Victoria Pade
Kann es Liebe sein?
Die traumhaften Stunden in Michaels Armen hat Josie genossen. Eine Beziehung mit ih...
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Victoria Pade
Kann es Liebe sein?
Die traumhaften Stunden in Michaels Armen hat Josie genossen. Eine Beziehung mit ihm will sie jedoch nicht. Denn sie ist Single aus Überzeugung und möchte ihre Freiheit nicht aufgeben. Dass aber auch Michael eine feste Bindung scheut, stellt sie fest, als er sie bittet, bei ihm einzuziehen und seine Verlobte zu spielen. So will er den Kuppelversuchen seiner Mutter entgehen. Zögernd stimmt Josie zu – und gerät in einen heißen Sturm der Gefühle. Michaels Nähe ist einfach zu verführerisch…
2003 by Harlequin Books S.A. Originaltitel: „His Pretend Fiancee“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto in der Reihe: SPECIAL EDITION Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V. Amsterdam Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA Band 1422 (14/1) 2004 by CORA Verlag GmbH &c Co. KG, Hamburg Übersetzung: Patrick Hansen Fotos: getty images/Corbis GmbH
1. KAPITEL „Psst! Hör auf zu bellen, Pip! Sonst wohnen wir bald in einem Pappkarton!“ rief Josie Täte ihren Hund zur Ordnung, als sie sich dem alten Gebäude aus grauem Stein näherten, in dem sie mit drei Freundinnen eine Wohnung teilte. Eine Wohnung, die Pip und sie schon längst geräumt haben sollten. Aber war die 120 Pfund schwere Bulldogge mit rotbraunem Fell und schwarzem Gesicht, die dafür verantwortlich war, dass sie sich um Mitternacht auf den Straßen von New Yorks East Village herumtrieb, von ihrer Warnung beeindruckt? Nein, natürlich nicht. Kaum waren Josies mahnende Worte verklungen, bellte Pip erneut. Und dieses Mal waren sie der winzigen SouterrainWohnung direkt unter der des Vermieters schon gefährlich nahe. „Ich meine es ernst, Pip! Sei still“, flehte sie das Tier an, das sie vor vier Monaten adoptiert hatte. Auf dem Weg zur Arbeit hatte sie gesehen, wie der abgemagerte Welpe in Mülltonnen nach Nahrung suchte. Doch der große Hund bellte schon wieder. Drei Mal hintereinander. „Psst! Das ist mein Ernst!“ Laut Mietvertrag war es verboten, in der Wohnung Haustiere zu halten, und der Hauswirt hatte Josie eine Frist gesetzt, entweder den Hund abzuschaffen oder mit ihm auszuziehen – eine Frist, die bereits abgelaufen war. Deshalb wäre es absolut nicht vorteilhaft gewesen, Mr. Bartholomew jetzt zu wecken. Zumal sie noch keine neue erschwingliche Behausung gefunden hatte, in der Tiere willkommen waren. Pip schien endlich begriffen zu haben, denn er blieb stumm. Die Nase dicht über dem Boden, als hätte er eine interessante Witterung aufgenommen, folgte er Josie zu der Treppe, die zu ihrer Wohnung führte. Als er jedoch die erste Stufe erreichte, war es mit der Stille vorbei. Er bellte noch lauter als zuvor. Und zwar nicht mehr freundlich, sondern so zornig, wie er es nur bei Fremden tat. Am anderen Ende der Leine betrat auch Josie die Treppe und stellte fest, dass Pip gute Gründe hatte zu bellen. Unter ihnen, im Schatten des unbeleuchteten Treppenhauses, stand ein Mann vor ihrer Tür. Sie erstarrte, als in der Wohnung des Vermieters das Licht anging und Mr. Bartholomews verkniffenes Gesicht zwischen den Vorhängen auftauchte. Dann wurde das Fenster aufgerissen. „Jetzt reicht es!“ schrie er. „Ich will, dass Sie und der verdammte Hund sofort aus meinem Haus verschwinden!“ „Es tut mir Leid, Mr. Bartholomew, aber da unten ist ein Mann…“ „Das ist mir egal! Ich brauche meinen Schlaf!“ Pip ignorierte den Vermieter und bellte weiter. „Aber Mr. Bartholomew, da ist ein…“ „Kein Aber. Wenn Sie und Ihr Köter nicht bis morgen früh verschwunden sind, lasse ich Sie von der Polizei hinauswerfen. Und Ihre Freundinnen gleich mit!“ „Ich bin es nur, Josie“, warf ihr nächtlicher Besucher ein, als hätte er auf die Gelegenheit gewartet, auch etwas zu sagen. Sie erkannte die Stimme, noch bevor sie nach unten schaute, und ihr Puls begann zu rasen. Allerdings nicht vor Angst. Pip bellte immer noch. Mr. Bartholomew zeterte weiter. Josie brachte kein Wort heraus. „Es ist okay, Junge. Ich bin harmlos“, versicherte ihr Besucher dem Hund mit warmer, freundlicher Stimme, während er langsam die Treppe heraufkam. Die Bulldogge schien ihm zu glauben, denn sie verstummte, legte den großen
Kopf schräg und spitzte ein Ohr, während sie ihn neugierig betrachtete.
Der Vermieter nutzte die plötzliche Stille. „Haben Sie gehört? Ich will Sie raus
haben!“ schrie er.
„Ja, Mr. Bartholomew, ich habe Sie gehört“, erwiderte Josie kleinlaut.
„Morgen früh! Oder die anderen drei ziehen auch aus!“
Josies Besucher streckte Pip eine Hand entgegen, damit der Hund daran
schnüffeln konnte. Eine große Hand mit langen, kräftigen Fingern. Eine
geschickte Hand. Eine zärtliche Hand, die sie an ihrem ganzen Körper gefühlt
hatte…
Pip gestattete dem Mann, sich zu ihnen ins Treppenhaus zu stellen.
„Es ist meine Schuld“, rief er nach oben. „Der Hund hat meinetwegen gebellt. Sie
dürfen die beiden nicht dafür bestrafen.“
„Die sind raus“, beharrte der Vermieter. „Sie sollte schon vor einer Woche
ausziehen. Jetzt werde ich dafür sorgen, dass sie es tut. So oder so.“
Das Fenster knallte zu, und das zornig gerötete Gesicht verschwand hinter dem
Vorhang.
„Nett. Richtig nett“, rief der nächtliche Besucher ihm nach.
Josie war klar, dass sie Mr. Bartholomew am nächsten Morgen würde bitten
müssen, ihr noch eine Gnadenfrist zu geben, aber im Moment galt ihre
Aufmerksamkeit allein dem Mann, der neben ihr stand und die Bulldogge
tätschelte.
„Michael Dunnigan“, stellte sie fest, als würde sie ihren Augen nicht trauen.
„Genau der“, antwortete er. „Es tut mir Leid. Ich wollte dir keinen Ärger
machen.“
„Trotzdem bist du hier“, erwiderte Josie.
„Trotzdem bin ich hier“, wiederholte er, anstatt ihr zu erklären, warum er
gekommen war.
„Das ist nicht die Antwort, die ich hören wollte.“
„Die Antwort auf was?“ fragte er.
„Warum du hier bist.“
Michael Dunnigan zuckte mit den breiten Schultern und lächelte. „Ich hatte heute
Abend eine verrückte Idee und wollte mal spontan sein.“
„Aha.“ Josie wartete ab.
Michael Dunnigan zeigte mit dem Daumen auf das Fenster des Vermieters. „Ich
glaube nicht, dass wir das hier draußen besprechen sollten.“
Josie schaute nach oben.
„Das ist doch deine Wohnung dort unten, oder? Ich habe geklopft, aber niemand
hat aufgemacht.“
„Es ist Samstagnacht. Meine Mitbewohner sind alle unterwegs“, erwiderte Josie,
ohne zu überlegen.
„Dann können wir also hineingehen?“
Sie war ein wenig besorgt, dass er nur aus einem Grund hier war. Schließlich
hatte sie bei und mit ihm etwas getan, wozu sie sich noch nie im Leben hatte
hinreißen lassen. Vor zwei Wochen hatte sie das ganze lange Wochenende des
Tags der Arbeiter mit ihm verbracht. Im Bett.
Sie konnte nicht fassen, dass sie das getan hatte, und bereute es noch immer.
Ganz sicher hatte sie nicht vor, es zu wiederholen. Für den Fall, dass er
deswegen hier war.
Doch da ihr keine Ausrede einfiel, blieb ihr nichts anderes übrig, als ihn
hereinzubitten.
„Ich denke, wir können hineingehen“, sagte sie ohne jede Spur von
Begeisterung. „Um zu reden“, fügte sie nachdrücklich hinzu.
Offenbar verstand er die Botschaft, denn er hob beide Hände. „Natürlich. Nur zum Reden.“ Josie ging die Treppe hinab. Pip und Michael Dunnigan folgten ihr. „Wir müssen unbedingt die Glühbirne auswechseln“, murmelte sie, während sie mit dem Wohnungsschlüssel nach dem Schlüsselloch suchte. Dann öffnete sie die Tür. Fast wäre sie zum zweiten Mal in dieser Nacht zur Salzsäule erstarrt, als ihr Blick auf den Futon fiel. Sie hatte ganz vergessen, dass sie ihn bereits mitten im Wohnzimmer aufgestellt hatte, um sofort zu Bett gehen zu können. Aber was sollte sie tun? Sie konnte sich schlecht zu dem Mann umdrehen und ihm erklären, dass sie es sich anders überlegt hatte. Sie würde diese schwierige Situation irgendwie meistern müssen. Und diese Situation war verdammt schwierig, denn mit Michael Dunnigan allein in einem Raum zu sein, in dem sich ein Bett befand, fiel ihr selbst jetzt alles andere als leicht. „Ich wollte eigentlich gleich zu Bett zu gehen“, sagte sie, damit er gar nicht erst auf die Idee kam, länger zu bleiben. Michael Dunnigan schloss die Tür, während sie Pip das Halsband abnahm. Sie wünschte, sie hätte nicht nur hastig den alten Jogginganzug über das Nachthemd angezogen. Und sich nicht schon abgeschminkt. Und sich wenigstens das Haar gebürstet, bevor sie mit Pip Gassi gegangen war. Aber das ließ sich jetzt nicht mehr ändern. Sie verstaute die Leine und schob sich das Haar hinter die Ohren. „Mensch, das ist ja richtig klein hier“, bemerkte Michael. „Es gibt zwei Schlafzimmer. Zwei meiner Mitbewohnerinnen teilen sich eins. Das andere ist eher ein begehbarer Schrank, und Liz nutzt es allein. Ich habe beim Würfeln verloren, also muss ich im Wohnzimmer schlafen.“ Sie wusste eigentlich nicht, warum sie ihm das alles erzählte. „Richtig, du hast mir erzählt, dass ihr zu viert hier wohnt. Und der Hund auch noch?“ fragte Michael Dunnigan. „Vier Frauen und ein Hund“, bestätigte Josie. Das gehörte zu den wenigen Informationen, die Michael und sie während ihres dreitägigen Liebesmarathons ausgetauscht hatten. Irgendwie hatten sie weder die Zeit noch die Konzentration für ein ausgiebiges Gespräch gehabt. Er ging zu der Wand, die das Wohnzimmer von der winzigen Küche trennte, und betrachtete die vielen Fotos von Freunden, Angehörigen und wichtigen Ereignissen, die Josie und ihre Mitbewohnerinnen dort aufgehängt hatten. Dabei kehrte er ihr das Profil zu, und wieder bemerkte sie, wie fantastisch er aussah. Noch fantastischer, als sie ihn in Erinnerung gehabt hatte. Das pechschwarze Haar war kurz, die Nase gerade und nicht zu lang, das Kinn gerade kantig genug. Unter den hohen Wangenknochen betonten dunkle Stoppeln die markanten Züge. Es war ein Gesicht, das Josie selbst inmitten von einer überfüllten, verrauchten Bar aufgefallen war. Sie hatte Gedichte vorgetragen, und er hatte im Publikum gesessen. Dieses Gesicht hatte sie vom ersten Blick an fasziniert, ebenso wie sein Körper. Er war ein Meter neunzig groß, athletisch gebaut, hatte breite Schultern und kräftige Muskeln, und der Feuerwehrmann ließ keinen Zweifel daran, dass er sogar ein Schwergewicht aus einem brennenden Haus tragen konnte. Er trug eine khakifarbene Hose, ein grünes Polohemd und ein Sakko. Unwillkürlich fragte Josie sich, ob er an diesem Abend vielleicht eine Verabredung gehabt hatte. Plötzlich war ihre Neugier nicht mehr zu unterdrücken. „Woher kommst du gerade?“ „Von einem Date mit der Orthopädin meiner Mutter“, antwortete er
kopfschüttelnd.
„Wieder mal arrangiert?“ fragte sie. Zu den wenigen Dingen, die sie über ihn
wusste, gehörte, dass seine Mutter ihn unbedingt unter die Haube bringen wollte.
„Das fünfte Date, seit wir uns zuletzt gesehen haben“, bestätigte er.
„Sie hat für dich fünf Dates in zwei Wochen organisiert?“ entfuhr es Josie.
Er drehte sich zu ihr um, und der Blick aus seinen strahlend grünen Augen raubte
ihr fast den Atem.
Doch er schien es nicht zu bemerken, während er ihre Frage mit einer
kompletten Liste beantwortete. „Abendessen mit Moms Friseurin. Mittagessen
mit der Sprechstundenhilfe ihres Zahnarztes. Brunch mit der Frau, die ihr ein
Paket geliefert hat. Kaffee mit der Nichte der Freundin einer BridgePartnerin.
Heute Abend Dinner mit der Orthopädin.“
Josie musste lächeln. „Na ja, wenigstens bekommst du genug zu essen.“
„Vorhin gab es etwas aus Tofu, nicht gerade mein Lieblingsgericht.“
Er hörte sich an, als wäre nicht nur das Essen enttäuschend gewesen.
„Und das hat dich auf die verrückte Idee gebracht, mich mitten in der Nacht zu
besuchen“, stellte sie fest, um endlich zu erfahren, warum er hier war.
Schließlich wären sie sich am Ende des langen Wochenendes einig gewesen, dass
keiner von ihnen mehr als ein Abenteuer wollte.
Michael Dunnigan lächelte ein wenig verlegen. „Es war nicht der Tofu, es war die
Tatsache, dass die Orthopädin mich unsäglich gelangweilt hat. Noch so eine
arrangierte Verabredung, und ich fange an zu schreien. Also habe ich mich
gefragt, womit ich meiner Mutter klarmachen kann, dass sie damit aufhören soll.“
„Und da bist du auf eine verrückte Idee gekommen.“
„Eine absolut verrückte Idee.“
Er erzählte ihr allerdings noch immer nicht, was für eine verrückte Idee das war.
Er sah sich um. „Ich kann nicht glauben, dass hier vier Menschen und ein Hund
leben.“
Josie biss die Zähne zusammen und gab einen leisen Aufschrei von sich. „Und
wie sieht diese verrückte Idee aus?“ fragte sie langsam und betonte dabei jedes
Wort.
Michael Dunnigan lächelte wieder. „Mir ist aufgegangen, dass meine Mutter erst
dann damit aufhören wird, wenn sie glaubt, dass ich jemanden gefunden habe.“
In Josies Bauch machte sich ein aufgeregtes Gefühl breit.
Ja, sie hatte Michael Dunnigan gemocht. Sehr. Ja, sie hatte sich von ihm
angezogen gefühlt. Sehr. Aber sie wollte keine Beziehung. Das hatte sie ihm
gesagt, und er hatte erwidert, das sei ihm ganz recht. Warum stieg jetzt in ihr
die Hoffnung auf, dass sie dieser Jemand sein könnte?
Entschlossen schob sie den Gedanken beiseite.
„Okay“, begann sie, „deine Mutter wird erst aufgeben, wenn sie überzeugt ist,
dass du jemanden gefunden hast. Das klingt logisch.“
„Nicht wahr? Du hast mir erzählt, dass du dringend eine neue Wohnung brauchst.
Also habe ich mir gedacht, wenn du noch keine hast, könnten wir uns gegenseitig
helfen.“
„Ich verstehe nicht ganz“, gab sie zu.
„Nun ja…“ Er sah etwas unsicher aus. „Ich habe dich gewarnt. Die Idee ist
verrückt.“
„Hast du.“
„Na ja, ich dachte mir, was, wenn ich dich in gewisser Weise engagiere, damit du
bei mir einziehst und dich als meine Verlobte ausgibst?“
Josie konnte nur lachen.
„Okay, die Idee ist nicht nur verrückt, sondern auch lustig“, gab er zu, lachte
jedoch nicht mit. Er wartete darauf, dass sie aufhörte. Schlagartig wurde sie ernst. „Du willst, dass ich zu dir ziehe?“ fragte sie fassungslos. „Rein platonisch“, fügte er rasch hinzu. „Natürlich würde meine Mutter das nicht wissen. Du hättest dein eigenes Zimmer, mietfrei, und könntest alles andere mitbenutzen. Auch den kleinen Garten, in dem der Hund Auslauf hätte. Hin und wieder, vor allem wenn meine Mutter kommt, würdest du meine Verlobte spielen. Meine Mutter wäre zufrieden und würde mich endlich in Ruhe lassen.“ „Das ist wirklich eine verrückte Idee“, fand Josie. Erneut lächelte er verlegen, und sie wünschte, er würde damit aufhören, denn das machte ihn nur noch attraktiver. „Wir könnten meiner Mutter erzählen, dass wir uns gerade erst kennen gelernt haben und deshalb eine lange Verlobungszeit wollen“, fuhr er fort, als wäre es tatsächlich möglich. „Egal wie lange, auf jeden Fall würden mir eine Weile diese schrecklichen Verkupplungsversuche erspart bleiben.“ Er hörte sich wirklich an, als hätte er eine Pause dringend nötig. Und sie brauchte ein neues Dach über dem Kopf… Josie konnte kaum glauben, dass sie gerade diesen Gedanken gehabt hatte. Zog sie das Angebot etwa ernsthaft in Betracht? „Es ist verrückt“, wiederholte sie. Aber noch verrückter als die Idee selbst war die Vorstellung, dass sie sich darauf einließ. „Ich dachte mir, dass so eine kleine Verrücktheit genau dein Stil ist“, erwiderte er, als würde ihm genau das an ihr gefallen. Spontan. Offen. Abenteuerlustig. All das war sie. Genau wie ihre Eltern es gewesen waren. Menschen wie Mr. Bartholomew mochten sie für verrückt halten. Aber für sie war allein wichtig, dass das, was sie tat, in ihren eigenen Augen vernünftig war. Oder Spaß machte. Oder anderen half. Zu Michael Dunnigan zu ziehen und sich als seine Verlobte auszugeben, das würde ihm helfen. Und ihr selbst auch… „Hast du etwas getrunken?“ fragte sie unvermittelt, weil sie sichergehen wollte, dass er seinen Vorschlag ernst meinte. „Mit Miss Tofu? Soll das ein Witz ein? Sie hat mir irgend so eine grüne Brühe bestellt, in der garantiert kein Alkohol war. Vielleicht hätte das Zeug dann besser geschmeckt.“ Ohne dass sie ihn dazu eingeladen hatte, setzte er sich auf die Armlehne eines Sessels. „Es wäre gar nicht so kompliziert. Ab und zu ein Essen mit meiner Familie. Gelegentlich eine Hochzeit oder ein Geburtstag. Und du müsstest mich ja nicht überallhin begleiten. Ich könnte sagen, dass du arbeiten musst oder dass es dir nicht gut geht. Den Rest der Zeit macht jeder von uns, was er will. Wie Leute in einer Wohngemeinschaft. Außerdem dauern meine Schichten immer vierundzwanzig Stunden. Danach habe ich vierundzwanzig Stunden frei. Du hättest die Wohnung also oft Tag und Nacht für dich allein. Und du würdest meine Mom sehr glücklich machen“, schloss er mit einem Lächeln, das ihr die Knie weich werden ließ. Und genau das war das Problem. Sie wusste bereits, dass sie beide einander attraktiv fanden. So sehr, dass sie mit ihm im Bett gelandet war und den besten, leidenschaftlichsten Sex ihres Lebens gehabt hatte. Wie konnte sie danach mit ihm zusammenziehen, ihrer Umwelt eine romantische Beziehung vorspielen und die ganze Zeit platonisch bleiben? „Ich glaube nicht, dass das sehr vernünftig wäre“, gab sie zu bedenken. Er schien ihre Gedanken lesen zu können. „Wegen des Wochenendes neulich? Ich weiß. Daran habe ich auch schon gedacht. Das war fantastisch, und deshalb wäre
es… schwer. Die Versuchung, das zu wiederholen, wäre riesig. Aber wir beide
sind uns einig, dass wir das nicht wollen. Wir haben uns nicht wieder getroffen.
Und glaub mir, ich habe oft daran gedacht, dich anzurufen. Wir könnten eine
Abmachung treffen, dass wir nur Mitbewohner, gute Freunde…“
„Verschwörer sind.“
„Okay, Verschwörer und Komplizen. Wenn wir es uns fest vornehmen, können
wir das Wochenende von neulich vergessen und eine platonische
Zweckgemeinschaft gründen.“
Bevor Josie darauf antworten konnte, wurde an ihre Wohnungstür gehämmert.
Gedankenverloren ging sie hinüber und riss sie auf, ohne zu fragen, wer es war.
Vor ihr stand Mr. Bartholomew, dessen Gesicht noch immer gerötet war.
„Hier“, sagte er und drückte ihr ein Papier in die Hand. „Ich habe meinen Anwalt
angerufen…“
„Um Mitternacht?“
„Wenn ich nicht schlafen kann, soll es auch sonst niemand!“ schimpfte der
beleibte Mann im Unterhemd. „Mein Anwalt hat gesagt, ich soll aufschreiben,
dass Sie gegen den Mietvertrag verstoßen haben und dass Sie entweder
ausziehen oder ich die Wohnung räumen lassen kann. Da steht es. Entweder Sie
sind morgen verschwunden, oder Sie haben ein Problem.“
Josie hatte keine Ahnung, ob er nur bluffte, aber der Vermieter drehte sich um
und stürmte die Treppe hinauf. Jedenfalls hielt sie ein Papier in der Hand, auf
dem genau das stand, was er gerade gesagt hatte.
Sie schloss die Tür, starrte auf das ramponierte Holz und ging ihre Möglichkeiten
durch.
Sie konnte Pip weggeben.
Aber sie liebte die mächtige Bulldogge und würde das nicht fertig bringen.
Sie konnte darauf hoffen, dass Mr. Bartholomew sie am nächsten Tag gar nicht
hinauswerfen durfte und sie schnell genug eine neue Wohnung fand.
Aber wenn sie sich irrte, würden sie und ihre Mitbewohnerinnen auf der Straße
stehen. Und sie bezweifelte, dass sie mit einem Hund in einem Hotel oder einer
Jugendherberge unterkommen würde.
Oder sie konnte Michael Dunnigans Vorschlag annehmen.
Sie konnte bei ihm einziehen, mietfrei dort wohnen und so tun, als wäre sie seine
Verlobte.
Irgendwie sah es so aus, als hätte sie keine andere Wahl.
„Garantierst du mir hundertprozentig, dass es eine rein platonische Sache wird?“
hörte Josie sich fragen, noch bevor sie sich wieder zu Michael Dunnigan
umgedreht hatte.
„Hundertprozentig. Du wirst mich nicht mal mit freiem Oberkörper sehen.“
Sie schloss die Augen. Das war ein Fehler. Denn es versetzte sie zurück in seine
Küche. An dem besagten Wochenende des Tags der Arbeiter. Als sie sich die Zeit
nahmen, eine bestellte Pizza aus dem Karton zu essen, und er nichts als
Boxershorts trug…
„Ich will dich nicht mal ohne Schuhe und Socken sehen“, erwiderte sie.
„Einverstanden. Nicht mal ohne Schuhe und Socken“, stimmte er zu.
Josie öffnete die Augen, holte tief Luft und atmete seufzend wieder aus. „Na gut.
Ich schätze, wir könnten es versuchen. Schließlich brauche ich ein Dach über
dem Kopf. Aber ich bin nicht glücklich damit, dass ich deine Mutter anlügen
werde.“
„Ich auch nicht. Aber sie hört mir einfach nicht zu, wenn ich ihr zu erklären
versuche, warum ich im Moment nicht heiraten und Kinder in die Welt setzen
kann.“
Seltsam, aber nach ihrem gemeinsamen Wochenende hatte Josie nur gedacht,
dass er sich einfach nicht binden wollte. Jetzt ließen seine Worte sie vermuten,
dass mehr dahinter steckte.
Genau wie bei ihr.
Sie ging auf ihn zu. „Also gut, wir haben eine Abmachung.“ Sie sah in sein
markantes Gesicht und hoffte inständig, dass sie beide sich wirklich daran halten
würden.
Sein umwerfendes Lächeln ließ sie schon jetzt an ihrer Willenskraft zweifeln.
„Also heiratest du mich?“ fragte er scherzhaft.
Josie verdrehte die Augen. „So wird es jedenfalls aussehen.“
„Das reicht mir.“
„Ich werde wohl schon morgen bei dir einziehen müssen.“ Sie nickte zu der Tür
hinüber, vor der gerade eben noch Mr. Bartholomew gestanden hatte. „Wie willst
du deiner Mutter erklären, dass du am Samstagabend mit ihrer Orthopädin
ausgegangen bist und am Sonntag schon deine Verlobte bei dir wohnt?“
„Ich werde mir etwas ausdenken. Sie wird so begeistert sein, dass sie nicht auf
Einzelheiten achtet.“
„Also, wann willst du mich?“ Schlechte Wortwahl. „Ich meine, wann soll ich
einziehen?“
„Jederzeit. Brauchst du einen Transporter für die Möbel?“
„Alles, was ich besitze, passt in meinen Wagen.“
„Kein Problem. Ich bin komplett ausgestattet.“
Irgendwie klang das zweideutig, aber da er es bei ihr hatte durchgehen lassen,
schwieg sie.
„Okay, dann sehen wir uns, wenn du morgen bei mir ankommst“, fuhr er fort.
„Ich muss alles einpacken und in den Wagen laden, also wird das wohl erst
gegen Abend sein.“
„Wann auch immer. Ich werde da sein“, versprach er, bevor er aufstand und die
Tür ansteuerte.
Doch bevor er sie erreichte, blieb er stehen, und der Duft seines Rasierwassers
stieg ihr in die Nase. Er beugte sich zu ihr, und sein Atem strich warm über ihr
Ohr. „Sollen wir unsere Abmachung mit einem Kuss besiegeln?“ fragte er.
Josie warf ihm einen vernichtenden Blick zu.
Er lachte. „War nur ein Scherz“, versicherte er und ging weiter.
Mit der Hand auf dem Türknauf lächelte er ihr zu. „Danke. Du weißt gar nicht,
was für eine Last du mir von den Schultern genommen hast.“
„Es ist gut zu wissen, dass ich mit Pip irgendwo unterkomme“, gestand sie.
Das entsprach allerdings nicht ganz der Wahrheit. Sicher, sie hatte ein neues
Dach, unter dem sie mit ihrem Hund leben konnte. Doch als Michael Dunnigan
die Tür hinter sich schloss, fragte sie sich, ob sie ihr altes Problem nicht gegen
ein neues eingetauscht hatte.
2. KAPITEL „Wie war das Date? Fandst du sie nicht einfach bezaubernd?“ „Hallo, Ma“, erwiderte Michael, um der Frage seiner Mutter auszuweichen, als er am Sonntagvormittag um zehn bei ihr ankam. Sie wohnte ebenfalls in Brooklyn, nur ein paar Querstraßen von ihm entfernt. Wie immer um diese Zeit stand sie am Herd und bereitete Pfannkuchen zu. Sie trug einen roten Jogginganzug, ein aufwendiges Makeup und einen Turban aus Toilettenpapier, der die füllige Frisur über Nacht schützen sollte. „Es ist Tag, Ma. Du kannst das Ding abnehmen“, sagte Michael, nachdem er sie auf die Wange geküsst hatte. Elsa Dunnigan ließ den goldbraunen Pfannkuchen auf einen Teller gleiten und folgte der Bitte ihres Sohnes. Abgesehen vom Hinterkopf, an dem sie ein wenig flacher war, saß die Frisur tadellos. „Das Date, Mikey. Ich will wissen, wie es war.“ Michael nahm einen Schluck Orangensaft aus dem Glas, das sie ihm schon an seinen Platz am Küchentisch gestellt hatte, und bemerkte dabei, dass nur für zwei Personen gedeckt war. Das sonntägliche Frühstück mit ihrer Mutter war in seinem Kalender und dem seiner jüngeren Schwester ein fester Termin. Also ignorierte er ihre Frage ein zweites Mal. „Kommt Cindy nicht?“ „Sie muss zu einer Geschenkparty. Eine ihrer Freundinnen heiratet“, erklärte Elsa, während sie eine Platte mit Schinkenspeck und Würstchen aus dem Ofen nahm und sie zusammen mit Pfannkuchen und Spiegeleiern auf den Tisch stellte. „Und wenn du mir nicht sofort antwortest, rufe ich Dr. Miranda selbst an und sage ihr, dass du das Date mit ihr wunderschön fandst und sie unbedingt schon heute Abend wiedersehen willst.“ Michael wusste, dass seine Mutter genau das tun würde, also gab er auf. „Das Date war gut und schlecht“, begann er, als sie sich zu ihm setzte. „Schlecht war das Date an sich, gut war die Tatsache, dass es mir etwas klargemacht hat.“ Auf dem Nachhauseweg von Josie Tates Wohnung am Abend zuvor hatte er sich zurechtgelegt, wie er seiner Mutter diese plötzliche Wendung erklären würde. „Ich verstehe nicht“, erwiderte sie. „Du mochtest Dr. Miranda nicht?“ „Nein, Ma,“ Elsa Dunnigan runzelte so heftig die Stirn, dass ihre Augen schmal wurden und fast zwischen den Falten verschwanden. „Sie ist eine nette Person“, beharrte seine Mutter. „Sie ist eine gute Ärztin mit einer florierenden Praxis und will unbedingt heiraten. Sie will Kinder und wird eine gute Ehefrau sein. Dafür, dass sie Probleme mit den Nebenhöhlen hat und sich alle fünf Minuten die Nase putzen muss, kann sie nichts. Und wenn sie das Haar länger trägt, sieht man die großen Ohren nicht mehr. Ich könnte ihr einen Termin bei Cissy besorgen. Ich meine, jetzt, da ich die Wogen geglättet habe, nachdem du sie ja nicht zurückgerufen hast.“ Cissy war Elsas Friseurin. Sie trug ihr Haar noch fülliger und kastenartiger als ihre Kundinnen. Beim Date mit ihr hatte Michael sich die ganze Zeit gefragt, warum sie nicht begriff, dass ihre Frisur seit mindestens zwanzig Jahren out war. Allein die Erinnerung daran war Anstoß genug, seiner Mutter die Geschichte aufzutischen, mit der er sich weitere Verabredungen ersparen konnte. „Ich bin verlobt“, verkündete er. Elsa stieß einen nicht sehr schmeichelhaften Laut aus. Offenbar glaubte sie ihm nicht. „Mit Dr. Miranda?“ versuchte sie zu scherzen. „Nein, nicht mit Miranda.“
„Mit wem dann? Ich glaube dir nicht.“ „Es ist aber wahr“, beteuerte Michael. „Ich bin verlobt.“ „Mit wem?“ „Du kennst sie nicht“, erwiderte er ruhig. Er wusste, wie riskant sein Plan war. Er war nie ein guter Lügner gewesen. Seine Mutter hatte ihn jedes Mal durchschaut. Aber jetzt stand einfach zu viel auf dem Spiel. Dieses Mal musste er sie überzeugen. „Ihr Name ist Josie Täte. Sie arbeitet als Empfangssekretärin bei Manhattan Multiples. Erinnerst du dich an den Bericht in der Zeitung? Dort wird Frauen geholfen, die mehr als ein Baby bekommen. Du hast ihn mir selbst gezeigt.“ „Ich erinnere mich. Die Tochter meiner Freundin Agnes war dort, nachdem sie erfahren hatte, dass sie Drillinge bekommen würde.“ „Na ja, genau dort arbeitet Josie. Wir haben uns am Freitagabend vor zwei Wochen kennen gelernt. Du weißt doch, das Wochenende mit dem Feiertag“, fuhr Michael fort. „Das war der Abend, an dem ich für dich ein Date mit der Sekretärin meines Versicherungsagenten arrangiert habe“, erwiderte Elsa misstrauisch. „Stimmt. Und Sharon McKinty ist eine von Josies Mitbewohnerinnen. Sie hat mich in eine Bar mitgenommen, in der Josie Gedichte vortrug – Gedichte, die sie selbst geschrieben hat.“ Es war nicht gerade einfach, die Geschichte auszuschmücken, denn er wusste nicht besonders viel über seine angebliche Verlobte. „Du bist mit Sharon McKinty ausgegangen und bei einer anderen gelandet?“ fragte seine Mutter skeptisch. „Sharon McKinty hat an dem Abend einen alten Freund getroffen und ist mit ihm weggegangen. Das habe ich dir doch erzählt. Aber ich bin noch in der Bar geblieben, um mir Josies Gedichte anzuhören. Und als sie fertig war… Nun, da hat es zwischen uns beiden gefunkt.“ Das alles war nicht gelogen. Obwohl zu behaupten, dass es zwischen Josie Täte und ihm „gefunkt“ hatte, war noch milde ausgedrückt. „Sicher, du hast mir erzählt, dass Sharon dich sitzen gelassen hat“, bestätigte seine Mutter. „Aber nicht, dass du noch am selben Abend eine andere Frau kennen gelernt hast.“ „Ich wollte es noch eine Weile für mich behalten.“ Hätte er seiner Mutter etwa berichten sollen, dass er in einer Bar eine wildfremde Frau getroffen und die folgenden drei Tage mit ihr im Bett verbracht hatte? „Warum denn? Stimmt mit ihr etwas nicht? Werde ich sie etwa nicht mögen?“ „Weil sie etwas Besonderes ist“, antwortete er nur. Auch das entsprach der Wahrheit. Josie Täte war so besonders, dass er sie nach dem Wochenende nicht hatte wiedersehen wollen. Weil er Angst gehabt hatte, dass sie ihn dazu verleiten würde, gegen seinen Schwur zu verstoßen. Michael war erst zwölf gewesen, als sein Vater ums Leben gekommen war – als Feuerwehrmann in einem brennenden Haus. Dass er ohne seinen Dad weiterleben musste, war .für ihn schwerer gewesen, als er es seine Mutter jemals hatte merken lassen. Und später, im Laufe seiner Berufsjahre, hatte er viel zu oft miterleben müssen, wie Kollegen bei gefährlichen Einsätzen getötet wurden und ihre Familie ohne Ehemann und Vater zurückließen. Aber Michael liebte seine Arbeit, also hatte er sich geschworen, niemals eine Frau zur Witwe und ein Kind zum Waisen zu machen. Ob das seiner Mutter nun passte oder nicht. „Und was macht dieses Mädchen so besonders?“ fragte Elsa hartnäckig nach. „Was Josie so besonders macht?“ wiederholte er, um darüber nachzudenken,
während er seinen dritten Pfannkuchen aß. „Nun ja, zum einen sieht sie großartig
aus.“
„Inwiefern?“
„Sie hat das schimmerndste Haar, das ich je gesehen habe. Hellbraun mit
blonden Strähnen, die es irgendwie… sonnig wirken lassen. Sie trägt es kurz,
etwa bis zum Kinn, und es ist so weich. Und sie hat die Angewohnheit, es hinter
die Ohren zu streichen. Das ist einfach… verdammt süß.“
„Welche Farbe haben ihre Augen?“ wollte seine Mutter wissen, als wäre dies ein
Test.
Doch wenn es einer war, so konnte er ihn mühelos bestehen. Denn er wusste
ganz genau, wie Josie aussah. Während der letzten zwei Wochen hatte er sie sich
immer und immer wieder vorgestellt.
„Blau. Ein strahlendes Blau. Und ihre Haut ist wie… Milch und Honig. Sie hat eine
kleine Nase, nicht zu klein, sondern genau richtig. Ihre Zähne sind weiß und
makellos, die Lippen von Natur aus so rosa, dass sie keinen Lippenstift braucht.
Sie hat ein hinreißendes Lächeln und ist schlank, aber nicht zu schlank, und…“
„Also geht es nur um Äußerlichkeiten“, unterbrach seine Mutter ihn.
„Nein, es geht nicht nur um Äußerlichkeiten“, widersprach er. „Ich beschreibe sie
dir nur so genau, weil du mich darum gebeten hast. Sie ist nett und klug – ihre
Gedichte hauen einen um. Sie ist lustig. Sie hat Humor. Sie regt sich nicht über
Kleinigkeiten auf. Sie ist offen und locker. Sie hat einfach eine großartige
Lebenseinstellung.“
Und obwohl er keine Ahnung hatte, woher Josie stammte, welche Ziele sie besaß,
was für eine Familie oder wie viele Beziehungen sie gehabt hatte, wusste er ein
wenig mehr über sie, als er bisher gedacht hätte.
„Das klingt, als wärest du bis über beide Ohren in sie verliebt“, meinte Elsa und
hörte sich schon etwas weniger misstrauisch an.
„Stimmt“, bestätigte Michael, und ihm wurde schlagartig bewusst, dass auch das
keine glatte Lüge war.
„Jedenfalls“, kehrte er zu seinem vorbereiteten Text zurück, „seit dem
Wochenende haben wir einige Zeit miteinander verbracht. Ich habe dir nicht von
ihr erzählt, sondern bin zu den anderen Dates gegangen, weil ich sehen wollte,
ob es jemanden gibt, der mir besser gefällt. Aber gestern Abend habe ich deiner
Orthopädin gegenübergesessen und mich gefragt, warum ich meine Zeit
verschwende. Denn Josie ist die, mit der ich zusammen sein will. Und deshalb
habe ich mich entschieden, etwas aus unserer Beziehung zu machen.“
Das war eine Mischung aus Lüge und Wahrheit.
„Also hast du meine Orthopädin sitzen lassen und diese Josie gefragt, ob sie dich
heiraten will?“ sagte seine Mutter.
„Ich habe deine Orthopädin nicht sitzen lassen“, widersprach er. „Ich habe sie
nach Hause gebracht. Aber anschließend bin ich zu Josie gegangen und… Nun ja,
jetzt sind wir verlobt, und heute zieht sie bei mir ein.“
Skeptisch zog Elsa ihre Augenbrauen hoch. „Du kennst sie erst seit zwei Wochen,
aber du hast dich mit ihr verlobt, und sie wohnt ab jetzt bei dir?“
„Richtig.“
Seine Mutter schob ihren fast leeren Teller fort. „Du meinst es wirklich ernst? Du
willst diese Josie heiraten?“
„Ja, aber nicht so schnell“, erwiderte Michael hastig, vielleicht etwas zu hastig.
„Ich meine, wir kennen uns noch nicht lange. Deshalb wollen wir uns die Zeit
nehmen, uns richtig kennen zu lernen, bevor wir heiraten.“
„Verlass dich nicht darauf“, warnte seine Mutter. „Sie hat jeden Tag mit
werdenden Müttern und Neugeborenen zu tun. Bestimmt will sie bald ein eigenes
Baby.“
Ihr optimistischer Unterton verriet ihm, dass sie ihm nicht nur glaubte, sondern
sich sogar für seine Geschichte zu erwärmen begann.
„Daran denken wir noch nicht“, wehrte er ab. „Vorläufig wollen wir einfach nur
zusammenleben und uns sehr gut kennen lernen.“
„Und sie ist ein anständiges Mädchen? Nicht nur eins, das dich ausnutzen und mit
deiner Kreditkarte und den Möbeln verschwinden will, während du bei der Arbeit
bist?“
„Sharon McKinty hat uns miteinander bekannt gemacht. Bei einem Date, das du
für mich organisiert hattest“, entgegnete Michael lächelnd.
„Na und? Hat Sharon etwa für sie gebürgt?“
„Sie hat für uns beide gebürgt. Sie hat Josie erzählt, dass ich ein ehrlicher
Mensch bin, aus einer ehrenwerten Familie stamme und eine Mutter mit großem
Haar…“
„Ich habe kein großes Haar“, protestierte Elsa. „Ich habe viel Haar.“
„Na gut. Jedenfalls, Sharon hat mir erzählt, dass Josie ein Mensch ist, der
streunende Tiere aufnimmt, regelmäßig Blut spendet, in der Suppenküche
aushilft, dem Obdachlosen an der Ecke jeden Morgen einen heißen Kaffee bringt
und ihren letzten Cent weggeben würde, wenn jemand ihn nötiger braucht als
sie. Ich glaube nicht, dass ich mir um meine Kreditkarte oder die Möbel Sorgen
machen muss.“
„Du liebst sie? Und sie liebt dich?“
Keine einfache Frage, dachte er. „Wir haben uns gestern Abend verlobt, oder?“
führte er an, als wäre das Antwort genug.
Offenbar war es das. „Dann muss es Liebe auf den ersten Blick gewesen sein“,
folgerte seine Mutter.
Ganz sicher war es Anziehung auf den ersten Blick gewesen. An dem Abend in
der Bar hatte er seinen Blick nicht von Josie losreißen können. Mehr noch, er war
geradezu hingerissen gewesen. Doch das war nicht mehr wichtig. Ab jetzt waren
sie nur noch Mitbewohner und gute Freunde. Und das war etwas, was er nicht
vergessen durfte.
„Wann lerne ich sie kennen?“ wollte seine Mutter wissen.
Endlich klang sie überzeugt und erleichtert, dass ihr Sohn die Frau fürs Leben
gefunden hatte.
„Vielleicht in ein oder zwei Tagen. Lassen wir sie erst mal einziehen, und dann…“
„Morgen“, entschied Elsa. „Zum Abendessen. Ich koche.“
„Ich muss Josie erst fragen. Ich will sie nicht damit überfallen, Ma. Lass ihr etwas
Zeit, okay?“
„Ich werde doch wohl meine zukünftige Schwiegertochter kennen lernen dürfen,
oder?“
„Das wirst du auch. Glaub mir, das wirst du.“
„Morgen. Sorg dafür, dass wir uns morgen kennen lernen“, beharrte seine Mutter
energisch.
Michael holte tief Luft und atmete dann seufzend aus. Seine Mutter konnte
manchmal ziemlich tyrannisch sein. Genau deshalb hatte er diesen Plan
geschmiedet. Doch das änderte nichts an seinem schlechten Gewissen.
„Morgen“, gab er nach. „Ich werde es versuchen.“
Zufrieden lehnte Elsa sich zurück. „Sehr schön. Morgen zum Abendessen“, sagte
sie, als wäre es beschlossene Sache.
„Ich weiß nicht. Beim ersten Mal reicht es doch vielleicht, wenn ich mit ihr für ein
paar Minuten vorbeikomme“, schlug er vor.
Es war, als hätte Elsa ihn nicht gehört. „Abendessen. Um sieben. Ich besorge den
Wein.“
Sie stand auf, um einen Stift und einen Notizblock aus der Schublade neben der
Spüle zu nehmen. Dann begann sie zu schreiben, und Michael zweifelte nicht
daran, dass es die Einkaufsliste für das morgige Abendessen war.
Protest war sinnlos, also erhob er sich ebenfalls und räumte den Tisch ab.
Wenn du wüsstest, worauf du dich eingelassen hast, Josie Täte, dachte er.
Es war sieben Uhr am Samstagabend, als Josie endlich fertig war. Ihr Hab und
Gut stapelte sich im Kofferraum und auf der Rückbank der kleinen Limousine,
und Pip saß majestätisch auf dem Beifahrersitz, während sie sich von Sharon
verabschiedete.
„Bist du ganz sicher?“ fragte die einzige ihrer Mitbewohnerinnen, die ihr wirklich
nahe stand.
„He, ich habe ein komplettes Wochenende mit dem Typen verbracht, weil ich
mich auf dein Wort verlassen habe, dass er nicht geisteskrank ist“, scherzte
Josie. „Willst du jetzt behaupten, er ist es doch?“
„Keineswegs. Ich arbeite seit zwei Jahren für den Versicherungsagenten seiner
Mutter und muss mir immer wieder anhören, wie stolz sie auf ihren Sohn ist. Er
ist ein mehrfach wegen Tapferkeit ausgezeichneter Feuerwehrmann, und ich
glaube, bei den Pfadfindern hat er auch schon eine Medaille bekommen. Wenn
ich an dem Abend in der Bar nicht zufällig TJ. begegnet wäre, hätte ich es
wahrscheinlich selbst bei ihm probiert. Aber das heißt noch lange nicht, dass du
bei ihm einziehen und dich als seine Verlobte ausgeben musst.“
„Pass bitte auf, was du sagst, wenn du mit seiner Mutter redest“, warnte Josie
ihre Freundin.
„Glaub mir, seine Mutter lässt einen kaum zu Wort kommen“, antwortete Sharon.
„Trotzdem, dass du so tun willst, als würdest du ihn heiraten? Finde ich ganz
schön abgefahren.“
„Es wird schon gut gehen. Außerdem lässt der alte Bartholomew mir ja keine
andere Wahl. Ich wette, er steht am Fenster.“
„Vielleicht hätten wir Pip vor ihm verstecken können.“
Josie lachte. „Wo denn? Und wie?“
Sharon zuckte mit den Schultern. „Oh, ich weiß nicht. Das Ganze ist so unfair.“
„Aber es ist fairer, als zuzulassen, dass ihr wegen Pip und mir auch noch auf die
Straße gesetzt werdet. Mach dir keine Sorgen. Wenigstens habe ich ein Dach
über dem Kopf.“
„Ja, aber dazu musst du vor Michael Dunnigans Mutter seine Verlobte spielen.
Ausgerechnet. Die Frau ist eine Dampfwalze in Strumpfhosen. Erst tust du nur
so, als wärest du ihre zukünftige Schwiegertochter, aber wenn sie mit dir fertig
ist, bist du tatsächlich verheiratet und hast zehn Kinder. Und wenn sie merkt,
dass alles nur eine Show ist? Das will ich mir lieber nicht ausmalen.“ Sharon sah
sie mitleidig an.
Josie lachte wieder. „Komm schon, so schlimm kann sie nicht sein.“
„Sie kann. Die Frau würde ich nicht mal als vorgetäuschte Schwiegermutter
wollen.“
„Wenn sie so schrecklich ist, warum bist du dann mit ihrem Sohn ausgegangen?“
entgegnete Josie.
„Ich war wütend auf T.J. und wollte ihm eine Lektion erteilen. Josie, ich dachte
immer, dass meine Mutter eine Nervensäge sei, aber Elsa Dunnigan schlägt sie
um Längen.“
„Ich werde nicht mit seiner Mutter zusammenleben.“
„Nein, du wirst rein platonisch mit einem Mann zusammenleben, der dich schon
in seinem Bett gehabt hat. Und dazu kommt dann noch die Mutter. Du gehst ein
doppeltes Risiko ein.“
„Ich habe nur mit ihm geschlafen, weil…“ Josie verstummte. „Na ja, es war kein
gutes Wochenende. Der Todestag meiner Eltern ist immer schwer für mich. Aber
es wird nicht wieder passieren.“
„Ich weiß, du wolltest dich ablenken, aber Michael Dunnigan ist mehr als das. Ich
weiß nicht, ob du das Wochenende so einfach abtun kannst. Und ob du ihm auf
Dauer widerstehen kannst.“
„Doch, das kann ich. Ich bin fest entschlossen. Außerdem werden er und ich uns
aus dem Weg gehen. Seine Schichten bei der Feuerwehr dauern vierundzwanzig
Stunden. Glaub mir, zwischen uns wird sich nichts mehr abspielen.“
Sharon sah nicht gerade überzeugt aus. Und ihre Stimme klang auch nicht so.
„Wenn du meinst.“
„Ich meine es.“
Und das tat Josie wirklich. Sie hatte gründlich nachgedacht. Es gab zwei
gewichtige Gründe, die gegen eine Beziehung mit Michael Dunnigan sprachen.
Erstens, sie hatte nicht vor, ihre Freiheit aufzugeben.
Zweitens, sein Beruf ließ es einfach nicht zu, auch nur daran zu denken.
Egal, wie attraktiv, sexy, lustig, intelligent und charmant er war, Josie hatte eine
eiserne Regel: Niemals würde sie sich mit einem Mann einlassen, dessen Arbeit
lebensgefährlich war. Nein, Michael Dunnigan war tabu.
„Ich sollte jetzt fahren“, sagte sie zu Sharon. „Schließlich muss ich das ganze
Zeug auch noch wieder ausladen.“
Ihre Freundin trat zurück und winkte ihr nach, als sie anfuhr.
„Auf zum nächsten Abenteuer“, sagte Josie zu ihrem Hund.
Jedenfalls hoffte sie, dass es nur das war, was sie fühlte Abenteuerlust und die
Vorfreude auf eine vollkommen neue Erfahrung.
Für Josie war das ganze Leben ein Abenteuer. Sie liebte es, neue Gerichte
auszuprobieren. Neue Menschen kennen zu lernen. Spontan aufzubrechen, ohne
zu wissen, wohin sie wollte. Den Job zu wechseln. Neue Erfahrungen zu machen.
All das begeisterte sie. Genau wie es ihre Eltern begeistert hatte.
Aber etwas Gefährliches, etwas, bei dem man sein Leben aufs Spiel setzte –
davor schreckte sie zurück. Und das unterschied sie von ihren Eltern.
Josie hatte deren Abenteuerlust überlebt. Ihre Eltern nicht.
An jenem Freitagabend vor zwei Wochen hatte Sharon ihr nicht erzählt, dass
Michael Feuerwehrmann war. Hätte ihre Freundin es getan, hätte sie sich von
ihm fern gehalten. Doch so hatte sie erst im Laufe des Wochenendes erfahren,
womit er sein Geld verdiente. Und in dem Moment war aus dem Beginn einer
möglicherweise ernsthaften Beziehung ein flüchtiges Abenteuer geworden.
Bindungsangst – so hatte ein Psychologe, mit dem sie irgendwann mal
ausgegangen war, es genannt.
Josie deutete es lieber als Freiheitsdrang. Sie war stolz darauf, unabhängig zu
sein, und fand es nicht falsch, dass sie es auch bleiben wollte.
„Also werden wir beide nur gute Freunde sein, Michael Dunnigan“, sagte sie laut,
als wäre es damit besiegelt.
Pip zog die schwarze Nase aus dem schmalen Spalt über der Seitenscheibe und
sah sie an, als würde er ihr nicht glauben.
„Wirklich“, beteuerte sie. „Gute Freunde. Mitbewohner. Mehr nicht.“
Sicher, leicht würde es nicht sein.
Aber sie liebte Herausforderungen.
„Vermutlich sollte ich dankbar sein, dass seine Mutter ein Drache ist“, redete sie
weiter auf den Hund ein. „Vielleicht hilft mir das, zu ihm Distanz zu wahren.“
Denn wenn es darum ging, sich gegen seine Anziehungskraft zu wehren, würde
sie jede Unterstützung brauchen, die sie bekommen konnte.
Die Sonne ging bereits unter, als Josie vor Michaels Haus hielt. Zum Glück fand
sie auf Anhieb einen Parkplatz. Nachdem sie den Wagen in die enge Lücke
manövriert hatte, blieb sie noch einen Moment sitzen und starrte zum Eingang
hinüber. Nur zu gut erinnerte sie sich daran, was sie hinter der Flügeltür aus
dunklem Holz erlebt hatte. An die hungrigen Küsse. Die tastenden, suchenden
Hände. Die erhitzten Körper. Das unbändige Verlangen…
Dann bellte Pip ungeduldig.
Josie seufzte. „Okay, ich glaube, du hast Recht. Wir sind zu Hause.“
Sie befestigte die Leine an seinem Halsband, stieg aus und öffnete ihm die
Beifahrertür. Als wäre er schon mal hier gewesen, steuerte er sofort die zehn
Stufen vor Michaels Haus an.
Ihr neuer Mitbewohner musste sie erwartet haben, denn die Tür ging auf, bevor
sie läuten konnte.
„Hallo“, sagte er nur.
Er war frisch rasiert, und sein After Shave stieg ihr in die Nase. Das weiße TShirt
betonte seine breiten Schultern, und ihr Herz machte unwillkürlich einen Satz.
„Willkommen in deinem neuen Zuhause.“ Er trat beiseite, um sie und Pip
hereinzulassen.
Josie zögerte.
Plötzlich fiel es ihr schwer, nicht an das gemeinsam verbrachte Wochenende zu
denken. Und daran, wie es wäre, es zu wiederholen…
Wir sind Mitbewohner, sagte sie sich. Nur Mitbewohner.
Mitbewohner, die manchmal lästig sein konnten. Die stinkende Tennisschuhe
herumstehen ließen. Schranktüren offen. Schmutziges Geschirr in der Spüle. Die
Milch aus dem Karton tranken und den Klodeckel nicht herunterklappten.
Alles Dinge, die eine Wohngemeinschaft äußerst unattraktiv machten.
Vielleicht sollte sie einfach an das Schlimmste denken, das sie jemals mit einer
Mitbewohnerin erlebt hatte.
Eine von ihnen hatte sich mal am Kaffeetisch die Fußnägel geschnitten. Das war
das Allerschlimmste gewesen. Daran würde sie denken.
Fußnägel. Fußnägel. Fußnägel…
Es half. Jedenfalls genug, um sie die Wohnung betreten zu lassen.
„Bist du okay?“ fragte Michael mit einem verwirrten Lächeln.
„Es ist nur ein wenig eigenartig“, gestand sie.
„Ich weiß. Für mich auch. Aber es wird vorübergehen.“
Es wird vorübergehen, wenn ich mir deine abgeschnittenen Fußnägel auf dem
Kaffeetisch vorstelle, redete sie sich verzweifelt ein.
„Ich dachte mir, wir bringen den Hund in den Garten, dann können wir beim
Ausladen die Haustür offen lassen“, sagte er.
„Wir?“
„Natürlich helfe ich dir.“
Das war nett. Und es war obendrein etwas, wozu ein Mitbewohner keineswegs
verpflichtet war. Josie wollte nicht, dass er sich wie ihr Freund benahm. „Das
brauchst du nicht. Es sind nur ein paar Kartons und Kleidung, keine Möbel oder
so.“
„Na ja, ich kann mich schlecht hinsetzten und dir zuschauen.“
Nein, das wäre nicht besser. Nicht, wenn sie jeden Blick aus seinen grünen
Augen wie eine Berührung empfand. Wenn ihr jedes Mal ganz flau wurde, sobald
er sie nur ansah.
Außerdem, je schneller sie ihre Sachen auslud, desto früher konnte sie sich in ihr
Zimmer zurückziehen – weg von Michael und seiner umwerfenden Wirkung auf
sie. „Na gut. Danke.“
„Dann bringen wir jetzt den Hund nach hinten.“
Er führte sie durch das spärlich eingerichtete Wohnzimmer und in die Küche. Dort
nahm sie Pip die Leine ab, und kaum hatte, Michael die Hintertür geöffnet, raste
der Hund ins Freie, um sein neues Revier zu erkunden.
Danach machten sie sich an Josies Einzug.
Ihr Zimmer lag seinem gegenüber, und sie bat ihn, die Kartons einfach
abzustellen und die Kleidung auf das Doppelbett mit der weißen Tagesdecke zu
legen.
Kurz vor neun waren sie fertig, aber Michael dachte offenbar gar nicht daran, sie
allein zu lassen. „Wie wäre es mit einem Glas Wein, um auf unsere neue
Wohngemeinschaft zu trinken und die Einzelheiten zu besprechen?“
„Die Einzelheiten?“
„Allerdings, ich finde, einige Dinge sollte man besser gleich zu Beginn klären.“
Josie war ein lockerer Mensch, der Probleme erst löste, wenn sie auftraten. Wenn
er jedoch unbedingt ein paar Grundregeln aufstellen wollte, war das für sie okay.
Aber der Wein? Sie war nicht sicher, ob das so gut wäre.
„Ich muss morgen arbeiten, daher sollte ich vielleicht lieber auf den Wein
verzichten“, sagte sie.
„Komm schon, ein Glas wird nicht schaden“, erwiderte er und ging ihr voraus.
Es gab zwei Treppen. Die eine hatte ein aufwendig verziertes Geländer und
führte vom Obergeschoss ins Wohnzimmer, die andere war schlichter und
verband es mit der Küche. Josie folgte ihm zur Küchentreppe und musste sich
beherrschen, um nicht auf seinen knackigen Po zu starren.
Während er zwei Gläser Riesling einschenkte, ließ sie Pip herein und füllte seinen
Wassernapf.
„Wo soll ich den hinstellen?“ fragte sie und hielt ihn hoch.
„Neben die Hintertür“, schlug er vor.
Josie tat es, und als sie sich wieder umdrehte, gab er ihr ein Glas.
„Auf uns“, sagte er und stieß mit ihr an.
„Auf uns“, wiederholte sie zaghaft. Es wäre so einfach, diesen Abend in einem
romantischen Licht zu sehen.
Sie nahmen einen Schluck, bevor Michael sich an den Küchentisch setzte, zu dem
vier verschiedene Stühle gehörten.
„Offenbar gibt es eine Menge Einzelheiten zu besprechen“, meinte Josie und
nahm ebenfalls Platz.
„Ein paar. Und noch etwas“, antwortete er geheimnisvoll. „Hier sind die
Schlüssel“, sagte er und schob zwei über den Tisch. „Der goldfarbene ist für die
Hintertür, aber den benutze ich nie, du vermutlich auch nicht.“
„Ich denke, es ist trotzdem gut, ihn zu haben.“
„Badezimmer“, sagte er.
Josie nickte. „Ein heikles Thema.“
„Das, das von meinem Schlafzimmer abgeht, ist meins.
Also ist das am oberen Flur deines. Das untere können wir beide benutzen, wenn
es dir recht ist.“ „Sicher.“ „Deines werde ich nicht mehr betreten. Die Schränke habe ich schon ausgeräumt.“ „Danke.“ „Mit den Lebensmitteln sehe ich es nicht so eng. Meine Mutter kocht mir oft etwas, und wenn du darauf Appetit hast, kannst du dich gern bedienen. Wenn du
etwas Besonderes einkaufst und nicht willst, dass ich es anfasse, schreib deinen
Namen darauf, und ich lasse die Finger davon.“
„Ich sehe es auch nicht so eng“; versicherte sie eilig. „Nimm dir ruhig alles, was
ich habe.“
Er zögerte, und Josie ahnte, dass der nächste Punkt nicht so schnell abzuhaken
war.
„Ich habe mir überlegt, dass es vielleicht vernünftiger wäre, wenn keiner von uns
jemanden mit nach Hause bringt“, begann Michael umständlich.
„Daran habe ich noch gar nicht gedacht“, gab sie zu. Die Vorstellung, dass er
eine Verabredung haben und eine andere Frau mit nach Hause bringen könnte,
gefiel ihr überhaupt nicht.
Er lächelte verlegen. „Ich glaube, ich würde es nicht ertragen, wenn du hier mit
irgendeinem Typen…“
Das klang schon besser.
„Außerdem sollten wir nicht riskieren, dass einer von uns Besuch hat, wenn deine
Mutter hier auftaucht“, lieferte Josie ihm einen weiteren Grund.
„Genau.“ Er nickte. „Das bringt mich zum nächsten Thema, über das ich mit dir
reden muss.“
„Heißt das, mit den Einzelheiten sind wir durch?“ fragte sie amüsiert.
Sein Lächeln ging ihr unter die Haut. „Machst du dich über mich lustig?“
„Nur ein wenig. Ich wusste nicht, dass dir Einzelheiten so wichtig sind.“
„Nein? Ich dachte, das hättest du gemerkt“, entgegnete er.
Sie wusste, worauf er anspielte. Auf die kleinen, aber sehr wirkungsvollen
Zärtlichkeiten, mit denen er sie an ihrem gemeinsamen Wochenende verwöhnt
hatte. Die Zungenspitze, mit der er ihr Ohr liebkost hatte. Den Zeigefinger, mit
dem er über ihre Wade, den Fußrücken und jeden einzelnen Zeh gestrichen
hatte. Die Nase, mit der er die Vertiefung an ihrem Halsansatz gestreichelt
hatte…
„Benimm dich“, verlangte sie und war nicht sicher, ob die Warnung ihm oder ihr
selbst galt. „Wie lautet das nächste Thema?“
Michaels Lächeln wurde breiter. Sie fragte sich, ob er wusste, woran sie gerade
gedacht hatte. „Ich habe meiner Mutter heute Vormittag erzählt, dass wir verlobt
sind.“
„Aha. Und wie hat sie es aufgenommen?“
Achselzuckend trank er einen Schluck Wein. „Zuerst war sie misstrauisch, aber
ich glaube, sie hat es mir abgenommen. Das Problem ist nur, sie will, dass wir
morgen zum Abendessen zu ihr kommen, damit sie dich kennen lernen kann.“
„Warum ist das ein Problem?“ fragte Josie.
„Na ja, vielleicht hast du etwas anderes vor oder willst ihr noch nicht begegnen.“
„Nein, ich habe Zeit. Und früher oder später werde ich sie sowieso treffen
müssen, da kann ich es genauso gut schon morgen hinter mich bringen.“
„Also kann ich ihr sagen, dass wir kommen?“ Er wirkte erleichtert.
„Sicher.“
„Du machst es mir wirklich einfach. Danke.“
Einen Moment lang betrachtete Michael sie, als wäre sie zu schön, um wahr zu
sein. Sie fühlte seinen Blick wie einen wärmenden Sonnenstrahl im Frühling.
So hatte er sie an ihrem gemeinsamen Wochenende auch immer angesehen.
Kurz bevor er sie geküsst hatte.
Erneut brach die Flut von Erinnerungen über sie herein.
Doch dieses Mal half es nicht, an abgeschnittene Fußnägel zu denken. Also
beschloss sie, in ihr Zimmer zu flüchten.
„Wenn das alles ist, worüber du reden wolltest, werde ich jetzt nach oben gehen
und meine Sachen einräumen“, erklärte sie.
Das schien ihn zu überraschen, denn er zog die Augenbrauen hoch.
Sie stand auf und stellte ihr Glas in den Geschirrspüler.
„Und ich sollte meine Mutter anrufen, bevor ich es vergesse“, sagte er.
„Tu das.“ Sie klopfte sich auf den Oberschenkel, und sofort sprang Pip von
seinem Platz in der Ecke auf. „Gute Nacht.“
„Wenn du etwas brauchst…“
„Werde ich es finden“, versicherte sie ihm und ging zur Treppe. Der Hund folgte
ihr.
Schon auf der zweiten Stufe musste sie wieder daran denken, wie Michael sie
geküsst hatte.
Und sie ihn.
3. KAPITEL „Manhattan Multiples. Einen Moment, bitte.“
Josie schaltete die Anruferin in die Warteschleife. Das musste sie tun. Denn im
Warteraum direkt vor dem Empfangstresen hatte Eloise Vale, ihre Chefin, den
Fernseher lauter gestellt und schrie gerade auf den Bildschirm ein, als würde der
Bürgermeister seine Pressekonferenz unterbrechen, um ihr zuzuhören.
„Dämlicher Sturkopf! Wag es nicht, Bill Harper! Sag nicht, dass du uns den Hahn
zudrehst! Ich schwöre, wenn du das tust…“
Die Gründerin von Manhattan Multiples verstummte, als der Bürgermeister
verkündete, dass die Stadt New York sparen musste und deshalb wohltätige
Organisationen wie Manhattan Multiples nicht mehr unterstützen würde.
„Krieg!“ empörte sich Eloise. „Jetzt herrscht Krieg, Harper! Ich muss den
Verstand verloren haben! Wenn du glaubst, das lasse ich mir bieten, irrst du
dich! Ich habe doch nicht so lange und so hart gearbeitet, um jetzt alles zu
verlieren!“
Inzwischen hatte sich fast das ganze Personal sowie mehrere Patientinnen hinter
Eloise versammelt, und alle applaudierten jubelnd. Auch Josie, die ihre Arbeit
liebte und überzeugt war, dass Manhattan Multiples für werdende und frisch
gebackene Mütter von Mehrlingen unverzichtbar war.
Ihre Chefin schaltete den Fernseher aus und wirbelte mit entschlossener Miene
herum.
„Macht euch keine Sorgen. Ich werde alles tun, um zu verhindern, dass wir
schließen müssen. Ich glaube an unser Zentrum, und ich werde dafür kämpfen“,
sagte sie, bevor sie davonging.
Erst jetzt fiel Josie wieder ein, dass sie ein Telefonat in der Leitung hatte. Hastig
meldete sie sich bei der Anruferin. Die Frau wollte an einem
Geburtsvorbereitungskurs teilnehmen, und Josie verband sie mit der Kollegin, die
die entsprechenden Termine vergab.
Als sie auflegte, stand Allison Baker, die Assistentin von Eloise, neben ihr.
„Ich wusste gar nicht, dass Eloise den Bürgermeister fast geheiratet hätte“,
flüsterte Josie ihr zu.
„Doch, es stimmt“, bestätigte Allison leise. „Das war, bevor sie ihren
verstorbenen Mann kennen gelernt hat.“
„Meinst du, er will sich dafür rächen, dass sie ihn verschmäht hat?“
Allison zuckte mit den Schultern. „Eloise ist fest davon überzeugt. Das macht das
Ganze ja so schlimm. Sie hat das Gefühl, bestraft zu werden.“
„Offenbar können auch Männer sehr nachtragend sein“, meinte Josie.
„Stimmt. Aber Beziehungen sind immer kompliziert, was?“
„Allerdings“, bestätigte Josie ein wenig zu rasch.
Erstaunt sah ihre Kollegin sie an, doch bevor sie etwas sagen konnte, rief Eloise
nach ihr, und Allison eilte davon.
Was Josies Beziehung mit Michael betraf, da war „kompliziert“ noch untertrieben.
Sie war noch immer unsicher, ob es richtig gewesen war, zu ihm zu ziehen.
Zumal sie die ganze Nacht wach gelegen und daran gedacht hatte, dass er im
Zimmer auf der anderen Seite des Flurs schlief. In dem Bett, das sie schon
miteinander geteilt hatten.
Sie hatte sich gegen den Wunsch gewehrt, es wieder zu tun.
Gegen ein Verlangen, das sie nicht empfinden wollte. Und sie hatte sich gefragt,
ob sie sich gleich am nächsten Morgen auf die Suche nach einer anderen
Unterkunft machen sollte.
Doch als dann ihr Wecker klingelte, beschloss sie, nicht davonzulaufen. Feige war
sie nie gewesen. Sie hatte sich auf diese eigenartige Wohngemeinschaft
eingelassen, und nun musste sie ihr eine Chance geben.
Das machte es allerdings nicht einfacher.
„Wow! Wir essen doch nur bei meiner Mutter. Du hättest dich nicht so schön zu
machen brauchen. Aber du siehst hinreißend aus“, schwärmte Michael, als Josie
die Treppe zum Wohnzimmer herunterkam.
Sie drehte sich im Kreis, damit der knöchellange Rock ihre schlanken Beine
umspielte. „Dieses alte Ding?“
In Wahrheit hatte sie eine geschlagene Stunde damit verbracht, ihr Outfit für
diesen Abend auszusuchen. Natürlich hatte sie sich eingeredet, dass sie sich nur
deshalb so viel Mühe gab, weil sie Elsa Dunnigan gefallen wollte.
Leider passte die Tatsache, dass sie als Oberteil ein verführerisches Seidentop
gewählt hatte, nicht zu dieser Ausrede. Ebenso wenig wie das Glitzerpuder an
ihren Schultern, das sie sonst nur auflegte, wenn sie tanzen ging. Oder das
dezente, aber verführerische Makeup. Ganz zu schweigen von dem Hauch
Parfüm.
Nichts davon würde sie wie die brave Schwiegertochter erscheinen lassen, die
jede Mutter sich wünschte.
Doch das war nicht mehr zu ändern. Also begnügte sie sich damit, das Tuch ein
wenig fester um ihre Schultern zu ziehen.
„Ich finde nicht, dass ich übertrieben habe“, entgegnete sie mit einem Blick auf
seine dunkle Hose und das graue Polohemd. „Du bist frisch rasiert, duftest
herrlich und siehst selbst verdammt gut aus. Wirfst du dich sonst auch so in
Schale, wenn du deine Mom besuchst?“
Er lächelte. „Soll ich ihr meine Verlobte etwa in Shorts und einem verschwitzten
TShirt vorstellen?“
„In die Richtung habe ich auch gedacht. Schließlich wollen wir beide einen guten
Eindruck auf deine Mom machen, oder?“ Lügnerin, Lügnerin, Lügnerin…
Michael sah auf die Uhr. „Wir müssen los. Zu spät zum Essen zu kommen wäre
kein guter Start.“
„Das ist wahr.“
Sie befahl Pip, artig zu sein, und stellte ihm das Radio an. „Damit er sich nicht so
allein fühlt“, erklärte sie.
Der Hund begleitete sie zur Haustür, wo Josie ihm einen Knochen gab.
Da es windig war, schlug Michael vor, die kurze Strecke in seinem Sportwagen
zurückzulegen.
Der rote Zweisitzer stand ein Stück weiter die Straße hinunter. Er hielt ihr die
Beifahrertür auf.
Auf der Fahrt zeigte er ihr die Reinigung, den Coffee Shop, den Zeitungsladen
und den kleinen Supermarkt des Viertels, bevor sie vor einem Haus aus
rotbraunem Sandstein hielten.
„Lebt deine Mutter allein?“ fragte Josie.
„Meine jüngere Schwester Cindy wohnt noch zu Hause. Sie ist heute Abend
bestimmt auch da.“
Als sie vor der Haustür standen, beugte er sich zu Josie. „Was immer du tust,
lass dich auf keinen Fall von meiner Mutter zu ihrer Friseurin schleifen.“
Automatisch schob sie sich eine Strähne hinters Ohr. „Ist mit meinem Haar etwas
nicht in Ordnung?“
„Es ist perfekt. Aber wenn es nicht mindestens zehn Zentimeter vom Kopf
absteht, wird sie versuchen, dir einen Termin aufzudrängen.“
„Hat sie das bei dir auch getan?“ fragte Josie augenzwinkernd.
„Mir ein Date aufzudrängen, meinst du?“
Sie nickte.
Michael schmunzelte. „Ich hatte ein Date mit fast jeder Frau, die meiner Mutter
über den Weg gelaufen ist. Wäre ich sonst auf die Idee gekommen, ihr
vorzuspielen, dass ich verlobt bin?“
„Wohl kaum.“
Wieder nahm sie sein After Shave wahr, als er um sie herum nach der Klinke
tastete.
„Wir sind hier, Ma“, rief er und schloss die Tür hinter ihnen.
„Küche“, ertönte eine Frauenstimme aus dem hinteren Teil des Hauses, in dem
es wie bei einem Trödler aussah, weil die vielen Möbel, Bilder und anderen
Gegenstände gar nicht zueinander passten.
Michael zeigte in die Richtung, die sie einschlagen mussten. Aber Josies
erstaunter Rundblick war ihm nicht entgangen. „Sie hängt an jedem einzelnen
Stück.“
Josie nickte verständnisvoll, bevor sie das Esszimmer mit dem bereits gedeckten
Tisch durchquerten und die Küche betraten.
„Hallo“, begrüßte sie eine junge Frau, die gerade den Kühlschrank schloss.
„He, Cin“, erwiderte Michael den Gruß.
Doch bevor er Josie mit seiner Schwester bekannt machen konnte, drehte die
zweite Frau sich zu ihnen um. „Nein, ich zuerst. Die Mutter des Bräutigams
kommt immer vor seiner Schwester.“
Ihre Tochter wich hastig aus, als Elsa Dunnigan auf Josie zueilte.
„Hallo, Ma.“ Michael küsste sie auf die Wange, während sie sich die Hände an
einem Geschirrtuch abtrocknete und Josie von Kopf bis Fuß musterte.
„Elsa Dunnigan, das ist Josie Täte, meine Verlobte“, verkündete er feierlich.
„Endlich!“ rief seine Mutter enthusiastisch. „Und du bist so hübsch. Kein Wunder,
dass er die anderen nicht wollte. Du stellst sie alle in den Schatten.“
„Oh, ich weiß nicht“, erwiderte Josie verlegen und geschmeichelt zugleich.
Michael nickte zu seiner Schwester hinüber. „Und das ist meine Schwester Cindy.
Cindy, das ist Josie.“
„Schön, dich kennen zu lernen“, sagte Josie.
Cindy öffnete den Mund, doch ihre Mutter ließ sie nicht zu Wort kommen.
„Josie – dein richtiger Name ist doch bestimmt Josephine, nicht?“
„Nein, nur Josie.“
„Nun ja, willkommen in der Familie, Josie. Du glaubst nicht, wie sehr ich mich
freue, das sagen zu können.“
„Jetzt kannst du dich voll und ganz darauf konzentrieren, Cindy einen Ehemann
zu suchen“, bemerkte Michael trocken und warf seiner Schwester einen
spöttischen Blick zu.
„Danke“, meinte Cindy genervt. „Mir reicht es. Ich bin mit jedem Mann
ausgegangen, den sie kennt. Vom Postboten bis zu Tante Fionas Bestatter.“
„Vielleicht kennt Josie ja einen netten Mann für dich“, sagte Elsa hoffnungsvoll.
„Oder hast du einen Bruder oder Cousin?“
„Tut mir Leid“, antwortete Josie belustigt. „Ich habe gar keine Familie.“
„Aber du hältst die Augen auf“, befahl Elsa, während sie alle ins Esszimmer
scheuchte.
Bei Tisch drehte sich das Gespräch um Schmorbraten, Kartoffeln, Karotten und
Salat. Es verlief nett und angeregt und wurde von Elsa bestimmt. Hin und wieder
stellte sie Josie eine Frage, wandte sich jedoch sofort wieder einem anderen
Thema zu.
„Ich werde dir zeigen, wie du Michaels Lieblingsgerichte zubereitest“, versprach
sie ihr.
Und dann kam sie zur Sache.
„Also, wann heiratet ihr denn?“ wollte sie wissen, während alle gemeinsam den
Tisch abräumten.
„Ma“, begann Michael hastig, „ich habe dir doch erzählt, dass wir eine lange
Verlobungszeit wollen.“
„Es dauert ewig, eine Hochzeit zu planen.“
„Es ist viel zu früh, sich darüber Gedanken zu machen“, beharrte er.
„Was meinst du, Josie?“ fragte seine Mutter. „Können wir nicht wenigstens einen
Termin festlegen? Auch wenn es erst in einem Jahr ist?“
„Wahrscheinlich wird es noch länger dauern“, entgegnete Michael, bevor Josie
etwas antworten konnte. „Wir wollen uns erst richtig kennen lernen.“
„Ihr braucht mehr als ein Jahr, um euch kennen zu lernen? Wie lange denn?“
„So lange, wie wir wollen.“
„Josie hat noch nicht gesagt, dass sie auch so lange warten will“, entgegnete
Elsa.
„Ich will es auch“, versicherte Josie rasch.
Elsa winkte ab, als würde sie eine lästige Fliege verscheuchen. „Du wirst deine
Meinung ändern. Michael hat mir erzählt, dass du bei Manhattan Multiples
arbeitest. Du bist jeden Tag mit schwangeren Frauen und wunderhübschen Babys
zusammen. Bald wirst du auch eins wollen.“
„Ich bezweifle, dass ein Kinderwunsch vom Arbeitsplatz abhängt“, wandte Josie
ein.
„Da irrst du dich. Jetzt, da du weißt, wen du heiraten willst, wirst du nicht länger
warten wollen. Wozu auch? Ihr liebt euch. Ihr seid verlobt. Ihr lebt sogar schon
zusammen. Worauf wollt ihr warten?“
Michael verzog das Gesicht. „Ma, freu dich, dass ich Josie habe. Jetzt ist Cindy an
der Reihe. Such ihr erst mal einen Verlobten, danach reden Josie und ich über
einen Hochzeitstermin.“
Seine Schwester streckte ihm die Zunge heraus.
Elsa ignorierte ihre Kinder und sah Josie an. „Wir müssen ja nicht den genauen
Tag festlegen. Der Juni nächsten Jahres reicht. Dann kann ich meinen
Freundinnen etwas erzählen.“
„Du kannst ihnen erzählen, dass ich verlobt bin, das reicht, Ma“, kam Michael
Josie zu Hilfe.
Elsa gab nicht auf. „Sie werden mich löchern, und ich muss ihnen etwas
Konkretes berichten können.“
„Sag ihnen einfach, dass wir eine lange Verlobungszeit wollen“, schlug er vor und
beugte sich zu Josie. „Bereust du schon, dass du dich darauf eingelassen hast?“
flüsterte er, und wieder strich sein Atem warm über ihr Ohr.
Sie lachte nur.
Aber zu ihrem großen Erstaunen tat es ihr nicht Leid. Es war schön, mit dieser
kleinen Familie zusammen zu sein und von ihr aufgenommen zu werden. Mehr,
als die drei ahnten. Und mehr, als sie selbst erwartet hatte.
Es war spät, als Michael und Josie zu Hause ankamen. Pip war lange allein
gewesen und brauchte Zuwendung.
Josie wusste, dass er keine Ruhe geben würde, und kniete sich im Wohnzimmer
auf den Boden. „Okay.“
Der Hund trabte zu dem Korb mit seinen Spielsachen und kehrte mit einer Acht
aus kräftigem Tauwerk zurück.
Josie packte den freien Ring und zog daran.
Michael sah ihnen zu.
„Wie war ich?“ fragte sie, während die Bulldogge ihr fast den Arm auskugelte.
„Bei meiner Mutter?“
„Hm“, erwiderte sie ein wenig unkonzentriert, weil Pip ihr gerade ein
Schleudertrauma verpasste.
Er lachte und wurde sofort wieder ernst. „Geht es dir gut?“
„Ich habe mich daran gewöhnt“, versicherte sie.
„Du warst großartig. Tut mir Leid, dass du kaum zu Wort gekommen bist.“
Dieses Mal musste Josie lachen. „Außer deiner Mom ist niemand richtig zu Wort
gekommen.“
„Das ist wirklich schade. Denn ich hätte gern gehört, welche Antworten du auf
die Fragen meiner Mutter hast.“
„Was willst du wissen?“
Pip zog so heftig an seinem Ende, dass Josie loslassen musste. Michael streckte
die Arme aus, um sie zu stützen.
Doch sie fiel nicht um, und er griff auch nicht nach ihr.
Josie wünschte, sie hätte das Gleichgewicht verloren.
„Komm her, Pip“, befahl er.
Der Hund gehorchte und fand in ihm einen würdigen Gegner.
„Wenn wir so tun wollen, als wären wir dabei, uns besser kennen zu lernen,
sollten wir es vielleicht auch wirklich tun“, schlug Michael atemlos vor, während
er mit Pip spielte.
„Das macht Sinn“, stimmte Josie zu.
Ohne die Acht loszulassen, setzte Michael sich auf die Couch.
Sie saß noch immer auf dem Fußboden und beobachtete fasziniert, wie die
Muskeln seiner Arme und Schenkel sich spannten.
Nur mit Mühe gelang es ihr, sich wieder auf das Gespräch zu konzentrieren. „Auf
welche Fragen deiner Mutter hättest du denn gern meine Antworten gehört?“
„Zum Beispiel auf die, ob du einen Bruder oder Cousin hast, der als Ehemann für
meine Schwester in Betracht kommt? Oder hast du tatsächlich keine Familie?“
„Nein?“
„Warum nicht?“
„Meine Eltern waren Einzelkinder und haben erst geheiratet, als sie schon älter
waren. Ihre Eltern sind vor meiner Geburt gestorben. Und ich war ebenfalls
Einzelkind. Also gab es nur meine Eltern und mich. Und sie sind gestorben, als
ich acht war.“
Er zog seine Stirn in tiefe Falten. „Wie sind sie gestorben?“
„Sie liebten das Abenteuer. Das haben sie selbst immer gesagt. Bergsteigen.
BungeeJumping. Fallschirmspringen. Ballonfahren. Was immer, sie haben es
gemacht. Sie sind beim Klettern im Himalaja abgestürzt. An genau dem
Wochenende mit dem Feiertag zu Anfang September.“
„Das tut mir Leid.“
„Mir auch.“
„Und bei wem bist du aufgewachsen?“
„Bei Nonnen in Denver, Colorado.“
„In einem Waisenhaus?“ fragte er. „Ich dachte, die gibt es gar nicht mehr.“
„Doch, die gibt es noch. Der Babysitter, der auf mich aufpasste, war eine Nonne
aus dem Waisenhaus. Also hat der Richter entschieden, dass ich bis zu meinem
achtzehnten Lebensjahr dort bleiben sollte.“
Michael schüttelte den Kopf. „Das muss hart gewesen sein.“
„Zuerst ja. Aber irgendwann habe ich mich daran gewöhnt.“
„Das klingt so unpersönlich. So kalt.“
„So schlimm war es gar nicht. Eher wie ein Internat. Nur, dass ich in den Ferien
oder an den Feiertagen nicht nach Hause konnte. Aber die Nonnen waren gut zu
mir“, erzählte Josie.
„Das bricht mir das Herz“, sagte er, als würde er es ernst meinen.
Sie lachte. „Wie gesagt, so übel war es nicht. Ich habe es überstanden, oder?
Und es hat mir nicht geschadet, finde ich.“
Er schaffte es, Pip mit einer Hand im Zaum zu halten und sie mit einem Blick zu
betrachten, der sie erwärmte.
„Nach unserem unglaublichen Wochenende hast du gesagt, dass du dich nicht
binden willst“, fuhr er fort. „Jetzt, da ich das von dir weiß, wundert mich das.“
„Warum?“
„Man sollte meinen, dass du Wurzeln schlagen, ein Zuhause und eine Familie
haben möchtest.“
„Ganz im Gegenteil“, erwiderte sie. „Ich habe früh gelernt, mich nicht zu fest an
andere Menschen zu binden. Weil sie von heute auf morgen wieder weg sein
können. Für immer. Außerdem bin ich gern für mich. Unabhängig.“
„Du hast dich an Pip gebunden.“
„Für Pip bin ich verantwortlich. Ich habe ihn auf der Straße gefunden und
aufgenommen, obwohl ich ihn ins Tierheim hätte bringen können. Da ich ihn
behalten habe, gehören wir auf Gedeih und Verderb zusammen. Aber ich weiß,
dass ich älter als er werde. Also mache ich mir keine Illusionen, dass ich nie ohne
ihn sein werde.“
„Aber es wird dir wehtun, ihn zu verlieren.“
„Natürlich, aber ich werde weiterleben.“
„Was ist mit der Theorie meiner Mutter, dass deine Arbeit dich dazu bringen wird,
ein eigenes Baby zu wollen? Stimmt die?“ fragte er.
„Ganz bestimmt nicht. Versteh mich nicht falsch, ich mag Kinder. Und Babys. Im
Waisenhaus habe ich nach der Schule immer auf die Kleinen aufgepasst. Und ich
mag meinen Job. Trotzdem, wenn ich von Manhattan Multiples genug habe,
werde ich weiterziehen.“
„Wie viele Jobs hattest du denn schon?“
„Eine Menge. Ich habe gekellnert, Blumen verkauft, Pizzas ausgeliefert, Regale
aufgefüllt, Hunde gepflegt, Büros gereinigt. Einen Sommer lang habe ich sogar
auf dem Bau gearbeitet“, berichtete Josie.
„Auf dem Bau?“ wiederholte er verblüfft.
„Ja, sogar mit Helm. Mit Gedichten verdient man nicht viel Geld.“
„Ich sehe dich vor mir. In der Mittagspause, in schwindelnder Höhe auf einem
Träger sitzend, Gedichte schreibend.“
„Die Muse der Poesie ist nicht wählerisch, was Ort und Zeit angeht.“
„Hast du mit deinen Gedichten denn schon Geld verdient?“ fragte er.
„Hin und wieder. Ich habe ein paar Preise gewonnen und einige in Zeitschriften
oder Sammlungen veröffentlicht. Aber nicht genug, um davon leben zu können.“
„Ist das dein großes Ziel? Von deinen Gedichten zu leben?“
„Mein Traum“, gab sie zu. „Aber das ist äußerst unwahrscheinlich.“
„Trotzdem denkst du nie daran, das Schreiben aufzugeben, dich auf einen Beruf
zu konzentrieren und Karriere zu machen?“
In gespieltem Entsetzen wich Josie zurück. „Niemals. Dazu liebe ich das
Schreiben viel zu sehr. Die Worte, die Ideen sind einfach immer da, in meinem
Kopf, ob ich es will oder nicht. Und mich auf einen einzigen Job zu beschränken
würde mich einengen.“
„Okay, okay, schon verstanden“, meinte Michael lachend. „Josie Täte muss frei
sein. Keine langfristigen Bindungen. Nur du und dein Hund, wohin der Wind euch
gerade weht, den Kopf voller Gedichte.“
„Hey, sei froh, dass ich so bin. Glaubst du etwa, sonst würde ich für dich die
Verlobte spielen, damit deine Mutter dich in Ruhe lässt?“
„Ela hast du Recht.“
Sie beobachtete, wie er Pip streichelte, starrte auf seine große, kräftige Hand und
dachte daran, welche Empfindungen er ihr mit dieser Hand geschenkt hatte…
„Ich sollte jetzt ins Bett gehen“, sagte sie, als ihr bewusst wurde, dass sie auf
ihren Hund eifersüchtig war.
Michael hielt sie nicht auf, sondern kraulte Pip hinter den Ohren und erhob sich
ebenfalls. „Ja, ich werde auch nach oben gehen.“
Josie hatte gehofft, dass er unten bleiben würde. Dann hätte sie vielleicht
schneller einschlafen können.
Doch er verschloss die Haustür und folgte ihr und Pip die Treppe hinauf.
„Ich habe morgen Dienst“, informierte er sie. „Sieben Uhr morgen früh bis sieben
Uhr am Mittwoch. Also werde ich wohl schon fort sein, wenn du aufstehst, und
übermorgen schon wieder schlafen, wenn du wach wirst.“
„Gibt es etwas, was ich wissen muss, wenn du fort bist?“ erkundigte sie sich, als
sie die Türen zu ihren Zimmern erreichten.
„Mir fällt nichts ein. Die Nummer der Wache steht auf der Rückseite des
Kalenders neben dem Telefon, falls du mich erreichen musst. Die Leitung
blockiert keine Notrufe, also kannst du ruhig anrufen.“
Josie nickte. „Gut zu wissen.“
„Und falls meine Mutter dich nervt, sag mir Bescheid, ich kümmere mich dann
um sie. Ich weiß, dass sie sich von dir deine Nummer auf der Arbeit hat geben
lassen.“
„Okay.“
„Gut.“
Er ging noch immer nicht in sein Zimmer, sondern sah sie einfach nur an. Und je
länger er das tat, desto mehr fragte sie sich, ob es ihm gar nicht ums Reden
ging. Vielleicht schwebte ihm etwas Körperlicheres vor.
„Wir sollten jetzt wirklich zu Bett gehen“, sagte sie, fest entschlossen, diesen
Abend zu beenden. Aber irgendwie hatte sie sich missverständlich ausgedrückt.
So, als sollten sie zusammen ins Bett gehen…
„Ich meine, um zu schlafen. Allein. Jeder in seinem eigenen Zimmer“, fügte sie
hinzu und bereute es sofort, denn ihre Worte machten alles nur noch schlimmer.
Michael lächelte. „Ja, wir sollten jetzt schlafen gehen.“
Dann schob er mit ausgestrecktem Zeigefinger das Haar hinter ihr Ohr, und ihre
Haut kribbelte, wo er sie berührt hatte. „Danke für heute Abend“, sagte er leise.
„Und dafür, dass du meine Mutter ertragen hast.“
„Kein Problem“, versicherte sie und wünschte, sie würde sich nicht so atemlos
anhören.
„Für mich war es eins.“
Noch immer machte er keine Anstalten, in sein Zimmer zu gehen. Er blieb, wo er
war. Noch dichter, so kam es ihr vor.
Und Josie glaubte ernsthaft, dass er sie gleich küssen würde. Sie rechnete so fest
damit, dass sie überlegte, ob sie es zulassen würde oder nicht.
Ob sie es schaffen würde, sich das zu versagen, was sie sich plötzlich sehnlicher
wünschte, als sie sollte.
Doch sie hätte sich den inneren Kampf ersparen können, denn Michael brach den
Blickkontakt ab und machte einen Schritt zurück.
„Wir sehen uns am Mittwoch“, sagte er.
Schlagartig kehrte sie in die Realität zurück. „Ich werde leise sein, wenn ich
aufstehe, damit ich dich nicht wecke.“
„Nicht nötig. Wenn ich erst mal schlafe, bekommt selbst ein Erdbeben mich nicht
wach.“
Josie nickte nur. Während des gemeinsamen Wochenendes Anfang September
hatte jede noch so vorsichtige Bewegung ihn geweckt. Und erregt…
Aber daran erinnerte sie ihn lieber nicht. Denn sie wollte selbst nicht daran
denken.
„Gute Nacht“, wünschte sie stattdessen.
„Nacht“, erwiderte er.
Sie war nicht sicher, warum er noch immer nicht in seinem Zimmer verschwand.
Aber sie war sicher, dass sie gleich etwas tun und es für immer bereuen würde.
Also ging sie dorthin, wo Pip es sich bereits auf seiner Decke bequem gemacht
hatte, und schloss die Tür hinter sich.
Und während sie sich das Gesicht wusch, den Pyjama anzog und unter die
Bettdecke schlüpfte, dachte sie an nichts anderes als den Kuss, zu dem es auf
dem Flur fast gekommen wäre…
4. KAPITEL Das Telefon läutete, als Josie am Mittwochmorgen zur Arbeit kam. Sie war eine
Stunde zu früh da und deshalb die Erste, die bei Manhattan Multiples eintraf.
„Manhattan Multiples“, meldete sie sich, bevor der Anrufbeantworter sich
einschaltete.
„Geben Sie mir Eloise Vale.“
Es war eine männliche, zornige Stimme, aber Josie blieb gelassen. „Das tut mir
Leid. Wir öffnen erst um neun, und Eloise Vale ist noch nicht im Büro. Kann ich
etwas ausrichten?“
„Sagen Sie ihr, dass Bill Harper…“
„Entschuldigen Sie. Bill Harper, der Bürgermeister…“
„Ja, Bill Harper, der Bürgermeister…“
„Persönlich? Oder sind Sie sein Assistent oder so?“
„Hier ist Bill Harper. Ich bin Bill Harper“, erwiderte der Anrufer, mühsam um
Geduld ringend.
„Oh.“
„Können Sie etwas ausrichten oder nicht?“
„Sehr gern, Sir.“
„Gut. Sagen Sie ihr, dass es für meine Entscheidung, wohltätigen Organisationen
wie Manhattan Multiples die Zuschüsse zu streichen, keinerlei persönliche Gründe
gibt. Und ich schätze es überhaupt nicht, dass sie der Presse gegenüber erklärt,
ich würde einen Rachefeldzug gegen sie führen, weil sie seinerzeit Walter Vale
geheiratet hat. Das ist absurd. Außerdem würde ich mein Amt niemals dazu
missbrauchen, mich für etwas zu rächen, was mir privat widerfahren ist. Wenn
Eloise mit mir über unsere Vergangenheit diskutieren möchte, soll sie es unter
vier Augen tun, nicht in der Öffentlichkeit. Haben Sie das alles?“
„Ja, Sir“, versicherte Josie ihm verwirrt, „Ausgezeichnet. Sorgen Sie dafür, dass
Mrs. Vale meine Nachricht erhält.“
„Ja, Sir.“
„Danke“, sagte er und legte auf.
„Ich habe den Eindruck, das hier ist wirklich Krieg“, murmelte Josie.
In diesem Moment kam Eloise herein. „Sie haben gerade einen Anruf des
Bürgermeisters verpasst“, berichtete Josie, anstatt sie zu begrüßen.
„Tatsächlich?“ fragte die zweiundvierzig Jahre alte Witwe ungläubig.
„Ja. Aber seien Sie froh.“
„Er ist wütend, was?“ Eloise klang erfreut.
„Fuchsteufelswild. Stinksauer.“
„Was hat er gesagt?“ wollte die hübsche Frau mit dem aschblonden Haar wissen.
Josie gab die Tirade des Bürgermeisters fast wortwörtlich wieder.
„Ich soll ihn anrufen, damit die Wähler nicht mitbekommen, dass er sein Amt
missbraucht, um sich für sein gebrochenes Herz zu rächen, stimmt’s?“ meinte
Eloise. „Du wirst dich noch wundern, Bill Harper!“ Eloise schien erst jetzt zu
registrieren, dass Josie vor ihr zur Arbeit gekommen war. „Was tun Sie so früh
hier?“
„Oh. Ich… war mit einer Freundin zum Frühstück verabredet, aber sie hat
verschlafen. Da ich schon unten im Coffee Shop war, als sie mich anrief, bin ich
einfach hergekommen.“
Josie war keine gute Lügnerin, und Eloise sah aus, als würde sie ihr nicht
glauben. Hastig wechselte sie das Thema.
„Soll ich Sie mit dem Bürgermeister verbinden?“
„Nein. Lassen wir ihn eine Weile schmoren.“
Zu Josies Erleichterung verschwand Eloise in ihrem Büro. Sie hatte ihre Chefin nicht anlügen wollen, denn Eloise war einer der freundlichsten und fürsorglichsten Menschen, die sie kannte. Aber sie hätte ihr wohl kaum erklären können, dass sie das Haus, in dem sie neuerdings wohnte, verlassen hatte, bevor sie eine Dummheit beging. Eine noch größere als die, zu der sie sich in der Nacht zuvor hatte hinreißen lassen. Dabei hatte sie gehofft, Michaels 24StundenSchicht dazu nutzen zu können, ihre außer Kontrolle geratene Fantasie wieder unter Kontrolle zu bekommen. Aber hatte sie das getan? Im Gegenteil. Denn auch wenn er nicht da war, war es noch immer sein Haus. Das Haus mit dem Treppengeländer, auf dem er nach unten gerutscht war, um sie abzufangen, damit sie nicht ging, nachdem sie zum ersten Mal miteinander geschlafen hatten. Mit dem Kühlschrank, vor dem er gehockt hatte, nur mit Shorts bekleidet, in das warme, gelbe Licht getaucht, nachdem er zum zweiten Mal mit ihr geschlafen hatte. Mit der Couch, auf die er sich am Sonntagabend geworfen hatte, um ihr zu zeigen, wie erschöpft er war. Nachdem sie öfter miteinander geschlafen hatten, als Josie sich merken konnte. Und dann war da noch sein Schlafzimmer, in dem sie drei Tage verbracht hatten. Das Schlafzimmer, das sie wie magisch angezogen hatte, als sie nicht schlafen konnte und rastlos durchs Haus streifte. Sie war nicht hineingegangen, sondern hatte in der offenen Tür gestanden, auf das Bett mit dem kakaofarbenen Tagesdecke gestarrt und jede Minute des gemeinsam verbrachten Wochenendes durchlebt. Jede Zärtlichkeit. Jeden Kuss. Nein, sie hatte sich nicht im Griff gehabt. Und deshalb war sie, als Michael an diesem Morgen nach Hause kam, unter die Dusche geeilt. Obwohl sie sich danach gesehnt hatte, ihn zu sehen und seine Stimme zu hören, hatte sie sich hastig angezogen und das Haus verlassen. Und deshalb war sie eine Stunde zu früh zur Arbeit erschienen. Aber all das konnte sie Eloise nicht gut erzählen. Michael war nicht zu Hause, als Josie von der Arbeit kam. Er hatte ihr jedoch eine Nachricht hinterlassen, dass er noch Besorgungen zu machen hätte. Sie fand das rücksichtsvoll. Und sie wehrte sich gegen die Enttäuschung, die sie beschlich, weil sie ihn noch immer nicht wiedersehen würde. Aber ich werde darüber hinwegkommen, dachte sie, während sie sich umzog und ein wenig mit Pip spielte, bevor sie ihn fütterte. Dann schrieb sie Michael, dass sie im Cafe Underground wäre, und verließ das Haus. Das besagte Cafe war der Coffee Shop an der Ecke. Am Dienstag war sie auf dem Heimweg dort vorbeigegangen und hatte bei einem Caffe Latte festgestellt, dass jeden Mittwoch ein FolkMusieAbend stattfand, bei dem jeder auf die kleine Bühne durfte. Sie hatte den Geschäftsführer davon überzeugt, dass ein Gedicht ins Programm passen würde. Nur eins. Nicht zu lang. Direkt vor der Pause. Darauf hatten sie sich geeinigt. Das Cafe war fast voll, als Josie dort eintraf. Sie suchte sich einen winzigen Ecktisch, bestellte einen Tee und machte es sich bequem, während der Geschäftsführer die erste Nummer ankündigte – ein Gitarrenduo. Die griechische Ballade, die das Duo zum Besten gaben, war gar nicht mal schlecht. Josie genoss die melancholische Musik und sah sich im Cafe um. Das
Publikum war bunt gemischt. Die Garderobe reichte von staubigen Overalls über
elegante Anzüge bis hin zu einem afrikanischen Turban aus farbenfrohen
Tüchern.
Kurz vor zehn trat der Geschäftsführer wieder ans Mikrofon und erzählte, dass
Josie ihn überredet hatte, eins ihrer Gedichte ins Programm aufzunehmen.
Es gab keine Buhrufe, sondern nur freundlichen Applaus, und Josies Nervosität
legte sich ein wenig.
„Hallo“, begrüßte sie ihr Publikum. „Dieses Gedicht heißt ,Beitrag’ und ist kurz.
Also werdet ihr nicht lange auf die Musik verzichten müssen.“
Die Gäste lachten freundlich, und Josie entspannte sich noch mehr.
Leider ging in diesem Augenblick die Tür auf, und Michael betrat das Cafe. Er
trug Jeans und ein grünes Polohemd. Ein Blick in ihre Richtung, ein kurzes
Winken mit der kräftigen Hand, und schon stiegen in ihrem Bauch die
Schmetterlinge auf.
Ihr blieb nichts anderes übrig, als die Aufregung zu ignorieren. „Beitrag“,
wiederholte sie und trug das Gedicht vor.
„Wir träumen jetzt für alle.
Das ist es, was uns bleibt.
Wir wandern, mit bloßen Füßen
auf einem Pfad aus Glas.
Wir sehen, und wir warten.
Der letzte Tropfen Regen
hängt an der Spitze
eines Blattes.
Wir träumen für uns.
Das ist es, was uns bleibt.
Ein warmes Feuer
flackert langsam auf
für alle.“
Sie machte eine kleine Pause. „Seht ihr? Das war doch gar nicht so schlimm,
oder?“
Alle lachten, und viele klatschten begeistert.
An Josies Ecktisch stieß Michael sogar einen Pfiff aus. Sie war ihm dankbar, aber
zugleich war es ihr auch ein wenig peinlich.
„Danke“, sagte sie ins Mikrofon und übergab es dem Geschäftsführer, der eine
fünfzehnminütige Pause ankündigte.
Als sie an ihren Tisch trat, applaudierte Michael leise.
Sie deutete einen Hofknicks an. „Hallo.“
„Schön. Sehr schön“, erwiderte er und nickte zur Bühne hinüber.
„Danke.“
Der Tisch war hoch, die Stühle daher auch. Also hatte Josie ein wenig Mühe, sich
wieder hinzusetzen, und dabei streifte ihr Knie Michaels Bein.
Die kurze Berührung reichte aus, ihren Schenkel kribbeln zu lassen, aber sie
versuchte, nicht daran zu denken. „Ich habe nicht erwartet, dich hier zu sehen.“
„Ich habe deine Nachricht gefunden und wollte unbedingt dein Gedicht hören“,
sagte er nur.
„Heißt das, du bist ein Fan?“ scherzte sie.
„Absolut. Seit ich dich zum ersten Mal gehört habe.“
„Jetzt, da du mich zum zweiten Mal gehört hast, noch dazu absichtlich, könntest
du mein größter Fan werden.“
„Kein Zweifel“, erwiderte er lächelnd.
Josie ignorierte seinen verführerischen Unterton. „Und wie fandst du das
Gedicht?“
„Ich mochte es. Ich habe es nicht verstanden, aber es hat mir gefallen.“
Sie lachte. „Soll ich es dir erklären?“
„Weil ich ein großer, ungehobelter Klotz bin, der von Poesie keine Ahnung hat?“
Michael ein großer, ungehobelter Klotz? Niemals!
„Ja“, sagte sie lächelnd, um ihn wissen zu lassen, dass sie es nicht ernst meinte.
„Nimm dich in Acht. Ich wollte dich nach Hause begleiten, aber wenn du dich
nicht benimmst, überlasse ich dich einfach den Wölfen.“
Eine Kellnerin erschien und fragte, ob Michael etwas bestellen und Josie noch
einen Tee wollte.
Sie lehnten beide ab.
„Du willst nicht mal einen Kaffee?“ fragte Josie, als die junge Frau davonging.
„Nein. Ich bin nur deinetwegen hier.“
Die Schmetterlinge in ihrem Bauch flatterten erneut auf.
„Ich hatte ohnehin vor, gleich nach meinem Auftritt nach Hause zu gehen. Ich
muss morgen arbeiten.“
„Dann bin ich ja gerade noch rechtzeitig gekommen“, bemerkte er und stand auf,
um ihren Stuhl festzuhalten, während sie her unter kletterte.
„Was für ein herrlicher Abend“, schwärmte sie, als sie das Cafe verließen.
Die Temperatur war ideal – nicht zu heiß, nicht zu kühl. Kein Lufthauch regte
sich. Der Vollmond schien vom sternenklaren Himmel. Frühes Herbstlaub driftete
von den Bäumen, die die Straße säumten.
„Sollen wir einen kleinen Umweg machen?“ schlug Michael vor.
„Gern.“
„Dann kann ich dir zeigen, wo der Deli ist.“
„Und ich dachte schon, du kannst dich noch nicht von mir trennen.“
Er lächelte nur, zeigte die Straße entlang und wartete darauf, dass Josie sich in
Bewegung setzte.
„Und wie bist du in deinem neuen Zuhause zurechtgekommen, während ich weg
war?“ fragte er, während sie gemächlich durch das Viertel schlenderten. „Hast du
mich vermisst?“
„Schrecklich“, erwiderte sie und ließ die Wahrheit wie eine Lüge klingen. „Und
du? Hast du mich auch vermisst?“
„Ja, das habe ich“, antwortete er ernst. „Ich musste während der Bereitschaft
dauernd an dich denken, und das hat mich eine Menge Geld gekostet.“
„Wie das denn?“
„Wir haben bis fast vier Uhr morgens gepokert, und da du mir nicht aus dem
Kopf gingst, konnte ich mich nicht auf meine Karten konzentrieren.“
„Was hast du gedacht?“ fragte sie und bereute es sofort. Es klang, als würde sie
mit ihm flirten.
„Nichts Besonderes.“
„Gute Sachen? Schlechte Sachen? Zum Beispiel, dass du unsere Verlobung lösen
und mich aus dem Haus werfen willst?“
Er runzelte die Stirn. „Warum sollte ich das tun wollen?“
„Oh, ich weiß nicht. Vielleicht ist es dir mit mir zu kompliziert oder unbequem.“
„Hast du dir darüber die ganze Nacht den Kopf zerbrochen?“ fragte er.
„Nein“, log sie matt.
Michael ließ sich nicht täuschen. „Als ich zur Arbeit war, hast du nicht daran
gedacht, deine Sachen zu packen und zu verschwinden?“
„Du musst zugeben, dass die Situation kompliziert ist.“
„Und unbequem?“
„Lass uns über etwas anderes reden“, bat Josie.
„Ist sie deshalb für dich so kompliziert und unbequem, weil du verrückt nach
meinem Körper bist?“ fragte er belustigt und irgendwie wirkte es nicht
eingebildet, sondern charmant.
Sie seufzte. „Lass und über etwas anderes reden“, sagte sie zum zweiten Mal und
wechselte das Thema. „Wenn du Poker gespielt hast, muss es eine ruhige Nacht
gewesen sein.“
„Zum Glück. Es bedeutet, dass niemand sein Hab und Gut verloren hat oder zu
Schaden gekommen ist. Außerdem wäre ich für meine Kollegen keine große Hilfe
gewesen. Vielleicht hätte ich sie sogar in Gefahr gebracht, weil ich mit den
Gedanken ganz woanders war“, antwortete er und kehrte damit geschickt zum
Ausgangspunkt ihres Gesprächs zurück.
Josie schnappte nicht nach dem Köder.
„Das muss der Deli sein, von dem du gesprochen hast“, bemerkte sie
stattdessen, als sie das Schild mit der Aufschrift Pomeranski’s Delikatessen
entdeckte.
„Ist es“, bestätigte er.
Er zeigte ihr die Bäckerei daneben und die Bar auf der anderen Straßenseite, in
der es angeblich die besten Zwiebelringe der Welt gab.
„Warum bist du Feuerwehrmann geworden?“ fragte sie, als sie weitergingen.
„Mein Dad war bei der freiwilligen Feuerwehr, und ich glaube, als ich ihn das
erste Mal mit seiner Ausrüstung sah, wusste ich, dass ich auch zur Feuerwehr
wollte.“
„Was hat er beruflich gemacht?“
„Er hat in der Verwaltung einer Versicherungsgesellschaft gearbeitet. Aber ihm
war wichtig, dass er der Gemeinschaft etwas zurückgeben konnte. Ich war sehr
stolz auf ihn.“
„Wie alt warst du, als er starb?“ fragte Josie. Sie wusste nur, dass sein Vater
nicht mehr lebte, wusste aber nicht, wann oder unter welchen Umständen er
gestorben war.
„Zwölf. Er kam in einem brennenden Bürogebäude um.“
Das überraschte sie. „Wirklich?“
Michael sah sie an. „Der Boden gab nach, und er stürzte ab.“
„Das tut mir Leid.“
„Wenigstens hatte ich noch meine Mutter und meine Schwester“, erwiderte er.
„Obwohl du deinen Dad auf so tragische Weise verloren hast, wolltest du noch
immer Feuerwehrmann werden?“ fragte sie erstaunt.
„Ja, meine Mom fand das auch verrückt. Aber ich glaube, es lag mir im Blut.“
„Du warst stolz auf deinen Dad gewesen, also wolltest du so sein wie er.“
„Als Kind schon. Aber als ich mich nach dem College und der Nationalgarde für
einen Beruf entschieden habe, hatte ich einen anderen Grund. Ich glaube daran,
dass man etwas für die Gesellschaft tun muss. Auch wenn das für manche Leute
kitschig klingt.“
„Für mich nicht“, erwiderte Josie, denn sie hatte gerade noch etwas über ihn
erfahren, was sie beeindruckte.
Kurz darauf stiegen sie die Stufen zu seinem Haus hoch. Er schloss die Tür auf
und ließ ihr den Vortritt.
Pip musste sie gehört haben, denn kaum hatten sie die Schwelle überschritten,
stürzte er sich auf sie, um sie freudig zu begrüßen. Er sprang an ihnen hoch,
leckte ihnen winselnd Wangen und Ohren ab.
Anders als viele Leute, die Josie kannte, wich Michael nicht erschreckt oder
angewidert zurück, sondern tätschelte den großen Hund, bevor er Pips Plüschtier
durchs Wohnzimmer warf, damit er von ihnen abließ.
Josie schaltete das Licht ein und sah, dass Pip Michaels Kragen zerzaust hatte.
„Lass mich den Schaden beseitigen, den mein Hund angerichtet hat“, sagte sie
und ging zu ihm, um den Kragen wieder nach unten zu klappen.
„Warte“, entgegnete er. „Du bist gerade dabei, einen Ohrring zu verlieren.“
„Pip?“
„Bestimmt“, sagte er und tastete nach dem Haken und den drei glänzenden
Perlen, die an ihrem Ohrläppchen baumelten.
Doch als er damit fertig war, nahm er die Hand nicht fort, sondern legte sie an
ihren Hals, während ihre Blicke wie von selbst zu verschmelzen schienen. Die
Wärme seiner Berührung strömte durch ihren ganzen Körper.
Das reicht, genug! Geh auf Abstand, befahl sie sich.
Aber ihre Beine ignorierten das Kommando. Also blieb Josie, wo sie war, und
starrte in seine strahlend grünen Augen.
Und dann richtete er den Blick auf ihren Mund.
Er wird mich küssen…
Er wird mich küssen…
Bitte, küss mich…
Und er tat es.
Es war ein zärtlicher, fast züchtiger Kuss, nicht zu vergleichen mit den wilden,
leidenschaftlichen Küssen des gemeinsam verbrachten Wochenendes. Aber
irgendwie hatte diese kurze, leichte Berührung etwas ganz Besonderes.
Und genau deshalb war Josie enttäuscht, dass sie nicht länger dauerte.
Michael wich nicht zurück, er straffte sich nur, und das vergrößerte die Distanz
zwischen ihnen um einige Zentimeter.
Aber er lächelte. Verschmitzt.
„Das haben wir noch nie getan, nicht wahr?“ fragte er.
Litt sie unter Gedächtnisverlust? Sie hatten sich öfter geküsst, als sie zählen
konnte. „Was haben wir noch nie getan?“ fragte sie verwirrt nach.
„Etwas so Beherrschtes.“
Sie musste lächeln. „Nein.“
„Aber vermutlich hätte ich es trotzdem nicht tun dürfen, was?“
„Nun ja, es war mehr als ein freundliches Händeschütteln.“
„Und mehr als ein Kuss, den ich meiner Mutter oder Schwester geben würde.“
„Nein, wir hätten es nicht tun dürfen“, stimmte Josie ihm zu. Aber nur
halbherzig.
Noch immer standen sie so dicht einander gegenüber, dass sie seine Hitze fühlen
konnte. Und die Spannung, die plötzlich in der Luft lag.
„Du hast morgen wieder eine 24StundenSchicht, nicht wahr?“ fragte sie
atemloser, als ihr lieb war.
„Ja.“
„Dann sehen wir uns am Freitag.“
„Das werden wir.“
Endlich gelang es ihr, sich auf dem Absatz umzudrehen und aus dem Kraftfeld zu
entkommen, das sie festgehalten hatte.
„Ich lasse nur rasch Pip in den Garten, dann gehe ich zu Bett“, verkündete sie,
als wäre gar nichts passiert.
„Geh ruhig. Ich glaube, ich brauche noch etwas frische Luft, also werde ich mich
um Pip kümmern und ihm ein paar Bälle zuwerfen.“
„Okay. Er findet allein ins Bett. Danke.“
„Wofür?“
„Dafür, dass du mit Pip spielst“, erwiderte sie und ging zur Treppe. „Dann bis
Freitag.“
Noch bevor sie die Treppe erreichte, ließ Michaels Stimme sie stehen bleiben.
„Weißt du, ich habe selbst einige Probleme mit dem hier.“
Sie warf ihm einen fragenden Blick zu.
„Na ja, das mit der komplizierten und unbequemen Situation“, erklärte er.
„Obwohl ich finde, dass ,unangenehm’ es besser trifft.“
„Unangenehm? Ich bereite dir Schmerzen?“
Er lächelte. „Gewaltige sogar“, bestätigte er, und sein Tonfall verriet ihr, was er
meinte: das erotische Knistern zwischen ihnen. Und das Verbot, es auszuleben.
„Also möchtest du, dass ich wieder ausziehe?“ fragte sie.
Er schüttelte den Kopf.
„Dann benimm dich ab jetzt“, verlangte Josie, als wäre sie selbst ein Vorbild an
Zurückhaltung gewesen.
„Versprochen“, erwiderte er.
„Gut.“
Dann ging sie nach oben und kam sich wie eine Heuchlerin vor.
Denn Michaels Versprechen, sich ab jetzt zu benehmen, war nicht das, wonach
sie sich tief in ihrem Innersten sehnte.
Was sie wirklich wollte, war ein ganz anderes Versprechen.
Das, das seine Lippen auf ihren abgegeben hatten…
5. KAPITEL „Ich habe gesagt, Sie müssen warten, und genau das werden Sie tun. Ich sage
Ihnen Bescheid, sobald Eloise Zeit für Sie hat.“
„Sind wir heute ein wenig nervös?“
Josie hatte ihre Tasche geholt. Als sie gegen halb zwölf am Freitagvormittag an
ihren Schreibtisch zurückkehrte, bekam sie den hitzigen Wortwechsel zwischen
Allison Baker und einer Reporterin gerade noch mit.
Die Reporterin war eine Stunde zuvor unangemeldet aufgetaucht, um Eloise zu
interviewen.
„Bestimmt dauert es nur noch ein paar Minuten. Ich bin gerade an Eloises Büro
vorbeigekommen, und sie war dabei, sich von ihrem Besuch zu verabschieden“,
informierte Josie die Journalistin, denn sie durften es sich mit der Presse nicht
verderben.
„Mehr wollte ich nicht wissen“, erwiderte die Reporterin herablassend und kehrte
auf ihren Stuhl im Warteraum zurück.
Josie drehte sich zu Allison. „Macht es dir wirklich nichts aus, mich hier am
Empfang zu vertreten? Ich weiß, du hast viel zu tun. Ich kann meine
Verabredung auf einen Tag verschieben, an dem Leah hier ist.“
„Es ist doch nur eine halbe Stunde“, erwiderte Allison scharf. „Keine große
Sache.“
Vielleicht war Allison tatsächlich ein wenig nervös.
„Geht es dir gut?“ fragte Josie vorsichtig.
„Mir gehen nur ein paar Dinge durch den Kopf.“
„Möchtest du darüber reden?“
„Nein. Ich weiß, ich bin heute etwas gereizt, aber ich kann nicht darüber
sprechen. Geh schon.“
„Bist du sicher?“
„Absolut.“
„Okay“, gab Josie nach. „Aber ich bin in deinem Lieblingsrestaurant verabredet.
Wie wäre es, wenn ich dir ein Stück von der leckeren Schokoladentorte
mitbringe?“
Allison lachte matt. „Na gut.“
Josie legte den Arm um ihre Kollegin und drückte sie. „Großartig. Halt einfach
durch, bis ich mit dem Allheilmittel aus Schokolade zurückkomme.“
„Ich werde es versuchen.“
Josie verließ das Gebäude und hoffte inständig, dass sie keinen Fehler machte.
Sie ließ sich nicht nur von Allison vertreten, die heute nicht in bester Verfassung
war, sie traf sich auch noch mit Elsa Dunnigan – Michaels Mutter.
Elsa hatte sie vorhin angerufen und gesagt, dass sie einen Termin in Manhattan
habe. Ob Josie sich mit ihr zum Mittagessen treffen würde? Einen Grund hatte sie
nicht genannt.
Als Josie kurz darauf das kleine Restaurant betrat, saß Elsa bereits an einem der
Tische, die im Halbkreis vor dem Tresen standen, und winkte ihr zu.
„Hallo“, begrüßte Josie sie. „Tut mir Leid, dass ich zu spät komme. Ich hoffe, du
hast nicht zu lange gewartet.“
„Ich bin froh, dass du überhaupt kommen konntest.“ Elsa nippte an ihrer fast
leeren Kaffeetasse.
Josie setzte sich ihr gegenüber hin. Sie brauchte nicht in die aufgeschlagene
Speisekarte sehen, denn sie wusste, was es gab. Als die Kellnerin kam, bestellten
sich beide etwas.
„Was führt dich nach Manhattan?“ fragte Josie. „Shopping? Ein Termin?“
Elsa lächelte verlegen. „Das habe ich mir nur ausgedacht.
Dass ich nach Manhattan muss, meine ich. In Wirklichkeit wollte ich dich sehen.“
„Dazu hättest du dir keine Ausrede ausdenken müssen.“
„Wärest du auch so gekommen?“
„Natürlich. Es ist schön, dass du mit mir essen willst.“
„Dann werde ich das nächste Mal ehrlich sein“, sagte Michaels Mutter erfreut.
Sie hatten beide Sandwichs bestellt, und die Kellnerin servierte das Essen,
komplett mit Kartoffelsalat, Josies Mineralwasser und frischem Kaffee für Elsa.
„Ich dachte mir, wir könnten über die Hochzeit reden“, begann Michaels Mutter
anschließend.
Das hatte Josie nicht erwartet. „Dazu ist es noch zu früh.“
„Oh, dazu ist es nie zu früh. Selbst wenn ihr erst in einem Jahr heiratet.“
Eigentlich hatte Michael ihr unmissverständlich erklärt, dass es bis dahin noch
länger dauern würde. Offenbar zog seine Mutter es vor, seine Worte zu
ignorieren.
„Wirklich, Elsa, es ist viel zu früh, daran zu denken, geschweige denn, darüber zu
sprechen“, wandte Josie ein.
Elsa Dunnigan machte eine wegwerfende Handbewegung, während sie mit der
anderen Hand einen Bissen Kartoffelsalat auf die Gabel spießte.
„Ich weiß, was Michael gesagt hat. Aber so sind die Männer. Wenn es ums
Heiraten geht, brauchen sie einen kleinen Anstoß. Wenn wir beide einen Termin
festlegen und du ihm sagst, dass du dann heiraten willst,* wird er einverstanden
sein. Glaub mir. Mir ist nicht entgangen, wie er dich angesehen hat. Du kannst
ihn dazu bringen, alles zu tun, was du willst.“
Das war für Josie der zweite Schock an diesem Tag. „Das bildest du dir nur ein“,
platzte sie heraus.
„Ich bilde mir gar nichts ein“, beharrte Elsa. „Ich kenne meinen Sohn. So wie bei
dir habe ich ihn noch bei keiner Frau erlebt. Für dich würde er von einer Klippe
springen.“
Offenbar war Michael ein noch besserer Schauspieler, als Josie angenommen
hatte. „Ich bin diejenige, die eine lange Verlobungszeit will“, erklärte sie.
„Michael und ich sind uns doch gerade erst begegnet. Na schön, wir haben uns
spontan verlobt und sind sogar zusammengezogen. Trotzdem müssen wir uns
erst richtig kennen lernen, bevor wir von einer Hochzeit auch nur reden.“
„Nicht von einer Hochzeit, von eurer Hochzeit“, verbesserte Elsa. „Und es dauert
einige Zeit, sie zu planen. Du und ich und Cindy, wir müssen dir ein Brautkleid
auswählen. Wir müssen Hochzeitstorten probieren und den Partyservice buchen.
Es wird Stunden dauern, in Fachzeitschriften nach Ideen für den Blumenschmuck
und die andere Dekoration zu suchen. Und dann die Trauung selbst. Ich weiß
nicht, was du dir vorstellst, aber ich finde es immer schön, wenn sie unter einem
Bogen stattfindet. Ein weißer Bogen mit Blüten und Efeu und…“
„Warte, warte“, unterbrach Josie sie lachend. Wären Michael und sie wirklich
verlobt, wäre es schön, mit seiner Mutter Pläne zu schmieden. Aber sie waren es
nicht, daher durfte sie Elsa nicht weitermachen lassen.
„Bitte, Elsa, dazu ist es viel zu früh. Michael und ich sind noch lange nicht so
weit. Ich weiß ja nicht mal, was für eine Torte er mag.“
„Schokolade“, erklärte Elsa, als wären damit alle Probleme gelöst.
„Okay. Trotzdem müssen er und ich uns erst viel besser kennen lernen. Genau
wie wir beide.“
„Ich weiß schon, dass ich dich mag. Der Rest kommt mit den Jahren.“
„Siehst du? Mit den Jahren – wir haben also jede Menge Zeit. Kein Grund zur
Eile.“
Elsa hatte ihr Sandwich halb aufgegessen und schob den Teller fort. „Weißt du,
ich war nicht sicher, ob Michael jemals die Richtige finden würde. Er hat sich
immer mit Händen und Füßen gegen eine feste Beziehung gewehrt. Ich hatte
immer gehofft, dass er gesehen hat, wie glücklich sein Vater und ich waren, und
dass er so etwas auch für sich wollen würde. Aber aus irgendeinem Grund wollte
er es nie.“
„Michael hat mir erzählt, wie sein Vater gestorben ist“, gab Josie zu bedenken.
„Das allein beweist, wie nahe er dir schon ist. Er redet sonst nie über seinen
Dad“, erwiderte Elsa. „Es war schwer für uns alle. Die Kinder haben ihren Vater
verloren. Und ich einen Mann, der mehr als mein Ehepartner war. Er war mein
bester Freund. Mein Seelengefährte…“
„Wie lange wart ihr verheiratet?“
„Fünfzehn Jahre. Aber davor waren wir bereits fünf Jahre zusammen. Seit der
siebten Klasse.“
„Das ist erstaunlich.“
„Ist es. War es“, stimmte Elsa zu, und ihr Blick wurde abwesend. Dann
konzentrierte sie sich wieder auf Josie. „Zwischen dir und Michael kann es
genauso sein wie zwischen seinem Vater und mir.“
„Oh, ich weiß nicht“, wehrte Josie ab.
„Nein, wirklich. Ihr beide passt einfach zusammen, das spüre ich. Ich war immer
überzeugt, dass der Tod seines Vaters bei Michael eine Narbe hinterlassen hat,
die ihn davon abhält, sich an eine Frau zu binden. Bis jetzt. Was er bei dir
gefunden hat, muss tiefer gehen als die alte Wunde.“
Josie fühlte sich schlecht. Aber was konnte sie tun? Sie konnte das, was Elsa
glaubte, nicht widerlegen, ohne sich und Michael als Lügner zu enttarnen.
Also schlug sie einen anderen Kurs ein.
„Erzählen Sie mir von Michaels Vater“, bat sie.
„Mein Mike war einzigartig. Ein wunderbarer Mann“, antwortete Elsa mit
verträumter Stimme.
Sie beschrieb ihren verstorbenen Ehemann in allen Einzelheiten, und Josies
Hoffnung ging in Erfüllung: Elsa verlor sich in ihren Erinnerungen und hörte
endlich auf, ihre Ehe mit Josies Beziehung zu Michael zu vergleichen.
Fast schämte Josie sich dafür, dass Elsa ihr das alles anvertraute. Schließlich
glaubte Michaels Mutter, mit ihrer zukünftigen Schwiegertochter zu reden. Aber
zugleich fühlte Josie sich geehrt.
Und dann war ihre Mittagspause vorbei, und sie musste wieder zurück zur Arbeit.
Elsa bestand darauf, die Rechnung zu bezahlen, und unternahm einen letzten
Versuch, einen Hochzeitstermin festzulegen. Josie gab vor, in Eile zu sein, und
flüchtete aus dem Restaurant.
Doch auf dem Rückweg musste sie die ganze Zeit an das denken, was Elsa über
ihren Mann gesagt hatte. Es war achtzehn Jahre her, dass sie ihn verloren hatte,
aber sie liebte ihn noch immer.
Josie fragte sich, ob sie selbst jemals eine solche Liebe fühlen würde.
Andererseits wusste sie, wie gefährlich es war, sich derartige Gefühle zu
gestatten – nur um irgendwann alles wieder zu verlieren. Was Elsa ihr erzählt
hatte, bestätigte sie darin, dass das Risiko einfach zu groß war.
„Ich wusste nicht, ob du hier sein würdest oder nicht“, sagte Josie zu Michael, als
sie an diesem Abend von der Arbeit nach Hause kam.
Sie hatte ihn am Wohnzimmerfenster gesehen, als sie die Stufen heraufkam. Er
war zur Tür geeilt, um ihr zu öffnen.
„Wo sollte ich denn sein?“ fragte er, als sie eintrat.
„Eine Verabredung vielleicht?“ entgegnete Josie, während sie ihre Tasche
ablegte, nicht jedoch die Videokassette, die sie ausgeliehen hatte, und die
Papiertüte mit dem Essen aus einem Restaurant auf dem Weg.
„Nein, kein Date“, erwiderte Michael.
Und das erklärte auch, warum er alte Jeans und ein schlichtes weißes TShirt
trug – nicht gerade das Outfit für einen romantischen Abend. Obwohl er auch
darin großartig aussah, denn es betonte die schmalen Hüften und den
muskulösen Oberkörper.
„Ich habe auf dich gewartet“, fuhr er fort. „In der Hoffnung, dass du heute Abend
ebenfalls nichts vorhast.“
„So?“ Seine Worte klangen so einfach und unkompliziert, ganz anders als das,
was sie in diesem Moment in Josie auslösten. Dass er den Abend mit ihr
verbringen wollte, ließ ihr Herz schneller schlagen.
„Ich habe am Wochenende eine Doppelschicht“, sagte er. „Das bedeutet, ich
gehe morgen früh aus dem Haus und komme erst am Montagmorgen wieder.“
Diese Nachricht ließ Josies Stimmung abkippen, aber es erklärte nicht, warum er
gehofft hatte, dass sie an diesem Abend zu Hause bleiben würde.
„Falls du befürchtest, dass ich einen Haufen Leute eingeladen habe und du nicht
schlafen kannst, keine Angst“, beruhigte sie ihn, noch immer neugierig auf seine
Beweggründe.
„Das befürchte ich nicht, nein. Ich wollte dich nur sehen, bevor ich so lange fort
bin“, erklärte er.
Sie befanden sich auf sehr dünnem Eis, wenn einer von ihnen so etwas zugab.
Trotzdem freute Josie sich über seine Offenheit. „Also? Hast du ein Date?“ fragte
er.
„Nein. Es war eine anstrengende Woche. Ich dachte mir, ich gönne mir einen
ruhigen Abend, esse mein chinesisches Gericht und sehe mir einen Videofilm an.“
Sie hielt die Papiertüte hoch. „Ich habe genug für zwei, falls du auch Hunger
hast.“
Sie hatte absichtlich mehr mitgebracht, als sie essen konnte, denn es wäre
unhöflich gewesen, ihn nicht einzuladen. Aber wenn sie ehrlich war, hatte sie
mehr bestellt, weil sie gehofft hatte, es mit ihm teilen zu können. Obwohl ihr klar
war, dass es vernünftiger wäre, sich von ihm fern zu halten.
„Was hast du geholt?“ fragte er interessiert und sah auf die Tüte.
„SalatWraps. KrabbenWontons. Mongolisches Rindfleisch und Shrimps in
OrangenHonigTeig.“
„Und der Film?“
Sie gab ihm die Videokassette. Es war ein alter Film. Eine romantische Komödie
über zwei Menschen, deren Wege sich mehrfach kreuzten, bevor sie endlich
Freunde wurden und sich schließlich ineinander verliebten.
„Chinesisches Essen und ein schnulziger Film“, meinte Michael, nachdem er die
Inhaltsangabe überflogen hatte. Aber er sagte es mit einem Lächeln, das sein
markantes, frisch rasiertes Gesicht aufleuchten ließ. „Den kenne ich noch nicht.
Also bin ich dabei, wenn du nichts gegen meine Gesellschaft hast.“
„Gesellschaft ist immer gut.“ Es sei denn, der Mann, der sie ihr leistete, ließ ihr
Herz schneller schlagen. Oder er war genau der, den sie nicht mehr aus dem
Kopf bekam. Eine solche Gesellschaft gehörte eher in die Kategorie „gefährlich
leben“.
Das sagte sie jedoch nicht.
„Möchtest du dich umziehen, bevor wir essen?“ fragte Michael.
„Ein lockerer Freitagabend, um das Wochenende einzuläuten. Das heißt, ich ziehe
mich um, wir legen den Film ein und essen vor dem Fernseher aus den Kartons.“
Wieder lächelte Michael. „Gute Idee.“
Während Josie ebenfalls Jeans und ein TShirt anzog – eins, das ihre Figur betonte –, befahl sie sich, diesen Abend nicht zu stark zu bewerten. Michael wollte nur deshalb nicht ausgehen, weil er eine 48StundenSchicht vor sich hatte. Und da er ohnehin zu Hause sein würde, brauchte er jemanden, mit dem er sich die Zeit vertreiben konnte. Da war ihm jeder recht. Ein Freund, ein Mitbewohner. Und zufällig teilte sie das Haus mit ihm. Die gute, alte Mitbewohnerin, die mehr mitbrachte, als sie essen konnte. Mehr hatte dieser Abend nicht zu bedeuten. Sie fuhr sich mit dem Kamm durchs Haar, puderte sich die Nase und erneuerte
das Lipgloss.
Und sie versuchte, sich gegen die Vorfreude auf einen Abend zu wehren, den sie
ganz allein mit Michael verbringen würde…
Es war einer von Josies Lieblingsfilmen. Sie hatte ihn schon ein halbes Dutzend
Mal gesehen. Aber ihn mit jemandem anzuschauen, der ihn noch nicht kannte,
machte den Abend noch vergnüglicher.
Oder lag es daran, dass sie neben Michael auf der Couch saß?
Woran auch immer… Als sie alles aufgegessen hatten und der Film zu Ende war,
hatte Josie nicht die geringste Lust, in ihr Zimmer zu gehen. Also wartete sie, bis
Michael den Fernseher und den Videorekorder ausgeschaltet und sich wieder
hingesetzt hatte, zog ein Bein aufs Polster und drehte sich zu ihm.
„Ich habe heute mit deiner Mutter zu Mittag gegessen“, erzählte sie.
„Oh, das klingt nicht gut“, erwiderte er ernst.
Sie lachte. „So schlimm war es gar nicht.“
Er wirkte nicht überzeugt. „Wie hat sich das denn ergeben?“ wollte er wissen.
„Sie hat mich heute Morgen bei der Arbeit angerufen und gesagt, dass sie
ohnehin in Manhattan sein wird und gern mit mir zu Mittag essen würde.“
„Dass sie in Manhattan sein wird?“ wiederholte Michael misstrauisch. „Wozu das
denn?“
„Ich weiß, sie hat so getan, als hätte sie einen ganz anderen Grund, nach
Manhattan zu kommen. Aber dann hat sie zugegeben, dass es gar keinen gab.“
„Lass mich raten. Sie wollte mit dir essen, um dich dazu zu drängen, einen
Hochzeitstermin festzulegen.“
„Und mit den Vorbereitungen zu beginnen“, ergänzte Josie.
Er verdrehte die Augen. „Sie ist unmöglich.“
„Es war okay. Ich habe die Klippe umschifft. Ich bin einfach dabei geblieben,
dass wir beide uns erst richtig kennen lernen wollen und noch lange nicht so weit
sind, einen Termin festzulegen oder gar konkrete Pläne zu schmieden.“
„Hat sie es akzeptiert?“ fragte er, als würde er die Antwort bereits kennen.
„Nein. Irgendwann habe ich nachgegeben. Wir heiraten morgen in einer Woche“,
sagte sie, ohne eine Miene zu verziehen.
Michael fiel nicht darauf rein und lächelte.
„Sie musste es akzeptieren, weil ich ihr keine andere Wahl gelassen habe“,
erklärte Josie.
„Sei gewarnt, das war nur der erste Angriff. Wie ich meine Mutter kenne, wird sie
ab jetzt wie eine kaputte Schallplatte sein. Wahrscheinlich wirst du mich bald um
eine Gefahrenzulage bitten.“
„Ist schon in Ordnung. Ich mag deine Mom wirklich.“
Das schien ihn zu überraschen. „Im Ernst?“
„Ja. Sicher, sie ist anstrengend, aber nie gerissen oder hinterhältig. Es war ein
gutes Gefühl, eine Mom zu haben, die zwar nicht meine eigene ist, aber voller
Begeisterung für mich die Brautmutter abgibt. Auch wenn ich nie wirklich eine
Braut sein werde. Vergiss nicht, ich habe keine Mutter mehr, seit ich ein kleines
Kind war. Und da kommt deine Mom, nimmt mich unter ihre Fittiche und
behandelt mich, als würde ich schon zur Familie gehören. Ich fand das sehr
nett.“
„Ich habe nie behauptet, dass sie nicht nett ist“, betonte Michael. „Nur
aufdringlich.“
Josie musste wieder lachen. „Das ist sie. Aber nur weil sie dein Bestes will – oder
zumindest das, was sie dafür hält. Sie liebt dich und will niemandem wehtun. Ich
finde das süß.“
Michael lächelte. „Ich bin froh, dass du es so siehst. Ich kenne viele Leute, die
das nicht tun würden. Und die all diese taktischen Spielchen meiner lieben Mutter
überhaupt nicht tolerieren würden.“
„Also macht es dir nichts aus, sie ein wenig mit mir zu teilen?“
Verblüfft sah er sie an. „Nein, es macht mir nichts aus. Ich finde es großartig.
Ehrlich gesagt, ich bin dir sogar dankbar dafür. Ich liebe sie, und sie ist mir
wichtig. Leider kann sie einem manchmal auf die Nerven gehen.“ Er lachte. „Dass
du sie magst und ihr nicht aus dem Weg gehen willst, macht die ganze Situation
wesentlich leichter.“
„Sie hatte auch ein paar Dinge über dich zu sagen“, erzählte Josie ihm. Elsa
Dunnigans Bemerkungen hatten sie neugierig gemacht, und sie hoffte, etwas
mehr über Michael zu erfahren.
Er drehte sich noch weiter zu ihr und legte einen Arm auf die Rückenlehne. „Was
hat sie denn gesagt?“
Josie entschied sich, ihm nicht zu erzählen, was seine Mutter darüber gesagt
hatte, wie er sie ansah und welche Ähnlichkeiten es angeblich zwischen ihrer
Beziehung und der seiner Eltern gab. „Deine Mom versteht nicht, wie du sie und
deinen Dad zusammen erleben konntest und trotzdem nicht so etwas für dich
selbst haben willst. Warum du jeder ernsthaften Beziehung mit einer Frau
ausgewichen bist.“ Sie zögerte einen Moment. „Bist du tatsächlich jeder
ernsthaften Beziehung ausgewichen?“
„So ziemlich“, gab er zu. „Ich hatte immer nur kurze Beziehungen.“
„Also hat sie Recht. War das immer Absicht?“
„Ja. Sobald es danach aussah, dass es für mich – oder die Frau – zu ernst wurde,
habe ich Schluss gemacht.“
Als sie sich nach ihrem gemeinsamen Wochenende darauf geeinigt hatten, nicht
mehr daraus zu machen, hatte Josie seine Einstellung einfach akzeptiert. Sie
hatte nicht geahnt, dass diese Haltung tiefere Gründe hatte. Jetzt wusste sie es.
„Du beendest eine Beziehung immer, sobald einer von euch Gefühle entwickelt,
die über ein flüchtiges Abenteuer hinausgehen?“ fragte sie nach, um sicher zu
sein, dass sie ihn richtig verstanden hatte.
„Immer“, bestätigte er.
„Warum tust du das?“ fragte sie ohne jeden Vorwurf, nur aus Neugier.
Michael ließ sich mit der Antwort Zeit. Josie dachte schon, er würde ihr seine
Motive ebenso verheimlichen wie seiner Mutter.
„Meine Eltern haben eine erstaunliche Beziehung geführt“, begann er schließlich.
„Sie waren wild nacheinander, und immer war jeder für den anderen da. Ein
Team im besten Sinne des Wortes. Leidenschaftlich verliebt. So heiß aufeinander,
dass es mir als Kind manchmal peinlich war. Es war einfach unglaublich.“
„Aber eben nichts, was du für dich selbst wolltest?“ beharrte Josie, weil er ihre
Frage noch nicht beantwortet hatte.
„Im Gegenteil – es ist genau das, was ich für mich wollte. Etwas, was ich noch
immer will.“
„Aber nur mit einer Frau, die du dir ausgesucht hast, und nicht deine Mutter?“
folgerte Josie und versuchte zu verstehen, was bisher noch keinen Sinn zu ergeben schien. „Wer die Frau auswählt, spielt keine Rolle. Hauptsache, sie ist die Richtige. Zur richtigen Zeit.“ „Wieso hört sich das dann an, als wäre die ,richtige Zeit’ für dich genauso bedeutsam wie die Frau selbst?“ fragte sie erneut nach. Josie wollte mehr über seine Persönlichkeit erfahren und hatte das Gefühl, dass seine Einstellung zu Beziehungen einen großen Teil davon ausmachte. Offenbar einen so großen, dass er auch dieses Mal nicht sofort antwortete, sondern ins Leere starrte und das Schweigen noch länger dauerte. „Ich werde nicht heiraten oder Kinder haben, bevor ich in Rente gehe.“ Einen Moment lang glaubte Josie, dass er nur einen Scherz machen wollte. Doch dann registrierte sie, dass seine Miene dazu viel zu ernst war. „Ich kenne Leute, die warten wollen. Aber meinst du nicht, deine Wartezeit ist ein wenig zu lang?“ fragte sie und versuchte, unbeschwert zu klingen, um ihn ein wenig aufzuheitern. „Sie ist nicht so lang, wie es sich anhört“, erwiderte er. „Ich kann nach fünfundzwanzig Dienstjahren bei der Feuerwehr ausscheiden. Dann bin ich siebenundvierzig. Zugegeben, das ist ziemlich alt, um zu heiraten und eine Familie zu gründen, aber für mich geht es nur dann oder gar nicht.“ „Warum?“ fragte Josie zum wiederholten Mal. „Ich habe meinen Vater bei einem Brand verloren, schon vergessen?“ erinnerte er sie, als wäre die Erklärung damit offensichtlich. „Ich habe dir erzählt, dass ich immer wusste, dass ich zur Feuerwehr will. Aber ich wusste auch, dass mein Traumberuf ein Risiko mit sich bringt. Mir könnte das Gleiche zustoßen wie meinem Dad. Ich könnte eine Frau und Kinder allein zurücklassen, und sie müssten das durchmachen, was meine Mutter, Cindy und ich durchgemacht haben. Also habe ich eine Entscheidung getroffen. Wenn ich dieses Risiko eingehe, kann ich es nur allein, nur für mich tun.“ „Und von dieser Entscheidung weiß deine Mutter nichts?“ wollte Josie wissen, denn eigentlich war das etwas, was Elsa respektieren sollte. „Ich habe mal versucht, es ihr zu erklären. Aber sie wollte nichts davon hören. Sie meinte, die Zeit mit meinem Dad – so kurz sie auch gewesen war – sei das Risiko, ihn zu verlieren, immer wert gewesen. Und dann machte sie so weiter wie immer, bis ich mit jeder Frau in ihrem Bekanntenkreis ausgegangen war.“ „Sie hat dich nicht ernst genommen?“ Er jedenfalls meinte es ernst, das stand fest. „Sie wollte es nicht hören, also hat sie es ignoriert.“ „Aber für dich ist dein Entschluss unumstößlich?“ „Ja“, sagte Michael. „Und der Anschlag auf das World Trade Center hat mich darin bestätigt. Ich habe zu viele Ehefrauen und Kinder von Polizisten und Feuerwehrmännern gesehen, die den Mann und Vater verloren haben und allein weiterleben müssen. Vielleicht hatte ich vorher manchmal Zweifel an meiner Entscheidung, aber seitdem nicht mehr. Frau und Kinder zu haben ist mit meinem Beruf absolut unvereinbar. Es wäre nicht richtig, das Risiko auch für andere einzugehen. Es wäre nicht fair.“ „Hast du mit deiner Mom darüber gesprochen?“ „Nein. Wozu? Sie hätte mir nicht mal zugehört. Sie bekommt es einfach nicht aus ihrem Kopf, dass ich heiraten und eine Familie gründen muss. Sofort. Denn das will sie unbedingt.“ „Irgendwie habe ich das Gefühl, dass deine Mutter glaubt, du wärest über den Tod deines Vaters noch nicht hinweg. Vielleicht denkt sie, dass du deshalb keine
ernsthafte Beziehung willst.“ „Wenn sie das denkt, ist sie verrückt“, entgegnete Michael. Aber er sagte es so rasch und heftig, dass Josie sich fragen musste, ob seine Mutter mit ihrem Verdacht nicht doch zumindest teilweise richtig lag. „Andererseits, wenn sie es denkt, wird unsere angebliche Verlobung sie beruhigen. Unsere Abmachung nützt also nicht nur mir, sondern auch ihr“, sagte er. „Das kann durchaus sein“, erwiderte Josie, obwohl sie stark bezweifelte, dass Michaels Problem so leicht zu lösen war. Er schien das Gespräch beenden zu wollen, denn er holte tief Luft und streckte sich, als hätte er zu lange in verkrampfter Haltung gesessen. Er reckte beide Arme nach oben und bog den Rücken nach hinten durch, bis das TShirt sich über der breiten Brust spannte. Josie musste sich beherrschen, um ihn nicht mit großen Augen anzustarren. Als wäre das nicht schlimm genug, drehte er auch noch den Oberkörper hin und her, und sein entspannter Gesichtsausdruck erinnerte sie an intimere Zeiten. Zeiten, in denen sie Arm in Arm und Bein an Bein in seinem Bett gelegen hatten. Mit schweißnassen Körpern. Zufrieden. Verausgabt. Und mit einem so herrlichen Gefühl, dass es unmöglich war, daran zu denken und sich nicht danach zurückzusehnen… Josie wehrte sich dagegen und versuchte, die Bilder und ihre Reaktion in den hintersten Winkel ihres Kopfes zu verbannen. Er ließ sich wieder auf die Couch sinken und lehnte sich zurück. „Ich sollte zu Bett gehen und schlafen“, meinte er und schien gar nicht gemerkt zu haben, was er in ihr ausgelöst hatte. „Sollte es ein hektisches Wochenende werden, kann ich von Glück sagen, wenn ich die Zeit für ein Nickerchen finde.“ „Wie kommt es, dass du eine Doppelschicht hast?“ fragte sie und hoffte inständig, dass ihre Stimme normal klang. „Zwei Kollegen sind ausgefallen. Einer musste notoperiert werden, und der andere ist in Detroit, um zu heiraten. Der Rest von uns übernimmt ihre Stunden, während sie fort sind.“ „Also wirst du das ganze Wochenende arbeiten?“ Blöde Frage. Das hatte er doch gerade gesagt. Michael kam nicht auf die Idee, dass Josie deswegen so unkonzentriert war, weil sie ihr ungewolltes Verlangen zu zügeln versuchte. Stattdessen deutete er ihre Frage nach etwas, was sie längst wusste, ganz anders. „Warum? Wirst du mich vermissen?“ „Dich vermissen? Wenn ich doch Pip habe?“ erwiderte sie und brachte sogar ein spöttisches Lächeln zu Stande, denn inzwischen hatte sie sich wieder unter Kontrolle. „Du stellst mich mit deinem Hund auf eine Stufe?“ entgegnete er mit gespielter Empörung. „Ach komm, ich liebe meinen Hund.“ „Willst du mir damit sagen, dass du mich auch liebst?“ „Du bist der hinreißendste Mitbewohner, den ich je hatte“, scherzte sie. „Sicher“, murmelte er, um sie wissen zu lassen, was er von ihrem Kompliment hielt. Doch dann wurde er wieder ernst. „Ich habe den Film genossen. Jedes Mal, wenn eins der alten Paare auf ihrem Sofa saß und erzählte, wie sie sich kennen gelernt hatten, musste ich an uns denken.“ Josie lachte. „Die haben sich aber alle viel mehr Zeit gelassen. In einer gewissen Hinsicht, meine ich. Wir dagegen hatten es sehr, sehr eilig.“
„Aber nur um uns anschließend zu versichern, dass wir uns nie wiedersehen
würden“, erwiderte Michael.
„Und dann haben wir uns doch wiedergesehen und beschlossen,
zusammenzuleben und so tun, als wären wir verlobt.“
„Aber nur als gute Freunde.“
„Nur als gute Freunde“, bestätigte Josie.
Doch ihre plötzlich sanfte und atemlose Stimme passte nicht zu dem, was sie
sagte, denn wie von selbst war ihr Blick mit seinem verschmolzen.
„Nur Freunde“, wiederholte er leise. Heiser. Sexy. Verführerisch.
Und dann hob er ohne Vorwarnung eine Hand und legte sie an Josies Wange. Und
während er mit dem Daumen ihre Haut streichelte, schloss er halb die Augen und
ließ seinen Blick zu ihrem Mund hinabwandern.
Sie wusste, was er gleich tun würde, aber der Alarm, den ihr Verstand auslöste,
verfehlte seine Wirkung. Das war kein Wunder, denn von ihm geküsst zu werden
war genau das, wonach sie sich sehnte.
Und als er es endlich tat, schmiegte sie sich an ihn. Sie konnte nicht anders.
Seine warmen, festen Lippen legten sich auf ihre und blieben länger dort als am
Abend zuvor.
Nein, heute gab es keine Eile. Heute war der Kuss mehr als eine flüchtige
Berührung. Viel mehr.
Sie hätte zurückweichen können. Sie wusste, dass sie es tun sollte. Aber sie tat
es nicht. Und er auch nicht.
Mehr noch, er ließ seine Lippen nicht nur auf ihren, er öffnete sie sogar und
vertiefte den Kuss, bis es die Art von Kuss war, die Josie in sein Bett gebracht
hatte.
Hör sofort auf damit, befahl sie sich.
Aber sie gehorchte nicht.
Stattdessen öffnete auch sie ihre Lippen, um seiner drängenden Zunge den Weg
freizugeben. Und dann machte sie alles noch schlimmer, indem sie eine Hand an
seinen Hals legte und mit den Fingerspitzen nach dem kurzen Haar an seinem
Nacken tastete. Dort fühlte sie die Hitze seiner Haut, während er mit der Zunge
erst über die Innenseiten ihrer Lippen strich und dann nach ihrer suchte, sie fand
und zu einem erregenden Spiel verleitete.
Nicht, dass Josie es nicht selbst gewollt hätte. Obwohl sie wusste, dass sie das
hier nicht tun sollte, konnte sie einfach nicht widerstehen. Sie musste den Kuss
erwidern und seine Zunge mit ihrer willkommen heißen.
Er nahm die Hand von ihrem Gesicht, um sie mit beiden Armen an sich zu
ziehen, bis er durch ihre TShirts hindurch ihre längst festen Brustspitzen fühlen
konnte.
Doch während der Kuss immer wilder und ungeduldiger wurde, nahm Josie
endlich den immer lauter schrillenden Alarm ihres Verstandes war. So hatte es an
dem Wochenende Anfang September auch angefangen.
Michael war in vielerlei Hinsicht alles, was eine Frau – sie selbst eingeschlossen –
sich wünschen konnte. Nur in der einen, entscheidenden Hinsicht war er ein
Mann, vor dem sie sich hüten musste.
Also mobilisierte sie ihre ganze Willenskraft, legte die Hände flach auf seine Brust
und schob ihn von sich, bis er den Kuss beenden musste.
„Nur gute Freunde“, erinnerte sie ihn matt, die Stimme atemlos und kaum mehr
als ein Flüstern.
Zum Glück widersprach Michael nicht und versuchte auch nicht, den Kuss
fortzusetzen. Stattdessen lächelte er nur schelmisch und ließ sie los.
„Können wir es einfach einen kleinen Kuss unter Freunden nennen?“ scherzte er
und klang nicht weniger erregt als sie.
„Wir können den Abend jetzt beenden“, schlug sie vor.
Michael nickte, stand jedoch nicht auf. Und sie auch nicht. Sie blieben, wo sie
waren, höchstens eine Handbreit auseinander, und sahen einander noch immer
in die Augen.
Bis Josie sich einen schmerzhaften Ruck gab.
„Ich lasse Pip nach draußen und schließe ab. Du kannst zu Bett gehen“, sagte sie
und flüchtete von der Couch, als wäre der Teufel hinter ihr her.
„Okay“, erwiderte Michael und stand ebenfalls auf.
„Komm schon, Pip! Auf in den Garten“, rief sie dem Hund zu, der in der Nähe des
Couchtischs lag, und ging in Richtung Küche.
Pip folgte ihr, doch bevor sie die Tür erreichte, ließ Michaels Stimme sie
innehalten.
„Sollte ich mich dafür entschuldigen, dass ich dich geküsst habe?“
Josie zögerte. Sie war nicht sicher, was sie darauf antworten sollte. Doch dann
entschied sie sich, ihn nicht anzulügen.
„Nein. Wir waren beide daran beteiligt“, erwiderte sie. „Aber wir dürfen es nicht
mehr tun. Wir dürfen nicht mehr als gute Freunde sein.“
„Richtig. Nur gute Freunde. Ich bin ganz deiner Meinung. Jedenfalls bis ich
siebenundvierzig bin. Aber ab dann solltest du dich in Acht nehmen. Sehr sogar“,
scherzte er über das, was er ihr kurz zuvor gesagt hatte.
Es lockerte die angespannte Stimmung jedoch ein wenig auf, und Josie lachte
dankbar. „Oh, keine Sorge, ich weiß, dass ich mich vor dir in Acht nehmen muss.
Ob du nun siebenundvierzig bist oder nicht.“
Sein Lächeln war so hinreißend, dass sie am liebsten alle Vorsicht vergessen und
sich in seine Arme geworfen hätte. Aber das tat sie natürlich nicht.
„Dann sehen wir uns also irgendwann am Montag“, sagte er.
„Ich halte hier die Festung, während du fort bist.“
Er nickte, verabschiedete sich jedoch nicht, sondern sah sie nur an. Und sein
Blick verriet, dass er sie wieder in den Armen halten wollte – so sehr, wie sie
wünschte, genau dort zu sein.
Aber keiner von ihnen rührte sich.
Bis Pip ungeduldig bellte, weil er endlich hinausgelassen werden wollte.
„Wir sehen uns am Montag“, sagte Josie.
„Richtig. Schönes Wochenende.“
Sie nickte nur und verschwand in der Küche.
Sie bezweifelte, dass sie ein schönes Wochenende haben würde. Denn ohne ihn
würde sie es nicht genießen können.
6. KAPITEL Es war ein ungewohntes Wochenende. Josie war rastlos, was sie von sich gar nicht kannte. So sehr sie es auch versuchte, sie brachte kein Wort zu Papier, und das kannte sie von sich nun wirklich nicht. Sie konnte sich nicht konzentrieren. Nicht mal auf den Fernseher oder den Film, den sie sich ausgeliehen hatte. Selbst mit Pip zu spielen erwies sich als Problem, denn wenn er den Ball zurückbrachte, den sie geworfen hatte, war sie mit den Gedanken schon wieder woanders. Und dafür gab es nur eine einzige Erklärung: Josie konnte an nichts anderes als an Michael denken. Das war seine Schuld. Wie er sie ansah, was er sagte, wie er sich bewegte, sein Lächeln, sein Lachen – all das schien sich ihr eingebrannt zu haben, und sie bekam es einfach nicht aus dem Kopf. Sie versuchte sich einzureden, dass sie sich nur langweilte. Dass sie es nicht gewohnt war, ganz allein zu sein. Dass ihr und Pip Sharons Gesellschaft fehlte. Oder die einer anderen Mitbewohnerin. Oder ganz einfach der Trubel, der in einer von mehreren Frauen geteilten Wohnung nun mal herrschte. Aber jetzt war sie in Michaels Haus und konnte an nichts als an ihn denken. Selbst wenn sie versuchte, nicht an ihn zu denken, und all die Gründe durchging, warum sie nicht an ihn denken durfte, es war immer das Gleiche: Er war da, in ihrem Kopf, vor ihrem geistigen Auge, das ganze Wochenende hindurch. Also war Josie am Montagmorgen froh, wieder zur Arbeit gehen zu können. Sein Haus zu verlassen und endlich an einem Ort zu sein, an dem der Duft seines Rasierwassers nicht in der Luft lag. Wo sie nicht immer und immer wieder auf die Couch starren musste, auf der sie sich am Freitagabend so leidenschaftlich geküsst hatten… „Guten Morgen. Ich bin in dem Stillkurs für Mehrlingsmütter.“ Josie nahm den Blick von der Post, die sie gerade sortierte, und lächelte der Patientin vor dem Empfangstresen zu. Es war eine kleine, blonde Frau mit Sommersprossen auf der Nase. „Gehen Sie einfach den Flur entlang. Der Kurs findet im zweiten Raum auf der linken Seite statt. An der Tür ist ein Schild“, beschrieb Josie ihr den Weg. „Oh, ich weiß. Ich war schon mal da. Ich möchte nur kurz auf die Toilette, und da ich die Erste bin, ist noch niemand da, den ich bitten könnte, auf meine Zwillinge aufzupassen. Vielleicht ist es albern, aber sie passen nicht mit in die Kabine, und ich möchte sie nicht allein lassen. Würde es Ihnen etwas ausmachen, ein paar Minuten auf die beiden zu achten?“ Das war keine ungewöhnliche Bitte, und normalerweise würde Josie Leah bitten, das zu übernehmen. Aber Leah, eine obdachlose werdende Mutter, die Eloise unter ihre Fittiche genommen und bei Manhattan Multiples eingestellt hatte, hatte heute einen Termin bei ihrem Frauenarzt und war noch nicht da. „Kein Problem“, versicherte Josie. „Das tue ich gern.“ Die junge Frau schob den Kinderwagen hinter den Tresen. „Das sind Daniella und Darcy“, stellte sie die Säuglinge stolz vor. Josie sah die beiden an. „Hallo, Daniella und Darcy.“ Die Zwillinge waren höchstens sechs Wochen alt. Meistens achtete Josie nicht besonders auf die Babys, die ins Zentrum gebracht wurden. Sie interessierte sich einfach nicht für sie. Aber aus irgendeinem Grund schienen diese beiden die süßesten zu sein, die sie je gesehen hatte. Sie waren eineiig, mit runden, rosigen Wangen, Stupsnasen, einigen roten Locken und grünen Augen. Das gleiche Grün wie in Michaels Augen. Dass sie selbst bei der Arbeit an ihn denken musste war entmutigend, doch
genau das tat sie, während sie jedes der beiden Babys nach einem ihrer
Zeigefinger greifen ließ.
Die winzigen, unglaublich weichen Hände schlossen sich darum, und aus einem
Grund, den Josie nicht verstand, ging es ihr ans Herz.
Urplötzlich regte sich in ihr etwas, was sie noch nie gefühlt hatte. Noch nie hatte
sie den Wunsch verspürt, eins der vielen Babys, die sie jeden Tag sah, auf den
Arm zu nehmen. Es zu halten. An sich zu drücken. Und schon gar nicht hatte sie
eins davon betrachtet und sich ausgemalt, es wäre ihr eigenes.
Doch genau das tat sie in diesem Augenblick.
Es war so seltsam, dass Josie fast laut aufgelacht hätte. Allein die Vorstellung,
dass sie mütterliche Gefühle entwickelte, erschien ihr so abwegig, dass es schon
komisch war.
Sie und mütterliche Gefühle? Josie Täte, die einsame Wölfin, freiheitsliebend und
unabhängig, dachte daran, ihr Leben zu teilen? Mit Babys?
Vielleicht hatte Michaels Mutter Recht, und die Arbeit bei Manhattan Multiples
brachte sie auf derartig absurde Ideen.
Oder hatte es mit dem zu tun, was sie für Michael empfand?
Schließlich hatte es eingesetzt, als ihr aufgefallen war, dass die Zwillinge seine
Augenfarbe besaßen.
Das war eine ernüchternde Erklärung.
„Wir sind nur Mitbewohner“, flüsterte sie eindringlich, als hätten die winzigen
Wesen etwas anderes behauptet.
Eins der Babys gähnte, und selbst das begeisterte Josie.
„Ihr seid wirklich wunderschön“, flüsterte sie und staunte darüber, wie fasziniert
ihre Stimme klang.
„Erzähl mir nicht, dass du ein Baby wahrgenommen hast.“ Es war Allison, die von
hinten an den Empfangstresen trat.
Hastig richtete Josie sich auf ihrem Drehstuhl auf, als wäre sie bei etwas
Verbotenem ertappt worden. „Ich passe nur auf die beiden auf, während ihre
Mutter auf der Toilette ist.“
„Komm schon, gib es zu. Du hattest mütterliche Gefühle. Ich habe es genau
gesehen. Die Frau, die immer behauptet, Babys würden sie nicht interessieren,
hat eine weiche Stelle an sich entdeckt.“
„Red keinen Unsinn“, protestierte Josie.
Aber ihre Kollegin lächelte nur und beugte sich über Josies Schulter, um in den
Kinderwagen zu schauen.
„Sie sind süß, nicht wahr?“ meinte Allison. „Sieh dir nur das rote Haar an.“
„Hm“, erwiderte Josie.
Die Mutter der Zwillinge kehrte zurück, um ihre Töchter zu holen. Allison sagte
ihr, wie hübsch die beiden seien.
Die junge Frau lächelte stolz. „Danke, dass Sie auf sie aufgepasst haben“,
wandte sie sich an Josie.
„Gern geschehen“, antwortete Josie und war froh, als sie mit dem Kinderwagen
aus ihrem Blickfeld verschwand. Die Begegnung mit den Zwillingen war zutiefst
beunruhigend gewesen.
Trotzdem fiel es ihr schwer, sich von ihnen zu trennen. Fast beneidete sie die
junge Mutter. Und sie stellte sich vor, wie es wäre, zwei Babys mit grünen Augen
zu haben.
Michaels grünäugige Babys…
„Oh je.“
Oh je, wiederholte Josie stumm. Ganz richtig.
Doch erst dann wurde ihr bewusst, dass der besorgte Ausruf von Allison
gekommen war und nichts mit ihrer Reaktion auf Daniella und Darcy zu tun
hatte.
Hastig kehrte sie in die Realität zurück und sah zu Allison hinüber, die gerade
begonnen hatte, Eloises Post zu öffnen. Als deren Assistentin war das ihre
Aufgabe, damit sie ihrer Chefin die dringlichen Briefe sofort vorlegen konnte.
„Das ist übel“, murmelte Allison.
Josie wirbelte herum und sah, dass ihre Kollegin blass geworden war. „Was ist
denn?“
„Ein Drohbrief.“
„An Eloise?“
„Ja.“ Allison nahm den Blick nicht von dem Blatt Papier, das offensichtlich aus
einem Notizblock herausgerissen worden war. „Hier steht, dass ein Mann es nicht
zulassen kann, dass sie sich ungestraft in die Angelegenheiten seiner Familie
einmischt.“
„Von wem ist er?“
„Er ist nicht unterschrieben. Aber der Mann droht, dass er es ihr heimzahlen
wird. Dass sie bereuen wird, sich in etwas eingemischt zu haben, was sie nichts
angeht. Dass jeder bei Manhattan Multiples es bereuen wird.“
„Sollen wir die Polizei verständigen?“
„Die Polizei verständigen?“ Eloise trat genau in diesem Moment an den Tresen.
„Warum sollten wir das tun?“
Allison zeigte ihr den Brief. Eloise überflog ihn, und Josie sah, wie sie erbleichte.
„Das ist genau das, was wir brauchen. Als hätten wir nicht schon genug
Probleme, was?“ schimpfte Eloise.
„Haben Sie eine Ahnung, von wem der Brief sein könnte?“ fragte Josie.
„Nein. Aber nur ein Feigling schreibt so etwas, ohne seinen Namen darunter zu
setzen.“
„Wir sollten uns nicht darauf verlassen, dass er zu feige ist, um seine Drohung in
die Tat umzusetzen“, meinte Allison. „Sie könnten in richtiger Gefahr sein,
Eloise.“
„Das finde ich auch“, warf Josie ein. „Sie sollten so etwas nicht auf die leichte
Schulter nehmen.“
Eloise las den Brief ein zweites Mal, und ihre Miene verriet, dass auch sie besorgt
war.
„Ich denke, wir sollten die Polizei informieren. Schließlich bedroht er nicht nur
mich, sondern uns alle bei Manhattan Multiples“, sagte sie nach kurzem
Überlegen. „Vermutlich können wir nichts dagegen unternehmen, aber wir sollten
es wenigstens melden. Würden Sie mich mit dem Revier verbinden, Josie?“
„Sofort.“ Josie nahm den Hörer ab, während Eloise erhobenen Hauptes in ihr
Büro zurückkehrte.
Josie ließ sich nicht täuschen. Die Gründerin von Manhattan Multiples war
erschüttert, auch wenn sie es sich nicht anmerken lassen wollte.
Und plötzlich erschienen ihr ihre eigenen Probleme mit Michael Dunnigan viel
weniger wichtig.
Josies Nachmittag war hektisch und anstrengend. Ermittler der Polizei und der
Post befragten die Mitarbeiter und sämtliche Patientinnen, die gerade im Zentrum
waren. Außerdem brauchten sie eine Liste aller Frauen, die jemals von
Manhattan Multiples betreut worden waren. Josie musste diese Liste
zusammenstellen, ohne ihre üblichen Aufgaben zu vernachlässigen.
Der Drohbrief war schon schlimm genug gewesen. Aber der Rat der Spezialisten,
in Eloises Büro und am Empfang einen Notrufknopf zu installieren, machte die
Situation noch beunruhigender. Am Ende des Arbeitstags war Josie froh, endlich
nach Hause gehen zu können.
Die Hoffnung, dass Michael dort sein würde, ließ sie hastiger als sonst durch
Manhattan eilen.
Er stand auf der Vordertreppe, als sie um die Ecke bog, und ihr Herz schlug
schneller, obwohl er nicht allein war. Neben ihm stand seine Mutter.
Josies erster Gedanke war, dass die beiden zusammen ausgehen wollten. Doch
während Elsa Dunnigan Hosen und einen leichten Pullover trug, war Michael
unrasiert, sein FootballTrikot war alt und zerknittert, und die verblichenen
Bluejeans hatten Löcher an den Knien.
Sein mehr als lässiges Outfit verriet ihr, dass die Nachricht, die er ihr auf der
Schiefertafel in der Küche hinterlassen hatte, ernst gemeint war. Er hatte ihr
geschrieben, dass sie am Wochenende nichts im Haus tun sollte, weil sie beide
am Montagabend gemeinsam aufräumen und putzen würden.
Sie hatte die Nachricht erst gestern Abend kurz vor dem Zubettgehen
abgewischt, weil sie immer wieder auf seine Handschrift gestarrt hatte…
„Hallo“, begrüßte sie ihn und seine Mutter.
„Hallo“, erwiderte er, als Josie die Stufen zu seinem Haus hinaufstieg.
Sie stellte sich neben ihn, wie es sich für seine angebliche Verlobte gehörte, und
lächelte Elsa zu.
„Schön, dass wir uns noch sehen, bevor ich gehe“, bemerkte Michaels Mutter,
nannte jedoch keinen Grund für ihren Besuch. Stattdessen musterte sie ihn und
Josie mit hochgezogenen Augenbrauen. „Küsst du deine Verlobte denn nicht,
wenn sie von der Arbeit nach Hause kommt?“
„Erst wenn du weg bist“, erwiderte er, als wäre das, was er mit Josie vorhatte, zu
gewagt für die Vordertreppe und die Augen seiner Mutter.
Josie unterdrückte das alberne Kribbeln, das sie bei dem Gedanken an eine
private, intime Begrüßung durchlief, und wandte sich Elsa zu. „Du siehst hübsch
aus. Gehst du heute Abend aus?“
„Nur eine Verabredung zum Abendessen. Ich dachte mir, ich schaue auf dem
Weg kurz hier vorbei. Hast du dir schon Gedanken über eure Hochzeit gemacht,
damit ich weiß, wo ich mit der Planung anfangen kann?“
Jetzt war Josie klar, warum Michaels Mutter froh war, sie zu sehen.
Doch Michael kam ihr zuvor. „Es gibt nichts, worüber wir uns Gedanken machen
müssten, Ma. Du brauchst nicht anzufangen, weil wir noch sehr viel Zeit haben.
Also lass es, ja?“
„Vielleicht sieht Josie das anders“, entgegnete Elsa.
„Nein, ich sehe das genauso wie Michael“, stellte Josie sich hinter ihn. „Wir sind
uns da völlig einig.“
„Seht ihr? Ihr seid euch einig. Und Michael hat mir erzählt, dass ihr heute Abend
zusammen sauber machen wollt. Das heißt, ihr teilt euch die Hausarbeit. Ihr
benehmt euch schon wie ein Ehepaar. Warum wollt ihr es nicht vor dem Gesetz
werden?“
„Das ist nicht ungesetzlich“, erwiderte Michael lachend. „Könntest du jetzt bitte
zu deinem Abendessen gehen und uns eine Weile vergessen?“
„Marge wird mich fragen, wann ihr heiratet, und was soll ich ihr sagen? Dass ich
es nicht weiß?“ probierte Elsa die Taktik, die sie schon mal angewandt hatte.
„Genau“, antwortete Michael.
„Ihr beide versteht euch doch, oder?“ fragte seine Mutter.
„Wir verstehen uns großartig“, erwidere Michael und sah Josie an. „Stimmt doch,
oder?“
„Großartig“, bestätigte Josie.
„Ich weiß nicht. Ihr wirkt so distanziert.“
„Oh, Mom“, rief Michael aus und legte einen Arm um Josies Schultern, um sie an
sich zu ziehen. „Bist du jetzt zufrieden?“
Josie war es. Obwohl sie wusste, dass sie nichts dabei fühlen sollte, weil er es
nur tat, um seiner Mutter etwas vorzuspielen.
„Ich werde zufrieden sein, wenn ihr einen Hochzeitstermin festlegt“, sagte Elsa
eingeschnappt.
„Geh essen“, forderte er sie auf, kurz davor, die Geduld zu verlieren. „Du hast
gesagt, dass du spät dran bist.“
Elsa sah auf die Uhr. Offenbar hatte er Recht, denn sie setzte einen Fuß auf die
erste Treppenstufe. „Außerdem finde ich, wir sollten langsam an einen
Verlobungsring denken“, startete sie einen weiteren Versuch.
„Wir?“ wiederholte Michael. „Hast du etwa jemanden in deiner Handtasche
versteckt?“ fragte Michael belustigt.
„Du weißt, was ich meine“, erwiderte Elsa.
„Danke für den Hinweis“, sagte er frech.
Aber es schien seine Mutter nicht zu stören. „Ich wünsche euch einen schönen
Abend“, rief sie vom Bürgersteig.
„Dir auch“, antwortete Michael.
„Auf Wiedersehen, Josie.“
„Auf Wiedersehen, Elsa“, rief Josie belustigt.
Michael nahm seinen Arm nicht von ihren Schultern, während sie seiner Mutter
nachsahen.
Obwohl sie wusste, dass es unvernünftig war, genoss sie seine Berührung noch
einen Moment. Die Wärme und Stärke seines athletischen Körpers. Den Druck
seiner starken Hand an ihrer Schulter. Und wie sie genau unter seinen Arm zu
passen schien…
Aber kaum war Elsa außer Sicht, löste er sich von Josie und drehte sich zum
Haus um. Sie ließ sich Zeit, bevor sie ihm folgte, denn sie musste sich erst
sagen, dass die zärtliche Geste nur für seine Mutter gedacht gewesen war.
Ihr Körper war allerdings nicht so leicht zu überzeugen.
Erst als sie ihre Gefühle wieder unter Kontrolle hatte, registrierte sie, dass
Michael ihr die Tür aufhielt und auf sie wartete.
Rasch ging sie hinein, und er schloss die Tür hinter ihnen.
„Tut mir Leid, dass du das miterleben musstest“, entschuldigt er sich. „Ich habe
versucht, sie loszuwerden, bevor du kamst, aber es ist mir nicht gelungen.“
„Du brauchst dich nicht für deine Mutter zu entschuldigen. Sie stört mich nicht“,
versicherte Josie ihm.
Sein Lächeln ließ ihre Knie weich werden, und sie fragte sich, wie ein Mann in
alten Klamotten und mit dunklen Bartstoppeln bloß so gut aussehen konnte.
Aber das tat er nun mal, und sie musste einfach versuchen, es zu ignorieren.
Offenbar verriet ihr Gesichtsausdruck ihm, dass sie über sein Aussehen
nachgedacht hatte, denn er rieb sich verlegen über das unrasierte Kinn. „Ich bin
erst vor einer halben Stunde aufgewacht“, erklärte er. „Ich glaube, ich hatte am
Wochenende höchstens vier Stunden Schlaf, als musste ich einiges nachholen.
Ich dusche und rasiere mich, sobald wir fertig sind. Wenn du überhaupt
mitmachen willst, heißt das. Falls du einen harten Tag hattest und heute Abend
lieber nicht…“
„Ich hatte einen harten Tag. Sieht man mir das an?“ fragte sie lachend.
„Nein, du siehst großartig aus.“
Er sagte es, als würde er es wirklich meinen, und sie freute sich mehr darüber,
als sie eigentlich sollte.
„Möchtest du den Hausputz lieber ausfallen lassen? Glaub mir, du brauchst mich
nicht groß zu überreden“, meinte er. „Nein, das ist schon okay. Es ist nötig, und ein bisschen sauber zu machen entspannt mich.“ Außerdem war alles, was sie mit ihm zusammen tat, bestimmt keine lästige Pflicht. „Ich ziehe mich rasch um, dann können wir anfangen.“ „Ich habe eine Flasche Wein mitgebracht. Ich dachte mir, wenn wir fertig sind, belohnen wir uns mit Pizza und einem Schluck Wein“, kündigte er an, als sie zur Treppe ging. „Klingt gut“, erwiderte sie, den Fuß auf der ersten Stufe. „Ich bin gleich wieder da.“ In ihrem Zimmer zog Josie sich ausgefranste JeansShorts und ein TShirt an, bei dem sie den Stehbundkragen und die Ärmel oberhalb der Ellbogen abgeschnitten hatte. Sie fuhr sich mit dem Kamm durchs Haar und eilte schwungvoll die Treppe hinunter, als wäre ihre Erschöpfung verflogen. Dabei lag es nur daran, dass sie sich auf einen langen Abend mit Michael freute. „So, ich stehe ganz zu deiner Verfügung“, rief sie in der Küche, wo er gerade an Gerätschaft zusammensuchte, was sie für den Hausputz brauchten. Sein Lächeln war schief und seine Stimme verführerisch. „Wirklich…“ „Nur beim Saubermachen“, ergänzte sie und genoss es, wie sein Blick an ihr hinabwanderte und einen Moment auf ihren nackten Beinen ruhte. „Verteil die Aufgaben, und lass uns an die Arbeit gehen“, befahl sie dann. Er übernahm die schwereren Arbeiten und überließ ihr die leichteren. Außerdem schlug er vor, dass jeder sich selbst um sein Schlafzimmer und Bad kümmerte, womit Josie einverstanden war. Dann legten sie los. Im Laufe des Abends kreuzten ihre Wege sich hin und wieder, und Josie nutzte jede Gelegenheit, um ihn unauffällig zu beobachten. Wenn Michael es tat, war sogar Staubsaugen sehenswert. Vor allem dann, wenn er ihr den Rücken zukehrte. Denn die alten Jeans saßen wie eine zweite Haut an seinem knackigen Po und hatten hinten ein drittes Loch, das ihr einen Blick auf seinen muskulösen Oberschenkel erlaubte. Als sie fertig waren, war es bereits neun, und Josie brauchte eine Dusche. Und das nicht nur, um sich den Staub von der Haut zu waschen, sondern auch um ihr Verlangen abzukühlen. Sie bestellten die Pizza, dann zog jeder sich in sein Bad zurück. Josie duschte fast kalt und erinnerte sich energisch daran, dass Michael und sie nicht wirklich verlobt waren. Sie lebten nicht als Paar zusammen, sondern als Wohngemeinschaft, das durfte sie nicht vergessen. Trotzdem zog sie ihre leichteste und seidigste Schlafanzughose und ein TShirt an, das so weit ausgeschnitten war, dass sie darunter keinen BH tragen konnte und der Stoff ihr bei der geringsten Bewegung von der Schulter glitt. Natürlich hatte die Wahl des Outfits nichts mit Verführung zu tun. Es war einfach das kühlste, weichste und bequemste Kleidungsstück, das sie besaß. Und nach einem harten Arbeitstag und dem Hausputz hatte sie sich das verdient. Sie erneuerte ihr Makeup und kämmte sich das Haar, bevor sie barfuß nach unten ging und sich dabei schwor, dass Michael und sie sich einfach nur eine Pizza teilen würden. Wie Mitbewohner es nach dem Saubermachen eben taten. Eine schlichte, platonische Pizza. Mehr nicht. Michael stand an der Haustür, um die Pizza entgegenzunehmen. Da er nicht zuließ, dass Josie ihre Hälfte selbst bezahlte, bestand sie darauf, dem Boten das Trinkgeld zu geben. Sie entschieden sich, am Couchtisch im Wohnzimmer zu essen, und setzten sich
mit Papptellern auf den Fußboden. Während Michael die Weinflasche öffnete, genoss Josie seinen Anblick. Frisch geduscht und rasiert, trug er saubere Jeans und ein TShirt, das seine breiten Schultern und kräftigen Oberarme voll zur Geltung brachte. Sein Aussehen machte ihr allerdings Appetit auf mehr als nur das Essen. „Du hättest heute also einen anstrengenden Tag, ja?“ fragte er nach dem ersten Schluck Wein. „Ziemlich anstrengend“, bestätigte sie. Sie erzählte ihm nicht, dass sie zum ersten Mal, seit sie bei Manhattan Multiples arbeitete, Babys richtig wahrgenommen und dabei an ihn gedacht hatte. Stattdessen berichtete sie ihm von dem Drohbrief, den Eloise Vale bekommen hatte. „Was passiert denn bei euch, so dass es jemanden so in Rage bringen kann?“ erkundigte er sich, als sie endete. „Nichts, was einen Drohbrief rechtfertigen würde. Als Eloise ihre eigenen Drillinge bekam, stellte sie fest, dass es keine spezielle Betreuung für Mehrlingsmütter gab. Also hat sie Manhattan Multiples gegründet. Wir bieten eine breite Palette an, von medizinischer und psychologischer Beratung bis hin zu den verschiedensten Kursen. Ein solcher Familienzuwachs bringt manche Probleme mit sich, und wir bereiten die Mütter darauf vor. Nichts von dem, was wir tun, ist irgendwie umstritten.“ „Hält die Polizei es für möglich, dass ihr in Gefahr seid?“ Er klang besorgt, und sie freute sich über seine Anteilnahme, während sie ihm erklärte, was die Polizei empfohlen hatte. „Der Zeitpunkt hätte nicht schlimmer sein können. Wenn der Bürgermeister uns die Zuschüsse streicht, wird es knapp. Aber Eloise hat gesagt, dass sie die Modernisierung der Alarmanlage notfalls aus eigener Tasche bezahlt. Sie will auf keinen Fall riskieren, dass den Mitarbeitern und Patientinnen etwas passiert.“ „Gute Chefin.“ „Das ist sie. Sie ist ein fürsorglicher und gewissenhafter Mensch. Ich finde es schrecklich, dass jemand ihr etwas antun will.“ Josies Glas war leer, und Michael füllte es zusammen mit seinem nach. Sie nahm einen Schluck Wein, aber ihr Appetit, der ohnehin nicht groß gewesen war, hatte noch weiter abgenommen. Also schob sie den Rest ihrer Pizzahälfte von sich und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Couch. „Lass uns das Thema wechseln“, schlug sie vor. „Wir können nicht mehr unternehmen, und allein darüber zu reden macht mich nervös,“ Michael nickte, während er sein drittes Stück Pizza aß. Danach hatte offenbar auch er genug, denn er klappte den Karton zu, stapelte ihre Teller darauf und trug alles in die Küche. Als er zurückkam, setzte er sich neben Josie auf den Fußboden. Dann legte er einen Arm auf die Couch und drehte sich zu ihr, bis sein Oberschenkel nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt war. Er berührte sie nicht, aber dennoch fühlte sie die Wärme, die von seinem Körper ausging. Seine Nähe war tröstend und erregend zugleich, und sie versuchte, Letzteres zu ignorieren, während er mit der freien Hand nach seinem Weinglas griff. „Okay. Neues Thema“, verkündete er und stieß mit ihr an. „Ich habe über das nachgedacht, was du mir erzählt hast. Dass du im Waisenhaus aufgewachsen und zu einem Menschen geworden bist, der geradezu trotzig auf seiner Freiheit und Unabhängigkeit besteht.“ „Trotzig?“ wiederholte Josie. „Ich weiß nicht, ob das Wort mir gefällt. Wie wäre
es mit vehement? Oder entschieden?“
„Okay. Also jemand, der vehement und entschieden auf seiner Freiheit und
Unabhängigkeit besteht“, verbesserte er sich. „Was ich mich frage, ist, ob das
heißt, dass du das fortgeschrittene Alter von fünfundzwanzig erreicht hast, ohne
je eine ernsthafte Beziehung gehabt zu haben?“ fragte er ein wenig umständlich.
„Ich habe eine Menge ernsthafter Beziehungen“, entgegnete sie. „Mit Freunden.
Mit Kollegen…“
„Ich meine ernsthafte romantische Beziehungen“, hakte er nach.
„Ich gehe mit Männern aus“, erwiderte sie.
„Aber es ist nie etwas Ernstes, sondern immer nur eine Exundhopp
Beziehung?“
Auch der Ausdruck gefiel ihr nicht. „Ich würde nicht sagen, dass ich ein Exund
hoppTyp bin. Ich mag es nur etwas lockerer.“
„Mit anderen Worten, du hältst die Männer auf Distanz.“
Er war nicht auf Distanz, und er war es erst recht nicht an dem gemeinsam
verbrachten Wochenende gewesen.
Doch das sagte sie nicht. „Warum muss es immer das Extrem sein? Entweder
ernsthaft oder distanziert? Ich habe ziemlich lange und nahe Beziehungen
gehabt.“
„Ziemlich lange und nahe“, wiederholte er. „Wie lang und wie nahe?“
„Nahe ist nahe. Und lange ist Monate. Ein Mal fast ein Jahr.“
„Aber sobald du dich zu sehr daran gewöhnst, ergreifst du die Flucht?“
„Hey, lass uns nicht vergessen, dass du hier derjenige bist, der erst heiraten will,
wenn er in Rente geht. Ich finde nicht, dass du ein Recht hast, mich zu
kritisieren.“
Er lächelte schief. „Ich kritisiere dich nicht, ich versuche nur, dich besser kennen
zu lernen.“
Josie zögerte. Doch dann entschied sie sich, ganz offen zu ihm zu sein. „Ich gebe
zu, sobald ich das Gefühl bekomme, ohne jemanden nicht mehr leben zu können,
löst es bei mir einen Reflex aus.“
„Automatisch?“
„Ziemlich.“
„Immer?“
Sie nippte an ihrem Glas und überlegte, wie viel sie ihm erzählen wollte.
„Es gab da einen“, gestand sie schließlich. „Troy Randall. Aber das war, bevor der
Reflex richtig funktionierte. Ich lernte ihn gleich nach dem Waisenhaus kennen.
Ich war zum ersten Mal in meinem Leben allein und fühlte mich einsam. Ich
jobbte als Kellnerin, und er war Koch in dem Restaurant.“
„Du bist ihm nahe gekommen“, erriet Michael sanft.
„Bin ich. Zu nahe.“
„Er war dein erster Mann.“
„In vielerlei Hinsicht“, bestätigte sie. „Mein erster Freund außerhalb des
Waisenhauses. Der erste Mann, der mich seiner Familie vorgestellt hat. Der mich
darin aufgenommen hat. Der erste Mensch, der sich nicht nur deshalb um mich
kümmerte, weil es sein Beruf war. Meine erste romantische Beziehung. Und ja,
mein erster… Erster.“
Josie griff nach ihrem Glas. Sie brauchte einen kräftigen Schluck, um über Troy
reden zu können.
„Du warst fast ein Jahr mit ihm zusammen?“
„Bis auf ein paar Tage.“
„Was ist passiert?“
Sie dachte darüber nach und spürte den schmerzhaften Stich, den die Erinnerung
auch jetzt noch auslöste. Dann holte sie tief Luft und seufzte. „Er begegnete
jemandem, der ihm besser gefiel.“
„Er hat dich betrogen?“
„Er meinte, es sei kein Betrügen, weil keiner von uns ein ausschließliches Recht
auf den anderen hatte.“
„Nach einem Jahr, in dem keiner von euch mit anderen ausgegangen ist?“
„Nun ja, ich jedenfalls nicht. Und ich hatte geglaubt, dass er es auch nicht getan
hatte. Bis dahin. Dann meinte er, wir seien schließlich beide freie Menschen. Und
das bedeutete für ihn, dass er tun konnte, was immer er wollte“, erzählte Josie.
„Und was er wollte, war… eine andere Frau.“ Michaels Stimme klang plötzlich
scharf, fast wütend.
„Er meinte auch, ich sollte mein eigenes Leben führen und mich nicht so sehr an
ihn klammern. Vermutlich hatte er Recht. Ich meine, ich mochte ihn wirklich,
sonst wäre ich nicht so weit gegangen. Aber wahrscheinlich habe ich ihn auch als
eine Art Krücke benutzt. Wie gesagt, ich war das erste Mal allein und…“
„Und der erste Mensch, dem du außerhalb des Waisenhauses vertraut hast, hat
dich ebenso im Stich gelassen wie deine Eltern. Oder noch schlimmer, denn er
hat es absichtlich getan.“
Josie lachte ein wenig trocken. „Was ist das hier? Eine Psychoanalyse?“
Michael leerte sein Glas und stellte es auf den Couchtisch. „Das hat er doch,
oder?“
„Er war nicht für mich verantwortlich. Er war mir nicht verpflichtet. Er war
einfach nur ein Typ, mit dem ich gearbeitet…“
„Ein Typ, der dich unter seine Fittiche nahm und dich glauben ließ, dass du ihm
wirklich etwas bedeutest. Der mit dir schlief und dich dann mit einer anderen
betrog.“
„Ich habe viel daraus gelernt“, sagte Josie schnell, ohne ihm zu widersprechen.
„Du hast gelernt, dass du noch mehr Angst davor haben musst, dich an
jemanden zu binden.“
„Ich habe gelernt, dass ich wirklich unabhängig sein muss. Dass ich selbst auf
mich aufpassen muss. Und irgendwann habe ich gemerkt, dass ich gern
unabhängig bin und selbst auf mich aufpasse. Dass ich gern frei bin.“
„Du hast als kleines Kind die Eltern verloren und erlebt, wie grausam das
Schicksal sein kann. Es hat dir die Menschen geraubt, die du liebtest. Und dann
hat dieser Mistkerl dir gezeigt, dass Menschen genauso grausam sein können.
Also bist du zu dem Ergebnis gekommen, dass du frei sein musst, um dich vor
einem weiteren Verlust zu schützen.“
„Oh, jetzt spielen wir aber wirklich Psychoanalyse“, scherzte Josie und nahm das,
was Michael sagte, nicht allzu ernst.
„Ich glaube nur, wenn du zu lange so weitermachst und niemanden an dich
heranlässt, wirst du es eines Tages bereuen. Du wirst auf ein Leben
zurückblicken, in dem es eine Million verschiedener Jobs und eine Million
flüchtiger Beziehungen gab. Und dann wirst du allein sein, mit nichts als Pips
letztem Nachfolger.“
Der große Hund lag zusammengerollt in einer Ecke und spitzte die Ohren, als er
seinen Namen hörte.
Doch als niemand ihm Aufmerksamkeit schenkte, stand er auf und ging in die
Küche, als wäre er ärgerlich darüber, dass man ihn grundlos gestört hatte.
„Ich werde meine Gedichte haben. Die sind der Anker in meinem Leben“,
protestierte Josie und stellte ihr Glas ebenfalls ab.
„Gedichte binden dir nicht die Schuhe zu, wenn du zu alt bist, um dich nach
ihnen zu bücken.“
„Nun ja, wer unabhängig bleiben will, plant voraus. Ich werde ganz einfach Slipper tragen.“ Michael lachte. „Weißt du, vielleicht würde ich es anderes sehen, wenn du keinen Humor hättest. Aber der ist einfach zu großartig, um ihn nicht mit anderen Menschen zu teilen. Und es wäre wirklich schade, keine Kinder zu bekommen, die genauso lustig sein könnten. Du verschwendest dich an Pip.“ „Ich muss doch sehr bitten. Pip weiß mich zu schätzen“, erwiderte sie mit gespielter Entrüstung, obwohl sie sich sehr über seine Worte freute. „Pip schätzt dich nicht genug“, entgegnete er. Seine Stimme hatte sich verändert. Und auch die Art, wie er sie ansah. Sein Blick war plötzlich sanfter, zärtlicher. „Das ist mein Ernst, Josie“, sagte er. „Du bist hinreißend und lustig und klug und begabt und hast hundert andere Eigenschaften, die dich ganz besonders machen. Zu besonders, um kein volles, erfülltes Leben zu haben. Du verdienst Liebe und Vertrauen und einen Ehemann und eine Familie und ein Dutzend Enkelkinder, die dich vergöttern. Versag dir das alles nicht, nur weil du Angst vor einem Schmerz hast, den du vielleicht nie spüren musst.“ „Genau das könnte ich dir auch sagen“, entgegnete sie leise und ohne jeden Triumph. Michael lächelte. „Also sind wir beide Idioten?“ Josie lachte, aber es klang eher wie ein atemloses, ungemein erotisches Hauchen. „Ich glaube schon.“ Fast war es, als würde diese Erkenntnis sie zusammenschmieden. Ihre Blicke verschmolzen, schienen nach Antworten zu suchen und schufen jene Verbindung, gegen die Josie sich so sehr wehrte – und das in einem Moment, in dem sie es am wenigsten erwartete. Und schon gab ihr Verstand klein bei, und jede Vernunft verblasste zusammen mit dem Rest der Welt, bis es nur sie und Michael gab… Josie wusste nicht, wann er seinen Arm von der Couch gelöst und um ihre Schultern gelegt hatte. Wann er seine Finger in ihr Haar geschoben hatte. Und sie wusste erst recht nicht, wann sie ihre Hand auf sein Knie gelegt hatte – dort, wo es ihren Schenkel berührte. Sie wusste nicht mal, wie viel Zeit vergangen war, seit sie verstummt waren und angefangen hatten, einander in die Augen zu schauen. Sie wusste nur, dass er den Kopf senkte, um sie zu küssen. Und es war genau das, wonach sie sich gesehnt hatte. Der erste Kuss war kurz, denn er brach ihn ab, um den Kopf von links nach rechts zu legen, damit sie beide es bequemer hatten. Josie hob die Hände und umschloss sein Gesicht, das jetzt glatt rasiert war und nur ein wenig nach After Shave duftete. Mit der freien Hand tastete er nach ihrem Handgelenk, ließ sie zum Ellbogen und zum Oberarm gleiten, und überall, wo er sie berührte, kribbelte ihre Haut, als er beide Arme um sie schlang und sie an sich zog. Es war herrlich, endlich wieder von ihm gehalten zu werden! Er vertiefte den Kuss, öffnete die Lippen und wartete darauf, dass auch sie es tat. Sie tat es. Irgendwo im Hinterkopf wusste sie, dass es falsch war, aber sie tat es dennoch. Sie gab seiner Zunge den Weg frei und hieß sie mit ihrer eigenen willkommen. Ungeduldig und voller Erwartung. Sie tastete nach seinem Nacken, strich durch sein Haar und dann über den breiten Rücken, der ihr so vertraut war, obwohl sie nicht geglaubt hatte, ihn jemals wieder fühlen zu können.
Ihre Brustspitzen wurden noch fester, was ihm zeigte, wie erregt sie war. Erregt
und voller Vorfreude auf seine Zärtlichkeiten, während der Kuss immer
leidenschaftlicher wurde und all ihre Sinne zum Leben erwachten.
Und dann, während er sie mit einer Hand stützte, ließ er die andere über ihren
Rücken wandern. In den Nacken. An den Hals. Auf eine Schulter. Und nach
unten…
Sie hielt den Atem an, bis seine Hand ihre Brust fand.
Josie bog sich ihm entgegen und stöhnte kaum hörbar auf, so herrlich war es, ihn
dort zu spüren. Und trotzdem wollte sie mehr als das.
Oder weniger. Weniger zwischen ihnen.
Michael schien genau zu wissen, was sie wollte. So wie er es das ganze
gemeinsam verbrachte Wochenende hindurch gewusst hatte. Er nahm die Hand
von ihrer Brust, aber nur um sie unter Josies TShirt zu schieben. Um ihre Brust
wieder zu umschließen, dieses Mal Haut an Haut.
Und die Spitze wurde hart vor Verlangen, in der Mitte seiner Handfläche,
während er die Rundung mit zärtlichem Druck streichelte.
Die Brust war so empfindlich…
So empfindlich, dass Josie es kaum glauben konnte. Empfindlicher als je zuvor.
Und es war schöner, als sie es je erlebt hatte.
Es war fast zu schön, um es zu ertragen, und gegen ihren Willen verlor sie sich in
Empfindungen, die ihren ganzen Körper wie ein reißender Fluss durchströmten.
Sie hatte schon die Hände unter seinem TShirt, um mehr von seiner bloßen
Haut zu fühlen, während der Kuss immer wilder wurde und seine Hand an ihrer
Brust ein Feuer der Lust entfachte.
Doch selbst das reichte ihr schon bald nicht mehr. Sie wollte nackt in seinen
Armen liegen und ihn überall fühlen. Sie wollte seine Hände überall spüren.
Seinen Mund. Sie wollte alles. Alles von ihm. Und sie wollte es so sehr, dass es
fast schmerzte.
Vielleicht war es das, was ihr bewusst machte, dass sie sich gehen ließ. So sehr
wie an jenem Wochenende. Mit dem Mann, von dem sie sich geschworen hatte,
dass sie sich mit ihm nie wieder gehen lassen würde…
Ohne die Augen zu öffnen, zwang Josie sich, den Kuss abzubrechen und sich
zurückzulehnen, um seiner Umarmung zu entfliehen.
„Nur gute Freunde, nur Mitbewohner…“, flüsterte sie die Abmachung, die sie
getroffen hatten, die sie jedoch immer wieder zu brechen schienen.
Erst nach einer Minute wagte sie, die Augen zu öffnen. Und sie sah Michaels
atemberaubend attraktives Gesicht vor sich, sein Ausdruck völlig benommen.
„Richtig, nur gute Freunde. Nur Mitbewohner“, wiederholte er. „Das vergessen
wir dauernd, nicht wahr?“
„Nur gute Freunde. Nur Mitbewohner. Kein Sex“, betonte Josie, um ihn daran zu
erinnern. Und sich selbst.
Aber sein Lächeln war ebenso verschmitzt wie unwiderstehlich. „Das war kein
Sex“, widersprach er, als würden seine Worte etwas an der Wirklichkeit ändern.
„Es war dicht dran“, beharrte Josie.
Michael stöhnte auf und schüttelte den Kopf. „Bei weitem nicht.“
Sie musste lachen und wusste, dass es sein Charme war, der es ihr so schwer
machte.
„Arbeitest du morgen?“ fragte sie, um wieder sachlich zu werden.
„Ja. Normalerweise bin ich vierundzwanzig Stunden im Dienst und habe dann vier
Tage frei, aber wie gesagt, uns fehlen zwei Männer.“
„Vermutlich ist es besser so“, entgegnete sie mit Nachdruck. „Ich meine nicht,
dass euch zwei Männer fehlen. Sondern dass du in der Feuerwache sein wirst und
nicht hier“, erklärte sie.
Bevor sie alles noch schlimmer machen konnte, stand sie auf und ging in die
Küche, um Pip in den Garten zu lassen und in ihr Bett zu flüchten.
Nachdem der große Hund ein paar Minuten draußen verbracht hatte, ließ sie ihn
wieder ins Haus und kehrte ins Wohnzimmer zurück. Michael saß noch immer auf
dem Fußboden, und Josie musste sich gegen den brennenden Wunsch wehren,
sich wieder zu ihm zu setzen und dort weiterzumachen, wo sie aufgehört hatten.
„Gute Nacht“, sagte sie nur, um nicht zu verraten, wie sehr sie innerlich mit sich
rang.
Aber Michaels Antwort war nicht so kurz. „Weißt du, das alles wäre wesentlich
einfacher, wenn ich dich nicht so sehr mögen würde.“
Josie lächelte. „Ja, du könntest es mir auch leichter machen, wenn du ein Idiot
wärest.“
Er schmunzelte. „Ich werde sehen, was ich tun kann.“
„Danke. Ich weiß es zu schätzen“, erwiderte sie, bevor sie nach oben eilte.
Doch als sie ihre Zimmertür hinter sich schloss, wurde ihr klar, dass sie nicht in
Sicherheit war.
Sie hatte nämlich ihr ungestilltes Verlangen nicht hinter sich gelassen. Und es
sorgte dafür, dass sie keinen Schlaf fand, sondern sich die ganze Nacht rastlos
umherwälzte.
Um nicht über den schmalen Flur und in Michaels Zimmer zu gehen.
7. KAPITEL Michael mochte es nicht, vor der Arbeit zu hetzen, also stand er stets früher als nötig auf. Daher war er auch am Dienstagmorgen schon geduscht, rasiert und angezogen, obwohl er erst in einer halben Stunde aufbrechen musste. Normalerweise trank er seinen Kaffee am Küchentisch und las dabei Zeitung, doch an diesem Morgen setzte er sich mit dem dampfenden Becher auf die Couch im Wohnzimmer. Direkt neben der Stelle, an die Josie und er sich am Abend zuvor gelehnt hatten. Er wusste, dass es albern war. Genauso albern wie die Tatsache, dass er das, was sich dort abgespielt hatte, mindestens hundert Mal vor seinem geistigen Auge hatte vorüberziehen lassen. Und jetzt saß er hier, starrte auf den Ort des Geschehens und lebte es ein weiteres Mal durch. Dort zu sein, wo es passiert war, machte alles noch plastischer. Und je plastischer er es vor sich sah, desto schwerer fiel es ihm, es aus dem Kopf zu bekommen. Es nicht wiederholen zu wollen. Und genau deshalb war es einfach idiotisch, sich auf die Couch zu setzen. Trotzdem blieb er, wo er war, und erinnerte sich an jeden Moment, an jede Einzelheit. Daran, wie es war, Josie in den Armen zu halten. Sie zu küssen. Ihre Lippen an seinen zu spüren. Den frischen Duft ihres Haars einzuatmen… Er fühlte, wie sie auf jede seiner Zärtlichkeiten reagierte. Er hörte die leisen Laute, die sie von sich gab. Er spürte ihre zarten Hände an seinem Körper. An seinem Gesicht. Am Hals. Am Rücken. Es war einfach so verdammt atemberaubend gewesen… Urplötzlich wurde Michael bewusst, dass er die Hände dorthin gelegt hatte, wo sie beide sich mit dem Rücken an die Couch gelehnt hatten. Und dann ertappte er sich auch noch dabei, das Polster zu streicheln. So wie er ihre Brüste… Schluss jetzt, hör auf damit, befahl er sich. Was war er, ein Teenager, der seine eigenen Gedanken nicht unter Kontrolle hatte? Er musste lachen, denn was er gerade mit Josie erlebte, erinnerte ihn daran, wie er als Schüler für das rothaarige Mädchen geschwärmt hatte, das in der Mathematikstunde vor ihm gesessen hatte. Er hatte sich nicht auf den Unterricht konzentrieren können, sondern nur von ihr geträumt. Fantasiert. Und beim Hinausgehen hatte er sogar mit der Hand über die Rückenlehne ihres Stuhls gestrichen, als könnte er ihr dadurch näher sein. Er hatte geglaubt, dass ihm so etwas nie wieder passieren würde. Aber bei Josie ging es ihm wieder wie damals. Das war genau das, was er jetzt brauchte. Die Pubertät ein zweites Mal durchzumachen. Na großartig. Dabei sollte er hoffen, dass es nicht mehr als das war. Denn was ihn wirklich beunruhigte, war der Verdacht, dass dies keine teenagerhafte Schwärmerei war, sondern etwas Ernsthaftes. Etwas, was tiefer ging. Er mochte Josie wirklich. Er mochte sie sehr. So sehr, dass es ihm einen Stich versetzte, wenn er daran dachte, wie sie aufgewachsen war. Dass er wünschte, er könnte es irgendwie wieder gutmachen. Außerdem genoss er ihre Gesellschaft so sehr, dass sie ihm fehlte, wenn er nicht mit ihr zusammen war, und dass er die Stunden zählte, bis er sie wiedersehen konnte. Er traf sich nicht mehr mit Freunden, um einen Drink zu nehmen oder ins Kino zu gehen, weil er lieber mit Josie allein sein wollte. Er hatte sogar auf eine Freikarte für das Baseballspiel der Giants verzichtet, um früher zu Hause zu sein. Bei ihr.
Und wenn der Abend mit ihr zu Ende ging, erschien er ihm viel zu kurz. Und
danach lag er in seinem Bett und stellte sie sich in ihrem vor.
Im Bett…
Das war noch so ein Punkt. Dass er sie begehrte, das war nicht zu bestreiten. Er
begehrte sie mehr, als er jede andere Frau je begehrt hatte.
Aber es änderte nichts an seinem Entschluss. Nur weil er Josie mochte und mit
ihr mehr Spaß hatte als mit jeder anderen, nur weil er sie so wollte wie ein
Ertrinkender einen Rettungsring, bedeutete das noch lange nicht, dass er dem
nachgeben durfte. Jedenfalls nicht, wenn er Feuerwehrmann bleiben wollte.
Nicht, wenn es in seiner Erinnerung Dinge gab, die genauso lebhaft waren wie
das, was Josie und er am Abend zuvor getan hatten.
Zum Beispiel die Erinnerung daran, wie er die Tür geöffnet hatte, als der
Feuerwehrchef kam, um ihnen zu sagen, dass sein Vater umgekommen war.
Und daran, wie er bei der Beerdigung neben seiner Mutter gestanden hatte.
An Baseballspiele und CampingWochenenden mit seinen Freunden und deren
Vätern, bei denen er der einzige Junge gewesen war, der keinen Vater hatte.
Daran, dass seine Mutter noch viele Jahre nach dem Tod seines Vaters heimlich
geweint hatte.
Er durfte nicht zulassen, dass Josie so etwas durchmachte. Die Vorstellung, dass
er für den Schmerz eines anderen Menschen verantwortlich sein könnte, war für
ihn immer wie eine kalte Dusche gewesen, die ihn wieder zur Vernunft brachte.
Und jetzt, da er Josie kannte, war der Gedanke noch ernüchternder.
Sie war so voller Leben, so glücklich. Was würde aus ihr werden, wenn ihm kein
langes Leben mit ihr vergönnt war, sondern das, was seinem Vater widerfahren
war? Das war eine schreckliche Vorstellung. Zumal er inzwischen wusste, dass
sie schon mal jemanden verloren hatte – und wie sehr es sie geprägt hatte.
Pip kam die Treppe herunter, und Michael schaute hinüber, um nachzusehen, ob
Josie ihm folgte.
Aber er hoffte vergebens. Der große Hund war allein, kam zu ihm und stieß mit
der Schnauze gegen sein Bein, weil er Aufmerksamkeit wollte.
„Wie bist du denn herausgekommen?“ fragte er, als könnte Pip ihm antworten.
„Hat dein Frauchen etwa ihre Zimmertür offen gelassen?“
Pip leckte seine Hand und legte den schweren Kopf auf sein Knie.
„Ich schätze, das ist ein Ja“, murmelte Michael und kraulte Pip hinter den Ohren.
In diesem Moment ging ihm auf, dass es nicht nur dumm war, auf der Couch zu
sitzen und an das zu denken, was gestern Abend zwischen Josie und ihm
geschehen war. Noch viel dümmer war es, sich einzubilden, dass es allein von
ihm abhing, was aus ihnen beiden werden würde. Schließlich hatte sie keinen
Zweifel daran gelassen, dass auch sie keine ernsthafte Beziehung wollte. Dass
Pip das einzige Wesen war, dem sie auf Dauer ihre Zuneigung schenken wollte.
Dass sie absolut nicht daran interessiert war, sich an jemand anderen als an Pip
zu binden.
„Sie würde mich auslachen, was?“ fragte er den Hund leise. „Ich spiele hier den
Edelmütigen, der ihr nicht zumuten will, mich zu verlieren, und dabei will sie
mich sowieso nicht. Jedenfalls nicht für etwas Ernstes.“
Und warum versetzte ihm das einen ziemlich schmerzhaften Stich?
Vielleicht war er nicht nur dumm, sondern auch verrückt.
Michael stand auf. „Komm schon, ich lasse dich in den Garten, bevor ich
aufbreche.“
Der Hund folgte ihm zur Hintertür. Michael öffnete sie ihm, trank den Kaffee aus
und wartete, bis Pip wieder hereinkam.
„Ich muss los“, sagte er zu ihm, während er die Tür abschloss.
Pip trottete die Treppe wieder hinauf, und Michael verspürte einen Anflug von
Neid. Nur zu gern wäre er mit dem Hund zusammen in Josies Zimmer gegangen.
„Du bist hoffnungslos“, sagte er kopfschüttelnd.
Aber noch während er das Haus verließ und in den herbstlichen Sonnenschein
trat, stellte er sich Josie in ihrem Bett vor. So, wie er sie an ihrem gemeinsamen
Wochenende gesehen hatte.
Und trotz allem, was er sich gerade ins Gedächtnis gerufen hatte, hätte er in
diesem Moment alles gegeben, um zu ihr unter die Decke schlüpfen zu können.
Und sie mit sanften Küssen zu wecken. Mit zärtlichen Berührungen. Seinen
Körper an ihren gepresst, um sie spüren zu lassen, wie sehr er sie begehrte…
„Absolut hoffnungslos“, wiederholte er und machte sich auf den Weg zur
Feuerwache. „Hoffnungslos, dumm und verrückt.“
„Josie, hast du eine Minute Zeit, bevor du gehst?“
Josie war am Mittwochmittag schon halb aus der Tür von Manhattan Multiples, als
Leah Simpson sie aufhielt. Sie hatte keine Minute Zeit, denn sie war mit ihrer
ehemaligen Mitbewohnerin verabredet, blieb jedoch trotzdem stehen.
„Ist es wichtig?“ fragte sie die Kollegin, die von Eloise Vale vor der
Obdachlosigkeit bewahrt worden war.
„Ich weiß nicht. Ich war gerade in Allisons Büro, um ihr die Unterlagen zu
bringen, die du mir gegeben hast. Ich glaube, es geht ihr nicht gut.“
Allisons Auseinandersetzung mit der Reporterin war kein Einzelfall geblieben.
Seitdem benahm sie sich immer wieder so, wie man sie überhaupt nicht kannte.
Sie war launisch, abgelenkt und regte sich über jede Kleinigkeit auf. Langsam
fing Josie an, sich Sorgen um sie zu machen.
„Was war denn?“ fragte sie Leah.
„Allison hatte ihren Kopf auf den Schreibtisch gelegt. Bestimmt hat sie
geschlafen. Ich musste ihren Namen drei Mal rufen. Dann hat sie sich ruckartig
aufgesetzt. Als ich mich dafür entschuldigte, dass ich sie geweckt habe, wurde
sie wütend und behauptete, dass sie gar nicht geschlafen hätte. Aber sie sieht
nicht gut aus.“
Josie machte kehrt. „Ich sehe nach ihr. Geh ruhig essen. Du siehst aus, als
könntest du ebenfalls eine Pause brauchen.“
Das stimmte. Leah war im siebten Monat mit Drillingen schwanger. Die Arbeit fiel
ihr nicht leicht, obwohl alle bei Manhattan Multiples darauf achteten, dass sie sich
nicht zu viel zumutete.
„Ich muss mich nur ein paar Minuten hinsetzen“, erwiderte Leah, während Josie
zu ihrem Schreibtisch ging und ihre Tasche ablegte.
„Tu das“, meinte Josie, bevor sie zum Hörer griff, um Sharon wissen zu lassen,
dass sie sich verspäten würde. Dann eilte sie in Allisons Büro.
Obwohl Leah gerade eben noch dort gewesen war, fand Josie Allison so vor, wie
Leah sie beschrieben hatte – den Kopf auf dem Schreibtisch, die Augen
geschlossen und ohne Reaktion, bis Josie ihren Namen zum zweiten Mal rief.
Wieder fuhr Allison ruckartig hoch. Der Abdruck der Schreibtischunterlage auf
ihrer Wange verriet, dass sie geschlafen hatte.
„Bist du okay?“ fragte Josie sie.
„Ja, das bin ich“, erwiderte Allison scharf. „Warum fragen mich andauernd alle,
ob es mir gut geht?“
„Weil es nicht deine Art ist, in der Mittagspause zu schlafen. Wenn du dich nicht
wohl fühlst, geh ruhig nach Hause. Ich vertrete dich.“
„Ich bin nur ein wenig müde“, gab Allison endlich zu.
„Hast du nachts Einschlafprobleme?“ fragte Josie. „Wenn ich nicht schlafen kann,
mache ich eine Aromatherapie, und das…“
„Ich habe keine Schlafstörungen“, unterbrach ihre Kollegin sie. „Im Gegenteil, in
letzter Zeit könnte ich rund um die Uhr schlafen. Es ist nur nicht leicht, abends
Jura zu studieren und den ganzen Tag zu arbeiten.“
„Das glaube ich dir“, erwiderte Josie, bemerkte jedoch nicht, dass Allison die
Doppelbelastung bisher immer verkraftet hatte, ohne am Schreibtisch
einzuschlafen. „Vielleicht solltest du dir einfach einen freien Tag gönnen, bis
mittags schlafen, dich mit einem Sandwich vor den Fernseher setzen und dir alte
Filme anschauen. Lade deine Batterien wieder auf. Du hast genug Überstunden
angesammelt, und wir anderen können für dich einspringen.“
Plötzlich sah Allison nicht mehr verärgert aus, sondern so, als würde sie jeden
Moment in Tränen ausbrechen. Aber sie griff Josies Vorschlag auf. „Vielleicht hast
du Recht. Ich könnte den Freitag nehmen, dann hätte ich ein langes
Wochenende.“
„Gute Idee. Ich werde dafür sorgen, dass deine Arbeit nicht liegen bleibt.
Verwöhn dich, ja?“
Allison nickte, sah aber noch immer so erschöpft und angeschlagen aus, dass
Josie sich fragte, ob ein einziger freier Tag ausreichen würde.
„Wie wäre es jetzt mit Mittagessen? Ich bin zwar mit einer Freundin verabredet,
aber wir würden uns freuen, dich dabei zu haben.“
„Nein, danke. Ich habe mir ein Sandwich gemacht.“
„Wie wäre es mit einem leckeren Nachtisch? Soll ich dir etwas mitbringen?“ bot
Josie an. „Ein Stück Schokoladentorte vielleicht?“ Die hatte Allison am Freitag gut
getan.
Doch dieses Mal schien Allison dazu einfach zu niedergeschlagen zu sein. „Ich
glaube, nicht“, erwiderte sie. „Aber mach bitte die Tür hinter dir zu, wenn du
hinausgehst.“
Josie vermutete, dass sie das tun sollte, damit Allison weiterschlafen konnte,
aber sie sagte nichts dazu. Schließlich ging es niemanden an, was Allison in ihrer
Mittagspause tat.
„Sicher.“
Josie verließ das Büro und hatte die Tür schon halb geschlossen, da ließ ihre
Besorgnis sie innehalten. „Vergiss nicht, wenn du darüber reden möchtest oder
ich etwas tun kann…“
„Ich werde es nicht vergessen, danke“, erwiderte Allison halbherzig. Aber sie
nahm das Angebot nicht an, sondern starrte Josie einfach nur an, bis Josie den
Wink verstand und die Tür schloss.
„Hast du gesehen?“ flüsterte Leah, als Josie an den Empfang zurückkehrte. „Mit
ihr ist etwas nicht in Ordnung, nicht wahr?“
„Sie scheint ein wenig durcheinander zu sein“, antwortete Josie. „Aber das
kommt bei uns allen mal vor. Wir sollten etwas Geduld mit ihr haben.“
„Du findest nicht, dass wir es Eloise sagen sollten?“
„Ich glaube, Eloise hat im Moment genug eigene Probleme. Wenn Allison will,
dass sie etwas davon erfährt, sollte sie es ihr selbst sagen.“
„Okay“, stimmte Leah zu. „Dann lege ich jetzt meine Füße hoch und esse etwas.“
„Und ich treffe mich mit meiner Freundin.“
Aber beim Hinausgehen warf Josie einen Blick zu Allisons Tür hinüber und fragte
sich, was mit ihrer Kollegin bloß los war.
Kaum hatten Josie und Sharon ihre Salate bestellt, kniff Sharon die Augen
zusammen und musterte Josie kritisch.
„Hm. Du siehst erschöpft aus. Bedeutet das, dass du nicht genug Schlaf
bekommst, weil du jede Nacht damit verbringst, dich wild und leidenschaftlich
mit Michael im Bett zu vergnügen?“
„Ich habe dich nicht mehr gesehen, seit ich ausgezogen bin, und dir fällt nichts Besseres ein, als mir zu sagen, dass ich erschöpft wirke?“ konterte Josie und wich damit der Frage ihrer ehemaligen Mitbewohnerin aus. Sharon beugte sich noch weiter vor. „Erschöpft, aber nicht glücklich erschöpft. Also schläfst du nicht genug, weil du zwar wilden, leidenschaftlichen Sex mit ihm willst, ihn dir aber nicht erlaubst.“ Josie lachte und überlegte, ob sie widersprechen sollte oder nicht. Nach kurzem Zögern tat sie so, als würde sie mit der Stirn auf die Tischplatte hämmern. „Oh, Junge, und wie ich will.“ Sharon lachte ebenfalls. „Dann tu es doch einfach!“ Josie setzte sich auf. „Das kann ich nicht“, erwiderte sie resigniert. „Warum nicht? Ist er nicht interessiert?“ „Daran liegt es nicht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er sogar sehr interessiert ist. Er hat mich geküsst. Und so. Aber ich habe es nicht wieder zum Letzten kommen lassen.“ „Ach, komm schon! Wo ist deine Lebenslust geblieben? Deine zupackende Art?“ fragte Sharon. Wenn sie an Michael dachte, gab es einiges, wo sie gern zugepackt hätte, doch das sprach sie nicht aus. „Gerade weil ich beides behalten will, darf ich nicht wieder mit ihm schlafen. Denn ich würde riskieren, mich zu binden und einzuengen.“ „Blödsinn. Du hast einfach nur Angst. Aber ich dachte, das zwischen euch ist stark genug, um sie zu überwinden.“ „Ich habe keine Angst“, protestierte Josie matt. „Doch, hast du. Schreckliche Angst sogar. Vor seinem Job. Vor einer festen Beziehung…“ „Na ja, du hattest Angst vor seiner Mutter, also solltest du den Mund nicht zu voll nehmen.“ „Stimmt! Ich hatte große Angst vor seiner Mutter“, gab Sharon lächelnd zu, ließ Josie jedoch nicht vom Haken. „Aber es hat mir nicht den Schlaf geraubt. Du dagegen siehst aus, als würdest du kaum noch ein Auge zutun. Weil du den Typen wirklich magst. Deshalb solltest du ihm eine Chance gönnen. Und eine Nacht.“ „Ja, ich mag ihn. Alles an ihm“, gestand Josie. „Und du bist so heiß auf ihn, dass du es kaum noch aushältst.“ „Ich kann es aushalten“, log Josie. Offenbar hatte sie nicht besonders überzeugend gelogen, denn Sharon ignorierte ihre Antwort einfach. „Ich dachte immer, es ist dir wichtig, jeden Moment für sich zu leben. Und in diesem Moment willst du diesen Mann so sehr, dass du die Hände nicht von ihm lassen kannst. Warum tust du es nicht einfach? Welchen Schaden könnte es denn schon anrichten?“ Das war die Frage, die Josie sich immerzu stellte. „Großen Schaden“, erwiderte sie leise. „Oder viel Gutes. Okay, er hat einen gefährlichen Beruf. Und wenn schon. Die meisten Leute in gefährlichen Berufen werden alt, ohne dass ihnen etwas Schlimmes zustößt. Und was deine Angst vor Bindung angeht – wenn du dich an den Richtigen bindest, wirst du dich nicht eingeengt fühlen. Außerdem“, fügte Sharon mit hochgezogenem Mundwinkel hinzu, „hast du dich doch noch nicht an ihn gebunden, oder?“ „Nein, noch nicht.“ „Dann kannst du doch wieder mit ihm schlafen, um zu überprüfen, ob das tolle Wochenende mit ihm nur eine Ausnahme war. Wer weiß, vielleicht fragst du dich
hinterher sogar, warum du damals so begeistert warst.“ Josie lachte. „Du meinst, ich sollte mit ihm schlafen, um festzustellen, ob ich mich richtig erinnert habe?“ „Das wäre ein guter Grund.“ Josie verdrehte die Augen. „Ich denke, es wäre besser, alles auf einer platonischen Ebene zu belassen.“ „Ich hätte nie gedacht, dass ich das noch mal erleben würde“, sagte ihre Freundin kopfschüttelnd. „Dass ausgerechnet du so konservativ wirst.“ Josie schwieg, während die Kellnerin das Essen servierte. Es war ein langer, anstrengender Tag für Josie gewesen. Doch ihre Erschöpfung war wie weggeblasen, als sie auf dem Heimweg daran dachte, dass Michael vielleicht zu Hause war und sie den Abend mit ihm verbringen konnte. Als sie dort ankam, hörte sie in der Küche Wasser laufen. Sie hängte ihre Tasche über den Pfosten am Fuß der Treppe und eilte weiter, ohne sich die Schuhe auszuziehen – so sehr freute sie sich darauf, Michael wiederzusehen. Sie kam gar nicht auf die Idee, dieses Gefühl zu analysieren oder es gar zu unterdrücken, sondern folgte ihm einfach. Er stand an der Spüle, doch als Josie ihn sah, wusste sie, dass etwas nicht stimmte. Er kehrte ihr den Rücken zu – den wundervollen Rücken mit den breiten Schultern und der schmalen Taille über dem preisverdächtigen Po. Aber er trug noch immer die dunkle Hose und das TShirt mit der Aufschrift der New Yorker Feuerwache. Beides gehörte zu seiner Uniform, und da seine Schicht seit dem frühen Morgen beendet war, gab es eigentlich keinen Grund, warum er es jetzt noch anhatte. „Ich bin zu Hause“, verkündete Josie und blieb im Durchgang vom Wohnzimmer zur Küche stehen. Michael sah nur kurz über die Schulter. „Hallo“, sagte er und machte mit dem weiter, was er gerade tat. Aber selbst die knappe Begrüßung reichte aus, um sie die Anspannung spüren zu lassen, die von im ausging. Pip saß neben ihm auf dem Fußboden, und das lieferte ihr einen Grund, die Küche zu betreten und zu den beiden zu gehen. „Hallo, Pip, hast du mich heute vermisst?“ Der Hund wedelte mit dem Schwanz, wich jedoch nicht von Michaels Seite, und irgendwie hatte Josie den Eindruck, dass Pip auf ihn aufpassen wollte. Aber das machte keinen Sinn. Bis sie sich wieder aufrichtete und an Michael vorbeisah. Erst jetzt registrierte sie, dass er sich nicht nur nicht umgezogen, sondern auch noch nicht geduscht hatte. Auf dem TShirt und auf seinem Gesicht waren Schmutzflecken. Und er war gerade dabei, sich eine gelbliche Verfärbung vom linken Unterarm zu waschen, wobei er sorgfältig darauf achtete, die Reihe von schwarzen Nähten in der Haut nicht zu berühren. „Was ist passiert?“ fragte sie entsetzt. „Schlechter Tag“, erwiderte Michael kurz angebunden. Mehr sagte er nicht. Da es schwierig war, bei laufendem Wasser mit ihm zu reden, wartete Josie, bis er fertig war. Er drehte den Hahn zu und tupfte mit einem Handtuch den Arm trocken. „Sag mir, dass du heute Abend nichts vorhast, sondern einfach nur herumsitzen willst.“ Oh, ja, er klang wirklich angespannt. „Genau das hatte ich vor“, antwortete sie. „Gut. Du glaubst gar nicht, wie sehr ich gehofft habe, dass du das sagen und vielleicht mit mir in Ruhe zu Abend essen würdest.“
Da er offenbar noch immer nicht darüber sprechen wollte, fragte sie ihn nicht,
was ihm auf der Arbeit passiert war. Vielleicht würde er es ja tun, wenn seine
Anspannung sich gelegt hatte.
„Als ich gestern nach Hause kam, habe ich gesehen, dass wie von Zauberhand
zwei Steaks und eine Schüssel Kartoffelsalat im Kühlschrank aufgetaucht sind…“
„Hin und wieder benutzt meine Mutter ihren Schlüssel, um die Vorräte
aufzufüllen, während ich im Dienst bin“, erklärte er.
„Das habe ich mir fast gedacht. Übrigens, meine Steaks sind auch nicht schlecht.
Was hältst du davon, wenn ich mich rasch umziehe und du duschen gehst? Wenn
du wieder nach unten kommst, sind die Steaks fertig. Einverstanden?“
Michael hatte sich den Arm abgetrocknet, drehte sich zu ihr um und lehnte sich
gegen die Arbeitsfläche. „Klingt großartig“, erwiderte er und hörte sich irgendwie
erleichtert an. „Das ist genau das, was ich jetzt brauche“, fügte er hinzu.
Sie tat so, als hätte sie ihn missverstanden. „Du brauchst ein gutes Steak und
Kartoffelsalat?“
Es klappte, denn endlich rang er sich ein Lächeln ab. „Nein. Ich brauche etwas
Zeit mit dir“, sagte er nur, bevor er sich von der Arbeitsplatte abstieß und sie
allein in der Küche stehen ließ.
Allein und mit einem warmen Gefühl.
Doch auch während sie aßen, schien Michael nicht über seinen Arbeitstag reden
zu wollen. Stattdessen fragte er Josie, ob es weitere Drohungen gegen Eloise
oder Manhattan Multiples gegeben hatte und ob die neue Alarmanlage schon
installiert worden war.
Also ließ sie ihm noch etwas Zeit und sagte, ja, die Fachleute seien dabei, die
Anlage einzubauen. So unbeschwert sie konnte, erzählte sie ihm davon, was sie
an diesem Tag erlebt hatte.
Nach dem Essen räumten sie das Geschirr in den Spüler, und dann schlug
Michael vor, sich jeder eine zweite Flasche von dem Bier zu gönnen, das sie zu
den Steaks getrunken hatten.
Josie nickte und schaute kurz nach Pip, der im Garten fröhlich Eichhörnchen
jagte. Danach setzten Michael und sie sich mit ihren Bierflaschen ins
Wohnzimmer.
Er nahm die Mitte der Couch, legte den Kopf zurück und die nackten Füße auf
den Tisch.
Josie nahm neben ihm Platz, zog die Beine aufs Polster und drehte sich so, dass
sie ihn ansehen konnte. Sie hatte sich umgezogen und trug eine weite Capri
Hose und eine Bluse mit einem tiefen Ausschnitt. Auch sie trug keine Socken,
und plötzlich wurde ihr bewusst, dass die Situation auf unterschwellige Weise
intim war.
Sie versuchte, nicht daran zu denken.
„Also? Erzählst du mir jetzt endlich von deinem Tag?“ bat sie.
Michael runzelte die Stirn und nahm einen kräftigen Schluck Bier, bevor er
antwortete.
„Schlechter Tag“, wiederholte er anschließend.
Und das war es. Mehr sagte er nicht.
Doch inzwischen war Josies Neugier zu groß, um aufzugeben. Sie probierte es
anders. „Was ist mit deinem Arm passiert?“
Er hatte geduscht, sich rasiert und alte Jeans sowie ein weißes TShirt
angezogen. Die Ärmel waren bis zu den Ellbogen hochgeschoben, und ihr Blick
fiel auf den Schnitt an seinem Unterarm, der jetzt unter einem Verband
verborgen war.
„Gehört alles zum schlechten Tag“, sagte er.
Josie wusste, dass sie gleich schreien würde, wenn sie nicht endlich erfuhr, was geschehen war, aber sie beherrschte sich und schwieg. Nach ein paar Minuten und einem weiteren Schluck aus seiner Flasche funktionierte ihre Taktik. „Die letzte Nacht war ruhig. Ich habe sogar acht Stunden Schlaf bekommen. Ich dachte mir, wenn ich nach Hause komme, kann ich im Garten arbeiten oder einige kleinere Reparaturen erledigen. Aber etwa eine Stunde vor dem Ende meiner Schicht kam ein Anruf. Ein Unfall, in den ein Lastwagen und ein PKW verwickelt waren. Der Fahrer des PKW war eingeklemmt, und wir brauchten eine Rettungsschere, um ihn zu befreien.“ „Eine Rettungsschere? So etwas macht ihr auch?“ fragte Josie. „Natürlich“, bestätigte Michael. „Wir löschen nicht nur Feuer, wir retten Menschen aus allen möglichen Gefahren.“ Er setzte die Flasche wieder an und trank, bevor er fortfuhr. „Jedenfalls, wir trafen am Unfallort ein, und es sah übel aus. Der Typ war auf dem Weg zur Arbeit, nur zwei Blocks von seinem Haus entfernt. Er hatte schreckliche Schmerzen und wurde immer wieder ohnmächtig. Wir arbeiteten so schnell wie möglich. Der Notarzt war schon vor Ort, konnte jedoch nicht feststellen, welche Verletzungen er hatte, weil der Mann noch immer in dem Blechhaufen steckte. Und dann, als wäre das noch nicht schlimm genug, tauchte auch noch seine Frau mit den Kindern auf…“ „Wie das denn?“ fragte Josie und verzog das Gesicht bei der Vorstellung, dass seine Familie alles mitbekommen hatte. „Die Frau fuhr die Kinder zur Schule, erkannte den Wagen und hielt an. Sie wurde hysterisch – kein Wunder. Und die Kinder brachen in Tränen aus…“ „Waren sie nahe genug, um alles zu sehen?“ „Nein, die Polizei hielt sie zurück, aber…“ Michael schüttelte den Kopf. „Wir konnten sie die ganze Zeit rufen und weinen und flehen hören.“ Wieder schüttelte er den Kopf. „Ich habe es einfach nicht so schnell geschafft, wie wir alle es uns gewünscht hätten.“ „War die Familie bis zum Schluss da?“ „Die Polizei brachte die Mutter dazu, die Kinder von einer Nachbarin nach Hause bringen zu lassen und selbst in das Krankenhaus zu fahren, in das man ihren Mann einliefern würde. Aber der Mann im Autowrack hatte es irgendwie mitbekommen, und als er das nächste Mal aus der Ohnmacht erwachte, rief er nach ihnen…“ Michael holte tief Luft. „Es war schlimm.“ „Das glaube ich“, sagte Josie leise. „Wie lange hat es gedauert, ihn zu befreien?“ „Es war schon nach Mittag.“ „Und hat er überlebt?“ Zum dritten Mal schüttelte er den Kopf. „Als wir ihn endlich heraus hatten, stellten wir fest, dass der Druck des Lenkrads auf seinen Brustkorb die Blutungen gestillt hatte. Kaum war der Druck weg, hatten wir ein Problem. Auf dem Weg zum Krankenhaus taten der Notarzt und die Rettungssanitäter alles, was sie konnten, aber er ist verblutet, bevor wir dort ankamen.“ „Wir? Du bist mitgefahren?“ Michael zeigte mit der Bierflasche auf den verletzten Arm. „Ich hatte mich an scharfkantigem Metall geschnitten, also luden sie mich gleich mit ein. Um es nähen zu lassen. Ja, ich habe alles miterlebt, von Anfang bis Ende. Ich war sogar nebenan, als sie der Frau sagten, dass ihr Mann gestorben sei.“ „Oh, Michael, es tut mir so Leid“, sagte Josie und legte eine Hand auf seinen unverletzten Arm und die Stirn an seine Schläfe. „Wie gesagt, ein schlechter Tag.“
Sie hatte nicht daran gedacht, welche Folgen es haben würde, ihn zu berühren. Dabei hatte sie ihn nur trösten wollen. Aber dort, wo ihre Haut an seiner lag, fühlte sie sich plötzlich sehr empfindlich an. Hastig setzte sie sich auf und nahm die Hand fort, aber Michael schien sich nicht ganz von ihr lösen zu wollen, denn er griff nach ihrer Hand. „Danke, dass du heute Abend hier bist“, sagte er und lächelte ein wenig. „Ich wollte wirklich nicht allein sein. Und es war auch schön, umsorgt zu werden.“ „Warte, bis du meine Rechnung bekommst“, scherzte sie und wehrte sich gegen die Erregung, die sich von der Hand, die er in seiner hielt, in ihrem ganzen Körper ausbreitete. „Was immer es kostet, es ist es wert“, entgegnete er. Doch obwohl sie wusste, dass auch er nur scherzte, nahm sie in seiner Stimme noch etwas war. Und nicht nur darin, sondern in der Luft um sie herum. Etwas, dass die Intimität verstärkte, die sie von Anfang an gespürt hatte. Michael nahm die Füße vom Couchtisch und stellte seine Bierflasche dorthin. Als er sich aufrichtete, lehnte er sich nicht wieder zurück, sondern drehte sich zu Josie. „Du machst etwas mit mir“, sagte er, den Blick auf ihre Hand in seiner gerichtet. „Was mache ich mit dir?“ „Ich kann es nicht erklären. Aber es ist etwas Gutes. Etwas wirklich Gutes. Ich habe heute Nachmittag im Krankenhaus gesessen und darauf gewartet, entlassen zu werden. Und alles, woran ich denken konnte, war, dass alles wieder gut sein würde, sobald ich bei dir bin.“ „Ich weiß nicht“, erwiderte sie. „Du warst den ganzen Abend hindurch ziemlich niedergeschlagen.“ „Stimmt, aber jetzt fühle ich mich schon viel besser“, versicherte er ihr und klang auch so, denn sein Lächeln war entspannter, und seine Stimme hatte einen verführerischen Unterton. Josie wusste, dass sie ihre Hand aus seiner herausziehen sollte. Dass sie auf Abstand gehen sollte. Dass sie ihm vermutlich sogar eine gute Nacht wünschen und in ihr Zimmer gehen sollte. Sie hatte ihm geholfen, den Abend durchzustehen, und ihn dazu gebracht, über seinen schlimmen Tag zu reden. Aber jetzt hatten sie eine Grenze überschritten, und ihr war klar, dass sie sich zurückziehen sollte, bevor sich noch mehr entwickelte. Doch sie konnte es nicht. Denn er hatte Recht, das hier war^ schön. Sehr schön. Bei ihm zu sitzen. Seine große Hand um ihre zu fühlen. Und den Daumen, mit dem er sie streichelte. Josie fiel ein, was Sharon beim Lunch zu ihr gesagt hatte. Dass sie jeden Moment für sich leben sollte. Auch diesen Moment mit Michael. Dass sie einfach tun sollte, was sie wollte, wirklich wollte… Und deshalb wich sie nicht zurück, als er die andere Hand an ihren Hals legte, sie an sich zog und ihren Mund mit seinen Lippen streifte. Sie sagte nicht Nein. Sie schob ihn nicht von sich. Stattdessen unterdrückte sie jeden Gedanken, der sie zur Vorsicht mahnte, und erwiderte seinen Kuss. Sie war nicht sicher, ob es an der gedrückten Stimmung des Abends lag oder daran, dass sie sie gemeinsam ertragen und überwunden hatten. Aber der Kuss war vom ersten Augenblick an anders. Er war tiefer, intensiver und so leidenschaftlich, dass es ihr den Atem verschlug. Michael brach ihn ab, um ihr die Bierflasche abzunehmen und sie auf den Tisch zu stellen. Dann legte er beide Arme um sie, zog sie an sich und setzte den Kuss mit halb geöffneten Lippen fort. Josie presste die Handflächen auf seinen Rücken, öffnete den Mund und hieß
seine Zunge willkommen. „Ich will dich, Josie“, sagte er während einer Unterbrechung, die höchstens den Bruchteil einer Sekunde dauerte. „Ich will dich auch“, gab sie zu. Mehr schien es nicht zu sein – ein wechselseitiges Verlangen, so überwältigend, dass ihm nicht zu widerstehen war. Wieder brach Michael den Kuss ab und zog sie mit sich von der Couch, um sie nach oben zu führen in sein Zimmer, an das sie sich so gut erinnerte. Noch gab es ein Zurück für Josie, noch konnte sie Nein sagen. Doch das tat sie nicht, denn sie konnte nur an eines denken: Gleich würde sie wieder mit ihm zusammen sein. So, wie sie es schon gewesen war. So, wie sie es auch jetzt sein wollte. Ohne das Licht einzuschalten, schob Michael sie an sein Bett, nur in den Mondschein getaucht. Dann hob er sie auf die Arme und küsste sie, wie er sie im Wohnzimmer geküsst hatte. Josie ließ den Kopf in den Nacken fallen, öffnete die Lippen, tastete mit der Zunge nach seiner und schob die Hände unter sein TShirt. Er tat es ihr nach und ließ den Saum ihrer Bluse langsam nach oben und über ihren Kopf gleiten. Der BH, den sie darunter trug, verhüllte kaum etwas, und da sie nicht als Einzige entblößt sein wollte, zog sie ihm das TShirt aus, während er seine Lippen von ihrem Hals zu ihrer Wange wandern ließ. Dann hakte er den BH auf und legte ihre Brüste frei, bevor er sie wieder an sich drückte, bis ihre längst festen Spitzen sich an seiner Haut rieben. Es fühlte sich herrlich an. Aber es war nicht genug. Nicht für Josie, nicht, wenn in ihr ein viel zu lange unterdrücktes Verlangen erwachte. Sie schlang die Arme um seine Schultern und gab ihm den Weg zu ihren Brüsten frei, ungeduldig auf seine Berührung wartend. Er senkte den Kopf und ließ seine Lippen an ihr hinabgleiten, bis er eine Spitze umschloss und liebkoste, noch bevor er seine Hand dem Mund folgen ließ. Und dann nahm er etwas Abstand, aber nur um sie schwungvoll auf die Arme zu heben und sich mit ihr aufs Bett fallen zu lassen. Josie landete auf dem Rücken und er über ihr. Er stützte sich auf die Ellbogen und hielt ihren Kopf zwischen den Händen, während er sie küsste. Es war wie ein erster Kuss. Voller Andacht. Voller Staunen. Voller Zärtlichkeit. Er küsste erst ihre Oberlippe, dann die untere. Die Wangen. Die Nasenspitze und jedes ihrer Lider. Er küsste den Hals und die Vertiefung am Ansatz ihrer Brüste. Er ließ seinen warmen Atem über ihre Haut streichen, bevor er zu ihrem Mund zurückkehrte und sie küsste, als hätte das Wochenende Anfang September seine Sehnsucht nach ihr längst nicht gestillt, sondern als wäre es nur ein Vorgeschmack gewesen. Dann drehte er sie behutsam auf die Seite und schob seine Hand auf der Rückseite ihres Schenkels nach oben und in ihren Slip, um ihre Hüften an seine zu pressen und sie fühlen zu lassen, wie sehr er sie begehrte. Erst danach ließ er seine Hand nach oben gleiten, um eine Brust zu umschließen und sie zu liebkosen, bis Josie sich vor Verlangen unter ihm wand. Während er mit seinem Mund das fortsetzte, was er mit den Fingern begonnen hatte, zog er ihr geschickt, aber auf durchaus sinnliche Weise die CapriHose und den Slip aus. Er hob den Kopf, um sich seiner Jeans zu entledigen, doch sein Anblick war die Unterbrechung wert. Sein großartiger Körper war in Mondlicht getaucht, und es war nicht zu übersehen, wie erregt er war. Er wandte sich kurz ab, dann war er
wieder bei ihr und küsste sich an ihr hinauf, bis sein Mund ihre Lippen erreichte. Mit beiden Händen erkundete er sie. Die Brüste. Den Bauch. Den Nabel. Die Innenseiten der Schenkel. Halb seufzte, halb stöhnte sie auf, als sie ihn dort fühlte, wo sie mehr als bereit für ihn war. Ihre Hände zitterten, als Josie sie ausstreckte, sein erregtes Glied umschloss und zurückgab, was er ihr an Lust bereitete. Bis keiner von ihnen mehr länger warten konnte. Michael glitt auf sie, sie öffnete sich ihm, und als er in sie eindrang, war es ein so überwältigendes Gefühl, dass sie sich ihm entgegenbog. So herrlich, dass es sogar noch besser war als alles, was sie an jenem Wochenende mit ihm erlebt hatte. Nie hatte sie etwas so Unglaubliches empfunden. Langsam begann er sich in ihr zu bewegen, und sie passte sich seinem Rhythmus an. Erst behutsam, dann schneller. Hemmungsloser, aber in perfekter Einheit, bis die Lust in Josie explodierte und sie mit sich riss. Dennoch spürte sie, wie Michael ihr dorthin folgte, wo es weder Zeit noch Raum, sondern nur sie beide gab… Sie spürte, wie er sich langsam entspannte, während sie beide wieder zu Atem kamen. Während ihr Puls sich wieder normalisierte. Während sie vereint blieben, erschöpft, aber zufrieden. Erst nach einer Weile richtete Michael sich auf, um sie auf die Stirn zu küssen. Danach drehte er sich auf den Rücken, so dass sie neben ihm lag, den Kopf an seiner Brust. Im Halbschlaf in seinen Armen fühlte Josie sich, als hätten sie weit mehr vereint als nur ihre Körper, und plötzlich wusste sie, warum sie ihn nicht hatte vergessen können. Was sie allerdings nicht wusste, war, wie es jetzt mit ihnen weitergehen würde.
8. KAPITEL Zwei Dinge weckten Josie früh am nächsten Morgen: der Sonnenschein, der
durchs Fenster strömte, und das Telefon, das auf dem Nachttisch läutete.
Ohne die Augen zu öffnen, tastete sie nach dem Hörer und nahm ihn nach dem
vierten Läuten ab.
„Hallo?“ meldete sie sich mit belegter Stimme.
Sie kannte die Männerstimme nicht, die nach Michael fragte, aber obwohl sie
noch nicht richtig wach war, registrierte sie, dass irgendwo eine Dusche lief.
„Eine Minute“, sagte sie und legte eine Hand auf die Muschel, während sie
Michaels Namen tief.
Er antwortete nicht, nur das Wasser rauschte weiter.
Also erklärte sie dem Anrufer, dass Michael gerade unter der Dusche stand.
„Kann ich ihm etwas ausrichten?“
„Ja, bitte“, erwiderte er. „Sagen Sie ihm, dass Ted von der Feuerwache
angerufen hat…“
„Ted“, sagte sie schläfrig und mit geschlossenen Augen.
„Richtig. Ich wollte ihn wissen lassen, dass er heute nicht vor fünf Uhr zum
Dienst kommen muss. Er hat zwar gesagt, dass er wegen seines Arms nicht zu
Hause bleiben muss, aber Frank hat angeboten, den ersten Teil seiner Schicht zu
übernehmen, damit er sich nach gestern wenigstens eine kleine Pause gönnen
kann.“
„Frank“, begann Josie und wiederholte die Nachricht.
„Und würden Sie ihm auch erzählen, dass wir eine Spendenaktion starten wollen,
um der Familie zu helfen. Wir alle wissen, wie hart es für Michael war, seinen
Vater so früh zu verlieren, also haben wir uns entschieden, etwas zu tun. Sagen
Sie ihm, er soll sich heute ausruhen.“
Sie versicherte dem Mann, dass sie alles ausrichten würde, und legte auf, ohne
auf den Apparat zu sehen. Dann ließ sie den Kopf wieder aufs Kissen sinken,
nahm sich ein paar Minuten, um richtig wach zu werden, und öffnete schließlich
die Augen.
Erst da wurde ihr bewusst, dass sie nicht in ihrem eigenen Zimmer war. Nicht in
ihrem Bett.
Sie war in Michaels Zimmer. In Michaels Bett.
Nach einer weiteren Liebesnacht mit ihm.
Josie schoss hoch, schwang die Beine aus dem Bett und hüllte sich in das obere
Laken.
Im kalten Licht des Tages erschien ihr der Entschluss, jeden Moment für sich zu
leben, keineswegs so vernünftig wie am Abend zuvor. Sie hatte genau das getan,
wozu Sharon sie ermuntert hatte. Sie hatte sich erlaubt, wonach sie sich sehnte.
Sie hatte dem Verlangen nachgegeben.
Aber jetzt war der Moment vorbei. Jetzt lag sie in seinem Bett und fragte sich,
was sie tun sollte.
Nicht, dass sie nicht genau wusste, was sie am liebsten tun würde. Nur zu gern
hätte sie bei der Arbeit angerufen und sich krank gemeldet. Um liegen zu bleiben
und darauf zu warten, dass Michael aus der Dusche kam. Und um ihm zu Sagen,
dass sie heute frei hätte und die nächsten Stunden mit ihm im Bett verbringen
wollte.
Aber was, wenn sie das tat? Wenn sie damit weitermachte, den Moment zu
leben? Wenn sie ihrem Instinkt folgte und mit ihm schlief, wann immer ihr
danach war?
Dann würde sie mit ihm leben und sich als seine Verlobte ausgeben, obwohl ihre
Beziehung gar nicht intimer sein könnte.
Es wäre eine intime Beziehung, die sich nicht so ergeben hatte, wie sie sollte. Sie
waren sie nicht eingegangen, weil sie beide zu diesem Schritt bereit gewesen
waren. Weil sie sich aneinander binden wollten.
Es wäre eine intime Beziehung, auf die sie sich überstürzt eingelassen hatten,
weil sie sich nicht beherrschen konnten. Weil sie die Hände nicht voneinander
lassen konnten, obwohl keiner von ihnen eine Beziehung wollte.
Und das war das größte Problem: Sie waren beide gegen eine Beziehung. Daran
hatte sich nichts geändert.
Oder doch?
Wollte sie, dass Michael und sie mehr als gute Freunde und Mitbewohner waren?
Der Gedanke war verlockend, das musste sie zugeben. Aber zugleich machte er
ihr große Angst. Die Vorstellung, sich einem Mann ganz zu öffnen, war
erschreckend. Schlimmer noch, einem Mann, den das Schicksal ihr so plötzlich,
so schnell rauben konnte, wie es ihr die Eltern genommen hatte.
Nein, es wäre besser, so weiterzumachen wie vor dieser Nacht und nichts als
gute Freunde und Mitbewohner zu sein. Und die Angst, ihre wahren Gefühle zu
verraten und von ihm zurückgewiesen zu werden, würde ihr helfen, sich ab jetzt
von seinem Bett fern zu halten.
Genau das würde sie tun. Es war das, was sie tun musste.
Und sie würde damit anfangen, dass sie sein Schlafzimmer verließ, sich anzog
und auf Distanz ging, bevor sie ihm erklärte, dass sie nicht mehr mit ihm
schlafen würde.
Also stand Josie auf und ging zur Tür.
Sie hatte sie gerade erreicht, da kam Michael aus dem Bad.
„Du bist auf. Guten Morgen“, sagte er.
Sie konnte schlecht die Tür aufreißen und wortlos hinausrennen. Aber sie brachte
es auch nicht fertig, sich umzudrehen und ihn anzusehen.
Also hielt sie das Laken zusammen und starrte auf den Türgriff.
„Du hattest gerade einen Anruf“, erklärte sie unvermittelt und teilte ihm die
Nachricht mit.
Danach schwieg er einen Moment. „Gestern. Verdammt, daran habe ich gar nicht
mehr gedacht“, murmelte er und klang plötzlich nicht mehr so fröhlich.
Ganz offensichtlich dachte er jetzt daran. An die Familie, die ihren Vater verloren
hatte. Mit der er sich identifiziert hatte. An den Schmerz, den er keiner Frau und
keinem Kind zumuten wollte.
„Ich muss zur Arbeit“, erklärte Josie und fand es furchtbar, dass es so traurig und
verletzt klang.
Michael war es nicht entgangen. „Bist du okay?“
„Es geht mir gut“, log sie.
„Du wirkst aber nicht so“, beharrte er.
Den Blick noch immer auf die Tür geheftet, beschloss Josie, nicht länger zu
warten, sondern ihm hier und jetzt zu sagen, was sie vorhatte.
„Diese Nacht war…“
„Unglaublich“, unterbrach er sie.
Sie hatte sagen wollen, dass diese Nacht ein Fehler gewesen war. Natürlich hatte
er Recht. Aber es war eine unglaubliche Nacht, die es nicht hätte geben dürfen
und die sich auf keinen Fall wiederholen durfte.
Also nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und drehte sich zu ihm um.
Er stand mitten im Schlafzimmer, mit nichts als einem weißen Handtuch um die
Hüften.
Josie sehnte sich danach, zu ihm zu gehen, die Arme um ihn zu legen und die
Wange an seine nackte Brust zu pressen.
Doch das tat sie nicht. Stattdessen dachte sie an den Schmerz, den seine
Zurückweisung ihr zufügen würde. Dann hob sie das Kinn. „Wir haben gegen
unsere Abmachung verstoßen.“
Er runzelte die Stirn. „Stimmt, das haben wir.“
„Es war eine Abmachung, die wir aus gutem Grund getroffen haben. Aus einem
guten Grund für uns beide.“
„Stimmt“, wiederholte er, dieses Mal mit fragendem Unterton.
„Wir haben den Grund heute Nacht aus den Augen verloren“, fuhr sie fort. „Ich
denke, das sollten wir nicht wieder tun.“
„Vermutlich hast du Recht“, pflichtete er ihr nach einer Weile bei.
„Ich meine, wir können nicht beides haben. Wir können nicht gute Freunde und
Mitbewohner sein und zugleich Sex…“
„Nein, das können wir wohl nicht“, unterbrach er sie.
Hatte sie gehofft, dass er widersprechen würde? Dass er vorschlagen würde, ab
jetzt mehr als Freunde und Mitbewohner zu sein? Trafen seine Worte sie deshalb
wie ein Fausthieb?
„Du möchtest also so weitermachen wie vor dieser Nacht?“
Josie zuckte mit den Schultern. Es schien, als würde sie mit jeder Minute, die
verging, mit jedem Wort, das gesprochen wurde, unsicherer werden. Als würde
sie nicht mehr wissen, was sie wollte und was nicht.
„Ich denke, dann sollten wir genau das tun“, sagte Michael. „Und ich werde mir
die allergrößte Mühe geben, mich daran zu halten.“
Warum hatte sie Tränen in den Augen? Sie starrte zu Boden, damit er nicht sah,
wie sie heftig blinzelte.
„Okay. Gut“, flüsterte sie.
Sie musste weg von hier, bevor sie zu weinen begann. „Ich muss mich jetzt für
die Arbeit zurechtmachen.“
„Es tut mir Leid“, sagte Michael.
Seine Stimme klang, als würde er glauben, dass er etwas Falsches getan hatte.
Aber das hatte er nicht. Denn sie hatte wirklich mit ihm schlafen wollen. Es gab
nichts, wofür er sich entschuldigen musste.
„Nein, das… Ich…“ Sie wusste nicht, was sie erwidern sollte.
Sie drehte sich um, riss die Tür auf und rannte in ihr Zimmer.
Dort ließ sie den Tränen freien Lauf. Ohne eigentlich zu wissen, warum sie
weinte.
„Ich denke, damit wäre alles geklärt“, meinte Eloise am Ende der Besprechung
an diesem Morgen. „Es sei denn, jemand möchte noch etwas sagen.“
Sie schaute in die Gesichter ihrer Mitarbeiterinnen.
Das erwartungsvolle Schweigen war untypisch für sie, und Josie hatte das
Gefühl, dass Eloise etwas ganz Bestimmtes im Sinn hatte.
Selbst als niemand sich zu Wort meldete, schien die Gründerin von Manhattan
Multiples noch nicht aufgeben zu wollen. „Keine gute Nachricht, die jemand mit
uns teilen möchte?“ fragte sie nach und sah alle an.
Josie fühlte sich wie in der Schule, wenn der Lehrer eine Frage stellte, von der er
meinte, dass jeder in der Klasse sie beantworten können sollte. Aber anders als
der Lehrer sagte Eloise nicht, was sie hören wollte.
Stattdessen machte sie ein enttäuschtes Gesicht. „Na gut. Ich denke, wir sind
fertig. Ihr könnt alle wieder an die Arbeit gehen.“
Während ihre Kolleginnen den Raum verließen, sammelte Josie ihre
Aufzeichnungen zusammen, aus denen sie nachher das Protokoll erstellen würde.
„Sind Sie es?“ fragte Eloise, als sie allein waren.
Josie hatte sich kaum auf die Besprechung konzentrieren können. Sie war zutiefst niedergeschlagen und hatte immerzu an Michael denken müssen. Und daran, ob sie heute Morgen einen Fehler begangen hatte. Einen Moment lang glaubte sie, Eloise würde darauf anspielen, dass sie heute so abwesend wirkte. Aber sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass ihr Zustand der Grund für Elpises Nachfrage war. „Bin ich was?“ entgegnete Josie. Eloise erhob sich von ihrem Stuhl am Kopfende des Tischs, schloss die Tür und setzte sich neben Josie. „Als ich heute Morgen zur Arbeit kam, bin ich in den Aufenthaltsraum gegangen“, begann sie leise. „Im Abfalleimer lag ein Schwangerschaftstest. Die Reinmachefrau hatte ihn gestern Abend geleert, also war er nicht zu übersehen. Es war ein positiver Schwangerschaftstest.“ „Und jetzt wollen Sie wissen, ob ich ihn gemacht habe?“ fragte Josie verwirrt. „Er gehört entweder einer von uns oder jemandem vom Reinigungspersonal“, sagte Eloise. „Ich dachte mir, wenn es eine von uns ist, könnte ich sie dazu ermuntern, die freudige Nachricht mit uns zu teilen. Aber da sich niemand gemeldet hatte, bin ich ein wenig besorgt, dass es keine gute Nachricht ist.“ „Nun ja, wie auch immer, meine Nachricht ist es nicht“, versicherte Josie. „Haben Sie eine Idee, wer es sein könnte? Sind Ihnen vielleicht bei jemandem irgendwelche Anzeichen aufgefallen? Wissen Sie, ob jemand gestern noch so spät oder heute schon so früh hier war?“ „Nein, ich habe nicht darauf geachtet.“ Eloise wirkte immer besorgter. „Wenn eine Frau den Test nicht zu Hause, sondern hier macht, will sie vielleicht verheimlichen, dass sie schwanger ist. Wenn sie das tut, um den zukünftigen Vater damit zu überraschen, ist das wunderbar. Aber wenn sie es tut, weil sie unglücklich darüber ist, würde ich ihr gern helfen.“ Josie war froh, eine so fürsorgliche Chefin zu haben. Auch wenn sie selbst nicht diejenige war, die jetzt vielleicht Trost und Unterstützung brauchte. „Ich werde Augen und Ohren offen halten“, versprach sie. „Sobald ich einen Verdacht habe, sage ich Ihnen Bescheid.“ Eloise legte eine Hand auf Josies Arm. „Danke. Aber ich glaube, ich werde mir die Zeit nehmen und mit jeder Mitarbeiterin einzeln reden. Auch mit den Reinigungsfrauen. Vielleicht kann ich die Frau dazu bringen, sich mir anzuvertrauen. Für den Fall, dass sie unsere Hilfe benötigt.“ Sie strich Josie über den Rücken und ging hinaus. Josie schob ihre Notizen zusammen und überlegte, wer außer Leah schwanger sein könnte. Doch während sie in Gedanken ihre Kolleginnen durchging, wurde ihr schlagartig etwas bewusst. Etwas, was sie selbst betraf. War es nicht eine Weile her, seit sie ihre letzte Periode bekommen hatte? Eine ganze Weile sogar? Es sei denn, sie täuschte sich. Vielleicht war es gerade jetzt so weit, und da so viel passiert war, kam es ihr nur so vor, als wäre die letzte Regel so lange her. Sie legte das Notizbuch auf die Papiere, nahm den Kugelschreiber und den Becher und kehrte an ihren Schreibtisch zurück. Dort schloss sie die unterste Schublade auf, holte ihre Handtasche heraus und suchte darin nach dem kleinen Kalender, in dem sie über ihren Zyklus Buch führte. Doch als sie den September aufschlug, war kein Tag markiert. Dabei war der Monat fast zu Ende! Sie blätterte zum August zurück und fand das mit einem P versehene Datum.
Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch begann sie die Tage zu zählen.
Dann die Wochen.
Um sicher zu gehen, dass sie keinen Fehler gemacht hatte, zählte sie die Tage
noch ein zweites Mal nach.
Und kam zum selben Ergebnis: Sie hätte längst ihre Periode haben müssen.
Genauer gesagt, sie hätte sie etwa dann bekommen müssen, als sie bei Michael
eingezogen war.
Und das war zwölf Tage her.
Zwölf Tage.
Ihr Herz begann zu klopfen.
Zwölf Tage.
So lange?
Sie zählte ein drittes Mal nach, aber nichts änderte sich. Abgesehen davon, dass
ihr jetzt aufginge dass der Eisprung mit ziemlicher Sicherheit an dem mit ihm
verbrachten Wochenende Anfang September stattgefunden hatte.
Ihr Herz schlug immer schneller, und kalter Schweiß trat ihr auf die Stirn.
Sie hatten Kondome benutzt. Jedes Mal. Das ganze Wochenende hindurch.
Aber die einzige absolut sichere Form der Verhütung war Enthaltsamkeit. Das
war eine Erkenntnis, die bei Manhattan Multiples zum geflügelten Wort geworden
war. Andere Verhütungsmethoden konnten versagen…
Das kann nicht wahr sein, dachte Josie verzweifelt. Es darf nicht wahr sein…
Oder hatte sie ihre Periode gehabt und nur vergessen, den Tag im Kalender zu
markieren?
Doch obwohl sie das nur zu gern glauben wollte, wusste sie, dass es nicht so
war.
Ihr Herz schlug jetzt so heftig, dass sie Angst hatte, es würde gleich zerspringen.
Schwanger.
Konnte sie wirklich schwanger sein?
Vielleicht war es etwas anderes. Vielleicht gab es einen anderen Grund dafür,
dass die Periode ausgeblieben war. Der Umzug, zum Beispiel.
Sie kannte Frauen, denen das schon passiert war. Und für alles gab es ein erstes
Mal. Vielleicht hatte sie nur eine hormonelle Störung. Vielleicht sollte sie ihren
Frauenarzt anrufen.
Aber sie wusste, was dann passieren würde. Ihr Arzt würde zunächst die
logischste Ursache einer ausgebliebenen Periode ausschließen wollen. Und die
war eine Schwangerschaft.
Egal, wie sie ihre Situation betrachtete, alles führte zum Ausgangspunkt zurück:
Sie konnte durchaus schwanger sein.
Josie war, als wäre die Zeit stehen geblieben. Sie nahm nichts um sich herum
wahr. Geräusche drangen wie aus weiter Ferne an ihr Ohr. Ihre Haut kribbelte.
Ihr war schlecht und schwindelig, und sie fühlte sich so unwohl wie noch nie in
ihrem Leben.
„Josie? Josie?“
Langsam hob sich der Nebel, der sie einzuhüllen schien, bis sie sah, dass Leah
neben ihr stand und sie anstarrte.
„Bist du okay? Du siehst ganz bleich aus“, meinte ihre Kollegin besorgt.
„Es geht mit gut“, log Josie zum zweiten Mal an diesem Tag.
Leah wirkte nicht überzeugt, aber Josie legte den Kalender wieder in die Tasche
und schloss die Schublade ab, damit es so aussah, als würde sie weiterarbeiten
wollen.
Die Arbeit war jedoch das Letzte, wonach ihr jetzt zu Mute war. Kaum war Leah
fort, eilte Josie in den Waschraum. Dort hielt sie die Hände unter den
aufgedrehten Wasserhahn, bis sie eiskalt waren. Dann presste sie die
Handflächen an die Wangen.
Was sollte sie jetzt tun? Sie sah in den Spiegel und suchte in ihrem Gesicht nach
einem Anzeichen, dass dies nur ein schlechter Traum war.
Sie fand keines und wusste, dass sie als Erstes herausfinden musste, ob sie
tatsächlich schwanger war.
Die einfachste Methode bestand darin, einen Test zu kaufen und ihn zu machen.
Nach dem Gespräch mit Eloise war sie klug genug, keinen aus den Beständen
von Manhattan Multiples zu nehmen oder den Test hier zu machen. Sie würde
sich auf dem Heimweg einen besorgen.
Und dann würde sie nach Hause gehen und ihn machen.
9. KAPITEL Josie verbrachte den Abend wie im Rausch. Sie war von der Arbeit nach Hause gekommen, hatte den Schwangerschaftstest gemacht, das Ergebnis jedoch nicht abgewartet, sondern war ins Wohnzimmer gegangen und war auf der Couch in einen komaähnlichen Schlaf gefallen. Sicher, sie hatte in der Nacht zuvor kaum ein Auge zugetan, weil Michael und sie drei Mal miteinander geschlafen hatten. Und sicher, der Tag war einer der stressigsten gewesen, die sie je erlebt hatte. Aber dass sie auf der Couch einschlief, hatte weniger mit Erschöpfung als mit Flucht zu tun. Flucht vor der Erkenntnis, dass sie wirklich schwanger sein könnte. Josie wusste nicht, wie lange sie geschlafen hatte, als Pip sie weckte, weil er nach draußen gelassen werden wollte. Sie wusste nur, dass es im ganzen Haus dunkel war. Sie schaltete das Licht jedoch nicht ein, sondern tastete sich durchs Wohnzimmer und in die Küche, um dem großen Hund die Hintertür zu öffnen. Nachdem sie die Tür hinter ihm geschlossen hatte, presste sie die Stirn gegen das kalte Glas des kleinen Fensters und ließ die Augen zufallen. Doch so sehr sie es auch versuchte, die Realität war nicht mehr zu verdrängen. Ob oben im Bad wohl der Beweis auf sie wartete, dass sie schwanger war? Sie wusste, dass sie hingehen und sich das Ergebnis ansehen sollte. Sie sagte sich, dass sie es verkraften würde. Aber sie schaffte es nicht, sich dazu zu zwingen. Mühsam stieß sie sich von der Tür ab. Vielleicht würde sie stark genug sein, wenn sie vorher etwas aß. Schließlich hatte sie den ganzen Tag keinen Bissen zu sich genommen. Ihre Hand zitterte, als sie Licht machte. Und weil es ihr plötzlich zu still war, schaltete sie auch den Fernseher ein, der auf einer der Arbeitsflächen stand. Gerade liefen die 23UhrNachrichten, und während Josie zur Speisekammer ging, kündigte die Moderatorin einen Bericht aus Williamsburg in Brooklyn an. Das war der Teil von Brooklyn, in dem sie jetzt wohnte, daher machte sie kehrt und ging zum Fernseher zurück, in dem gerade mitgeteilt wurde, dass in einem Apartmentgebäude in Williamsburg ein Feuer ausgebrochen sei. Als der Livebericht begann und die Adresse genannt wurde, wusste Josie, dass es ein Gebäude ganz in der Nähe war. Ein Reporter erschien auf dem Bildschirm. „Wir werden Ihnen den Brand gleich zeigen“, begann der jungenhafte, blonde Mann. „Aber zunächst haben wir den Sprecher der örtlichen Feuerwehr hier, der uns ein paar Fragen beantworten wird.“ Der örtlichen Feuerwehr? Natürlich. Das war nur vernünftig. Doch bevor der Reporter es aussprach, hatte Josie zwei und zwei nicht zusammenzählen können. Jetzt schaltete sie. Williamsburg. Ein Haus ganz in der Nähe. Die örtliche Feuerwehr… Das konnte nur Michaels Einheit sein. Die Kamera erfasste den Pressesprecher sowie die Löschwagen und Feuerwehrmänner hinter ihm. Sie alle trugen die gleiche Ausrüstung, und einige hatten ihre Helme abgenommen, aber jeder von ihnen war mit Ruß verschmiert. Die Nummern an den Löschzügen bestätigten, dass sie in der Tat von Michaels Feuerwache kamen. Josie beugte sich vor und drehte den Ton lauter. „Was können Sie uns über das Feuer berichten?“ fragte der Reporter. „Wir hoffen, dass wir es unter Kontrolle haben“, antwortete sein Gegenüber. „Es scheint im ersten Stockwerk ausgebrochen zu sein und hat sich dann rasend
schnell im gesamten Gebäude ausgebreitet. Zum Glück haben wir verhindern
können, dass es auf die Nachbarhäuser übergreift.“
„Wie ich höre, ist ein Feuerwehrmann verletzt ins Krankenhaus gebracht
worden.“
Josie schlug das Herz bis zum Hals.
„Ja, leider“, erwiderte der Pressesprecher. „Einer unserer Männer wurde von
einem brennenden Balken getroffen. Kurz nachdem wir den letzten Bewohner
evakuiert hatten.“
„Wer? Wer ist der Feuerwehrmann?“ rief Josie besorgt.
Sie bekam jedoch keine Antwort. „Können Sie uns sagen, wie es ihm geht?“
fragte der Reporter.
„Er war einige Minuten lang unter dem Balken eingeklemmt, bevor zwei Kollegen
ihn befreien konnten. Er war am Leben, aber bewusstlos, als sie ihn
herausbrachten, und wurde sofort ins Krankenhaus gebracht. Mehr wissen wir im
Moment nicht.“
„Aber wer ist er?“ schrie Josie den Fernseher an, als aus Besorgnis Panik wurde.
Und diese Panik war noch größer als die, die beim Zählen der seit ihrer letzten
Periode vergangenen Tage in ihr aufgestiegen war.
Noch immer wurde der Name des verletzten Feuerwehrmannes nicht genannt.
Der Kameramann macht einen Schwenk, und Josie sah, wie einer der Männer im
Hintergrund den Helm abnahm, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen.
Sie kniff die Augen zusammen und erkannte Michael.
„Es geht ihm gut!“ rief sie, als würde jemand sie hören.
Dass sie allein war, spielte keine Rolle. Wichtig war nur, dass Michael gesund und
in Sicherheit war. Er saß auf dem Trittbrett eines Feuerwehrwagens, die Ellbogen
auf den Knien, und stützte den Kopf auf die Hände.
Vor Erleichterung wurde Josie fast übel.
Es geht ihm gut, dachte sie immer wieder, bis ihr bewusst wurde, wie heftig ihre
Reaktion gewesen war. So heftig, dass sie eine Sekunde lang das Gefühl gehabt
hatte, ihr Herz würde aussetzen. Sie wusste, dass sie den Atem angehalten
hatte.
Jetzt, im Nachhinein, wunderte sie sich darüber.
Sicher, Michael war ein guter Freund. Und natürlich hatte sie sich aufgeregt, weil
ihm vielleicht etwas zugestoßen war. Aber es war mehr als das gewesen. So war
es gewesen, als sie erfahren hatte, dass ihre Eltern einen Unfall gehabt hatten.
Schlimmer als damals, als Troy Randall mit ihr Schluss gemacht hatte. Und ihr
war klar geworden, wie hart es sie getroffen hätte, wenn Michael der verletzte
Feuerwehrmann gewesen wäre.
So hart, als wäre er viel mehr als ein guter Freund und Mitbewohner. Als wäre sie
wirklich mit ihm verlobt…
Offenbar war an diesem Tag ein Schock nicht genug gewesen. Denn erkennen zu
müssen, dass ihr Kampf um Selbstbeherrschung und Abstand und gegen die
Anziehung, die von Michael ausging, sinnlos gewesen war, das war ein Schock.
Auf dem Bildschirm wandte die Moderatorin sich einer anderen Nachricht zu, und
Josie schaltete den Fernseher aus. Schlagartig wurde es im Haus wieder still. In
seinem Haus, das sich ohne ihn immer so leer anfühlte.
Und so gut, wenn er da war.
Plötzlich fragte sie sich, ob sie sich in ihn verliebt hatte. Ob sie mehr für ihn
empfand als für jeden anderen Mann.
Zum ersten Mal zog sie das in Betracht. Ernsthaft. Ehrlich. Sie ließ noch mal
Revue passieren, was geschehen war, seit sie ihm in der Bar begegnet war.
Sie hatte es fertig gebracht, drei Tage mit ihm im Bett zu verbringen. Allein das
bewies schon, dass. bei diesem Mann etwas anders war. Und es war etwas, was
sie noch nie getan hatte. Nicht mal mit Troy, von dem sie geglaubt hatte, dass
sie ihn liebte. Drei leidenschaftliche Tage, die ihr viel zu kurz erschienen waren.
Und danach, als sie vorüber gewesen waren, hatte es da nur einen einzigen Tag
gegeben, an dem sie nicht an Michael hatte denken müssen?
Nein. Immer wieder hatte sie sich gefragt, wo er wohl gerade war, was er tat,
woran er dachte und ob er sich beherrschen musste, um sie nicht anzurufen. Ob
er abends im Bett lag, sich an ihr Wochenende erinnerte und wünschte, sie
könnten es wiederholen, so wie sie es tat.
Und dann hatte er überraschend vor ihrer Tür gestanden und sie mit seinem
verrückten Plan konfrontiert.
Natürlich war ihr der Plan nicht ungelegen gekommen, denn Pip und sie hatten
dringend ein neues Dach über dem Kopf gebraucht. Aber Michael hatte sie nicht
lange überreden müssen, oder?
Seit sie bei ihm wohnte, hatte sie versucht, das zu unterdrücken, was er in ihr
auslöste, aber war es ihr gelungen? Wohl kaum. Sie hatte so viel Zeit wie
möglich mit ihm verbracht, ihn geküsst und sogar wieder mit ihm geschlafen.
Dafür musste es doch einen tieferen Grund geben.
Genau wie für die plötzliche Angst, dass es sich bei dem Feuerwehrmann, der
heute Abend verletzt worden war, um Michael handeln könnte. Für all das konnte
es nur eine Erklärung geben, nämlich die, dass sie für ihn mehr, viel mehr als für
jeden anderen Mann empfand.
„Also gib es schon zu“, sagte sie nach einem langen, nachdenklichen Moment.
Und dann tat sie es. Sie gestand sich ein, dass sie etwas für ihn fühlte. Etwas,
was sich seit diesem Morgen einfach nicht mehr verdrängen ließ.
Etwas, was sie an Michael band, der einen der gefährlichsten Berufe hatte, die es
gab. Michael, dem sie schon jetzt einen Vorgeschmack auf die Angst verdankte,
die sie nie wieder hatte empfinden wollen…
„Was, wenn er wirklich der verletzte Feuerwehrmann gewesen wäre?“ fragte sie
laut, als wäre das ein wirksameres Mittel gegen ihre Gefühle.
Doch es half nicht. Das Einzige, was sie denken konnte, war, dass sie keine Zeit
mehr verschwenden wollte. Dass sie Michael wollte. Mehr, als sie sich selbst
schützen wollte. Mehr als alles andere.
„Vielleicht habe ich auch nur den Verstand verloren“, sagte sie.
Was war mit ihrer Freiheit? Ihrer Unabhängigkeit? Der Entschlossenheit, sich
niemals einengen zu lassen?
Aber irgendwie erschien es ihr nicht mehr so wichtig wie früher. Nicht so wichtig
wie er.
„Also wusste Sharon, wovon sie sprach“, sinnierte sie in die Stille hinein.
Denn hatte ihre Freundin nicht gesagt, dass man nicht das Gefühl hatte, auf
etwas zu verzichten, wenn man den richtigen Menschen gefunden hatte?
Jetzt verstand Josie plötzlich, was Sharon gemeint hatte. Und vielleicht griff sie
nur nach einem Strohhalm, aber schlagartig fiel ihr noch etwas ein, was ihre
Freundin gesagt hatte. Dass die meisten Leute in gefährlichen Berufen alt
wurden, ohne dass ihnen etwas Schlimmes zustieß.
Hatten die Nachrichten nicht genau das bestätigt? Ein Feuerwehrmann war
verletzt worden, aber allen anderen war nichts passiert.
Und Michael gehörte zu ihnen.
Er war der, der ihr unter die Haut gegangen war. Ins Blut.
Vielleicht sogar buchstäblich…
Womit ihr ein neuer Gedanke kam.
Hatte dieser überraschende Sinneswandel vielleicht mit der Möglichkeit zu tun,
dass sie schwanger war?
Denn wenn sie es tatsächlich war, stand für sie mehr auf dem Spiel als zuvor.
Und das war ein guter Grund, noch immer nicht nach oben zu gehen und sich das
Ergebnis des Tests anzusehen.
Solange sie es nicht kannte, war sie frei, über Michaels und ihre Zukunft
nachzudenken, ohne auf eine Schwangerschaft Rücksicht nehmen zu müssen.
Genau das musste sie tun. Denn dass sie jetzt andere Vorstellungen hatte,
musste nicht bedeuten, dass Michael sie teilte. Sie musste herausfinden, ob seine
Gefühle ihr gegenüber sich geändert hatten. Ob er sie so wollte, wie sie ihn
wollte.
Ob sie beide eine Chance hatten…
Josie glaubte nicht, dass sie damit warten konnte, bis Michael am Morgen nach
Hause kam.
Sie wusste, dass sie es nicht mal eine Stunde länger aushalten würde.
„Er ist nur ein paar Blocks entfernt“, murmelte sie.
Sie ging zur Hintertür, riss sie auf, rief Pip herein und schloss hinter ihm ab.
Dann rannte sie ins Wohnzimmer, zog ihre Schuhe an und verließ das Haus.
Erst auf der Straße dachte sie daran, wie sie aussah. Also fuhr sie sich mit den
Fingern durchs Haar, kniff sich in die Wangen, damit sie ein wenig Farbe
bekamen, und schob das weiße TShirt in die Jeans. Als sie kurz darauf in die
Straße einbog, in der es brannte, blieb sie wie angewurzelt stehen.
Vor ihr erstreckte sich eine dicht gedrängte Menge von Schaulustigen.
Doch Josie ließ sich nicht aufhalten, sondern zwängte sich durch die
Menschenmassen, immer wieder „Entschuldigung“ sagend, als wäre es ihre
Wohnung, die in Flammen stand.
Als sie endlich die Absperrung erreichte, sah sie, dass Michael mit einem
Kollegen sprach, der sich zu ihm auf das Trittbrett gesetzt hatte. Sie rief seinen
Namen, aber er hörte sie nicht.
„Entschuldigen Sie, aber ich muss unbedingt mit einem der Feuerwehrleute
sprechen“, sagte sie zu der Polizistin, die mit vor der Brust verschränkten Armen
direkt vor ihr stand.
„Ich kann niemanden durchlassen“, erwiderte die Beamtin ungerührt.
„Bitte“, flehte Josie. „Ich muss zu Michael Dunnigan. Er sitzt dort drüben. Auf
dem Trittbrett des zweiten Feuerwehrwagens. Sie können ihn von hier aus sehen.
Es ist wichtig.“
„Niemand darf hier durch.“
Josie musste äußerst verzweifelt geklungen haben, denn ein anderer Polizist
stellte sich neben seine Kollegin, um sie zu unterstützen.
„Bitte“, flehte Josie. „Ich werde mich vom Feuer fern halten. Ich will nur zu
Michael Dunnigan. Er sitzt dort drüben, an der Tür des zweiten
Feuerwehrwagens. Sie können ihn von hier aus sehen, und weiter als zu ihm will
ich nicht. Es ist wichtig, glauben Sie mir!“
„Niemand darf hinter die Absperrung“, wiederholte der Polizist, was seine
Kollegin bereits gesagt hatte, allerdings wesentlich schärfer als sie.
„Sie verstehen nicht. Ich muss mit Michael Dunnigan reden!“
Josie war unwillkürlich lauter geworden und war nicht sicher, ob Michael sie
gesehen oder seinen Namen gehört hatte, aber plötzlich kam er auf sie zu.
„Es ist schon in Ordnung“, sagte er zu dem Polizisten. „Lassen Sie sie durch.“
Die beiden Polizisten zögerten einen Moment, bevor einer von ihnen wortlos das
gelbe Absperrband anhob. Josie zog den Kopf ein, schlüpfte darunter hindurch,
und nach wenigen Schritten stand sie vor Michael.
„Was ist los?“ fragte er und klang besorgt.
Inzwischen schienen die Blicke aller Schaulustigen sich auf sie gerichtet zu
haben. Auch einige Polizisten und Feuerwehrleute schauten erstaunt herüber. Bei
dem, was sie vorhatte, legte Josie keinen Wert auf Publikum. Deshalb zeigte sie
auf die andere Straßenseite und eine Stelle hinter den Löschzügen. „Können wir
dort weiterreden?“
Michael widersprach nicht, sondern nahm ihren Arm und führte sie über die
Straße.
„Warum bist du hier?“ fragte er, als sie außer Hörweite waren.
Es war seltsam, aber bisher hatte sie sich keine Sekunde gefragt, ob das, was sie
vorhatte, richtig war. Und ob der Ort richtig war – an einer Brandstelle, bei
einem Feuerwehreinsatz. Dort, wo Michael arbeitete.
Doch jetzt war sie hier, stand ihm gegenüber, und plötzlich wurde ihr bewusst,
dass der Zeitpunkt nicht gerade ideal war.
„Es tut mir Leid. Es ist dumm von mir“, sagte sie. „Ich hätte nicht herkommen
dürfen.“
„Aber warum bist du hier? Ist etwas nicht in Ordnung?“
„Nein, es ist alles in Ordnung. Ich weiß, was du denkst, aber ich habe die
Nachrichten gesehen, und sie haben berichtet, dass ein Feuerwehrmann verletzt
wurde. Und ich hatte Angst, dass du es sein könntest, und dann habe ich dich
gesehen und wusste, dass du okay bist, aber dann…“
„Langsam, Josie“, unterbrach er sie. „Bist du deshalb gekommen? Um sicher zu
sein, dass mir nichts passiert ist?“
„Nein.“
„Warum dann?“
Den Bruchteil einer Sekunde lang rang sie mit sich. Aber sie war hier. Sie hatte
ihn von seiner Arbeit abgehalten. Und wenn sie es ihm jetzt nicht sagte, würde
sie vielleicht nie den Mut aufbringen, es zu tun.
„Okay, das hier ist dumm von mir, ich weiß. Aber ich hatte plötzlich solche Angst,
dass du es bist, der ins Krankenhaus gebracht werden musste. Und dann, als ich
wusste, dass du es nicht bist, habe ich nachgedacht… Und da wurde mir etwas
klar. Etwas, was ich dir heute Morgen nicht gesagt habe, weil ich zu feige dazu
war. Ich will nämlich gar nicht, dass wir uns an unsere Abmachung halten. Ich
will mehr als das“, platzte sie heraus.
„Und um mir das zu sagen, bist du hergekommen? Ich dachte schon, es wäre
etwas passiert.“
Das war nicht gerade die Antwort, auf die sie gehofft hatte.
„Es ist etwas passiert“, fuhr sie tapfer fort. „Eine Minute lang dachte ich, ich
hätte dich verloren. Und daran, wie viel Zeit wir verschwendet hatten. Und dann,
als ich sah, dass du unverletzt bist, wurde mir klar, dass ich keine Minute mehr
verschwenden will.“
Michael starrte sie mit gerunzelter Stirn an, als würde er glauben, dass sie den
Verstand verloren hatte.
Dann rief einer der anderen Feuerwehrmänner nach ihm. „He, Mikey, wir müssen
wieder rein.“
„Ich komme“, rief Michael zurück. „Ich kann jetzt nicht reden“, sagte er zu Josie.
Natürlich nicht, dachte sie. „Ich weiß. Es tut mir Leid. Ich bin heute ein wenig
durcheinander.“
„Schon gut“, erwiderte er sanft, obwohl er allen Grund gehabt hätte, wütend auf
sie zu sein. „Wir reden, wenn ich wieder zu Hause bin, einverstanden?“
Also war alles umsonst gewesen, und sie würde bis morgen früh warten müssen.
Aber was sollte sie sagen?
„Sicher. Ich verstehe“, flüsterte sie und wehrte sich gegen die Enttäuschung.
Erneut rief der andere Feuerwehrmann seinen Namen.
Michael hob nur die Hand. „Komm schon“, sagte er zu ihr. „Ich lasse dich nach
Hause bringen.“
Sie wusste nicht, von wem, sie wusste nur, dass sie ihr Verhalten nicht erklären
wollte. „Nein, lass nur. Ich schaffe es allein.“
„Ich weiß nicht, Josie. Du bist…“
„Es geht mir gut“, versicherte sie ihm.
„Dunnigan!“ Sein Kollege schien die Geduld zu verlieren.
„Bist du sicher?“ fragte Michael.
„Geh schon“, forderte sie ihn auf.
Er schaute ihr in die Augen, als würde er sich davon überzeugen wollen, dass sie
wirklich okay war.
„Wir reden, wenn du nach Hause kommst“, sagte sie. „Sei einfach nur
vorsichtig.“
„Immer“, erwiderte er, und ihm war anzusehen, dass er keine Ahnung hatte, was
er von ihrem unerwarteten Auftauchen halten sollte.
Aber er musste zurück an die Arbeit, und sie konnte nicht an der Brandstelle
bleiben, also winkte sie ihm nach und kehrte hinter die Absperrung zurück. Ohne
Michael zu sagen, dass sie mehr von ihm wollte als die Freundschaft zwischen
Mitbewohnern.
Und als sie langsam davonging, war sie sich der Tatsache bewusst, dass er ihr
nicht zuvorgekommen war und ihr gestanden hatte, dass auch er mehr als das
wollte.
10. KAPITEL Gegen zwei Uhr morgens war Michael zurück in der Feuerwache und packte seine Tasche, um nach Hause zu gehen. Beim Einsatz war die gerade erst genähte Wunde an seinem Unterarm aufgeplatzt, und der Arzt in der Unfallstation hatte ihm dringend geraten, sich ein paar Tage freizunehmen. Er hatte nicht protestiert. Der Arm hatte höllisch wehgetan, bis man ihm ein schmerzstillendes Medikament gespritzt hatte. Und seitdem Josie am Einsatzort aufgetaucht war, gab es eine Menge, worüber er nachdenken musste. Deshalb hatte er das Angebot abgelehnt, sich im Auto mitnehmen zu lassen, und sich entschieden, die halbe Meile mitten in der Nacht zu Fuß zurückzulegen. Die kühle Herbstluft fühlte sich gut an, als er die Feuerwache verließ, und er sog sie ein, um den Qualm loszuwerden, den er beim Einsatz eingeatmet hatte. Dann machte er sich auf den Weg nach Hause. Und zu Josie. Seit er ihr begegnet war, hatte er in jeder wachen Stunde an sie denken müssen, also wunderte es ihn nicht, dass sie ihm auch jetzt nicht aus dem Kopf ging. Zumal er sich fragte, warum sie zum Einsatzort gekommen war. Offenbar meinte sie nicht ernst, was sie am Morgen zu ihm gesagt hatte. Also wollte sie doch nicht so weitermachen, wie sie es vor jener letzten Nacht vereinbart hatten. Okay. Das war ihm recht, denn er wollte es auch nicht. Aber Josie hatte gesagt, dass sie mehr wollte, und er war nicht sicher, was das bedeutete. Mehr Nächte wie die letzte? Mehr Wochenenden wie das Anfang September? Michael war dafür. Doch vielleicht wollte sie sogar noch mehr als das. Er wusste es nicht. Und das beunruhigte ihn. Was, wenn sie alles wollte? Wenn sie es sich anders überlegt hatte und ihre heiß geliebte Freiheit gegen eine richtige Verlobung eintauschen wollte? Wenn sie heiraten wollte? Kinder. Familie. Alles. Mit ihm. Hatte sie etwa vergessen, womit er sein Geld verdiente? Dass sein Beruf gefährlich war. Dass ihm jederzeit etwas zustoßen konnte. Sie hatte ihre Eltern durch einen Unfall verloren. Wollte sie den Schmerz und die Trauer ein zweites Mal durchmachen? Er bezweifelte, dass ihr das Risiko nicht bewusst war. Aber was, wenn sie plötzlich bereit war, es einzugehen? Wenn ja, hieß das noch lange nicht, dass auch er dazu bereit war. Ihr war klar, wie er darüber dachte. Er hatte es ihr gesagt. Sie wusste, was er und seine Familie nach dem Tod seines Vaters durchgemacht hatten. Sie wusste auch, dass er erst dann heiraten und Kinder bekommen wollte, wenn er nicht mehr bei der Feuerwehr war. Wollte sie bis dahin warten? Wohl kaum. Er dachte daran, was sie vorhin zu ihm gesagt hatte. Dass sie keine Zeit mehr verschwenden wollte. So oder so ähnlich hatte sie sich doch ausgedrückt, oder? Vielleicht hatte sie mit seiner Mutter gesprochen. Denn genau das sagte seine Mutter immer – dass die Zeit, die sie mit seinem Dad gehabt hatte, all das Leid nach seinem viel zu frühen Tod wert war. „Ich möchte wissen, ob die Familie des Mannes, der gestern bei dem Verkehrsunfall umgekommen ist, das auch so sieht“, murmelte Michael. Aber zugleich fragte er sich, ob die Frau und ihre Kinder jetzt wünschten, sie hätten ihren Ehemann und Vater nie gekannt, um nicht um ihn trauern zu müssen. Hätte er selbst seinen Vater nie gekannt, wäre ihm der Schmerz erspart
geblieben. Vielleicht war es seltsam, aber in all den Jahren, seit sein Dad gestorben war, hatte er es nie so gesehen. Und jetzt, da er es tat, schämte er sich ein wenig dafür. Er hatte seinen Vater geliebt. Von den zwölf Jahren, die er mit ihm gehabt hatte, waren ihm nur gute Erinnerungen geblieben. An gemeinsam verlebte Ferien. Daran, wie sein Dad ihm das Angeln beigebracht hatte. Mit ihm zeltete. Mit ihm Baseball oder Football spielte. Ihm die Feuerwache zeigte. Ihm von den Bienen und Blumen erzählte. Wäre er wirklich bereit gewesen, auf all das zu verzichten, um seinen Vater nicht zu verlieren? Er brauchte nicht lange nachzudenken. Die Antwort war klar. Nein, dazu wäre er nicht bereit gewesen. Selbst wenn er die Wahl gehabt hätte, hätte er auf keinen einzigen Tag mit seinem Dad, auf keine einzige Erinnerung verzichtet, um später nicht leiden zu müssen. Trotzdem hatte er sein eigenes Leben so gelebt. So, als wäre die Zeit mit seinem Dad die Trauer um ihn nicht wert gewesen. Das war etwas, worauf er wahrlich nicht stolz war. Als er jedoch in seine Straße einbog, war er noch immer innerlich zerrissen. All seine Zukunftspläne gründeten im Negativen. Darauf, dass er einer Frau und Kindern nicht das Risiko zumuten wollte, ihn eines Tages zu verlieren. Und diese Entscheidung erschien ihm auch jetzt noch richtig. Es wäre verantwortungslos, eine Frau und Kinder in sein Leben zu lassen, solange er diesen Beruf ausübte. Die Arbeit, die er liebte. Aber plötzlich ging ihm etwas anderes auf. Etwas über den Mann vom Tag zuvor. Über so viele der Menschen, die im World Trade Center umgekommen waren. Der Mann, der auf dem Weg ins Krankenhaus verblutet war, hatte einen Schreibtischjob gehabt. Er war Buchhalter gewesen. Dennoch war er nur zwei Querstraßen von seinem Haus entfernt ums Leben gekommen. Und am elften September waren so viele seiner Kollegen gestorben, aber die Menschen im World Trade Center waren an jenem Morgen in ihre Büros gegangen, ohne zu ahnen, in welcher Gefahr sie sogar an ihren Schreibtischen und Computern schwebten. Erst jetzt begriff Michael, dass jedes Leben ein Risiko in sich barg, auch wenn es nur darin bestand, sich in ein Auto zu setzen oder einen Fahrstuhl zu betreten. Und er selbst? Würde er nie eine Frau oder Kinder haben, weil einem jederzeit etwas Schreckliches passieren konnte? Er hatte Josie vorgeworfen, dass sie sich kein volles, erfülltes Leben gestattete, aber er selbst verzichtete darauf, weil er nicht wissen konnte, wie seine Zukunft aussah. Wenn es so war, verschwendete er sein ganzes verdammtes Leben. So wie er viel von der Zeit mit Josie verschwendet hatte. Genau wie sie gesagt hatte. Als Michael die Stufen zu seinem Haus hinaufstieg, wusste er, dass er nicht so weitermachen wollte. Dass er kein Leben ohne Josie wollte. Dass er ein volles und erfülltes Leben wollte. Und er wollte es mit ihr. Trotz allem. Schlagartig wurde ihm klar, dass er ihnen beiden dieses Leben nicht versagen durfte, nur weil die Zukunft ungewiss war. Er schob den Schlüssel ins Schloss und blieb einen Moment so stehen, während er sich fragte, ob er sich wirklich ganz sicher war. Schließlich hatte er nur eine halbe Meile gebraucht, um sich von einer seiner tiefsten Überzeugungen zu verabschieden. War sein überraschender Sinneswandel echt? Oder ließ er sich nur dazu hinreißen, weil er von der Frau in seinem Haus nicht
genug zu bekommen schien?
Beides – so lautete das Ergebnis, zu dem er kam.
Der Sinneswandel war echt, denn er wusste, dass ein volles und erfülltes Leben
nicht nur das war, was er brauchte und verdiente. Es war auch ein Weg, seinen
Dad und alles, was sein Vater ihm bedeutet hatte, zu ehren.
Und natürlich war er von Josie hingerissen. Von allem, was sie in ihm weckte.
Von allem, was sie für ihn war.
Josie, die für ihn der Rettungsring gewesen war, nachdem er den Mann aus dem
Autowrack befreit hatte.
Die ihm den Trost gespendet hatte, den er so dringend brauchte.
Die alles war, wonach er sich sehnte…
Überzeugt und voller Zuversicht drehte er den Schlüssel, öffnete die Haustür und
schaltete das Licht ein.
Doch er löschte es sofort wieder, denn Josie lag zusammengerollt auf der Couch
und schlief.
Das Licht war nicht lange genug an gewesen, um sie zu wecken, aber Pip sprang
von seinem Platz vor der Couch auf und kam angetrottet, um Michael zu
begrüßen, während er seine Tasche abstellte.
„Hallo, Sportsfreund“, flüsterte er und kraulte den Hund hinter den Ohren. Sein
Blick ruhte jedoch die ganze Zeit auf Josie.
Der Mond schien durchs Fenster und direkt auf ihr Gesicht, und zum ersten Mal
stellte er sich vor, wie seine Zukunft mit ihr aussehen würde.
Es würde mehr Wochenenden wie das gemeinsam verbrachte Wochenende
Anfang September und mehr Nächte wie die letzte geben. Allein das war schon
ein Argument, das unbedingt dafür sprach. Aber er würde auch auf jede andere
Art mit ihr zusammen sein. Er würde mit ihr reden, mit ihr lachen, sich ihr
anvertrauen und jede Sorge gemeinsam meistern.
Er würde ihren Humor genießen. Ihre Lebensfreude. Ihren Optimismus. All das,
wogegen er sich so verzweifelt gewehrt hatte, seit sie einander über den Weg
gelaufen waren.
Und in diesem Moment hoffte er inständig, dass auch sie ihre Ängste und
Bedenken gegen eine Beziehung mit ihm überwunden hatte.
Denn während er einfach nur dastand und sie betrachtete, strömte sein Herz
über, als wäre es plötzlich befreit worden.
Wenn das Mehr, von dem Josie vorhin gesprochen hatte, jedoch nicht bedeutete,
dass sie eine ernsthafte Beziehung und gemeinsame Zukunft mit ihm wollte, war
er nicht sicher, ob er es verkraften würde.
Selbst im Schlaf nahm Josie wahr, dass Michael nach Hause kam und Pip ihn
begrüßte.
„Hallo“, grüßte er leise und trat an die Couch.
Sie drehte sich auf den Rücken und blinzelte in den Mondschein. „Hallo.“
Behutsam hob Michael ihre Beine an, setzte sich zu ihr und legte sich ihre bloßen
Füße auf den Schoß, um die Zehen zärtlich zu drücken.
„Wie spät ist es?“ fragte sie und genoss seine Berührung. Sie war froh, dass er zu
Hause war, wollte jedoch wissen, warum er so früh gekommen war.
„Es ist etwa halb drei.“
„Sie haben dich früher weggelassen?“
„Haben sie“, bestätigte er, ohne ihr den Grund dafür zu nennen.
Josie öffnete die Augen weit und setzte sich auf, damit Michael die Massage nicht
unterbrach, die er ihren Füßen mit seinen großen, warmen und kräftigen Händen
verpasste.
„Warum hast du hier unten geschlafen?“ fragte er.
Sie konnte ihm schlecht von dem fertigen Schwangerschaftstest erzählen, der im Badezimmer auf sie wartete und vor dessen Ergebnis sie sich fürchtete. „Ich wollte nicht nach oben, bevor ich mit dir geredet habe“, sagte sie. Er nickte, als würde das Sinn machen, und Josie hoffte, dass das ein gutes Zeichen war. Aber zugleich war seine Miene sehr ernst, und sie fragte sich, ob er ihr nur deshalb die Füße massierte, um die Zurückweisung, vor der sie solche Angst hatte, ein wenig abzumildern. „Es tut mir wirklich Leid, dass ich dich vorhin bei deinem Einsatz überfallen habe“, entschuldigte sie sich ein zweites Mal für ihr spontanes Verhalten. „Kein Problem. Ich bin froh* dass du es getan hast.“ „Wirklich?“ fragte sie überrascht. „Warum denn?“ „Weil ein Teil von dem, was du gesagt hast, mich dazu gebracht hat, die Dinge anders zu sehen.“ „Welcher Teil und welche Dinge?“ Er antwortete nicht sofort, sondern rieb weiter über ihre Füße und starrte sie eine Weile an. Und als er schließlich den Mund aufmachte, stellte er ihr eine eigene Frage. „Wie hast du es gemeint, als du sagtest, du würdest dich nicht an unsere ursprüngliche Abmachung halten, weil du mehr als das wolltest?“ Also hatte er vor, sie zur Rede zu stellen. Trotz der beruhigenden Massage stieg Nervosität in ihr auf. Doch sie war diejenige, die davon angefangen hatte, da durfte sie jetzt nicht davor zurückschrecken. „Ich habe gemeint, dass ich nicht mehr will, dass wir nur gute Freunde und Mitbewohner sind“, begann sie und hatte das Gefühl, sehr dünnes Eis zu betreten. „Warum hast du es dir anders überlegt?“ Josie erklärte ihm, worüber sie nachgedacht hatte, bevor sie zu ihm an den Einsatzort gegangen war. Und sie gab wieder, was Sharon zu ihr gesagt hatte – dass man sich nicht eingeengt fühlte, wenn man sein Leben mit dem richtigen Menschen teilte. Und während sie redete, hielt Josie zwei Finger gekreuzt, als würde das verhindern, dass ihre größte Angst sich bewahrheitete. Die Angst davor, dass Michael sie trotz allem zurückwies. „Also bin ich der Richtige, was?“ fragte er, als sie fertig war, und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Du musst es sein, sonst hättest du mich nicht zu einem Sinneswandel bewogen“, erwiderte sie. „Wenn wir nicht mehr gute Freunde und Mitbewohner sind, was denn dann?“ fragte er und klang ein wenig belustigt. Sie ahnte, dass er mit ihr spielte. Aber bevor sie fortfuhr, musste sie wissen, wo er stand. „Das weiß ich nicht. Du hast mir ja noch nicht mal gesagt, ob du für mich mehr als ein Freund und Mitbewohner sein willst.“ Auch darauf antwortete Michael nicht gleich. Aber sein Gesicht war nicht mehr ernst, sondern fast ein wenig verschmitzt. „Dein Überraschungsbesuch heute Abend hat bewirkt, dass auch ich nachgedacht habe. Er hat mir die Augen geöffnet.“ „Offene Augen sind gut“, erwiderte sie. Jedenfalls hörte er sich so an, als würde er sie für eine gute Sache halten. Er erklärte ihr, zu welchen Schlussfolgerungen er selbst an diesem Abend gelangt war. Und dass er das Gefühl hatte, das Andenken seines Vaters nur dann zu ehren, wenn er nicht an die Trauer um ihn, sondern an das Leben mit ihm
dachte.
„Ich habe nie gedacht, dass ich ein negativer Mensch bin. Jedenfalls weiß ich,
dass ich es nicht sein will. Aber ich weiß auch, dass man auf Dauer nicht allem
Negativen ausweichen kann. Deshalb sollte man das Positive genießen und mit
dem Negativen fertig werden, wenn es einem passiert.“
„Übersetzung?“ bat sie verständnislos.
„Ich will von der Zeit, die wir zusammen haben können, keine Minute mehr
verschwenden. Schon gar nicht damit, mich gegen die Erkenntnis zu wehren,
dass ich mich in dich verliebt habe. Dass ich dich begehre. Dass ich eine Zukunft
mit dir will.“
Josie fühlte sich, als hätte er in ihr eine wärmende Glut entfacht, und wehrte sich
gegen die Freudentränen, die ihr in den Augen brannten.
Um sie zu verbergen, gab sie sich unbeschwert. „Soll das heißen, es besteht die
Chance, dass aus unserer vorgetäuschten Verlobung vielleicht eine echte wird?“
Michael lachte. „Mehr als nur eine Chance. Wir reden dauernd über die Zeit, die
wir nicht genutzt haben. Ich finde, wir haben genug davon verschwendet. Und
die will ich jetzt nachholen.“
„Indem du heiratest? Indem du eine Familie gründest?“ fragte sie blinzelnd.
„Indem ich dich heirate. Und mit dir eine Familie gründe“, verbesserte er.
Josie rutschte zu ihm, bis ihre angezogenen Knie fast ihr Kinn und ihr Po seinen
Oberschenkel berührte. „Und denkst du daran, schon bald mit der
Familiengründung zu beginnen?“
Er lachte wieder, dieses Mal jedoch mischte sich Verwirrung in seine Belustigung.
„Hast du es etwa eilig?“
Josie rang mit sich. Sollte sie ihm erzählen, dass ihnen vielleicht nicht mehr viel
Zeit blieb, bis sie Eltern wurden? Dass sie möglicherweise schon schwanger war?
Aber sie wollte ihm nichts verheimlichen, also atmete sie tief durch. „Bisher
wollte ich es lieber nicht wissen, aber jetzt…“
Sie stand auf, nahm seine Hand und zog ihn von der Couch. Dann führte sie ihn
die Treppe hinauf, durch ihr dunkles Schlafzimmer und ins Bad.
Dort schaltete sie das Licht ein und griff nach dem Teststäbchen, das sie benutzt
hatte.
„Offenbar bin ich in Eile“, gestand sie.
„Ist es das, was ich denke?“ fragte Michael.
„Was glaubst du denn, was das ist?“
„ Ein Schwangerschaftstest?“
„Ja, genau das ist es. Und da es heute Abend um positive Dinge geht…“
„Ein Baby? Wir bekommen ein Baby?“
„Es sieht ganz so aus“, erwiderte Josie und klang ebenso begeistert wie er.
„Ein Baby…“, staunte Michael.
„Ist das okay?“
„Für mich ja“, antwortete er, als hätte er sich bereits an die Vorstellung gewöhnt,
dass er Vater wurde.
Seine Reaktion tat Josie ungemein gut.
„Was ist mit dir?“ fragte er. „Ist es auch für dich okay?“
Sie dachte daran, dass jetzt alles zwischen ihnen geklärt war, dass es ab jetzt
eine gemeinsame Zukunft für sie beide gab.
Und plötzlich wurde ihr klar, dass es mehr als okay war, mit Michael ein Baby,
sein Baby zu bekommen.
„Ich weiß, wir haben es nicht geplant. Und es ist eine Riesenüberraschung, aber
der Gedanke, dass wir beide ein Kind bekommen, ist irgendwie schön, findet du
nicht auch?“ fragte sie leise und von ganzem Herzen.
Sie standen Seite an Seite vor dem Waschbecken in ihrem Badezimmer, und er
drehte sie langsam zu sich, legte die Arme um sie und zog sie an sich, um ihr tief
und warm in die Augen zu schauen.
„Es ist mehr als schön, es ist atemberaubend. Dass wir beide, zwei überzeugte
Einzelgänger, herausfinden, dass wir nicht nur einander, sondern auch noch ein
Baby haben werden.“
Josie strahlte ihn an. „Irgendwie verrückt, nicht wahr?“
Michael sah nach oben. „Ich glaube, dort oben hat jemand gut auf uns beide
aufgepasst und besser als wir gewusst, was wir brauchen.“
„Dein Dad und meine Eltern?“
„Und meine Mutter hier unten. Die sollten wir nicht vergessen. Nicht, dass sie es
jemals zulassen würde“, fügte Michael lachend hinzu.
Dann küsste er sie. Und küsste sie wieder.
Mehr brauchte es nicht, um das Verlangen zu entfesseln, das bei ihnen beiden
stets dicht unter der Oberfläche zu flackern schien. Noch während sie sich
küssten, stellte Josie den Schwangerschaftstest zurück, und Michael führte sie
aus dem Bad und zu ihrem Bett, wo Kleidungsstücke durch die Luft flogen, weil
sie nicht mehr warten wollten. Nicht mehr warten konnten.
Sie nahmen sich nicht mal die Zeit, die Tagesdecke zurückzuschlagen. Nackt
fielen sie auf Josies Bett, die erregten Körper aneinander gepresst, als wollten sie
nie wieder getrennt sein.
Er kam zu ihr, als wäre er nur für sie geschaffen, und sie umklammerte ihn mit
Armen und Beinen, um ihn ganz in sich aufzunehmen.
Und sie wurden eins, mit einer neuen Offenheit, einer neuen Freiheit, die keinen
Raum für Hemmungen ließ. Die sie mit Körper, Seele und Geist vereinte, tiefer
als jemals zuvor.
Danach drehte Michael sich erschöpft, glücklich und vollkommen zufrieden auf
den Rücken und zog Josie auf sich, bis ihr Kopf an seiner Brust lag.
„Ich liebe dich, Josie Täte“, murmelte er in ihr Haar.
„Ich liebe dich auch, Michael Dunnigan.“
„Willst du mich heiraten? In echt?“
Josie musste lachen. „Ja, das will ich“, sagte sie. „Ich will dich in echt heiraten.“
Er küsste sie auf den Kopf und ließ den Mund auf ihrem Haar ruhen. „Und willst
du die Mutter meines Babys sein?“
Dieses Mal war Josies Lachen voller Glück. „Sehr gern sogar.“ Dann fiel ihr etwas
ein, das sie fast vergessen hätte. „Deine Mutter hat heute eine Nachricht auf dem
Anrufbeantworter hinterlassen. Irgendwo sind Brautkleider im Preis
heruntergesetzt, und sie will unbedingt mit mir los, um eins zu kaufen.“
„Die Frau gibt niemals auf, was?“
„Stimmt.“
„Meinst du, du wirst mit ihr fertig?“
„Ja, ich glaube, das werde ich.“ Wenn es darum ging, mit Michael zusammen zu
sein, würde sie mit allem fertig werden.
„Also schätze ich, ich sollte mit ihr losziehen“, meinte Josie und fing an, sich
daran zu gewöhnen, dass ihr Leben sich grundlegend geändert hatte.
„Das solltest du. Und du kannst ihr sagen, dass sie es endlich geschafft hat und
wir heiraten wollen. So bald wie möglich“, fügte er hinzu und legte ihr zärtlich
eine Hand auf den noch flachen Bauch.
Dann schmunzelte er. „Du glaubst doch nicht, dass es ansteckend ist, mehr als
ein Baby zu bekommen, oder?“
„Vielleicht ist es das“, scherzte Josie. „Und ich habe mit jemandem gearbeitet,
der Drillinge bekommen hat, also pass auf.“
„Drei Babys? Das wäre wirklich wahnsinnig.“ Er küsste sie erneut auf den Kopf und lehnte sich zurück. Als er seufzte, fühlte sie, wie seine Muskeln sich entspannten und sich die Erschöpfung in ihm ausbreitete. Auch sie schloss die Augen. Aber sie wollte noch nicht einschlafen. Sie wollte das Gefühl genießen, in Michaels Armen zu liegen und zu wissen, dass sie für immer zusammen sein und ein Baby bekommen würden. Und während sie das tat, war ihr, als würde das Schicksal es mit ihnen beiden nur gut meinen, denn es hatte sie trotz aller Hemmnisse zueinander finden lassen. Sie dachte daran, wie der vergangene Tag begonnen hatte und wie sie auf die Idee gekommen war, dass sie vielleicht schwanger war. Und sie konnte nur hoffen, dass die Frau, die bei Manhattan Multiples den Schwangerschaftstest gemacht hatte, ebenso glücklich werden würde, wie sie selbst es jetzt war. ENDE