblick auf die Teilnahme an einer Befragung) stärker geteilt werden, ergeben sich folgende Hypothesen: H5.1: Je integrierter ein Individuum in die Gesellschaft ist, desto eher wird es an einer politischen Befragung teilnehmen. H5.2: Je weniger entfremdet eine Zielperson ist, desto eher teilt sie die Werte der Gesellschaft und desto eher wird sie an einer Befragung teilnehmen. H5.3: Je eher ein Individuum es als Pflicht empfindet, an einer Befragung teilzunehmen, desto eher wird es an einer politischen Befragung teilnehmen. H5.4: Je extremer die politischen Einstellungen eines Individuums sind, desto eher wird es aus Gründen der sozialen Erwünschtheit die Teilnahme an einer politischen Befragung ablehnen. Neben den Effekten, die aufgrund des Survey Variable Cause-Modells auftreten, werden aber auch Unterschiede zwischen Kooperativen und Verweigerern vermutet, die auf indirekte Effekte zurückzuführen sind. Das bedeutet, es wird angenommen: H6: Es gibt Unterschiede zwischen Verweigerern und Kooperativen in Bezug auf ihr politisches Partizipationsverhalten.
4.7 Hypothesenübersicht
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Das politische Partizipationsverhalten wird dabei exemplarisch anhand verschiedener Dimensionen konkretisiert. H6.1: Es treten Unterschiede zwischen Kooperativen und Verweigerern in Bezug auf ihr Wahlverhalten auf. H6.1.1: Unter den Verweigerern sind mehr Nicht-Wähler vertreten als unter den Kooperativen. H6.1.2: In der Gruppe der Verweigerer erzielen die kleinen Parteien, die programmatisch für eine Stärkung des Datenschutzes und der Bürgerrechte stehen (FDP und Bündnis 90/Die Grünen), überdurchschnittliche Wahlergebnisse. H6.1.3: In der Gruppe der Verweigerer sind mehr Wähler extremer Parteien vertreten als in der Gruppe der Kooperativen. Schließlich wird angenommen: H6.2: Es existiert ein Zusammenhang zwischen politischer Partizipation und der Teilnahmebereitschaft. H6.2.1: Es existiert ein positiver Zusammenhang zwischen öffentlicher politischer Partizipation und der Teilnahmebereitschaft. H6.2.2: Es existierte ein positiver Zusammenhang zwischen nicht-öffentlicher politischer Partizipation und der Teilnahmebereitschaft. H6.2.3: Es existiert ein negativer Zusammenhang zwischen Partizipationsformen des politischen Protests und der Teilnahmebereitschaft. Um die indirekten Effekte aufzuzeigen, wird zunächst der Zusammenhang zwischen den Partizipationsvariablen und der Teilnahmebereitschaft überprüft (H6). Sollte sich dieser zeigen, werden die relevanten Hintergrundvariablen aus den Hypothesengruppen H2 bis H5 multivariat mit in die Analyse eingeführt. Dies müsste dann dazu führen, dass der Zusammenhang verschwindet. Im empirischen Teil dieser Arbeit soll daher zunächst geprüft werden, ob Unterschiede zwischen Kooperativen und Verweigerern in Bezug auf die Ressourcenausstattung, die Einstellungen gegenüber Politik, Gesellschaft, Umfragen und das Selbstbild sowie in Bezug auf politische Partizipation existieren. Anschließend werden, um die Ursachen für die Unterschiede zu erklären, die Teilmodelle multivariat getestet. Die Suche nach den Ursachen sozialwissenschaftlicher Phänomene ist mit einer Vielzahl von Problemen verbunden, die man bei der Interpretation der empiri-
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4 Die Teilnahme an politischen Umfragen
schen Ergebnisse berücksichtigen muss (vgl. exemplarisch Arzheimer 2008: 129f.; Falter 1977). Auf einige dieser Probleme soll in den beiden folgenden Kapiteln intensiver eingegangen werden. Sozialwissenschaftliche Merkmale sind meist latente Konstrukte und somit nicht direkt beobachtbar. Um diese messen zu können, müssen geeignete Operationalisierungen gefunden werden. Zudem sind aufgrund praktischer Restriktionen (z.B. die Fragebogenlänge, die nur eine bestimmte Anzahl an Items erlaubt, das Interviewerverhalten, etc.) Einschränkungen in Bezug auf die Anzahl der abfragbaren Indikatoren in Kauf zu nehmen. Nicht alle wünschenswerten Indikatoren können – gerade in einem Forschungsdesign, in dem das zentrale Ziel ist, möglichst viele Zielpersonen tatsächlich zu befragen – in die Befragung aufgenommen werden, da z.B. der Fragebogen möglichst kurz gestaltet werden sollte. Dies betrifft insbesondere die Erhebung von Einstellungen, da man in der Einstellungsforschung annimmt, dass multiple Indikatoren am geeignetsten sind, um komplexe Strukturen abzubilden. Daher können nicht alle Elemente der Theorie ausführlich berücksichtigt werden. Gerade bei einer Parallelstudie zu einer der größten sozialwissenschaftlichen Studien in Deutschland, die bereits seit den 1980er Jahren existiert, gibt es weitere Restriktionen in Bezug auf die Frage, welche Variablen über welche Indikatoren erhoben werden können. Die endgültige Entscheidung über den Fragebogen des ALLBUS und damit auch die Grundstruktur der Nonresponse-Studie lag beim wissenschaftlichen Beirat der Studie und damit außerhalb der Kontrolle der Forscherin. Um die Unsicherheit, die sich aus den Merkmalen des Forschungsdesigns und der Auswahl der Indikatoren ergibt, besser einschätzen zu können, wird sich der nächste Abschnitt zunächst mit dem Forschungsdesign, das sechste Kapitel anschließend mit der Operationalisierung der relevanten Konzepte beschäftigen.
II Empirischer Teil
5 Das Design der Studie
Bevor das im vierten Kapitel entwickelte Modell und die daraus abgeleiteten Hypothesen empirisch überprüft werden, soll nun zunächst das Forschungsdesign der empirischen Nonresponsestudie beschrieben werden. Die Details der Datenerhebung sind relevant, um anschließend die Validität und die Reliabilität der Aussagen sowie die Reichweite der Untersuchung einschätzen zu können. Bei einer Fragestellung wie der hier vorliegenden nimmt die Entwicklung des Forschungsdesigns einen großen Stellenwert ein, da sie die Erkenntnisse in großem Ausmaß beeinflusst. Um das Problem der Antwortverweigerung und die Konsequenzen daraus zu untersuchen, ist eine präzise Datenerhebung eine Grundvoraussetzung. Diese muss sich sowohl durch ein hohes Maß an interner Validität und damit Kontrolle als auch durch ein hohes Maß an externer Validität und damit Übertragbarkeit auszeichnen. Damit steht man bei der Entwicklung des Forschungsdesigns vor einem Optimierungsproblem. Recht schnell wurde deutlich, dass zur Überprüfung der Hypothesen keine Sekundäranalyse durchgeführt werden konnte, um die Frage nach den politikwissenschaftlich relevanten Determinanten von Verweigerungen bei Umfragen zu beantworten. Für das politische und gesellschaftliche Umfeld der Bundesrepublik Deutschland liegen keine entsprechenden Daten vor. Wie bereits im dritten Kapitel gezeigt, existieren nur einige wenige Nonresponse-Studien (siehe etwa Bosnjak 2002; Erbslöh/Koch 1988; Kaczmirek 2008; Neller 2005; Reuband/Blasius 1996, 2000; Schnauber/Daschmann 2008; Schneekloth/Leven 2003; Schnell 1997), die sich für den deutschen Sprachraum überhaupt mit Antwortverweigerungen bei Umfragen beschäftigen. Mit Ausnahme der Studie von Neller zum ESS stammen die Arbeiten dabei nicht aus dem Bereich der Politikwissenschaft. Daher untersuchen sie in der Regel soziodemographische Merkmale der Verweigerer, die Analyse von politischen Einstellungen und politischem Verhalten von Verweigerern bleibt weitgehend ausgeklammert. Zudem basieren die meisten Untersuchungen nicht auf persönlich-mündlichen Befragungen und/oder arbeiten mit zum Teil wenig kontrollierbaren Stichprobendesigns. Bei internationalen Studien zu Nonresponse treten – unabhängig vom Problem der Datenbeschaffung – ähnliche Probleme auf. Auch dabei handelt es sich meist um Untersuchungen aus den Bereichen der Wirtschaftswissenschaften, Psychologie oder Soziologie, mit variierenden Stichprobenverfahren und unterschiedlichen Datenerhebungsmodi. Zwei weitere Aspekte erschweren eine Übertragbarkeit dieser Ergebnisse auf die Bundesrepublik Deutschland: Erstens kann man davon ausgehen, dass das Auftreten und die Erklä-
H. Proner, Ist keine Antwort auch eine Antwort?, DOI 10.1007/978-3-531-92721-3_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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5 Das Design der Studie
rung von Nonresponse an sich bereits kontextabhängig sind, weil beispielsweise unterschiedliche Umfragekulturen existieren (vgl. Billiet et al. 2007; Stoop 2005).119 Verschärft wird das Problem durch den Fokus auf politische Einstellungen und Verhaltensweisen. Gerade diese Merkmale sind eng mit der politischen Kultur des jeweiligen Landes verbunden und daher in besonderem Maße vom gesellschaftlichen und politischen Umfeld abhängig. Aus den genannten Gründen wurde entschieden, eine eigene Daten zu erheben. Dazu wurde im Rahmen eines DFG-Projekts eine Nonresponse-Studie in Anlehnung an den ALLBUS 2008 konzipiert, deren Schwerpunkt auf der Analyse politikwissenschaftlich relevanter Merkmale und Konzepte liegt. In der vorliegenden Arbeit soll untersucht werden, ob es inhaltliche Unterschiede zwischen denen, die sofort an einer Umfrage teilnehmen, und denen, die eine Teilnahme zunächst verweigern, gibt. Um diese Frage zu beantworten, müssen möglichst viele Personen erreicht werden, die unter Standardbedingungen nicht an einer derartigen Studie teilnehmen würden. Zunächst muss daher ein Studiendesign entwickelt werden, das dies ermöglicht. Für die Gruppe der „befragten Verweigerer“ soll anschließend untersucht werden, wie sie politisch denken und handeln. Dieser Teil der empirischen Analyse ist damit vorrangig deskriptiver Art. Es geht darum, etwas über die Verteilung von Merkmalen in zwei Teilpopulationen der Gesamtbevölkerung zu erfahren und Unterschiede aufzuzeigen. Zur Erklärung der Unterschiede zwischen Teilnehmern und Verweigerern werden anschließend die Erklärungsmodelle und die daraus abgeleiteten Hypothesen, die im vierten Kapitel aufgestellt wurden, überprüft. In diesem Teil der empirischen Analyse geht es nicht mehr um die Beschreibung von unterschiedlichen Verteilungen, sondern um die Untersuchung von Zusammenhangshypothesen bzw. komplexeren Wirkungsbeziehungen. Der empirische Teil der Arbeit lässt sich damit in drei Teile gliedern: 1.
Studiendesign: Anhand der Erkenntnisse zum Einsatz verschiedener Designelemente in persönlich-mündlichen Umfragen soll zunächst eine auf die deutsche Gesamtbevölkerung bezogene Studie entwickelt werden, in der die Ausschöpfung im Vergleich zu den Standardbedingungen deutlich erhöht wird.
2.
Datenbeschreibung: Die Konsequenzen dieser Ausschöpfungssteigerung sollen anschließend auf der Ebene von Anteils- und Mittelwerten beschrieben werden.
119
„[T]he uncritical adoption of theoretical perspectives and methods which have arisen in response to the conditions and problems in another society does not always help to generate relevant knowledge about your own” (Lamy 1976: 109, zitiert nach Goyder 1985b: 232).
5 Das Design der Studie 3.
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Hypothesenüberprüfung: Die im vorigen Kapitel aufgestellten Hypothesen und das Erklärungsmodell sollen getestet und damit Erklärungen für möglicherweise auftretende Unterschiede zwischen Kooperativen und Verweigerern gefunden werden.
Wie bereits im zweiten Kapitel dargestellt, lässt sich das Grundproblem, dass von einem bestimmten Teil der Zielpersonen keine Informationen erhoben werden können, nicht lösen. Da die Teilnahme an einer Befragung – aus normativ betrachtet „guten“ Gründen – freiwillig ist, steht es jeder Zielperson frei zu kooperieren oder eine Teilnahme zu verweigern (vgl. etwa die Richtlinien der ICC/ESOMAR 2007: 2). Dennoch lassen sich verschiedene Grade von Widerstand gegen eine Teilnahme unterscheiden, die als Verweigerungswahrscheinlichkeit gedeutet werden können. Es gibt diejenigen Zielpersonen, die bei einer Befragung sofort bereit sind teilzunehmen und die man in einer „Normalstudie“ befragen würde. Andere Zielpersonen kooperieren erst unter bestimmten Voraussetzungen, was bedeutet, dass sie unter Standardbedingungen Nonrespondenten wären. Aus der LeverageSalience-Theorie (vgl. Kap. 3) lässt sich ableiten, dass auf der Ebene des Designs verschiedene ausschöpfungssteigernde Mittel eingesetzt werden können, um zunächst nicht befragungsbereite Personen noch zu konvertieren. Wenn man in dem von Groves et al. (2000) angeführten Bild der Waage bleiben will, kann man formulieren, dass dabei entweder zusätzliche Gewichte in die Waagschale auf der Seite der Kooperation gelegt werden und/oder versucht wird, das Gewicht auf der Seite der Verweigerung zu reduzieren. Diesen Weg verfolgen die meisten empirischen Nonresponse-Studien (vgl. etwa Groves et al. 1992; Keeter et al. 2000; Neller 2005; Smith 1984).120 Um eine möglichst hohe Aussagekraft der Ergebnisse bei gleichzeitig hoher Datenqualität zu garantieren, wurde die Datenerhebung parallel zur bundesweit angelegten Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) durchgeführt. Aus diesem Grund wird die Studie im Folgenden auch als „ALLBUS+“ bezeichnet. Der reguläre ALLBUS ist eine Trendstudie, die seit 1980 bei Einwohnern der Bundesrepublik alle zwei Jahre Daten zu sozialwissenschaftlich relevanten Themen erhebt.121 Sie ist für die Durchführung der Nonresponse-Studie aus mehreren Gründen besonders geeignet. Das Stichprobendesign als Registerstichprobe122 ermöglicht eine präzise und eindeutige Definition 120
Wenn man auf dieser Grundlage Aussagen über Nonrespondenten treffen möchte, verbirgt sich dahinter eine kontinuierliche Vorstellung von Nonresponse (vgl. Kap. 2). Man nimmt an, dass diejenigen, die unter Standardbedingungen nicht teilnehmen, aber in einer späteren Phase doch noch überzeugt werden können, den endgültigen Verweigerern ähnlicher sind als den Kooperativen. Daher werden die Erkenntnisse aus der Analyse der Konvertierten als Annäherung an die endgültigen Nonrespondenten verwendet. Ob eine solche kontinuierliche Annahme von Nonresponse gerechtfertigt ist, werden die empirischen Analysen zeigen. 121 Siehe auch http://www.gesis.org/das-institut/wissenschaftliche-arbeitsbereiche/dauerbeobachtung-dergesellschaft/survey-programme/allbus (Referenzdatum: 10.03.2010). 122 Der ALLBUS basiert seit 1996 auf einer Registerstichprobe (mit Ausnahme der Erhebungswelle des Jahres 1998, die aus Kostengründen noch einmal als Random Walk realisiert wurde) (vgl. Wasmer et al. 2007).
142
5 Das Design der Studie
der Grundgesamtheit, der Zielpersonen, der Respondenten und Nonrespondenten. Zugleich ist damit die größtmögliche Kontrolle der durchgeführten Interviews gewährleistet. Andere Studien, die z.B. bei der Stichprobenziehung auf Random Walk-Designs basieren, bieten (meist) weniger Kontrollmöglichkeiten (siehe auch Kap. 5.1.1). Hinzu kommt, dass der Schwerpunkt des ALLBUS im Jahr 2008 im Bereich der politischen Einstellungen und politischer Partizipation lag. Damit waren auch die inhaltlichen Voraussetzungen gegeben, um mögliche Unterschiede zwischen Kooperierenden und Verweigerern bezüglich ihrer politischen Einstellungen und Verhaltensweisen zu untersuchen (vgl. Brehm 1993; Groves/Couper 1998; Voogt/Saris 2003; Wasmer et al. 2007). Außerdem hatte diese Konzeption einen weiteren positiven Nebeneffekt: Beim ALLBUS handelt es sich um eine der größten sozialwissenschaftlichen Primärerhebungen, auf der zahlreiche Sekundäranalysen basieren. Eine umfassende Nonresponse-Studie kann damit neben der Erklärung von Nonresponse dazu beitragen, ein genaueres Bild von den möglichen Verzerrungen im regulären ALLBUS zu erhalten. Gleichzeitig muss damit in Kauf genommen werden, dass aufgrund der Größe und der Positionierung des ALLBUS in der Scientific Community (z.B. dem „Call for Questions“ und der damit verbundenen Beschränkung auf einen gewissen Kanon von Fragen) Probleme bei der Operationalisierung und Überprüfung der theoretischen Modelle auftreten können. Aufgrund der Replikation eines Teils der Fragen aus den Vorjahren und einer reduzierten Befragungszeit war es nur begrenzt möglich, neue Items in den Fragebogen einzubauen. Daher konnten nicht alle theoretisch relevanten Merkmale erhoben werden, was sich insbesondere im Bereich des Einflusses der Umfrageeinstellung und der Kontrolle der Persönlichkeitsmerkmale der Befragten zeigt.123 Um Aussagen über die Wirkung der einzelnen eingesetzten Designelemente treffen zu können, wäre deren experimentelle Kontrolle wünschenswert gewesen. Aus forschungspraktischen Gründen war diese aber nicht vollständig umsetzbar, so dass im Endergebnis nicht genau angegeben werden kann, welches Designelement welche Wirkung auf die Ausschöpfung hatte.124 Für die Klärung der Forschungsfrage ist diese Perspektive aber auch nur von untergeordneter Relevanz, da der Fokus nicht auf der experimentellen Erklärung verschiedener Designeffekte, son-
123 Die Persönlichkeitsmerkmale scheinen aber auch nur begrenzt einen Einfluss auf die Teilnahmebereitschaft zu haben, wie eine Studie von Hox et al. (1996: 110) zeigt. Die Autoren testeten 14 Persönlichkeitsmerkmale und fanden keinen Unterschied zwischen Respondenten und Nonrespondenten. Sie konstatieren: „[C]ontrary to popular belief, there appears to be no such thing as a ‚responding personality‘“ (Hox et al. 1996: 110). 124 Nimmt man lediglich eine Variation von je zwei Bedingungen beim Einsatz des Incentives (ja/nein), bei der Befragungszeit (kurz/lang), der Interviewerperformance (gut/schlecht) und dem Sponsor (Universität/Kommerz) an, hätte man bereits ein 2x2x2x2-Design, d.h. bei vollständiger Kontrolle 16 Experimentalgruppen. Bei einer Brutto-Ausgangsstichprobe, die aus Kostengründen bei maximal etwa 1200 bis 1600 Personen liegen kann, hätte man in jeder Gruppe, bei einer Ausschöpfung von 80 bis 85 Prozent, nur noch ca. 80 Befragte. Da aber die Analyse inhaltlicher Merkmale im Vordergrund steht und dabei u.a. auch die Verteilung extremer politischer Einstellungen untersucht werden soll, würden die Fallzahlen zu klein werden. In den Experimentalgruppen mit den „schlechteren“ Bedingungen würde man Zielpersonen verlieren, die man eventuell hätte befragen können.
5.1 Rahmenbedingungen: Stichprobenziehung und Feldzeit
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dern auf der inhaltlichen Analyse der Unterschiede zwischen Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern liegt. Bei der Entwicklung des Forschungsdesigns der Nonresponse-Studie wurden umfassende Erkenntnisse der Methodenforschung zur Wirkung verschiedener Designelemente auf Nonresponse eingesetzt, um eine möglichst hohe Ausschöpfung zu erreichen. Das bedeutet, es wurde zunächst versucht, den Anteil aller Nonresponse-Typen (Verweigerer, Nicht-Befragbare und Nicht-Erreichte) zu minimieren. Der Fokus lag nicht nur auf den expliziten Verweigerern, da angenommen wurde, dass ein gewisser Anteil der Nicht-Erreichten nur deshalb nicht erreicht werden kann, weil er nicht erreicht werden will. Empirisch verschwimmen damit die Grenzen zwischen den (theoretisch trennscharfen) Kategorien Erreichbarkeit und Teilnahmebereitschaft (siehe Kap. 2; vgl. Schnell 1997: 18). Die theoretischen Grundlagen und empirischen Forschungserkenntnisse zur Wirkung verschiedener Designelemente auf die erwartete Ausschöpfung werden nun zunächst referiert, um die Auswahl des Forschungsdesigns zu begründen. Im Einzelnen wird auf die Stichprobenziehung und Feldzeit (Kap. 5.1) sowie auf Kontaktmodalitäten, Incentives, Interviewereinsatz, den Umfang der Befragung, die Salienz des Themas und die Nennung von Sponsoren (Kap. 5.2) eingegangen. Im Anschluss wird das Gesamtdesign der Studie vorgestellt (Kap. 5.3).
5.1 Rahmenbedingungen: Stichprobenziehung und Feldzeit 5.1.1 Stichprobenziehung Die erste Entscheidung bezieht sich auf die Form der Stichprobenziehung, von der ein Einfluss auf die Ausschöpfung angenommen wird. Die Responsequote ist – vordergründig betrachtet – umso höher, je freier die Zielperson in einem Haushalt ausgesucht werden darf (vgl. die „respondent rule“ bei Groves et al. 1992: 477). Offensichtlich wird dies bei willkürlichen bzw. bewussten Auswahlverfahren, wie beispielweise bei Quotenverfahren, bei denen es „auf dem Papier“ so gut wie keine Nicht-Erreichten gibt. Diese Verfahren sind bei den großen bundesweiten Befragungsstudien in Deutschland eher die Ausnahme125, sollen aber zumindest Erwähnung finden, da sie international (z.B. in den USA) zur Befragung der Gesamtbevölkerung durchaus üblich sind. Dies gilt auch bei der Prognose von Wahlergebnissen (vgl. Lynn/Jowell 1996). Da die Interviewer im Rahmen ihrer Quotenvorgaben ihre Befragten völlig frei auswählen können, werden – wenn überhaupt Ausschöpfungen berichtet werden – meist sehr hohe Erfolgsquoten von fast 100 Prozent erreicht. Es wird dabei aber auch nicht notiert, wie viele Personen angefragt wurden und nicht bereit waren, teilzunehmen, sondern lediglich analysiert, welche 125
Eine „Ausnahme dieser Ausnahme“ stellen die Wahlstudien des Instituts für Demoskopie in Allensbach dar, die in der Regel über Quotenstichproben erhoben werden.
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5 Das Design der Studie
Quoten nicht erfüllt werden konnten. Das Problem ist, dass das fehlende Zufallsprinzip der Auswahl dazu führt, dass man nicht weiß, über wen man über die „Stichprobe“ hinaus auf dieser Grundlage Schlussfolgerungen ziehen kann. Die theoretischen Voraussetzungen der Stichprobentheorie zur Anwendung von Inferenzstatistik sind nicht erfüllt. Das Grundproblem, dass es Personen gibt, die nicht antworten wollen oder können bzw. die nicht erreicht werden, ist auf diese Weise selbstverständlich auch nicht beseitigt, sondern nur kaschiert und schlägt sich in den gleichen verzerrten Ergebnissen nieder (vgl. neben vielen anderen Lynn/Jowell 1996: 22). Echte Zufallsverfahren erfüllen hingegen die Voraussetzung der Stichprobentheorie, dass die Elemente der Grundgesamtheit bekannt sind und mit einer bestimmten „angebbaren“ Wahrscheinlichkeit in die Stichprobe gelangen können (vgl. Behnke et al. 2006: 139; Schumann 2006: 86).126 Eine derartige Zufallsstichprobe ist, gerade bei allgemeinen Bevölkerungsstichproben, zunächst ein theoretisches Konstrukt, dem man sich empirisch lediglich annähern kann. Dabei existieren, je nach Erhebungsmodus (telefonisch, schriftlich-postalisch, online, persönlich-mündlich) und Grundgesamtheit (allgemeine Bevölkerungsumfragen oder Spezialpopulationen), unterschiedliche Auswahlverfahren, die in der Umfragepraxis angewandt werden. Bei persönlich-mündlichen allgemeinen Bevölkerungsbefragungen sind die beiden am häufigsten verwendeten Prozeduren Random Routeund Registerstichprobenverfahren. Bei beiden geht es darum, in einem bestimmten abgegrenzten Gebiet (Gemeinde, Sample Point127 o.Ä.) Adressen von Zielpersonen zu ermitteln, die anschließend befragt werden sollen. Bei den Registerstichproben geht man davon aus, dass die Daten in den Einwohnermelderegistern eine optimale Annäherung an die Auflistung der Gesamtbevölkerung darstellen. Beim Random Route-Verfahren liegt keine Liste der Gesamtbevölkerung vor, sondern man nimmt an, durch eine Kombination von bestimmten Auswahlregeln eine Wahrscheinlichkeitsauswahl zu approximieren (vgl. Behnke et al. 2006: 140). Beide Verfahren besitzen Vor- und Nachteile in der praktischen Umsetzung, die nun kurz erläutert werden sollen. In den vergangenen Erhebungswellen des ALLBUS wurden beide Verfahren bereits eingesetzt und die Unterschiede analysiert. Da beide Verfahren in der Theorie reine Zufallsverfahren sind, dürften sich die Ergebnisse in der Praxis – bei konstanten Rahmenbedingungen – nicht sonderlich unterscheiden. Koch (2002) und Sodeur (2007) beschreiben jedoch, dass die Ausschöpfungen in den Jahren mit
126 Es existieren auch andere Definitionen, die besagen, dass bei einer Zufallsstichprobe „für jedes Element der Grundgesamtheit die Wahrscheinlichkeit, dass es in der Stichprobe enthalten ist, gleich groß“ (Behnke/Behnke 2006: 282) sein muss. Dies gilt aber nur für einfache und nicht für mehrstufige Zufallsstichproben (vgl. Schumann 2006: 88ff.; Kalton 1983: 38ff.). 127 Sample Points sind exakt definierte, räumlich abgegrenzte Gebiete mit möglichst gleicher Bevölkerungszahl (ca. 600 bis 700 Haushalte), die auf der Einteilung der Wahlbezirke basieren (vgl. Häder 2006: 151).
5.1 Rahmenbedingungen: Stichprobenziehung und Feldzeit
145
Random Route-Verfahren (Standard- und Adress-Random128, angewendet in den Erhebungsjahren 1980 bis 1992 und 1998) deutlich höher lagen als in den Jahren mit Registerstichproben der Einwohnermeldeämter (1994, 1996 und seit 2000). Ein empirisch gesicherter Beleg, dass die Unterschiede beim ALLBUS in den einzelnen Erhebungsjahren auf die unterschiedlichen Stichprobenverfahren zurückzuführen sind, ist dies jedoch noch nicht, da sich neben der Stichprobenziehung auch andere Bedingungen verändert haben. Ähnliche Ergebnisse eines signifikanten Unterschieds in der Ausschöpfung zeigten sich jedoch auch bei experimentellen Studien, bei denen bei einer Erhebung die Stichprobe zum Teil über Register, zum Teil über Random Route gezogen wurde. Die Ausschöpfung bei Studien auf der Grundlage von Registerstichproben ist niedriger (vgl. Alt et al. 1991: 66; Diekmann 2004: 25; Sodeur 2007). Der Einfluss des Verfahrens der Stichprobenziehung resultiert nicht aus der Entscheidung der Zielperson. Vielmehr zeigen sich an dieser Stelle Interviewereinflüsse und der Unterschied zwischen theoretisch geplanter Wahrscheinlichkeitsauswahl und Praxis der Umfrageforschung, die sich mit zahlreichen praktischen Problemen bei der Umsetzung der theoretischen Konzepte auseinandersetzen muss (vgl. Wasmer et al. 2010: 6). Beim Random Route-Verfahren erhalten die Interviewer eine zufällige Startadresse in Kombination mit Begehungsregeln zum Auffinden von Adressen und Auswahlregeln – wie z.B. Geburtstagsmethode oder Schwedenschlüssel – zur Auswahl einer Person im jeweiligen Haushalt (vgl. Gehring/Weins 2004: 178f.; Kromrey 2006: 309f.; Schumann 2006: 100ff.). Auf diese Art und Weise soll annähernd eine Zufallsauswahl realisiert werden. Dabei muss man jedoch berücksichtigen, dass auf der letzten Stufe allein die Interviewer das Stichprobenverfahren umsetzen. Eine mögliche Erklärung der höheren Ausschöpfungen bei Random Route-Verfahren liegt damit in der Person des Interviewers. Bei Random Route werden von den Interviewern häufiger befragungsbereite Personen statt den eigentlichen Zielpersonen befragt, weil die Interviewer wissen, dass die Kontrollen für die Institute und den Auftraggeber nicht so einfach sind (vgl. Koch 2002; Sodeur 2007). Bei Registerstichproben liegen die Namen und Adressen der Zielpersonen im Institut bzw. beim Forscher vor, so dass eine Kontrolle einfacher ist. Um die Auswahl der Zielpersonen so genau wie möglich zu kontrollieren und dem Interviewer nur wenig Raum für Fälschungen zu geben, wurde daher für die Datenerhebung der hier entwickelten Nonresponse-Studie, analog zur Stichprobenziehung des regulären ALLBUS, das Verfahren einer disproportional geschichteten Einwohnermeldeamts-Registerstichprobe gewählt (vgl. Häder 2006: 157). Diese hat den Vorteil, dass die Zielpersonen eindeutig definiert sind und überprüft wer128
Die beiden Verfahren unterscheiden sich: Bei Standard-Random-Verfahren werden in einem Schritt die Adressen ermittelt und die Daten erhoben. Beim Adress-Random-Verfahren werden die Adressen und die Daten von unterschiedlichen Personen ermittelt. Damit ist es weniger fälschungsanfällig. Gleichzeitig ist es jedoch auch deutlich teurer in der Umsetzung als das Standard-Random (vgl. Schumann 2006: 100).
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5 Das Design der Studie
den können. Hinzu kommt, dass einige Informationen, zumindest Geschlecht, Alter, Wohnumgebung, z.T. auch die Staatbürgerschaft, von allen Stichprobenelementen vorliegen, auch wenn kein Interview stattfinden kann. Die Stichprobe wurde disproportional geschichtet, um auch in Ostdeutschland eine ausreichende Anzahl Interviews zu generieren (vgl. Wasmer et al. 2010: 6). Damit sind auch regional getrennte Analysen möglich. Die Stichprobenziehung erfolgte für beide Studien (ALLBUS und ALLBUS+) zunächst gemeinsam. In einem ersten Schritt wurden, nach Ost und West getrennt, 162 Sample Points in 148 deutschen Gemeinden gezogen.129 Diese Gemeinden wurden angeschrieben und gebeten, eine Zufallsauswahl von je 124 Adressen aus ihrem Melderegister zu ziehen.130 Die gelieferten Adressen wurden zunächst bereinigt und kontrolliert und anschließend daraus noch einmal je 91 Adressen pro Sample Point geschichtet nach Alter und Geschlecht gezogen. Diese wurde zufällig auf zwei Teilstichproben verteilt, eine für den regulären ALLBUS (52+28 Adressen pro Point131) und eine für den ALLBUS+ (11 Adressen pro Point), so dass in jeder der beiden Studien genügend Adressen für die Brutto-Ausgangsstichproben zur Verfügung standen und zugleich noch ein gewisser Bestand an Restadressen die Ersetzung qualitätsneutraler Ausfälle ermöglichte. Mit der Stichprobenziehung aus den Einwohnermeldeamtsregistern sind verschiedene Einschränkungen verknüpft, die bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden müssen: Erstens besteht das Problem der bei den Einwohnermeldeämtern nicht registrierten Personen. Diese haben überhaupt keine Möglichkeit, in die Stichprobe zu gelangen (vgl. Schnell 1991: 107). Da es sich dabei im Sinne der hier verwendeten Definition nicht um Nonresponse, sondern um das Phänomen des „undercoverage“ handelt (siehe dazu auch Kap. 2), wird diese Personengruppe jedoch nicht weiter diskutiert. Dennoch darf nicht vergessen werden, dass auch diese Personen eine Quelle potenzieller Verzerrungen in Umfragen 129 Die Ziehung erfolgte proportional zu den Gemeindegrößen. Dazu wurde die seit 2000 entwickelte, nach den Entwicklern benannte, BIK-Systematik verwendet (siehe BIK Aschpurwis+Behrens 2000). Diese Systematik beinhaltet ein Regionalmodell, das auf der Stadtregions-Systematik von Boustedt aus den 1950er Jahren basiert. Für die Region West wurde eine dreidimensionale Allokation Bundesland x Regierungsbezirk x BIK mit 111 Sample Points durchgeführt, für die Region Ost wurde das Verfahren analog dazu mit 51 Sample Points durchgeführt. Für jede Zelle wurde anschließend eine Allokation mit der Matrix Kreis x BIK durchgeführt. Als Ergebnis resultierten 148 Gemeinden mit insgesamt 162 Sample Points, die ein repräsentatives Abbild aller deutschen Gemeinden liefern. Großstädte wie Berlin oder Hamburg sind dabei mit mehr als einem Sample Point vertreten. Da beide Erhebungen, regulärer ALLBUS und ALLBUS+, parallel zueinander in den gleichen Gemeinden stattfanden, aber unterschiedliche Befragungsbedingungen hatten, wurde zudem entschieden, Kleinstgemeinden mit einer Einwohnerzahl unter 2000 Personen im ALLBUS+ durch so genannte Spiegelgemeinden zu ersetzen. Dies sind Gemeinden identischer Größe und ähnlicher regionaler Lage. Damit sollte verhindert werden, dass sich die Zielpersonen in der gleichen Gemeinde untereinander austauschen und die unterschiedlichen Befragungsbedingungen (mit und ohne Incentive) feststellen. 130 Bei den Spiegelgemeinden, die nur im ALLBUS+ vertreten waren, wurden 36 Adressen bestellt. 131 Im regulären ALLBUS wird eine Basisstichprobe aus 52 Adressen und eine Aufstockungsstichprobe aus 28 Adressen gebildet. Aus der Aufstockungsstichprobe können am Ende der Studienzeit noch Adressen eingesetzt werden, wenn die angestrebte Fallzahl von 3.500 Fällen aus den Adressen der Basisstichprobe nicht erreicht werden kann. Für diese Arbeit wird die Aufstockungsstichprobe im weiteren Verlauf nicht weiter beachtet.
5.1 Rahmenbedingungen: Stichprobenziehung und Feldzeit
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sind.132 Hinzu kommt, dass aus organisatorischen Gründen eine zeitliche Lücke zwischen Stichprobenziehung (im September 2007) und Datenerhebung (ab März 2008) liegt, aufgrund derer so genannte qualitätsneutrale Ausfälle133 auftreten können: Menschen ziehen um, ohne ihre Registerdaten zu ändern; wieder andere sterben in der Zwischenzeit oder sind aus anderen Gründen nicht mehr unter der angegebenen Adresse erreichbar. Ein gewisser Teil der Zielpersonen fällt daher aus der Stichprobe heraus, weil die Adresse zwar zur Zeit der Stichprobenziehung, nicht aber zum Zeitpunkt der Erhebung, existiert und nicht nachrecherchiert werden kann. Empirisch wurden für solche Fälle in jedem Sample Point des ALLBUS+ drei zufällig gezogene Ersatz-Adressen zur Verfügung gestellt, um die Ausfälle zu ersetzen (vgl. TNS-Infratest Sozialforschung 2008: 11f.). Die Brutto-Ausgangsstichprobe für den ALLBUS+ beläuft sich demnach auf je acht Adressen in 162 Sample Points, also 1.296 Adressen. Hinzu kommen 486 Ersatzadressen. Wenn in einem Sample Point mehr als drei Adressen qualitätsneutral ausfallen, können sie nicht weiter ersetzt werden, was jedoch nur in Einzelfällen zu erwarten ist. Ein weiteres Problem stellen Gemeinden dar, die eine Auskunft aus ihren Melderegistern komplett verweigern. Damit entsteht Nonresponse auf einem höheren Niveau, nämlich auf der Makroebene. Da es sich um eine zweistufige Stichprobe handelt, in der erst Sample Points und danach Zielpersonen ausgewählt werden, können ganze Sample Points ausfallen, ohne dass die darin lebenden Zielpersonen die Teilnahme verweigern würden. Beim ALLBUS+ trat dieses Phänomen bei neun Gemeinden auf. Da diese Arbeit jedoch der Frage nachgeht, wie sich diejenigen, die an einer Befragung teilnehmen von denjenigen unterscheiden, die eine Teilnahme verweigern, und damit eine Erklärung auf Individualebene angestrebt wird, wird auch diese Form der Ausfälle für die empirische Analyse nicht weiter berücksichtigt. Es wird angenommen, dass es keine systematischen Zusammenhänge zwischen den Gemeinden, die eine Auskunft verweigern, und den darin lebenden Personen gibt.
5.1.2 Feldzeit Neben dem Verfahren der Stichprobenziehung musste die Länge der Feldzeit festgelegt werden. Die Forschung zeigt, dass eine Verlängerung der Feldzeit zunächst dazu führt, dass mehr Personen erreicht werden können, die z.B. kurzzeitig verreist oder erkrankt sind (vgl. Groves/Couper 1998: 272ff.). Allerdings existiert ein Schwellenwert, im Sinne eines Grenznutzens, an dem eine weitere Verlängerung 132
Bei der Schätzung des Wahlverhaltens kann man beispielsweise annehmen, dass diese Personen zwar nicht in dem örtlichen Wahlregister der untersuchten Gemeinde, aber eventuell in einer anderen Gemeinde registriert sind. Dies könnte in der anderen Gemeinde zu Verzerrungen führen. 133 Die Formulierung „qualitätsneutral“ ist selbstverständlich nicht unproblematisch. Auch diese Ausfälle können zu systematischen Verzerrungen führen, wenn es z.B. Zusammenhänge zwischen der Mobilität der Zielpersonen und den untersuchten politischen Einstellungen gibt.
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5 Das Design der Studie
der Feldzeit nicht mehr zu einer höheren Ausschöpfung führt (vgl. Groves et al. 2004b: 191). Bei Studien wie dem ALLBUS, der sich bereits im Standardverfahren durch eine lange Feldzeit von mehreren Monaten auszeichnet (vgl. Wasmer et al. 2007: 62), ist bei einer weiteren Verlängerung der Erhebungszeit nur von einem begrenzten Nutzen auszugehen. Man könnte zunächst vermuten, dass es bei der Diskussion um den Einfluss der Feldzeit eher um Erreichbarkeit als um Kooperationsbereitschaft geht. Studien zeigen jedoch, dass auch der „Workload“, d.h. die Arbeitsbelastung der Interviewer, eng mit dem Einfluss der Feldzeit verbunden ist. Diese Arbeitsbelastung wirkt sich sowohl auf den Anteil Erreichter als auch, und dies ist für die Fragestellung dieser Arbeit interessanter, auf den Anteil der expliziten Verweigerer aus. Sie kann bspw. über die Anzahl der Adressen, die in einer bestimmten Zeit bearbeitet werden müssen, gemessen werden.134 Die Methodenforschung belegt: Je weniger Adressen von einem Interviewer in der vorgegebenen Feldzeit abgearbeitet werden müssen, desto höher ist deren Ausschöpfung. Dazu trägt einerseits bei, dass Adressen von zunächst nicht Erreichten noch erfolgreich nachbearbeitet werden können (vgl. Groves/Couper 1998: 274; Groves et al. 2004b: 192). Andererseits kann man auch für die Kooperationsbereitschaft von Zielpersonen einen Effekt annehmen: Je intensiver ein Interviewer Adressen bearbeiten kann (und muss), desto eher bemüht er sich, zunächst nicht kooperative Zielpersonen doch noch von einer Teilnahme zu überzeugen.135 Um die Arbeitsbelastung in beiden Studienbedingungen (ALLBUS und ALLBUS+) möglichst gering zu halten, die Interviewer dennoch zu motivieren und gleichzeitig alle Zielpersonen zu erreichen, fiel die Entscheidung zugunsten einer relativ langen Feldzeit, die etappenweise an die Interviewer kommuniziert wurde. Die Hauptbearbeitung dauerte zehn Wochen, die Nachbearbeitung noch einmal etwa sechs Wochen, woraus eine Feldzeit von über vier Monaten (23 Wochen) für diese beiden Phasen resultierte. Bei den Interviewern des ALLBUS+, die sowohl im ALLBUS als auch im ALLBUS+ eingesetzt wurden, handelte es sich in der
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Zudem muss berücksichtigt werden, dass viele Interviewer meist nicht nur in einem, sondern in mehreren Projekten gleichzeitig arbeiten. Das bedeutet, es muss zusätzlich die Anzahl der Projekte, in die der einzelne Interviewer involviert ist, berücksichtigt werden. 135 Da die meisten Honorare auf Provisionsbasis bezahlt werden, muss ein Interviewer sein Honorar auf der Basis der ihm zur Verfügung stehenden Adressen erwirtschaften. Das bedeutet, dass man bei zu vielen Adressen von einer niedrigeren Motivation pro Adresse und daher einer niedrigeren Ausschöpfung ausgehen würde. Gleichzeitig könnte man argumentieren, dass ein Interviewer nur dann motiviert arbeitet, wenn er annimmt, in einer Studie auch Geld verdienen zu können. Daher darf die Adresszahl auch nicht zu gering sein. Zu den letztgenannten Annahmen existieren jedoch keine empirischen Untersuchungen, weswegen sie sich im Bereich von (obgleich plausiblen) Spekulationen bewegen. Die Feldabteilung von Infratest erläutert, dass diese Adressverteilung von erfahrenen Mitarbeitern der Feldabteilungen, in enger Absprache mit den Regionalleitern, die die einzelnen Interviewer und ihre private Situation persönlich kennen, organisiert wird. Erfahrung, enge Absprache, Kommunikation und Fingerspitzengefühl seien dabei notwendige Bedingungen, um ein Optimum zwischen Motivation und Belastung zu erreichen (Gespräch mit Sylvia Schönberger, Feldabteilung Infratest am 11.02.2008 in Frankfurt).
5.2 Auschöpfungssteigernde Maßnahmen
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Regel um hauptberufliche Interviewer, so genannte Fulltimer. Die meisten erhielten ein bis zwei Sample Points zur Bearbeitung, d.h. zwischen 48 und 96 Adressen. Um bei einer derart langen Feldzeit eventuell auftretende Periodeneffekte, z.B. durch wichtige politische Ereignisse, in beiden Studien konstant zu halten, wurden ALLBUS und ALLBUS+ nicht nur räumlich, d.h. in den gleichen Gemeinden136, sondern auch zeitlich parallelisiert durchgeführt.137
5.2 Ausschöpfungssteigernde Maßnahmen Um die Ausschöpfung im ALLBUS+ zu steigern, wurden Elemente eingesetzt, die Groves/Couper in ihrem allgemeinen Konzept der Kooperation bei Umfragen unter dem Einfluss des Forschungsdesigns diskutieren (vgl. Groves/Couper 1998, siehe auch Kap. 3.2.1.2). Der Einsatz der Designelemente erfolgt dabei nach Annahmen, die aus der Leverage-Salience-Theorie (vgl. Groves et al. 2000: 299; siehe auch Kap. 3) abgeleitet werden können: Der durch die Kooperation entstehende Nutzen soll für die Mehrheit der Zielpersonen maximiert werden. Gleichzeitig sollen die entstehenden Kosten minimiert werden. Zu diesem Ziel können der Einsatz gewisser Kontaktmodalitäten, der Einsatz eines Incentives, die Reduktion der Länge bzw. des Aufwands der Befragung sowie die Nennung des Themas bzw. des Sponsors der Befragung beitragen.
5.2.1 Kontaktmodalitäten Zunächst beeinflussen die Kontaktmodalitäten den Anteil erreichter Zielpersonen. Je mehr Kontaktversuche unternommen werden können, desto geringer ist der Anteil Nicht-Erreichter. Gleichzeitig wirkt sich auch eine größtmögliche Variation der Tageszeit bei den Kontaktversuchen positiv auf die Wahrscheinlichkeit aus, eine Auskunfts- oder Zielperson zu erreichen (vgl. Goyder 1985a; Groves et al. 2004b; Purdon et al. 1999; für Telefonbefragungen Weeks et al. 1987).138 Die Kontaktmo136 Mit Ausnahme der Kleinstgemeinden des ALLBUS, für die im ALLBUS+ Spiegelgemeinden eingesetzt wurden (vgl. TNS-Infratest Sozialforschung 2008: 8). 137 Eine Ausnahme sind lediglich die sich anschließenden telefonischen und schriftlichen Nachfassaktionen, die nur beim ALLBUS+ durchgeführt wurden. Sie fanden von September bis November 2008 (telefonisch) bzw. im März/April 2009 (schriftlich) statt, so dass sich die Datenerhebung insgesamt, mit einigen zeitlichen Unterbrechungen in den Phasen der Datenbereinigung, über ein Jahr erstreckte. 138 Engel/Schnabel (2004) haben in einer umfassenden Metaanalyse mithilfe von Mehrebenenanalysen analysiert, inwiefern sich Variationen des Forschungsdesigns auf die Antwortraten auswirken. Sie zeigen dabei einen positiven Einfluss der Kontaktversuche auf die Ausschöpfung in face-to-face-Umfragen. Allerdings differenzieren sie nicht nach der Art des Ausfalls (Nicht-Erreichbarkeit, Verweigerung oder Nicht-Befragbarkeit), sondern verwenden die Responserate insgesamt als abhängige Variable. Auch für andere eingesetzte Designelemente wie personalisierte Anschreiben, eine direkte oder über die Medien indirekt vermittelte Vorankündigung der Studie oder auch Erinnerungsschreiben können anhand einer Vielzahl von Experimenten Effekte nachgewiesen werden. Allerdings
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5 Das Design der Studie
dalitäten haben aber nicht nur einen Einfluss auf die Erreichbarkeit, sondern auch auf die Kooperationsbereitschaft der potenziell Befragten (vgl. z.B. Brehm 1994; Engel/Schnabel 2004). Grundlegend lassen sich dabei zwei Ebenen des Kontakts unterscheiden: der Kontakt zwischen Forscher und Zielperson und der Kontakt zwischen Interviewer und Zielperson. Zu den Kontaktmodalitäten gehört zunächst die Frage, in welcher Form der potenzielle Befragte mit der Studie und dem Ansinnen des Forschers in Berührung kommt. Dieser Kontakt erfolgt in der Regel durch ein Ankündigungsanschreiben, in dem verschiedene Überzeugungsstrategien eingesetzt werden können. Darin kann beispielsweise das Angebot enthalten sein, dem Befragten die Ergebnisse der Studie zukommen zu lassen. Ebenso werden persönliche zielgerichtete Appelle an die Zielperson oder auch die Foot-in-the-door-Technik139 eingesetzt (vgl. Furse et al. 1981; Groves/Magliavy 1981). In der Forschung wird angenommen, dass die Wirkung eines Anschreibens sowohl die Erwartungen der Zielperson („Ich erhalte Informationen. Das ist seriös und ich weiß, was auf mich zukommt.“) als auch die Erwartungen des Interviewers („Die Zielperson ist über mein Kommen informiert und kennt die Studie, ich kann demnach gelassener auftreten.“) positiv beeinflussen kann. Im Rahmen der sozialen Austauschtheorie (siehe Kap. 3.2.2.1) kann argumentiert werden, dass der anschließende Kontakt zwischen Interviewer und Zielperson im Rahmen der vorherigen Erfahrungen stattfindet. Die Vorabinformation stellt damit im Idealfall eine positive Erfahrung mit der Umfrage dar, die sich positiv auf die Kooperationsbereitschaft auswirkt. Darüber besteht in der Forschung weitgehend Einigkeit (vgl. Brehm 1994; de Leeuw 2005; Dillman et al. 1976; Goldstein/Jennings 2002; Groves/Couper 1998; Hembroff et al. 2005; Mann 2005; aber auch Singer et al. 2000). Zielpersonen erhalten über das Anschreiben Informationen und seitens des Forschers kann darüber ein Gefühl von Seriosität und Sicherheit transportiert werden.140 Auf diese Weise wird ein Vertrauensverhältnis aufgebaut, das es dem Interviewer erleichtert, die Zielperson von der Teilnahme zu überzeugen. In der Kosten-Nutzen-Terminologie kann man formulieren, dass mithilfe des Anschreibens der Nutzen der Studie für die Zielperson hervorgehoben wird. Gleichzeitig kann das Auftreten von Kosten, die durch Misstrauen oder Unsicherheit entstehen können, durch eine präzise Information der Zielpersonen verringert werden.
muss man dafür einschränkend berücksichtigen, dass es sich bei den untersuchten Experimenten immer um schriftliche oder telefonische, jedoch keine persönlich-mündlichen Befragungen handelte. 139 Siehe zur Foot-in-the-door-Technik auch Fußnote 67. 140 Die meisten Erkenntnisse bezüglich der positiven Wirkung schriftlicher Vorankündigungen stammen jedoch aus Experimenten innerhalb telefonischer Befragungen (siehe dazu die Metaanalyse von de Leeuw et al. 2007). Ob sich die positive Wirkung auch für face-to-face-Befragungen ergibt, die einfacher als Telefonsurveys durch die Interviewer selbst Informationen und eine seriöse Atmosphäre vermitteln könnten, ist noch nicht empirisch untersucht.
5.2 Ausschöpfungsteigernde Maßnahmen
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Auch der Modus des ersten Kontakts zwischen Interviewer und Zielperson kann bei einer persönlich-mündlichen Befragung die Teilnahmeentscheidung einer Zielperson beeinflussen. Es zeigt sich, dass Interviewer, die einen Befragten vor ihrem ersten Besuch telefonisch kontaktieren, um einen Termin zu vereinbaren oder den Besuch anzukündigen, deutlich niedrigere Kooperationsraten erreichten als diejenigen, die die Zielpersonen ohne telefonische Vorankündigung direkt zuhause aufsuchen (vgl. Blohm et al. 2007: 104). Dafür lassen sich verschiedene Ursachen anführen: Das Tailoring, d.h. eine auf die Zielperson maßgeschneiderte Interaktion, ist für den Interviewer beim persönlichen Gespräch einfacher zu realisieren als am Telefon, da ihm eine größere Anzahl von Informationen zur Verfügung steht (vgl. auch Groves/Couper 1998; de Leeuw 1992). Zudem werden dubiose Verkaufsgespräche eher telefonisch als persönlich geführt, was bei einem Anruf zu einer falschen Einordnung der Frage und daher zu einer schnelleren Ablehnung der Zielperson führen kann (vgl. auch de Leeuw/Hox 2004: 465). Schließlich ist es für den Befragten einfacher, den Telefonhörer aufzulegen, als die Anfrage eines Interviewers, der einem mit einer persönlichen Bitte gegenübertritt, abzulehnen. Die soziale Distanz ist am Telefon größer (vgl. Blohm et al. 2007: 98). Für die durchgeführte Nonresponse-Studie wurde daher festgelegt, dass die Interviewer in jeder Bearbeitungswelle (d.h. sowohl in der Haupt- als auch in der Nachbearbeitung) mindestens vier persönliche Kontaktversuche unternehmen. Diese sollten an unterschiedlichen Wochentagen und zu unterschiedlichen Tageszeiten erfolgen. So war garantiert, dass jede Adresse mindestens acht Mal persönlich aufgesucht wurde. Auf den eigens durchgeführten Interviewer-Schulungen wurde den Interviewern zudem der Forschungsstand zu den unterschiedlichen Erfolgsraten je nach Kontaktmodus des ersten Kontakts (telefonisch/persönlich) vermittelt. Damit verbunden war der Hinweis, die Zielpersonen nur persönlich zu kontaktieren. Die Auswertung der Kontaktprotokolle des ALLBUS+ zeigt, dass diese Anweisungen weitestgehend umgesetzt wurden. Zwar wurde ein Teil der Kontaktversuche in beiden Studien dennoch telefonisch durchgeführt, im Vergleich zum regulären ALLBUS ist der Anteil telefonischer Kontaktversuche an der Gesamtzahl der Kontaktversuche im ALLBUS+ mit unter 13 Prozent zu über 17 Prozent jedoch signifikant niedriger.141 Über 95 Prozent der ersten Kontaktversuche im ALLBUS+ wurden persönlich durchgeführt, 2,1 Prozent der Kontakte erfolgten telefonisch. In den anderen Fällen ist der Modus nicht dokumentiert. Allen Zielpersonen wurde zudem ein Anschreiben zugesandt, in dem auf die Studie, den universitären Sponsor, das durchführende Institut und den Namen des Interviewers hingewiesen und über ein Incentive von zehn Euro informiert wurde. Gleichzeitig wurde diesem Anschreiben ein Informationsschreiben zum Auswahlprozess, zum Datenschutz und zum Zweck der Studie beigelegt. Über zwei angegebene Telefonnummern, eine kostenlose Nummer und die Nummer der Studien141
Das ergibt ein t-Test: p=0.000.
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5 Das Design der Studie
leitung in Mainz, wurde den Zielpersonen die Möglichkeit gegeben, weitere Informationen einzuholen. Diese Elemente sollten die Informationskosten der Zielpersonen möglichst gering halten. Das Anschreiben wurde von erfahrenen Interviewern mitentwickelt, um es möglichst passgenau zu formulieren.142 Nach der Hauptbearbeitung wurden (fast) alle Zielpersonen, bei denen kein Interview durchgeführt wurde, erneut angeschrieben.143 Auf Basis der vorliegenden Informationen aus den Kontaktprotokollen zu den Ausfallgründen in der Hauptbearbeitung wurde das Anschreiben für die Nachbearbeitung variiert und an den jeweiligen Adressaten angepasst. Diejenigen Zielpersonen, die ihr Alter als Grund dafür angegeben hatten, nicht teilzunehmen, erhielten ein Anschreiben, in dem Gründe aufgeführt waren, warum die Teilnahme älterer Bürger für die Aussagekraft der Studie besonders wichtig ist. Dieses Anschreiben wurde zudem formal verändert und in größerer Schriftgröße gedruckt. Allen anderen Zielpersonen wurde ein allgemeiner formuliertes Anschreiben für die Nachbearbeitung zugeschickt. In beiden Versionen wurden 50 Euro als Incentive für die Teilnahme am Interview in der Nachbearbeitung angekündigt (Anschreiben siehe Anhang, B2-B4). Den Abschluss der Datenerhebung bildeten die beiden Nachfassaktionen, bei denen ein Wechsel des Erhebungsmodus stattfand. Die Grundüberlegung war, diejenigen zu erreichen, die nicht der Befragung an sich, aber dem persönlichmündlichen Befragungsmodus kritisch gegenüberstehen. Vielleicht – so die Annahme – würden sie bei einer alternativen Form der Datenerhebung teilnehmen. Bei denjenigen, bei denen eine Telefonnummer zu ermitteln war, wurde ein Telefoninterview angestrebt. Bei Zielpersonen ohne gelistete Telefonnummer wurde ein schriftlicher Fragebogen mit Rückumschlag verschickt. Die Anzahl der gestellten Fragen wurde im Nachfass noch einmal reduziert und die Befragungsdauer damit als zusätzlicher Anreiz auf etwa drei Minuten verringert. Ein monetäres Incentive wurde nicht mehr eingesetzt.144
5.2.2 Der Einsatz von Incentives Der Einsatz von Incentives zur Ausschöpfungssteigerung ist in der internationalen experimentellen Methodenforschung seit den 1970er Jahren gut erforscht (vgl. zur Übersicht die Metaanalyse von Engel/Schnabel 2004; siehe zur ethischen Perspek142
Die im ALLBUS+ eingesetzten Interviewer haben eine erste Version des Anschreibens insgesamt dreimal überarbeitet und an die Erfordernisse, die sie aus ihrer Erfahrung heraus sahen, angepasst. 143 Eine Ausnahme bilden dabei die expliziten Verweigerer, die unmissverständlich eine Teilnahme ausschließen und aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht mehr angeschrieben werden dürfen (vgl. ADM 2007: 6; ICC/ESOMAR 2007). 144 Das forschungspraktische Argument gegen den Einsatz eines Incentives waren die daraus resultierenden Kosten. Gleichzeitig erschien ein weiterer Incentive-Einsatz aber auch aus theoretischen Überlegungen nicht notwendig, da angenommen wird, dass diejenigen Zielpersonen, bei denen ein Incentive wirkt, bereits über die 50 EuroNachbearbeitungstufe erreicht wurden.
5.2 Ausschöpfungsteigernde Maßnahmen
153
tive Groves et al. 2004b: 357).145 Man muss dabei zunächst verschiedene Formen von Incentives unterscheiden. Ein grobes Raster bietet die Einteilung in monetäre und nicht-monetäre, im Voraus (=prepaid) und im Nachhinein (=postpaid) bezahlte Anreize (vgl. etwa bei Church 1993; Engel/Schnabel 2004; Warriner et al. 1996). Gleichzeitig kann die Höhe der eingesetzten Incentives und damit deren Nutzenwert variieren.146 Nicht nur die Zielpersonen, sondern auch die Interviewer können Anreizempfänger sein (vgl. Carr et al. 2006; Miller et al. 2009; Traub et al. 2005). Der Incentive-Einsatz in großen Bevölkerungsumfragen wird jedoch nur selten experimentell kontrolliert. Meist werden Incentives dabei recht spontan während der Feldzeit eingesetzt, um eine schleppend verlaufende Ausschöpfung kurzfristig noch zu erhöhen (vgl. Wasmer/Koch 2002: 11). Die positive Wirkung von Incentives auf die Kooperationsbereitschaft von Zielpersonen gilt als empirisch bewährt (vgl. etwa Goyder 1987; Singer 2002; Singer et al. 1999b; Sudman/Bradburn 1974; Willimack et al. 1995). Auch die Metaanalyse internationaler Studien von Engel/Schnabel (2004)147 kann über alle untersuchten Befragungsformen hinweg (telefonisch, persönlich, schriftlich) drei Hauptannahmen bestätigen: Erstens wirken sich die Anreize insgesamt positiv auf die Ausschöpfung aus. Zweitens kann man feststellen, dass monetäre Anreize stärker wirken als nicht-monetäre (vgl. auch Goodstadt et al. 1977; Nederhof 1983; Singer 2002; Singer et al. 1999b: 217; Warriner et al. 1996). Drittens zeigt sich, dass im Voraus der Befragung bezahlte Incentives einen größeren Einfluss haben als im Nachhinein ausgezahlte (vgl. Berk et al. 1987; Engel/Schnabel 2004: 4).148 Diese Erkenntnisse gelten interessanterweise, obwohl Bürger in Studien angeben, sie hielten den Einsatz von Incentives nicht für wünschenswert und für unfair (vgl. Groves et al. 1999; Singer et al. 1999a). Alle drei Annahmen lassen sich theoretisch aus der handlungsleitenden Kosten-Nutzen-Analyse erklären. Die Incentives wirken dabei als positive extrinsische Nutzenanreize, die die Kosten einer Teilnahme kompensieren können (vgl. Groves et al. 2000: 299; Schräpler 2001: 5). 145
Der Großteil der Studien bezieht sich dabei jedoch auf den Einsatz von Incentives in schriftlich-postalischen Befragungen. 146 Zum Einsatz von Incentives findet sich eine Vielzahl an Beispielen aus der Forschungspraxis: So zahlt der australische Zensus 50 Dollar in bar an Befragte (vgl. Brehm 1994: 45) und auch der ALLBUS hat in der Vergangenheit – obgleich wenig kontrolliert – bereits monetäre Incentives bis 50 DM eingesetzt, um Zielpersonen zu einer Teilnahme zu motivieren (vgl. Wasmer/Koch 2002: 11). Andere Studien operieren mit kleineren Geldbeträgen, Telefonkarten, Kugelschreibern oder Lotterielosen (vgl. etwa Arzheimer/Klein 1998; Warriner et al. 1996). 147 Die Autoren haben 68 Methodenexperimente zum Einsatz von Incentives für Zielpersonen seit den 70er Jahren analysiert. Der Großteil der Forschung in diesem Bereich bezieht sich auf schriftliche Befragungen. Lediglich vier der 68 untersuchten Experimente sind im Kontext einer persönlich-mündlichen Befragung angesiedelt. Jedoch zeigen die Befunde, dass in face-to-face-Surveys die gleichen Mechanismen wie in schriftlichen Befragungen wirken, die höchstens etwas abgeschwächt sind (vgl. auch Lynn 2001). 148 Zwar sprechen die Ergebnisse von Engel/Schnabel (2004) nur für eine Wirkung von Incentives auf Ausschöpfungsquoten im Allgemeinen, da sie nicht zwischen verschiedenen Ausfallgründen unterscheiden. Man kann jedoch argumentieren, dass sich die Wirkung von Incentives hauptsächlich auf die Kooperationsbereitschaft und weniger auf Erreichbarkeit oder Befragbarkeit bezieht. Gerade bei face-to-face-Befragungen sind Erreichbarkeit und Befragbarkeit Grundvoraussetzungen dafür, dass ein Incentive eingesetzt werden kann.
154
5 Das Design der Studie
Monetäre Incentives können von der Zielperson flexibel und nach den eigenen Bedürfnissen eingesetzt werden und haben damit einen größeren individuellen Nutzen als nicht-monetäre Anreize (vgl. Groves et al. 2000: 301; Mehlkop/Becker 2007: 14). Wenn die Incentives im Voraus bezahlt werden, reduzieren sich zudem noch die Kosten, die aus der Unsicherheit einer nachträglichen Bezahlung resultieren können. Im Fall einer Auszahlung im Voraus kann die Zielperson sicher sein, das Incentive auch auf jeden Fall zu erhalten. Wenn jedoch zunächst die Leistung der Teilnahme erbracht werden muss und das Incentive als Belohnung erst im Nachhinein ausgezahlt wird, muss die Zielperson darauf vertrauen, das Incentive auch tatsächlich zu erhalten. Diese Situation ist mit einem gewissen Grad an Unsicherheit behaftet und daher möglicherweise mit größeren Kosten verbunden. Zum genauen Verlauf des Incentive-Effekts, d.h. ob sich mit zunehmender Höhe des Anreizes die Ausschöpfung immer weiter steigern lässt, gibt es keinen eindeutigen Befund. Vereinzelt werden zwar lineare Anreizeffekte nachgewiesen (vgl. Church 1993; Singer 1998; Singer 2002; Singer et al. 1999b: 223; Yu/Cooper 1983), es gibt jedoch auch konkurrierende Ergebnisse (vgl. etwa Armstrong 1975; Fox et al. 1988; Martin et al. 2001). Zum Einsatz hoher Beträge gibt es kaum Untersuchungen, da die meisten Bevölkerungsbefragungen aufgrund enger finanzieller Budgets und hoher angestrebter Fallzahlen eine recht niedrige natürliche Grenze für den Einsatz von Incentives haben.149 Inwiefern Studien aus anderen Ländern auf die Bundesrepublik Deutschland übertragbar sind, ist nicht hinreichend untersucht und wird bezweifelt. Es wird angenommen, dass die Wirkung von Incentives eng mit sozialen Normen und Traditionen zusammenhängt. Aus diesem Grund lassen sich Schlussfolgerungen von einem gesellschaftlichen Kontext nicht ohne weiteres auf einen anderen übertragen (vgl. Singer 1998: 8). In Deutschland existieren insbesondere für persönlichmündliche Befragungen keine empirischen Untersuchungen zum Einsatz von Incentives. Erkenntnisse aus Studien zu postalischen Befragungen können experimentell einen eindeutig ausschöpfungssteigernden Effekt kleinerer Incentives150 nachweisen (vgl. Arzheimer/Klein 1998; Mehlkop/Becker 2007: 5; Stadtmüller 2009). Häufig wird angenommen, dass in Deutschland weniger die Höhe des Incentives als vielmehr die symbolische Bedeutung der Etablierung einer Austauschbeziehung Relevanz habe (vgl. Hippler 1988: 245; Porst 1999: 76; Porst et al. 1998: 11). Daher wird davor gewarnt, hohe Incentives einzusetzen, da diese zu Reaktanz und einer Aufhebung des symbolischen Charakters führen könnten (vgl. Stadtmüller 2009: 170). Allerdings ist auch diese These empirisch nicht belegt. Die Folgen eines Einsatzes hoher Incentives sind bislang nicht untersucht worden. Incentives werden trotz ihrer positiven ausschöpfungssteigernden Wirkung auch kritisch gesehen. So wird vermutet, dass sie das Antwortverhalten der Befrag149
Obwohl eine Studie von Berlin et al. (1992) zeigt, dass der zunächst kostenintensive Einsatz von Incentives unter bestimmten Bedingungen dazu führen kann, die Gesamtkosten einer Studie zu reduzieren. Dabei handelt es sich um eine 6 DM-Telefonkarte bzw. den Einsatz von 5 Euro.
150
5.2 Ausschöpfungsteigernde Maßnahmen
155
ten verändern könnte, wodurch die inhaltlichen Ergebnisse verzerrt würden (vgl. Houston/Ford 1976). Studien, die versuchten diese Effekte empirisch nachzuweisen, konnten experimentell keinen Unterschied in den Einstellungen zwischen Incentive-Empfängern und Nicht-Empfängern aufzeigen (vgl. etwa Cantor et al. 2008; Davern et al. 2003; Goodstadt et al. 1977; Hansen 1980; Nederhof 1983; Shettle/Mooney 1999; Willimack et al. 1995: 78). Schwarz/Clore (1996) zeigten hingegen, dass sich die Stimmung einer Zielperson durch die Gabe von Incentives positiv beeinflussen lässt, was sich wiederum auf einen Teil der Antworten auswirken kann. Ähnliche Ergebnisse zeigen auch Studien von Curtin et al. (2007) und James/Bolstein (1990). Ein differenzierteres Bild zeichnen die Analysen von Singer et al. (2000) und Brehm (1994). Brehm beschreibt beispielsweise in Bezug auf politische Einstellungen, dass es von der spezifischen Einstellung abhängt, ob Einflüsse zu beobachten sind. Es existieren leichter zu beeinflussende Einstellungen, etwa gegenüber einer spezifischen Policy-Frage, und robustere Einstellungen, wie z.B. die generelle Bewertung von Politikern und politischen Gruppen im Allgemeinen. Dieser Befund passt zu dem im vierten Kapitel erläuterten Einstellungsbegriff, der von stabileren generalisierten und variableren spezifischen Einstellungen ausgeht. In der genannten Studie wird jedoch zugleich darauf hingewiesen, dass die Einflüsse in ihrem Ausmaß nicht derart relevant sind, dass die Daten einer Befragung durch den Einsatz von Incentives signifikant verzerrt würden (vgl. Brehm 1994: 57f.). Für die Bundesrepublik Deutschland zeigt ein Methodenexperiment (allerdings in einer postalischen Befragung), dass es – wenn überhaupt – nur marginale „unerwünschte Effekte“ (Stadtmüller 2009: 167) auf Einstellungen bzw. die strukturelle Zusammensetzung einer Stichprobe gibt (vgl. Stadtmüller 2009: 179ff.). Ein weiteres Problem im Zusammenhang mit dem Einsatz von Incentives bezieht sich auf die sogenannten „Non-Attitudes“. Unter „Non-Attitudes“ oder „Phantom Opinions“ versteht man diejenigen Personen, die auf Einstellungsfragen antworten, obwohl sie eigentlich keine Einstellung zu dem benannten Objekt aufweisen (vgl. Bishop et al. 1980; Converse 1964, 1974; Schuman/Presser 1981: 147ff.). Man könnte annehmen, dass Menschen, die nur aufgrund eines hohen monetären Anreizes an einer Befragung teilnehmen, verstärkt Einstellungen äußern, die sie gar nicht haben. Dies ließe sich aus der Rational Choice-Perspektive über verschiedene Argumente erklären: Entweder agieren die Zielpersonen derart aus materiellen Gründen, um das Geld zu erhalten, oder aus psychologischen Gründen, um dem Interviewer einen Gefallen zu tun und sich sozial erwünscht zu verhalten (vgl. Smith 1984). Diese Argumente erscheinen jedoch aus verschiedenen Gründen im Zusammenhang mit der generellen Teilnahmebereitschaft bei einer allgemeinen Bevölkerungsumfrage wie dem ALLBUS nicht unbedingt plausibel, wie im Folgenden gezeigt wird: Den Zielpersonen wird bei jeder Frage mit einer explizit vorgegebenen „weiß nicht“-Kategorie Item-Nonresponse ermöglicht, ohne dass sie mit Konsequenzen rechnen müssten. Die Befragten erhalten das Incentive, sobald sie
156
5 Das Design der Studie
grundsätzlich kooperieren, auch wenn sie auf einzelne Fragen keine Antwort geben. Gleichzeitig werden in allgemeinen Bevölkerungsumfragen nicht nur Einstellungen, sondern auch Verhaltensweisen und soziodemographische Merkmale oder Wissen abgefragt. Das bedeutet, es gibt Fragen, die jeder beantworten kann. Schließlich wird das Problem der Non-Attitudes vor dem Hintergrund der Erkenntnisse der jüngeren kognitionspsychologischen Einstellungsforschung abgemildert. Nur wenige Menschen haben tatsächlich überhaupt keine Eindrücke zu einem bestimmten abgefragten Bereich. Es gibt zwar Personen, bei denen nur wenige Eindrücke vorliegen oder bei denen die vorliegenden Orientierungen nicht einfach zu aktivieren sind. Diese könnten jedoch gerade durch ein Incentive motiviert werden, Eindrücke abzurufen, was immer noch einfacher ist, als „falsche Antworten“ zu konstruieren.151,152 Um das Problem dennoch abzumildern, werden, wenn möglich, geeignete Filterführungen eingesetzt, um die Befragten nur mit den für sie relevanten Fragen zu beschäftigen. Auch die Frage, ob monetäre Incentives nur in bestimmten Gruppen wirken, z.B. bei denen, die wenig in die Gesellschaft involviert sind (vgl. Groves et al. 2000: 301), bei gering Gebildeten (vgl. Mehlkop/Becker 2007: 13; Singer 1998: 25) oder nur bei älteren (vgl. Stadtmüller 2009: 180) bzw. jüngeren Personen (vgl. Dillman 2000: 153), wird in der Forschung diskutiert. Auch dafür gibt es jedoch keine stabilen Befunde. Schließlich wird befürchtet, dass eine „Bezahlung“ der Zielpersonen dazu führt, dass sie bei zukünftigen Studien ebenfalls ein monetäres Incentive erwarten und ohne dies eine Teilnahme verweigern. Dazu zeigen jedoch Studien, dass der Effekt ausbleibt. Vielmehr scheint die Incentivierung sogar die Umfrageeinstellung positiv zu beeinflussen, da die Zielpersonen, die bereits einmal incentiviert wurden, bei zukünftigen Studien bereitwilliger teilnehmen als nichtincentivierte Befragte (vgl. Singer et al. 1998). Alle diese Aussagen sind mit Vorsicht zu betrachten. Die Forschungsergebnisse sind nicht eindeutig und stammen in der Regel aus anderen gesellschaftlichen Kontexten. Zudem fehlt meist ein Vergleichsmaßstab, um Aussagen zur Datenqualität oder zu Einflüssen tatsächlich bewerten zu können, weil Erkenntnisse zu Verweigerern fehlen. In der hier vorliegenden Studie wurde jedoch entschieden, dass die erwünschten Effekte im Bereich der höheren Teilnahmebereitschaft im Gegensatz zu potenziell unerwünschten Effekten überwiegen. Daher wurden die Zielpersonen im Anschluss an ihre Teilnahme in der Hauptbearbeitung mit zehn Euro in 151
Aber auch Studien, die mit dem älteren Einstellungsbegriff arbeiten, zeigen, dass der Anteil an Non-Attitudes hauptsächlich von dem Druck abhängt, den die Interviewer auf die Zielpersonen ausüben, überhaupt eine Antwort zu geben (vgl. Bishop et al. 1986; Schuman/Presser 1980). Auch vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse erscheint das Problem der Non-Attitudes für die vorliegende Studie weniger relevant: Im ALLBUS werden die Interviewer darauf hingewiesen, keinen Druck auszuüben. 152 Studien, die den Zusammenhang des Einsatzes von Incentives mit der Antwortqualität untersuchen, zeigen, dass Incentive-Empfänger lediglich bei offenen Fragen etwas geringere Item-Nonresponse-Quoten aufweisen als nicht-incentivierte Befragte, d.h. sie antworten vollständiger (vgl. Willimack et al. 1995). Bei geschlossenen Fragen treten keine signifikanten Effekte auf. Inhaltlich unterscheiden sich die Incentive-Empfänger nicht von den Teilnehmern ohne Incentive.
5.2 Ausschöpfungsteigernde Maßnahmen
157
bar incentiviert. In der Nachbearbeitung wurde dieses Incentive noch einmal auf 50 Euro erhöht.
5.2.3 Interviewereinsatz Zu den Honorarvereinbarungen der Interviewer und damit auch dem Einsatz von Incentives bei Interviewern existieren kaum veröffentlichte Studien.153 Wenn man jedoch annimmt, dass Individuen nutzengeleitet agieren, sollten Incentives auch bei ihnen ähnlich motivierend wie bei den Zielpersonen wirken. Um die KostenNutzen-Abwägung der Interviewer positiv zu beeinflussen, wurde den Interviewern im ALLBUS+ für eine deutlich geringere Befragungszeit das gleiche Honorar pro Interview gezahlt, anschließend wurde dieses in der Nachbearbeitung noch einmal aufgestockt.154 Zunächst wurden in der Nonresponse-Studie 64 erfahrene155 Interviewer eingesetzt, die in drei Schulungen intensiv auf die Studie vorbereitet, als Teil des Projektteams motiviert und auf ihre Aufgabe „eingeschworen“ wurden. Dabei handelte es sich in der Regel um Vollzeit arbeitende Interviewer. Für die Nachbearbeitung war jedoch eine Aufstockung des Interviewerfeldes notwendig. Zum einen, um bei Aversionen der Zielpersonen gegenüber einem bestimmten Interviewer diesen in der Nachbearbeitung auswechseln zu können, zum anderen, um Anfahrtswege der Interviewer zu optimieren und die Arbeitsbelastung einzelner Interviewer zu reduzieren (siehe Kap. 5.1.2). Daher wurden im ALLBUS+ in Haupt- und Nachbearbeitung insgesamt 111 Interviewer eingesetzt, die (fast alle) auch im regulären ALLBUS Interviews durchgeführt haben. Für die sich anschließende telefonische Nachbearbeitung, die nicht mehr von TNS Infratest, sondern von GESIS in Mannheim durchgeführt wurde, wurden noch einmal neun erfahrene Telefoninterviewer eingesetzt.
5.2.4 Aufwand / Länge der Befragung Eine weitere Determinante der Kooperationsbereitschaft, die im Zusammenhang mit dem Forschungsdesign diskutiert wird, ist der Aufwand („burden“) des Befragten, an der Befragung teilzunehmen (vgl. Sharp/Frankel 1983: 36ff.). Dieser wird in der Forschung meist über die Länge des Fragebogens operationalisiert. Dabei wird bei schriftlichen Interviews die Seitenzahl oder bei mündlichen Interviews die durchschnittliche Dauer des Interviews in Minuten gemessen. Die aus dem KostenNutzen-Ansatz abgeleitete Hypothese ist, dass längere Befragungen aufgrund des 153 154 155
Man kann annehmen, dass Informationen dazu als Geschäftsinterna der Institute nicht publiziert werden. Genaue Beträge können dazu nicht angegeben werden, da es sich dabei um Institutsinterna handelt. Die durchschnittliche Erfahrung der Interviewer lag bei über 13 Jahren Institutszugehörigkeit.
158
5 Das Design der Studie
höheren Aufwands bei ansonsten konstanten Bedingungen zu niedrigeren Responseraten führen.156 Der Forschungsstand zum Einfluss der Dauer der Befragung auf die Teilnahmebereitschaft ist jedoch sehr heterogen (vgl. Bogen 1996; Hansen 2007). Zwar schätzen viele Forscher die Länge des Interviews als Determinante der Teilnahmebereitschaft ein (vgl. etwa de Heer/Israels 1992; Groves et al. 1992), es gibt aber nur wenige empirische Belege dafür (vgl. Bogen 1996).157 Gerade im Hinblick auf die Dauer des Interviews in persönlich-mündlichen Befragungen existieren kaum Untersuchungen (vgl. Burchell/Marsh 1992; Yu/Cooper 1983), die zudem durch die Kontrolle unterschiedlicher Drittvariablen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Sharp/Frankel (1983) zeigen beispielsweise, dass die Länge der Befragung keine Rolle mehr spielt, wenn der Befragte vom Nutzen der Umfrage überzeugt ist. Auch dieser Befund passt jedoch zu einer grundsätzlichen Kosten-Nutzen-Vorstellung der Kooperationsentscheidung im Sinne der LeverageSalience-Theorie: Wenn der Nutzen den Aufwand übertrifft, sind die Kosten nicht entscheidend. Die Handlung – in dem Fall die Teilnahme an der Befragung – wird trotzdem ausgeführt.158 Die Probleme bei der Überprüfung des Konzepts liegen auf der Hand: Zum einen hat der Befragte im Moment der Entscheidung zur Kooperation in der Regel keine Vorstellung davon, wie lange die Befragung tatsächlich dauern wird. Meist hat er lediglich eine ungefähre Information durch den Interviewer oder das Anschreiben erhalten. Hinzu kommt, dass in Befragungen wie dem ALLBUS die angekündigte durchschnittliche Befragungszeit nur wenig Aussagekraft für die Befragung einer bestimmten Zielperson besitzt, da die Interviewlänge eine große Varianz aufweist (vgl. Wasmer et al. 2007: 72).159 Dennoch kann man annehmen, dass eine Reduktion der Befragungszeit keine negativen Effekte hat, sondern die Kosten-Nutzen-Abwägung der Zielperson entweder positiv oder gar nicht beeinflusst.160 Gleichzeitig ergaben die Aussagen der Interviewer auf den Schulungen, 156
Schon im Jahr 1920 warnte Chapin vor der Belastung der Befragten durch zu lange Fragebögen in Umfragedesigns (vgl. Chapin 1920; auch Sharp/Frankel 1983). 157 Ausnahmen sind hier die experimentellen Studien von Hansen (2007) und Galesic/Bosnjak (2009). Hansen (2007) zeigt für eine telefonische Befragung, dass eine Reduktion der Befragungszeit um fünf Minuten eine Steigerung der Responsequote um zehn Prozentpunkte bewirkt. Galesic/Bosnjak (2009) belegen in ihrer Studie den Einfluss der Länge eines Web-Fragebogens auf die Teilnahmebereitschaft. 158 Groves et al. (1999) kommen in einer experimentellen Studie zum Ergebnis, dass lange Interviews die Teilnahmebereitschaft verringern, und dass dieser Effekt auch nicht durch Incentives aufgefangen werden kann (vgl. Groves et al. 1999: 262). Hier könnte man im Sinne der theoretischen Modellierung jedoch argumentieren, dass die Incentives nicht groß genug waren. 159 Auch die Ergebnisse umfangreicher Metaanalysen lassen lediglich erkennen, dass man in diesem Bereich nicht von eindeutigen empirischen Erkenntnissen zum Einfluss und zur Wirkungsweise der Interviewlänge sprechen kann (vgl. Berdie 1973; Bogen 1996; Engel/Schnabel 2004). 160 Ein Gegenargument bietet Bradburn (1978): Er konstatiert, dass längere Fragebögen den potenziellen Befragten Seriosität und Wichtigkeit suggerieren könnten. Aus diesem Grund, so nimmt er an, könnten Länge und Ausschöpfung auch positiv korrelieren (vgl. Bradburn 1978: 37). Dieses Argument erscheint jedoch für eine Studie wie den ALLBUS von untergeordneter Relevanz. Da die Befragten zuvor bereits ein Anschreiben erhalten, sind sie über die Wichtigkeit der Studie informiert. Zudem kann man annehmen, dass es einen Schwellenwert gibt, wann Befragungen von Zielpersonen als unwichtig angesehen werden könnten. Dieser liegt, wenn er überhaupt
5.2 Ausschöpfungsteigernde Maßnahmen
159
dass sie selbst die Dauer des Interviews als einen der relevantesten Einflussfaktoren auf den Interviewerfolg einschätzen. So kann eine Reduktion der Befragungszeit dazu führen, dass, selbst wenn es keinen Effekt auf den Befragten gibt, die Interviewer motivierter und selbstbewusster in das Projekt starten. Um die daraus resultierenden positiven Effekte zu nutzen, wurde der Aufwand im ALLBUS+ im Vergleich zum regulären ALLBUS reduziert und die Befragungszeit in der Nonresponse-Studie mehr als halbiert. Die Interviewer wurden bei den Schulungen und in den Anschreiben zu jeder Welle darauf hingewiesen und auch die Zielpersonen wurden in ihrem Anschreiben zu Haupt- und Nachbearbeitung informiert, dass die Befragung maximal 20 Minuten dauern wird. Für die sich an die Nachbearbeitung noch einmal anschließenden telefonischen und schriftlichen Nachfassaktionen wurde die Befragungszeit noch einmal auf bestimmte Kernfragen reduziert, deren Beantwortung durchschnittlich nur noch etwa drei Minuten in Anspruch nahm.
5.2.5 Die Salienz des Themas der Befragung Auch die Salienz des Themas der Befragung wird in der Methodenforschung als Einflussfaktor der Kooperationsbereitschaft diskutiert (vgl. Groves/Cooper 1998; Groves et al. 1992; Steeh 1981). In der Regel können die Themen einer Studie nicht frei variiert werden, da sie vom Auftraggeber oder der untersuchten Fragestellung vorgegeben sind. Größere Befragungen wie der ALLBUS sind zudem meist Mehrthemenbefragungen. Wenn das Thema jedoch prinzipiell die Kooperationsbereitschaft beeinflusst, hat der Forscher die Möglichkeit über Einstiegsfragen oder Einleitungssätze explizit auf das Thema hinzuweisen oder dies zu unterlassen. Das bedeutet also, der Forscher oder der Interviewer muss entscheiden, ob er ein Thema betont und es damit „salient“ macht oder nicht (vgl. Groves et al. 2000). Verschiedene empirische Studien bestätigen experimentell die Hypothese, dass Antwortraten bei Studien in Spezialpopulationen höher ausfallen als in Gruppen, deren Mitglieder sich von einem Thema nicht selbst betroffen fühlen (vgl. etwa Goyder 1985a; Groves et al. 2004a; siehe für schriftliche Befragungen auch die Metaanalyse von Heberlein/Baumgartner 1978: 449).161 Auch für Umfragen in Deutschland wurde die ausschöpfungssteigernde Wirkung interessanter Einstiegsfragen und des Aufmerksamkeitswertes, den die Befragten dem Thema beimessen, untersucht und bestätigt. Diese Analysen beziehen sich jedoch nur auf schriftliche Befragungen (vgl. Porst 1999; Thoma/Zimmermann 1996). Für persönlich-mündexistiert, wahrscheinlich bei nur wenigen Minuten. Sobald eine gewisse Zeitdauer erreicht wird, kann man annehmen, dass das Argument von Bradburn keine Bedeutung mehr hat. 161 Problematisch ist zudem, dass bei den Studien meist theoretisch vorgegeben wird, welches Thema für wen interessant und welches weniger interessant sein sollte: Die Einteilung wird häufig nicht empirisch vorgenommen, was in vielen Fällen adäquater wäre.
160
5 Das Design der Studie
liche Befragungen, bei denen das Thema normalerweise entweder im Anschreiben formuliert oder informell vor Befragungsbeginn in der ersten Interaktion zwischen Interviewer und Befragtem erläutert wird, existieren dazu jedoch wiederum keine empirischen Erkenntnisse. Für die Nonresponse-Studie zum ALLBUS wurde das Thema „Politik und Gesellschaft“ benannt. Im Anschreiben wurde formuliert, dass „Informationen zur Lebenssituation und zu den Meinungen der Bevölkerung in Deutschland“ gesammelt werden und man die Chance habe, „Denkanstöße zur weiteren gesellschaftlichen Entwicklung zu liefern“.
5.2.6 Die Nennung des Sponsors der Befragung Ein weiterer potenzieller Einflussfaktor im Bereich des Forschungsdesigns ist die Wirkung, die vom Sponsor bzw. Auftraggeber der Befragung ausgehen kann. Die Nennung der Institution kann die Entscheidung zu Kooperation oder Verweigerung beeinflussen. Dazu werden in der Literatur meist drei Sponsoren-Kategorien unterschieden, für die unterschiedliche Wirkungen angenommen werden: Staatliche Sponsoren wie etwa Ministerien, universitäre Sponsoren wie Institute oder Professoren sowie Sponsoren, die aus dem Bereich der Marktforschung bzw. der freien Wirtschaft stammen (vgl. etwa Blumberg et al. 1974; Engel/Schnabel 2004; Fox et al. 1988; Linsky 1975; Yammarino et al. 1991). Studien mit universitärem und/oder staatlichem Hintergrund weisen dabei in der Regel eine höhere Ausschöpfung auf als Studien aus dem Marktforschungsbereich (vgl. Blumberg et al. 1974; Doob et al. 1973; Fox et al. 1988; Goyder 1985a; Heberlein/Baumgartner 1978; Peterson 1975; siehe aber auch die Metaanalyse von Yammarino et al. 1991).162 Hierbei kann man annehmen, dass das Vertrauen der Zielpersonen im Hinblick auf das Einhalten von Datenschutzrichtlinien gegenüber staatlichen Institutionen und Universitäten größer ist als gegenüber kommerziell arbeitenden Instituten. Das bedeutet, die subjektiv angenommenen Kosten einer Befragung, die sich auch auf die Zukunft beziehen können, sind bei kommerziellen Instituten größer, weil die Befragten nicht sicher sind, ob ihre Daten eventuell auch anderweitig verwendet werden. Im Anschreiben des ALLBUS+ wurden auf dem Briefpapier zunächst alle drei beteiligten Forschungseinrichtungen genannt (Universität Mainz, GESIS in Mannheim und TNS Infratest als durchführendes Institut), jedoch wurde der wissenschaftliche Sponsor durch die persönliche Unterschrift hervorgehoben. In der Nachbearbeitung wurde schließlich nur noch auf den universitären Sponsor ver162
Allerdings werden in vielen dieser Studien andere Drittvariablen nicht kontrolliert, daher fehlen eindeutige Erkenntnisse zu den Zusammenhängen. So zeigen James/Bolstein (1990), dass sich Designelemente gegenseitig beeinflussen können und Wechselwirkungen bestehen. Incentives können beispielsweise die Einstellung der Befragten gegenüber dem Sponsor einer Untersuchung verändern.
5.3 Zwischenfazit: Das Design des ALLBUS+
161
wiesen. Die anderen beteiligten Forschungseinrichtungen wurden nicht mehr genannt.
5.3 Zwischenfazit: Das Design des ALLBUS+ Abbildung 12 visualisiert das Gesamtdesign der Studie. Auf der linken Seite sind die Rahmenbedingungen des regulären ALLBUS, auf der rechten Seite die des ALLBUS+ zu erkennen. Insgesamt lassen sich im Standard-ALLBUS zwei, im ALLBUS+ drei Erhebungsstufen163 voneinander unterscheiden. Die Stichprobenziehung fand für beide Studien gemeinsam statt. Es wurde zunächst eine Adressstichprobe aus den Registern der Einwohnermeldeämter gezogen. Die Adressen wurden daraufhin zufällig im Verhältnis 5:1 einer der beiden Gruppen (ALLBUS/ALLBUS+) zugewiesen. Beide Teil-Stichproben wurden anschließend unterschiedlich bearbeitet. Der reguläre ALLBUS bestand aus Haupt- und Nachbearbeitungsphase (HB/NB). Vor der Hauptbearbeitung erhielten die Zielpersonen ein Anschreiben, das GESIS und TNS Infratest als durchführende Institute angab. Die Befragung dauerte durchschnittlich etwa 65 Minuten. Der Fragebogen enthielt Fragen zu den Bereichen Wirtschaft, Mediennutzung, politische Einstellungen und politische Partizipation. Daneben wurden auch Konzepte wie soziales Kapital und soziale Ungleichheit, die Staatsbürgerschaft und das Herkunftsland, der Nationalstolz sowie eine ausführliche Demographie des Befragten und der in seinem Haushalt lebenden anderen Personen erhoben.164 Alle Adressen wurden nach der ersten Bearbeitungswelle im Institut gesichtet und der Bearbeitungsstand überprüft. Anschließend wurden sie noch einmal ins Feld gegeben.165 Die Designmerkmale, wie die Dauer der Befragung, das Fehlen eines Incentives oder der Interviewereinsatz, änderten sich nicht zwischen beiden Bearbeitungsphasen, abgesehen von kleineren Ausnahmen, wie dem Austausch einzelner Interviewer (vgl. Wasmer et al. 2010).
163
Man kann von drei Erhebungsstufen sprechen, wenn man von Haupt-, Nachbearbeitung und Nachfassaktion ausgeht. Vier Erhebungsstufen resultieren, wenn man den telefonischen und den schriftlichen Nachfass noch einmal getrennt voneinander betrachtet. 164 Außerdem wurden in einer Zusatzbefragung für das ISSP (International Social Survey Programme) bei einem Teil der Stichprobe Fragen zu Freizeit und Sport oder zu Religion gestellt. 165 Bei dieser Untersuchung ist die Aufstockungsstichprobe des ALLBUS nicht berücksichtigt. Dies ist eine zusätzliche Stichprobe, die während der Feldzeit eingesetzt wurde, um trotz geringer Ausschöpfung eine bestimmte Fallzahl beim ALLBUS zu ermöglichen. Aufgrund einer Vielzahl an Argumenten (z.B. fehlender Vergleichbarkeit) wird sie im weiteren Verlauf der Untersuchung jedoch auch ausgeklammert und nicht weiter berücksichtigt. Wenn vom ALLBUS gesprochen wird, ist damit demnach immer der reguläre ALLBUS ohne die Aufstockung gemeint.
5.3 Zwischenfazit: Das Design des ALLBUS+
162
Abbildung 12: Das Design von ALLBUS und ALLBUS+ im Überblick
Stufe 1
ALLBUS: angestrebtes Brutto 6480 Adressen (40/Point)
ALLBUS+ angestrebtes Brutto 1296 Adressen (8/Point)
Anschreiben: GESIS, TNS Infratest
Anschreiben: Uni MZ (salient), GESIS, TNS Infratest
Hauptbearbeitung (65 min/0 €)
Hauptbearbeitung (30 min/10 € /ausgewählte Interviewer / höheres Interviewerhonorar) Zielgruppen-Anschreiben: Uni MZ (salient), GESIS, TNS Infratest
Stufe 2
Nachbearbeitung (65 min/0 €)
Stufe 3
Nachbearbeitung (30 min/50 € / ausgewählte Interviewer / erneut erhöhtes Interviewerhonorar) telefon. Nachfass (3 min/0 €)
Kontrollgruppe der bereits Befragten
Anschreiben: Studentin, Uni MZ schriftl. Nachfass (3 min/0 €)
Kontrollgruppe der bereits Befragten
Quelle: Eigene Darstellung
Im ALLBUS+ änderte sich das Forschungsdesign im Vergleich zum regulären ALLBUS. Gleichzeitig gab es eine Variation innerhalb der Studie zwischen Hauptund Nachbearbeitung. Auf diese Weise sollte die größtmögliche Anzahl an Personen erreicht werden, die unter Normalbedingungen Nonrespondenten wären. Bereits auf der ersten Stufe der Hauptbearbeitung wurde versucht, die Ausschöpfung deutlich zu erhöhen. Dazu wurde für die Teilnahme ein Incentive von zehn Euro in bar ausgezahlt, um den Nutzen der Teilnahme für die Zielpersonen zu erhöhen. Gleichzeitig kam ein optimiertes Anschreiben zum Einsatz, um die Informationskosten und die emotionalen Kosten einer Teilnahme bei den Zielpersonen zu reduzieren. Mit der Durchführung der Studie wurde eine Auswahl besonders erfolgreicher Interviewer des Instituts betraut, die sich durch ihre Erfahrung in ähnlichen Studien auszeichneten. Statt 65 Minuten Befragungszeit im regulären ALLBUS betrug die Befra-
5.4 Anmerkungen zur Analyse
163
gungszeit im ALLBUS+ letztlich etwa 30 Minuten. Im Anschreiben angekündigt waren 20 Minuten. Diese Reduktion wurde sowohl eingesetzt, um die Interviewer zu motivieren, als auch um die Zielpersonen so wenig wie möglich zu belasten. Inhaltlich wurden aus allen Bereichen der regulären ALLBUS-Module Fragen gekürzt. Die Befragung zu den Eigenschaften der weiteren Haushaltsmitglieder wurde vollständig gestrichen. Zudem wurde der universitäre Sponsor hervorgehoben. Im Anschluss an die Hauptbearbeitung wurden alle Adressen sowie die von den Interviewern zu jedem Kontakt ausgefüllten Protokolle des ALLBUS+ im Institut überprüft. Die expliziten Verweigerer, bei denen es datenschutzrechtliche Bedenken einer erneuten Kontaktierung gab, mussten aufgrund der ADMRichtlinien aussortiert werden. Alle restlichen Adressen wurden erneut an die Interviewer verschickt, mit der Bitte, sie noch einmal zu bearbeiten. Bei expliziten Intervieweraversionen der Ziel- bzw. Ansprechpersonen, die in den Kontaktprotokollen dokumentiert werden konnten, wurde der Interviewer ausgetauscht. In der Nachbearbeitung wurde ein zielgruppenspezifisches Anschreiben eingesetzt, d.h. bei denjenigen, die angegeben hatten, sie seien zu alt für eine derartige Befragung wurde im Anschreiben argumentiert, warum auch alte Menschen befragt werden müssen, um repräsentative Ergebnisse zu erhalten. Außerdem war in diesem Anschreiben die Schriftgröße deutlich größer. Gleichzeitig wurde in der Nachbearbeitung der Interviewerstab etwas vergrößert, um die Arbeitsbelastung der Interviewer zu reduzieren, und das Honorar der Interviewer noch einmal erhöht. Das Incentive für die Zielpersonen wurde von 10 auf 50 Euro angehoben. Nach dieser Nachbearbeitungsphase wurden zwei Nachfassaktionen („followup-studies“) mit verändertem Interviewmodus durchgeführt. Zielpersonen, von denen eine Telefonnummer ermittelt werden konnte, wurden telefonisch kontaktiert und befragt. Bei den Zielpersonen ohne Telefonnummer wurde ein schriftlicher Fragebogen verschickt. Auf dieser dritten Stufe wurde die Befragungsdauer noch einmal auf wenige Kernfragen reduziert. Zudem wurde im Anschreiben bzw. im Einleitungstext an die Hilfsbereitschaft der Zielpersonen appelliert und der universitäre Sponsor noch stärker hervorgehoben.166
5.4 Anmerkungen zur Analyse 5.4.1 Analysestrategien Um der zentralen Fragestellung auf dem Grund zu gehen und zu erklären, was Nonrespondenten in Studien mit politikwissenschaftlichen Fragestellungen charakterisiert, bietet das Design mehrere Analysemöglichkeiten. Zunächst wird analysiert, wie sich die Befragten im regulären ALLBUS von denen im ALLBUS+ un166
Dazu wurde darauf hingewiesen, dass die Studie Teil der wissenschaftlichen Abschlussarbeit einer Studentin sei.
164
5 Das Design der Studie
terscheiden. Damit kann der Frage nachgegangen werden, wie sich eine Stichprobe mit einem Anteil von etwa 60 Prozent Verweigerern von einer Studie mit einem Anteil von nur 30 Prozent Verweigerern unterscheidet (Analyse-Ebene 1). Hierbei steht die Frage im Vordergrund, welche faktischen Konsequenzen der erhöhte Aufwand auf der inhaltlichen Ebene einer großen allgemeinen Bevölkerungsbefragung mit sich bringt. Man kann jedoch zunächst nichts über Verweigerer aussagen, da im ALLBUS+ unklar ist, welche Befragten auch unter Standardbedingungen teilgenommen hätten, da dort bereits in der Hauptbearbeitung Veränderungen im Gegensatz zum regulären ALLBUS stattfanden. Für diese erste Annäherung an das Problem wird nicht zwischen Verweigerern, Nicht-Befragbaren und NichtErreichbaren unterschieden. Anschließend sollen die „Verweigerer“ und die Determinanten ihrer Handlungsentscheidung analysiert werden. Dazu werden diejenigen, die in der Hauptbearbeitung des ALLBUS+ bereit sind teilzunehmen, von denjenigen unterschieden, die eine Teilnahme zunächst verweigern (Analyse-Ebene 2). Der Fokus dieser zweiten Analyse liegt auf den Befragten des ALLBUS+, da angenommen wird, dass in dieser Studie im Vergleich zum regulären ALLBUS das Problem auf einem „höheren Niveau“ analysiert werden kann.167 „Höheres Niveau“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass im ALLBUS+ bereits in der Hauptbearbeitung diejenigen zusätzlich erreicht werden, die aufgrund weniger gewichtiger Gründe in der Regel nicht teilnehmen würden, jetzt aber aufgrund des 10 Euro-Incentives und der kürzeren Befragungszeit teilnehmen. Bei den dann zusätzlich in der Nachbearbeitung erreichten Zielpersonen wird erwartet, die „härteren Fälle“ zu erreichen, die erst unter größtem Aufwand überzeugt werden können. Im regulären ALLBUS kommt man an diese Personen nicht heran. Beim ALLBUS+ nehmen damit unter Standardbedingungen schon mehr Personen teil als im regulären ALLBUS. Das bedeutet, in der Nachbearbeitung wird ein größerer Teil derjenigen, die Verweigerer wären, noch konvertiert. Abbildung 13 zeigt die Analysestrategien in der Übersicht. Zunächst wird jeweils analysiert, ob und wenn ja bei welchen Merkmalen sich die beiden Gruppen (ALLBUS/ALLBUS+ in Analyse 1; Kooperative/Verweigerer in Analyse 2) bivariat unterscheiden. Anschließend sollen schrittweise multivariate logistische Regressionsmodelle gerechnet werden, um, unter Kontrolle der jeweils anderen Merkmale, Netto-Effekte auf Kooperation und Verweigerung bzw. auf die Zugehörigkeit zu einer der beiden Studienbedingungen herauszuarbeiten.
167
Zugleich könnte dieser Frage auch im regulären ALLBUS, obgleich auf niedrigerem Niveau, nachgegangen werden.
5.4 Anmerkungen zur Analyse
165
Abbildung 13: Analysestrategien Analyse 1 ALLBUS
ALLBUS+
Hauptbearbeitung
Hauptbearbeitung
Nachbearbeitung
Nachbearbeitung
Analyse 2 ALLBUS
ALLBUS+
Hauptbearbeitung
Nachbearbeitung
Nachfass K
Nachfass E
Nachfass K
Nachfass E
Quelle: Eigene Darstellung
Die erste Analyse bietet die stärker methodisch-praktische Perspektive, die zweite Perspektive ist die theoretisch interessantere. In dieser zweiten Analyse wird zunächst das im vorigen Kapitel aufgestellte Survey Variable Cause-Modell zu den Determinanten von Kooperation und Verweigerung überprüft. Im Anschluss daran sollen im Sinne des Common Cause-Modells Merkmale untersucht werden, die aus politikwissenschaftlicher Perspektive interessant sind. Für die Merkmale auf der politischen Verhaltensebene, deren Unterschiede sich nicht durch direkte Effekte erklären lassen, werden dabei indirekte Effekte modelliert.
5.4.2 Umgang mit fehlenden Werten Eine zentrale Frage für die empirische Analyse ist schließlich noch der Umgang mit einzelnen fehlenden Werten (Item-Nonresponse). Diese können aus Filtersetzungen resultieren, weil bestimmten Personen nur bestimmte Fragen gestellt werden. Sie können jedoch auch daraus resultieren, dass Personen keine Antwort wissen oder bewusst keine Antwort in Bezug auf die gestellten Fragen geben wollen. In der empirischen Forschung existieren verschiedene Vorgehensweisen zum Umgang mit Item-Nonresponse. Fälle mit fehlenden Werten können aus der Analyse ausgeschlossen werden oder die bestehenden Lücken werden gefüllt, wozu es wiederum verschiedene Verfahren gibt. Der einfachste Fall wäre, die fehlenden Werte durch den Mittelwert der gültigen Fälle zu ersetzen. Alternativ lassen sich die feh-
166
5 Das Design der Studie
lenden Werte aber auch durch Ergebnisse komplexerer Verfahren, wie etwa der multiplen Imputation, ersetzen (vgl. dazu ausführlicher Schafer/Graham 2002; Graham et al. 2003). Alle diese Ersetzungsverfahren basieren jedoch auf der Grundannahme, dass die Ausfälle „missing at random“ sind, d.h. dass sie sich zufällig verteilen. Für diejenigen Personen, die aufgrund der Filterführung gewisse Fragen nicht beantworten können, kann dies ausgeschlossen werden. Bei denjenigen, die „weiß nicht“ oder „keine Angabe“ wählen, kann man ebenfalls von einer bewussten Entscheidung ausgehen. Dies ist im Sinne der zuvor für UnitNonresponse ausgeführten handlungstheoretischen Antwort-Theorie nur konsequent. Dieser Arbeit liegt daher die Annahme zugrunde, dass Ausfälle bei einzelnen Fragen in der Regel nicht rein zufällig erfolgen, sondern Ergebnis einer rationalen Handlungsentscheidung des Individuums sind. Daher werden die fehlenden Werte nicht imputiert, sondern das „strengere“ Instrument eines fallweisen Ausschlusses gewählt. Das bedeutet, es werden je nach untersuchten Merkmalen nur diejenigen Fälle in die Analyse einbezogen, bei denen gültige Antworten vorliegen, auch wenn sich dadurch die Fallzahlen reduzieren. Eine Analyse der Häufigkeitsverteilungen aller Merkmale zeigt, dass nur manche Items hohe Nonresponse-Raten aufweisen. Bei den meisten Merkmalen liegt der Anteil der Antwortverweigerungen zwischen null und zwei Prozent der Fälle. Ausnahmen mit deutlich höheren Item-Nonresponse-Anteilen sind die Aussagen zum Vertrauen in Universitäten und Hochschulen (9,5%), die Links-Rechts-Selbsteinschätzung (8,2%), ein Teil der Items aus der Rechtsextremismus-Skala sowie die Sonntagsfrage (15,7%). Dies muss bei der anschließenden Analyse berücksichtigt werden.
5.3 Zwischenfazit: Das Design des ALLBUS+
167
6 Operationalisierung
Bevor in der empirischen Analyse die Hypothesen überprüft werden können, müssen die zentralen Konzepte der Modelle operationalisiert, d.h. messbar gemacht, werden. Die abhängige Variable im Erklärungsmodell ist die Kooperation eines Individuums an einer politischen Befragung. Darauf bezieht sich insbesondere der zweite Teil der empirischen Analyse (während der erste, wie bereits ausgeführt, zwei unterschiedlich ausgeschöpfte Stichproben miteinander vergleicht). Verweigerer sind in der vorliegenden Studie diejenigen Personen, die in der Hauptbearbeitung nicht teilgenommen haben, obwohl sie erreicht wurden und prinzipiell befragbar gewesen wären, in der Nachbearbeitung aber doch noch durch die ausschöpfungssteigernden Designelemente von einer Teilnahme überzeugt werden konnten. Der Vorteil der Messung ist, dass sie sowohl direkt beobachtbar als auch unabhängig von den Aussagen der Befragten ist. Sie bildet den Kern der weiteren Untersuchungen. Bei den erklärenden Variablen innerhalb des Modells handelt es sich weitgehend um Einstellungen und damit um nicht direkt beobachtbare, so genannte latente Merkmale. Zur Messung werden daher geeignete Indikatoren benötigt. Prinzipiell existieren dazu so genannte „Indikatorenuniversen“, aus deren Pool ein oder mehrere Indikatoren ausgesucht werden können (vgl. Guttmann 1950; Schnell et al. 2008: 134). Multiple Indikatoren minimieren dabei zufällige Messfehler (vgl. Schnell et al. 2008: 135f.).168 Aus forschungspraktischen Gründen war die Anzahl der einsetzbaren Indikatoren jedoch begrenzt, weswegen in manchen Bereichen lediglich auf wenige – eventuell auch auf nur bedingt geeignete – Indikatoren zurückgegriffen werden konnte. Außerdem wird angenommen, dass es nicht immer ein vollständig homogenes Indikatorenuniversum gibt, sondern dass mit der bewussten Auswahl bestimmter Indikatoren lediglich Annäherungen an die theoretischen Konzepte möglich sind. Im Folgenden sollen nun die Indikatoren vorgestellt werden, die zur Messung der zentralen Konstrukte der Theorie geplanten Verhaltens herangezogen werden. Dazu gehören die Indikatoren zur Messung der subjektiv wahrgenommenen und objektiven Kontrollmöglichkeiten, der Einstellung gegenüber der Teilnahme und der subjektiven Norm. Zudem wird im Anschluss daran das Konzept der politischen Partizipation operationalisiert, das exemplarisch für die möglichen indirekten Effekte im Sinne des Common Cause-Modells herangezogen wird. 168
Dies kann über das Grundprinzip der Testtheorie erklärt werden.
H. Proner, Ist keine Antwort auch eine Antwort?, DOI 10.1007/978-3-531-92721-3_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
168
6 Operationalisierung
6.1 Die Indikatoren zur Messung der objektiven Kontrollmöglichkeiten Bei den für eine Befragung relevanten objektiven Kontrollmöglichkeiten wurden zuvor drei verschiedene Typen von Ressourcen unterschieden: kognitive, soziale und Zeitressourcen. Zunächst ist die Allgemeinbildung einer Person ein Maß für ihre kognitiven Ressourcen. Diese wird im ALLBUS, und daher auch in der parallel verlaufenden Nonresponse-Studie, über die formale Bildung, d.h. den höchsten erreichten Schulabschluss, erhoben. Die formale Bildung deckt jedoch nur einen Teil dessen ab, was als relevante kognitive Ressourcen für die Teilnahme an einer politischen Befragung angesehen wird. Daher wird das Konzept der politischen Informiertheit hinzugezogen, um auch spezifische politische kognitive Ressourcen, die für die Teilnahme an einer politischen Befragung relevant sein können, mit in die Analyse einzubeziehen. Der Grad politischer Informiertheit wird dabei über den individuellen Medienkonsum der Zielpersonen gemessen und ein Index gebildet, in den zu gleichen Teilen sowohl die Häufigkeit von öffentlich-rechtlichem Nachrichtenkonsum169 als auch die Häufigkeit des Tageszeitungslesens eingehen (vgl. zum Einfluss der Mediennutzung auf politische Informiertheit Schulz 2008: 165ff.). Die sozialen Ressourcen, worunter Kommunikations- und Organisationsfähigkeiten verstanden werden, sind schwieriger auf der Basis der im ALLBUS enthaltenen Indikatoren zu operationalisieren. Hierzu muss auf Hilfsannahmen aus der politikwissenschaftlichen Sozialkapitalforschung zurückgegriffen werden.170 Für die vorliegende Untersuchung wird unterstellt, dass die soziale Einbindung zur Herausbildung sozialer Ressourcen beiträgt. Daher werden die Aktivität in Netzwerken und die soziale Integration herangezogen, um den Grad sozialer Ressourcen einer Zielperson zu messen. Um die Aktivität in Netzwerken zu erheben, wird nach Vereinsmitgliedschaften der Zielperson gefragt (vgl. Gabriel et al. 2002: 42; Putnam 1993; Verba et al. 1995; van Deth 2001). Dabei wird nicht nur rein quantitativ gemessen, in wie vielen Vereinen eine Zielperson Mitglied ist, vielmehr wird auch die Qualität des Engagements berücksichtigt. So wird zunächst für verschiedene Vereinstypen zwischen keinem Engagement (0), einer reinen passiven Mitgliedschaft (0,5) und einer aktiven Mitgliedschaft bzw. der Übernahme eines Ehrenamts (1) unterschieden und jeweils angegeben, inwieweit sich eine Zielperson in dem entsprechenden Verein engagiert. Die einzelnen Items werden anschließend zu einem einfachen additiven Index zusammengefasst. Dieses Vorgehen ist nicht völlig befriedigend, da die theoretischen Konzepte nicht ganz passgenau erhoben werden und Dateninformationen verloren gehen. Es erscheint jedoch als bestmögliche Annäherung. Zudem wird bei 169
Da der Anteil politischer Nachrichten am Gesamtprogramm bei den privaten Sendern sehr gering ist und deren Schwerpunkt auf Unterhaltung liegt, wird der Konsum dieser Sender nicht mit in die Messung einbezogen. 170 Auf die Erfassung egozentrierter Netzwerke wurde aus Zeitgründen verzichtet, auch wenn diese theoretisch adäquat gewesen wären (vgl. Wasmer et al. 2010: 28).
6.1 Indikatoren zur Messung der objektiven Kontrollmöglichkeiten
169
allen Personengruppen (Kooperativen und Verweigerern) der gleiche Indikator verwendet, so dass auftretende Unterschiede zumindest einen Hinweis darauf geben können, dass soziale Ressourcen die Kooperationsentscheidung beeinflussen (vgl. Gabriel et al. 2002: 45; van Deth/Kreuter 1998). Die soziale Einbindung einer Person wird über die Häufigkeit sozialer Kontakte gemessen. Dazu wird erhoben, wie viel Zeit mit anderen Menschen im Verein, Club oder einer freiwilligen Organisation, mit Arbeitskollegen außerhalb des Arbeitsplatzes bzw. mit Freunden verbracht wird. Für jede der Kontaktformen wird gefragt, ob man dies täglich, einmal pro Woche, einmal pro Monat, seltener oder nie tue. Anschließend wird aus diesen Informationen ein Index gebildet. Die verfügbare Zeit als drittes Merkmal objektiver Kontrollmöglichkeiten zu operationalisieren ist ein schwieriges Unterfangen: Zeitressourcen sind an der Schnittstelle zwischen objektiver und subjektiver Verhaltenskontrolle anzusiedeln. Ob eine Zielperson „genügend“ Zeit besitzt, ist nur begrenzt von objektiv messbaren Merkmalen, sondern stark von der eigenen subjektiven Einschätzung und vom individuellen Zeitmanagement einer Zielperson abhängig. Man kennt dies aus der psychologischen Stressforschung, die nachweist, dass subjektive Interpretationen für die Auswirkungen von knappen Zeitbudgets als Stress entscheidend sind (vgl. etwa Antoni/Bungard 1989: 434f.). Man kann jedoch annehmen, dass bestimmte Faktoren existieren, die die Wahrscheinlichkeit, ein objektiv knappes Zeitbudget zu haben, erhöhen. Dazu zählt in besonderem Maße die Erwerbstätigkeit. Eine in Vollzeit arbeitende Person besitzt ein geringeres Zeitbudget als eine nur in Teilzeit oder gar nicht erwerbstätige Person. Für das Modell bedeutet dies, dass eine Vollzeiterwerbstätigkeit die Wahrscheinlichkeit einer Teilnahme verringern sollte, da damit ein geringeres freies Zeitbudget einhergeht. Selbstverständlich können auch andere Faktoren, wie z.B. die Kinderzahl oder das Ausmaß freiwilligen Engagements, die frei verfügbare Zeit einer Zielperson beeinflussen. Da jedoch nur eine gewisse Befragungszeit zur Verfügung steht und die Anzahl der möglichen Items begrenzt war, da zudem für den Faktor Zeit aufgrund des zuvor ausgeführten flexiblen Designs nur geringe Effekte angenommen werden, wurde an dieser Stelle auf weitere Indikatoren verzichtet. Für das freiwillige Engagement wird angenommen, dass dieses im Modell bereits im Bereich der sozialen Ressourcen über die Integration mit kontrolliert wird. Sollten bei der Analyse die sozialen Ressourcen einen negativen anstatt des erwarteten positiven Effekts aufzeigen, wird vermutet, dass dieser über das damit verbundene knappe Zeitbudget vermittelt ist.
170
6 Operationalisierung
Tabelle 1: Die Indikatoren zur Messung der objektiven Kontrollmöglichkeiten Bereich
Konzept Bildung
kognitiv: Wissen
politische Informiertheit
soziale Integration
sozial: Kommunikation und Organisation Aktivität in Netzwerken
Zeit
Erwerbstätigkeit
Indikator formale Bildung: „Welches ist Ihr höchster erreichter Schulabschluss?“ Index aus öffentlich-rechtlichem Nachrichtenkonsum und Tageszeitung lesen: „An wie vielen Tagen sehen Sie im Allgemeinen Nachrichtensendungen von ARD und ZDF?“ „Und an wie vielen Tagen in der Woche lesen Sie im Allgemeinen eine Tageszeitung?“ Häufigkeit: Zeit mit Menschen im Verein/Klub/Freiwilligenorganisation verbringen; mit Arbeitskollegen außerhalb des Arbeitsplatzes verbringen; mit Freunden verbringen. Index: Vereinsmitgliedschaft in Kultur-, Musik-, Theater- oder Tanzverein; Sportverein; Sonstige Hobbyvereinigung; Wohltätigkeitsverein oder karitative Organisation; Friedensoder Menschenrechtsorganisationen; Umwelt-, Natur- oder Tierschutzorganisationen; Verein/Organisation im Gesundheitsbereich, Selbsthilfegruppe; Elternorganisation; Verein für Pensionierte, Rentner, Seniorenverein; Bürgerinitiative. hauptberufliche Erwerbstätigkeit, ganztags; hauptberufliche Erwerbstätigkeit, halbtags; nebenher/nicht erwerbstätig.
Quelle: Eigene Darstellung.
6.2 Die Indikatoren zur Messung der subjektiv wahrgenommenen Verhaltenskontrolle Nicht nur die objektiven Kontrollmöglichkeiten, sondern auch das Selbstbild eines Individuums trägt zur Entscheidung zwischen Kooperation oder Verweigerung bei. Ein Individuum muss glauben, eine Handlung ausführen zu können. Innerhalb der Theorie geplanten Verhaltens wirkt sich das Selbstbild über das Konzept der wahrgenommenen Kontrollerwartung aus. Es wird vermutet, dass mit zunehmendem politischen Kompetenzbewusstsein und zunehmendem politischen Wissen der
6.3 Indikatoren für Einstellungen zur Teilnahme an einer pol. Befragung
171
Glaube, an einer politischen Befragung teilnehmen zu können, ansteigt. Zu deren Messung wird zum einen auf das subjektive politische Wissen sowie auf das Konzept der internen politischen Efficacy rekurriert. Um die Einschätzung der Zielpersonen über ihr politisches Wissen zu erfragen, wurden sie gebeten anzugeben, wie sie zu der Aussage „Im Allgemeinen weiß ich eher wenig über Politik“ stehen. Das subjektive politische Kompetenzgefühl, d.h. die interne politische Efficacy, wird über klassische ALLBUS-Indikatoren erhoben: Inwiefern traut sich eine Person zu, „in einer Gruppe, die sich mit politischen Fragen befasst, eine aktive Rolle zu übernehmen“ und wie sehr lehnt sie die Aussage „Die ganze Politik ist so kompliziert, dass jemand wie ich gar nicht versteht, was vorgeht“ ab. Auf diese Weise wird nicht das allgemeine Selbstbewusstsein der Zielpersonen abgefragt und auch kein Bezug zum Selbstbewusstsein hinsichtlich einer Umfrageteilnahme im Allgemeinen hergestellt, sondern spezifisch auf den politischen Bereich Bezug genommen. Variablen, die geeignet wären allgemeine Persönlichkeitsmerkmale171 abzufragen (z.B. Extraversion), um allgemeinere Aussagen über die wahrgenommene Verhaltenskontrolle zu treffen, sind im Datensatz nicht enthalten. Daher können sie auch nicht mit herangezogen werden. Tabelle 2: Die Indikatoren zur Messung der subjektiven Kontrollmöglichkeiten Bereich
wahrgenommene Verhaltenskontrolle
Konzept
interne Efficacy
politisches Wissen
Indikator „Ich traue mir zu, in einer Gruppe, die sich mit politischen Fragen befasst, eine aktive Rolle zu übernehmen.“ „Die ganze Politik ist so kompliziert, dass jemand wie ich gar nicht versteht, was vorgeht.“ (umgepolt) Ablehnung der Aussage: „Im Allgemeinen weiß ich eher wenig über Politik.“
Quelle: Eigene Darstellung.
6.3 Die Indikatoren zur Messung der Einstellung gegenüber der Teilnahme an einer politischen Befragung Neben den bislang genannten subjektiv wahrgenommenen und objektiv vorhandenen Ressourcen sind weitere Orientierungen und generalisierte Einstellungen für die Bildung einer spezifischen Einstellung gegenüber der Teilnahme – und damit für die Handlungsentscheidung des Individuums – relevant. Dazu zählen politische und soziale sowie Umfrageeinstellungen. Sowohl aus forschungspraktischen als auch aus inhaltlichen Gründen konnte nicht das gesamte Spektrum aller potenziell
171
Persönlichkeitsmerkmale sind in der Regel nur über sehr aufwändige Skalen annähernd adäquat zu messen.
172
6 Operationalisierung
relevanten Indikatoren integriert werden, um die Einstellungen der Zielpersonen gegenüber den drei Bereichen umfassend abzubilden. Bei der Messung der allgemeinen Umfrageeinstellung kam die Überlegung hinzu, dass direkte Fragen zur Bewertung von Umfragen zwar vielleicht einen Erklärungsbeitrag für die Teilnahme an einer Befragung im Allgemeinen leisten können. Gleichzeitig wurde aber angenommen, dass diese Merkmale für die explizit inhaltliche Frage: „Wie unterscheiden sich Teilnehmer und Nicht-Teilnehmer in Studien mit politikwissenschaftlichen Fragestellungen im Hinblick auf ihre politischen Einstellungen und Verhaltensweisen?“ weniger relevant sind. Aus diesem Grund wurde bewusst auf einen Teil der Fragen zur allgemeinen Umfrageeinstellung (z.B. zum Interesse an Umfragen, zum Spaß beim Ausfüllen, zur Erfahrung mit Umfragen) verzichtet. In die Analyse einbezogen wurde lediglich die Einstellung der Zielpersonen gegenüber Partizipationsnormen, um eine allgemeine Einschätzung der Einstellung gegenüber politischer und gesellschaftlicher Beteiligung zu erhalten. Zudem wurde auf das Konzept der externen politischen Efficacy rekurriert. Dieses ermöglicht eine Annäherung an die Einschätzung der Relevanz von Umfragen. Damit werden auch im Bereich der Umfrageeinstellung diejenigen Indikatoren ausgewählt, die in vielen anderen politikwissenschaftlichen Forschungskontexten vertreten sind. In welcher Art und Weise für diese beiden Konzepte Effekte angenommen werden, soll im Folgenden kurz begründet werden. Es wird vermutet, dass Personen, die Partizipationsnormen einen hohen Wert zuschreiben, eher an Befragungen teilnehmen als Personen, die einer aktiven Beteiligung skeptisch gegenüberstehen. Um die Nähe einer Zielperson zu Beteiligungsnormen zu operationalisieren, wurde auf das – nicht unproblematische – Wertekonzept von Inglehart zurückgegriffen und angenommen, dass Postmaterialisten Beteiligungswerte höher schätzen als Materialisten. Das Konzept wird in der Forschung kritisiert, weil sowohl die theoretische Fundierung als auch die Reliabilität und Validität des Messinstruments von Inglehart einige Schwachstellen aufzeigen (vgl. neben vielen anderen Klein 1995; Klages 1992). Da der Inglehart-Index hier aber nicht verwendet wird, um explizit materialistische oder postmaterialistische Werthaltungen zu erheben, sondern lediglich, um eine Nähe zu Beteiligungswerten zu messen, ist es durchaus zweckmäßig, ihn zu integrieren. Postmaterialisten geben an, dass ihnen die Werte, die Bürger sollten „mehr Einfluss […] auf die Entscheidungen der Regierung“ haben und „Schutz des Rechts auf freie Meinungsäußerung“ sehr wichtig sind. Beide Aussagen erfüllen in diesem Zusammenhang ihren Zweck: Sie drücken eine inhaltliche Nähe zu demokratischen Beteiligungsnormen aus.172
172
Die Integration des Inglehart-Indexes erscheint zudem geeignet, da er – unabhängig von der aufgezeigten Kritik – immer noch in zahlreichen politikwissenschaftlichen Studien als unabhängige oder abhängige Variable enthalten ist. Aus diesem Grund kann ein Vergleich von Respondenten und Nonrespondenten zeigen, inwiefern hierbei Verzerrungen auftreten können.
6.3 Indikatoren für Einstellungen zur Teilnahme an einer pol. Befragung
173
Um zu messen, wie relevant eine Zielperson politische Umfragen einschätzt, wird auf das Konzept der externen politischen Efficacy Bezug genommen. Darunter wird die antizipierte Responsivität des politischen Systems verstanden, d.h. die wahrgenommene Chance der Bürger, auf politische Prozesse Einfluss nehmen zu können. Bei der externen Efficacy handelt es sich um eine Einstellung an der Schnittstelle zwischen Umfrageeinstellung und politischer Einstellung. Als Hilfsannahme wird vermutet, dass ein hohes Maß externer politischer Efficacy eine Voraussetzung dafür ist, dass man annimmt, mit der Teilnahme an einer Umfrage etwas bewegen zu können. Ursprünglich wurde das Konzept der Efficacy bereits in einer frühen Studie von Campbell et al. (1954) eingesetzt, dort jedoch noch eindimensional betrachtet: Politische Efficacy wurde dabei als das Gefühl definiert, „that political and social change is possible, and that the individual citizen can play a part in bringing about this change“ (Campbell et al. 1954: 191). Seit einer Studie von Balch (1974) konnte die – zuvor nur theoretisch formulierte – Annahme zweier unterschiedlicher Dimensionen empirisch belegt werden. Interne politische Efficacy bezieht sich dabei, wie im vorangegangenen Abschnitt erläutert, auf das Selbstbild einer Person; externe politische Efficacy bezieht sich hingegen auf die Wahrnehmung des politischen Systems und damit auf die Frage, ob das Individuum annimmt, das System würde auf seine (politische) Aktivität reagieren (vgl. Vetter 1997a, 1997b). Damit verbunden ist dann auch die Annahme, dass Umfragen für den politischen Bereich von Bedeutung sind. Mit welchen Indikatoren das Konzept letztlich erhoben wird, ist nicht unumstritten. Es existieren einerseits klassische Indikatoren des Efficacy-Konzepts, andererseits neuere Indikatoren, die in der Forschung diskutiert werden. Zudem ist die Zuordnung einzelner Indikatoren zu den beiden Dimensionen des Konzepts nicht ganz unproblematisch. Einen Überblick über die damit verbundene Diskussion gibt Vetter (1997a: 51ff.). In der vorliegenden Untersuchung wurde auf die klassischen Efficacy-Indikatoren des ALLBUS zurückgegriffen, die in der Trendstudie über die Zeit konstant gehalten wurden. Dazu gehören die drei Aussagen: „Die meisten Politiker interessieren sich in Wirklichkeit gar nicht für die Probleme der einfachen Leute“, „Die Politiker kümmern sich nicht viel darum, was Leute wie ich denken“ und „Die Politiker bemühen sich im Allgemeinen darum, die Interessen der Allgemeinheit zu vertreten“, die in eine Richtung umgepolt und anschließend zu einem einfachen additiven Index zusammengefasst werden. Diese nun erläuterte sparsame Messung der Umfrageeinstellung führt dazu, dass im Modell eventuell relevante erklärende Variablen fehlen. Vergleicht man die ausgewählten Indikatoren mit dem im vierten Kapitel aufgestellten Modell (Kap. 4.5.2, Abb. 9) stellt man fest, dass zwei Konstrukte, deren Einfluss theoretisch diskutiert wurde, empirisch nicht gemessen werden können. Dabei handelt es sich um den Spaß an Umfragen und die Erfahrung mit Umfragen. Zu beiden Merkmalen sind im Datensatz keine geeigneten Indikatoren enthalten, weswegen die damit verbundenen Hypothesen H4.2.3 und H4.2.4 ungeprüft bleiben. In der
174
6 Operationalisierung
Gesamtbetrachtung wirkt sich dies jedoch nicht auf die Schätzung des Einflusses der anderen Determinanten aus, sondern reduziert höchstens die Gesamterklärungskraft des Modells.173 Die politischen Einstellungen wurden ausführlicher als die allgemeine Umfrageeinstellung in den Fragebogen integriert. Auch von ihnen wird theoretisch ein Einfluss auf die Kooperationsbereitschaft angenommen. Sie sind zugleich aus politikwissenschaftlicher Perspektive besonders relevant für diese Studie. Zum einen werden von ihnen Einflüsse auf die Teilnahme an politischen Befragungen angenommen. Zum anderen ist anzunehmen, dass die Konsequenzen, die sich aus potenziellen Verzerrungen bei den politischen Einstellungen aufgrund von Nonresponse ergeben, für die empirische politikwissenschaftliche Forschung von großer Bedeutung sind, weil politische Einstellungen eine wichtige Rolle bei der Erklärung zahlreicher politikwissenschaftlich interessanter Phänomene einnehmen. Politische Einstellungen, von denen ein Einfluss auf die Teilnahmebereitschaft angenommen wird, sind das Institutionenvertrauen und die (Un-) Zufriedenheit mit dem politischen System.174 Auch die bereits im Bereich der Umfrageeinstellung erwähnte externe politische Efficacy könnte man als Einstellung gegenüber dem politischen System mit in die Analyse einbeziehen. Zwar wird damit zunächst die Relevanz von Umfragen abgebildet, man kann sie aber auch als einen Indikator für die Zufriedenheit einer Zielperson mit dem politischen System einsetzen (siehe Abb. 9, Kap. 4.5.2). Zudem wurde das politische Interesse mit in das Modell integriert, bei dem es sich im engeren Sinne nicht um eine Einstellung handelt, da Interesse an sich keine positive oder negative Bewertung eines Objekts enthält. Allerdings kann man argumentieren, dass mit dem Interesse gemessen wird, ob überhaupt Reaktionen auf ein Einstellungsobjekt, in dem hier vorliegenden Kontext bezieht sich das Interesse auf den Bereich des Politischen, existieren. Der Gegenpol zum Interesse wäre Gleichgültigkeit. Interesse beinhaltet, dass Reaktionen auf ein Objekt vorliegen, die dann sowohl positiv als auch negativ ausgeprägt sein können. 173 Empirisch lässt sich zeigen, dass das Auslassen von erklärenden Variablen in (linearen und logistischen) Regressionsmodellen insbesondere dann zu verzerrten Schätzern führt, wenn die ausgelassene Variable mit den anderen erklärenden Variablen hoch korreliert (für lineare Regressionsmodelle vgl. die mathematische Herleitung z.B. bei von Auer 2005: 248ff.; für logistische Regressionsmodelle vgl. die Simulationsexperimente bei Kühnel 1993: 174ff.). In diesem Fall gibt es eine Verzerrung im Hinblick auf das Komplettmodell. Sind sie unkorreliert, tritt keine oder nur eine geringe Verzerrung auf. Für die Erfahrung mit Umfragen und den erwarteten Spaß bzw. die Abwechslung durch die Teilnahme wird angenommen, dass sie mit den anderen im Modell enthaltenen erklärenden Variablen weitgehend unkorreliert sind. Kühnel (1993: 177) zeigt zudem gleichzeitig, dass die sparsamen Modelle konsistent und erwartungstreu sein können, da ein „Komplettmodell“, so argumentiert er, eher eine theoretische Konstruktion darstellt. Bei der Modellierung gilt es daher immer abzuwägen, ob Variablen notwendig sind oder ob zum Zwecke der Komplexitätsreduktion auf Variablen verzichtet werden kann. Bei einer Modellierung geht es ja gerade darum, die Komplexität der Realität zu reduzieren und nur die wesentlichen Effekte aufzuzeigen. 174 Damit lehnt sich die Operationalisierung an Eastons Konzept politischer Unterstützung, neuere Konzepte der politischen Kulturforschung (vgl. Fuchs 2002; Norris 1999) und die Arbeiten zu politischer (Un-) Zufriedenheit bei Farah et al. (1979) an (vgl. auch Arzheimer 2002: 182).
6.3 Indikatoren für Einstellungen zur Teilnahme an einer pol. Befragung
175
Das politische Interesse wird auf einer fünfstufigen Skala erhoben. Die Zielpersonen sollten angeben, wie stark sie sich für Politik interessieren. Bei der Zufriedenheit mit dem politischen System werden verschiedene Dimensionen unterschieden: Zunächst wurde nach der Zufriedenheit mit der Demokratie als Staatsform gefragt und damit die Bindung an demokratische Werte gemessen (vgl. Fuchs 2002: 37). Zweitens wurde die Zufriedenheit mit der Umsetzung der Demokratie in Deutschland erhoben, da man zwar mit der Idee der Demokratie zufrieden sein, dennoch die konkrete Umsetzung des Modells kritisch betrachten kann (vgl. Fuchs 1997; Völkl 2005: 251). Drittens wurde die Zufriedenheit mit der Performanz, d.h. der Leistung der Bundesregierung, erfragt, um die Unterstützung der Akteure in das Modell einzubinden. Bei anderen Studien wird noch einmal zwischen der Regierungsperformanz und der Unterstützung einzelner Akteure differenziert (vgl. etwa Norris 1999). Da die letztgenannte Dimension zu wenig generalisiert erschien, wurde mit der Unterstützung der Institutionen ein weiterer Aspekt integriert, der sich in seiner Abstraktion zwischen der sehr allgemeinen Frage nach der Regierungsperformanz und der sehr konkreten Frage der Unterstützung einzelner Akteure ansiedeln lässt (vgl. Norris 1999: 10).175 Um das Institutionenvertrauen zu messen, wurden die Zielpersonen gebeten anzugeben, wie sehr sie (jeweils auf einer Skala von 1 bis 7) sieben zentralen Institutionen des politischen Systems der BRD vertrauen. Dabei handelt es sich um den Bundestag, die Bundesregierung, das Bundesverfassungsgericht, die Justiz, die Polizei, die Stadt- und Gemeindeverwaltung sowie politische Parteien. Eine Faktorenanalyse zeigt, dass von den Zielpersonen empirisch keine unterschiedlichen Dimensionen wahrgenommen werden, sondern alle Items hoch auf einen Faktor laden (siehe Anhang, Tab. A36). Daher wurden auch keine unterschiedlichen Vertrauens-Dimensionen berücksichtigt, sondern ein Mittelwert-Index über alle Items gebildet. Neben der Einstellung gegenüber Umfragen und der Einstellung gegenüber dem politischen System können auch soziale Orientierungen die Einstellung einer Zielperson gegenüber der Teilnahme an einer Befragung und damit ihre Teilnahmebereitschaft beeinflussen. Dazu wird in der vorliegenden Studie das Vertrauen in die Mitmenschen analysiert, das sowohl direkt als auch indirekt erhoben wird. Die Zielpersonen sollten dazu ihr Vertrauen in andere Menschen und ihre Angst vor Kriminalität im direkten Wohnumfeld angeben. 175
In der Forschung wird angenommen, dass es sich beim Institutionenvertrauen zunächst um eine Bewertung der politischen Elite handelt. Damit ließe es sich in der Terminologie Eastons als Bewertung der Autoritäten bezeichnen (vgl. Easton 1965b; Craig et al. 1990; Fuchs et al. 2002: 442). Jedoch sprechen empirische Befunde dafür, dass es sich beim Institutionenvertrauen um mehr als die Bewertung der politischen Elite handelt. Verschiedene Autoren argumentieren, dass mit dem Konzept zugleich auch Einstellungen gegenüber dem Regime insgesamt abgefragt werden (vgl. Walter-Rogg 2005: 133; Fuchs et al. 2002: 443). Beim Institutionenvertrauen lassen sich zudem verschiedene Dimensionen unterscheiden: Almond et al. (2000: 39ff.) differenzieren beispielsweise zwischen Entscheidungs- und Implementationsinstitutionen, Walter-Rogg (2005: 141) ergänzt diese dichotome Unterscheidung um das Vertrauen zu den Politikern und den Parteien. Darauf wird jedoch im Folgenden nicht weiter eingegangen.
176
6 Operationalisierung
Tabelle 3: Die Indikatoren zur Messung der Einstellung gegenüber dem Verhalten Bereich
Konzept Partizipationsnormen
Umfragen externe Efficacy
politisches Interesse
Institutionenvertrauen
Politik
Zufriedenheit mit dem politischen System
Gesellschaft
Vertrauen in Mitmenschen
Quelle: Eigene Darstellung.
Indikator Wichtigkeit des Items „Schutz des Rechts auf freie Meinungsäußerung“ „Die meisten Politiker interessieren sich in Wirklichkeit gar nicht für die Probleme der einfachen Leute.“ / „Die Politiker kümmern sich nicht viel darum, was Leute wie ich denken.“ / „Die Politiker bemühen sich im Allgemeinen darum, die Interessen der Allgemeinheit zu vertreten.“ „Wie stark interessieren Sie sich für Politik?“ (5-stufige Skala von „sehr stark“ bis „überhaupt nicht“) additiver Index: Vertrauen in Bundestag, Bundesregierung, Bundesverfassungsgericht, Justiz, Polizei, Stadt-/Gemeindeverwaltung, pol.Parteien „Wie sehr sind Sie grundsätzlich für oder grundsätzlich gegen die Idee der Demokratie?“ „Wie zufrieden oder unzufrieden sind Sie – alles in allem – mit der Demokratie, so wie sie in Deutschland besteht?“ „Wie zufrieden sind Sie – insgesamt betrachtet – mit den gegenwärtigen Leistungen der Bundesregierung?“ „Manche Leute sagen, dass man den meisten Leuten trauen kann. Andere meinen, dass man nicht vorsichtig genug sein kann im Umgang mit anderen Menschen. Was ist Ihre Meinung dazu?“ „Gibt es in der unmittelbaren Nähe zu Ihrem Wohnort – so im Umkreis von einem Kilometer – irgendeine Gegend, wo Sie nachts nicht alleine gehen möchten?“
6.4 Die Indikatoren zur Messung der subjektiven Norm
177
6.4 Die Indikatoren zur Messung der subjektiven Norm Im theoretischen Teil wurde bereits argumentiert, dass soziale Einstellungen nicht nur relevante Orientierungen zur Herausbildung einer Einstellung gegenüber dem Verhalten sind. Sie können zugleich auch über den Pfad der subjektiven Norm das Handeln des Individuums beeinflussen. Damit wird die soziologische Perspektive in das Modell integriert. Unter der subjektiven Norm wird dabei eine antizipierte gesellschaftliche Partizipationsnorm verstanden, d.h. die Annahme einer Zielperson, ihr soziales Umfeld erwarte eine Teilnahme und würde eine Nicht-Teilnahme negativ sanktionieren. Die wahrgenommene innere Verpflichtung, etwas für die Gesellschaft tun zu wollen, wird in dieser Studie zunächst über ein klassisches Item aus der Wahlforschung gemessen, die Wahlnorm. Die Hilfsannahme ist, dass die Wahlnorm auch das allgemein empfundene Pflichtgefühl des Individuums gegenüber der Gesellschaft widerspiegelt. Zudem wurde im theoretischen Teil bereits ausgeführt, dass angenommen wird, dass das Gefühl der Pflicht gesellschaftlicher Beteiligung bei denjenigen, die der Gesellschaft nahe stehen, ausgeprägter ist als bei Personen, die von der Gesellschaft entfremdet sind. Aus diesem Grund wird auch der Grad an Distanz bzw. Nähe einer Zielperson gegenüber der Gesellschaft als Indikator zur Messung des verinnerlichten Pflichtbewusstseins herangezogen. Dazu wird die Entfremdung einer Zielperson vom gesellschaftlichen System gemessen. Die Zielpersonen werden gebeten, ihre Einstellung zum Umgang der Menschen miteinander in der Gesellschaft einzuschätzen; sie sollen angeben, inwieweit sie der Meinung sind, man könne es noch verantworten, Kinder auf die Welt zu bringen und sollen ihre Einstellung gegenüber der Aussage „Egal, was manche Leute sagen, die Situation der einfachen Leute wird nicht besser, sondern schlechter“ auszudrücken. Aus den drei Items wird ein additiver Index zur Messung der Anomie176 gebildet.177 Auf diese Weise kann gemessen werden, ob die Zielpersonen ein eher optimistisches oder ein eher pessimistisches Bild von der Zukunft der Gesellschaft haben und ob sie sich eher integriert oder entfremdet fühlen. Schließlich wurde argumentiert, dass die Wahrnehmung der eigenen ideologischen Position im Vergleich zum Wertesystem der Gesamtgesellschaft die Teilnahmebereitschaft beeinflusst. Daraus resultiert die Annahme, dass Menschen mit extremen politischen Einstellungen eine Teilnahme an einer politischen Befragung eher verweigern (H5.4). Wie bereits im theoretischen Teil ausgeführt, wird hierbei 176
Die Begriffe Anomie und Anomia werden aus pragmatischen Gründen synonym verwendet, auch wenn sich die Autorin bewusst ist, dass beide Begriffe in der Forschung leichten Differenzierungen unterliegen. 177 Srole (1956: 712f.) arbeitet in seiner Studie fünf Items zur Messung der Anomie, oder „Anomia“, wie er sie bezeichnet, heraus. Die ersten beiden, politische Machtlosigkeit und das Gefühl, die Zukunft sei unvorhersehbar, werden in dieser Studie jedoch nicht mit berücksichtigt. Bei der ersten Dimension wird eine inhaltliche Überschneidung mit dem Konzept der politischen Efficacy angenommen, die zweite erscheint deckungsgleich zur vierten Dimension, der Einschätzung der Zukunft. Daher werden nur die von Srole als dritte bis fünfte Dimension bezeichneten Indikatoren zur Messung von Anomie einbezogen (vgl. Srole 1956: 713).
178
6 Operationalisierung
insbesonders für rechtsextreme Einstellungen angenommen, dass sie die Teilnahmebereitschaft beeinflussen, da in der Bundesrepublik Deutschland hiergegen ein breiter gesellschaftlicher Konsens wahrgenommen wird. Zur Messung rechtsextremer Einstellungen wird die Mainzer Rechtsextremismusskala verwendet (vgl. Falter 1994: 136ff.). Gleichzeitig könnten natürlich auch Menschen mit linksextremen Einstellungen sich selbst als weit entfernt von der gesellschaftlichen Wertebasis empfinden. Um auch diese Überlegung einzubeziehen, wurde die ideologische Position der Zielpersonen als Selbsteinschätzung auf der Links-Rechts-Achse erhoben. Damit moderate von extremen Einstellungen unterschieden werden können, wurde das arithmetische Mittel aller Befragten als moderate Einstellung betrachtet, für jede Zielperson wurde dann die Entfernung von diesem Mittelwert berechnet. Insgesamt wird damit zur Erklärung von Kooperation und Verweigerung ein sparsames Modell aufgestellt. Problematisch ist, dass nicht alle relevanten Konstrukte ideal gemessen werden können. Gewisse Dimensionen, etwa im Bereich der Umfrageeinstellung, können nicht mit modelliert werden, da geeignete Indikatoren im Datensatz fehlen. Dies schränkt die kausalanalytische Interpretation des Erklärungsmodells ein. Gleichzeitig muss man jedoch festhalten, dass jede Modellierung eine Komplexitätsreduzierung der Tatsachen vornimmt und nie alle Facetten potenzieller Determinanten einer Handlung erfasst werden können. Die nun ausgewählten Indikatoren bieten eine gute Annäherung an die theoretischen Konstrukte innerhalb des Erklärungsmodells.
6.5 Die Messung des politischen Partizipationsniveaus
179
Tabelle 4: Die Indikatoren zur Messung der subjektiven Norm Bereich
Konzept geteilte Normen und Werte
Anomie/Entfremdung
Einstellung gegenüber der Gesellschaft
extreme Einstellungen
Indikator Wahlnorm: „In der Demokratie ist es die Pflicht jedes Bürgers, sich regelmäßig an den Wahlen zu beteiligen.“ „Egal was manche Leute sagen, die Situation der einfachen Leute wird nicht besser, sondern schlechter.“ „So wie die Zukunft aussieht, kann man es kaum noch verantworten, Kinder auf die Welt zu bringen.“ „Die meisten Leute kümmern sich in Wirklichkeit gar nicht darum, was mit ihren Mitmenschen geschieht.“ Rechtsextremismusskala: Grad der Zustimmung zu „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein.“; „Wir sollten endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl haben.“; „Unter bestimmten Umständen ist eine Diktatur die bessere Staatsform.“; „Der Nationalsozialismus hatte auch seine guten Seiten.“; „Ohne die Judenvernichtung würde man Hitler heute als einen großen Staatsmann ansehen.“; „Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet.“; „Ausländer sollten grundsätzlich ihre Ehepartner unter ihren eigenen Landsleuten auswählen.“; „Auch heute noch ist der Einfluss von Juden zu groß.“; „Die Juden haben einfach etwas Besonderes und Eigentümliches an sich und passen daher nicht so recht zu uns.“; „Anschläge auf Asylbewerberheime kann ich gut verstehen.“ Links-Rechts-Selbsteinschätzung
Quelle: Eigene Darstellung.
6.5 Die Messung des politischen Partizipationsniveaus Im Common Cause-Modell (siehe Kap. 4.6) wurde angenommen, dass politische Partizipation und die Teilnahme an Umfragen von ähnlichen Hintergrundvariablen beeinflusst werden. Aus diesem Grund wäre dann auch die Messung politischer Partizipation von Verzerrungen durch Nonresponse betroffen (vgl. Voogt/Saris 2003). Um diese Frage empirisch untersuchen zu können, muss auch das Konzept der politischen Partizipation möglichst umfassend operationalisiert werden. In An-
180
6 Operationalisierung
lehnung an die Definition von Kaase/Marsh (1979: 42), Verba/Nie (1972: 2) oder auch Kaase (1997: 160) wurde politische Partizipation als freiwillige intentionale Handlung definiert (vgl. bereits Kap. 4.4). Damit werden nur solche Tätigkeiten als politische Partizipation untersucht, bei denen man annimmt, die Bürger handelten, um politische Entscheidungen dadurch bewusst zu beeinflussen (siehe allgemein zum Begriff der Partizipation van Deth 1997; Schlozman 2002). Innerhalb dieser Definition lassen sich verschiedene Dimensionen politischer Partizipation herausarbeiten. Zu Beginn der Partizipationsforschung in den 1960er Jahren dominierte eine eindimensionale Strukturvorstellung von politischer Beteiligung: Besonders Milbrath (1965: 20) verdeutlicht mit der Partizipationspyramide dieses hierarchische und kumulative Partizipationsverständnis. Bei der Aufstellung verschiedener Beteiligungsmöglichkeiten wurde angenommen, dass derjenige, der sich auf einer höheren Stufe beteiligt, auch alle darunterliegenden Aktivitäten ausfüllt. So unterschied Milbrath Inaktive, Zuschauer (die etwa wählen, politische Stimuli nutzen, Geld spenden oder Veranstaltungen besuchen) und Gladiatoren (die in Parteien aktiv sind, für Ämter kandidieren oder auch Spenden sammeln) (vgl. Milbrath/Goel 1977: 17). Diejenigen, die in politischen Parteien mitarbeiten, würden in dieser Vorstellung auch Geld spenden und wählen gehen. Anders formuliert steigt der Grad des Engagements in dieser Vorstellung mit der Ausübung verschiedener Formen des Engagements. Diese Vorstellung wandelte sich jedoch. Verba/Nie konstatieren: „There are many types of gladiators engaging in different acts with different motives and different consequences” (Nie/Verba 1975: 7). Neuere Modelle politischer Partizipation sind daher differenzierter und gehen von mehreren Dimensionen aus, die getrennt voneinander untersucht werden können. Im Vergleich zum Pyramidenmodell übt nicht jedes Mitglied, das eine Aktivität ausführt, auch automatisch die darunterliegenden Aktivitäten aus. Deshalb ist an der Art der Partizipation auch nicht direkt der Grad der Partizipation abzulesen. In der moderneren Partizipationsforschung werden meist konventionelle und unkonventionelle Formen politischer Partizipation unterschieden (vgl. Barnes/Kaase u.a. 1979; Jennings/van Deth u.a. 1990; siehe auch Muller 1979; Norris 2002; Parry et al. 1992; Uehlinger 1988; Verba et al. 1995). Das zentrale Abgrenzungskriterium ist dabei die Legitimität einer Aktivität. Diese kann sich jedoch über die Zeit verändern. Ein Beispiel dafür ist die Teilnahme an Demonstrationen. Während diese Form in den 1960er und 1970er Jahren noch in den Bereich der unkonventionellen Partizipation gefallen wäre, handelt es sich bei der Teilnahme an Demonstrationen heute um ein höchst konventionelles Mittel, politisch Einfluss zu nehmen. Andere Studien trennen wiederum zwischen legalen und illegalen Partizipationsformen und orientieren sich damit nicht an der Legitimität, sondern an der Legalität als Abgrenzungskriterium. Schließlich wird in der Partizipationsforschung aus theoretischer Perspektive meist noch zwischen hoch institutionalisierten elektoralen und nicht-elektoralen Partizipationsformen unterschieden.
6.5 Die Messung des politischen Partizipationsnicveaus
181
Für die hier vorliegende Studie wird sowohl eine theoretisch begründete als auch eine empirische Unterscheidung der Dimensionen politischer Partizipation vorgenommen. Zunächst wird aus theoretischen Gründen die Wahlbeteiligung von den anderen Formen politischer Partizipation getrennt untersucht. Sie unterscheidet sich von den anderen Formen bürgerlicher Beteiligung. Wahlen sind, wie bereits ausgeführt, in demokratischen Systemen hochgradig institutionalisiert. Wählen ist die verbreitetste Form, politisch Einfluss zu nehmen. Anders als die anderen freiwilligen Aktivitäten wird die Wahlteilnahme zudem von einem Großteil der Bevölkerung als Bürgerpflicht wahrgenommen (vgl. Verba et al. 1995: 48). Ein weiteres Argument, das für eine getrennte Analyse der Wahlbeteiligung spricht, ist ein forschungspraktisches und liegt in den Möglichkeiten der Erkenntnis für die Wahlforschung. Wie bereits zuvor ausgeführt, wird der Anteil der Nicht-Wähler an der Gesamtbevölkerung in vielen Studien aus dem Bereich der Wahlforschung unterschätzt (vgl. Bolstein 1991; Brehm 1993: 138; Clausen 1968; Kleinhenz 1995). Dieses Phänomen wäre erklärbar, wenn es einen Zusammenhang zwischen der Wahlbeteiligung und der Umfrageteilnahme gibt. Zur Messung der Wahlteilnahme stehen zwei Indikatoren zur Verfügung. Zum einen wurde gefragt, ob die Zielperson bei der letzten Bundestagswahl 2005 gewählt hat. Wenn ja, wurde die Parteiwahl erhoben, d.h. die Partei, die mit der Zweitstimme gewählt wurde. Wenn eine Zielperson nicht gewählt hat, wurde nach Gründen für die Nichtwahl gefragt. Daneben wurde die klassische Sonntagsfrage gestellt, d.h. gefragt, welche Partei die Zielperson wählen würde, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahlen wären. Bivariat werden beide Indikatoren ausgewertet. Der erste Indikator ist aufgrund der Gründe für eine potenzielle Nichtwahl interessant. Da die Befragung im Jahr 2008 stattfand und damit zeitlich drei Jahre nach der letzten Bundestagswahl 2005 angesiedelt ist, wird angenommen, dass bei der Recallfrage zur Wahlentscheidung 2005 Messfehler zu erwarten sind (vgl. Falter et al. 1992: 15; Schoen/Kaspar 2009: 159ff.). Daher wurde, konsistent zur Theorie geplanten Verhaltens, nicht auf die tatsächliche Handlung Bezug genommen, sondern die Handlungsintention für die näher liegende kommende Wahl integriert. Über die Sonntagsfrage lässt sich (indirekt) sowohl die Wahlbeteiligung als auch die Parteiwahl messen. Auf diese Weise können sowohl die Wähler der großen als auch die Wähler der kleinen Parteien getrennt voneinander analysiert werden. Zusätzlich wurde offen abgefragt, ob man eine andere Partei wählen würde und falls ja, welche, um auch die Wähler kleinerer Splitterparteien und extremer Parteien analysieren zu können. Es sollen jedoch nicht nur elektorale Partizipationsformen untersucht werden. Aus diesem Grund wurde eine Liste weiterer Aktivitäten in den Fragebogen aufgenommen, um die Teilnahme der Befragten an weiteren Formen politischer Partizipation zu messen. Zu diesen sollten die Zielpersonen jeweils angeben, ob sie sich dieser Formen bedienen würden, und ob sie sich dieser Formen schon einmal be-
182
6 Operationalisierung
dient haben, um politisch Einfluss zu nehmen.178 Um zu analysieren, ob hinter den verschiedenen Partizipationsformen verschiedene Dimensionen liegen, wurde eine Hauptkomponentenanalyse gerechnet, die drei verschiedene Dimensionen ergibt.179 Eine Komponente lässt sich als „aktives Engagement im öffentlichen Bereich“ bezeichnen, wozu z.B. die Mitarbeit in einer Partei oder Bürgerinitiative gehören. Eine zweite Dimension bezieht sich auf „privates politisches Engagement“, wenn man seine Meinung am Arbeitsplatz oder im Bekanntenkreis äußert oder beim Einkaufen aus politischen, ethischen oder Umweltgründen Waren boykottiert. Die dritte Dimension beinhaltet den „Protestgedanken“ politischer Partizipation. Darauf laden beispielsweise die Teilnahme an einer nicht genehmigten Demonstration oder auch das Protestwahlverhalten. Für diese Dimensionen politischer Partizipation, d.h. die Wahlbeteiligung bzw. Parteiwahl auf der einen Seite und die drei eben benannten Faktoren auf der anderen Seite, wird anschließend in der empirischen Analyse untersucht, ob Unterschiede zwischen Kooperativen und Verweigerern auftreten. Anschließend wird versucht, diese auf der Basis des Common CauseModells zu erklären.
178
Bei diesen Partizipationsformen handelt es sich um die folgenden zwölf Tätigkeiten: „seine Meinung sagen, im Bekanntenkreis und am Arbeitsplatz“, „sich an Wahlen beteiligen“, „sich in Versammlungen an öffentlichen Diskussionen beteiligen“, „Mitarbeit in einer Bürgerinitiative“, „in einer Partei aktiv mitarbeiten“, „Teilnahme an einer nicht genehmigten Demonstration“, „Teilnahme an einer genehmigten Demonstration“, „sich aus Protest nicht an Wahlen beteiligen“, „aus Protest einmal eine andere Partei wählen als die, der man nahesteht“, „Beteiligung an einer Unterschriftensammlung“, „aus politischen, ethischen oder Umweltgründen Waren boykottieren oder kaufen“, „sich an einer Online-Protestaktion beteiligen“. Über die Frage: „Wenn Sie politisch in einer Sache, die Ihnen wichtig ist, Einfluss nehmen und Ihren Standpunkt zur Geltung bringen wollten: Welche der folgenden Möglichkeiten würden Sie nutzen? Und: Was davon haben Sie selbst schon gemacht?“ wird der intentionale Aspekt politischer Partizipation betont. Gleichzeitig wird zwischen einer Beteiligungsabsicht und dem berichteten Verhalten unterschieden. Für die anschließende Analyse wird auf die Beteiligungsabsicht zurückgegriffen, da nach der Theorie geplanten Verhaltens hierauf ein direkter Einfluss der Determinanten angenommen wird. 179 Es wurde eine Hauptkomponentenanalyse gerechnet, da das Ziel der Analyse eine „möglichst umfassende Reproduktion der Datenstruktur durch möglichst wenige Faktoren“ (Backhaus et al. 2006: 292) war. Eine Hauptachsenanalyse interpretiert die Korrelationen kausal und beantwortet die Frage, was die Ursache für die hohen Ladungen der Variablen ist. Beide Verfahren unterscheiden sich nicht in dem dahinter liegenden iterativen Verfahren, sondern nur in ihrem Umgang mit den Kommunalitäten. Rein rechnerisch ergeben beide Verfahren in diesem Fall zudem identische Faktoren.
6.5 Die Messung des politischen Partizipationsnicveaus
183
Tabelle 5: Hauptkomponentenanalyse zur Intention Politischer Partizipation Rotierte Komponentenmatrix Seine Meinung sagen, im Bekanntenkreis und am Arbeitsplatz Sich an Wahlen beteiligen Sich in Versammlungen an öffentlichen Diskussionen beteiligen Mitarbeit in einer Bürgerinitiative
Faktor 1: öffentlich
Faktor 2: privat
Faktor 3: Protest
,67 ,68
-,31
,65 ,72
In einer Partei aktiv mitarbeiten ,70 Teilnahme an einer nicht genehmigten De,48 ,31 monstration Teilnahme an einer genehmigten Demonstra,54 ,32 tion Sich aus Protest nicht an Wahlen beteiligen ,74 Aus Protest einmal eine andere Partei wählen ,45 ,39 als die, der man nahesteht Beteiligung an einer Unterschriftensammlung ,30 ,61 Aus politischen, ethischen oder Umweltgrün,51 ,33 den Waren boykottieren oder kaufen Sich an einer Online-Protestaktion beteiligen ,43 ,32 Quelle: Eigene Berechnungen. DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). Hauptkomponentenanalyse; Varimax-Rotation mit Kaiser-Normalisierung; 5 Iterationen. KMO: 0,82; Bartlett-Test p<0.001. Erklärte Gesamtvarianz: 46,6%. Koeffizienten<0.3 werden nicht angezeigt.
Aufgrund der nun genauer spezifizierten empirischen Restriktionen und Kompromisse ergeben sich Modifizierungen des theoretischen Modells. Abbildung 14 verdeutlicht diese. In den eckigen Formen sind die Indikatoren abgebildet. Der Einfachheit halber wurden die theoretischen Konstrukte (objektive und subjektive Kontrollmöglichkeit, Einstellung gegenüber dem Verhalten, subjektive Norm) nicht noch einmal extra aufgezeichnet. Das bedeutet zugleich, dass es sich bei den Pfeilen selbstverständlich nicht um direkte Kausalpfade, sondern lediglich um vermutete Wirkungsrichtungen handelt.
184
6 Operationalisierung
Abbildung 14: Das modifizierte Gesamtmodell Pol. Interesse Vertrauen in Institutionen Zufriedenheit mit dem politischen System Externe Efficacy Beteiligungsnormen
Intention: politische Partizipation pol. Interesse/ Einstellungen ggü. Politik
Einstellungen ggü. Umfragen
Handlungsentscheidung: Kooperation / Verweigerung
Wahlnorm Interpersonales Vertrauen
Einst. ggü. der Gesellschaft
Anomie Extreme pol.Einstell.
Selbstbild
Interne Efficacy Pol. Wissen
Quelle: Eigene Darstellung.
kognitive Ressourcen
soziale Ressourcen
ZeitRessourcen
Bildung
soziale Integration
Erwerbstätigkeit
pol. Informiertheit
Aktivität in Netzwerken
6.5 Die Messung des politischen Partizipationsniveaus
185
7 Empirische Analyse
In diesem Kapitel werden die Ergebnisse der empirischen Analyse erläutert. Zunächst sollen dazu die Ausschöpfungsquoten auf den einzelnen Erhebungsstufen des ALLBUS und der dazugehörigen Nonresponse-Studie dargestellt und diskutiert werden. Auf diese Weise wird untersucht, ob der Einsatz der Designmerkmale eine Wirkung entfaltet hat und ob durch die Veränderung der Befragungsbedingungen auch Personen, die zunächst nicht befragungsbereit waren, doch noch von einer Teilnahme überzeugt werden konnten. Dies ist die Voraussetzung, um anschließend die erste Forschungsfrage zu beantworten: Unterscheiden sich Teilnehmer und Nicht-Teilnehmer der vorliegenden Befragung zu politischen Einstellungen und Verhalten? Falls ja, welche Merkmale sind dann von diesen Unterschieden betroffen? Dazu wird im ersten Schritt analysiert, bei welchen der untersuchten Merkmale sich Teilnehmer von Nicht-Teilnehmern unterscheiden. In einem zweiten Schritt wird untersucht, inwiefern das zuvor entwickelte theoretische Modell zur Erklärung dieser Unterschiede beitragen kann. Das Forschungsdesign und die resultierenden Daten ermöglichen, wie bereits im fünften Kapitel (siehe Abb. 13) ausgeführt, zwei Untersuchungsstrategien: Zunächst lässt sich analysieren, wie sich die Gesamtzusammensetzung einer Studie verändert, wenn die Ausschöpfung deutlich ansteigt und mehr Personen erreicht werden, die unter Normalbedingungen Nonrespondenten wären. Dabei werden die Merkmalsverteilungen des regulären ALLBUS mit denen des ALLBUS+ verglichen und die Unterschiede erfasst, die sich inhaltlich aus der deutlich höheren Ausschöpfung ergeben. In dieser ersten, stärker deskriptiven Analyse wird noch nicht zwischen Verweigerern, Nicht-Erreichten, Nicht-Befragbaren oder sonstigen Ausfällen unterschieden. Das Ziel ist dabei auch (noch) nicht, das Handeln von Individuen zu erklären. Es geht vielmehr darum, auf der „Makroebene“ die Konsequenzen unterschiedlicher Ausschöpfungen aufzuzeigen und zu diskutieren, ob und inwiefern sich Teilnehmer und Nicht-Teilnehmer einer Studie unterscheiden (H1.1). Aus forschungspraktischer Sicht kann damit überprüft werden, ob es sich „lohnt“; die Ausschöpfung einer Umfragestudie derart zu erhöhen und zu welchen Konsequenzen dies führt. Für den regulären ALLBUS werden dabei nur Interviews herangezogen, die aus der Ausgangsstichprobe generiert wurden.180 180
Dies wird an dieser Stelle erwähnt, weil der in dieser Arbeit verwendete ALLBUS-Datensatz damit leichte Abweichungen zur veröffentlichten ALLBUS-Version aufweist, die auf der Website von GESIS heruntergeladen werden kann. Da im ALLBUS eine bestimmte Fallzahl erreicht werden soll – in der Regel sind dies etwa 3500 Interviews – ohne dass man direkt zu Beginn mit großen Ausgangsadressbeständen ins Feld gehen muss, wird in
H. Proner, Ist keine Antwort auch eine Antwort?, DOI 10.1007/978-3-531-92721-3_7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
186
7 Empirische Analyse
Im zweiten Analyseschritt wird der Fokus auf die Handlungsentscheidung des Individuums gelegt. Es soll erklärt werden, warum eine Zielperson kooperiert oder eine Teilnahme verweigert. Dazu werden die Befragten in der Spezialstudie ALLBUS+ detaillierter untersucht. Zunächst werden die direkt kooperativen Personen mit denjenigen verglichen, die eine Befragung in der Hauptbearbeitung vorläufig abgelehnt haben.181 Mit dem Begriff des Verweigerers werden daher im Folgenden die Zielpersonen bezeichnet, die in der Hauptbearbeitung der Studie die Teilnahme zu diesem Zeitpunkt bewusst abgelehnt haben. Dass diese Ablehnung nur unter bestimmten Bedingungen erfolgte, zeigt sich daran, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt in der zweiten und dritten Erhebungsstufe noch einmal bereit waren, sich befragen zu lassen. Auf diese Weise werden die Hypothesen H1.2 und H1.3 überprüft. Es wird getestet, ob sich Kooperative und Verweigerer einer politischen Befragung unterscheiden und, wenn dies der Fall ist, ob die Unterschiede auch auf den politikwissenschaftlich relevanten inhaltlichen Merkmalen liegen. Der erste Vergleich erfolgt bivariat. Anschließend wird versucht, schrittweise die aufgetretenen Unterschiede zu erklären. Dazu wird zunächst im Sinne des Survey Variable Cause-Modells das Modell zur Erklärung von Kooperation und Verweigerung geprüft, um die Netto-Einflüsse der zuvor in diesem Zusammenhang benannten Merkmale zu berechnen und zu erkennen, ob die Effekte auch unter Kontrolle der jeweils anderen Merkmale bestehen bleiben. Die abhängige Variable ist dabei das dichotome Merkmal Kooperation bzw. Verweigerung. Zunächst geht es also darum, das Handeln der Individuen zu erklären: Warum nehmen manche Individuen eher teil als andere? Im Anschluss daran wird mithilfe der Erweiterung im Sinne des Common Cause-Modells versucht, auch Unterschiede bei den politischen Verhaltensvariablen zu erklären. Für diese lassen sich aus theoretischer Perspektive keine direkten Effekte ableiten. Daher wird zunächst zwar der Zusammenhang zwischen den politischen Partizipationsvariablen und dem Teilnahmeverhalten untersucht. In der Folge wird dann jedoch überprüft, ob diese Zusammenhänge verschwinden, wenn man die vermuteten gemeinsamen Hintergrundvariablen in der Nachbearbeitung zusätzlich eine Aufstockungsstichprobe eingesetzt. So ist es möglich, während der Feldzeit das Adressbrutto an die Ausschöpfung anzupassen und eine gewisse Fallzahl für Sekundäranalysen zu garantieren. Da für diese Aufstockungsstichprobe jedoch andere Bedingungen gelten, z.B. den ersten Einsatzzeitpunkt betreffend, wird sie in den weiteren Analysen ausgeschlossen. Es werden damit nur die parallel verlaufenden ALLBUS und ALLBUS+-Ausgangsbruttostichproben miteinander verglichen. 181 Eine gewisse Einschränkung muss an dieser Stelle vorgenommen werden: „Harte“ Verweigerer dürfen nicht weiter befragt werden. Bei diesen Fällen, die eine weitere Kontaktierung eindeutig abgelehnt haben, ist eine Nachbearbeitung datenschutzrechtlich und nach den Richtlinien des Arbeitskreises Deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute e.V. (ADM) nicht weiter zulässig. In den Richtlinien zum Umgang mit Adressen ist formuliert: „Eine Nachbearbeitung zwecks höherer Ausschöpfung der Stichprobe ist zulässig, wenn Personen davon ausgenommen bleiben, die weitere Kontaktaufnahmen für diese Befragung untersagt und/oder jedwede Beteiligung an Umfragen abgelehnt haben. Adressen dieser Personen sind im Institut sofort zu löschen.“ (ADM o.J.: 6, Abruf über http://www.adm-ev.de/fileadmin/user_upload/PDFS/R07_D.pdf, Referenzdatum: 24.06.2009). Das bedeutet zugleich für die inhaltliche Analyse, dass über diese – unter Umständen interessantesten – Fälle nichts ausgesagt werden kann, weil es rechtlich nicht zulässig wäre, sie weiter zu untersuchen. Aus diesem Grund wurde auch zuvor von einer „Annäherung an das Problem“ gesprochen.
7.1 Die Ausschöpfung in beiden Studien
187
das Modell mit einführt. Im Gesamtmodell dürften anschließend bei den Partizipationsvariablen keine Effekte mehr zu erkennen sein, wenn diese tatsächlich über die gemeinsamen Hintergrundvariablen vermittelt sind.
7.1 Die Ausschöpfung in beiden Studien Wie bereits im theoretischen Teil beschrieben, gibt es verschiedene Möglichkeiten, die Ausschöpfung einer Studie zu berechnen. Ausschlaggebend ist die jeweilige Zuordnung von Ausfällen zu systematischen oder unsystematischen AusfallKategorien. Da keine einheitlichen Standards etabliert sind, werden „bestimmte, für die Berechnung von Ausschöpfungsraten relevante Sachverhalte (wie z. B. die Frage, was denn alles ein stichprobenneutraler Ausfall sei) [...] von unterschiedlichen Akteuren (Forschern, Instituten) unterschiedlich behandelt“ (Porst 2000: 99). Um die intersubjektive Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse zu gewährleisten, werden daher der Umgang mit den Adressen und die Zuordnung einzelner Elemente zu bestimmten Ausfallkategorien beschrieben. Zunächst muss dazu die genaue Anzahl der Bruttoadressen feststehen. Angestrebt wurden im ALLBUS+ 1.296 Adressen, d.h. acht pro Sample Point, im regulären ALLBUS 6.480 Adressen, also 40 pro Sample Point. Wenn sich eine Adresse als ungültig herausstellte, etwa weil die Zielperson verstorben war, wurde sie als qualitätsneutraler Ausfall (=QNA) ans Institut zurückgeschickt und umgetauscht (siehe Kap. 2.1.2 zur Definition und Kap. 5.1.1). Da diese Adressen sofort ersetzt wurden und die Überprüfung der Rechtmäßigkeit, ob es sich tatsächlich um einen qualitätsneutralen Ausfall handelt, erst im Anschluss daran im Institut erfolgte, waren im ALLBUS+ in der Hauptbearbeitung zwischenzeitlich 1.314 Adressen im Feld. In jedem Befragungsbezirk standen bei acht Adressen drei Ersatzadressen zur Verfügung. Da in manchen Sample Points jedoch mehr Adressen ausfielen als Ersatzadressen zur Verfügung standen, konnten diese nicht weiter ersetzt werden. Außerdem fielen manche Adressen so spät aus, dass sie aus organisatorischen Gründen nicht mehr ausgetauscht werden konnten. Damit reduzierte sich die Bruttostichprobe für den ALLBUS+ schließlich um zwölf Adressen. Da in drei Fällen fälschlicherweise eine „qualitätsneutrale“ Ersatzadresse angefordert und bearbeitet wurde, erhöht sich das Brutto im ALLBUS+ noch einmal auf 1.287 Adressen. Im regulären ALLBUS verlief die Bearbeitung ähnlich. Die Basisstichprobe umfasste während der Hauptbearbeitung noch 6.476 Adressen, nach Abschluss aller möglichen QNA-Ersetzungen resultierten schließlich 6.398 Adressen als BruttoAusgangsstichprobe. Durch den Einsatz der verschiedenen Design-Maßnahmen (vgl. Kap. 5) wurde im ALLBUS+ im Vergleich zum regulären ALLBUS eine deutlich höhere Ausschöpfung erzielt. Insgesamt konnte bei 70,6 Prozent der zuvor ausgewählten Zielpersonen ein Interview generiert werden, d.h. bei 909 der 1.287 Zielpersonen. Im
188
7 Empirische Analyse
ALLBUS liegt die Ausschöpfung mit 40,8 Prozent deutlich darunter, nur 2.613 der 6.398 ausgewählten Personen konnten befragt werden. Das bedeutet zunächst, dass die Summe der eingesetzten Maßnahmen im ALLBUS+ erfolgreich zur Reduktion der Nonreponse-Rate um insgesamt fast 30 Prozentpunkte beigetragen hat. Man kann konstatieren, dass es demnach möglich ist, die Ausschöpfung einer Studie signifikant zu steigern. Es wurde gezeigt, dass die Teilnahmeentscheidung einer Zielperson durch die Summe der Maßnahmen auf der Ebene des Forschungsdesigns beeinflusst wird. Dieser Effekt stützt die Leverage-Salience-Theorie. Auch wenn man die verkürzten Nachfassaktionen aufgrund des Wechsels des Befragungsmodus und der damit verbundenen nicht kontrollierbaren Effekte nicht mit in den direkten Vergleich einbezieht, bleibt das Ergebnis einer deutlich höheren Ausschöpfung bestehen: Im ALLBUS+ wurden in Haupt- und Nachbearbeitung aus 1.287 Bruttoadressen 813 Interviews realisiert, was einer Ausschöpfung von 63,2 Prozent entspricht. Im regulären ALLBUS wurden – wie bereits erwähnt – in den parallel ablaufenden Erhebungsphasen nur 40,8 Prozent der Zielpersonen davon überzeugt, ein Interview zu geben.182 In der folgenden Analyse soll der Fokus zunächst nur auf den in Haupt- und Nachbearbeitung befragten Zielpersonen liegen. Die telefonische und schriftliche Nachfassaktion wird in einem späteren Abschnitt (siehe Kap. 7.6) untersucht. Die signifikant höhere Ausschöpfung der Stichprobe im ALLBUS+ ist auf allen Bearbeitungsstufen zu erkennen. Während im ALLBUS in der Hauptbearbeitung 31,1 Prozent der Zielpersonen an der Befragung teilnahmen, waren es in der Nonresponsestudie bereits auf dieser ersten Stufe 45,9 Prozent. Damit ergibt sich ein Plus von knapp 15 Prozentpunkten.183 Zur Erklärung dieser Ausschöpfungsunterschiede kommen sowohl Effekte des Incentives, der Befragungszeit, der Interviewerauswahl und -motivation, des Sponsors und/oder des Anschreibens in Betracht.
182
Der Zusammenhang zwischen den Studienbedingungen (ALLBUS/ALLBUS+) und der Teilnahme (ja/nein) ist höchstsignifikant (Cramers V=0,16). 183 Das bedeutet, es existiert auf der Stufe der Hauptbearbeitung ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Studienbedingung (ALLBUS/ALLBUS+) und der Teilnahme (ja/nein) (Cramers V=0,12).
7.1 Die Ausschöpfung in beiden Studien
189
Abbildung 15: Ausschöpfung der Studie auf den einzelnen Erhebungsstufen
Stufe 1
Stufe 2
ALLBUS Brutto 6.398 Adressen
ALLBUS+ Brutto 1.287 Adressen
Hauptbearbeitung: 2.017 Interviews aus 6.476 Adressen = 31,1% Endgültig ausgefallen: 129 Adressen
Hauptbearbeitung: 603 Interviews aus 1.314 Adressen = 45,9% Endgültig ausgefallen: 17
Nachbearbeitung: 596 Interviews aus 4.330 Adressen =13,8%
Nachbearbeitung: 210 Interviews aus 694 Adressen =30,3% Endgültig ausgefallen: 27
Ausschöpfung ALLBUS: 40,8% Stufe 3
Steigerung um ca. 75 %
Ausschöpfung ALLBUS+: 63,2% Tel. Nachfass 57 aus 273 =20,9%
Kontrollgruppe: 142 aus 271 =52,4%
Schrift. Nachfass 39 aus 187 =20,9%
Kontrollgruppe: 64 aus 188 =34,0%
Ausschöpfung ALLBUS+: 70,6%
Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Eigene Darstellung.
Gerade durch die Auswahl besonders erfolgreicher Interviewer könnte die höhere Ausschöpfung zustande gekommen sein: Eine höhere Ausschöpfung erscheint durchaus plausibel, wenn eben nur die besten Interviewer eines Instituts in einer Studie arbeiten. Diese Interviewereffekte lassen sich gut kontrollieren: In der Hauptbearbeitung wurde bei jeder Zieladresse derselbe Interviewer eingesetzt und es fanden keine Austauschprozeduren statt. Zudem arbeiteten die Interviewer parallel in ihren jeweiligen Sample Points unter ALLBUS- und ALLBUS+Bedingungen. Wenn die unterschiedlichen Ausschöpfungen tatsächlich auf die Auswahl der guten Interviewer zurückzuführen wären, müssten die gleichen Interviewer im regulären ALLBUS ebenfalls weit überdurchschnittliche Ausschöpfungen erreicht haben. Dann wären die Reduktion der Befragungsdauer und das Incentive wirkungslos gewesen und die höhere Ausschöpfung allein auf die Interviewer zurückzuführen. Um diese Effekte zu überprüfen, lassen sich für die 62 Interviewer, die in der Hauptbearbeitung in beiden Studienbedingungen eingesetzt waren, die Ausschöpfungen miteinander vergleichen. Dabei zeigt sich, dass die Interviewer in den Studien sehr unterschiedliche Erfolgsquoten haben: Im
190
7 Empirische Analyse
ALLBUS konnten sie bei 31 Prozent der Bruttoadressen ein Interview realisieren und weichen damit nicht vom Mittelwert aller Interviewer ab. Im ALLBUS+ konnten sie hingegen aus 46 Prozent der Bruttoadressen ein Interview generieren, waren also deutlich erfolgreicher. Das bedeutet, die Interviewerauswahl hatte keinen Einfluss auf die realisierte Ausschöpfung. Die Ursache liegt vielmehr in den weiteren Variationen des Forschungsdesigns, wie etwa der besseren Bezahlung der Interviewer, der Motivation im Hinblick auf das Projekt, dem Incentive oder der Verkürzung der Befragungszeit. Diese anderen Designelemente wurden jedoch aus zwei Gründen nicht einzeln experimentell kontrolliert: Entweder hätte es die Gesamtzahl der Interviews im ALLBUS+ reduziert oder die Kosten und die Kontaktzahlen wären deutlich angestiegen. Das Kostenproblem war in diesem Fall ein sekundäres. Gestiegene Kontaktzahlen erhöhen jedoch die Reaktanz der Zielpersonen.184 Da das Ziel der Studie war, ein Maximum an Ausschöpfung bei größtmöglicher Kontrolle zu erreichen, um die Nonrespondenten inhaltlich in Bezug auf ihre politischen und gesellschaftlichen Einstellungen sowie ihr Verhalten untersuchen zu können, wurde entschieden, die ausschöpfungssteigernden Designelemente simultan einzusetzen. Dadurch konnte die Zahl der individuellen Kontakte reduziert werden, mit der negativen Konsequenz, die Einzeleffekte der Designelemente nicht voneinander trennen zu können. Die Ergebnisse zeigen jedoch, dass die Gesamtveränderung der KostenNutzen-Abwägung über die Designebene einen deutlichen Effekt auf die Teilnahmebereitschaft ausübt. Bereits die Kombination aus dem recht niedrigen Incentive von zehn Euro, dem universitären Sponsor und der reduzierten Befragungszeit von 80 auf 30 Minuten führte zu einer deutlich erhöhten Ausschöpfung in der Hauptbearbeitung des ALLBUS+. Im regulären ALLBUS fand zwischen Haupt- und Nachbearbeitung keine Veränderung der Studienbedingungen statt. Dennoch wurden beim ALLBUS noch einmal bei weiteren 13,8 Prozent der Bruttoadressen (n=596) Interviews generiert. Davon hatte wiederum der größte Teil (63%, n=375) der Befragten eine Teilnahme zuvor aktiv verweigert. Die anderen Interviews wurden bei Zielpersonen gewonnen, die zuvor nicht erreicht wurden, nicht befragbar waren oder aus anderen Gründen in der Hauptbearbeitung nicht teilgenommen hatten. Dieser Befund zeigt, dass die Entscheidung zu Kooperation oder Verweigerung auch eine rein situative Komponente hat. Obwohl keine Veränderung der Studienbedingungen stattfand, veränderte sich die Teilnahmebereitschaft bei diesen Personen innerhalb eines Zeitraums von etwa acht Wochen. Verschiedene Erklärungen sind dafür möglich: Zunächst könnten kurzfristige situative Effekte am Tag der Interviewanfrage durch Emotionen vorliegen, bspw. durch beruflichen Erfolg, ein erfreuliches Telefonat oder ähnliche Ereignisse, die einen Einfluss auf die Stimmung der Zielperson ha184
Expertengespräche mit der Feldabteilung des durchführenden Instituts und der ALLBUS-Verantwortlichen ergaben, dass maximal zwei bis drei Erhebungsstufen möglich sind, auf denen Kontakte erfolgen können. Danach gelten Adressen als „verbrannt“ (vgl. Gespräch mit der Feldabteilung Infratest, Frankfurt a.M. Februar 2008).
7.1 Die Ausschöpfung in beiden Studien
191
ben. Eventuell liegen aber auch durch zwischenzeitliches Geschehen neue Vorstellungen, Orientierungen und Erwartungen vor, die zur Bildung der Einstellung gegenüber eine Teilnahme hinzugezogen werden. Es können sich auch die wahrgenommene Kontrollerwartung oder die subjektive Norm verändert haben. Schließlich könnte auch ein zwischenzeitlicher Zuwachs an objektiven Ressourcen dazu beitragen, dass eine Zielperson z.B. mehr freie Zeit zur Verfügung hat und daher in der Nachbearbeitung teilnimmt. Im ALLBUS+ wurden die Design-Bedingungen in der Nachbearbeitung hingegen aktiv verändert, um bewusst mehr Personen von einer Interviewteilnahme zu überzeugen, die ohne diese Designänderung nicht teilgenommen hätten. Das Incentive für die Zielpersonen wurde dabei von zehn auf 50 Euro erhöht, ein zielgruppenspezifisches Anschreiben eingesetzt und das Interviewerhonorar für eine erfolgreiche Kontaktierung noch einmal angehoben. So ermöglichte die Nachbearbeitung im ALLBUS+ eine „Konvertierung“ von 30,3 Prozent der Zielpersonen, die bis dahin noch Nonrespondenten waren. Es konnten noch einmal 210 Interviews generiert werden, wovon 164 von Personen stammten, die auf der ersten Stufe Verweigerer waren. Dies sind die interessantesten Fälle für die nachfolgende Analyse. Abbildung 15 fasst die Ergebnisse noch einmal zusammen und gibt einen Überblick über die Ausschöpfung auf den einzelnen Bearbeitungsstufen. Man kann dabei feststellen, dass im Vergleich zum regulären ALLBUS im ALLBUS+ eine Annäherung an die Gruppe derjenigen, die unter Standardbedingungen nicht teilnehmen würden, erreicht wurde. Aus der „schweigenden Mehrheit“ von ca. 60 Prozent im regulären ALLBUS wurde im ALLBUS+ eine „Silent Minority“ (Goyder 1987). Dennoch können auch in dieser Spezialstudie ein Drittel der Zielpersonen nicht befragt werden, weshalb über sie auch keine weiteren inhaltlichen Aussagen möglich sind. In Anbetracht des enormen finanziellen und organisatorischen Aufwandes bei größtmöglicher Kontrolle im ALLBUS+ scheint dies die maximal erreichbare Ausschöpfung für eine derart angelegte bundesweite allgemeine Bevölkerungsbefragung zu sein.185 Wenn man nun die einzelnen Kategorien von Nicht-Teilnehmern, also Verweigerer, Nicht-Erreichte, Nicht-Befragbare und die sonstigen Ausfälle getrennt voneinander analysiert, stellt man fest, dass im ALLBUS+ durch die veränderten Bedingungen nicht nur der Anteil der Verweigerer gesunken ist, sondern auch bei den Nicht-Erreichten eine signifikante Reduktion stattgefunden hat. Tabelle 6 zeigt jeweils den Bearbeitungsstand der Adressen nach den einzelnen Wellen.
185 Vor diesem Hintergrund und der Tatsache, dass der beschriebene Aufwand nur in den wenigsten Studien möglich ist, kann man über viele der berichteten hohen Ausschöpfungen in sozialwissenschaftlichen Studien nur staunen.
192
7 Empirische Analyse
Tabelle 6: Die Ausschöpfung nach einzelnen Nonresponse-Typen Hauptbearbeitung Nachbearbeitung
Gesamt
Allbus Allbus+ Allbus Allbus+ Allbus Allbus+ n 2.017 603 596 210 2.613 813 Interviews % 31,1 45,9 13,8 30,3 40,8 63,2 Prozentpunkt-Differenz +14,8 +16,5 +22,4 n 3.029 531 2.551 373 3.116* 409 Verweigerer % 46,8 40,4 58,9 53,7 48,7 31,8 Prozentpunkt-Differenz -6,4 -5,2 -16,9 n 1.057 102 699 56 370* 19 Nicht-Erreichte % 16,3 7,8 16,1 8,1 5,8 1,5 Prozentpunkt-Differenz -8,5 -8,0 -4,3 n 324 54 266 27 237* 28 Nicht-Befragbare % 5,0 4,1 6,1 3,9 3,7 2,2 Prozentpunkt-Differenz -0,9 -2,2 -1,5 n 49 24 24 1 62* 18 186 Sonstige % 0,8 1,8 0,6 0,1 1,0 1,4 Prozentpunkt-Differenz +1,0 -0,5 +0,4 n 194 27 QNA % 4,5 3,9 n 6.476 1.314 4.330 694 6.398 1.287 Gesamt % 100 100 100 100 100 100 Quelle: Eigene Berechnungen. DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. *Die Angaben über Verweigerer, Nicht-Erreichte und Nicht-Befragbare beziehen sich dabei auf die Gesamtstudie. Wenn z.B. in der Hauptbearbeitung eine Verweigerung stattfand, wurde die Zielperson im Gesamtergebnis auch als Verweigerer eingestuft, auch wenn sie in der Nachbearbeitung nicht mehr erreicht wurde.
Dabei ist es durchaus möglich, dass eine Zielperson zunächst in der Hauptbearbeitung aus Zeitgründen verweigerte und in der Nachbearbeitung anschließend nicht erreicht wurde. Eine derartige Adresse wurde in der Gesamtbewertung letztlich auf „verweigert“ gesetzt, mit dem Argument, dass eine Verweigerung die „härteste“ Form des Ausfalls darstellt.187 In der Tabelle ist sowohl für die beiden Stufen der Haupt- und Nachbearbeitung als auch in der Gesamtbetrachtung das jeweilige Resultat der Bearbeitung abzulesen. Der Verweigereranteil an der Brutto-Ausgangsstichprobe konnte durch das veränderte Erhebungsdesign im ALLBUS+ um 16,9 Prozentpunkte im Vergleich zum regulären ALLBUS reduziert werden. Gleichzeitig ist auch der Anteil der 186
Dazu zählen während der beiden Bearbeitungsstufen Adressen, bei denen der Ausfallgrund unklar ist bzw. die noch nicht bearbeitet wurden. Bei der Gesamtbetrachtung fallen darunter alle Fälle, die aufgrund von Verfahrensabweichungen oder Fälschungsverdacht aus der Auswertung herausgenommen wurden. 187 Die Grundlage der Einstufung ist die Annahme, dass Nonresponse einen gestuften Prozess darstellt (siehe Kap. 2.1.2.2).
7.1 Die Ausschöpfung in beiden Studien
193
Nicht-Erreichten im ALLBUS+ niedriger als im regulären ALLBUS. In der Hauptbearbeitung findet sich bereits ein deutlicher Unterschied zwischen den beiden Studienbedingungen beim Anteil Nicht-Erreichter von 8,5 Prozentpunkten: 16,3 Prozent der Befragten im ALLBUS wurden von den Interviewern bis zum Ende der Bearbeitungsstufe nicht erreicht, im Gegensatz dazu beträgt der Wert im ALLBUS+ nur 7,8 Prozent der Bruttoadressen. Dieser Befund bleibt auch in der Gesamtbetrachtung von Haupt- und Nachbearbeitung bestehen. Insgesamt ist der Anteil Nicht-Erreichter im ALLBUS+ damit um 4,3 Prozentpunkte geringer als in der regulären Studie. Dieser Befund kann ein Indiz für eine erhöhte Motivation der Interviewer im ALLBUS+ sein, Zielpersonen zu erreichen und Interviews zu generieren und wäre damit ein Argument der höheren Bearbeitungsintensität im ALLBUS+, die z.B. aus dem erhöhten Honorar der Interviewer resultieren kann. Zudem könnte der Befund ein Indiz für die Gültigkeit der Annahme sein, dass die theoretische Abgrenzung zwischen Verweigerungen und Nicht-Erreichbarkeit empirisch nicht so einfach zu ziehen ist: Eventuell ist ein größerer Anteil der Zielpersonen unter den – im Anschreiben zuvor angekündigten – besseren Bedingungen des ALLBUS+ bereit, sich erreichen zu lassen.188 Welcher der beiden Effekte dabei tatsächlich wirkt und in welcher Höhe, ist auf der Basis der vorliegenden Daten jedoch nicht differenzierbar. Der Anteil nicht befragbarer Zielpersonen variiert kaum zwischen beiden Studien, die Nicht-Befragbarkeit in Form von Sprachbarrieren oder schweren Krankheiten kann aber auch nicht durch die eingesetzten Veränderungen des Erhebungsdesigns aufgehoben werden.189 Insgesamt kann man feststellen, dass es sich sowohl beim ALLBUS als auch beim ALLBUS+ bei den aktiven Verweigerern um den größten Teil der Nonrespondenten handelt. Mindestens 82,3 Prozent der Ausfälle im ALLBUS (3.116 von 3.785 ausgefallenen Zielpersonen) und 86,3 Prozent im ALLBUS+ (409 von 474 ausgefallenen Zielpersonen) gehen auf explizite Verweigerungen zurück.190
188
Dafür sprechen z.B. vereinzelte Anrufe bei der Studienleitung. Es meldeten sich Zielpersonen, die gerne an der Studie teilnehmen wollten, „bei der sie Geld verdienen können“ und dabei Zeiten angaben, wann sie am besten für die Interviewer erreichbar wären. 189 Hierbei wäre z.B. die Übersetzung des Fragebogens oder die Arbeit mit mehrsprachigen Interviewern notwendig gewesen. Diese Instrumente wurden jedoch aufgrund des Forschungsziels und der begrenzten finanziellen Mittel nicht eingesetzt. Der Anteil der Nicht-Befragbaren erscheint auch, in Anbetracht der geringen Fallzahlen, als weniger relevant für die inhaltlichen Aussagen einer derartigen Studie. Insbesondere da die Interviewer berichten, bei Sprachbarrieren zunächst Übersetzer aus dem Umfeld der Zielpersonen zu rekrutieren. Erst wenn das auch nicht möglich erscheint, fällt eine Zielperson tatsächlich aus. 190 Dabei wird bewusst „mindestens“ formuliert, da angenommen wird, dass bei denjenigen, die trotz zahlreicher Kontaktversuche nicht erreicht wurden, ein Teil enthalten ist, der nicht erreicht werden will. Dieser ist bei den genannten Anteilswerten noch nicht mit eingerechnet.
194
7 Empirische Analyse
7.2 Bivariate Unterschiede zwischen ALLBUS und ALLBUS+ In diesem Abschnitt soll zunächst analysiert werden, ob – und wenn ja, wie – sich die Befragten von ALLBUS und ALLBUS+ unterscheiden (siehe Skizze, in Anlehnung an ALLBUS ALLBUS Abb. 13). Damit wird der Frage nachgegangen, was sich bei der Verteilung der inhaltlichen Merkmale verändert, wenn die Ausschöpfung statt bei 41 Prozent, wie im regulären ALLBUS, bei 63 Prozent liegt. Sind höhere Ausschöpfungen tatsächlich mit differierenden Ergebnissen verbunden? Hierbei handelt es sich in erster Linie um den Blick auf die Konsequenzen von Nonresponse für die Forschungspraxis. „Lohnt“ sich die Erhöhung der Ausschöpfung? Gleichzeitig kann die Analyse erste Indizien liefern, ob die theoretischen Erklärungsmodelle zur Teilnahme an politischen Umfragen die Realität abbilden. Die konkrete Überprüfung der Modelle erfolgt jedoch erst in den Abschnitten 7.4 und 7.5.
7.2.1 Überblick: Analyse über alle Merkmale Im ersten Schritt wurde für alle 178 Items191, die im Fragebogen beider Studien enthalten waren, untersucht, ob und inwiefern sich die Verteilungen in den beiden unterschiedlich ausgeschöpften Stichproben unterscheiden. Der Fokus liegt damit zunächst noch nicht auf der Handlungsentscheidung der Verweigerer, sondern auf dem Vergleich zweier unterschiedlich ausgeschöpfter Studien. Die bivariate Analyse der Merkmalsverteilungen zeigt, dass signifikante Verteilungsunterschiede auftreten. Bei etwa einem Fünftel (22%) aller untersuchten Items verändern sich die Verteilungen der Merkmale durch die höhere Ausschöpfung. Schätzungen auf der Basis des ALLBUS+ weichen demnach von denen auf der Grundlage des regulären ALLBUS ab. Bei den Interviewermerkmalen (Alter und Erfahrung) lässt sich
191 Dabei wurden fast alle im Fragebogen enthaltenen Items (siehe Anhang B1) einbezogen. Ausgenommen wurden die Einzelitems zum Inglehart-Index, die dritte Staatsbürgerschaft, Geburtsmonat und Geburtsjahr, Interviewdatum und -dauer sowie Interviewer- und Pointnummer. Hinzugefügt wurden Indizes zur politischen Informiertheit, sozialer Integration und Anomie, drei Indizes zu Vereinsmitgliedschaften, Indizes zum Institutionenvertrauen, Demokratiezufriedenheit, externer politischer Efficacy, zum Vertrauen in Mitmenschen, Niveau geteilter Normen, interner politischer Efficacy, zum Partizipationsgrad und zu rechtsextremen Einstellungen.
7.2 Bivariate Unterschiede zwischen ALLBUS und ALLBUS+
195
die Differenz direkt auf das unterschiedliche Forschungsdesign zurückführen.192 Die signifikanten Unterschiede, die in der Analyse auftreten, betreffen aber nicht nur die Interviewer, sondern auch und vor allem Befragtenmerkmale. Da die Befragten jedoch einer der beiden Bedingungen zufällig zugewiesen wurden, sind die Ergebnisse das Resultat der höheren Ausschöpfung und damit des höheren Anteils interviewter Zielpersonen. Insgesamt wurden 172 Merkmale untersucht, bei denen Unterschiede auf die veränderte Zusammensetzung der Stichprobe zurückzuführen sind. Von diesen zeigen 37 Items signifikant unterschiedliche Verteilungen beim Vergleich von ALLBUS und ALLBUS+. Dies ist ein Indiz dafür, dass signifikante Unterschiede zwischen Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern einer politikwissenschaftlichen Studie existieren. Wenn die Ausschöpfung deutlich ansteigt und man damit einen größeren Anteil Personen erreicht, die unter Standardbedingungen Nonrespondenten wären, verändern sich die Merkmalsverteilungen. Damit lässt sich feststellen: „Höher ausgeschöpfte Stichproben unterscheiden sich hinsichtlich einzelner Verteilungen von niedriger ausgeschöpften Stichproben“. Es handelt sich jedoch zunächst noch um einen Befund auf Makroebene. Weitere Analysen müssen zeigen, ob sich die Hypothesen H1.1 bis H1.3 zu den Unterschieden zwischen Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern bzw. Kooperativen und Verweigerern auf Individualebene tatsächlich bewähren. Gleichzeitig kann man bereits festhalten, dass sich bei manchen Merkmalen die Verteilungen trotz der deutlich höheren Ausschöpfungen nicht verändern. Sie bleiben robust und sind daher unabhängig von der Responsequote. Dieser Befund betrifft sogar die überwiegende Mehrheit der Variablen. Bei mehr als drei Vierteln der enthaltenen Items zeigen beide Studien identische Verteilungen, obwohl sie deutlich unterschiedliche Ausschöpfungen aufweisen. Um die aufgetretenen Unterschiede genauer zu analysieren, wurden die Items zunächst inhaltlich zusammenfasst und in die Bereiche „Politische Einstellungen“, „Gesellschaftliche und soziale Einstellungen“, „Politisches Verhalten“, „Mediennutzung“, „Soziodemographie“, „Interviewerbeobachtungen“ und „Interviewermerkmale“ gruppiert (vgl. Tab. 7). Dabei zeigt sich, dass die aufgetretenen Unterschiede nicht unbedingt spezifisch und damit auf einen bestimmten Bereich begrenzt sind, sondern dass sie bei allen Merkmalsgruppen auftreten.
192
Die Entscheidung, erfahrene Interviewer einzusetzen, wurde im ALLBUS+ bewusst getroffen. Daher verwundert es nicht, dass im ALLBUS+ ein signifikant höherer Wert bei der durchschnittlichen Erfahrung der Interviewer auftritt.
196
7 Empirische Analyse
Tabelle 7: Signifikante Verteilungsunterschiede in ALLBUS und ALLBUS+ Items signifikante Unterschiede Merkmalsgruppen n n % 65 Politische Einstellungen 14 22% 22 Gesellschaftliche / Soziale Einstellungen 2 9% 44 Politisches Verhalten 9 20% 6 Mediennutzung 2 33% 26 Soziodemographie 5 19% 9 Interviewerbeobachtungen 5 56% 6 Interviewermerkmale 2 33% 178 Summe der untersuchten Merkmale 39 22% 172 ---- davon: Befragtenmerkmale 37 22% Quelle: Eigene Berechnungen. DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). 2-Test / t-Test: p < 0.05.
Eine nach den beiden Bearbeitungsstufen (Haupt- und Nachbearbeitung) ausdifferenzierte Analyse zeigt, dass bereits beim Vergleich der beiden Hauptbearbeitungsphasen bei 31 Items signifikante Verteilungsunterschiede auftreten. Das bedeutet, die Ausschöpfung von 46 Prozent in der Hauptbearbeitung des ALLBUS+ im Vergleich zu 31 Prozent in der Hauptbearbeitung des ALLBUS führt bereits zu gewissen Veränderungen der Stichprobenstruktur. Dies lässt darauf schließen, dass bereits durch den Einsatz eines kleineren Incentives und durch die insgesamt besseren Bedingungen im ALLBUS+ ein Teil der Befragten erreicht wurde, die unter Standardbedingungen nicht teilnehmen würden. Gleichzeitig kann man jedoch auch konstatieren, dass es keinen generell linearen Verlauf der Veränderungen in Abhängigkeit von der Ausschöpfung gibt. Die Analyse der Nachbearbeitungen von ALLBUS und ALLBUS+ zeigt, dass sich im ALLBUS+ durch den noch einmal angestiegenen Anteil befragter Personen zwar gewisse zuvor bereits aufgetretene Differenzen verstärken, andere jedoch verschwinden, erst in der Nachbearbeitung neu erscheinen oder sich inhaltlich umkehren (siehe dazu die Übersicht über die Verteilungsunterschiede nach Bearbeitungsstufen im Anhang Tab. A2 und A3). Dieser Befund bestätigt bisherige Studien in diesem Bereich, die zeigen, dass in der Regel keine linearen Zusammenhänge zwischen den Merkmalsverteilungen und der Ausschöpfung existieren (vgl. etwa Keeter et al. 2000; Merkle/Edelman 2002).
7.2.2 Inhaltliche Analyse der Unterschiede Interessanter als die bisherigen Übersichtsanalysen ist die Frage, welche Merkmale inhaltlich von den Unterschieden betroffen sind und in welcher Form sich die Teil-
7.2 Bivariate Unterschiede zwischen ALLBUS und ALLBUS+
197
nehmer im ALLBUS von denen im ALLBUS+ unterscheiden. Aus dem zuvor aufgestellten theoretischen Modell zur Erklärung von Kooperation und Verweigerung bei der Interviewanfrage ergibt sich, dass Unterschiede bei der objektiven und subjektiv wahrgenommenen Ressourcenausstattung sowie im Bereich der sozialen, politischen und umfragespezifischen Einstellungen auftreten sollten. In der stärker ausgeschöpften Stichprobe des ALLBUS+, in der deutlich mehr Personen enthalten sind, die unter Standardbedingungen Nonrespondenten wären, sollten die Befragten eine geringere Ausstattung kognitiver, sozialer und zeitlicher Ressourcen aufweisen. Außerdem werden negativere Einstellungen gegenüber der Politik, gegenüber Umfragen und gegenüber der Gesellschaft bei den Befragten vermutet sowie angenommen, dass es einen größeren Anteil an Zielpersonen gibt, die ein geringes Selbstbewusstsein haben. Schließlich wird nach den Annahmen des Common Cause-Modells auch ein insgesamt geringeres Niveau politischer Partizipation im ALLBUS+ im Vergleich zum ALLBUS erwartet.
7.2.2.1 Objektive Kontrollmöglichkeiten Zunächst wurden die Verteilungen der kognitiven Ressourcen in beiden Stichproben untersucht. Dabei treten keine signifikanten Unterschiede zwischen ALLBUS und ALLBUS+ auf. In beiden Stichproben sind sowohl die Bildung als auch das Niveau politischer Informiertheit annähernd gleich verteilt (siehe Anhang, Tab. A4 und A6). Die auftretenden Unterschiede zwischen den Studien sind derart gering, dass sie im Bereich zufälliger Abweichungen liegen. Gleichzeitig zeigt der Vergleich mit dem Mikrozensus (siehe Anhang, Tab. A5), der für das Merkmal „formale Bildung“ möglich ist, dass beide Studien nur geringfügig von der Verteilung in der Gesamtbevölkerung abweichen. Wenn man die Beträge der Abweichungen vom Mikrozensus aufaddiert, ergibt sich ein Wert von 5,9 Prozentpunkten über alle drei Kategorien der niedrigen, mittleren und hohen Bildung (ALLBUS: 5 Prozentpunkte, ALLBUS+: 7,1 Prozentpunkte). Besser Gebildete sind in beiden Stichproben im Vergleich zur Gesamtbevölkerung leicht überrepräsentiert, im ALLBUS deutlicher als im ALLBUS+. Personen mit einer niedrigen Bildung sind hingegen leicht unterrepräsentiert, was im ALLBUS+ stärker zutrifft als im regulären ALLBUS. Allerdings sind die Abweichungen zwischen den Studien nicht überzufällig groß. Um zu überprüfen, ob sich die Verteilung der sozialen Ressourcen in den beiden Stichproben unterscheidet, wurde sowohl das Niveau der sozialen Integration als auch der Aktivitätsgrad der Befragten in verschiedenen Netzwerken analysiert. Bei der Aktivität in Netzwerken zeigen sich keine Unterschiede zwischen den Teilnehmern des ALLBUS und denen des ALLBUS+, unabhängig davon, ob man die Mitgliedschaft und Aktivität in einzelnen Vereinigungen, die aktive Mitgliedschaft in mindestens einem Verein oder die Gesamtzahl an Vereinsmitgliedschaf-
198
7 Empirische Analyse
ten untersucht (siehe Anhang, Tab. A7). Etwas über 40 Prozent der Befragten in beiden Studien geben beispielweise an, in mindestens einem Verein zu sein. Die Nennungen einzelner Vereinstypen sind ebenfalls fast identisch. Beim sozialen Integrationsgrad treten jedoch signifikante Verteilungsunterschiede auf. Im ALLBUS+ ist – entgegen der theoretischen Annahme – ein größerer Anteil sozial eingebundener Personen enthalten. Wenn man die Fragen, wie häufig eine Zielperson Zeit mit Menschen im Verein, im Klub oder in einer Freiwilligenorganisation, mit Arbeitskollegen außerhalb des Arbeitsplatzes bzw. mit Freunden verbringt, zu einem Index der sozialen Integration („Zeit mit anderen Menschen verbringen“) zusammenfasst193, zeigt sich, dass im ALLBUS etwa zwei Drittel der Zielpersonen (65,3%) mindestens einmal in der Woche Zeit mit anderen Menschen verbringen. Im ALLBUS+ sind mehr als drei Viertel der Zielpersonen (75,5%) derart sozial integriert (siehe Tab. 8). Tabelle 8:
Soziale Integration in ALLBUS und ALLBUS+
Zeit mit anderen verbringen…
Allbus
Allbus+
Gesamt
täglich
n %
294 11,5
119 14,8
413 12,3
mindestens einmal pro Woche
n %
1.371 53,8
489 60,7
1.860 55,5
mindestens einmal im Monat
n %
522 20,5
117 14,5
639 19,1
seltener
n %
246 9,7
58 7,2
304 9,1
nie
n %
114 4,5
23 2,9
137 4,1
n 2.547 806 3.353 % 100 100 100 Quelle: Eigene Berechnungen. DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). 2-Test: 2=29.8; p< 0.001. Gesamt
Dieser Befund eines deutlich höheren Anteils sozial eingebundener Zielpersonen im ALLBUS+ im Vergleich zum ALLBUS ist zunächst kontraintuitiv. Im theoretischen Teil wurde argumentiert, dass ein hohes Maß sozialer Integration ein Indikator für soziale Ressourcen ist. Durch den Kontakt mit anderen Menschen werden kommunikative und organisatorische Fähigkeiten erworben, die bei Befragungen 193
Der Index erfasst, ob man irgendetwas davon täglich (1), mindestens einmal die Woche (2), mindestens einmal im Monat (3), seltener (4) oder nie (5) macht (siehe Tab. 8).
7.2 Bivariate Unterschiede zwischen ALLBUS und ALLBUS+
199
notwendig und hilfreich sind. Daher hätte man vermutet, unter Standardbedingungen in einer Studie einen größeren Anteil sozial integrierter Menschen zu erreichen, während im ALLBUS+ ein größerer Anteil weniger integrierter Personen enthalten sein sollte. Diese mussten ja zu großen Teilen über den erhöhten Aufwand auf der Designebene von einer Teilnahme „überzeugt werden“. Die Daten ergeben jedoch ein gegenteiliges Bild. Zur Erklärung dieses Befundes kann eine genauere Betrachtung des Forschungsdesigns und der Analyseebene erste Anhaltspunkte geben. Bei den erläuterten Befunden handelt es sich zunächst um Unterschiede in den Gesamtverteilungen von ALLBUS und ALLBUS+. Im ALLBUS+ erreicht man aber bereits in der Hauptbearbeitung einen sehr viel höheren Anteil der Zielpersonen. Für diese könnte man argumentieren, dass sie keine „echten“ Verweigerer sind. Sie nehmen an einer Befragung teil, ohne zuvor aktiv verweigert zu haben. Diese in der Hauptbearbeitung des ALLBUS+ bereits zusätzlich befragten Personen könnten nun diejenigen Personen, von denen man annimmt, sie seien sozial nicht integrierte „echte Verweigerer“, überlagern. Die „echten Verweigerer“, von denen man soziale Desintegration annimmt, und die erst in der Nachbearbeitung des ALLBUS+ unter der Bedingung eines deutlich erhöhten Incentives teilnehmen, haben im Gesamtvergleich ALLBUS/ALLBUS+ auf der Makroebene nicht mehr einen derart großen Einfluss, dass sie die Verteilung insgesamt verändern könnten. Wenn diese Annahme zutrifft, müssten bei einer isolierten Betrachtung der Nachbearbeitung die erwarteten Effekte auftreten. Allerdings zeigt die Analyse der Verteilungen in Haupt- und Nachbearbeitung das Gegenteil: Gibt es in der Hauptbearbeitung bereits den erwähnten Unterschied, dass im ALLBUS+ deutlich mehr integrierte Personen erreicht werden, verstärkt sich der Befund in der Nachbearbeitung noch einmal. Darin geben im regulären ALLBUS 64,1 Prozent der Befragten an, mindestens einmal pro Woche bzw. täglich194 mit anderen Kollegen, Freunden oder Bekannten Zeit zu verbringen. Im ALLBUS+, d.h. unter Einsatz des hohen Incentives von 50 Euro und der kürzeren Befragung, sind über drei Viertel der Befragten (76,6%) als sozial sehr stark integriert zu bezeichnen. Dies bedeutet, dass sozial integrierte Menschen mit größerer Wahrscheinlichkeit nicht an Standardbefragungen teilnehmen. Das bedeutet jedoch nicht, dass organisatorische und kommunikative Fähigkeiten als hemmende Faktoren anzusehen sind oder nicht erworben werden. Es existiert eine alternative Erklärung, die über die Ebene der Messung argumentiert. Mit dem Indikator „Zeit mit anderen verbringen“ wird nicht (nur) soziale Integration, sondern vielmehr auch das individuelle Zeitbudget einer Person ermittelt. Dies wurde bereits bei der theoretischen Herleitung der Hypothese H2.2b ausgeführt. Unter dieser Annahme ist das Ergebnis höchst plausibel: Wer sozial integriert ist und viel Zeit mit Kollegen oder Freunden verbringt, hat insgesamt nur wenig freie Zeit zur Verfügung. Damit 194
Hierbei wurden die beiden oberen Kategorien zusammengefasst.
200
7 Empirische Analyse
entstehen für diese Zielpersonen hohe Opportunitätskosten durch die Teilnahme an der Befragung. Bei der niedrigeren Befragungszeit in Kombination mit dem kleinen Incentive, das bereits in der Hauptbearbeitung des ALLBUS+ als „Entscheidungshilfe“ bzw. „Zünglein an der Waage“ eingesetzt wird, werden diejenigen erreicht, die in der Standardbefragung nicht teilnehmen, weil ihnen die Zeitkosten zu hoch erscheinen. Tabelle 9: Soziale Integration in ALLBUS und ALLBUS+, Haupt-/ Nachbearbeitung Hauptbearbeitung Allbus Allbus+
Zeit mit anderen verbringen…
Nachbearbeitung Allbus Allbus+
täglich
n %
232 11,8
83 13,8
62 10,7
36 17,6
mindestens einmal pro Woche
n %
1.063 54,0
368 61,2
308 53,4
121 59,0
mindestens einmal im Monat
n %
411 20,9
91 15,1
110 19,1
26 12,7
seltener
n %
187 9,5
41 6,8
59 10,2
17 8,3
nie
n %
76 3,9
18 3,0
38 6,6
5 2,4
n 1.969 601 577 205 % 100 100 100 100 Quelle: Eigene Berechnungen. DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). Gesamt
Damit würde der Befund eher darauf hindeuten, dass es in beiden Studien Unterschiede bezüglich der Verteilung frei verfügbarer Zeit gibt. Bei den zunächst kontraintuitiven Ergebnissen handelt es sich daher eher um ein Problem nicht eindeutiger Indikatoren. Die Ergebnisse sind damit ein Indiz dafür, dass sich die Hypothesen H2.2b bzw. H2.3 bewährt haben. Dass die frei verfügbare Zeit eine Rolle für die Teilnahmeentscheidung spielt, wird auch durch die Untersuchung der Verteilung der Erwerbstätigkeit in beiden Studien gestützt. Hauptberuflich ganztags Erwerbstätige, bei denen man von einem geringen Zeitbudget ausgehen kann, machen im ALLBUS nur einen Anteil von 40 Prozent aller Befragten aus, während im ALLBUS+ 47 Prozent der Befragten zu dieser Gruppe gehören (siehe Anhang, Tab. A8). Unter Standardbedingungen nehmen damit signifikant weniger Vollzeit-Beschäftigte teil, die unter den besonderen Bedingungen im ALLBUS+ überdurchschnittlich vertreten sind. Die Ursache dafür könnte – neben dem eingesetzten Incentive – im Besonderen in der Reduktion der
7.2 Bivariate Unterschiede zwischen ALLBUS und ALLBUS+
201
Befragungszeit liegen. Im ALLBUS+ wurde eine Befragungszeit von nur 20 Minuten angekündigt. Diese Investition lohnt sich auch für diejenigen mit knappen Zeitbudgets, da sie durch die positiven Anreize der Befragung aufgefangen werden kann. Wenn man im Bild der Leverage-Salience-Theorie bleibt, wurden die Zeitkosten in der einen Waagschale reduziert und gleichzeitig ein kleines Incentive auf die andere Seite gelegt. Aus diesem Grund entscheidet sich ein größerer Anteil der Zielpersonen zur Kooperation. Auch unter Kontrolle des Incentives als Drittvariable bleibt der Zusammenhang zwischen der Erwerbstätigkeit und der Stichprobe (ALLBUS/ALLBUS+) bestehen. Insgesamt lässt sich für die Verteilung der objektiven Kontrollmöglichkeiten in beiden Studien damit Folgendes feststellen: Bei den kognitiven Ressourcen gibt es keine signifikanten Verteilungsunterschiede. Unter den besonderen Bedingungen des ALLBUS+ wurden, entgegen der vorherigen Erwartung, nicht mehr Personen mit geringen kognitiven Ressourcen erreicht. Bei den sozialen Ressourcen existieren Unterschiede, die jedoch entgegen der zunächst angenommenen Richtung verlaufen, da im ALLBUS+ mehr Personen mit einer hohen sozialen Ressourcenausstattung enthalten sind. Dies lässt sich aber über den gewählten Indikator erklären, der eher ein geringes Zeitbudget und die damit verbundenen Opportunitätskosten misst, und nicht wie ursprünglich vermutet den Besitz kommunikativer und organisatorischer Fähigkeiten. Bei der Verteilung der Zeitressourcen in beiden Studien treffen die ursprünglichen Annahmen wieder zu. Im ALLBUS+, der Studie mit einem höheren Anteil ursprünglicher Verweigerer, sind mehr Personen mit knappen Zeitbudgets vertreten. Die gefundenen bivariaten Effekte der Zeitressourcen, die über die soziale Integration und die Erwerbstätigkeit erhoben wurden, bleiben in einer multivariaten Analyse zum Zusammenhang zwischen der Ressourcenverteilung und dem Studientyp bestehen.195
7.2.2.2 Subjektive Kontrollmöglichkeiten Bei der Analyse zum Zusammenhang der Merkmale der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle mit dem Studientyp zeigen sich nur marginale Unterschiede. Dabei wird untersucht, ob in ALLBUS und ALLBUS+ unterschiedliche Verteilungen der Items zum Selbstbewusstsein der Befragten zu erkennen sind. Die Verteilung des Indexes der internen Efficacy unterscheidet sich nicht in den beiden Stichproben. Kleinere Unterschiede zeigen sich nur, wenn man die einzelnen Items des Indexes getrennt voneinander analysiert.
195 Hierzu wurde eine logistische Regressionsanalyse gerechnet, die auch unter Kontrolle der anderen Ressourcen (Bildung, politische Informiertheit, Aktivität in Netzwerken) für den sozialen Integrationsgrad und die Erwerbstätigkeit als Zeitressourcen signifikante Effekte aufzeigt (siehe Anhang, Tab. A9).
202
7 Empirische Analyse
Tabelle 10: Items zur Messung der internen Efficacy in ALLBUS und ALLBUS+ Die ganze Politik ist so kompliziert, dass jemand wie ich gar nicht versteht, was vorgeht. Allbus Allbus+ Gesamt
Ich traue mir zu, in einer Gruppe, die sich mit politischen Fragen befasst, eine aktive Rolle zu übernehmen. Allbus Allbus+ Gesamt
stimme voll und ganz zu
n %
420 16,3
151 18,8
571 16,9
279 10,9
112 13,9
391 11,6
stimme eher zu
n %
671 26,0
233 28,9
904 26,7
526 20,5
180 22,4
706 20,9
stimme eher nicht zu
n %
897 34,8
244 30,3
1.141 33,7
818 31,9
241 30,0
1.059 31,4
stimme überhaupt nicht zu
n
593
177
770
944
271
1.215
%
23,0
22,0
22,7
36,8
33,7
36,0
n 2.581 805 3.386 2.567 804 3.371 % 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 Quelle: Eigene Berechnungen. DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). 2-Test: p < 0.05. Gesamt
Zunächst sind im ALLBUS+ mehr Personen enthalten, die die Politik als zu kompliziert beschreiben, so dass sie nicht verstehen, was dabei vorgeht (vgl. Item 1, Tab. 10). Über 47 Prozent der ALLBUS+-Befragten stimmen dieser Aussage (voll und ganz bzw. eher) zu. Im regulären ALLBUS bejahen dies hingegen nur 42 Prozent der Personen. Gleichzeitig sind die ALLBUS+-Befragten bei der Frage, ob sie sich in einer politischen Gruppe eine aktive Rolle zutrauen würden, sehr selbstbewusst: 36,3 Prozent trauen sich dies zu, im regulären ALLBUS sind es 31,4 Prozent. Es verwundert nicht, dass es keine Effekte beim Gesamtindex gibt, da die Einzelitems gegenläufige Effekte zeigen.196 Man kann zusammenfassend feststellen, dass im ALLBUS+ damit mehr Personen erreicht wurden, die sich eine aktive Rolle zutrauen. Zugleich empfindet aber auch ein größerer Anteil der Befragten Politik als zu kompliziert. Beim subjektiven politischen Wissen der Befragten, dem zweiten Indikator der Selbsteinschätzung der Befragten, treten keine Verteilungsunterschiede zwischen 196
Dieses Ergebnis ist ein Hinweis darauf, dass mit den Items leicht divergierende Dinge gemessen werden. Daher werden die beiden Items in den weiteren multivariaten Analysen auch getrennt voneinander zur Messung verschiedener Aspekte der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle in die folgenden Analysen integriert. Obwohl diese Items in der Regel verwendet werden, um interne Efficacy über einen Index zu messen, zeigen die hier vorliegenden Daten, dass dahinter verschiedene inhaltliche Dimensionen liegen und eine Zusammenfassung ungeeignet erscheint.
7.2 Bivariate Unterschiede zwischen ALLBUS und ALLBUS+
203
den beiden Stichproben auf. Jeweils ein Viertel der Befragten gibt an, im Allgemeinen sehr viel über Politik zu wissen, ein weiteres Drittel, viel darüber zu wissen (siehe Anhang, Tab. A10). Dieser Befund ist unabhängig vom Studiendesign. Die nur geringen Unterschiede könnten ein Indiz dafür sein, dass das Selbstbild der Befragten ein Merkmal ist, dass auch durch die veränderten Studienbedingungen nicht „überwunden“ werden kann. Wer sich nicht zutraut, an einer politischen Befragung teilnehmen zu können, sieht eine Umsetzung der Handlung als unmöglich an. Diese Personen lassen sich auch durch veränderte Studienbedingungen nicht überzeugen und nehmen daher nicht teil. Eventuell sind sie daher verstärkt in der Gruppe derjenigen enthalten, die auch im ALLBUS+ nicht befragt werden können. Immerhin sind dies auch beim ALLBUS+ noch etwa 30 Prozent der Ausgangsstichprobe.
7.2.2.3 Die Einstellung gegenüber der Teilnahme an einer politischen Befragung Auch bei den Merkmalen, die zur Messung der politischen, sozialen und der umfragespezifischen Einstellungen der Zielpersonen herangezogen werden, sind Verteilungsunterschiede zwischen ALLBUS und ALLBUS+ zu erwarten. Dabei wird angenommen, dass diese im regulären ALLBUS positiver sind als im ALLBUS+, dessen Befragte sich gemäß der oben genannten Hypothese durch eine negativere Einstellung gegenüber der Befragungsteilnahme auszeichnen sollten. Umfrageeinstellung Bei der Verteilung der Partizipationsnormen und der externen Efficacy, den beiden einzigen in den Daten enthaltenen Indikatoren für die Umfrageeinstellung, werden diese Erwartungen jedoch nicht erfüllt. Um die Verteilung der Partizipationsnormen zu messen, wurden die Befragten gebeten, anzugeben, wie wichtig ihnen der „Schutz des Rechts auf freie Meinungsäußerung“ ist, wenn sie sich zwischen diesem und drei anderen Politikzielen entscheiden müssten.197 Unabhängig von der Studie (ALLBUS/ALLBUS+) benennen etwa 18 Prozent der Befragten freie Meinungsäußerung als wichtigstes Ziel. 23 Prozent sagen, dass dieses Ziel ihnen am zweitwichtigsten ist (siehe Anhang, Tab. A11).198 197
Die drei alternativen Ziele sind: „Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung in diesem Land“, „Mehr Einfluss der Bürger auf die Entscheidungen der Regierung“ und „Kampf gegen die steigenden Preise“. Verwendet man nicht nur das einzelne Item, sondern den kompletten Inglehart-Index als Indikator, um die Nähe zu Partizipationsnormen abzubilden, der auf dem angesprochenen Ranking politischer Ziele beruht, zeigt sich dasselbe Bild: Im ALLBUS sind 18 Prozent der Personen als Postmaterialisten zu bezeichnen, im ALLBUS+ ist der Anteil mit ca. 20 Prozent nur unwesentlich höher. Dieser Unterschied von zwei Prozentpunkten liegt im Bereich zufälliger Abweichungen und ist nicht signifikant (siehe Anhang, Tab. A12). Beim Inglehart-Index werden diejenigen als Postmaterialisten bezeichnet, die die beiden Ziele „Schutz des Rechts auf freie Meinungsäußerung“ und „Mehr Einfluss der Bürger auf die Entscheidungen der Regierung“ vor den beiden anderen Zielen präferieren. Materialisten vergeben den beiden Zielen „Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung in diesem Land“
198
204
7 Empirische Analyse
Neben den Partizipationsnormen wurde auch die externe politische Efficacy der Befragten als Indikator für die Relevanz von Umfragen untersucht. Die zentrale Annahme zum Zusammenhang von externer politischer Efficacy und der Teilnahme an Umfragen verlief über das Argument einer positiven Umfrageeintellung. Es wurde argumentiert, dass die Befragten das politische System zunächst einmal als responsiv einschätzen müssen, um Umfragen überhaupt eine Relevanz zuzusprechen. Für die externe politische Efficacy wird im ALLBUS+ aus diesem Grund ein niedrigeres Niveau angenommen und es werden mehr Personen erwartet, die dem politischen System ein geringes Maß an Responsivität zuschreiben. Die Realität zeigt jedoch, dass sich die Befragten in beiden Studien wieder sehr einig sind: Auf einer Skala von 0 (keine externe Efficacy) bis 1 (hohe externe Efficacy) haben die Verteilungen in beiden Studien den identischen Mittelwert von 0,31. Die Befragten schreiben damit dem System insgesamt kein hohes Maß an Responsivität zu, unabhängig davon, ob sie unter Standardbedingungen oder den besonderen ALLBUS+Bedingungen teilgenommen haben. Der Vergleich der beiden Stichproben ALLBUS und ALLBUS+ zeigt damit keine Verteilungsunterschiede im Hinblick auf die Umfrageeinstellung. Dieser Befund ist jedoch mit Vorsicht zu interpretieren und nur im Hinblick auf die untersuchten Merkmale gültig, die sich wiederum nur auf die Einstellungen gegenüber spezifisch politischen Befragungen beziehen. Man kann bspw. nichts darüber sagen, ob ein größerer Anteil der Befragten unter Standardbedingungen mehr Spaß an Umfragen hat. Auch über die individuelle Erfahrung der Zielpersonen mit einer derartigen Kommunikationssituation lassen sich keine Aussagen treffen. Wie bereits im sechsten Kapitel diskutiert, stehen keine Indikatoren zur Messung dieser allgemeineren Dimensionen der Umfrageeinstellung zur Verfügung. Politisches Interesse/Politische Einstellungen Bei dem Vergleich der Verteilung der politischen Einstellungen sind ebenfalls kaum Besonderheiten bei den beiden Studien zu erkennen. Die Analyse des politischen Interesses zeigt, dass es diesbezüglich keinen signifikanten Unterschied zwischen beiden Stichproben gibt. Im ALLBUS+ geben insgesamt 32 Prozent der Befragten an, sich stark bzw. sehr stark für Politik zu interessieren, im ALLBUS sind es 31 Prozent. Der Median auf der fünfstufigen Skala von 1 „überhaupt kein Interesse“ bis 5 „sehr hoch“ liegt in beiden Studien bei einem Wert von 3 (siehe Tab. 11). Es scheint demnach nicht so zu sein, dass man aufgrund der Designvariationen im ALLBUS+ nun verstärkt diejenigen Personen erreicht hat, die sich ohne diese besonderen Bedingungen aufgrund mangelnden Interesses nicht beteiligen würden.
und „Kampf gegen die steigenden Preise“ die ersten beiden Rangplätze. Alle anderen werden als Mischtypen bezeichnet.
7.2 Bivariate Unterschiede zwischen ALLBUS und ALLBUS+
205
Man könnte argumentieren, dass das Incentive dazu geführt hat, das Interesse am Thema im ALLBUS+ gerade bei denjenigen zu steigern, die unter Normalbedingungen nicht teilnehmen würden. Eine multivariate Analyse aller Befragten, bei der die Höhe des Incentives als Kontrollvariable eingeführt wurde, zeigt jedoch, dass sich die substanziellen Befunde nicht verändern.199 Der Befund, dass es keinen signifikanten Zusammenhang zwischen dem politischen Interesse und der Studienbedingung gibt, bleibt bestehen; die Nullhypothese kann daher nicht verworfen werden. Tabelle 11: Politisches Interesse in ALLBUS und ALLBUS+ Wie stark interessieren Sie sich für Politik?
Allbus
Allbus+
Gesamt
sehr stark
n %
213 8,2
61 7,5
274 8,0
stark
n %
587 22,5
199 24,5
786 23,0
mittel
n %
1170 44,8
371 45,7
1.541 45,0
wenig
n %
424 16,2
121 14,9
545 15,9
überhaupt nicht
n %
218 8,3
60 7,4
278 8,1
2.612 812 3.424 100,0 100,0 100,0 Median 3,0 3,0 3,0 Quelle: Eigene Berechnungen. DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). 2-Test: p > 0.05. Gesamt
n %
Ein ähnliches Bild zeigt sich in beiden Teilstudien für das Zufriedenheitsniveau mit dem politischen System. Hierbei wurde zunächst nach der Zufriedenheit mit der Idee und der Umsetzung der Demokratie sowie der Regierungsperformanz gefragt. Zudem wurde aus den drei Items ein Gesamtindex zur politischen Systemzufriedenheit gebildet und diese Merkmale in den Befragtengruppen, die unter unterschiedlichen Bedingungen teilgenommen haben, miteinander verglichen. Dabei 199
Eine Analyse, die nur die Gabe des Incentives (ja/nein) als dichotome Variable einführt, ist nicht möglich, weil sie (fast) die gesamte Varianz der abhängigen Variable „Studienbedingung“ erklärt. Daher wird die Höhe des Incentives als Kontrollvariable eingebracht. Außerdem muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass eine kleine Stichprobe des regulären ALLBUS versehentlich ebenfalls mit 50 Euro durch das Institut incentiviert wurde. So existiert eine kleine Kontrollstichprobe mit 50 Euro incentivierter regulärer ALLBUS-Teilnehmer.
206
7 Empirische Analyse
kann man erkennen, dass die Idee der Demokratie in beiden Stichproben die besten Bewertungen erhält, gefolgt von der Umsetzung der Demokratie in Deutschland und der Regierungsperformanz. Die Bewertung wird mit zunehmendem Abstraktionsniveau des Einstellungsobjekts demnach besser, was für beide Teilstudien gilt. Der direkte Vergleich der beiden Studien zeigt zudem, dass es weder für den Gesamtindex noch für die Einzelitems signifikante Verteilungsunterschiede zwischen ALLBUS und ALLBUS+ gibt. Für all diese Merkmale macht es inhaltlich keinen Unterschied, ob man auf der Basis der niedriger ausgeschöpften ALLBUS-Studie oder auf der Basis des höher ausgeschöpften ALLBUS+ Schätzungen abgibt. Das Niveau der Zufriedenheit mit dem politischen System ist in beiden Studien gleich hoch (siehe Anhang, Tab. A14). Für den Bereich der politischen Einstellungen könnte man an dieser Stelle annehmen, dass die Merkmalsschätzungen unabhängig von der Ausschöpfung sind. Erste signifikante Verteilungsunterschiede zeigt aber die Untersuchung des Institutionenvertrauens. Auf dieser, im Vergleich zu Demokratiezufriedenheit und politischem Interesse, stärker spezifischen Ebene politischer Unterstützung treten nun deutlichere Differenzen auf, die jedoch zunächst wieder entgegen den zuvor aufgestellten theoretischen Annahmen verlaufen. Im ALLBUS+ wurde ein niedrigeres Vertrauensniveau erwartet, da dort verstärkt Personen enthalten sind, die unter Normalbedingungen eine Teilnahme verweigern würden. Für diese wird angenommen, dass sie dem System, und damit auch den Institutionen, die dieses repräsentieren, weniger vertrauen. Tabelle 12: Institutionenvertrauen (metrisch) bei ALLBUS und ALLBUS+ im Vergleich Institutionenvertrauen arithmetisches Mittel Standardabweichung Varianz
Allbus
Allbus+
Gesamt
4,12 1,04 1,07
4,24 1,12 1,26
4,15 1,06 1,12
n 2.604 813 3.417 Quelle: Eigene Berechnungen. DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). t-Test: p < 0.01.
Der Index des Institutionenvertrauens, der sich als einfacher Mittelwertindex aus dem Vertrauen in den Bundestag, die Bundesregierung, das Bundesverfassungsgericht, die Justiz im Allgemeinen, die Polizei, die Stadt- und Gemeindeverwaltung sowie die politischen Parteien ergibt und auf einer Skala von 1 „überhaupt kein Vertrauen“ bis 7 „sehr hohes Vertrauen“ liegt, weist im ALLBUS im Mittel einen Wert von 4,12, im ALLBUS+ einen Wert von 4,24 auf (siehe Tab. 12). Dieser Unterschied ist nicht sehr groß, aber dennoch vorhanden und hoch signifikant. Die Befragten im ALLBUS+ vertrauen den politischen Institutionen damit stärker als
7.2 Bivariate Unterschiede zwischen ALLBUS und ALLBUS+
207
die Befragten im regulären ALLBUS. Gleichzeitig zeigt die höhere Standardabweichung aber auch eine größere Heterogenität der Meinungen im ALLBUS+, was bedeutet, dass im ALLBUS+ sowohl verstärkt vertrauende als auch verstärkt misstrauende Zielpersonen befragt wurden. Durch die Zusatzmaßnahmen wurden damit nicht (nur) diejenigen erreicht, die dem System ansonsten kritisch gegenüber stehen. Einen größeren Anteil machen diejenigen aus, die sich durch ein hohes Maß an Institutionenvertrauen auszeichnen. Für diese nun zusätzlich im ALLBUS+ befragten Personen könnte man argumentieren, dass sie den Institutionen so viel Vertrauen entgegenbringen, dass sie selbst unter Standardbedingungen keinen Bedarf sehen, sich aktiv an einer Umfrage zu beteiligen. Dahinter verbirgt sich der Gedanke, dass es sich im ALLBUS+ verstärkt um Personen handelt, die nicht unzufrieden und uninteressiert sind, sondern vielmehr um normalerweise passive Personen, die glauben, dass „die da oben“ es schon richten werden. Erst wenn die individuellen Anreize über das Incentive wie im ALLBUS+ deutlich ansteigen, nehmen sie an einer politischen Befragung teil. Der Effekt des hohen Institutionenvertrauens könnte aber auch ein Artefakt des Befundes aus dem Bereich der Zeitressourcen darstellen: Das höhere Maß an Institutionenvertrauen im ALLBUS+ könnte auf den größeren Anteil sozial integrierter, erwerbstätiger Personen zurückzuführen sein. Welche Argumentation von den Daten gestützt wird, werden die multivariaten Untersuchungen in Abschnitt 7.3 zeigen. Der Befund des hohen Institutionenvertrauens bleibt auch für fast alle abgefragten politischen Institutionen stabil und geht nicht nur auf einzelne Einrichtungen zurück. Wenn man das Vertrauen in die abgefragten Institutionen getrennt voneinander untersucht, zeigt sich, dass mit Ausnahme der politischen Parteien überall höchstsignifikante Unterschiede auftreten (siehe Tab. 13). Im ALLBUS+ ist der Anteil derjenigen Personen, die ein großes Maß an Vertrauen in die Institutionen aufweisen, durchgehend höher als im regulären ALLBUS. Die Unterschiede in der Kategorie des hohen Vertrauens bewegen sich zwischen 3,9 (Bundesregierung und Bundestag) bis hin zu 7,5 (Polizei) Prozentpunkten. In ihrem Misstrauen gegenüber den politischen Parteien sind die Einschätzungen in beiden Gruppen hingegen identisch: Nur knapp 4 Prozent der Befragten geben an, den politischen Parteien ein hohes Maß an Vertrauen entgegen zu bringen.
208
7 Empirische Analyse
Tabelle 13: Institutionenvertrauen (ordinal) in ALLBUS und ALLBUS+ Allbus
Allbus+ Gesamt Allbus Allbus+ Gesamt BVerfG Bundestag n 175 66 241 488 155 643 niedrig % 7,4 8,7 7,7 19,5 19,8 19,6 n 1.302 362 1.664 1.781 524 2.305 mittel % 54,8 47,6 53,1 71,2 67,0 70,2 n 899 332 1.231 233 103 336 hoch % 37,8 43,7 39,3 9,3 13,2 10,2 n 2.376 761 3.137 2503 782 3.285 Gesamt % 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 Stadt- / Gemeindeverwaltung Justiz n 275 89 364 339 105 444 niedrig % 10,8 11,1 10,8 13,4 13,2 13,3 n 1.691 493 2.184 1.632 480 2.112 mittel % 66,1 61,4 65,0 64,5 60,2 63,5 n 591 221 812 559 212 771 hoch % 23,1 27,5 24,2 22,1 26,6 23,2 n 2.557 803 3.360 2.529 797 3.326 Gesamt % 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 Bundesregierung Polizei n 512 174 686 159 53 212 niedrig % 19,9 21,7 20,4 6,2 6,5 6,2 n 1.800 516 2.316 1.516 412 1.928 mittel % 70,1 64,4 68,7 58,6 50,8 56,8 n 256 111 367 910 346 1.256 hoch % 10,0 13,9 10,9 35,2 42,7 37,0 n 2.567 802 3.369 2.585 810 3.395 Gesamt % 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 politische Parteien n 845 249 1.094 niedrig % 33,4 31,5 33,0 n 1.590 510 2.100 mittel % 62,9 64,5 63,3 n 94 32 126 hoch % 3,7 4,0 3,8 n 2.529 791 3.320 Gesamt % 100,0 100,0 100,0 Quelle: Eigene Berechnungen. DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). 2-Test: p < 0.001 (außer pol. Parteien: n.s.). Zusammengefasst wurden die siebenstufigen Skalen jeweils zu niedrig (1, 2), mittel (3, 4, 5) und hoch (6, 7). Vertrauen
7.2 Bivariate Unterschiede zwischen ALLBUS und ALLBUS+
209
Gesellschaftliche Einstellungen Soziale Einstellungen sind, neben der Umfrageeinstellung und den politischen Einstellungen, die dritte Merkmalsgruppe auf der Einstellungsebene, für die angenommen wird, dass sie sich in ALLBUS und ALLBUS+ unterscheiden. Zunächst wird dazu das Vertrauen in die Mitmenschen untersucht. Die im theoretischen Teil ausgeführte Grundannahme war, dass Verweigerer weniger Vertrauen in ihre Mitmenschen haben als kooperationsbereite Zielpersonen. Da im ALLBUS+ im Vergleich zum regulären ALLBUS ein deutlich größerer Anteil „Verweigerer“ erreicht wurde, sollte daher dort auch das Vertrauensniveau insgesamt niedriger ausfallen. In beiden Studien wurde zunächst gefragt: „Manche Leute sagen, dass man den meisten Leuten trauen kann. Andere meinen, dass man nicht vorsichtig genug sein kann im Umgang mit anderen Menschen. Was ist Ihre Meinung dazu?“. Zudem war die Frage: „Gibt es in der unmittelbaren Nähe zu Ihrem Wohnort – so im Umkreis von einem Kilometer – irgendeine Gegend, wo Sie nachts nicht alleine gehen möchten?“ in beiden Fragebögen enthalten. Aus diesen beiden Items wurde ein Index zum Vertrauen in Mitmenschen gebildet, der zwischen 0 (kein Vertrauen) und 1 (sehr hohes Vertrauen) liegt. Beide Aussagen wurden zusätzlich getrennt voneinander analysiert, da mit der ersten Aussage eher diffuses Vertrauen, mit der zweiten Aussage stärker konkrete Kriminalitätsfurcht abgefragt wird und untersucht werden sollte, worauf sich die eventuell auftretenden Unterschiede beziehen. Die Analysen zeigen jedoch erneut, dass es keine signifikanten Differenzen zwischen den Befragten des ALLBUS und des ALLBUS+ bezüglich des Vertrauens in ihre Mitmenschen gibt. Der Mittelwert des Indexes liegt in beiden Studien bei einem Wert von 0,57. Jeweils etwa ein Viertel der Befragten gibt an, dass es eine Gegend gibt, in der sie nachts nicht alleine gehen möchten; etwas über 40 Prozent sind der Meinung, dass man im Umgang mit anderen Menschen nicht vorsichtig genug sein kann. Auch für diese Merkmale kann man somit konstatieren, dass es durch den höheren Anteil an Nonrespondenten im regulären ALLBUS nicht zu Veränderungen kommt (siehe Anhang, Tab. A15 und A16).
7.2.2.4 Die subjektive Norm Soziale Einstellungen sind nicht nur relevante Orientierungen zur Herausbildung einer Einstellung gegenüber der Teilnahme an einer Befragung, sondern können auch die antizipierten gesellschaftlichen Erwartungen und damit über die normative Ebene die Handlungsentscheidung eines Individuums beeinflussen. Wie bereits zuvor beschrieben, wirkt hauptsächlich das Ausmaß geteilter Normen und Werte auf die Herausbildung der sozialen Norm. Daher sollten sich auch dafür unterschiedliche Niveaus in ALLBUS und ALLBUS+ zeigen. Um diese Annahme zu prüfen, wird zunächst die Wahlnorm als Indikator für das empfundene Pflichtge-
210
7 Empirische Analyse
fühl gegenüber der Gesellschaft in beiden Studien untersucht. Diese sollte im regulären ALLBUS stärker internalisiert vorliegen als im ALLBUS+. Als zweites Merkmal wird die Entfremdung der Befragten vom gesellschaftlichen System über den Grad der Anomie gemessen. Die Analyse der Wahlnorm zeigt kleinere Verteilungsunterschiede zwischen beiden Stichproben, die zwar signifikant, allerdings zunächst erneut kontraintuitiv sind (siehe Tab. 14). Wenn man davon ausgeht, dass Pflichtbewusstsein und geteilte Normen das Teilnahmeverhalten positiv beeinflussen, würde man im ALLBUS+ bei einer deutlich höheren Ausschöpfung mehr Personen erwarten, die diese nicht internalisiert haben. Das Gegenteil trifft jedoch zu. Während im ALLBUS 6,3 Prozent der Befragten der Aussage „In der Demokratie ist es die Pflicht jedes Bürgers, sich regelmäßig an den Wahlen zu beteiligen“ überhaupt nicht zustimmen, sind es im ALLBUS+ lediglich 3,6 Prozent. Stimmen 62 Prozent im ALLBUS der Aussage zur Wahlnorm voll und ganz zu, sind es im ALLBUS+ mit fast 66 Prozent noch einmal mehr Befragte. Verschiedene Erklärungsmuster sind denkbar und auch hier werden multivariate Analysen zeigen, worauf dieser Effekt zurückzuführen ist. Er kann zum einen Resultat des – bereits bei der Diskussion um den sozialen Integrationsgrad angesprochenen – Opportunitätskosten-Effekts sein. Da im ALLBUS+ ein größerer Anteil erwerbstätiger und sozial integrierter Befragter erreicht wurde, könnte man annehmen, dass diese auch ein hohes Pflichtbewusstsein aufweisen. Wenn man den Integrationsgrad und die Erwerbstätigkeit kontrolliert, sollte sich dann der erwartete umgekehrte Effekt bei der Wahlnorm zeigen. Eine andere Möglichkeit wäre, dass die Wahlteilnahme und die Teilnahme an Befragungen von den Zielpersonen einfach als unterschiedliche Dimensionen von Bürgerpflicht wahrgenommen werden. Dann wäre das Ergebnis auf die Indikatoren zurückzuführen. Die Zusammenhänge würden in diesem Fall darauf hinweisen, dass man im ALLBUS+ Bürger erreicht, die zwar wählen gehen, etwa weil es sich um die institutionalisierteste Form politischer Beteiligung handelt. Darüber hinaus erkennen sie aber keine Pflicht zu weiterer politischer Partizipation. Zu diesem Bild der stärker passiven Bürger im ALLBUS+ passt auch der zuvor dargestellte Befund des hohen Institutionenvertrauens.
7.2 Bivariate Unterschiede zwischen ALLBUS und ALLBUS+
211
Tabelle 14: Wahlnorm in ALLBUS und ALLBUS+ In der Demokratie ist es die Pflicht eines Bürgers, regelmäßig wählen zu gehen. n stimme voll und ganz zu %
Allbus
Allbus+
Gesamt
1.596 62,1
524 65,8
2.120 63,0
stimme eher zu
n %
578 22,5
167 21,0
745 22,1
stimme eher nicht zu
n %
232 9,0
76 9,5
308 9,2
stimme überhaupt nicht zu
n %
162 6,3
29 3,6
191 5,7
n 2.568 796 3.364 % 100,0 100,0 100,0 Quelle: Eigene Berechnungen. DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). 2-Test: 2=9,7: p < 0.05. Gesamt
Neben der Wahlnorm wurde die Entfremdung der Befragten von der Gesellschaft in beiden Stichproben untersucht: Sind sie im ALLBUS+ eher orientierungslos und unsicher in der Einschätzung der Zukunft der Gesellschaft? Stehen die Befragten im regulären ALLBUS der Gesellschaft näher und sehen die zukünftige Entwicklung optimistisch? Um den Grad der Anomie zu messen, wurde die Zustimmung zu den Aussagen: „So wie die Zukunft aussieht, kann man es kaum noch verantworten, Kinder auf die Welt zu bringen“ und „Die Situation der einfachen Leute wird nicht besser, sondern schlechter“ sowie die Einschätzung des Umgangs der Menschen miteinander erfragt. Für diese Items ergeben sich im Gesamtvergleich jedoch wieder kaum relevante Verteilungsunterschiede (siehe Anhang, Tab. A16). Der einzig auffällige Unterschied ist, dass die Befragten im ALLBUS eine etwas größere Streuung bei der Anomie aufweisen. Auch an dieser Stelle könnte man jedoch die Wirkung von Drittvariablen annehmen. Dann würde der Vergleich von ALLBUS und ALLBUS+ keine deutlichen Effekte zeigen, weil – wie die ersten Analysen ergaben – im ALLBUS+ bspw. ein großer Anteil sozial integrierter Zielpersonen enthalten ist. Dieser Frage gehen sowohl die multivariaten Detailanalysen als auch die Untersuchungen innerhalb des ALLBUS+ nach, bei denen gezielt echte Verweigerer und Kooperative gegenübergestellt werden.
212
7 Empirische Analyse
7.2.2.5 Politische Partizipation Im Sinne des Common Cause-Modells ist schließlich auch der Blick auf die Verteilung des politischen Partizipationsniveaus in den beiden unterschiedlich ausgeschöpften Studien interessant. Hier würde man entsprechend der theoretischen Überlegungen annehmen, dass in der weniger ausgeschöpften Stichprobe des ALLBUS diejenigen überrepräsentiert sind, die sich aktiv beteiligen, im ALLBUS+ hingegen das Partizipationsniveau durchschnittlich etwas niedriger ist. Da jedoch die Effekte bei den Einstellungsmerkmalen, die im theoretischen Teil als Ursachen von Kooperation und Verweigerung und damit als gemeinsame Hintergrundvariablen diskutiert wurden, bereits nur teilweise und nicht unbedingt in der erwarteten Richtung auftreten, sollten nun auch kaum unterschiedliche Partizipationsniveaus in ALLBUS und ALLBUS+ zu erkennen sein. Aufgrund der Tatsache, dass im ALLBUS+, wie zuvor gezeigt, sogar ein größerer Teil sozial sehr integrierter Personen enthalten ist, ist sogar zu vermuten, dass die Teilnehmer des ALLBUS+, wenn überhaupt, auch politisch aktiver partizipieren, wenn man annimmt, dass soziale Integration positiv mit politischer Partizipation assoziiert ist. Für die Merkmale aus dem Bereich der politischen Partizipation soll nun zunächst das Wahlverhalten untersucht werden. Dabei wird, wie im sechsten Kapitel bereits beschrieben, zunächst auf die berichtete Wahlbeteiligung und die Gründe für eine Nichtwahl bei der Bundestagswahl 2005, anschließend über die so genannte Sonntagsfrage auf die Wahlabsicht und die voraussichtliche Parteiwahl bei der nächsten Bundestagswahl Bezug genommen. Tabelle 15: Die berichtete Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2005 in ALLBUS und ALLBUS+ Allbus
Allbus+
Gesamt
Wähler
n %
2.040 88,2
641 88,5
2.681 88,3
Nichtwähler
n %
272 11,8
83 11,5
355 11,7
n 2.312 744 3.056 % 100,0 100,0 100,0 Quelle: Eigene Berechnungen. DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). Filter: Nur die Wahlberechtigten. Gesamt
Für die Wahlbeteiligung (siehe Tab. 15) und die berichtete Parteiwahl (siehe Anhang, Tab. A17) zeigen sich erneut keine Verteilungsunterschiede zwischen den beiden Studien ALLBUS und ALLBUS+. Beide Stichproben kommen zu fast iden-
7.2 Bivariate Unterschiede zwischen ALLBUS und ALLBUS+
213
tischen, sehr robusten Ergebnissen: Etwa jeder Zehnte gibt an, nicht gewählt zu haben, knapp 90 Prozent der Befragten sind Wähler. Wenn man die Gründe der Nichtwähler analysiert, lassen sich signifikante Unterschiede erkennen: Im ALLBUS+ werden häufiger „sonstige Gründe“ angegeben als im regulären ALLBUS (39,3% vs. 12,1%). Nichtwähler aus Überzeugung sind im ALLBUS mit 12,5 Prozent stärker vertreten als im ALLBUS+, in dem sie nur 7,1 Prozent aller Nichtwähler ausmachen (siehe Anhang, Tab. A18). Tabelle 16: Die Verteilung der Wahlabsicht in ALLBUS und ALLBUS+ Wenn am nächsten Sonntag BTW wäre, welche Partei würden Sie dann mit Ihrer Zweitstimme wählen?
Allbus
Allbus+
Gesamt
Nichtwähler
n %
202 10,1
48 7,5
250 9,4
Wähler, davon:
n %
1.807 89,9
592 92,5
2.399 90,6
--CDU/CSU
n %
636 35,2
211 35,6
847 35,3
--SPD
n %
510 28,2
177 29,9
687 28,6
--FDP
n %
231 12,8
70 11,8
301 12,5
--Grüne
n %
235 13,0
66 11,1
301 12,5
--Republikaner
n %
8 0,4
4 0,7
12 0,5
--Die Linke
n %
150 8,3
59 10,0
209 8,7
--NPD
n %
19 1,1
4 0,7
23 1,0
--andere Partei
n %
18 1,0
1 0,2
19 0,8
n 2.009 640 2.649 % 100,0% 100,0% 100,0% Quelle: Eigene Berechnungen. DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). Gesamt
214
7 Empirische Analyse
Wenn man untersucht, was in den beiden Stichproben zur Parteiwahl berichtet wird, geben jeweils 40 Prozent der Befragten an, bei der Bundestagswahl 2005 CDU gewählt zu haben. Prognosen zum Wahlerfolg wären daher auf der Grundlage beider Studien sehr ähnlich.200 Damit ist ein interessanter Aspekt verbunden: Beide Studien sind mit diesen 40 Prozent sehr nah an den Wahlumfragen kommerzieller Institute, die im Vorfeld der Bundestagswahl Prognosen zum Ergebnis abgegeben haben. Gleichzeitig sind sie, ebenso wie diese Vorwahlbefragungen, recht weit vom tatsächlichen Endergebnis der Partei bei der Bundestagwahl 2005 entfernt, das bei 35,2 Prozent der gültigen Stimmen lag. Die CDU wird damit in den Befragungen überschätzt. Unterschätzt werden hingegen die Ergebnisse der Linken und der NPD. Erstens kommen beide Befragungen, ALLBUS und ALLBUS+, zu recht ähnlichen Ergebnissen. Zweitens bilden sie das tatsächliche Verhalten der Bevölkerung am Wahltag im Jahr 2005 nur ungenau ab. Dafür gibt es verschiedene Erklärungen. Unter der Voraussetzung, dass das berichtete Verhalten dem tatsächlichen Verhalten entspricht, handelte es sich bei den Abweichungen der Vorwahlbefragungen vom Endergebnis 2005 nicht – wie vielfach angenommen – um einen Last-MinuteSwing. Das bedeutet, die Wähler haben sich nicht kurz vor der Wahl umentschieden, da sie ja auch noch im Nachhinein angeben, CDU gewählt zu haben.201 Vielmehr könnte diese ein Indiz dafür zu sein, dass alle Umfragen mit dem gleichen „Fehler“ zu kämpfen haben, in Form von Verzerrungen aufgrund von Nonresponse. Diejenigen, die nicht an Umfragen teilnehmen, die weder in Vorwahlbefragungen, noch in regulären Studien wie dem ALLBUS und sogar unter den besonderen Bedingungen des ALLBUS+ nicht erreicht werden, würden in dieser Interpretation weniger stark zur CDU/CSU, aber stärker zu Linkspartei und NPD tendieren. Da auch im ALLBUS+ noch etwa ein Drittel der Bruttoausgangsstichprobe nicht an der Studie teilgenommen hat, treten die Verzerrungen auch dabei noch in ähnlicher Weise auf. Neben dem Wahlverhalten bei der Bundestagwahl 2005 wurde auch die Sonntagsfrage in die Analyse einbezogen. Hierbei zeigen sich wie zuvor keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden Studien. Der Unterschied beim Anteil der Nichtwähler in beiden Studien verfehlt, obgleich nur knapp (p=0,053), herkömmliche Signifikanzniveaus. Im ALLBUS+ sind die Wähler der beiden großen Volksparteien sowie der Linkspartei leicht überrepräsentiert, die kleinen Parteien hingegen etwas unterrepräsentiert. Die Abweichungen bei der Parteiwahl liegen jedoch im Zufallsbereich und sind nicht signifikant. Im Vergleich zur ersten Analyse der
200
Einzige Ausnahme wäre die größere Unsicherheit aufgrund der kleineren Stichprobe im ALLBUS+. Das Konfidenzintervall wäre in der Zusatzstudie breiter. 201 Eine alternative Interpretation wäre hierbei die Existenz eines Last-Minute-Swings, der sich aufgrund der Vermeidung kognitiver Dissonanzen nicht im Antwortverhalten spiegelt. Dies kann jedoch nicht untersucht werden.
7.2 Bivariate Unterschiede zwischen ALLBUS und ALLBUS+
215
berichteten Wahl kann man feststellen, dass bei der Sonntagsfrage ein größerer Anteil angibt, wählen gehen zu wollen. Auch die Analyse der drei Dimensionen politischer Partizipation (öffentliche, private und Protestbeteiligung) zeigt keine signifikanten Verteilungsunterschiede bei den Befragten der beiden Studien. Die Befragten im ALLBUS+ partizipieren nicht grundlegend „anders“ als die Befragten im regulären ALLBUS. Lediglich die Detailanalyse für einzelne Partizipationsformen zeigt Differenzen auf: Im ALLBUS+ gibt ein signifikant höherer Anteil der Befragten an, sich vorstellen zu können, sich in einer Partei aktiv zu beteiligen (17,4% zu 14%) und wählen zu gehen (84,1% zu 81,0%), um politisch Einfluss zu nehmen. Für diese beiden Formen politischer Partizipation zeigen sich die Unterschiede zwischen ALLBUS und ALLBUS+ nicht nur bei der Intention, sondern auch beim berichteten Verhalten: 82,3 Prozent der Befragten im ALLBUS+ geben an, gewählt zu haben, um politisch Einfluss zu nehmen, im Vergleich zu 78,6 Prozent, die diese Antwort im regulären ALLBUS geben. 6,9 Prozent haben sich in einer Partei aktiv beteiligt, im ALLBUS sagen dies nur 4,9 Prozent. Im ALLBUS+ gibt zudem ein größerer Anteil der Befragten an, aus Protest schon einmal eine andere Partei gewählt zu haben, als die, der sie nahe stehen (17,1% zu 14,1%) und bereits an Unterschriftensammlungen partizipiert zu haben (51,5% zu 46,2%). Bei allen anderen Partizipationsmöglichkeiten sind die Verteilungen in ALLBUS und ALLBUS+ jedoch wieder identisch. Dieser Befund stützt die Annahmen des Common CauseModells. Da sich die Hintergrundvariablen in beiden Studien nicht unterscheiden, tritt auch kaum unterschiedliches politisches Partizipationsverhalten auf.
7.2.3 Zwischenfazit zum bivariaten Vergleich von ALLBUS und ALLBUS+ Der Vergleich der unterschiedlich ausgeschöpften Stichproben lässt einige interessante Schlussfolgerungen zu. Zunächst wurde festgestellt, dass sich in der Gesamtbetrachtung bei etwa einem Fünftel aller untersuchten Merkmale Unterschiede feststellen lassen, wenn man die Verteilungen aller Merkmale in ALLBUS und ALLBUS+ miteinander vergleicht. Das bedeutet, bei diesen Merkmalen ist die unterschiedliche Ausschöpfung mit signifikanten Unterschieden verbunden: Schätzungen über die tatsächlichen Werte auf der Grundlage des ALLBUS würden von denen auf der Grundlage des ALLBUS+ abweichen. Aufgrund des Survey Variable Cause-Modells wurde zunächst angenommen, dass die Unterschiede bei Merkmalen aus dem Bereich der objektiven und wahrgenommenen Verhaltenskontrolle, der Einstellung der Befragten gegenüber der Teilnahme und bei den Indikatoren der sozialen Norm liegen müssten. Die erwarteten Effekte negativerer Einstellungen und einer geringeren Ressourcenausstattung im ALLBUS+ zeigten sich jedoch nur bedingt. Bei manchen Merkmalen treten überhaupt keine Unterschiede zwischen
216
7 Empirische Analyse
den beiden unterschiedlich ausgeschöpften Studien auf, zum Teil sind die auftretenden Differenzen in ihrem Verlauf als kontraintuitiv zu bezeichnen. Wie zuvor erwartet, erreicht man im ALLBUS+ bei einer höheren Ausschöpfung eher Personen mit einem geringen Zeitbudget: hauptberuflich Erwerbstätige und Menschen, die viel Zeit mit Freunden, Bekannten oder Kollegen verbringen. So weit entsprechen die Ergebnisse den theoretischen Annahmen. Eine unterschiedliche Verteilung kognitiver oder sozialer Ressourcen in der höher ausgeschöpften Studie gibt es jedoch nicht. Auch auf der Einstellungsebene zeigen sich kaum signifikante Unterschiede. Bei der Umfrageeinstellung gibt es überhaupt keine Differenzen, was jedoch das Resultat der Messung mit recht vagen Indikatoren in diesem Bereich und daher kein substanzieller Befund in Bezug auf die Umfrageeinstellung sein könnte. Bei den politischen Einstellungen unterscheiden sich die Befragten beider Studien nur hinsichtlich des Institutionenvertrauens, dort jedoch entgegen der erwarteten Richtung: Im ALLBUS+ sind nicht vermehrt misstrauische Menschen anzutreffen, sondern im Vergleich zum regulären ALLBUS diejenigen überrepräsentiert, die den Institutionen stärker vertrauen. Als mögliche Erklärung dafür wurde ausgeführt, dass man im ALLBUS+, gerade auf der ersten Stufe durch die Reduktion der Befragungszeit in Kombination mit dem kleinen Incentive, verstärkt sozial integrierte Bürger mit einem geringen Zeitbudget erreicht haben könnte. Für diese Bürger ist es rational, zunächst nicht die Kosten einer Befragung auf sich zu nehmen, um ihre Wünsche zu äußern, da sie ihr Bedürfnis an politischer Kommunikation über andere Aktivitäten befriedigen können. Zudem haben sie im direkten Vergleich zu den wenig integrierten Zielpersonen höhere Opportunitätskosten. Dieses Argument, dass Effekte vom hohen Integrationsgrad im ALLBUS+ ausgehen, könnte auch erklären, warum in dieser Studie mehr Befragte angeben, eine aktive Rolle in einer politischen Gruppe übernehmen zu können. Zwischen dem Zutrauen, selbst eine aktive Rolle in einer politischen Gruppe übernehmen zu können, und dem sozialen Integrationsgrad existiert ein signifikanter positiver Zusammenhang.202 Gleichzeitig zeigt sich in Bezug auf die Indikatoren der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle aber auch der zuvor erwartete Befund, dass im ALLBUS+ vermehrt der Aussage zugestimmt wird, Politik sei zu kompliziert. Im ALLBUS+ erreicht man also ebenfalls Menschen, die sich als wenig kompetent einschätzen und den politischen Bereich als zu kompliziert für sich selbst empfinden. Die divergierenden Befunde könnten ein Indiz dafür sein, dass im ALLBUS+ im Vergleich zum ALLBUS verschiedene Befragten-Gruppen zusätzlich erreicht werden. Zum einen diejenigen, die höhere Opportunitätskosten haben und aktiv in die Gesellschaft eingebunden sind. Auf der anderen Seite auch diejenigen, die eher passive Mitglieder der Gesellschaft sind, den Bereich der Politik als zu komplex 202
Dieser Zusammenhang zeigt sich sowohl bei allen Befragten als auch bei einer Analyse in den beiden Untergruppen. Kendalls tau-b (p<0,01): 0,22 (Allbus+), 0,20 (Allbus), 0,21 (Gesamt).
7.2 Bivariate Unterschiede zwischen ALLBUS und ALLBUS+
217
empfinden und sich davon entfernt haben. Diese Vermutung wird von der Analyse der Streuungen der Merkmale in ALLBUS und ALLBUS+ gestützt. Sowohl bei der Aussage: „Die ganze Politik ist so kompliziert, dass jemand wie ich gar nicht versteht, was vorgeht“ als auch bei der Selbsteinschätzung, ob man sich eine aktive Rolle in einer politischen Gruppe zutraue, ist die Streuung der Antworten im ALLBUS+ höher als die Streuung im ALLBUS. Das bedeutet, die extremeren Kategorien eindeutigerer Zustimmung und Ablehnung sind im ALLBUS+ stärker besetzt. Für alle bivariaten Unterschiede gilt, dass sie in ihrem Ausmaß als moderat zu bezeichnen sind und sich zumeist im einstelligen Prozentpunktdifferenz-Bereich bewegen. Wenn es jedoch bei den Ressourcen und den bislang untersuchten Einstellungen derart wenige Unterschiede zwischen den beiden unterschiedlich ausgeschöpften Stichproben gibt, bleibt die Frage, bei welchen Merkmalen die in Kapitel 7.2.1 genannten signifikanten Verteilungsunterschiede auftreten. Eine rein explorative Herangehensweise203 zeigt, dass dabei insbesondere die themenspezifischen politischen Einstellungen sowie soziodemographische Merkmale zu nennen sind. Im ALLBUS+ geben mehr Befragte an, „die Politik solle sich aus der Wirtschaft heraushalten“, und auch die Aussagen „Zum Schutz der Umwelt sollten härtere Maßnahmen getroffen werden“ und „Einwanderer sind gut für die deutsche Wirtschaft“ erhalten in der stärker ausgeschöpften Stichprobe signifikant höhere Zustimmungsraten. Die Befragten des ALLBUS+ sind demnach im Durchschnitt liberaler, umweltbewusster und Einwanderern gegenüber positiver eingestellt. Gleichzeitig sagen deutlich weniger Personen im ALLBUS+ als im regulären ALLBUS, dass „Deutschland […] militärische Unterstützung im Krieg gegen den Terror leisten“ solle, d.h. die Befragten sind pazifistischer. Weitere Differenzen zeigen sich bei der Mediennutzung sowie der Parteibindung. Der durchschnittliche Fernsehkonsum pro Woche ist im ALLBUS+ höher als in der Normalstudie, ebenso der Anteil Parteigebundener. Im ALLBUS+ geben knapp 63 Prozent der Befragten an, sich einer Partei verbunden zu fühlen, während im ALLBUS nur 57 Prozent der Befragten eine Parteibindung aufweisen. Neben dem zuvor gezeigten höheren politischen Institutionenvertrauen ist auch das Vertrauen in Hochschulen und das Zeitungswesen im ALLBUS+ höher als im ALLBUS. Wenn man auf der bivariaten Ebene die Verteilungen der langfristig stabilen soziodemographischen Merkmale untersucht, zeigt sich, dass im ALLBUS+ ein größerer Anteil verheirateter Menschen und Menschen, die mit Partnern zusammenleben, enthalten sind. Damit eng zusammen hängt der Befund, dass die durchschnittliche Haushaltsgröße im ALLBUS+ höher ist als im regulären ALLBUS. Im ALLBUS+ wurden mehr jüngere Zielpersonen interviewt, zugleich eher Menschen, die angeben, einen sehr guten oder guten Gesundheitszustand zu haben. Diese bei203 In der Regel sind derartige Analysen, die nicht theoriegeleitet vorgehen, wenig erfolgversprechend. Da der Nutzen hier aber ein Einblick in die Black Box der Nonrespondenten ist, wird diese Herangehensweise an dieser Stelle für einen kurzen Moment gewählt.
218
7 Empirische Analyse
den Merkmale hängen inhaltlich natürlich eng zusammen, da ein schlechterer Gesundheitszustand bei älteren Personen wahrscheinlicher ist. Auch die Einschätzungen der Interviewer bezüglich der Befragten unterscheiden sich in beiden Stichproben: Im ALLBUS+ geben die Interviewer deutlich häufiger an, dass die Befragten in einer sehr guten Wohnlage leben. Die Befragten waren nach Angaben der Interviewer auch interessierter an der Umfrage und haben zu einem höheren Anteil das Interview am Bildschirm mitverfolgt. All die bislang genannten Unterschiede, die die Befragten des ALLBUS+ im Vergleich zum ALLBUS aufweisen, passen nicht in das zuvor angenommene Bild der misstrauischen, unzufriedenen, wenig an Politik interessierten Bürger, die nicht an politischen Umfragen teilnehmen und erst durch einen großen (finanziellen) Aufwand doch noch konvertiert werden können. Je nachdem wie hoch eine Stichprobe ausgeschöpft wird, können zwar merkmalsspezifisch unterschiedliche Verteilungen resultieren, gleichzeitig ist es jedoch bei erstaunlich vielen Merkmalsverteilungen unerheblich, ob man eine Stichprobe nur zu knapp 40 oder über 60 Prozent ausgeschöpft hat.204 Die Verteilungen politischen Wissens, politischer Informiertheit und politischen Interesses, und damit dreier zentraler Merkmale der politischen Einstellungs- und Verhaltensforschung, sind – auf dem hier untersuchten Niveau – unabhängig von der Höhe der Ausschöpfung. Im ALLBUS+ sind im Vergleich zum ALLBUS sogar diejenigen stärker vertreten, von denen man annahm, sie sowieso zu erreichen: pflichtbewusste, parteigebundene, umweltbewusste, liberale Personen, die ein hohes Maß an Vertrauen in die politischen Institutionen haben und aktiv in ihr soziales Umfeld eingebunden sind. Die Annahme, dass Umfragen unter Normalbedingungen ein zu positives Abbild der Realität bieten (siehe Kap. 1, Lindström 1983: 81, zitiert nach Schnell 1991: 148), hat sich in diesem Fall nicht bestätigt. Es ist vielmehr in der Tendenz ein etwas zu pessimistisch gezeichnetes Bild. Für diese Befunde gibt es verschiedene Erklärungen: Zunächst muss man konstatieren, dass bislang nur bivariate Ergebnisse aufgezeigt wurden. Ob es sich dabei um Netto-Effekte handelt oder alle auftretenden Unterschiede auf einen Einflussfaktor, z.B. auf den größeren Anteil sozial eingebundener Zielpersonen, zurückzuführen sind, kann noch nicht gesagt werden. Das bedeutet, dass multivariate Analysen, die alle potenziellen Merkmale und ihr Zusammenwirken simultan betrachten, mit herangezogen werden müssen (siehe dazu das folgende Kap. 7.3). Zudem sind auf der Individualebene die direkt kooperativen Zielpersonen noch nicht den harten Verweigerern gegenüber gestellt worden. Dies ist aber notwendig, um die Konsequenzen über die vorliegende Studie hinaus abschätzen zu können, und um die theoretischen Erklärungsmodelle zur individuellen Handlungsentscheidung zu überprüfen. Auch diese Analyse kann einen weiteren Einblick in die Mechanismen 204
Bi- und multivariate Analysen sind noch robuster als die Schätzung von Mittel- und Anteilswerten. Das heißt, unterschiedliche Verteilungen der Merkmale müssen noch nicht dazu führen, dass sich Zusammenhangsanalysen oder z.B. Regressionsmodelle unterscheiden (vgl. Diekmann 1995: 364).
7.3 Multivariate Analyse: ALLBUS und ALLBUS+ im Vergleich
219
liefern, wie Verzerrungen aufgrund von Nonresponse entstehen. Sie folgt im Anschluss in den Kapiteln 7.4 bis 7.6.
7.3 Multivariate Analyse: ALLBUS und ALLBUS+ im Vergleich Um das Zusammenwirken der verschiedenen Merkmale zu untersuchen, werden multivariate Analysen benötigt. Diese sollen zeigen, welche Merkmale dafür verantwortlich sind, dass sich die Befragten in ALLBUS und ALLBUS+ unterscheiden. Prinzipiell stehen dazu mehrere statistische Verfahren zur Auswahl. Zunächst ist die Diskriminanzanalyse geeignet, Unterschiede zweier Gruppen hinsichtlich verschiedener Merkmale herauszuarbeiten. Sie ermöglicht es anzugeben, welche Variablen in welchem Maß dazu beitragen, die beiden Gruppen zu differenzieren (vgl. Backhaus et al. 2003: 156; Klecka 1980: 7). Formal unterscheiden sich die Verfahren der linearen Regressionsanalyse und der Diskriminanzanalyse nicht. Im Gegensatz zur Regressionsanalyse geht man bei der Diskriminanzanalyse jedoch davon aus, dass (mindestens) zwei Gruppen fest vorgegeben sind und die Merkmale, d.h. die unabhängigen Variablen, statistisch geschätzt werden (vgl. Backhaus et al. 2003: 177; Klecka 1980: 11). Damit wäre dieses Verfahren der Problemstellung zunächst theoretisch angemessen. Jedoch ist es an strenge Prämissen geknüpft und setzt sowohl metrische als auch multinormalverteilte unabhängige Variablen voraus. Gleichzeitig müssen die VarianzKovarianzmatrizen in den beiden Gruppen identisch sein. Zudem unterstellt die Diskriminanzanalyse einen linearen Zusammenhang zwischen abhängigen und unabhängigen Variablen (vgl. Klecka 1980: 11). Diesen hohen Anforderungen entsprechen die erhobenen Daten jedoch nicht. Dieses Problem kann man umgehen, wenn man statt der Diskriminanzanalyse eine logistische Regression verwendet. Diese analysiert, welche Merkmale die Wahrscheinlichkeit beeinflussen, zu einer bestimmten Gruppe zu gehören. Letztlich wird damit auch angegeben, welche Merkmale zur Unterscheidung der Gruppen geeignet sind. Die Anwendung einer logistischen Regression statt einer Diskriminanzanalyse hat den Vorteil, dass die unabhängigen Variablen nicht metrisch und multinormalverteilt sein müssen. Sie können auch kategoriales Skalenniveau aufweisen. Zudem ist die logistische Regression, anders als die Diskriminanzanalyse, unabhängig von der Gleichheit der VarianzKovarianzmatrizen anwendbar (vgl. Backhaus et al. 2003: 418). All diese Vorteile sprechen für die Anwendung einer logistischen Regression. Das theoretische Problem besteht jedoch weiter bei der Anwendung dieses Verfahrens. Das Prinzip der logistischen Regression sieht die unabhängigen Variablen als feste Merkmale an, die Gruppenzugehörigkeit wird als stochastisches Merkmal geschätzt. Dies ist beim Vergleich von ALLBUS und ALLBUS+ theoretisch nicht adäquat, da die Gruppenzugehörigkeit durch die Zugehörigkeit zu einer
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7 Empirische Analyse
der beiden Stichproben bereits im Vorfeld eindeutig determiniert ist. Für jede Zielperson wurde – wie bereits erwähnt – bei der Stichprobenziehung festgelegt, ob sie unter den Bedingungen des ALLBUS oder unter den Spezialbedingungen des ALLBUS+ interviewt wird. Da dieses theoretische Problem jedoch weniger gravierend erscheint als die zuvor aufgeführten strengen Prämissen der Diskriminanzanalyse, die verletzt würden, wird zur Analyse der Bedeutung verschiedener Merkmale zur Unterscheidung der beiden Gruppen (ALLBUS und ALLBUS+) eine logistische Regression gerechnet.205 Im Folgenden werden dazu verschiedene Modelle aufgestellt und analysiert, welche Variablen auch noch unter gegenseitiger Kontrolle zur Unterscheidung der beiden Gruppen beitragen. Um dem beschriebenen theoretischen Problem Rechnung zu tragen, werden bei der Interpretation der Ergebnisse lediglich die Stärke der Effekte und die Signifikanz der Einflussfaktoren beachtet. Dabei wird die Nullhypothese getestet, dass ein bestimmter Koeffizient Null ist, d.h. das Merkmal überhaupt keinen Einfluss auf die Trennung der Gruppen hat. Zu den Gesamtmodellen wird mittels Likelihood-Ratio-Tests analysiert, ob die ermittelten Ergebnisse signifikant, d.h. auf die Grundgesamtheit übertragbar sind. Die Höhe der Erklärungskraft der Modelle, die bei logistischen Regressionen häufig über die PseudoR2-Werte angegeben wird, wird nicht weiter berücksichtigt, da nicht angenommen wird, dass die Merkmale die Zugehörigkeit zu einer der beiden Gruppen „erklären“ können.206 Die Analyse kann jedoch zeigen, welche Merkmale für das Auftreten der Unterschiede in beiden Gruppen relevant sind. In Tabelle 17 sind die Einzelmodelle für die Merkmale der objektiven und wahrgenommenen Kontrollmöglichkeiten, der Einstellung gegenüber der Teilnahme und der subjektiven Norm aufgeführt. In Tabelle 18 befinden sich das Modell zu den Merkmalen der politischen Partizipation sowie die Koeffizienten der beiden Gesamtmodelle (mit und ohne Partizipationsvariablen). Abhängige Variable ist jeweils die Zugehörigkeit (1) oder Nicht-Zugehörigkeit (0) zum ALLBUS+. Positive logistische Regressionskoeffizienten drücken damit aus, dass Personen mit höheren Ausprägungen dieses Merkmals überrepräsentiert sind. Man kann erkennen, dass die Ergebnisse der zuvor berechneten bivariaten Analysen sehr robust sind. Bei den Merkmalen der objektiven Verhaltenskontrolle zeigen nur die Zeitressourcen einen signifikanten Effekt. Sowohl sozial integrierte 205
Ein drittes multivariates Verfahren zur Analyse der relevanten Merkmale zur Gruppenunterscheidung wäre der Einsatz von Entscheidungsbäumen gewesen. Eine Vergleichsstudie zu den Verfahren der Diskriminanzanalyse, der logistischen Regression und zu Entscheidungsbäumen zeigt jedoch, dass die Ergebnisse der drei Verfahren robust sind und ähnliche Ergebnisse resultieren (vgl. Lebert 2007). 206 Das korrigierte Pseudo-R2 nach McFadden ist für alle in Folge gerechneten Modelle sehr gering mit Werten unter 0,03, was den Befund stützt, dass es kaum Unterschiede zwischen den Gruppen gibt. Die bivariate Analyse (Kap. 6.2.1) zeigte ja bereits, dass fast 80% der abgefragten Merkmale keine signifikanten Unterschiede aufweisen. Darüber hinaus gehört ein Großteil der Merkmale, bei denen Unterschiede aufgetreten sind, nicht zu den hier untersuchten Merkmalen (wie etwa spezifische umweltbewusste oder liberale Einstellungen).
7.3 Multivariate Analyse: ALLBUS und ALLBUS+ im Vergleich
221
Personen, die sich mindestens wöchentlich oder sogar täglich mit Freunden, Bekannten oder Arbeitskollegen treffen, als auch Personen, die vollzeit erwerbstätig sind, sind im ALLBUS+ im Vergleich zum regulären ALLBUS überrepräsentiert. Für die anderen Merkmale aus dem Bereich der objektiven Ressourcen lassen sich keine signifikanten Effekte erkennen. Auch unter Hinzunahme der Merkmale der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle bleiben diese Effekte bestehen. Zudem zeigen sich sowohl für die Aussage, man traue sich eine aktive politische Rolle zu, als auch für die Aussage, Politik sei zu kompliziert, signifikante positive Einflüsse auf die Unterscheidung der beiden Befragtengruppen. Personen, die einer der beiden Aussagen zustimmen, sind demnach ebenfalls im ALLBUS+ überrepräsentiert. Für das politische Wissen ergibt sich, wie zuvor, kein signifikanter Einfluss auf die Diskriminierung der beiden Gruppen. Auch bei den beiden folgenden Merkmalsgruppen (Einstellung gegenüber der Teilnahme und subjektive Norm) bleiben die Ergebnisse aus der bivariaten Analyse stabil: Auf der Ebene der Einstellung gegenüber der Teilnahme bleibt der positive Effekt des Institutionenvertrauens bestehen, im Bereich der subjektiven Norm der positive Effekt geteilter Normen und Werte der Gesellschaft.
222
7 Empirische Analyse
Tabelle 17: Logistische Regressionsmodelle zum Einfluss der Merkmale aus den Bereichen der objektiven und wahrgenommenen Kontrolle, Einstellung gegenüber der Teilnahme und subjektiver Norm auf die Unterscheidung von ALLBUS und ALLBUS+ Modell 1: objektive Kontrolle -1,62 ***
Modell 2: Modell 3: obj.+wahrg. Einst. ggü. Kontrolle Teilnahme -0,75 *** -1,56 ***
Modell 4: subjektive Norm -1,71 ***
Konstante Bildung (Referenz: Abitur) - höchstens Hauptschule 0,14 0,09 - Realschule 0,12 0,09 Index politische Informiertheit 0,02 0,02 aktive Mitgl. in einem Verein -0,06 -0,07 Zeit mit anderen verbringen (Referenz: nie) - täglich 0,75 ** 0,67 * - wöchentlich 0,57 * 0,50 * - monatlich 0,10 0,04 - seltener 0,10 0,05 Zeit (vollzeit erwerbstätig) 0,22 ** 0,22 * Traue mir aktive Rolle zu 0,13 ** Politik zu kompliziert 0,17 ** politisches Wissen 0,00 Umfrageeinstellung externe Efficacy -0,07 Nähe zu Beteiligungsnormen -0,04 politische Einstellungen politisches Interesse 0,04 Zufriedenheit mit der Demokratie 0,00 Institutionenvertrauen 0,10 * Einstellungen ggü. der Gesell. Vertrauen in Mitmenschen -0,05 geteilte Normen (Referenz: keine) - sehr hoch 0,61 ** - hoch 0,49 * - niedrig 0,61 * Anomie -0,01 Fallzahl 3295 3219 3320 3365 Quelle: Eigene Berechnungen. DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). Angegeben sind die logistischen Regressionskoeffizienten b. * p<0.05; ** p<0.01; *** p<0.001.
Wenn man die Variablen zur Messung verschiedener Formen der politischen Partizipation (siehe Tab. 18) mit in die Analyse einführt, sind schließlich nur Effekte auf der Ebene der einzelnen Partizipationsmöglichkeiten zu erkennen. Es wurden
7.3 Multivariate Analyse: ALLBUS und ALLBUS+ im Vergleich
223
daneben auch Modelle mit den anderen Partizipationsvariablen207 gerechnet, die jedoch alle weder einen Einfluss auf die Unterscheidung der Gruppen noch auf die Effekte der anderen Merkmale zeigten. Daher werden sie an dieser Stelle auch nicht weiter berichtet. Tabelle 18: Logistische Regressionsmodelle zum Einfluss der Merkmale auf die Unterscheidung von ALLBUS und ALLBUS+: Politische Partizipation und Gesamtmodelle
Konstante Bildung (Referenz: Abitur) - höchstens Hauptschule - Realschule Index politische Informiertheit aktive Mitgl. in einem Verein Zeit mit anderen verbringen (Referenz: nie) - täglich - wöchentlich - monatlich - seltener Zeit (vollzeit erwerbstätig) traue mir aktive Rolle zu Politik zu kompliziert politisches Wissen Umfrageeinstellung externe Efficacy Nähe zu Beteiligungsnormen politische Einstellungen politisches Interesse Zufriedenheit mit der Demokratie Institutionenvertrauen Einstellungen ggü. der Gesell. Vertrauen in Mitmenschen
207
Modell 5: Modell 6: pol. Partizipa- Gesamtmodell tion I -1,35 *** -3,09 *** 0,07 0,09 0,02 -0,05
0,64 0,46 0,01 0,02 0,24 0,12 0,17 -0,02
Modell 7: Gesamtmodell II 3,20 *** 0,08 0,08 0,01 -0,06
*
** * **
0,65 0,45 0,00 -0,04 0,24 0,13 0,17 -0,02
*
** * **
-0,03 -0,05
-0,06 -0,05
0,06 -0,02 0,09
0,04 -0,01 0,10 *
-0,14 -0,14 (Fortsetzung der Tabelle auf der nächsten Seite)
Dazu gehören die Merkmale Wahl/Nichtwahl und Parteiwahl bei der Bundestagswahl 2005, die drei Faktoren, die sich aus der Hauptkomponentenanalyse ergeben haben (öffentliche, nicht-öffentliche und Protest-Partizipation) sowie die einzelnen Formen auf der Ebene der Partizipationsintention („Würde ich machen“).
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7 Empirische Analyse
Tabelle 18: Fortsetzung geteilte Normen (Referenz: keine) - sehr hoch 0,54 * 0,48 * - hoch 0,47 * 0,42 - niedrig 0,67 ** 0,66 ** Anomie -0,02 -0,03 politische Partizipation: Habe... Meinung sagen, im Bekanntenkreis -0,14 -0,18 sich an Wahlen beteiligen 0,21 0,31 * öffentliche Diskussionen 0,04 0,00 Mitarbeit in einer Bürgerinitiative -0,28 -0,30 * in einer Partei aktiv mitarbeiten 0,39 * 0,26 Teilnahme nicht genehmigte Demo -0,11 -0,10 Teilnahme genehmigte Demo -0,06 -0,06 aus Protest nicht wählen 0,08 0,16 aus Protest andere Partei wählen 0,20 0,21 Unterschriftensammlung 0,22 * 0,23 * Waren boykottieren oder kaufen -0,08 -0,10 Online-Protestaktion 0,09 0,06 Fallzahl 3423 3112 3111 Quelle: Eigene Berechnungen. DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). Angegeben sind die logistischen Regressionskoeffizienten b. * p<0.05; ** p<0.01; *** p<0.001.
Im reinen Partizipationsmodell (Modell 5) zeigen sich zunächst positive Effekte für die aktive Parteiarbeit und die Teilnahme an einer Unterschriftensammlung. Personen, die diese Tätigkeiten bereits ausgeübt haben, sind im ALLBUS+ im Vergleich zum regulären ALLBUS stärker vertreten. Letztgenannter Effekt bleibt auch im Gesamtmodell II (Modell 7) bestehen. Gleichzeitig zeigt sich dabei für die Wahlbeteiligung ein positiver, für die Mitarbeit in einer Bürgerinitiative ein negativer Einfluss. Die Überrepräsentation aktiver Parteimitglieder im ALLBUS+, der im Partizipationsmodell (Modell 5) noch zu erkennen war, ist im Gesamtmodell II (Modell 7) verschwunden und war daher über die Merkmale auf der Ebene der Ressourcen und/oder Einstellungen vermittelt. Das Gesamtmodell II zeigt zudem, dass die beschriebenen Zusammenhänge zwischen den Merkmalen und der Gruppenzugehörigkeit ansonsten weitgehend unabhängig voneinander sind. Bei den Analysen zu den Unterschieden zwischen ALLBUS und ALLBUS+ muss berücksichtigt werden, dass ein Teil der Differenzen bereits über die unterschiedlichen Hauptbearbeitungen zustande kommen könnten. Aus diesem Grund hat man es inhaltlich nicht unbedingt mit der Entscheidung eines Individuums, zu „verweigern“, zu tun. Vielmehr zeigt sich dabei der Effekt einer stärker im Vergleich zu einer schwächer ausgeschöpften Stichprobe. Bereits in der Hauptbearbeitung werden mehr Personen interviewt, die aufgrund eines kleinen Incentives und der kürzeren Befragungszeit an der Studie teilnehmen. Die aufgetretenen Effekte
7.3 Multivariate Analyse: ALLBUS und ALLBUS+ im Vergleich
225
weisen darauf hin, dass man zunächst diejenigen erreicht hat, die erwerbstätig und unternehmungslustig sind, und für die Zeit eine knappe Ressource darstellt. Allen Befragten der Hauptbearbeitung des ALLBUS+ ist jedoch gemeinsam, dass sie die Teilnahme an der Studie zuvor nicht aktiv verweigert haben. Wenn sich die Zielpersonen, die aktiv verweigern und dann in der intensiven Nachbearbeitung erreicht werden, von den kooperativen Teilnehmern der Hauptbearbeitung unterscheiden, könnten diese Effekte beim bisherigen Vergleich von ALLBUS und ALLBUS+ durch die Hauptbearbeitung überlagert sein und nicht zutage treten. Da es sich bei den aktiven Verweigerern nur um etwa ein Fünftel aller Befragten des ALLBUS+ handelt, verändern sie die Gesamtverteilungen nur begrenzt. Dies gilt besonders dann, wenn man annimmt, dass sich die Effekte aus Haupt- und Nachbearbeitung gegenseitig aufheben. Wenn man vermutet, dass im ALLBUS+ in der Hauptbearbeitung überdurchschnittlich diejenigen mit wenig Zeit, aber großem sozialem Integrationsgrad, Interesse und Informationsgrad erreicht werden, sind diejenigen noch einmal stärker überrepräsentiert, die man bereits unter regulären Bedingungen gut erreicht hätte. Selbst wenn man dann in der Nachbearbeitung die uninteressierten, uninformierten und extremer eingestellten Personen erreichen würde, könnten sich die Effekte in der Gesamtbetrachtung des ALLBUS gegenüber der Studie ALLBUS+ aufheben. Daher soll nun in den beiden folgenden Kapiteln 7.4 und 7.5 der Fokus auf die individuelle Teilnahmeentscheidung des Individuums gelegt werden. Bislang wurde der Frage nachgegangen, was sich an der Merkmalsverteilung verändert, wenn eine Stichprobe deutlich höher ausgeschöpft wird. Nun soll die explizite Entscheidung zu Kooperation oder Verweigerung auf der Individualebene als abhängige Variable im Vordergrund stehen. Dazu werden innerhalb des ALLBUS+ diejenigen, die in der Hauptbearbeitung sofort kooperiert haben, mit denjenigen verglichen, die zunächst verweigerten und erst in der Nachbearbeitung durch das 50 Euro-Incentive oder sogar erst in einer der beiden Nachfassaktionen von einer Teilnahme überzeugt werden konnten. Die aus der Theorie abgeleitete Vermutung ist, dass man die uninformierten, nicht involvierten, wenig aktiven Personen erst in diesen späteren Stufen der Datenerhebung erreicht. Aus der Analyse ausgeschlossen werden dabei nun die Zielpersonen, die nach Haupt- und Nachbearbeitung im ALLBUS+ nicht erreicht wurden bzw. die nicht befragbar waren. Aus dieser Analyse, in Verbindung mit der Untersuchung der beiden sich anschließenden telefonischen und schriftlichen Nachfassaktionen, kann man dann bessere Prognosemodelle über diejenigen Personen aufstellen, die auch in der hier vorliegenden Studie nicht befragt werden konnten.
226
7 Empirische Analyse
7.4 Der Vergleich von Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+ Nachdem zuvor zwei unterschiedlich ausgeschöpfte Studien miteinander verglichen – und damit die Konsequenzen von Teilnahmeverweigerungen für die Forschungspraxis fokussiert – wurden, steht jetzt die individuelle Handlungsentscheidung im Mittelpunkt des Interesses. In diesem Abschnitt wird daher der Frage nachgegangen, ob sich diejenigen, die sofort bereit sind, ein Interview zu geben, von denjenigen unterscheiden, die zunächst aktiv verweigern und daher ohne weiteren Aufwand Nicht-Teilnehmer wären. Dabei werden nur noch die Zielpersonen des ALLBUS+ untersucht, um – wie zuvor bereits erläutert – die Verweigerer auf einem höheren Niveau zu erreichen. Die zentrale abhängige Variable ist die VerAnalyse 2 weigerung in der Hauptbearbeitung. Da jetzt explizit innerhalb des Rahmens eiALLBUS ALLBUS+ ner Handlungstheorie argumentiert wird, werden die Fälle aus der Analyse ausgeschlossen, die in der Hauptbearbeitung nicht erreicht wurden, oder die aus einem anderen Grund, der unabhängig von der Kooperationsentscheidung ist (z.B. Nicht-Befragbarkeit), nicht teilnehmen konnten (n=46). Damit werden lediglich die direkt Kooperativen (n=603) den expliziten Verweigerern (n=164) gegenübergestellt. Analog zu den vorigen Analysen erfolgt der Vergleich im ersten Schritt bivariat und es wird analysiert, wie sich die beiden Gruppen hinsichtlich verschiedener Merkmale voneinander unterscheiden. In einem zweiten Schritt wird auf der Basis logistischer Regressionsmodelle multivariat untersucht, welche Effekte auch unter gegenseitiger Kontrolle Bestand haben und wie stark jeweils der relative Einfluss der einzelnen Merkmale ist. An dieser Stelle werden die beiden zuvor theoretisch konzeptualisierten Modelle zu den Ursachen und Konsequenzen der Verweigerungshandlung, das Survey Variable Cause-Modell und das Common Cause-Modell, überprüft. Im Anschluss daran werden diejenigen, die erst in den telefonischen und schriftlichen Nachfassaktionen erreicht wurden, den zuvor kooperativen Befragten gegenübergestellt. Dieser Vergleich ist aufgrund der geringen Fallzahlen in den Nachfassaktionen nur auf bivariater Ebene sinnvoll und möglich, kann jedoch Indizien liefern, ob sich gewisse Muster bestätigen. Abschließend soll eine Übersicht zeigen, welche der im vierten Kapitel aufgestellten Hypothesen sich vorläufig bewährt haben.
7.4 Der Vergleich von Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+
227
Ein zentrales Problem bei den folgenden Ausführungen ist, dass die Messungen der abhängigen und unabhängigen Variablen zu unterschiedlichen Zeitpunkten stattgefunden haben. Die binäre abhängige Variable Kooperation/Verweigerung wurde in der Hauptbearbeitung der Studie erhoben. Zwischen Februar und Mai 2008 stellte sich in der Regel heraus, ob eine Zielperson die Teilnahme am ALLBUS+ zunächst verweigerte oder nicht.208 Die unabhängigen Variablen, d.h. die Merkmale aus dem Bereich der Ressourcen, der politischen und sozialen Einstellungen sowie der Umfrageeinstellung, wurden zwar bei den Kooperativen ebenfalls in der Hauptbearbeitung erhoben, bei den so genannten Verweigerern allerdings erst in der Nachbearbeitung zwischen Mai und August 2008. Ein konkretes Beispiel soll das damit verbundene Problem verdeutlichen: Es wäre möglich, dass das individuelle politische Interesse einer Zielperson zum Zeitpunkt der Hauptbearbeitung sehr niedrig war und sie aus diesem Grund eine Teilnahme verweigerte. Einige Wochen später, zum Zeitpunkt der Nachbearbeitung, könnte das politische Interesse aber aufgrund zwischenzeitlicher Ereignisse angestiegen sein. Aus diesem Grund – immer angenommen, das politische Interesse beeinflusse die Entscheidung – nimmt die Zielperson dann in der Nachbearbeitung doch teil. Auf die Frage nach ihrem politischen Interesse gibt sie wahrheitsgemäß an, dass sie (nun) ein hohes politisches Interesse habe. In diesem Fall würde sich bei der Analyse kein Zusammenhang zwischen einer Verweigerung und dem politischen Interesse zeigen, da dieses zum Zeitpunkt der Teilnahme, d.h. dem zweiten Messzeitpunkt, genauso hoch ist, wie bei den sofort Kooperativen zum Zeitpunkt ihrer Befragung. Dennoch hat es zuvor die erste Entscheidung der Zielperson beeinflusst, d.h. es gab einen Effekt des Interesses. Da zum ersten Zeitpunkt jedoch keine Messung der unabhängigen Variablen vorliegt, kann das zum Zeitpunkt der Verweigerung geringere politische Interesse nicht abgebildet werden. Dieses Problem lässt sich mit den vorliegenden Daten für die in diesem Kapitel angestrebte Analyseebene empirisch nicht lösen.209 Man kann aber theoretisch argumentieren, dass es sich bei den Merkmalen auf der Ebene der unabhängigen Variablen um relativ stabile Eigenschaften handelt, die sich über die Zeit kaum verändern dürften und darum angenommen wird, dass das Problem die Interpretation der Ergebnisse nicht gravierend beeinflusst. Ein zentrales Argument für die Stabilität der Merkmale ist, dass es sich bei den erhobenen politischen Einstellungen um sehr robuste Merkmale handelt. Einstellungen können sich verändern, wenn das Individuum hinreichend neue, gegenläufige Eindrücke sammelt (siehe die Einstellungsdefinition, Kap. 4.2.1). Wie ein Blick auf die innenpolitische Lage in Deutschland im Frühjahr und Sommer 2008 208 25 der 603 in der Hauptbearbeitung befragten Zielpersonen, die damit zu den direkt Kooperativen und nicht zu den Verweigerern gehören, wurden erst in den Monaten Juni bis August befragt. Dabei handelt es sich überwiegend um Adressen, bei denen QNA-Ersetzungen erfolgt waren. 209 Dies ist mit ein Grund für die zuvor durchgeführte Analyse eines Vergleichs von ALLBUS und ALLBUS+Befragten. Dadurch wird versucht, die Befunde abzusichern.
228
7 Empirische Analyse
zeigt, gab es innerhalb der Feldzeit zwischen März und Juli 2008210 kaum politische Großereignisse, die die politischen oder gesellschaftlichen Einstellungen gravierend beeinflusst haben könnten. Die politische Agenda wurde zunächst von den hessischen Landtagswahlen und dem darauf folgenden Versuch Andrea Ypsilantis, eine Regierung von Grünen und SPD zu bilden, die von der Linken toleriert wird, dominiert. Medial spitzte sich die Lage in Hessen allerdings erst ab August zu, als die SPD-Führung beschloss, sich tatsächlich von der Linkspartei tolerieren zu lassen (vgl. FOCUS 2008).211 Daraufhin musste Kurt Beck im September den Parteivorsitz abgeben. Der endgültige hessische „Wortbruch“ wurde anschließend erst im Oktober auf einem Sonderparteitag der Landes-SPD begangen, bei dem der Vorschlag Ypsilantis von den Parteimitgliedern abgesegnet wurde. Danach verhinderten die vier so genannten „Abweichler“ eine Wahl Ypsilantis. Dieses Ereignis, das nur exemplarisch und in verkürzter Form dargestellt werden kann, fällt somit insgesamt in die Zeit nach der Datenerhebung und kann die Einstellungen der Zielpersonen nicht beeinflusst haben. Auch andere wichtige politische und gesellschaftliche Ereignisse, wie etwa die Steueraffäre und die sich anschließende Verhaftung Klaus Zumwinkels (im Februar 2008) oder die bayerische Landtagswahl mit deutlichen Verlusten der CSU (im September 2008), lagen außerhalb des Untersuchungszeitraums. Die weltweite Finanzkrise, von der man Einflüsse annehmen kann, verlief während der Feldzeit der Studie auf weitgehend gleichbleibendem Niveau. Die Finanzkrise verschärfte sich erst im Herbst, als der Übergriff auf die Realwirtschaft und die darauf folgende Rezession begannen. Große Ereignisse rund um den Themenkomplex der Datensicherheit, wie z.B. der Skandal bei der Deutschen Telekom, lagen ebenfalls außerhalb der Feldzeit (vgl. zu den relevanten politischen Ereignissen aus dem Jahr 2008 die mediale Rückschau im Spiegel: DER SPIEGEL 1/2009 vom 29.12.2008: 14f.). Die Zeit der Datenerhebung zwischen März und Juli 2008 kann dementsprechend als relativ stabil in Bezug auf politische und gesellschaftliche Großereignisse, welche die Einstellungen der Bürger beeinflusst haben könnten, bewertet werden.212 Auch die empirische Forschung stützt eine Relativierung des Problems der beiden Messzeitpunkte: Politische Einstellungen, die als unabhängige Variablen in die Analyse eingehen, nehmen in Bezug auf ihre Stabilität eine Mittelstellung zwischen absolut konstanten soziodemographischen Merkmalen wie beispielsweise dem Geschlecht und stärker variableren Merkmalen wie etwa der Sympathie für einen Politiker ein (vgl. Kaspar 2009: 63). Es erscheint daher erlaubt, sie für einen Zeitraum von etwa drei Monaten als stabil einzuschätzen. Es ist kaum zu erwarten, 210
Im Februar und im August wurden mit sechs bzw. vier Interviews kaum Fälle generiert, daher wird der Zeitraum hier auf den Bereich zwischen März und Juli begrenzt. 211 http://www.focus.de/politik/deutschland/regierungsbildung-hessen-spd-will-die-macht_aid_324708.html (Referenzdatum: 10.03.2010). 212 Damit ist selbstverständlich noch nicht gesichert, dass es nicht auf individueller Ebene Ereignisse gab, die die Einstellungen einzelner Zielpersonen verändert haben könnten. Dies dürfte sich jedoch nicht in der Gesamtbetrachtung der Stichprobe zeigen.
7.4 Der Vergleich von Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+
229
dass eine Zielperson zwischen Haupt- und Nachbearbeitung derart viele Erfahrungen sammelt, dass sich durch die Bewertung und Wahrnehmung des aktuellen Tagesgeschehens ihre Einstellungen verändern. Gerade für normative oder wertebasierte Einstellungen, wozu die Demokratiezufriedenheit, die Wahlnorm, aber auch das Institutionenvertrauen und das Vertrauen in die Mitmenschen gerechnet werden können, lassen sich hohe Stabilitätswerte zeigen (vgl. Kaspar 2009: 77). Grundsätzlich wird daher angenommen, dass die Ergebnisse von der Messung zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten nicht wesentlich beeinflusst sind.
7.4.1 Überblick: Analyse über alle Merkmale Analog zum Kapitel 7.2.1 wird zunächst untersucht, inwiefern überhaupt Unterschiede zwischen den Merkmalsverteilungen bei Kooperativen und Verweigerern auftreten. Damit wird die Hypothese H1.2 überprüft, in der angenommen wird, dass signifikante Unterschiede zwischen Teilnehmern und Verweigerern einer politikwissenschaftlichen Studie existieren.213 Zunächst kann man feststellen, dass Verteilungsunterschiede zwischen den direkt Kooperativen und den Verweigerern zu erkennen sind, d.h. die Hypothese H1.2 kann als (vorläufig) bewährt gelten (siehe Tab. 19). Die Unterschiede sind jedoch, wie bereits beim Vergleich von ALLBUS und ALLBUS+, erneut in ihrem Ausmaß als moderat zu bezeichnen. Von den 172 abgefragten Befragtenmerkmalen unterscheiden sich die Verteilungen zwischen den beiden Gruppen lediglich bei 39 Items.214 Das bedeutet, dass man bei weniger als einem Viertel der untersuchten Items signifikant voneinander abweichende Verteilungen erkennen kann, und dass sich Kooperative und Verweigerer bei dem überwiegenden Teil der Merkmale nicht unterscheiden. Allerdings kann man zugleich erkennen, dass der größte Teil der voneinander abweichenden Verteilungen auf die inhaltlich interessante Einstellungsebene entfällt, nämlich auf politische und soziale Einstellungen sowie auf das politische Verhalten von Kooperativen und Verweigerern. Dies bestätigt die Hypothese H1.3, nach der angenommen wird, dass die Unterschiede bei den inhaltlich relevanten und aus politikwissenschaftlicher Perspektive besonders interessanten politischen Einstellungs- und Verhaltensvariablen auftreten.
213
Da die Fallzahl in den nun folgenden Analysen aufgrund der Fokussierung auf den ALLBUS+ reduziert ist, wird zur Überprüfung der Hypothese ein -Fehler von 10 Prozent toleriert. Gleichzeitig wird angegeben, welche Effekte auch bei den üblichen Signifikanzniveaus (p<0.05) Bestand haben. 214 Bei einem 5%-Signifikanzniveau sind es noch 25 Items mit signifikanten Verteilungsunterschieden.
230
7 Empirische Analyse
Tabelle 19: Verteilungsunterschiede Kooperative vs. Verweigerer im ALLBUS+ Anzahl n
Merkmalsgruppen
65
politische Einstellungen
22
signifikante Unterschiede215 n % 15 (10)
23% (15%)
gesellschaftliche / soziale Einstellungen
7 (7)
32% (32%)
44
politisches Verhalten
11 (5)
25% (11%)
6
Mediennutzung
1 (0)
17% (0%)
26
Soziodemographie
5 (3)
19% (12%)
9
Interviewerbeobachtungen
4 (3)
44% (33%)
6
Interviewermerkmale
3 (1)
50% (17%)
178
Summe der untersuchten Merkmale
46 (29)
26% (16%)
172
---- davon: Befragtenmerkmale
39 (25)
23% (15%)
Quelle: Eigene Berechnungen. DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). 2-Test / t-Test: p < 0.10.
Auf der Ebene der soziodemographischen Merkmale unterscheiden sich die beiden Gruppen kaum voneinander. Die Verweigerer wohnen eher in Großstädten mit über 500.000 Einwohnern (20,9% zu 12,4%), die Kooperativen stammen eher aus kleineren Städten und Dörfern. Bei den Verweigerern sind zudem gewisse Regierungsbezirke überrepräsentiert, allerdings lässt sich dabei keine grundlegende Systematik (Ost-West, Süd-Nord, nach Bundesländern) erkennen. Wahrscheinlich ist dieser Effekt auf die unterschiedlichen Interviewer zurückzuführen. Die durchschnittliche Haushaltsgröße ist bei den Kooperativen etwas höher als bei den Verweigerern. Schließlich gibt bei den Verweigerern jeder dritte an, keiner Religionsgemeinschaft anzugehören, während dies bei den Kooperativen nur etwa ein Viertel der Befragten sagen. Die Befragungsbereiten sind in der Regel konfessionell gebunden. Eventuell ist die konfessionelle Bindung auch ein Indikator für den gesellschaftlichen Integrationsgrad der Befragten. Im Hinblick auf alle anderen soziodemographischen Merkmale, wie z.B. Alter, Geschlecht, Bildung, Familienstand, Schichtzugehörigkeit, Einkommen oder das Erhebungsgebiet (Ost-/ Westdeutschland), lassen sich keine Unterschiede zwischen Kooperativen und Verweigerern ausmachen. Dieses Ergebnis verdeutlicht, dass die „Kontrolle“ der Qualität einer Stichprobe über einen Vergleich der Soziodemographie mit Ergebnissen des Mikrozensus nicht sinnvoll ist. Es können Verzerrungen auf der Ebene der Einstel215
In Klammern sind jeweils die Angaben für ein Signifikanzniveau von p < 0.05.
7.4 Der Vergleich von Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+
231
lungen auftreten, ohne dass sich diese unbedingt in gravierenden Verzerrungen bei den soziodemographischen Merkmalen widerspiegeln müssen. Hätte man, wie durchaus üblich, nur das Alter, die formale Bildung oder das Geschlecht auf Unterschiede hin überprüft, hätte man zu dem Schluss kommen können, dass die Verweigerungen keine gravierenden Verzerrungen zur Folge haben. Im Bereich der indirekten Angaben über die Befragten, die von den Interviewern gemacht werden, unterscheiden sich die beiden Teilgruppen ebenfalls. Die Interviewer haben bspw. beobachtet, dass bei den Verweigererhaushalten häufiger Gegensprechanlagen existieren. Zudem haben die Befragten, die eine Teilnahme zuvor verweigert hatten, in größerem Maß das Interview am Bildschirm mitverfolgt. Beides spricht für ein gewisses Misstrauen der Zielpersonen gegenüber ihrem Umfeld im Allgemeinen und der Situation des Interviews im Speziellen. Außerdem attestieren die Interviewer den Verweigerern eine schlechtere Erreichbarkeit und eine geringere Teilnahmebereitschaft. Dieser Befund unterstreicht, dass die erfahrenen Interviewer die tatsächliche Teilnahmebereitschaft weitgehend valide einschätzen können. Schließlich zeigt sich auch, dass die Interviewer dazu neigen, diejenigen, die in der Hauptbearbeitung verweigert haben, verstärkt doch noch einmal telefonisch zu kontaktieren. Die durchschnittliche Anzahl telefonischer Kontaktversuche liegt bei den Verweigerern etwas höher als bei den Kooperativen (0,95 zu 0,61).
7.4.2 Inhaltliche Analyse der Unterschiede Nachdem sich die erste allgemeine Hypothese weitgehend bewährt hat und gezeigt wurde, dass Unterschiede in den Merkmalsverteilungen zwischen Kooperativen und Verweigerern bestehen, soll nun theoriegeleitet deren Ursachen auf den Grund gegangen werden. Dazu werden zunächst im Sinne des Survey Variable CauseModells die objektive und wahrgenommene Ressourcenverteilung, die politischen, sozialen und umfragespezifischen Einstellungen sowie die Merkmale, denen ein Einfluss über die subjektive Norm die Handlungsentscheidung des Individuums unterstellt wird, untersucht und gezeigt, inwiefern hierbei Unterschiede zwischen Kooperativen und Verweigerern bestehen. Anschließend wird die politische Partizipationsbereitschaft von Kooperativen und Verweigerern analysiert, bei der ebenfalls Effekte erwartet werden, die allerdings in multivariaten Analysen unter Kontrolle der Einstellungen und der Ressourcen verschwinden sollten.
7.4.2.1 Objektive Kontrollmöglichkeiten Im Bereich der objektiven Ressourcenausstattung der Verweigerer werden zunächst kognitive, soziale und Zeitressourcen getrennt voneinander untersucht. Im
232
7 Empirische Analyse
direkten Vergleich zur ersten Analyse, bei der die beiden Stichproben ALLBUS und ALLBUS+ miteinander verglichen wurden, kann man vermuten, dass der Einfluss der zeitlichen Ressourcenausstattung auf die Unterschiede der Befragtengruppen in Relation zum Einfluss der Merkmale auf der Einstellungsebene geringer ist, da die Designvariation der kürzeren Befragungszeit entfällt. Bei der Untersuchung der Unterschiede zwischen den Befragten in ALLBUS und ALLBUS+ (Kap. 7.2 und 7.3) wurden die Teilnehmer einer 80-minütigen Befragung mit den Teilnehmern einer 30-minütigen Befragung verglichen. Dies erklärt den dort auftretenden starken Effekt der Zeitressourcen. Aufgrund der geringeren Befragungszeit im ALLBUS+ werden hier aber bereits in der Hauptbearbeitung diejenigen verstärkt erreicht, die nur ein geringes Zeitbudget haben. Da zwischen Haupt- und Nachbearbeitung nichts mehr an der Dauer der Befragung verändert wurde, dürfte der Effekt zwischen den beiden Stufen nun kleiner geworden sein. Da aber grundsätzlich ein Einfluss der Zeitressourcen auf die Teilnahmebereitschaft angenommen wird (H2.3), der auch unabhängig von der tatsächlichen Befragungszeit existiert, sollte dennoch auch die folgende Analyse einen gewissen Effekt zeigen. Insofern wird der Einfluss als existent, aber schwächer angenommen als in den ersten Analysen. Für die Verteilung kognitiver und sozialer Ressourcen werden im Sinne der Hypothesen H2.1 und H2.2 ebenfalls Unterschiede zwischen Kooperativen und Verweigerern angenommen. Auch wenn die erste Analyse dabei kaum Differenzen zeigte, werden sie nun untersucht, da Effekte in der ersten Analyse noch von den Kooperativen im ALLBUS+ überdeckt gewesen sein könnten und erst jetzt beim direkten Vergleich von Kooperativen und Verweigerern zutage treten. Der Vergleich zeigt jedoch, dass sich die Kooperativen in ihrer Ressourcenausstattung überhaupt nicht von den Verweigerern unterscheiden und die dazu aufgestellten Hypothesen verworfen werden müssen. Bei keinem der untersuchten Merkmale treten Unterschiede auf, weder bei der formalen Bildung oder dem Grad der politischen Informiertheit noch bei der Aktivität in Vereinen, dem Grad der sozialen Integration oder der frei verfügbaren Zeit. Die Verteilungen aller genannten Merkmale sind in beiden Gruppen nahezu identisch, die auftretenden minimalen Abweichungen sind nicht groß genug, um sie von Zufallsabweichungen zu unterscheiden. Tabelle 20 zeigt dies exemplarisch für das Merkmal „Zeit mit anderen verbringen“, das zuvor beim Vergleich zwischen den Befragten von ALLBUS und ALLBUS+ noch signifikante Unterschiede aufwies (siehe Kap. 7.2.2.1, Tab. 8).216
216 Die Tabellen zu den anderen Merkmalsverteilungen aus dem Bereich der objektiven Kontrollmöglichkeiten befinden sich im Anhang, Tab. A19-A22.
7.4 Der Vergleich von Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+
233
Tabelle 20: Soziale Integration bei Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+ Zeit mit anderen verbringen…
Kooperative Veweigerer Gesamt n 83 26 109 täglich % 13,8 16,4 14,3 n 368 98 466 mindestens einmal pro Woche % 61,2 61,6 61,3 n 91 21 112 mindestens einmal im Monat % 15,1 13,2 14,7 n 41 11 52 seltener % 6,8 6,9 6,8 n 18 3 21 nie % 3,0 1,9 2,8 n 601 159 760 Gesamt % 100,0 100,0 100,0 Quelle: Eigene Berechnungen. DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). 2-Test: 2 = 1,45. p>0.10.
Etwa drei Viertel aller Befragten, sowohl bei den Kooperativen (75%) als auch bei den Verweigerern (78%), verbringen mindestens einmal pro Woche Zeit mit anderen Menschen. In beiden Teilgruppen gibt zugleich etwa jeder Zehnte an, seltener als einmal im Monat Zeit mit Kollegen, Freunden oder Bekannten zu teilen. Die Analyse zeigt damit, dass diejenigen Personen, die nur eine geringe Ausstattung an Zeitressourcen haben, im ALLBUS+ bereits verstärkt auf der Ebene der Hauptbearbeitung erreicht wurden. Auch bezüglich der kognitiven und sozialen Ressourcen unterscheiden sich die kooperativen Zielpersonen nicht von den zunächst Verweigernden. Daraus lassen sich verschiedene Schlussfolgerungen ziehen. Die eine wäre, dass die Ressourcenausstattung die Teilnahmeentscheidung nicht beeinflusst, wofür zunächst der berichtete empirische Befund spricht. Allerdings wäre dieser pauschale Schluss etwas kurz gedacht, da es unter bestimmten Bedingungen sowohl theoretisch (siehe Kap. 4.5.1) als auch empirisch (siehe Kap. 7.2.2.1) gute Gründe gibt, dennoch Wirkungen der objektiven Ressourcenausstattung auf die Teilnahmebereitschaft anzunehmen, obgleich nicht unter den nun untersuchten Rahmenbedingungen. Die Ursache dafür, dass in der hier vorliegenden Analyse keine Effekte zu erkennen sind, könnte in der Art und Weise der Messung und der Operationalisierung der abhängigen Variable „Verweigerung“ liegen. In der vorliegenden Studie wird nur ein bestimmter „Verweigerertyp“ befragt: Diejenigen, die aufgrund der eingesetzten Variationen bereit waren, in der Nachbearbeitung teilzunehmen. Man könnte jedoch vermuten, dass es sich bei den objektiven Ressourcen um eine notwendige Bedingung für die Teilnahme handelt. Zielpersonen, denen die grundlegenden Ressourcen fehlen, können auch nicht durch die einge-
234
7 Empirische Analyse
setzten Designvariationen dazu bewegt werden, befragt zu werden. Die Ressourcen beziehen sich auf das Teilnehmen-Können, die Designvariationen setzen beim Teilnehmen-Wollen an. Personen mit einer geringen Ressourcenausstattung können daher auch nicht im ALLBUS+ befragt werden, weder als „Kooperative“ noch als „Verweigerer“. Sie wären unter dieser Prämisse vielmehr unter dem letzten Drittel der Befragten zu vermuten, das auch in dieser Studie trotz des betriebenen Aufwands nicht erreicht werden konnte. Darüber kann jedoch weitestgehend nur spekuliert werden. Einen möglichen Hinweis darauf kann der Vergleich der Erreichten im ALLBUS+ mit dem Mikrozensus bieten, der hinsichtlich des formalen Bildungsniveaus möglich ist (siehe Anhang, Tab. A19). Dieser zeigt jedoch überraschenderweise, dass weder die Kooperativen noch die Verweigerer im ALLBUS+ bei der formalen Bildung von der Verteilung im Mikrozensus deutlich abweichen. Bei den Kooperativen sind die hoch Gebildeten, die mindestens Abitur haben, im Vergleich zum Mikrozensus leicht überrepräsentiert (+2 Prozentpunkte), bei den Verweigerern sind dies die mittleren Bildungsschichten. Die Differenzen sind jedoch insgesamt sehr gering. Damit weichen auch die im ALLBUS+ nicht befragten 30 Prozent der Ausgangsstichprobe nicht signifikant von der tatsächlichen Verteilung dieses Merkmals ab.217 Insgesamt weisen damit alle empirischen Indizien darauf hin, dass sich die Hypothese H2 „Je höher die objektive Ressourcenausstattung einer Zielperson ist, desto eher wird sie sich an einer Befragung beteiligen“ nicht bewährt. Ein Einfluss der objektiven Ressourcen auf die Entscheidung zu Kooperation bzw. Verweigerung spiegelt sich in den vorliegenden Daten nicht wider.
7.4.2.2 Subjektive Kontrollmöglichkeiten Nun könnte man annehmen, dass weniger die objektiven Kontrollmöglichkeiten, sondern vielmehr die eigene Wahrnehmung der Zielpersonen einen Einfluss darauf hat, ob sie an einer politischen Befragung teilnehmen. In Hypothesengruppe H3 wird angenommen, dass eine Zielperson umso eher an einer Befragung teilnehmen wird, je eher sie annimmt, die gestellte Aufgabe auch tatsächlich erfüllen zu können, und je positiver ihr Selbstbild ist. Mit den Begrifflichkeiten der Theorie geplanten Verhaltens formuliert, ist die Teilnahme umso wahrscheinlicher, je größer die wahrgenommene Verhaltenskontrolle ist. Daher soll nun untersucht werden, ob und inwiefern die wahrgenommene Verhaltenskontrolle die Teilnahmebereitschaft beeinflusst. Abgeleitet aus den theoretischen Konzepten wird angenommen, dass weniger selbstbewusste Zielpersonen eher zu einer Verweigerung tendieren. Wenig selbstbewusst bedeutet dabei, dass sie annehmen, selbst wenig politisches Wissen 217
Ob es unter diesen Nicht-Teilnehmern jedoch eventuell verschiedene Verweigerertypen gibt, die je nach Befragungsbedingung befragt werden könnten, kann nicht überprüft werden.
7.4 Der Vergleich von Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+
235
zu haben, den Bereich der Politik als zu komplex empfinden und sich keine aktive Rolle in der Politik zutrauen. Allerdings zeigen die Daten erneut, dass sich die beiden Befragtengruppen auch hinsichtlich ihrer Selbsteinschätzung nicht signifikant voneinander unterscheiden. Bezüglich der Aussage „Ich traue mir zu, in einer Gruppe, die sich mit politischen Fragen befasst, eine aktive Rolle zu übernehmen“ gibt, sowohl bei den Verweigerern als auch bei den Kooperativen, jeweils etwa ein Drittel der Zielpersonen an, der Aussage zuzustimmen. Zwei Drittel lehnen die Aussage hingegen ab. Bei der Frage, ob Politik zu komplex sei, sagen 47 Prozent der Befragten in beiden Teilgruppen, dass sie „so kompliziert [sei], dass jemand wie ... [der Befragte] gar nicht versteht, was vorgeht“. In beiden Gruppen lehnen etwas über die Hälfte der Befragten die gleiche Aussage ab (siehe Anhang, Tab. A23). Es sind damit keine Unterschiede zu erkennen. Auch wenn man die interne politische Efficacy bei Kooperativen und Verweigerern analysiert, bleibt der Befund stabil: In beiden Gruppen weist dieser Index, der Werte zwischen 1 und 4 annehmen kann, ein arithmetisches Mittel von 2,36 auf. Gleiches gilt, wie in Tabelle 21 abgebildet, für die Einschätzung des eigenen politischen Wissens. Auch hier sind die Unterschiede zwischen Kooperativen und Verweigerern marginal. Bei der Frage, wie viel man selbst über Politik wisse, geben 13 Prozent der Verweigerer und 14 Prozent der Kooperativen an, sehr wenig über politische Themen zu wissen, während 22 Prozent der Verweigerer und 28 Prozent der Kooperativen ihr Wissen über politische Zusammenhänge als sehr hoch einstufen (vgl. Tab. 21). Das bedeutet, dass in der Stichprobe zwar minimale Unterschiede zu erkennen sind, diese jedoch bei weitem nicht das übliche statistische Signifikanzniveau erreichen. Tabelle 21: Subjektives politisches Wissen bei Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+ politisches Wissen
Kooperative Verweigerer Gesamt n 85 21 106 sehr niedrig % 14,2 13,0 13,9 n 144 43 187 niedrig % 24,1 26,5 24,6 n 201 62 263 hoch % 33,6 38,3 34,6 n 168 36 204 sehr hoch % 28,1 22,2 26,8 n 598 162 760 Gesamt % 100,0 100,0 100,0 Quelle: Eigene Berechnungen. DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). 2-Test: p > 0.10.
236
7 Empirische Analyse
Man kann festhalten, dass die Daten keinen Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen der Verweigerung der Teilnahme an einer politischen Befragung und der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle geben. Möglicherweise bewerten die Zielpersonen die Befragung nicht als „politische“ Befragung, so dass „politisches Wissen“ und „politisches Selbstbewusstsein“ ungeeignete Indikatoren für die tatsächlich wahrgenommene Verhaltenskontrolle sind. Da die Wahrnehmung der Zielpersonen zur Einordnung der Umfrage aber nicht abgefragt wurde, kann man darüber wieder nur spekulieren. Die Hypothesen H3, H3.1 und H3.2 müssen daher verworfen werden. Eventuell könnte man ähnlich wie im Bereich der objektiven Ressourcen argumentieren, dass die wahrgenommene Verhaltenskontrolle eine notwendige Voraussetzung einer Teilnahme ist. In diesem Fall, so würde man annehmen, zeigten sich Effekte erst bei denjenigen, die man tatsächlich unter keinen Umständen befragen kann: bei dem letzten Drittel der Zielpersonen. Da dazu aber keine Daten vorliegen, anhand derer man die Vermutung überprüfen könnte, bleibt diese Frage zunächst ungeklärt.
7.4.2.3 Die Einstellung gegenüber der Teilnahme an einer politischen Befragung Im vierten Hypothesenblock wurde angenommen, dass umfragespezifische, politische und soziale Einstellungen die Teilnahme beeinflussen, weil sie herangezogen werden, wenn ein Individuum die Einstellung gegenüber einer spezifischen – hier politischen – Befragung bildet. Umfrageeinstellung Um die Hypothesen aus dem Bereich H4.2 zu überprüfen, wurde zunächst die Einstellung von Kooperativen und Verweigerern gegenüber Umfragen untersucht. Es wurde angenommen, dass sich eine Zielperson umso eher an einer politischen Umfrage beteiligen wird, je positiver sie Umfragen gegenüber eingestellt ist. Diese positive Einstellung wurde dabei über die Nähe zu Partizipationsnormen und den Grad externer politischer Efficacy gemessen. Im Bereich der Nähe zu Beteiligungsnormen treten erstmals die vermuteten Unterschiede zwischen Kooperativen und Verweigerern auf: Der Anteil derjenigen, die angeben, freie Meinungsäußerung sei das wichtigste aus vier angegebenen Politikzielen218, ist bei den Kooperativen mit 20 Prozent um über sechs Prozentpunkte
218 Neben den Zielen „Ruhe und Ordnung zu schaffen“, „den Bürgereinfluss zu stärken“ und „steigende Preise zu verhindern“.
7.4 Der Vergleich von Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+
237
höher als bei den Verweigerern mit 13,6 Prozent (siehe Tab. 22).219 Diejenigen, die direkt teilnehmen, haben die Beteiligungsnormen damit stärker internalisiert.220 Tabelle 22: Recht auf freie Meinungsäußerung als wichtigstes Politikziel im ALLBUS+ Beteiligungsnormen am wichtigsten nicht am wichtigsten
n % n %
Kooperative 119 20,1 474 79,9
Verweigerer 22 13,6 140 86,4
Gesamt 141 18,7 614 81,3
n 593 162 755 % 100,0 100,0 100,0 Quelle: Eigene Berechnungen. DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). 2-Test: p<0.10. Gesamt
Für die Relevanz von Umfragen, die über den Grad externer Efficacy erhoben wird, zeigt sich hingegen wie zuvor kein Unterschied zwischen den beiden Befragtengruppen. Der mittlere Grad externer Efficacy liegt zwar – entsprechend der Hypothese – bei den untersuchten Verweigerern mit 0,29 etwas unter dem Wert der Kooperativen, der bei 0,32 liegt. Allerdings ist die Differenz der beiden arithmetischen Mittel statistisch nicht signifikant (siehe Anhang, Tab. A25). Die Datenlage ist damit heterogen: Die Nullhypothese, dass die Umfrageeinstellung keinen Einfluss auf die Entscheidung zu Kooperation und Verweigerung hat, kann weder verworfen werden noch hat sie sich in vollem Umfang bestätigt. Dies könnte jedoch ein Artefakt der nicht idealen Indikatorenausstattung sein. Die Vermutung liegt nahe, dass ein potenziell bestehender Effekt der Umfrageeinstellung mit dem vorliegenden Instrument nicht unbedingt gemessen werden kann. Der Befund, dass die freie Meinungsäußerung bei den Verweigerern als weniger wichtig im Vergleich zu anderen politischen Zielen eingeschätzt wird, ist ein Hinweis darauf, dass Effekte existieren könnten. Diese wurden auch in anderen Studien bereits nachgewiesen (vgl. etwa Erbslöh/Koch 1988; Stinchcombe et al. 1981; Stocké/Langfeldt 2003). Um die Einflüsse der Umfrageeinstellung besser zu belegen, müssten Studien mit umfassenderen Indikatoren der Frage erneut auf den Grund gehen.221
219
Den Verweigerern ist das Ziel, steigende Preise zu verhindern, hingegen deutlich wichtiger als den Kooperativen. Über 57 Prozent der Verweigerer geben an, dass es das wichtigste bzw. zweitwichtigste der vier Ziele ist. Bei denjenigen, die direkt an der Befragung teilgenommen haben, sagen dies nur 45,7 Prozent. 220 Keine Unterschiede gibt es hingegen in Bezug auf die Verteilung materialistischer und postmaterialistischer Werte (siehe Anhang, Tab. A24). 221 Die Hypothesen H4.2.3 und H4.2.4 zur Erfahrung mit und dem Spaß an Umfragen können mit den vorliegenden Daten nicht getestet werden.
238
7 Empirische Analyse
Bei den politischen Einstellungen, die aus politikwissenschaftlicher Perspektive am interessantesten sind, liegt eine breite Indikatorenbasis vor, so dass sich die Hypothesen auf einer besseren Basis überprüfen lassen. Politisches Interesse/Politische Einstellungen Wie im theoretischen Teil dieser Arbeit mittels der Theorie geplanten Verhaltens dargelegt, wird davon ausgegangen, dass die politischen Einstellungen maßgeblich zur Bildung der Einstellung gegenüber der Teilnahme an einer Befragung beitragen. Daher sollten Unterschiede in Bezug auf die politischen Einstellungen von Verweigerern und Kooperativen auftreten. Wie in den Hypothesen der Gruppe H4.1 ausgeführt, sind bei den Verweigerern negativere Einstellungen zum Thema der Befragung, also gegenüber der Politik, zu erwarten als bei den direkt Kooperativen. Die einzelnen Hypothesen beziehen sich dabei auf das politische Interesse, das Institutionenvertrauen sowie die Zufriedenheit einer Zielperson mit dem politischen System. Gerade im Hinblick auf das politische Interesse als zentraler Variable „Interesse am Thema der Befragung“ wird ein deutlicher Effekt angenommen. Tabelle 23: Politisches Interesse bei Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+ Politikinteresse
Kooperative
Verweigerer
Gesamt
sehr stark
n %
49 8,1
7 4,3
56 7,3
stark
n %
82 13,6
28 17,2
110 14,4
mittel
n %
271 45,0
85 52,1
356 46,5
wenig
n %
150 24,9
36 22,1
186 24,3
überhaupt nicht
n %
50 8,3
7 4,3
57 7,5
n 602 163 765 % 100,0 100,0 100,0 Quelle: Eigene Berechnungen. DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). 2-Test: p < 0.10. Gesamt
Die Analyse der Verteilung des politischen Interesses zeigt jedoch wiederum nur geringe Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Während bei den Kooperativen jeder Dritte angibt, sich stark oder sehr stark für Politik zu interessieren, sagt
7.4 Der Vergleich von Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+
239
dies nur etwa ein Viertel der Verweigerer. Gleichzeitig kann man jedoch feststellen, dass sich bei den kooperativen Befragten 8,3 Prozent überhaupt nicht für Politik interessieren, bei den Verweigerern hingegen nur 4,3 Prozent. Die Streuung des Merkmals ist damit bei den Kooperativen etwas größer als in der Gruppe der Verweigerer. Insgesamt bescheinigen sich etwa die Hälfte der Zielpersonen in beiden Teilgruppen ein mittleres politisches Interesse. Der Zusammenhang zwischen der Kooperationsbereitschaft und dem politischen Interesse ist damit auf dem 10%Niveau signifikant, aber nicht sehr ausgeprägt (vgl. Tab. 23). Bei der Analyse der Zufriedenheit mit dem politischen System und des Institutionenvertrauens treten die erwarteten Unterschiede zwischen Kooperativen und Verweigerern deutlicher hervor. Die Zielpersonen, die eine Teilnahme an der Befragung in der Hauptbearbeitung verweigerten, sind unzufriedener mit dem politischen System und vertrauen weniger auf die politischen Institutionen als die Kooperativen. Die Hypothesen H4.1.2 und H4.1.3 haben sich damit bewährt. Die Unterschiede sind höchstsignifikant und in ihrem Ausmaß als moderat zu bezeichnen. Der Mittelwert des Zufriedenheitsindexes, der sich aus der Zufriedenheit mit der Idee der Demokratie, mit ihrer Umsetzung in Deutschland und der Zufriedenheit mit der Leistung der Bundesregierung zusammensetzt, liegt auf einer Skala von 1 (sehr unzufrieden) bis 6 (sehr zufrieden) bei den Kooperativen bei einem Wert von 4,40, bei den Verweigerern bei einem Wert von 4,27.222 Das bedeutet, in beiden Gruppen ist ein recht hohes Zufriedenheitsniveau zu erkennen, das jedoch im direkten Vergleich bei den Kooperativen stärker ausgeprägt ist als bei den Verweigerern. Analysiert man die einzelnen abgefragten Bereiche, zeigt sich wieder, dass die Bewertung in beiden Gruppen mit zunehmender Spezifität des Einstellungsobjekts abnimmt. Die höchsten Werte erreicht die Zufriedenheit mit der Idee der Demokratie (5,50 bei den Kooperativen und 5,44 bei den Verweigerern). Die Bewertung der Umsetzung der Demokratie in Deutschland erreicht Werte von 4,24 bei den Kooperativen und 4,12 bei den Verweigerern. Bei diesen beiden Merkmalen weisen die Unterschiede in der Tendenz zwar in Richtung der aufgestellten Hypothese, sie erreichen für sich betrachtet aber keine statistische Signifikanz. Die stärksten Unterschiede zeigen sich in der konkreten Performanzbewertung der Regierung. Die kooperativen Teilnehmer geben dieser im Mittel einen Wert von 3,5 und liegen damit genau in der Mitte der sechsstufigen Skala. Diejenigen, die nach einer Verweigerung erst in der Nachbearbeitung überzeugt wurden an der Befragung teilzunehmen, bewerten die Leistung der Bundesregierung mit einem Wert von durchschnittlich 3,25 deutlich negativer. Damit zeigt sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem konkreten Unmut mit der politischen Elite und der Teilnahmebereitschaft an politischen Befragungen. Beim Institutionenvertrauen ist der Befund in der Einzelbetrachtung ähnlich: Es treten, obgleich in geringem Ausmaß, nun die erwarteten Unterschiede auf. Bei 222
T-Test: p<0.10.
240
7 Empirische Analyse
dem Index zur Messung des Institutionenvertrauens, der Werte von 1 (überhaupt kein Vertrauen) bis 7 (sehr starkes Vertrauen) aufweisen kann, liegt das arithmetische Mittel in der Gruppe der direkt Befragungsbereiten bei einem Wert von 4,27. Bei denjenigen, die in der Hauptbearbeitung nicht bereit waren sich befragen zu lassen, ist der Mittelwert mit 4,05 signifikant niedriger. Beim Institutionenvertrauen zeigt sich bei den Verweigerern aber nicht nur eine im Durchschnitt negativere Einstellung, sondern zugleich eine größere Streuung. Das bedeutet, dass sich die Verweigerer in ihren im Durchschnitt negativeren Einstellungen zudem weniger einig sind. Sie weisen extremere Ausschläge, sowohl in positiver als auch in negativer Richtung, auf. Die Einzelanalyse, welchen Institutionen die Befragten mehr oder weniger vertrauen, zeigt, dass die signifikanten Differenzen nicht wie in der ersten Analyse (Kap. 7.2) bei allen Institutionen auftreten. Sie sind vielmehr nur auf drei Institutionen zurückzuführen: auf die Justiz, die politischen Parteien und – lässt man das zehnprozentige Signifikanzniveau zu – auch auf den Bundestag. Diesen drei Institutionen stehen die Verweigerer deutlich negativer gegenüber als die direkt Kooperativen. Tabelle 24 zeigt die Verteilungen dieser drei Items im Überblick, gemeinsam mit dem Vertrauen gegenüber dem Bundesverfassungsgericht, das exemplarisch ein Item aus dem Bereich der Institutionen ohne signifikante Verteilungsunterschiede darstellt. Tabelle 24: Institutionenvertrauen bei Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+
n % n % n %
Kooperative 68 11,5 358 60,7 164 27,8
Justiz* Verweigerer 30 18,6 99 61,5 32 19,9
n %
590 100,0
161 100,0
Vertrauen
niedrig mittel hoch Gesamt
Gesamt 98 13,0 457 60,9 196 26,1
politische Parteien* Koopera- VerweiGesamt tive gerer 180 60 240 30,7 37,0 32,1 385 91 476 65,7 56,2 63,6 21 11 32 3,6 6,8 4,3
751 586 162 748 100,0 100,0 100,0 100,0 (Fortsetzung der Tabelle auf der nächsten Seite)
7.4 Der Vergleich von Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+
241
Tabelle 24: Fortsetzung
niedrig mittel Hoch
n % n % n %
Bundestag# KooperaVerweitive gerer 108 41 18,5 25,9 396 95 67,9 60,1 79 22 13,6 13,9
Gesamt 149 20,1 491 66,3 101 13,6
BVerfG n.s. Koopera- Verweitive gerer 48 15 8,5 9,7 268 75 47,5 48,7 248 64 44,0 41,6
Gesamt 63 8,8 343 47,8 312 43,5
n 583 158 741 564 154 718 % 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 Quelle: Eigene Berechnungen. DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). 2-Test: * p < 0.05; # p 0.10; n.s.: nicht signifikant. Gesamt
Ein hohes Vertrauen in die Justiz hat bei den Kooperativen jeder vierte Befragte, bei den Verweigerern geben dies weniger als 20 Prozent der Befragten an. Die Untersuchung des Vertrauens in die politischen Parteien ergibt, dass die Verweigerer diese zwar insgesamt negativer bewerten, zugleich aber auch stärker in ihren Einstellungen streuen. 30,7 Prozent der in der Hauptbearbeitung befragten Personen geben an, dass sie den Parteien nicht vertrauen, bei den Verweigerern sagen dies 37 Prozent der Befragten. Gleichzeitig ist bei den Verweigerern mit 6,8 Prozent der Anteil derjenigen mit einem hohen Vertrauen in die politischen Parteien doppelt so groß wie in der Gruppe der Kooperativen. Beim Vertrauen in den Bundestag ist der Anteil derjenigen, die der Volksvertretung nur wenig Vertrauen entgegen bringen, mit 26 Prozent bei den Verweigerern deutlich höher als in der Gruppe der Kooperativen mit 18,5 Prozent. Analysiert man die Mittelwerte der siebenstufigen Vertrauensskalen, stellt man fest, dass das arithmetische Mittel für alle Institutionen in der Gruppe der Verweigerer unter dem Mittel der Kooperativen liegt.223 Allerdings sind die Unterschiede nur zum Teil statistisch signifikant (siehe Anhang, Tab. A26). Die Hypothese H4.1.2 zum Zusammenhang zwischen fehlendem Vertrauen in die politischen Institutionen und der Verweigerung bei politischen Befragungen kann damit dennoch als weitgehend bestätigt angesehen werden. Insgesamt kann man feststellen, dass die so genannten Verweigerer unzufriedener mit dem politischen System – insbesondere mit den Leistungen der Bundesregierung – sind und den politischen Institutionen weniger vertrauen. 223 Bei allen Berechnungen des arithmetischen Mittels wird unterstellt, dass die siebenstufigen Skalen auf Intervallskalenniveau messen.
242
7 Empirische Analyse
Gesellschaftliche Einstellungen Zu den sozialen Einstellungen der Verweigerer, für die ein Einfluss auf die Einstellung gegenüber der Teilnahme an der Befragung und damit auch auf die Handlungsentscheidung angenommen wird, gehört das Vertrauen in Mitmenschen. Es wurde vermutet, dass die Wahrscheinlichkeit einer Teilnahme mit zunehmendem sozialen Vertrauen ansteigt. Diese Hypothese bewährt sich: Die Daten belegen diese signifikanten Unterschiede zwischen den direkt Kooperativen und den Verweigerern (siehe Tab. 25). Fasst man die beiden oberen Kategorien des sehr hohen und hohen Vertrauens zusammen, so vertraut die Hälfte der Kooperativen ihren Mitmenschen. Bei den Verweigerern gilt dies nur etwa für jeden dritten Befragten. Beim sehr niedrigen Vertrauen zeigen sich eher marginale Unterschiede zwischen den Befragtengruppen. Im Index zum Vertrauen in die Mitmenschen sind zwei Dimensionen enthalten, sowohl die allgemeine Kriminalitätsfurcht als auch die konkrete Einstellung zum Umgang mit anderen Menschen. Die Detailanalyse zeigt, dass weniger das allgemeine, sondern vielmehr das konkrete Vertrauen für die Unterschiede ausschlaggebend ist: Die allgemeine Kriminalitätsfurcht der Verweigerer und der Kooperativen unterscheidet sich nicht. Tabelle 25: Vertrauen in Mitmenschen bei Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+ Index: Vertrauen in Mitmenschen
Kooperative
Verweigerer
Gesamt
sehr niedrig
n %
77 12,8
24 14,6
101 13,2
niedrig
n %
54 9,0
11 6,7
65 8,5
mittel
n %
180 29,9
69 42,1
249 32,5
hoch
n %
167 27,7
42 25,6
209 27,3
sehr hoch
n %
124 20,6
18 11,0
142 18,5
n 602 164 766 % 100,0 100,0 100,0 Quelle: Eigene Berechnungen. DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). 2-Test: p < 0.01. Gesamt
7.4 Der Vergleich von Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+
243
In beiden Zielgruppen geben etwa drei Viertel der Befragten an, dass es im direkten Umfeld ihres Wohnortes keine Gegend gibt, in der sie nachts nicht unterwegs sein möchten, ein Viertel der Befragten erklärt hingegen, einen solchen Ort gebe es. Verweigerer und Kooperative sind sich dabei sehr einig. Anders sieht es bei der Einschätzung des Umgangs mit anderen Menschen aus: Hier sagt über die Hälfte der Verweigerer, dass man im Umgang mit anderen Menschen nicht vorsichtig genug sein könne. Bei denjenigen, die in der Hauptbearbeitung des ALLBUS+ bereits an der Befragung teilgenommen haben, teilt nur knapp ein Drittel der Befragten diese Auffassung. Sie sind eher der Meinung, dass man den meisten Menschen trauen könne, bzw. differenzieren nach der jeweiligen Situation (siehe Anhang, Tab. A27).
7.4.2.4 Die subjektive Norm Als erstes Merkmal wird der Grad der verinnerlichten Wahlnorm und damit das Pflichtbewusstsein bei Verweigerern und Kooperativen untersucht. Hier wird erwartet, dass die direkt Kooperativen die Normen und Werte der Gesellschaft stärker verinnerlicht haben, und dass das höhere Pflichtbewusstsein in Bezug auf eine Wahlteilnahme auch die Wahrscheinlichkeit einer Teilnahme an einer politischen Befragung erhöht. Die Entfremdung von der Gesellschaft (bzw. die Integration in selbige) wird als zweites Merkmal untersucht, das über die normative Ebene die Entscheidung zu kooperieren beeinflusst. Die Hypothese dazu lautet, dass Menschen mit einem höheren Maß Anomie eine Teilnahme eher verweigern als diejenigen, die sich in die Gesellschaft eingebunden fühlen und eine positive Einstellung gegenüber der Gesellschaft haben. Für die Wahlnorm als Indikator für verinnerlichtes Pflichtbewusstsein in beiden Teilgruppen zeigt die empirische Analyse kontraintuitive Ergebnisse. Statt eines, wie zuvor angenommen, geringer ausgeprägten Pflichtbewusstseins haben die Verweigerer die Wahlnorm noch stärker internalisiert als die Kooperativen. Dieser Effekt verläuft entgegen den Erwartungen (siehe Tab. 26).
244
7 Empirische Analyse
Tabelle 26: Wahlnorm bei Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+ In der Demokratie ist es die Pflicht eines Bürgers, regelmäßig wählen zu gehen. n stimme voll und ganz zu %
Kooperative
Verweigerer
Gesamt
374 63,4
122 75,3
496 66,0
stimme eher zu
n %
131 22,2
25 15,4
156 20,7
stimme eher nicht zu
n %
64 10,8
8 4,9
72 9,6
stimme überhaupt nicht zu
n %
Gesamt
n %
21 3,6 590 100,0
7 4,3 162 100,0
28 3,7 752 100,0
Quelle: Eigene Berechnungen. DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). 2-Test: 2=10,4: p<0.05.
Bei den Befragten, die eine Teilnahme zunächst verweigerten, liegt mit 91 Prozent der Befragten, die der Aussage zustimmen, ein extrem hohes Maß verinnerlichter Wahlnorm vor. Über drei Viertel stimmen der Aussage sogar voll und ganz zu. Bei den direkt Kooperativen gibt es zwar auch ein hohes Maß verinnerlichter Wahlnorm, allerdings liegt der Wert mit etwa 85 Prozent der Befragten, die der Aussage zustimmen, wovon 63 Prozent voll und ganz zustimmen, signifikant darunter. Möglicherweise manifestiert sich dabei das Phänomen der sozialen Erwünschtheit, das bei den Verweigerern stärker ausgeprägt sein könnte als bei den Kooperativen. Die Wahlnorm wird über die Zustimmung zur Aussage „In der Demokratie ist es die Pflicht jedes Bürgers, sich regelmäßig an den Wahlen zu beteiligen“ erhoben. Bei einer derart direkt formulierten Frage nach einer staatsbürgerlichen Pflicht ist es gut möglich, dass die Zielpersonen sich stark davon beeinflussen lassen, was die von ihnen antizipierte Einstellung der Gesellschaft ist und keine Auskunft über ihre tatsächliche Einstellung dazu geben. Darüber lässt sich jedoch keine empirisch fundierte Aussage treffen. Man kann an dieser Stelle lediglich konstatieren, dass es sich bei den Verweigerern um Personen handelt, die ein hohes Maß an politischem Pflichtbewusstsein ausdrücken. Bei der Frage nach der wahrgenommenen Einbindung in die Gesellschaft handelt es sich um einen stärker indirekt formulierten Indikator, bei dem es für die Zielpersonen schwieriger ist, die sozial erwünschte Antwort zu erkennen und dementsprechend zu antworten. Hohe Anomiewerte bezeichnen dabei einen Zustand
7.4 Der Vergleich von Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+
245
von Orientierungslosigkeit, Unsicherheit und Desintegration, niedrige Werte stehen hingegen für ein Zugehörigkeitsgefühl zur Gesellschaft. Tabelle 27: Anomie bei Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+ Index zur Anomie
Kooperative
Verweigerer
Gesamt
sehr niedrig (0)
n %
22 3,6
5 3,1
27 3,5
niedrig (1)
n %
150 24,8
24 14,8
174 22,7
hoch (2)
n %
273 45,2
61 37,7
334 43,6
sehr hoch (3)
n %
159 26,3
72 44,4
231 30,2
n 604 162 766 % 100,0 100,0 100,0 Quelle: Eigene Berechnungen. DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). 2-Test: p < 0.001. Gesamt
Die Untersuchung zeigt höchstsignifikante Unterschiede zwischen Kooperativen, bei denen die Anomie deutlich geringer ausgeprägt ist, und Verweigerern, bei denen ein höherer Grad Anomie vorliegt (siehe Tab. 27). Fast die Hälfte (44,4 Prozent) der Verweigerer weist auf der vierstufigen Skala von null bis drei den höchsten Wert drei auf. Unter den Kooperativen hat nur etwa jeder Vierte (26,3 Prozent) der Befragten dieses hohe Maß an Desintegration. Die Zielpersonen, die stark integriert sind, d.h. bei denen keine (0) oder nur ein geringer Grad (1) an Anomie zu erkennen ist, sind hingegen mit 28,4 Prozent unter den Befragungsbereiten im Vergleich zu 17,9 Prozent bei den Verweigerern in der erstgenannten Gruppe deutlich überrepräsentiert. Das bedeutet, dass diejenigen, die sich von der Gesellschaft entfernt haben, sozial desintegriert sind und aus diesem Grund auch weniger Werte und Normen teilen, signifikant häufiger zu den Verweigerern gehören und die Teilnahme an einer politischen Befragung ablehnen. Die Hypothese H5.2, wonach Entfremdung die Wahrscheinlichkeit einer Verweigerung erhöht, hat sich damit vorläufig bewährt. Wenn man noch einmal auf die Untersuchung des tatsächlichen Integrationsgrades (bei den sozialen bzw. zeitlichen Ressourcen) zurückblickt, zeigt sich, dass die tatsächliche Einbindung eine Verweigerung nicht beeinflusst. H5.1 muss daher verworfen werden. Die gefühlte, wahrgenommene Einbindung, d.h. der Grad der Entfremdung von der Gesellschaft, beeinflusst die Teilnahmeentscheidung hingegen eindeutig.
246
7 Empirische Analyse
Die Hypothese, dass sich Verweigerer und Kooperative bezüglich ihrer Einstellungen gegenüber der Gesellschaft unterscheiden, hat sich damit weitgehend bestätigt. Es gibt einen signifikanten Zusammenhang zwischen negativen gesellschaftlichen Einstellungen und der Teilnahmeverweigerung. Die Verweigerer weisen weniger Vertrauen in ihre Mitmenschen und einen höheren Grad an Anomie auf. Lediglich bei der Wahlnorm sind Effekte entgegen der ursprünglichen Annahme zu beobachten: Hier sind die Verweigerer pflichtbewusster als die direkt Kooperativen, allerdings sind beide auf sehr hohem Niveau angesiedelt und die Unterschiede sind marginal. Schließlich soll noch die Hypothese H5.3 zu den politischen Einstellungen der Verweigerer überprüft werden. Dabei wurde angenommen, dass mit zunehmendem Extremismus der politischen Einstellungen die Teilnahme an einer Befragung abgelehnt wird, weil Menschen nur ungern ihre Einstellungen äußern, wenn sie sich damit in einer isolierten, extremen Position wahrnehmen. Dazu werden exemplarisch zwei Aspekte untersucht: die Selbsteinschätzung der Position der Befragten auf der Links-Rechts-Skala sowie das Ausmaß rechtsextremer Einstellungen. Auch diesbezüglich kann man so einen Vergleich zwischen Verweigerern und Kooperativen anstellen. Die Annahme H5.3, dass mit zunehmend extremen politischen Einstellungen eines Individuums die Teilnahmebereitschaft sinkt, hat sich auf der Basis der vorliegenden Daten nicht bewährt. Bei der Links-Rechts-Selbsteinschätzung liegen die Verweigerer im Mittel 1,66 Skalenpunkte vom mittleren Skalenwert entfernt. Die Kooperativen haben hier sogar einen durchschnittlichen Abstand von 1,70 Skalenpunkten. Die Differenz zwischen den beiden Werten ist minimal und nicht signifikant. Auch beim Ausmaß rechtsextremer Einstellungen zeigt sich kein Zusammenhang mit der Verweigerungshaltung: Unabhängig davon, ob man die Anzahl der Items, denen eine Zielperson zustimmt, verwendet oder einen einfachen Mittelwertindex über die zehn Items bildet, das Ergebnis ist robust. Verweigerer haben kein größeres rechtsextremes Potential als Kooperative. Die beiden untersuchten Indikatoren geben damit keinen Anlass, von einem Zusammenhang zwischen extremen Einstellungen und der Teilnahmebereitschaft auszugehen (siehe Anhang, Tab. A28 bis A30).
7.4.2.5 Politische Partizipation der Verweigerer Bislang wurden die Ressourcen sowie die Merkmale auf der Einstellungsebene, bei denen man aufgrund des Survey Variable Cause-Modells von Unterschieden ausgegangen ist, untersucht. Ein Teil der zuvor aufgestellten Hypothesen hat sich bewährt, obgleich man feststellen muss, dass dies nicht für alle gilt. Dennoch könnten die aufgetretenen Differenzen dazu führen, dass auch bei den Merkmalen aus dem Bereich des politischen Verhaltens Unterschiede zwischen Verweigerern und Ko-
7.4 Der Vergleich von Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+
247
operativen zu erkennen sind, die auf die gemeinsamen Hintergrundvariablen wie bspw. Anomie oder politisches Interesse zurückgeführt werden können. Daher wird nun, im Sinne des Common Cause-Modells, untersucht, ob auch unterschiedliche Verteilungen in Bezug auf das politische Verhalten der beiden Befragtentypen zu erkennen sind (H6). Dazu wird zunächst das Wahlverhalten und dabei sowohl die Wahlbeteiligung als auch die Parteiwahl analysiert (H6.1). Tabelle 28: Berichtete Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2005 bei Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+ Kooperative
Verweigerer
Gesamt
Wähler
n %
477 79,5
137 84,0
614 80,5
Nichtwähler
n %
123 20,5
26 16,0
149 19,5
n 600 163 763 % 100,0 100,0 100,0 Quelle: Eigene Berechnungen. DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). Gesamt
Die Erwartung, dass sich unter den Verweigerern ein deutlich größerer Anteil Nicht-Wähler befindet (H6.1.1), wird nicht bestätigt. 20,5 Prozent der direkt Kooperativen geben an, bei der letzten Bundestagswahl 2005 nicht gewählt zu haben. Dies trifft zugleich nur auf 16 Prozent der Verweigerer zu. Der Zusammenhang liegt damit zum einen nicht in der zuvor angenommenen Richtung vor, zum anderen ist er nicht groß genug, dass man ihn als signifikant bezeichnen könnte. Die Gründe für die Nichtwahl können nicht sinnvoll quantitativ ausgewertet werden, da hierbei lediglich 15 Antworten der Verweigerer vorliegen, wovon wiederum neun Befragte nur die Restkategorie „sonstige Gründe“ angaben. Eine Erklärung für diesen bivariaten Befund, dass unter den Verweigerern die Wähler überrepräsentiert sind, könnte in der zuvor ausgeführten Verteilung der verinnerlichten Wahlnorm liegen. Hier hatten die Verweigerer bereits ausgedrückt, dass sie verstärkt ein Gefühl der Verpflichtung wahrnehmen, wählen zu gehen. Die Auswertung der Rückerinnerungsfrage ergibt damit lediglich, dass sich die internalisierte Norm auch im berichteten Verhalten widerspiegelt.
248
7 Empirische Analyse
Tabelle 29: Die Verteilung der Sonntagsfrage bei Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+ Wenn am nächsten Sonntag...
Kooperative
Verweigerer
Gesamt
Gesamt
n %
477 100,0
129 100,0
606 100,0
Nichtwähler („würde nicht wählen“)
n %
33 6,9
12 9,3
45 7,4
Wähler, davona:
n %
444 93,1
117 90,7
561 92,6
--CDU/CSU
n %
160 36,0
39 33,3
199 35,5
--SPD
n %
137 30,9
32 27,6
169 30,1
--FDP*
n %
46 10,4
21 18,2
67 11,9
--Grüne#
n %
55 12,4
8 6,8
63 11,2
--Die Linke
n %
39 8,8
16 13,7
55 9,8
n 7 1 8 % 1,6 0,9 1,4 Quelle: Eigene Berechnungen. DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). a Parteiwahl prozentuiert auf alle Wähler. * p < 0.05, # p < 0.10. --andere
Bei der Sonntagsfrage, also der Frage, welche Partei die Zielpersonen wählen würden, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahlen wären, geben 9,3 Prozent der Verweigerer im Vergleich zu 6,9 Prozent bei den Kooperativen an, dass sie nicht wählen würden. Auch dieser Unterschied ist statistisch nicht signifikant.224 Die Analyse der Parteiwahl innerhalb der Sonntagsfrage zeigt, dass die Wähler der beiden großen Parteien CDU und SPD bei den Kooperativen im Vergleich zu den Verweigerern leicht überrepräsentiert sind. Der Unterschied liegt jeweils bei etwa drei Prozentpunkten, die die beiden großen Parteien in der Gruppe der Kooperativen mehr erreicht haben, im Vergleich zur Gruppe der Verweigerer. Diese Unter224
Eventuell sind dabei auch wieder Effekte der sozialen Erwünschtheit mit enthalten, die bei den Verweigerern eine stärkere Rolle als bei den Kooperativen spielen könnten. Allerdings lassen sich diese Effekte nicht destillieren.
7.4 Der Vergleich von Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+
249
schiede liegen jedoch wiederum im Bereich zufälliger Abweichungen und können daher nicht auf die Grundgesamtheit übertragen werden. Bei der Wahlentscheidung für FDP und Grüne zeigen sich signifikante Differenzen. Schätzt man allein auf der Grundlage der Kooperativen, könnten Die Grünen 12,4 Prozent der Stimmen erreichen. Bei den Verweigerern geben aber nur 6,8 Prozent der Befragten an, die Partei wählen zu wollen. Man würde daher den Erfolg der Partei deutlich überschätzen, wenn keine Verweigerer mehr konvertiert worden wären. Über alle Befragten, d.h. in der Gesamtbetrachtung des ALLBUS+ gesehen, kommt die Partei nur auf 11,2 Prozent der Zweitstimmen. Bei der FDP zeigt sich ein umgekehrter Effekt. Unter den Kooperativen geben 10,4 Prozent der Befragten an, die FDP wählen zu wollen, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahlen wären. Damit ist sie lediglich viertstärkste Partei. Ihr Anteil unter den Verweigerern ist jedoch deutlich höher und liegt bei 18,2 Prozent. Auch dieser Unterschied ist hochsignifikant. Schätzungen des Wahlergebnisses auf der Grundlage der Kooperativen würden damit die FDP deutlich unterschätzen. Dieser Befund wird auch durch die Rückerinnerungsfrage zur Parteiwahl 2005 gestützt (siehe Anhang, Tab. A31). Auch dabei zeigt sich, dass in der Gruppe der Kooperativen die Wahlabsicht für die FDP unterschätzt, der Wahlerfolg für Bündnis 90/Die Grünen überschätzt würde. Im Vergleich zum amtlichen Endergebnis der Wahl 2005 kann man erkennen, dass CDU-Wähler im ALLBUS+ überrepräsentiert und Wähler der Linkspartei unterrepräsentiert sind. Die SPD-Wähler sind ziemlich gut abgebildet, sowohl in der Gesamtstudie ALLBUS+ als auch in beiden Teilgruppen, den Verweigerern und den Kooperativen. Bei FDP und Grünen führen die deutlichen Unterschiede zwischen Kooperativen und Verweigerern dazu, dass in der Gesamtbetrachtung des ALLBUS+ passable Schätzungen vorliegen. In beiden Teilgruppen sind jedoch die „wahren“ Werte nur unzureichend abgebildet. Eine mögliche Erklärung für die Unterschiede im Hinblick auf eine FDP-Wahl von Kooperativen und Verweigerern könnte in der Einstellung der FDP-Wähler gegenüber einem Thema wie dem Datenschutz liegen (siehe H6.1.2). Die FDP setzt sich als Partei stark für Bürgerrechte und den Datenschutz ein.225 Man kann vermuten, dass Menschen, denen der Datenschutz sehr wichtig ist, Umfragen, in denen Daten gesammelt werden, eher kritisch gegenüberstehen. Aus diesem Grund könnten dieselben Personen, die eine Teilnahme an einer Befragung verweigern, eher FDP wählen als Menschen, die den Datenschutz nicht in gleichem Maße priorisieren. Damit wäre die gemeinsame Determinante der Umfrageteilnahme und der FDP-Wahl eine kritische Haltung gegenüber der Sammlung von Daten und würde damit in den Bereich der Umfrageeinstellungen fallen. Zwar handelt es sich dabei 225
Dies kann man bspw. im FDP-Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2005 erkennen, in dem eindeutig Bezug auf die Bürgerrechte genommen wird (vgl. FDP 2005: 29ff.). Beispiele sind die Aussagen „Die FDP wird […] den Datenschutz […] weiterentwickeln“ (FDP 2005: 29) und „Für uns steht fest: Der Einzelne muss selbständig darüber bestimmen können, wem er welche personenbezogenen Daten zu welchem Zweck mitteilt“ (FDP 2005: 30).
250
7 Empirische Analyse
um eine sehr spezifische Sachfrage, bei der man davon ausgehen kann, dass es nur eines von vielen Issues ist, die die Wahlentscheidung beeinflussen. Allerdings könnte sich dahinter eine normativ geprägte Werthaltung verbergen, beispielsweise in Form liberaler Grundwerte. Da diese spezifische Sachfrage in der vorliegenden Studie jedoch nicht über geeignete Indikatoren erhoben wurde, können aufgrund der vorliegenden Indizien nur – obgleich plausible – Vermutungen über die genauen Zusammenhänge angestellt werden. Der geringe Wähleranteil der Partei Bündnis 90/Die Grünen in der Gruppe der Verweigerer ist zunächst widersprüchlich, da auch diese Partei für Datenschutz und Bürgerrechte eintritt. Dieses Ergebnis könnte jedoch auf den Stellenwert der politischen Partizipation bzw. auf die Einschätzung der Wichtigkeit freier Meinungsäußerung zurückgehen (siehe Kap. 7.4.2.3, Tab. 22). „Grüne“ Wähler haben Beteiligungsnormen in der Regel internalisiert und priorisieren daher etwa die freie Meinungsäußerung vor anderen Politikzielen. Da hierbei sowohl ein Zusammenhang mit der Teilnahmebereitschaft bei Umfragen als auch mit der Wahl der Grünen besteht, könnte dieser Befund die Überrepräsentation grüner Wähler bei den Kooperativen erklären.226 Die Hypothese H6.1.3, die von einer Unterrepräsentation der Wähler extremer Parteien in der Gruppe der Kooperativen ausgeht, hat sich auf der Grundlage der vorliegenden Daten nicht bewährt: Bei den rechtsextremen Parteien sind die Fallzahlen zu gering; bei der Partei Die Linke ist der Unterschied zwischen beiden Befragtengruppen nicht groß genug, um von statistischer Signifikanz sprechen zu können. H6.1.2 hat sich daher zum Teil bewährt, H6.1.3 hielt der empirischen Überprüfung nicht stand. Neben dem Wahlverhalten soll nun auch untersucht werden, wie Verweigerer und Kooperative zu verschiedenen anderen politischen Partizipationsmöglichkeiten stehen. Dazu wurde gefragt, ob sie bestimmte Tätigkeiten in Betracht ziehen würden oder ob sie diese eventuell sogar schon ausgeübt haben. Die einzelnen Tätigkeiten werden sowohl getrennt voneinander auf Unterschiede hin untersucht als auch – wie bereits in der ersten Analyse – zu drei Faktoren (öffentliche, nichtöffentliche und Protest-Partizipation) zusammengefasst. Für öffentliche und nichtöffentliche Formen politischer Partizipation wird ein positiver Zusammenhang mit der Teilnahmebereitschaft postuliert (H6.2.1 und H6.2.2). Für Formen des Protestverhaltens wird hingegen angenommen, dass die Verweigerer diese eher in Betracht ziehen würden oder bereits ausgeübt haben als Kooperative (H6.2.3). Bei der tatsächlichen Partizipation, d.h. der Analyse, welche Partizipationsmöglichkeiten von den Befragten bereits genutzt wurden, unterscheiden sich Kooperative und Verweigerer nicht, wenn man die einzelnen Möglichkeiten getrennt voneinander analysiert. Bei allen abgefragten Partizipationsformen sind die Anteile derer, die angeben, das entsprechende Verhalten ausgeübt zu haben, bei Kooperativen und Verweigerern ähnlich groß. Ein anderer Befund ergibt sich jedoch bei der 226 Unter Kontrolle der Priorität des Politikziels „Freie Meinungsäußerung“ in der Analyse verschwindet der Zusammenhang zwischen der Wahl der Grünen und der Teilnahmebereitschaft.
7.4 Der Vergleich von Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+
251
Frage, bei welchen Tätigkeiten sich die Befragten vorstellen könnten, sie einmal auszuüben (vgl. Tab. 30). Tabelle 30: Einstellung gegenüber verschiedenen Formen politischer Partizipation bei Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+ Wenn Sie politisch in einer Sache, die Ihnen wichtig ist, Einfluss nehmen und Ihren Standpunkt zur Geltung bringen wollten: Welche der folgenden Möglichkeiten würden Sie nutzen? (Angaben jaStimmen in %) sich an Wahlen beteiligen
Kooperative
Verweigerer
83,9
87,1
Meinung sagen, im Bekanntenkreis
75,7
77,3
Unterschriftensammlung
64,6
64,4
öffentliche Diskussionen
43,8
37,8
Waren boykottieren oder kaufen
39,4
42,7
Teilnahme genehmigte Demo
37,6
32,3
Mitarbeit in einer Bürgerinitiative
34,4
32,3
aus Protest andere Partei wählen *
22,6
27,6
Online-Protestaktion
19,0
18,4
in einer Partei aktiv mitarbeiten*
18,6
12,2
aus Protest nicht wählen*
11,0
19,6
Teilnahme nicht genehmigte Demo*
7,2
2,5
Quelle: Eigene Berechnungen. DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). * p < 0.05.
Dabei geht es nicht um die tatsächliche Handlung, sondern um die Handlungsintention. Hier treten signifikante Unterschiede auf: 227 Bei den Kooperativen geben 18,6 Prozent der Befragten an, dass sie sich vorstellen können, in einer Partei mitzuarbeiten. Bei den Verweigerern sagen dies nur 12,2 Prozent. Dafür liegen die Verweigerer bei der Intention des Protestwahlverhaltens eindeutig vorne: Jeder fünfte Verweigerer gibt an, dass er sich vorstellen kann, nicht zur Wahl zu gehen, um seinen Protest auszudrücken. Bei den Kooperativen erwägt diese Möglichkeit lediglich jeder Zehnte. Auch bei der Wahl einer Partei, die der eigenen Parteiidentifikation entgegen läuft, liegen die Verweigerer mit 27,6 Prozent vor den Kooperativen, bei denen sich dies nur 22,6 Prozent vorstellen können. Dieser Befund stützt 227
Aufgrund der relativ geringen Fallzahlen wurde wiederum ein Signifikanzniveau von p<0.10 gewählt.
252
7 Empirische Analyse
die zuvor getroffenen Annahmen. Der Wille zur Parteiarbeit, die eine hoch institutionalisierte Form politischer Partizipation ist und ein hohes Maß an Beteiligungsbereitschaft erfordert, ist bei den Verweigerern weniger ausgeprägt. Einem Protestverhalten in Form einer Nicht- oder Protestwahl stehen sie jedoch positiver gegenüber als die Kooperativen. Untersucht man nicht die einzelnen Partizipationsmöglichkeiten, sondern die verdichteten Dimensionen politischer Partizipation verdeutlichen sich die Unterschiede: Bei den Faktoren „Öffentliche Partizipation“, „Private Partizipation“ und „Protestpartizipation“ (die analog zu Kap. 6.5 mittels Hauptkomponentenanalyse gebildet wurden; Ergebnisse siehe Anhang, Tab. A32)228 zeigt sich der zuvor vermutete Zusammenhang, dass die Verweigerer einer öffentlichen Partizipation negativer, der Protestpartizipation aber positiver gegenüberstehen als die Kooperativen. In Bezug auf die private Dimension politischer Partizipation lassen sich keine signifikanten Zusammenhänge erkennen. Die Hypothesengruppe H6, nach der Unterschiede im Partizipationsverhalten angenommen werden, hat sich damit zum Teil bewährt. Es existieren Unterschiede bezüglich des Wahlverhaltens zwischen den beiden Gruppen (H6.1). Die Analyse zeigt weiter, dass sich Kooperative und Verweigerer zwar nicht nach den tatsächlich ausgeübten Partizipationsmöglichkeiten unterscheiden, aber durchaus darin, welche Formen sie nutzen würden. Das bedeutet, die Einstellung der Befragten zu verschiedenen Formen politischer Partizipation unterscheidet sich ebenfalls.
7.4.3 Zwischenfazit zum bivariaten Vergleich von Kooperativen und Verweigerern Der Überblick über die Unterschiede zwischen kooperativen Zielpersonen und denen, die eine Teilnahme in der Hauptbearbeitung verweigerten, zeigte, dass sich die Kooperativen, wie erwartet, hinsichtlich gewisser Merkmale von den Verweigerern unterscheiden. Die Unterschiede treten dabei hauptsächlich im Bereich derjenigen Merkmale auf, die für die Bildung der Einstellung gegenüber der Teilnahme relevant sind: politische und soziale Einstellungen sowie Beteiligungsnormen. Auch für die politischen Verhaltensvariablen, für die ein indirekter Effekt angenommen wurde, lassen sich die angenommenen Differenzen teilweise aufzeigen. In Bezug auf die Merkmale aus dem Bereich der objektiven und subjektiv wahrgenommenen Ressourcenausstattung der Zielpersonen lassen sich hingegen keine Effekte erkennen. Die Vermutung, dass sich Verweigerer durch eine geringere Ressourcenausstattung auszeichnen, wurde damit nicht bestätigt. Eine mögliche 228
Die drei Dimensionen sind recht robust. Das einzige Merkmal, das bei der Analyse von Kooperativen und Verweigerern, im Vergleich zur vorigen Analyse von ALLBUS und ALLBUS+-Befragten, die Dimension „wechselt“, ist der Boykott von Waren. Dieses Item weist nun die höchste Ladung auf den Faktor „Protest“ auf. Bei der Analyse von ALLBUS und ALLBUS+ lud es noch am stärksten auf den Faktor „private Partizipation“. Es ist empirisch an der Grenze beider Dimensionen zu verorten.
7.4 Der Vergleich von Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+
253
Erklärung für diesen Befund könnte darin liegen, dass die Zielpersonen mit geringer Ressourcenausstattung im vorliegenden Design auch in der Nachbearbeitung noch nicht erreicht wurden. Wenn die kognitiven, sozialen und zeitlichen Fähigkeiten für eine Teilnahme fehlen, reichen auch die in der Studie vorgenommenen Designveränderungen zwischen Haupt- und Nachbearbeitungsphase nicht aus, um die Zielpersonen von einer Teilnahme zu überzeugen. Dass insbesondere die zeitliche Ressourcenausstattung dennoch eine gewisse Rolle bei der Entscheidung zu Kooperation oder Verweigerung spielt, zeigte der Vergleich zwischen den Befragten in ALLBUS und ALLBUS+ in den vorherigen Kapiteln 7.2 und 7.3. Da jedoch im ALLBUS+ gerade im Hinblick auf die Dauer der Befragung keine Veränderung mehr zwischen den Befragungsbedingungen der nun untersuchten Kooperativen und Verweigerern stattgefunden hat, sind in der empirischen Untersuchung auch keine Effekte mehr zu erkennen. Im Bereich der Selbstwahrnehmung der Individuen konnte ebenfalls kein signifikanter Zusammenhang mit der Kooperationsbereitschaft nachgewiesen werden. Auch für die dabei untersuchten Merkmale, das politische Wissen und den Grad interner Efficacy, kann man vermuten, dass sie notwendige Bedingungen für eine Teilnahme sind. Wenn ein bestimmter Schwellenwert überschritten wird, ist eine Teilnahme (unabhängig von den Bedingungen) möglich. Wenn sie nicht vorhanden sind, verändern auch die Studienbedingungen die Teilnahmeentscheidung nicht. Daher könnten Unterschiede zwischen denjenigen, die überhaupt befragt werden können, und dem letzten Drittel der Zielpersonen bestehen, die aber auch in dieser Studie nicht erreicht werden. Das bedeutet für die Ressourcen, dass sie weniger die Teilnahmebereitschaft im hier verstandenen Sinne, sondern eher die Teilnahmefähigkeit überhaupt beeinflussen. Die Analyse der politischen und gesellschaftlichen Einstellungen ergab die erwarteten negativeren Einstellungen der Verweigerer gegenüber der Gesellschaft und dem politischen System. Sie haben tendenziell ein geringeres Politikinteresse, sind unzufriedener mit dem politischen System und vertrauen weniger auf die politischen Institutionen. Das bedeutet, die Verweigerer bringen dem politischen System weniger Unterstützung entgegen. Dies kann gravierende Folgen haben, wenn man auf der Basis von Umfragedaten die Stabilität des politischen Systems bewerten möchte. Die Daten zeigen, dass diese Stabilität überschätzt wird, wenn man in einer Studie wie dem ALLBUS+ nur einen Teil der Zielpersonen erreicht, weil diese direkt Kooperativen größeres Interesse an Politik haben, dem politischen System stärker vertrauen und zufriedener damit sind. Verstärkend kommt hinzu, dass die Verweigerer nicht nur dem politischen System weniger Unterstützung entgegenbringen, sondern auch ihren Mitmenschen eher misstrauen und ein höheres Maß Anomie gegenüber der Gesellschaft aufweisen. Das bedeutet, dass sie nicht nur dem politischen System, sondern auch der Gesellschaft gegenüber negativer eingestellt sind. Alle diese Eigenschaften, die man in der Gesamtbetrachtung als Krisenindikatoren bezeichnen könnte, treten damit in allgemeinen Bevölkerungsumfragen unter Standardbedingungen nicht unbedingt zutage.
254
7 Empirische Analyse
Ein Merkmal zeigte in der Untersuchung einen kontraintuitiven Effekt: Bei der Analyse der verinnerlichten Wahlnorm, d.h. dem Empfinden, dass es die Pflicht eines Bürgers sei, wählen zu gehen, ist der Anteil derer, die der Aussage zustimmen, in beiden Gruppen extrem hoch. Bei den Verweigerern liegt er sogar noch einmal signifikant über dem Wert der kooperativen Zielpersonen. Dies könnte jedoch ein Artefakt des verwendeten Indikators sein, der dazu führt, dass sich die Befragten verpflichtet fühlen, ihre Zustimmung auszudrücken. Damit wäre das Ergebnis auf das Phänomen der sozialen Erwünschtheit zurückzuführen. Für alle aufgetretenen Zusammenhänge gilt bislang nur, dass sie bivariat auftreten, d.h. dass sich Verweigerer und Kooperative in der vorliegenden Studie im Hinblick auf die Merkmale unterscheiden. Dies sagt noch nichts über die möglichen Ursachen aus, da sich Effekte auch überlagern könnten. Im Folgenden soll untersucht werden, ob sie auch unter gegenseitiger Kontrolle Bestand haben, wie groß ihr relativer Einfluss auf die Handlungsentscheidung des Individuums ist und ob die theoretischen Modelle zur Erklärung der Teilnahme (Survey Variable Cause-Modell) und zur Erklärung von Unterschieden bei der politischen Partizipation (im Sinne des Common Cause-Modells) Gültigkeit für sich beanspruchen können. Dazu wird die Handlungsentscheidung, die Teilnahme zu verweigern, auf die genannten Merkmale regrediert.
7.5 Multivariate Analyse: Kooperation und Verweigerung des Interviews Analog zu Kapitel 7.3 werden im Folgenden logistische Regressionsmodelle gerechnet, um den Einfluss diverser Erklärungsfaktoren auf das Handeln von Individuen zu prüfen. Es gibt aus theoretischer Perspektive jetzt allerdings einen zentralen Unterschied zur Analyse zuvor: Die logistische Regression ist nicht nur empirisch möglich zur Beantwortung der Fragestellung, sondern auch theoretisch angemessen. Auch wenn mit dem gleichen analytischen Verfahren wie in Kapitel 7.3 gearbeitet wird, ist die Idee dahinter jetzt eine andere: Es wird nicht mehr analysiert, welche Merkmale zur Diskriminierung zweier Gruppen beitragen, sondern versucht, die Handlungsentscheidung zwischen Kooperation und Verweigerung zu erklären. Dabei wird überprüft, welchen Einfluss die zuvor diskutierten Merkmale auf die Wahrscheinlichkeit haben, dass Individuen die Teilnahme an einer politischen Befragung verweigern.229 Zudem wird nun auch die Gesamterklärungskraft verschiedener Modelle beobachtet, um abschätzen zu können, wie gut ein Modell jeweils dazu geeignet ist, die Entscheidung des Individuums insgesamt zu erklären. Dazu werden neben den relevanten erklärenden Variablen noch weitere, in der Hauptsache soziodemographische, Kontrollvariablen in die Modelle eingeführt, um die Stabilität der Effekte zu testen. Gewisse Merkmale, z.B. das eingesetzte 229
Mehr zum Verfahren der logistischen Regression bei Pampel (2000), insbesondere zur dabei verwendeten Maximum Likelihood-Schätzung auch Aldrich/Nelson (1984: 49ff.).
7.5 Multivariate Analyse: Kooperation und Verweigerung des Interviews
255
Incentive, können nicht kontrolliert werden, da die Gabe des Incentives die Gruppenzugehörigkeit der Verweigerer (die alle 50 Euro erhalten haben) und der Kooperativen (die alle 10 Euro erhalten haben) perfekt vorhersagt. Ebenso können die ausgewählten Indikatoren nur exemplarisch für die verschiedenen Bereiche der Einstellung gegenüber dem Handeln, der sozialen Norm und der Handlungskontrolle stehen und einen kleinen Teil der potenziellen Determinanten abdecken. Eine Integration aller möglichen Orientierungen, die einen Einfluss auf die Handlungsentscheidung haben könnten, ist nicht möglich. Daher werden für die Gesamtmodelle auch keine sehr hohen Pseudo-R2-Werte erwartet. Dennoch können gerade für die in der politischen Wahl- und Einstellungsforschung zentralen Konstrukte potenzielle, plausible Ursache-Wirkungs-Beziehungen aufgezeigt werden und damit überprüft werden, inwiefern bei diesen Merkmalen Verzerrungen zu erwarten sind. Analog zu Kapitel 7.3 sind die ersten beiden Modelle reduzierte Ressourcenmodelle mit den Merkmalen zur objektiven (Modell 1) und wahrgenommenen (Modell 2) Verhaltenskontrolle. Daran anschließend wurden die Merkmale, die zur Bildung einer Einstellung gegenüber der Teilnahme relevant sind, in die Analyse eingeführt (Modell 3). Das vierte Modell beinhaltet die Items zur Messung der subjektiven Norm (Modell 4). Nach diesen Teilmodellen wird schließlich das zuvor aufgestellte Survey Variable Cause-Modell zur Erklärung der Teilnahmeentscheidung insgesamt berechnet, das alle bis dahin einbezogenen Merkmalsgruppen enthält (Modell 5). Anschließend wird geschaut, inwiefern die politischen Partizipationsvariablen eigenständige Effekte zeigen (Modell 6) und ob diese verschwinden, wenn man die erklärenden Faktoren hinzunimmt (Modell 7). Bei diesem letzten integrierten Gesamtmodell werden zudem noch weitere Kontrollvariablen in die Analyse eingeführt. Die Berechnung der ersten beiden Teilmodelle unterstreicht zunächst weitestgehend die Ergebnisse der bivariaten Analyse. Bei beiden reduzierten logistischen Regressionsmodellen, die nur die objektiven bzw. wahrgenommenen Ressourcen zur Erklärung des Teilnahmeverhaltens mit einbeziehen, sind die Modelle insgesamt statistisch nicht signifikant (siehe Tab. 31, Modelle 1 und 2). Die Nullhypothese, dass alle logistischen Regressionskoeffizienten einen Wert von Null aufweisen, kann nicht verworfen werden. Für keine der Ressourcen kann angenommen werden, dass sie einen signifikanten Einfluss auf die Entscheidung zur Teilnahmeverweigerung hat. Der Befund verwundert nicht, da sich bereits in der bivariaten Analyse keine Unterschiede in Bezug auf die Ressourcenausstattung von Kooperativen und Verweigerern gezeigt haben. Eine mögliche Erklärung dafür wurde bereits in den vorigen Kapiteln ausgeführt und liegt im Forschungsdesign der Studie begründet. Zwischen Haupt- und Nachbearbeitung werden den Zielpersonen im ALLBUS+ weder zusätzliches Wissen noch sozialen Fähigkeiten oder Zeitressourcen durch die Veränderung der Bedingungen zur Verfügung gestellt. Daher lassen sich auch keine Unterschiede bezüglich dieser Merkmale feststellen.
256
7 Empirische Analyse
Tabelle 31: Logistische Regressionsmodelle zum Einfluss der Merkmale aus den Bereichen der objektiven und wahrgenommenen Verhaltenskontrolle, der Einstellung gegenüber der Teilnahme und der subjektiven Norm auf die Teilnahmeverweigerung in der Hauptbearbeitung im ALLBUS+
Konstante
objektive Kontrolle Modell 1 2,10 ** (0,70) *
wahrg. Kontrolle Modell 2 -0,71 (0,55)
Einst. ggü. Teilnahme* Modell 3 0,36 (0,56)
subjektive Norm*** Modell 4 -2,28 *** (0,55)
Bildung (Referenz: Abitur) - höchstens Hauptschule - Realschule Index politische Informiertheit aktive Mitgl. in einem Verein
0,13 (0,25) 0,17 (0,25) 0,03 (0,04) -0,44 * (0,21)
Zeit mit anderen verbringen (Referenz: nie) - täglich - wöchentlich - monatlich - seltener Zeit (vollzeit erwerbstätig) traue mir aktive Rolle zu Politik zu kompliziert politisches Wissen
0,92 (0,65) 0,68 (0,61) 0,43 (0,65) 0,57 (0,70) 0,12 (0,19) -0,01 (0,10) 0,09 (0,11) -0,13 (0,11) (Fortsetzung der Tabelle auf der nächsten Seite)
7.5 Multivariate Analyse: Kooperation und Verweigerung des Interviews
257
Tabelle 31: Fortsetzung Umfrageeinstellung externe Efficacy Nähe zu Beteiligungsnormen
0,22 (0,46) -0,12 (0,09)
politische Einstellungen politisches Interesse Zufriedenheit mit der Demokratie Institutionenvertrauen
-0,05 (0,09) -0,10 (0,13) -0,15 (0,10)
Einstellungen ggü. der Gesell. Vertrauen in Mitmenschen
-0,49 # (0,30)
geteilte Normen (Referenz: keine) 0,14 (0,44) -0,40 - hoch (0,48) -0,89 - niedrig (0,56) 0,49 *** Anomie (0,13) Fallzahl 749 753 753 752 0,01 0,00 0,02 0,04 McFaddens R2 Quelle: Eigene Berechnungen. DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). Angegeben sind die logistischen Regressionskoeffizienten b, robuste Standardfehler in Klammern. # p<0.10; * p<0.05; ** p<0.01; *** p<0.001. - sehr hoch
Besser zur Erklärung von Kooperation und Verweigerung beitragen können hingegen die Teilmodelle, die soziale Einstellungen bzw. das Verhältnis des Individuums gegenüber der Gesellschaft als Determinanten einbeziehen. Dies gilt für die Modelle 3 und 4, die die relevanten Merkmale zur Herausbildung einer Einstellung gegenüber der Verweigerung und zur subjektiven Norm integrieren. Allerdings haben auch diese Modelle eine relativ geringe Gesamterklärungskraft. McFaddensPseudo-R2 erreicht nur Werte von 0,02 (Modell 3) bzw. 0,04 (Modell 4). Um diese Werte in ihrer Größenordnung einschätzen zu können, kann man sie analog zur erklärten Varianz bei linearen Regressionsmodellen interpretieren. Die Werte von
258
7 Empirische Analyse
zwei bzw. vier Prozent würden dabei auf eine eher bescheidene Erklärungskraft zur Vorhersage der Verweigerungswahrscheinlichkeit hinweisen.230 Inhaltlich bedeutet dieser Befund, dass zur Erklärung von Kooperation und Verweigerung andere Faktoren herangezogen werden müssen. Ein Grund dafür ist, dass die Indikatorenauswahl limitiert war und manche Konzepte sehr grob gemessen wurden. Der Einsatz des Incentives, der die Teilnahmeentscheidung ebenfalls beeinflusst, kann jedoch, wie bereits ausgeführt, aus technischen Gründen statistisch nicht mit in den Gesamtmodellen kontrolliert werden. Beim Incentive stellt man fest, dass dessen Verteilung (10 Euro vs. 50 Euro) die Unterscheidung zwischen Haupt- und Nachbearbeitung vollständig erklärt. Es gibt keine Befragten auf der Ebene der Nachbearbeitung, die keine 50 Euro erhalten haben, da diese Variation bewusst zur Veränderung der Kooperationsbereitschaft eingesetzt wurde.231 Aufgrund der extrem schiefen Verteilung ist keine Maximum LikelihoodSchätzung möglich und die logistische Regression, die ja ein iteratives Verfahren ist, kommt nicht zu einem optimalen Schätzergebnis. Ein Indiz dafür sind die enorm großen Standardfehler, die beim Versuch, diese Modelle zu schätzen, entstehen. Betrachtet man die Ausschöpfung von erneut 30,3 Prozent in der Nachbearbeitung, die von einer Teilnahme überzeugt werden konnten, kann man die Wirkung des Incentives direkt ablesen, in den multivariaten Analysen kann man es jedoch nicht statistisch kontrollieren. Wiederum andere situative Effekte, wie z.B. die Stimmung der Befragten, wurden nicht in das Modell integriert, da sie nur schwer zu messen und auch nicht dauerhaft sind. Dennoch können die Erkenntnisse aus den logistischen Regressionsanalysen trotz der geringen Gesamterklärungskraft wichtige Hinweise darauf geben, welche Merkmale im Sinne des Survey Variable Cause-Modells signifikant auf die Kooperationsentscheidung wirken. Dazu wurde ein erstes Gesamtmodell zu den Ursachen der Verweigerung gerechnet (siehe Tab. 32, Modell 5). Zunächst muss man konstatieren, dass auch die Erklärungskraft des Gesamtmodells mit einem Wert von 0,06 für McFaddens-R2 keine gute Erklärung für die Entscheidung, eine Teilnahme zu verweigern, bietet. Diese geringen Werte lassen sich damit erklären, dass durch die schiefe Verteilung der abhängigen Variable bereits ohne Kenntnis der unabhängigen Variablen eine recht gute Prognose möglich ist.232 Um die Voraussetzungen für die Anwendung der logistischen Regressi230
Dieses Vorgehen ist etwas vereinfacht, aber zur Einschätzung der Größenordnung geeignet. Zur Erklärungskraft von Logit-Modellen siehe auch Andreß et al. (1997: 287ff.). Dort wird angegeben, dass Werte unter 5% auf geringe Zusammenhänge, Werte über 20% auf starke Zusammenhänge hinweisen (Andreß et al. 1997: 288). In dem hier vorliegenden Fall ist aber auch zu berücksichtigen, dass es sich um eine schiefe Verteilung handelt, bei der eher geringere R2-Werte zu erwarten sind, weil auch ohne die Kenntnis der unabhängigen Variablen vergleichsweise „gute“ Schätzungen möglich sind (vgl. Andreß et al. 1997: 289). 231 Nur ganz vereinzelt wurde den Zielpersonen direkt bei der ersten Ansprache 50 Euro angeboten, nämlich dann, wenn es sich um QNA-Ersetzungen handelte, die in der Phase der Nachbearbeitung das erste Mal kontaktiert wurden. 232 Die bei der Berechnung ausgegebene Klassifizierungstabelle sowie der Hosmer-Lemeshow-Test zeigen die geringe Güte der Modellanpassung. Zwar wird beim Hosmer-Lemeshow-Test die Nullhypothese bestätigt, dass die
7.5 Multivariate Analyse: Kooperation und Verweigerung des Interviews
259
on zu überprüfen, wurden die standardisierten Residuen kontrolliert, um Ausreißer zu erkennen, über Cook’s Distanz wurden die Daten auf einflussreiche Fälle hin untersucht. Die Residuen zeigen, wie erwartet, vereinzelt falsch klassifizierte Fälle, allerdings nicht derart viele, dass sie das Gesamtergebnis substanziell verändern würden. Daher werden sie in der Analyse belassen. Cook’s Distanzmaß ergibt hingegen keine Auffälligkeiten.233 Das Gesamtmodell (siehe Tab. 32) zeigt, dass der größte Einfluss von dem Maß der Entfremdung von der Gesellschaft ausgeht. Personen, die ein hohes Maß an Anomie aufweisen, verweigern mit einer deutlich höheren Wahrscheinlichkeit die Teilnahme an politischen Befragungen als wenig entfremdete Personen. Das Merkmal der Aktivität in mindestens einem Verein, das einen Indikator für die Aktivität in Netzwerken darstellt, reduziert gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit einer Verweigerung. Dies bestätigt erneut die Aussage Essers aus den 1970er Jahren: „Die Involviertheit in die soziale Umwelt scheint somit eine der grundlegendsten Voraussetzungen zur Teilnahme an sozialwissenschaftlichen Interviews zu sein“ (Esser 1973: 121, vgl. dazu bereits Kap. 3.2.2.1). Tabelle 32: Survey Variable Cause-Modell zur Erklärung der Teilnahmeverweigerung in der Hauptbearbeitung des ALLBUS+
Konstante Bildung (Referenz: Abitur) - höchstens Hauptschule - Realschule Index politische Informiertheit aktive Mitgl. in einem Verein Zeit mit anderen verbringen (Referenz: nie) - täglich - wöchentlich - monatlich - seltener Zeit (vollzeit erwerbstätig) traue mir aktive Rolle zu politik zu kompliziert politisches Wissen
Survey Variable Cause-Modell (Modell 5) robuste b Exp (b) Standardfehler -0,39 1,28 0,68 -0,22 -0,07 0,05 -0,40 #
0,31 0,28 0,05 0,22
0,80 0,93 1,05 0,67
0,99 0,68 2,68 0,80 0,63 2,23 0,48 0,67 1,62 0,48 0,73 1,61 0,17 0,22 1,19 0,02 0,12 1,02 0,11 0,12 0,90 -0,11 0,12 0,89 (Fortsetzung der Tabelle auf der nächsten Seite)
Differenzen zwischen den beobachteten und erwarteten Werten sich nicht signifikant von Null unterscheiden, dennoch ist dies nur sehr knapp der Fall (Signifikanz p=0.083). Die Klassifizierungstabelle zeigt, dass sich die Vorhersage richtiger Fälle minimal von 78,8% auf 79,2% verbessert. 233 Für die einflussreichen Fälle wurde ein Grenzwert von 1 angenommen, der nicht erreicht wurde. Der höchste Wert liegt unter 0,6.
260
7 Empirische Analyse
Tabelle 31: Fortsetzung Umfrageeinstellung externe Efficacy 0,45 0,52 1,57 Nähe zu Beteiligungsnormen -0,15 0,10 0,86 politische Einstellungen politisches Interesse -0,18 0,13 0,84 Zufriedenheit mit der -0,13 0,14 0,88 Demokratie Institutionenvertrauen -0,16 0,11 0,86 Einstellungen ggü. der Gesell. Vertrauen in Mitmenschen -0,41 0,31 0,67 geteilte Normen (Referenz: keine) - sehr hoch 0,33 0,49 1,39 - hoch -0,24 0,52 0,79 - niedrig -0,79 0,59 0,45 0,16 1,51 Anomie 0,41 ** Fallzahl 719 McFaddens R2 0,063 Quelle: Eigene Berechnungen. DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). Angegeben sind die logistischen Regressionskoeffizienten b sowie die robusten Standardfehler. # p<0.10; * p<0.05; ** p<0.01; *** p<0.001.
Überraschend ist hingegen, dass für alle politischen Einstellungsvariablen, die in der bivariaten Analyse noch einen Zusammenhang mit dem Kooperationsverhalten aufgewiesen hatten, nun keine signifikanten Effekte mehr zu erkennen sind. Weder das politische Interesse noch die Demokratiezufriedenheit oder das Institutionenvertrauen haben in der multivariaten Analyse einen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit einer Verweigerung. Auch der Effekt des Vertrauens in Mitmenschen, der im Teilmodell 3 noch zu erkennen war, ist im Gesamtmodell verschwunden. Man kann annehmen, dass er zuvor über das Merkmal der Anomie vermittelt war. Bestand haben lediglich die Aktivität in Netzwerken und die Anomie. Die Chancen einer Verweigerung erhöhen sich mit jedem Skalenpunkt auf der Anomieskala um 1,51, sie reduzieren sich hingegen bei Menschen, die in einem Verein sind, auf einen Wert von 0,67.234 In Zahlen ausgedrückt bedeutet dies, dass – unter Konstanthaltung der anderen Merkmale235 – eine Person mit einem sehr niedrigen Grad an Anomie (d.h. einem Wert von 0 auf der vierstufigen Skala) eine Wahrscheinlichkeit von 25 Prozent hat, die Teilnahme zu verweigern, während diese Wahrscheinlichkeit bei einer Person mit ansonsten gleichen Merkmalen, aber 234
Ein Wert von 1 würde auf fehlenden Einfluss des Merkmals schließen lassen. Dabei wurde bei den metrischen Merkmalen der Mittelwert (mittlere Informiertheit, mittlerer Grad externer Efficacy usw.) bei den kategorialen Merkmalen die jeweiligen Referenzkategorien (Abitur, keine aktive Mitgliedschaft in Vereinen usw.) in die Regressionsgleichungen eingesetzt. 235
7.5 Multivariate Analyse: Kooperation und Verweigerung des Interviews
261
einem sehr hohen Grad an Anomie (=3), auf über 53 Prozent ansteigt. Abbildung 16 verdeutlicht diesen Effekt. Abbildung 16: Der Einfluss der Anomie auf die Verweigerungswahrscheinlichkeit (Punktschätzung)
vorhergesagte Verweigerungswahrscheinlichkeit
60% 50%
53
40%
43 33
30% 25
20% 10% 0% 0
1
2
3
Grad der Anomie
Quelle: Eigene Darstellung.
Insgesamt zeigt sich, dass sich nur wenige der zuvor aufgestellten Hypothesen zum Einfluss verschiedener Merkmale auf die Teilnahmewahrscheinlichkeit auch in der multivariaten Analyse bewähren. Die Annahme zur Aktivität in Netzwerken und damit H2.2a, die davon ausgeht, dass soziale Ressourcen, die über die Aktivität in Netzwerken erlernt sind, positiv auf die Teilnahmewahrscheinlichkeit wirken, wurde bestätigt. Daneben hat sich auch H5.2 zur negativen Wirkung der Anomie bewährt. Alle anderen Variablen, für die im Sinne des Survey Variable CauseModells Einflüsse auf die Verweigerungswahrscheinlichkeit angenommen wurden, zeigen diese Wirkung nicht.236 Dennoch soll die Analyse noch erweitert und dafür die Variablen zur politischen Partizipation der Verweigerer mit berücksichtigt werden. Die bivariate Analyse in Kapitel 7.4.2.6 zeigte bereits Unterschiede zwischen Kooperativen und Verweigerern bei der Bereitschaft, bestimmte politische Beteiligungsformen auszuführen. Die Hypothese H6, dass sich Kooperative und Verweigerer hinsichtlich ihres Partizipationsverhaltens unterscheiden, wurde damit vorläufig bestätigt. Dieser Befund betraf sowohl die Parteiwahl (FDP und Bündnis 90/Die Grünen) als auch die öffentliche Dimension sowie die Protestdimension politischer Partizipati236
Hier lässt sich erkennen, dass multivariate Analysen insgesamt robuster sind als uni- oder bivariate Schätzungen.
262
7 Empirische Analyse
on. In einem ersten Schritt soll nun in einem reinen Partizipationsmodell geprüft werden, welche der zuvor aufgetretenen Unterschiede unter Kontrolle der jeweils anderen Partizipationsmerkmale erhalten bleiben, d.h. welche Merkmale für die aufgetretenen Unterschiede verantwortlich sind. Tabelle 33: Erweiterte logistische Regressionsmodelle Modell 6: politische Partizipation Konstante
-1,38 *** (0,13)
Modell 7: Common Cause 0,18 (1,66)
Modell 8: CC mit weiteren Kontrollvariablen 0,39 (1,99)
Partizipationsvariablen 0,04 (0,47) 0,58 # FDP-Wahl (0,31) -0,51 Grünen-Wahl (0,42) -0,21 # öffentliche Partizipation (0,11) 0,12 private Partizipation (0,11) 0,12 Protestverhalten (0,11) Variablen des Survey Variable Cause-Modells Bildung (Referenz: Abitur) Nichtwahl
- höchstens Hauptschule - Realschule Index politische Informiertheit aktive Mitgl. in einem Verein
0,34 (0,56) 0,70 * (0,34) -0,33 (0,48) -0,15 (0,14) 0,19 (0,15) 0,10 (0,13)
0,49 (0,64) 0,64 (0,35) -0,36 (0,50) -0,17 (0,14) 0,24 (0,16) 0,10 (0,14)
#
0,06 0,31 (0,38) (0,42) 0,05 0,14 (0,15) (0,37) 0,09 0,09 (0,06) (0,07) -0,30 -0,17 (0,26) (0,27) (Fortsetzung der Tabelle auf der nächsten Seite)
7.5 Multivariate Analyse: Kooperation und Verweigerung des Interviews
263
Tabelle 33: Fortsetzung Zeit mit anderen verbringen (Referenz: nie) - täglich - wöchentlich - monatlich - seltener Zeit (vollzeit erwerbstätig) traue mir aktive Rolle zu Politik zu kompliziert politisches Wissen externe Efficacy Nähe zu Beteiligungsnormen politisches Interesse Zufriedenheit mit der Demokratie Institutionenvertrauen Vertrauen in Mitmenschen
0,88 (0,85) 0,76 (0,77) 0,54 (0,80) 0,19 (0,89) 0,21 (0,27) -0,10 (0,14) 0,26 # (0,14) -0,19 (0,14) 1,35 * (0,63) -0,14 (0,12) -0,31 # (0,16) -0,23 (0,19) -0,15 (0,13) -0,37 (0,38)
0,84 (0,86) 0,77 (0,78) 0,58 (0,82) 0,24 (0,87) 0,21 (0,29) -0,09 (0,15) 0,22 (0,15) -0,20 (0,14) 1,37 (0,67) -0,17 (0,12) -0,38 (0,17) -0,29 (0,21) -0,15 (0,14) -0,14 (0,41)
*
*
geteilte Normen (Referenz: keine) - sehr hoch - hoch - niedrig Anomie
-0,08 -0,59 (0,57) (0,67) -0,48 -1,01 (0,61) (0,71) -1,11 -1,63 * (0,73) (0,83) 0,69 *** 0,70 *** (0,20) (0,20) (Fortsetzung der Tabelle auf der nächsten Seite)
264
7 Empirische Analyse
Tabelle 33: Fortsetzung Kontrollvariablen Region (Ost/West) Alter Geschlecht
0,40 (0,34) -0,00 (0,01) -0,09 (0,27)
Konfession (Referenz: keine) -0,80 * (0,36) -0,06 - katholisch (0,41) -1,18 - andere (0,73) 0,04 Kirchgangshäufigkeit (0,12) 0,12 Schicht (0,18) -0,27 Wohnumgebung (0,17) 0,18 * Wohnortgröße (0,07) Mc Faddens R2 0,02 0,11 0,15 Fallzahl 590 558 558 Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“ . Eigene Berechnungen. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). Angegeben sind die logistischen Regressionskoeffizienten b sowie die robusten Standardfehler. # p<0.10; * p<0.05; ** p<0.01; *** p<0.001. - evangelisch
In einem zweiten Schritt wird analysiert, inwiefern die aufgetretenen Effekte auf die Einstellungsebene zurückzuführen sind. Wenn sie diesem Mechanismus unterliegen, müssten sie in einem Gesamtmodell verschwinden. Schließlich werden in einem letzten Schritt noch weitere Kontrollvariablen in das Gesamtmodell eingeführt, um Hinweise darauf zu erhalten, welche weiteren Merkmale die Entscheidung beeinflussen könnten. Um die Hypothese zum Einfluss gemeinsamer Hintergrundvariablen zu überprüfen, wird schließlich ein integriertes Modell gerechnet, in das sowohl die Partizipationsvariablen als auch die Merkmale zur Erklärung der Verweigerungsentscheidung einbezogen werden (siehe Tab. 33, Modell 7). Für die Intention zu öffentlicher politischer Partizipation verschwindet der Effekt wie erwartet. Er war damit zuvor über die Merkmale auf der Einstellungsebene vermittelt. Der Zusammenhang zwischen der FDP-Wahl und der Teilnahmebereitschaft verschwindet jedoch nicht, sondern bleibt erhalten. Das bedeutet, der Zusammenhang zwischen der FDP-Wahl und der Kooperationsbereitschaft ist nicht
7.5 Multivariate Analyse: Kooperation und Verweigerung des Interviews
265
über die im Modell enthaltenen gemeinsamen Hintergrundvariablen zu erklären, sondern geht auf andere Variablen zurück. Mögliche Erklärungsfaktoren sind dabei beispielsweise die Einstellungen gegenüber dem Themenkomplex der Bürgerrechte und des Datenschutzes, die in der Studie nicht erfasst waren (siehe dazu auch H6.1.3, Kap. 7.4.2.6). Der signifikante Effekt der Aktivität in Netzwerken ist nun im Gesamtmodell ebenfalls nicht mehr zu erkennen.237 Das integrierte Modell 7 zeigt auf der Ebene der Merkmale, die als Gründe der Kooperations- bzw. Verweigerungshandlung angesehen werden, signifikante Effekte für vier Variablen: Drei der Effekte verlaufen dabei entlang der zuvor formulierten theoretischen Annahmen. Je eher die Zielpersonen Politik als zu kompliziert empfinden, je geringer ihr politisches Interesse und je höher ihre Entfremdung von der Gesellschaft, desto wahrscheinlicher werden sie die Teilnahme an einer politischen Umfrage verweigern. Damit haben sich die zentralen Hypothesen, dass es sich bei den Verweigerern um uninteressierte und desorientierte Bürger handelt, bestätigt. Allerdings liefert die logistische Regression auch eine kontraintuitive Erkenntnis: Die Verweigerung hat scheinbar nichts mit politischer Frustration bzw. anders ausgedrückt einem Mangel an wahrgenommener externer politischer Efficacy zu tun. Im Gegenteil: Je höher der Grad an externer politischer Efficacy, desto wahrscheinlicher ist eine Verweigerung. Eventuell lässt sich dieser Befund dadurch erklären, dass diejenigen mit einem hohen Grad externer Efficacy glauben, dass „die da oben“ es schon richten werden und ihre eigene Rolle in der Gesellschaft als passiv wahrnehmen. Dies würde erklären, warum sie von einer Teilnahme absehen. Um die nun aufgedeckten Einflussfaktoren soweit wie möglich abzusichern, wurden schließlich noch weitere Kontrollvariablen in das Modell mit eingeführt: Alter, Geschlecht, Konfession und Kirchgangshäufigkeit, Schichtzugehörigkeit, die Wohnumgebung des Befragten sowie die Größe des Wohnorts238 (siehe Tab. 33, Modell 8). Die meisten dieser Kontrollvariablen haben keinen eigenständigen Einfluss und verändern kaum etwas an den vorigen Modellrechnungen. Lediglich für die Konfession und die Größe des Wohnorts zeigen sich signifikante Zusammenhänge mit der Kooperationsbereitschaft, ohne dass in diesem erweiterten Modell die Effekte der FDP-Wahl, der externen politischen Efficacy, des politischen Interesses und der Anomie verschwinden würden. Lediglich die Einstellung gegenüber der Aussage, Politik sei zu komplex für einen selbst, hat in diesem Modell keinen signifikanten Einfluss mehr. 237
Bei der Aktivität in Netzwerken handelt es sich um ein Merkmal, das der (privaten) politischen Partizipation sehr ähnlich ist. Aus diesem Grund könnte der – zuvor bereits sehr geringe und nur auf 10%-Niveau signifikante – Effekt nicht mehr auftreten. 238 Bei den beiden letzten Merkmalen handelt es sich um indirekte Messungen über die Ebene der Interviewer. Neben dem Modell 8 wurde noch ein weiteres Modell gerechnet, in dem auch die Interviewermerkmale (Geschlecht, Alter, Bildung, Erfahrung) mit kontrolliert wurden. Da diese jedoch ebenfalls keine signifikanten Effekte aufwiesen, wird dieses Modell nun nicht noch einmal getrennt ausgeführt. Die Ergebnisse dieser Analyse befinden sich im Anhang (siehe Anhang, Tab. A34).
266
7 Empirische Analyse
Im Gesamtmodell kann man, auch unter Hinzunahme der Kontrollvariablen, weiterhin erkennen, dass eine Teilnahmeverweigerung bei evangelischen Befragten deutlich unwahrscheinlicher ist als bei Konfessionslosen. Hier könnte man argumentieren, dass die konfessionelle Bindung dazu beiträgt, dass Normen und Werte der Gesellschaft stärker geteilt werden. In diesem Fall wäre das Ergebnis eine weitere Bestätigung der Hypothese H5. Allerdings lässt sich dieser Effekt nicht für den Katholizismus und nur begrenzt für andere Religionsgemeinschaften nachweisen, was man annehmen müsste, wenn man dieses Argument konsequent zu Ende führte.239 Eine vollständig schlüssige Erklärung für diesen Effekt des Protestantismus, der auch beispielsweise unter Kontrolle der regionalen Lage erhalten bleibt, kann daher nicht genannt werden. Auch bei der Wohnortgröße zeigen sich positive signifikante Effekte: Je größer der Wohnort der Zielpersonen, desto wahrscheinlicher gehören sie zu den Teilnahmeverweigerern. Dieser Effekt bleibt dabei selbstständig neben der Anomie und der Kriminalitätsfurcht bestehen und lässt sich daher auch nicht allein auf diese beiden Merkmale zurückführen. Auch bei gleichem Grad an Anomie und Kriminalitätsfurcht ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand aus größeren Städten die Teilnahme verweigert, größer als die Wahrscheinlichkeit einer Verweigerung bei Einwohnern kleinerer Gemeinden. Eine mögliche Erklärung liegt in der Ähnlichkeit von Interviewer und Zielperson. In kleineren Gemeinden sind sich Interviewer und Zielperson eventuell ähnlicher als in Großstädten. Diese höhere soziale Kohäsion könnte über ein stärkeres Maß geteilter Normen und größeres soziales Vertrauen auf der Individualebene den Effekt der Wohnortgröße erklären (vgl. ähnliche Erklärungsansätze bei Goyder 1987: 173; Blau 1963: 135). Dabei ginge es dann nicht um allgemeines soziales Vertrauen, sondern um das Vertrauen gegenüber dem spezifischen Interviewer, der als „einer von uns“ wahrgenommen würde. Unter Kontrolle der nun ausgeführten Variablen zeigt sich noch ein neuer Effekt, nämlich dass ein Mindestmaß an geteilten Normen und Werten (im Vergleich zu denjenigen, die keine Werte der Gesellschaft teilen) die Wahrscheinlichkeit einer Teilnahme erhöht. Dieser Einfluss wurde in den vorherigen Modellen noch von anderen Merkmalen überlagert, im Gesamtmodell tritt er nun jedoch zutage. Alle Modelle zeigen, dass sich Kooperative und Verweigerer wie erwartet hinsichtlich gewisser Merkmale unterscheiden. Gleichzeitig muss man festhalten, dass sich das Ausmaß der Differenzen in Grenzen hält. Dennoch bleiben die Unterschiede auf der Ebene der Ursachen der Verweigerung zum Teil auch in den multivariaten Analysen bestehen. Bislang wurden zudem nur die Daten der Haupt- und Nachbearbeitung des ALLBUS+ untersucht. Das bedeutet, man bewegt sich hin239
Wie im Modell abzulesen ist, hat auch die Kirchgangshäufigkeit keinen eigenständigen Einfluss auf die Kooperationsbereitschaft. Sollte der Einfluss der Konfession aber über geteilte Normen und Werte verlaufen, würde man gleichzeitig annehmen, dass der Einfluss mit zunehmender Kirchgangshäufigkeit ansteigt, da dabei die Normen und Werte verfestigt würden. Dieser Effekt spiegelt sich jedoch nicht in den Daten wider. Neben den einzelnen Merkmalen wurden auch Modelle, die verschiedene Interaktionsterme enthielten, gerechnet, was die Ergebnisse jedoch nicht veränderte. Daher werden sie nun auch nicht weiter aufgeführt.
7.6 Die Nachfassaktionen: Annäherung an den harten Kern?
267
sichtlich der Verweigerer noch auf relativ „niedrigem Niveau“: Nach der Nachbearbeitung ist man beim ALLBUS+ bei 63,2 Prozent Ausschöpfung in Bezug auf die Brutto-Ausgangsstichprobe angekommen. Wenn man das Bild eines Eisbergs heranzieht und annimmt, im regulären ALLBUS nur die Spitze zu sehen, die aus dem Wasser ragt, hat man im ALLBUS+ nach der Haupt- und Nachbearbeitung eine vage Vorstellung davon, was sich unter Wasser befindet. Die ganz konkreten Ausmaße können jedoch noch nicht beziffert werden und lassen sich noch nicht abschätzen. Etwas mehr Licht ins Dunkel des letzten Drittels der Verweigerer, und damit in die tatsächliche Beschaffenheit der Grundgesamtheit, soll nun im folgenden Abschnitt die Analyse der Nachfassaktionen bringen. Verglichen werden dabei diejenigen, die erst an der telefonischen bzw. mündlichen Befragung teilgenommen haben, mit denjenigen, die bereits zuvor – entweder in der Haupt- oder der Nachbearbeitung – kooperierten. Allerdings muss dabei eine kleine Einschränkung vorgenommen werden: Wie bereits zuvor ausgeführt, erfolgt der Vergleich von zuvor Kooperativen und „harten“ Verweigerern nur noch bivariat, da die Fallzahlen für multivariate Analysen zu gering sind.
7.6 Die Nachfassaktionen: Annäherung an den harten Kern? Nach der Nachbearbeitungsphase blieb trotz des erheblichen Aufwands immer noch ein Drittel der Zielpersonen übrig, die nicht bereit waren, an der Befragung teilzunehmen, die so genannten „harten Verweigerer“. Um dem Ziel einer möglichst hohen Ausschöpfung noch ein Stück näher zu kommen, wurde der Erhebungsmodus variiert, um diejenigen Personen zu erreichen, die im Rahmen der persönlich-mündlichen Befragung eine Teilnahme verweigerten. Eventuell ist die Art und Weise, einen Interviewer zu sich in die Wohnung oder das Haus zu lassen und damit in den eigenen vier Wänden persönlich befragt zu werden, für viele Zielpersonen abschreckend. Im Mutterland der empirischen Sozialforschung, den USA, gehören Mixed-ModeBefragungen, d.h. Studien, die in verschiedenen Phasen des Erhebungsdesigns unterschiedliche Datensammlungsmethoden kombinieren, mittlerweile zum Standardvorgehen bei großen Befragungsstudien (vgl. Biemer/Lyberg 2003: 30; de Leeuw et al. 2008a: 300). In der Bundesrepublik sind sie hingegen, zumindest in Bezug auf die Phase der Datenerhebung, eher noch die Ausnahme. Zwar ist es durchaus üblich, vor telefonischen oder face-to-face-Befragungen ein schriftliches Anschreiben zu verschicken (wobei es sich im Grunde genommen ebenfalls um ein Mixed-Mode-Verfahren handelt, das sich jedoch auf die Kontaktierungsphase bezieht), darüber hinaus sind Mixed-Mode-Verfahren aber selten. In den beiden Nachfassaktionen, deren Ergebnisse nun vorgestellt werden, wurde entschieden, nicht nur die Kontaktierung, sondern auch die Form der Datenerhebung selbst in der „Response Phase“ (vgl. de Leeuw et al. 2008a: 306) zu verändern.
268
7 Empirische Analyse
Ein Hauptproblem des Mode-Wechsels liegt darin, dass sich der Erhebungsmodus auf die Beantwortung der Fragen auswirken kann und daher Antworten aus verschiedenen Erhebungsstufen eines Mixed-Mode-Designs nicht direkt miteinander verglichen werden können. Dabei können Effekte auftreten, die nicht genau der Zielperson oder dem Design zugeordnet werden können (vgl. Dillman/Christian 2005; de Leeuw 2008: 113ff.; de Leeuw et al. 2008a: 307; aber auch Hochstim 1967, der Mode-Effekte sehr gering einschätzt). Um dieses Problem zu lösen, wurden in der vorliegenden Studie nicht direkt die Daten derjenigen Zielpersonen, die bislang noch nicht befragt wurden, mit den Daten der zuvor persönlich-mündlich Befragten verglichen, sondern im Nachfass eine Kontrollgruppe der zuvor Befragten in dem nun veränderten Modus (telefonisch und schriftlich) noch einmal befragt. Auf diese Weise können die Mode-Effekte, ebenso wie Zeit- und Fragebogeneffekte, konstant gehalten werden.240 Ein Problem muss bei der Interpretation der Ergebnisse dennoch berücksichtigt werden. Sowohl bei telefonischen als auch bei schriftlichen Befragungen bleibt weitgehend unkontrolliert, wer letztlich tatsächlich an der Befragung teilnimmt. Dies ist das zentrale Problem von Datenerhebungsverfahren, die ohne persönlichen Kontakt mit der Zielperson ablaufen. Bei persönlich-mündlichen Befragungen ist ein großer Vorteil, dass die Interviewer eine gute Möglichkeit haben, die Zielpersonen zu kontrollieren. Da der Name und das Alter ebenso wie die Adresse durch die Registerinformationen vorgegeben sind, können die Interviewer sehr genau abschätzen, ob es sich bei den Befragten auch tatsächlich um die zuvor ausgewählten Zielpersonen handelt. Bei den nun veränderten Bedingungen ist dies anders: Während die Interviewer bei Telefonbefragungen noch ansatzweise Geschlecht und Alter an der Stimme erkennen und kontrollieren können, bleibt bei schriftlichen Befragungen völlig unklar, wer den Fragebogen ausfüllt. Dies kann zwar wie erwünscht die Zielperson, aber auch eine andere Person aus dem Umfeld des Befragten sein. Dennoch haben telefonische und schriftliche Befragungen auch einen großen Vorteil: Da es sich um weniger reaktive Verfahren handelt, sind beispielsweise Effekte der sozialen Erwünschtheit geringer einzuschätzen (vgl. de Leeuw et al. 2008a: 301; de Leeuw 1992, 2005). Gerade bei sensiblen Themen, wie etwa extremen politischen oder gesellschaftlichen Einstellungen, könnten die Befragten bei persönlichen Befragungen bewusst falsche Antworten geben, weil sie sich vor dem Interviewer nicht offenbaren wollen. Bei telefonischen und schriftlichen Befragungen ist die Anonymität höher und die Distanz zum Interviewer, wenn überhaupt ein Interviewer involviert ist, größer (vgl. auch Tourangeau/Smith 1996). Daher werden extreme Einstellungen, die bei den Verweigerern vermutet werden (siehe H5.4), in dieser Phase unter Umständen eher geäußert. 240
Neben den unterschiedlichen Zielpersonen könnten Effekte auch in der Situation sowie im Fall der Telefonbefragungen auch aus der Auswahl bestimmter Interviewer resultieren. Bei diesen wird jedoch angenommen, dass sie weitgehend zufälliger Natur sind.
7.6 Die Nachfassaktionen: Annäherung an den harten Kern?
269
Nicht alle Personen, die in den ersten beiden Stufen noch nicht erreicht wurden, haben eine gelistete Telefonnummer. Aus diesem Grund wurde für diese Studie sowohl ein telefonischer als auch ein schriftlicher Nachfass geplant und durchgeführt. Aus forschungspraktischen Gründen wurden all diejenigen, bei denen eine Telefonnummer ermittelt werden konnte, telefonisch befragt, um sich dem Ziel, so viele Zielpersonen wie möglich zu befragen, zu nähern. Parallel dazu wurde eine identisch große Stichprobe aus den bereits Befragten mit gelisteter Telefonnummer gezogen. All diejenigen ohne Telefonnummer wurden schriftlich angeschrieben und gebeten, an der Befragung teilzunehmen. Auch für diese zweite Gruppe wurde eine gleich große Kontrollgruppe der bereits Befragten gebildet und ebenfalls angeschrieben. Zwei weitere Veränderungen fanden in den Nachfassaktionen statt. Da angenommen wurde, dass die Reaktanz der Befragten durch die zwischenzeitlichen Kontakte noch einmal angestiegen war, wurde in den Nachfassaktionen der Sponsor der Befragung – im Rahmen des Möglichen – leicht verändert. Es wurde betont, dass die Studie unter anderem für die Doktorarbeit einer Studentin notwendige Daten liefert. Das bedeutet, dass der Sponsor zwar immer noch im universitären Umfeld angesiedelt ist. Gleichzeitig transportiert dieses Anschreiben damit auch einen Appell an die Hilfsbereitschaft der Zielpersonen. Zudem wurde die Befragungsdauer erneut reduziert und es waren nur noch acht Kern- bzw. Basisfragen im Fragebogen enthalten (vgl. Kersten/Bethlehem 1984). Diese Reduktion erschien zum einen sinnvoll, um die harten Verweigerer noch einmal neu zu motivieren. Zum anderen erforderte auch das Design als Telefonstudie eine kurze Befragung, da man annehmen kann, dass die Aufmerksamkeit der Befragten mit zunehmender Befragungsdauer am Telefon stärker abnimmt als in einer persönlichen Gesprächssituation. Erhoben wurden daher im Nachfass das Politikinteresse, das als zentrale Variable angesehen wird, je eine Aussage zur Bewertung von Politikern und zum Selbstbild der Befragten, die Wahlbeteiligung bei der letzten Bundestagswahl sowie die Sonntagsfrage als Indikatoren aus dem Bereich des politischen Verhaltens, die Demokratiezufriedenheit, die Selbsteinschätzung auf der Links-Rechts-Skala, eine Kurzskala zur Messung rechtsextremer Einstellungen sowie der Schulabschluss und das Alter der Befragten. Nicht alle Personen der Kontrollgruppen, die bereits zuvor an der Haupt- oder an der Nachbearbeitung im ALLBUS+ teilgenommen hatten, nahmen auch an den Nachfassaktionen teil. Wenn die Befragten einmal unter bestimmten Bedingungen kooperationsbereit waren, bedeutet dies nicht, dass sich die Befragten immer kooperativ verhalten. Die Ausschöpfung der zuvor Befragten variierte je nach Modus: In der Telefonbefragung lag sie bei 52,4 Prozent, bei der schriftlichen Befragung sogar nur bei 34 Prozent. Dies ist ein Beleg für das Vorliegen von situativen Faktoren bei der Entscheidung zu Kooperation und Verweigerung bzw. für das Vorliegen von Einflussfaktoren, die unabhängig von der Person des Befragten sind. Die Teilnahmebereitschaft ist demnach immer spezifisch auf eine bestimmte Situation
270
7 Empirische Analyse
und eine bestimmte Anfrage bezogen. Man kann jedoch gleichzeitig in den Kontrollgruppen feststellen, dass kaum Befragte aus der Nachbearbeitungsphase des ALLBUS+ (n=35, 20 in der Telefonbefragung, 15 in der schriftlichen Befragung) einer erneuten Teilnahme in den Nachfassaktionen zustimmten. Der überwiegende Anteil der Personen in den Kontrollgruppen stammt aus der Hauptbearbeitung der direkt Kooperativen.241 Dies bedeutet wiederum, dass zwar situative Faktoren wirken, es aber dennoch eine gewisse Stabilität des Merkmals Kooperationsbereitschaft gibt. Diejenigen, die nicht bereit waren an der Hauptbearbeitung des ALLBUS+ teilzunehmen, verweigern auch in einem anderen Modus eine Teilnahme eher als die direkt Kooperativen. Von den „harten Verweigerern“, d.h. den Personen, die zuvor trotz des enormen Aufwandes und des Einsatzes der Incentives noch nicht interviewt wurden, konnten bei den Nachfassaktionen jeweils noch einmal 20,9 Prozent der Ausgangsstichproben von einer Teilnahme überzeugt werden. Hier unterscheiden sich die beiden Erhebungsmethoden nicht hinsichtlich ihres Konvertierungserfolgs. Im Folgenden werden die Befragten der Nachfassaktionen als „harte Verweigerer“ bezeichnet, um sie von den Kooperativen (aus der Hauptbearbeitung) und den Verweigerern (aus der Nachbearbeitung) sprachlich abzugrenzen. Die beiden letztgenannten, Kooperative und Verweigerer, werden jetzt als „die zuvor Befragten“ betitelt.
7.6.1 Die telefonische Nachbefragung Die Analyse der Daten aus dem telefonischen Nachfass des ALLBUS+ ergibt, dass sich die harten Verweigerer von denjenigen, die zuvor an der Befragung teilgenommen haben, noch einmal inhaltlich unterscheiden, was erneut die Hypothese H1 stützt. Dieser Befund trifft besonders auf das Politikinteresse zu. Unter den Befragten, die erst in der telefonischen Nachfassaktion von einer Teilnahme überzeugt werden konnten, sind wieder diejenigen mit einem sehr geringen politischen Interesse überrepräsentiert (H4.1.1). Jeder Dritte, der eine Teilnahme sowohl in der Haupt- als auch in der Nachbearbeitung verweigert hatte, gibt an, sich wenig oder überhaupt nicht für Politik zu interessieren. Bei der Kontrollgruppe der zuvor Befragten sagen dies nur 19 Prozent (siehe Tab. 34, untere beiden Kategorien zusammengefasst). Gleichzeitig interessieren sich bei den harten Verweigerern nur zehn Prozent stark oder sehr stark für den politischen Bereich. Bei den zuvor bereits befragten Zielpersonen, die auch erneut in der Nachfassaktion teilnahmen, zeigt 241
Dennoch wurden auch diejenigen Verweigerer, die erstmals in der Nachbearbeitung befragt wurden, in der Analyse belassen, damit die Fallzahl der zuvor bereits Befragten nicht zu klein wird. Für die Gesamtbetrachtung und die inhaltliche Interpretation fallen sie aufgrund ihrer geringen Anzahl jedoch kaum ins Gewicht, so dass der Vergleich hauptsächlich etwas über die direkt kooperativen in Relation zu den harten Verweigerern aussagt. Eine getrennt Analyse nur für die Verweigerer oder ein Gruppenvergleich zwischen Kooperativen – Verweigerern – harten Verweigerern war ebenso aufgrund der kleinen Fallzahlen nicht möglich.
7.6 Die Nachfassaktionen: Annäherung an den harten Kern?
271
mehr als jeder Dritte ein (sehr) starkes Politikinteresse. An dieser Stelle manifestieren sich die Unterschiede im Hinblick auf dieses als zentral angenommene Merkmal des politischen Interesses. Dies ist vor allem interessant, weil nun diejenigen analysiert werden, die in der Hauptstudie (Stufe 1 + 2 des ALLBUS+) auch nicht durch 50 Euro von einer Teilnahme überzeugt werden konnten. Tabelle 34: Politisches Interesse im telefonischen Nachfass
sehr stark
n %
Kontrollgruppe der zuvor Befragten 11 7,7
stark
n %
41 28,9
4 7,0
45 22,6
mittel
n %
63 44,4
32 56,1
95 47,7
wenig
n %
20 14,1
10 17,5
30 15,1
überhaupt nicht
n %
7 4,9
9 15,8
16 8,0
Wie stark interessieren Sie sich für Politik?
harte Verweigerer: tel. Nachfass 2 3,5
Gesamt 13 6,5
n 142 57 199 % 100 100,0 100,0 Quelle: Eigene Berechnungen. DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Telefonischer Nachfass. 2-Test: p < 0.001. Gesamt
Das in der Nachbearbeitung des ALLBUS+ zuvor eingesetzte Incentive führte bereits (in Ansätzen) dazu, die uninteressierten Zielpersonen verstärkt zu erreichen und die Kosten einer Teilnahme zu kompensieren. Der Verteilungsunterschied zwischen Kooperativen und Verweigerern war jedoch noch nicht sonderlich ausgeprägt (siehe Kap. 7.4.2.3). Die Kosten eines als uninteressant wahrgenommenen Themas waren damit auch in der Nachbearbeitung für viele Verweigerer noch zu hoch. Im telefonischen Nachfass handelte es sich nur noch um acht Kernfragen, deren Beantwortung nur noch etwa drei Minuten dauerte. Daher sind die emotionalen Kosten, die Zeitkosten und die Kosten, die aus der Langeweile entstehen, in der Nachfassaktion derart reduziert, dass ein Teil der uninteressierten Zielpersonen (die harten Verweigerer) nun doch noch konvertiert werden kann. Der Zusammenhang ist, trotz der niedrigen Fallzahlen, hochsignifikant. Die Kosten, die durch mangelndes Interesse am Thema entstehen, können demnach weniger gut durch ein monetäres Incentive, sondern eher durch eine Reduktion der Befragungszeit kompensiert
272
7 Empirische Analyse
werden (vgl. ein ähnlicher Befund zum Zusammenhang mit monetären Incentives und Interesse am Thema bei Groves et al. 2004a: 26). Ein zweites aufschlussreiches Ergebnis der telefonischen Nachfassaktion betrifft die politischen Einstellungen, die bei den harten Verweigerern extremer sind als bei den zuvor bereits Befragten. Beide Befragtengruppen wurden gebeten, zu fünf Aussagen242 jeweils anzugeben, wie weit sie diesen zustimmen oder diese ablehnen. Damit wurden die rechtsextremen Einstellungen der Befragten gemessen. Die Grundannahme (H5.4) ist, dass diejenigen, die eine Teilnahme bislang verweigerten, extremere Einstellungen haben. Die Ursache dafür wird in den Kosten der Teilnahme gesehen: Extreme Einstellungen werden seltener geäußert, da sie als sozial nicht erwünscht antizipiert werden. Für den Mittelwert auf der verkürzten Rechtsextremismusskala gibt es zunächst keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Allerdings zeigt sich, dass diejenigen, die bislang noch nicht an der Studie teilgenommen haben, dem Item „Der Nationalsozialismus hatte auch seine guten Seiten“ signifikant häufiger zustimmen als die Teilnehmer der vorherigen Erhebungsphasen. Das bedeutet, dass sich doch Indizien zu extremeren Einstellungen bei den Verweigerern finden lassen. Tabelle 35: Rechtsextreme Einstellungen im telefonischen Nachfass
Ablehnung
n %
Kontrollgruppe der zuvor Befragten 106 78,5
neutrale Haltung
n %
17 12,6
harte Verweigerer: tel. Nachfass 37 69,8 5 9,4
Gesamt 143 76,1 22 11,7
n 12 11 23 % 8,9 20,8 12,2 n 135 53 188 Gesamt % 100 100,0 100,0 Quelle: Eigene Berechnungen. DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Telefonischer Nachfass. 2-Test: p < 0.10. Zustimmung
Allerdings ist dieser Effekt über das unterschiedliche politische Interesse vermittelt: Bei einer multivariaten Analyse unter Kontrolle des politischen Interesses, 242 Dabei handelt es sich um die fünf Aussagen „Wir sollten endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl haben“; „Unter bestimmten Umständen ist eine Diktatur die bessere Staatsform“; „Der Nationalsozialismus hatte auch seine guten Seiten“; „Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“; „Die Juden haben einfach etwas Besonderes und Eigentümliches an sich und passen daher nicht so recht zu uns“, die der aus zehn Items bestehenden Mainzer Rechtsextremismusskala (siehe etwa Falter 1994) entnommen sind.
7.6 Die Nachfassaktionen: Annäherung an den harten Kern?
273
deren Ergebnisse aufgrund der geringen Fallzahlen jedoch vorsichtig interpretiert werden sollten, bleibt er nicht als eigenständiger Nettoeffekt bestehen (siehe Anhang, Tab. A35). Alle anderen Variablen, die in der telefonischen Befragung enthalten waren und auf Unterschiede zwischen zuvor Befragten und harten Verweigerern getestet wurden, weisen keine signifikant unterschiedlichen Verteilungen in den beiden Befragtengruppen auf. In Bezug auf die Demokratiezufriedenheit, die Selbsteinschätzung der politischen Kompetenz, die Bewertung von Politikern, soziodemographische Merkmale wie Region, Geschlecht, Alter und Bildung sowie das Wahlverhalten unterscheiden sich die telefonisch Konvertierten, die erst in der Nachfass-Aktion zur Teilnahme bereit waren, nicht von den zuvor bereits Befragten.
7.6.2 Die schriftliche Nachbefragung Der zuvor bei der Telefonbefragung aufgetretene Befund eines geringeren politischen Interesses lässt sich bei den Verweigerern in der schriftlichen Nachfassaktion nicht mehr nachweisen. Dabei erreicht man offensichtlich einen anderen Verweigerertyp als am Telefon. Diejenigen, die zuvor an der Haupt- und Nachbearbeitung nicht teilgenommen haben, aber jetzt in der schriftlichen Nachfassaktion erreicht wurden, zeichnen sich durch ein deutlich höheres Bildungsniveau, sowohl gegenüber den zuvor Befragten als auch gegenüber den harten Verweigerern aus dem telefonischen Nachfass, aus. 60 Prozent der harten Verweigerer ohne gelistete Telefonnummer haben Fachabitur oder Abitur. In der Gruppe derjenigen, die zuvor bereits zu den Befragten gehörten, zählen nur knapp 36 Prozent der Befragten zu den formal hoch Gebildeten, bei den telefonisch Befragten nur etwa jeder Vierte. Dafür gibt es verschiedene mögliche Erklärungen: Zunächst könnten die Einstellungen gegenüber dem Datenschutz und die Anonymität, die die schriftliche Befragung ermöglicht, eine Rolle spielen, um die höher Gebildeten zu überzeugen. Dieser Wirkungsmechanismus könnte gerade bei denjenigen Personen stärker hervortreten, die keine gelistete Telefonnummer haben, weil sie auch dabei bereits auf einen gewissen Grad an Anonymität Wert legen. Zudem können Kosten- und Nutzenaspekte bei der schriftlichen Befragung in Ruhe evaluiert werden. Eventuell löst auch der Appell, zu einer wissenschaftlichen Doktorarbeit beizutragen, in der Zielgruppe der hoch Gebildeten eine größere Kooperationsbereitschaft aus. Der Nutzen der Studie könnte nun von diesen Zielpersonen erkannt und als hoch eingeschätzt werden. Die Kosten der Befragung sind zudem bei lediglich acht Fragen und der Freiheit, diese, wann immer es zeitlich passt, zu beantworten, sehr gering. Der Befund einer Überrepräsentation hoch gebildeter Verweigerer steht den Annahmen des Ressourcenansatzes entgegen: Die „harten Verweigerer“ dieser Phase weisen höhere kognitive Ressourcen auf als die bereits zuvor befragten Personen. Zudem spricht vieles dafür, dass man je nach
274
7 Empirische Analyse
Stufe und Modus verschiedene Verweigerertypen erreicht und es sich bei den Verweigerern weder um eine homogene Gruppe noch um eine Gruppe, die in Bezug auf bestimmte Merkmale einen linearen Verlauf aufweist, handelt. Tabelle 36: Wahlabsicht und Sonntagsfrage im schriftlichen Nachfass
Gesamt
n %
59 100,0
harte Verweigerer: schriftl. Nachfass 33 100,0
Nichtwähler („würde nicht wählen“)
n %
11 18,6
5 15,2
16 17,4
Wähler, davona:
n %
48 81,4
28 84,8
76 82,6
--CDU/CSU
n %
19 39,6
6 21,4
25 32,9
--SPD
n %
10 20,8
5 17,9
15 19,7
--FDP
n %
7 14,6
4 14,3
11 14,5
--Grüne#
n %
5 10,4
7 25,0
12 15,8
--Die Linke
n %
4 8,3
4 14,3
8 10,5
Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahlen wären...
Kontrollgruppe der zuvor Befragten
Gesamt 92 100,0
n 3 2 5 % 6,3 7,1 6,6 Quelle: Eigene Berechnungen. DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Schriftliche Nachbefragung. aParteiwahl prozentuiert auf alle Wähler. 2-Test jeweils für Wahl/Nichtwahl einer bestimmten Partei. # p < 0.10. --andere
Über das hohe Bildungsniveau der schriftlich Konvertierten ist noch ein weiterer Effekt vermittelt: Bivariat lässt sich ein Zusammenhang zwischen der Teilnahme in der schriftlichen Befragung und der Wahl von Bündnis 90/Die Grünen erkennen. In der Gruppe derjenigen, die zuvor eine Teilnahme verweigerten, geben 25 Prozent der Befragten an, dass sie die Grünen wählen würden, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahlen wären. In der Kontrollgruppe sagen dies nur 10 Prozent. Zuvor Befragte und harte Verweigerer unterscheiden sich damit signifikant in ihrem Wahlverhalten. Allerdings ist dieser Effekt auf das höhere Bildungsniveau der
7.7 Zwischenfazit: Die empirischen Ergebnisse
275
Konvertierten zurückzuführen. Da höher Gebildete eher Wähler der Grünen sind, sind diese in der Gruppe der schriftlich Konvertierten nun stärker vertreten. Multivariat verschwindet der Effekt der Wahlabsicht unter Kontrolle der Bildung. Zusammenfassend kann man für die beiden Nachfassaktionen festhalten, dass sich auch diejenigen, die erst auf dieser späten Stufe einer Befragung zustimmen, signifikant von den zuvor Befragten unterscheiden. Die Unterschiede liegen – je nach Befragungsmodus – beim politischen Interesse, in der Äußerung rechter Einstellungen sowie beim Bildungsniveau. In Bezug auf andere Merkmale unterscheiden sich die beiden Gruppen der zuvor bereits Befragten und der harten Verweigerer, die erst im Nachfass konvertiert wurden, jedoch nicht. Zwischen den beiden Datenerhebungsformen in der Nachfassaktion, der telefonischen und der schriftlichen, unterscheiden sich die Teilnehmer ebenfalls signifikant voneinander. Dies deutet auf Effekte des Befragungsmodus hin. Bei der schriftlichen Befragung sind die erstmaligen Teilnehmer politisch interessierter und weisen durchschnittlich ein höheres Bildungsniveau auf als die Befragten der telefonischen Nachfassaktion. Bei den telefonisch Befragten erreicht man verstärkt rechtsgerichtete Zielpersonen, die den Aussagen „Der Nationalsozialismus hatte auch seine guten Seiten“ und „Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“ signifikant stärker zustimmen als die schriftlich befragten Zielpersonen. Dies zeigt, dass auch der Datenerhebungsmodus relevant für die Art der inhaltlichen Verzerrungen durch Nonresponse ist. Je nach Stufe und Modus werden unterschiedliche Typen von Zielpersonen zu Teilnahme motiviert. Dies unterstützt die Idee der Leverage-Salience-Theorie, die von individuellen Abwägungen ausgeht.
7.7 Zwischenfazit: Die empirischen Ergebnisse Die Analysen in diesem Kapitel haben gezeigt, dass sich ein Teil der zuvor aufgestellten theoretischen Annahmen zu Unterschieden zwischen Kooperativen und Verweigerern empirisch bewährt hat, andere hingegen verworfen werden müssen. Die zentralen Erkenntnisse und die daraus abzuleitenden Konsequenzen sollen nun noch einmal zusammengefasst und in einer Übersicht dargestellt werden. In Kapitel 4 wurden auf der Grundlage des handlungstheoretischen Modells Hypothesen zu Unterschieden zwischen Kooperativen und Verweigerern aufgestellt. Dabei wurde für manche Merkmale angenommen, dass sie sich in beiden Teilgruppen unterscheiden, weil sie direkt die Handlungsentscheidung beeinflussen. Anschließend wurde theoretisch hergeleitet, für welche anderen politikwissenschaftlich interessanten Konzepte aus dem Bereich der politischen Einstellungsund Verhaltensforschung im Sinne des Common Cause-Modells Verzerrungen aufgrund von Teilnahmeverweigerungen zu erwarten sind.
276
7 Empirische Analyse
Zunächst ergab die Analyse der Ausschöpfung der Studie, dass durch die eingesetzten Designvariationen auf den verschiedenen Bearbeitungsstufen zum Teil deutliche Erfolge sichtbar werden. Während in der Hauptbearbeitung des regulären ALLBUS nur etwa 30 Prozent der Ausgangsstichprobe teilnahmen, waren es unter den besseren Bedingungen des ALLBUS+ in der Hauptbearbeitung bereits über 45 Prozent. Die Ausschöpfung konnte durch die Nachbearbeitung (auf fast 65 Prozent) sowie die Nachfassaktionen noch einmal auf über 70 Prozent gesteigert werden. An dieser Stelle, so kann man jedoch vermuten, scheinen die möglichen Designvariationen weitgehend ausgereizt zu sein und es können nicht mehr Personen überzeugt werden, doch noch an der Studie teilzunehmen. Insgesamt wurden nun zwei Analysestrategien zur Annäherung an die zentrale Fragestellung gewählt. Zunächst wurden die Ergebnisse zweier Studien miteinander verglichen, die unterschiedliche Ausschöpfungen aufweisen (Kap. 7.2 und 7.3). Der ALLBUS zeigte bei gewissen Merkmalen signifikante Abweichungen von den Verteilungen im ALLBUS+, der einen höheren Anteil Personen beinhaltet, die unter Standardbedingungen Nonrespondenten wären. Dieser Vergleich kann aber nur wenig über die individuellen Handlungsmotive aussagen. Diese Motive sollten aber bei der Ursachensuche berücksichtigt werden. Daher wurden in der zweiten Analyse diejenigen, die eine Teilnahme im ALLBUS+ in der Hauptbearbeitung verweigerten, mit denjenigen verglichen, die bereitwillig kooperierten. Damit steht die Handlungsentscheidung des Individuums im Vordergrund (Kap. 7.4 und 7.5). Tabelle 37 gibt einen Überblick über die zuvor aufgestellten Hypothesen sowie die Ergebnisse ihrer Überprüfung. Tabelle 37: Ergebnisse der Hypothesenprüfung Allbus/Allbus+ Hypothese H1.1: Existenz von Unterschieden TN/Nicht-TN
bivariat
multivariat
+
+
H1.2: Existenz von Unterschieden Kooperative/Verweigerer H1.3: Existenz von Unterschieden bei inhaltlich rel. Variablen
+
+
Kooperative/ Verweigerer multibivariat variat
+
+
+
+
(Fortsetzung der Tabelle auf der nächsten Seite)
7.7 Zwischenfazit: Die empirischen Ergebnisse
277
Tabelle 37: Fortsetzung „…“ bei den Hypothesen bedeutet im Folgenden: - desto stärker im regulären ALLBUS (im Vergleich zum ALLBUS+) vertreten - desto höher die Wahrscheinlichkeit einer Beteiligung an einer pol. Umfrage H2: Je höher Ressourcen,…
+/o
+/o
o
o
H2.1: Je höher kognitive Ressourcen, …
o
o
o
o
H2.2a: Je höher soziale Ressourcen, …
-
-
o
o
H2.2b: Je geringer soziale Ressourcen, …
+
+
o
o
H2.3: Je höher zeitliche Ressourcen, …
+
+
o
o
+/o/-
+/o/-
o
o
o
o
o
o
H3.2: Je höher der Grad interner politischer Efficacy, …
+/-
+/-
o
o
H3.2.1: Je weniger angenommen wird, dass Politik zu kompliziert ist, …
+
+
o
o
H3.2.2: Je mehr angenommen wird, dass man eine aktive Rolle übernehmen kann, …
-
-
o
o
H4: Je positiver die Einstellung gegenüber der Teilnahme, …
o
o
+
+/o
o/-
o/-
+
+/o
H4.1.1: Je stärker das Politikinteresse,…
o
o
+
(+)
H4.1.2: Je stärker Institutionenvertrauen, …
-
-
+
o
H4.1.3: Je höher Systemzufriedenheit, …
o
o
+
o
H4.2: Je positiver die Umfrageeinstellung, …
o
o
+
o
H3: Je höher die wahrg. Verhaltenskontrolle, … H3.1: Je mehr pol. Wissen, …
H4.1: Je positiver die pol. Einstellungen, …
(Fortsetzung der Tabelle auf der nächsten Seite)
278
7 Empirische Analyse
Tabelle 37: Fortsetzung H4.2.1: Je größer die Relevanz von Umfragen für das Individuum, …
o
o
o
(-)
H4.2.2: Je stärker Beteiligungsnormen internalisiert sind, …
o
o
+
o
H4.3: Je größer das soziale Vertrauen, …
o
o
+
o
H5: Je höher die subjektive Norm, …
o/-
o/-
+/o/-
+/o
Siehe H2.2a -
Siehe H2.2a -
o
o
H5.2: Je weniger entfremdet, …
o
o
+
+
H5.3: Je eher die Teilnahme als Pflicht empfunden wird und je höher die geteilten Normen …
-
-
-
o
H5.1: Je integrierter in die Gesellschaft, …
H5.4: Je extremer die politischen Einstellungen eines Individuums, …
o
H6: Existenz von Unterschieden bei politischer Partizipation
o
o
+/o/-
+
H6.1: Existenz von Unterschieden beim Wahlverhalten.
o
o/-
o
+
H6.1.1: Verweigerer/Im ALLBUS+ sind eher Nicht-Wähler.
o
-
o
o
H6.1.2: Verweigerer sind verstärkt Wähler von FDP, Grünen.
o
o
+/-
+/o
H6.1.3: Verweigerer sind eher Wähler exto o o remer Parteien. H6.2.1/H6.2.2: Verweigerer beteiligen sich weniger bei öffentlicher und nichto o +/o o öffentlicher pol. Part. H6.2.3: Verweigerer beteiligen sich eher in o o + o Form des pol. Protests. Legende: Ein + bedeutet, dass die Hypothese bestätigt wurde; ein o bedeutet, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Entscheidung zu verweigern und dem jeweiligen Merkmal gibt; das – bedeutet, dass es zwar Unterschiede zwischen den Befragtengruppen (ALLBUS/ALLBUS+ bzw. Kooperative/Verweigerer) gibt, allerdings entgegen der zuvor in der Hypothese formulierten Richtung. Die Angaben in der Spalte „multivariat“ beziehen sich jeweils auf die Effekte in den Gesamtmodellen.
7.7 Zwischenfazit: Die empirischen Ergebnisse
279
Als ersten Befund lässt sich festhalten, dass sowohl zwischen den beiden unterschiedlich ausgeschöpften Studien als auch zwischen Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+ Unterschiede existieren. Beide Analysen haben diese Annahme bestätigt. Gleichzeitig konnte gezeigt werden, dass die Unterschiede auch bzw. sogar verstärkt bei den inhaltlich relevanten Variablen zu finden sind. Gerade der Vergleich von Kooperativen und Verweigerern zeigte, dass sich beide Antworttypen nicht unbedingt im Hinblick auf ihre soziodemographischen Merkmale, wohl aber bspw. im Hinblick auf politische Einstellungen unterscheiden. Bei der Ursachensuche mussten jedoch zunächst zahlreiche der zuvor getroffenen Annahmen verworfen werden. Die deutlich höhere Ausschöpfung im ALLBUS+ im Vergleich zu der regulären Studie unter Standardbedingungen lässt sich weniger auf inhaltliche Veränderungen, sondern vielmehr hauptsächlich auf das Opportunitätskosten-Argument zurückführen. Im ALLBUS+ wurden verstärkt diejenigen erreicht, die einen hohen Grad sozialer Einbindung und dementsprechend nur wenig frei verfügbare Zeit haben. Dieses Argument wurde durch die Ergebnisse der Verteilung der Zeitressourcen gestützt, die in beiden Studien über die Erwerbstätigkeit gemessen wurden. Hier zeigt sich, dass im ALLBUS+ verstärkt diejenigen befragt wurden, die vollzeit erwerbstätig sind. Die Ressourcen – und hier im Besonderen die Zeitressourcen – können damit einen Teil zur Diskriminierung der Studien beitragen. Dieser Effekt hat wahrscheinlich hauptsächlich damit zu tun, dass im ALLBUS+ die Befragungszeit reduziert und die Bereitschaft durch das Zehn-Euro-Incentive gesteigert wurde. Auf der Ebene der Einstellungen zeigen sich jedoch kaum Unterschiede zwischen ALLBUS und ALLBUS+, so dass man hier behaupten kann, dass es in dieser Gesamtbetrachtung fast unerheblich ist, ob auf diese Art und Weise eine Studie zu 40 oder zu fast 65 Prozent ausgeschöpft wird. Zwar sind im ALLBUS+ wie erwartet diejenigen überrepräsentiert, die Politik als zu kompliziert beschreiben, aber zugleich auch verstärkt diejenigen, die sich eine aktive Rolle in der Politik zutrauen. Damit kann man im Hinblick auf die wahrgenommene Verhaltenskontrolle keinen eindeutigen Befund aufstellen. Bei den anderen überprüften Merkmalen, den politischen, sozialen und umfragespezifischen Einstellungen, unterscheiden sich die Befragten in ALLBUS und ALLBUS+ überhaupt nicht. Die Verteilungen sind sehr robust. Auch im Bereich der subjektiven Norm ist nicht zu erkennen, dass im regulären ALLBUS diejenigen teilnehmen, die ein hohes Maß gesellschaftlicher Verpflichtung für sich antizipieren. Im Gegenteil: Diejenigen, die sich durch ein hohes Maß geteilter Normen und Werte auszeichnen, erreicht man erst durch die etwas optimierten Bedingungen im ALLBUS+. Nach diesen Erkenntnissen ist es wenig überraschend, dass sich auch bei den politischen Verhaltensvariablen kaum mehr Unterschiede zwischen den Befragten der beiden Studien zeigen. Dieser Befund spricht jedoch nicht gegen die Grundidee des Common Cause-Modells, das von gemeinsamen Hintergrundvariablen der Teilnahmeentscheidung und der politischen Partizipationsentscheidung ausgeht.
280
7 Empirische Analyse
Wenn es bei den Hintergrundvariablen Verzerrungen gegeben hätte, könnten auch Unterschiede beim Verhalten auftreten. Da der erste Teil der Prämisse jedoch nicht gilt, treten die Unterschiede auch nicht auf. Der interessantere Aspekt der Analyse ist der Vergleich innerhalb des ALLBUS+, bei dem gefragt wurde, wie sich die Kooperativen von den Verweigerern unterscheiden und welche Determinanten der Teilnahmeentscheidung sich dabei herausarbeiten lassen. Diese Analyse innerhalb des ALLBUS+ zeigt nun die Beweggründe derer, die erst durch ein Incentive von 50 Euro dazu bereit waren, an der Befragung teilzunehmen. Die Grundannahme dabei ist, dass dies eher diejenigen Personen sind, die eine Teilnahme aufgrund gewichtigerer Gründe als rein zeitlichen zunächst verweigerten und erst durch einen enormen Aufwand und durch hohe monetäre Kompensation bereit waren, Auskunft zu geben. Dabei zeigt sich nun auch, dass es nicht die Ressourcen sind, die die Verweigerer zu ihrer Handlungsentscheidung bringen. Weder die Merkmale aus dem Bereich der objektiven noch aus dem Bereich der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle beeinflussen die Entscheidung zu Verweigerung oder Kooperation. Die beiden Zielpersonengruppen unterscheiden sich vielmehr in ihren Einstellungen und normativen Orientierungen. Als zentrales Merkmal hat sich dabei die Entfremdung von der Gesellschaft herausgestellt. Je höher der Grad an Anomie, desto eher verweigert eine Zielperson die Teilnahme an einer Befragung. Im Gesamtmodell zeigte sich zudem der Einfluss des Politikinteresses. Weitere Effekte, die sich in der bivariaten Analyse noch als Unterschiede zwischen Verweigerern und Kooperativen gezeigt haben (bspw. beim Institutionenvertrauen, der Demokratiezufriedenheit, dem sozialen Vertrauen, dem Grad der Internalisierung von Beteiligungsnormen) sind multivariat nicht mehr eigenständig zu erkennen und waren daher über die anderen Merkmale vermittelt. Im Hinblick auf das politische Verhalten der Verweigerer lässt sich der erwartete Effekt des Wahlverhaltens nicht zeigen. Die Verweigerer sind nicht unbedingt zugleich Nichtwähler. Allerdings zeigen sich Zusammenhänge zwischen der Parteiwahl und der Teilnahmebereitschaft. Diese verschwinden nicht im multivariaten Modell, da zwar gemeinsame Hintergrundvariablen angenommen werden, diese aber in der benötigten Spezifikation (Einstellungen gegenüber dem Datenschutz, Recht auf Privatsphäre) mangels Indikatoren nicht in das Modell integriert werden konnten. Bei den beiden Dimensionen der öffentlichen politischen Partizipation und der politischen Protestpartizipation greifen die Mechanismen des Common Cause-Modells. Unterschiede zwischen Verweigerern und Kooperativen, die bivariat vorliegen, verschwinden in der multivariaten Analyse, wenn die anderen Merkmale auf der Einstellungsebene integriert werden. Die Nachfassaktionen zeigen als erstes, dass die Teilnahmeentscheidung situativ ist und nicht alle, die zuvor teilgenommen hatten, erneut kooperieren. Zudem weisen sie auf Mode-Effekte hin: Es lassen sich deutliche Strukturunterschiede zwischen den Teilnehmern der telefonischen und schriftlichen Nachbefragung erkennen. Hierbei ist jedoch zu erwähnen, dass die Zuweisung zu den beiden Grup-
7.7 Zwischenfazit: Die empirischen Ergebnisse
281
pen nicht zufällig erfolgte, sondern quasi eine Form der Selbstselektion darstellt. Schriftlich befragt wurden all diejenigen, von denen keine Telefonnummer zugänglich war. Dennoch lassen sich zwei Befunde konstatieren: Bei der telefonischen Befragung sind die „harten Verweigerer“, d.h. diejenigen, die erst in dieser dritten Stufe konvertiert werden konnten, politisch desinteressierter und – über dieses Merkmal vermittelt – auch tendenziell rechtsextremer in ihren politischen Ansichten. Im schriftlichen Nachfass wird ein anderer Verweigerertyp konvertiert, nämlich gut gebildete Personen, die (über die Bildung vermittelt) beispielsweise überdurchschnittlich die Grünen wählen. Man kann also von völlig verschiedenen Verweigerertypen ausgehen, die je nach Stufe und je nach Konvertierungsmethode erreicht werden können. Daraus folgt, dass „der Verweigerer an sich“, dem man sich mit zunehmender Ausschöpfung linear immer weiter annähert, nicht existiert.
6.5 Die Messung des politischen Partizipationsniveaus
282
8 Schlussbemerkung und Forschungsausblick
Wer sind diejenigen, die nicht an Umfragen teilnehmen? Das Ziel dieser Arbeit war es, zu untersuchen, wer die Nicht-Teilnehmer bei Befragungen sind, ob sie sich von den Teilnehmern unterscheiden, welche Merkmale die Wahrscheinlichkeit einer Teilnahme beeinflussen, d.h. welche Gründe es für die Handlungsentscheidung zu Kooperation bzw. Verweigerung gibt, und welche Konsequenzen sich daraus für die politische Wahl- und Einstellungsforschung ergeben. Damit sollte ein Einblick in die Black Box der Nonrespondenten gegeben werden. Zur Beantwortung dieser Fragen wurde zunächst im zweiten Kapitel der Begriff des „Nonrespondenten“ näher beleuchtet und analysiert, welche Form der Nicht-Teilnahme für die Präzision von Umfrageergebnissen relevant ist. Aus der Perspektive der politischen Kulturforschung sind dabei politische Einstellungen und politisches Verhalten die interessantesten Merkmale, über die man aus Umfragen Erkenntnisse über die Bevölkerung gewinnen möchte. Es wurde gezeigt, dass für diese Forn von Merkmalen Teilnahmeverweigerungen am wahrscheinlichsten zu systematischen Verzerrungen führen. Daraus ergab sich im Anschluss der Fokus auf die individuelle Handlungsentscheidung und damit die theoretische Einbettung in den Rahmen einer Handlungstheorie. Obwohl die Befragung zum methodischen Rüstzeug der empirischen politikwissenschaftlichen Forschung gehört, ist der Bereich der Stichprobenausfälle und die damit verbundenen inhaltlichen Implikationen, insbesondere im Hinblick auf politikwissenschaftliche Konzepte, vergleichsweise unbearbeitet. Wie gezeigt wurde, zeichnet sich der Forschungsstand durch eine Vielzahl an empirischen Einzelerkenntnissen, auch aus angrenzenden Disziplinen, wie der Soziologie, Psychologie oder aus dem Bereich der Methodenforschung, aus. Allerdings gibt es nur wenige theoriegeleitete komplexere Modellierungen der individuellen Teilnahmeentscheidung. Die vorliegenden Modellierungen der Kooperationsentscheidung stellen häufig keine Verbindungen zu den inhaltlich interessierenden Merkmalen her. Sie werden in der Regel nicht mit Theorien und Modellen der politikwissenschaftlichen Einstellungs- und Verhaltensforschung zusammengeführt.243 Im dritten Kapitel wurden die vereinzelt existierenden Ansätze und bewährten Annahmen zunächst diskutiert und aufgearbeitet, um anschließend im vierten Kapitel ein eigenes 243
Ausnahmen sind, wie dargestellt wurde, die Erklärungsmodelle von Brehm (1993) und Voogt (2004), die jedoch andere gesellschaftliche und politische Kontexte fokussieren. Da angenommen wird, dass das gesellschaftliche und politische Umfeld die Art der Erklärung der Teilnahmeentscheidung beeinflussen, lassen sich die Erkenntnisse dieser Studien nicht einfach übertragen.
H. Proner, Ist keine Antwort auch eine Antwort?, DOI 10.1007/978-3-531-92721-3_8, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
8 Schlussbemerkung und Forschungsausblick
283
handlungstheoretisch fundiertes Modell zur Erklärung von Kooperation bzw. Verweigerung bei politischen Umfragen zu entwickeln. Die Teilnahme an Befragungen wurde dabei als Handlungsentscheidung des Individuums verstanden, die – je nach Situation – stärker heuristisch oder stärker überlegt-reflektiert ablaufen kann. In diesem Zusammenhang wurde eine aktuelle Diskussion der Einstellungsforschung aufgegriffen und auf die Konstruktion und das Wesen von Einstellungen sowie deren Rolle als Determinanten von Verhalten Bezug genommen. Lange wurde angenommen, dass lediglich generalisierte Einstellungen das Verhalten beeinflussen können. Dagegen wurde argumentiert, dass in der Regel kurzfristigere Einstellungen gegenüber spezifischen, unbekannten Objekten gebildet werden, wenn man Personen damit konfrontiert. Für die hier vorliegende Arbeit wurde argumentiert, dass durch eine Verbindung der beiden Annahmen eine umfassendere theoretische Erklärung möglich wird und es verschiedene Formen von Einstellungen gibt, die zur Entscheidung beitragen können. Das anschließend aufgestellte Modell zur Erklärung der Teilnahme an Umfragen ist in der Lage, einerseits generalisierte Einstellungen als langfristig stabile Merkmale, andererseits aber auch spezifischere Einstellungen als kurzfristige, neu gebildete Einstellungen zu integrieren. Als theoretische Grundlage des Erklärungsmodells wurde die Theorie geplanten Verhaltens herangezogen, nach der sowohl die objektive und wahrgenommene Verhaltenskontrolle, normative Orientierungen sowie Orientierungen gegenüber dem Einstellungsobjekt „politische Umfrage“ die Herausbildung der Handlungsintention und darüber hinaus auch die Teilnahmeentscheidung des Individuums beeinflussen können. Auf der Basis dieser sozialpsychologischen Theorie ist gut begründbar, dass verschiedene Formen von Einstellungen bei der Modellierung berücksichtigt werden, sowohl spezifischere Einstellungen (bspw. gegenüber der speziellen Umfrage) als auch generellere Einstellungen (bspw. internalisierte Beteiligungsnormen). Im Anschluss wurden konkrete Merkmale herausgearbeitet, von denen ein Einfluss auf die Verweigerungswahrscheinlichkeit angenommen wird. Diese wurden zu einem Gesamtmodell zusammengeführt. In einem Exkurs wurde gezeigt, dass die Annahmen der Theorie geplanten Verhaltens mit den Annahmen der ökonomischen SEU-Theorie verbunden werden können. Dieser Schritt schien notwendig, da in der Nonresponse-Forschung „Kosten-Nutzen“-Erklärungen dominieren. Es wurde gezeigt, dass sich die zentralen Annahmen beider Theorien verbinden und mittels des Menschenbildes eines RREEMM, der in einem sozialen Umfeld unter begrenzter Rationalität agiert, in einem Erklärungsmodell zusammenführen lassen. Die Theorien wurden nicht in ihren einzelnen Erklärungsschritten und Detailannahmen überprüft, da dazu eine umfangreichere Datenbasis notwendig gewesen wäre, die wiederum andere Nachteile mit sich gebracht hätte. Die Theorie geplanten Verhaltens wurde lediglich als Werkzeug verwendet, um Merkmale herauszuarbeiten, von denen ein Einfluss auf die Kooperationswahrscheinlichkeit angenommen wird. Zu diesen Merkmalen wurden anschließend Hypothe-
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8 Schlussbemerkung und Forschungsausblick
sen formuliert, inwiefern Unterschiede zwischen Teilnehmern und Nicht-Teilnehmern bzw. zwischen Verweigerern und Kooperativen auftreten sollten. Weiterhin wurde vermutet, dass Unterschiede zwischen Kooperativen und Verweigerern nicht nur bei Merkmalen auftreten, von denen ein direkter Einfluss auf die Handlungsentscheidung angenommen wird (im Sinne des Survey Variable Cause-Modells), sondern auch bei denen, die nur indirekt, d.h. über gemeinsame Hintergrundvariablen, mit der Teilnahmebereitschaft verbunden sind (Common Cause-Modell). Anders ausgedrückt: Die Determinanten der Teilnahmebereitschaft können zugleich Determinanten anderer relevanter politikwissenschaftlicher Konzepte sein. Deren Auftreten würde dann in Umfragen auf der Grundlage der Kooperativen ebenfalls verzerrt geschätzt. Im Modell zur Erklärung der Teilnahme an einer politischen Befragung wurde zuvor argumentiert, dass politische und soziale Einstellungen einen Erklärungsbeitrag liefern. Diese erklärenden Variablen werden in der politikwissenschaftlichen Forschung ebenso herangezogen, um bspw. politisches Partizipationsverhalten zu erklären. Aus diesem Grund wurde die Hypothese aufgestellt, dass für Merkmale aus dem Bereich der politischen Partizipation ebenfalls Unterschiede zwischen Kooperativen und Verweigerern angenommen werden können. Die Hypothesen in diesem Bereich der indirekten Einflüsse decken nicht alle möglichen Effekte ab, sondern bilden einen kleinen Ausschnitt ab, auf welche Art und Weise Unterschiede auftreten können. Die Auswahl der zu untersuchenden Konzepte wurde dabei bewusst getroffen.244 Der empirische Teil der Arbeit bestand aus drei umfangreichen Teilen: Im ersten Abschnitt (in Kap. 5) wurde das recht komplexe und aufwändige Forschungsdesign beschrieben, das auf der Basis von meist experimentellen Erkenntnissen aus der Methodenforschung entwickelt worden war. Ziel dieses Designs war es, eine Studie zu entwickeln, in der stufenweise möglichst viele Personen befragt werden können, die unter Standardbedingungen eine Teilnahme verweigert hätten. Die Studie wurde als Zusatzstudie zum ALLBUS, einer der größten deutschen sozialwissenschaftlichen Bevölkerungsumfragen, eingesetzt, um Ergebnisse mit einer möglichst großen Reichweite in Bezug auf ihre Aussagekraft zu erhalten. Durch die stufenweise Konvertierung von Nicht-Teilnehmern in der Zusatzstudie in Kombination mit der Parallelität zum regulären ALLBUS ergaben sich zwei Analyseebenen. Zum einen konnte untersucht werden, inwiefern sich die Erkenntnisse über Verteilungen und Zusammenhänge verändern, wenn man eine Stichprobe deutlich höher ausschöpft. Zum anderen konnten die Befragten der einzelnen Stufen innerhalb der Zusatzstudie miteinander verglichen werden, um zu erkennen, wie sich diejenigen, die eine Teilnahme zunächst verweigern, von den direkt Kooperativen unterscheiden. 244
Die politische Partizipation erschien dabei zum einen aus demokratietheoretischer Perspektive am interessantesten, zum anderen sind sich die beiden Konzepte Beteiligung an politischen Umfragen und politische Partizipation sehr ähnlich, so dass an dieser Stelle am ehesten Parallelen angenommen wurden.
8 Schlussbemerkung und Forschungsausblick
285
Durch die Reduktion der Befragungszeit auf durchschnittlich 30 Minuten, die Gabe eines Incentives und ein modifiziertes Anschreiben konnte die Ausschöpfung in der Zusatzstudie ALLBUS+ im Vergleich zum regulären ALLBUS um über 20 Prozentpunkte gesteigert werden. Dadurch konnte zunächst gezeigt werden, dass der Einsatz der Designelemente, wie theoretisch angenommen, die individuelle Abwägung der Zielpersonen verändert und die Kooperationsbereitschaft insgesamt erhöht. Die Annahme einer handlungsleitenden Kosten-Nutzen-Abwägung hat sich damit bewährt: Aufgrund geringerer Kosten und einem höheren Nutzen der Teilnahme waren im ALLBUS+ mehr Zielpersonen bereit, sich befragen zu lassen. Die meist experimentell, in kleinen Gruppen getesteten Erkenntnisse zum Einsatz eines Incentives haben sich damit auch unter Standardbedingungen „im Feld“ bewährt. An dieser Stelle zeigte sich ein interessanter Nebenaspekt, der insbesondere für die Forschungspraxis relevant ist: Die Ausschöpfung des ALLBUS+ war weitgehend unabhängig vom Einsatz bestimmter Interviewer. Die im ALLBUS+ eingesetzten, besonders erfahrenen Interviewer, von denen man sich größere Interviewerfolge erhoffte, erreichten im regulären ALLBUS im Mittel keine höhere Ausschöpfung als alle anderen Interviewer.245 Nachdem gezeigt wurde, dass – und mit welchen Mitteln – sich die Ausschöpfung steigern lässt, folgten die beiden zuvor erläuterten Analyseblöcke. Zunächst wurde analysiert, was sich inhaltlich verändert, wenn statt der 40 Prozent der Ausgangsstichprobe, wie im ALLBUS, fast 65 Prozent der Zielpersonen, wie im ALLBUS+, befragt werden (Kap. 7.2 und 7.3). Der bi- und multivariate Vergleich beider Studien zeigte jedoch, dass die höhere Ausschöpfung kaum etwas an den Aussagen über Verteilungen verändert. Die meisten Merkmalsverteilungen waren sehr robust.246 Herausragender Unterschied war, dass im ALLBUS+ verstärkt Personen mit einem knappen Zeitbudget erreicht wurden, also die vollzeit erwerbstätigen, sozial aktiven Personen. In Bezug auf die untersuchten sozialen und politischen Einstellungen unterscheiden sich diese aber kaum von den unter Standardbedingungen im ALLBUS befragten Personen. Bei den wenigen Merkmalen, bei denen Unterschiede zwischen beiden Stichproben zu erkennen waren, kann man feststellen, dass es sich bei den Befragten im ALLBUS+ sogar noch eher um die normativ betrachtet „guten Bürger“ handelt: Sie beteiligen sich eher politisch und sind seltener Nicht-Wähler. 245
Eine detailliertere Analyse der ALLBUS-Verantwortlichen mit den Daten des ALLBUS zeigt, dass die „besonderen“ ALLBUS+- Interviewer im ALLBUS in der HB zwar etwas erfolgreicher waren, als der Durchschnitt aller Interviewer (Alle: 28,2%; ALLBUS+-Interviewer: 32,9) in der Nachbearbeitung sich dies allerdings wieder relativierte, so dass sie in der Gesamtbetrachtung über beide Wellen die gleiche Performance ablieferten wie der Durchschnitt aller Interviewer. Dies könnt ein Effekt der Interviewer-Feldsteuerung sein, besonders gute Interviewer in der Nachbearbeitung auf extrem schwierige Fälle zu setzen, bei denen sie dann weniger erfolgreich sind. Da die Feldsteuerung im regulären ALLBUS jedoch über das Institut verlief, sind zu diesem potentiellen Effekt keine Aussagen möglich. Da nur wenige Interviewer in der nachbearbeitung ihren Sample Point veränderten ist jedoch insgesamt eher die Aussage zu stützen, dass die Interviewerauswahl nur einen marginalen Effekt hatte. 246 Dieser Befund bestätigt damit die Ergebnisse einer Studie von Keeter et al. (2000), die ähnliche Erkenntnisse für eine US-amerikanische telefonische Befragungsstudie aufgezeigt hatten.
286
8 Schlussbemerkung und Forschungsausblick
Man kann also feststellen, dass sich der enorme finanzielle Einsatz und Aufwand, der im ALLBUS+ betrieben wurde, nicht unbedingt „lohnt“. Man erreicht verstärkt diejenigen, die man auch unter Normalbedingungen bereits befragen kann. Allerdings könnte dies ein Effekt des erreichten Ausschöpfungsniveaus sein. Ein Vergleich zweier Stichproben, die bspw. zu 30 und zu 90 Prozent ausgeschöpft sind, könnte dennoch Effekte aufweisen. Zudem wurde bei diesem Teil der Analyse noch nicht zwischen verschiedenen Ausfallgründen differenziert, sondern insgesamt die Effekte fokussiert, die sich aus den unterschiedlichen Ausschöpfungen ergeben. Deswegen wurden im sich anschließenden Teil der Analyse (in Kap. 7.4 und 7.5) explizit die Unterschiede zwischen Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+ untersucht und das zuvor aufgestellte Erklärungsmodell der Teilnahme an politischen Befragungen überprüft. Analysiert wurden dabei Personen, die in der Hauptbearbeitung trotz einer kürzeren Befragungszeit, dem Zehn-Euro-Incentive und dem besonderen Anschreiben eine Teilnahme aktiv verweigerten und sich erst in der Nachbearbeitung, als das Incentive auf 50 Euro erhöht wurde, ihre Meinung „abkaufen“ ließen. Unterscheiden sich diese von den in der Hauptbearbeitung direkt Kooperativen? Die Gegenüberstellung bestätigte nun zentrale Annahmen: Verweigerer sind weniger politisch interessiert und besitzen einen deutlich höheren Grad an Entfremdung von der Gesellschaft; sie sind unzufriedener mit der Demokratie und misstrauen den staatlichen Institutionen stärker als die Gruppe der Kooperativen. Die Verweigerer sind eher bereit, sich in Protestformen politischer Partizipation zu engagieren, können sich jedoch in geringerem Ausmaß eine aktive Beteiligung in legalen öffentlichen Partizipationsformen vorstellen. Mit einem Incentive von 50 Euro erreicht man demnach diejenigen, die dem System kritisch gegenüberstehen. Dieser Befund ist deswegen so interessant, weil er zeigt, dass politische Systemkritiker in politischen Umfragen tendenziell unterrepräsentiert sind und daher das Bild, das diese Umfragen von eventuell auftretenden Krisenindikatoren zeichnen, etwas zu optimistisch ist. Dies wäre insofern aus demokratietheoretischer Perspektive problematisch, weil die Kritik dieser Personen nicht in die Feedback-Schleife aufgenommen werden kann und aus diesem Grund nicht innerhalb des Systems verarbeitet wird. Um den Ursachen der Unterschiede zwischen Kooperativen und Verweigerern auf den Grund zu gehen, wurde zunächst das Erklärungsmodell für die Teilnahmeentscheidung überprüft. Hierbei zeigte sich der Grad der Anomie, d. h. die Entfremdung von der Gesellschaft, als zentrale Variable, die einen signifikanten Einfluss auf die Teilnahmeentscheidung der Verweigerer hat. Alle anderen zuvor aufgetretenen Effekte bleiben multivariat nicht bestehen. Das aufgestellte Erklärungsmodell kann nur einen kleinen Teil dazu beitragen, die Entscheidung für oder gegen die Teilnahme an einer politischen Befragung zu erklären. Die Entscheidung zur Teilnahmeverweigerung ist demnach, neben den im Modell integrierten Variablen, noch von anderen Faktoren abhängig. Dieses Resultat ist zudem das Ergeb-
8 Schlussbemerkung und Forschungsausblick
287
nis einer nicht idealen Indikatorenausstattung. Bestimmte Konzepte, von denen theoretisch ein Einfluss auf die Teilnahmeentscheidung angenommen wurde, konnten nur vage oder nicht operationalisiert und daher nicht optimal gemessen werden (z.B. die Relevanz von politischen Umfragen, die Erfahrung mit Umfragen oder bestimmte Persönlichkeitsmerkmale). Die Überprüfung des Modells zeigte aber zugleich, dass bestimmte Merkmale die Wahrscheinlichkeit einer Teilnahmeverweigerung erhöhen. Personen, die sich durch bestimmte Charakteristika auszeichnen, sind nicht in regulären Befragungen unter Standardbedingungen abgebildet. Dieser Befund trifft vor allem auf diejenigen zu, die von der Gesellschaft entfremdet sind. Dieser Befund bestätigt die von Esser bereits 1973 aufgestellte Annahme: „Die Involviertheit in die soziale Umwelt scheint somit eine der grundlegendsten Voraussetzungen zur Teilnahme an sozialwissenschaftlichen Interviews zu sein“ (Esser 1973: 121). Welche Konsequenzen haben diese Ergebnisse nun für die auf Umfragen basierende politikwissenschaftliche Forschung und für das politische System? Zunächst legen die Ergebnisse nahe, dass eine pauschale Erhöhung der Ausschöpfung mit einem mittleren Incentive (10 Euro) und einer reduzierten Befragungszeit die Zusammensetzung einer Stichprobe, gerade im Hinblick auf die für die politische Kulturforschung interessanten Variablen auf der Einstellungsebene, nicht sonderlich verändert. Hier steht der enorme finanzielle, organisatorische und logistische Aufwand in keiner Relation zu den Ergebnissen. Dies liegt daran, dass es scheinbar einen großen Teil an Zielpersonen gibt, die zwar unter Standardbedingungen an einer politischen Befragung nicht teilnehmen, die Ursache dafür aber nicht unbedingt gravierende inhaltliche Gründe sind. Bei diesen Personen ist es eher eine Frage der Opportunitätskosten. Sie stehen nicht außerhalb der Gesellschaft, sind inhaltlich nicht politisch uninteressierter oder zeichnen sich durch besondere Aversionen gegenüber dem politischen System aus. Sie haben lediglich anderes zu tun, als an Befragungen teilzunehmen. Zwar wurde dies in der Forschung an manchen Stellen ungeprüft angenommen, die hier vorliegende Arbeit konnte diesen Befund nun aber auch für eine der größten sozialwissenschaftlichen Datenquellen, den ALLBUS, belegen. Dies ist jedoch nur der erste Befund. Die Erhöhung des Incentives auf 50 Euro in der Nachbearbeitung hatte nämlich den gewünschten Effekt, diejenigen zu erreichen, die sich auf den inhaltlichen Merkmalen von den zuvor Befragten deutlich unterscheiden. Für die Forschung bedeutet dies zunächst, dass Personen existieren, die unter Standardbedingungen bzw. nur leicht veränderten Standardbedingungen nicht erreicht werden. Diese werden daher in der Regel nicht befragt und die Vorstellungen, die man aufgrund von Umfragen über die Grundgesamtheit entwickelt, können signifikant verzerrt sein. Bei der Analyse dieser Verweigerer zeigte sich, dass sie desinteressierter an Politik und unzufriedener mit dem politischen System sind und weniger Vertrauen in ihr Umfeld und das politische System haben. Der Teil der Bevölkerung, der sich
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8 Schlussbemerkung und Forschungsausblick
damit in der Regel nicht befragen lässt, steht dem System und der Gesellschaft kritisch gegenüber. Gleichzeitig hat die vorliegende Studie gezeigt, dass man hohe Incentives einsetzen kann, um diejenigen zu befragen, die sich durch ein hohes Maß an Entfremdung von der Gesellschaft auszeichnen. Dieser Befund ist aufgrund der hohen finanziellen Belastung kaum bei allgemeinen Bevölkerungsbefragungen umzusetzen, aber beispielsweise für Studien interessant, die sich mit Spezialthemen beschäftigen, die hauptsächlich Bürger betreffen, die am Rande der Gesellschaft stehen. Bei einem Vergleich zweier Ausschöpfungen von 40 und 65 Prozent fallen die Verweigerer in der Gesamtbetrachtung nicht ins Gewicht. Das bedeutet aber nicht, dass man diese Gruppe vernachlässigen kann. Dies gilt besonders vor dem Hintergrund, dass auch in der durchgeführten Nonresponse-Zusatzstudie ein Drittel der Bevölkerung trotz der hohen Belohnung von 50 Euro die Teilnahme verweigerte. Deren Kosten, so kann man argumentieren, sind derart hoch, dass sie sich auch mit einem solchen finanziellen Anreiz nicht überzeugen lassen. Über eine Variation des Erhebungsmodus zeigte sich, dass unter diesen harten Verweigerern Personen sind, die sich in Bezug auf bestimmte Einstellungen noch einmal gravierend von den zuvor Befragten unterscheiden.247 Ein bestimmter Teil, der telefonisch auf bestimmte Kernfragen antwortet, ist politisch noch einmal weniger interessiert als die persönlich-mündlich Befragten und zeigt Tendenzen rechtsextremer Einstellungsstrukturen. Im Gegensatz dazu zeigte sich in der schriftlichen Nachfassaktion ein anderer Typus des Verweigerers, der überdurchschnittlich hoch gebildet ist. Die Analysen sind als erste Annäherung an das Forschungsproblem und als Grundlage für weitere Arbeiten in diesem Bereich zu verstehen. Je nach Fragestellung aus dem Bereich der politikwissenschaftlichen Einstellungs- und Verhaltensforschung sollten bestimmte Aspekte innerhalb des Erklärungsmodells noch einmal detaillierter analysiert werden. Dies konnte für die hier vorliegende erste, umfassende deutsche Grundlagenstudie zu diesem Thema nicht geleistet werden. Ziele dieser Arbeit waren zunächst die Entwicklung des Forschungsdesigns, die Beschreibung der resultierenden Unterschiede zwischen verschiedenen Graden an Kooperationsbereitschaft und das Aufzeigen einer möglichen theoretischen Annäherung zur Ursachensuche. Diese Ziele wurden umgesetzt. Daran anknüpfend könnten zukünftige Forschungsvorhaben im empirischen Bereich beispielsweise Interaktionseffekte oder gewisse Kausalsequenzen mithilfe von komplexeren (Strukturgleichungs-) Modellen empirisch überprüft werden. Folgestudien mit einer besseren Indikatorenausstattung könnten kleinere Ausschnitte der theoretischen Modellierung schrittweise überprüfen. Auch eine explizite Überprüfung der Theorie geplanten Verhaltens in diesem Bereich wäre eine Möglichkeit, genauer zu verstehen, warum manche Zielpersonen die Teilnahme an einer politischen Befra247 Zugleich zeigte sich, dass sich diejenigen, die telefonisch nachbefragt wurden, von denen unterscheiden, die schriftlich konvertiert werden konnten. Da die Zuweisung des Erhebungsmodus aber nicht zufällig erfolgte, kann hier kein direkter Zusammenhang hergestellt werden.
8 Schlussbemerkung und Forschungsausblick
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gung verweigern. Dabei könnten beispielsweise situative Effekte, die zwischen der Intention teilzunehmen und dem tatsächlichen Verhalten auftreten können, eine Rolle spielen. Über das letzte Drittel Zielpersonen, die auch durch den enormen betriebenen Aufwand nicht zu einer Auskunft bewegt werden konnten, lässt sich auf der Basis der vorliegenden Daten keine Aussagen treffen. In Anbetracht der in der Forschung oft berichteten hohen Ausschöpfungen ist verwunderlich, dass – trotz des Aufwands und der eingesetzten Anreize – ein derart großer Teil der Stichprobe verbleibt, von dem keine Auskünfte vorliegen. Ein möglicher Grund dafür könnte in den extrem strengen Kontrollen der Bearbeitung der Registerstichprobe liegen. Wenn das Ziel darin besteht, über diese Personen Aussagen zu treffen, wäre eine Möglichkeit der Einsatz eines Methodenmixes. Vorstellbar ist das Zusammenspielen anonymisierter Daten, z.B. zum Wahlverhalten, mit Stichprobendaten sowie Beobachtungen (bspw. durch die Interviewer). Auch eine Kombination quantitativer und qualitativer Analysen ist ein denkbarer Ansatzpunkt. Es bleibt das Problem, dass Aussagen, die auf der Grundlage von Umfragen getroffen werden, immer kritisch auf mögliche Verzerrungen durch Nonresponse zu betrachten sind. Es konnte gezeigt werden, dass sich diejenigen, die eine Teilnahme verweigern, von den zuvor kooperativen Zielpersonen durchaus unterscheiden können. Forscher sollten daher inhaltlich begründete Modelle aufstellen, ob und wie sich diejenigen, die nicht befragt werden können, von den Teilnehmern unterscheiden. Eine Möglichkeit, um potenzielle Effekte dieser Ausfälle in ihrem Ausmaß einschätzen zu können, bieten „best case“- und „worst case“-Schätzungen. Dabei werden verschiedene Modelle berechnet, um zu erkennen, wie sich Verteilungen oder Zusammenhänge darstellen, wenn sich diejenigen, über die man keine Aussagen treffen kann, im Hinblick auf bestimmte Merkmale überhaupt nicht bzw. jeweils hin zum Extremwert in die eine oder andere Richtung unterscheiden. Die vorliegende Arbeit darf jedoch unter keinen Umständen als Plädoyer gegen die Befragung als Erhebungsmethode verstanden werden. Sie stellt lediglich einen ersten Test verschiedener Hypothesen zum Unterschied von Kooperativen und Verweigern dar. Die zentralen Befunde sollten repliziert werden, um ihre Gültigkeit zu überprüfen. Umfragen sind immer noch die einzige Möglichkeit, fundierte Aussagen über Einstellungen und Verhaltensabsichten zu treffen, die benötigt werden, um das politische Denken und Handeln der Bevölkerung zu prognostizieren. Diese Prognosen sind, wie gezeigt wurde, höchst relevant, um Krisenindikatoren frühzeitig zu erkennen. Die Analysen in dieser Arbeit haben auch gezeigt, dass Befragungen auf der Grundlage von Zufallsstichproben zunächst sehr robust sind, weswegen eine Diskussion um das Erreichen bestimmter Responseraten nicht sinnvoll ist. Ebenso konnte gezeigt werden, dass sich Verzerrungen, die beispielsweise auf der Einstellungsebene bestehen, nicht unbedingt in soziodemographischen Merkmalen widerspiegeln.
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8 Schlussbemerkung und Forschungsausblick
Umfragen liefern uns damit zwar ein unscharfes, aber doch das bestmögliche Abbild der Einstellungen und der Verhaltensintentionen der Gesellschaft. Dennoch ist der empirische Sozialforscher gezwungen, mit seinen eigenen Vorstellungen über die Welt und theoretisch gut begründeten Annahmen über Zusammenhänge und Modelle an die Daten heranzugehen und sie zu interpretieren. Ein 1:1-Abbild der Gesamtbevölkerung durch Umfragedaten ist in liberalen demokratischen Gesellschaften, in denen jeder Bürger die Freiheit und das normativ betrachtet höchst schützenswerte und gute Recht darauf hat, seine Einstellungen für sich zu behalten, nicht möglich.
6.5 Die Messung des politischen Partizipationsniveaus
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6.5 Die Messung des politischen Partizipationsniveaus
321
Anhang
Abbildung A1: Übersicht über Fehlerarten bei Bevölkerungsbefragungen Gesamtfehler NonSampling
Sampling
Beobachtungsfehler (=measurement error) techn. Fehler
Messfehler
Nicht-BeobachtungsFehler CoverageFehler
Verarbeitungsfehler
NonresponseFehler
Quelle: Eigene Darstellung nach Kalton et al. 1989: 249; Engel/Reinecke 1994: 254; siehe auch Groves 1991; Faulbaum et al. 2009: 50ff.
Tabelle A1: Inhaltsanalyse der vier wichtigsten deutschsprachigen Fachzeitschriften n 178 31
Erhebungsmodus Befragung --schriftliche Befragung
25
--persönlich-mündliche Befragung
22 --telefonische Befragung 4 --Online-Befragung 96 --Sonstige/unbekannt/nicht beschrieben Inhaltsanalyse 35 Beobachtung 8 Sonstige/unbekannt/nicht beschrieben 172 393 empirisch ausgerichtete Beiträge Quelle: Eigene Erhebung.
% 45,3
% 100,0 17,4 14,0
Umgang mit NR
1 von 25 Fällen: Vergleich mit Merkmalen der GG
12,4 2,2 53,9 8,9 2,0 43,8 100,0
H. Proner, Ist keine Antwort auch eine Antwort?, DOI 10.1007/978-3-531-92721-3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
322
Anhang
I. Vergleich ALLBUS und ALLBUS+
Tabelle A2: Signifikante Verteilungsunterschiede in ALLBUS und ALLBUS+ – nur Hauptbearbeitung Anzahl signifikante Unterschiede Merkmalsgruppen n n % 65 politische Einstellungen 13 20% 22 gesell./soziale Einstellungen 3 14% 44 politisches Verhalten 6 14% 6 Mediennutzung 0 0% 26 Soziodemographie 5 19% 9 Interviewerbeobachtungen 2 22% 6 Interviewermerkmale 2 33% 178 alle untersuchten Merkmale 31 17% Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Eigene Berechnungen. 2-Test / t-Test; p < 0.05; gewichtete Daten (OstWest-Designgewicht). Tabelle A3: Signifikante Verteilungsunterschiede in ALLBUS und ALLBUS+ – nur Nachbearbeitung Anzahl signifikante Unterschiede Merkmalsgruppen n n % 65 politische Einstellungen 11 17% 22 gesell./Soziale Einstellungen 3 14% 44 politisches Verhalten 11 25% 6 Mediennutzung 1 17% 26 Soziodemographie 2 8% 9 Interviewerbeobachtungen 3 33% 6 Interviewermerkmale 3 50% 178 alle untersuchten Merkmale 34 19% Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Eigene Berechnungen. 2-Test / t-Test; p < 0.05; gewichtete Daten (OstWest-Designgewicht).
Anhang
323
Tabelle A4: Die Verteilung der formalen Bildung in ALLBUS und ALLBUS+ formale Bildung
Allbus Allbus+ Gesamt n 993 306 1299 Volks- / Hauptschulabschluss % 38,0 37,6 37,9 760 254 1014 Mittlere Reife, Real- n schulabschluss % 29,1 31,2 29,6 n 175 52 227 Fachhochschulreife % 6,7 6,4 6,6 n 561 170 731 Abitur % 21,5 20,9 21,3 n 75 18 93 ohne Abschluss % 2,9 2,2 2,7 n 10 7 17 anderer Schulabschluss % 0,4 0,9 0,5 n 31 5 36 noch Schüler % 1,2 0,6 1,1 n 8 1 9 kA % 0,3 0,1 0,3 n 2613 813 3426 Gesamt % 100,0 100,0 100,0 Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Eigene Berechnungen. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). Tabelle A5:
Die Verteilung der formalen Bildung in ALLBUS, ALLBUS+ und dem Mikrozensus (prozentuiert auf alle, die angeben, einen Abschluss zu haben)
formale Bildung Volks- / Hauptschulabschluss Mittlere Reife, Realschulabschluss Fachhochschulreife/Abitur Gesamt
n % n % n % n %
Allbus
Allbus+
Gesamt
993 39,9 760 30,5 736 29,6 2489 100,0
306 39,1 254 32,5 222 28,4 782 100,0
1299 39,7 1014 31,0 958 29,3 3271 100,0
Mikrozensus 42,4 30,0 27,1 66215 100,0
Abweichung Mikrozensus 5,0 7,1 5,9 0,0 (Betrag der PP-Differenz) Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“ . Mikrozensus (Statistisches Bundesamt 2009: 37). Eigene Berechnungen. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht).
324
Anhang
Tabelle A6: Index pol. Informiertheit bei ALLBUS und ALLBUS+ im Vergleich politische Informiertheit Allbus Allbus+ Gesamt Mittelwert 4,27 4,28 4,27 Standardabweichung 2,22 2,21 2,22 Varianz 4,93 4,90 4,93 Median 4,5 4,5 4,5 n 2613 813 3426 Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“ . Eigene Berechnungen. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). Tabelle A7: Vereinsmitgliedschaften in ALLBUS und ALLBUS+ im Vergleich Vereinsmitgliedschaften Allbus Allbus+ Gesamt Mittelwert: Anzahl der Vereinsmitgliedschaften 0,96 0,94 0,95 (Min.=0, Max.=11) aktive Mitgliedschaft in mindestens einem Verein 42,4% 43,9% 42,7% (=ja) Kultur-, Musik-, Theater- oder Tanzverein 13,2% 15,6% 13,8% Sportverein 30,2% 30,0% 30,2% sonstige Hobbyvereinigung 10,0% 11,9% 10,4% Wohltätigkeitsvereinen oder karitative Organisation 10,9% 9,4% 10,6% Friedens-oder Menschenrechtsorganisationen 1,7% 1,0% 1,5% Umwelt-, Natur-oder Tierschutzorganisationen 6,1% 7,4% 6,4% Gesundheitsbereich, Selbsthilfegruppe 4,5% 4,3% 4,4% Elternorganisation 4,1% 3,9% 4,0% Verein für Pensionierte, Rentner, Seniorenverein 2,4% 2,5% 2,4% Bürgerinitiative 2,0% 1,8% 2,0% Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Eigene Berechnungen. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). Tabelle A8: Erwerbstätigkeit in ALLBUS und ALLBUS+ Erwerbstätigkeit nicht vollzeit Erwerbstätige
n %
Allbus
Allbus+
Gesamt
1566 59,9
432 53,1
1998 58,3
n 1047 381 1428 % 40,1 46,9 41,7 n 2613 813 3426 Gesamt % 100,0 100,0 100,0 Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Eigene Berechnungen. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). 2Test: 2=11,8; p < 0.01. vollzeit Erwerbstätige
Anhang
325
Tabelle A9: Logistische Regression der Studienbedingung auf die Ressourcen b Standardfehler Sig. Exp(B) soziale Integration -0,24 0,05 0,00 0,79 Vollzeit-Erwerbstätigkeit -0,22 0,09 0,01 0,80 pol. Informiertheit 0,02 0,02 0,39 1,02 Bildung -0,05 0,04 0,22 0,96 aktive Mitgl. in mind. 1 Verein 0,06 0,09 0,51 1,06 Konstante -0,42 0,20 0,03 0,66 Mc Faddens R2 0.01 Fallzahl 3295 Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Eigene Berechnungen. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). Tabelle A10: Die Verteilung politischen Wissens in ALLBUS und ALLBUS+ politisches Wissen
Allbus Allbus+ Gesamt n 344 113 457 sehr niedrig % 13,3 14,0 13,4 n 633 200 833 eher niedrig % 24,4 24,8 24,5 n 947 282 1229 eher hoch % 36,5 34,9 36,1 n 670 212 882 sehr hoch % 25,8 26,3 25,9 n 2594 807 3401 Gesamt % 100,0 100,0 100,0 Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Eigene Berechnungen. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). Tabelle A11: Wichtigkeit des Rechts auf freie Meinungsäußerung in ALLBUS und ALLBUS+ Beteiligungsnormen
Allbus Allbus+ Gesamt n 469 145 614 am wichtigsten % 18,5 18,1 18,4 n 571 184 755 am zweitwichtigsten % 22,6 23,0 22,7 n 684 191 875 am drittwichtigsten % 27,0 23,8 26,3 n 805 281 1086 am viertwichtigsten % 31,8 35,1 32,6 n 2529 801 3330 Gesamt % 100,0 100,0 100,0 Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Eigene Berechnungen. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht).
326
Anhang
Tabelle A12: Inglehart-Index in ALLBUS und ALLBUS+ Beteiligungsnormen
Allbus Allbus+ Gesamt n 533 159 692 Materialisten % 20,9 19,8 20,7 n 758 246 1004 materialistischer Mischtyp % 29,8 30,6 30,0 n 789 240 1029 postmaterialistischer Mischtyp % 31,0 29,9 30,7 n 466 159 625 Postmaterialisten % 18,3 19,8 18,7 n 2546 804 3350 Gesamt % 100,0 100,0 100,0 Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Eigene Berechnungen. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). Tabelle A13: Index externe Efficacy bei ALLBUS und ALLBUS+ im Vergleich externe Efficacy Allbus Allbus+ Gesamt Mittelwert 0,31 0,31 0,31 Standardabweichung 0,25 0,25 0,25 Varianz 0,06 0,06 0,06 n 2600 801 3401 Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Eigene Berechnungen. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). Tabelle A14: Zufriedenheit mit dem politischen System in ALLBUS und ALLBUS+ Mittelwert Allbus Allbus+ Gesamt (1=sehr unzufrieden, 6=sehr zufrieden) Gesamtindex 4,33 4,37 4,34 Idee der Demokratie 5,44 5,47 5,45 Umsetzung in der BRD 4,17 4,21 4,18 Regierungsleistung 3,42 3,45 3,43 n (Gesamtindex) 2602 811 3413 Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Eigene Berechnungen. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). tTest der Mittelwerte, keine signifikanten Unterschiede. Berechnet wurde zudem ein 2-Test, wenn man die sechsstufigen Skalen als nicht metrisch ansieht. Dieser kommt jedoch zu substanziell identischen Ergebnissen.
Anhang
327
Tabelle A15: Vertrauen in Mitmenschen in ALLBUS und ALLBUS+ Vertrauen
Allbus Allbus+ Gesamt 607 205 812 Kriminalitätsfurcht hoch 23,6 25,4 24,0 1970 603 2573 Kriminalitätsfurcht niedrig 76,4 74,6 76,0 1124 342 1466 Vertrauen niedrig 43,3 42,3 43,1 941 294 1235 Vertrauen mittel 36,3 36,3 36,3 527 173 700 Vertrauen hoch 20,3 21,4 20,6 x 0,57 0,57 0,57 Gesamtindex n 2612 813 3425 Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Eigene Berechnungen. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). n % n % n % n % n %
Tabelle A16: Index zur Messung der Anomie in ALLBUS und ALLBUS+ Anomie
Allbus Allbus+ Gesamt n 137 28 165 sehr niedrig (0) % 5,3 3,5 4,8 n 533 181 715 eher niedrig (1) % 20,5 22,3 20,9 n 1070 357 1427 eher hoch (2) % 41,1 44,0 41,8 n 866 245 1111 sehr hoch (3) % 33,2 30,2 32,5 n 2606 811 3418 Gesamt % 100,0 100,0 100,0 Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Eigene Berechnungen. Einfacher Summenindex aus der Zustimmung zu den Items v122, v123, v125. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht).
328
Anhang
Tabelle A17: Die berichtete Parteiwahl bei der Bundestagswahl 2005 (Angaben in Prozent) amtliches Endergebnis CDU/CSU 40,6 39,9 40,5 35,2 SPD 35,3 34,9 35,2 34,2 FDP 7,5 9,0 7,9 9,8 Grüne 9,9 10,4 10,0 8,1 Republikaner 0,4 0,3 0,4 0,6 Linke 4,7 4,7 4,7 8,7 NPD 0,6 0,7 0,6 1,6 andere 0,9 0,2 0,7 1,8 Gesamt 100,0 100,0 100,0 100,0 Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Eigene Berechnungen. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). Parteiwahl
Allbus
Allbus+
Gesamt
Tabelle A18: Gründe für Nichtwahl in ALLBUS und ALLBUS+ Nichtwahl: Gründe Ich wollte wählen, konnte aber nicht zum Wahllokal kommen. Ich meinte, nicht genug von Politik zu verstehen. nicht genügend Interesse Ich hatte es vor, habe es dann aber vergessen. Ich nehme aus Überzeugung nie an Wahlen teil. Ich konnte mich nicht entscheiden, wem ich meine Stimme geben sollte. Es gab keinen, dem ich meine Stimme geben wollte.
n % n % n % n % n % n
Allbus 18 6,6 16 5,9 36 13,2 121 4,4 34 12,5 41
Allbus+ 4 4,8 4 4,8 6 7,1 3 3,6 6 7,1 8
Gesamt 22 6,2 20 5,6 42 11,8 15 4,2 40 11,2 49
%
15,1
9,5
13,8
n 82 20 102 % 30,1 23,8 28,7 n 33 33 66 sonstige Gründe % 12,1 39,3 18,5 n 272 84 356 Gesamt % 100,0 100,0 100,0 Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Eigene Berechnungen. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). p<0.001; Cramers V=0.30.
Anhang
329
II. Vergleich Kooperative und Verweigerer innerhalb des ALLBUS+
Tabelle A19: Die Verteilung der formalen Bildung bei Kooperativen und Verweigerern und dem Mikrozensus (Prozentuiert auf alle, die angeben, einen Abschluss zu haben) formale Bildung Volks- / Hauptschulabschluss Mittlere Reife, Realschulabschluss Fachhochschulreife/Abitur Gesamt
n % n % n % n %
Kooperative 239 40,2 183 30,8 173 29,1 595 100,0
Verweigerer 68 42,2 52 32,2 41 25,5 161 100,0
Gesamt 307 40,6 235 31,1 214 28,3 756 100,0
Mikrozensus 42,4 30,0 27,1 66215 100,0
Abweichung Mikrozensus 5,0 4,8 4,1 0,0 (Betrag der PP-Differenz) Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Mikrozensus (Statistisches Bundesamt 2009: 37). Eigene Berechnungen. 2-Test: 2 = 0,81. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). Tabelle A20: Index pol. Informiertheit bei Kooperativen und Verweigerern im Vergleich politische Informiertheit Kooperative Verweigerer Gesamt Mittelwert 4,31 4,39 4,32 Standardabweichung 2,21 2,13 2,20 Varianz 4,91 4,54 4,82 n 603 164 767 Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Eigene Berechnungen. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht).
330
Anhang
Tabelle A21: Vereinsmitgliedschaften bei Kooperativen und Verweigerern im Vergleich Kooperative
Vereinsmitgliedschaften
Verweigerer
Gesamt
Mittelwert: Anzahl der Vereinsmitgliedschaften 0,95 0,92 0,93 (Min.=0, Max.=11) aktive Mitgliedschaft in mindestens einem Verein 45,4% 39,3% 44,1% (=ja) Kultur-, Musik-, Theater- oder Tanzverein 15,6% 17,5% 16,0% Sportverein 29,3% 32,4% 30,0% sonstige Hobbyvereinigung 11,1% 13,5% 11,6% Wohltätigkeitsvereinen oder karitative Organisation 11,0% 5,5% 9,8% Friedens-oder Menschenrechtsorganisationen 0,8% 0,7% 0,8% Umwelt-, Natur-oder Tierschutzorganisationen 7,4% 6,9% 7,3% Gesundheitsbereich, Selbsthilfegruppe 4,8% 2,2% 4,3% Elternorganisation 4,4% 2,5% 4,0% Verein für Pensionierte, Rentner, Seniorenverein 2,7% 1,5% 2,5% Bürgerinitiative 2,1% 1,8% 2,0% Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Eigene Berechnungen. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). Tabelle A22: Erwerbstätigkeit bei Kooperativen und Verweigerern Erwerbstätigkeit nicht vollzeit Erwerbstätige
n %
Kooperative
Verweigerer
Gesamt
325 53,9
87 53,4
412 53,8
n 278 76 354 % 46,1 46,6 46,2 n 603 163 766 Gesamt % 100,0 100,0 100,0 Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Eigene Berechnungen. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). 2Test: 2= 0,01. vollzeit Erwerbstätige
Anhang
331
Tabelle A23: Items zur Messung der internen Efficacy bei Kooperativen und Verweigerern interne Efficacy
Die ganze Politik ist so komIch traue mir zu, in einer pliziert, dass jemand wie ich Gruppe, die sich mit politigar nicht versteht, was vorschen Fragen befasst, eine geht. aktive Rolle zu übernehmen. Koope- VerweiKoope- VerweiGesamt Gesamt rative gerer rative gerer stimme voll n 111 26 137 82 22 104 % 18,6 16,0 18,0 13,7 13,4 13,7 und ganz zu n 170 51 221 140 33 173 stimme eher zu % 28,4 31,5 29,1 23,5 20,1 22,7 stimme eher n 188 50 238 175 56 231 % 31,4 30,9 31,3 29,3 34,1 30,4 nicht zu stimme übern 129 35 164 200 53 253 % 21,6 21,6 21,6 33,5 32,3 33,2 haupt nicht zu n 598 162 760 597 164 761 Gesamt % 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Eigene Berechnungen. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). 2Test: 2=0,87 und 1,68. Tabelle A24: Inglehart-Index bei Verweigerern und Kooperativen Beteiligungsnormen
Kooperative Verweigerer Gesamt n 127 26 153 Materialisten % 21,3 16,0 20,2 n 177 54 231 materialistischer Mischtyp % 29,7 33,1 30,5 n 177 53 230 postmaterialistischer Mischtyp % 29,7 32,5 30,3 n 114 30 144 Postmaterialisten % 19,2 18,4 19,0 n 595 163 758 Gesamt % 100,0 100,0 100,0 Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Eigene Berechnungen. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht).
332
Anhang
Tabelle A25: Index externe Efficacy bei Kooperativen und Verweigerern externe Efficacy Kooperative Verweigerer Gesamt Mittelwert 0,32 0,29 0,31 Standardabweichung 0,25 0,26 0,25 Varianz 0,06 0,07 0,06 n 600 164 764 Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Eigene Berechnungen. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). Tabelle A26: Mittelwerte der Skalen zum Institutionenvertrauen bei Kooperativen und Verweigerern im ALLBUS+ Institution
Gruppe n Mittelwert Kooperative 564 4,98 Bundesverfassungsgericht Verweigerer 155 4,85 Kooperative 583 3,81 Bundestag Verweigerer 158 3,60 Kooperative 597 4,54 Stadt- und Gemeindeverwaltung* Verweigerer 160 4,22 Kooperative 590 4,42 Justiz* Verweigerer 161 4,06 Kooperative 594 3,82 Bundesregierung Verweigerer 162 3,69 Kooperative 602 5,06 Polizei# Verweigerer 162 4,81 Kooperative 587 3,22 politische Parteien Verweigerer 161 3,11 Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Eigene Berechnungen. 2-Test/t-Test; *: p<0.05; #: p<0.10; gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht).
Anhang
333
Tabelle A27: Vertrauen in Mitmenschen bei Kooperativen und Verweigerern Vertrauen
Kooperative Verweigerer Gesamt 151 42 193 Kriminalitätsfurcht hoch 25,2 25,9 25,4 448 120 568 Kriminalitätsfurcht niedrig 74,8 74,1 74,6 233 84 317 Vertrauen niedrig 38,9 51,2 41,5 222 54 276 Vertrauen mittel 37,1 32,9 36,2 144 26 170 Vertrauen hoch 24,0 15,9 22,3 x 0,59 0,53 0,57 Gesamtindex n 600 164 767 Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Eigene Berechnungen. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). n % n % n % n % n %
Tabelle A28: Extreme politische Einstellungen bei Kooperativen und Verweigerern Abweichung von Li-Re-Mittel (5,5) Kooperative Verweigerer Gesamt Mittelwert 1,70 1,66 1,69 Standardabweichung 1,07 1,13 1,09 Varianz 1,14 1,28 1,18 n 416 115 531 Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Eigene Berechnungen. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). Tabelle A29: Rechtsextreme Einstellungen bei Kooperativen und Verweigerern I Kooperative Verweigerer Gesamt Mittelwert 2,28 2,35 2,30 Standardabweichung 0,67 0,63 0,66 Varianz 0,45 0,40 0,44 n 552 154 706 Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Eigene Berechnungen. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). Rechtsextremismusskala: Mittelwert der Zustimmung zu 10 Items (5=volle Zustimmung zu allen Items, 1=volle Ablehnung aller Items).
334
Anhang
Tabelle A30: Rechtsextreme Einstellungen bei Kooperativen und Verweigerern II Anzahl der Items, denen eine Zielperson zustimmt
Kooperative
Verweigerer
Gesamt
n 121 32 153 % 20,5 19,6 20,3 n 326 95 421 4-7 Items zugestimmt % 55,3 58,3 56,0 n 142 36 178 > 7 Items zugestimmt % 24,1 22,1 23,7 n 589 163 752 Gesamt % 100,0 100,0 100,0 Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Eigene Berechnungen. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). 0-3 Items zugestimmt
Tabelle A31: Die berichtete Parteiwahl bei der Bundestagswahl 2005 (Angaben in Prozent) amtliches Endergebnis CDU/CSU 39,3 40,9 39,6 35,2 SPD 34,4 33,1 34,1 34,2 FDP 7,6 13,4 8,9 9,8 Grüne 11,8 5,5 10,4 8,1 Republikaner 0,2 0,8 0,4 0,6 Linke 5,1 3,9 4,8 8,7 NPD 0,9 0,0 0,7 1,6 andere 0,2 0,0 0,2 1,8 Gesamt 100,0 100,0 100,0 100,0 Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“. Eigene Berechnungen. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). Parteiwahl
Kooperative
Verweigerer
Gesamt
Anhang
335
Tabelle A32: Hauptkomponentenanalyse zur Intention Politischer Partizipation bei Kooperativen und Verweigerern Faktor 1: öffentlich
rotierte Komponentenmatrix
Faktor 2: privat
Faktor 3: Protest
seine Meinung sagen, im Bekanntenkreis und ,67 am Arbeitsplatz sich an Wahlen beteiligen ,68 sich in Versammlungen an öffentlichen Dis,68 kussionen beteiligen Mitarbeit in einer Bürgerinitiative ,73 in einer Partei aktiv mitarbeiten ,69 Teilnahme an einer nicht genehmigten De,31 ,43 monstration Teilnahme an einer genehmigten Demonstra,55 tion sich aus Protest nicht an Wahlen beteiligen ,70 aus Protest einmal eine andere Partei wählen ,54 als die, der man nahesteht Beteiligung an einer Unterschriftensammlung ,50 ,37 aus politischen, ethischen oder Umweltgrün,43 ,47 den Waren boykottieren oder kaufen sich an einer Online-Protestaktion beteiligen ,47 ,36 Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“ . Eigene Berechnungen. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). Hauptkomponentenanalyse; Varimax-Rotation mit Kaiser-Normalisierung; 5 Iterationen. KMO: 0.80; Bartlett-Test p<0.001. Erklärte Gesamtvarianz: 46,1%. Koeffizienten<0.3 werden nicht angezeigt. Tabelle A33: Einfluss der Interviewermerkmale auf Kooperation und Verweigerung rob. StandardSig. Exp(B) fehler Konstante -0,76 0,21 0,63 1,10 Geschlecht 0,09 0,01 0,55 0,99 Alter -0,01 0,10 0,32 0,91 Bildung -0,10 0,01 0,96 1,00 Erfahrung 0,00 0,94 0,42 0,47 Mc Faddens R2 0.00 Fallzahl 766 Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“ . Eigene Berechnungen. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). Angegeben sind die logistischen Regressionskoeffizienten b sowie die robusten Standardfehler. # p<0.10; * p<0.05; ** p<0.01; *** p<0.001. b
336
Anhang
Tabelle A34: Kontrolle der Interviewermerkmale im Gesamtmodell Modell 9: Common Cause Modell unter zusätzlicher Kontrolle der Interviewermerkmale b robuster Standardfehler Konstante 0,65 2,28 Nichtwahl 0,46 0,67 FDP-Wahl 0,62 # 0,35 Grünen-Wahl -0,36 0,50 öffentliche Partizipation -0,18 0,14 private Partizipation 0,24 0,16 Protestverhalten 0,10 0,14 Bildung (Referenz: Abitur) - höchstens Hauptschule 0,32 0,43 - Realschule 0,14 0,37 Index politische Informiertheit 0,10 0,07 aktive Mitgl. in einem Verein -0,16 0,27 Zeit mit anderen verbringen (Referenz: nie) - täglich 0,80 0,86 - wöchentlich 0,73 0,78 - monatlich 0,57 0,82 - seltener 0,26 0,87 Zeit (vollzeit erwerbstätig) 0,20 0,29 traue mir aktive Rolle zu -0,09 0,15 Politik zu kompliziert 0,24 0,15 politisches Wissen -0,21 0,14 externe Efficacy 1,39 * 0,67 Nähe zu Beteiligungsnormen -0,18 0,12 politisches Interesse -0,38 * 0,17 Zufriedenheit mit der Demokratie -0,29 0,21 Institutionenvertrauen -0,17 0,14 Vertrauen in Mitmenschen -0,11 0,41 geteilte Normen (Referenz: keine) - sehr hoch -0,57 0,68 - hoch -1,01 0,73 - niedrig -1,63 # 0,84 Anomie 0,70 *** 0,21 Region (Ost/West) 0,30 0,36 Alter -0,01 0,01 Geschlecht -0,11 0,27 Konfession (Referenz: keine) - evangelisch -0,80 * 0,35 - katholisch -0,06 0,41 - andere -1,16 0,73 Kirchgangshäufigkeit 0,03 0,12 Schicht 0,12 0,19
Anhang
337
Wohnumgebung -0,27 0,18 Wohnortgröße 0,20 ** 0,07 Interviewer: Geschlecht -0,01 0,31 Interviewer: Alter 0,01 0,02 Interviewer: Bildung -0,12 0,14 Interviewer: Erfahrung -0,01 0,01 0,15 Mc Faddens R2 Fallzahl 558 Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“ . Eigene Berechnungen. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). Angegeben sind die logistischen Regressionskoeffizienten b sowie die robusten Standardfehler. #: p<0.10; *: p<0.05; **: p<0.01; ***: p<0.001.
III. Vergleich Hauptstudie und Nachfassaktionen Tabelle A35: Einfluss des politischen Interesses und der extremen Einstellungen auf die Verweigerung b
rob. Standardfehler 0,67
Sig.
Exp(B)
Konstante -3,44 0,00 0,03 Zustimmung zu: „Der Nationalso0,25 0,23 0,29 1,28 zialismus hatte auch gute Seiten“ politisches Interesse 0,71 0,19 0,00 2,03 Mc Faddens R2 0.13 Fallzahl 188 Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“ . Eigene Berechnungen. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). Angegeben sind die logistischen Regressionskoeffizienten b sowie die robusten Standardfehler. #: p<0.10; *: p<0.05; **: p<0.01; ***: p<0.001.
IV. Sonstiges Tabelle A36: Hauptkomponentenanalyse zum Institutionenvertrauen Komponentenmatrix Faktor 1 Bundesverfassungsgericht 0,67 Bundestag 0,82 Stadt- und Gemeindeverwaltung 0,61 Justiz 0,75 Bundesregierung 0,81 Polizei 0,66 pol. Parteien 0,72 Quelle: DFG-Projekt „Nonresponse in der politikwissenschaftlichen Wahl- und Einstellungsforschung“ . Eigene Berechnungen. Gewichtete Daten (Ost-West-Designgewicht). Hauptkomponentenanalyse; Varimax-Rotation mit Kaiser-Normalisierung; KMO: 0.85; Bartlett-Test p<0.001. Erklärte Gesamtvarianz: 52,4%.
338
Anhang
V. Materialien der Studie B1: Der Fragebogen (CAPI-Fragebogen umgesetzt) Frage 1: a) An wie vielen Tagen sehen Sie im Allgemeinen in einer Woche – also an den 7 Tagen von Montag bis Sonntag – fern? An
7
6
5 seltener
4
3 nie
2 k.A.
1
Tag(en)
b) Wenn Sie an die Tage denken, an denen Sie fernsehen: Wie lange – also in Stunden und Minuten – sehen Sie da im Durchschnitt fern? ________Stunden
________Minute(n)
k.A.
c) Sehen Sie – zumindest gelegentlich – Nachrichtensendungen von ARD und ZDF? ja
nein
k.A.
d) An wie vielen Tagen sehen Sie im Allgemeinen Nachrichtensendungen von ARD und ZDF? A
7
6
5 seltener
4
3 nie
2 k.A.
1
Tag(en)
e) Und an wie vielen Tagen in der Woche lesen Sie im Allgemeinen eine Tageszeitung? An
7
6
5 seltener
4 nie
3
2 k.A.
1
Tag(en)
Frage 2: Man kann zu verschiedenen politischen Themen unterschiedliche Meinungen haben. Wie ist das bei Ihnen: Was halten Sie von folgenden Aussagen? Bitte antworten Sie anhand der Liste. Æ Aussagen bitte vorlesen! Zusätzlich Liste 15 vorlegen! lehne voll stimme voll Aussage und ganz ab und ganz zu Einwanderer sollten verpflichtet werden, sich den deutschen Sitten und Gebräuchen anzupassen.
-2
-1
0
+1
+2
Anhang
339
Die Politiker sollten sich aus der Wirtschaft heraushalten.
-2
-1
0
+1
+2
Zum Schutz der Umwelt sollten härtere Maßnahmen getroffen werden.
-2
-1
0
+1
+2
Gleichgeschlechtliche Ehen sollten anerkannt werden. Frauen und Männer sollten bei Bewerbungen und Beförderungen gleich behandelt werden. Straftäter sollten härter bestraft werden als bisher. Soziale Sicherung sollte das wichtigste Ziel der Regierungspolitik sein. Einkommen und Wohlstand sollten zugunsten der einfachen Leute umverteilt werden. Einwanderer sind gut für die deutsche Wirtschaft. Deutschland sollte militärische Unterstützung im Krieg gegen den Terror leisten. Die Rechte des Einzelnen und die Freiheit der Bürger sollten unter allen Umständen geachtet werden. Die weitere Öffnung der Weltmärkte dient dem Wohl aller.
-2
-1
0
+1
+2
-2
-1
0
+1
+2
-2
-1
0
+1
+2
-2
-1
0
+1
+2
-2
-1
0
+1
+2
-2
-1
0
+1
+2
-2
-1
0
+1
+2
-2
-1
0
+1
+2
-2
-1
0
+1
+2
Frage 3: Æ Blauen Kartensatz mischen und übergeben! Wenn Sie politisch in einer Sache, die Ihnen wichtig ist, Einfluss nehmen, Ihren Standpunkt zur Geltung bringen wollten: Welche der Möglichkeiten auf diesen Karten würden Sie dann nutzen, was davon käme für Sie in Frage? Æ Alle blauen Karten erneut mischen und übergeben. Was davon haben Sie selbst schon gemacht, woran waren Sie schon einmal beteiligt? Möglichkeit
würde ich nutzen ja nein
habe ich schon gemacht ja nein
Seine Meinung sagen, im Bekanntenkreis und am Arbeitsplatz.
Sich an Wahlen beteiligen.
Sich in Versammlungen an öffentlichen Diskussionen beteiligen.
340
Anhang
Mitarbeit in einer Bürgerinitiative.
In einer Partei aktiv mitarbeiten.
Teilnahme an einer nicht genehmigten Demonstration.
Teilnahme an einer genehmigten Demonstration.
Sich aus Protest nicht an Wahlen beteiligen.
Aus Protest einmal eine andere Partei wählen, als die, der man nahe steht.
Beteiligung an einer Unterschriftensammlung. Aus politischen, ethischen oder Umweltgründen Waren boykottieren oder kaufen. Sich an einer Online-Protestaktion beteiligen.
Frage 4: Viele Leute in der Bundesrepublik neigen längere Zeit einer bestimmten politischen Partei zu, obwohl sie auch ab und zu mal eine andere Partei wählen. Wie ist das bei Ihnen: Neigen Sie – ganz allgemein gesprochen – einer bestimmten Partei zu? Wenn ja, welche Partei ist dies? ja, und zwar:
nein, keiner.
CDU/CSU SPD FDP Bündnis 90/Die Grünen Die Linke NPD Die Republikaner andere:_______________
Frage 5: Ich nenne Ihnen jetzt eine Reihe von öffentlichen Einrichtungen und Organisationen. Sagen Sie mir bitte bei jeder Einrichtung oder Organisation, wie groß das Vertrauen ist, das Sie ihr entgegenbringen. Benutzen Sie dazu bitte diese Skala. 1 bedeutet, dass Sie ihr "überhaupt kein" Vertrauen entgegenbringen, 7 bedeutet, dass Sie ihr "sehr großes" Vertrauen entgegenbringen. Mit den Zahlen dazwischen können Sie Ihre Meinung abstufen. überhaupt kein sehr großes Einrichtung/Organisation Vertrauen Vertrauen Gesundheitswesen
1
2
3
4
5
6
7
Anhang Bundesverfassungsgericht Bundestag Stadt-/Gemeindeverwaltung Justiz Fernsehen Zeitungswesen Hochschulen/Universitäten Bundesregierung Polizei politische Parteien
341 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1
2 2 2 2 2 2 2 2 2 2
3 3 3 3 3 3 3 3 3 3
4 4 4 4 4 4 4 4 4 4
5 5 5 5 5 5 5 5 5 5
6 6 6 6 6 6 6 6 6 6
7 7 7 7 7 7 7 7 7 7
Frage 6: Auf dieser Liste stehen einige Meinungen, die man gelegentlich hört. Sagen Sie mir bitte zu jeder Meinung, ob Sie ihr – voll und ganz zustimmen, eher zustimmen, eher nicht zustimmen oder überhaupt nicht zustimmen. Æ Liste 20 vorlegen! stimme stimme stimme stimme überhaupt eher eher voll und Aussage nicht zu nicht zu zu ganz zu Alles in allem gesehen, kann man in einem Land wie Deutschland sehr gut leben.
Die Politiker kümmern sich nicht viel darum, was Leute wie ich denken.
Im Allgemeinen weiß ich eher wenig über Politik.
Die meisten Leute wären durchaus fähig, in einer politischen Gruppe mitzuarbeiten.
Die Durchschnittsbürger verstehen nur wenig von Politik.
Ich traue mir zu, in einer Gruppe, die sich mit politischen Fragen befasst, eine aktive Rolle zu übernehmen. Die ganze Politik ist so kompliziert, dass jemand wie ich gar nicht versteht, was vorgeht. Die Politiker bemühen sich im Allgemeinen darum, die Interessen der Bevölkerung zu vertreten.
342
Anhang
In der Demokratie ist es die Pflicht jedes Bürgers, sich regelmäßig an den Wahlen zu beteiligen. Frage 7: Liste 21 vorlegen Bei der folgenden Frage geht es nicht um tatsächlich bestehende Demokratien, sondern um die IDEE DER DEMOKRATIE. Bitte sagen Sie mir anhand der Liste, wie sehr Sie grundsätzlich für oder grundsätzlich gegen die IDEE DER DEMOKRATIE sind. sehr iemlich etwas etwas ziemlich sehr dafür dafür dafür dagegen dagegen dagegen Kommen wir nun zu der DEMOKRATIE IN DEUTSCHLAND: Wie zufrieden oder unzufrieden sind Sie – alles in allem – mit der Demokratie, so wie sie in Deutschland besteht? Æ Liste 22 vorlegen und bis Frage 23 liegenlassen! sehr ziemlich etwas etwas ziemlich sehr zufrieden zufrieden zufrieden unzufrieden unzufrieden unzufrieden Wie zufrieden sind Sie – insgesamt betrachtet – mit den gegenwärtigen Leistungen der Bundesregierung? (Liste 22 liegt vor) sehr zufrieden
ziemlich zufrieden
etwas zufrieden
etwas unzufrieden
ziemlich unzufrieden
sehr unzufrieden
Frage 8: Hier ist eine Liste mit verschiedenen Auffassungen darüber, wie es in Deutschland mit den sozialen Unterschieden tatsächlich aussieht und wie es sein sollte. Bitte gehen Sie die Aussagen der Reihe nach durch und sagen Sie mir, ob Sie der jeweiligen Auffassung – voll zustimmen, eher zustimmen, eher nicht zustimmen oder überhaupt nicht zustimmen. Æ Liste 24 vorlegen! stimme stimme stimme stimme überAussage eher nicht voll zu eher zu haupt zu nicht zu Nur wenn die Unterschiede im Einkommen und im sozialen Ansehen groß genug sind, gibt es auch einen Anreiz für persönliche Leistungen.
Anhang
343
Die Rangunterschiede zwischen den Menschen sind akzeptabel, weil sie im Wesentlichen ausdrücken, was man aus den Chancen, die man hatte, gemacht hat. Ich finde die sozialen Unterschiede in unserem Land im Groß und Ganzen gerecht. Frage 9: Was meinen Sie: Hat bei uns heute jeder die Möglichkeit, sich ganz nach seiner Begabung und seinen Fähigkeiten auszubilden? ja
nein
weiß nicht
kA
Frage 10: Wie stark interessieren Sie sich für Politik? sehr stark
stark
mittel
wenig
überhaupt nicht
Frage 11: Politische Ziele a) Auch in der Politik kann man nicht alles auf einmal haben. Auf dieser Liste finden Sie einige Ziele, die man in der Politik verfolgen kann. Wenn Sie zwischen diesen verschiedenen Zielen auswählen müssten, welches Ziel erschiene Ihnen dabei persönlich am wichtigsten, zweitwichtigsten und am drittwichtigsten? A Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung in diesem Land B Mehr Einfluss der Bürger auf die Entscheidungen der Regierung C Kampf gegen die steigenden Preise D Schutz des Rechts auf freie Meinungsäußerung b) Viele Leute verwenden die Begriffe "links" und "rechts", wenn es darum geht, unterschiedliche politische Einstellungen zu kennzeichnen (Æ Skala 28 vorlegen). Wir haben hier einen Maßstab, der von links nach rechts verläuft. Wenn Sie an Ihre eigenen politischen Ansichten denken, wo würden Sie diese Ansichten auf dieser Skala einstufen? Entscheiden Sie sich bitte für eines der Kästchen und nennen Sie mir den darunter stehenden Buchstaben links
rechts
344
Anhang
Frage 12: Über die Aufgaben der Frau in der Familie und bei der Kindererziehung gibt es verschiedene Meinungen. Bitte geben Sie zu jeder Meinung an, ob Sie ihr voll und ganz zustimmen, eher zustimmen, eher nicht zustimmen oder überhaupt nicht zustimmen. stimme stimme stimme stimme Aussage voll und eher eher nicht überhaupt ganz zu zu zu nicht zu Eine berufstätige Mutter kann ein genauso herzliches und vertrauensvolles Verhältnis zu ihren Kindern finden wie eine Mutter, die nicht berufstätig ist. Für eine Frau ist es wichtiger, ihrem Mann bei seiner Karriere zu helfen, als selbst Karriere zu machen. Ein Kleinkind wird sicherlich darunter leiden, wenn seine Mutter berufstätig ist. Es ist für alle Beteiligten viel besser, wenn der Mann voll im Berufsleben steht und die Frau zu Hause bleibt und sich um den Haushalt und die Kinder kümmert. Es ist für ein Kind sogar gut, wenn seine Mutter berufstätig ist und sich nicht nur auf den Haushalt konzentriert. Eine verheiratete Frau sollte auf eine Berufstätigkeit verzichten, wenn es nur eine begrenzte Anzahl von Arbeitsplät zen gibt, und wenn ihr Mann in der Lage ist, für den Unterhalt der Familie zu sorgen. Frage 13: Es wird heute viel über die verschiedenen Bevölkerungsschichten gesprochen. Welcher Schicht rechnen Sie sich selbst eher zu? der Unterschicht der Arbeiterschicht der Mittelschicht der oberen Mittelschicht der Oberschicht keiner dieser Schichten Im Vergleich dazu, wie andere hier in Deutschland leben: Glauben Sie, dass Sie Ihren… gerechten Anteil erhalten mehr als Ihren gerechten Anteil etwas weniger oder sehr viel weniger?
Anhang
345
Frage 14: Nachfolgend finden Sie nun wieder einige Aussagen. Sagen Sie mir bitte zu jeder dieser Aussagen, ob Sie persönlich – derselben Meinung sind, oder ob Sie anderer Meinung sind. bin derselben bin anderer Aussage Meinung Meinung Egal, was manche Leute sagen: Die Situation der einfa chen Leute wird nicht besser, sondern schlechter. So wie die Zukunft aussieht, kann man es kaum noch verantworten, Kinder auf die Welt zu bringen. Die meisten Politiker interessieren sich in Wirklichkeit gar nicht für die Probleme der einfachen Leute. Die meisten Leute kümmern sich in Wirklichkeit gar nicht darum, was mit ihren Mitmenschen geschieht. Frage 15: Manche Leute sagen, dass man den meisten Leuten trauen kann. Andere meinen, dass man nicht vorsichtig genug sein kann im Umgang mit anderen Menschen. Was ist Ihre Meinung dazu? Den meisten Menschen kann man trauen. Man kann nie vorsichtig genug sein. Das kommt darauf an. Sonstiges:_____________________________ Frage 16: Es gibt eine ganze Reihe von politischen Parteien in Deutschland. Jede davon würde bei Wahlen gerne Ihre Stimme bekommen. Sagen Sie mir bitte für jede der folgenden Parteien, wie wahrscheinlich es ist, dass Sie diese Partei jemals wählen werden. Benutzen Sie dazu bitte die Skala. Der Skalenwert 1 bedeutet, dass dies für Sie sehr unwahrscheinlich ist, der Skalenwert 10 bedeutet, dass dies für Sie sehr wahrscheinlich ist. Mit den Werten dazwischen können Sie Ihr Urteil abstufen. Parteien bitte vorlesen! Zusätzlich Skala 38 vorlegen! Falls ZP nicht wahlberechtigt, bitte unter der Annahme bewerten lassen, dass die ZP wählen dürfte. sehr sehr Partei unwahrwahrkenne die scheinlich scheinlich Partei nicht CDU/CSU
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
SPD
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
FDP
1 2
3 4
5
6 7
8 9
10
Bündnis 90/ Die Grünen
1 2
3 4
5
6 7
8 9
10
Die Linke
1 2 3 4 5
6 7 8 9 10
NPD
1 2
6 7
3 4
5
8 9
10
346
Anhang
Frage 17: Welche Staatsbürgerschaft haben Sie? Wenn Sie die Staatsbürgerschaft mehrerer Länder besitzen, nennen Sie mir bitte alle. deutsch andere, und zwar:________________ keine – bin staatenlos. Frage 18: Hier sind nochmals einige Aussagen, denen manche Leute zustimmen, die manche aber auch ablehnen. Wie ist das bei Ihnen? Verwenden Sie bitte die Skala von -2 bis +2. -2 bedeutet, dass Sie dieser Aussage überhaupt nicht zustimmen, +2 bedeutet, dass Sie ihr voll und ganz zustimmen. Mit den Werten dazwischen können Sie Ihre Meinung abstufen. Æ Liste 39 vorlegen. lehne voll stimme voll Aussage und ganz ab und ganz zu Ich bin stolz, Deutscher zu sein.
-2
-1
0
+1
+2
Wir sollten endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl haben.
-2
-1
0
+1
+2
Unter bestimmten Umständen ist eine Diktatur die bessere Staatsform.
-2
-1
0
+1
+2
-2
-1
0
+1
+2
-2
-1
0
+1
+2
-2
-1
0
+1
+2
-2
-1
0
+1
+2
-2
-1
0
+1
+2
-2
-1
0
+1
+2
-2
-1
0
+1
+2
-2
-1
0
+1
+2
Der Nationalsozialismus hatte auch seine guten Seiten. Ohne die Judenvernichtung würde man Hitler heute als großen Staatsmann ansehen. Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet. Ausländer sollten grundsätzlich ihre Ehepartner unter ihren eigenen Landsleuten auswählen. Auch heute noch ist der Einfluss von Juden zu groß. Die Juden haben einfach etwas Besonderes und Eigentümliches an sich und passen daher nicht so recht zu uns. Anschläge auf Asylbewerberheime kann ich gut verstehen. Gruppen- und Verbandsinteressen sollten sich bedingungslos dem Allgemeinwohl unterordnen.
Anhang
347
Frage 19: a) Geschlecht der befragten Person (ohne weiblich männlich Befragten eintragen) b) Sagen Sie mir bitte, in welchem Monat und in welchem Jahr Sie geboren sind? _________ Monat _________ Jahr Falls k.A.: Hierbei handelt es sich um eine Angabe, die, wie alles andere in diesem Interview auch, streng anonym nach dem Datenschutzgesetz gehandhabt wird. Es wird also nicht möglich sein, ihre Altersangabe mit ihrem Namen in Verbindung zu bringen. Dürfte ich Sie daher vielleicht doch bitten, mir Ihr Geburtsjahr zu nennen? c) Sind Sie im Gebiet des heutigen Deutsch ja nein land geboren? d) Seit wann leben Sie im Gebiet des heuti___________ Jahr gen Deutschland? e) Als nächstes kommen jetzt Fragen zu noch Schüler Ihrer Ausbildung und Ihrem Beruf. Begin Schule beendet ohne Abschluss nen wir mit Ihrer Ausbildung: Welchen Volks- / Hauptschulabschluss allgemeinbildenden Schulabschluss haben Realschulabschluss / POS Sie? Fachhochschulreife Æ Nur eine Nennung möglich! Æ Abitur / EOS Nur h ö c h s t e n Schulabschluss ange anderer Schulabschluss:____________ ben lassen! hauptberufliche Erwerbstätigkeit, ganztags hauptberufliche Erwerbstätigkeit, halbtags nebenher erwerbstätig f) Nun weiter mit der Erwerbstätigkeit und nicht erwerbstätig, weil: Ihrem Beruf. Was von dieser Liste trifft auf Ich bin Schüler / Student. Sie zu? Ich bin Rentner / Pensionär. Ich bin zurzeit arbeitslos. Ich bin Hausfrau / Hausmann. Ich bin Wehr- / Zivildienstleistender. andere Gründe:________________
348
Anhang
Da dies eine wichtige Frage ist, versuchen Sie bitte eine Antwort zu erhalten. Falls es Schwierigkeiten bezüglich der Einstufung gibt, hier noch einige Hinweise: Lehrlinge / Auszubildende gelten als HAUPTBERUFLICH Erwerbstätige. MITHELFENDE FAMILIENANGEHÖRIGE, die ganz- oder halbtags im Betrieb eines Haushalts- bzw. eines Familienmitglieds arbeiten, ohne dass ein formales Arbeitsverhältnis besteht, gelten ebenfalls als HAUPTBERUFLICH Erwerbstätige. Als nicht hauptberuflich, sondern als NEBENHER erwerbstätig gelten Personen, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen und gleichzeitig – eine VOLLZEITSCHULE besuchen (Schüler und Studenten), ARBEITSLOS gemeldet sind, oder eine RENTE / PENSION aufgrund früherer Erwerbstätigkeit beziehen. Personen in ELTERNZEIT (ohne Teilzeitbeschäftigung) oder in SONSTIGER BEURLAUBUNG gelten nicht als hauptberuflich erwerbstätig. Bitte ordnen Sie Ihre berufliche Stellung nach dieser Liste ein. (Liste 49 vorlegen) g) Eine Frage zu Ihrer Gesund heit: Wie würden Sie Ihren sehr zufriedenweniGesundheitszustand im Allgemeigut schlecht gut stellend ger gut nen beschreiben? verheiratet, mit Ehepartner zusammenlebend verheiratet, getrennt lebend h) Welchen Familienstand haben Sie? Sind Sie
verwitwet geschieden
ledig i) Wohnen AUSSER IHNEN noch weitere Personen in diesem Haushalt? Zählen Sie dazu bitte auch Kleinkinder bzw. Personen, die normalerweise hier wohnen, aber zurzeit abwesend sind, z.B. im Krankenhaus oder in Ferien. __________ weitere Personen
Anhang
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j) Wie hoch ist Ihr EIGENES monatliches Netto-Einkommen? Ich meine dabei die Summe, die nach Abzug der Steuern und Sozialversicherungsbeiträge übrigbleibt. Æ Bei Selbständigen nach dem durchschnittlichen monatlichen NettoEinkommen, abzüglich der Betriebsausgaben fragen! Auf Anonymität hinweisen! Æ Liste 120 vorlegen und um Angabe des Kennbuchstabens bitten!
k) Wie hoch ist das monatliche NettoEinkommen IHRES HAUSHALTES INSGESAMT? Ich meine dabei die Summe, die nach Abzug der Steuern und Sozialversicherungsbeiträge übrigbleibt. Æ Bei Selbständigen nach dem durchschnittlichen monatlichen Netto-Einkommen, abzüglich der Betriebsausgaben fragen! Auf Anonymität hinweisen! Æ Liste 120 vorlegen und um Angabe des Kennbuchstabens bitten!
__________ Euro
____________ Euro
habe kein eigenes Einkommen keine Angabe
keine Angabe
l) Gibt es eigentlich hier in der UNMITTELBAREN Nähe – ich meine so im Umkreis von einem Kilometer – irgendeine Gegend, wo Sie nachts nicht alleine gehen möchten? ja
nein
Frage 20: Sind Sie derzeit Mitglied einer Organisation oder eines Vereins? Gehen Sie bitte diese Liste durch und sagen Sie mir, wo Sie Mitglied sind. Sagen Sie mir jeweils dazu, ob Sie nur passives Mitglied sind, ob Sie sich an den Aktivitäten des Vereins bzw. der Organisation beteiligen oder ob Sie sogar ein Ehrenamt in diesem Verein innehaben? Æ Liste 136 vorlegen! kein passives aktives Ehrenamt Organisation Mitglied Mitglied Mitglied Kultur-, Musik-, Theater- oder Tanzverein Sportverein
sonstige Hobbyvereinigung
Wohltätigkeitsverein / karitative Organisation Friedens- / Menschenrechtsorganisation Umwelt-, Natur- oder Tierschutzorganisation
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Verein / Organisation im Gesundheitsbereich, Selbsthilfegruppe
Elternorganisation
Verein für Pensionierte oder Rentner, Seniorenverein
Bürgerinitiative
Sonstiges, und zwar __________________
Frage 21: Ich möchte nun wissen, wie häufig Sie verschiedene Dinge tun. Sagen Sie mir bitte, ob Sie dies täglich, mindestens einmal jede Woche, mindestens einmal jeden Monat, seltener oder nie tun. min. 1x min. 1x täglich seltener nie Tätigkeit Woche Monat Zeit mit Menschen im Verein oder Klub oder Freiwilligenorganisation verbringen Zeit mit Arbeitskollegen außerhalb des Arbeitsplatzes verbringen Zeit mit Freunden verbringen
Darf ich Sie fragen, welcher Religionsgemeinschaft Sie angehören? Æ Nur eine Nennung möglich! A der römisch-katholischen Kirche B der evangelischen Kirche (ohne Freikirchen) C einer evangelischen Freikirche D einer anderen christlichen Religionsgemeinschaft E einer anderen nicht-christlichen Religionsgemeinschaft F keiner Religionsgemeinschaft Nein, Befragter will Frage nicht beantworten. Wie oft gehen Sie im Allgemeinen in die Kirche? Æ Vorgaben bitte vorlesen! Mehr als einmal in der Woche, einmal in der Woche, ein- bis dreimal im Monat, mehrmals im Jahr, seltener oder nie? Frage 22: Mitgliedschaften a) Darf ich Sie fragen, ob Sie derzeit Mitglied in einer Gewerkschaft sind? ja nein, bin kein Mitglied k.A. Waren Sie früher einmal Mitglied in einer Gewerkschaft? ja nein weiß nicht b) Sind Sie Mitglied in einer politischen Partei? ja
nein, bin ausgetreten
nein, war ich noch nie
Anhang
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Frage 23: Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, welche Partei würden Sie dann mit Ihrer ZWEITstimme wählen? CDU/CSU SPD FDP
Bündnis 90/Die Grünen Die Linke andere:_______________
Würde nicht wählen.
Frage 24: Die letzte Bundestagswahl war im September 2005. Haben Sie da gewählt? ja
CDU/CSU SPD FDP B90/Die Grünen Die Linke NPD Die Republikaner andere:__________
nein Warum haben Sie nicht gewählt? Welcher von den Gründen auf dieser Liste traf am ehesten zu? Ich war nicht wahlberechtigt. Ich wollte wählen, konnte aber nicht zum Wahllokal kommen. Ich meinte, nicht genug von Politik zu verstehen. Mich hat die Wahl nicht genügend interessiert. Ich hatte vor zu wählen, habe es dann aber vergessen. Ich nehme aus Überzeugung nie an Wahlen teil. Ich konnte mich nicht entscheiden, wen ich wählen sollte. Es gab keinen, dem/der ich meine Stimme geben wollte. aus anderen Gründen:____________________.
Fragen an die Interviewer: Æ Wie war die Bereitschaft des / der Befragten, die Fragen zu beantworten? gut mittelmäßig schlecht anfangs gut, später schlechter anfangs schlecht, später besser Æ Wie sind die Angaben des / der Befragten einzustufen? insgesamt zuverlässig [1] insgesamt weniger zuverlässig [2] bei einigen Fragen weniger zuverlässig, und zwar: [3] Æ Hat der Befragte / die Befragte das Interview am Bildschirm mitverfolgt? nein, nie [1] ja, manchmal [2] ja, häufig [3]
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Anhang ja, immer [4] Befragter / Befragte hat alle Fragen selbst ausgefüllt [5]
Æ Nun einige Fragen zum Wohnumfeld der Zielperson: In welcher Art von Gebäude wohnt der Befragungshaushalt?
landwirtschaftliches Wohngebäude [1] freistehendes Ein- / Zweifamilienhaus [2] Ein- / Zweifamilienhaus als Reihenhaus oder Doppelhaus [3] Wohnhaus mit 3 bis 4 Wohnungen [4] Wohnhaus mit 5 bis 8 Wohnungen [5] Wohnhaus mit 9 oder mehr Wohnungen (aber höchstens 8 Stockwerke, also kein Hochhaus) [6] Hochhaus (9 oder mehr Stockwerke) [7] sonstiges Haus / Gebäude, und zwar: _______________ [8] weiß nicht [88]
Æ Wie beurteilen Sie den Zustand des Hauses?
in gutem bis sehr gutem Zustand [1] etwas renovierungsbedürftig [2] stark renovierungsbedürftig ____________________ [3] weiß nicht [8]
Æ Verfügt das Haus über eine Gegensprechanlage?
ja [1] nein [2] weiß nicht [8]
Æ Wie würden Sie – alles in allem – die Wohnumgebung des Befragungshaushalts beurteilen?
sehr gut [1] gut [2] durchschnittlich [3] schlecht [4] sehr schlecht [5]
Anhang
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Æ Wie schwierig war es bei diesem Interview, die Befragte / den Befragten zu erreichen?
sehr schwierig [1] eher schwierig [2] eher einfach [3] sehr einfach [4]
Æ Und wie schwierig war es, die Befragte / den Befragten zur Interviewteilnahme zu bewegen?
sehr schwierig [1] eher schwierig [2] eher einfach [3] sehr einfach [4]
Bitte geben Sie an, wie viele Kontaktversuche Sie bei der Zielperson durchgeführt haben. Unterscheiden Sie dabei zwischen persönlichen und telefonischen Kontaktversuchen. Bitte beachten Sie, dass Sie den Kontaktversuch, der gerade zum Interview geführt hat, auch mit zu den persönlichen Kontaktversuchen zählen. Anzahl persönliche Kontaktversuche: Anzahl telefonische Kontaktversuche:
354 B2: Anschreiben an Zielpersonen Hauptbearbeitung ALLBUS+
Anhang
Anhang
355 Weitergehende Informationen zur Bevölkerungsumfrage ALLBUS
Wer sind wir und worum geht es? TNS Infratest Sozialforschung führt diese Umfrage im Auftrag der Universität in Mainz durch. Ebenfalls beteiligt ist das Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen (GESIS-ZUMA) in Mannheim. Federführend sind dabei Prof. Dr. Falter in Mainz und Prof. Dr. Mohler in Mannheim. Im ALLBUS geht es um verschiedene wichtige und interessante Themen, die alle Altersgruppen betreffen, wie z.B. die soziale Gerechtigkeit und das politische Leben in Deutschland. „Warum gerade ich“ werden Sie sich vielleicht fragen Vielleicht haben Sie sich auch schon gewundert, wie es gelingt, in Meinungsumfragen mit wenigen Befragten zum Beispiel Vorhersagen über den Ausgang von Landtags- oder Bundestagswahlen treffen zu können. Das funktioniert, weil Personen völlig zufällig von den Einwohnermeldeämtern ausgewählt wurden, die stellvertretend für alle Menschen in Deutschland befragt werden. Nur wenn alle per Zufallsprinzip ausgewählten Personen teilnehmen, können wir auf diese Weise Ergebnisse erhalten, die für die gesamte Bevölkerung aussagekräftig sind Sie gehören zu diesen ausgewählten Personen. Ihre Teilnahme ist freiwillig. Ihre Meinung steht zusammen mit insgesamt deutschlandweit 1.000 weiteren Befragten für die Meinung aller 70 Millionen erwachsenen Menschen in Deutschland. Meinungen lassen sich nur über Umfragen abbilden. Es gibt keine amtlichen Statistiken dazu. Daher ist Ihre Teilnahme so wichtig, Worauf Sie sich verlassen können: Datenschutz Selbstverständlich werden wir alle Datenschutzbestimmungen einhalten. Der beigefügten Erklärung zum Datenschutz können Sie entnehmen, dass mit dieser wissenschaftlichen Studie keinerlei gewerbliche Interessen verbunden sind und Sie auch keinerlei Verpflichtungen eingehen. Nur weil die gewissenhafte Einhaltung aller Datenschutzbestimmungen bei uns sichergestellt ist, sind die Einwohnermeldeämter berechtigt, uns Adressen für wissenschaftliche Studien zur Verfügung zu stellen. Bei Rückfragen zum Datenschutz oder weitergehenden Fragen zum Projekt nutzen Sie bitte die kostenlose Telefonnummer 0800 - 1002597, um die Projektleitung von TNS Infratest Sozialforschung um Herrn Ingo Leven zu sprechen. Inhaltliche Fra-
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gen zum Projekt beantwortet Ihnen auch gerne die Mainzer Projektmitarbeiterin Hanna Kaspar unter der Nummer 06131- 3922995. Sollten Sie über einen Internetzugang verfügen, nutzen Sie bitte auch die angebenden Webauftritte der beteiligten Institute (www.politik.uni-mainz.de/allbusplus, www.gesis.org/ZUMA und www.tns-infratest-sofo.com/), um sich einen Überblick über unsere Arbeit zu verschaffen. Dies wird Ihnen einen guten Eindruck geben, mit wem Sie es hier zu tun haben.
Anhang B3: Anschreiben an Zielpersonen Nachbearbeitung ALLBUS+ – Allgemeine Version
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B4: Anschreiben an Zielpersonen Nachbearbeitung ALLBUS+ – Spezialversion: Ältere Menschen
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