Petra Jung Kindertageseinrichtungen zwischen pädagogischer Ordnung und den Ordnungen der Kinder
Petra Jung
Kindertag...
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Petra Jung Kindertageseinrichtungen zwischen pädagogischer Ordnung und den Ordnungen der Kinder
Petra Jung
Kindertageseinrichtungen zwischen pädagogischer Ordnung und den Ordnungen der Kinder Eine ethnografische Studie zur pädagogischen Reorganisation der Kindheit
III
VS VERLAG FÜR SOZIALWISSENSCHAFTEN
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diesePublikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften I GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Katrin Emmerich / Tanja Köhler VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer sclence-susmess Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seinerTeile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung desverlagsunzulässig undstrafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherungund Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und dahervon jedermann benutzt werden dürften. umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druckund buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printedin the Netherlands ISBN 978-3-531-15813-6
Inhalt Vorwort Einleitung 1
2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.1.5 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.3
9 11
Wie erzieht der Kindergarten? (Fragestellung und Problembezug)
15
Organisationstheoretische Perspektiven auf das Rationalitätsproblem
21
Organisationen als komplementäre soziale Einheiten zur Gesellschaft Legitimation als Ersatz für Rationalität Verminderung von Legitimationsdruck durch Isomorphie Rationalität als Mythos - Der Bruch zwischen formaler Rationalität und operativer Praxis Organisation als Institution ("cultural engines'1 Organisationen als Entscheidungen treffende Systeme Organisationen als bewegliche Effekte in einem Feld vielfältiger Beziehungen zwischen Akteuren Organisation als Strukturation Unerkannte Handlungsbedingungen und ihre Folgen Habitus und Feld Routinen, Ordnungen, Macht
24 26 28 30 31 33 37 38 .40 40 42
Zum Verhältnis von gegenstandstheoretischem und gegenstandskonstitutivem Begriff der Organisation
46
Ordnungen als Eigenschaften organisierter Erziehungsverhältnisse
48
lnstituetik als erziehungswissenschaftliche Analytik der Ordnungsbildung
50
2.6
Eigenständigkeit als Maßstab pädagogischer Qualität
52
2.7
Perspektivität als Eigenschaft des Geschehens
58
2.4 2.5
3
Ethnografie als Forschungsstrategie
63
3.1
Feldzugang
63
3.2
Phasen der Teilnahme
66
3.3
Fokussierungs- und Verdichtungsstränge
68
3.4
Der Kindergarten S.- Standort einer Modelleinrichtung
70
4
Pädagogische und nicht-pädagogische Ordnungen (Ergebnisse 1)
73
4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.3 4.3.1 4.3.2
5
Pädagogik als symbolische Ordnung 73 Sozialformen als Regulative der Begegnung zwischen Kindern und Erzieherinnen 74 Die Unterscheidung von Altersklassen: die Großen, die Kleinen und die ganz Kleinen 104 Erkämpfte Leiblichkeit als Widerstand gegen die pädagogische Alltagsordnung 114 Die kollektiven Ordnungen der Kinder Geschlechterordnungen Ordnungen des Alters Ethnische Ordnungen Individualität als Wahrnehmungskategorie der sich ordnenden Sozialität der Schulkinder Pädagogik als Regulativ der Begegnung zwischen den Professionellen Pädagogischer Sinn als prekärer Bezugspunkt professioneller Kommunikation Das "Nicht-Pädagogische" verharmlosen, verleugnen, gebrauchen
120 128 138 157 171 182 182 189
Qualitätspraktiken als Transformatoren von Akteurverhältnissen (Ergebnisse 2)
197
5.1
Selbstorganisation der Kinder (Die Magnettafel)
198
5.2
Pädagogisierung der materialen Umwelt (Der Holzzug)
205
5.3
Befriedung und Zivilisierung des Geschehens unter Kindern (Das Mandala)
210
6
5.4 5.5 5.6
6 6.1 6.2
6.3
Den Kindergarten öffnen, Spielszenarien ästhetisieren, Angebote differenzieren und die Organisation straffen
218
Schauplätze kindlicher Eigenständigkeit (Das Frühstücksbistro)
220
Pädagogische Wissensproduktion (Die Entwicklungsdokumentationen)
226
Der Kindergarten zwischen pädagogischer Ordnung und den Ordnungen der Kinder (Bilanz)
233
Routinen als Organisation der Unterscheidung zwischen Kindern und Erwachsenen
235
Reorganisation der frühen Kindheit als zunehmende Entkopplung von pädagogischem Sinn und operativer Macht des Geschehens
244
Perspektivität und Qualität als Schlüsselbegriffe einer Theorie des Kindergartens 247
Erklärungen
253
Literatur
255
7
Vorwort Wie erziehen Kindertageseinrichtungen als Organisationen? Mit dieser Frage knüpft die vorliegende ethnografische Studie an den Forschungskontext der Trierer Kindergartenstudie an und führt sie im Sinne eines erfahrungswissenschaftlichen Ansatzes fort Der Kindergarten wird als ein sozialer Ort aufgesucht, in dem sich der Wandel von Kindheit in der Perspektivität von Kindern und Erwachsenen rekontextualisiert Die Studie wurde im Frühjahr 2007 im Fach Erziehungswissenschaft im Fachbereich I der Universität Trier als Dissertation angenommen. Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Michael-Sebastian Honig. Er schuf mir die Gelegenheit, meine Forschungstätigkeit in den Kontext der Trierer Kindergartenstudie einzubetten und mich so an einem überaus spannenden Diskurs zur Reorganisation der Kindheit zu beteiligen. Als Doktorvater trug er mit seinen Anmerkungen dazu bei, dass ich den roten Faden meiner Studie konsequenter verfolgen und ihren Argumentationsgang besser durchdeklinieren konnte. Sehr herzlich danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Philipp Gonon, Universität Zürich, für die Zweitbetreuung und -beguta chtu ng der Dissertation. Zu denen, die im weiteren Sinn die Entstehung der Arbeit begleitet haben, gehört Renate Kamp. Mit ihren Lehr- und Beratungsangeboten zu den praktischen Teilen des Studiengangs Pädagogik der Universität Trier stand sie jahrzehntelang im Schnittfeld von Profession, Arbeitsfeld und Disziplin. In den Gesprächen mit ihr fand ich viele nützliche Anregungen. Ich danke ihr für ihre Solidarität und Unterstützung, vor allem in der Endphase der Promotion. Ebenso danke ich meinem ehemaligen Kommilitonen [örg Bröder, Diplompädagoge und erfahrener Organisationsberater, für eine jahrelange spannende Korrespondenz über sozialwissenschaftliehe, insbesondere system- und organisationstheoretische Fragestellungen. Dies ist in der kargen Landschaft der Dekonstruktion vorgängiger Gewissheiten eine wahre Quelle der Verbundenheit. Sehr herzlich danken möchte ich auch meiner Kollegin Hilde-Latz Liehtenhagen, die mich dazu ermutigte, die Studie durchzuführen. Sie, Monika Jakobs und Anette Slotty haben mir außerdem bei Korrekturarbeiten des Manuskriptes geholfen. Frau Ingrid Walther danke ich für ein sorgfältiges abschließendes Lektorat des Buches und Frau Dr. Tanja Köhler vom VS Verlag für wichtige Hinweise bei dessen redaktioneller Endbearbeitung.
Mein ganz besonderer Dank gilt den Kindern und Mitarbeiterinnen des Kindergartens S., die bereit waren, mich über den Forschungszeitraum an ihrem Alltag teilnehmen und mich ihnen mitunter recht nahekommen zu lassen'. Bernd Reinhold, mein Lebensgefährte, hat mich die ganze Zeit über unterstützt Ich danke ihm für die Aufmerksamkeit, die er meinen Themen geschenkt hat, die vielen notwendigen kleinen Ablenkungen und eine gemeinsame Lebensführung, in deren Rhythmen die Arbeit Schritt für Schritt ihre Gestalt finden konnte.
Petra Iung
1 Sämtliche Angaben, sowohl der Einrichtung. als auch der Namen von Erzieherinnen und anderen pädagogischen und nicht-pädagogischen Mitarbeiterinnen, Kindern und Eltern, sind anonymisiert
10
Einleitung Erziehung, Betreuung und Bildung werden in der Erziehungswissenschaft gewöhnlich handlungstheoretisch aufgefasst. Wie pädagogische Organisationen erziehen, ist hingegen eine vernachlässigte Frage erziehungswissenschaftlicher Theoriebildung. Dies ist insofern bemerkenswert, als es für moderne Gesellschaften typisch ist, zentrale Aufgaben/Funktionen - und dazu gehören Erziehung, Betreuung und Bildung - in organisierter Weise zu bewältigen. Dies gilt für das Bildungssystem, die Kinder- und Jugendhilfe und die Frühpädagogik gleichermaßen. Kindertageseinrichtungen stehen derzeit besonders im Fokus bildungspolitischer Maßnahmen und Strategien. Daher ist die Frage, was sie als Organisationen bewirken, von zentralem gesellschaftlichen Interesse. leh gehe in dieser Arbeit davon aus, dass sie nicht lediglich Orte, Szenerien, Schauplätze pädagogischen Handeins sind, sondern die Form der Erziehung bestimmen. Dies ist im Kern eine - mit Siegfried Bernfeld gesprochen - instituetisehe Fragestellung. Für Bernfeld war die Instituetik einerseits eine Didaktik, die die sozialen Bedingungen von Lehren und Lernen berücksichtigt; zum anderen betrachtete er sie als ein Forschungsprogramm, das die Rationalität der Erziehung als gesellschaftliche Reaktion auf die Entwicklungstatsache darstellt. Diesen Ansatz greife ich mit Mitteln der modernen Sozialwissenschaft auf und behandle ihn als einen Zusammenhang von Handlung und Struktur. Die Frage, wie der Kindergarten erzieht, stellt sich dabei als eine erfahrungswissenschaftliche: Wie erziehen die Ordnungen des Geschehens? In welchem Verhältnis stehen pädagogischer Sinn und operative Praxis der Erziehung zueinander? Die Beantwortung dieser Frage verlangte nach einer nicht-pädagogischen Beschreibung pädagogischer Sachverhalte. Im Mittelpunkt steht dabei der Kindergarten als sozialer Ort. Er ist bestimmt von konkurrierenden, aber aufeinander verweisenden Perspektiven sowie von Diskursen und Praxen seiner Verbesserung. Während sich deren Rationalität gegenwärtig als eine messbare Gegebenheit im Konzept pädagogischer Qualität ausgibt, frage ich danach, welche Rationalität sich in den Transformationen des Geschehens durch Praxen der Verbesserung verbirgt. Die Ressourcen, derer ich mich bediene, sind moderne Organisationstheorien, methodologisch greife ich auf ein Konzept des pädagogischen Feldes (in Anlehnung an Bourdieu) zu, das für den Trierer Forschungskontext kennzeichnend ist, wichtigste Methode - besser: Forschungsstrategie - ist die Ethnografie. Die Arbeit ist wie folgt aufgebaut: Kapitel 1 greift das grundlegende Problem der Rationalität institutionalisierter Erziehung und Bildung
P. Jung, Kindertageseinrichtungen zwischen pädagogischer Ordnung und den Ordnungen der Kinder, DOI 10.1007/978-3-531-91746-7_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009
in modernen Gesellschaften auf. Wie sind Rationalitätsanspruch und Qualitätsambition mit der multireferentiellen und multifunktionalen Erwartungsstruktur an Kindertageseinrichtungen vermittelt? Ausgehend von dieser Frage wird in Kapitel 2 zunächst das Potential unterschiedlicher organisationstheoretischer Ansätze diskutiert. Der Stellenwert dieser organisationstheoretischen Perspektiven für die Vermittlung von Rationalitätsanspruch und pädagogischer Praxis besteht darin, den ethnografischen Prozess der Beschreibung der Wirklichkeit des Kindergartens als Heuristik des Entdeckens zu begleiten (AmannjHirschauer 1997) und sie als .Denkmittel" (a.a.O.: 37) im Sinne von Bourdieus Begriff des "enjeu" (Bourdieu 1987) zu verwenden. Den Kindergarten als Organisation zu beschreiben, setzt einen gegen standstheoretischen Organisationsbegriff voraus, der in der Auseinandersetzung mit den in der Organisationstheorie wiederentdeckten institutionentheoretischen Ansätzen gesucht wird. Diese befassen sich in besonderer Weise mit den Wechselwirkungen von Organisation und Umwelt. Allerdings muss dieser gegenstandstheoretische Bezug Anschluss finden an die mit der ethnografischen Forschungsstrategie gewählte Akteurperspektive. Die Vermittlung zwischen beiden wird insbesondere mit Giddens Theorie der Strukturation (Giddens 1997) und Bourdieus Feldbegriff (Bourdieu 2001) hergestellt. Den Akteuren stellt sich das Vermittlungsproblem als eine Frage nach der Stabilisierung von Ordnungen, die in Form von Praktiken dem Geschehen Systemhaftigkeit "einverleiben". Sie transformieren das Vermittlungsproblem in Strukturen des Geschehens. Dabei erweist sich das Qualitätskonstrukt als ein Dispositiv der Erzeugung von Ordnungen, welches die Restrukturierung der Kindheit als spezifisches Generationenverhältnis leistet. Pädagogische Qualität ist das Dispositiv dieser Ordnung, das es in der Untersuchung der Perspektivität zwischen Kindern und Erwachsenen als Moment der Kindergartenkindheit ethnografisch zu beschreiben gilt. Kapitel 3 beschreibt den methodischen Zugang zu dem spezifischen, in dieser Studie beforschten Kindergarten in seiner partikular und regional bestimmten Integriertheit in das Gemeinwesen ebenso wie in seiner strukturellen Zugehörigkeit zu seinem Träger. Die Einbettung des ethnografischen Forschungsprojektes in die Trierer Kindergartenstudie (vgl. HonigjJoosj Schreiber 2004) ermöglichte es, den beforschten Kindergarten, der sich als Standort einer Modelleinrichtung an der Erprobung neuer Trägerstrukturen beteiligte, zum Zeitpunkt der organisatorischen Restrukturierung zu erforschen und somit die sich in Praktiken dem Geschehen einschreibenden Um-
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gestaltungen alltagsorganisatorischer Abläufe an der Logik von Situationen zu studieren. Bei den ethnografischen Fokussierungsprozessen spielten forschungsstrategische Methoden, wie z.B. die des ständigen Vergleichens der Grounded Theory [Glaser/Strauss 1998) eine zentrale Rolle ebenso wie die Reflexion des Forschungsverlaufs. der sich als eine, zwar mit Brüchen durchsetzte, aber gleichwohl kontinuierliche Bewegung von außen in die Binnenbezirke des sozialen Geschehens und als einen in Phasen gegliederten Prozess zunehmender Teilnahme beschreiben lässt. Entsprechend den methodologischen Überlegungen gliedern sich die Ergebniskapitel 4 und 5 in zwei unterschiedliche Stränge ethnografischer Beschreibungen, die in ihrem Bezug aufeinander Aufschluss darüber geben, wie sich der Erfahrungsraum des Kindergartens konstituiert. Der erste Ergebnisteil (Kapitel 4) untersucht Relationen zwischen Akteurtypen. Hauptakteurgruppen sind Kinder und Erwachsene. Diesen Akteurkategorien entsprechen spezifische Arten der interaktiven Hervorbringung dieser Unterscheidung: der Interaktion der jeweils Gleichen, d.h. der Kinder und der Erwachsenen jeweils untereinander, und der Verschiedenen, d.h. der Kindern und der Erwachsenen miteinander. Wodurch ist die Kommunikation zwischen Mitgliedern gleicher und unterschiedlicher Akteurgruppen gekennzeichnet, welche Kontexte normieren und strukturieren die spezifischen Formen der Begegnung? Der zweite Ergebnisteil, KapitelS, fokussiert auf die Verbesserungspraxen innerhalb des Kindergartens. Hier werden spezifische, an konkrete Erwartungen anknüpfende Praktiken der pädagogischen Qualifizierung des Kindergartens als Ergebnis von Fokussierungsstrategien identifiziert und beschrieben. Wie reorganisieren sie die Erfahrungswelt des Kindergartens? Kapitel 6 bilanziert den Ertrag der ethnografischen Beschreibungen. Indem die beiden Ergebnisstränge aufeinander bezogen werden, lassen sich Aussagen über den Wandel von Kindheit gewinnen. Deren Transformation vollzieht sich im Zeichen pädagogischer Qualität als Restrukturierung des Generationenverhältnisses. Dieses ist gekennzeichnet durch die zunehmende Entkopplung von pädagogischem Sinn und operativem Erziehungsgeschehen. Qualität und Perspektivität stellen daher - dies wird im Kapitel 6.3 resümiert - im Sinne einer Vermittlung von pädagogischer Rationalität und gesellschaftlicher Funktionalität Schlüsselbegriffe einer Theorie des Kindergartens dar.
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1
Wie erzieht der Kindergarten? (Fragestellung und Problembezug)
In der Rekonstruktion vergessener Zusammenhänge über Kultur und Gesellschaft erinnerte Klaus Mollenhauer vor 25 Jahren an die aus dem Blick geratene grundsätzliche Problemstellung moderner institutionalisierter Erziehung und Bildung in den Industrienationen. Er charakterisierte sie angesichts des neuzeitlichen Verlustes der Einheit von Leben und Lernen als ein Problem der Kultivierung einer künstlichen und vernunftorientierten Bildungswelt für Kinder. Dietrich Benner (1987, 1994, 1995,2003), Heinrich Kemper (1985, 1990, 2001) und U1rich Herrmann (1993) haben die Verwirklichungsversuche dieser Ambition in ihren problemgeschichtlichen Analysen als paradoxe Vermittlungsaufgabe von politischem Aufklärungs anspruch durch die Pädagogik und gesellschaftlicher Praxis untersucht. In der Analyse der über zweihundertjährigen Reformpraxis der Schule hat Kemper (1990) die Verknüpfung institutionalisierten Lernens und die Möglichkeit der Erziehung als einen Versuch charakterisiert, die neuzeitliche Zersplitterung der Lebensformen im Entwurf einer wissenschaftlichrationalen Gesellschaftsordnung einzuholen, der sich durch die "Verbesonderung" der Erziehung und ihre Vergesellschaftung im öffentlichen Bildungssystem verwirklichen sollte. Ihr Grundwiderspruch, partikulare Interessen, die zwangsläufig das Ergebnis gesellschaftlicher Differenzierungsprozesse sind, in der Verwissenschaftlichung des Lernens durch die Didaktik aufzuheben und sie an einen universalen Entwurf gesellschaftlicher Ganzheit zurückzubinden, wird seit der Aufklärung in der regulativen Idee der Identität von natürlicher und gesellschaftlicher Existenz gesucht und als Verwissenschaftlichung des Lernens in der Didaktik zum spezifischen Anliegen der Pädagogik. Der Widerspruch zwischen handlungsmäßig erworbenem und wissenschaftlich-rationalem Wissen kann jedoch - dies ist das Ergebnis von Kempers historischen Analysen - durch die Pädagogik nicht inhaltlich-konkret aufgelöst werden, sondern gelingt Irin der institutionellen Erziehung nur symbolisch und in den theoretischen Konstrukten der Pädagogik nur formal -abstrakt" (Kemper 1990: 310). Pädagogische Einrichtungen sind demnach nicht nur soziale Räume, in denen die Möglichkeit der Erziehung geschaffen werden soll, sondern auch Orte, an denen die Reproduktion sozialer Ungleichheit stattfindet. In diesem Sinn lassen sich für die Wirklichkeit pädagogischer Institutionen zwei Erziehungsbegriffe gegenüberstellen, der einer sozialisationstheoretisch verstandenen identitätsbil-
P. Jung, Kindertageseinrichtungen zwischen pädagogischer Ordnung und den Ordnungen der Kinder, DOI 10.1007/978-3-531-91746-7_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009
denden, (re-)produktiven Kraft der Gesellschaft und der einer aufklärungsphilosophisch versprochenen Möglichkeit ihrer Weiterentwicklung durch Bildung und Erziehung, die nach wie vor an das bürgerlich-aufklärerische Postulat der natürlichen und deshalb prinzipiellen Gleichheit der Lernenden geknüpft ist. Während Letzterer in Programmen einer handlungstheoretisch gedachten Pädagogik vorkommt, handelt es sich beim Ersten um einen erfahrungswissenschaftlichen Begriff der Erziehung. In abgewandelter Weise gilt die für den Bereich der Schule erörterte "Verbesonderung" auch für die Frühpädagogik, denn die Entwicklung ihrer Didaktik seit Fröbel verweist auf die Naturalisierung kindlichen Lernens in der Wissensbildung über das Kind und die programmatische Projektierung der Erziehungspraxis unter didaktisch-rationalen Kriterien (z.B. Fröbel 1913). Dabei vollzieht sich die Reformulierung und Stärkung der pädagogischen Zielsetzung im Diskursmuster pädagogischer Qualität (vgI. Tietze/ Viernickel 2003), die ihrerseits u.a, auf Professionalisierung und Verwissenschaftlichung der Pädagogik der Kindheit (Thole 2008) drängt. Das zentrale Bindeglied zwischen Verwissenschaftlichung und pädagogischer Praxis ist die Didaktik. Sie war bereits bei Comenius im Orbis Pictus aufs engste mit dem Bildungsbegriff verknüpft und als ein in die Zukunft gerichtetes Potential der Verbesserung menschlicher Praxis gedacht. Ganz in diesem Sinn hat die Frühpädagogik seit Fröbel zahlreiche Konzepte und Programme entwickelt, die, an anthropologische Erkenntnisse über das Wesen des Kindes anknüpfend, eine Vielzahl didaktischer Arrangements erzeugte. Von den Spielgaben (Fröbel 1962/63) bis zum Offenen Kindergarten (vgl. exemplarisch Regel/Kühne 2001; Beek/Buck/Rufenach 2001) basieren sie auf einer anthropologisch begründeten Aufforderung zur Selbsttätigkeit und einem aufklärungsphilosophischen Entwurf kindlicher Selbstbestimmtheit, welche gleichsam als Maximen die Ermöglichung und Begleitung kindlicher Bildungsprozesse durch Erwachsene leiten sollen. All diese didaktischen Arrangements werden getragen von der Vorstellung, die kindliche Perspektive auf die Welt zu rekonstruieren und entsprechende Arrangements für ihr Lernen herzustellen. Die Frühpädagogik hat dafür den Begriff der Kindgemäßheit (Reyer 2004b) geprägt. Allerdings unterscheidet sich die Didaktik des Kindergartens erheblich von der der Schule und auch der Frühpädagogik anderer europäischer Länder, wie z.B. Frankreichs, in der die Frühpädagogik nicht vom Schulsystem abgekoppelt ist. In bewusster Abgrenzung zur Schule, die durch Unterricht, Stoffvermittlung, Segmentierung und Periodisierung normierter Wissensbestände gekennzeichnet ist, setzte die Frühpädagogik in Deutschland, an
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Fröbel und Montessori anknüpfend, immer schon auf das Prinzip des selbst entdeckenden Lernens. Während sich dieses vom Kinde aus gedachte Weltaneignungsmuster zunächst überwiegend auf kognitives Wissen bezog, wurde es etwa seit den 1970er Jahren - mit dem Situationsansatz (z.B. Zimmer 1985b, 2000; Stoll 1997; Becker-Textor 2002; Krenz 2002), dem Offenen Kindergarten (z.B. RegeljWieland 1993; Regel/Kühne 2001; BeekjBuckjRufenach 2001) und dem Konzept des Sozialen Lernens (Colberg-SchraderjKrugjPelzer 1991) - auf die soziale Entwicklung übertragen. Insbesondere in der Sozialform des Freispiels war die Herstellung eines interaktiven Raumes anvisiert, der gleichsam die Gelegenheiten für selbst definierte Bildungsprozesse bieten sollte. Das korrespondierende wissenschaftliche Erklärungs- und Legitimationswissen ist eine ko-konstruktiv gedachte "Entwicklung des sozialen und zwischenmenschlichen Verstehens" (EdelsteinjHabermas 1984). Es sieht in den Begegnungen der Gleichaltrigen die Voraussetzung zur Förderung sozial moralischer Lernprozesse, die sich etwa an ihren Freundschaftskonzepten ablesen lassen (Valtin 1991; Kegan 1991; Youniss 1984, 1994). An der Übertragung des Prinzips des selbstentdeckenden Lernens von überwiegend kognitivem Wissen auf die Aneignung sozialer Kompetenzen lässt sich ein Verhältnis zwischen Produktion rationalen Wissens über das Kindjdie Kinder und seiner instrumentellen Verwendung in der Pädagogik studieren. Mit der Überführung wissenschaftlicher Erkenntnisse über das Lernen der Kinder in Legitimationen pädagogischer Praxis und den damit verknüpften didaktischen Arrangements transformiert sich ihr deskriptiver Status in normative Voraussetzungen pädagogischer Praxis. Humanwissenschaftliche Erkenntnisse über das Lernen des Kindes werden in den Programmen pädagogischer Praxis gleichsam als Bedingung des Lernens vorausgesetzt und eignen sich daher als Basis für Normalitätsdefinitionen. Dies ist möglich, weil dem pädagogischen Wissen über Kinder ein ontologischer Status zugesprochen wird. Wenn Kinder ihrem Wesen nach entdeckt und erforscht werden, dann erscheint es nur folgerichtig, wenn diese Wesensartigkeit als Movens des Lernens die Normierung pädagogischer Praxis begründet Dies gilt sowohl für eine entwicklungs- oder sozialisationstheoretische Definition von Kindern als Werdenden als auch für eine emanzipatorisch inspirierte Methodologie, welche Kinder als Seiende bzw. Akteure ihrer Entwicklung konzipiert (Qvortrup 1994). Wenn hingegen Wissensproduktion und pädagogische Praxis zentrale Momente generationaler Ordnungen (Honig 1999a) sind, weil die Wesensunterscheidung zwischen Kindern und Erwachsenen als Prämissen in die Forschungspraxis eingehen,
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dann kann die Wirklichkeit pädagogischer Einrichtungen und ihre erzieherische Kraft nicht in den pädagogischen Absichten und ihrer "Umsetzung" erforscht werden, wie es durch Evaluations- und Qualitätsforschung geschieht, vielmehr muss die Beschreibung dieser Wirklichkeit unterhalb der pädagogischen Selbstbeschreibung angesiedelt sein. Daher wird die erfahrungswissenschaftlich formulierte Frage, wie der Kindergarten als Organisation erzieht, hier in der Form einer nicht-pädagogischen Beschreibung des Pädagogischen zu beantworten versucht Um die gesellschaftliche Organisiertheit des Geschehens im Sinne von Bernfelds Begriff der "Erziehungstatsache" (Bernfeld 2000) zu untersuchen, kommt es ihr darauf an, die Ordnungen zu identifizieren, von welchen die Muster der bewusst gestalteten oder unbewusst entstehenden Beziehungen (Hillmann 1994: 375) getragen werden. Dabei stellt sich die Frage, bis zu welchem Grad die Leitkriterien der lnstitutionalisierung neuer Praktiken tatsächlich handlungsstrukturierend (Lepsius 1995: 295) sind. In welchem Spannungsverhältnis stehen die der Praxis innewohnenden Ordnungen zur Ambition, die Erziehungs- und Bildungsqualität von Kindertageseinrichtungen zu steigern? Dem Kindergarten als einem organisatorischen Komplex von Angeboten und Dienstleistungen stellt sich dieses spezifisch pädagogische Problem der Vermittlung von politischem Aufldärungsanspruch durch die Pädagogik und gesellschaftlicher Praxis gegenwärtig als Qualitätsproblem. In den Prak tiken der Bewältigung dieses paradoxen Anspruches muss einerseits repräsentiert sein, dass es sich um eine, auf wissenschaftlich legitimierten Erkenntnissen aufbauende Praxis handelt, andererseits müssen diese Prakti ken einer Vielzahl von Erwartungen entgegenkommen, die an Kindertageseinrichtungen als kunden- und dienstleistungsorientierte Organisationen adressiert sind. Das sozialpolitische Projekt der Qualifizierung von Kindertageseinrichtungen stellt sich insofern als ein Problem der Verknüpfung ihrer Multireferentialität und -funktionalität (Honig/Ioos/Schretber 2004) mit pädagogischer Legitimität Der vorliegenden Studie geht es indessen nicht um die Frage, wie gut diese Verknüpfung gelingt, sondern darum, die so entstehende Erfahrungswelt des Kindergartens als ein Moment der Reorganisation von Kindheit nachzuzeichnen. Ihr geht es um die Beschreibung des Geschehens durch die Analyse der Routinen, welche die Alltäglichkeit pädagogischer Einrichtungen konstituieren und damit organisieren. Sie zielt darauf, die Systemhaftigkeit (Giddens 1997) des Geschehens als Regelhaftigkeit von Ereignissen und gegenseitigem Sich-Verhalten zur Geltung zu bringen. Dabei steht die Logik der Organisation des Kindergartens nicht als eine
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gleichsam pädagogische Gegenwelt der Gesellschaft gegenüber, sondern verweist auf die gesellschaftliche Organisiertheit von Kindheit als einem vergesellschafteten Generationenverhältnis und ihrem aktuellen Wandel unter den Bedingungen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ebenso wie ihrer Flexibilisierung zwischen Familie, Markt und Staat (Brannen/O'Brien 1996b). Kindergartenkindheit stellt sich in diesem Zusammenhang als ein zentrales Moment dieses Wandels dar.
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2
Organisationstheoretische Perspektiven auf das Rationalitätsproblem
Die Frage, wie Organisationen Rationalitätserwartungen bearbeiten, betrifft nicht nur Schulen oder Kindergärten. Daher muss eine organisationstheoretisch formulierte Frage, wie Kindertageseinrichtungen die an sie adressierten Erwartungen bewältigen, auch nicht mit einer spezifisch pädagogischen Theorieperspektive beantwortet werden, schließlich verhalten sich Organisation und Professionskompetenz komplementär zueinander (PfadenhauerjBrosziewski 2008). So mischt sich die Organisation pädagogischer Einrichtungen (z.B. des Kindergartens oder der Schule) nicht ein in das Verhältnis von Werten und Individuen (a.a.O.), wie es für ein handlungstheoretisches Professionsverständnis der Pädagogik kennzeichnend ist Allerdings sind Pädagogik und Organisation auch nicht unvereinbare Antagonismen, wie lange Zeit in der Erziehungswissenschaft angenommen wurde, etwa in dem Sinne, dass Organisationen lediglich eine Art Bedingung für pädagogi sches Handeln darstellen (Terhart 1986: 206; BöttcherjTerhart 2004: 7). Die Tatsache, dass die Erziehungswissenschaft traditionsgemäß kein systematisches bzw. theoretisches Verständnis von der Erziehungsbedeutsamkeit organisatorischer Vorgänge entwickelt hat (Kemper 2001: 353), stellt sich allerdings insofern als ein Mangel dar, als die Wirkungen pädagogischer Praxis nur unzureichend abgeschätzt werden können (Lenzen 1997). An die Feststellung dieses Defizits knüpfen eine Reihe neuerer Studien an, die das Verhältnis von Profession und Organisation der Pädagogik zum Gegenstand machen (BroszwieskijMaeder 1998; Pfadenhauer 2003, 2005; BöttcherjTerhart 2004; GöhIichjHopfjSausele 2005; KlatetzkijTacke 2006). Sie negieren im Kern die in qualitätsorientierten und pädagogischen Machbarkeitsdiskursen reformulierten Vorstellungen von Organisation als ZweckMittel-Einheiten mit differenzlogischen Erklärungsansätzen. Sie können die in der Verknüpfung von Organisation und Profession reproduzierten Rationalitätserwartungen als Rationalitätsrhetorik (Luhmann 2006: 452) demaskieren, allerdings scheint diese Kritik wirkungslos zu sein. "Die andauernde Wiederholung dieser Kritik deutet jedoch darauf hin, dass es nicht gelungen ist, Überzeugenderes an ihre Stelle zu setzen. Nach wie vor werden hohe Rationalitätsansprüche formuliert, wenn es um das Handeln im Kontext von Organisationen sowie den Aufbau und die Formen ihrer Strukturen und Prozesse geht. Nach wie vor erfordert es autklärende Nachweise, dass diese Ansprüche nicht eingelöst sind und auch selten eingelöst werden können. Auch seitens der Professionstheorien und -soziologien werden derartige An-
P. Jung, Kindertageseinrichtungen zwischen pädagogischer Ordnung und den Ordnungen der Kinder, DOI 10.1007/978-3-531-91746-7_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009
sprüche formuliert, zum Beispiel, wenn es um den Grad und die Art der Autonomie geht, die den Professionellen einzuräumen sei, sollen rationale Bedingungen für ihr Arbeitshandeln und dessen Erfolgsaussichten garantiert werden." (BrosziewskijMaeder 1998: 1)
Das - wie die Ethnomethodologen es ausdrückten - "taken for granted" von Rationalität als Organisationsprinzip der Moderne reproduziert den von Max Weber (1988) geprägten Begriff der Rationalisierung. Er bezeichnet ganz allgemein die "instrumentelle und organisatorische Beherrschung empirischer Vorgänge" (Habermas 1981) auf der Grundlage rational bzw. wissenschaftlich legitimierter Verfahrensweisen und Leitideen. Dies gilt auch für die Rezeption und Aufwertung organisationalen Denkens im Bereich der Pädagogik. Kennzeichnend für diese ist, dass sie zu einem erheblichen Teil darauf setzt, Organisation im Sinne der Verwirklichung rationaler Ziele zu denken. Als Management von Organisationen im Sinne der Herstellung einer Best Practice oder als Interventionslehre gerät der Zugriff auf Organisationskonzepte für die Pädagogik in die Nähe der Didaktik. Von "lernjähigen Organisationen" zu sprechen, wie z.B. der Schule, markiert daher den für didaktisches Denken charakteristischen Zugriff auf ontologi sche und daher gleichsam naturgesetzliche Voraussetzungen, an die pädagogisches Handeln anknüpfen kann (vgl. Tacke 2004: 35). Derartige Bezeichnungen dienen dem Zweck, Outcomes pädagogischer Institutionen in den Zusammenhang geschickter professioneller Organisation zu stellen. Die Logik, derer sich solche Urteile bedienen, setzt auf die Annahme, dass sich Organisationen - gleichsam am eigenen Schopf packend - ihrer Eigenlogik bedienen und selbst steuern können. Outcomes erscheinen dann als Ergebnisse von strategischen Kalkülen und Verbesserungspraktiken. Dieser Zurechnungslogik entspricht im Kern ein intentionales Erziehungsverständnis. Für eine ethnografische Erforschung der "Erziehungswirklichkeit" pädagogischer Institutionen stellt sich mithin die Frage, wie gerade die "irrationale" Erwartung der Rationalität von Erziehung zu einem dauernden Operationsmoment pädagogischer Organisationen wird, das heißt, wie diese Erwartungen intern aufgegriffen und in eigenlogische Operationen überführt werden. Dass sich diese Erwartung mit Professionalisierungsschüben verknüpft, ist für die Pädagogik der Kindheit derzeit in vielfältiger Weise zu beobachten (Thole 2008), wie diese organisatorische Umgestaltung den Erfahrungsraum von Kindertageseinrichtungen transformiert, ist wiederum davon abhängig, wie die beteiligten Akteure die jeweiligen Erwartungen aufgreifen und in alltägliche Praktiken und Routinen überführen. Welche Interessen verbinden sich auf der Seite der Akteure mit der Herstellung
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"ihres" Kindergartens und bis zu welchem Grad sind die rationalen Leitkriterien, welche diskursiv erzeugt werden, tatsächlich handlungsrelevant? Grundsätzlich lassen sich daher im Hinblick auf die eingangs formulierte Problemstellung zwei Theorieperspektiven unterscheiden, die durch ihren Bezug aufeinander fruchtbar gemacht werden können: die eines gegenstandstheoretischen Organisationsbegriffes einerseits und die einer akteurbezogenen Perspektive andererseits. Ein gegenstandstheoretisches Verständnis beschreibt die organisatorische Vermittlung zwischen pädagogischem Rationalitätsanspruch und gesellschaftlicher Praxis aus einer Beobachtungsperspektive. Der Begriff der Organisation kennzeichnet aus diesem Blickwinkel "ein soziales System oder ein soziales Gebilde" (Hili mann 1994: 375), das über eine bestimmbare Zahl von Mitgliedern verfügt und über eine (markierbare) Grenze, durch welche binnen- und außenorientierte ebenso wie "fremde" Beziehungsstrukturen voneinander unterscheidbar sind. Sie lassen sich durch eine interne arbeitsteilige Rollengliederung charakterisieren, die an einer zielorientierten, rationalen Ordnung ausgerichtet ist (Kaufmann 1980: 766 f.). Folgt man einer systemtheoretischen Definition, dann werden die Grenzen der Organisation durch die autopoietische Operationsweise von Systemen erklärt Organisationen sind mit Luhmann (2006) eigenständige Typen sozialer Systeme. Ihre Operationen sind Entscheidungen. Sie verfügen über drei charakteristische interne Strukturtypen. Das sind Entscheidungsprogramme, Kommunikationswege und Personal. Demgegenüber thematisiert die zweite Bedeutungsdimension nicht die Geschlossenheit einer von der Umwelt klar abgrenzbaren Einheit (z.B. der Kindergarten), sondern das Phänomen bzw. den Prozess des Organisierens (Weick 1985). Während der Kindergarten, gegenstandstheoretisch betrachtet, eine von der Gesellschaft unterscheidbare Einheit ist - eine Art Gehäuse also, in dem es ein Innen und ein Außen, Grenzen, Mitglieder etc. gibt -, erscheint er auf der Akteurebene als etwas Erzeugtes. In Anknüpfung an Michel Foucaults staatsphilosophische Ideen (Foucault 2000) ließe er sich als ein "beweglicher Effekt" (BröcklingjKrasmannjLemke 2000: 27) in einem Feld vielfältiger Beziehungen zwischen Akteuren charakterisieren. Es gerät also in den Blick, wie er in einem Feld von Relationen unterschiedlicher Akteure zueinander als eine Objektivation des Sozialen entsteht. Ein solches Konzept greift ein feldtheoretisches Verständnis organisierter Erziehungswirklichkeit auf. Organisationen stellen darin keine pädagogische Sonderwelt dar, sondern die Innenwelt einer Außenwelt, in der gesellschaftliche Maßstäbe gleichsam die Regeln und Konstitutionsmomente des Sozia-
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len bestimmen. Interaktion und Organisation der Erziehung sind insofern nur .Aspekte desselben Gegenstandes" (Mollenhauer 1976: 41) und verweisen auf ein "weiteres gesellschaftliches Ereignisfeld". Honig/Neumann (2004) haben diesen konzeptuellen Bezugsrahmen aufgegriffen und ihn insbesondere in Anknüpfung an weitere Publikationen Klaus Mollenhauers, aber auch Pierre Bourdieus Feldkonzept (Mollenhauer 1972, 1976, 1978; Bourdieu 2001) als Skizze einer Theorie pädagogischer Felder weiterentwickelt. Die Reproduktion und Steuerung gesellschaftlicher Machtverhältnisse sowie die Hervorbringung und Stabilisierung sozialer Ungleichheitsverhältnisse sind ein konstituierendes Moment des Feldes. Kennzeichnend für eine solche feldtheoretische Konzeption von Erziehungswirklichkeit ist, dass in ihr Handlung und Struktur als sich wechselseitig rekonstituierend konzeptualisiert sind (Giddens 1997).
2.1
Organisationen als komplementäre soziale Einheiten zur Gesellschaft
Gewöhnlich wird mit dem Organisationsbegriff eine Relation thematisiert, nämlich die zwischen einem ausgrenzbaren (Funktions-)Bereich der Gesellschaft, der Organisation als einer Einheit also, und seiner Umwelt. Es han delt sich dabei um ein funktional-komplementäres Verhältnis, das Organisa tionen als Zweck-Mittel-Einheit kennzeichnet, insbesondere dann, wenn Rationalitätsprobleme angesprochen sind. Lernen, Erziehung und Bildung der Kinder erscheinen demnach als Sachverhalte, die in den pädagogischen Einrichtungen zielgerichtet hervorgebracht werden. Für die Pädagogik ist es kennzeichnend, die Rationalität von Erziehung und Bildung als ein Problem der Didaktisierung des Lernens aufzufassen. Ebenso kennzeichnend ist es, Rationalitätsprobleme als Handlungsprobleme aufzufassen und ihre Bewältigung in pädagogischen Konzepten und Handlungsprogrammen zu suchen. Pädagogische Einrichtungen wären dieser Vorstellung entsprechend Orte, an denen mit professionellem Know-how, nämlich Pädagogik, Leistungen erbracht werden. Qualitätsdebatte und -diskurs haben dieses Verständnis der rationaleffizienten Bewältigung des Erziehungsauftrages pädagogischer Einrichtungen auch für die Frühpädagogik. die lange Zeit die Funktion eines Schutzund Freiraums frühkindlicher Entwicklung hatte, etabliert. Das Problem des Organisierens von Betreuung, Erziehung und Bildung kleiner Kinder, welches noch in den 1980er Jahren fast ausschließlich mit der elterlichen Sor24
gepflicht verknüpft war, hat sich dabei nach einer Periode der öffentlichen Problematisierung und Forderung nach mehr staatlicher Unterstützung zu einem Qualitätsproblem des Kindergartens transformiert. Im Zuge dieser Entwicklung ist das Qualitätsdenken als Diskursmuster einer rational-effizienten Bewältigung von Betreuungs-, Erziehungs- und Bildungsaufgaben im Rahmen institutionalisierter Settings in diskursive Selbstverständlichkeiten überführt und in alltäglichen Redeweisen, Erwartungshaltungen und Wahrnehmungsmustern wirksam. Bildungs- und Erziehungsprozesse der Kinder erscheinen darin konzeptuell - zumindest der Tendenz nach - von der sozialen Herkunft entkoppelt, in der sie primär stattfinden. Im Vordergrund stehen hingegen die genetischen Dispositionen (Spitzer 2002) von Kindern, die es zu entwickeln gilt. Das Leistungsverständnis, das mit der pädagogischen Qualität des Kindergartens in Anspruch genommen wird, setzt diesen reifizierten Organisationsbegriffvoraus. Es rückt Kindertageseinrichtungen in die Nähe von Dienstleistungsunternehmen, deren Leistungen pro duktartig aufgefasst werden und deren Wirkungen sich mit Entwicklungsparametern (TietzejViernickel 2003) messen lassen. Mit dieser unter der Hand plausibilisierten Gegenstandstheorie pädagogischer Organisationen als Zweck-Mittel-Einheiten wird unterstellt, dass es sich bei der Qualität von Kindergärten nur um eine Frage der konsequenten Verwirklichung der in Qualitätsentwicklungsprozessen oder evaluativen Verfahren entwickelten Kriterien handelt. Demgegenüber verweist ein sozialwissenschaftlich ausgewiesener Organisationsbegriff darauf, dass dieser dem "common sense" entliehenen Kurzsicht auf Organisation als zweckmäßiges Mittel zur Erreichung gesetzter Ziele einer differenzierten Sicht auf das Organisationsphänomen (Luhmann 2000; Drepper 2003: 17) nicht standhalten kann, denn in Organisationen geschieht nicht nur, was intendiert ist. Es laufen in ihnen auch ungeplante und unvorhergesehene soziale Prozesse ab, durch die sie als Organisation in einem Verhältnis zu ihrer Umwelt bzw. anderen sozialen Systemen stehen, und zwar dadurch, dass sie in Form von Selektionen Entscheidungen treffen, die ihnen selbst nicht als rational-gesteuerte Prozesse zugänglich sind. Das in der Qualitätsdebatte in Anspruch genommene Zweck-Mittel-Schema der Organisation verstellt somit systematisch den Blick auf die dynamische Eigenlogik von Organisationen, die keineswegs isoliert von gesellschaftlichen Phänomenen, sondern in übergeordneten gesellschaftlichen Zusammenhängen operiert (OrtmannjSydowjTürk 1997: 17). Insofern stellen sich Kindertageseinrichtungen ihrer Funktion nach nicht lediglich in einer komplementären Relation zur Gesellschaft dar, ob-
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gleich sie gegenstandstheoretisch, nämlich als Systeme, Grenzen zu dieser aufweisen und in einem funktionalen Verhältnis zu ihr stehen. Genauso sind sie aber in ihrem Inneren Vollzug von Gesellschaft (Drepper 2003: 17). Diese Dualität von Geschlossenheit und Offenheit der Organisation im Hinblick auf ihre Grenzen zur Gesellschaft lässt sich mit der Unterscheidung von System und Struktur fassen. "Systeme haben Grenzen. Das unterscheidet den Systembegriffvom Strukturbegriff' (Luhmann 1984: 46). System und Struktur sind also gleichermaßen Konstitutionsmomente und Charakteristika von Organisationen. Zentrales Vermittlungsglied zwischen System und Struktur sind Institutionen. Der Begriff der Institution bezeichnet übergeordnete gesellschaftliche Muster, die sowohl in Organisationen als auch außerhalb von Organisa tionen verhaltensstrukturierend sind, weil sie von als legitim geltenden Ordnungsvorstellungen getragen werden. Organisationen interpretieren und importieren sie, weil sie sich dadurch mit Rationalität bzw. Legitimität aus statten können (Drepper 2003: 16). Der Begriff der Institutionalisierung be zeichnet nach Honig- (2002: 24) den "dynamischen Prozess der Schöpfung, Gestaltung und Weiterentwicklung" sozialer Ordnungen und ihrer Ausrichtung an Maximen, durch welche soziale Beziehungen reguliert werden. Maximen wirken verhaltensstrukturierend, weil sie Teilnehmern sozialer Interaktionen als scheinbar eindeutige, an rationalen Kriterien ausgerichtete Maßstäbe erscheinen und insofern einen hohen Zuschreibungswert haben.
2.1.1 Legitimation als Ersatz für Rationalität Die Relationsbestimmung zwischen Organisation und Gesellschaft, wie sie der Begriff der Institutionalisierung leistet, war insbesondere das Anliegen neoinstitutionalistischer Ansätze der Organisationssoziologie. Sie basieren auf einem Aspekt von Max Webers Bürokratietheorie, demzufolge die formale Struktur dazu dient, der Organisation Legitimität zu verschaffen (MeyerjRowan 1977: 343). Organisationen nehmen demnach die institutionalisierten Regeln und Vorstellungssysteme ihrer Umwelt in sich auf, weil sie damit ihre Legitimität steigern können. Demzufolge sind es die Erwartungen wichtiger Adressaten bzw. Anspruchsgruppen, die bestimmen, wie
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In Anknüpfung an Walter 1999.
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Einrichtungen gestaltet werden sollen, warum sie nützlich sind und welche Aufgaben ihnen zukommen. Autorität und Organisationskompetenz sind im Rahmen einer neoinstitutionalistischen Organisationstheorie nicht der Führungsebene zuzuschreiben, vielmehr wird die formale Struktur durch die gesellschaftliche Umwelt bestimmt (Scott 1994). Für den Transfer und die Konkretisierung dieses Zusammenhangs auf die Operationslogik frühpädagogischer Einrichtungen bedeutet dies, dass bei der Gestaltung von Kindertageseinrichtungen die Erwartungen von Eltern, aber auch die von Trägern, ebenso wie staatliche Interessen bei den alltäglichen Strukturierungen des Geschehens zentral sind. Im ethnografischen Teil der Trierer Kindergartenstudie (Honig/Joos/Schreiber 2004) konnten wir zeigen, wie bei der Gestaltung alltäglicher Abläufe die Wünsche und Interessen der Eltern aufgegriffen werden. Die Förderung von Eigenständigkeit und Kreativität als ein zentrales Anliegen der Eltern wird in den Selbstdarstellungspraktiken der Kindergärten symbolisch repräsentiert. Konkrete Praktiken, welche befriedigende Antworten auf die neuen Qualitätsambitionen versprechen, sind Entwicklungsbeobachtungen, -dokumentationen und Gespräche mit den Eltern, das Sammeln und Ausstellen von Bildern und anderen Produkten der Kinder, die Erstellung von Portfolios ebenso wie die stärkere Einbeziehung der Eltern in Prozesse der Kindergartengestaltung-. Sie haben als Organisation-Umwelt-Transaktionen strategische Bedeutung für die Legitimation der professionellen pädagogischen Praxis. Qualität wird dabei sowohl für das Personal als auch für die Umwelt an normierten Darstellungspraxen ablesbar. Prozesse der Institutionalisierung dieser Praktiken überführen die pädagogischen Sinnbezüge in die selbstverständlichen Handlungen und sozialen Beziehungen der Akteure und werden zur Selbstverständlichkeit, die nicht mehr weiter hinterfragt wird. Die in der Interaktion erzeugten Referenzkontexte des Pädagogischen erscheinen dann als den Prozessen ihrer Konstruktion vorgängig.
Es handelt sich keineswegs nur um neue Praktiken, vieles von dem, was als Qualitätspraxis institutionalisiert wird, gehört zu den didaktischen Standardarrangements der Frühp ädagogik neu ist allerdings die Verbindlichkeit, in der einzelne Praxen in Institutionen überführt werden.
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2.1.2 Verminderung von Legitimationsdruck durch Isomorphie Institutionalisierungsprozesse können vor dem Hintergrund einer Theorie orqanisationaler Felder näher bestimmt werden. Neoinstitutionalisten (exemplarisch: DiMaggio 1988, DiMaggio/Powell 1983, 1991; Scott/Meyer 1991) betrachten entsprechend Institutionalisierungsprozesse als ein Ergebnis interorganisationaler Prozesse. Organisationale Felder sind dadurch gekennzeichnet, dass sie einen deutlich abgrenzbaren Bereich institutionellen Lebens darstellen. Die darin eingebundenen Organisationen ebenso wie ihre Akteure operieren in einem kollektiven Sinnsystem; entsprechend vollziehen sie ihre Transaktionen in aufeinander bezogenen Handlungssystemen und gemeinsamen Regulationsmechanismen (Scott 1994: 70). Kennzeichnend für die Herausbildung von Feldern sind insbesondere die Zunahme von Interaktionen zwischen den Organisationen, eine Hierarchisierung des Personals von Organisationen ebenso wie das Anwachsen von Informa tion und die Vernetzung in einem geteilten Sinnsystem (DiMaggio/Powell 1983: 148). Für die Frühpädagogik bietet das Konzept organisationaler Felder in zweifacher Weise Anknüpfungspunkte. Zum einen erfordert die funktionale Vernetzung verschiedener pädagogischer und sozialpädagogischer Einrichtungen (Kinderkrippen, -ta geseinrichtu ngen, -horte ebenso wie komplementäre Dienste, wie z.B. logopädische, frühpädagogische, psychologische u.a. Beratungs- und Fördereinrichtungen) so etwas wie eine "gemeinsame Sprache", die den Sinn kooperativer Zusammenarbeit in einem kollektiven Bedeutungsnetz verankert. Darin kommt den wissenschaftlich erzeugten Wissensordnungen und -diskursen eine strategische Bedeutung in der Legitimation und Kooperation professioneller pädagogischer Praxen zu. Neben der funktionalen Vernetzung unterschiedlicher, komplementär aufeinander bezogener pädagogischer Einrichtungen sind Prozesse der organisatorischen Restrukturierung, wie sie von freien und öffentlichen Trägern durchgeführt werden, ebenso im Hinblick auf Institutionalisierungseffekte zu beleuchten. Organisatorische Restrukturierungen, die eine stärkere Koopera tion gleichartiger Einrichtungen vorsehen, sind auf gemeinsame Sinnsysteme angewiesen, einerseits, weil Kooperation ein geteiltes Verständnis gemeinsamer Praxis voraussetzt, andererseits, weil auch gerade die nichtpädagogischen Aspekte, wie z.B. rechtliche Sachverhalte, Finanzierungsund Allokationsfragen, wie sie zwischen pädagogischen Institutionen und Trägereinrichtungen verhandelt werden, angesichts der Professionalisie-
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rung der Trägerstrukturen ebenso in fachliche, also pädagogische Begründungssysteme eingebettet sind. Wenn zugleich eine Vielzahl von Akteuren (Eltern, Träger, Schule, politische Mandatsträger, Komplementäreinrichtungen wie Frühförderstellen, Arbeitsstellen für Integration, logopädische und ergotherapeutische Praxen, psychologische Beratungsdienste, die als Komplementärorganisationen für die Bewältigung von Risiken des Aufwachsens unterstützende Dienste leisten) bei der Qualifizierung einer gemeinsamen Praxis mitwirken, dann spricht vieles im Sinne einer institutionensoziologischen Theorie für die zunehmende Herausbildung von Isomorphie. Sie würde dann als Ergebnis wechselseitiger formaler Angleichungen zwischen den einzelnen Organisati onen gelesen werden können. Für den im Rahmen von Isomorphieprozessen entstehenden Schub in Richtung einer formalen Homogenisierung können u.a. mimetische Prozesse und die Normierung spezifischer Praktiken unterschieden werden (Weik/Lang 2003; Walgenbach 2006a). Einige Ergebnisse der Trierer Kindergartenstudie [Honlg/Ioos/Schreiber 2004) lassen sich als Prozesse der Herstellung von Isomorphie interpretieren. Praxen der Darstellung pädagogischer Qualität (vgl. Kap. 2.1.1) lesen sich als strategische Legitimationspraxen im Rahmen von Organisation-Umwelt-Transaktionen. Aber haben die Phänomene zunehmender Institutionalisierung und Normierung von Verbesserungspraktiken tatsächlich einen Einfluss auf das operative Erziehungsgeschehen? Meyer/Rowan (1977: 355) problematisieren eine solche Annahme dahingehend, dass die aufgabenbedingten Anforderungen und Effizienzerfordernisse von Organisationen häufig im Widerspruch zu den institutionalisierten Regeln stehen. Die Institutionalisierung von Praktiken provoziere damit implizit eine Entkopplung interner Prozessmuster von den repräsentativen Selbstdarstellungsritualen und die mit diesen in Anspruch genommenen rationalen Wertbezüge wären nur sehr eingeschränkt handlungsrelevant. Die Gestaltgleichheit spezifischer Praxen des Zeigens pädagogischer Qualität hätte dann die Funktion der Verminderung oder gar der Eliminierung von Legitimationsdruck.
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2.1.3 Rationalität als Mythos - Der Bruch zwischen formaler Rationalität und operativer Praxis
Ein bereits von Karl Weick (1976) begründeter Strang neoinstitutionalistischer Organisationsforschung unterscheidet zwischen einer administrativen und einer operativen Ebene der Organisation und betrachtet das Verhältnis zwischen beiden als eine lose Kopplung einzelner Elemente in Organisationen, die keineswegs linear oder hierarchisch miteinander verknüpft sind, sondern über eine relative Autonomie verfügen. Lediglich die administrative Ebene enthält Strukturelemente formaler Rationalität (Meyer/Rowan 1992). Diese sind gleichsam eine Reaktion auf von außen kommende Rationalitätserwartungen und werden als zeremonielle Fassade prozessiert. Als Inszenierung von Rationalitätsmythen (Meyer/Rowan 1992) dienen sie Organisationen zu ihrer Legitimation und Ressourcensicherung. Davon unabhängig erscheinen hingegen die operativen Vollzüge, die hinter der zeremoniellen Fassade einer entkoppelten Eigenlogik folgen. Meyer (1983) hat das Verhältnis von Organisation und pädagogischer Praxis Anfang der 80er Jahre im amerikanischen Schulsystem untersucht. Er schließt aus seinen Studien, dass das .Joose coupling among structural units" (Meyer 1983: 59) dazu gedacht ist, den eigentlichen Kern der Erziehungsarbeit in Schulen, der sich im Unterricht abspiele, zu schützen. Demnach öffnet sich hinter der strukturellen Konformität institutionalisierter Regeln ein weiter Raum für die innovative Praxis im Klassenzimmer. Während formale Kontrollsysteme faktisch so gut wie nie in Kraft treten, würden neue Unterrichtsmaterialien und neue Methoden eingeführt werden, ebenso könnten Lehrer individuell ihren Unterrichtsstil entwickeln und verändern. Ausgerechnet für den Unterricht, dem die größte Bedeutung zur Erreichung zentraler Ziele zugesprochen werde, existierten sehr wenige formale Regeln. Die autonome Praxis der Erziehung sei entsprechend an die professionellen Fähigkeiten der Lehrerpersönlichkeit geknüpft. Die Übertragung dieser Theorie auf die Operationsweise der Schule hat allerdings einem handlungstheoretischen Verständnis von Pädagogik Vorschub geleistet (Kuper 2001), denn die Entdeckung, dass formale Strukturen pädagogisches Handeln nicht einschränken, sondern seine Autonomie erst ermöglichen, reproduziert die für die Erziehungswissenschaft klassi sche Vorstellung, dass Erziehung und Bildung Ergebnisse von Handlungen sind, und stellt pädagogische Interaktion gerade nicht in den Zusammen-
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hang von Organisation. Im Garbage-Can-Modell von CohenjMarchjOlson (1972)4 wird die Dichotomisierung von Organisation und pädagogischer Interaktion auf die Spitze getrieben. Während sich die klassische Schulkritik an den strukturellen Widerständen systemrationaler Prozessstrukturen der Schule entzündete und in ihnen den eigentlichen, nämlich heimlichen Lehrplan (Zinnecker 1975) enthüllte, wird im Garbage-Can-Modell entdeckt, dass in der Kopplung von Organisation und Anarchie jenes Chaos kultiviert wird, welches die Voraussetzung dafür herstellt, "dass überhaupt noch eine Arbeit am eigentlichen Organisationszweck - Unterricht, Bildung, Erziehung - stattfinden kann" (Terhart 1986: 218). Die Organisation der Schule erzeugt demnach nur nach außen hin den Eindruck von Ordnung, hingegen wird das Binnenleben als von dieser Ordnung entkoppelt, nämlich als unsteuerbar, flexibel und situationsgebunden wahrgenommen. Was MarchjOison (1976), MeyerjRowan (1977, 1992) und Terhart (1986) als Entkopplung operativer Prozesse von den formalen Strukturen beschreiben, stellt sich für die Frühpädagogik als Frage nach dem Verhältnis professioneller Praktiken, die im Licht erhöhter Leistungserwartung die Qualität des Kindergartens repräsentieren, zum übrigen Geschehen. Handelt es sich dabei um rituelle Fassaden, die entkoppelt sind von einem Dickicht undurchschaubarer Einzelpraxen und aufgrund ihrer Kontingenz nur als Einzelpraxen einer deskriptiven Analyse zugänglich sind? Welche Bedeutung kommt angesichts des programmatischen Stellenwertes der Freispielzeit den Praxen der Kinder zu? Sind die Praktiken der Kinder von denen der Erwachsenen entkoppelt oder sind sie mit ihnen verknüpft?
2.1.4 Organisation als Institution ["cultural engines")
Ein makroinstitutionelles Organisationsverständnis (Zucker 1988b, 1988c) fragt hingegen danach, wie interne Prozesse von Organisationen mit den Erwartungen ihrer Umwelt vermittelt sind. Es fasst Organisationen als insti tutionalisierte Kontexte auf, durch welche das Verhalten und die Interpretationen der Akteure in hohem Maße gesteuert werden. Zucker lokalisiert in Organisationen den Ort der gesellschaftlichen Hervorbringung von Kultur und kulturellem Wandel. Als Quelle der Entstehung institutionalisierter
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Vgl.auch MarchjOlson (1976).
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kultureller Muster ebenso wie als Kontext ihrer Habitualisierung, Tradierung und Veränderungen sind Organisationen "cultural engines", die als "kollektive Akteure" im Zentrum sozialer Systeme (Zucker 1988c: 23 ff.) wirksam sind. Zucker definiert - ähnlich wie Mary Douglas (1991) - die Organisation selbst als Institution.5 Institutionalisierungen sind Lösungsstrategien zur Bewältigung sozialer Dilemmata/Konflikte. Als Routinen regulie ren sie den wechselseitigen Bezug der Akteure zueinander und damit die Form ihrer Interaktion. Der Erfolg einer neu eingefiihrten Praktik führe sehr schnell dazu, dass sie auch in anderen Organisationen eingefiihrt wird. Ebenso lasse sich beobachten, dass die Institutionalisierung eines strukturellen Elementes in einer Organisation andere, mit diesem in Verbindung stehende Elemente mit legitimiere (Zucker 1988c: 38 ff.). Die zentrale These, in der sich Zucker (1988c: 23 ff.) von anderen Neoinstitutionalisten unterscheidet, besteht also in einer Umkehrung des Kausalitätsverhältnisses von Makro- und Mikroebene. Während die Makroinstitutionalisten die Umwelt für den organisationalen Wandel verantwortlich sehen, geht einer mikroinstitutionalistischen Theorie zufolge die kulturelle (Re-)Produktion von der Organisation auss, Wenngleich die Makroebene das Verhalten der Akteure schon in gewissem Maße festlege, so untergrabe das Geschehen auf der Mikroebene doch in vielerlei Hinsicht die Normen, die auf der Makroebene formuliert werden. Zwischen sozialen Tatsachen, wie sie auf einer Makroebene und denen einer Mikroebene sichtbar werden, bestehe nicht selten eine erhebliche Kluft.Auf der Mikroebene werden die geltenden Normen häufig übertreten. Gleichwohl replizierten bzw. reproduzierten die Ordnungen, die auf der Mikroebene prozessiert werden, in gewisser Hinsicht eine weitere gesellschaftliche Ordnung, so als seien die sozialen Rollen anderen sozialen Settings entliehen (a.a.O.: 41 ff). Dass institutionalisierte Muster auf der Mikroebene der Begegnungen zwischen Akteuren entstehen, formuliert Lynne Zucker in Anknüpfung an die ethnomethodologischen Grundannahmen der interaktionellen Hervorbringung des Sozialen durch die Akteure. Die tiefere Einsicht in die Logik institutionalisierter Muster der Interaktion lässt sich demnach nicht einfach als eine von den unmittelbaren Erwartungen und Interessen der Akteure gesteuerte Praxis erklären, vielmehr emergiert aus ihren Interaktionen eine Wirklichkeit eigener Art.
5 Zucker (1988) knüpft damit unmittelbar an Mary Douglas Begriffe von Institution und Organisation an. 6 VgI. auch Walgenbach (2006).
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Bezogen auf das VermittIungsproblem von pädagogischer Rationalität und gesellschaftlicher Praxis würde Zucker die operative Macht institutionalisierter Praktiken unterstreichen, die ihre Wirksamkeit in einer organisierten Mikrowelt der Erfahrung entfalten. Dieser organisationstheoretische Blick fokussiert auf die unterhalb der Ebene "pädagogischer Aufmerksamkeit" sich ereignenden Interaktionen. Insofern integriert er auch die nichtpädagogischen Sachverhalte und Ereignisse, sofern sie sich als institutionalisiert bzw. musterhaft beschreiben lassen, in eine Vorstellung von "Erziehungswirklichkeit", die nicht zufällig - wie im Modell des loose coupling -, sondern als organisiertes Geschehen eine operative Funktion im Hinblick auf Erziehungs- und Bildungsprozesse der Kinder erfüllt Im Anschluss an die Studien von Krappmann (1998) sowie KrappmannjOswald (1995) und Corsaro (1998) , welche die Sozialwelt der Kinder als einen eigenständigen Beitrag zu Reproduktion und Wandel der Gesellschaft verstehen, stellt sich im Rahmen dieses institutionentheoretischen Ansatzes die Frage, inwiefern die Praktiken, Routinen und Rituale der Kinder eine operative Erziehungsfunktion einnehmen. Zu untersuchen wäre dann, welcher Stellenwert ihnen in einem pädagogisierten Bedeutungsrahmen zukommt Die Praktiken der Kinder stehen dann nicht für sich, sondern im Kontext eines generationalen Arrangements. Kindertageseinrichtungen wären insofern Organisationen, in denen die Sozialität der Kinder als Medium der Erziehung? gleichsam in ein (pädagogisches) Verhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern überführt würde. Die Organisiertheit des Erziehungsgeschehens folgte dann allerdings einer (verdeckten) Rationalität, die es erst zu untersuchen gilt
2.1.5 Organisationen als Entscheidungen treffende Systeme
Mit dem Problem, Organisationen als Einheiten zu beschreiben, die mit ihren internen Operationen nicht nur etwas produzieren, sondern dieses Produzieren als ein an Rationalität ausgerichtetes Produzieren zugleich aus-
7 Luhmann (2006) begreift das Kind als Medium der Erziehung. Die Idee vom Kind stellt das generalisierte Medium dar, durch welches sich das Erziehungssystem konstituiert Sie strukturiert die pädagogische Interaktion insofern, als die Kommunikation nur durch Bezugnahme auf die Idee des Kindes erzieherische Kommunikation ermöglicht und zugleich dadurch das Problem der doppelten Kontingenz bearbeiten kann. Analog dazu können z.B. im Anschluss an entwicklungspsychologische Studien, die die soziale Entwicklung in den Kontext von Kooperationsbeziehungen unter Gleichaltrigen stellen , die Kinder als Medium der Erziehung gefasst werden.
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weisen müssen, bricht die Theorie einer Organisation als selbstreferentielles autopoietisches System (Luhmann 2006). Sie sieht in Organisationen weder die Funktion der Rationalität erfüllt noch braucht sie zu zeigen, dass Organisationen diese Funktion nicht erfüllen. Niklas Luhmann beschreibt die Funktion von Organisationen in der Absorption von Ungewissheit durch die Produktion von Entscheidungen. Die Theorie der funktionalen Differenzierung ebenso die sozialer Systeme, die für Organisationen aufgrund ihrer Zuordnung zu Funktionssystemen großen Erklärungswert haben, bricht an sich mit normativ-rationalen Modellen der Beschreibung. Ihr geht es um die Beschreibung der EiBenloBik von Organisationen. Sie hat die Konstruktion eines Wissens vor Augen, auf das Organisationen hinsichtlich ihrer Selbststeuerung zugreifen können sollen. Es geht darum, "Organisationen mit einem Verständnis auszustatten, das es ihnen ermöglicht, ihre eigene Sache selbst zu verantworten" (Luhmann 2006: 7). Sie befasst sich damit, "wie sie [die Organisation] in die Abhängigkeit von ihrer Umwelt und in die Abhängigkeiten von ihrer eigenen Vergangenheit Freiheiten, Alternativen und Dispositionsspielräume hinein konstruieren kann". Theoriebautechnisch kommt Luhmann diesem Anliegen mit Hilfe des Begriffs der operativen Schließung nach, denn dieser erklärt, wie sich Systeme durch die autopoietische Bezugnahme auf sich selbst reproduzieren, indem sie eine Differenz zwischen sich und der Umwelt erzeugen. Operative Schließung vollzieht sich einerseits durch Komplexitätsreduktion gegenüber der Umwelt und andererseits durch den so erst möglich werdenden internen Aufbau von Komplexität durch eigene Operationen. Organisationen unterscheiden sich von anderen autopoietischen Systemen durch die Operation der Entscheidung. Mittels der Verknüpfung von Entscheidungen mit anderen Entscheidungen können sie zu einem gewissen Grad Unsicherheit in Sicherheit transformieren. Allerdings muss auch innerhalb des Systems ein gewisses Maß an Komplexität und Unsicherheit erzeugt werden, denn so kann es sich das Potential zu Reflexion und Selbsttransformation erhalten. Die operative Schließung des Systems ermöglicht, dass intern Komplexität aufgebaut wird, indem die Umwelt ausgeschlossen wird. Die Unterscheidung von System und Umwelt wird intern durch die Differenz von Selbstund Fremdreferenz gekennzeichnet. Der Aufbau interner Komplexität durch die operative Schließung des Systems kann nur durch spezifische Einschränkungen erfolgen, denn erst die Reduktion von Möglichkeiten innerhalb des Systems ermöglicht Systembildung und Abgrenzung gegenüber der Umwelt. Entscheidungsmöglichkeiten werden durch Entscheidungsprämissen reduziert. Luhmann unterscheidet drei Typen von Bntscheidunqspromis-
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sen: Konditionalprogramme, Kommunikationswege und Personal. Sie ermöglichen Entscheidungen, legen sie aber keineswegs fest, vielmehr ist das Verhältnis von Entscheidung und Entscheidungsprämisse jenes einer lockeren Kopplung. Entscheidungsprämissen sind Entscheidungen nicht vorgängig, sie sind auch keineswegs kausal im Sinne eines Anwendungsprogrammes gedacht, sondern ihrerseits Resultate vorangegangener Unsicherheitsabsorptionen und daher wiederum Produkte interner Entscheidungsoperationen. Auch dann, wenn es spezifische Entscheidungsprämissen auch außerhalb der Organisation gibt, ist dies für die Konstruktion einer Theorie der Organisation als operativ geschlossenes System nicht bedeutsam. "Dadurch dass Entscheidungsprämissen auf Entscheidungen im selben System zurückgeführt werden, ist automatisch gesichert, dass sie nur in diesem System gelten. Es mag zwar gleichartige Prämissen [z.B, ähnliche Produktionsprogramme oder andere Hierarchien) auch in der Umwelt geben; aber dies kann dann vom System aus gesehen als bloße Gegebenheit, als unverbindlicher Zufall behandelt werden. Dasselbe kann auch erreicht werden auf andere Weise dadurch, dass man von einer systemeigenen ,Organisationskultu r' ausgeht Auch dabei wird vorausgesetzt, dass eine entsprechende Orientierung des Systems von Systemen seiner Umwelt unterscheidet und ihm eine distinkte Individualität gibt" (Luhmann 2006: 224)
Im Vergleich zu institutionalistischen Theorien, die den Zusammenhang von Organisation und Umwelt hervorheben, entwirft Luhmann die Organisation als einen zur Umwelt bzw. zur Gesellschaft komplementären ,Gegenstand'. Das Potential dieser Theoriebildung besteht darin, eben eine Beschreibung von Organisationen als sozialen Systemen zu leisten" und dies in Abgrenzung zu einer Beschreibungen des Verhältnisses von System und Umwelt bzw. von Organisation und Gesellschaft. Ihr Leistungsvermögen in der eth nografischen Forschung pädagogischer Organisationen erweist sich in der Fokussierung auf Entscheidungen und Entscheidungsprämissen. Sie fokussiert die Organisation der Organisation (Weick 1985) in den systemimmanenten Operationen des Entscheidens. Dirk Baecker (2006) hingegen thematisiert die Bedingung der Möglichkeit von Organisation und bezeichnet diese als jenes X der Organisation, das ihr selbst nicht zugänglich ist: "Es besteht in genau dem, was die Organisation voraussetzen muss, während sie operiert, ohne dass sie es selbst herstellen, geschweige denn garantieren
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VgI. hierzu Luhmann (2006); Tacke (2004).
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könnte. Auf das X der Organisation trifft man immer dann, wenn man sich nach den Bedingungen der Möglichkeit der Organisation fragt und entdeckt, dass die Organisation diese Bedingungen durch eigene Entscheidungen zwar modifizieren und moderieren, jedoch nicht herstellen kann. Das X benennt in diesem präzisen Sinne das Unverfügbare, jedoch Unverzichtbare der Organisation." (Baecker 2006: 1)
Baecker betont damit, dass Organisation als "Gegenstand" allein falsch verstanden wäre. Ein so definierter Organisationsbegriff unterläge der von Whitehead identifizierten Gefahr der .fallacy of misplaced concreteness" (Whitehead 2001)9. Dieser Hinweis macht darauf aufmerksam, dass es den Gegenstand, auf den sich der Begriff Organisation bezieht, vielleicht gar nicht gibt Erst wenn man die mit der Substantivierung evozierte Vergegenständlichung wieder zurückführt auf prozessuale Vorstellungen von der Realität, erweist sich die im Begrifflichen vorgenommene Reifizierung als etwas, das die Wahrnehmung des Organisierens als Prozessw (Weick 1985) verhindert Baecker (2006) rückt daher im Anschluss an Spencer-Browns Formenlehre die Frage nach der Bedingung der Möglichkeit von Organisation in den Kontext eines Wechselverhältnisses von Organisation, Interaktion und Gesellschaft. "Wir fragen nach Strukturen, die die Interaktion tragen, indem sie auf Gesellschaft verweisen, und die Gesellschaft tragen, indem sie sich in der Interaktion bewähren. Die Organisation ist als immer wieder neu zu bewährender Prozess in diese von ihr zu unterscheidenden Anforderungen und Voraussetzungen verwoben und vernetzt," (Baecker 2006: 4)
Mit Spencer-Brown lassen sich die zwei Seiten dieser Form auch als eine Art Gleichung vergegenwärtigen, bei der das, was wir gegenstandstheoretisch als Einheit verstehen, in Wirklichkeit ein spezifischer Zustand ist, der von interaktionellen und gesellschaftlichen Kontexten gerahmt ist Wenn man versucht, sich dies an der Organisation Kindergarten vorzustellen, dann ist die Organisation Kindergarten - gegenstandstheoretisch gedacht - jene Einheit, an die spezifische pädagogische Leistungserwartungen gestellt werden (z.B. Bildung, Erziehung, Förderung der Entwicklung etc.) und die intern im Rahmen spezifischer pädagogischer Konzepte als Praxis von Professionellen im Rahmen einer regulierten pädagogischen Alltagswelt zu bewältigen ver-
VgI. Alfred North Whitehead, Prozeß und Realität: Entwurf einer Kosmologie. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 200l. 10 VgI. Kar! E.Weick, Der Prozeß des Organisierens. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1985.
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sucht wird. Stellt man die internen Prozesse in den Kontext gesellschaftlicher Organisationsprozesse, dann löst sich das, was man in der Logik der Einheit der Organisation als Bewältigung des Bildungsauftrages bezeichnen würde, in eine Vielheit sozialer Motive, Interessen und Ambitionen auf, die sich aus unterschiedlichen Problemlagen ergeben: der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, einer Gleichstellungspolitik zwischen Männern und Frauen, professionspolitischen Interessen, dem bevölkerungspolitischen und -ökonomischen Interesse der Geburtensteigerung, bildungspolitischen Zielsetzungen etc. Die Rede vom Kindergarten als einer pädagogischen Organisation vermag es, diese vielfältige Interessenlage zum Verschwinden zu bringen und in der Hinwendung zu spezifisch pädagogischen Sachverhalten, wie etwa den Entwicklungs- und Bildungsprozessen der Kinder, aufzuheben. Zu zeigen, wie sie das tut, leistet eine Theorie der Organisation als rekursives autopoietisches System. Sie hebt darauf ab, die funktionalen gesellschaftlichen Erwartungen, die intern bearbeitet werden, aus der Binnenperspektive als Eigensinn der Organisation zu beschreiben und deren internes Prozessieren als Entscheidungen der Organisation zu konzeptualisieren.
2.2
Organisationen als bewegliche Effekte in einem Feld vielfältiger Beziehungen zwischen Akteuren
Sieht man davon ab, dass der Rationalitätsbegriff gewöhnlich die vielgestaltige Interessenlage des pädagogischen Feldes ausblendet, dann muss das, was in pädagogischen Organisationen geschieht, mit dem in Relation stehen, was außerhalb von ihnen geschieht Was Neoinstitutionalisten als Ritualisierungen, Institutionalisierung, Normierungen, Isomorphien bezeichnen, sind insofern Beschreibungen von Lösungen, die sich auf an die Organisation herangetragene Ambitionen beziehen und das Problem konkurrierender Perspektiven und Interessenlagen befrieden. Es handelt sich daher um Begriffe, die über die Logik systemimmanenter Differenzierungen hinausweisen. Für eine Ethnografie des Geschehens in Kindergärten, die Kultur des Pädagogischen nicht nur als pädagogischen Sinn beschreiben, sondern analysieren will, wie er erzeugt, aufrechterhalten und verteidigt wird, treten die Praktiken in den Blick, die aus der Perspektive der Akteure auf diesen Sinn verweisen. In ihnen mag die Einheit der Organisation zwar unterscheidungslogisch hergestellt werden, sie selbst kennzeichnen aber nicht allein diese spezifische Organisation. Vieles von dem, was Akteure in Organisatio-
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nen tun, gibt es auch außerhalb. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Praktiken von Organisationsmitgliedern ausgeführt werden, obgleich Mitgliedschaft l l eine konstitutive Rolle der Organisationsbildung darstellt. Vergleichbare Praktiken gibt es auch außerhalb der Organisation.12 Ebenso reproduzieren bzw. reorganisieren Praktiken in einer Organisation nicht allein die Organisation. Daher kann das Geschehen, welches auf der Beobachtungsebene fokussiert wird, nicht lediglich in einer Theorie der Organisation als einer geschlossenen Einheit thematisiert werden. Es bedarf dazu einer Theorie, die Praktiken sowohl der Gesellschaft als auch Organisationen bzw. Systemen zuzurechnen vermag.
2.2.1 Organisation als Strukturation Giddens Theorie der Strukturation [Giddens 1997) leistet hierzu einen entscheidenden Beitrag, weil sie als eine Theorie des Sozialen Organisationen nicht allein in ihrer Komplementarität zur Gesellschaft betrachtet, sondern auch als Gesellschaft. Organisationen unterhalten als abgrenzbare kollektive Akteure einerseits Beziehungen zur Gesellschaft, sie sind zugleich aber auch Vollzug von Gesellschaft (Drepper 2003: 17). Die wechselseitige Beziehung und Beeinflussung von Organisation und Gesellschaft wird in der rekursiven Konstitution des wechselseitigen Bedingungsverhältnisses gefasst. Ihre Vermittlung besteht "aus sozialen Handlungen, Interaktionen und Kommunikationen in organisierter, formal geregelter und zugerichteter Form C...)" (Ortmann u.a. 1997: 17), kurz: sie wird durch Akteure hergestellt. Die Theorie der Strukturation leistet damit den zentralen Anschluss an Strategien qualitativer Sozialforschung, indem sie den Gegensatz von Struktur und Handeln/Interaktion überwindet. In der Figur der Rekursivität wird das Verhältnis von Struktur und Interaktion als wechselseitiges Bedingungsverhältnis charakterisiert: Struktur ist sowohl Medium als auch Ergebnis des Handelns sozialer Akteure, beide sind über Vermittlungsinstanzen (sog. Modalitäten) miteinander verknüpft.
Daraufberuhten Luhmanns frühe Überlegungen zur Organisation (vgI.Luhmann 1995). Diese Aussage ist anschlussfähig an die von Baecker (2006) herausgearbeitete Form der Organisation unter der medialen Bedingung von Computer und Internet. Mitgliedschaft: ist hier nicht an Organisation gebunden, sondern an Netzwerke, die Organisationsgrenzen überschreiten. 11
12
38
Vgl. Giddens 1997: 81
Struktur
(Modalität)
~_:I=!_, -I ,_T_~_-I ,:Tu~ :I Interpretatives :I .... :1 Fazilität Schema
·----l-----· Interaktion
I Kommunikation
+
1 .... 1
Macht
: . . :I 1
Nenn
+
:
J
1.... 1 Sanktion
Signifikation, Herrschaft, Legitimation sind miteinander verwobene Momente der Struktur und finden auf der Ebene der Interaktion ihre Entsprechung als unauflösbarer Zusammenhang von Kommunikation, Macht und Sanktion. Die interaktive Herstellung von Sinn steht also nicht für sich selbst, sondern findet in einem normativen, machtdominierten Kontext statt Kommunikation, Machtausübung und Sanktion sind ebenso wie die Strukturdimensionen Signifikation, Herrschaft und Legitimation nur analytisch voneinander trennbar. Über Vermittlungsmodalitäten rekonstituieren Akteure in ihren Interaktionen miteinander die Struktur objektiver Lebenszusammenhänge. Giddens' Strukturbegriff umfasst ,,(...) Regeln und Ressourcen, die an der sozialen Reproduktion rekursiv mitwirken; institutionalisierte Aspekte sozialer Systeme besitzen Strukturmomente in dem Sinne, dass Beziehungen über Zeit und Raum hinweg stabilisiert werden" (Giddens 1997: 45).
Regeln sind dabei in spezifischer Weise im (handlungs-)praktischen Bewusstsein in der Subjektivität der Akteure repräsentiert, wohingegen das Handlungsvermögen der Akteure in den Ressourcen begründet ist Giddens unterscheidet zwei Aspekte von Regeln: normative Elemente und Signikationscodes. Ebenso unterscheidet er autoritative Ressourcen, die das Handeln von Menschen koordinieren und allokative Ressourcen, die sich auf die Objektwelt beziehen. Regeln und Ressourcen stellen die Mittel der Systemreproduktion dar, aber erst in der Interaktion gewinnen die sozialen Strukturen ihre "Wirklichkeit". In konkreten Praktiken, in welchen Akteure in spezifischer Weise zueinander in Beziehung stehen, sind Kommunikation,
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die Ausübung von Macht und die Bewertung von Verhalten (Sanktion) miteinander verbunden, werden Deutungsschemata, Normen und andere Mittel (Fazilitäten) mobilisiert.
2.2.2 Unerkannte Handlungsbedingungen und ihre Folgen Eine zentrale Erkenntnis von Giddens Sozialtheorie ist die, dass Akteure die "strukturelle Objektivität" ihres Lebenszusammenhangs ebenso produzieren wie reproduzieren, ohne dass sie das Ergebnis ihres Handeins (Struktur) als solches intendieren und die zugrunde liegenden Prozesse durchschauen. Den Akteuren selbst bleibt die Struktur, die sie hervorbringen, weitgehend undurchschaubar. Darin kommt eine wesentliche Unterscheidung von Giddens Akteurbegriff zum Tragen, nämlich die zwischen praktischem und diskursivem Bewusstsein. Das Konzept des handlungspraktischen Bewusstseins besagt, dass sich die Akteure der strukturellen Bedingungen, unter denen sie in Interaktion zu anderen treten, nur bedingt bewusst sind. Diese sind ihnen nur in der Form von .Ertnnerungsspuren" (memory traces) zugänglich. Sie werden daher stillschweigend und implizit akzeptiert. Unter dem diskursiven Bewusstsein versteht Giddens das, was Akteure über soziale Zusammenhänge und die Bedingungen ihres eigenen HandeIns sagen oder verbal ausdrücken können (Giddens 1997: 429). Prinzipiell ist der Übergang von praktischem zu diskursivem Bewusstsein aller dings möglich. Die Trennung zwischen praktischem und diskursivem Bewusstsein kann etwa durch die Vermittlung von Wissen über Struktur und Strukturierungsprozesse oder die eigene Erfahrung aufgehoben werden. Die Figur der unerkannten Handlungsbedingungen und der nicht beabsichtigten Handlungsfolgen stellen zentrale Elemente von Giddens Theorie der Strukturation dar: Strukturen sind nämlich solche nicht beabsichtigten Folgen, die zurückkehren, um sich als Bedingungen weiteren HandeIns zu zeigen. Für die Analyse institutionalisierter Praktiken sind diese unerkannten Handlungsbedingungen und ihre Folgen von zentralem Interesse.
2.2.3 Habitus und Feld Die Unterscheidung zwischen praktischem und diskursivem Bewusstsein ist auch ein Element von Bourdieus "Entwurf einer Theorie der Praxis", auch sie löst die Vorstellung einer außerhalb des Subjekts existierenden Struktur
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des Sozialen zugunsten der im Subjekt selbst liegenden Verhaltensdispositionen auf, die Bourdieu als Habitus bezeichnet. "Habitus ist ein System verinnerlichter Muster, die es erlauben, alle typischen Gedanken, Wahrnehmungen und Handlungen einer Kultur zu erzeugen - und nur diese." (Bourdieu 1974: 73)
Es handelt sich dabei um symbolische Formen, welche den Körpern, den Bewegungen und selbstverständlichen Äußerungen von Akteuren eingeschrieben sind und die soziale Positioniertheit von Akteuren in einem Feld von Relationen, das heißt objektivierten Beziehungen, in Praktiken und Handlung, hervorbringen. Wenn Giddens mit dem Begriff der Srukturation die Bedingungen beschreibt, "die die Kontinuität oder Veränderung von Strukturen und deshalb die Reproduktion sozialer Systeme bestimmen" (Giddens 1997: 77), dann entspricht dies in etwa dem "Prinzip einer strukturierten Praxis" (Bourdieu 1974: 41), das Bourdieu im Habitusbegriff verwirklicht sieht. Die selbstverständlichen habituell verankerten symboli schen Gesten, mit denen Akteure Relationen positionierter Akteure in einem Feld von Machtbeziehungen reproduzieren, sind gleichsam jene unerkannten Handlungsbedingungen, die Giddens als Struktur identifiziert, die hinter dem Rücken der Akteure wirksam und in regelmäßigen sozialen Praktiken organisiert ist, in welchen "Beziehungen zwischen Akteuren und Kollektiven" (Giddens 1997: 77) reproduziert werden. Während Giddens allerdings von der "Systemhaftigkeit" sozialer Wirklichkeit spricht, die aus der Kontinuität von Routinen hervorgeht, verwendet Bourdieu den Feldbegriff. Er bezeichnet "ein Netz oder eine Konfiguration von Relationen zwischen objektiven Positionen" (BourdieufWacquant 1996: 127). Dabei gibt die Struktur des Feldes den Stand der Machtverhältnisse zwischen den am Kampf beteiligten Akteuren oder Institutionen wieder (vgl. Bourdieu 1976). Dem Feldbegriff sei noch einige Aufmerksamkeit gewidmet, weil er Gefahren umgeht, die mit dem Qualitätsdiskurs in unser Alltagsverständnis einsickern und in selbstverständliche Erwartungen an die Pädagogik überführt werden. Zum einen wirkt er der Vorstellung entgegen, dass Erziehung ein auf die intentionalen Handlungen von Erzieherinnen zurückführbares Phänomen sei, zum anderen durchkreuzt er die mit einem gegenstandstheoretischen Organisationsverständnis verknüpfte Vorstellung, dass Erziehung eine Leistung ist, die in pädagogischen Einrichtungen erbracht wird. Der auf Kurt Lewin (1963) zurückgehende Feldbegriff wurde von Klaus Mollenhauer in seinen 1972 erschienenen "Theorien zum Erziehungsprozess" aufgegriffen, um zu zeigen, dass die Bedeutung pädagogischer Interaktionen
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nicht als isoliertes Phänomen einer pädagogischen Beziehung betrachtet werden kann, sondern immer auf weitere gesellschaftliche Ereignisfelder verweist "Der Sinn eines pädagogischen Feldes konstituiert sich im Zusammenhang derjenigen gesellschaftlichen Bedingungen, die dieses Feld begrenzen und dadurch die Orientierungs- und Handlungsspielräume bestimmen." (Mollenhauer 1972: 29)
Insofern behandelt er Interaktion und Organisation der Erziehung "nicht als zwei mehr oder weniger kovariierende Variablen (...), sondern als verschiedene Aspekte ein und desselben Gegenstandes" (Mollenhauer 1976: 41), den er als "interpersonelles Handeln" bezeichnet Zentral an der Idee des Feldes ist, dass sie mit der Überwindung des Gegensatzes von Interaktion und Organisation zugleich auch die Trennung von Struktur und Handeln hinter sich lässt (Giddens 1997) und eine Organisation als eine systemisch-strukturale Einheit in den Kontext ihrer Herstellung durch die strukturierten Praxen der Akteure stellt Mit Blick auf das Feld dynamischer sozialer Beziehungen, aus dem die je spezifische Gestalt einer Organisation (z.B. eines Kindergartens) hervorgeht, ist festzuhalten, dass Praktiken und Ordnungen, welche das Feld bestimmen, keineswegs homo log sein müssen. Stabilität und Wandel von Organisationen sind gerade dadurch erklärbar, dass unterschiedliche Praktiken in einem gegebenen Feld zueinander in Wechselwirkung stehen, d.h. miteinander koalieren, konkurrieren bzw. sich bekämpfen können.
2.2.4 Routinen, Ordnungen, Macht
Praktiken und Routinen sowie ihr Verhältnis zueinander sind daher der eigentliche "Gegenstand" einer Ethnografie, die danach fragt, wie der Kindergarten als Institution bzw. Organisation erzieht Ihnen kommt jene intermediäre Funktion zu, die das Handeln der Akteure mit den hinter dem Rücken der Akteure wirkenden Strukturen verknüpft. Die im Verhalten der Akteure wirksame Macht wird dabei in der Form strukturierender und normierender Ordnungen thematisierbar, die in der raumzeitlichen Ausdehnung von Routinen jenen Fluss erwartbarer Geschehnisse konstituieren, welche den an ihnen teilhabenden Subjekten ontologische Sicherheit stiftet Soziale Ordnungen sind bei Giddens an diese wiederkehrenden Muster sozialer Praxis gebunden (Lamla 2003: 47). Er unterscheidet drei institutionelle Ordnun 42
gen, die als Strukturmomente sozialer Interaktion eine zentrale Rolle in der System reproduktion spielen. Das sind symbolische/diskursive Ordnungen, politische und ökonomische Institutionen sowie rechtliche Institutionen, die jeweils in Praktiken aktualisiert werden. Vgl. Giddens 1997: 84 Strukturen
Theoretische Sphäre
Signifikation
Theorie des Codierens
Institutionelle Ordnung
Symbolische Ordnungen/
Diskursformen Herrschaft:
Theorie der Autorisation
Politische Institutionen
Ressourcen Theorie der Allokation
Ökonomische Institutionen
Ressourcen
Legitimation
Theorie der nonnativen Regulierung
Rechtliche Institutionen
Strukturmomente unterscheiden sich von Strukturprinzipien, die sich auf die gesamtgesellschaftliche Totalität beziehen. Strukturmomente hingegen können nur in sog. epoches, d.h. sog. raumzeitliche Einklammerungen analysiert werden. Es handelt dabei also um "institutionalisierte Aspekte sozialer Systeme, die sich über Raum und Zeit hinweg erstrecken" (Giddens 1997: 240). Soziale Systeme enthalten immer alle vier Elemente institutioneller Ordnungen. Sie sind untrennbar miteinander verknüpft. Giddens unterscheidet sie allerdings in der Art ihrer Kombination. Für die symbolische Diskursordnung ist beispielsweise die Beziehung Signifikation-HerrschaftLegitimation (S-H-L) charakteristisch, für die politischen Institutionen lassen sich die Beziehung Herrschaft (autoritative)-Signifikation-Legitimation (H[aut]-S-L) und Herrschaft (ökonomisch)-Signifikation-Legitimation (H[allok]S-L) unterscheiden. Die rechtliche Ordnung ist durch die Kombination Legitimation-Herrschaft-Signifikation (L-H-S) bestimmt. Strukturmomente und mithin institutionelle Ordnungen sind also stets an soziale Praxis gebunden, daher lässt sich auch Macht nicht als eine dem 43
Individuum gegenüberstehende soziale Struktur verstehen. Die Struktur gibt es nicht als etwas dem Handeln Vorgängiges, sie ist untrennbares Konstituens sozialer Praxis. Ähnlich wie bei Foucault wird Macht nicht negativ definiert, sondern als ein dem Handeln von Individuen immanentes Vermögen der (Mit-)Gestaltung sozialer Praxis, wenngleich dieses nicht im Subjekt seinen Ausgangspunkt findet. Ebenso wenig ist aber das Subjekt dieser Praxis ausgeliefert. Es verfügt über eine reflexive Bewusstseinsfähigkeit, durch welche es sein Handeln in gewisser Hinsicht steuern kann. Giddens betont, dass Strukturen ermöglichenden Charakter haben, denn Routinen - als vorgefundene Lebensumstände etwa - öffnen und begrenzen zugleich den Spielraum, innerhalb dessen Handelnde Einfluss auf die Alltagspraxis haben. Strukturen stellen daher für Handelnde Regeln und Ressourcen dar, in die Geschehnisse eingreifen zu können. Unter Regeln versteht Giddens (1997: 72) "verallgemeinerte Verfahrensweisen", deren Kenntnis Akteure befähigen, Ressourcen strategisch einzusetzen. Im Sinne Wittgensteins, der die Bedeutung der Sprache nicht aus dem Kontext eines vorgängigen abstrakten Regelsystem ableitet, sondern ihrem Gebrauch abliest, kommt die Kenntnis einer Regel dem Wissen von Handlungsmöglichkeiten gleich: "To know a rule is to know how to go on" (zit. n. Lamla 2003: 52). Der Regelbegriff bezeichnet bei Giddens insofern eine Verfahrensweise, als er sich auf ein methodisches und handlungspraktisches Know-how bezieht. Verallgemeinerbar ist dieses Know-how insofern, als es sich auf eine Reihe von Kontexten übertragen und anwenden lässt. Der Regelbegriff Giddens bezieht sich dabei einerseits darauf, dass Akteure Deutungsschemata und semantische Codes verwenden und damit in der Kommunikation symbolische Ordnungen, Diskurse bzw. Weltbilder reproduzieren. Von diesem konstitutiven Aspekt unterscheidet sich ein regulativer Aspekt. Letzterer bezeichnet die normative Aufrechterhaltung dieser symbolischen Ordnungen und Weltbilder ebenso wie die Stabilisierung von Verhaltenserwartungen. Deren Legitimität stützt sich auf rechtliche, in Gesetzen verankerte Normen oder moralische Bindungen. Regeln sind auf die Wissensstruktur sozialer Interaktion bezogen, wohingegen Ressourcen das Interaktionsvermögen kennzeichnen. Dieses beinhaltet Aspekte der Mobilisierung sowohl allokativer als auch autoritativer Ressourcen. Im ersten Fall handelt es sich um das Vermögen zur Umgestaltung von Objekten und materiellen Phänomenen, im zweiten um das Vermögen zu Handlungen, die Macht über andere Akteure erzeugen. Als Struk-
44
turmomente der institutionellen Ordnung sind dies ökonomische und politische HerrschaftsordnungenjInstitutionen. Obgleich nun Akteure auf Regeln und Ressourcen zugreifen und sie im Sinne der von ihnen verfolgten Ziele strategisch verwenden, bringen sie soziale Praxis nicht oder nur partiell als das hervor, was sie intendieren. Vielmehr reproduzieren sie mit ihrem Verhalten Momente der institutionellen Ordnungen der Gesellschaft. Andererseits löst sich ihr praktisches Tun aber nicht einfach in der Struktur auf, sondern transformiert sie auch in gewisser, wenn auch nicht unbedingt beabsichtigter Weise. Struktur und Handlung sind daher zwar unzertrennliche, aber nicht aufeinander reduzierbare Seiten sozialer Praxis (vgl. Lamla 2003; 53 ft). Dieses Verhältnis von Struktur und Handlung erklärt nicht nur Kontinuität und Stabilität sozialer Praxis, sondern auch ihren Wandel. Die gleichsam fortlaufende Praxis, der kontinuierliche Strom menschlicher Routinen, die über Zeit und Raum hinweg Verhaltensorientierungen und -erwartungen verstetigen, bilden das rekursive Wesen des Sozialen, aus dem heraus Vertrauen und Seinsgewissheit für die Handelnden erwächst. Giddens verweist in Anknüpfung an Erikson darauf, dass aus dem Bedürfnis nach Sicherheit und Kontinuität jene nicht-bewusste Motivation zur Reproduktion sozialer Praxis erwächst, mit deren Hilfe Akteure die Angst vor Unvorhersehbarem abwehren. Giddens (1997: 116) spricht in diesem Zusammenhang von einer "generalisierten motivationalen Bindung an die Integration gewohnheitsmäßiger Praktiken über Raum und Zeit hinweg". Auch darin zeigt sich, dass die den Routinen inhärente Macht in der Form institutioneller Ordnungen nicht außerhalb menschlicher Praxis steht, sondern konstituierendes Moment der Lebensführung ist. Ordnungen überbrücken dabei Raum und Zeit menschlicher Sozialbeziehungen (a.a.O.: 32). Sie stellen einen Zusammenhang her zwischen Situationen der Kopräsenz von Akteuren und Systemen, die als institutionalisierte Routinen die Interaktion zwischen Akteuren und Kollektiven über weite Spannen von Zeit und Raum sichern. Die reziproken Beziehungen von Akteuren in Situationen der Kopräsenz bezeichnet Giddens als Sozialintegration. "Systemintegration bezieht sich auf Verbindungen zu denjenigen, die physisch in Raum und Zeit abwesend sind" (a.a.O.: 80). Systeme sind bei Giddens immer an Routinen geknüpft, das heißt, sie existieren nicht außerhalb des Raum-Zeit-Bezuges menschlicher Routinen. "Soziale Systeme weisen, was den Grad ihrer ,Systemhaftigkeit' anbelangt, eine große Variationsbreite auf' (a.a.O.: 432). Sie können zeitlich und räumlich sehr begrenzt sein, sie können aber auch eine sehr weite Raum-Zeit-Ausdehnung haben. 45
Für die Analyse des Erfahrungsraumes Kindergarten ist daher die Identifikation und Beschreibung jener Praktiken bedeutsam, die den Zusammenhang herstellen zwischen den situierten Aktivitäten der Kopräsenz im Alltag des Kindergartens und "Formen gesellschaftlicher Totalität" (a.a.O.: 353). Giddens versteht darunter "Eigenschaften von Gesamtgesellschaften" oder .zwtschengesellschaftltchen Systemen".
2.3
Zum Verhältnis von gegenstandstheoretischem und gegenstandskonstitutivem Begriff der Organisation
Beim Versuch, die nun gewonnenen organisationstheoretischen Erkenntnisse auf die eingangs formulierte Problemstellung zu beziehen, drängt sich nicht zwangsläufig eine Entscheidung im Sinne von Wahl oder Verwerfung einer bestimmten Organisationstheorie auf, vielmehr lassen sich die beiden theoretischen Perspektiven aufeinander beziehen. Einerseits sind an den Kindergarten als einer pädagogischen Einrichtung Erwartungen gerichtet, die ihn im gegenstandstheoretischen Sinn als Organisation mit spezifischen Betreuungs-, Bildungs- und Erziehungsaufgaben definieren und seine Leistung als Ergebnisse einer an rationalen Leitprinzipien bzw. auf pädagogi schen Sinn bezogenen organisierten pädagogischen Sonderwelt charakterisieren. Es handelt sich bei dieser Definition des Kindergartens nicht lediglich um eine bzw. verschiedene differenzierte aus dem Wissenschaftssystem stammende theoretische Perspektiven auf das Phänomen der Organisation, sondern insbesondere um eine im pädagogischen Feld wirksame Theorie, die den Auftrag des Kindergartens als eine an einer Verbesserung des Outputs orientierte Praxis definiert. Als solche ist sie allerdings auch gegenstandskonstitutiv, sie beeinflusst die Wirklichkeit des pädagogischen Feldes in dem Sinne, dass sich Akteure auf sie beziehen. Gegenstandskonstitutiv heißt nun allerdings gerade nicht, dass effizienter erzogen oder gebildet wird, gegenstandskonstitutiv heißt, dass die Akteure in ihren Handlungsstrategien symbolische Repräsentationen von Pädagogik bzw. ihrer Verbesserung, nämlich pädagogischer Qualität, aufgreifen und sie mit je spezifischen Interessen, Zielen und Strategien verknüpfen. Das Wesen dieser symbolischen Praxis besteht darin, dass sie sich nicht explizieren muss. Sie entfaltet ihre normierende Wirksamkeit im Licht positiver Bewertungen, die sich auf die Erziehungsbedeutsamkeit spezifischer Praxen beziehen. Als Zuschreibungen von pädagogischer Qualität an spezifische Handlungsmuster wirken sie in ihrer Performativität (Butler 2006). 46
Indem sie einen Zusammenhang zu anerkannten Wissensordnungen des Lernens von Kindern herstellen, signifizieren sie eine Sache, eine Handlung, eine Praktik als etwas Pädagogisches. Qualität bezeichnet insofern eine symbolische Macht, die bestimmte Wahrnehmungs- und Beurteilungsstrategien auf die Praxis generiert, welche die Akteure in ihren Interaktionen als Strukturationen verwenden. Wenngleich die Bezugnahme auf Qualität die Wirklichkeit also mit konstituiert, muss eine inhaltliche Verknüpfung zu den Rationalitätsleitbildern gerade nicht hergestellt werden. Michel Foucault hat diesem Sachverhalt Rechnung tragend einen Rationalitätsbegriff benutzt, der der Praxis als Leitidee gerade nicht vorausgeht, sondern Rationalitätsformen in Praktiken oder Systemen selbst aufsucht Bei seinem Rationalitätsbegriff ,,(...) handelt es sich also nicht darum, die Dinge an etwas Absolutem zu messen, sodass sie als mehr oder weniger perfekte Formen der Rationalität bewertet werden können, sondern darum, zu untersuchen, wie Rationalitätsformen sich in Praktiken und Systemen einschreiben und welche Rolle sie in ihnen spielen." (LemkejKrasmannjBröckling 2000: 20)
In der Verknüpfung von Praktiken mit bestimmten diskursiven Rationalitätsordnungen (vgl. Foucault 1994) ist vielmehr politische Macht wirksam. Rationalität ist dabei "Teil einer Realität, die gerade durch das ,Scheitern' von Programmen gekennzeichnet ist" (LemkejKrasmannjBröckling 2000: 22). Bezogen auf den Kindergarten heißt dies nicht etwa nur, dass die Rationalität pädagogischer Praxis nicht in Programmen und Leitbildern aufgeht Es heißt vielmehr, dass die spezifischen diskursiven Leitbilder von Konzepten nur eine Seite von Praktiken darstellen, die mit anderen ver schmolzen sind. Genau hier lässt sich an Giddens Unterscheidung institutioneller Ordnungen anknüpfen, denn Rationalitätsleitbilder sind nichts anderes als Legitimationscodes. Sie stellen Regeln als Maßstäbe guter Praxis dar, die sowohl konstitutive als auch normative Bedeutung im Hinblick auf die Generierung sozialer Praxis haben. Wie aber sind sie mit den allokativen und autoritativen Ressourcen verknüpft? Dies sind die Mittel, mit deren Hilfe gleichsam symbolische Repräsentationen guter Praxis erzeugt werden. Erziehungsbedeutsam sind aber die Ordnungen, mit deren Hilfe diese hergestellt werden.
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2.4
Ordnungen als Eigenschaften organisierter Erziehungsverhältnisse
Die zentrale Frage lautet also: Welches sind die Regeln und Ressourcen, welches die legitimen Ordnungen, auf die Akteure zugreifen, um einen (guten) Kindergarten herzustellen? Es ist offensichtlich, dass die im Feld wirksamen Ordnungen nicht auf der Ebene der Alltagsregeln angesiedelt sind. Auf der Ebene der beobacht- und erfahrbaren Geschehnisse bezeichnet der Ordnungsbegriff hier zunächst die Erwartbarkeit, dass bestimmte Dinge wahrscheinlich geschehen und andere hingegen nicht Deswegen eignet er sich dazu, die soziale Wirklichkeit des Kindergartens als Erfahrungsraum auszuloten. Nur wenn Dinge sich nicht zufällig abspielen, ist die Erfahrung, die man mit ihnen macht, dazu geeignet, aus ihr zu lernen. Das Prinzip, welches dabei wirksam ist, bezieht die Erfahrung rekonstruktiv auf die Geordnetheit von Verhältnissen und vermittelt strategische Einsichten darüber, wie man angesichts dieser Verhältnisse erfolgreich sein kann. Dass die Verwirklichung der möglichen Strategien dem Subjekt Aufgaben auferlegt, die es gegenüber sich selbst in ein Spannungsverhältnis bringt, weil es ihm Fertigkeiten, Kenntnisse und in einem weiteren Sinne die Fähigkeit abverlangt, sich selbst zu transformieren, lässt den Zusammenhang von Erfahrung und Erziehung transparent werden. Gleichwohl ist die Erfahrung selbst zunächst einmal nichts Pädagogisches und die Geordnetheit und Regelmäßigkeit von Verhältnissen verweist auch noch nicht darauf, dass es sich hier um etwas Pädagogisches handelt Hingegen tritt die Regelmäßigkeit als ein Phänomen der Organisation in den Blick, das als solches an den Routinen studiert werden kann. Ordnungen haben demnach die Eigenschaft, dass sie den Ereignissen in einem gegebenen sozialen Raum, in dem sie gültig sind, eine gewisse Stetigkeit verleihen. Praktiken stellen sich in diesem Zusammenhang als System bildende und System erhaltende Organisationsmacht dar. Giddens (1997: 137) betont, "dass soziale Systeme als geregelte soziale Praktiken organisiert sind, die in der Form von in Raum und Zeit sich ausbreitenden Begegnungen reproduziert werden." Die .Systernhaftigkett" (Giddens 1997), die Praktiken dem Geschehen einschreiben, kann allerdings in unterschiedlichem Maß ausgeprägt sein, außerdem unterliegt sie räumlichen und zeitli chen Begrenzungen, sog. epoches. Dies sind "einstweilige Einklammerung des reflexiv gesteuerten sozialen Verhaltens" (a.a.O.: 83). Ordnungen entfalten ihre Wirksamkeit also nicht unbedingt umfassend, sondern können je
48
nach ihrem Wirksamkeitsgrad und ihrer räumlichen und zeitlichen Ausdeh nung unterschieden werden. Auch der Grad der Routinisierung von Praktiken ist ein Indikator für den mit ihnen verknüpften Ordnungscharakter, den sie einem begrenzten Geschehen verleihen. Dabei stehen die mit den Praktiken entstehenden Ordnungen nicht für sich alleine, sondern repräsentieren einen kulturell und gesellschaftlich vermittelten Zusammenhang von Legitimation, Signifikation und Herrschaft (Giddens 1997). Das Maß ihrer Gültigkeit ist abhängig vom Grad ihrer Institutionalisierung, das heißt ihrer verbindlichen Ausrichtung und Normierung an handlungsleitenden Maximen (Walter 1999), welche ihrerseits Gestaltungsprinzipien von Akteurbeziehungen darstellen. So kann z.B. die Auffassung, dass Kinder Akteure ihres Selbst sind, als legitimes Rationalitätskriterium für die Gestaltung generationaler Verhältnisse gelesen werden (Honig 2001). Auf der Ebene konkreter Ereignisse in Organisationen erzeugen institutionalisierte Praktiken Relationen zwischen Akteuren, die nicht umkehrbar sind. Je normierter die Praktiken, desto festgelegter sind die ihnen korrespondierenden Organisationsrollen, in denen Akteure zueinander in Beziehung treten. Praktiken sind daher zugleich eine Art Operatoren der Unterscheidung von Akteurgruppen, sie entfalten ihre Wirksamkeit in räumlichen und zeitlichen Bedeutungskontexten. Giddens (1997: 69) hebt diesen Sachverhalt hervor, indem er auf die Positioniertheit der Akteure verweist, deren Verhalten die Praktiken konstituieren. "Sie sind mit Bezug auf Raum und Zeit ,positioniert' und in Raum und Zeit ,situiert"'. Unter Institutionen versteht er dabei jene Praktiken, die in der Reproduktion gesellschaftlicher Totalität die größte Ausdehnung in Raum und Zeit besitzen (a.a.O.). Zentrales Merkmal der Akteurverhältnisse, die im Zuge institutionalisierter Praktiken erzeugt werden, ist ihre Komplementarität. Organisationsrollen sind nicht umkehrbar, häufig stellen sie Akteure auch in ein hierarchisches Verhältnis zueinander. Dies heißt zwar nicht, dass in einem gegebenen Feld, das stark von institutionalisierten Praktiken bestimmt ist, prinzipiell keine reziproken Beziehungen zwischen Akteuren möglich sind. Es heißt auch nicht, dass reziproke Beziehungen nur zwischen Zugehörigen der gleichen Akteurgruppe möglich sind. Allerdings bestimmt die objektive Relationierung von Akteurverhältnissen die Perspektivität zwischen Akteuren. Zusammengefasst: Als Kategorie, die den Erfahrungsraum Kindergarten charakterisiert, bezeichnet der Begriff Ordnung (1) jene Systemhaftigkeit, welche dem Geschehen in Form von Praktiken und Routinen einge-
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schrieben ist. (2) Ordnungen sind keine Strukturen oder geschlossenen Systeme. Sie organisieren die soziale Wirklichkeit nicht in einer homologen Art und Weise. (3) Sie sind prinzipiell flexibel, d.h. sie können unterschiedliche Formen annehmen, ebenso wie ihr Wirkungsgrad variieren kann. Ordnungen können also punktuell, d.h. von kurzer Dauer und einer geringen räumlichen Ausdehnung sein, ebenso wie sie umfassend, kontinuierlich, periodisch etc. sein können. Schließlich können (4) jeweils unterschiedliche Ordnungen in einem gegebenen Feld (Bourdieu 2001) nebeneinander existieren und in einem konkurrierenden, kooperierenden oder indifferenten Verhältnis zueinander stehen. (5) Ordnungen normieren und strukturieren das Geschehen, konstituieren unterschiedliche Akteurgruppen, die in spezi fischen Verhältnissen zueinander stehen. Als institutionalisierte Normen referieren sie auf gesellschaftlich und kulturell definierte Rationalitätskriterien und zielen auf die Gestaltung legitimer Akteurbeziehungen.
2.5
Instituetik als erziehungswissenschaftliche Analytik der Ordnungsbildung
Beispielhaft für die Thematisierung und Analyse dieser, den Praktiken eingeschriebenen Rationalität der Erziehung ist Siegfried Bernfelds Forschungsprogramm der Instituetik. Bernfeld bezeichnete sie als eine erzie hungswissenschaftliehe Disziplin und stellte sie der Didaktik als der traditional pädagogischen Disziplin zur Seite. Allerdings sah er ihre Bedeutung dieser gegenüber als vorgängig und gegensätzlich. Während sich Didaktik auf den Unterricht bezieht und diesen "zweckrational" zu gestalten sucht, ,,(...) bleibt die Schule als Ganzes, das Schulwesen als System ungestört, ungedacht. (...) Diese Lücke müsste die Didaktik erst schließen, (...) sie muss sie durch eine Disziplinergänzen, die man Instituetik nennen könnte. Sie hätte zweckrational die Institution, die wir in Gänze Schulwesen nennen, umzudenken." (Bernfeld 2000: 26 f.)
Bernfeld hat also nicht die Intentionalität didaktisch begründeter Programmatik im Blick,sondern die Wirkungsweise des Schulwesens. Er sieht in ihm ,,(...) eine breite und komplizierte Institution, ein System von Einrichtungen mit seinen bestimmten Strukturen. Als Ganzes übt es bestimmte Wirkungen auf die heranwachsende Jugend aus, auf die in ihm heranwachsende und ebenso auf die außer ihm lebende. Die Tätigkeit des einzelnen Lehrers, sein Unterrichten ist bloß ein Faktor in dem Ganzen dieser Wirkungen. Nur mit ihm befasst sich
so
die Didaktik, ja nur mit seinem bewussten auftragsgemäßen Tun. Alles andere bleibt jeder empirischen Prüfung entzogen." (a.a.O.: 26)
Liest man ergänzend zu diesen 1925 im Sisyphos verfassten Sätzen Bernfelds Niederschrift des Erziehungsexperimentes .Baumgarten", das er im Rahmen der Einrichtung und des Betriebes eines Kinderheims für jüdische Kriegswaisen im Wien 1920 durchführte, so findet man dort die empirischen Erkenntnisse, die der Entwicklung der Instituetik als Disziplin vorausgingen. Bernfelds Bericht thematisiert das Spannungsfeld zwischen Ordnungsbildung in der pädagogischen Einrichtung und der gesellschaftlichen Regulierung des Geschehens. Als Reflexion des Scheiterns wird darin auf das Verhältnis zwischen Pädagogik und dem Einfluss der kontextuellen Bedingungen des Heimlebens fokussiert Die Gründe des Scheiterns - so Bernfeld - lagen "in der Trennung der Leitung von Verwaltung und Pädagogik" (Bernfeld 1969: 149). Während die Pädagogen dem Gemeinschaftsleben eine sittliche, auf Gleichheit beruhende Ordnung zu geben bestrebt waren und diese in der "Schulgemeinde", einem demokratischen Organ der Konstitution und Verteidigung verbindlicher Regeln, zu verwirklichen suchten,13 war die Regulierung der Lebensweise im Heim, d.h. der Verpflegungs-, Wohn- und Sanitärbereiche, Bernfeld und seinen gleich gesinnten LehrerKollegen vorenthalten. Sie oblag der Heimverwaltung, die die genannten Lebensbereiche mit autoritativen Regeln versah und ihr Verhältnis gegenüber den Kindern als hierarchische Kontrolle definierte. Der BaumgartenBericht zeugt von einem ständigen Konflikt zwischen Verwaltung und Pädagogik und die Thematisierung von Aufgaben und Erfolgen der Pädagogik ist keineswegs die unterrichtlicher Leistungen, sondern die einer fortschrei-
Ordnung sollte sich also nicht aus einem externen Kontext als vorgängigem Zwang ergeben, im Sinne einer autoritären Erziehung, sondern aus den Notwendigkeiten des Gemeinschaftslebens. Die entscheidende Instanz der Herstellung von Ordnungen sah Bernfeld in der Schulgemeinde, die einen Willen zur Regulierung des Geschehens aus den Erfahrungen der Kinder ableitete. Bernfeld begründete ihre Wirksamkeit damit, dass das erlebte Chaos, das NichtNormale den Willen zur Konstitution verbindlicher Regeln schaffe. Die Verallgemeinerung dieser Erfahrung bestand für Bernfeld in der Gleichsetzung der Schulgemeinde mit einem Diagramm . Er verstand darunter ein Dispositiv der Herstellung von Ordnung, das Erziehern vermittel- bzw. lehrbar sein sollte (vgl. Hörster 1992). Der Tatsachenbericht selbst verweist an vielen Stellen darauf, dass die Praxis dieses Diagramms in Baumgarten durchaus erfolgreich war. Die Kinder zeigten angesichts ihrer Erfahrungen mit dem anfänglich unreglementierten und chaotischen Gemeinschaftsleben ein lebhaftes Interesse an der Bestimmung dessen, was als normal gelten sollte, und Bernfeld beschreibt die Entwicklung der Konstitution interner Schulgesetze durch die Kinder, ebenso wie deren exekutiven Vollzug durch das von Kindern bestellte Gericht, als eine Erfolgsgeschichte. 13
51
tenden sittlichen Lebensweise. Bernfelds Pädagogik der 20er Jahre war die einer zukunftsgerichteten Welt- und Veränderungsanschauung, die Arbeit, Lernen und Leben nicht voneinander zu trennen versuchte und sich selbst als einen Beitrag zur Gestaltung von Kultur und Gemeinschaft verstand (Bernfeld 1969: 187). Demgegenüber blieb die Gestaltung des Gemeinschaftslebens in Baumgarten - so resümiert Bernfeld - doch so stark der alten Ordnung verhaftet, dass sein "ernsthafter Versuch mit neuer Erziehung" (a.a.O.: 84) scheiterte und ein Kompromiss mit der alten Erziehung für ihn nicht infrage kam. Diese entspringe keinen "kindlichen oder kindgemäßen Bedingungen, sondern sie ist von Erwachsenen und nicht einmal von Pädagogen, sondern letzten Endes von Politikern und Juristen, zwar aus gutem Instinkt (...), aber nicht zu dem [Zweck] der Erziehung sozialer Menschen geschaffen" (a.a.O.: 157). Instituetik als Forschungsprogramm hingegen greift den Zusammenhang zwischen Ordnungsbildung im pädagogischen Feld und den gesellschaftlichen Ordnungen auf. Im Kern ist Instituetik die erziehungswissenschaftliehe Forschunqsdisztpltn, die die Form des Pädagogischen als je histo risch spezifische Gestalt der Ordnungsbildungen des Aufwachsens untersucht. Bernfeld hat diesen Sachverhalt mit der Formel "Erziehung als eine soziale Tatsache" bezeichnet, einer "Reaktion der Gesellschaft auf die Entwicklungstatsache" (Bernfeld 2000: 119), die die Erziehungstatsache als ein generationales Machtverhältnis beschreibt, das seinem Wesen nach konservativ ist, insbesondere - so Bernfeld - "seine Organisation".
2.6
Eigenständigkeit als Maßstab pädagogischer Qualität
Kehrt man nach diesem Revisiting Instituetik (Treptow 2002) zurück ins 21. Jahrhundert, um die Organisation der Erziehung in der frühen Kindheit zu studieren, sucht man nach einem heute wirksamen Dispositiv der Herstellung von Ordnungen, das Erziehungsverhältnisse im Besonderen mit dem gesellschaftlich Allgemeinen verknüpft, dann rückt Qualität als gegenwärtig umfassendes Leitkonzept gesellschaftlicher Transformation von Organisationen in den Blick. Wie aber - das ist hier die Frage - verbindet ein so übergreifendes und allumfassendes Konzept, das zudem inhaltlich unbestimmt ist, die Ordnungen im Kindergarten mit den gesellschaftlichen Veränderungs- bzw. Verbesserungserwartungen, die Antworten auf eine Vielzahl nebeneinander existierender und z.T. widersprüchlicher Problemstellungen sucht: die Krise der Wohlfahrtstaatlichkeit, die durch veränderte
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Familien- und Lebensmodelle bedingte Betreuungskrise, die Vereinbarkeitsproblematik, die mit PISA und TIMMS aufgeworfene Bildungsproblematik ebenso wie die Fragen der Interkulturalität. Diese im Kern instituetische Problemstellung wird mit dem Konzept erziehungswissenschaftlicher Qualitätsforschung [Honig/Neumann 2004) aufgegriffen und zum Gegenstand empirischer Bildungsforschung erhoben. Sie zielt darauf, die institutionellen Logiken des Hervorbringens von Pädagogik zu explizieren, indern sie in einer deskriptiv analytischen Forschungspraxis die im Geschehen wirksamen Maßstäbe pädagogischer Qualität zu explizieren sucht. Die Bezugnahme der Akteure auf Maßstäbe guter Praxis konstituieren dabei die Wirklichkeit des Kindergartens mit, ja die "Beurteilungsmaßstäbe können (...) als basale ,Regeln' aufgefasst werden, auf die bei der Selektion und Verknüpfung auf den ersten Blick unverbundener Ereignisse zugegriffen wird" (Honig/Neumann 2004: 268). Diese gegenstandskonstituierende Perspektive verwandelt also Beurteilungskriterien in Merkmale eines Sachverhaltes. Exemplarisch sei dies an einem Ergebnis der Trierer Kindergartenstudie [Honlg/Ioos/Schrelber 2004) veranschaulicht. Die Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Person, so zeigen die Befunde der Eltern- und Erzieherinnenbefragung, gilt als ein zwischen Eltern und Erzieherinnen geteilter Wertmaßstab pädagogischer Qualität. Auch bei der Ambition, den Entwicklungsverlauf der Kinder zu dokumentieren, kann die Selbständigkeit des Kindes als Indikator für einen Entwicklungsfortschritt gewertet werden. Im gegenwärtigen frühpädagogischen Diskurs gilt sie als ein unhinterfragtes Merkmal pädagogischer Qualität. Fragt man, wie Eigenständigkeit in der Theorie der gegenwärtigen Programmatik pädagogischer Qualität (Tietze/ Viernickel, 2003) vorkommt, so wird dort vor allem der Bezug zu einem subjekttheoretischen Bildungsbegriff unterstrichen, der Kinder als "aktive Lerner" (a.a.O.: 25) betrachtet. In der Einleitung des nationalen Kriterienkataloges pädagogischer Qualität verschmilzt diese subjekttheoretische Bildungsidee mit disparaten Sozialisations- und Entwicklungstheorien in einem affirmativen kulturell geteilten Wissen darüber, dass sich Kinder ver möge eines von ihnen selbst ausgehenden Prozesses, der ihrer Eigentätigkeit bedarf, allmählich - über viele Zwischenstufen hinweg - zu Erwachsenen transformieren. Eigenständigkeit konvergiert in diesem frühpädagogischen Bildungsbegriff mit einem entwicklungspsychologisch definierten Maßstab pädagogischer Qualität. Von einem erziehungswissenschaftlichen Qualitätsbegriff ausgehend, der die Einheit von Beschreibung, Bewertung und Verbesserung unterstellt,
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muss eine empirische Analyse der Praktiken nun zeigen können, wie der diskursiv erzeugte Qualitätsmaßstab der Eigenständigkeit des Kindes in die Binnenlogik des Geschehens transformiert wird. Wie verwandeln sich - das ist die allgemeine Frage - Bewertungsmaßstäbe in Eigenschaften des Geschehens. Bevor diese Frage im Ergebnisteil der ethnografischen Studie aufgegriffen wird, erscheint es an dieser Stelle jedoch sinnvoll, den exakten Bedeutungsgehalt und die Nuancen dieses, im gegenwärtigen Diskurs pädagogischer Qualität hervorstechenden Maßstabs eines guten Kindergartens zu analysieren. Als Fazit der bisherigen Betrachtungen bleibt festzuhalten, dass Selbständigkeit ganz im Sinne eines Humboldt'schen Bildungsbegriffes (Benner 2003) als Ergebnis einer eigentätigen Auseinandersetzung des Kindes mit der Welt betrachtet wird. Diese unter der Hand vorgenommene Verschmelzung einer anthropologischen Konstante (Eigentätigkeit), also einer Aussage über das Wesen des Kindes, mit einem Bewertungsmaßstab, der die relative Unabhängigkeit des Kindes von den Erwachsenen bezeichnet, soll im Folgenden einer eingehenden Betrachtung unterzogen werden - dies, indem beide Konzepte zunächst getrennt behandelt und dann aufeinander bezogen werden. Die Eigentätigkeit des Kindes ist ein Begriff, der in den psychologischen und sozial wissenschaftlichen Gegenstandstheorien vom Kinde beheimatet ist und dort eine anthropologische Grundvoraussetzung der Selbstwerdung und Weltaneignung schlechthin bezeichnet. Jürgen Reyer (2004a: 337) re konstruiert die historische Herkunft des Konzeptes der Selbsttätigkeit als eine "Befreiung der menschlichen Natur aus ihrer sozialen Determination", die im pädagogischen Liberalismus, insbesondere bei Rousseau, anzusiedeln ist. Nicht mehr die soziale Herkunft des Kindes in Verbindung mit seiner Natur sollte seine gesellschaftliche Stellung bestimmen, sondern lediglich seine natürlichen vorgesellschaftlichen Anlagen, welche zukunftsoffen gedacht waren und in der selbsttätigen Auseinandersetzung mit der Welt auf Individualität hin streben. Die bürgerlich-liberale Pädagogik, die sich bis heute anwaltschaftlich für die selbsttätige Entwicklung des Kindes einsetzt, stieß - so Reyer - aber bereits von Anfang an auf ihre Grenzen, insbesondere dort, wo sie als intentionale Erziehung gedacht war, denn in der Praxis konnte die Bestimmung des kindlichen Wesens als "weltoffen, selbsttätig und auf Individualität hin angelegt" (a.a.O.) nicht in Übereinstimmung gebracht werden mit der .Jelblich sinnlichen und moralisch ambivalenten Verfasstheit dieser Natur", die sich pädagogischer Theorie und Praxis weitgehend entzieht. Im Wissen um die Vorrangigkeit der Erfahrung vor jeder
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Erziehung und die negativen Effekte der "miterziehenden Welt" suchte die Pädagogik deshalb danach, Erfahrungsräume zu gestalten. Herbart setzte dem rationalen Erkenntnispotential die sog. Aisthesis entgegen, die als ästhetische Urteilskraft in die Sphäre des Sinnlich-Leiblichen hineinwirkt. Öffentlich veranstaltete Pädagogik, wie etwa die Schule, hätte es damit zu tun, die negativen Einflussmäglichkeiten der tatsächlichen Welt durch die "ästhetische Darstellung der Welt" zu begrenzen. Dabei sollte das Kind keineswegs abgeschirmt werden vor dem Leben, vielmehr sollte die Schule zum ästhetischen Darstellungsraum von Erziehung und Leben werden, dennoch bildeten für ihn Erziehung und Leben Daueroppositionen. Die Gefahren der "miterziehenden äußeren Welt" lagen für Herbart darin, dass sie selbst Interessen am Kind hatten (z.B. Eltern, Kirche, Staat) und diese Interessen auch gegen die Pädagogik, die "ihr Mandat in der Anwaltschaft für die Natur des Kindes und in der allgemeinen Menschenbildung begründet sieht" (a.a.O.: 343), durchzusetzen versuchen und damit die Individualität des Kindes missachteten. Die Verknüpfung von Eigentätigkeit als Wesensbesonderheit des Kindes und Herstellung einer bildsam anregenden Umwelt gilt auch im Wissens- und Handlungsbestand der Frühpädagogik seit Fr öbel als programmatischer Kern des Kindergartens schlechthin. Eigentätigkeit anzuregen, ihr gewissermaßen Nahrung zu bieten, um Erziehungs- und Bildungsprozesse zu entzünden, blieb und bleibt die selbst formulierte Aufgabe und Ambition der Frühpädagogik, sei es im Verständnis "des Kindes als Baumeister seiner selbst" (Montessori) oder im konstruktivistischen Bildungsverständnis Piagets und in den neueren entwicklungspsychologischen Ansätzen (Selman 1984,1991; Youniss 1984, 1994). Auch nach der kindheitstheoretischen Reflexion psychologischer und sozialwissenschaftlicher Wissensbildung (Qvortrup 1987,1994) über das Kind, in welcher die Kinder nicht mehr als "Werdende", sondern als "Seiende" konzeptualisiert werden, wird in den Leitkategorien des "Kompetenten Akteurs" oder des "Kindes als Selbstge stalter seiner Entwicklung" das eigeninitiative Tun im Bildungsprozess hervorgehoben, so wie es im Prinzip den programmatischen Kern von Situationsansatz (Zimmer 2000; Krenz 2002; Becker-Textor 2002) und Offenem Kindergarten (RegelfWieland 1993; Regel/Kühne 2001; Beek/Buck/Rufenach 2001) darstellt: eine subjekttheoretische Bildungsidee, die das Individuum zum Ausgangspunkt aller Bildungsprozesse macht (Schäfer 2005). Auch die Förderung der Kreativität des Kindes - ein ebenso bei der Trierer Kindergartenstudie (Honig/Ioos/Schreiber 2004: 41) erhobenes Gütekriterium, das Eltern als Merlanal pädagogischer Qualität des Kindergar-
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tens betrachten - ist dem Bedeutungshof der Eigentätigkeit zuzuordnen. Sieht man von den häufig performativ erzeugten Konnotationen des Kreativitätsbegriffs als Ausdruck lebhaft-spontaner Lebensäußerungen ab, so bezeichnet der Begriff Kreativität jene problemlösende Eigenschaft menschlicher Praxis, die die eigentätige Weltaneignung der Kinder kennzeichnet. Die kindliche Kreativität ist somit Teil jener Wesensmerkmale, die in der frühpädagogischen Ideenlandschaft von Fröbel bis zur Gegenwart als anthropologisch bedingtes Agens von Bildungs- und Entwicklungsprozess des Kindes gelten. Zählt der Begriff der Eigentätigkeit zu den anthropologischen Grundannahmen über das Wesen des Kindes, so bringt Eigenständigkeit eine Relation zwischen Erwachsenen und Kindern ins Spiel, die das Tun der Kinder in ein Spannungsfeld zu den Bewertungsmaßstäben der Erwachsenen setzt. Wenn Erwachsene von der Eigenständigkeit des Kindes sprechen, dann meinen sie damit in der Regel eine "angemessene Bewältigung mehr oder weniger alltäglicher Aufgaben" (Leu 1996: 175). Eigenständigkeit ist ein normativer Beurteilungsmaßstab, der aus einer Außenperspektive auf das Handeln von Kindern angelegt wird und dessen Bezugspunkt "letztlich ein erwachsener Mensch ist, der in der Lage ist, sich selbständig zu versorgen" (a.a.O.).14 Allerdings bleibt Eigenständigkeit inhaltlich unbestimmt, sie muss als konkrete Erwartung je spezifischer Erwachsener und je spezifischer Kinder vor dem Hintergrund je spezifischer situativer Kontexte definiert werden. Sie ist also kein Merkmal von Kindern, sondern ein Bewertungsmaßstab, der vor dem Hintergrund einer normativ definierten institutionellen Lebensform konkret wird. Er bezieht sich auf die aktive Hervorbringung dieser Lebensform durch die Kinder, ohne dass sie eigens von den Erwachsenen dazu angeleitet, begleitet oder unterstützt werden müssen. Jenseits seines Gebrauchs in der Alltagsrede aktiviert das Wort "Eigenständigkeit" - wenn es als ein pädagogischer Begriff in Anspruch genommen wird - ein in die Zukunft gerichtetes aufklärungsphilosophisches Bedeutungspotential und zielt auf das Ideal der Mündigkeit (Rieger-Ladich 2002) - eine Kategorie, die die Verschmelzung individueller und gemeinwohlbezogener Ziele darstellt. Sie impliziert eine Haltung des Individuums gegenüber sich selbst, die man mit Kant als Disposition bezeichnen kann, das aus eigenem Willen heraus zu tun, was einem sozial auferlegt ist. Mündigkeit ist ein
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VgI. Preuss-Lausitz/Rülcker/Zeiher 1990; Leu 1990.
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politischer und staatsphilosophischer Begriff, der Aufklärung als "Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit" (Kant 1784: 514) charakterisiert und auf die Überwindung des absolutistischen Herrschaftsregimes durch Erziehung der Menschen zu vernünftiger Lebensführung und Demokratie zielt Menschen werden dabei als Subjekte der Geschichte konzipiert In Anknüpfung an das Erziehungsziel der Mündigkeit ist Eigenständigkeit also ein zentraler Maßstab pädagogischer Qualität Kindheitstheoretisch betrachtet, stellt die Eigenständigkeit des Kindes eine zentrale epistemologische Dimension dar, die als Moment generationaler Ordnung im Prozess der Theoriebildung in die gegenstandstheoretischen Prämissen über das Kind eingeht (Honig 1999a). Entwicklungspsychologie und Sozialisationsforschung beziehen sich auch in ihren forschungsmethodologischen Programmen nicht auf richtungslose Lernprozesse der Kinder, vielmehr ist deren Tun in einem Spannungsverhältnis zu Zielvorstellungen der Erwachsenen konzipiert, die als normative Bedingung des Erkennens die theoretische Konstruktion des Gegenstandes "Kind" bestimmen. Entsprechend bezeichnen Begriffe wie "Reife" und .Entwtcklungsstand" die graduelle Verwirklichung dieser Zielvorstellungen. Die Konsequenz dieser kindheitstheoretischen Erkenntnis führte forschungsmethodologisch zu einer starken Gewichtung der Bedeutung der Gleichaltrigen für das Heranwachsen. Insofern ist es das Ziel der sozialwissenschaftlichen Kindheitsforschung, Kinder als eigenständige Akteure, als Selbstgestalter ihrer Entwicklung zu beschreiben. Kernpunkt dieses forschungsmethodologischen Zugangs zur Wirklichkeit der Kinder ist die "Perspektive des Kindes". Allerdings wenden Honig/Lange/Leu (1999) dagegen ein, dass es sich bei diesem Anliegen eher um ein erkenntnispolitisches Programm handelt denn um eine Forschungsmethodologie. Sie erörtern das methodologische Problem der Kindheitsforschung als eine im Forschungsprozess etablierte, aber nicht wahrgenommene Perspektivität zwischen Kindern und Erwachsenen, welche eine generationale Ordnung reproduziere, die Kinder zu Außenseitern der Gesellschaft mache. Die implizite forschungsmethodologische Unterstellung, Kinder seien anders als Erwachsene, trage zu ihrer gesellschaftlichen Marginalisierung bettS
Diese rekonstruierte Perspektivität zwischen Kindern und Erwachsenen ist im Prinzip der Kern einer wissens- und wissenschaftstheoretischen Reflexion der Kindheitsdebatte und Forschung (Honig/Lange/Leu 1999) und öffnet den Blick für die Frage, wie Kindheit zugleich als Sozialwelt der Gleichaltrigen und Element der Sozialstruktur moderner Gesellschaften im Rahmen eines generationalen Sorgeverhältnisses definiert wird. 15
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Der konzeptuellen Befreiung des Kindes aus dem Abhängigkeitsverhältnis von Erwachsenen, wie sie in den wissenschaftlichen und sozialpolitischen Diskursen seit etwa den 80er Jahren zu beobachten ist, entspricht auch kindergartenprogrammatisch die Akzentuierung der Autonomie und der Selbstbestimmtheit des Kindes. Der Situationsansatz, das Konzept des sozialen Lernens, der Offene Kindergarten (Regel/Kühne 2002) basieren auf der Grundidee einer demokratischen Verfasstheit des institutionellen Kinderlebens. Der "Morgenkreis als Vollversammlung" (Regel/Kühne 2002: 68), der Leitgesichtspunkt der "Partizipation" [Tietze/Viernickel 2003: 63), d.h. "der Einbeziehung der Kinder in Entscheidungs- und Gestaltungsprozesse" (a.a.O.), "Kinderparlamente und -konferenzen" (Regel/Kühne 2000) lassen sich - Bernfelds Idee der Schulgemeinde entsprechend - als Instrumente der Herstellung demokratischer Ordnungen im Kindergarten verstehen, die Kinder ohne die Erwachsenen herstellen. Die mit diesen Konzepten geforderte Anerkennung kindlicher Selbstbestimmtheit und Autonomie erfährt im Kontext des Qualitätsdiskurses den Status eines zentralen Qualitätsmaßstabes. Wie wird nun dieser Maßstab für eine gute pädagogische Praxis - dies ist die zentrale und die Ethnografie des Kindergartens leitende Frage - in Merkmale des Geschehens transformiert? Wie wird er in Praktiken überführt, die die Legitimation und Selbstvergewisserung der frühpädagogischen Praxis im Lichte dieser Qualitätsambition leisten?
2.7
Perspektivität als Eigenschaft des Geschehens
Als Moment des Geschehens im Kindergarten muss diese Qualifizierungs praxis einerseits in Praktiken aufzusuchen sein, in welchen die Perspektivität und damit auch die Unterscheidung zwischen Kindern und Erwachsenen im Alltag des Kindergartens vollzugslogisch hervorgebracht wird; ebenso muss erkennbar sein, wie Kinder diese von den Erwachsenen unterstellte Eigenständigkeit hervorbringen und schließlich muss sie als Moment der Herstellung einer pädagogisch-professionellen Perspektivität der Erziehe rinnen untereinander identifizierbar sein. Der Begriff der Perspektivität ist gerade auch im Hinblick auf die Erziehungsfunktion des Kindergartens bedeutsam, denn Erziehung als Prozess der Person-Werdung lässt sich als ein "identitätsbezogenes Ordnen von Erfahrungen" (Lüscher 2001: 92) relational (Lenzen 1994) beschreiben. Diese Relationalität stellt sich in George Herbert Meads Theorie der Kontextualität von Wissen, Identität und Handeln als objektive Perspektivität (Mead 1927/1964) zwischen Erwachsenen
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und Kindern dar. Sie stiftet einerseits Identitätsangebote und koordiniert andererseits Handeln im Medium sprachlich vermittelter Kommunikation. Individualität und Sozialität sind dann im Begriff einer Kindheit, die sich als Unterscheidung zwischen Erwachsenen und Kindern definiert, aufeinander bezogen. Gegenüber der lebensweltlichen Verengung des phänomenologischen Ansatzes betonen Meads Arbeiten den Zusammenhang zwischen der Konstitution personaler Identität und dem Prozess des Sozialen. Ein zentraler Begriff, der den Konnex von Individualisierung und Vergesellschaftung (Habermas) beleuchtet, ist der der "objektiven Realität von Perspektiven" (Mead 1927/1964; zit. n. Lüscher 1990). Kurt Lüscher (1990, 2001) hat dessen Bedeutsamkeit in Anknüpfurig an Mead für ein Verständnis der Sozialisation entfaltet. Eine Perspektive bezeichnet im Denken Meads die wechselseitige Beziehung zwischen dem Individuum und der Welt, sie existiert als eine objektive Realität. Auf der pragmatischen Ebene alltäglicher Erfahrung, im Kontext des Handelns, weist sie allerdings einen zeitlichen Bezug auf. Erkennen und Handeln sind nicht jenseits einer Perspektive möglich. Perspektiven haben ihrerseits eine Identität stiftende und eine Realität stiftende Funktion. Die Hervorbringung sozialer Wirklichkeit und die Konstitution des Subjektes bedingen sich wechselseitig. "Erkenntnis ist (...) an die Bedingung von Sozialität gebunden; es gilt aber auch umgekehrt, dass die Sozialität untrennbar mit der Vorstellung einer Realität als Emergenz verbunden ist" (Lüscher 1990: 257). In Situationen als Kontexten der Kopräsenz von Akteuren wird die Perspektivität von Akteuren bzw. Akteurgruppen zugleich handlungsrelevant sowie Medium der Konstruktion und Erfahrung von Identität. Zugleich kann an Situationen studiert werden, durch welche sozialen Objekte die Perspektivität hergestellt wird, d.h. in Bezug worauf die Akteure ihr Handeln koodinieren. Erving Goffman (1977: 17) druckt diesen Tatbestand aus, indem Situationsdefinitionen zugleich als Organisationsprinzipien für soziale Ereignisse und für die persönliche Anteilnahme an ihnen bezeichnet werden. Sie sind Formen der "Organisation von Alltagserfahrungen" (a.a.O.). Die Prinzipien dieser Organisation sind kulturell vermittelte Deutungsschemata, auf die die Situationsteilnehmer Bezug nehmen und die ihnen erlauben, den Sinn von Ereignissen zu bestimmen. In diesem Sinn unterscheide ich drei Typen interaktionaler Bezogenheit voneinander, die im Zuge der Institutionalisierung pädagogischer Praktiken die Perspektivität von Kindern und Erwachsenen rekursiv hervorbringen. Es sind die Typen, welche in den Interaktionen zwischen Kindern
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und Erwachsenen, unter Kindern und unter Erwachsenen rekursiv (re)produziert werden. Ausschlaggebend für die Konstitution dieser Typen ist die pädagogische Unterscheidung zwischen Kindern und Erwachsenen (Nemitz 1996), die ihrerseits zentrales Prinzip der Pädagogik und ein in der Interaktion wirksames kulturell generalisiertes Bedeutungsmuster der Begegnung darstellt "Praktiken generationaler Ordnung" (Honig 2001) (re)produzieren dabei nicht nur laufend die Zuschreibung von Differenz zwischen Kindern und Erwachsenen, sondern gleichermaßen die Gleichheit von Kindern und die von Erwachsenen. Die Organisation des Kindergartens stellt sich damit als eine Organisation von Akteurverhältnissen dar, die ihre Legitimation im Hinblick auf normative Maßstäbe des Pädagogischen laufend reproduzieren muss. Ob und wie die Qualitätsambition "Eigenständigkeit der Kinder" in der Erfahrungswelt des Kindergartens wirksam ist, bleibt Gegenstand ethnografischer Beschreibung. Von zentralem Interesse ist die Frage, wie sie als Moment der Strukturation des HandeIns die Akteurverhältnisse (re)produziert und in welcher Beziehung die sich dem Geschehen einschreibenden Perspektivitätstypen zueinander stehen. Versucht man diese Überlegungen noch einmal zurückzubinden an die gegenstandskonstitutiven Theorien der Organisation, so stellt sich die Frage, wie sich Eigenständigkeit als Maßstab pädagogischer Qualität in den Prozess der Herstellung institutioneller Praxis - mit Giddens als ein Zusammenhang von Kommunikation, Macht und Sanktion verstanden - einschreibt Wie wird die Selbständigkeit der Kinder in den sinnkonstitutiven Prozessen der Akteure als ein pädagogischer Sachverhalt signifiziert, wie wird dieser Signifikationsprozess mit sozialen Normen der alltäglichen Praxis verknüpft und mit welchen autoritativen und allokativen Ressourcen erfolgt seine Konsolidierung zu Merkmalen des Geschehens? Die wechselseitige Durchdringung normativer Orientierungen, konstitutiver Ressourcen und kommunikativer Signifikation des Geschehens muss als ein Phänomen der Macht verstanden werden. Macht wird dabei nicht negativ als unveränderbare Herrschaft definiert, sondern als Konstituens sozialer Praxis schlechthin. Michel Foucault, auf den sich Giddens (1997: 85) in seiner Theorie der Strukturation bezieht, hat Macht als eine produktive Kraft der Herstellung des Sozialen verstanden und den Zusammenhang von Vergesellschaftung und Individualität im Medium der Selbsttechnologien des Subjektes beschrieben. "Darunter sind gewusste und gewollte Praktiken zu verstehen, mit denen die Menschen nicht nur die Regeln ihres Verhaltens festlegen, sondern sich selber zu transformieren [...] suchen" (Foucault 60
1993: 18). Das Individuum konstituiert sich also mittels spezifischer Praktiken selbst, es folgt konkreten Handlungsstrategien, um bestimmte Ziele zu erreichen. Machtmechanismen und Subjektivierungstechnologien sind zwei Seiten einer Medaille, deren Zusammenhang auch in Foucaults Begriff der "Regierung" verankert ist. Dieser verweist auf "zahlreiche und unterschiedliche Handlungsformen und Praxisfelder, die in vielfältiger Weise auf die Lenkung, Kontrolle und Leitung von Individuen und Kollektiven zielen und gleichermaßen Formen der Selbstführung wie Techniken der Fremdführung umfassen" (LemkejKrasmannjBröckling 2000: 10). Demgemäß hat das Wort "Subjekt" einen zweifachen Sinn: "vermittels Kontrolle und Abhängigkeit jemandem unterworfen sein und durch Bewusstsein und Selbsterkenntnis seiner eigenen Identität verhaftet sein" (Foucault 1994: 246). Foucaults Machtbegriff verknüpft also die Herstellung institutioneller Ordnungen als Formgebung und Kontrolle einer gemeinsamen Praxis mit Techniken der Selbstkonstitution von Individuen. Für das Anliegen, den Kindergarten als Erfahrungsraum zu beschreiben, in dem die Selbstbildungsprozesse der Kinder als Selbstkonstitution der Subjekte im Medium erfahrbarer bestehender Ordnungen stattfinden, stellt er ein zentrales methodologisches Konzept dar. Er vermag die Wirksamkeit politischer Steuerungsmittel, wie etwa das des Qualitätsdiskurses als Regierungspraktik im Geschehen pädagogischer Einrichtungen zu identifizieren und zwar als Zusammenhang von Praktiken des Verbesserns und Praktiken der Selbstkonstitution von Individuen. Wie stellt sich - instituetisch betrachtet - dies nun konkret am Beispiel der Eigenständigkeit als Maßstab pädagogischer Qualität dar? Welcher Zusammenhang zwischen internem Geschehen des Kindergartens und dem unterstellten gesellschaftlichen Allgemeinen bzw. den an ihn gerichteten funktionalen Erwartungen lässt sich erkennen? Das Kinderleben ist kontextualisiert durch den Wandel von Kindheit, den Helga Zeiher (1996) als einen Doppelprozess von Expansion und Erosion des Schutz- und Vorbereitungsraumes charakterisiert hat. Die Expansion bezieht sich insbesondere auf die zeitliche und qualitative Ausdehnung der Bedeutung institutionalisierter Betreuung, Erziehung und Bildung im Lebenslauf, wohingegen die "Erosion des Schutz- und Vorbereitungsraumes" den Prozess zunehmender Fragmentierung des Lebenszusammenhanges von Kindern beschreibt. Familie und Schule bzw. Kindergarten vermögen keinen integrativen Lebenszusammenhang mehr herzustellen, auch deshalb, weil sie sich funktional spezialisiert haben, und sie sind angesichts der Medien- und Marktvermitteltheit moderner Kindheit vor allem keine exklusiven, in sich geschlossenen und stabili-
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sierten Erfahrungswelten mehr (vgl. Honig 2002a: 9 ff.). Kindern fällt ange sichts dieser fragmentierten Welt selbst die Aufgabe zu, die Erfahrungen mit ihr zu ordnen und ihnen einen Sinn abzugewinnen. Zu fragen ist nun, ob und wie dieses Merkmal einer veränderten Kindheit sich in den inhärent an sie gestellten Aufgaben in der Alltagswirklichkeit des Kindergartens spiegelt
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Ethnografie als Forschungsstrategle»
3.1
Feldzugang
Der Forschungszugang erfolgte im Rahmen eines ethnografischen Teilprojektes der Trierer Kindergartenstudie (Honig/Ioos/Schreiber 2004), die als wissenschaftliche Begleitforschung einer Organisationsreform von Kindergärten angelegt war. Der beforschte Kindergarten gehörte zu einer Modelleinrichtung, die sich an der Erprobung neuer Trägerstrukturen beteiligte. Wenngleich sich von Trägerseite aus die mit der Transformation der Trägerstruktur intendierte stärkere Marktorientierung und Ökonomisierung auf die organisatorischen und verwaltungstechnischen Abläufe beschränken sollten, so galt es auf der Binnenseite des Kindergartens doch, an die artikulierten und latenten Verbesserungserwartungen anzuknüpfen, die sowohl von der externen Kindergartenleitung (Gesamtleiterin), den Eltern als primären Kunden, aber auch den Erzieherinnen selbst in den Kindergarten hineingetragen wurden. Die Beforschung des Kindergartens erfolgte im Rahmen einer rund eineinhalbjährigen ethnografischen Praxis (Spradley 1980; Amann/Hlrschauer 1997), innerhalb deren ich regelmäßig am Alltagsleben des genannten Kindergartens teilnahm und als "partiell enkulturierte Teilnehmerin" (Amann/ Hirsehauer 1997) das Alltagsgeschehen dokumentierte: alltägliche Prakti ken, wiederkehrende Situationen, Routinen und Rituale, aber auch die Ereignisse und Veränderungen dieses Alltages, Objekte, Szenarien und Episoden. Ethnografie ist eine "flexible Forschungsstrategie" (Lüders 2000: 393), die anders als andere Methoden der sozialwissenschaftlichen Forschung dem Forschungsgegenstand nicht vorgängig ist, sondern sich im Prozess des Teilnehmens vom Forschungsgegenstand selber leiten lässt (Breidenstein/ Kelle 1998: 138). Entsprechend der ethnomethodologischen Auffassung, dass die Gesellschaftsteilnehmer die Realität, in der sie leben, methodisch herstellen (Weingarten/Sack 1976; Patzelt 1987; Bergmann 2000), wird das Forschungsfeld als "ein ständig sich selbst methodisch generierendes und strukturierendes Phänomen" [Amann/Hirschauer 1997: 19) begriffen. Insofern versteht sich die ethnografische Forschungspraxis als ein Prozess, der
16 Die Kapitel 3.1, 3.2 und 3.4 sind leicht überarbeitete Ausschnitte meines Publikationsbeitrages in Honig/jeus/Schreiber 2004.
P. Jung, Kindertageseinrichtungen zwischen pädagogischer Ordnung und den Ordnungen der Kinder, DOI 10.1007/978-3-531-91746-7_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009
durch "methodische Befremdung" (a.a.O.) des Vertrauten (stetiges Aufzeichnen, Vergleichen, Interpretieren, Distanzieren sowie der Beschreibung des Beobachteten im Licht unterschiedlicher sozialwissenschaftlicher Theorien) der kulturellen Selbstverständlichkeiten habhaft zu werden versucht, um "die den Handlungen zugrunde liegende grammatische Struktur aufzuzeigen, die Kategorien und Regeln, aus denen sie besteht, zu entwickeln" (Churchill1971: 182, zit. n. Weingarten/Sack 1976: 15). Das Datenmaterial besteht überwiegend aus drei - bis fünfseitigen Situations- und Gesprächsprotokollen, die meist unmittelbar nach dem Feldaufenthalt aus den Feldnotizen und Memos erstellt wurden. Bisweilen wurden diese durch Raum- und Situationsskizzen ergänzt. Bild- und Tonaufzeichnungen sowie daraus erstellte Transkripte verhalfen dazu, der Flüchtigkeit des beobachteten Geschehens Details abzugewinnen, die im Prozess des ethnografischen Schreibens verloren gingen. Die Protokolle wurden mit Vermerken/Kodierungen versehen, die darauf hinweisen, welche theoretischen Konzepte im Zuge des Protokollierens mit der aufgezeichneten Wirklichkeit in Verbindung gebracht wurden, aber auch, welche Fragen sich im Zuge des Aufzeichnens aufdrängten. Daneben existieren Zwischenbilanzen, in denen die Beobachtungen auf theoretische Konzepte hin befragt werden, etwa das der Kinderkultur von Lothar Krappmann (1991, 1993) oder der .Jnterpretlve Reproduction of the Adult Culture" von William Corsaro (1998). Andere Zwischenbilanzen enthalten Hinweise darauf, wie die Beobachtungen auf eine bestimmte theoretische Perspektive hin geordnet werden könnten. Da Beobachten, Protokollieren, Kodieren, Interpretieren im ethnografischen Prozess eine Einheit bilden, können Fokussierungsprozesse theoretisch als Ergebnis einer stetigen Auswertungsarbeit begriffen werden theoretisch! Die Selektionskriterien der Beobachtung unterliegen aber nicht nur dem analytischen Verständnis der Ethnografin, sondern auch den Bewegungen des Forschungsfeldes. Die Selektion der Beobachtung ist stetigen Entscheidungsprozessen unterworfen, es gilt stets auszuwählen zwischen verschiedenen Orten, an denen etwas passiert, oder stringenten Fokussie rungsstrategien nachzugehen. Aber auch dabei bietet sich das Geschehen nicht unbedingt so an, dass es zu den Fragen passt, vieles, was den Forschungsprozess vorantrieb, wurde erst beim Protokollieren im Nachhinein entdeckt. Da die Herangehensweise an das Forschungsfeld keineswegs indifferent war, nicht lediglich herausgefunden werden sollte, was im Kindergarten geschah, sondern sich auf die Frage bezog, wie die Akteure "Qualität" im Alltag ihres Kindergartens herstellen und wie dieses Tun die Interakti64
onsmuster zwischen den Erwachsenen und den Kindern berührt, versuchte ich zunächst Strategien in den Blick zu nehmen, mit deren Hilfe die Erziehe rinnen als professionell Handelnde ihre Praxis zu verbessern suchten. Aber welche waren diese? Oder: gab es sie überhaupt? Zunächst überraschte und verunsicherte mich die Mannigfaltigkeit der Geschehnisse, über die ich mir einen Überblick verschaffte, indem ich Räume beschrieb und protokollierte, was wer dort machte. Erst nach und nach wurde mir bewusst, dass ich damit eine Kategorie der Strukturierung des Alltags entdeckt hatte, derer sich auch die Feldteilnehmer bedienten. In den Gesprächen mit Erzieherinnen, aber auch in ihren Interaktionen untereinander und mit den Kindern wurde deutlich, dass die Gestaltung des Raumes stetigen Verbesserungspraktiken unterworfen wird. Ähnlich wie die Raumgestaltung gerieten einige Praktiken der Herstellung von Qualität dann nach und nach allein deshalb in den Blick, weil sie vor einer externen und internen Öffentlichkeit präsentiert wurden und deshalb sichtbar waren. Hinweise wie Plakate im Treppenhaus, Handzettel, Einladungen, aber auch die Mitteilungen von Mitarbeiterinnen, wiesen auf Aktivitäten hin, die aus dem Gewöhnlichen des Alltags hervortraten, die Neuanschaffung verschiedener Materialien, Spielzeuge, Gebrauchs gegenstände etc. zeugten als Artefakte von neu eingeführten Praktiken ihrer Nutzung. Die Fokussierung darauf bündelte sich in der Forschungsfrage, wie die Erzieherinnen den Erwartungen des Trägers nach personeller und orga nisatorischer Effizienz und einem kunden- und wettbewerbsorientierten beruflichen Selbstverständnis gerecht zu werden versuchten. Gab es neue pädagogische Technologien, die das Verhältnis zwischen Kindern und Erwachsenen bzw. Erzieherinnen veränderten (effizienter machten), denn dass die Planung des Alltags flexibel sein sollte und es deshalb zwischen den Erzieherinnen viel zu organisieren gab, dass viel Zeit für Verwaltungsaufgaben aufgebracht werden musste, davon zeugten häufige Wechsel der Erzieherinnen in die Nachbargruppen, aber auch zahlreiche Telefonate zwischen den Gruppen zum Zweck von Absprachen, viele, viele gefüllte Kita-Ordner, viele Stunden mühsamer Auseinandersetzung mit der neuen Verwaltungssoftware des Trägers, Leiterinnen- und Mitarbeiterinnenfortbildungen, neue Hygiene- und Sicherheitsauflagen etc. Wie wäre bei dieser Reduktion personeller Ressourcen zugleich ein guter Kindergarten herzustellen? Der andere Schwerpunkt der Fokussierungen lag auf den Kindern und der Frage, wie sich für sie der Alltag konstituierte. Welche Erfahrungen machten sie dort? Was konnte man dort lernen? Wie bezogen sich die Kinder auf die Erwachsenen und wie bezogen sie sich aufeinander? Welche Praktiken bestimmten ihren Alltag und welches Wissen leitete sie dabei?
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Konnte man aus dem Kindergartengeschehen so etwas wie eine eigene Sozialwelt der Kinder herausdividieren? Konnte die Art, wie sich Kinder aufeinander bezogen, mit einem Konzept der Kinderkultur (Krappmann 1993; KrappmannjOswald 1997; Corsaro 1990, 1992a, 1993, 1998) in Übereinstimmung gebracht werden? Gab es so etwas wie eine Binnenstrukturierung der Sozialwelt der Kinder in unterschiedliche Akteurgruppen, die sich als Gruppen aufeinander bezogen? Welche Kategorien leiteten dann die Teilnehmerschaft?
3.2
Phasen der Teilnahme
Die Beforschung des Feldes "Kindergarten" ist trotz vieler Brechungen, aber auch notwendiger Kontrastierungen (StraussjCorbin 1996) als eine konti nuierliche Bewegung von außen in verschiedene Binnenbezirke des sozialen Geschehens zu beschreiben. Sie lässt sich zeitlich in Phasen einteilen: • Eine Phase des Zugangs über Fachberatung, Gesamt- und Standortleiterinnen, in der die professionellen Akteure die Rolle der Informanten gegenüber der fremden Forscherin übernahmen. • Eine Phase des Eintrittes in den konkreten Kindergartenalltag, in der sich Informationsgespräche mit Erzieherinnen und periphere Beobachtungen des Geschehens verknüpften. • Eine Phase des Wechsels zwischen peripherer Beobachtung und Teilnahme am üblichen Alltagsgeschehen (z.B. mit einer Erzieherin und Kindern gemeinsam an einem Basteltisch sitzen, mich im Gruppenraum am Gespräch der Erzieherinnen untereinander beteiligen, mit ihnen frühstücken oder mit Kindern in der Bauecke bauen oder beim täglichen Sitzkreis mitmachen, etc.). Die Initiative ging oft von den Feldteilnehmern aus, häufig wollten sie mir den Kindergarten zeigen. • Eine Phase des Wechsels zwischen peripherer und fokussierter Beobachtung in einem mehr oder minder offenen, für alle Feldteilnehmer prinzipiell zugänglichen (öffentlichen) Bereich (z.B. das Spielen mit Kindern in einzelnen Spielbereichen). • Eine Phase des Wechsels zwischen Alternieren von peripherer und fokussierter Beobachtung und Fokussierungen in exklusiven Bereichen (Team-Besprechung, Vorschulausschusssitzung, reflektierende Gespräche und Interviews mit einzelnen Mitarbeiterinnen, Teilnahme an den religionspädagogischen Angeboten zur Vorbereitung
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der Kinder auf die Schule, Interviews mit Mitarbeiterinnen der Arbeitsstelle für Integration, die als externe Mitarbeiterinnen über die Förderung einzelner "Problemkinder" im Kindergarten eine eigene Sichtweise auf die Geschehnisse entwickeln. Die Aufteilung in zeitliche Phasen und die mit diesen verbundene Selektivität der Beobachtung dokumentiert zugleich die Entdeckung eines gewissen Ordnungscharakters des sozialen Geschehens im Kindergarten, der durch Partizipationsmöglichkeiten an Aktivitäten unterschiedlicher Akteurgruppen festgelegt ist. Für den Zugang zur Sozialwelt der Kinder nahm ich ähn lich wie Corsaro eine für Erwachsene atypische Rolle ein: Weder initiierte oder beendete ich Episoden unter Kindern noch trat ich als Vermittlerin bei Streitigkeiten auf oder koordinierte und dirigierte auf irgendeine Art das soziale Geschehen. Ich verhielt mich als zurückhaltende, mich informierende Teilnehmerin, mit Corsaros Worten "peripheral participant" (Corsaro 1993:65). Beobachtungen und Fokussierungsprozesse kommen nie einfach nur aufgrund der theoretischen Auswertungen des Materials, seiner Kodierun gen, Verdichtungen, Kontrastierungen zustande, sondern sind immer an die Möglichkeit der Partizipation an sozialen Ereignissen, Settings etc. geknüpft. Auch darin erweist sich, dass der .Methodenzwang primär vom Gegenstand und nicht von der Disziplin ausgehen muss" (AmannjHirschauer 1997: 19). Im Zuge des Forschungsprozesses wurden kontrastierende Verfahren (GlaserjStrauss 1998) verwendet, um die Beobachtungen auf die Beantwortung bestimmter Fragen hin zu fokussieren, aber andererseits auch den Blick zu öffnen für Dinge, die bis dahin unwichtig erschienen. Interpretation und Analyse der Materialien erfolgte unter Anwendung textanalytischer (Böhm 2000; von Polenz 1988) und semantischer Verfahren, wie sie von Spradley (1980), aber auch von MaederjBrosziewski (1997) entwickelt wurden. Neben dem kulturellen Bedeutungsgewebe (Geertz 1987), das anhand der Protokolle interpretiert wird, analysiere ich aber auch die Logik des Geschehens, die Grammatik der aufeinander bezogenen Handlungen, so wie sie in den ethnografischen Protokollen zur Darstellung kommen. Ich betrachte sie im ethnomethodologischen Sinn als Methoden der Herstellung von Realität, die den Teilnehmern selbst nicht zugänglich sind, da sie im Modus des Selbstverständlichen liegen.
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3.3
Fokussierungs- und Verdichtungsstränge
Den ethnografischen Prozess dominierten entsprechend der methodologisehen Überlegungen zwei Beobachtungsfokusse. Der erste richtet die Aufmerksamkeit auf die Perspektivität zwischen den Akteuren, der zweite auf die Operationen des Verbesserns. Jeder der beiden Stränge vereint eine Vielzahl thematischer Elaborate im Sinne des empirischen Konstruktivismus (Knorr Cetina 1989 , 1995; Kelle 1997b). Diese werden ihrerseits zueinander in Beziehung gesetzt und münden in ethnografischen Verdichtungen erster Ordnung. In ihnen werden Teilaspekte des Geschehens in einer theo retischen Perspektive gebündelt. Für den ersten Strang ist diese Perspektive die der Generationalität, für den zweiten die der Qualität. Beide werden abschließend in einer organisationstheoretischen Perspektive zweiter Ordnung wiederum aufeinander bezogen und zu Aussagen verdichtet. Die beiden Verdichtungsstränge ergaben sich - wie im Folgenden zusammenfassend skizziert wird - aus dem methodologischen Zugang zur Problemstellung. Aus den theoretischen Überlegungen zur Organisation des Erfahrungsraumes Kindergarten war einerseits hervorgegangen, dass der Identifikation von Ordnungen deshalb eine zentrale Bedeutung zukommt, weil sie dem Geschehen jene Stetigkeit verleihen, anhand derer Erfahrung überhaupt möglich ist. Ordnungen sind dem Geschehen in Form von Praktiken und Routinen eingeschrieben, welche ihrerseits aber nicht direkt erkennbar sind, sondern vielmehr aus Situationen und dem Vergleich von Situationen erschlossen werden können. Die Bedeutung institutionalisierter Praktiken besteht darin, dass sie Relationen von Akteurgruppen zueinander herstellen und Erziehung als Person-Werdung in den Zusammenhang zur "objektiven Realität von Perspektiven" (Mead 1927/1964; zit. n. Lüscher 1990) stellt. Kurt Lüscher (1990, 2001) hat deren Bedeutsamkeit in Anknüpfung an Mead für ein Verständnis der Sozialisation entfaltet. Eine Perspektive bezeichnet im Denken Meads die wechselseitige Beziehung zwischen dem Individuum und der Welt, sie existiert als eine objektive Realität. Erkennen und Handeln sind nicht jenseits einer Perspektive möglich. Perspektiven haben ihrerseits eine Identität stiftende und eine Realität stiftende Funktion. Die Hervorbringung sozialer Wirklichkeit und die Konstitution des Subjektes bedingen sich wechselseitig. "Erkenntnis ist (...) an die Bedingung von Sozialität gebunden; es gilt aber auch umgekehrt, dass die Sozialität untrennbar mit der Vorstellung einer Realität als Emergenz verbunden ist." (Lüscher 1990: 257)
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In Situationen als Kontexten der Kopräsenz von Akteuren wird die Perspektivität von Akteuren bzw. Akteurgruppen zugleich handlungsrelevant sowie Medium der Konstruktion und Erfahrung von Identität Zugleich kann an Situationen studiert werden, durch welche sozialen Objekte die Perspektivität hergestellt wird, d.h. in Bezug worauf die Akteure ihr Handeln koordinieren. Ausgehend von diesen Überlegungen untersucht der erste Strang eth nografischer Beschreibungen (Ergebnisse 1) auf der Ebene von Situationen die Ordnungen, innerhalb derer sich Kinder auf Kinder, Erzieherinnen auf Erzieherinnen ebenso wie Erzieherinnen und Kinder aufeinander beziehen. Welches sind die Referenzkontexte ihrer Interaktion, anhand deren sie ihre Gleichheit bzw. Differenz situativ hervorbringen? Dabei wird auch danach gefragt, wie die Akteurverhältnisse von den Settings der frühpädagogischen .Sozialformen", d.h. dem Freispiel, den Angeboten und den Sitzkreisen strukturiert werden. Die ethnografische Beschreibung des Geschehens arbeitet sich dabei an Situationsschilderungen entlang und führt sie in "rhi zomartigen" Verdichtungen (DeleuzejGuattari 1977) zusammen, um die Ordnungen der Bezogenheit sichtbar zu machen. Die zweite entscheidende Erkenntnis, die aus den organisationstheoretischen Überlegungen hervorging, bestand darin, dass Organisationen in ihren Ordnungen die von außen kommende gesellschaftlichen Erwartungen bearbeiten. Diese Erkenntnis zielte ethnografisch darauf, Praktiken zu identifizieren, die an die extern und intern virulente Ambition anknüpfen, den Kindergarten zu verbessern. Mit der Identifikation solcher Qualitätspraktiken, die gleichsam laufend auf das Geschehen einwirken, war es möglich, konkrete Situationen nicht allein für sich zu betrachten, sondern sie in den Zusammenhang von Dynamik, Wandel und Steuerung zu stellen und sie damit als Momente der Restrukturierung von Kindheit zu behandeln. Qualitätspraktiken verbinden insofern die Außenwelt mit der Innenwelt des Kindergartens, stellen sich in der Normierung und Verstetigung von Handlungsvollzügen als Stabilisatoren und Transformatoren situierter Begegnungen von Akteuren dar und sind als Operatoren der Perspektivität ein mächtiges Agens der Erzeugung von Erfahrungswelt(en). Als solche stehen sie in einem fortwährenden Spannungsverhältnis zur situierten Praxis des Geschehens, begleiten die "zeitlichen Spannen der Kopräsenz von Akteuren" (Giddens 1997) gleichsam als Legitimations- und Bewertungsmaßstäbe und stellen insofern ein dynamisches Moment der Produktion und Reproduktion kultureller Praktiken dar. Anders als bei der textlichen Aufbereitung der Interaktionstypen folgt die ethnografische Darstellung der Qualitätspraxen den Suchstrategien der
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Ethnografin, die an konkrete Qualitätserwartungen (z.B. die Dokumentation der Entwicklung der Kinder] anknüpfend Situationen ihrer internen Bearbeitung gezielt aufsucht, den Prozess der diskursiven und operativen Behandlung von Verbesserungsambitionen begleitet und neu sich formierende Praktiken daraufhin befragt, wie sie die soziale Grammatik von Akteurbeziehungen transformieren.
3.4
Der Kindergarten S. - Standort einer Modelleinrichtung
Der Kindergarten S. ist einer von 11 Standorten einer Modelleinrichtung, die sich an der Erprobung einer Restrukturierungsmaßnahme seines Trägers beteiligt. Die Fachberatung, die mir den Kindergarten vermittelte, weiß, dass es in diesem Kindergarten immer schon um den Anspruch ging, ein "guter" Kindergarten zu sein. So ist bei meinem ersten Besuch der Einrichtung denn auch gleich die Rede von den pädagogischen Zielen. Die Gesamtleiterin, die mir als ehemalige Leiterin des Kindergartens den Kindergarten vorstellt, spricht allgemein von den Zielen, die mit der Organisationsreform verknüpft sind. Im pädagogischen Bereich ist die Rede von der Verwirklichung des Situationsansatzes, Offenen Gruppen, Elternarbeit und Qualitäts entwicklung. Zugleich werden in diesem Zusammenhang auch die beruflichen Profile der Erzieherinnen genannt: Sie müssen Persönlichkeiten sein, die kooperativ und flexibel sind, eigene Ideen entwickeln, sowie über das Know-how verfügen, diese auch umzusetzen. Sie benötigen eine gute Ausbildung und Allgemeinwissen, denn sie sollen die Einrichtung auch nach außen gut darstellen können. Angesichts der vorauseilenden Qualitätsurteile sind die ersten Eindrü cke ernüchternd. Der Kindergarten liegt in einem wenig einladenden, maroden Wohnviertel. Das Gebäude, in dem er sich befindet, ist nicht als Kindergarten konzipiert, sondern eher zu diesem Zweck ein wenig umgerüstet. Er verfügt über insgesamt vier Einheiten auf zwei Etagen, von denen drei für die Kindergartengruppen benutzt werden. Die Strukturierung der Räume ist in den drei Gruppen weitgehend übereinstimmend. Man gelangt durch einen kleinen Flur in den eigentlichen Gruppenraum, der seinerseits wiederum segmentiert ist in einen großen Hauptraum und zwei Nebenräume, die "Zimmer" sind jedoch durch große Durchgänge miteinander verbunden. Zu Beginn des Forschungsaufenthaltes waren sie offen, später wurden sie nach und nach entweder durch Vorhänge potentiell verschließbar gemacht oder durch Stoffwände separiert. Insgesamt wurde der Raum über den zeitlichen
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Verlauf des Forschungsprozesses stärkeren Segmentierungen unterzogen. In der vierten Einheit des Gebäudes befindet sich ein größerer Raum, der als "kleine Turnhalle" umgerüstet ist, ein Mitarbeiter- und Konferenzraum der Erzieherinnen, eine Küche und ein Garderobenraum der Kinder, der zum Freigelände führt, einem lang gestreckten Hang, der mit zwei Sandkästen und einigen kleineren Spielgeräten bestückt ist Die räumlichen Gegebenheiten des Hauses lassen den Kindergarten als ein Dach von drei Kindergartengruppen erscheinen, auf die auch schon die drei unterschiedlichen Klingelschilder an der Eingangstür hinweisen. Unterstrichen wird diese Gegliedertheit durch das Treppenhaus, das als ein unbelebter, "kalter" Raum Grenzen zwischen dem Drinnen der Gruppen und einem unpersönlichen Draußen schafft. Steinstufen und -treppen ebenso wie der Hall des Treppenhauses wirken geradezu abweisend. Die weiß gestrichenen Wände werden zwar für Aushänge des Kindergartens oder des Vorschulausschusses genutzt, Informationen, Bitten, Mitteilungen werden den Eltern in Form von Plakaten bekannt gegeben. Auch dienen sie als Ausstellungsflächen für die Mal- und Bastelprodukte der Kinder. Insgesamt stellt das Treppenhaus aber auch dadurch nicht einen Ort der Kommunikation und Begegnung dar. Vor dem Hintergrund dieser räumlichen Gegebenheiten erscheint das Konzept der "Teiloffenen Gruppen", durch welches die Mitarbeiterinnen der Ethnografin die Praxis ihres Kindergartens darstellen, als Kontrast, denn der Offene Kindergarten, wie er programmatisch u.a. von RegelfWieland 17 (2001; BeekjBuckjRufenach 2001) entwickelt wurde, sieht gerade eine Auflösung der Gruppensegmentierung vor. Entsprechend kommt dem Flur als einem "öffentlichen", das heißt nicht durch die Sonderregelungen einer Kindergartengruppe bestimmten Ort, eine große Bedeutung zu. Er soll ein offener Raum für Erkundungen, Begegnungen und Ausstellungen von Produkten sein, eine Art "Markt". In der Darstellung der Erzieherinnen erscheint das Konzept allerdings nicht in seinen inhaltlichen oder programmatischen Zielen, nämlich den Kindern eine Umgebung für ihre Selbstbildungsprozesse zu schaffen, vielmehr beziehen sich die Darstellungspraktiken auf die Organisation der Verteilung der Kinder auf den Raum. Wie das Konzept funktio niert, erklären die Erzieherinnen durch den Gebrauch einer Magnettafel, die
17 Das Erziehungsverständnis des Offenen Ansatzes stützt sich auf das Recht des Kindes auf Selbstbestimmung und eine eigene Lebensform. Erzieherinnen sind entsprechend gefordert:, Freiräume zu schaffen und den Kindern die Chance zu geben, eigene Fähigkeiten zu entdecken und an sich selbst zu glauben. Räume und Materialien spielen eine entscheidende Rolle. Sie sollen die Kinder zum "freien Spiel" anregen.
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in jeder Gruppe hängt und mit deren Hilfe die Kinder unabhängig von den Erwachsenen ihre Aufenthalte in anderen Gruppen selbst so regulieren, dass eine Übervölkerung einzelner Räume vermieden wird. Außerdem sollten die Schwerpunktbereiche (Rollenspielecke, Kreativ- und Sinnenbereich), die als zweiter Baustein des Konzeptes in jeder Gruppe eingerichtet wurden, entsprechend der programmatischen Leitidee des Offenen Kindergartens der flexiblen Nutzung durch die Kinder überlassen werden. Diese sollten sich frei über die Räume verteilen und ihren Interessen entsprechend wählen können, wo sie sich aufhalten. Dieser Part der Konzeption hat den Berichten der Erzieherinnen zufolge jedoch nicht funktioniert Die Kinder wollten mehrheitlich in ihren Gruppen bleiben, auch eine .Anschubhilfe" brachte das Konzept nicht recht zum Funktionieren: Eine Deponierung der von allen ben ötigten Scheren in einer Gruppe verursachte lediglich "Rennerei" im Haus, nicht die gewünschte Bereitschaft der Kinder den "ganzen" Kindergarten zu entdecken. Von einem Offenen Kindergarten kann vor diesem Hintergrund (noch) nicht die Rede sein. "Es funktioniert hier eben nicht", berichtet eine Erzieherin, die zuvor in einem Offenen Kindergarten gearbeitet hat. Trotzdem betonen alle Mitarbeiterinnen ganz unabhängig voneinander den Bezug ihrer Arbeit auf das gemeinsame Konzept, das die beiden Bausteine "Teiloffene Gruppen" und .Schwerpunktangebote" als programmatische Bezugspunkte miteinander kombiniert
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4
Pädagogische und nicht-pädagogische Ordnungen (Ergebnisse 1)
4.1
Pädagogik als symbolische Ordnung
Über das Selbstverständliche braucht man nicht zu reden. Worüber man im Kindergarten nicht mehr reden muss, ist, dass für einen großen Teil dessen, was die Kinder tagsüber tun, die Einmischung der Erzieherinnen nicht vorgesehen ist. Denn die Spiel- und Entwicklungswelt des Kindergartens ist eine Art Self-Service: Räume und Materialien sind so arrangiert, dass sich die Kinder ihrer bedienen. Sie bilden gleichsam eine materialisierte Referenz auf eine Theorie der Selbstbildung. Danach beschreiben "Lernen", "Sich-Entwickeln", "Soziale Fähigkeiten herausbilden" als diskursive Leitbegriffe der Frühpädagogik ein kulturell geteiltes Wissen darüber, dass sich Kinder vermöge eines von ihnen selbst ausgehenden Prozesses, der ihrer Eigentätigkeit bedarf, allmählich - über viele Zwischenstufen hinweg - zu Erwachsenen transformieren. Als Erzieherin soll man möglichst nicht eingreifen, Kinder also nicht dazu zwingen, sich den Gepflogenheiten der Erwachsenen anzupassen. Als Programmatik einer "Pädagogik der Selbstbestimmung" (Zimmer 1973: 7 ff.) ist diese Leitidee der Autonomie des Kindes wegweisend für die anerkannten Konzepte des Kindergartens (Situationsansatz, Offener Kindergarten). Als Symbolik ist der Bezug zu diesem anthropologischen Wissen im Kindergarten allgegenwärtig. Es stiftet den eigentlichen Horizont, auf den hin pädagogische Praxis ihren Sinn definiert Die anthropologischen Wesensbestimmungen des Kindes und seiner Lerndispositionen stellen insofern eine universale Organisationsressource dar, durch welche Raum und Zeit zu pädagogischem Raum und pädagogischer Zeit definiert werden. Davon zeugen nicht nur die Dekore, wie etwa die dem Besucher dargebotenen Sammlungen, Ausstellungen, Produkte, die auf kindliche Phantasie und Kreativität hinweisen, auch nicht lediglich die Konzepte und Programme, auf deren Leitideen und Methoden sich die Mitarbeiter verpflichten, ebenso wenig wie die vielen Hinweise auf Angebote, bei denen mit Kindern gemalt, gesungen, theatergespielt etc. wird. Vielmehr erscheint der Kindergarten in seiner Totalität als ein spezialisiertes Universum kindlichen Lernens und Sich-Entwickelns. Dabei scheinen die frühpädagogische und wissenschaftliche Wissensproduktion mit ihren Disziplinen und Teildisziplinen in ihrer
P. Jung, Kindertageseinrichtungen zwischen pädagogischer Ordnung und den Ordnungen der Kinder, DOI 10.1007/978-3-531-91746-7_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009
Heterogenität nebeneinander verräumlicht und verzeitlicht. So korrespondieren etwa den entwicklungspsychologischen Teildisziplinen die sog. .Entwicklungsbereiche". Als Areale, in denen bestimmte Aktivitäten und Lernaufgaben für Kinder angesiedelt sind, semantisieren sie einen didaktischen Bezug zu den einzelnen entwicklungspsychologischen Wissensbereichen. Ebenso ist etwa die humanistische Bildungsidee mit der zeitlichen Organisation des Lernens im Freispiel verknüpft, wohingegen die sog. Angebote, die ganz gezielt auf die Förderung spezifischer Kompetenzen ausgerichtet sind, einem anderen, nämlich operationalisierenden Bildungsbegriff zuzuordnen sind. Gegensätze der Wissensproduktion stellen für die Praxis keine Gegensätze dar, vielmehr werden theoretische Widersprüche als nebeneinander realisierte Möglichkeiten des Lernens in den Routinen des Alltags kultiviert. Die Rollenspielecke als häuslich familialer Bereich, der Bauteppich, Kreativbereich und Maltisch ebenso wie die Puzzles, die Steckspielzeuge und das didaktische Material Montessoris reproduzieren kulturell vermittelte universelle Sinnbezüge des Lernens in früher Kindheit. Als in Orten und Dingen kodiertes Wissen der Erwachsenen über Kinder rahmen sie als Spielanregungen die Begegnungen der Kinder. Zugleich semantisieren der Raum und sein Inventar die Perspektivik zwischen Kindern und Erwachsenen als ein Verhältnis, durch welches das frühpädagogische Wissen über Kinder in seiner vergegenständlichten Form zum selbstverständlichen, nicht mehr bewussten Hintergrund der Interaktionen zwischen Kindern und Erzieherinnen wird. Daher zeugen die Artefakte und die offene Organisation des Kindergartens zwar von einer für das Lernen der Kinder raumlassenden "Umgebung", zugleich ist aber die Idee des Kindes als Lern- und Entwicklungswesen ein Medium der pädagogischen Kommunikation und daher in den institutionalisierten Wahrnehmungsmustern von Kindern dauernd wirksam.
4.1.1 Sozialformen als Regulative der Begegnung zwischen Kindern und Erzieherinnen
Während allerdings die Idee des Kindes als eines lernenden und sich entwickelnden Wesens zur Theorie der Frühpädagogik gehört und überwiegend in den Köpfen von Erwachsenen, insbesondere Pädagogen, angesiedelt ist, ist der Alltag des Kindergartens - vermittelt durch Konzepte und Program-
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me - durch Sozialformenw strukturiert: Freispiele, (gezielte) Angebote, Sitzkreise. Sie sind die legitimen professionellen Arrangements, die den Ideen korrespondieren. Daher ist die Herstellung und Aufrechterhaltung dieser didaktischen Formen Kern und Ziel der aufeinander bezogenen Interaktionen zwischen den Erzieherinnen und den Kindern. Hierbei geht es in der Regel allerdings nicht um die Frage, was die Kinder genau tun, das heißt, welches ihre Fragen, Themen und Inhalte sind, sondern darum, dass die Kinder tun, was Kinder in den jeweiligen Formen ermöglicht werden soll. Für die Freispielzeit etwa ist dies z.B. Malen, Bauen, Puzzeln, Steck- oder Regelspiele machen, mit anderen Kindern in der Rollenspielecke spielen oder sich mit Bilderbüchern in der Leseecke beschäftigen. All diese Beschäftigungen sind gleichbedeutend mit Sich-Entwickeln und Lernen. Die Optimierung dieser Möglichkeitsformen leistet die Organisation, sie multipliziert den Raum in separate Orte und parallelisiert Zeiten. Auf diese Art und Weise können die verschiedenen Aktivitätsarten mit ihren jeweiligen pädagogischen Sinnbe zügen ,nebeneinander' kultiviert werden. Aber anders als die Schule, die in ihrer formalen Organisation vom strikten Reglement der Stoffverteilung, dem Unterricht, den minutiösen Zeitschemata (wie etwa der Unterrichtsstunde) durchdrungen ist, wird der Kindergarten von einer offenen und flexiblen Planung bestimmt. ,Dinge' sollen ermöglicht, nicht aber vorgeschrieben werden. Es soll also in stärkerem Maß Initiative der Akteure sein, sie in Gang zu setzen. Dabei versteht es sich von selbst, dass diese Organisa tion in ihrer Komplexität und inneren Differenzierung ihren Akteuren Aufgaben stellt: nicht nur den Mitgliedern der Organisation, etwa dem pädagogischen Personal, sondern auch den Kindern. Was sich in der Theorie der Frühpädagogik als Herstellung einer anregungsreichen Umwelt liest, die gleichsam um die kindliche Eigentätigkeit herum konstruiert ist, transformiert die Organisation in Arrangements, die es zunächst einmal grundsätz-
18 Der Begriff ist der Schulpädagogik entnommen. Dort bezeichnet er Methoden des Unterrichtes und kennzeichnet unterschiedliche Interaktionstypen, in denen Lehrer mit Schülern und Schüler mit Schülern im Hinblick auf die Unterrichtsziele zusammenarbeiten. Sozialformen des Unterrichtes sind z.B. der Frontalunterricht, das fragend-entwickelnde Unterrichtsgespräch, der Gruppenunterricht, Projektunterricht Die Sozialformen unterscheiden sich einerseits hinsichtlich der Zentriertheit des Unterrichtsgeschehens auf den Lehrer und - damit zusammenhängend - auf die Vorbestimmtheit der Unterrichtsziele durch den L.ehrer bzw. durch Stoffpläne und die Möglichkeit der Definition von Lernzielen durch die Schüler. Direktiver Frontalunterricht und Projektunterricht gelten für die Schule als zwei Extreme, die das Spannungsfeld zwischen schülerzentriertem und lehrerzentriertem Unterricht festlegen.
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lieh gilt aufrechtzuerhalten, weil in ihnen pädagogischer Sinn verstetigt wird. Damit wird in erster Priorität bestimmtes Tun an bestimmten Orten angesiedelt. Kinder müssen dann ihre Absichten, Wünsche und Aktivitäten mit den Imperativen, Regeln und Ressourcen in Übereinstimmung bringen, durch welche diese Sinnbezüge lokalisiert und auch verzeitlicht werden. Es gilt dabei vieles zu beachten, was zuvor erst systematisch als Regel oder Ressource zum Erfolg erkundet werden muss. Die Handlungen von Kindern und Erzieherinnen sind dabei insofern aufeinander bezogen, als sie den pädagogischen Sinn der Erwachsenen mit dem Tun der Kinder und deren jeweiligen Sinnhorizonten verknüpfen. Was allerdings für die Erwachsenen Pädagogik ist, offenbart sich Kindern als Herausforderung des Alltags. Was Selbständigkeit in diesem Zusammenhang genau heißt, gilt es daher nicht in der Idee oder dem Programm, sondern in den Alltagsvollzügen zu studieren. In diesem Sinn tasten sich die folgenden ethnografischen Schilderungen und Berichte an Alltagsszenen entlang, um den selbstverständlichen Praxen jene Herausforderungen abzulesen, deren Bewältigung jeweils vorausgesetzt ist.
Das Freispiel Die Logik der zeitlichen Untergliederung des Geschehens in unterschiedliche Sozialformen bringt es mit sich, dass jede beliebige Situation im Spannungsfeld zu den Sinnbezügen der jeweils aktuellen, das heißt der gerade stattfindenden Sozialform steht. Daher müssen die Herausforderungen des Kindergartenalltages vor dem Hintergrund der Erwartungen und impliziten Aufgaben betrachtet werden, die sich im Rahmen der Verwirklichung dieser Sozialform stellen. In den folgenden Beschreibungen stehen entsprechend Szenen im Zentrum der teilnehmenden Betrachtung, die sich während der Zeit des Freispiels ereigneten. Spiele-Tisch: Ich sitze hinter dem Spiele-Tisch aufdem Bänkchen, wo ich einige Eintragungen in mein Feldtagebuch mache. Zwei Mädchen schauen zu mir herüber, während sie sich noch an einem Setzbrett zu schaffen machen. Während sie es einräumen, machen wir uns miteinander bekannt Eines der Mädchenjragt, ob ich ein Puzzle mitmache. Ich bin einverstanden. Sie stellt den Kasten mit den Würfelchen ins Regal und kommt mit einer Kiste von Puzzle-Einzelteilen zurück Auf der Rückseite haben die Puzzles ein unterschiedliches Muster. Die einen sortiert sie aus der Schachtel heraus, 76
die anderen stellt sie mir hin. Es sind offensichtlich zwei Puzzles, eines legt sie vor sich und beginnt, die Teile zusammenzufügen, das zweite - so weist sie mich mit dem Zeigefinger an - soll ich in Angriffnehmen. Ich beginne mit meinem Puzzle. Nach einer Weile ist sie fertig, ich aber noch nicht Ich frage, ob sie mir ein wenig helfen könne . Das macht sie gerne. Gemeinsam haben wir es bald komplett In beiden Puzzles fehlen einzelne Teile, sodass wir sie nicht völlig fertig machen können. Dann räumt sie die Puzzle-Teile wieder ein und stellt sie ins Regal. Ob wir noch was spielen könnten, gemeinsam, fragt sie mich. Vielleicht ein Memory?
Die Situation, die die Forscherin hier als Teilnehmerin von innen beschreibt, lässt die Benutzung der Spiele als eine Routine der Kinder erscheinen, die einer Einmischung vonseiten der Erwachsenen nicht bedarf. Vielmehr ist es hier die Erwachsene, der die unterstützende Zuwendung der Kinder zuteil wird. Der Erfahrung der Situation aus der Binnenperspektive lassen sich eine Reihe von Beobachtungen zuordnen, die von der Ethnografin aus einer peripheren Perspektive angestellt wurden. Der Spiele-Tisch wird allmorgendlich von kleineren Kinder-Grüppchen frequentiert, die sich dann mit den Lege-, Steck-, Würfel-, Geschicklichkeits- und Regelspielen beschäftigen. Nicht selten greifen die Kinder gerade immer wieder auf die gleichen Spiele und Puzzles zurück, woraus sich ihr routinierter Gebrauch erklären lässt. Der Zuwendung der Erzieherinnen bedarf es eigentlich nur dann, wenn ein neues Spiel angeschafft oder ausprobiert wird. Der überwiegend selbstinitiativejeigenständige Gebrauch der angebotenen Spiele durch die Kinder verweist auf ein Interaktionsverhältnis zwischen ihnen und den Erzieherinnen, das sich über Darbietung und richtige Nutzung von Gegenständen definiert und dessen Legitimität sich in den Verselbstverständlichungen alltäglicher Praktiken immer wieder neu bekräftigt. In ihnen erscheint der eigenständige Umgang von Kindern mit Raum und Spielmaterial des Kindergartens als eine Selbstverständlichkeit, die des kommunikativen Austausches zwischen Erzieherinnen und Kindern nicht mehr bedarf. Lesesofa Ein noch kleineres Mädchen sitzt allein auf dem Sofa und betrachtet intensiv ein Bilderbuch. Es blättert nacheinander die Seiten um und studiert jedes einzelne Bild sehrgenau.
Dass der Zugriff zu den Bilderbüchern nicht mehr wie früher den Erzieherinnen vorbehalten ist, sondern die Bilderbuchecke als Lese-Service-Bereich 77
zum Standardangebot des Kindergartens gehört, ist eine der stummen Indizien, die im organisatorischen Wandel des Kindergartens auf ein verändertes Bild vom Kind schließen lässt Die geschilderte Situation zeigt eine der möglichen Normalsituationen im Umgang mit dem Leseangebot: Versenkung, die Auseinandersetzung des Kindes mit dem Bilderbuch, das eigentätige Lernen ist eines der angestrebten Ideale. Weil Eigenständigkeit funktioniert, bedarf es der Intervention nicht In anderen Situationen hingegen wird die Eigenständigkeit der Kinder belohnt, ja anerkennend hervorgehoben. Bei einem Bastelangebot oder in der Bauecke ist es nicht völlig selbstverständlich, dass die Kinder etwas zu Ende bringen. Deshalb dürfen sie erwarten, für ihre Anstrengung, aber auch für das Produkt, das sie hergestellt haben, von den Erzieherinnen schon mal gelobt zu werden. Dass sie, wie in der folgenden Situation geschildert, der Ethnografin das Produkt stolz zeigen, verweist auf die Annahme einer geteilten Auffassung darüber, dass ein ausdauerndes, intensives Arbeiten an einer Sache, die auch von ihrem Ergebnis her (nämlich als Produkt) gelungen ist, eine eigenständige Leistung darstellt, die von Erwachsenen anerkannt wird. Bauecke In der Bauecke sind etliche Kinder. Ich kann von hier aber kaum hinüber sehen. Es herrscht rege Beschäftigung drüben. Später, als ich mit ]anna puzzle, schieben die Kinder aus der Bauecke ein großes Gebäude aus Dupla-Steinen zwischen uns auf das Regal. Sie zeigen es mir stolz und sagen, sie stellen es jetzt nur dahin, morgen würden sie weiterbauen.
Normalerweise werden die Bausteine am Ende der Freispielphase in die am Rand der Bauspielecke platzierten Kästen eingeräumt, wenn dies aus gegebenem Anlass nicht geschehen soll, bedarf es einer Verständigung mit den Erwachsenen. Die Eigenständigkeit erweist sich in dieser Situation als ein vorausschauendes Planen der eigenen Aktivitäten. Nur wenn die Eigenständigkeit bei einzelnen Kindern nicht dauerhaft funktioniert, bedarf es einer speziellen Unterstützung. Diese kann aber meist nicht mit den Ressourcen der Einrichtung bereitgestellt werden, sondern es bedarf einer zusätzlichen fachlichen Förderung von außen. Im Fall von Carolin, die eine schwere Sehbehinderung hat, wird diese Hilfe von einer Mitarbeiterin der Arbeitsstelle für Integration (AfI) geleistet Frau Dorn (AfI) kommt mindestens zweimal in der Woche in den Kindergarten, um Carolin zu unterstützen. Ihre Aufgabe besteht darin, Carolin zu fördern. Sie verfolgt, wie alle Mitarbeiterinnen der AfI, einen lebensweltlichen Ansatz
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und beobachtet das Verhältnis zwischen Carolin und ihrer Umwelt Sie hält sich häufig in Carolins Nähe auf, beobachtet sie im Alltag, beim Spiel, in der Interaktion mit anderen Kindern und den Erzieherinnen. Sie kennt und spricht auch häufig mit Carolins Mutter und mit den Erzieherinnen über Carolin. Frau Dorn findet dabei heraus, welche Hilfen das Kind im Kindergarten, aber auch beim anstehenden Schulbeginn braucht Auch sie setzt auf die Eigenständigkeit des Kindes. Carolin soll lernen, sich trotz ihrer Behinderung durchzusetzen. Allerdings ist das Verhältnis von unterstützender Zuwendung und Aufforderung zu Selbständigkeit ein anderes als bei anderen Kindern. Carolin braucht mehr Anerkennung als andere Kinder und wird in den verabredeten Zeiten, zu denen die ihr zugeteilte Mitarbeiterin der Arbeitsstelle für Integration eigens für sie in den Kindergarten kommt, entsprechend beachtet, insbesondere in alltäglichen Situationen, in denen sich ihre Behinderung auf die Beziehung zu ihrer Umwelt auswirken könnte. Umgekehrt hat Carolin auch ein engeres Verhältnis zu ihr als zu den Erzieherinnen, sie weiß, dass sich Frau Dorn - Caroline nennt sie bei ihrem Vornamen Sabine - für sie Zeit nimmt und sie unterstützt Bauecke Einige Kinder spielen mit den Duplos. Am Rand steht Carolin. Auch sie hantiert mit den Duplos, allerdings nichtgemeinsam mit den anderen. Sie hat auf einer Unterlage etwas gebaut, an dem sie weiter tüftelt Sie hält das Ding so abgewandt, dass erstens deutlich ist, dass es sich um ihre Konstruktion handelt, und zweitens, dass sie nicht mit den anderen zu sammen spielt Sie schaut ab und an in meine Richtung, während ich ihr und den anderen Kindern zuschaue. Ich versuche mit Blicken Kontakt zu ihr aufzunehmen, aber sie bleibt auf Distanz. Während Frau Dorn das Bau-Konstrukt eines Jungen begutachtet, ruft Carolin hinüber zu ihr. "Schau, ich habe eine Säge für kleines Holz." Frau Dorn fragt sie, ob sie damit Baumstämme durchsägen kann. "Nein': antwortet Carolin, "Holz!" - Frau Dorn:"Stämme sind Holz!" - "Nein': verbessert Carolin, "nein, sie ist nurfür kleines Holz." Dann zeigt sie .Sabine", wie ihre Säge für kleines Holz funktioniert Frau Dorn nimmt einen kleinen Stab aus den DuploTeilen heraus und zeigt ihn Carolin: "Kannst du das zersägen mit deiner Sägemaschine?" - Carolin nimmt das Stäbchen, legt es unter die "Säge" und zeigt, wie sie mit einem an Scharnieren aufzwei "Balken" angebrachten .Siiqearm", das Stückehen "kleines Holz" zersägen könnte. Frau Dorn nimmt dies zur Kenntnis als eine Arbeit, bei der sich jemand Gedanken gemacht hat
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Die geschilderte Szene exemplifiziert, worin im Kindergarten der Sonderfall besteht Während die Interaktion zwischen Carolin und der Mitarbeiterin der Arbeitsstelle für Integration durch ein besonderes Maß an Zuwendung und das Interesse an den kindlichen Konstrukten bestimmt ist, wird die Interaktion zwischen den Kindern und den Erzieherinnen normalerweise durch einen organisatorischen Kontext definiert, der sich auf die Aufrechterhaltung organisatorischer Abläufe des Kindergartens bezieht. Hierbei geht es nicht um das Wie des Spiels, das heißt um die Bedeutungsgehalte, die die Kinder ihrem Spiel beimessen, sondern darum, dass gespielt wird, und darum, dass das Spielen der Kinder insgesamt in einen überschaubaren organisatorischen Rahmen eingebettet ist. Während nun also die Organisation des Kindergartenalltags auf pädagogisch-anthropologische Begründungssysteme verweist, die die Selbständigkeit und Autonomie der Kinder hervorheben, lässt sich an den Geschehnissen ablesen, dass auch die Kinder, die keiner speziellen Hilfe bedürfen, versuchen, sich die Zuwendung, die sie in den Sonderfördersituationen beobachten, als Potenzial zu erschließen. In diesem Sinn testet etwa im weiteren Verlauf der oben geschilderten Situation ein anderes Kind, ob das zwischen Carolin und Frau Dorn inszenierte Interaktionsmuster übertragbar ist Bauecke (Außer Carolin ist auch Hagen in der Bauecke; Er hat die Episode zwischen Carolin und Frau Dorn beobachtet) Auch er baut mit den Duplos. Jetzt zeigt er den anderen Kindern, wie robust das von ihm konstruierte Gebäude ist Er wirft es aufden Boden, um zu demonstrieren, dass es nicht kaputt geht Dann kommt er zu mir und zeigt auch mir, wie stabil das gebaute Konstrukt ist Ich nehme es in die Hand, betrachte es und [rage ihn, ob es etwas Bestimmtes ist Aber das Objekt soll nicht einen spezifischen Gegenstand darstellen. Hagen nimmt es mir wieder aus der Hand und schleudert es erneut auf den Boden. "Da': sagt er, .es geht nicht kaputt In der Tat, es ist sehr robust konstruiert, die einzelnen Bausteine sind fest ineinander gesteckt Ich betrachte das Konstrukt und prüfe es erneut auf seine Robustheit: Anerkennend gebe ich es ihm wieder zurück Dann will Hagen, dass auch Frau Dorn es anschaut 11
Die Analogie zu dem zwischen Carolin und Frau Dorn inszenierten Interaktionsmuster ist offensichtlich. Geht es für Carolin um die Funktionsweise ihrer .Sägemaschtne" für "k1eines Holz", so entspricht dies Hagens Versuch, die Stabilität seiner Duplo-Konstrukte zu verbessern. In beiden Fällen ist
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das Interaktionsgeschehen durch die Bedeutung strukturiert, die die Kinder ihren Produkten beimessen, und die empathische Zuwendung der pädagogi schen Mitarbeiterin ließe sich als Begleitung der Bildungsprozesse der Kinder lesen. Dieses Interaktionsmuster kennzeichnet allerdings den Sonderfall, nämlich den von "Sonderförderverhältnissen" zwischen Mitarbeiterinnen der Arbeitsstelle für Integration und den Kindergartenkindern. Ausnahmen bestätigen jedoch die Regel. Angesichts der vielen im Arbeitsalltag situativ gestellten Anforderungen an die Erzieherinnen kennzeichnen vielmehr Situationen wie die folgende den Normalverkehr zwischen Kindern und Erzieherinnen. Bauecke (Selim und ein kleinerer türkischer Junge sind schon eine ganze Weile in der Bauecke, Selim baut an einem Turm, der Kleinere hantiert mit Plastiktieren, die sich in einer Kiste befinden. Selim baut, während er zunächst immer wieder von dem Kleineren unterbrochen wird, ein flaches Gebäude mit einem Turm.) Zwischenzeitlich kommt Utku, er hantiert an dem Turm herum, bis er zusammenfällt Selim beklagt sich. Der Turm, der vorher zwei Bausteinreihen breit war, wird erneut aufgebaut Jetzt nimmt Selim aber keine breiten Steine mehr, die über die ganze Breite des Turmes ge hen, sondern nur noch quadratische. Das Ergebnis: es entstehen zwei unmittelbar zusammenstehende Türme. (Sie erinnern an das World-TradeCenter.) Selim und der Kleine tragen das fertige Bauwerk zu Erzieherin Karo, die am kleinen Spiele-Tischehen sitzt Selim: "Karo guck!" Diese spricht gerade mit einer Mutter, die zwischenzeitlich eingetreten ist Die beiden Jungen versuchen es noch mal, aber Karo hört sie nicht Also stellen sie das Bauwerk auf das kleine Schränkchen zwischen Bauecke und Spiele-Tischehen in Karos unmittelbare Nähe. Dann blicken sie abwech selnd auf Karo und das Bauwerk Aber Karos Blick fällt nicht darauf Selim und der Kleine verharren in dieser hoffend-erwartungsvollen Stellung eine ganze Weile. Schließlich verlassen sie die Bauecke.
In anderen Situationen ist der Verkehr zwischen Kindern und dem Kindergartenpersonal gar nicht von empathischen Formen der Gesprächsführung bestimmt, sondern folgt vielmehr der Logik betrieblicher Abläufe, bei denen die Bereitstellung von Produktionsmaterialien und der Produktionsprozess selbst reibungslos ineinander greifen. Dann sind es die Pannen, welche Anlässe zur Kommunikation stiften. Pannen können z.B. sein, dass die Kinder das Material unsachgerecht verwenden oder gar verschwenden. Manchmal
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müssen die Kinder auch gleichsam wie in einen Fertigungsprozess neu einbzw. zurechtgewiesen werden. Maltisch (Klaudia [Erzieherin], die anqesichts der seit einigen Tagen krank gemeldeten Leiterin etliche Verwaltungsarbeiten im Büro erledigen muss, hat den Kindern am Morgen Wollfäden, Kleber und Blätter auf den Maltisch gelegt und ihnen gezeigt, dass sie die Wollfäden mit dem Kleber auf den Blättern festkleben können. Wenn die Kinder wollen, können sie auch noch etwas dazu malen.] Mehrere Kinder sitzen am Maltisch. Alle arbeiten an ihren "Bildern" und sprechen dabei bisweilen. Sie tauschen sich über ihre Bilder aus oder erzählen etwas. Ab und zu kommt Klaudia herein und weist die Kinder zurecht, z.B. wenn sie Kleber auf das Blatt gießen und keine Wolle darauf kleben, oder wenn sie zu viel Kleber benutzen. Lisa, die heute zum ersten Mal im Kindergarten ist, macht immer sehr dicke Kleckse auf ihr Papier. Klaudia erklärt ihr mehrmals, dass sie das nicht darf, bevor sie den Raum wieder verlässt
Wie sehr dieses Muster von Darbietung, Instruktion und Produktion am Maltisch in ein quasi automatisiertes Zurechnungsschema von Funktionen übergeht, lässt sich dann auch an Situationen ablesen, in denen auch das Personal in seinen Aufgabenbereich noch nicht in ausreichendem Maß eingewiesen ist. In der folgenden Situation wird eine Vorpraktikantin für diese Aufgabe eingesetzt. Während die Erzieherin im Büro wichtige Verwaltungsund Koordinationstätigkeiten erledigt, sorgt nun diese für den reibungslosen Ablauf des Malens, Da sie die einzelnen Vollzüge, die in diesem Zusammenhang geleistet werden müssen, noch nicht verinnerlicht hat, übernehmen hier ausnahmsweise die Kinder die Aufgabe ihrer Instruktion. Maltisch (Laura und ]ustus sitzen mit anderen Kindern gemeinsam am Maltisch. Abwechselnd malen sie und unterhalten sich über Tiere, die sie schon mal irqendwo gesehen haben.) Laura sagt, sie habe einen Elefanten im Zoo gesehen. ]ustus sagt, auch er habe einen Elefanten im Zoo gesehen. Den hole er dort heraus. Laura erwidert, im Zoo sei der Elefant ja auch im Gefängnis. Pause. Dann malen beide mit den Stiften aufihrem Papier.]ustus nebenbei zur Vorpraktikantin: "Kleber!" Die Vorpraktikantin reicht ihm den Kleber. Kurze Zeit später ist der Kleber alle.]ustus zur Vorpraktikan-
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tin: .Daniela, kannst du mal Kleber in die Flasche machen?" Sie blickt etwas hilflos. ]ustus zeigt oben auf das Regal: "Der steht da oben!" Die Vorpraktikantin steigt auf einen Stuhl und holt die große Flasche mit dem Kleber herunter. Alle Kinder am Tisch schauen, wie sie aus der großen Flasche den Kleber in die kleinen Fläschchen gießt ]ustus sagt ihr, welche sie zuerst und welche sie erst später abfüllen soll. Sie gehorcht Lisa, die gerne und oftgroße Kleckse aufihr Blattgießt, ruft hinüber:"Ich brauche auch Kleber!" Daniela gießt auch ihr den neuen Kleber in ihr Fläschchen.
Nicht nur das komplementäre Muster von Darbietung und Nutzung von Raum und Material, sondern auch die Kultivierung zeitlich und räumlich ,paralleler Spielwelten' erinnert an betriebliche Abläufe. Das gleichzeitige Nebeneinander von Malen, Bauen, Spielen mit einem der Brett-, Steck- oder Würfelspiele oder auch den Puzzles, Rollenspiel, Bewegen in der Bewegungsbaustelle potenziert einerseits die Möglichkeiten des Tuns und dezentriert andererseits das Geschehen in viele kleine nebeneinander existierende Zentren des Geschehens. Dass das Prinzip der Separation von Raum ein Mittel der Beherrschung und der Befriedung des Geschehens ist und zugleich eine Voraussetzung dafür, das Geschehen zu beruhigen, lässt sich an den Interventionen erfahrener Erzieherinnen bisweilen geradezu ablesen. Gruppenraum (lgelgruppe) Während der Abwesenheit der Erzieherin Mara wird es in der Gruppe unruhig. Einige Kinder rennen durch die Räume, es ist laut Kevin wirkt heu te wie aufgezogen. Während ich aufeiner kleinen Bank sitze und Notizen mache, versucht er mich zu provozieren, indem er auf mich zurast, mit vorgestreckter Hand aufmeinen Kopfzielt und erst im letzten Augenblick abdreht Zur gleichen Zeit rennt Amelie mit den klackernden Stöckelschuhen, die sie dem Klamottenkorb in der Verkleidungsecke entnommen hat, am großen Tisch in der Mitte des Raumes in Richtung Ausgangstür. Mara kommt herein, hält einen Augenblick inne, so als wolle sie sagen"Was ist denn hier los?". Dann geht sie zur hinteren Puppenspielecke, wo sich die meisten Kinder aufhalten und von der viel Unruhe ausgeht Sie sagt mit ihrer mächtigen Stimme: "So, ich mach euch jetzt hier zu!" Dann zieht sie den Vorhang der Rollenspielecke zu. Sofort ändert sich die Situation. Plötzlich ist es - wie durch Magie - leise und übersichtlich.
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Schafft Erzieherin Mara mit der Geste des Vorhangschließens neue Verhältnisse, indem sie die Aktivitäten der Kinder vom Rest des Geschehens abtrennt und sie gleichsam in den für dieses Spielen vorgesehenen Ort einschließt, so ist ihrer Kollegin Klaudia in der Nachbargruppe die prinzipielle Möglichkeit der Beobachtung des Geschehens unter den Kindern wichtig. Aber dieses prinzipielle Noch-hinsehen-können-Müssen unterstreicht doch die intendierte Einschließung von Aktivitäten der Kinder. Rollenspielbereich [Villa Kunterbunt'"] Hinten in der Villa Kunterbunt ist Max. Er hat von innen den dunkelblauen Vorhang ganz zugezogen. Aber es bleibt eine etwa 10 cm breite einseh bare Lücke an der Ecke, die dem Raum zugewandt ist An der Holzüberdachung der Villa Kunterbunt befinden sich rings herum Metallhaken. Max befestigt den Vorhang an einem solchen Haken, der sich in der Ecke befindet, sodass nun die Villa Kunterbunt völlig geschlossen ist Klaudia (Erzieherin) interveniert: "Max, was machst du denn da?" Er muss den Vorhang lösen, denn so dürfe die Ecke nicht verschlossen werden.
Dem impliziten Wissen und sicher auch der Erfahrung der Erzieherinnen, dass sie mehr erreichen, wenn eine Vielzahl unterschiedlich definierter Orte nebeneinander dafür sorgen, dass sich das Geschehen dezentriert, entsprechen die tatsächlichen Gestaltungsstrategien des Kindergartens. Über den Verlauf der ethnografischen Forschungsperiode war zu beobachten, dass in diesem Sinn eine Reihe zusätzlicher Orte geschaffen wurde, Schrank- und Stoffwände zur Begrenzung von spezifischen Spielorten eingezogen und deren Zugang zum übrigen Raum mit Vorhängen zum Verschließen versehen wurden. Im Zuge dieser räumlichen Veränderungen wurden zugleich Passagen zwischen den unterschiedlichen Spielarealen, durch welche die Kinder vorher gerne hindurchrannten, dicht gemacht, sodass nicht nur - wie die Erzieherinnen sagten - ,die Rennerei' aufhörte, sondern die prinzipielle Möglichkeit, alle Aktivitäten einer Kindergartengruppe auf einmal zu überblicken und sich gleichsam jederzeit mit einem Geschehen in Beziehung setzen zu können, an dem man eigentlich gar nicht so richtig beteiligt ist. Die Trennung und stärkere Abschließung der Orte führt dazu, dass man sich einer
Die ViUa Kunterbunt ist ein in der Rollenspielecke der Bärengruppe durch Vorhänge eingegrenzter Sonderbereich, in den sich die Kinder zurückziehen können.
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Gruppe von Kindern verbindlicher zuordnen muss, da der Wechsel von hier nach da nicht voraussetzungslos möglich ist. Freilich unterscheiden sich Orte im Hinblick auf die Probleme, die es an ihnen zu lösen gibt. Erweist sich die Eigenständigkeit der Kinder am Maltisch darin, dass sie in dem Muster von Darbietung und Verwendung von Materialien ihre Rolle als ,kreative' Nutzer tatsächlich einnehmen, so verhalten sich die Dinge komplizierter, wenn es um das Rollenspiel geht. Hier gibt es nämlich eine ganze Reihe von Problemen, die die Kinder lösen müssen, bevor die Aktivitäten, die an diesem Ort ,angesiedelt' sind, beginnen können. Zunächst steht die Frage im Vordergrund, wer überhaupt Zugang zur Rollenspielecke hat bzw. wer mitmachen darf und wer nicht. Daher ist die Frage, wie der Raum ,belegt' wird, eine der zentralen Entstehungsbedingungen für das Spielen. Die Erzieherinnen wissen, dass eine ,Überbelegung' oft dazu führt, dass die Kinder Streit bekommen. Deshalb wurde das Kontingent derjenigen, die gleichzeitig dort sein dürfen, in Form einer Alltagsregel begrenzt. Sie lautet: maximal fünf Kinder. Ansonsten gilt: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Wenn bereits Kinder dort spielen, müssen diejenigen, die hinzukommen wollen, die anderen um Erlaubnis bitten. Das Festlegen von Regeln soll dabei die Funktion erfüllen, dass prinzipiell alle Kinder die gleichen Rechte und Pflichten haben, aber auch, dass die Kinder aufgrund der Vorgaben selbständig entscheiden können, wer legitimerweise da sein darf und wer nicht. Die folgende Szene liest sich daher als richtige, weil eigenständige Anwendung festgelegter Alltagsregeln. Rollenspielecke (Fünf Kinder sind in der Rollenspielecke. als Swen vom Durchgang des Hauptraumes hineinschaut) Er zeigt nacheinander mit seinem rechten Finger aufdie Kinder, die hier spielen, seine Lippen bewegen sich, er zählt, er schaut verwirrt und fängt wieder von vorne an. Als er fertig ist, dreht er sich um, er will gehen, aber er wendet sich noch mal zu uns hin und zählt wieder. Diesmal spricht er lauter: "Eins, zwei, drei, vier, fünf" Er sieht unzufrieden aus, wendet sich um und verschwindet in der Bauecke.
Wer allerdings nicht nur die Alltagsregeln kennt, sondern über implizites Situationswissen (Polanyi 1985) verfügt, der weiß, dass es im Allgemeinen besser ist, eine Erzieherin bzw. eine Praktikantin zu fragen. Ihre faktische Entscheidungsmacht - ob sie nun die Regeln zur Anwendung bringt oder nicht - ist letztlich eine Gewähr dafür, dass man richtig gehandelt hat. Die Wirkungskraft dieser impliziten Regel erweist sich denn auch darin, dass sie
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den Verkehr zwischen Kindern und Erzieherinnen in gewisser Hinsicht festlegt. Kehren wir virtuell noch einmal in die Rollenspielecke zurück und rekonstruieren wir, wie die Kinder, die sich vor Swen in der Rollenspielecke befanden, den Raum .belegt' haben. Rollenspielecke Lars und Annika sind in der Rollenspielecke. Marvin kommt und fragt mich, ob er auch in die Rollenspielecke dürfe. Ich sage, dass ich es nicht wisse. Dann geht er hinüber zu Mona, der Vorpraktikantin, sie nickt und er betritt das Spielareal. Außer den dreien (und mir) sind wenig später auch Carolin und Lina hier (Carolin und Lina haben nichtgefragt).
An dieser Situation lässt sich noch eine weitere implizite Regel ablesen. Sie lautet: Man braucht sich nicht zwangsläufig an Regeln zu halten, jedenfalls solange sich niemand darüber beklagt. Wo es keine Kläger gibt, da gibt es auch keine Richter. Im Falle eines Konfliktes dürften sich ,theoretisch' Lars und Annika auf die Regeln beziehen und Marvin darauf, dass er gefragt hat Verhandlungen über die Belegung von Orten stellen trotz der aufgestellten Alltagsregeln sehr häufig Kommunikationsanlässe zwischen den Erzieherinnen und den Kindern dar. Kommt in den Alltagsregeln die Idee zum Ausdruck, dass alle Kinder bei der Aneignung von Raum einander prinzipiell gleichgestellt sind, so weisen die tatsächlichen Allokationspraxen darauf hin, dass es bei der Einnahme von Orten und deren symbolischer Definition als Orte eines bestimmten Spiels häufig einzelne Kinder gibt, die das Spiel managen, dirigieren, bestimmen und andere, die eher die Rolle von Mitspielern einnehmen. Die Manager stehen meist in engerem Kontakt zu den Erzieherinnen und werden dann als ,selbständige Kinder' von den Erzieherinnen anerkannt Selbständige Kinder sorgen dafür, dass sie mit ihren ,Freunden' ,schön spielen'. ,Schön spielen' heißt vor allem, andere Kinder beteiligen, ihnen Rollen zuzuweisen, die sie gerne spielen, und dafür zu sorgen, dass die Konzentration auf ein gemeinsames Spielthema gerichtet bleibt, ohne dass Streit aufkommt, es zu laut wird oder die Kinder aggressiv werden. Gelingt Kindern dieses Managen, dann werden sie von den Erzieherinnen oft sehr wohlwollend behandelt, erhalten z.B. die Erlaubnis, mit Materialien zu spielen, die sie sonst nicht bekommen. Auch werden sie im Fall von Konflikten unter den Kindern eher von den Erzieherinnen unterstützt Umgekehrt helfen diese autoritativen Ressourcen den ,selbständigen' Kindern, Spielroutinen an bestimmten Orten zu etablieren und sind daher auch
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bei vielen Kindern beliebt, weil sie es vermögen, Gelegenheitsstrukturen zur Teilhabe an einer gemeinsamen Aktivität schaffen. Rollenspielbereich [lgelgruppe) Viele Kinder, d.h. mehr als erlaubt.sptelen' seit geraumer Zeit in der Rollenspielecke. Es kommt aber nicht zu einem ,gemeinsamen' Spiel, sondern zu vielen Einzelaktionen der Kinder. Es ist laut und unruhig in der Ecke, die Kinder haben den Vorhang nach draußen zugezogen. Weil beide Erzieherinnen der Gruppe krank sind, schaut Diana, die Erzieherin der Nachbarqruppe, die die Gruppe heute mitbetreut. immer wieder herein. Sie hat den Kindern befohlen aufzuräumen. Aber diese leisten der Aufforderung Dianas nicht Folge. Insbesondere Kevin legt sich mit Diana an und entgegnet ihr, dass die Kinder hier nicht aufräumen würden. Während sich die Situation .nocnscnaukelt/, tritt plötzlich Leonie (5) in den Rollenspielbereich. Sie steht an dem halb geöffneten Vorhang und fragt: .Lena, justin und Carla, wollt ihr mit mir in den Förderraum gehen?" - "ja, ja, ja!': rufen diese. Sie und auch andere Kinder stehen plötzlich alle vor ihr, strecken ihr ihren Arm entgegen und schnipsen mit den Fingern, so, als sei Leonie die Lehrerin und dürfe bestimmen, wer mitdarf. [...] Als Leonie nach kurzer Zeit erneut in den Rollenspielraum schaut- weist sie die Kinder freundlich an: "So, jetzt räumt bitteschön aufl" Sie spricht selbstbewusst und freundlich. (Es wirkt so, als würde eine Erzieherin zu den Kindern sprechen. Im Anschluss daran ist zu beobachten, dass die Aufräumaktionen der Kinder, insbesondere die von Lena und Carla, deutlich inten siviert werden. Kurze Zeit später ist die Rollenspielecke vollständig aufge räumt) Die Selbständigkeit der Kinder erweist sich in vielen vergleichbaren Situationen immer wieder als eine Art der Mit-Organisation der Kinder bei der Organisation alltäglicher Abläufe des Kindergartens. Sie ist eine Form der Kooperation mit den Erwachsenen über die Herstellung spezifischer Verhältnisse zu anderen Kindern, durch welche es im Ganzen betrachtet möglich ist, das Geschehen im Verlauf eines Kindergartentages besser zu kontrollieren. Viele der von Leonie organisierten ,Spiele' stellen für andere Kinder Gelegenheiten dar, bei etwas verbindlich mitzumachen. Insbesondere die kleineren Kinder, die sich ansonsten über den Verlauf eines Vormittags oft nicht richtig auf eine Sache einlassen können, mal hier, mal da sind und schauen, was andere machen, sind in den von Leonie organisierten Spielsituationen sehr gerne dabei. Die Erzieherinnen sprechen von Leonie als einer
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Person, der es gelingt, auch verhaltensauffällige Kinder, mit denen es jeden Tag Probleme gibt, in ihre Spiele einzubeziehen, und heben diese Fähigkeit des Mädchens als "weit entwickelt", weil "sehr selbständig", hervor. Vergleichbare Kinder gibt es in allen drei Gruppen des Kindergartens, wenngleich nicht immer das Geschehen unter den Kindern mit einer so freundli chen und empathischen Haltung, wie sie Leonie an den Tag legt, in Gang gesetzt und aufrechterhalten wird. Insbesondere bei den Jungen wird die Selbstorganisation eher mit brachialen Mitteln hergestellt In allen Beispielen steht der Begriff Selbständigkeit für die Fähigkeit, dazu beizutragen, dass an spezifischen Orten ein vom übrigen Geschehen abgegrenztes Tun der Kinder hergestellt wird, das sein Zentrum in sich selbst hat und daher von den Erzieherinnen nicht weiter betreut zu werden braucht, weil die Kinder selbständig sind. Sind die Kinder angesichts der beschriebenen Beteiligung und Kooperation an den alltäglichen Abläufen nun gleichberechtigte Partner der Erzieherinnen? Während die Erzieherinnen häufig betonen, dass die Kinder bei der Gestaltung des Kindergartens ja mitbestimmen könnten, so besteht das Eigentümliche der Kommunikation zwischen Kindern und Erzieherinnen doch darin, dass sie eine Semantik der Unterscheidung zwischen Kindern und Erwachsenen enthält, gerade dann, wenn es um organisatorische Fragen geht, wie etwa die Nutzung von Räumen oder den Gebrauch von Dingen. Räume und Dinge sind in zwei weitgehend voneinander getrennte Universen unterteilt: eines der beiden beinhaltet all das, was den Kindern zur eigenständigen Nutzung angeboten wird. Dazu gehören Spiel-, Bastel- und Malsachen, die im weiteren Sinn zur Entwicklung der Kinder da sind, und Dinge zum alltagspraktischen Gebrauch (Kindergartenmöbel, Geschirr, Kleiderhaken etc.], Das andere Universum besteht aus Gegenständen, deren Nutzung den Erwachsenen vorbehalten ist Die Gruppenräume sind weitgehend davon "gereinigt", sie befinden sich zumeist in "kinderfreien Räumen", vorzugsweise im Büro oder im Mitarbeiterraum. Einige werden jedoch von den Erzieherinnen im Zuge ihres professionellen Handeins auch in den Gruppenräumen der Kinder gebraucht: das Telefon oder der Türöffner, eine Anwesenheitsliste der Kinder. Beispielhaft für diese Gruppe von Objekten ist ein Verstärkerplan, der in einigen Tagen in der Bärengruppe eingeführt werden soll. Erzieherin Anna wird ihn den Kindern im Sitzkreis vorstellen. Sie wird erklären, dass sie diejenigen Kinder belohnen wird, die ihr Geschirr nach dem Frühstück immer schön spülen, die daran denken, sich danach die Zähne zu putzen, die ihre Spielsachen auch immer wieder aufräumen etc. Zugleich wird sie den
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Kindern kleine Geschenke in Aussicht stellen, wenn sie ihre Leistungen in Form angesammelter Stempel nachweisen können. Dazu wird sie das Stempelplakat für alle sichtbar an einer markanten Stelle des Gruppenraumes aushängen und es wird entlang des Alltags viele kleine Situationen stiften, die vermittelt über die Frage, ob Kinder einen Stempel verdient haben bzw. einklagen dürfen, die Selbständigkeit der Kinder zum Kontext ihrer Interaktion machen. Im Folgenden wird die Situation geschildert, in der Kinder zum ersten Mal mit diesem noch unbekannten Objekt konfrontiert werden. Die Praktikantin Sabrina wurde von der Erzieherin Anna instruiert und beauftragt, während ihrer Betreuungstätigkeit am Maltisch den Verstärkerplan anzufertigen. Maltisch Die Kinder sitzen in der Nähe der neuen Vorpraktikantin Sabrina, sie maIen Mandalas. Sabrina hat einen großen Karton vor sich liegen, auf dem sie mit einem Lineal und einem Stift Reihen und Spalten zeichnet In der ersten Spalte stehen die Namen der Kinder, daneben hat sie deren Symbol geklebt Die Kinder schauen ihr neugierig zu. Nach einer Weile sagt Sabrina zu mir, es sei nicht ihre Stärke, gerade Striche zu ziehen. Dann[rage ich, ob die Spalten für Tage, Wochen oder Monate sind. Sie seien immer für vier Stempel, erklärt sie. Der Karton sei extra so ausgemessen. "Wenn die Kinder vier Stempel haben': sagt sie, "dürfen sie sich ein kleines Geschenk aussuchen." Moritz, der sich weit über den Tisch lehnt und neugierig daraufschaut, sagt, er wisse, wozu das gut sei. Es sei für die Geburtstage. Sabrina schüttelt den Kopf und sagt nein. Moritz sieht ein wenig verunsichert aus, er schaut lange [ragend weiterhin zu Sabrina hinauf Aber sie sagt nichts. Dann dreht er sich blitzartig um und verschwindet nach draußen.
Herstellung und Gebrauch von Dingen dieser Art sind an die exklusive Nutzung durch die Erzieherinnen gebunden, ihre selbstverständliche Verwen dung im Alltag enthält eine Kodierung des Verhältnisses zwischen Erwachsenen und Kindern, die von den Kindern alleine zu entschlüsseln ist. Eigenständigkeit erweist sich in der geschilderten Situation gerade nicht als eine selbsttätige Aneignung dessen, was die unmittelbare Umwelt anbietet, son dern als eine Kompetenz der richtigen Unterscheidung zwischen den Dingen, auf die die Neugierde gerichtet sein soll, und denen, deren Gebrauch den Erwachsenen vorbehalten ist
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Gerade das Fragen ist daher eine Suchstrategie, für deren Anwendung es einer sehr detaillierten Kenntnis um die Legitimität der Anlässe bedarf. Bei der falschen Gelegenheit, zum falschen Zeitpunkt die falsche Person zu fragen, gehört zu den Dingen, die der sanktionierenden Intervention preisgegeben werden können. Frühstückstisch der Bärengruppe Ich sitze die ganze Zeit neben Klaudia (Erzieherin) am Frühstückstisch. Sie weist die Kinder auf die Regeln hin: Einige Kinder sind zu laut Andere holen in der Toilette Wasser, ohne vorher gefragt zu haben. Wieder ande re gehen in einen Spie/bereich, in den man nur gehen darf, wenn man vorher gefragt hat Weitere kommen und fragen sie, ob sie fragen müssen, wenn sie in die, Villa Kunterbuntw wollen. Aber das dürfen sie nicht mehr fragen, weil sie es schon wissen müssen.
Vergleicht man die ethnografischen Schilderungen im Hinblick auf eine Klärung des Begriffes der Selbständigkeit, so wird vor allem eines deutlich: Selbständigkeit ist eine inhaltlich unbestimmte Kategorie des Alltagslebens, die zwar situationsspezifisch immer wieder neu definiert wird, aber eine Vielzahl von Erfahrungen voraussetzt und auf implizitem Wissen beruht Sie bezieht sich auf die Organisation des Kindergartens, bei der Kindern und Erzieherinnen je spezifische Aufgaben zufallen. Erwachsene sind die Bereiter der anregungsreichen Umwelt, Kinder diejenigen, die die Szenerien zum Anlass für selbst organisierte Tätigkeiten oder Spiele verwenden. Die Puzzles und Spiele, Mal- und Bastelmaterialien werden von ihnen aus dem Regal genommen, benutzt, verpackt und wieder eingeräumt, ebenso wie in der Rollenspielecke die Tässchen, Tellerchen und Messerehen zu Tischszenarien arrangiert, die Kleider aus der Verkleidungskiste übergestreift und abgelegt, die bereitgelegte Matratze zum Hopsen, Knuffen, Rempeln, die Malstifte zum Malen benutzt, die Duplos ineinander gesteckt und Plastikspritzen in der Arztecke zum Behandeln der Patienten verwendet werden. Natürlich gibt es Ausnahmen, Situationen, in denen Erwachsene Grenzen setzen, weil das Spielen nicht so funktioniert, wie es gedacht ist Im stets angestrebten Idealfall bedarf es dieses Eingriffs jedoch nicht, da die Kinder eigenständig sind und die Dinge und Räume im Sinne ihres Verwendungszweckes benutzen.
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Durch Vorhänge abgrenzbarer Bereich im Rollenspielraum der Bärengruppe.
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Erzieherinnen halten sich selten in den Spielarealen auf. Gerade angesichts der vielen parallel laufenden Aktivitäten und Ereignisse versuchen sie einen Überblick zu behalten, wodurch sie zwangsläufig an dem Geschehen mit Kindern immer weniger teilnehmen, stattdessen zu Beobachtern werden, die eingreifen, wenn die Kinder alleine nicht zurechtkommen oder helfen, eine Aktivität in Gang zu bringen, indem sie etwa Materialien bereitstellen und zeigen, was Kinder damit machen können. Unbemerkt erhalten die einzelnen lokalen Bereiche des Kindergartens so eine Definition als exklusive Bereiche für spezifische Nutzer: Kinder und Erwachsene. Es gibt Zonen, in denen sich fast ausschließlich Kinder aufhal ten (Spiel- und Entwicklungsareale), und solche, in denen sich fast aus schließlich Erwachsene aufhalten (Organisations-, Planungs- und Steue rungszentren wie z.B. das Leiterbüro oder der Mitarbeiterraum). Daneben gibt es Passagen, die die einzelnen Bereiche miteinander verbinden. In den Gruppenräumen der Kinder sind die unterschiedlichen Spielareale durch Transitwege miteinander verbunden. Sie werden von Kindern benutzt, die sich (noch) nicht für eine bestimmte Spiellokalität entschieden haben bzw. von einem Spielbereich in einen anderen wechseln. Insbesondere dienen diese Transitwege aber den Erzieherinnen, die sich untereinander verständigen, ihre Aktivitäten koordinieren oder sich bei der Benutzung dieser Transitwege einen Überblick über das Geschehen unter den Kindern verschaffen. Im Ganzen akzentuieren die beschriebenen Platzierungs- und Routierungsphänomene (Goffman 1982) die Unterschiede der Personenkategorien und verweisen darauf, dass sich die beiden wichtigsten Akteurgruppen Kinder und pädagogisches Personal- in ihrem Verhältnis zu den hergestellten Räumlichkeiten und Materialien komplementär definieren: Erzieherinnen sind die professionellen Hersteller von Spiel- und Anregungsarrangements, Kinder bedienen sich weitgehend selbständig der dargebotenen Arrangements, entweder alleine oder gemeinsam mit anderen Kindern. Die Selbständigkeit der Kinder gilt dabei als oberstes Prinzip und bestimmt die Perspektivität zwischen Kindern und Erzieherinnen. Kinder erweisen sich dadurch als kompetent, dass sie ihren Tagesablauf ohne die Anleitung und Unterstützung der Erwachsenen selbständig unter Kindern gestalten. Ihrer Eigenständigkeit entspricht die Zurückhaltung der Erzieherinnen. Die Kompetenz der Kinder auf der einen Seite und die Herstellung einer "anregungsreichen Umwelt" und zurückhaltende Kontrolle vonseiten der Erwachsenen auf der anderen Seite bilden in ihrer Komplementarität den Normaltypus eines den Alltag strukturierenden generationalen Verhältnisses. In diesem
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Sinn versteht sich das Nicht-Wissen oder Nicht-Können von Kindern und das dadurch erforderlich werdende Eingreifen der Erwachsenen als eine Art Panne im Fluss des Geschehens. Regulative des Freispiels Dass es sich beim Freispiel nicht um eine Praxis uneingeschränkter Selbstentfaltung handelt, sondern um spezifische AufgabensteIlungen des Alltagslebens, die während der Freispielphase bearbeitet werden, lässt sich vor allem daran studieren, dass die konzeptuell und programmatisch verankerten Freiheiten des Spiels - freie Wahl des Spiels, der Spielpartner, des Spielortes und der Spieldauer - auch entzogen werden können. In diesem Sinn stellen die nachfolgend geschilderten Episoden Anlässe für Interventionen sowie Interventionspraxen dar, die als Regulative verstanden werden können, deren Einsatz den Erzieherinnen vorbehalten ist und die symbolisch markieren, was besser und was schlechter ist. Es handelt sich dabei nicht um schematisch gedachte Interventionen, die immer dann in Kraft: treten, wenn die Kinder die Alltagsregeln überschreiten, sondern um eine den Erzieherinnen vorbehaltene Ressource des Eingreifens in das Geschehen unter Kindern, deren Einsatz durch seine Ereignishaftigkeit Markierungen für die Bewertung des Geschehens erzeugt und die dem Geschehen selbst abgelesen werden kann. Diese sieht- und erfahrbaren Markierungen vonseiten der Erzieherinnen können als Versuche verstanden werden, das Geschehen in eine bestimmte Richtung hin zu kanalisieren. Das im Folgenden präsentierte ethnografische Material steht dabei überwiegend für sich selbst, bedarf keiner weiteren Kommentierungen.
(1) Der Schweigestuhl als Regulativ der Spielfreiheiten Der .Schweigestuhl" ist eine Praktik der Disziplinierung, die für einzelne Kinder eingesetzt wird, insbesondere wenn sie z.B. versucht haben, mit Gewalt Konflikte zu lösen. Dazu wird ein Stuhl in die Mitte des Raumes geschoben und die betroffenen Kinder müssen sich für eine festgelegte Dauer auf den Stuhl setzen. Während dieser Zeit dürfen sie sich nicht in das Geschehen einmischen und haben den Status von Ausgeschlossenen.
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Spiele-Tisch Die Erzieherin Karo sitzt mit einigen Kindern am Spiele-Tisch, als sie von ihrer Kollegin kurz in die benachbarte Gruppegerufen wird. Als sie kurze Zeit später wieder zurückkehrt, sind die Kinder sehr laut geworden. Sie ertappt Kevin dabei, wie er einem anderen Kind den Pappdeckel eines Puzzle-Spiels auf den Kopf schlägt Wortlos stellt sie einen Stuhl in die Mitte des Raumes und Kevin setzt sich darauf. Er sagt, er wolle nur zwei Minuten sitzen bleiben, aber Karo setzt sieben fest Kevin protestiert nicht Die beiden wirkten wie ein eingespieltes Paar.
Bauecke Aaron, Paulina und Til sind in der Bauecke. Sie spielen mit der CarreraBahn und den dazu gehörenden Autos, bis sich Paulina in eine Holzkiste setzt Aaron nimmt eine etwas größere Holzkiste und setzt sich auch hinein. Paulina will, dass Til auch kommt Sie gibt ihm Zeichen, dass er sich zu ihr in die Kiste setzen soll. Diese ist eigentlich viel zu klein für zwei, aber Til quetscht sich noch dazu. Das Mädchen lehnt sich mit dem Rücken an Til und spricht mit Aaron, der in der anderen Kiste sitzt Til macht mit einer Holzlatte Ruderbewegungen. Die beiden wirken einander sehr vertraut Dann sagt Paulina, dass Til aus der Kiste hinaussoll und sich eine eigene Kiste holen soll. Aber es ist keine da. Paulina kommt auch aus ihrer Kiste und geht zu einer großen Plastikkiste am Rand des Bauteppichs, die voller Legosteine ist Sie zieht sie von der Wand weg, schaut hinüber zu Mara. Mara sagt: "Du kannst sie ruhig ausleeren, wenn du sie brauchst". Paulina kippt die Kiste um und Ti! kann sich hineinsetzen. Sie selbst setzt sich auch wieder in ihre Holzkiste. Alle drei machen jetzt mit einer Holzlatte Ruderbewegungen aus ihrem "Boot" heraus. Aaron hat Spaß daran, mit seiner Latte ein bisschen an Paulinas Kiste zu rammen. Es wird Paulina zu wild, sie beklagt sich, fängt an zu weinen. Aaron hört auf. Da kommt Cemil auf den Bauteppich, Aaron wirbelt mit seinem Ruder in der Gegend herum . Er scheint mit Cemil ein bisschen "rempeln" zu wollen, er hat m.E. Spaß daran, ohne eigentlich böse oder aggressiv zu sein. Cemil knufft zurück Da fährt Aarons Hand schlagartig in Cemils Gesicht Wie durch einen Mechanismus ausgelöst, erwidert Cemil rejIexartig den Übergriff und seine jIache Hand schlägt wie das Gliedmaß einer Aufziehpuppe mehrmals hintereinanderfest an Aarons Backe, dann weint und schreit er lauthals. Die Erzieherin Mara eilt herbei und fragt, was los ist Cemil zeigt aufAaron. Mara hebt Aaron aus seiner Kiste heraus und stellt ihn zur Re-
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de; sie will wissen, ob er geschlagen habe. Die anderen Kinder sagen nichts. Auch Paulina sagt nichts. Mora [ragt Aaron nochmals, dieser schüttelt den Kopf. Cemilsagt, Aaron habe geschlagen. "So': sagt Mara zu Aaron, "wenn du schlägst, dann musst du jetzt einmal alleine auf den Stuhl. Was für Kevin gilt, das gilt für dich auch." Aaron muss alleine auf dem Stuhl sitzen.
(2) Die verordnete Beschäftigung als Regulativ der freien Wahl des Spiels und des Spielortes Oksana und Tugay streiten miteinander in der Rollenspielecke. die Erzieherin Klaudia unterbricht den Streit der Kinder und fordert sie auf, mit ins Malzimmer zu kommen. Dort müssen sie sich jetzt nebeneinander an den Maltisch setzen. Die beiden befolgen die Anordnungen Klaudias. nehmen sich ein Blatt vom Tisch und beginnen unverzüglich mit den Holzfarbstiften darauf zu malen. Nachdem sie kurz den Raum verlassen hat und wieder hereinkommt, setzt sie das Mädchen gerade hin, indem sie dessen Stühlchen näher an den Tisch rückt und es mit den Händen zum Sitzen aufrichtet "So!': sagt sie. Dann stellt sie auffordernd ein Schälchen mit Wachsmalstiften direkt vor die beiden Kinder. Tugay greift hinein und will einen Stift herausnehmen. Aber Klaudia erfasst sofort seine Hand und bringt ihn dazu, den Wachsmalstift wieder hinzulegen. Sie erklärt ihm, dass er nicht gleich danach greifen dürfe, schließlich habe er ja noch einen Holzmalstift in der Hand. Wenn er mit den Wachsmalstiften malen wolle, dann - sie nimmt ihm dabei den Holzfarbstift aus der Hand und legt ihn in die Schale der Holzfarbstifte - solle er zuerst den Holzfarbstift ordnungsgemäß weglegen, um sich erst danach des Wachsmalstiftes zu bedienen. Sie zeigt ihm genau, wie man den Stift zwischen Daumen, Mittel- und Zeigefinger hält ,,Aber': sagt sie, "ich wollte es dir ja nur zeigen': legt den Wachsmalstift wieder zurück, ergreift den Holzjarbstift: den Tugay zuvor in der Hand hatte, um ihn Tugay wieder zurückzugeben. "Du malst ja noch mit den Holzfarbstiften, gel." Tugay beginnt, während Klaudia hinausgeht, augenblicklich damit, sein Blatt zu kolorieren.
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(3) ,Auseinandernehmen' als Regulativ der freien Wahl der Spielpartner Einige Kinder sitzen am Maltisch. Sie machen sich einen Spaß daraus, Erzieherin Klaudia zu ärgern, die sie schon einige Male angewiesen hat, nicht so laut zu sein. Immer wenn sie den Raum verlässt, stimmen die Kinder schunkelnd und gröhlend ihren Hit ein:"Meine Omafährt im Hühnerstall Motorrad!" Als Klaudia kurze Zeit später wieder im Malzimmer erscheint, droht sie den Kindern an, sie auseinanderzunehmen, wenn sie nicht aufhören.
(4) Beendigung des Spiels und Aufräumen als Regulativ der freien Wahl des Spiels und der Spieldauer Eine Intervention, die das Geschehen periodisch durchzieht, ist die der Beendigung des begonnenen Spiels und des Aufräumens. Puppenspielecke Yanka und Fabian haben aus Schub-Kästen ein längliches symmetrisches "Gebäude" erstellt, auf deren rechtem und linkem Ende beide "Jungen" rittlings sitzen. Yanka trommelt mit den Händen auf das Holzschubfach vor ihm. Er probiert einige rhythmische Figuren aus. Fabian, der auf der anderen Seite sitzt, ist sehr neugierig. Er beobachtet Yanka aufmerksam, zugewandt, ja, sehr interessiert Die Erzieherin Diana tritt herein und stört die beiden. "Hab ich euch nicht gesagt, dass ihr zu laut seid?" Yanka drosselt sofort seine Trommelgeräusche, indem er nur noch die Fingerspitzen zum Trommeln benutzt So geht es eine Weile, bis sich seine Trommelgeräusche wieder zum vorherigen Level gesteigert haben und die Erzieherin Diana wieder hereinkommt "So': sagt sie, "Schluss jetzt! Räumt die Fächer wieder ein und kommt dann anschließend an den Friihstückstisch." Die Beendigung des Spiels der Kinder und das Aufräumen ist eine der am häufigsten verwendeten Sanktionen, durch welche gleichsam die Wiederherstellung lokaler und materialer Ordnungen zur Aufgabe der Kinder gemacht wird. Anlässe dafür sind häufig eine hohe Lautstärke, Streit der Kinder untereinander oder aber ein unsachgemäßer und zerstörerischer Umgang mit den dargebotenen Animations- und Spielmaterialien. Aufräumen ist ein Gegenmittel gegen Unruhe und Unübersichtlichkeit, zugleich ein Ap-
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pell an die Selbstkontrolle der Kinder. Zum Aufräumen bedarf es, insbesondere wenn mehrere Kinder daran beteiligt sind, der Koordination und Kooperation unter den Kindern. Zugleich setzt es ein Set organisationsbezogener Interaktionsmuster in Gang, durch welche, vermittelt über die Wiederherstellung lokaler Objektordnungen, letztlich die Kooperation mit den Erwachsenen im Hinblick auf das Funktionieren des Kindergartens als Organisation hergestellt wird.
Die Angebote Anders als die Freispielphasen, innerhalb derer das Anregungspotential der Räume und Dinge den Kindern Gelegenheitsstrukturen für selbst initiierte Bildungsprozesse bieten soll, sind Angebote gezielte Lernarrangements, die die Auseinandersetzung der Kinder mit ausgewählten "Dingen" anleiten und ihnen Inhalte, Fähig- und Fertigkeiten als Sach-, Sozial- oder Selbstkompetenz vermitteln sollen. Ebenfalls anders als beim Lernen im Freispiel werden die Angebote von den Erzieherinnen begleitet, moderiert, geleitet. Vergleichbar einer Unterrichtsstunde werden in einem Angebot vorab Ziele bestimmt, deren Verwirklichung durch die Festlegung methodischer Arran gements gewährleistet werden soll. Mit dem Situationsansatz und dem Offenen Kindergarten geriet die sog. Angebotspädagogik ins Zentrum der Kritik, da Kinder dabei auf die Ziele der Erwachsenen festgelegt werden und ihr Handlungsspielraum zu sehr eingeengt wird, was die Möglichkeit eines selbstbestimmten Lernens einschränkt. Stößt die Angebotspädagogik in der Theorie einer "fortschrittlichen frühpädagogischen Programmatik" auf vehemente Ablehnung, so sucht die Praxis auch dann, wenn sie sich am Situationsansatz und dem Offenen Kindergarten orientiert, nach Möglichkeiten, unterschiedliche Elemente der Kindergartenpädagogik miteinander zu verknüpfen. Insbesondere dann, wenn auch die Eltern in hohem Maße daran interessiert sind, dass die Kinder während der Freispielphasen nicht "einfach nur sich selbst überlassen werden", sondern mit ihnen "etwas gemacht wird" und sie den Erzieherinnen wöchentliche Dokumentationen darüber abverlangen, was die Woche über gelaufen ist. Theoretische Widerspruche zwischen dem auf Selbstbestimmung zielenden Konzept und der sog. Angebotspädagogik müssen sich in der Praxis also keineswegs als Antagonismen erweisen und das Spektrum dessen, was zu den Angeboten zählt, ist breit gefächert. Angebote können Mal- oder Bastelaktivitäten sein, eine geleitete Bilderbuchbetrachtung, die Zubereitung eines gesunden Frühstücks oder
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einer anderen Speise, das Einüben von Liedern, Tänzen oder Theaterstücken etc. Angebote oder Angebotsreihen können auch thematisch festgelegt oder als Projekte durchgeführt werden, Zielsetzung und Planung erfolgen dann nicht im Kopf von Erzieherinnen, sondern werden in Projektgruppen mit den Kindern gemeinsam erarbeitet. Häufig ist die Teilnehmerzahl auch beschränkt und der Teilhabe kommt dann etwas Exklusives zu. Manchmal fügen sich auch sog. Offene Angebote in das laufende Geschehen der Freispielphase. Auf einem Angebotstisch werden den Kindern dann Materialien gleichsam zur Animation dargeboten, ohne dass daraus ein Beteiligungszwang erwächst. An der Teilnahme oder Ablehnung der Kinder lesen die Erzieherinnen dann ab, ob das Angebot "etwas gebracht hat". Großer Tisch in der Mitte des Raumes Ugelgruppe) Eben noch hat Mara (Erzieherin) auf dem kleinen Spieltischehen mit ein paar Kindern ein Geschicklichkeitsspiel ("Spitz pass aufl") gespielt Jetzt holt sie getrocknete Herbstblätter herbei und legt sie in die Mitte des großen Maltisches. Zuerst sitzt sie mit Carla alleine am Tisch. Nach und nach kommen dann aber noch mehr Kinder hinzu und wollen mitmachen. Sie sagt den Kindern, dass sie die getrockneten Blätter auf bereitgelegte Papierbögen kleben und noch etwas dazu malen könnten. [...J Während sich Mara mit den Kindern am großen Tisch mit den Blättern zu schaffen macht, sitzt Kevin am Frühstückstisch: aufseinem Teller ein großes Hefegebäck, das er gerade erst angeknabbert hat Er blickt sehnsüchtig hinüber zum großen Tisch, wo Mara mit den anderen Kindern sitzt Mara ruft zu ihm hinüber. "Iss zuerstfertig. Danach kannst du ja rüberkommen. Guck mal, es sind noch genügend Blätter da." Während die Kinder an ihren Blättern arbeiten, höre ich immer wieder Maras laute, aber freundliche Stimme: "Willst Du ein rotes oder ein braunes Blatt?" - "Du darfst Dir eins aussuchen!" - "Du kannst ruhig noch ein anderes Blatt haben."
Folgen in der Ausbildung zur Erzieherin und den pädagogischen Legitimationen die Angebote den ausgewiesenen Zielen, bei denen meist bestimmte entwicklungspsychologische Aspekte akzentuiert werden (z.B. Förderung der Feinmotorik des Kindes, Erfassen kognitiver Zusammenhänge etc.), so treten die pädagogischen und entwicklungspsychologischen Lernziele im laufenden Geschehen jedoch in den Hintergrund. Wesentlich erscheint dann nicht mehr die Verwirklichung der Lernziele, sondern, dass etwas (Neues)
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passiert Mit Harriett StrandelI, die in ihren Studien im Kindergarten he rausgearbeitet hat, dass Kinder oft: dorthin gehen, "where the action is" (StrandeIl 1997b: 10) und von diesen Situationen eine Art sozialer Magnetismus ausgeht, ließe sich der Erfolg dieser Art Offener Angebote dahingehend charakterisieren, dass sie es vermögen, solche magnetischen Punkte zu schaffen. Magnetisch wirkt vor allem die Tatsache, dass eine Erzieherin sich den Kindern widmet und eine Geselligkeit stiftende Rahmung herstellt. Das ist für viele Kinder Anlass, ihre gerade laufenden Aktivitäten zu unterbrechen, um sich in die Nähe der Erzieherinnen zu begeben. Es gibt aber auch das Gegenteil. Angebote können ebenso dadurch gekennzeichnet sein, dass Kindern gezielt etwas vermittelt werden soll. Dann stehen sie u.a. auch für die Kompetenz der Erzieherinnen. Gruppenraum (Bärengruppe) Die Kinder und die beiden Erzieherinnen, Klaudia und Sandra, stehen alle um den Schubladenschrank herum. Auch mich drängt es jetzt dorthin. Auf dem Schubladenschrank ist arrangiert: ein Einweckglas mit Gras und einer Raupe darin, daneben ein aufgeschlagenes Tier- und Pjlanzenbuch mit abgebildeten Raupen. Erzieherin Sandra spricht mit einer gespielten Kinderstimme, die ich schon einige Male an ihr beobachtet habe, wenn sie mit Kindern spricht Sie jlüstert so, als habe man einen heiligen Ort betreten und erklärt, dass die Raupe gerade Grasfresse. Die Kinder sind ganz still, alle wollen etwas sehen. In das Buch schauen die Kinder nicht Auch Klaudia ermuntert die Kinder, sich die Raupe anzuschauen. Nach einer Weile des Schauens sagt die neue Erzieherin Sandra zu Klaudia und insbesondere zu mir: "Da können die Kinder auch mal lernen, Achtung vor der Natur zu haben und die Tiere nicht zu zertreten." Max wehrt sich. Er sagt, dass er die Tiere nicht zertreten würde.
Die Erkenntnis, die sich aus dem Vergleich der Angebote ziehen lässt, besteht in Folgendem: ,,Angebot" ist nur ein pädagogisches Etikett, mit dem man unterschiedliche Aktivitäten versehen kann. Sind Angebote Animation , dann fügen sie sich als nur variierte Anregungen in das Konzept des Freispiels. Dann sind sie eigentlich keine Angebote mehr. Dienen Angebote dazu, einen geselligen Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen die Kinder in der Nähe der Erzieherinnen einen gewissen Schutzraum finden, weil sie durch ihre einfache Strukturierung die Möglichkeit bieten, mitzumachen, dann unterlaufen sie implizit ebenfalls die programmatische Leitidee der Selbständigkeit. Zielen Angebote auf die Vermittlung von Wissen, dann kom-
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plementarisieren sie das Verhältnis von Kindern und Erzieherinnen und stellen insofern keinen Gegensatz zum Freispiel bzw. zum Konzept des Offenen Kindergartens dar. Komplementarität zwischen Kindern und Erwachsenen wird dann nur durch eine andere Form hergestellt In der Situation, die im vorausgehenden Protokoll geschildert ist, wird sie nicht nur durch die Performativität des Wissensunterschiedes hergestellt, sondern zusätzlich durch eine Art moralische Hierarchisierung (Kinder sind böse, weil sie Tiere zertreten, Erwachsene sind gut, weil sie wissen, dass man das nicht darf) herbeigeführt
Die Sitzkreise Der Übergang von der Freispielphase zum Sitzkreis markiert einen Wechsel der räumlichen und territorialen Verhältnisse, auf die hin die Teilnehmer des Geschehens ihr Handeln strukturieren. Wird es den Kindern während der Freispielphase prinzipiell zur Aufgabe gemacht, eigenständig zu sein, d.h., Zeit, Ort und Personen für das Spielen selbst zu organisieren, fluktuie ren dabei die Konstellationen spielender Kinder zwischen unterschiedlichen Spielbereichen sowie Gruppen und sind Kinder und Erzieherinnen im Wechselverhältnis von Darbietung und Nutzung der Spielarrangements in komplementärer (meist auch distanzierter) Weise aufeinander bezogen, so heben die täglich stattfindenden Sitzkreise dieses Verhältnis zugunsten einer formalen Einheit von Kindern und Erwachsenen wieder auf. Hier wird sichtbar, dass alle zusammengehören und jedes Kind sowie jede Erzieherin gleichermaßen Mitglieder der Gemeinschaft sind, die über ein eigenes Territorium, nämlich ihren Gruppenraum, verfügt Der Sitzkreis ist als einziges Arrangement im Tagesablauf des Kindergartens ein Setting, bei dem sich Kinder und Erzieherinnen gleichermaßen beteiligen. Schon rein räumlich schließen die Kreise diejenigen ein, die dazugehören. Das sind die Kinder einer Gruppe, deren anwesende Erzieherinnen und Praktikantinnen, aber auch bisweilen die externen Mitarbeiterinnen der Arbeitsstelle für Integration (Afl) oder die Forscherin. Der Sitzkreis ist insbesondere für die Kinder, die sonst wenig oder keinen Kontakt zu anderen Kindern haben, ein Szenario, in dem sie ohne eigene Anstrengung bedingungslos irgendwo dazugehören. Das gemeinsame Tun besteht überwiegend aus gemeinsamen Sing- und Bewegungsspielen. Hier werden üblicher-weise auch die Geburtstage gefeiert Wenngleich es viele Variationen im Ablauf von Sitzkreisen gibt, die zugleich personen- und gruppenabhängig
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sind, so bleibt die Grundstruktur ihrer Durchführung gleich. Die Teilnehmer wählen, nachdem sie zusammengekommen sind, unter der Moderation einer Erzieherin aus dem gemeinsamen Repertoire an Sing-, Finger-, Geschicklichkeits- und Kreisspielen eine der bekannten Spiel- und/oder Singaktivitäten aus und führen sie gemeinsam durch. Manchmal werden auch Bilderbücher gezeigt, eine Geschichte vorgelesen oder Gruppenregeln thematisiert, grundsätzlich bleibt der Sitzkreis aber ein Arrangement gemein samen Spiels. Bei diesen Gemeinschaftsaktivitäten wechseln die Erzieherinnen dann aus der Moderatorenrolle in die Teilnehmerrolle, singen gemeinsam mit den Kindern, lassen sich bei den periodisch wiederkehrenden Spielen als Spielpartner wählen oder schlüpfen in Spielrollen, die ihnen die Kinder zuteilen. Bisweilen führen sie auch neue Aktivitäten im Sitzkreis ein und übernehmen dann wieder ihre "pädagogische" Rolle als Erzieherinnen. Prinzipiell kann der Modus des Übergangs von der Freispielphase zum Sitzkreis sehr unterschiedlich gestaltet werden. Sitzkreis (lgelgruppe) Während manche Kinder noch nicht fertig sind mit dem Aufräumen, sitzen einige bereits mit den Erzieherinnen aufden in der Mitte des Raumes zusammen geschobenen Stühlen . Sie beobachten das Geschehen und reden miteinander. Allmählich kommen noch mehr Kinder herbei, die Stühle reichen nicht und sie müssen noch welche hinzuschieben. Es dauert noch eine ganze Weile, bis alle hier sind. Die Erzieherinnen unterhalten sich darüber, dass die Kinder heute recht unruhig sind. Die Erzieherinnen Karo und Mara sowie Lena (AfT) sind sich darin einig, dass es heute, nach dem gestrigen Feiertag, so laut ist wie montags. Als alle beisammen sind, schlägt Karo vor, ein Lied in Flüstersprache zu singen. Die Anwesenden kennen das Lied alle nicht, sodass sie neugierig hinschauen und -hören, bis sie sich Melodie und den einfachen Text ein wenig eingeprägt haben und flüsternd mitsingen. Es wird ganz leise im Raum und die Kinder fin den offenkundig Freude daran. Als das Lied fertig ist, schlägt Mara ein Fingerspiel vor. Nur einige aus der Gruppe kennen es, sie möchten es gerne spielen, was die anderen Kinder neugierig macht Mara beginnt, mit ihren Fingern gestisch eine Geschichte zu inszenieren, deren Inhalt sie in Reime verpackt den aufmerksamen Zuhörern vorträgt: .Sehet Kinder, seht mal an, wie die Fliegefliegen kann, rund herum und in die Höh, doch da kommt der Frosch, oh weh!!
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Quak, quak, quak und eins, zwei, drei mit der Fliege ist's vorbei." Während die eine Hand eine fliegende Fliege gestisch darzustellen versucht, bringt sich die andere als Frosch ins Spiel, um im richtigen Moment die Fliege zu verschlingen. Den Kindern gefällt es. Karo (Erzieherin) und jacqueline (Afl) sagen, sie kennen es nicht, sie wollten es sich merken und ich bin schon dabei mitzuschreiben. Mara wiederholt noch einmal, die Kinder machen mit, ich schreibe. Als der Frosch die Fliege zum zweiten Mal schnappt und ich noch beim Schreiben bin, feixt jacqueline: "Frau jung braucht mit ihrem Frosch noch ein bisschen länger': woraufein ausgelassenes Gelächter einsetzt Dann wollen Karo und die beiden anderen Erzieherinnen mit den Kindern entscheiden, ob man gleich hinaus ins Freigelände geht oder noch etwas spielen soll im Sitzkreis. Die Kinder sollen abstimmen. Aber einige heben bei beiden Optionen die Hand. Karo hat das Problem schnell gelöst Die Kinder sollen sich räumlich einer Option zuordnen. Alle, die hinauswollen, sollen sich zu Lena stellen, die anderen zu Mara. Die Entscheidung fällt mit einer Stimme mehr auf das "Hinausgehen ins Freiqeliinde", Die Kinder, die hinauswollten, toben vor Begeiste rung und stürzen hinaus. Als die anderen das sehen, toben sie auch vor Begeisterung und rennen hinterher. Im Nu ist der Raum geleert
Ihrer rituellen Funktion nach sind Sitzkreise Arrangements der Zusammengehörigkeit, die ihre Wirksamkeit in der Wiederholung entfalten. Im Gegensatz zur Freispielzeit, in der Zugehörigkeit zu anderen von den Kindern selbst hergestellt werden muss, stellt der Sitzkreis zumindest eine formale Zugehörigkeit relativ bedingungslos her. Werden am späten Vormittag die Signale für den Beginn der Sitzkreise gegeben, dann brechen die Kinder ihre jeweiligen Aktivitäten ab und kehren, sofern sie sich nicht in ihrer Gruppe befinden, dorthin zurück, um den Vormittag gemeinsam in der eigenen Gruppe zu beschließen. Schon der Übergang von Freispielphase zum Sitzkreis kann Ritualcharakter haben, denn zunächst muss in den Gruppenräumen dafür gesorgt werden, dass alle Spielzeuge eingeräumt und die einzelnen Spielorte in ihrer ursprünglichen Ordnung wiederhergestellt werden. In der Bärengruppe wird dies alltäglich durch einen rituellen Singsang eingeläutet, an dem sich die Kinder rege beteiligen. Es ist scheinbar Zeit für den Sitzkreis, die Erzieherin blickt auf die Uhr und beginnt den allmorgendlichen Singsang : Alle Kinder räumen ein,
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alle Kinder räumen ein, räumen jetzt ihr Spielzeug ein. Ein-räu -men! Die Kinder dröhnen in lautem Chor mit und beginnen dann mit dem Einräumen.
Nachdem die Kinder der Bärengruppe alles aufgeräumt haben, müssen sie im Rollenspielraum so lange warten, bis eine Erzieherin oder eine Praktikantin die kleinen Sitzteppiche für die Kinder in einem Kreis zurechtgelegt hat Erst danach dürfen sie den Raum wieder betreten und ihre Plätze im Kreis einnehmen. Freie Fläche in der Mitte des Gruppenraumes (Bärengruppe) Auch ich muss aus der Spiele-Tisch-Ecke heraus, da ich das Wegschieben des Tisches störe. Ich solle mich in die Kuschelecke (Sofa) setzen, was ich auch tue. In der Mitte des Raumes wird nämlich eine große freie Fläche für den Sitzkreis geschaffen. Dann müssen sich alle Kinder im Rollenspielbereich sammeln und Anna (Erzieherin) kann in Ruhe den Sitzkreis vorbereiten. Sie zählt die kleinen Sitzteppiche für den Stuhlkreis ab. Mona (Vorpraktikantin) muss sie im Kreis verteilen. Als die Sitzkissen im Kreis verteilt sind, dürfen die Kinder, die wie vor einer künstlich gezogenen Trennlinie sitzen, herein.
Geht es im Ritual um die Überwindung von Gegensätzen und Ungleichheit insbesondere um die Zelebrierung von Zusammengehörigkeit - so fallen in der geschilderten Szene bei der Vorbereitung des Sitzkreises gerade die Personen differenzierenden Momente in den Blick. Der Grund dafür, dass sich die Kinder an der Herstellung des Sitzkreises nicht beteiligen dürfen, mag darin bestehen, dass hier eine Selbstorganisation der Kinder sehr viel mehr Unordnung in das Geschehen bringen würde. Der Vergleich zu Gruppen, in denen dies geschieht, macht deutlich, dass die dort bisweilen recht unregelmäßigen Kreisformierungen Ergebnisse der reziproken Aushandlungsprozesse der Sitzordnung sind. Auch wenn der Sitzkreis schon begonnen hat, treten die Identität stiftenden Funktionen wiederkehrender Rituale manchmal gerade als Momente pointierter Personendifferenzierung und -klassifizieru ng in den Blick:
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Sitzkreis (Bärengruppe) (Nachdem die Kinder aus dem Nebenraum hereingeströmt sind und ihre Plätze eingenommen haben, sitzen nun alle miteinander im Kreis.] Die Erzieherin hat ein großes Heft (eine Art Klassenbuch) in der Hand, braucht aber noch einen Kugelschreiber, muss aufstehen, herumgehen und suchen, bis sie einen Stift gefunden hat, und setzt sich wieder auf ihren Platz. Sie fordert alle Jungen auf, sich zu stellen, fügt schnell hinzu, dass sie dies langsam tun sollen, ebenso wie sie sich auch langsam wieder setzen sollen. Dann zählt sie acht Jungen. Danach müssen alle Mädchen aufstehen. "Es sind vierzehn': sagt die Erzieherin und notiert dies mit dem Kugelschreiber in die Liste. Denny (7) laut: uUND DREIFRAUEN!" Die Erzieherin ignoriert Dennys Zwischenruf. Rituale ermöglichen, dass die Gegensätze und die Ungleichheit von Personen in einem gemeinsamen, wiederkehrenden Tun für die Beteiligten zurücktreten bzw. befriedet (Elias 1976) werden, andererseits zeigen sie aber auch, was sie verbergen (Clausen 1988: 97) , nämlich, dass Kinder und Erwachsene, Jungen und Mädchen, Männer und Frauen doch nicht das Gleiche sind. Zugehörigkeit und Identität werden in der paradoxen Erfahrung von Gleichheit und Differenz zugleich vermittelt. Dies drückt sich bei den Gruppen- und Kreisspielen besonders dann aus, wenn das Spiel aus einer Abfolge gleicher Sequenzen besteht, in denen Mitspieler entweder nachfolgende Mitspieler oder andere hinzukommende Mitspieler bestimmen müssen. In der Wahl des Nachfolgers oder Mitspielers drücken sich die Differenzierungsschemata der Kinder aus. Häufig ist zu beobachten, dass die deutschen Kinder vermehrt deutsche Kinder wählen, Migrantenkinder (im Kindergarten S. sind es fast ausschließlich türkische) Migrantenkinder, Gleichaltrige Gleichaltrige oder aber, dass in den Wahlen Beliebtheitsordnungen der Gruppe reproduziert werden. Bei manchen Spielen müssen Hauptakteure während des ganzen Spielverlaufs die Reihenfolge der Mitspieler bestimmen. Hierbei war zu beobachten, wie z.B. die Altersordnung als absteigende Hierarchie die Wahl bestimmte: Gewählt wurden zuerst die Erzieherinnen, danach die angehenden Schulkinder, dann die Mittleren und schließlich die Kleinen. Geben die offenen, von den Erzieherinnen wenig reglementierten Arrangements der Freispielzeit den Kindern die Möglichkeit, sich buchstäblich aus dem Weg zu gehen, wenn sie sich nicht als zusammengehörig empfinden, so treffen im Sitzkreis soziale und kulturelle Gegensätze aufeinander.
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Die lokalen Grenzziehungen, durch welche einzelne, informelle Kindergruppen während der Freispielzeit ihre Territorien markieren und so ein Nebeneinander ermöglichen, sind im Sitzkreis aufgehoben. Für die Kinder wird dies bisweilen zum Problem. Die deutschen Jungen wollen sich z.B. nicht recht an den Geburtstagsritualen türkischer Jungen beteiligen, ein nicht mit seinen Altersgenossen eingeschulter Junge wird von den nachrückenden "Schulkindern" nicht mehr als gleichrangig akzeptiert, manche Migrantenkinder können sich kaum beteiligen, weil sie die deutsche Sprache nicht verstehen etc. In der Zelebrierung von Ritualen wird die Einheit der Gruppe gerade dadurch unterstrichen, dass sie unterschiedliche Teilnehmerarten zugleich differenziert und integriert: große und kleine Kinder, Jungen und Mädchen, Migrantenkinder und deutsche Kinder. Auch die Unterscheidung zwischen Kindern und Erwachsenen (Erzieherinnen, Praktikantinnen, Mitarbeiterinnen der MI, der Forscherin) wird auf diesen Zeitabschnitt des Rituals beschränkt aufgehoben.
4.1.2 Die Unterscheidung von Altersklassen: die Großen, die Kleinen und die ganz Kleinenn
Die Alltagssprache des Kindergartens S. ist ein "web of words" (Cook-Gumperts 1986: 39), innerhalb dessen sich die Kinder einen interpretativen Zugang zur Welt als einem situierten Kommunizieren schaffen. Sie unterscheidet mehrere Altersklassen der Kinder, die aber nicht immer eindeutig sind und auch nicht unbedingt von allen Akteuren des Kindergartens geteilt werden: Man spricht von Schulkindern, den Großen und den Kleinen, manchmal auch von den Ganz-Kleinen oder den Neuen. Welches der Kinder in welcher Situation von wem zu den Kleinen oder Ganz-Kleinen oder den Großen gerechnet werden kann, ist jedoch keineswegs immer eindeutig festgelegt. Am klarsten umrissen ist die Kategorie der Schulkinder, bisweilen von den Mitarbeiterinnen auch Schukis genannt Die Bezeichnung "Schulkind" ist im Verhältnis zu den meisten anderen Kategorien "objektiver", es bedarf keiner Interpretationsleistungen, um die Zuordnung eines Kindes zu dieser Kategorie herzustellen, denn man ist es qua Zugehörigkeit zur Gruppe der Schul-
Der überwiegende Teil dieses Kapitels ist eine leicht überarbeitete Fassung meines Publikationsbeitrages in Honig/Joos/Schreiber 2004.
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kinder: Das sind all diejenigen, die im nächsten Jahr zur Schule gehen. Darüber hinaus sind auch die Ganz-Kleinen oder die Neuen relativ leicht als diejenigen identifizierbar, die gerade erst in den Kindergarten aufgenommen wurden und erst noch lernen müssen, sich zu orientieren. Aber es wird schon schwierig festzustellen, ab wann man nicht mehr zu den Ganz-Kleinen gehört, denn manche der neu Aufgenommenen finden sich im Kindergarten in kurzer Zeit zurecht, andere hingegen bleiben als nicht teilnehmende Beobachter dem Alltagsgeschehen gegenüber lange Zeit befangen. Wer noch oder nicht mehr zu den Kleinen gehört oder schon zu den Großen, ist weniger eindeutig bestimmbar. Dies mag zum einen daran liegen, dass der Gebrauch der Kategorien nicht einheitlich festgelegt ist, zum anderen, dass den unterschiedlichen Situationen verschiedene Maßstäbe eingeschrieben sind. Groß und klein sind deshalb flexible Größen, weswegen es auch oft zu Verhandlungen darüber kommt, ob man schon zu den Großen oder noch zu den Kleinen gehört. Von der Wertigkeit her ist es besser, zu den Großen zu gehören. Neben diesen relativen Größen beziehen sich die Akteure aber auch häufig auf das konkrete Alter. Wenn es darum geht, Kinder im Alltag zu identifizieren, sei es vonseiten der pädagogischen Akteure oder unter Kindern, dann rangiert häufig gleich hinter dem Namen des Kindes das Alter, es ist gleichsam das zweitwichtigste Merkmal. So sind alle Kinder je einer Kindergartengruppe mit einer Fotografie in einem "Gruppenbild" an einer Wand ihres Gruppenraumes repräsentiert. Unter jeder Fotografie stehen Name und Geburtsdatum. Auch die Tatsache, dass jeder Zugewinn eines Lebensjahres mit einer Geburtstagsfeier gewürdigt wird, macht das Alter zu einem der bedeutsamsten Attribute eines Kindergarten-Kindes. Macht man sich klar, dass die Feier der Kindergeburtstage mit ihren wiederkehrenden Ritualen einzigartige Anerkennungsprozesse in der Biografie von Kindergartenkindern repräsentieren, so ist frappant, welche Akzente auf ein quasi naturgesetzlich ablaufendes Phänomen gesetzt werden, wohingegen Prozesse der Auseinandersetzung mit der Umwelt, des Lernens schlechthin in der Gleichgültigkeit des dahinlaufenden Freispiel-Alltags völlig unbemerkt bleiben können, selbst wenn sie von einer Erzieherin beobachtet, ermutigt oder anerkannt werden - so kommt ihnen doch für ihre Erfolge oder Lösungen auf die im Kindergarten zu bewältigenden Probleme keine Form der Beachtung zu, die den Altersanerkennungsprozessen gleichkäme. Prozesse der Anerkennung von Personen sind soziale Prozesse, in denen über die Kopplung von Individualität und Sozialität Normen und Werturteile praktiziert werden.
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Im Kindergarten S. kommt den sog. Schulkindern besondere Beachtung zu. Sie werden zu einer Gruppe zusammengefasst, die sich regelmäßig trifft und der Schulvorbereitung der Kinder dienen soll. Es handelt sich dabei aller dings nicht um ein kognitives Training, wie es in den 60er und 70er Jahren durch die sog. Vorschulmappen vermittelt wurde, vielmehr sollen die Gleichaltrigen zusammengeführt werden und ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln. Die künftigen Klassenkameraden bereits zu kennen und mit ihnen befreundet zu sein, erleichtere den Übergang in die Schule, berichten die Erzieherinnen. Das inhaltliche Programm sieht neben den regelmäßigen Treffen im Kindergarten eine Reihe von Exkursionen vor, die die Auseinan dersetzung mit Themen anregen soll, die sich auf den bevorstehenden Lebensabschnitt der Schulzeit beziehen. Dazu gehört z.B. eine Verkehrsschulung, die von der örtlichen Polizei durchgefiihrt wird, ein Besuch der Bank mit Besichtigung der Tresore oder der Besuch einer Zahnarztpraxis. Neben den regelmäßigen Treffen und Exkursionen trägt insbesondere die Teilnahme der Schulkinder an den religionspädagogischen Einheiten eine hohe Wertigkeit Die örtliche Religionspädagogin widmet sich mit der Unterstützung der Kindergartenleiterin in einer Reihe religions- und gestaltpädagogischer Gruppenangebote der Förderung der Kinder. Erklärtes Ziel der Veranstaltungen, die sich an religiösen Geschichten entzünden, deren Inhalte in Legespielen mit außergewöhnlich ästhetischen Materialien, Sing- und Bewegungsspielen erarbeitet werden, ist die Stärkung der Persönlichkeit jedes einzelnen Kindes. So werden alle Kinder zu Beginn jedes Treffens einzeln von der Religionspädagogin begrüßt und bei ihrem Namen benannt Diese rituelle Hervorhebung der Individualität ist dann auch ein durchgehendes Prinzip, das im Kreis der Gruppe in die Erarbeitung der religiösen Mythen eingeflochten ist Eingebunden in eine Metaphorik der Ganzheitlichkeit, des natürlichen Wachstums und eine Zeitlogik, in der sich Dinge in ihrem Ablauf als ein Geschehen mit Anfang und Ende entfalten, sollen Kinder hier einen Erfahrungsraum finden, in welchem ihnen Wertschätzung und Anerkennung zuteil wird. Verglichen mit den selbst organisierten offenen Spielsituationen der Freispielphase steht die Zugehörigkeit in diesem Setting nie in Zweifel. Die durchgehende Anerkennung dieses Angebotes, die Wertschätzung der Arbeit der Religionspädagogin ("Die macht das unheimlich gut!") verknüpft die in der Sonderförderung der Schulkinder vollzogene Altersunterscheidung mit der pädagogischen Qualifizierung des Kindergartens. Die Zugehörigkeit zur Gruppe der Schulkinder hat sowohl eine Innenals auch eine Außenwirkung. Schafft sie auf der Seite der Teilnehmer Zuge-
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hörigkeit, ein engeres Verhältnis zu denen, mit denen man im nächsten Jahr zur Schule gehen wird, so bringt sie nach außen hin ein Verhältnis zwischen älteren und jüngeren Kindern zur Geltung, das in vielfältiger Weise in den Alltag kodiert ist. Ein Schulkind zu sein kommt einem exklusiven Status gleich. Das ist von den Erzieherinnen auch so intendiert. Die Prozesse demokratischer Willensbildung, die bereits in den ersten Schulkindertreffen über die Selbstverleihung eines Namens für die Gruppe in Gang gebracht werden, werden der Öffentlichkeit des Kindergartens und seinen Besuchern im Treppenhaus in Form einer Sammlung bisheriger Namensvorschläge quasi als Zwischenergebnis dargeboten. Dort können Passanten auch die weitere Entwicklung des Gruppenprozesses mitverfolgen. Nach der Entscheidung, die in diesem Jahr auf den Namen .Sternenkinder" gefallen ist, wird die Auserwähltheit der Gruppenmitglieder durch bemalte Papiersterne im Treppenhaus repräsentiert. Nur die Schulkinder durften sich an der Malaktion beteiligen. Angesichts dieser Exklusivität der künftigen Schulnovizen erläutert eine Erzieherin: "Die Kinder sollen schon merken, dass das was ganz Besonderes ist, wenn man zum Schulkind wird. Gerade die Kleineren sollen daraufaufmerksam gemacht werden, damit sie das schon für das nächste oder übernächste Jahr wissen. Es ist ja auch nicht ungerechtgegenüber den Kleinen, denn es kommt ja jeder einmal an die Reihe. Es wird ja jeder einmal zum Schulkind."
Neben diesen bewusst intendierten Hervorhebungen, die den Besuchern des Kindergartens vermitteln, dass hier mit den Vorschulkindern etwas gemacht wird, gibt es viele derartige Kodierungen, die in Alltagssituationen eingeschrieben sind. So erzeugt etwa die im folgenden Protokoll geschilderte Rückkehr der Schulkinder von einer gemeinsamen Exkursion eine wertende Unterscheidung zwischen denen, die auf die Schule vorbereitet werden, und denen, die noch nicht an der Reihe sind: Bärengruppe Zwischenzeitlich kommen die Schukis zurück Sie strömen regelrecht in den Raum. Auch die Erzieherinnen, die die Kinder begleitet haben, kommen in die Biirenqruppe: Karo, Klaudia, Karin ... Tim(6) kommt zu mir herüber und berichtet stolz, dass er mit der Polizei im Ort spazieren gegangen sei ... Ich zeige mich überrascht und paraphrasiere ihn: "Da gehst du also mit der Polizei im Ort spazieren!" ... Er korrigiert sich: .Nee", sagt er,
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"das war wegen der Verkehren." In Hochdeutsch fügt er nach einer kur zen Pause der Besinnung korrekt hinzu: "Wir haben die Verkehrsregeln gelernt" Daraufhin schreitet er hinüber zu Erzieherin Klaudia und dann zum Frühstückstisch, wo bereits drei Kinderfrühstücken. Währenddessen berichten die Erzieherinnen von dem Rundgang mit der Polizei. Sie erzählen, wer sich gar nicht benommen hat und so weiter.
Die Rückkehr der Schulkinder von ihrer Exkursion markiert im Alltag des Kindergartens ein ungewöhnliches Ereignis, denn es ist schon etwas Besonderes an derartigen Bildungsausflügen teilnehmen zu dürfen. Szenarien wie diese sind zwar vordergründig Rückkehr -, Begrüßungs- und Erzählsituationen, sie entfalten ihre Wirksamkeit jedoch in der Perspektivität und Performativität der Unterscheidung von Personentypen, denen, die daran teilnehmen dürfen, weil sie zu den Schulkindern gehören, und denen, die erst im nächsten oder übernächsten Jahr an der Reihe sind. Eine Reihe von Artefakten, die unmittelbar mit dem Sonderförderstatus der Schulkinder zu tun haben, tragen zu einer Festschreibung dieser Differenzierung zwischen den Schulkindern und den anderen bei. Maltisch (Bärengruppe] Gegen Ende des Vormittags zeigt mir die Vorpraktikantin die Mappen für die Schulkinder. Sie war den ganzen Morgen über nicht in der Gruppe, denn sie hat die .neuen" Mappen für die Schulkinder fertiqqestellt: Danach deponierte sie sie in einem Container im Malraum. Da ich mich dafür interessiere, zeigt sie mir die Mappen. Sie sind aus Pappe und außen sehr dekorativ hergerichtet Beschrieben sind sie mit dem Spruch: .Hurrah, ich bin ein Schulkind!" Als erstes und oberstes Blatt in der Mappe bescheinigt eine Urkunde des Kindergarten-Trägers den Besuch des letzten Kindergartenjahres. Hinter der Urkunde liegen Malblätter. Bei der Mappe, die wir uns gerade anschauen, sind diese Malblätter nicht gerade eine Steigerung kindlicher Kreativität, vielmehr viel Gekritzeltes. (Ich vergleiche sie insgeheim mit den "schönen" Mappen des Kindergartens in N., dort war die Kindergartenzeit mit Fotos und vielen anderen "schönen" Dokumenten belegt Sie wirkten wie gut geführte Schulhefte].
Verweist die aufwendige Gestaltung der Mappe, ihre Bestückung mit einer Urkunde sowie ihre aufwertende Beschriftung darauf, wie der Übergang zur Schule von den Erwachsenen gewürdigt wird, so schafft sie auch unter den Kindern eine Personen differenzierende Perspektivität zwischen jenen, die
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vor dem Schuleintritt stehend Besitzer einer Mappe sind, und jenen, die noch mindestens ein Jahr im Kindergarten bleiben müssen. Mappen sind Statussymbole. Sie verleihen dem Malen der älteren Kinder eine größere Bedeutsamkeit, da ihre Bilder in die Mappe kommen bzw. bereits in der Mappe sind und nur zur Verschönerung noch einmal herausgenommen werden. Bärengruppe Herein strömen: Lars mit justus und Fiona. Lars geht zielbewusst zu dem großen Plastikbottich links neben der Durchgangstür, in dem sich die Mappen befinden, die einmal die Abschiedsmappen der Kinder werden. Aus seiner Mappe nimmt er ein zur Hälfte bemaltes Mandala, legt es auf den Tisch und beginnt geschäftig, es weiter zu bemalen. Kaum hat er damit angefangen, beginnt er mit den Schießgeräuschen, die vor einigen Wochen Sebastian bei seinen Star-War- und Titantc-Bildern ständig als Begleitgeräusche erzeugte. Während er das Schießgeräusch macht. blickt er beobachtend um sich. Völlig erstaunt schaue ich ihn an, denn ich erinnere mich unwillkürlich an die Malszenarien der Schulkinder des letzten jahres. Er grinst ein wenig verschmitzt. vielleicht aber auch geniert und hört wieder aufmit dem Schießen. Er malt an seinem Mandala.
Vor wenigen Wochen drängte sich Lars noch an den Maltisch, an dem sein älterer Bruder gemeinsam mit den anderen gleichaltrigen Schulkindern hier das Geschehen bestimmte. Die Rivalität der beiden Brüder war stets ein begleitendes Moment ihrer Interaktionen. Für Lars war dies umso schlimmer, als sein Bruder mit den damaligen Schulkindern eine Gemeinschaft bildete, an der er noch nicht teilnehmen durfte. Jetzt, kurz nach den Sommerferien, hat sein Bruder den Kindergarten verlassen und er ist in die Position eines Schulkindes aufgerückt. Die Demonstration seiner Mappe und dies in Kombination mit der Imitation der Malgewohnheiten, durch die vor den Sommerferien ein anderes Schulkind dem Geschehen am Maltisch eine unverkennbar individuelle Charakteristik verlieh, versieht die Situation mit einer Ereignishaftigkeit, die die Aufmerksamkeit der Ethnografin unvermittelt in Anspruch nimmt. Das im ethnografischen Protokoll nicht weiter explizierte, der Erinnerung aber noch zugängliche Erstaunen darüber, dass sich jetzt Lars genauso verhält, wie sich vor einigen Wochen nur Sebastian verhalten hat, der das Geschehen unter den Schulkindern maßgeblich beeinflusste, verweist darauf, wie Lars dafür sorgt, dass er jetzt als einer der Großen anerkannt wird. Mappe und die "ausgeliehenen" Malbegleitgeräu-
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sehe verleihen dem Geschehen einen Zeichencharakter, der die Perspektivität zwischen älteren und jüngeren Kindern, genauer gesagt, den Schulkindern und den anderen Kindern performativ reproduzierts-. Durch die Selbstkategorisierungen - im Fall von Lars mit Hilfe der Schulkindermappe und der Malbegleitgeräusche - ordnen sich Individuen einer sozialen Gruppe (den Schulkindern) zu. Ihre Kommunikationspartner müssen ihrerseits die Kennzeichen zu deuten wissen. Die geschilderte Situation lässt sich als eine gelungene Selbsttypisierung lesen, denn die Ethnographin bringt die zur Selbstetikettierung verwendeten Artefakte in Verbindung mit den im Forschungsfeld unterscheidbaren Personenkategorien. Die Selbstkategorisierung mit Hilfe der Mappe, durch welche die Zugehörigkeit zu den Schulkindern markiert wird, erfährt durch die Malbegleitgeräusche eine Steigerung, obwohl diese den Schulkinderstatus gar nicht symbolisieren. Ihre Reproduktion war jedoch dazu geeignet, bei der Ethnographin den Eindruck zu vermitteln, dass die Plätze der im letzten Kindergartenjahr älteren Kinder nun von den Nachrückenden übernommen werden. Ähnlich wie mit den Mappen als unverkennbaren Insignien der Schulkinder verhält es sich auch mit den Mandalas. Mandalas sind ihrer ursprünglichen Bedeutung nach Diagramme, die in östlichen Religionen (ZenBuddhismus, Tantrismus) geistige Zusammenhänge versinnbildlichen und als Meditationshilfe eingesetzt werden. Im Kindergarten dienen die kreisförmigen Muster als Schablonen für Malübungen. Nun gibt es Mandalas für die Kleinen und Mandalas für die Großen. Ihrem Schwierigkeitsgrad nach sind sie abgestuft. Sie sollen dem Entwicklungsalter der Kinder angepasst sein, deshalb haben die Mandalas für die Großen mehr Linien und damit kleinere Flächen. Das Ausmalen derselben erfordert ein wenig mehr motorische Geschicklichkeit und auch Konzentration, als die Kolorierung der großflächigeren Mandalas für die Kleinen. Den Situationen, in denen "große" und "kleine" Kinder Mandalas bemalen, ist aber durch die Unterschiedlichkeit der Malvorlagen eine Differenz zwischen den Personenkategorien eingeschrieben. Die unterschiedlichen Malvorlagen bringen nun ganz unabhängig von der motorischen Geschicklichkeit der Kinder eine Perspektivität zwischen den Großen und den Kleinen zur Geltung, die vermeintlich dem Entwicklungs niveau der Kinder Rechnung trägt Der Kindergarten kann dadurch zeigen, dass er die Kinder entsprechend ihrem Entwicklungsstand
Harvey Sacks (1992) hat in seinen konversationsanalytischen Arbeiten das Konzept des MIR (Membership; Inference; Reference) entwickelt, um die Methoden zu kennzeichnen, mittels derer Personen in der Interaktion mit anderen ihre Identität hervorbringen.
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fördert Die Kinder greifen diese Altersdifferenzierung jedoch auf, um ihr Verhältnis zueinander zu definieren. Vor dem Verlassen der Gruppe schaue ich noch kurz in den Malraum. Einige Kinder sitzen am Maltisch. Ich erkundige mich bei ihnen, was sie tun. Sie zeigen mir ihre Mandalas und erklären, dass die für die Großen schwieriger sind. "Die haben größere Flächen?': provoziere ich, wohl wissend, dass es sich umgekehrt verhält Die Kinder fallen protestierend in einem Chor ein: "Kleinere Pl äcnenlt", rufen die Großen. Sie zeigen mir die Mandalas und erklären mir die Unterschiede zwischen denen für Große und denen für Kleine noch einmal ganz genau. Ich[rage, wer hier groß ist Annika antwortet, dass sie schon sechs ist Fabienne schließt sich an, sie sei fünf. Ich[rage, ob es für Fünf und Sechsjährige auch unterschiedliche Mandalas gibt Nein, beide haben die Mandalas für die Großen.Auch Max, der fünf ist, hat ein Mandala für die Großen. "Ich bin schon vier!': schaltet sich Luisa, ihre Arme in die Seiten stützend, ein. Sie hat ein Mandala für die Kleinen.
Liegt dem Gebrauch der beschriebenen Dinge eine stets mitlaufende, immanente Logik der Altersdifferenzierung zugrunde, so geht auch aus den direkten Erwartungen der Erzieherinnen an die Kinder eine Altersdifferenzierung hervor, die den älteren Kindern gegenüber den jüngeren schon eine gewisse Verantwortung überträgt. Sie sollen ihnen, wo nötig, ein wenig helfen, zum Beispiel beim Binden der Schuhe oder beim Malen, wissen die Älteren der Ethnographin zu berichten. Das Älter-Sein scheint aber trotz der auferlegten Pflichten keine Last darzustellen, denn die Älteren sind stolz auf ihren Status. Danach befragt, womit sie den Kleinen beim Malen denn helfen müssen, entsteht zuerst eine kleine Verlegenheit, dann antwortet eines der Mädchen: ,,Ach, mit Kritzel -Krotzel", Den spontanen gestischen Kommentierungen der Kinder auf diese Äußerungen nach zu urteilen, erscheint der Ethnographin die Sachlage so, als wüssten die Kinder um den Vorwandcharakter ihrer Begründung und damit implizit zugleich um die Notwendigkeit eines diskursfähigen Argumentes für ihre Bevorzugung. Die beschriebenen Praktiken lassen sich als Kodierung einer Altershierarchie lesen, die den selbstverständlichsten Situationen eingeschrieben sind und als solche den beteiligten Akteuren als stetige Schematismen zur Selbst- und Fremdtypisierung zur Verfügung stehen. Kinder greifen, wenn sie untereinander sind, auf diese Schematismen zurück, sie verleihen ihnen Orientierung und schaffen zugleich eine Ordnung, die über die Zuschreibung
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personaler Fähigkeiten an Altersstufen die Kommunikation unter ihnen perspektivisch macht. Man hat es entweder mit Gleichaltrigen, Älteren oder Jüngeren zu tun und kann das beobachtete Geschehen auf diese Perspektive hin ordnen. Entsprechend der Bedeutsamkeit, die die Alterszugehörigkeit als Moment der Strukturierung der Beziehungen der Kinder untereinander einnimmt, markieren die Geburtstagsfeiern wichtige Ereignisse im Kindergartenalltag. Unabhängig davon, ob sich ein Kind ein Geburtstagsfest wünscht oder nicht, werden alle Geburtstage gefeiert. Bis ein Kind nach einer dreijährigen Kindergartenzeit in die Schule kommt, hat es im Regelfall 75 Kindergeburtstage miterlebt. Anders als bei privaten Geburtstagsfeiern ist das Geburtstagsfest die Angelegenheit der gesamten Gruppe und wird im täglichen Sitzkreis gefeiert. Der vergesellschaftete Charakter der Alterszugehörigkeit lässt sich in der Allgegenwart von Ereignissen rund um die Geburtstagsfeiern nachzeichnen. Viele kleine Episoden, die um das Geburtstagsmotiv kreisen, durchziehen den Alltag. In einer der Gruppen hängen beispielsweise viele kleine fertig verpackte Geschenke für die Geburtstagskinder als hübsche kleine Präsente von der Decke herab und warten darauf, bei der nächsten Gelegenheit von einer Erzieherin abgeschnitten und einem Geburtstagskind überreicht zu werden. Auch die alltäglichen Routinen der Erzieherinnen sorgen dafür, dass auf keinen Fall ein Geburtstag vergessen wird: Bärengruppe (Erzieherin Klaudia ist schon seit einer Weile damit beschäftigt, die Anwesenheit der Kinder zu kontrollieren. Sie ist über die Anwesenheitsliste gebeugt, die vor ihr auf dem Schränkchen zwischen dem Frühstückstisch der Kinder und dem Spiele-Tisch liegt Offensichtlich fällt ihr plötzlich auf, dass justus morgen Geburtstag hat] "Der justus hat morgen ja Geburtstag': ruft sie in den Raum, so dass alle, die hier sind, es hören können . "Da haben wir morgen ja wieder ein Fest" (Einige Zeit sp äter] Drei jungen befinden sich in der Rollenspielecke. Es ist die Rede von einem fliegenden Teppich. Dann sagt einer von ihnen, dass[ustus' Geburtstag morgen gefeiert würde. (Einige Minuten danach.] Klaudia mit einem Mädchen auf dem Sofa. Sie liest ihm aus einem Bilderbuch vor. Luisa, zuerst auf dem Sofa, kommt zu mir herüber und berichtet jetzt auch, dass justus morgen Geburtstag habe. Ich zeige mich erstaunt, sie erklärt mir, da gäbe es ein großes Fest
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Die Kinder sind mit den rituellen Zeremonien sehr vertraut Diese unterscheiden sich zwar von Gruppe zu Gruppe immer ein wenig, ein Gerüst gleichartiger Praktiken ist allerdings über die jeweiligen Besonderheiten einzelner Gruppen hinweg gleichbleibend. Fast immer werden zu Beginn der Feier drei unterschiedliche Geburtstagslieder gesungen. Der anschließenden Gratulation und Beschenkung des Kindes folgen Gruppen- bzw. Kreisspiele, bei denen das Geburtstagskind eine Sonderrolle spielen darf, sei es, dass es sie auswählen, sei es, dass es zentrale Rollen in ihnen einnehmen darf. Trotz dieser schematischen Ähnlichkeit sind dann doch alle Geburtstagsfeiern anders und es hängt davon ab, wer Geburtstag hat, wie die Erzieherinnen das Geschehen moderieren, wie die Eltern des Kindes das Feiern von außen mit betreuen bzw. vorbereiten, ob das Kind beliebt ist und sich selbst eine Feier wünscht usw. Der vergesellschaftete Charakter der Geburtstagsfeste lässt sich aber gerade an jenen besonderen Fällen studieren, in denen die Geburtstagsfeier ohne ein besonderes Engagement vonseiten der Teilnehmer vollzogen wird.
Sitzkreis (Bärengruppe) Geburtstagsfest von Rafet: Schon vorhin habe ich mich gefragt, ob die relative Stille und Übersichtlichkeit des Geschehens mit den neuen Raumsegmentierungen zusammenhängt Aber es sind wirklich wenige Kinder da, nur 12, sodass der Sitzkreis, in dem ich mich jetzt mit den anderen Kindern befinde, relativ klein ist Ich habe mich zwischen die beiden Mädchen Pia und Laura gesetzt, die mir schon einen Platz bereitet hatten. Sie wollten unbedingt, dass ich mich zu ihnen setze. Nun schmiegen sie sich rechts und links an meinen Körper. Vor Rafet; der eine Krone trägt, ist ein kleines Tischehen aufgebaut, Erzieherin Anna hat sechs kleine Geburtstagskerzen angezündet und versucht die Kinder so zu disziplinieren, dass die Zeremonie beginnen kann. Über ihre linke Hand hat sie eine EisbärPuppe gezogen und will anfangen, damit zu den Kindern zu sprechen, aber diese disziplinieren sich noch nicht richtig. Sie greift einige Male in das Register der Drohungen, um Ruhe herzustellen. Tim, der gar nicht davon ab will, die Sitzordnung zu bestimmen, muss dazu des Raumes verwiesen werden. Dann beginnen die Rituale, zuerst die Lieder: "Viel Glück und viel Segen ': "Happy Birthday", "Wie schön, dass du geboren bist". Die Kinder kennen die Lieder in- und auswendig und beteiligen sich spontan an den von Anna eingesungen Geburtstagsliedern. Dann hören sie aber nach und nach auf zu singen und die Erzieherin ermahnt sie zum
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Mitmachen. Das scheint sie jedoch wenig zu interessieren. Sie sehen gelangweilt aus. Nach Abschluss der Liedvorträge zieht Erzieherin Anna die Stoffpuppe mit dem Eisbärengesicht über ihre Hand und geht hinüber zu Rafet: Während sie ihre Stimme in eine Kinderstimme verwandelt- streicht sie Rafet mit der Puppe, Küsschen gebend, immer wieder übers Gesicht und gratuliert ihm auf diese Art und Weise zum Geburtstag. Danach treten die Kinder Reih um zu Rafet heran. Sie zitieren den erlernten Gratulationsspruch und drücken Rafet ein Küsschen auf die Wange. Aber bald stocken die Gratulationen. Die größeren deutschen Jungen möchten Rafet nicht gratulieren, sie schütteln ihm nur ganz kurz die Hand und gehen eilig wieder zurück aufihre Plätze. Als Anna sie ermahnt- richtig zu gratulieren, rufen die Jungen aus Protest Zoten in den Raum. Wegen der vielen Unterbrechungen und Ermahnungen dauert es sehr lange, bis alle Teilrituale der Feier vollzogen sind: das Ausblasen der Kerzen, die Auswahl eines Geburtsgeschenkes, das Öffnen des Geschenkes, das Bedanken für das Geschenk und schließlich die drei anschließenden Kreisspiele, die das Geburtstagskind sich auswählen und eine zentrale Rolle darin spielen darf Während der ganzen Zeit greift die Erzieherin immer wieder in das Geschehen ein, sanktioniert- schimpft, droht einzelnen Kindern mit Ausschluss. [...J Als das Fest beendet ist und die Kinder aufs Freigelände dürfen, rasen sie sofort los, auch Rafet:
Der gewohnheitsmäßige Ablauf des Rituals wird durch den Gebrauch von Artefakten stabilisiert Die gebastelte Krone, die das Kind an diesem Tag zum Auserwählten macht, der Geschenketisch, die Geburtstagskerzen und nicht zuletzt die Handpuppe sind Requisiten, die die Normalität des Alltags kennzeichnen. Der Boykott und die widerwillige Teilnahme an der Geburtstagsfeier akzentuieren den institutionalisierten Charakter, sie unterstreichen die Funktion der Rituale als Verstetigung des allgegenwärtigen Altersbezuges.
4.1.3 Erkämpfte Leiblichkeit als Widerstand gegen die pädagogische Alltagsordnung
Die sozial räumliche Strukturierung des Kindergartens in Zonen für Kinder, Transitwege und exklusive Orte der Erwachsenen hat zur Folge, dass Kinder und Erwachsene auch in ihrer Körperlichkeit weit .auseinanderrücken', Dies
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ist zwar kein pädagogisches Programm, ergibt sich aber als Konsequenz einer an den pädagogischen Kriterien orientierten Alltagsorganisation. Während sich allerdings die Erzieherinnen darin bestätigt fühlen, wenn Kinder eigenständig miteinander spielen, lassen sich viele Episoden entlang des Alltags beobachten, in denen Kinder viellieber etwas mit den Erwachsenen gemeinsam tun und dabei auch eine leibliche Nähe zu ihnen herstellen würden. Wie sehr dies ein Anliegen der Kinder ist, lässt an den seltenen Situationen erkennen, in denen die üblichen Regeln außer Kraft gesetzt sind. Eine solche Szene ereignete sich während einer personellen Notsituation (Personalwechsel, Krankheit einer Erzieherin) des Kindergartens. Die Betreuung der Kinder einer Kindergartengruppe konnte an diesem Tag nur durch eine externe Aushilfskraft sichergestellt werden. Außer ihr befand sich eine .Schnupperpraktfkanttn" in der Kindergartengruppe, sie war Sch ülerin der örtlichen Gesamtschule, die im Rahmen eines dreiwöchigen Praktikums erste Erfahrungen mit der Berufswelt sammelte. Als solche trug sie in den Kontakt zu den Kindern weder professionelle Vorstellungen hinein, noch bewegte sie sich im Medium der üblichen Selbstverständlichkeiten des Kindergartenalltages. Rollenspielbereich (Bärengruppe) Auf dem Bett sitzt die Schnupperpraktikantin. Sie hält das Bilderbuch "Der Regenbogenfisch" in den Händen und liest vier Kindern daraus vor. Sie liest schnell und lässt den Kindern keine Zeit, die Bilder zu betrachten. Diese sitzen rechts und links neben ihr aufder Matratze. Sie drängen sich an ihre Seiten, fassen die Praktikantin mit ihren Händen an, scheinen aber an der Geschichte wenig Interesse zu finden : Sie beobachten das Geschehen im Raum: z.B. mich auf dem Schaukelstuhl, dann Lisa und Manuela, die auf dem Boden wieder .fauchende Katze" spielen, und sie beobachten, wie mir Oliver und Sina ein Tässchen Kaffee aus der Puppenkü che anbieten. Das beobachten die, die fest angelehnt neben der Praktikantin sitzen, während diese das Buch in der Hand hält und liest Draußen, am halbgeschlossenen Vorhang, der den Rollenspielbereich vom übrigen Raum abtrennt, kommen Kinder vorbei. Beobachtend schauen sie herein zu uns. Mirfällt auf, dass heute schon viel mehr Kinder hier in der Rollenspielecke sind, als es gewöhnlich sein dürfen: nämlich vier bis fünf Die von draußen kommen jetzt auch noch hinzu und setzen sich zur Schnup perpraktikantin auf die Matratze. Dort wird es jetzt eng. Alle wollen während sie liest - möglichst nahe an sie heran. Sie rangeln um die besseren Plätze. "Hier war ich!" Aber dann pendelt sich das Geschehen doch
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wieder ein, der Kinderschwarm beruhigt sich, einzelne belagern den unteren Teil ihrer Beine, andere die Seiten und die Arme. Während ich an der Kamera herumhantiere, wird die Praktikantin immer hektischer. Sie liest schnell, nervös und verbessert sich häufig. Als ich mich zu ihr umdrehe, hat sich die Szenerie verändert: julia (die sonst als Kleinere immer hinten ansteht] sitzt jetzt auf dem Schoß der Schnupperpraktikantin. Rittlings wie ein Sultan lehnt sie mit dem Rücken an deren Oberkörper. Ihre Arme vor der Brust verschränkt blickt sie genüsslich in das vor ihr hingehaltene Bilderbuch, während die Praktikantin umständlich an ihr vorbeischaut und überreizt daraus vorliest Auch die anderen Kinder nehmen den Körper der Lesenden mehr und mehr in Beschlag. Es entstehen Lücken in ihrem Redefluss. Da zeigen die Kinder mit ihren Fingern auf die Bilder und erklären das Bildgeschehen. Sie kennen die Geschichte genau. Dann drehen sie die Seite um und die Praktikantin muss fortfahren. Ich gehe hinaus. Draußen am Spiele-Tisch sitzt Klaudia. die nur aushilfsweise an diesem Standort ist Sie blickt ungläubig hinein. Kurze Zeit später tritt auch die Praktikantin aus dem Rollenspielraum . Sie wirkt etwas zerzaust und verlässt rasch den Raum.
Die geschilderte Szene lässt erkennen, wie schnell die Kinder die Möglichkeiten nutzen, die sich für sie angesichts der außer Kraft gesetzten Alltagsordnung eröffnen. Die gleichsam in den Alltagspraktiken zurückgedrängte Leiblichkeit des Bezugs zu den Erwachsenen wird hier zum zentralen Anliegen der Kinder. Ins Zentrum des Geschehens rückt die Überwlndung der körperlichen Distanz zu der Praktikantin. Dieses Begehren wirkt umso dringlicher, als es sich im Verlauf des Geschehens in der Belagerung und Okkupation des Körpers der Praktikantin steigert, einer (fast) erzwungenen Intimität. Dabei ist es nicht so, dass die Erzieherinnen generell die Leiblichkeit ablehnen, vielmehr reduzieren die komplementären Praxen der AlItagsgestaltung die Gelegenheiten für die körperlichen Begegnungen. Wie kostbar diese Begegnungen aber für die Kinder sind, lässt sich an den täglich sich im Sitzkreis wiederholenden Kämpfen um einen Platz gleich neben den Erzieherinnen ablesen. Diese Verwiesenheit der Kinder auf die Erwachsenen lässt sich dann vonseiten der Erzieherinnen auch instrumentell gebrauchen: Sitzkreis in der Mitte des Gruppenraumes (Der Sitzkreis ist von der Erzieherin Klaudia. der Praktikantin Mia und dem fünjjährigen Oliver mit den kleinen Sitzteppichen ausgelegt worden.
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Die Kinder, die hinter der Linie auf das Kommando gewartet haben, dürfen jetzt herein). Sie strömen, einige stürzen herein und nehmen die Plätze ein. Seyda hockt sich an meine Seite auf dem Sofa und drückt sich an mich, sie lächelt Seher ist plötzlich auf der anderen Seite, doch dann setzen sich beide zu den anderen Kindern in den Kreis. Seyda ruft: .Klaudia! Klaudia!" (Erzieherin), und klopft mit der Hand aufden Sitzteppich an ihrer rechten Seite. Seher hat sich einen anderen Platz gesucht und wie ihre Schwester und andere Kinder versucht auch sie, Klaudia an ihre Seite zu bekommen. Klaudia erklärt beiden. dass sie nicht neben ihnen sitzen wolle, da sie sich heute Morgen nicht benommen hätten. Auch andere Kinder wollen unbedingt, dass sich Klaudia an ihre Seite setzt Klaudia sucht sich dann aber einen Platz aus, in dessen unmittelbarer Nähe noch keine Kinder sitzen und wählt dann zwei Kinder aus, die sich rechts und links von ihr niederlassen dürfen . Laura darf an ihrer rechten Seite, Oliver an der linken sitzen. Gegenüber den anderen Kindern begründet sie dies damit, dass sich die beiden am Morgen benommen hätten. Nachdem scheinbar alle einen Platz eingenommen haben, ruft ein Mädchen auch nach Mia (Praktikantin), die sich dann auf den noch freien Platz neben dem Mädchen niederlässt
Am gleichen Ort mit einer vertrauten erwachsenen Person im Kindergarten sein zu können, wird von den Kindern fast immer als Gelegenheit wahrgenommen, auch ein körperliches Verhältnis zu ihr herzustellen. So rückt z.B. auch während der sog. Angebote häufig der didaktische Aspekt einer Situation in den Hintergrund zugunsten der Herstellung eines körperlichen Zusammenseins mit den Erwachsenen. Befindet man sich nur in ihrer Nähe, drücken sich ihre Hände in die eigenen Hände, sitzt man mit ihnen am Maltisch, dann lehnen sie sich oft rechts und links an den Körper oder legen ihren Kopf auf den irgendwo abgestützten Arm. Obwohl ich als Ethnografin auch oft versuchte, meine Beobachtungstätigkeit von abseitigen Orten aus durchzuführen, verschafften sich die Kinder doch immer wieder Zugang zu meinem Körper. Sie beugten sich über das Feldtagebuch, blickten neugierig hinein, umringten mich und wollten auch hineinmalen. Oft versuchten sie auch, mich unmittelbar in das Geschehen unter ihnen hineinzuziehen und mich möglichst darin festzuhalten.
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Arztzimmerü Während ich im Arztzimmer die Arzneipäckchen, Spritzen, Binden und Salben betrachte, gruppieren sich einige Kinder um mich herum. Sie beginnen, sich um mich zu kümmern, sie verabreichen mir Spritzen und ich bekomme Tröpfchen. [...] Es macht ihnen offensichtlich Spaß, mir abwechselnd ein Serum in den Arm zu spritzen und mir Blutproben zu entnehmen. [...] Nachdem sie mich eine Weile behandelt haben, sage ich, dass ich jetzt nach Hause fahren müsse. Aber sie sind mit meiner Absicht nicht einverstanden. Hier sei mein Zuhause, und sie fordern mich auf, mich auf das Bettehen zu setzen, wo sie mich noch weiterzubehandeln hätten. Ich leiste ihrer Aufforderung Folge, werde sodann weiterbehandelt Sie wickeln mich in eine Decke und lagern mich der Länge nach auf das Bett, ein kleines Kissen wird mir unter den Kopf geschoben. Ein Bein guckt noch unter der Decke heraus, es wird auch noch gut in die Wolldecke verpackt Ich fühle mich sehr wohl hier bei den Kindern. Sie drängen sich an mich heran. Ein Kind legt sich aufmeine Beine und legt beide Hände - wie beschützend - aufmich. Die anderen fassen mich weiter oben am Kopf an oder streicheln mir die in die Wolldecke eingepackten Arme. Ob es mir so gut gehe, [ragt mich eines der Mädchen, oder ob sie das Kopfkissen etwas flacher legen solle. Ich bin für "flacher". Es ist wunderbar, hier zu liegen und die Liebkosungen der Kinder zu erfahren. Aber dann muss ich einfach gehen und kündige dies wieder an, nicht ohne den Widerstand der Kinder kennenzulernen. Dies sei mein "Daheim': sagen sie. Ich erkläre, dass ich aber wirklich heim müsse und dass sie mich zum Spielen doch gar nicht bräuchten. Das sehen die Kinder aber völlig anders. Ein Mädchen ruft in den Raum, dass sie (die Kinder) gerade die Großen zum Spielen brauchen. Bisweilen gibt es auch Gelegenheiten, in denen das Lernen der Kinder gleichsam mit der körperlichen Bezogenheit zu einer Erwachsenen amalgamiertist Rollenspielecke In meine Aufzeichnungen vertieft, sitze ich, mit dem Rücken an der Wand lehnend, immer noch am Rand des kleinen Bettchens in der Rollenspielecke. Der Vorhang nach draußen ist weitgehend geschlossen . Hier drin
Es handelt sich um eine durch Vorhänge völlig verschließbare Spielecke im Gruppenraum, der einen ärztlichen Behandlungsraum repräsentiert.
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sind wenige Kinder. Ich signalisiere nach außen, dass ich beschäftigt bin. Neben mich auf das Bettehen drängt sich GÜI. Sie rückt nahe an mich heran hält sich mit der Hand an meinem Arm und schaut in mein Feldtagebuch, während ich schreibe und mich nicht ablenken lassen will. Nach einer Weile geht sie zum Bücherregal und kommt mit einem Bilderbuch zurück Sie setzt sich wieder dicht neben mich und hält mir das Bilderbuch hin. Sie redet dabei - aber ich verstehe sie nicht Sie ist Türkin und redet meist mit den anderen türkischen Kindern türkisch. Sie schubst mich, weist aufdas Bilderbuch, das sie öffnet und mir unter die Nase hält "Da!': sie weist mit dem Finger auf Bilder, während ich nur kurz hinschaue und mich wieder auf meine eigenen Aufzeichnungen konzentriere. Sie lässt aber nicht locker, insistiert, sodass ich schließlich den Widerstand aufgebe. "Da!': sie weist aufeine Katze aufdem Bilderbuchbild und spricht Unverständliches, schaut mich fragend dabei an. "Eine Katze': sage ich. Sie beobachtet genau, wie ich spreche. "Katze': wiederholt sie. Ich nicke und bestätige: .Katze". "Katze': kommt als Echo von ihr zurück Dann weist sie auf andere Bilder: einen Wolf, einen Schneemann, ein Mädchen, eine Tür, eine Ax~ Skier und andere Dinge. Ich sage ihr, wie die Dinge heißen, und sie wiederholt Manchmal artikuliert sie schlecht; sodass ich deutlicher prononcieren muss. Sie ist sehr konzentriert bei der Sache, lächelt mich zwischenzeitlich an, wenn ich ihre Fortschritte bestätige. Dann weist sie auf mein Feldtagebuch. Ich soll es öffnen. Ich tue es. Während sie etwas redet; was ich nicht verstehe, weist sie mit dem Finger abwechselnd in das Bilderbuch und dann in mein Buch. Dort, im Bilderbuch, sehe ich einen Wolf. Ich versuche ihn zeichnend in mein Buch zu übertragen. Sie schaut sich das sehr aufmerksam an und bestätigt, dass ich das Richtige tue. "Wolf: sagt sie und weist verstärkt mit dem Finger an eine Stelle neben dem Kritzelbild. Ich schreibe "Wolf~ Sie nickt und schaut hin. Dann muss ich Schneemann, Katze, Tür, Axt und Skier malen und schreiben. So geht das eine ganze Weile, bis sie zufrieden ist Sie schließt das Bilderbuch und fordert auch mich auf, mein Heft zu schließen. Ich gehorche.
Als Erwachsene in der beschriebenen Art das Kinderbettchen in der Rollenspielecke einzunehmen, ist sicherlich nicht nur merkwürdig, sondern setzt bei den Situationsteilnehmern im Sinne von Garfinkeis Krisenexperimenten die üblichen Selbstverständlichkeiten und Vorannahmen über den möglichen Verlauf einer Situation außer Kraft. Im Rahmen der "normalen" Situationsdefinitionen haben Erwachsene auf dem Kinderbettchen eigentlich nichts verloren. Das Bettchen als lokaler Bereich ist in der Alltagsordnung
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eindeutig für Kinder vorgesehen. Dass es sich bei diesen Ordnungsverhältnissen jedoch um diejenigen der Erwachsenen handelt, erweist sich in der geschilderten Situation darin, dass für Giil der ungewöhnliche Anblick lediglich Anlass einer neugierigen Exploration bietet und trotz der kommunikativen Resistenz der Ethnografin, die Möglichkeit, das Geschehen in einem viel größeren Maß zu definieren, als dies gewöhnlich der Fall ist Die übliche Perspektivität zwischen Kindern und Erwachsenen wird umdefiniert Das Verhältnis stellt sich jetzt im Hinblick auf die zum Interaktionsgegenstand erhobene deutsche Sprache als ganz und gar anders aufeinander bezogen als im üblichen Alltagsleben dar. Die im Alltag programmatisch gewordene Eigenständigkeit der Kinder und Abstinenz der Erwachsenen wird hier situationsbedingt außer Kraft gesetzt Die Zuwendung der Erwachsenen erscheint in der neuen Situationsdefinition als ein vom Kind einzuforderndes Recht: Sie schubst mich. "Da!': sie weist mit dem Finger aufBilder. [...] Sie lässt aber nicht locker, insistiert Den Schilderungen ist zu entnehmen, dass sich die Ethnografin den Situationsdefinitionen des Kindes nicht entziehen kann und schließlich den Widerstand aufgibt
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Die kollektiven Ordnungen der Kinder
Wie und woran orientieren sich die Kinder in Anbetracht des Rückzugs der Erwachsenen aus einer aktiven Rolle des Zeigens und Vermitteins? Schließlich präsentiert sich ihnen die soziale Welt des Kindergartens als ein Nebeneinander fragmentierter Welten. Die Frage der Pädagogik, wie man in der Einheit einer pädagogischen Erfahrungswelt die zersplitterte Welt draußen angemessen repräsentieren kann, wird mit dem Programm der "Offenheit" abgekürzt, Pädagogik als didaktisch strukturierter Raum hat kaum noch Spiegelungsfunktion, sondern ist mehr und mehr die Welt selbst Zwar stellen die in der didaktischen Materialwelt des Kindergartens kodierten Elementaria unserer Gesellschaft einen symbolischen Kontext für die Begegnungen der Kinder dar, aber es handelt sich dabei nur um angedeutete Rahmungen, die der Außenwelt Tür und Tor öffnen. Der Zersplitterung draußen entspricht die Zersplitterung drinnen und den Verlust an Anschaulichkeit kann nur die Möglichkeit der Kalkulierbarkeit kompensieren. Diese setzt allerdings nicht an einem integrierenden Gesamtentwurf an, sondern im Kleinen, in der unmittelbaren Situation, in die man gerät und die einem eine Gelegenheit für Erfahrungen mit der Welt bietet Von da aus muss man sich
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selbst zu komplexeren Kartografien über den sozialen Raum (des Kindergartens) vorarbeiten. Die lokal und temporär geltenden Ordnungen der Kinder übernehmen dabei Orientierungsfunktion. Ihre Praktiken und Routinen bilden gleichsam die Strategie der Bewältigung der Offenheit. Sie bieten den Kindern nämlich die Gelegenheit, bei etwas mitzumachen. Das klingt trivial, ist es aber nicht, denn mit-anderen-Menschen -Dinge-gemeinsam-tun stellt die basale und identitätstiftende Erfahrung des In-der-Welt-Seins dar. Wenngleich es Aus nahmen gibt, so treffen die Gelegenheitsstrukturen zum Mitmachen bei den Kindern auf eine schier unerschöpfliche Unbefangenheit und Bereitschaft zur Teilnahme. Und, da sich im Kindergarten wenig Anlässe bieten, bei etwas mitzumachen, was die Erwachsenen tun, machen die Kinder bei dem mit, was sie sich gegenseitig zeigen. So stellt sich fast jede Situation unter Kindern dar als eine Frage danach, was es da zu tun gibt und wie dieses Etwas gemacht wird. Dabei sind dem Nachahmungseifer wenig Grenzen gesetzt, vor allem dann, wenn das gemeinsame Tun Freude zu bereiten scheint. Gleichwohl ist die mimetische Betriebsamkeit der Kinder nicht richtungslos, sondern wird vielmehr durch die kulturell vermittelte Symbolwelt des Kindergartens kanalisiert: Die Kinder malen am Maltisch, sie spielen Rollenspiel im Rollenspielbereich, sie puzzeln mit den bereitgelegten Puzzlespielen, verkleiden sich in der Kleiderecke und sie "verarzten" sich gegenseitig im ärztlichen Behandlungszimmer. Da die SpieI-Routinen mehr oder minder stereotype Handlungen sind, ist es möglich, sich unmittelbar daran zu beteiligen. Das direkte Mit-Machen-Können wird über das symbolische Framing (Goffman 1980) ermöglicht. So bedarf es keiner komplizierten Aushandlungen darüber, was wo gespielt werden kann. Vielmehr scheinen die Aktivitäten an bestimmten Orten angesiedelt zu sein. Spielorte und ihre Objekte stellen in diesem Sinn symbolische Kontexte der Begegnungen der Kin-der dar. Als primäre Rahmen (a.a.O.) verleihen sie den Situationen vage thematische Definitionen, ohne sie festzulegen. Mit Corsaro (1992a: 164) kann die Orientierung der Akteure an diesen thematischen Rahmungen als .working hypothesis" beschrieben werden. Primäre Rahmen erzeugen Verhaltenserwartungen, aber sie schreiben keine spezifischen Handlungssequenzen fest (Goffman 1980). Sie dienen den Teilnehmern einer Situation dazu, sich auf das jeweilige Geschehen zu beziehen, ohne es zu bestimmen, und ermöglichen ihnen, ihm - vermittelt über die Ereignishaftigkeit ihrer performativen Praxis - eigene Sinnbezüge zu geben und diese immer wieder zu transformieren. In diesem Sinn markieren die primären Rahmungen soziale Räume der kulturellen (Re-)Produktion für, aber auch der Kinder, in
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denen prinzipiell die Möglichkeit von Teilhabe und Zurückweisung. von zentrierter Kommunikation und von distanzierter Kopräsenz besteht Als solche sind sie zwar über die Erwachsenen vermittelt, zur sozialen Wirklichkeit werden sie aber nur als kulturelle (Re-)Produktionen der Kinder. Der orts- und objektbezogene Aspekt von Routinen erlaubt es den Kindern auch, in gemeinsame Aktivitäten einzusteigen, ohne sich sofort auf andere beziehen zu müssen. Nicht selten erweist sich ihr sog. gemeinsames Spiel als ein Nebeneinander parallel verlaufender Routinen einzelner Kinder. Anlass und Gelegenheit für das Zustandekommen der Aktivitäten stellen die dargebotenen Dinge zum Spielen dar. Das beispielsweise in der Rollenspielecke bereitgestellte Telefon, das Puppengeschirr in den kleinen Schränkchen, der Herd mit den Kochplatten und Töpfchen, ebenso der kleine Esstisch mit den Stühlchen sind Requisiten für ein Theaterstück, das von den Akteuren nicht jedes Mal neu erfunden werden muss. Die Gegenstände bieten sich den kindlichen Spielern gewissermaßen als Ko-Akteure an und tragen dazu bei, das Problem der lnitiierung gemeinsamer Aktivitäten zu bewältigen. Es müssen nicht zwangsläufig (komplizierte) Aushandlungen über das Spiel stattfinden; die Arrangements laden dazu ein, direkt anzufangen, sich einem Objekt zuzuordnen und mit dem Spielen zu beginnen. Wenn Kinder beispielsweise den Rollenspielbereich betreten und Aktivitäten initiieren, so führen sie mit ihren Spielhandlungen oft externe Bedeutungskontexte ein, auf die sie ihre .Splelhandlungen" beziehen. Gerade die lebensweltlich vertrauten Objekte, wie z.B. das Telefon, ermöglichen ihnen, spiele risch in Situationen einzusteigen, die sie z.B. aus ihrer familialen Welt oder aus den Medien kennen. Gemeinsame Aktivitäten und Routinen einzelner Kinder entwickeln sich dann, wenn Kinder die Bedeutungskontexte ihrer Handlungen wechselseitig wiedererkennen und kommunikativ an sie anknüpfen können. Dabei spielen die habituellen (Corsaro 1993) Eigenarten der Kinder eine nicht unbedeutende Rolle. Die Spielbereiche und die Seman tik ihrer Objektwelt ermöglichen den Teilnehmern so, sich im Laufe der Zeit entweder aufeinander zu beziehen oder "parallel" zu spielen. Als Spiel-Szenarien enthalten die Spielbereiche der Kinder und ihre Objektwelt Figurationspotentiale für ihre Teilnehmer: vier Spieler für das kleine Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel, zwei Akteure für das Friseurspiel (einen Kunden, der auf dem Friseurstuhl sitzt und ein Friseur, der die Haare schneidet), maximal 8 Teilnehmer für den Maltisch etc. Ohne dass diese Figurationspotentiale tatsächlich genau so realisiert werden müssen, stellen sie dennoch Kontexte dar, auf die sich die Kinder in der Initiierung ihrer Spiele beziehen. Die Kinder wissen, wie das Friseurspiel geht und eine zu-
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stimmende Antwort auf die Frage "Spielst du mit mir Friseur?" setzt ein Set routinisierter Handlungsabfolgen in Gang, mit welchen sich die Kinder Gelegenheiten der Teilhabe und Begegnung mit anderen schaffen. Das funktio niert aber viel häufiger ohne Fragen oder Spielankündigungen, denn die Kinder erkennen die Handlungsschemata und beteiligen sich einfach an ihnen. Eine beliebte Spieleröffnung, die als Figuration von Akteuren, Dingen und symbolisch kodierten Orten häufig in Anspruch genommen wird, ist z.B. das feststehende, immer wie von selbst ablaufende .Kaffeetrinken" im Rollenspielbereich der Bärengruppe. An die Geste des Kaffeeeingießens mit dem Puppengeschirr schließt sich fast immer das Weiterreichen der Tässchen und die dazugehörende Trinkbewegung. Dieses Set von Gesten spielt sich auch immer an einem festgelegten Ort, einem kleinen verschiebbaren Schränkchen, durch welches die Küche des Rollenspielbereiches vom übrigen Raum abgetrennt ist. Zahlreiche Beobachtungen und Videoaufnahmen zeigen, dass die Kinder dieser Gruppe, wenn sie diesen Bereich belegen, ihre Aktivitäten mit diesem Ritual beginnen und es auch bei laufenden Spielen zwischenzeitlich häufig wiederholen. Obwohl die Objektwelt insbesondere bei lnitiierung und Aufrechterhaltung gemeinsamer Aktivitäten und Routinen bedeutsam ist, sind in ihr die Muster der Routinen und Aktivitäten nicht einfach vorgegeben, sondern geben den Kindern auch Gelegenheit, eigene Aktivitätsmuster zu entwickeln und zu normieren, ebenso wie sie wieder zu verändern. Folgende Episode, die sich am Spiele-Tisch der Bärengruppe ereignete, veranschaulicht, wie minutiös und detailliert einzelne Aktivitätsmuster unter den Kindern festge legt und im Zuge dieser Festlegung als gemeinsame Routinen verstetigt werden. Die Kinder nehmen dabei Bezug auf eine gleichsam vor ihnen existierende Ordnung, die nur richtig erkannt werden muss. Spiele-Tisch Luisa holt ein Setzbrett aus dem Regal. Dazu gehören viele kleine bunte Würfelehen, die man in das Brett einsetzen kann. Seyda sitzt schon die ganze Zeit neben mir. [...] Jetzt beteiligt sie sich am Einsetzen des Würfelbrettes. Die Würfelehen haben auf der Unterseite eine Öffnung. Seyda setzt, nachdem Luisa schon eine beträchtliche Menge kleiner Würfelchen in das Brett eingefügt hat, einige Würfelehen mit der Öffnung nach oben in das Brett, worauf sich Luisa beklagt So gehe das nicht, sagt sie, aber Seyda erklärt ihr, dass es doch geht Nach einer Weile setzt auch Luisa die Würfelehen mit der Öffnung nach oben in das Brett
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Ähnlich wie in der geschilderten Episode kreisen das Interesse der Kinder, ihre Gespräche und Auseinandersetzungen in vielen Situationen um den geregelten Ablauf der Dinge. Die zentrale Frage, auf die sie als Teilnehmer von Situationen konzentriert sind, ist die, wie man etwas richtig macht. Dabei nehmen sie interpretierend Bezug auf die Regeln und Normen der Erwachsenenwelt, da sie sich aus der Richtigkeit auch Legitimationen für ihr eigenes Handeln und die geregelte Festlegung von Routinen versprechen. Rollenspielbereich Während ich einige Beobachtungen notiere, steht Milena vor mir: Sie erklärt mir, dass Lisa auch hier gespielt habe, aber jetzt rausgegangen sei, weil sie sich geärgert habe. Sie rekonstruiert laut die vorangegangenen Geschehnisse: Lisa habe die Mutter spielen wollen. Aber sie, Milena, habe zuerst gesagt, sie wolle die Mutter spielen. Nach einer Weile erklärt sie nachdenklich, dass dafür aber Lisa die Spielidee gehabt habe und deswegen vielleicht auch hätte die Hauptrolle spielen dürfen. Sie schaut mich fragend an.
Im Allgemeinen sind die Routinen der Kinder lokal und temporär begrenzte Bräuche bzw. Gewohnheiten, die von Gruppe zu Gruppe variieren. Sie erwei sen sich nicht nur als Repetition bereits gespielter Abläufe, sondern werden im Laufe der Zeit abgewandelt und enthalten zugleich auch immer etwas Neues. Sie bilden Serien, die durch das Wechselspiel von Wiederholung und Variation zustande kommen. Auch die Teilnehmer variieren. Meist sind es aber mehrere Kinder, die das Spiel schon kennen und es gemeinsam wieder aufs Neue initiieren. In der Rollenspielecke einer Gruppe kamen Kinder beispielsweise über einige Wochen hinweg regelmäßig zu einem Spiel zusammen, das sie als das .Hundemutterspfel" bezeichneten. Die Spielfiguren sind eine Reihe kleinerer Hündchen, die auf der Matratze miteinander spielen und die Hundemutter, die den Hündchen von Zeit zu Zeit die Gelegenheit gibt, sich an sie heranzukuscheln und sie zu säugen. Ausgehend von diesem Szenario entwickeln die Kinder dann immer neue Spielvariationen, die sie in die Hauptidee des Spieles einfügen, z.B. dass die Hundemutter die Hundekinder gegen einen eindringenden Feind verteidigen muss. Rollenspielbereich Während ich auf dem Schaukelstuhl sitze und einige Beobachtungen auf zeichne, werde ich von Moritz überrascht Er krabbelt vor mir auf den Knien herum und bellt wie ein Hündchen. (Es handelt sich dabei um eine
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Sequenz, die zum Hündchenspiel' der Kinder gehört) Auch Lars kommt jetzt heiser bellend herbei. Erfragt mich, ob ich diesmal die Hundemutter spiele. Ich sage, dass ich lieber sitzen bleiben und schreiben möchte. Er rennt hinüber zum Lichtschalter, knipst ihn an und wieder aus, an und wieder aus, kommt wieder heran und tollt mit Moritz auf der Matratze Hündchen spielend herum. Das Spiel ist ein Beispiel dafür, wie die Kinder Routinen entwickeln, die über die durch die Objektwelt semantisierten Spielanregungen hinausgehen und die Symbolwelt des Kindergartens, seine Spielorte und -objekte mit eigenen Bedeutungen überlagern und damit neue Rahmungen von Situationen erzeugen. Erving Goffman hat betont, dass Rahmungen zentrale Organisati onsprinzipien der Steuerung sozialer Ereignisse und der subjektiven Beteiligung von Akteuren darstellen. Gumperz (1982, zit. n. Corsaro 1992) verweist mit seinem Begriff der Kontextualisierung darauf, dass die Schaffung von Bedeutungskontexten selbst Ergebnisse kultureller Produktion sind. Beide Autoren sind sich darin einig, dass die Festlegung und Transformation von Kontexten durch Ver- bzw. Entschlüsselungspraxen der Akteure erfolgt, in welchen bestehende Routinen durch andere performative Muster transformiert werden, die die Art des kulturellen Ereignisses signalisieren und hervorbringen. Dabei werden insbesondere auch die kulturellen Bedeutungen von Orten und Gegenständen auf jeweils spezifische Art und Weise definiert. In der oben geschilderten Routine des Hündchenspielens beispielsweise ist die Matratze eine Art Hundekorb, in der sich die kleinen Hündchen an die Hundemutter herankuscheln. Die Mitspieler haben detaillierte Kenntnisse über die mögliche Bedeutung dieser Örtlichkeit und vermögen die entsprechenden mimetischen Gesten mit einem Set möglicher Spielvollzüge in Verbindung zu bringen. In anderen Routinen, z.B. der des Theaterspielens (vgl. Kap. 4.2.2.1) stellt derselbe Ort eine Bühne dar, auf der die Schauspieler sich dem Publikum präsentieren. Sind Spiele dieser Art erst einmal in Gang, dann geht von ihnen eine Art "sozialer Magnetismus" (StrandeIl 1997b: 10) aus und andere Kinder, die noch nicht beteiligt waren, gesellen sich dazu. Bei einer Aktivität mitzumachen, die schon in Gang ist, ist ein häufig vorkommendes Muster der Geselligkeit (vgI. auch StrandeIl 1997a: 4; Sutton-Smith 1982: 74). Eine besondere Anziehungskraft geht von den Routinen aus, bei denen die Kinder ganz offensichtlich Spaß empfinden. Corsaro (1998) beschreibt dieses Phänomen am Beispiel von Routinen von Krabbelkindern. Ihr charakteristisches Merkmal ist ihre einfache und zumeist nonverbale Teilnehmerstruktur, die
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aus einer Serie orchestrierter (Original: orchestrated; P. J.) Handlungen bestehen. Diese einfache Struktur erleichtert vielen Kindern die Teilnahme, die auch über sehr unterschiedliche kommunikative, kognitive und motorische Fähigkeiten verfügen. Die Struktur enthält die Möglichkeit einer häufigen Wiederholung der gleichen Routineelemente. Corsaro (1998: 123) unterstreicht, dass die einfache Teilhabestruktur dem zentralen Wert des "doing things together"24 der Peer-Kultur entspricht Eine besondere Funktion von Routinen und Ritualen - auch dies hat Corsaro in seinen Studien hervorgehoben - besteht darin, ,Freundschaften' zu schützen. Kinder verwenden das Wort ,Freunde' dabei völlig anders als Erwachsene oder Professionelle, bei denen der Freundschaftsbegriff im Kontext eines entwicklungspsychologischen und sozialmoralischen Wissens (Kohlberg 1996; Selman 1984; Kegan 1991; Youniss 1984, 1994) die Fähigkeit der Perspektivenübernahme kennzeichnet und daher auf die Reifestufe von Kindern verweist Corsaro (1985: 121 ff.) kritisiert diesen Erwachsenenblick auf die Sozialität von Kindern und betont, dass Freundschaft unter Kindern ein soziales Muster der Herstellung von Peer-Kultur ist Es geht dabei um Fragen der Organisation und Selektion von Interaktionspartnern. Der Bezug auf Freundschaft dient den Kindern dazu, ihre sozialen Kontakte zu Gleichaltrigen selbst zu regulieren. Freundschaft ist ein Begriff, der dafür verwendet wird, die Zusammengehörigkeit zu anderen zu bezeichnen. Sich auf Freundschaft zu beziehen heißt, eine gewisse Exklusivität in der Beziehung zu bestimmten anderen zu kultivieren, z.B. im Vollzug gemeinsamer Routinen und Rituale. ,Freundschaft' kennzeichnet die Unterscheidung zwischen denen, mit denen man gerne oder gerade spielt, und den anderen. Die spontane Bezugnahme auf ,Freundschaft' dient daher oft dazu, begonnene Aktivitäten oder Routinen vor Eindringlingen zu schützen (vgl. a.a.O.) und den im Zuge gemeinsamer Aktivitäten hergestellten interaktiven Raum zu verteidigen. Corsaro hat diese Praxis der Kinder in den Zusammenhang der kommunikativen Spezifik des Settings Kindergarten gestellt Ein charakteristisches Merkmal des Geschehens ist, dass es stets verschiedene .Jnteraktlons-
Corsaro unterstreicht, dass Erwachsene, die sich für das Lernen sowie die soziale und kognitive Entwicklung interessieren, die Aktivität der Kinder immer unter dem Nützlichkeitsaspekt sehen. Erwachsene wertschätzten selten die zutiefst emotionale Befriedigung, die Kinder aus der Herstellung und Teilnahme an einem sozialen Geschehen ziehen, das uns nur als ein einfaches repetitives Spiel erscheint. 24
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zentren" hat, die Gruppe der kopräsenten Akteure also gleichzeitig unterschiedliche Teilnehmerfigurationen mit unterschiedlichen kommunikativen Zentren aufweist, in denen unterschiedliche ,Dinge' geschehen. Wegen des "offenen" Charakters der Freispielzeit sind begonnene Aktivitäten sehr störanfällig, was spezifische Strategien hervorbringt, den gemeinsam geschaffenen interaktiven Raum zu schützen. Corsaros Vergleich mit der von Goffman beschriebenen Figurationsspezifik der Cocktailparty (Goffman 1961b; zit. nach Corsaro 1985: 159) kann die Probleme der Teilnehmer veranschaulichen, die den beschriebenen interaktiven Mustern anhaften. Die Kinder sind mit dem Problem konfrontiert, dass die Episoden, an denen sie teilhaben, jederzeit gestört bzw. auch beendet werden können, zugleich können sie damit rechnen, dass der Zugang zu anderen laufenden Episoden nicht voraussetzungslos erfolgt, sondern dass andere Kinder ihre gemeinsamen Aktivitäten wiederum vor dem bedrängenden Zugang anderer verteidigen. Corsaro (1985: 150; Übersetzung P. J.) ordnet diesen Mustern der Gleichaltrigenkultur zwei sich widersprechende Belange/Anliegen der Kinder zu: ,,(a) Zugang zu gewinnen zu laufenden Episoden, sofern man selbst nicht teilhat an einer Aktivität mit anderen und (b) den interaktiven Raum, in den man als Teilnehmer involviert ist, vor Eindringlingen zu schützen". Diese strukturellen Möglichkeiten und die damit verknüpften Belange der Kinder, soziale Teilhabe in der Sozialwelt der Kinder zu erlangen, lassen sich an ihren Strategien ablesen, den in den gemeinsamen Aktivitäten eingenommenen Raum durch Zugangsrituale zu schützen. Zahlreiche Episoden zeigen, dass die Kinder einerseits einmal in Beschlag genommene Orte gegen Eindringlinge verteidigen, indem sie sie zu .ihren' Territorien machenö und Eindringlinge abweisen. Andererseits stellt - wie an folgender Szene deutlich wird - eine begonnene Aktivität normalerweise eine Hemmschwelle dar, sich unmittelbar zu beteiligen, und eine Situation wird im Hinblick darauf untersucht, ob eine Teilnahme möglich ist. Ma/zimmer (Lisa und Yasmin am Knettisch, die Ethnograjin am Ma/tisch). Lisa und Yasmin sitzen einander gegenüber und kneten. Lisa teilt Yasmin mit, dass sie zur Toilette gehe und verlässt den Raum. Von draußen kommt Fiona. Sie bleibt eine Weile in meiner Nähe stehen, schaut, beobachtet, was sich
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Vgl.auch Kelle 1997a.
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im Raum ereignet, dann geht sie um den großen Maltisch in die Nähe des
Knettisches, an dem jetzt Yasmin allein sitzt Sie wendet sich Yasmin zu: "Warum sitzt du denn alleine hier?" Yasmin erklärt, Lisa sei nur zur Toilette gegangen. Fiona geht wieder einige Schritte zurück. Sie nimmt sich ein Blatt aus dem Regal, legt es aufden Maltisch und kündigt an: "Ich male einen Regenbogen ."
Die Frage, ob denn schon andere Kinder irgendwo spielen bzw. ob man mit den anderen Kindern mitspielen darf, ist im oben skizzierten Sinn ein solches Zugangsritual. Auch die Herstellung räumlicher Nähe zu der begehrten Spielgruppe, das Umkreisen derselben oder das In-der-Nähe-Stehenbleibenund -Zuschauen sind wiederkehrende Muster, die sowohl aus der Teilnehmerperspektive als auch aus der Perspektive der Außenstehenden eine Grenze und damit die Möglichkeit von Teilhabe und Zurückweisung anzeigen.
4.2.1 Geschlechterordnungen
Zahlreiche ethnografische Studien haben seit den 80er und 90er Jahren die Frage beantwortet, wie Kinder in ihren Praktiken und Routinen unter Gleichaltrigen soziale Ordnungen hervorbringen. Die Arbeiten zur Geschlechterdifferenzierung bei Schulkindern von BreidensteinjKelle (1998), aber auch die von Kalthoff (1997) haben insbesondere die Praktiken der Geschlechterdifferenzierung detailliert beschrieben. Die folgenden Berichte und Schilderungen, die im Prozess der teilnehmenden Beobachtungen und als Verdichtungen des Materials entstanden sind, knüpfen an diese Studien an und beschreiben die Geschlechterordnungen der Kindergartenkinder. Der Begriff Geschlechterordnung bezeichnet die Organisation sozialer Teilhabe nach dem Leitprinzip der Geschlechtszugehörigkeit. Man gehört entweder als Gleichgeschlechtliche in einer symmetrischen oder als Gegengeschlechtliche in einer komplementären Beziehungskonstellation zusammen. Gleichgeschlechtlichkeit begründet Zusammengehörigkeit durch die Gleichheit des Geschlechtes. Organisationsformen der Teilhabe können aber ebenso auf dem Prinzip der Gegengeschlechtlichkeit beruhen. Dieser Referenz auf ein quasi natürliches Merkmal der Kinder entspricht eine Praxis der sozialen Herstellung geschlechtsspezifischer Gleichheit oder Differenz. Bei der Erforschung der Kategorie ,Geschlecht' wirkt die Darstellung der Praxis der Geschlechterunterscheidung einer Reifizierung des Gegenstandes
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(GildemeisterjWetterer 1992) entgegen, da sie ihren Gegenstand dynamisiert (KellejBreidenstein 1996: 64). Die in den Selbstverständlichkeiten alltäglicher Lebenspraxis wirksame Auffassung von Geschlecht als Strukturoder Persönlichkeitsmerkmal stellt für die Forschung zwar ein methodologisches Dilemma dar, da die Praxis der Unterscheidung bereits die eigene Wahrnehmung strukturiert Dennoch führt die Frage nach dem Wie der Unterscheidungspraxis zu einer Beschreibung sozialer und individueller Differenzierungen, welche Erkenntnisse über das Verhältnis von Teilhabemöglichkeiten und den dadurch vermittelten Identitätsangeboten, also spezifisch sozialisatorischen Kategorien, ermöglichen. Die Strukturation von Situationen durch den Kontext der Geschlechtlichkeit bringt ebenso soziale Formen der Geschlechterdifferenzierung wie der Genderkonstruktion (Thorne 1993) hervor. Zentral ist dabei die Markierung von Grenzen zwischen Jungen und Mädchen. Diese "borderwork" vollzieht sich z.B. in der Inszenierung von Jagden (KrappmannjOswaidjEder 1991), im Ärgern oder Necken (Oswald 1997; Eder 1991; Breidensteinj KeIle 1998) oder auch in Verliebtheitsdiskursen (BreidensteinjKelle 1998).
Selbstsortierungw - Orte von Jungen und Orte von Mädchen Geschlechterpraxis im Kindergarten hat fast immer auch einen räumlichlokalen Aspekt Das heißt natürlich nicht, dass Jungen und Mädchen prinzipiell an unterschiedlichen Orten spielen, Geschlechterpraxis ist nicht aus schließlich, es gibt keine absolute Trennlinie, selten gibt es Orte oder Geselligkeiten, an denen Kinder des anderen Geschlechts nachdrücklich ausgeschlossen werden. Vor diesem Hintergrund tritt die Geschlechterdifferenz im Modus ihrer Erzeugung zutage. Die prinzipiell uneingeschränkte Mischung setzt die Selbstsortierung von Jungen und Mädchen erst ins Licht reflexiver Betrachtung. Orte spielen bei der Herstellung dieser Differenz eine nicht unbedeutende Rolle. So gibt es etwa bestimmte Orte, an denen z.B. die Jungen häufiger anzutreffen sind als Mädchen. Im Innern des Kindergartens ist dies z.B. die Bauecke. Als Ort, an dem die Produktion und Konstruktion angesiedelt ist, verweist er von seiner thematischen Konnotation her eher auf außerhäusliche, gesellschaftlich-produktive Ereignisfelder
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VgI. BreidensteinjKelle: 37 ff.
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und damit auf traditionell männlich besetzte Domänen unserer Gesellschaft. Den Jungen kann diese in Raum und Dinge semantisierte Bedeutungsstruktur zur Initiierung und Kultivierung spezifisch männlicher Spielpraktiken dienen. Oft, aber nicht ausschließlich wird der Baubereich von den Jungen benutzt Hier finden auch häufig raue Spiele'? statt: das Kämpfen, Imponieren, Kräftemessen. Bauecke Dreijungen haben mit Holzstäben eine glatte Fläche aufdem Boden ausgelegt Sie tasten mit der Hand darüber, überprüfen Unebenheiten. Dann schieben sie wie auf ein Kommando hin alles durcheinander, zuerst die Holzstäbe, dann "zerkleinern" sie die Playmobilbahn und werfen die einzelnen Schienen durcheinander. Sie sind plötzlich wie "aufgedreht': die herumgeworfenen Teile schmettern sie auf den Boden, gegen die Wand und in die Holzkisten, dass es nur so knallt Dann fangen sie an, mit den Holzstäben Schwert zu spielen. Zuerst fechten sie noch zaghaft. Dann kommen sie mehr und mehr in Fahrt und es macht ihnen offensichtlich zunehmend Spaß, ihre Kämpfe zu intensivieren. Die neue Erzieherin der Mäusegruppe, die heute nur aushilfsweise die Bärengruppe betreut, geht dazwischen. Sie schimpft: "Was macht ihr denn da?': fragt sie befremdet Und: "Es wird nicht geschlagen!" Dann fordert sie die Kinder auf, die Holzstäbe in die Kisten zu legen. Die drei jungen leisten der Anordnung ohne Widerrede Folge, verlassen dann aber unverzüglich den Bauteppich.
Auch im Freigelände lassen sich die Orte genau bestimmen, an denen die rauen, bisweilen expressiv grobschlächtig und derben Aktivitäten der Jungen kultiviert werden. Auf einem in der Nähe des Kindergartens gelegenen Terrain mit Spielplatz, das die Erzieherinnen im Sommer häufiger mit den Kindern aufsuchen, treffen sich die Jungen mit besonderer Vorliebe an einem Abhang, den sie als Piste für wilde Abfahrten benutzen. Spielplatz in der Nähe des Kindergartens Einige Kinder, hauptsächlich die wilderen jungen (Tim, Lucas, Nils, Timur, Yasar, ...), rennen schon gleich bei Betreten des Geländes auf einen Hügel rechts hinter dem Eingang des Geländes. Sie rutschen auf dem Po die
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VgI.Oswald 1997.
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Sandpiste hinab. Sie haben auch ein altes Skatebord. aufdem sie abwechselnd die steile Bahn hinuntersausen. Sie gehen recht derb miteinander um, raufen miteinander und stellen sich als Kraftkerle dar, indem sie die Schultern hochziehen und sich wechselseitig ihre Muskeln vorführen. Auf der anderen Seite des Geländes drängen sich die Kinder auf den von den Erzieherinnen beaufsichtigten und überfüllten Spielarealen: den beiden Sandkästen, einem Balkenturm mit Rutsche und Hängebrücke und zwei Wipppferdchen, die immer belegt und von Kindern umringt sind, die warten, bis sie an die Reihe kommen.
Im Gegensatz zu den disziplinierten Spielen der Kinder auf den von den Erwachsenen geplanten und hergestellten Spielarealen wirkt das Treiben der Jungen auf dem gegenüberliegenden Abhang wie eine Gegenwelt: eine von den Jungen selbst initiierte Kultur, in der spezifisch maskuline Rituale praktiziert werden, die sich dem Einfluss der Erzieherinnen entziehen. Häufig suchen die Jungen die abseitigen Orte geradezu auf, um dort ihre Gegenkultur zu praktizieren. Auch bei den Mädchen findet diese Art der Selbstsortierung und räumlichen Separierung oft in der Wahl der Spiele und der Spielorte statt. Beliebte Orte sind z.B. der Theaterraum, die Rollenspielecke oder auch der Förderraum. Auch ihnen ist gemeinsam, dass sie vom übrigen Geschehen abgrenzbar sind, etwa indem man Türen schließt oder Vorhänge zuzieht Außenstehende, auch Erwachsene, dürfen dann den Raum nicht betreten. Förderraum Einige Mädchen haben den Förderraum belegt Sie haben zwei Tische aneinandergeschoben und spielen Kindergeburtstag. Ich bin auch eingeladen und sitze zwischen den anderen .Gästen' am .Geburtstapstisch'. Wir werden alle von Leonie mit Kakao, Kaffee und Kuchen' bedient Durch die ein wenig geöffnete Tür schauen von draußen einige Mütter, die sich of fenbar zur Erzieherin in den Gruppenraum begeben möchten, neugierig herein. Leonie geht zur Tür und schließt sie von innen. Zu uns gewandt sagt sie: "Wir sind doch hier kein Zoo!"
Beliebte Spiele der Mädchen sind insbesondere Rollenspiele: das MutterKind-Spiel, bisweilen auch das Vater-Mutter-Kind-Spiel, das Hochzeitsspiel, das Theaterspiel oder das Sich-um-die-K1einen-kümmern-SpieI. Dabei lassen sich Spielvorlieben einzelner Mädchen identifizieren, wie Z.B. die von
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Leonie, die mich häufiger als Mitspielerin ihrer Inszenierungen gewinnen konnte. Rollenspielecke (Während mich Leonie im Kindergarten herumführt, um mir zu zeigen, was man an den Orten spielen kann, kommen wir auch in der Rollenspielecke an. Sie erklärt mir, dass man hier Vater-Mutter-Kinder spielen kiinne.) Jetzt fragt sie mich, ob ich hier mit ihr spielen wolle. Sie schlägt das Spiel Mutter-Kind vor und sagt, sie sei die Mutter und ich das Kind. Ich bin einverstanden und sie weist mich an, dass ich gerade von der Schule zurückkomme und sie mir Kartoffeln kocht Als Kind bin ich dann aber noch nicht zufrieden. Ich möchte gern noch ein Gemüse, nämlich Erbsen, dazu haben und außerdem noch ein Spiegelei. ,Mama' schlägt mir vor, morgen meinen Geburtstag zu feiern und sagt, ich dürfe Freunde einladen. Ich lade eine Menge Kinder aus meiner Klasse ein. Sie holt das Telefon und wir rufen sie an. Dann möchte ich auch noch ins Kino. Mama kommt mit, sie ist wirklich für alles zu haben. Ich melde jetzt schon an, dass ich im Kino Popcorn und Cola möchte, ein Eis und Kartoffelchips. Alles kein Problem. (Ich wundere mich, dass .Mama' ihre Fürsorglichkeit gegenüber mir als Kind' so definiert) Während wir so an dem kleinen Tisch des Rollenspielbereiches sitzen und .essen', kommen einige kleinere Kinder in den Raum. Sie bleiben zunächst vorne am Vorhang stehen, fragen, was wir machen. Ich sage, sie seien zu meinem Kindergeburtstag eingeladen. Sie zögern ein wenig und wollen nicht so recht herankommen. Aber sie nehmen von dem Geburtstagskuchen aufdem Tisch (kleine Metallkügelchen in einem Spiel zeugpfännchen). Dann kommt Utku. Er will die Kugeln alle an sich neh men und unser Spiel kaputt machen. Aber Leonie und ich verbieten es ihm. Es kommt zu einem kleinen Handgemenge, bei dem Utku versucht, uns die Kugeln wegzunehmen, aber wir lassen uns das nicht bieten. Wäh rend ich den schimpfenden Jungen festhalte. nimmt ihm Leonie unsere Kugeln wieder ab. Am Ende haben wir gewonnen und er muss sich unse rer Macht beugen.
Es ist keineswegs ein Einzelfall, dass die Jungen die Aktivitäten der Mädchen stören möchten und daher der von den Mädchen für eine bestimmte Zeit in Besitz genommene Raum und auch ihre Aktivitäten verteidigt werden müssen. Störungen der Spiele werden von den Mädchen oft unmittelbar durch Rausschmiss bekämpft, bisweilen werden die Jungen auch, unter der Bedingung, dass sie nicht stören, in das Spiel integriert.
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Auch wenn jungen bei den Mädchen mitspielen oder einzelne Mädchen sich mal bei den jungen aufhalten, so sind die Orte, an denen die Aktivitäten stattfinden, doch geschlechtsspezifisch definiert. Das erweist sich oft gerade auch an den weniger abschließbaren, für alle offen zugänglichen Orten, wie z.B. dem Frühstückstisch. Auch wenn es keine Exklusivitätsregel gibt, so ist doch bei der Belegung des Frühstückstisches das Kriterium Geschlechtlichkeit eine zentrale Kraft der Selbstsortierung der Kinder. Dies hängt alleine schon damit zusammen, dass die Kinder ihre Geschlechterroutinen und -rituale dort gerne fortsetzen bzw. das gemeinsame Frühstück zum Ausgangspunkt gemeinsamer Aktivitäten machen. Frühstückstisch (Außer einem Mädchen befinden sich überwiegend die größeren Jungen am Frühstückstisch.) Lukas kommt fast weinend zu mir herüber und beklagt sich über Marvin, der auf seinem Platz sitzen würde. Als Marvin sieht; dass sich Lukas bei mir beklagt; räumt er den Stuhl und Lukas begibt sich freudig wieder zu den anderen Jungen am Friihstückstisch. Während sie gemeinsam ihre mitgebrachten Brote und Süßigkeiten verspeisen, gießen sie sich immer wieder mit ausladenden Bewegungen von dem Apfelsaft aus den blauen Plastikkannen in ihre Becher. Danach spülen sie rasch ihre Gedecke ab und gehen dann, wie verabredet; in den Förderraum. Sie schließen von innen die Tür. Kurze Zeit darauf hört man von dort heraus die Musik dröhnen. Auch das übliche Gepolter setzt wieder ein.
Retrospektiv erweist sich daher das in der Gruppenöffentlichkeit oft eher zufällig erscheinende Zusammensein der jungen insofern als ein Herstellen geschlechtsspezifischer Zugehörigkeit, als dabei Zusammengehörigkeit und Teilnehmerschaft durch viele kleine ritualisierte Gesten entlang des Alltags erneuert wird. In der beschriebenen Situation unterstreicht die Reaktion auf das Nicht-dabei -sein -Können, weil z.B. keine Sitzplätze mehr vorhanden sind, oder aber auch der Kampf um die vorhandenen Plätze die Attraktivität der Zugehörigkeit zu der jungengruppe. Das gemeinschaftliche Essen und Trinken, die geteilten mimetisch einander angeglichenen ausladenden Bewegungen beim Eingießen des Apfelsaftes weisen die Herstellung von Zusammengehörigkeit als eine ritualisierte und habitualisierte Form von Gemeinsamkeit aus, die sich auch in den selbstverständlichen Folgehandlungen zeigt. Ohne dass die Kinder es miteinander abgesprochen hätten, suchen sie nach dem Frühstück den Förderraum auf, der dann für Außenstehende
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als Ort der Expressivität der intern praktizierten Routinen der Jungen kodiert ist. Die befriedeten, aber erkennbaren symbolischen Rituale an zentralen, im Sinne von Goffman repräsentativen Orten (z.B. dem Frühstückstisch im Gruppenraum) und die expressiven Formen der Selbstdarstellung an abseitigen Orten (z.B. dem verschließbaren Förderraum) erscheinen dabei als zwei Seiten einer Medaille. Eine andere überaus beliebte Variante der Geschlechterdifferenzierung und -inszenieru ng ist die spielerische Einnahme von gegengeschlechtlichen Rollen. Dabei unterstreicht man die Zugehörigkeit zu den gleichgeschlechtlichen Spielkameraden dadurch, dass man die Inszenierung einer gegengeschlechtlichen Rolle ins Lächerliche zieht [Breidenstem/Kelle 1998: 213 ff.). Frühstückstisch Nach dem Frühstück einiger türkischer Jungen spülen Mehmet und Utku das Geschirr. Während sie miteinander verhandeln, kommt Cemil mit einem türkischen Schleier verkleidet aus der Rollenspielecke. Er hat ihn tief ins Gesichtgezogen, gestikuliert wie eine Frau und macht sich einen Spaß daraus, nahe an den beiden Jungen an der Spüle vorbetzutanzeln, die ihrerseits die Vorführung mit einigem Vergnügen kommentieren.
Bei den Mädchen sind die Darstellungen von Jungen oder Männern in ihren eigenen Spielen z.T.verknüpft mit dem Thema der Attraktivität des anderen Geschlechts, aber auch dem Heiraten, Kinderbekommen. Muttersein. Förderraum (Leonie kommt zu mir an das kleine Bänkchen, wo ich sitze und Aufzeichnungen mache. Sie fragt, ob ich mitkomme in den Förderraum, um mit ihr Hochzeit zu spielen. Nach einigem Zögern bin ich bereit) Sie zieht mich in den Förderraum . Er ist ziemlich leer, ein Tischehen steht seitlich in der Ecke, darunter kuscheln zwei kleinere Mädchen. Leonie nimmt sich viel Zeit für das Arrangement der Hochzeit Sie ist die Braut, ich der Bräutigam. Sie zeigt mir, dass ich links neben ihr stehe und wir nach vorne zum Altar schreiten müssen. Vorher versucht sie, eines der beiden Mädchen dazu zu gewinnen, uns bei der Trauung die Ringe zu überreichen. Aber die beiden Mädchen wollen aneinander gelehnt unter dem Tischehen sitzen bleiben, sodass wir ohne sie unsere Hochzeit spielen. Als wir vor dem fiktiven Pastor stehen, der uns traut, bedeutet Leonie mir, dass sie die Ringe hat Einen davon streift sie mir, den anderen sich selbst über den Finger. Sie schaut mir dabei tiefin die Augen. Dann schreiten wir langsam
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den ,langen' Weg zurück zum Eingangsportal der Kirche. In der Tür des Förderraumes angelangt sagt sie zu mir: "So, jetzt sind wir verheiratet" Sie räkelt sich. Ich [rage sie, was wir jetzt machen sollen. Sie sagt, wir müssten jetzt zur Erzieherin. Aber diese spricht gerade mit jemandem und unser Spiel bricht ab. Die interpretative (Re-)Produktion der sozialen Geschlechterunterscheidung bzw. das Doing Gender stellt eine zentrale Strategie der Selbstorganisation der Kinder dar. Geschlechtlichkeit ist eine Kontextkategorie, auf die man sich bezieht, weil sie ein generalisiertes Schema der Unterscheidung von Akteurtypen ist Als solches ist sie ein allgegenwärtiges Dispositiv optio naler Erzeugungen von Gleichheit und Differenz, aufgrund dessen soziale Inklusion wie auch Exklusion stattfinden kann, unabhängig davon, ob sie nun Zugehörigkeit aufgrund von Gleichheit oder der Differenz stiftet Zugleich stellt sich die Geschlechterunterkategorie im Doing Gender als ein reflexives Phänomen dar, das im Zuge der Darstellung immer wieder neu inszeniert, moduliert und variiert werden kann. Insofern ist sie ebenso ein Medium der Darstellung wie auch der Beobachtung und interpretativen Erforschung von Situationen durch Situationsteilnehmer. Der Bezug auf sie erzeugt einerseits eine gewisse Formenvielfalt, andererseits werden die Möglichkeiten des wechselseitigen Bezugs aufeinander reduziert Diese Einschränkung von Selektionsmöglichkeiten ist eine Bewältigung von Unsicherheit, die angesichts der ,Offenheit' des Geschehens Verhaltenserwartungen stabilisiert
Partnerpraxen Eine andere, aber seltenere Variante der interpretativen Reproduktion sozialer Geschlechterrollen bzw. des Doing Gender spielt sich im Rahmen von Freundschaften zwischen Jungen und Mädchen ab. Mit Freundschaft ist hier nicht eine sozialmoralische Beziehung gemeint, sondern mit Corsaro (2003: 36ft) eine soziale Organisation von Zusammengehörigkeit, die vor Eindringlingen verteidigt wird. Partnerpraxen definiere ich vor diesem Hintergrund als "Freundschaften" zwischen Jungen und Mädchen. Bauecke (Zwei Kinder in der Bauecke: Lars und Fiona. Sie haben eine Schienenbahn aufgebaut und fahren darauf mit den kleinen Plastikautos. die dazu gehören . Til befindet sich auch in der Bauecke.) Er geht ein bissehen he-
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rum und beobachtet, was passiert, schaut auch zu mir herüber, lächelt und geht wieder herum. In einer Kurve der Playmobil-Bahn haben Lars und Fiona ein mehrstöckiges Gebäude aufgebaut Aufjeder Etage gibt es zwei Räume, in die genau ein Auto passt Ob es ein Fertigparkhaus ist? Lars und Fiona stellen in die einzelnen Räume des Gebäudes jeweils ein Auto oder holen es heraus etc. Til geht hin und schaut Er stellt sich hinter die beiden, macht bisweilen Anstalten, etwas zu sagen oder sich gar in das Spiel einzumischen, während die beiden unbeeindruckt ihrer Rangiertätigkeit nachgehen und ihn ignorieren. Dann kommt er mit seinen drei Legos aus der Ecke hinter den beiden Kindern hervor aufmich zu - mit dem Rücken zu Lars und Fiona gewandt bleibt er stehen und lächelt mich an. Lars wirft mit einem Auto nach ihm und schaut mich grinsend an. Gleich danach wirft ein zweites Mal.
Dem Schutz der Exklusivität vor den Einmischungen oder Störungen durch andere Kinder entspricht in anderen Situationen eine stark ritualisierte Praxis. Die Kinder knüpfen dabei an eine gemeinsame Interaktionsgeschichte an und beziehen ihre Aushandlungen auf die vorausgegangenen Erfahrungen mit dem Spielpartner. Die folgende Episode veranschaulicht die organisatorische Leistung dieser Partnerpraxis. Lars und Milena beziehen sich mit einiger Regelmäßigkeit auf eine Choreografie zweier aufeinander folgender Rollenspiele, die sie schon häufiger miteinander aufgeführt haben. Ihre gemeinsame Aktivität stellt sich dar als ein identifizierbares Set von Spielhandlungen, das sie im Rahmen einer isolierten Situation mit variierten Spielzügen aufführen. Im Folgenden wird eine dieser ,,Aufführungen" detail liert protokolliert: Ort des Spiels ist das sog. Arztzimmer, ein mit Stoffwänden und Vorhängen erzeugter separierter kleiner Raum, dessen Requisiten (Behandlungsliege, Regal mit Medikamenten, Stethoskop, Pflaster, Plastikspritzen etc.) einen ärztlichen Behandlungsraum symbolisieren. Die Ethnografin befindet sich gemeinsam mit Lars und Milena in diesem Raum, wird aber, in ihre routinemäßigen Aufzeichnungsarbeiten vertieft, von den beiden Kindern ignoriert Arztzimmer Milena und Lars verhandeln über das, was sie jetzt spielen werden. Lars sagt, er möchte gerne "Polizei und Verbrecher" spielen, Milena .Frtseur", Lars sagt, er wolle als Polizist wieder einen Verbrecher jagen, aber Milena verwahrt sich, als Verbrecher wieder so grob behandelt zu werden. (,,Aber
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dann darfst du nicht wieder ...': "Du darfst aber nicht noch mal ...': "Du musst das dann so ... machen. 'J Nach einem langen Hin und Her legt sich Milena auf das Bettehen im .A rztzimmer" und deckt sich mit der Decke völlig zu. Lars, der vome rechts in der Ecke des Arztzimmers sitzt. ruft: "Bist du fertig?" Milena linst unter der Decke heraus: "Ja!"Er hört sie aber nicht richtig und wiederholt seine Frage mit der Ergänzung:"Hast du was geklaut?" Als er ihre bestätigende Antwort hört. eilt er hin, zieht mit einem Ruck die Decke hoch und reißt ihr ein Schächtelchen (das Diebesgut), das sie in der Hand hält. weg. Dann zerrt er sie hoch und mit einer strengen Stimme weist er sie an, sich auf dem bereitstehenden Stuhl fesseln zu lassen. Sie aber schaut ihn immer wieder streng an. Während er sie mit einer Mullbinde an den Stuhl fesselt. kontrolliert sie, ob er sich an die Abmachung hält. nicht so grob zu sein. Ihn hingegen treiben zwei Kräfte: die eine geht in die Richtung, einen schlagkräftigen Polizisten abzugeben, der seine Macht als körperliche Kraft über das Unrechte auch tatsächlich einzusetzen weiß. Die andere geht in die Richtung, Milena zu schonen. Er würde gem grob sein, darf es aber nicht Während er also gestisch als ein brutaler Polizist agiert. der den Verbrecher drakonisch in Fesseln zwingt. unterbricht er seinen HandlungsjIuss immer wieder, um sich bei Milena rückzuversichem:"Gel, so geht's? So isses noch nicht zu fest?" Milena, wachen Auges und die Lippen nach vome gestülpt, sagt nichts. Sie bleibt sitzen, während der Polizist mit unbarmherziger Gebärde die Fesseln festzieht Damit ist das Spiel zu Ende. Dann kommt Milenas Spielvorschlag an die Reihe: das Friseurspiel. Jetzt dient der Fixierstuhl als Friseurstuhl. Zuerst muss sich Lars von ihr die Haare schneiden lassen. Sie legt ihm also den Umhang um, holt die Schere (ein längliches Schächtelchen aus dem Arzneiregal) und schneidet rings um den Kopf Dann setzt sie sich hin und weist ihn an, ihr den Umhang umzulegen und ihr die Haare zu schneiden. Aber Lars ist nicht richtig bei der Sache. Er schaut in der Gegend herum und orientiert sich, was andere Kinder machen, während er nur mechanisch die Gebärde des HaareSchneidens ausführt Milena rügt ihn: "So geht das nicht': ruft sie, "du schneidestja immer nur an der selben Stelle etwas ab. Wie sieht das denn nachher aus!" Lars korrigiert sich, er schneidet mit einer kurzen Geste jetzt rundherum und verlässt unmittelbar danach die Spielkabine in Richtung der von ihm beobachteten Kinder. Auch Milena geht hinaus, aber in eine andere Richtung.
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GeschlechtIichkeit als kontextuelles Organisationsprinzip wird in der Kontrastierung der beiden Spiele thematisiert: Räuber und Gendarm als männli che Routine der Selbstdarstellung gegen Friseur als eine weibliche, das ist ein Tausch. Derjenige, der zuerst an der Reihe ist, ist im Vorteil, weil seine Wünsche bereits erfüllt sind und er nichts mehr zu verlieren hat, wenn er sich im zweiten Teil nur schlecht an die Abmachungen hält. Dass für das nächste Mal dann zwar möglicherweise die Erinnerung an die nicht eingehaltene Versprechung zurückbleibt, lässt sich an den eingangs artikulierten Einwänden und im ersten Teil noch wirksamen Kontrolle erkennen, aber so lange das Spiel funktioniert, braucht der Einsatz nicht verändert zu werden. Die Aushandlung selbst ist ein Teil des Spiels. Es ist eine Routine des Spielens eines Aushandlungsprozesses und wird als solche mimetisch auch die ganze Zeit über zur Darstellung gebracht. Es handelt sich um eine Art Choreografie der Geschlechtergleichstellung, die schon zu Beginn erkennen lässt, dass nicht die wirkliche Wahl eines Spiels zur Debatte steht, sondern wieder gespielt wird, was die Kinder üblicherweise spielen, und dass es nicht um die Gleichstellung der beiden Kinder geht, sondern um die Reproduktion einer vermeintlichen Gleichstellungsbemühung. Die schnelle und unverbindliche Spielbeendigung ebenso wie die Isoliertheit der beschriebenen Spielroutine im Hinblick auf sonstige Kontakte der Kinder miteinander weisen ihre gemeinsamen Routinen eben als eine Ordnung des Geschlechterbezugs aus, die als Organisationsprinzip das Geschehen unter Kontrolle hält
4.2.2 Ordnungen des Alters Altersgradierte Teilhabe als Organisationsprinzip der Kinder Die Bedeutung des Spiels unter Gleichaltrigen wird häufig darin gesehen, dass Kinder sich als Gleiche begegnen, während ihre Interaktion mit Erwachsenen im Zeichen von Machtunterschieden und Ungleichheit steht. Eine fokussierte Beobachtung der Spielroutinen der Kinder kann die situativ und konsistent hervorgebrachten Unterscheidungen der Kinder in unterschiedliche Akteurgruppen jedoch nicht übersehen ebenso wenig wie die keineswegs arbiträren Maßstäbe für die "Vergesellschaftung" dieser Differenzierungstatbestände. Ein zentrales Regulativ für die FestIegung von Partizipationsrechten, aber auch zur Unterscheidung von Partizipationsmöglichkeiten unter Kindern, ist die Alterszugehörigkeit. Das heißt z.B., dass die
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älteren Kinder keineswegs nur mit älteren Kindern spielen, aber wenn sie mit jüngeren spielen, dann markieren sie symbolisch diesen Unterschied. In diesem Sinn dokumentiert das ethnografische Material Situationen und Situationsverkettungen, in denen die Altersdifferenzierung gleichsam als eine Logik der Ereignisse erscheint. Eine dieser Aktivitäten besteht in einer Routine, welche die Kinder und die Erzieherinnen als ,das Theaterspiel' bezeichnen. Es handelt sich dabei um eine häufig wiederkehrende Aktivität, die sich aus mehreren, aufeinander folgenden Sequenzen zusammensetzt und bei der Kinder unterschiedlicher Alterszugehörigkeit beteiligt sind. Der erste Schritt dieser Abfolgen beinhaltet die Produktion von Theaterkarten. Diese wird als Bemalung kleiner Papierblättchen am Maltisch bewerkstelligt. Der zweite Schritt besteht in der Verteilung der Theaterkarten an andere Kinder der Gruppe, die an einer angekündigten Theatervorführung als Publikum teilnehmen möchten. Die Kinder, welche die Theaterkarten hergestellt haben, strömen dazu in die unterschiedlichen Spielbereiche, um den dort spielenden Kindern bei Interesse die Eintrittsberechtigungen in Form der vorbereiteten Eintrittskarten zu erteilen. Eine Variante besteht auch darin, dass die Kinder die von ihnen bemalten Eintrittskarten für sich selbst verwenden. Als dritter Schritt des Theaterspiels folgt schließlich die Aufführung im Rollenspielraum. Dort versammeln sich die Theatergäste in einem als Zuschauerraum markierten Terrain; vorher werden jedoch ihre Eintrittskarten kontrolliert. Die Schauspieler dürfen zum Zweck der Aufführung die dort liegende Matratze zur Bühne umfunktionieren. Die Aufführung vollzieht sich als ein ausgelassenes Treiben, bei dem die Schauspieler Possen reißend auf der Matratze herumhüpfen. Wenn die Schauspieler genug getobt haben bzw. wenn das Stück zu Ende ist, gibt das Publikum durch Applaus seine Anerkennung kund und die Kinder kehren wieder an ihre vorherigen Spielorte zurück Den Status eines bedeutsamen Ereignisses erhält das Theaterspiel dadurch, dass es die übri gen Aktivitäten der Kinder unterbricht und die für diese geltenden Regeln für eine bestimmte Zeit außer Kraft setzt. Dazu müssen die Initiatoren des Spiels im Vorhinein aber die Erlaubnis der Erzieherinnen einholen. Erscheint das Spiel von außen betrachtet als ein Ereignis, bei dem die Kinder alle gleichermaßen teilnehmen, so vermag die fokussierte und teilnehmende Beobachtung seine Attraktivität als Effekt einer Leistung zu ana lysieren, bei der die Verwirklichung unterschiedlicher Interessen der Kinder miteinander verknüpft werden. Während die Kleinen froh sind, dabei zu sein, bringen die Schauspieler ihren Status als Große in der Aufführung zur Geltung. Das Dabeisein ist an gradierte Teilhaberechte geknüpft. Initiatoren
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und Hauptakteure - nämlich die Schauspieler - sind die Großen. Das sind die Jungen, die der Gruppe der Vorschulkinder angehören, also Tim, Sebastian, Ron und Denny sowie Max und Lars, die erst im nächsten Jahr zu den Schukis gehören werden, sich bei diesem Spiel aber schon zu den Großen zählen dürfen. Die Großen sind zugleich Organisatoren und Mitspieler. Als solche treffen sie die Vorbereitungen durch die Absprache mit den Erzieherinnen; darin üben sie ein exklusives Recht aus. An Vorbereitung und Vertrieb der Theaterkarten dürfen sich dann auch Kleine beteiligen. Während diese dann allerdings mit der Rolle von Zuschauern und Klaqueuren Vorlieb nehmen müssen, bleibt es das Vorrecht der Großen, die Schauspielerrollen zu besetzen. In der Durchführung des Theaterspielens wird die altersgradierte Teilhabe als ein in der Sozialwelt der Kinder vergesellschaftetes Ordnungs- und Organisationsprinzip sichtbar. Nicht nur die Differenzierung unterschiedlicher Akteurgruppen, sondern auch die Gestaltung des Verhältnisses der Akteurgruppen zueinander wird im sog. Theaterspiel Moment dynamischer Auseinandersetzung und unterliegt dem Prozess der Herstellung eines verbindlichen Maßstabes für den Umgang der verschiedenen Akteurgruppen miteinander. Dies lässt sich an folgender Episode ablesen, welche sich während des Herstellungsprozesses der Theaterkarten am Maltisch ereignete. Maltisch Tim (6), Lars (5), Luisa (4), Lina (3), Moritz (4), Max (5). Sie bemalen Eintrittskarten für das Theater. Ron (6) und Sebastian (6) kommen hinzu und nehmen ihre scheinbar nur unterbrochene Maltätigkeit wieder auf Nach einer Weile wird die Maltätigkeit der Kinder durch einen kurzen Dialog unterbrochen. Max zu Lars:"Du machst beim Theaterspielen nicht mehr mit" Ron zu Max:"Das hast du hier nicht zu bestimmen!" Dann herrscht wieder Ruhe. Nach einer Weile macht Luisa auf sich auf merksam. Sie weist aufihr bemaltes Theaterkärtchen hin, dann hält sie es Tim stolz unter die Nase. Tim verwehrt sich dagegen, weicht aus, er lacht herablassend. "Das kannst Du 'nem Kleinen zeigen, da, dem Moritz!", grinst er verächtlich. Aber Moritz ist gerade aufgestanden und im Begriff, den Raum zu verlassen. Tim ruft Moritz' Namen hinüber in den Hauptraum, gleich mehrmals. Moritz steht jetzt drüben auf der anderen Seite des Durchgangs und schaut herüber.
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"He, Moritz", ruft Tim amüsiert hinüber, "komm doch mal her, hier zu Lui-
sa," Moritz kommt neugierig heran, stellt sich fragend vor Luisa. Diese drückt Moritz erwartungsvoll ihr bemaltes Bildehen in die Hand. Augenblicklich platzt Tim vor Lachen heraus. Moritz schaut ganz erschrocken, wirft das gerade erhaltene Bildehen auf den Boden und rennt wieder hinüber in den Hauptraum. Aber Tim folgt ihm lachend und versucht ihn festzuhalten. Im Hauptraum bleibt Moritz schließlich weinend stehen. Ron eilt ihnen hinterher. Unverzagt versetzt er Tim einen Fußtritt und einige heftige Schläge aufden Kopf. Tim gibt Moritz sofortfrei und Ron kehrt an seinen Platz zurück Während Tim ihn wegen der bezogenen Dresche zugleich gedemütigt und verletzt anschreit, erklärt Ron: "Die Kleinen werden hier in Ruhe gelassen!" Dann wendet er sich wieder seiner Maltätigkeit zu.
Als eine Praktik der Altersgradierung folgt die geschilderte Szene der Logik einer altersgradierten Teilhabe. Gegenstand des Streites unter den Kindern ist die Frage, wie die Unterscheidung zwischen großen und kleinen Kindern tatsächlich gehandhabt werden soll. Dürfen die Kleinen im Zuge hierarchischer Unterwerfungspraktiken gedemütigt werden oder sollen sie grundsätzlich den Schutz der Großen genießen können? Unabhängig davon, wie diese Frage situativ gelöst wird, besteht die Logik der Situation darin, dass die Unterscheidung der Alterskategorien darauf drängt, überhaupt Regulative für den Umgang mit Kleinen zu finden. Die Episode stellt sich den Kindern als ein Fall dar, in dessen Bearbeitung Vergesellschaftungsfragen aufgeworfen werden. Eine dem Theaterspielen vergleichbare Routine findet völlig unabhängig von dem beschriebenen ,Theaterspiel' in einer anderen Gruppe des Kindergartens statt. Hier sind es die ,großen Mädchen', durch welche ein sog. ,Kinobesuch' initiiert wird. Auch hier ist das Leitprinzip der Organisation des Spiels die Unterscheidung zwischen den großen und den kleinen Kindern. Das Muster der Bezogenheit zwischen Älteren und Jüngeren wird hier allerdings weniger in einer Unterwerfung der Kleinen als in einer liebevollsorgenden Zuwendung der großen Mädchen gegenüber den Kleinen sichtbar. Im Mittelpunkt steht deren Vergnügen und Wohlergehen. Als Mitspielerin konnte ich das Geschehen aus der Perspektive einer teilnehmenden Beobachterin beschreiben.
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Igelgruppe Ich sitze auf dem Bänkchen vor der Fensterbank, beobachte und notiere einiges (...) Amelie kommt mit einer großen Holzkiste herein. Darin liegen Papierstreifen. die sie an manche Kinder verteilt Sie kommt auch zu mir heran. Mit den Worten, dass sie mir was schenke, legt sie mir zwei ausgeschnittene und bemalte Herzchen, einen Stern und ein Eis auf mein Heft Kurze Zeit danach kommt Leonie zu mir, sie fragt mich, ob ich nachher ins Kino wolle. Auf meine Erkundigungen hin erklärt sie mir, wann und wo die Au./fiihrung stattfindet Ich sage, dass ich wahrscheinlich käme. Leonie gibt mir eine "Fahrkarte" dafür, sonst käme ich ja nicht hinein. Dann kommt auch Amelie mit einer Kiste heran, auch sie fragt, ob ich ins Kino komme. Kurze Zeit später beginnt die Vorstellung im kleinen Förderraum der Gruppe. Außer mir sind einige kleinere Kinder im Raum. Amelie und Leonie haben Stühle vor den Vorhang des Kasperle-Theaters gestellt, die sie uns als Gästen zuweisen. Vorher werden aber noch die "Fahrkarten" eingesammelt Ich sitze ganz links, neben mir Lena und noch drei weitere kleinere Kinder. Leonie und Amelie verschwinden hinter dem KasperleTheater, dann beginnt der Gesang: Tri tra trullalla: Es erscheinen das Kasperle und ein Plüschhund. Kasperle: Hallo Kinder, seid ihr alle da?Kinder:ja! Kasperle:Seid ihr alle brav gewesen? Kinder:jaaal! Kasperle und Plüschhund verschwinden wieder. Es kommt zu einigen gleichartigen Au./fiihrungen, bei denen Amelie und Leenie jeweils andere Puppen benutzen. Der Text ist immer das gleiche Tri-tra-trullalla. Als Zweites treten Oma und Prinzessin auf Als ein Mädchen den Raum betreten will, schreitet Leonie ein. "Du musst hinaus, du hast keine Eintrittskarte." Allerdings organisieren Leonie und Amelie dann doch noch einen Stuhl und eine Eintrittskarte und die neue Zuschauerin darf bleiben. Bevor das Theaterstück weitergeht, werden alle Anwesenden aber erneut kontrolliert Dann gehen Leonie und Amelie wieder hinter die Theater-Bühne und inszenieren ihre (stereotypen) Kasperle-Vorführungen. Die Zuschauer spielen mit (wie richtige Theatergäste), beobachten aufmerksam die Auf führung, beantworten die Fragen der Kasperlepuppen und applaudieren, wenn eine Szene beendet wird.
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Nach einer Weile kommt Amelie mit einem großen Tuch hinter dem Theater hervor, legt es sorgsam aufdem Boden aus und wendet sich ans Publikum: "Die kleinen Kinder setzen sich jetzt hier drauf." Zu mir sagt sie:"Du darfst da (aufmeinen Stuhl weisend) sitzen bleiben." Schubsend und lachend begeben sich die Kinder nun auf die ausgelegte Decke. Es wird eng. Fabienne, die sich zuerst auf die Decke gesetzt hat, setzt sich wieder neben mich aufeinen Stuhl. Fabienne:"Ich bin schon groß" P.].: .Aha, wie alt bist du denn?" Fabienne: ,,/ch bin schon fünf und mein Bruder ist acht Ich werd schon sechs. Am 1. November werd ich sechs." Amelie zieht die Decke an einem Zipfel durch den Raum, während die "kleinen Kinder" darauf vor Vergnügen quieken. ]ustin zieht den Vorhang auf, er will, dass es leiser wird. Leonie weist ihn zurecht, er solle rausgehen. Aber er kommt herein und setzt sich aufden Boden. Fabienne bleibt die ganze Zeit neben mir sitzen und beobachtet, wie ich schreibe. Kevin kommt herein. "Raus': ruft ihm Leonie entgegen und schlägt ihm auf den Bauch. Kevin zu justin: "Gehst du mit in die Turnhalle?"Nach einigem Zögern stehtjustin aufundfolgt Kevin. Amelie und Leonie schieben jetzt den Tisch im hinteren Teil des Raumes ganz an die Außenwand. Die Kleinen, die bis jetzt auf der Decke gesessen haben, müssen sich nun unter den Tisch setzen. Als alle dort sind, ordnen die beiden an, dass sie jetzt unter dem Vorhang hindurch klettern müssen, um in den Nebenraum zu gelangen. Dort kriechen die Kinder hinter ein Schränkchen, das in einer Ecke des Raumes steht Auch Amelie und Leonie quetschen sich noch in die Ecke hinein. Sie haben viel Spaß dabei, kichern, tuscheln, sprechen ganz leise von einem Hund, der krank sei. Ein Arzt müsse gerufen werden.
Leonie und Amelie sind zwar noch keine Schulkinder, für die Erzieherinnen gehören sie aber angesichts ihrer fortgeschrittenen Organisationskompetenzen schon zu den Großen. Eine langjährige Mitarbeiterin der Arbeitsstelle für Integration (Afl), die die teilnehmende Beobachtung der Ethnografin beobachtet hatte, kommentiert im Nachhinein das protokollierte Spiel der Kinder. Sie betont, dass das Spiel immer so ablaufe. Es fange immer mit dem Verkaufen der Fahrkarten an, bevor die eigentliche Aufführung beginne. Dabei gehe es gar nicht um die Aufführung selbst, denn die (aufführenden) Kinder inszenierten mit den Puppen gar keine eigenen Geschichten, sondern wiederholten jedes Mal stereotyp das Tri-Tra-Trullala des Kasperle oder
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anderer Puppen. "Wenn ich sehe", sagt sie, "dass ein Kind dies spielt, dann weiß ich, jetzt ist es ein großes Kind, ... wenn sie das jertigbringen, dass die anderen als Zuschauer mitmachen." Die Altersdifferenzierung funktioniert hier also nicht durchgängig als eine Referenz auf das tatsächliche Alter der Kinder, sondern auch als ein symbolisches Orientierungsmuster, das sich den Handlungsmustern ablesen lässt, in denen ein Spiel organisiert wird. Während in pädagogischen Wirklichkeitsauffassungen der Erzieherinnen dieses Muster auf die individuelle Entwicklung einzelner Kinder hinweist, so tritt aus der ethnografischen Sicht die Altersorientierung als eine Strukturkategorie des pädagogischen Feldes in den Blick Sie kommt in der beschriebenen Spielsequenz zweimal zur Anwendung. Zunächst wird die Altersunterscheidung in verdeckter Form in der Unterscheidung zwischen Kinokartenverkäufern und -käufern sowie zwischen Kasperletheaterspielern und -zuschauern reproduziert. Im zweiten Teil des Spiels kommt es dann zu einer thematischen Neudefinition, in der eine Gruppe der Mitspieler explizit als Gruppe der Kleinen benannt wird. Damit wird eine tatsächliche Alterskategorie explizit in eine Akteurkategorie des Spiels überführt, Teilnehmer des Theaterspiels, die nicht zu den Kleinen gehören, spielen daher auch nicht mehr mit. Die Ethnografin ,darf auf ihrem Stuhl sitzen bleiben und Fabienne, die zunächst bei den Kleinen mitspielen wollte, begibt sich mit der Erklärung, dass sie schon zu den Großen gehöre, wieder zurück auf ihren Stuhl. Die Altersdifferenzierung stellt auch hier ein zentrales Organisationsprinzip dar.
Gleichaltrigkeit als Kategorie der Gleichrangigkeit und Zusammengehörigkeit Stellen die Altersunterschiede Bedeutungskontexte dar, aus denen heraus die Kinder Ansprüche legitimieren können, die sie gegenüber den Jüngeren bevorzugen, so ist die Gleichaltrigkeit ein Kriterium, aus dem sie ihre prinzipielle Gleichrangigkeit gegenüber anderen ableiten. Schon beim Kontaktaufnehmen zu anderen Kinder kann deshalb die Auskunft über die Alterszugehörigkeit eine zentrale Kategorie zur Einschätzung anderer Kinder als möglicher Spielkameraden sein. Malzimmer (Bärengruppe) (jasmin und Fiona, Ethnograjin. Die beiden Mädchen sind länger als ein Jahr zusammen in der gleichen Gruppe.) In den Raum tritt Fiona: Sie bleibt eine Weile in meiner Nähe stehen, schaut, beobachtet, was sich im
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Raum ereignet. dann geht sie um den großen Maltisch in die Nähe des Knettisches, an dem [asmin sitzt Sie fragt mich: "Warum sitzt das Mädchen da alleine am Knettisch?" Ich sage, ich wisse es nicht, und frage sie, warum sie sie nichtfragt Dann fragt sie [asmin: "Warum sitzt du denn alleine hier?"jasmin erklärt, dass sie nur vorübergehend alleine sei. Lisa sei nur kurz zur Toilette gegangen. Fiona geht wieder einige Schritte zurück und macht keine weiteren Anstalten, mit [asmin Kontakt zu halten. Ich frage Fiona:"Kennst du sie nicht?" Fiona:"Doch, die ist auch vier!"
AItersbekundungen der Kinder sind ein Medium wechselseitiger Beziehungsdefinitionen. Altersgleichheit erscheint wie eine Voraussetzung dafür, dass man prinzipiell als Spielpartner füreinander infrage kommt. Gleichaltrigkeit ist daher eine Art Synonym für prinzipielle Gleichrangigkeit. Malzimmer Milena und Carotin (Vorpraktikantin) am Maltisch. Laura am Knettisch. Sie schaut zu Milena hinüber und hält ihr mit ausgestrecktem Arm ihre Hand mit dem eingeknickten Daumen entgegen: "Ich bin vier!" Milena reagiert sofort und tut es Laura gleich. "Ich auch." Auch sie streckt der Gleichaltrigen nun ihren ausgestreckten Arm mit der auf das Alter "vier" verweisenden Geste entgegen.
Das Sichbeteiligen an den Aktivitäten anderer Kinder stellt sich dabei bei den kleinen Kindern im Allgemeinen meist als ein mimetisches Mitmachen dar. Gelegenheiten dazu gibt es etwa am Mal- oder auch am Knettisch, an dem die Kinder oft über längere Zeit stereotyp die gleichen Aktivitäten aus fuhren. Sie formen miteinander Kügelchen oder auch kleine Schlangen. Häufig beginnen die Routinen der kleinen Kinder auch zunächst ohne andere Kinder, etwa als wiederkehrendes Muster der Handhabung eines Spielzeuges, und erst nach und nach finden die Kinder dann vermittelt über diese Spielroutinen zu gemeinsamen Aktivitäten. Rollenspielecke Paulina und Timo halten sich in der Rollenspielecke auf Bisweilen stehen sie an dem kleinen gedeckten Tischehen und "essen" ganz kultiviert aus den kleinen Tellerehen, benutzen die Tässchen, die Messerehen. die Gäbelchen. Dann geht Paulina ein bisschen herum, zieht einige von den Klamotten an, die auf dem Boden ausgestreut sind. Timo schaut ihr zu. (Paulina scheint es zu genießen, dass Timo ihr zuschaut) Sie zieht die Stiickelschu -
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he an und tackert auf dem Boden entlang. Aber Timo interessiert sich nicht dafür. Er ist unschlüssig, geht zum kleinen Tischehen, trinkt ein wenig aus seinem Tässchen und isst mit seinem Gäbelchen etwas aus seinem Teller. Dann steht er wieder im Raum. Paulina fordert ihn auf, wieder zu schauen. Er schaut ihr ein bissehen zu, verliert aber bald wieder das Interesse, geht zu seinem Gedeck Paulina folgt ihm und nun stehen beide wieder am Tisch und "essen" aus den kleinen Spielzeugtellem mit den Gäbelchen und Messerehen.
Anders als bei den einfachen, überwiegend mimetischen Praktiken der Kleinen verweisen die Routinen der größeren bzw. großen Kinder auf komplexere Kenntnisse der kulturellen Zusammenhänge, in denen sie aufwach sen 28 • In ihnen lassen sich die Elemente genauer identifizieren, die im Sinne von Krappmann (1993), KrappmannjOswald (1995) und Corsaro (1990, 1992, 1998) eine eigenständige Kultur der Kinder offenbaren. In ihr versuchen die Kinder der Welt der Erwachsenen einen Sinn ("make sense'') abzu gewinnen, indem sie diese in ihren eigenen Praktiken und Routinen interpretativ reproduzieren. Kinderkultur stellt sich daher als ein "stabiles Set von Praktiken oder Routinen, Artefakten, Werten und Anliegen dar, die Kinder in der Interaktion mit Gleichaltrigen produzieren und teilen" (CorsarojEder 1990: 197; Übersetzung P. J.). Als Gleichaltrige schaffen die Kinder eine Sozialwelt untereinander, in der sie Sicherheit und Zugehörigkeit erfahren und durch ihre Teilhabe daran Kontrolle über das eigene Leben gewinnen. Corsaro (1992) sieht in der Kinderkultur einen eigenständigen Beitrag zu Reproduktion und Veränderung der Gesellschaft. Für ihn ist die Kinderkultur in Anlehnung an Geertz (1987) und Goffman (1982) "public, collective and performative" (Corsaro 1998: 97). An ihr lässt sich ablesen, wie die Kinder die Kultur der Erwachsenen erfahren und sie untereinander interpretierend wieder hervorbringen. Vor dem Hintergrund von Corsaros Studien verdichten die folgenden Berichte und Schilderungen die Ergebnisse eines intensiven Fokussierungsprozesses auf die Aktivitäten einer Gruppe sog. ,Schukis' (Schulkinder). So werden im untersuchten Kindergarten jene Kinder bezeichnet, die im kommenden Schuljahr zur Schule gehen werden. Bei der Forschungsarbeit gerieten im Rahmen des genannten Fokussierungsprozesses vermehrt Szenen
28 Der folgende Textabschnitt bis einschließlich des Unterkapitels ,Die Ordnungen des Alters als Thema der Kinder' ist eine leichte Überarbeitung eines Ausschnittes meines Publikationsbeitrages in Honig/Joos/Schreiber 2004.
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am Maltisch einer Kindergartengruppe in den Blick, wo die Schukis regelmäßig zusammenkamen. Zu ihnen gehörten Sebastian (6), Ron (6), Tim (6) und Denny (7). Außer ihnen hielten sich aber auch andere Kinder am Maltisch auf. Besonders augenfällig war allerdings, dass die Schulkinder das Geschehen dominierten. Sie schufen sich in ihren Praktiken und Routinen einen interaktiven Raum, der sich mit Corsaros Begriff des Underlife (Corsaro 1990) fassen lässt. Der Zeitraum des Fokussierungsprozesses repräsentierte für die genannten Kinder die letzten Wochen ihrer Kindergartenzeit. Der Maltisch war eine Art Treffpunkt, an dem sie im Laufe des Vormittags immer wieder zu gemeinsamen Aktivitäten zusammenkamen. Die Rahmung ihrer gemeinsamen Aktivitäten bestand zunächst in der Routine des Maiens. Am Maltisch zu sitzen und zu malen ist eine Selbstverständlichkeit, die von jedem Erklärungszwang für die Anwesenheit entlastet. Dies gilt für alle Kinder und ist erklärbar durch den vergesellschafteten Belegungsmodus des Maltisches. Er hat acht Plätze, diese können prinzipiell von allen Kindern eingenommen werden. Anders als in der Räuberhöhle oder im Arztzimmer werden die Kinder nicht an der Aushandlung der Belegung beteiligt, es gibt keine zusätzlichen Limitierungsregeln, mit deren Hilfe sich eine einmal gebildete Gruppe/Gemeinschaft oder Freunde einen ungehinderten Verlauf einer bereits begonnenen Aktivität sichern können. Auch während der Fokussierungen auf den Maltisch ist das Publikum gemischt, nicht nur die vier Schulkinder frequentieren während dieser Zeit den Maltisch, meist sind auch jüngere Kinder dabei. Es sind auch nicht immer alle Schulkinder der genannten Gruppe gemeinsam am Schultisch, manchmal befindet sich nur Sebastian oder mit ihm nur einer oder zwei der anderen sechsjährigen Jungen am Maltisch, dies entweder mit oder ohne jüngere Kinder. Wegen des vergesellschafteten Belegungscharakters ist der Maltisch in besonderer Weise geeignet, Prozesse der Gruppenzugehörigkeit zu beobachten, denn Teilnehmerschaft muss interaktiv erzeugt werden.s? Kennzeichnend für die Aktivitäten der Schulkinder ist die Tatsache, dass sie in der Produktion von Bildern einen ausgeprägten kommunikativen Zusammenhang herstellen, dem in wiederkehrenden Themen, Handlungen und geteilten Werten unter ihnen Ritualcharakter zukommt. Besonderer Gegenstand ihrer Gespräche sind Sebastians Bilder. Sebastian, der sich seit
Im Sinne des ethnomethodologischen Wirklichkeitsverständnisses (Patzelt 1987: 69) müssen IndexikaIität und Reflexivität ineinander greifen. Es muss deutlich werden, auf welche gemeinsamen Kontexte hin die Teilnehmer der Ethnie ihre Sinndeutungen und Handlungen aufeinander abzustimmen vermögen. 29
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etlichen Wochen während der Freispielphase fast ausschließlich am Maltisch aufhält, malt in der Hauptsache zwei Typen von Bildern: Titanic -Bilder und Star-Wars-Bilder. Die Motive dafür bezieht er aus Filmen, die ihn begeistert haben. Das Malen der Bilder ist aber kein Malen im üblichen Sinn, vielmehr eine Art Inszenierung teils erfundener, teils erinnerter oder rekonstruierter Filmszenarien. Es kommt dabei nicht auf die Exaktheit der Darstellungsweise an, Salven elektronischer Waffen zischen beispielsweise als Striche über das Blatt, während Sebastian die Dynamik des Kampfes mit Schießgeräuschen begleitet und bisweilen kommentiert, wer gerade gegen wen kämpft. Oder er krakelt eine Weile mit dem Stift auf dem Blatt herum und bezeichnet das so entstehende Abstraktum plötzlich als "Maschinenraum der Titanic", Die stetigen Kommentierungen des Geschehens, die bisweilen aber auch selbst mit aufgeführten Geschehensdetails, die als Teile direkter Rede oder als Begleitgeräusche (Tschü, Tschü) die Malinszenierungen begleiten, bilden am Maltisch eine Gemeinschaft stiftende allgegenwärtige Rahmung, auf die sich die Schulkinder häufig beziehen. Sich von Sebastian erklären zu lassen, was er gerade malt, ist ein wiederkehrendes Ritual der Schulkinder. Maltisch 30 Tim: Sebastian: Ron: P.].:
Ron: Sebastian: Denny: Ron: P.J.: Sebastian: Ron: Sebastian:
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(zeigt aufSebastians Bild) Was passiert denn da? Da werden jetzt Gute gefangen von den Bösen Den bösen Guten oder umgekehrt: von den guten Bösen (zu Sebastian) Du bist aber wieder bei den Bösen (zu P.J.) Ja (nickt) Ja genau, bei den Bösen (zu Sebastian) Gel, weil die am besten aussehen. Ja? Nööö, Nöö (.) Die Bösen sind viel besser als die Guten! Aber normal sind die Guten besser Ja, aber
Transkript einer Videoaufzeichnung.
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Ron: Sebastian:
Die Guten gewinnen aber, bei Teil 1 gewinnen die Guten Teil 1, Episode One, da gewinnen die Guten, das ist die dunkle Bedrohung. Episode Two, das kenn ich genau, da, da gewinnen jedenfalls auch die Guten. Episode Three, das kennt niemand, auch, wenn's auch Experten sind, weil das ist noch gar net draußen, das ist noch net mal im Kino, das, iih, da, da, da kann ich mir aber auch vorstellen, dass die Guten gewinnen. Im ersten Teil der ,,Alten(?)"gewinnen die Guten, im zweiten Teilgewinnen, glaube ich, die Bösen.
Oder an einem anderen Tag: Malzimmern Sebastian sitzt alleine am Maltisch, malt Star Wars oder Titanic. Als ich hereinkomme, sagt er:"Hallo, immer wenn ich hier sitze, kommst du hier herein. Ich antworte nicht viel, hole mir Blatt und Stifte und beginne wieder an einer Oasezu arbeiten. Tim kommt dann auch hinzu, stützt sich in der Nähe Sebastians auf den Tisch und beobachtet, wie Sebastian malt Sebastian ist in die Geschichte aufseinem Blatt vertieft, produziert wie üblich sein Maschinengewehrgeratter (dschrrrrr, dschrrrrrr). iI
Tim:
(zu Sebastian) Was passiert denn da? Da kämpfen ganz viele Leute gegen das Böse ... jetzt verSebastian : sucht da ein Guter, mich abzuschießen Bist du ein Guter? P.J.: Nein, ich bin ein Böser. Sebastian: (schaut interessiert in das Feuer aufSebastians Blatt) Tim: Was ist jetzt? Sebastian : Jetzt kommen nur zwei und kämpfen gegen mich! /eh habe einen Metallarm, weil meinen normalen Arm hat man mir im Kampfabgeschlagen. Tim: (beobachtet Sebastian eine Weile, dann verlässt er den Raum) Sebastian fährt unbeirrtfort mit seinen Malinszenierungen.
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Transkript einer Videoaufzeichnung.
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Die Szenen, die auf Sebastians Malpapier zur Aufführung kommen, sind den Gesprächsteilnehmern nie ganz neu, auch nicht die Bewertungen, die Sebastian den einzelnen Geschehenssträngen beimisst. Dies macht es möglich, die Ereignisse der Inszenierungen zu einer Art Gemeingut werden zu lassen. Sie sind vergleichbar mit einem Streifen, der vor den Augen aller abläuft, wes wegen man erwarten kann, dass die Gesprächsteilnehmer in gewisser Hinsicht über die inszenierten Dinge Bescheid wissen. Die geschilderte Situation weist die Ethnografin als Novizin aus, denn ihre Fragen werden z.T. von anderen Kindern beantwortet, die schon eine Menge wissen über Sebastians Bilder, sodass dieser gar nicht selbst zu antworten braucht. Insbesondere Ron, Sebastians bester Freund, kennt sich so gut aus mit dessen Bildern, dass er an der Stelle seines Freundes antwortet. Regelmäßig dabei zu sein, heißt denn auch, sich mit Sebastians Bildinszenierungen so gut auszukennen, dass man sie ihrer Thematik nach voneinander unterscheiden kann. Maltisch32 Sebastian: Tim: Po].: Sebastian: P.}.:
Sebastian: Po].: Sebastian: P.}.:
Sebastian:
P.}.:
Sebastian:
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Tschü, tschü (zu P.}.) Warum willst du immer 'ne Oase malen? Er (meint Sebastian) machtja auch immer 'ne Titanicl (zu Po].) Du,sieht das aus wie 'ne Titanic? Das ist Star Warst }a
Da kenn ich mich nicht so gut aus mit Star Warso Was machst'n da noch? Was glaubst du, was das sein könnte? Das sieht irgendwie aus wie so 'n komisches Tier. Ein Roboter, ein Roboter oder sowas. Ja, ein Roboter, der hat, der schaltet 'nen Schutzschildgenerator an, und dann, wenn man auf den schießt, prallt das ab, [...) außer mit ganz besonderen Flugzeugen kann man die (abknallen?). Die heißen Droitikas. Droitikas?- Ah ja Tschü, tschü
Transkript einer Videoaufzeichnungo
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Gelingt die Identifikation des Malthemas - wie in der vorausgehenden Episode - einmal nicht, so kann dies Anlass berechtigter Sanktion sein. Die Ethnografin konnte den Unterschied zwischen Titanic und Star Wars nicht erkennen, weswegen Sebastian sie legitimerweise belehren darf (Du, sieht das aus wie 'ne Titanici]. Bisweilen passieren im Bildgeschehen aber auch ganz unerwartet neue Dinge, sodass Sebastian von sich aus auf die Ereignisse aufmerksam macht: Maltisch Sebastian sagt, er male einen Maschinenraum in einem großen Schiff und ich sei darin. Er zeigt mir, wo ich bin. An der Stelle ist ein kleines Strichmännchen. Ich frage, was ich da mache. Sebastian arbeitet weiter an dem Bild, schließlich sagt er: "Du arbeitest an einer Maschine, an der es ganz heiß ist"
Sebastians Bildinszenierungen bilden am Maltisch einen quasi immer mitlaufenden thematischen Bezug, in den sich viele andere Ereignisse einfügen können, beispielsweise die Thematisierung anderer Bilder von Schulkindern, die am Tisch entstehen, aber auch andere Rituale, die die Formierung dieser informellen Schulkindergruppe festigen. Eines der unter den vier Jungen geteilten Rituale, das in das Geschehen am Maltisch als Selbstverständlichkeit jederzeit eingestreut werden kann, besteht im Gebrauch der in Umlauf gebrachten Zoten. Sie können einfach benannt oder benutzt werden, um so in ihrem Anregungspotential neue Blüten hervorzutreiben, oder in recht vulgäre Abzählreime verpackt sein. Zu diesem Arsenal gehört auch eine Kette von Lust und Geschlechtlichkeit abbildenden Kritzelzeichnungen, die die Kinder mit stets neuen Varianten versehen und am Maltisch als belustigende Attraktionen zur Schau stellen. Entgegen der Tabuierung dieser Themen im Kindergarten tragen diese gemeinsamen Praktiken zu einem regen Underlife (Corsaro, 1990) der vier Schulkinder bei. Neben den Aktivitäten und Ritualen, die die vier Jungen miteinander teilen, kreisen ihre Gespräche in stets abgewandelter Form um die Zukunft. Sie zeugen von der Erwartung, dass die Kindergartenzeit bald vorbei ist und dann ein neuer Lebensabschnitt beginnt Das sehen auch die Erzieherinnen so. ("Die fangen dann schon ab März an, unruhig zu werden. Die wissen dann, dass es nicht mehr lange dauert, bis sie in die Schule kommen.") Die Zeitlichkeit des eigenen Lebens, das Wissen um eine persönliche Biografie, zugleich aber auch die Gewissheit, dass man das Älter-Werden mit den Gleichaltrigen teilt, drängt in den Gesprächsthemen der Kinder in den Vorder-
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grund. Am unmittelbarsten wird die Zeitlichkeit am eigenen Körper erfahren. Die Kinder thematisieren dies z.B. in einem lebhaften Gespräch über den Zahnwechsel, der bei manchen von ihnen schon eingesetzt hat. Dass die nachkommenden Zähne mitunter als Schulzähne bezeichnet werden, offenbart das Wissen um den vergesellschafteten Charakter des herannahenden neuen Lebensabschnittes. Maltisch33 (Am Maltisch befinden sich Ron (6J, Sebastian (6J, Max (5J, Denny (7J, Lars (5J, Luisa (4J und die Ethnografin.J Sebastian, mir ist gestern mein erster Zahn rausgefallen. Guck mal! (zeigt Sebastian zugewandt mit dem Finger aufseinen MundJ (Die Kinder schauen sehr aufmerksam aufRons Mund.) Sebastian (6): [aufseinen Mund zeigend zu Tim] Ich han zwei (Tim schaut neugierig aufSebastians MundJ Max(5): (zu Lars aufseinen Mund zeigendJ Ich han auch zwei (Lars schaut interessiert aufMax ' Mund.J (Teilung der Kommunikation am Tisch: im Vordergrund Max mit Lars, im Hintergrund Sebastian mit Tim] Sebastian(6): Und da (aufseinen Mund zeigendJ, das sind die, da, die da, darf ich net verlieren, weil, wenn die ausfallen, dann kommen gar keine mehr nach (zu Sebastian exklusiv] Sebastian, gel, das sind schon Ron (6): die Schulziihne, gel! Sebastian(6): (zu Tim und Ron gewandtJ Ja, ja, das sind bleibende Zähne Denny(7): (laut, ohne sich an jemand persönlich zu wendenJ Die muss man (?) ordentlich putzen Guck, das sind keine Milchzähne mehr Ron (6): (mit beiden Händen auf seinen Mund zeigend zu Ron Tim (6J: gewandt) Ich han noch Milchzähn! Ron (6): (Tim ignorierend zu Sebastian) Ron (6):
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Transkript einer Videoaufzeichnung.
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Eh, Sebastian, meine Zähne, die kommen bis hier hinten dran Ich han auch lchja auch (Lars und Luisa verfolgen das Geschehen vielmehr als Zuschauer.)
Luisa (4): Tim (6):
Nicht nur die Synchronizität der körperlichen Entwicklung mag das übereinstimmende Interesse/Engagement der Kinder für derartige Themen erklären. Zahlreiche Interaktionen unter ihnen zeugen von dem Wissen der Kinder, dass sich ihnen die zu bewältigenden Aufgaben der Zukunft gemein sam mit anderen Gleichaltrigen stellen. So weiß Tim bereits jetzt zu berichten, dass er mit Ron und Sebastian die gleiche Klasse besuchen wird. Der herannahende Schuleintritt konstituiert einen dem Geschehen stets innewohnenden Bedeutungskontext, sodass die Kinder häufig ohne entsprechende Ankündigung unvermittelt eine von Dritten erhaltene Information über die Schule, ein Problem diesbezüglich oder eine Frage in den Raum werfen:
Maltischs" (Am Tisch sind Sebastian, Denny, Luisa und die Ethnograjin. Tim hält sich am Regal auf, wo die Malblätter liegen. Er versorgt die anderen Kinder mit Malblättern: Wer braucht Papier?"Zwischenzeitlich beobachtet Tim immer wieder durch einen schmalen Spalt in der StoJftrennwand, was drüben geschieht) 11
Sebastian:
Tim:
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Also, Timmi, meine Mama (hört aufzu malen, wendet sich ganz zu Tim hin, der vom Vorhang zu Sebastian kommt, sich einen Stuhl nimmt und direkt vor Sebastian setzt, sodass sie face -to-face einander gegenübersitzen) hat ja, (...) freu dich nie drüber, dass du Schulsprecher wirst (Sebastian zuhörend haut sich mit beiden Händen auf die Knie)
Transkript einer Videoaufzeichnung.
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Sebastian :
Tim:
Sebastian: Tim: Sebastian :
P. }.:
Sebastian:
Wie-so bin ich Schul-spre-cher? Wieso, wenn du einer wirst, dann freu dich, freust du dich nicht drüber. Nämlich Schulsprecher, das is en Haufen Arbeit Du kannst es jedem recht machen. Wenn du's den Schülern recht machen willst, sind die Lehrer bös, willst du 's den Lehrern recht machen, sind die Schüler bös. [..) Niemand kannst du es einmal recht machen. [..) Niemand kannst du es einmal recht machen. [..) Man kann's einem nie recht machen. [..] (geht wieder zurück zum Regal, wo er wieder durch den Spalt in der StoJftrennwand beobachtet, was auf der anderen Seite passiert) (nach einer kleinen Weile laut in den Raum rufend) Will einer Papier? (kommt an den Tisch zu Sebastian) Schulsprecher, Klassensprecher Alles Scheiße Ich kann dir net garantieren, dass es so iss, aber ich glaub schon, dass meine Mama recht hat, aber, eeh, ich weiß net genau, ob es die, meine Mama das wirklich gesagt hat oder ob ich das nur geträumt hab, aber der Schulsprecher is net nur Arbeit Aber was gut wär, (wendet sich amüsiert zum ganzen Tisch hin) das wär Klassenkassenwart Was ist das? Weiß auch net
Dass man in der Binnenwelt der Schule unterschiedliche Rollen einnehmen kann und mit ihnen eine Perspektivität zu anderen Rolleninhabern hergestellt wird, kann aufgrund seines aktuellen Bedeutungsrahmens als Redebeitrag unangekündigt in den Alltag eingeworfen werden. Er stößt zwangsläufig auf das Interesse der Gleichaltrigen. Auch in seinen Bildern thematisiert Sebastian die Auseinandersetzung mit dem künftigen Lebensabschnitt. Auf seinen Schiffen werden Klassenräume eingerichtet, die mit Schülern und Lehrern versehen sind. Während
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des MaIens spricht er darüber, wie es den Kindern als den Insassen der Klassen ergeht: Maltisch Sebastian malt ein großes Schiff, nicht die Titanic. Er sagt- er male einen Klassenraum aufseinem Schiff. Wenig später erklärt er unvermittelt: "Die Erstklässler werden anders behandelt Du (zu mir gewandt] wirst gut behandelt Die Drittklässler werden nicht so gut behandelt"
Die inszenierten Bildabfolgen zeugen von einem Wissen darüber, dass einem die eigene Biografie in einer Kohorte Gleichaltriger widerfährt Man trägt selber gar nichts zu dem bei, was passiert. Die Altersprogression wird erfahren als eine von der Klassenstufe abhängende Behandlung. Der Weg in die Zukunft scheint in dieser Altersgradierung vorgezeichnet Ebenso wird die natürliche kontinuierliche Zeitabfolge in institutionalisierte Zeitabschnitte unterteilt (Erstklässler, Drittklässler). Aus diesem Wissen erklärt sich dann zwangsläufig, dass man als Gleichaltrige einen gemeinsamen Weg geht, weswegen es eine naheliegende Selbstverständlichkeit ist, sich als zusammengehörend wahrzunehmen. Die gemeinsame Biografie konstituiert einen Bedeutungsrahmen, auf den sich die Kinder in ihren Interaktionen beziehen. Auf diese Weise entsteht, von den Kindern völlig unbeabsichtigt, ein Interaktionszusammenhang, an dem die älteren Kinder, die bald zur Schule gehen, partizipieren und dem die jüngeren weitgehend als Beobachter beiwohnen. Als Teilnehmer lauschen sie dem Gespräch der Älteren, beobachten, wie diese sich verhalten, und machen sich einen Reim darauf, was sie in einem oder zwei Jahren erwartet Weiß man, dass man als Altersgruppe für die nächsten Jahre zusammenbleibt, so treten die Gleichaltrigen, mit denen man regelmäßiger zusammen ist, auch stärker als Individuen hervor. Dass der geteilte Lebensabschnitt jeden anders auf das spätere Erwachsenenleben vorbereitet, mag deshalb der selbstverständliche Hintergrund einer Gesprächssequenz um die Berufswünsche sein. Dass zugleich das Ergebnis dieser Vorbereitung jedoch einen Zusammenhang zur Gegenwart aufweist und als Anlage oder Neigung bereits vorhanden und lediglich einer konsequenten Verwirkli chung entgegenstrebt, lässt Ron, der als Natur- und Tierliebhaber jetzt schon weiß, dass er einmal Tierexperte werden will, rätseln, auf welche Entwicklungstendenzen die aktuellen Malszenarien seines Freundes Sebastian hinweisen.
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Maltisch 35 [Sebastian, seine Malszenarien kommentierend, berichtet in ausführlicher Weise von den neueren Star-War-Produktionen, während Ron interessiert zuhört) Ron: Sebastian, was willst du denn mal werden, wenn du Broß bist, als Beruf? Sebastian: [iiberleqt] Eismann! Eismann? Ha, ha, wieso Eismann? P.J.: Tim: Da musste ja so (?) lanB schaffen! Sebastian: Ja UND! Da kann ich mir bei meinem (?) Beruf auch immer Eis hole, ha, ha Ron: Sebastian, eh Sebastian Tim: Ich Ben Masseur Ron: Sebastian! Da kannste ja nur im Sommer rumfahren und nicht im Winter (lacht) Luisa: Eismann! Ha, Ha! Ich Ben VOBel-, (.) ich Ben Tierexperte Ron: Luisa: Und ich und ich Tim: Ich Ben Masseur Und ich Luisa: Sebastian: Ja UND, der Eismann verdient im Jahr aber auch sehr viel: dreißig- bis fünfziBtausend!
Der pädagogischen Idee folgend, dass Anlage und Individualität des Kindes bereits früh erkennbar sind und in der persönlichen Biografie als Entwicklung auf Verwirklichung drängen, widmet sich Ron den Bildinszenierungen seines Freundes. Nachdem Sebastian in einem sehr ausgedehnten Redebei trag seine Kenntnisse über die neueren Star-Wars-Produktionen dargelegt hat, fragt Ron ihn unvermittelt nach seinem Berufswunsch. (Du, Sebastian, was willst denn du mal werden?) Sebastians Antwort (Eismann, ... da kann ich mir immer Eis holen) begegnet Rons Frage mit einem unerwarteten Kontrast, der erkennen lässt, dass Sebastians Zukunftsvorstellungen nicht von der gleichen pädagogischen Idee eingefärbt sind. Seine gegenwärtigen Mal-
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Transkript einer Videoaufzeichnung.
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vorlieben verbindet er keineswegs mit seiner künftigen Berufsbiografie. Wiederum andere Zukunftsvorstellungen, wie etwa die von Tim, der Masseur werden möchte, verweisen auf andere Bedeutungskontexte. Treten den Kindern wechselseitig die unterschiedlichen Berufswünsche jeweils als etwas Anderes oder Fremdes entgegen, so ist für die ethnografische Frage danach, wie Zugehörigkeit und Mitgliedschaft organisiert werden, die Beobachtung zentral, dass es die Alterskategorie ist, durch welche Gleichrangigkeit und Zusammengehörigkeit hergestellt werden. Daher mag es nicht gerade zufällig sein, dass Luisa, die erst vier ist, der interaktive Raum nicht zugebilligt wird, auch ihren Berufswunsch zu artikulieren.
4.2.3 Ethnische Ordnungen Grenzziehungen Eine der hervortretenden Kategorien, nach denen sich die Kinder als Gruppen oder Gemeinschaft organisieren, ist die der ethnischen Zugehörigkeit Bei den selbst organisierten Spielen und Aktivitäten beziehen sich die aktiven Bemühungen um Zugehörigkeit normalerweise auf Angehörige der gleichen Ethnie. Sowohl die deutschen als auch die türkischen Migrantenkinder, welche die beiden im Kindergarten vertretenen ethnischen Gruppen darstellen, spielen überwiegend mit ihresgleichen und sprechen fast aus schließlich ihre Muttersprache. Das heißt natürlich nicht, dass es im Kindergartenalltag nicht viele Anlässe der Begegnung gibt Überall dort, wo Begegnungen zwischen den Kindern in der Alltagswelt des Kindergartens selbstverständlich sind, also z.B. beim Malen am Maltisch, bei den (Offenen) Angeboten während der Freispielzeit, in der Gruppe der Vorschulkinder, im Sitzkreis oder bei den alltäglichen Spielroutinen in den einzelnen Spielbereichen kommen deutsche und türkische Kinder regelmäßig zusammen. Wenn es aber darum geht, Spielpartner oder Freunde zu gewinnen, dann finden sich doch die Kinder der gleichen Ethnie zusammen. Die Erzieherinnen behaupten, dass die türkischen Kinder vor Eintritt in den Kindergarten besser Deutsch könnten, als nach einigen Jahren des Kindergartenbesuchs. Schließlich schicken die türkischen Eltern ihre Kinder erklärtermaßen in den Kindergarten, damit sie mit der deutschen Kultur vertraut, insbesonde-
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re aber in der deutschen Sprache gefördert werden.w Jedoch sind die jeweils drei bis fünf türkischen Kinder einer Gruppe sehr viel stärker aufeinander bezogen als auf andere Kinder und umgekehrt zeigen die deutschen Kinder nicht gerade ein reges Interesse an der Auseinandersetzung mir der fremden Kultur. Auch über die Aktivitäten in der eigenen Gruppe hinaus suchen sich die türkischen Kinder in den einzelnen Gruppen regelrecht auf. Durch die partielle Öffnung der Gruppen bedingt finden an manchen Tagen regelrechte Migrationsbewegungen zwischen den einzelnen Gruppen statt und man trifft in bestimmten Spielbereichen auf größere Ansammlungen türkischer Kinder. Schließlich gibt der fast tägliche Aufenthalt im Freigelände das Feld frei für gemeinsame Gruppierungen der türkischen Kinder. Die häufigen Zusammenkünfte der Kinder geben dabei Gelegenheit, die Zugehörigkeit zu den anderen Kindern zu bekunden. Mit der Organisation der Kopräsenz verknüpft ist zugleich eine ethnische Definition bestimmter Areale. Ein gewohntes Bild ist etwa die Versammlung der türkischen Kinder in abgrenzbaren Bereichen der Sandkästen, wo sie in unmittelbarer räumlicher Nähe zueinander spielen und sich miteinander verständigen. Natürlich sind nicht immer alle türkischen Kinder da, aber diese Orte bilden für sie soziale Räume, an denen die ethnische Zusammengehörigkeit ein zentrales Moment der Teilhabe darstellt. Freigelände Herrliches Frühlingswetter. Die Kinder aller Gruppen sind draußen. Ich sitze am Rand des linken Sandkastens und schaue den Kindern zu. Rafet zeigt mir, dass er bis über den Sandhaufen in der Mitte des Sandkastens springen kann. Seher an meiner Seite "backt" einen Sandkuchen. Um mich herum viele türkische Kinder. Ein Mädchen ist dabei, das ich noch nicht kenne. Es könnte auch ein deutsches Kind sein und ich erkundige mich nach ihr. Die Kinder erklären mir, dass das Mädchen Senine heiße und Selims Schwester sei.
Gerade die Freispielzeit, deren Spezifikum es ist, die Spielpartner und -orte frei wählen zu können, ermöglicht den Kindern, sich entsprechend ihren eigenen Wünschen zu gruppieren. Spielgruppen können sich dabei buchstäblich aus dem Weg gehen. Konflikte entstehen allerdings dann, wenn die räumlichen Gegebenheiten dies nicht in entsprechendem Maße zulassen.
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VgI. Deutsches Jungeninstitut (Hrsg.) 1998, S.148 ff.
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Dann werden etwa bestimmte Spielareale als ethnisch definierte Terrains gekennzeichnet und als solche verteidigt. Den Erzieherinnen sind die eher verdeckten Kämpfe der Kinder um Räume, in denen sie unter sich sein können, als Interventionsanlässe wohl vertraut und ihre Entscheidungen stellen daher implizit Modi des Umgangs mit ethnischer Differenz dar. Igelgruppe: Im mittleren Nebenraum kneten einige türkische Kinder: Seyda, Seher. Turgut Einige unbekannte Frauen betreten den Raum, die sich als Erzieherinnen eines anderen Kindergartens ausweisen und hier sind, um sich im Rahmen einer Exkursion über die Arbeit mit dem "Teiloffenen" Konzept in diesem Kindergarten zu informieren. Während Karo (Erzieherin) ihnen eine ganze Weile Rede und Antwort steht, kommen etliche türkische Kinder aus der Kreativecke heran und fordern von ihr. dass ein bestimmterJunge vom Knettisch entfernt wird. Er soll nicht mit ihnen spielen. "Doch, doch!" sagt Karo,"der darf auch da spielen." Zu uns gerichtet kommentiert sie halblaut ihre Entscheidung: "Das ist der einzige Deutsche in der Ecke." Ebenso können sich ethnisch definierte Ansprüche auf Materialen beziehen, wie sich in der im Folgenden geschilderten Szene abzeichnet. Hier sind es die deutschen Kinder, die den Gebrauch der Spielmaterialien kontrollieren. Bauecke (Bärengruppe): (Vor dem Hinausgehen ins Freigelände.) Der Gruppenraum ist schon weitgehend geleert, die meisten Kinder sind also schon draußen, Tim befindet sich in der Bauecke, wo auch ich hingehe. Kaum angekommen, weist er vorwurfsvoll auf die Holzkiste mit den Holzbausteinen: "Da!': sagt er zu mir. "da kannste mal sehen! Das waren die Tiirkessel" Die Bausteine sind zwar eingeräumt, aber nicht fugenlos. Weiter oben liegen sie in der Kiste kreuz und quer übereinander. Darüber regt sich Tim auf Zu mir sagt er: "Das lass ich mir nicht mehr gefallen. Das bring ich am Montag ein bei meinen Kollegen. Das spreche ich an, das mach ich nicht mehr mit!" Zwischenzeitlich kommt Sebastian herbei. Tim sagt auch ihm, worüber er sich ärgert, und zwar mit den gleichen Worten. .Sebastian, das waren die Türkessel" Sebastian unvermittelt und zugleich ein wenig aufgeregt, ja empört: "Du, das kannst du nicht so sagen. Das ist eine Verdächtigung. Damit musst du sehr gut aufpassen!" Tim nachdenklich während wir zu dritt hinaus ins Freigeländegehen.
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Zu den Praktiken der Kinder, die der Okkupation von Arealen und Materialien in gewisser Hinsicht vergleichbar sind, gehört die Vereinnahmung von Erwachsenen für die eigenen Belange. Als Forscherin war dies für mich weniger eine Beobachtung als eine Erfahrung, die mich im Nachhinein darüber belehrte, wie ich in die Aktivitäten der Kinder hineingezogen und zum attraktiven Objekt einer ethnisch definierten, exklusiven Belagerungen wurde. Holzzug (Freigelände) Jetzt, nachdem Karo (Erzieherin), mit der ich eine Weile gesprochen habe, ins Haus gegangen ist, sind auf einmal wieder alle türkischen Kinder um mich herum. Selim, Yesim, Selin, Muschan, Yasar und Dilara. Sie wollen wieder in mein Heft malen. Sie umringen mich, alles ist auf das Heft konzentriert Ich habe aber nur einen Stift. Zuerst malt Selin. Sie malt einen Mund und eine Nase. Sie fragt mich, wie Mund und Nase, für die sie nur die türkischen Wörter kennt, auf Deutsch heißen. Dann nimmt sich Selim den Stift, auch er malt einige Dinge und fragt nach den Wörtern.
Natürlich gab es vergleichbare Situationen auch mit deutschen Kindern. Hier wäre es aber angesichts der ,Normalität', dass es deutsche Kinder sind, schwer gefallen, von einem ethnischen Phänomen zu sprechen, obwohl kulturelle Praktiken üblich erweise auch ethnisch definiert werden. Erst die Tatsache, dass es mal deutsche Kinder, mal türkische Kinder waren, die mich in ein Geschehen mit ihnen hineinzogen, ließ diesen Aspekt hervortreten. Erst im Nachhinein wurde ich mir klar darüber, dass dieses subjektiv als ein Hineingezogenwerden Erlebte implizite Entscheidungen für die eine oder die andere ethnische Option enthielt. Holzzug (Freigelände) Während ich im Waggon des Holzzuges sitze und mir Notizen mache, kommen die türkischen Kinder zu mir. Sie reden mit mir, wollen wieder in mein Heft schreiben. Doch da kommen auch Lisa, Laura und Anna und ziehen mich wieder in das bekannte Spiel mit ihnen, bei dem sie ihren Namen verleugnen. Sie schubsen mich unerwartet auf den Rücken und versuchen dann, so schnell es geht, sich zu verstecken. Ihre emsige Ausgelassenheit zieht meine ganze Aufmerksamkeit aufsich. Kurze Zeit später, als sich das Ratespiel beruhigt hat und Lisa, Laura und Anna neben mir auf dem Bänkchen im Waggon sitzen, bemerke ich, dass sich die türkischen Kinder vorne aufdie Lok verzogen haben und nun herüberschauen.
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Die Okkupationen sind dabei nicht Folge strategischer Ausschlüsse der anderen Kinder. Sie erweisen sich vielmehr insofern als absichtslos, als sie jeweils über kulturell definierten Themen und Routinen hergestellt werden. Die Exklusivität der jeweiligen Vereinnahmungen widerspiegelt vielmehr das alltägliche Nebeneinander der verschiedenen Kulturen. Die Grenze zwischen dem Eigenen und dem Fremden zeichnet sich allerdings nicht nur durch die Vereinnahmung spezifischer Orte, Materialien und Personen, sondern gerade in Situationen der Begegnung mit den Kindern der jeweils fremden Kultur ab. Das lässt sich entlang der alltäglichen Routinen insbesondere dort beobachten, wo die Ritualisierung der Zusammengehörigkeit aller Kinder zu einer Kindergartengruppe zum Programm des Kindergartens gehört und Begegnungen zwischen den Kulturen daher unvermeidlich sind. In den täglichen Sitzkreisen, in denen die Grenzziehung zwischen unterschiedlichen Akteurgruppen im Medium von Ritualen bearbeitet wird, tritt die implizite Herstellung der Grenzlinie zwischen den Kulturen besonders deutlich hervor. Im Rahmen der regelmäßig stattfindenden Kreisspiele, bei denen die Spieler jeweils einen Mitspieler oder Nachfolger bestimmen müssen, treten insbesondere die ethnischen Kriterien als Prinzipien der Wahl von Mitspielern hervor. Gerade im Ritual wird daher die Grenzziehung sanktioniert. Dies ist so prägnant, dass es bereits bei den ers ten ,Besuchen' der Ethnografin in der untersuchten Einrichtung zum Gegenstand ihrer Beobachtung wurde: IBelBruppe Beim Eintreten treffe ich auf einen Stuhlkreis, eher auf ein sehr lanB Bezoqenes Stuhloval, das zwischen die Einrichtunqsqeqenstönde Bequetscht ist Die Frau, die ich für die Erzieherin halte, weist mir einen Stuhl nahe dem Kreis zu. Der Situation entnehme ich, dass hier ein Kinderqeburtstap Befeiert wird. Die Kinder singen ein Happy Birthday und machen unter Anleitung der Erzieherin Kreisspiele. Ein türkischer junqe hat Geburtstag. Beim Wählen von Spielpartnern wird deutlich, dass er und seine türkischen Freunde fast immer nur türkische Kinder wählen.
Umgekehrt kann es bei Kreisspielen oder Gruppenspielen auch dazu kommen, dass sich deutsche Kinder weigern, mit türkischen Kindern zu spielen. IBelBruppe, Sitzkreis: Mara und die Kinder sitzen im Kreis. In der Mitte lieqen aufeinem Haufen die Pantoffeln der Kinder. Für die Bthnoqrafin werden Spielablauf und
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-reqeln erklärt: Ein Kind muss den Raum verlassen. Während es draußen ist, mischen die anderen die Pantoffel gut durch. Das Kind, das nun wieder in den Raum gerufen wird, muss dann identifizieren, um wessen Schuhe es sich jeweils handelt, und den beteiligten Kindern ihre Schuhe zuordnen. Hat es alle Schuhe richtig verteilt, darf es eine Person wählen, die als nächste den Raum verlassen muss. Allerdings sollte die Wahl so getroffen werden, dass die gleichen Kinder nicht zwei Mal an die Reihe kommen. Amelie darf beginnen. Am Anfang macht es den Kindern Spaß. Alle sind gespannt und neugierig, ob die Hausschuhe richtig zugeordnet werden. Aber nach einigen Durchgängen j1aut das Interesse ab. Die Zuordnungen erfolgen dann eher mechanisch, die Kinder können sich immer besser erinnern. Außerdem wurden zwischenzeitlich auch viele Kinder von den Eltern abgeholt, so dass sich die Anzahl der Schuhe reduziert Deshalb schränkt sich auch die Möglichkeit, jemanden zu wählen, der noch nicht an der Reihe war, immer mehr ein. Gegen Ende gibt es nur noch einige türkische Kinder, die noch nicht aktiv am Spiel beteiligt waren. Kevin muss einen Nachfolger wählen. Er steht eine Weile unschlüssig in der Mitte des Kreises und erklärt dann unvermittelt: "Einen Türken nehm ich nicht!"
Während die Praxis kultureller In- oder Exklusionen üblicherweise implizit bleibt, Kinder der beiden unterschiedlichen Kulturen sich wechselseitig ihre kulturell bedingte Ablehnung oder Zurückweisung nicht offen mitteilen, stellt sich das Problem in der geschilderten Sitzkreis-Situation durch den in der Spielsituation entstehenden Handlungsdruck. Weil Kevin einen nachfolgenden Spieler wählen muss und nur noch türkische Kinder wählbar sind, muss er seine Unentschlossenheit kommentieren und sich zugleich über die Verbalisierung seines Problems neue Handlungsoptionen argumentativ erkämpfen. Die Episode wirft ein Licht darauf, dass die Logik kultureller Abgrenzung gegenüber dem jeweils Fremden eine meist verdeckt mitlau fende Grammatik des Geschehens darstellt, die als solche nur schwer zu identifizieren ist Wenn z.B. deutsche und türkische Kinder selten miteinander spielen, dann wirkt diese kulturelle Trennung als ein stets unartikuliertes und letztlich nicht eindeutig erkennbares Merkmal der Abgrenzung.
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Ethnie als Kategorie der Zugehörigkeit und internen Differenzierung: Die türkischen Kinder Was in manchen Situationen als ethnische Grenzziehungen beobachtet werden kann, stellt eine Art sichtbare Spitze einer kulturellen Praxis dar. Als Kategorie der Zugehörigkeit ist Ethnie eine stets präsente Kategorie der Alltagsorganisation. Das ist bei den türkischen Kindern viel offensichtlicher als bei den deutschen, schon deswegen, weil sich für die überwiegende Mehrheit der deutschen Kinder der Gegensatz zu Kindern anderer Ethnien weniger abzeichnet als für die türkischen, die entlang des Alltags in einem deutschen Kindergarten nicht selbstverständlich auf die Repräsentationen ihrer eigenen Kultur treffen. Ihre Rituale der Zusammengehörigkeit, die wie oben bereits geschildert, in den täglichen ,Nomadenwanderungen' durch den Kindergarten oder spezifischen Zusammenkünften an bestimmten Orten bestehen, zeichnen sich daher vom übrigen Geschehen ab. Als Momente der Herstellung von Zusammengehörigkeit sind allerdings zugleich die Kategorien der internen Differenzierung wirksam. Geschlechterordnungen, der Bezug zwischen älteren und jüngeren Kindern treten daher bei ihnen in ihrer kulturspezifischen Ausprägung in Erscheinung. Das ist nicht immer leicht zu beobachten, denn dort, wo die kulturellen Selbstverständlichkeiten mit denen des Kindergartens kollidieren, haben sie die starke Tendenz, sich zu verbergen. Wo sie allerdings auf ein tatsächliches Interesse stoßen, treten sie als ein Anderssein in Erscheinung, das einer beidseitigen neugierigen und reflexiven Exploration Raum lässt. Dass das Fremd- bzw. Anderssein von allem Anfang an ausgerechnet im Feldtagebuch der Ethnografin studiert wurde, ist aus einer distanzierten Perspektive betrachtet nicht erstaunlich. Schließlich ist ein Heft, in das man etwas hineinschreibt oder -malt, ein markanter Ort kultureller Repräsentationen. Schon die ersten Eintragungen zeugen davon, dass es ein attraktiver Anziehungspunkt war und als Anlass wechselseitiger Bekanntmachung diente. Spielplatz in der Nähe des Kindergartens Nachdem die Kinder aller drei Kindergartengruppen auf den Spielplatz geströmt sind, haben sie sich mittlerweile verteilt Die meisten befinden sich in den Sandspielkästen, an den Rutschbahnen und Wipppferdchen auf der einen Seite des großen Spielplatzes. Auf der anderen Seite sausen die Jungen mit einem alten Surfbrett, das sie dort gefunden haben, einen Abhang hinunter. Die meisten Erzieherinnen sitzen auf den Bänken um die Sandkästen herum. Ich sitze auf der gegenüberliegenden Seite alleine auf
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einer Bank, beobachte das Geschehen und mache einige Notizen in mein Feldtagebuch. Nach einer Weile setzt sich ein türkisches Mädchen zu mir aufdie Bank. Es spricht sehr wenig deutsch. Es will scheinbar wissen, was ich in mein Heft' schreibe. Ich muss ihm meinen Kugelschreiber geben. Es schreibt seinen Namen aufeine leere Seite. Das Mädchen heißt Cangür. Ich frage sie nach ihren Freunden, sie nennt fast nur türkische Namen und zeigt dabei auf die Piste, wo die Jungen mit dem Skateboard hinunterrasen: Rafet, Utku, Turgut, Selim. Dann malt sie in mein Heft: ein Haus, eine Sonne, eine Blume. Sie lächelt mich an. Sie drückt sich an mich, nimmt meine Hand. Dann kommt ein anderes türkisches Mädchen. Es ist ihre Schwester Seyda. Sie will auch in mein Heft malen. Doch da müssen wir schon bald wieder zurück.
Szenen wie diese wiederholten sich von da an sehr häufig. Auch wenn sich bisweilen die Jungen und später auch die deutsche Kinder dazugesellten und sich alle gerne an dem In-mein -Heft-Schreiben-Ritual beteiligten, so enthielt die protokollierte initiale Szene doch das Muster, das bei den türkischen Jungen und Mädchen ein Strukturprinzip der Alltagsorganisation darstellt, nämlich dass Jungen und Mädchen überwiegend getrennt voneinander spielen. Umgekehrt bedeutet dies, dass sich die Kinder als Spielbzw. Aktivitätspartner gleichgeschlechtlich organisieren. Dies heißt nicht, dass die Kinder nicht auch mal die Gelegenheit des Mitmachens mit Kindern der anderen Kultur nutzen oder Freiheitsgrade ausloten, die ihnen der deutsche Kindergarten einräumt, gleichwohl ist die Geschlechtertrennung ein Strukturmerkmal der Alltagsorganisation der türkischen Kinder. Auch in der Bärengruppe, der Cangür und Seyda zugeteilt wurden, sind die beiden Mädchen in der Regel Seite an Seite anzutreffen. Nach Cangürs Eintritt in die Schule übernimmt die neu in den Kindergarten eingetretene Seher Cangürs Rolle. Die vertrauten Situationen wiederholen sich nun mit einer veränderten personalen Besetzung. Zu zweit erkunden sie bisweilen auch, was in den anderen Gruppen geschieht Maltisch (Igelgruppe) Während ich in mein Feldtagebuch schreibe, kommen von unten aus der Bärengruppe Seyda und Seher herein. Seyda freut sich, kommt zu mir und begrüßt mich. Sie setzt sich kurz neben mich, geht dann eine kleine Weile durch den Raum, schaut vor allem auch in die Bilder- und Rollenspielecke und kommt dann mit Seher zurück. Beide stützen sich stehend neben mir
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auf den Tisch und beobachten aufmerksam, wie ich schreibe. "Schnell!': sagt Seyda mit anerkennend nickender Geste, auch zu Seher hinüber.
Außer der Freundschaft zueinander, bleiben ihre Kontakte zu anderen Kindern spärlich - dies obwohl sie angehende Schulkinder sind und aufgrund der besonderen Förderangebote für Schulkinder viel mehr Gelegenheiten hätten, im Rahmen der für sie vorgesehenen Aktivitäten (z.B. Exkursionen) mit anderen Kindern Kontakt aufzunehmen. Vielfach scheinen die beiden Mädchen aufgrund ihrer geringen Sprachkenntnisse die Bedeutung dieser Angebote aber gar nicht exakt zu kennen bzw. Terminankündigungen auch nicht richtig zu verstehen. Bärengruppe (Ganz wenige Kinder. Ich zähle zunächst nur vier. Auf meine Frage hin erklärt mir Klaudia [Erzieherin], dass die Schulkinder heute eine Verkehrsschulung mit der örtlichen Polizei machen.] Seyda sitzt lustlos auf dem Lesesofa. Ich[rage Klaudia, warum Seyda nicht mit den Schulkindern mitgegangen sei, schließlich sei sie doch auch ein Schulkind. Klaudia, indem sie die Schultern hochzieht, antwortet, sie sei eben zu spät gekommen. Seher sei gar nicht da.
Ist die Isolation der beiden Mädchen gegenüber den übrigen Kindern ihrer Kindergartengruppe offensichtlich, so sind ihre Möglichkeiten auch innerhalb ihrer ethnischen Gemeinschaft ausgesprochen begrenzt. Dort gehören sie zwar zwangsläufig als Mitglieder dazu, allerdings nicht selten um den Preis der Unterordnung bzw. der Herabsetzung. Zwar entspricht dies ebensowenig den Alltagsregeln des Kindergarten wie den programmatischen pädagogischen Maximen, deren Gültigkeit ist aber an die Anwesenheit von Erzieherinnen geknüpft, wohingegen die Ordnungen der Kinder Raum greifen, solange die Erzieherinnen nicht unmittelbar sanktionieren. Maltisch (lgelgruppe) Seyda und Seher spielen schon den ganzen Vormittag Seite an Seite. Jetzt malen sie an dem Angebotstisch. Sie haben sich eine Menge Stifte aus dem Kästchen herausgenommen und diese zwischen sich gelegt Sie malen mit viel Konzentration. Selim, ein türkischerJunge, kommt und will auch malen. Er will sich von ihren Stifte nehmen, aber das wollen die beiden nicht Selim ist empört, aber die beiden Mädchen setzen sich durch. Dann kommt Utku, er fasst nach den Stiften und will sie sich nehmen. Aber Seher hält sie fest Da schlägt er ihr ins Gesicht Seyda schaut Hilfe suchend
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im Raum umher: .Net hau!': ruft sie mehrmals mit lauter Stimme. Aber
von den Erzieherinnen kommt niemand herbei. Mittlerweile sitzt Utku neben den beiden Mädchen und malt
Gewalt als Mittel der Regulierung von Konflikten sei, so berichtet eine Erzieherin, unter den türkischen Kindern eher anzutreffen als bei deutschen Kindern. Dies gelte auch für die beiden türkischen Mädchen Seyda und Seher. Als Dilara, ein etwas jüngeres türkisches Mädchen, in die Gruppe aufgenommen wird, stellt sich unausgesprochen die Frage nach dem Verhältnis der türkischen Mädchen untereinander, nach ihrer wechselseitigen Akzeptanz, aber auch ihrer Stellung zueinander. Nicht, dass Dilara keine Versuche machen würde, mit gleichaltrigen deutschen Kindern Kontakt aufzunehmen. In ihrer lebhaften Gestik versucht sie so etwas, wie das "Deutsch-Sprechen" mimisch zur Darstellung zu bringen. Wer sie nicht näher kennt und ihre forschen Gesten gegenüber anderen nicht genauer in Betracht nimmt, hält sie für eine sprachlich besonders kompetente Person. Erst bei näherem Kontakt lässt sich erkennen, dass die zwischen einzelnen deutschen Vokabeln arti kulierten Lautketten Phantasiegebilde sind, dass sie also das Deutsch-Sprechen spielt. Ihre Kontakte zu deutschen Kindern bleiben deshalb oberflächlich, während sich die Frage der Teilhabe am Geschehen im Kontakt zu den türkisch sprechenden Mädchen der Gruppe intensiviert. Spiele-Tisch (Bärengruppe) Ich sitze mit Seyda, Seher und einem kleineren Mädchen, das ich noch nicht kenne, alleine am Spiele-Tisch. Seher redet mit dem Mädchen türkisch. Seyda sagt mir, die sei neu. Dilara heiße sie. .Dilara", sagt sie und weist mit dem Finger auf das Mädchen, "nicht gut!" Kurze Zeit danach fügt sie, ihr Urteil verstärkend, hinzu .Dilara blöd': und zieht eine abwertende Grimasse in Richtung auf das Mädchen. Ich frage Seyda, ob Dilara auch eine Türkin sei. Ja, erwidert sie, während Seher immer noch mit der Kleinen spricht"Warum': frage ich Seyda, "ist Dilara blöd?" Mit ihrem gebrochenen Deutsch erwidert sie, Dilara behaupte, Seher sei blöd. Mittlerweile schaut Seher zu mir herüber und sagt auch, dass Dilara blöd sei. Dann blicken sich Seyda und Seher an. Sie sind sich einig. Seher rempelt Dilara mit der Faust an, schaut sie provokativ fragend an, so, als wolle sie das Mädchen fragen, ob es noch etwas zu melden habe. Dilara blickt verwirrt Seher setzt gleich noch etwas nach, sie haut fester, dann gleich noch mal und noch mal. Schließlich schlägt sie Dilara mit der flachen Hand knallend ins Gesicht Dilara,fassungslos, sitzt auf ihrem Stühlchen
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und schluchzt Seher schaut zufrieden zu Seyda hinüber. Ihre Blicke tref fen sich, die beiden Mädchen zeigen sich unverhohlen ihre Freude über Dilaras Schmerz. Bald ist ihre Freude vorbei, jetzt wendet sich Seher Dilara tröstend zu, streichelt sie, drückt sie ein wenig an sich und redet ihr in ihrer türkischen Muttersprache gut zu. Dilara lässt alles zu, beruhigt sich wieder und dann sitzen die drei Mädchen gemeinsam am Tisch und es kommt mir so vor, als wäre Dilara nun in die Gemeinschaft aufgenommen.
Der Bildung eines eigenen kleinen Gemeinwesens unter den Mädchen vergleichbar, geht aus anderen Beobachtungen hervor, wie sich die türkischen Jungen als Jungen in exklusiver Weise aufeinander beziehen. Igelgruppe (Cemil, Selim, Mehmet und Fabian am Frühstückstisch.] Die türkischen jungen reden und verhandeln miteinander in Türkisch. [...] Danach löst sich die Gruppe auf Zurück bleiben Mehmet und Utku, sie spülen das Geschirr. Währenddessen verhandeln die beiden intensiv miteinander in ihrer Muttersprache. Sie hören sich gut zu, sind sehr aufmerksam aufeinander bezogen, während sie z.T. etwas ungeschickt ihr Geschirr säubern. Cemil kommt aus der Rollenspielecke mit einem kleinen Matrosenjäckchen und zeigt sich so den Kindern am großen Tisch. Dann verschwindet er wieder in der Rollenspielecke und kehrt kurze Zeit später zurück (Einige Zeit später in der Rollenspielecke.] Die türkischen jungen tragen Spiele und Bücher aus der Leseecke hinüber in die Rollenspielecke. Utku, Cemil, Mehmet und Selim sitzen an dem kleinen Tisch und verhandeln miteinander in ihrer Muttersprache. Als sie sehen, dass ich sie beobachte, halten sie inne. Utku steht auf, kommt zu mir herüber und versucht die Vorhänge zu schließen. Aber es funktioniert nicht Er braucht etwas zum Abstecken, geht zu Mara und spricht mit ihr. Kurze Zeit später höre ich sie: "Nein, Klammern hab ich nicht, geh doch mal runter in die Bärenqruppe, frag mal, ob die welche haben." Utku geht hinaus. Auch Mehmet geht kurze Zeit später zu Mara, um etwas zum Abstecken zu besorgen. Aber Mara versteht ihn nicht, er spricht Türkisch. Ich erkläre ihr, dass die jungen den Vorhang schließen wollen. Mara zu Mehmet:"Der Utku holt Klammern." Mehmet gesellt sich wieder zu seinen Freunden. [...] Utku kommt aber nicht zurück Kurze Zeit später sitzen Mehmet; Cemil und Selim auf dem kleinen Kinderbett in der Rollenspielecke. Sie betrachten gemeinsam ein Bilderbuch,
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blättern gemeinsam um, zeigen mit den Fingern aufeinzelne Bilder, sprechen sehr angeregt miteinander, während sie sich gestisch immer wieder aufdas Bilderbuch beziehen : Sie erklären sich etwas.
Bei der Fokussierung auf die Aktivitäten der türkischen Kinder machen gerade die sprachlichen Barrieren die fremde Kultur sichtbar. Weil die sprachlichen Inhalte nur erahnt werden können, treten die gestisch-habituellen Besonderheiten hervor. In den Protokollen wird wiederholt die zentrierte Interaktion der türkischen Kinder thematisiert, sprachliche Umschreibungen, wie Z.B. die Kinder verhandeln miteinander, sprechen angeregt miteinander, blättern gemeinsam, betrachten gemeinsam, zeigen mit den Fingern akzentuieren die enge Bezogenheit der türkischen Kinder aufeinander. Die Sorge umeinander zeigt sich auch insbesondere dort, wo die kleinen Kinder noch nicht in der Lage sind, sich aktiv am Geschehen zu beteiligen. Hier übernehmen die älteren Jungen oft eine begleitende und unterstützende Funktion für die Kleinen. Diese Patenschaften erscheinen keineswegs als unangenehme Verpflichtungen, sondern ergeben sich von selbst aus Situationen, in denen sich die Kleinen an den Großen orientieren und, wenn sie überfordert sind, sich an sie wenden und um Hilfe bitten. Das Miteinander von ,großen' und ,kleinen' Kindern widerspiegelt in einzelnen Situationen ein enges, bisweilen fast intimes Verhältnis der Kinder zueinander. Hier steht viel weniger als bei den deutschen Kindern die Individualität des einzelnen Kindes im Vordergrund als die Pflege des Gemeinwesens. Bauecke (lgelgruppe) Selim und ein deutlich jüngerer türkischer Junge sitzen einige Schritte von mir entfernt in der Bauecke. Selim ist mit einem großen Duplo-Bau beschäftigt Der Kleine hält eine Lego-Kuh in der Hand. Aus der Kiste nimmt er Klötzchen, die er ihr unten an die Beine steckt Es sind LegoFüße. Er stellt die Kuh auf den Filzboden. Dann hat er plötzlich noch eine kleine Plastikgiraffe in der Hand. Er stellt sie ganz sorgfältig neben die Kuh. Er lehnt sie still und ganz liebevoll an die Kuh an: ein zärtliches Bild. Er schaut zu mir herüber, ich lächele. Als er sich meines ihm zugewendeten Blickes bewusst wird, nimmt er die Giraffe in die rechte Hand und schlägt der Kuh zornig die Füße damit ab. Dann wirft er sie verärgert in den Plastikkasten. Danach geht er hinüber zu Selim und hilft ihm bei dem Bau. Er sucht die Bausteine aus der Kiste heraus, die Selim zum Bauen braucht Nach einer Weile zeigt er aufdie Fotos der Kinder dieser Gruppe, die über ihnen an der Wand auf die bemalten und ausgeschnittenen
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Papp-Igel aufgeklebt sind. Selim schaut hoch und erklärt dem Kleineren ganz offensichtlich, was es damit aufsich hat Dann arbeitet er weiter an seinem Gebäude, während der Kleine ihm weiterhin Bausteine aus der Kiste reicht
Die Einbeziehung der Kleinen in die Aktivität der Größeren setzt bereits ein gewisses Maß an eigener Beteiligung voraus. Diese ist bei manchen Kindern aber noch nicht vorhanden. Die kleine Yesim hat beispielsweise den Schritt zur aktiven Gestaltung ihres Kindergartenalltags gemeinsam mit anderen Kindern noch nicht vollzogen. Sie wehrt Kontakte zu anderen Kindern und zu den Erzieherinnen ab, weint sehr oft und verfällt bisweilen in ein ausge dehntes Schluchzen. Wenn sie sich gar nicht mehr beruhigen kann, wird Rafet herbeigerufen, der sie zu trösten vermag. In der Regel kümmert er sich aber auch um sie, wenn es keinen besonderen Anlass gibt. Dies ist so, obwohl Yesim gar nicht zu seiner Gruppe, sondern zur Mäusegruppe gehört. Oft hält sich Yesim in seiner Nähe auf, auch wenn er gerade mit anderen Kindern spielt. Mehr hinter ihm als an seiner Seite, begleitet sie ihn bei seinen täglichen Aktivitäten mit anderen türkischen Jungen und bisweilen wandert sie im Laufe des Vormittags mit ihm auch von Gruppe zu Gruppe. Umgekehrt nimmt sich Rafet ihrer an, wenn sie seinen Beistand benötigt. Eine typische Form dieser Patenschaft ist die Vermittlung zwischen Yesim und anderen Personen im Kindergarten. Bärengruppe Tim, Denny und Rafet stehen um mich herum, sie wollen das lImit der Brille"3 7 noch mal machen. Hinter Rafet steht Yesim. Ich reiche Denny meine Brille. Er schiebt sie genüsslich vor seine Augen, erst ganz nah, dann vergrößert er langsam die Distanz zwischen Brille und Augen und wir anderen beobachten gespannt die zunehmende Vergrößerung seiner Augen. Dann ist Rafet an der Reihe. Auch er schiebt die
Es handelt sich um ein Ritual, das sich zwischen einigen Kindern und mir im Laufe der Zeit entwickelt hatte. Während einer Versammlung im Sitzkreis war Rafet auf die Vergrößerungswirkung meiner Brille aufmerksam geworden und ich hatte sie ihm für kurze Zeit überlassen, weil er ihre makroskopische Wirkung selbst erproben wollte. Aus dieser Episode entwickelte sich nach und nach ein Ritual. Immer wenn ich die Gruppe betrat und Rafet auf mich aufmerksam wurde, forderte er mich auf, .das mit der Brille" noch mal zu machen. Auch andere Kinder gesellten sich hinzu. In kürzester Zeit bildete sich um mich ein Kreis und meine Brille wanderte von Hand zu Hand, wurde vor die Augen gehalten, um ihre Vergrößerungswirkung zu testen und dann vorsichtig weitergegeben. 37
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Gläser immer weiter von den Augen weg. "Es ist lustig': sagt er hinterher und dann schauen wir auf Yesim, die schräg hinter Rafet steht und das Geschehen aus der Distanz beobachtet Ich halte ihr die Brille hin, frage sie mit freundlicher Stimme, ob sie auch mal durch die Brille schauen möchte, aber sie geht gleich zwei Schritte zurück. ,,Angst': erklärt mir Rafet: Er versucht in gebrochenem Deutsch einen ganzen Satz zu sprechen: ,,Yesim hat Angst!" Dann nimmt er die Brille und hält sie Yesim hin, er sagt etwas in Türkisch zu ihr, aber sie weicht noch mehr zurück. Er lächelt und lässt sie in Ruhe, gibt mir die Brille wieder zurück und wiederholt achselzuckend noch einmal, dass Yesim Angst habe. Ich nicke und zeige mich verständnisvoll. Da kann man nichts machen, wenn sie Angst hat Dann löst sich unsere Gruppe auf und Rafet geht mit Yesim an der Hand in die Rollenspielecke.
Einige Zeit nach unserem kleinen Ritual ereignete sich im benachbarten Rollenspielbereich eine Art Unfall. Während ich unter den malenden Kindern am Maltisch sitze und einige Aufzeichnungen mache, ertönt von der Rollenspielecke drüben ein lauter Knall,gefolgt von einem entsetzten kindlichen Aufschrei, der in ein lautes Schluchzen übergeht Wir eilen alle sofort hin. Auch die Kindergartenleiterin ist schon da. Es ist Yesim, die so schreit Die Frage, was passiert sei, bleibt aber unbeantwortet, auch die, ob Yesim so schreit, weil sie sich möglicherweise verletzt hat Ein Junge kippelt gespannt auf dem Schaukelstuhl. Die Leiterin weist ihn zurecht Ob er etwas mit der Sache zu tun hat, will sie von ihm wissen, aber er sagt nein. Als sich die Situation entspannt und Yesim keine Anzeichen einer Verletzung zeigt, geht die Leiterin wieder in ihr Büro hinüber. Yesim weint immer noch. Ich möchte sie trösten, aber sie weint nur noch mehr. Schließlich kümmert sich Rafet um sie. Er erklärt mir, dass man Yesim nicht anfassen darf, weil sie Angst hat Dann streichelt er sie ein wenig, nimmt sie schließlich bei der Hand und geht mit ihr hinaus. Sie beruhigt sich.
Angesichts des geschilderten Zwischenfalls, der die Vertrauen und Seinsgewissheit stiftenden Routinen des Alltages außer Kraft setzt, erweist sich das Gemeinwesen der türkischen Kinder als eine zentrale mitorganisierende Macht. Während die Aufklärungsversuche der deutschen Erzieherinnen kein befriedigendes Ergebnis zeitigen und auch das Hilfsangebot der Ethnografin zurückgewiesen wird, offenbart sich die Beziehung der beiden türkischen
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Kinder als so tragfähig, dass es Yesim durch die Zuwendung Rafets gelingt, sich wieder zu beruhigen und in den Fluss vertrauter Praxis einzutauchen. Gegenüber der Ohnmacht der Erzieherin und Leiterin des Kindergartens, die Folgen des unaufgeklärten Zwischenfalls bewältigen zu können, offenbart sich das Wissen, was in einem solchen Fall geboten ist, das von den türkischen Kindern, genauer gesagt von Rafet, mobilisiert wird, als eine Potenz der kulturell definierten Sozialität der Kinder, die sich zwar als etwas von der Pädagogik des Kindergartens Unabhängiges Geltung verschafft, aber zugleich auch mit dieser kooperiert und auf diese Weise das Geschehen mitreguliert.
4.2.4 Individualität als Wahrnehmungskategorie der sich ordnenden Sozialitiit:der Schulkinder
In den vorausgehenden Kapiteln wurde gezeigt, wie Kinder in ihren alltäglichen Praktiken gesellschaftliche Ordnungen interpretativ reproduzieren und sie als Regeln und Ressourcen der Herstellung von Teilhabe und Zugehörigkeit unter Gleichaltrigen gebrauchen. Während in der Darstellung dieser Ordnungen jeweils eines der Differenzierungsschemata an unterschiedlichen Beispielen demonstriert wurde, soll im Folgenden die Aufmerksamkeit darauf gerichtet werden, wie Kinder in der interpretativen Reproduktion verschiedener Ordnungen dauerhafte soziale Gebilde erzeugen. Am deutlichsten konnte dieses Phänomen in einer Gruppe gleichaltriger Jungen (vgl. Kap. 4.1.2) beobachtet werden. Es mag nicht zufällig sein, dass die Jungen dieser Gruppe, nämlich Ron, Sebastian, Denny und Tim, ausgerechnet zum Zeitpunkt ihres baldigen Wechsels in die Schule einen Grad der Zusammengehörigkeit entwickelten, der zuvor in dieser Art nicht beobachtbar war. In ihren alltäglichen Routinen am Maltisch schufen sie einen interaktiven Raum, innerhalb dessen sie eine deutliche Unterscheidung zwischen sich und anderen Kindern erzeugten. Dieser Zusammenhalt konnte allerdings nicht nur auf die Tatsache zurückgeführt werden, dass sie künftig gemeinsam zur Schule gingen. Dagegen sprach, dass es in ihrer Kindergartengruppe auch noch andere Schulkinder gab, die nicht an den genannten Routinen beteiligt waren, z.B. Mädchen und Kinder einer anderen Ethnie. Die Ordnun gen, in deren Reproduktion die Kinder ihre Zusammengehörigkeit als baldi ge Schulkinder definierten, sind daher nicht nur Altersordnungen, sondern ebenso Geschlechterordnungen und ethnische Ordnungen, die in ihrer habi tuellen Differenziertheit auch die Schicht- und Milieuzugehörigkeit der Kin-
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der abbilden. In ihren alltäglichen Routinen greifen die Kinder auf diese Differenzierungen zu und erzeugen damit einen, durch Kontinuität und Wiederholung gekennzeichneten sozialen Raum, innerhalb dessen ihre Zugehörigkeit als selbstverständlich erscheint Bemerkenswert ist dabei, dass mit der von den Kindern in ihren alltäglichen Praktiken hergestellten (dichten) Sozialität auch die Individualität der Kinder als Wahrnehmungskategorie hervortritt Dies gilt keineswegs nur für die Kinder selbst, sondern ebenso für die Erwachsenen, z.B. die Erzieherinnen oder die Ethnografin. Aus der ethnografischen Teilnehmerrolle stellt sich die Individualität der Kinder als ein in ihren Gesprächen hergestellter reflexiver Bezug auf das Anderssein der Anderen dar. Dies geschieht, wenn die Kinder zum Beispiel über ihre Berufswünsche sprechen. Dann treten in der Artikulation ihrer persönlichen Interessen auch ihre familial-lebensweltlichen Kontexte hervor. Zugleich werden sie aber auch in ihrer Positioniertheit innerhalb ihrer Gruppe zum Gegenstand reflexiver Aufmerksamkeit und als individuelle Kinder sichtbar. So lässt sich an den Beziehungen der Jungen zueinander erkennen, dass sie in ihren Routinen zwar ein Kontinuum wechselseitiger Bezogenheit schaffen, innerhalb dessen ihre Zusammengehörigkeit immer wieder bekräftigt zu werden scheint, zugleich erzeugen sie in ihren wiederkehrenden Praktiken aber eine starke Binnendifferenzierung, die offenkundig werden lässt, wie sehr sie um die Herstellung von Zugehörigkeit ringen. Als Peers sind sie keineswegs lediglich Gleiche unter Gleichen. Eine Serie heftiger Auseinandersetzungen verweist auf schwelende Konfliktlinien unter ihnen, die durch interne, teilweise mit Gewalt ausgetragene Kämpfe ihrer Virulenz entkleidet und allmählich in eine Hierarchie unter den Kindern überführt werden. Der Bedeutungshorizont des baldigen Schuleintritts, auf dessen Wahrnehmung durch zahlreiche schulvorbereitende Angebote im Kindergarten gezielt hingearbeitet wurde, wird von ihnen in der Sorge darum beantwortet, Freunde zu haben, mit denen man den Übergang gemeinsam bewältigt Das ist auch die explizite Absicht der Erzieherinnen ("Die Kinder sollen lernen, ihre künftigen Probleme als Schulkinder gemeinsam in den Griff zu bekommen"). Die Beschreibung der Sozialität der Kinder geht also nicht allein darin auf, dass Kinder sich als Gleichaltrige in ihren Praktiken aufeinander beziehen, vielmehr stellt die Sozialität der Kinder eine Art Vergemeinschaftung dar, die die Individualität als Wahrnehmungskategorie der einzelnen Kinder hervortreten lässt - dies um so mehr, als sie im Rahmen der Erwartungen, die bald als Schulkinder auf sie zukommen, von ihrer Entwicklung her als gleich eingestuft werden. Diesen Zusammenhang von
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Sozialität und Individualität als Wahrnehmungskategorie sollen die folgenden Berichte plastisch werden lassen. In sie fließen Dokumentationen aus der unmittelbaren Beobachtung ein ebenso wie Hinweise, Urteile und Informationen der Erzieherinnen, die das Verhalten der Kinder unter Gleichaltrigen im weiteren Rahmen ihrer sozialen, familialen und milieubedingten Kontexte des Aufwachsens reinterpretieren. Gute Freunde sind eigentlich nur Sebastian und Ron. Dies zeigt sich etwa da-rin, dass die beiden am meisten miteinander reden und die Gespräche zwischen ihnen einen selbstverständlichen vertrauteren Duktus haben als die übrigen Interaktionen. Ron kennt unter allen Kindern die Inhalte und Figu-ren von Sebastians Inszenierungen am besten, sodass oft er an Sebastians Stelle auf die Fragen der anderen antwortet. Daneben gibt es zwischen ihnen auch ganz exklusive Gespräche unter Freunden. Ron gleitet diese stets in die gleiche ritualisierte Eröffnungsformel (Du, Sebastian ...) und schließt dann mit einer Frage, einer Erzählung oder einer Bemerkung an, die aus schließlich Sebastian gilt. Auf diese Weise werden die anderen Teilnehmer als potentielle Gesprächspartner ausgeschlossen, die beiden Freunde treten in ihrem wechselseitigen Interesse an der Person des jeweils anderen in den Fokus der Beobachter rings um den Maltisch. Inhaltlich beziehen sie sich oft auf ihre Freizeiterlebnisse. So berichtet Ron oft von Erlebnissen am Nachmittag oder Abend, einem Schwimmbadbesuch beispielsweise oder einer Radtour mit seiner Mutter. Bevorzugte Themen sind bei ihm Naturerfahrungen, vor allem Tierbeobachtungen im Wald. Sebastians Gesprächsbeiträge hingegen kreisen um die neuen Star-Wars-Produktionen. In der Gruppe haben Sebastian und Ron aufgrund ihrer Freundschaft eine prominente Position. Da sie Freunde sind, halten sie zueinander und verteidigen die Exklusivität ihrer Beziehung gegen die anderen. Zugleich bilden ihre Gespräche und Freundschaftsrituale aber auch ein Orientierung stiftendes Kontinuum, auf das sich andere Kinder beziehen und an dem sie mit eigenen Beiträgen teilhaben wollen. Malzimmer Ich setze mich an den Maltisch. Außer mir sitzen Sebastian und Ron am Maltisch. Ron versorgt mich mit Papier, ich suche mir einen WachsmaIstift aus und beginne mit groben und schnellen Zügen auf meinem Blatt ein Quadrat zu malen. Die Kinder schauen mir zu, auch Tim, der zwi schenzeitlich hereingekommen ist und sich zwischen Ron und mich gesetzt hat Ich male vertieft registriere nur am Rande, dass die Kinderjetzt miteinander sprechen. Urplötzlich entsteht ein Handgemenge zwischen
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Tim und Ron. Die beiden rangeln miteinander, bis Ron mit gezielten Schlägen in Tims Gesicht die Auseinandersetzung zu seinen Gunsten entscheidet Tim schreit auf, stürzt nach draußen zu Erzieherin Anna, der er heulend vor Wut von den unflätigen Übergriffen aufseine Person berichtet Diese sagt was, kommt auch kurz herein, es kommt aber nicht zu einer ernsthaften Zurechtweisung (was möglicherweise etwas mit der Anwesenheit der Ethnograftn zu tun hat). Als sie weg ist; ergreift Sebastian erregt Partei für seinen Freund: "Der Ron ist mein besserer Freund als der Tim!" Er erkl ärt; mit Ron habe er schon viel mehrgemacht Mit dem sei er schon oft zusammen im Schwimmbad und auch schon bei ihm zu Hause gewesen.
Angesichts dieser Deklaration der Freundschaftsrangfolge und der unterbliebenen Intervention der Erzieherin stehen die Verhältnisse für diesen Tag fest Tim, der nach einer kleinen Weile den Raum wieder betritt, bleibt für den Rest des Vormittages passiver Teilnehmer des Geschehens. Er hält sich stets in der Nähe der Ethnografin auf und beobachtet, was geschieht: Es entspannt sich zwischen Sebastian und der Ethnografin ein kurzes Gespräch über das entstehende Bild der Forscherin. Im Anschluss überbieten sich Sebastian und Ron mit ihren unanständigen, schamlosen Kritzelzeichnungen, die der Ethnografin zur steten Begutachtung dargeboten werden. Tim wird vonseiten der beiden Freunde ignoriert Die Ereignisse dieses Morgens widerspiegeln die dauerhafte Konfliktsituation der Kinder. Während Sebastian und Ron ihre Zusammengehörigkeit in vielen kleinen Ritualen entlang des Alltags bekräftigen, stoßen Tims Bemühungen teilzuhaben, auf dauerhafte Zurückweisung. Er kann sich zwar auch am Maltisch aufhalten, in den Gesprächen wird er aber immer wieder zurückgedrängt Dies hat auch Gründe, die seiner ambivalenten Haltung gegenüber den Gleichaltrigen geschuldet ist Vonseiten der Erzieherinnen wird er als ein kooperativer und prosozialer Junge geschildert Er und sein jüngerer Bruder Lars haben, anders als alle übrigen Kinder, begrenzte Zugangsrechte zu Territorien der Erwachsenen. Sie werden von beiden Erzieherinnen der Gruppe nicht lediglich als Kinder in ihrer Entwicklung gesehen, sondern als Personen akzeptiert, die sich im realen Leben nützlich machen und durch ihre Tätigkeit als einer nützlichen Arbeit Anerkennung erfahren. Darin kommt insbesondere Tim seinen Eltern sehr nahe, die sich im Kindergarten dadurch Anerkennung verschaffen, dass sie mit ihren handwerklichen und hauswirtschaftlichen Fähigkeiten anpacken, wo sie gebraucht werden. Auch in der Gemeinde, wo sie in gemeinnützigen Organisa-
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tionen tätig sind, verwirklichen sie dieses Muster. Tim versucht stets Kontakt zu den Erwachsenen herzustellen, insbesondere den beiden Erziehe rinnen der Gruppe, und sich in ihren Augen verdient zu machen. Er ist froh, wenn er kleinere Dinge erledigen darf, die sonst den Erwachsenen vorbehalten sind. Die Erzieherinnen kommen bisweilen auch auf sein Angebot zurück, was ihm gegenüber den anderen einen Sonderstatus einräumt Neben kleineren Erledigungen oder Handreichungen bietet Tim den Erzieherinnen auch Hilfstätigkeiten an, die den organisatorischen Ablauf des Kindergartens betreffen, insbesondere die Einhaltung von Alltagsregeln vonseiten der Kinder. Insofern versteht er sich in vielen Situationen auf einer Linie mit den Erzieherinnen. Gruppenraum (Bärengruppe) Klaudia (Erzieherin) ruft hinüber zum Priihstückstisch, dass Denny nicht gespült habe. Aber Tim, der sich dort aufhält, erwidert Klaudia, dass Denny doch bereits gespült habe. Er habe es selbstgesehen. Klaudia entschuldigt sich bei Denny. Daraufhin geht Tim wie ein Ordnungshüter durch den Raum und fragt die anderen Kinder, wer noch nichtgefrühstückt hat
Die Tatsache, dass der Gruppenraum durch das Anbringen von Zwischenwänden und Vorhängen starken Segmentierungen unterzogen wurde, macht es ihm schwerer, den Überblick zu behalten. So wechselt er häufig in die verschiedenen Räume oder er schaut durch einen Spalt in den Trenn-Vorhängen, um zu inspizieren, was auf der anderen Seite geschieht Bei man chen Besuchern der Gruppe hat ihm dies den Ruf des Kontrolleurs eingebracht Wo er Dinge beobachtet, die nicht in die Alltagsordnung hineingehören, scheut er sich nicht, bei den Erzieherinnen sofort Anzeige darüber zu erstatten und seine Kameraden zu verpetzen. Gruppenraum (Bärengruppe) Tim hält sich in der Nähe des Frühstückstischs auf Er winkt Erzieherin Klaudia herbei. Denny, der neben ihm steht, habe einen Schlüssel. Klaudia fordert Denny sofort auf, den Schlüssel herauszugeben. Während sie ihn in Empfang nimmt, fragt sie ihn, wo er ihn her habe. ,,Aufder Straße gefunden': sagt er. ,,Auf der Straße gefunden': wiederholt sie. Der sieht aus, wie ein Briejkastenschlüssel, sagt sie und reicht ihn "auf Erwachsenenhöhe" zu mir herüber. Ich kann gar nicht anders, als bestätigend zu nicken. Dann beschließt sie, den Schlüssel zunächst mal auf das Schränkchen zu legen und geht wieder zurück zum Lesesofa. Denny schleicht um den
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Schlüssel herum, linst auch zu mir herüber. Jetzt fällt mir auf, dass er ein blaues Auge hat "Du hast ja ein blaues Auge!': sage ich unwillkürlich, aber Denny erwidert nichts! Tim in seiner Nähe steuert bei, dass Denny an ein Auto geknallt sei. Denny tut so, als habe er das überhört und verschiebt auf dem Schränkchen ein Buch. Tim zu Klaudia hinüber: "Der Denny schiebt den Schlüssel unter das Buch." Klaudia kommt sofort herüber und stellt Denny zur Rede. Dieser bestreitet Tims Anklage. Klaudia schickt Denny in die Bauecke.
Gegenüber den Gleichaltrigen, in deren Kreis Tim zugleich aufgenommen sein möchte, bringt ihn diese Haltung allerdings systematisch in Schwierigkeiten. Seine Kontrolltätigkeit bezieht sich in manchen Situationen gerade auf die Kinder, deren Underlife er teilen m öchte, sodass seine Teilhabeinteressen für die anderen Kinder ausgesprochen prekär sind. Seine Versuche, unter den anderen Jungen Anerkennung zu finden, stoßen daher auf eine oft rüde Zurückweisung. Die strukturellen Probleme der Kooperation lassen sich aber auch von der Seite der anderen Kinder her lesen, denn dort geht es nicht einfach um ältere Freundschaftsrechte, sondern um die Verteidigung eines selbst geschaffenen interaktiven Raums, in den Tim kraft seiner Beziehungsressourcen zu den Erzieherinnen einzudringen versucht Hier stößt das kultureIle Muster ortsansässiger, der Gemeinde und dem Kindergarten durch ihr Engagement bekannter Leute, auf Widerstand. Über Sebastians Herkunft etwa lässt sich vergleichsweise wenig berichten. Eine Afl-Mitarbelterin, die früher in dieser Gruppe eingesetzt war, berichtet rückblickend, dass sie Sebastian damals als völlig isoliert wahrgenommen hat Das habe sie erstaunt, denn der Junge sei doch eigentlich ganz fit gewesen. Auch seinen den Vater habe sie einige Male gesehen. Er wirke ruhig, sei ein intellektueller Typ, der sicherlich an den Verstand des Jungen appellieren würde. Diese Aussagen treffen sich in gewisser Hinsicht mit den Einschätzungen der Erzieherin Klaudia, sie werden von ihr jedoch pointiert als Entwicklungsdefizite formuliert Sie sieht in Sebastian einen typischen Außenseiter, der im Vergleich zu Tim ("Der kann auf andere zugehen!") völlig kontaktlos sei, Seine seit Monaten anhaltenden Malgewohnheiten und das ihnen inne wohnende aggressive Potential weisen den Mitteilungen und situativen Kommentierungen Annas, der zweiten Erzieherin der Gruppe, zufolge in die Richtung eines von den Eltern unkontrollierten und schädlichen Medienkonsums.
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Diese Darstellungen sind frappant, wenn man sie den ethnografischen Beobachtungen gegenüberstellt, denn unter den Kindern am Maltisch gibt es kein Kind, das in vergleichbarer Weise für die anderen Kinder so präsent und wichtig ist wie Sebastian (vgI. Kap. 4.2.2; Gleichaltrigkeit als Kategegorie der Gleichrangigkeit und Zusammengehörigkeit). Mit seinen Malinszenierungen etabliert er ein thematisches Kontinuum, das den Kindern rings um den Maltisch viele Gesprächsanlässe stiftet, in deren Mittelpunkt stets seine Geschichten stehen. Kommen allerdings Erzieherinnen hinzu, so wird er häufig zurückgewiesen und seine Gesprächsbeiträge ignoriert (vgl. Kap. 5.3.). In der Ethnografin als einer nicht-pädagogischen Erwachsenen findet Sebastian allerdings eine begehrte Gesprächspartnerin. Konversationssituationen wie die folgende ereignen sich typischerweise in Abwesenheit der Erzieherinnen, Nachdem Klaudia (Erzieherin) eine Weile später den Raum verlässt, wird es wieder ein wenig lauter, aber nicht viel. Die Kinder malen weiterhin ihre Mandalas, Sebastian fragt mich, ob ich den Original-Film" Titanic" ge sehen habe. Als ich verneine, erzählt er mit detailliert, wovon der Film handelt Er kennt die Geschichten der einzelnen Personen, die darin vorkommen, ganz genau und berichtet von ihren Lebenszusammenhiinqen, ebenso kennt er die Namen der Schauspieler, durch welche die Rollen besetzt sind. Während er malt, zeigt er auf sein Blatt: "Und das ist dieser Gentlemen: Mr. Kildam Hawkley. Er trägt einen schwarzen Hut" Dann erzählt mir Sebastian bruchstückhaft"einige wichtige Dinge aus dem Leben dieses Herrn".
In solchen Gesprächssituationen ist es augenfällig, wie sehr sich Sebastian in seinen Sprachgewohnheiten von den übrigen Kindern am Maltisch unterscheidet Die Art seines Sprechens weist weit über die lokalen, überwiegend dialektal geprägten Sprachmuster der anderen Kinder hinaus auf Zusammenhänge, die er sich über die Medien erschließt und dann in seinen sowohl narrativen als auch darstellenden und reflexiven Gesprächsbeiträgen zum Gegenstand der Konversation und Auseinandersetzung macht Diese Praxis weist ihn als einen Jungen aus, der über das Hier und Jetzt der Angebote des Kindergartens hinaus seine Interessen und Fragen autonom verfolgt Sie verbindet seinen aktiven Mediengebrauch zu Hause mit den Aktivitäten am Maltisch und ist zugleich auf weitere, sogar langfristige Pläne in die Zukunft ausgerichtet So weiß Sebastian bereits jetzt, mit welchem Alter er Filme anschauen darf, die ihn interessieren, ihm aber aufgrund von Altersbeschrän-
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kungen noch nicht zugänglich sind. Zugleich importiert er über seine Medieninszenierungen am Maltisch Themen aus der Welt der draußen, die auch für die anderen Kinder von höchstem Interesse sind, auch deswegen, weil er sie einen Bezug zu den Herausforderungen herstellt, die an die Kinder im Übergang zur Schule gerichtet sind. Nicht zuletzt deshalb ist Sebastian überaus anerkennt unter den Jungen seines Alters. Über Rons soziale Herkunft gibt es außer den Selbstaussagen, die Ron gegenüber Sebastian am Maltisch macht, keine Beschreibungen Dritter. Aus Rons Berichten geht hervor, dass ihm die abendlichen Unternehmungen mit seiner Mutter sehr wichtig sind. Er erzählt z.B. begeistert von Naturerlebnissen während einer abendlichen gemeinsamen Radtour mit der Mutter. Den Kontakt zu den Erzieherinnen meidet er allerdings. Rons Aktivitäten zielen am meisten auf die Verwirklichung einer unter den Kindern geteilten Sozialwelt ohne Erwachsene, eines Underlife, in dem eigene Werte gelten, die sich von denen der Erwachsenen unterscheiden können. Die anfängli chen Kontakte der Ethnografin mit den Kindern am Maltisch schien Ron durch den verstärkten Gebrauch eines fäkalien-, aber auch lustsprachlichen Vokabulars sowie den entsprechenden illustrierenden Kritzelzeichnungen abzuwehren (Ethnograjin: Ihr wollt wohl, dass ich wieder geh?). Dazu passte auch sein rauer, ungenierter (bestimmender) Umgangston sowie die strategischen Versuche, durch den Einsatz seiner auf Sebastian bezogenen Gesprächsrituale (Du, Sebastian ...) die Ethnografin von dem Geschehen unter den Kindern fernzuhalten. Diese Interpretation der Ethnografin schwankte allerdings mit der Deutung, dass es sich bei den beschriebenen Praktiken um ein Aufnahmeritual handelte. Aus der Binnenperspektive der Gruppe, in die die Forscherin durch die Verrnittlungstätigkeit Sebastians nach und nach aufgenommen wurde, erschienen Rons Interventionen dann jedoch in einem anderen Licht: Unter den Kindern am Maltisch erwies er sich als eine Art exekutives Organ. Er setzte sich für die Verwirklichung von Werten ein, insbesondere den Schutz der Kleinen vor den Großen und die Verteidigung ihrer Interessen. Auch gegenüber der Ethnografin gibt es von seiner Seite her eine Reihe kooperativer Gesten, die allerdings erst nach und nach und in der genauen Analyse von Videoaufzeichnungen erkennbar wurden. Als Kind, das erst mit sieben zur Schule kommt, hat es mit Denny etwas Unausgesprochenes auf sich, etwas, was die anderen (vielleicht) schon wissen, er aber nicht. Zwischen ihm und den anderen Kindern gibt es oft Streit, der nicht selten gewaltsam ausgetragen wird, aber auch selten einen nach vollziehbaren Grund aufweist. Auch sein Verhältnis zu den Erzieherinnen ist ausgesprochen konfliktreich. Als ein Kind, von dem die Erzieherin aufgrund
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seines Verhaltens in der Gruppe bereits jetzt negative Prognosen abzugeben weiß, hat er einen festen Ruf. Rollenspielbereich (Die Kinder sitzen auf dem Boden und warten darauf, namentlich ins Freigelände entlassen zu werden.] Erzieherin Klaudia zu Denny, der noch herumalbert und keine Ruhe gibt: "Du Freundchen, setz dich mal hin. An dir werden die Lehrer noch ihre wahre Freude haben!" Sie sagt es nicht einmal, sondern mehrmals hintereinander in leicht abgewandelten Formulierungen, sodass es auf mich besonders eindringlich wirkt Denny kann dem auch nicht ausweichen, da sie ihn am Arm festhält
Aufgrund eines allgemein geteilten Verständnisses, dass Denny sich oft danebenbenimmt, muss man ihn, wie auch die bereits skizzierte Situation mit Tim zeigt, ständig im Auge haben, auch dann, wenn er sich nicht anders verhält wie andere auch. Das geteilte Wissen über seine vorgezeichnete Zukunft lässt auf der Seite des externen Fachpersonals nach den Ursachen für diese Entwicklung fragen. Eine pädagogische Mitarbeiterin der Afl hat Dennys familiale Situation, soweit es ging, ein wenig mitverfolgt und berichtet darüber. Die Art und Weise, wie Dennys Mutter mit dem Jungen gesprochen hat. habe sie erschrocken. Der Ton sei sehr ablehnend gegenüber Denny gewesen. Dabei sei die Mutter Ergotherapeutin. Als solche müsse sie doch eigentlich wissen, wie man mit Menschen umgeht Sie habe sich während Dennys Kindergartenzeit vom Vater getrennt Der Ton und die Botschaf ten an Denny seien sehr abwertend. Denny habe ihr leidgetan.
Zahlreiche verlorene Kämpfe mit anderen Kindern und die Querelen mit den Erwachsenen festigen seinen marginalisierten Status. Er bemüht sich oft auch gar nicht, Kontakt zu den anderen herzustellen. Seine marginale Stellung drückt sich u.a. darin aus, dass er sich von den anderen unabhängig zeigt, eine eigene Sache verfolgt In seiner ablehnenden, bisweilen provozierenden Art fordert er allerdings die anderen Jungen manchmal heraus und es kommt u.a, zu heftigen Prügelszenen. Zwar kann er in diesen expressiven Machtdemonstrationen die anderen Kinder bisweilen verängstigen, aber aufgrund dessen wird er nur vermehrt ausgegrenzt. Wie bedeutsam die Wahrnehmungskategorie Individualität unter den Gleichaltrigen ist, geht auch aus den Versuchen der Kinder hervor, die Be-
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sonderheit der Ethnografin, die ja in gewisser Hinsicht Teil ihrer Gruppe geworden ist, zu bestimmen. Die wiederkehrenden Malgewohnheiten werden ihr nach und nach als ein typisches Merkmal ihrer Person zugeschrieben. (Tim: "Du immer mit deiner Oase"; Sebastian gegen die Angriffe von Denny und Tim: "Die malt ihre Oase.") Neben der von der Ethnografin aus forschungsstrategischen Gründen erfundenen "Mal-Identität" entdecken die Kinder aber auch habituelle Besonderheiten an ihr. Freigelände: (Kurz vor eins auf dem Freigelände. Ron, Sebastian und die Ethnografin sitzen ganz oben hinter dem Schuppen auf einer kleinen Erhöhung des Abhangs. Von dort hat man einen Überblick über das Geschehen. Sie schauen hinunter auf das Freigelände und dann auf den Hügel jenseits des Ortes. Sie versuchen eine große gelbe Fläche in der Landschaft zu identifizieren . Dann kehrt die Aufmerksamkeit zurück an den Ort ihres Aufenthalts.) Ron übt für sich alleine den Gebrauch einer vulgären Vokabel. Sebastian beginnt Star Wars hier draußen zu spielen, er zischt und rattert wie bei einem Front[euer. Ich sage .mm", wie ich immer .mm" sage, wenn jemand etwas gesagt hat Ron sagt: "Die sagt immer .mm', eh Sebastian, sag noch mal was, die sagt immer .mm'." Ich sage unwillkürlich .mm". Als Sebastian dann etwas sagt, sagt Ron auch .mm", während Sebastian schon wieder innerlich aufStar Wars eingestellt ist Er macht die Stimmen jetzt viel lauter als drinnen, wenn er nur auf seinem Blatt die Geschichte malend spielt Er steht auf und fliegt als Androide (Roboter) fiktive Angriffe. Er rennt kreuz und quer und dann in voller Geschwindigkeit den Hang hinunter und kurvt unten an den Sandkästen entlang. In den vorangegangenen Beschreibungen wurde zu zeigen versucht, wie die einzelnen Kinder (und auch die Ethnografin) in der Gruppe der Gleichaltrigen zum Gegenstand individualisierender Betrachtungen werden. Es han delte sich jedoch weder um Entwicklungsberichte noch um Beobachtungsergebnisse gruppendynamischer Prozesse. Vielmehr sollte veranschaulicht werden, wie angesichts der Herausforderung, die sich den Kindern am Ende ihrer Kindergartenzeit gleichsam als Notwendigkeit stellt, sich in der Gruppe der Gleichaltrigen Zugehörigkeit und Teilhabe zu sichern, zugleich auch die Wahrnehmungskategorie der Individualität an Bedeutung gewinnt. Für die Gleichaltrigen stellt der anstehende Übergang zur Schule eine biografische Herausforderung dar. Das gemeinsame Thema der Biografie formulie ren die einzelnen Kinder für sich aber jeweils unterschiedlich. Dabei reprä -
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sentieren sie in ihren Auseinandersetzungen damit habituelle Besonderheiten, soziokulturelle Muster und Lebensstile ihrer Herkunftsfamilien (Bourdieu 1974, 1987). Sie bilden gewissermaßen ihren je eigenen (familial, lebensweltlich, milieuspezifisch bestimmten) Zugang zu den biografischen Herausforderungen in ihren alltäglichen Praktiken ab. In diesem Sinn ist der lokale Ausschnitt des Maltisches im Kindergarten nicht eine Sonderwelt, sondern die Innenwelt einer Außenwelt (Honig 2003), ein öffentlicher Raum, in dem soziale Unterscheidungen gleichsam laufend (re)produziert werden, ein intern zunehmend komplexer werdendes Netz sozialer Differenzierungen, das im Hinblick auf die eigenen Person Relevanz gewinnt, auch deswegen, weil in ihm Ressourcen, Anerkennung und Chancen für die Verwirklichung eigener Interessen keineswegs gleich verteilt sind. Die Notwendigkeit, aber auch die Selbstverständlichkeit, sich angesichts der erkannten Vergesellschaftung des kommenden Lebensabschnittes als Gleichaltrige aufeinander zu beziehen, zwingt die Kinder, ihre habituelle Unterschiedlichkeit, auch ihre bisweilen aufeinander prallenden Gegensätze in eine Praxis zu überführen, die Teilhabe und interne Differenzierung zugleich ermöglicht. Verhältnisse der Zusammengehörigkeit werden in den alltäglichen gemeinsamen Routinen hergestellt In ihnen wird deutlich zwischen zentralen und peripheren Positionen unterschieden. Dabei kristallisieren sich unterschiedliche Grade reziproker Verhältnisse heraus. Für die Kinder ist entscheidend, sich Teilhabe durch Freundschaft mit anderen Kindern zu sichern. Dies gelingt in der Herstellung eines gemeinsamen interaktiven Raumes (z.B. im Rahmen gemeinsamer Aktivitäten), den sie durch Freundschaftrituale verteidigen. Wo rituelle oder verbale Praktiken nicht genügen, steht körperliche Gewalt als wirksames Mittel im Dienst der doppelten Herstellung eines sozialen Zusammenhaltes unter den Gleichaltrigen sowie der Unterscheidung zwischen besseren und schlechteren Freunden. Partielle Inklusion und Exklusion sind dabei innerhalb der Sozialität der Kinder Phänomene interner Differenzierung, Gradierung und Hierarchisierung. Individualität stellt sich insofern als eine reflexive Kategorie der Positionierung der einzelnen Kinder in einem sich ordnenden sozialen Raum der Kinder dar.
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4.3
Pädagogik als Regulativ der Begegnung zwischen den Professionellen
4.3.1 Pädagogischer Sinn als prekärer Bezugspunkt professioneller Kommunikation
Vermittelt über die Konzeption und viele aus der pädagogischen Programmatik abgeleiteten alltagsorganisatorischen Kommunikationswege ist der Bezug auf pädagogischen Sinn vor allem zwischen den Erwachsenen wirksam. Das ist bemerkenswert, denn werden in der Sozialität der Kinder - wie das vorausgehende Kapitel zeigte - ganz andere als pädagogische Ordnun gen in Gebrauch genommen und verweisen die Sanktionen der Erzieherinnen während der Freispielzeit darauf, dass es eher um die Durchsetzung zivilisatorischer Verhaltenserwartungen geht, so lassen sich eigentlich kaum Gelegenheiten identifizieren, in denen pädagogischer Sinn nicht auch die Perspektivität der Erwachsenen zueinander bestimmt, auch und gerade dort, wo die Herstellung eines Zusammenhangs zwischen der eigenen Praxis und den anvisierten Zielen der Frühpädagogik nicht gelingt. Mit pädagogischem Sinn ist nicht ein individueller Sinn gemeint, den Erzieherinnen mit ihrem Handeln verknüpfen, sondern ein offizieller, auf die Wertmaßstäbe des Kindergartens bezogener Sinn, an dem sich die eigene Praxis messen oder bewerten lassen soll. Dieser Sinn schreibt dem Verkehr zwischen den Erzieherinnen spezifische Muster ein, so als ginge es verdeckterweise nicht hauptsächlich um die Erziehung, Betreuung und Bildung von Kindern, son dern um eine spezifische Art des Personseins oder -werdens der pädagogi schen Professionellen. Dies erweist sich zunächst einmal im Verkehr zwischen den externen Erwachsenen, in aller Regel den Eltern, und den hauptamtlichen Erzieherinnen als den pädagogischen Organisationsmitgliedern. Vor allem dort, wo Erwartungen der Eltern im Horizont pädagogischer Bedeutsamkeit (insbesondere unter dem Etikett pädagogischer Qualität) artikuliert werden, dürfen sie als berechtigte Anliegen an die Professionellen adressiert werden. Der pädagogische Sinn, in dessen Horizont die Erwartungen formuliert werden, referiert hier aber keineswegs auf eine eindeutig definierbare pädagogische Sache, vielmehr differiert das Gemeinte je nach den partikularen Ansprü chen und Erwartungshaltungen der Eltern. Dass sich hinter diesen Erwartungen jedoch nicht selten konkurrierende und widersprüchliche Interessen verbergen, macht Anschlusshandlungen der Erzieherinnen riskant, vor allem dann, wenn sie aus individuellen Einstellungen und Orientierungen
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erwachsen. Dann besteht die Gefahr, dass die Fachkräfte miteinander ver glichen und gegeneinander ausgespielt werden und die Professionalität des Kindergartens auf dem Spiel steht. In der Bearbeitung dieser Risiken drängen daher auch die Erzieherinnen auf die Normierung der Praxis und die Lösung schwieriger Probleme durch die Festlegung von Entscheidungswegen, etwa den Teambeschlüssen. Damit wird die Flexibilität des HandeIns zwar eingeschränkt, die Festlegung von Handlungsformaten zur Bearbeitung spe zifischer Problemlagen stellt aber sicher, dass sich individuelles Handeln nicht legitimieren muss. Der Zusammenhang zwischen Tun und pädagogischem Sinn ist dann qua Institutionalisierung einer Praktik hergestellt. Der Sinn kann vergessen werden, die Praktik setzt sich aber fort und ordnet die Verhältnisse zwischen den Akteuren. Folgende Vignette mag dies illustrieren. Die Eltern hatten den Erzieherinnen vorgeworfen, dass sie die Kinder sich selbst überließen und verlangt, dass sie "auch was mit ihnen machen". Diese Erwartung wird vom Kindergarten mit der Einführung einer auch in vielen anderen Kindergärten praktizierten Routine beantwortet, durch welche die Eltern über die Bildungsangebote des Kindergartens informiert werden sollen. Sie besteht in einem wöchentlichen Aushang im Eingangsbereich des Kindergartens, auf welchem alle aktuell durchgeführten Angebote aufgeführt werden. Aus zeitökonomischen Gründen wird dafür ein Listenformat gewählt, das mit dem Titel "Reflexion der Woche" überschrieben ist. Während der verwendete Begriff im Professionsvokabular von Erzieherinnen ein meist rückblickendes Nachdenken darüber bezeichnet, ob bzw. wie spezifische Angebote tatsächlich von Kindern aufgenommen werden und in welchem Verhältnis die beobachteten Wirkungen zu den angestrebten Zielen stehen, steht hier die summarische Auflistung von Standardaktivitäten für die gemeinte Sache: 3 Geburtstage, eine vorgelesene Geschichte, 2 Bastelangebote, 1 Kinderlied, ein Fingerspiel, eine Exkursion auf den Spielplatz. Verfolgt man die Stationen der Entstehung eines solchen wöchentlichen Aushangs zurück, dann treten Einzelsituationen in den Blick, die die Kommunikation nicht im Hinblick auf die gemeinte Sache strukturieren, sondern auf die Erzeugung ihrer materialisierten symbolischen Referenz darauf: den Aushang. [ge/gruppe Klaudia ( stellvertretende Leiterin des Kindergartens und Erzieherin in der Bärengruppe) tritt herein und erinnert die beiden Erzieherinnen der [ge/gruppe (Karo und Mara) an die Liste der durchgeführten Angebote
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dieser Woche. Karo und Mora, die mit Kindern am großen Tisch in der Mitte des Raumes sitzen, schweigen. Mara steht auf, geht zum schwarzen Brett neben dem Türrahmen und löst dort ein handbeschriebenes Blatt ab, das sie Klaudia reicht Diese nimmt es entgegen und liest, was darauf steht"Was?': sagt sie anerkennend, "ihr habt DREI Kindergeburtstage gefeiert!" Mara nickt Karo/ügt hinzu, dass sie vergessen habe, die Mondgeschichte aufzuschreiben. Nach einer kurzen Weile sagt Klaudia, dass sie zu Hause auch noch ein gutes Bilderbuch habe, das sie mitbringen und den Kindern vorlesen wolle. Dann trägt sie das Blatt, auf beiden Händen befördernd, wie eine kostbare Fracht hinaus.
Die Situation illustriert nicht nur, wie eine externe, auf die pädagogische Leistung des Kindergartens bezogene Erwartung der Eltern in eine auf pädagogischen Sinn bezogene interne Routinen überführt wird, sondern auch, wie diese intern als "objektivierte" Referenz auf pädagogischen Sinn zwischen den Erzieherinnen wirksam wird - nun aber nicht als Frage danach, ob bzw. wie man die Bildungsbewegungen und -interessen der Kinder aufgreifen und begleiten soll, sondern als Beitrag zur allmählichen Verfertigung einer symbolischen Objektivation des Pädagogischen. Dies heißt natürlich nicht, dass die Angaben auf der Liste nicht auf Aktivitäten verweisen, die tatsächlich stattgefunden haben, aber an dieser verstärkten Bezugnahme auf die pädagogische Aufgabe des Kindergartens lässt sich über die Bildungsprozesse der Kinder nichts ablesen. Die protokollierte Szene lässt auch erkennen, dass es sich bei den aufgelisteten Aktivitäten um traditionelle Programmelemente handelt, die in den wöchentlichen Aushängen bekanntgemacht werden. Hingegen verschafft sich das Routineelement als eine Macht Geltung, die nicht nur die Beziehungen zwischen Eltern und Erzieherinnen, sondern auch die Beziehungen zwischen den Erzieherinnen reguliert. Anzahl und Art der Angebote stehen nun auch für den je individuellen Beitrag einzelner Erzieherinnen, die Bildungsprozesse der Kinder zu fördern. Sie unterliegen dem wechselseitigen Vergleich zwischen den einzelnen Gruppen und innerhalb der Gruppen zwischen den beteiligten Erzieherinnen. Praktiken der Präsentation und Darstellung, des vermeintlichen Zeigens von Lern- und Entwicldungsprozessen der Kinder, stellen unter diesen Voraussetzungen eine symbolische Kommunikation dar, die die Verlegenheit, den Nachweis pädagogischer Erfolge erbringen zu müssen, kompensiert, aber das Verhältnis zwischen den Erzieherinnen nachhaltig beeinflusst.
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Dieses Phänomen hat neben der hier in den Blick genommenen horizontalen Dimension der Erzieherinnen untereinander auch eine vertikale Dimension und beide stehen miteinander in Verbindung. Die in der Trägerstrukturreform angestrebte Verfachlichung der Kommunikationswege überführte die bildungspolitisch angestrebten Ziele in die hierarchischen Strukturen des Trägers. Die Einführung einer weiteren hierarchischen Ebene zwischen Kindergarten und überörtlichem Träger bündelte in der Funktion der Gesamtleiterin einerseits die fachliche, d.h. pädagogische Kompetenz mit modernem Management Wenngleich den Kindertageseinrichtungen inhaltliche Autonomie zugesprochen wurde, sich die Reform also lediglich auf die Verwaltungsstrukturen beziehen und die inhaltliche Vielfalt pädagogischer Arbeit der Standorte garantiert werden sollte, sieht bereits in der Modellphase die Praxis des Programms anders aus. Im beforschten Kindergarten erweist sich dies etwa darin, dass die fachlich erwünschte Orientierung des Personals von oben vorgegeben wurden. Die vom Träger anvisierte Politik der "Bildung von Anfang an" materialisiert sich etwa in den Kriterien für die Einstellung der neuen StandortIeiterin und ihrer Stellvertreterin. Als Nachweis der erwünschten pädagogischen Orientierung gilt etwa die vorausgehende Berufserfahrung in einem Offenen Kindergarten. Entsprechend wird die Gruppe der Leiterin und ihrer Vertreterin symbolisch als eine Art inno vatives Zentrum ausgeschildert Unterstrichen wird diese symbolische Markierung durch die periodisch stattfindenden exklusiven Arbeitstreffen zwischen Gesamt- und StandortIeiterin im Kindergarten, in denen es um Fragen der Kindergartenentwicklung geht Die dieser Praxis implizite Aufwertung der Gruppe der Leiterin gegenüber den anderen Gruppen des Kindergartens weckt unter den Erzieherinnen das Interesse daran, den Zusammenhang zwischen dem ausgeschilderten Sinn und den alltäglichen Praktiken zu erkunden. Diesbezüglich treten die Nicht-Übereinstimmungen zwischen in Anspruch genommenem pädagogischen Sinn und einer Praxis, die sich im Horizont alltäglicher Anforderungen bewähren muss, offen zutage. Keineswegs aber lässt sich beobachten, dass sich mit der konzeptuellen Öffnung des Kindergartens die Türen öffnen und die Frage nach den Bildungsprozessen der Kinder auf Erzieherinnenebene tatsächlich die Kommunikation bestimmt. Unter besonderer Beobachtung steht, gerade wegen der Verknüp fung von anvisierter "Offener Arbeit" mit den Kindern und den mit der Trägerreform eingeführten neuen Verwaltungsaufgaben, die Gruppe der Leiterin und gerade an ihr lässt sich die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit des Pädagogischen in besonderem Maß studieren. Hier zeigt sich,
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dass die mit der Transformation der Trägerstruktur eingeführte Verwaltungsreform die personalen Kräfte überwiegend absorbiert Im Gruppen raum befinden sich selten mehr als eine Erzieherin, wohingegen im Büro der Leiterin sehr häufig Verwaltungs- und Koordinationsprobleme bearbeitet werden. Wegen häufiger personaler Ausfallzeiten. wie Fortbildung, Schulung, etwa im neuen Softwareverwaltungsprogramm, und dann auch Krankheit, wird eine durchgehende Präsenz nur durch die Vorpraktikantin gewährleistet, wohingegen die Erzieherinnen während der Freispielzeiten häufig vom Büro in den Gruppenraum wechseln, eingreifen, wenn etwas Besonderes vorfällt oder ein besonderes Ereignis ansteht. Auch die Mitarbeiterinnen der Arbeitsstelle für Integration, die mit der Förderung einzelner Kinder betraut sind, übernehmen vielfach Betreuungsaufgaben oder auch die Anleitung des Sitzkreises. Aufgrund besonderer personaler Ausfälle kommt es, wenn auch selten, vor, dass die Gruppendienste völlig durch externes Personal eines anderen Standortes abgedeckt wurden. Viel personale Aufmerksamkeit und Koordinationsaufwand wird auch mit den Anliegen der Eltern verknüpft, sodass vor dem Hintergrund dieser vielfältigen Erwartungslagen das Konzept der Offenheit insofern mit der Bewältigung der übrigen alltäglichen Anforderungen vereinbar ist, als sich die in ihm vorausgesetzte Selbstorganisation der Kinder als zeitökonomisch im Hinblick auf den Einsatz personaler Ressourcen erweist. Diese Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit bleibt allerdings nicht unkritisiert und wird insbesondere als Problem nicht genügend weitreichender persönlicher Kompetenzen der Leiterin formuliert Als diese nach etwa zweijähriger Amtszeit ihren Arbeitsplatz kündigt, da sie bei einem anderen Träger eine Stelle als Kindergartenleiterin antreten kann, artikuliert sie ihren Unmut unumwunden. Im Rückblick beklagt sie, dass sie pädagogisch-konzeptuell "in den Fußstapfen der Gesamtleiterin" hätte gehen müssen und der immense Verwaltungsaufwand als solcher von oben einfach nicht anerkannt worden sei. Sie bekennt offen, dass es angesichts der überbordenden Koordinations- und Verwaltungsvorgänge gar nicht zur Arbeit mit den Kindern gekommen sei. Während die Standortleiterin zum Zeitpunkt dieser offenen Kritik ja bereits nicht mehr in den Abhängigkeitsstrukturen ihrer Arbeitnehmerschaft steht und sich diese Offenheit "erlauben" kann, halten sich die übri gen Mitarbeiter bedeckt. Die Stellvertreterin konstatiert lediglich, dass hier der Ansatz des Offenen Kindergartens eben nicht funktioniere. Da, wo sie früher gearbeitet habe, hätte es damit keine Probleme gegeben. Erklärungen für das offensichtliche Nicht-Funktionieren nennt sie keine. Die übrigen
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Erzieherinnen fassen die Diskrepanz zwischen ihrem Tun und dem dafür in Anspruch genommenen pädagogischen Sinn allenfalls hinter vorgehaltener Hand in Worte. ("lch würde doch mein Kind nicht in diesen Kindergarten schicken!" Oder angesichts eines neu eingeführten Theaterangebotes für Kinder: "Unsere Kinder kommen aus dem Stress gar nicht mehr heraus. Jetzt müssen sie auch noch Theater spielen!'} Aus der Perspektive der externen pädagogischen Mitarbeiter (insbesondere der Arbeitsstelle für Integration) hingegen, die regelmäßig in den Kindergarten kommen, aber nicht in die Strukturen der neuen Trägerschaft eingebunden sind, wird das Problem mit dem geteilten pädagogischen Sinn ohne Angst vor Sanktion thematisiert. Eine Mitarbeiterin der AfI wendete sich direkt an die Ethnografin, um ihr zu erläutern, wie sich die Dinge hier verhalten: "Die haben denen das Konzept ja von oben aufgedruckt Was nutzt das denn, wenn es von unten her nicht getragen und verwirklicht wird. Was ist in diesem Kindergarten denn die sog. Schwerpunktgruppe? Es ist doch hier alles wie gehabt Jede Gruppe hat alle Spielbereiche." Meinen Einwand, dass sich die Mitarbeiterinnen doch nicht negativ zu ihrem Konzept äußern würden, lässt sie nicht gelten. "Das dürfen sie ja auch gar nicht!" Hierführten die hierarchischen Strukturen dazu, dass sich die Erzieherinnen einfach anpassen. Sie sieht einen großen Unterschied zu anderen, ihr bekannten Kindergärten, die ihr Konzept von unten her entwickelt hätten und dann auch wirklich dazu stünden. Was heißt es aber nun, ein pädagogisches Konzept von oben nach unten aufgedrückt zu bekommen? Ganz offensichtlich führt die Sichtbarkeit der Diskrepanz von Idee und Wirklichkeit gerade dort, wo sie exemplarisch vorgeführt werden sollte, nämlich in der Gruppe der Leiterin, nicht dazu, dass sich auch im Übrigen die pädagogischen Ambitionen relativieren. Denn gerade die Ereignisse um die Person der Leiterin spiegeln in der Politik ihrer Bearbeitung, dass die Idee gut und das Personal nicht ausreichend pro fessionalisiert war, keineswegs aber, dass Idee und Wirklichkeit möglicherweise in einem unüberbrückbaren Spannungsverhältnis stehen, wobei die Idee nur gerettet werden kann, wenn Defizite ihrer Verwirklichung nach weisbar sind, etwa als Persönlichkeitsprobleme oder als mangelnde Kompetenz des Personals. Man kann an den Ereignissen also ablesen, dass pädagogischer Sinn ein prekärer Bezugspunkt in den Begegnungen der Erzieherinnen ist, denn die Ambition, Bildungsprozesse zu begleiten, ist eine Seite
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pädagogischer Professionalität, die Bewältigung des Kindergartenalltages in einer multireferentiellen Erwartungsstruktur eine andere. Vor diesem Hintergrund lässt sich das beobachtbare Verhalten der Erzieherinnen als Strategie identifizieren, individuelle Handlungsspielräume zu sichern und sich angesichts der Diskrepanz zwischen Sein und Sollen pädagogischer Wirklichkeit bedeckt zu halten. Und gerade ihren Begegnungen, ihrer Kommunikation untereinander schreibt sich die erwartbare Referenz auf pädagogi schen Sinn als prekärer Bezugspunkt ihrer Professionalität ein, jedenfalls dort, wo nicht bereits institutionalisiert und normiert ist, womit pädagogischer Sinn praktisch verschmolzen ist. Befragt man die ethnografischen Beobachtungen danach, wie die Erzieherinnen der beiden anderen Gruppen das Problem mit dem gemeinsamen pädagogischen Sinn handhaben, dann stößt man in einer der beiden Gruppen auf eine Erzieherin, die seit geraumer Zeit alleine ihre Gruppe betreut. Eine zweite "geeignete" Erzieherin, die zur Gruppe passe, hätte nicht gefunden werden können, erklärt sie und sie führe die Gruppe daher lieber alleine. Auch der Ethnografin fällt es schwer, zu dieser Gruppe Zugang zu finden. Dort, wo es ihr dennoch gelingt, tritt aber offen zutage, dass den bildungsfreundlichen Ideen des Offenen Kindergartens eine bisweilen recht direktive Führung der Kinder entgegengesetzt wird. Ein wenig anders verhält es sich bei den zwei langjährigen Mitarbeiterinnen der dritten Gruppe. Sie wissen beide, dass sie unterschiedliche Orientierungen haben und lassen sich wechselseitig Raum für ihre unterschiedlichen Zugänge. Wenn Mara auf einer Fortbildung ist oder krank ist, räumt Karo die gemeinsam festgelegten räumlichen Arrangements um, weil "sie so besser arbeiten kann". "Ja UND", erklärt sie der Ethnografin, "wenn ICH nicht da bin, kann Mara ja so machen, wie SIE es gerne hätte." Fasst man die Beobachtungen zusammen und verdichtet man die im Laufe der eineinhalbjährigen Feldphase angestellten Beobachtungen und Erfahrungen, dann lässt sich die These formulieren, dass der pädagogische Sinn interaktiv umso reiner kultiviert wird, je weiter die pädagogischen Professionellen von der tatsächlichen Arbeit mit Kindern entfernt sind. Diskursiv ist er vor allem dort angesiedelt, wo er sich nicht an der Praxis beweisen oder nachweisen lassen muss: in den Fachberatungen, übergeordneten Leitungen, externen pädagogischen Diensten. Heikel wird er dort, wo er sich in der Verknüpfung mit konkreter Praxis begründen und bewähren soll, denn hier sind immer unterschiedliche Perspektiven, Interessen, Politiken im Spiel. Vor diesem Hintergrund stellen Rückgriffe auf symbolische Darstellungsformate für die pädagogischen Akteure Lösungen eines nicht-lös-
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baren Problems dar. Im Windschatten dieser Praktiken lassen sich hingegen Handlungsspielräume kultivieren, die es ermöglichen, den Kindergartenalltag mit jenen Routinen zu unterlegen, die in ihrer raum-zeitlichen Ausdeh nung jenen Fluss erwartbarer Geschehnisse konstituieren, durch welche einerseits erfahrungsweltIiche Sicherheit und Seinsgewissheit für Kinder gestiftet und andererseits das Geschehen kanalisiert und unter Kontrolle gehalten werden kann.
4.3.2 Das"Nicht-Pädagogische" verharmlosen verleugnen, gebrauchen 38
Aus diesen Beobachtungen ergibt sich fast zwangsläufig die Frage, welche Rolle und Bedeutung den Praktiken und Sinnbezügen der Kinder bei der Konstitution alltäglicher Routinen zufallen. In welchem Verhältnis stehen sie zu den auf Erwachsenenhöhe stattfindenden Operationen der pädagogi schen Signifikation des Geschehens - auch jenen Praktiken, die sich nicht in die Vorstellung einer guten pädagogischen Praxis fügen? In Kapitel 4.1.1 wurden u.a. Praxen der Sanktionierung und Disziplinierung als Regulative des Freispiels beschrieben. Aus der Perspektive der Erzieherinnen stehen diese im Horizont der Verteidigung eines pädagogisch definierten Raumes und knüpfen an Alltagsregeln an, die sich auf diesen Anspruch beziehen. Bei näherer Betrachtung haben sie die Funktion, insbesondere die Lautstärke zu reduzieren oder den Streit der Kinder, vor allem den Einsatz von Gewalt, zu beenden. Die Interventionen zielen auf den Entzug jener Freiheiten, die den Kindern im Freispiel zugesichert werden. Die Kinder müssen dann z.B. aufräumen, sich von ihren Spielpartnern trennen oder jene Spiele spielen bzw. Aktivitäten durchführen, auf die die Erzieherinnen sie verpflichten. Auch der Einsatz spezifischer Sozialformen, wie z.B. das Mandala-Malen (vgl. Kapitel 5.3), steuern darauf hin, die zivilisatorischen Kräfte der Kinder zu aktivieren. Damit werden aber lediglich rüde Spielarten von Ordnungen isoliert und disqualifiziert, die Sanktionen zielen auf Affektkontrolle und Selbstdisziplinierung, sie greifen aber nicht die den Praktiken der Kinder innewohnenden Erzeugungsschemata des Sozialen (Differenzierungsschemata) auf. "Wer andere Kinder schlägt, darf nicht mit ihnen spielen!", so lautet die Alltags regel des Kindergartens und nicht, "Wer andere Kinder unterwirft, darf nicht mit ihnen spielen!" Außerdem unterliegen die tatsächlichen Interven-
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VgI. Jung (2008) in Hünersdorf/Maeder/Müller 2008.
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tionen der Erzieherinnen bei solchen Verstößen gegen zivilisatorische Maximen einer hohen Promiskuität, alleine schon deshalb, weil die Erzieherinnen ja das meiste von dem, was passiert, gar nicht sehen und weil sich die Entscheidungen zu diesen Sanktionshandlungen zumeist auf Zeugenaussagen stützen, die höchst parteiisch sind. Umgekehrt bedeutet dies, dass alle Praxis, die nicht ausgeschlossen, zwangsläufig eingeschlossen ist und die ihr inhärente Macht eine regulative Funktion im Hinblick auf das Geschehen hat. Faktische Regulationsmacht und die Sanktion der Alltagsregeln sind also unterschiedliche Dinge. Ebenso ist diese Regulationsmacht nicht nur konstituierendes Moment der Interaktionen zwischen Erwachsenen und Kindern, sondern auch des Verkehrs der Kinder untereinander. Beides wiederum steht in einem Spannungsverhältnis zu dem, was im Kindergarten passieren darf oder nicht. Die Ereignisse müssen sich in ein Spannungsverhältnis zu den Sinnbezügen und Legitimationsmustern des pädagogischen Feldes stellen lassen. Lärmen, Randalieren, andere Kinder schlagen, sie vom Ort eines begonnenen Spiels vertreiben sind Dinge, die qua Alltagsregel verboten sind. Wenn die Erzieherinnen also intervenieren, dann markieren sie, was sich mit einer als sittlich gedachten pädagogischen Welt des Kindergartens nicht vereinbaren lässt, wohingegen die faktischen Interventionen bzw. deren Unterlassung erkennen lassen, wie das, was pädagogisch ausgeschlossen werden soll, in den Praktiken zugleich als etwas Eingeschlossenes (Verdecktes) wirksam wird,39 was den Kindergarten als Erfahrungswelt ebenso bedeutsam macht, wie seine Ge- und Verbote. Die Unterscheidung von Alltagsregeln und Regulationsmacht lässt sich forschungsstrategisch im Prozess des ständigen Vergleichens (Glaser/ Strauss 1998) herausarbeiten. Es zeigt sich, dass Orte zur Herstellung dieser Unterscheidung konstitutiv sind, ebenso die Präsenz oder Abwesenheit von Erzieherinnen. Es zeigt sich auch, dass sich diese beiden Kategorien überschneiden. In den Gruppenräumen des Kindergartens ist fast immer eine Erzieherin, wohingegen es Orte gibt, für die die bloße Kopräsenz von Kindern kennzeichnend ist. Es soll aber gezeigt werden, dass die abseitigen Orte und die repräsentativen Orte miteinander in Verbindung stehen und sich durch ihre Unterscheidung zwei Handlungskontexte der Erzieherinnen
Vgl. die Figur des eingeschlossenen ausgeschlossenen Dritten in Serres 1980; Brüder 1992; implizit auch Waksler 1991.
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als professionellen Akteuren miteinander verknüpfen lassen: die der funktionierenden Alltagsorganisation und die ihrer diskursiven Signifikation als etwas Pädagogisches. Operative und diskursivejkognitive Praktiken müssen also nicht der gleichen Logik folgen. Repräsentative Räume, wie z.B. der Gruppenraum, kultivieren die Sinnbezüge des pädagogischen Feldes in stärkerem Maße als andere Orte, das hängt auch damit zusammen, dass die Ereignisse, die sich hier abspielen, von mehr und unterschiedlicheren Akteuren beobachtet werden und die Gültigkeit von Maximen von den Akteuren selbst immer wieder neu herausgefordert und provoziert wird. (Genau wegen dieser multiperspektivischen Beobachtbarkeit des Geschehens kann man es sich nicht leisten, die Legitimationsmuster, die pädagogische Felder erzeugen, zu unterwandern.) An den abseitigen Orten hingegen wird auch das Nicht-Pädagogische (verdeckt) kultiviert und es sorgt dafür, dass Erzieherinnen nicht eingreifen müssen, Kinder also zeigen können, dass sie selbständig sind. (Die Sprache der Frühpädagogik signifiziert dies im Begriff des "Sozialen Lernens" als etwas Pädagogisches.) Erzieherinnen haben es schwer, dieses Tun der Kinder in situ zu begleiten, weil die Kinder sie auf der Ebene der Alltagsregeln immer wieder in das Geschehen hineinziehen können, das heißt sie auf die Sanktion der Alltagsregeln verpflichten können. Um zu erreichen, dass Kinder lernen, ihre Konflikte selbst zu lösen, ist es also besser, nicht so genau zu wissen, was da passiert Ein Ort, für den die Bezeichnung "abseitiger Ort" zutrifft, ist der Förderraum der Igelgruppe. Zu manchen Zeiten ist er ein exklusiver Ort, an dem sich ausschließlich die Jungen der Gruppe aufhalten, überwiegend die älte ren, aber sie lassen auch bisweilen die jüngeren teilhaben. Er ist sogar so exklusiv, dass er für diese Zeit nach seinem Hauptprotagonisten Kevin benannt ist. - Es ist die Rede von Kevins Zimmer. Dabei scheint es für die Erzieherinnen kein Widerspruch zu sein, dass Kevin wegen seiner Aggressivität dreimal pro Woche von einer Mitarbeiterin der Arbeitsstelle für Integration (Afl) betreut wird, andererseits aber als zentrale Figur bei den regel mäßigen Treffen der Jungen in Kevins Zimmer mit den Erzieherinnen um Freiheitsgrade verhandelt, die dort gelten sollen. Der aufmerksamen Beobachterin fällt auf, dass der Raum zu manchen Zeiten wie ein Magnet wirkt und sich die diesseitige Situation entspannt, wenn im Förderraum die Action beginnt. Von drüben hört man dann Musik und das übliche Gepolter. Das Geschehen dezentriert sich nun insofern, als an zwei unterschiedlichen Orten unterschiedliche .Sptelkulturen" angesiedelt sind und Turbulenzen, die dort hinter verschlossener Tür stattfinden, vergleichsweise selten der sank-
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tionierenden Einmischung der Erzieherinnen unterliegen. Was hinter der verschlossenen Tür passiert, existiert gewissermaßen als wohl separierte Gegenwelt. Was sich nun abspielt, wenn man hineingeht, um genau zu beobachten, was passiert, darf man natürlich nicht mit dem verwechseln, was passieren würde, wenn man als Erwachsene nicht dabei wäre. Dies gilt vielleicht für diese Situation in besonderem Maße. Es mag sein, dass die Anwesenheit der Ethnografin im Besonderen die Gegenkräfte herausgefordert hat. Was sich aber auf jeden Fall daran ablesen lässt, das ist sein verwirklichbares Potential. Nun, was passierte? Förderraum DieJungen tanzen wild zu einer derben Musik, die laut aus dem Rekorder dröhnt: Ein Ochse, namens Otto Gewann im Lotto Da kauft er sich ein Ofenrohr Und bläst damit im Männerchor. Die Kleineren sind verunsichert, als sie mich sehen, und verlassen bald den Raum. Ein türkischer Junge zieht den Stecker aus der Steckdose und erhält dafür von Kevin Prügel. Er will den Raum verlassen, wird aber daran gehindert, denn Kevin hält ihm die Tür zu. Nachdem er sich nach einer Weile doch befreien kann, veranstaltet Kevin mit seinem Freund justin ein expressives Happening des Verbotenen. Sie bauen aus Tischen und Stühlen einen Turm, aufdem sie balancieren, sie werfen die Musikinstrumente geräuschvoll auf den Boden, sie rammen Tische und Stühle so fest gegen die Wand, dass der Putz abspringt und die Heizung in der Halterung fe dert, und schließlich bearbeitet Kevin die Fensterbank so mit Fußtritten, dass der Kassettenrekorder, der sich darauf befindet, immer wieder aussetzt Das steigertgar seine Freude und er tritt noch fester. "Dom! Dom!"
Auch wegen der vielen Zerstörungsspuren ist wohl kaum anzunehmen, dass die Erzieherinnen nicht annähernd wüssten, was dort passiert. Von Interesse ist aber, wie diese Praxis der Jungen diskursiv repräsentiert ist. Nämlich eigentlich fast gar nicht, jedenfalls nicht für die Ethnografin wahrnehmbar. Würde das Bekenntnis zu wissen, was da passiert, es nicht eigentlich auch auf Kolleginnenebene unmöglich machen, diese Praxis aufrechtzuerhalten? Die ethnografischen Protokolle hatten jene Situation festgehalten, in der Er-
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zieherin Karo ihrer Kollegin Mara mitteilt, dass sie Kevin den Kassettenrekorder zur Verfügung gestellt hat: Igelgruppe Erzieherin Karo kommt aus dem Förderraum und sagt ihrer Kollegin, dass sie Kevin gezeigt habe, wie die Musikanlage funktioniert Erzieherin Mora fragt etwas bestürzt, ob sie ihm tatsächlich erlaubt habe, die Tasten zu bedienen. "Ja': sagt Karo,"die Kinder heutzutage kennen sich doch besser damit aus als wir Erwachsenen!" Doch dann zögernd: "Hätte ich das nicht gedurft?" Mora sagt dezidiert nein dazu. "Der macht doch jetzt die Anlage kaputt, wenn ich doch als Kind die Erlaubnis hab, an die Tasten zu gehen, ja dann probiere ich sie doch auch alle aus." {Pause] Karo: "Na, dann verbiete ich es ihm eben wieder." Sie begibt sich dann nachdenklich an den Tisch, an dem sie zuvor gesessen hatte, und vergisst es scheinbar, jedenfalls sagt sie nichts mehr dazu. Mara sagt auch nichts mehr dazu.
Man kann hier weder die Beweggründe noch die Intentionen der Erzieherinnen eruieren, noch würde das Wissen um die Motive ihres HandeIns die Frage nach der Organisation des Erfahrungsraumes Kindergarten tatsächlich aufklären können. Was sich aber entscheidet in Situationen wie dieser, lässt sich von Alternativen abgrenzen, und die Logik der Entscheidung setzt auf die Selbstregulierung des Geschehens durch die Kinder. Dies ist aber nur möglich unter der Bedingung des diskursiven Ausschlusses ihrer tatsächlichen Methode, das heißt hier ihrer Unterwerfungspraktiken. Der zeitweilige - selbst erkämpfte Ausschluss der jungen aus den offenen lokalen Arrangements des Gruppenraumes bzw. ihr zeitweiliger Einschluss in die geschlechtsspezifisch und symbolisch besetzte Räumlichkeit des Förderraums ("Kevins Zimmer') führt jene Befriedung des Geschehens herbei, die es den Kindern der Gruppe ermöglicht, in abgrenzbaren zeiträumlichen Einheiten spezifische Aktivitätskulturen zu entwickeln. Diese Praxis folgt der Logik, die Störenfriede unter sich zu lassen und damit zu verhindern, dass sie die anderen Kinder stören. Zugleich stellen die erlaubterweise verbotenen Happenings der Jungen eine Art verdeckte Anerkennung der "Wesensbesonderheiten" der jungen dar. Für die jungen der Gruppe sind die regelmäßigen Zusammenkünfte attraktiv. Die dort praktizierten Routinen bieten ihnen Gelegenheitsstrukturen identitätsstiftender Teilhabe. In einer anderen Gruppe finden die aggressiven Übergriffe am Maltisch zwischen Denny und Sebastian statt.
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Maltisch (Bärengruppe) (Denny, Sebastian und die Ethnografin sitzen am Maltisch. Denny malt "seine" Vulkane aufkleine Blättchen, Sebastian malt ein großes Schiff, die Ethnografin eine Oase. Während die Jungen malen, kommt es zum offenen Streit zwischen Sebastian und Denny.) Denny malt seine Vulkane mit der .feuerroten Lava': wie er genüsslich sagt, jetzt aufgroße Blätter. Sebastian sagt, es gäbe auch grüne Vulkane. Denny:"Nein!" Sebastian malt einen (grünen?) Punkt aufDennys Blatt Denny malt einen Strich aufSebastians Blatt, so geht es hin und her. Denny wird schnell .maßlos". Sebastian "wehrt" sich und dann fordert die jeweils eigene Verletzung den Gegenschlag. Die beiden Kinder schauen mich jeweils fragend an, aber da ich mich beherrsche und nicht dazwischen gehe, scheinen sie handeln zu müssen und lassen sich auf den Kampf ein. Es sind nicht viele Schläge, aber gezielte. Dann zerknüllt Denny Sebastians Blatt und Sebastian haut kräftig zurück Am Zug wäre Denny, aber beide haben neben ihrer Wut auch Angst Sebastian sagt zu Denny, dass er jetzt aufhören würde, wenn auch Denny nichts mehr macht, und setzt sich an den Tisch. Denny schmeißt die Schale mit den Farbstiften in die Luft. Dann herrscht"Waffenstillstand': aber die beiden Jungen befinden sich in einem aufs Äußerste gespannten Verhältnis, fast einem "kalten Krieq". Plötzlich rennt Sebastian hinaus zu Erzieherin Klaudia. Aber er kommt alleine zurück, setzt sich an sein Blatt und malt, während Denny genüsslich einen Wachsmalstift nach dem anderen aus der Schale nimmt und beginnt, mit der Schere kleine Stückehen davon abzuschneiden. Kontrollierend schaut Denny zu mir herüber, aber ich kann mich beherrschen, male weiter an meiner Oase. Nach einer Weile tritt Klaudia herein, ohne sich orientieren zu müssen, was hier geschehen ist, fordert sie Denny auf, die Stifte aufzuheben und zurück in die Schale zu legen. Dann geht sie wieder hinaus. Ihr Verhalten wirkt sehr routiniert Denny stört sich aber nicht an Klaudias Aufforderung und fährt fort, die Wachsmalstifte mit der Schere zu zerschneiden. Sebastian, während er malt, nach einer Weile triumphierend: ,,Also ich an deiner Stelle, würde heute noch aufräumen!" Denny (gelassen): "Das werd' ich wohl kaum schaffen!" Sebastian: "Dann machst du eben morgen weiter!" Denny schneidet weiterhin mit der Schere die Wachsmalstifte kaputt Sebastian verbietet es ihm, aber Denny lässt sich nicht stören.
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Klaudia wieder herein, sie weist Denny zurecht Kaudia:.Denny, willst du mich ärgern? Ich hab'gesagt, du sollst die Stifte aufheben!" Denny schweigt Dann sieht Klaudia. wie Denny mit der Schere die ~achsma~tifteze~chneidet
Klaudia:"Sag mal, ich schau mir das nicht mehr lange an. Hör sofort auf, die Stifte zu zerschneiden, sonst kriegst du mal für ein paar Tage Seherenverbotl" Denny legt die Schere weg. Was ist passiert? Denny hat einen Vulkan gemalt, von dem Sebastian sagt, dass er auch grün sein könnte. Es kommt deshalb zur Rauferei, die Schläge prasseln hin und her, bis Sebastian ein Waffenstillstandsangebot macht. "Wenn Du aufhörst, hör ich auch auf." Dann herrscht ein aufs Äußerste gespannter Zustand, fast ein kalter Krieg. Denny überführt seine faktischen Schläge in expressive Manöver seiner Macht (er wirft einige der Malstifte auf den Boden, andere zerschneidet er mit der Schere). Sebastian, der sonst Gemeinsamkeit mit Denny und den anderen Jungen gerade dadurch herstellt, dass sie die Kindergartenregeln missachten, wechselt jetzt auf die andere Seite. Er versucht auf das Geschehen Einfluss zu gewinnen, indem er mit Sanktionen droht, wenn Denny die Stifte nicht sofort hinlegt. Er rennt hinaus zur Erzieherin und petzt. Aber die Erzieherin kommt gar nicht, und als sie schließlich doch kommt, zeigt sie kein Interesse daran, den Streit zu schlichten, so dass die Jungen sehr lange in diesem Krieg ausharren. Auch hier fällt im Handeln der Erzieherin jener Typ einer organisatorischen Entscheidung, welche einer Handlungsrationalität folgt, die der Kontrolle und Regulierung des Geschehens gilt. Sie hält die Kinder weiterhin in Schach, denn sie können dem strategischen Kalkül von Taktik und Gegentaktik nicht entrinnen. Es geht hier also um die Überführung einer Regulationsmacht in die Sozialität der Kinder. Sie installiert sich zwischen den Kindern als Subjekten und ihre Wirksamkeit entfaltet sich dadurch, dass diese sich nun als Teilnehmer von Situationen begreifen lernen, die sie nur dadurch beeinflussen können, dass sie sich selbst instrumentalisieren. Es handelt sich um jene Haltung gegenüber sich selbst, die man in der Verknüpfung mit .Regferungszlelen" mit Foucault als Gouvernementalität des Kindergartens bezeichnen könnte. Man muss nun aber am Ende den Kontrast zwischen repräsentativen und abseitigen Orten noch einmal relativieren. Die Unterscheidung war dazu geeignet zu zeigen, dass dem, was die Erwachsenen als Eigenständigkeit
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der Kinder in der Organisation des Kindergartens voraussetzen, der Faktor Macht nicht äußerlich, sondern ein konstituierendes Moment des Geschehens selbst ist. Das ist natürlich nicht nur dann der Fall, wenn durch brachiale Gewalt oder kalten Krieg Ordnungen an abgeschlossenen Orten hergestellt werden, sondern ebenso in den symbolischen und habituellen Kämpfen gleich neben den Erzieherinnen.
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Qualitätspraktiken als Transformatoren von Akteurverhältnissen (Ergebnisse 2)
Die folgenden Beiträge untersuchen, wie Qualitätserwartungen im Kindergarten aufgegriffen werden und zur lnstitutionalisierung spezifischer Handlungsmuster führen. Als Praktiken bestimmen diese die Interaktionen unterschiedlicher Akteurgruppen und transformieren im Zuge ihrer Verstetigung das Geschehen, innerhalb dessen Kinder, Erzieherinnen und anderes pädagogisches Personal aufeinander bezogen sind. Als Routinen strukturieren sie die Situationen und die Art der Begegnungen von Kindern und Erwachsenen. Die ethnografischen Schilderungen dokumentieren die Richtung dieses Gestaltwandels als eine Transformation der Perspektivität zwischen Kindern und Erwachsenen, die sich in den alltagsweltlichen und professionalisierten Arrangements von Tageseinrichtungen für Kinder institutionalisieren. Schlüsselbegriffe, die die Beschreibung dieses Gestaltwandels kontextualisieren, sind die der Komplementarisierung von Akteurverhältnissen im Rahmen moderner Organisationstheorien, der Pädagogisierung der Kindheit (Aries 1975/2007) ebenso wie der Befriedung und Zivilisierung der Alltagswelt durch die Monopolisierung der Gewalt beim Staat (Elias 1976). Andere theoretische Kontexte, etwa der der Beschreibung der pädagogischen Wissensproduktionen über die Entwicklung bzw. die Bildungsprozesse der Kinder, sind insbesondere den diskurs- und machttheoretischen Studien Michel Foucaults zuzuordnen. Der Zusammenhang von Macht und Wissen, den Foucault in seinen frühen Werken (Foucault 1976; 1977) beschrieben hat und der etwa auch von [aques Donzelots in seiner historischer Studie "Die Ordnung der Familie" (Donzelot 1979) aufgegriffen wurde, bildet den Hintergrund dafür, die neuen Formen der pädagogischen Wissensproduktion über das Lernen der Kinder als ein vergesellschaftetes generationales Macht- bzw. Herrschaftsverhältnis zu lesen. Die einzelnen ethnografischen Vignetten haben die Funktion, die genannten Phänomene in der Mikrophysik alltagsweltlicher Begegnung aufzusuchen und die sich im Zuge gesellschaftlichen Wandels normalisierenden Routinen der gesellschaftlichen Reorganisation des Generationenverhältnisses einer kulturanalytischen Betrachtungsweise auszusetzen. Gerade weil der Qualitätsbegriff darin inhaltlich undefiniert bleibt, ist er dazu geeignet, den kontingenten Spielarten von Verbesserungspraxen die "Struktur des Wandels" in Kategorien der gesellschaftlichen Organisation des Generationenverhältnisses zu dekodieren.
P. Jung, Kindertageseinrichtungen zwischen pädagogischer Ordnung und den Ordnungen der Kinder, DOI 10.1007/978-3-531-91746-7_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009
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Selbstorganisation der Kinder (Die Magnettafel)40
In der Selbstdarstellung des Kindergartens S. stellt das Arbeiten mit einem gemeinsamen Konzept eine zentrale Dimension des Verbesserns dar. Dies entspricht auch einem allgemeinen Qualitätsurteil der Eltern, welche die fachlichen Fähigkeiten der Erzieherinnen insbesondere an der Teamqualität ablesen, welche ihrerseits damit in Zusammenhang gebracht wird, ob die Mitarbeiterinnen ihre tägliche Arbeit an einer gemeinsamen (schriftlichen) Konzeption ausrichten (vgl. Schreiber 2004: 55). Dieses generalisierte Urteil, demzufolge Kindergärten dann gut sind, wenn ihre Fachkräfte "gemeinsam an einem Strang ziehen", lässt sich als normativer Kontext rekonstruieren, vor dem die Übereinstimmungen der anfänglichen Darstellungen des Kindergartens vonseiten der Erzieherinnen die Arbeit am gemeinsamen Konzept betonen. Es geht gewissermaßen in die .Fremdenrepräsentanon" (Kalthoff 1997: 240ff.) ein, die sich in den anfänglichen Kontaktaufnahmen zwischen der Forscherin und den pädagogischen Fachkräften spiegelt So jedenfalls lässt sich die exakte Kongruenz der Informationen verstehen, die die Ethnografin in ihrer anfänglichen Vorstellungsrunde durch die drei Gruppen der Einrichtung von den Mitarbeiterinnen erhält Die Erzieherinnen akzentuieren alle, dass sie ihre Arbeit an einem gemeinsamen Konzept ausrichten, sie typisieren es als "Teiloffenen Kindergarten" und verweisen auf die methodische Verwirklichung des Konzeptes mit Hilfe einer Magnettafel. Wenngleich im Verlauf des Forschungsprozesses deutlich wurde, dass die pädagogischen Orientierungen der Erzieherinnen differierten und durchaus unterschiedliche Kräfte wirksam waren, so folgte das interne Geschehen doch allmählich auch den Urteilen und gemeinsamen konzeptuellen Vereinbarungen. Die gemeinsame Richtung des Verbesserns ließ sich als eine zunehmende "Öffnungdes Kindergartens" beschreiben. Der Offene Kindergarten (Regel/Wieland 1993; Regel/Kühne 2001; BeekJBuckJRufenach 2001) hebt das eigeninitiave Tun der Kinder im Bildungsprozess hervor und zielt deshalb auf die Förderung der Eigenständigkeit des Kindes. Angesichts der Beschränktheit räumlicher und personaler Ressourcen hatte man sich im Kindergarten S. gleichsam als "Interimslösung" auf eine partielle Öffnung der Gruppen mit lokalen Animationsangeboten geeinigt
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Dieses Kapitel ist ein leicht überarbeiteter Ausschnitt aus Jung 2005.
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Im Zuge der "hybriden Teilnahme" (Amann/Hirschauer 1997) am alltäglichen Geschehen stellte sich die Verwirklichung des Konzeptes nun primär als eine Organisationsaufgabe dar. Wie sollte man die Kinder dazu bringen, nicht nur in ihren Gruppen zu spielen, sondern den ganzen Kindergarten zu entdecken, ohne durch den gesteigerten Transfer lediglich Unruhe und "Rennerei" zu erzeugen? Schließlich gruppieren sich 75 Kinder auf einer begrenzten Spielfläche von weniger als 200 m2 nicht gerade automatisch zu den erstrebten Spielarrangements und ihre Verteilung sollte doch mehr sein als ein rechnerisches Kalkül und eine bloße Zuweisung von Kindern zu Spielorten, gilt die Selbständigkeit des Kinder doch als unhintergehbares Merkmal pädagogischer Qualität. So erstaunt es nicht, dass die Erzieherinnen den zentralen Schlüssel für die Realisierung des gemeinsamen Konzeptes in der Handhabung einer Magnettafel fanden, durch welche der lokale Wechsel von Kindern in andere Gruppen kontrolliert werden kann. Organisatorisch gesehen ist sie es, die im Kindergarten S. den gleitenden Übergang schafft vom traditionellen Gruppenkonzeptt! zu einem Offenen Kindergarten, in dem prinzipiell der gesam te Raum allen Kindern zur selbst bestimmten Nutzung zur Verfügung steht und einen beträchtlichen Teil der Platzierungs- und Routierungspraktiken (Goffman 1982) der 75 kindlichen Akteure miteinander verbindet. Der gesamte Raum darf zwar nicht von allen gleichzeitig genutzt werden, aber immerhin sind es aus jeder Gruppe jeweils fünf, die in je eine der beiden anderen Gruppen wechseln dürfen und jeweils drei, die in der Turnhalle mit den bereit gelegten Elementen der Bewegungsbaustelle spielen dürfen. Hochgerechnet darf sich potentiell also knapp die Hälfte aller Kinder außerhalb der eigenen Gruppe aufhalten, Die Magnettafel stellt eine Art symbolische Verdopplung des Kindergartens dar, zumindest seiner Räume und Kinder, genauer: der Räume für Kinder und der Kinder selbst Als solche hängt sie als eine omnipräsente Verteilungsübersicht im Eingangsbereich aller Räume, in denen sich die Kinder während der Freispielphase aufhalten: den drei Gruppenräumen der "Bären", der "Mäuse" und der "Igel" sowie der Turnhalle. Sie funktioniert wie ein Gesellschaftsspiel, bei dem Figuren unter spezifischen Voraussetzungen in bestimmte Felder verschoben werden können, und setzt daher eine ge-
Das traditionelle Konzept fasst 25 Kinder und zwei Erzieherinnen in separierten Räumlichkeiten zu einer autonomen Einheit zusammen.
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naue Kenntnis der Operationsregeln voraus.v "Spieler" sind die Kinder, die Erzieherinnen haben die Aufgabe, das "richtige Spiel" zu kontrollieren. Als organisationsbezogene Praktik des Verbesserns bot sich die Magnettafel geradezu an, sie auf ihre konkreten Leistungen hin zu untersuchen. Wie würde die Praxis ihrer Nutzung dem Geschehen prinzipiell eine Verbesserung einschreiben und worin würde sich der Nutzen dieser Verbesserung im Sinne einer Qualifizierung des Kindergartens erweisen? Spielte die Magnettafel in den anfänglichen Darstellungen der Erzieherinnen gegenüber der Ethnografin eine herausragende Rolle, so fügten sich die flüchtigen Gesten des Verschiebens von Buttons so sehr in die Selbstverständlichkeiten und Routinen des Alltags, dass man ihrer in der Hauptsache erst gewahr wurde, wenn Erklärungsbedarf entstand. So waren es gerade die besonderen Fälle, an denen abgelesen werden konnte, was die Magnettafel normalerweise leisten soll.
Benutzungsregeln der Magnettafel: Jede der drei Gruppen ist als Feld auf der Magnettafel repräsentiert und durch ein Gruppensymbol gekennzeichnet: Eine Maus steht für die Mäuse, ein Igel für die Igelgruppe und ein Bär für die Bärengruppe. Daneben gibt es noch ein Feld für die Turnhalle. Das untere Drittel der Parzellen ist durch eine Querlinie abgetrennt, unter der sich die auf kleine runde Magnete aufgeklebten Symbole der Kinder befinden. Insgesamt gibt es 2S Buttons, auf denen sich die Fotos der Kinder der Gruppe befinden, in der die Magnettafel aufgehängt ist Außerdem befinden sich jeweils fünf Buttons für die Kinder der beiden anderen Gruppen auf dem Magnetfeld. Sie sind mit den entsprechenden Gruppensymbolen gekennzeichnet. Maximal dürfen jeweils fünf Kinder einer Gruppe in je eine andere Gruppe und je drei in die Turnhalle wechseln. Jedes Kind ist dafür verantwortlich, seinen Aufenthaltsort im Kindergarten an der Magnettafel zu markieren. Ein Kind, das morgens zur Gruppe kommt, schiebt seinen Button aus dem unteren Drittel der Magnettafel auf das Feld der Gruppe, zu der es gehört. Es muss sich immer zunächst in seiner Gruppe anmelden, um in eine andere Gruppe zu wechseln. Möchte es dies, dann muss es sich in der eigenen Gruppe abmelden, indem es seinen Button auf das Feld der Zielgruppe schiebt. Befinden sich dort bereits fünf Buttons der eigenen Gruppe, so ist ein Wechsel nicht erlaubt. Befinden sich in der anderen Gruppe erst drei Buttons der eigenen Gruppe, so steht einem Wechsel nichts entgegen. Betritt ein ..fremdes" Kind, das sich in seiner eigenen Gruppe in der beschriebenen Art "abgemeldet" hat, den Raum einer anderen Gruppe, so markiert es auch dort seinen Aufenthalt in dem dafür vorgesehenen Feld der Magnettafel. In der Bärengruppe beispielsweise können sich neben den Buttons der Bären maximal fünf Igel und fünf Mäuse im Feld der Bären befinden. Eine Erzieherin kann nun mit einem Blick die Verteilung der Kinder erkennen. Sie weiß, welche Kinder ihrer Gruppe anwesend sind und welche davon sich in einer andern Gruppe befinden. Sie ist über den genauen Aufenthalt ..ihrer" Kinder informiert und erkennt an der Magnettafel sofort, ob ..ihre" Gruppe von Kindern anderer Gruppen übervölkert ist - vorausgesetzt, alle haben ihren Aufenthalt richtig markiert. 42
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Igelgruppe Mara mit einigen Kindern an der MagnettafeJ. Sie erklärt ihnen: "Um 10.30 Uhr dürft ihr gehen ." Sie zeigt ihnen an der darüber hängenden Uhr. wo dann der Zeiger steht Die Kinder dürfen aber jetzt schon ihre Buttons verschieben.
Die Ordnung der Magnettafel ist, wie aus der geschilderten Episode hervorgeht, nicht nur eine Ordnung des Raumes, sondern auch eine Ordnung der Zeit Bestimmte Perioden, diejenigen z.B., in denen die Turnhalle anderweitig genutzt wird, sind aus den üblichen Nutzungspraktiken des Raumes ausgenommen. Das muss gesondert erklärt werden. Die Erklärung verweist aber auf eine grundsätzliche, wenn auch noch mit Hilfe zu bewältigende Aufgabe, die sich den Kindern angesichts der Öffnung des Kindergartens dringlicher stellt als zuvor: die Verschränkung ihres Tuns mit den Koordinaten von Raum und Zeit. Die Handhabung der Magnettafel fördert nun gerade jene Eigenschaften zutage, derer es bedarf, um diese Verschränkung zu leisten. Einer der häufigsten Anlässe für Interventionen ist schlichtweg das Vergessen, dass man als Kind seinen Aufenthaltsort im Kindergarten markieren muss: Bärengruppe DreiJungen kommen von draußen in den Raum und gehen nach hinten in die Räuberhöhle. Anna (Erzieherin) erinnert sie an die MagnettafeJ. Einer der drei Jungen kommt zurück und schiebt drei Foto-Buttons aus dem Bereich der Mäusegruppe zurück ins Feld der Bären. Dann folgt er den beiden anderen in die Räuberhöhle. Kurze Zeit später kommt Denny herein. Auch er will in die Räuberhöhle und wird von Anna an das Magnetbrett erinnert Wie die anderen heftet er seinen Button ins Feld der Bärengruppe. Dann geht er nach hinten.
Die Sanktion der Erzieherin verweist auf das, was die Kinder normalerweise ohne sie leisten sollen, nämlich in ein disziplinierendes Verhältnis gegenüber sich selbst zu treten und spontane Handlungsimpulse so zu kontrollieren, dass sie mit den bestehenden Regeln für den Ortswechsel nicht kollidieren. Diese Grundoperation lässt sich als eine durch die Existenz der Magnettafel stets präsente Aufgabe der Kinder fassen. Natürlich können nicht alle Kinder gleichermaßen diese in den Alltagsvollzügen .verselbstverständltchten" Erwartungen erfüllen. Dies wird aber nicht unbedingt zu einem Problem, denn man muss von der Möglichkeit des
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Wechsels ja keinen Gebrauch machen - ist die Erkundung anderer Kindergartengruppen doch keine Pflichtaufgabe, sondern lediglich eine Möglichkeit, eine Möglichkeit allerdings, die größere persönliche Freiheitsgrade an gesteigerte Risiken bindet So sind beispielsweise die ganz kleinen, erst neu in den Kindergarten Aufgenommenen, an der Möglichkeit, auch die anderen Räume des Kindergartens zu erkunden, wenig interessiert und bleiben lieber in der vertrauten Umgebung der Gruppe. Auch die morgendliche Präsenzmeldung an der Magnettafel wird bei ihnen noch häufig von denen übernommen, die sie in den Kindergarten bringen, überwiegend also von Mamas, Papas, Omas und Opas oder auch von den Erzieherinnen. Gerade die mit einem Gruppenwechsel verbundenen Schwierigkeiten schreiben dem sozialen Geschehen unter den Kindern spezifische Aufgaben der Selbstorganisation ein. So ist beispielsweise zu beobachten, dass die Kinder selten alleine in eine andere Gruppe wechseln, wohingegen die Erkundung gruppenexterner Kindergarten-Orte mit einem Freund oder in einer Gruppe eine attraktive Gelegenheit bietet, sich im Schutz der vertrauten Spielkameraden neue Handlungsorte und -möglichkeiten zu erschließen. Es mag deshalb gar nicht verwundern, dass es, wie im Fall von [an -Oltver und Kai, häufig die Gleichen sind, die von der Öffnung des Kindergartens Gebrauch machen. Für die beiden Jungen der Mäusegruppe ist der regelmäßige Besuch der benachbarten "Bärengruppe" zu einer wiederkehrenden Routine geworden. In der "fremden" Gruppe lassen sie sich meist auf die Dinge ein, die dort in Gang sind, beteiligen sich an den Spielen und anderen Aktivitäten der Kinder, bleiben aber stets miteinander in Kontakt und kehren auch gemeinsam wieder in ihre Gruppe zurück. Betrachtet man die Routine der beiden Jungen als eine gelungene Verwirklichung der Möglichkeiten, die ein "geöffneter" Kindergarten bietet, dann wird zugleich auch der instrumentelle Nutzen von Spielkameraden erkennbar. Prägt sich dieser Zusammenhang als eine Logik des Geschehens ein, dann lässt er sich als eine in die Raumnutzungsregeln des Offenen Kindergartens eingeschriebene Aufgabe interpretieren. Freiheitsgrade wachsen in dem Maße, in dem es Kindern gelingt, sich selbst zu organisieren. Diese Selbstorganisation gelingt in einem sehr ausgeprägten Maße unter den türkischen Kindern. Auch unabhängig von der Magnettafel pflegen sie in intensiver Weise ihre Zusammengehörigkeit, meist spielen sie miteinander, sprechen untereinander türkisch und bilden einen eigenen "Clan" innerhalb des Kindergartens. Dies ist auch so, obwohl sie auf die einzelnen Gruppen verteilt sind [jeweils zwischen drei und fünf Kinder). Die Öffnung der Gruppen gibt ihnen die Möglichkeit, nicht erst abwarten zu müssen, bis 202
sie am späten Vormittag auf dem Freigelände zusammenkommen. Fast allmorgendlich besuchen sie sich wechselseitig. Wenn sie Glück haben und die Magnettafel zeigt an, dass noch alle Kinder in ihren Stammgruppen sind, können sie sich alle in einer einzigen Gruppe treffen. Bisweilen sind es aber derer zu viele, die gleichzeitig wechseln wollen, da das Kontingent derjenigen, die wechseln dürfen, erschöpft ist. Folgendes Szenario lässt die Probleme hervortreten, die dann gelöst werden müssen: Igelgruppe Mara (Erzieherin) mit einigen Kindern am Maltisch. andere Kinder sind in den Spielbereichen verstreut Karin (Kollegin aus der Nachbargruppe) betritt den Raum. "Unten" seien zu viele Kinder, sagt sie zu ihrer Kollegin. Mara weist auf die Magnettafel und protestiert Es seien nur drei Kinder in der Bärengruppe, es dürften aber insgesamt fünf sein. Karin meint mit "unten" aber nicht die Biirenqruppe, sondern die Turnhalle. Mara kontrolliert das Feld der Turnhalle, aber es finden sich keine Eintraqunqsfehler. .Alles korrekt': sagt sie,"Ti/ ist in der Turnhalle und Sven." Karin zieht fragend die Schultern hoch und verlässt den Raum. Dann geht auch Mara hinaus. Einige Minuten später: Herein strömen Thorsten, Kai, Ti/ und Sven. Sie bleiben an der Magnettafel stehen. Auch Mara kommt dazu (barsch): "Wer war denn hier dran?" Ohne abzuwarten spricht sie weiter: "Erstens dürfen nur drei in die Turnhalle!" Kai entgegnet: "Wir haben aber den ganzen Morgen schon miteinander gespielt, wir wollten zusammen in die Turnhalle!" Mara (laut): "Das ist egal, es dürfen nur drei aufeinmal in die Turnhalle. Ihr müsst euch eben einigen." Thorsten (dazwischenrufend): "Manchmal sind es fiinfl" Mara (aufgebracht): "Es dürfen nur drei hinein. Ich darfeuch nichts anderes sagen. Es dürfen nur drei hinein."
Schafft die Magnettafel prinzipiell die Möglichkeit, sich in eigener Initiative mit anderen Kindern zusammenzutun, und zwar über die Grenzen der eigenen Gruppe hinweg, so verdeutlicht die protokollierte Situation, dass ihre Logik zugleich auch von den Kindern fordert, sich entsprechend des offenen Kontingentes so zu gruppieren, dass die Regeln nicht verletzt werden. Thorsten, Til, Kai und Sven haben, bevor sie wechselten, miteinander gespielt und wollten nun auch gemeinsam in die Turnhalle. Bedeutet im Verständnis der Erzieherin, dass Kinder sich einigen müssen, wer mit wem eine andere Gruppe oder die Turnhalle aufsuchen darf, so müssen auf der Seite der Kinder Entscheidungen für oder gegen andere gefällt werden. Gruppie203
rung, Freundschaftsbildung, verlässliche Spielpartner finden ist auch an die Kriterien der Magnettafel gebunden, die der Sozialität der Kinder die schwierige Aufgabe einschreibt, zu verhandeln, wer mitkommt und wer in der Gruppe bleibt. Diese Aufgabe "eigenständig" zu lösen, heißt, mit den Erwachsenen nicht in Konflikt zu geraten. Die oben protokollierte Sequenz war jedoch noch nicht zu Ende und verdeutlicht in ihrem Fortgang eine weitere implizite Aufgabe, die die Nutzung der Magnettafel mit sich bringt. ... Nach einiger Zeit betritt Karin wieder den Raum und wendet sich an Mara Karin: "Mara, ich musste Ron aus der Kuschelecke herausholen, weil er dort mitAbsicht etwas vom Regal geworfen hat" {Pause} Mara: "Dann schick ihn gerade mal rüberl" Karin: "Ich hab ihn nur aus der Kuschelecke herausgeholt- jetzt will er nicht mehr bleiben. Aber er darf bei uns bleiben, er will nur nicht mehr!" Mara: "Er soll ruhig kommen!" Karin: "Ich wollt nur sagen, dass er von uns aus bleiben darf."
Zwischen Ron, einem verhaltensauffälligen Kind, und den anderen Kindern kommt es oft zu Streitigkeiten. Er gebraucht regelmäßig Gewalt, wenn er mit anderen Kindern einen Konflikt austrägt. Dann müssen die Erzieherinnen, wenn sie ihn wegen seiner aggressiven Zugriffe rügen oder ihn eine Weile aus dem Geschehen herausnehmen, manchmal längere schmachvolle Beschimpfungen hinnehmen. Es versteht sich von selbst, dass Ron einer besonderen Betreuung bedarf. Man kann ihn nicht einfach mal mit anderen Kindern alleine lassen. Im Gruppenkonzept werden Kinder, für die eine besondere Betreuung erforderlich ist, unter den Gruppen "gerecht" verteilt, die Öffnung der Gruppen und die Regeln der Magnettafel machen aber alle Kinder zu gleichen Kindern. Im Extremfall ergeben sich daraus aber nicht zu bewältigende Arbeitssituationen. Die Bärengruppe, welche neben dem üblichen Gruppendienst viele Verwaltungsaufgaben übernommen hat, lehnt es beispielsweise ab, Ron zu betreuen, die Mäusegruppe nimmt ihn prinzipiell auf, er muss sich allerdings an die Regeln halten. Ungeachtet seiner kontingenten Bearbeitung entfaltet dieser Sonderfall die Logik der Magnettafel als eine Grammatik, die von der Gleichheit der Kinder ausgeht und die Fähigkeit, sich flexibel auf die Strukturierungen unvertrauter Situationen einzulassen, voraussetzt. Aus dieser Gesetzmäßigkeit des Alltags resultieren dann
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Maßstäbe für ein Verständnis von Normalität. Die Magnettafel macht diese Maßstäbe erfahrbar. Die Figuren auf den Magnettafelfeldern symbolisieren zwar eine prinzipielle Gleichheit der "Spieler", Kinder wie Ron erleben allerdings, dass sie das Verrücken ihres Buttons gerade nicht dazu berechtigt, den Aufenthaltsort in der gewünschten Art zu wählen. So erzeugt die Vollzugslogik der Magnettafel Differenzerfahrungen, die ihrerseits Anlässe stiften für Selbstdeutungen, welche jenseits aller erzieherischen Bemühungen die Unterscheidung zwischen selbständigen und unselbständigen Kindern hervorbringen. Diese Logik der unterstellten Gleichheit der Kinder verschafft sich umso dringlicher Geltung, als die Magnettafel nicht nur einen zeitökonomischen Verteilungsmechanismus von Kindern bereitstellt, sondern angesichts der organisatorischen Umstellung auf einen "geöffneten" Kindergarten zugleich auch einen Schlüssel für die gerechte Arbeitsverteilung unter den Erzieherinnen. In der geschilderten Situation sucht Karin ihre Kollegin mehrmals auf, um drohenden Missverständnissen und Konflikten zuvorzukommen und ihre Kooperationsbereitschaft zu beteuern. Diese Aushandlungspraxen werden durch die Normierung der Magnettafel im Normalfall vermieden, da die Vergesellschaftung der Aufenthaltsregeln in den Nutzungspraktiken der Magnettafel die Kämpfe um eine gerechte Aufteilung der Arbeitsbelastung befriedet. Dies gilt aber nur dann, wenn die Kinder hinsichtlich des für sie erforderlichen Betreuungsaufwandes vergleichbar sind. Diese organisatorisch unterstellte Gleichheit lässt die Unterschiedlichkeit der Kinder umso vehementer hervortreten.
5.2
Pädagogisierung der materialen Umwelt (Der Holzzug)
Anlass erheblicher Transaktionen im Kontext einer neuen Justierung des Verhältnisses zwischen dem einzelnen Kindergarten(standort) und seinem Träger, der sich durch die Reform der Strukturierung nun anders als früher als ein fachlicher Träger versteht, ist die Anschaffung, Instandhaltung und Finanzierung von Spielgeräten und Materialien. Angesichts ohnehin beschränkter Mittel muss nun in besonderem Maße mit dem Träger abgeklärt werden, warum die Neuanschaffung von Gegenständen und Materialien aus fachlicher, d.h. pädagogischer Perspektive gerechtfertigt ist. Im Zentrum der Ereignisse, deren Bezogenheit auf Maßstäbe pädagogischer Qualität im Folgenden dargestellt wird, steht ein großer Holzzug, der den Kindern als Spielgerät auf dem Freigelände dient. Als Spende eines ört205
liehen Unternehmens gehört er schon seit langem zum Inventar des Kindergartens und wanderte gemeinsam mit der übrigen Kindergartenausstattung vom ehemaligen in das von der Stadt zu Verfügung gestellte neue Kindergartengebäude und befindet sich dort im Zentrum des abschüssigen Freigeländes. Der Zug besteht aus einer etwa zwei Meter langen Lok mit einer kleinen Stehfläche und einer kleinen Sitzbank für das .Lokführerteam" sowie einem etwas längeren "angehängten" überdachten, rundum aber offenen Personenabteil, das entlang beider Längsseiten ebenfalls über kleine Bänkchen für die "Fahrgäste" verfügt. Anders als die anderen Spielgeräte des Freigeländes (Schaukel, Wipppferdchen, Sandspielkästen mit Eimerehen und Förmchen), die den Spielmaterialien im Haus überwiegend die Möglichkeit der Bewegung entgegensetzen, kann die pädagogische Bedeutung der Eisenbahn allenfalls in ihrem Anregungspotential für Rollenspiele betrachtet werden. Es kommt vor, dass Kinder dort Eisenbahn spielen, indem sie etwa an die aus dem Sitzkreis bekannten Eisenbahnlieder (Tuk, tuk, tuk die Eisenbahn, wer will mit nach XY fahren, ...) anknüpfen und die Liste der ihnen bekannten Städte oder Ländernamen in den wiederkehrenden Strophen des Kinderliedes abarbeiten oder indem sie die Handlungen von Lokführer oder Fahrkartenkontrolleur mimetisch zur Darstellung bringen; manchmal benutzen sie den Zug auch als Klettergerüst oder ganz einfach, um herunterzuspringen, sich dort zu treffen, zusammenzusitzen oder sich etwas mitzuteilen. Insgesamt wird er jedoch als spezifisches Spielgerät weit weniger benutzt als beispielsweise die Recks, Schaukeln oder Wipppferdehen oder die Sandkästen. Die Existenz des Holzzuges war durch die Expertise des Sicherheitsbeauftragten infrage gestellt worden, da durch den jahrelangen Gebrauch die Sicherheitsstandards nicht mehr erfüllt waren. Deshalb war nun der Träger angefragt, die entsprechenden Reparaturen zu finanzieren. Szenario der Aushandlung war eine Sitzung des Vorschulausschusses, bei der die Gesamtleiterin, die sich als Befürworterin der Trägerreform von dieser eine fachliche Qualifizierung der Kindergärten versprach, aufgefordert war, dazu Stellung zu nehmen. Nicht unerheblich für das Verständnis des Szenarios war seine Überlagerung mit verschiedenen anderen Bedeutungskontexten. Zum einen war es beispielsweise das prinzipielle Interesse des Trägers, vertreten durch die Gesamtleiterin, dem Urteil der Eltern mehr Bedeutung beizumessen, sie insgesamt mehr in die Arbeit des Kindergartens einzubeziehen und dies auch aktiv von den Fachkräften des Kindergartens zu fordern ("Ihr müsst die Eltern mehr einbeziehen!"). Auch die im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung erfolgten Befragungen der Eltern standen im Horizont dieser generellen Forderung. Zum anderen 206
war aber das tatsächliche Verhältnis der Eltern zum Träger und der sich vollziehenden Strukturreform, zumindest so wie es in seiner politischen Artikulation durch die Vertreter der Eltern im Vorschulausschuss und deren rückwirkende Formierung auf die Elternschaft zum Ausdruck kam, keineswegs unproblematisch. So war der Ethnografin von der Standortleiterin berichtet worden, dass die Eltern geschlossen den sog. "Träger-StrukturErlebnis-Tag"43 boykottiert hätten. Ihrer Darstellung nach würden die Eltern keineswegs zwangsläufig eine Verbesserung des Kindergartens mit der Verwirklichung der neuen Trägerstruktur verbinden. Gemäß der Darstellung der Mitarbeiterinnen befürchteten sie sogar stärkere finanzielle Einsparungen, auch an Personal, und setzten sich gemeinsam mit den Erziehe rinnen für die Besetzung zweier vakant gewordener Stellen ein, generell aber auch für neue Einrichtungs- und Ausstattungsgegenstände. Dies umso mehr, als der Kindergarten selbst nur über geringe Mittel verfügte und gezwungen war, den Eltern zusätzlich anfallende Kosten als Aufschlag der Kindergartengebühr in Rechnung zu stellen. Angesichts der generellen Aufwertung der Eltern ließen sich die Kämpfe zwischen Einrichtung und Träger als Kämpfe um die Gunst der Eltern rekonstruieren, dessen diskursiver Schauplatz der Vorschulausschuss war. In diesem Szenario war während einer Sitzung als letztem Tagesordnungspunkt mit dem Titel "Diverses" und dort im Rahmen der speziellen Thematik .Ausstattung des Freigeländes mit Spielger äten" nun erstens die generelle Problematik der "Sparpolitik des Trägers" und zweitens "die Reparatur des Holzzuges" zum Kern der Auseinandersetzung geworden. Die Gesamtleiterin erklärte den Anwesenden, dass es dem Träger natürlich darum gehe zu sparen, das heiße aber nicht, dass sinnvolle Dinge nicht angeschafft werden sollten. Es gehe um die effiziente Nutzung von Geldern, um den tatsächlichen Gewinn zu steigern, der durch eine Anschaffung für die Qualifizierung des Kindergartens erreicht würde. Bezogen auf den Holzzug pointierte sie ihre Bedenken mit einer gestisch und verbal vorgetragenen Ratlosigkeit: "Ja wozu ist denn so ein Zug für Kinder gut? Wie trägt denn ein solcher Zug zur Entwicklung des Kindes bei?". Diese gleichsam als "pädagogisches" Argument in den Raum geworfene Frage, welche Aufschluss gab über die Legitimität des Erwerbs von Ausstattungsgegenständen, wurde von den Anwesenden nicht erwidert
Dazu hatte der Träger die Eltern aller Modelleinrichtungen, die an der Strukturrefonn beteiligt waren, eingeladen, um ihnen Gelegenheit zu geben, Stellungnahmen darüber abzugeben, wie sie als Eltern die Strukturrefonn erleben.
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Blieb die Frage in der geschilderten Situation unbeantwortet und konn ten die Stränge ihrer diskursiven und einrichtungspolitischen Weiterbearbeitung ethnografisch nicht mehr fokussiert werden, so war doch die Frage danach aufgeworfen, wie eine entwicklungspsychologisch legitimierte Ausstattung des Kindergartens das Geschehen verändert und, bezogen auf die konkrete Anfrage nach der Reparatur des Holzzuges, wie dessen Existenz oder Abschaffung die Erfahrungsmöglichkeiten des Freigeländes für Kinder verändert. Also zurück zum Freispielgelände und der Frage, was sich ändert, wenn es den Zug nicht mehr gibt. Im Normalfall wird ein Besucher des Kindergartens während der Spielzeit im Freigelände etwa folgendes Szenario vorfinden. Über den Abhang verteilen sich ungefähr 75 Kinder, die sich insbesondere an den Spielgerä ten sammeln: vor allem den beiden Sandkästen, in denen mit Eimerchen, Förmchen, und Schippchen gespielt wird, dem weiter oben am Hang gruppierten Reck mit Schaukeln, dem Wipppferdchen und auch dem Holzzug. Weiter oben im Gelände befindet sich noch ein Holzschuppen, in dem kleine Plastik-Schubkarren und Sandspielgeräte deponiert sind. Dort versammeln sich häufig einige Kinder und rutschen einen kleinen, direkt vom oberen Nachbargrundstück ausgehenden Hang auf dem Hosenboden hinunter. Das Treiben, das zwar überwiegend an den Spielgeräten, aber auch als Laufspiele zwischen diesen spezifischen Bereichen stattfindet, wird meist von zwei bis drei, manchmal auch mehr Erzieherinnen beaufsichtigt. In ihrer Aufsichtsfunktion positionieren sie sich eher am Rande des Geländes und meist an unterschiedlichen Orten, es kommt auch vor, dass man zu informellen Gesprächen auch mal beisammensteht. Hervorstechendes Merkmal ist jedoch, dass Erzieherinnen und Kinder überwiegend lokal getrennt positioniert sind. Erzieherinnen beaufsichtigen das Geschehen und nutzen nicht selten dazu Orte, von denen aus das Gelände überschaubar ist - ein Muster, das dem des Freispiels innerhalb der Einrichtung entspricht. An heißen Sommertagen wird diese "normale" Positionierung von Kindern und Erzieherinnen während des Spiels im Freigelände allerdings bisweilen unterbrochen. Angesichts der Hitze, bei der die Aufsicht zu einer strapaziösen Angelegenheit wird, bietet der Innenraum des Zuges den Erzieherinnen dann hin und wieder einen Sitzplatz im Schatten. Haben aber erst einmal Erwachsene dort Platz genommen, dann verwandelt sich der Personenzug zu einem Ort, an dem die übliche komplementäre Formierung aufgehoben wird und sich Kinder und Erwachsene regelrecht "vermischen".
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Freigelände (Die Kinder aller Gruppen sind draußen, einige, aber noch wenige Eltern kommen bereits, um ihre Kinder abzuholen. Die Stimmen klingen ausgelassen, der Hang in der Sonne, viele Kinder auf dem Gelände, Grüppchen von Menschen - Kindern und Erwachsenen - auf der grünen Fläche.) Auch oben am Holzzug hat sich eine Gruppe zusammengefunden: Karo (Erzieherin), Lena Born (Mitarbeiterin der Arbeitsstelle für Integration) und einige Kinder. Sie sitzen auf den Längsbänken entlang dem Innenraum des Zuganhängers. Als ich zu ihnen herankomme, weisen sie mir das noch freie Bänkchen in der Lok zu. Während wir gemeinsam in der Sonne sitzen, geschieht vieles zur gleichen Zeit Wir Erwachsenen tauschen uns aus über Geschehnisse in der Einrichtung, aber die Kinder sind nicht ausgeschlossen. Mit uns aufder Bank hockend halten sie untereinander Kontakt, aber sie beziehen sich auch aufuns und wir uns aufsie, bisweilen beteiligen wir uns an ihren Spielen, bisweilen lauschen sie unseren Gesprächen und schalten sich auch in diese ein. Lena Born spielt mit einem kleinen jungen ein Klatschspiel oder vor mir auf dem Bug der Lokomotive sitzt Dilara, ein türkisches Mädchen, mit ihrer neuen Brille. Sie plappert wieder Lautfolqen, die an die deutsche Sprache erinnern, aber insgesamt keinen Sinn ergeben. Trotzdem weiß ich genau, an welcher Stelle ich nicken oder zurückfragen oder lachen muss. Während einer anderen Situation, in welcher mir Karo (Erzieherin) erzählt, wie sie die Vorschulausschuss-Sitzung erlebt hat, bemerke ich neben mir unter der Bank einen kleinen jungen. Er hat sich da hineingekauert und ganz offensichtlich die ganze Zeit aufmerksam gelauscht, was wir Erwachsenen miteinander verhandelt haben. Ganz nebenbei klettern immer wieder Kinder zu mir hoch in den Innenraum der Lok Mein im Sitzen angewinkeltes Knie dient ihnen als selbstverständlicher Halt, eine Art Geländer, an dem sie herauf steigen können.
Anders als während der üblichen Sozialformen, die das Tun von Kindern und Erzieherinnen im Hinblick auf die Strukturierung der Situation komp lementär ordnen, eröffnen Szenarien wie das innerhalb des Holzzuges Gelegenheiten für reziproke Begegnungen zwischen Kindern und Erwachsenen, die auch ihre Körper in ihrem Verhältnis zueinander einschließen. Der informelle Austausch der Erwachsenen untereinander, ihre im Hinblick auf das Tun der Kinder absichtslose Kommunikation stellt ein "unpädagogisches" Setting dar (d.h. es lässt sich nicht als "pädagogisch" etikettieren), welches sich den Kindern einerseits als "ungewöhnlicher Gegenstand der Erkun-
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dung" und zugleich als Möglichkeit einer selbst definierten Teilhabe darstellt - gerade weil hier die Logik des Tuns nicht dem Wissen der Erwachsenen über das Kind und den damit kalkulierbaren (bzw. darstellbaren) Möglichkeiten seiner Entwicklung entspricht
5.3
Befriedung und Zivilisierung des Geschehens unter Kindern (Das Mandala)
Ein Phänomen, das einer kontinuierlichen Bewertung unterliegt, ist der Geräuschpegel im Kindergarten. Ruhe ist nicht lediglich eine Erleichterung für die Erwachsenen im Raum, sondern als Antonym von "Lärm" zugleich ein kulturelles Thema unter den Erzieherinnen. Man vergleicht insgeheim, in welcher der drei Kindergartengruppen es am lautesten ist und es bedarf plausibler Begründungen, wenn sich dieser Fall dauerhaft immer derselben Gruppe zuordnen lässt. Lärm in der Gruppe lässt sich noch entschuldigen durch die Betreuung verhaltensauffälliger Kinder. Aber schon das Argument, Rollenspiel unter Kindern sei naturgemäß etwas lauter, erweist sich spätestens dann als illegitim, wenn eine zweite Gruppe den Beweis erbringen kann, dass Rollenspiel auch leiser funktioniert Ruhe lässt sich nämlich herstellen, sie ist ein Ergebnis geschickter professioneller Organlsation.w Dies tritt auch in den Äußerungen von Eltern zutage, wenn sie etwa in einem Gespräch mit Erzieherinnen die Randbemerkung einfließen lassen, ihre kleine Tochter habe neulich wieder zu Hause berichtet, wie laut es im Kindergarten gewesen sei - so, als hätten nicht die Kinder den Lärm verursacht, sondern die Erzieherinnen ihn nicht verhindert Ruhe heißt nicht Stille. Es geht nicht darum, dass Kinder ständig schweigen sollen, es darf auch mal laut sein, man darf auch mal schreien. Mit anderen Feldbegriffen teilt Ruhe einen Bedeutungshof, der sich insgesamt als Beruhigung des Geschehens oder mit einem Begriff von Norbert Elias (Elias 1976) als "Befriedung des Alltages" fassen ließe. Dazu gehört, dass "die Rennerei im Haus aufhöH:', insbesondere zwischen den einzelnen Spielbereichen, dass sich die Kinder in den jeweiligen Spielbereichen mit etwas dauerhaft beschäftigen ("an was dran bleiben"), insbesondere aber, dass sie sich in den eigens für sie hergestellten Räumlichkeiten aufhalten ("es darf
Dieses Urteil entspricht den Ergebnissen der Eltern- und Erzieherinnenbefragung, die im Rahmen der Trierer Kindergartenstudie (Honig/JoDs/Schreiber 2004) durchgeführt wurde.
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nicht ständig raus und reinqehen"}, dort mit den bereitgelegten Materialien ,,schön spielen" und auf die Dinge und Räume "selbst aufpassen". Alles ver-
läuft geregelter und freundlicher, ja ästhetischer. An guten Tagen wirkt das Geschehen auf die Ethnografin etwa so: Es herrscht eine sehr angenehme Lautstärke. Man merkt, dass wohl schon einige Kinder da sind, aber die A~ wie sie sich unterhalten, wirkt entspannt, angenehm. Es ist hier auch keine Rennerei mehr. Ich bestaune die "ordentliche" Parzellierung mit Hilfe der dunkelblauen schweren Vorhänge.
oder Bärengruppe: Während Klaudia (Erzieherin) an der Bauecke vorbei geht, ruft Sabine Dorn (Mitarbeiterin der Arbeitsstelle für Integration) zu ihr hinüber"Wie schön die Kinder heute alle spielen!" Auch Erzieherin Klaudia ist ganz begeistert [...] Es sind viele Kinder da und alle haben etwas zu tun, ohne sich zu ärgern, zu stören, herumzulaufen etc. Es herrscht - was die Geräuschkulisse anbelangt - eine Art Kaffeehausatmosphäre.
Die Beruhigung lässt sich in den disparaten Situationen auf je unterschiedliche Art und Weise herbeiführen. In der Bärengruppe müssen die Kinder häufig Mandalas malen, wenn es zu laut wird. Mandalas sind ihrer ursprünglichen Bedeutung nach Diagramme, die in östlichen Regionen (Zen-Buddhismus, Tantrismus) geistige Zusammenhänge versinnbildlichen und als Meditationshilfe eingesetzt werden. Im Kindergarten dienen die kreisförmigen Muster als Schablonen für Malübungen. Wenn sich die Kinder in das Ausmalen der Flächen eines Mandalas vertiefen, wird es zwangsläufig ruhiger im Raum, sodass der Einsatz der Mandalaübung eine instrumentelle Funktion bei der Beruhigung des Geschehens einnimmt Eine solche Situation wird im folgenden Protokoll aus der Binnenperspektive beschrieben. Die Ethnografin hatte in einem Fokussierungsprozess über einige Wochen hin das Geschehen am Maltisch beobachtet, wo regelmäßig einige der sog. "Schukis" (künftige Schulkinder) zusammenkamen. Der Maltisch war eine Art Treffpunkt, den sie im Laufe des Vormittags immer wieder aufsuchten und an dem sie sich auf gemeinsame Routinen, Fragen und Themen bezogen.
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Malraum Sebastian sitzt über einem Blatt und malt mit Wachsmalstiften Titanic. Ich komme dazu, hole mir wieder ein Blatt und male wieder Oase. Kurze Zeit später Ron. Einer sagt: "Eh, spielen wir wieder wie neulich?" Die Frage bleibt unbeantwortet Sebastian rattert wieder leise auf seinem Blatt wie ein Maschinengewehr und erklärt mir Episoden aus der Geschichte der Titanic, die er gerade malt Mit schnellen schwungvollen gleichartigen Bewegungen malt er mit Wachsmalkreide das Wasser, das, wie er sagt "durch die Schotten schießt" . Ron, der auf der anderen Seite des Tisches, also ihm gegenüber, sitzt, sagt, er male meinen Busen. Ich halte es für eine Provokation und frage, ob er mich hier vertreiben will. Sebastian sagt, dass er wolle, dass ich bleibe. Dann entschließt sich Ron, meinen Kopf zu malen. Denis und Tim kommen dazu, Ron sagt, dass er meinen Kopf male, Denis und Tim tun das dann auch. Rons Portrait ist nicht gerade eine gelungene Abbildung meines Kopfes. Er zeigt ihn mir und den anderen, er lacht, es wird gelacht und dann überbieten sich die drei Jungen im Zeigen der nicht gerade gelungenen Köpfe. Sie sind ausgelassen, eigentlich ist mir zum Mitlachen. aber angesichts des wachsenden Geräuschpegels und der ausgelassenen Stimmung werfen die Erzieherinnen draußen schon beunruhigte Blicke in den Raum. Tatsächlich erscheint auch gleich darauf Erzieherin Anna. Mit einer resoluten Stimme gibt sie bekannt: "Dann malen wir eben mal wieder Mandalas." Sie schickt Denis nach draußen, um die Vordrucke zu holen, während sie das Schälchen mit den Buntstiften zu sich herbeischiebt und beginnt, die Stifte zu spitzen. Der Erfolg ist einschlagend: Innerhalb kürzester Zeit sitzen Denis, Tim und Ron vor den Mandala-Vordrucken und alle malen die vorgegebenen, z. T. recht schmalen Flächen zwischen den Begrenzungslinien ihrer Mandalas aus. Die Kinder konzentrieren sich darauf, nicht über die Linien zu kommen, sodass es sehr schnell sehr still wird im Raum. Man hört nur noch Sebastians Zischen und Rattern. Erzieherin Anno stört ihn, er soll auch ein Mandala malen, aber er sagt "nein': drosselt die Lautstärke seiner Malbegleitgeräusche und fährt unbehelligt mit seiner"Titanic" fort Ich beobachte, wie aufseinem Blatt das "blaue" Wasser in die Innenräume des Schiffes schießt Ansonsten hört man nur das Spitzen der Holzstif te durch Erzieherin Anna und einen ganz leisen, sehr beruhigenden Singsang: Es ist Tim, der - sein Mandala bemalend - die orientalisch klingenden Töne leise summend hervorbringt Nach einer ganzen Weile, die so dahinstreicht. sagt Denis:"So, das Gänseblümchen ist fertig." In der Tat: Auf seinem Blatt, zwischen den strahlenförmigen Ornamenten seiner
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Mandala-Rosette, hat Denis ein an ein Gänseblümchen erinnerndes Muster sauber ausgemalt Während er ganz zufrieden damit zu sein scheint, höre ich im Hintergrund auch wieder Sebastians Zischen und Rattern. Erzieherin Anna, die schräg hinter ihm steht, schaut mit viel sagendem Blick, immer wieder gestisch auf Sebastian hinweisend, zu mir herüber. (Neulich berichtete sie mir aus einer pädagogisch sehr besorgten Haltung von Sebastian. Ich erinnere mich an ihren anspielungsreichen Blick und die Bemerkung, dass er ein "sehr interessanter Junge" sei} Dann nimmt Sebastian seine Mütze ab (er trägt heute eine Schirmmütze] und sagt: "Öhh, hat jemand schon gesehen, dass ich meine Haare geschnitten hab?" Er wendet sich vor allem zu Erzieherin Anna hin, aber diese schaut nicht Keiner nimmt Notiz von ihm und meine Beachtung interessiert ihn scheinbar jetzt nicht, denn - völlig anders als sonst - ignoriert er meine neugierigen Blicke und meine gestische Hinwendung bleibt nachhaltig unbeantwortet Mir kommt es vor, als herrsche eine völlig andere Doxa als sonst - seit der Anwesenheit von Erzieherin Anna.
Die Analyse der Situation Genau besehen handelt es sich um zwei Situationen. Eine Situation vor Eintritt der Erzieherin und eine Situation nach dem Eintritt der Erzieherin. Sie lassen sich dadurch voneinander unterscheiden, dass die erste sehr viel mehr Flexibilität bezüglich ihrer Definition aufweist Die Personen definieren, wozu sie den Raum nutzen, sie definieren ihre Handlungen (im Rahmen des Erlaubten) selbst, d.h., sie wählen sich einen zu malenden Gegenstand und sie treten zueinander in ein Gespräch über den Gegenstand ihrer Tätigkeit Die Situation wird angesichts des wachsenden Geräuschpegels durch die Sanktion des Mandala-MaIens unterbrochen und neu definiert Die Definition der Situation geht von der Erzieherin aus. Sie legt die Handlungen fest und bestimmt den Ort Maltisch als einen Ort, an dem man jetzt Mandalas malt Dadurch definiert sie auch die Personen eindeutiger. Im Vergleich zu einer Vielzahl ähnlicher Situationen am Maltisch, aber durchaus auch in anderen Spielbereichen lässt sich vermerken, dass das Geschehen so etwas wie zwei ,,Aggregatzustände" kennt Der erste beinhaltet, dass die Kinder untereinander in den einzelnen Spielbereichen "spielen", d.h. in Anknüpfung an die Rahmungen, die von den bereitgestellten Materialien ausgehen (hier: Malutensilien), ein soziales Geschehen herstellen, indem sie an vorausgegangene Routinen anknüpfen und damit be213
stimmte Themen, Werte und Rituale erneuern oder verändern. Die Definition der Situation bleibt aber stets offen. Der zweite ,,Aggregattyp" des Geschehens unterscheidet sich zunächst dadurch, dass die Teilnehmer nicht mehr allein der Akteurgruppe "Kinder" angehören, sondern, dass eine Erwachsene in der Sonderfunktion "Erzieherin" hinzutritt und die Situation entscheidend umdefiniert, indem sie festlegt, was die Personen der Kategorie "Kinder" genau tun sollen, wie der Raum zu nutzen ist und wie die anwesenden Personen definiert sind: Es sind Mandala malende Kinder. Zwischen Situationstypus 1 und 2 existiert nun eine semantische Relation, derart, dass Situationstyp 2 eine Art Korrektur von Situationstyp 1 darstellt Das, was sich verändert, ist einerseits die Lautstärke und andererseits das Muster der Interaktionen zwischen den Angehörigen der unterschiedlichen Akteurgruppen (Personenkategorien). In Situationstyp 1 definieren die Teilnehmer der Situation - es sind Kinder45 - ihre Beziehungen untereinander selbst Es handelt sich um eine Situation, in der die Kinder reziprok miteinander verkehren, aber gerade deshalb kann ihre Unterschiedlichkeit hervortreten. In Situationstyp 2 werden die Beziehungsdefinitionen der Kinder untereinander von der Erzieherin unterbrochen. Alle Interaktionen sind jetzt auf sie konzentriert und die Kinder passen sich wechselseitig aneinander an. Aus der genannten semantischen Relation lässt sich schließen, dass die flexible offene Gestaltung von Situationen unter Kindern an eine Bedingung geknüpft ist: Es darf nicht zu laut sein. Die Korrektur des Mandala-MaIens bezieht sich nicht einfach darauf, dass die Kinder zu laut waren, sondern darauf, dass sie bei ihren Aktivitäten untereinander das Gebot der Lautstärke nicht angemessen beachtet haben. Die Kinder sollen also nicht einfach leise sein, sondern sie sollen so miteinander spielen (malen, bauen, Rollenspielen etc.), dass es nicht zu laut wird. Das Disziplinierungsgebot enthält also eine implizite AufgabensteIlung, die bei den Kindern als Bedingung ihrer Geselligkeit wirksam werden soll. Vergleicht man die beiden geschilderten Situationen miteinander, so wird deutlich, dass in ihnen die Perspektivitäten von Kindern und Erwach senen sowie die von Kindern und die von Erwachsenen untereinander jeweils unterschiedlich definiert sind. Die wechselnden Routinen sind über
Die Forscherin hat in ihrer Forschungsfunktion im ethnografischen Sinn den Sonderstatus einer Teilnehmerin auf Zeit, kulturell gesehen, einer akzeptierten Fremden.
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spezifische Anlässe zueinander relationiert, sodass der Wechsel der Situati on, der von den Erzieherinnen eingeleitet wird, von den Kindern berechenbar ist. Inakzeptable Lautstärke führt zur Einführung eines anderen Situationstypus. Die Situationstypen geben jeweils Anlass, spezifische Strukturationen in der Interaktion mit anderen aufzugreifen und ihr implizites Muster zu entfalten. Die Kinder wissen schon, wo die Vordrucke liegen, sie brauchen auch keine Anweisungen für das Malen, sie wissen, dass es darauf ankommt, nicht über die Linien zu malen - sie wissen aber auch, dass es nicht nur um die Herstellung eines anderen Geräuschpegels geht, obwohl das Mandala-Malen einem Schweigegebot gleichkommt. Sebastian malt kein Mandala, er drosselt lediglich die Lautstärke seiner Malbegleitgeräusche. Dass er sich dennoch falsch verhält, und zwar als Kind gegenüber der Erzieherin, wird in der gestischen Kommentierung seiner Verweigerung vonseiten der Erzieherin offenkundig. Mit ihrer Ignoranz gegenüber seiner laut vorgetragenen Frage, ob jemand schon bemerkt hat, dass er die Haare geschnitten hat, wiederholt sie dieses Urteil. Als nicht expliziertes Wissen liegt es auch den Handlungen der anderen Kinder zugrunde, denn auch sie rea gieren nicht auf seine Frage. Sie akzeptieren die Situationsdefinition der Erzieherin nicht nur lediglich, sondern bringen sie aktiv hervor: Sie schweigen. Schließlich akzeptiert auch Sebastian die Ordnung der Situation: Er erwidert die neugierigen Blicke der Ethnografin nicht, obwohl er dies sonst immer tut. Jetzt weiß er, dass sich die Erwachsene ihm gegenüber falsch verhält, sodass diese ihre Zurückweisung in einer Theorie zu fassen sucht: Es herrscht eine andere Doxa. Und damit formuliert sie eine Erfahrung, deren Gesetzmäßigkeit dem Handeln der Situationsteilnehmer zugrunde liegt: Es herrscht eine andere Ordnung als in Situationen, in denen die Kinder unter sich sind (oder auch mit anderen Typen Erwachsener zu tun haben). Die Reduktion der Lautstärke hat sicherlich auch etwas mit der subjektiven Befindlichkeit der Erzieherin in dieser konkreten Situation zu tun. Aber die Situation stellt keinen Einzelfall dar, vielmehr steht sie in einer Serie ähnlicher Abläufe. Immer jedoch hebt sie sich aus dem Fluss des Geschehens ab. Die Kinder spielen in den für sie bereiteten Spielbereichen, sie verständigen sich untereinander, machen nichts kaputt, sind nicht aggressiv und machen vor allem nicht so viel Lärm. Dieser Zustand ist keineswegs monoton. Er kennt Schwankungen und Varianzen, Betriebsamkeit, Eifer und Ausdauer, er kennt Lebhaftigkeit und Ortsveränderungen, kleine Erschütterungen und Besänftigungen. Er kennt aber auch ein stetiges Anschwellen der Geräusche, Streit, Zoten, Gelächter, Entgrenzungen und eingeworfene Mahnungen vonseiten der Erwachsenen, worauf er bisweilen wieder zu-
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rückfällt. aber dann meist wieder ansteigt, bis zu einem plötzlichen Bruch. Eine Erzieherin ruft: "So, Schluss jetzt!" oder .Aufräumenl", manchmal fallen Namen von Kindern, die der Erzieherin folgen, entweder ins Büro oder an den Maltisch oder es heißt "Dann malen wir eben wieder ein Mandala." Dann kehrt Ruhe ein. Die Beruhigung lässt sich in den disparaten Situationen auf je unterschiedliche Art und Weise herbeiführen. Am Maltisch ist es die Mandala Praktik, die für geordnete Verhältnisse sorgt. Sie ist nicht einfach eine Sanktion, sie ist vor allem eine Übung. In ihren wiederkehrenden Routinen finden die Kinder ein vertrautes Muster vor: das Spitzen der Griffel, das ordentliche Arrangieren der Malstift-Schälchen auf dem Maltisch, die Stille und zugleich das Raspelgeräusch des Spitzers, die aufrecht stehende Erzieherin, die wachen Auges das Geschehen überblickt, und die auf ihren Stühlchen sitzenden Kinder hinter ihren rechtwinklig vor ihnen liegenden Mandala -Vordrucken, auf die die Aufmerksamkeit polarisiert-e ist Es ist zugleich ein Zelebrieren von Gemeinschaft. Als Ritual führt es Erzieherinnen und Kinder zusammen und macht eine Ordnung des Aufeinanderbezogenseins sichtbar. Sebastians intervenierendes Zischen und Rattern stellt diese Ordnung nicht infrage, sondern unterstreicht sie. Widerstand hat Devianzcharakter. Für die Erzieherinnen der Gruppe ist er ein typischer Außenseiter. Gegenüber den gesteigerten Erwartungen an den Kindergarten, der Selbstbestimmtheit der Kinder im Bildungsprozess mehr Gewicht beizu messen, hebt die Mandala -Praktik die alltägliche Verwiesenheit und wechselseitige Abhängigkeit von Kindern und Erwachsenen hervor, gerade auch im Hinblick auf die erhobene Forderung, den Kindergarten zu verbessern. Das Mandala -Ritual erweist seine Wirksamkeit in der Ästhetisierung und Befriedung des sozialen Raumes der Kinder. Der Geräuschpegel sinkt, die "wilden", unkontrollierten kindlichen Selbstäußerungen verebben, die Kinder sitzen konzentriert hinter ihren Blättern. In diesem Bild wird - nebenbei gesagt - eine kulturelle Selbstverständlichkeit inszeniert: malende, konzentrierte Kinder sind sich entwickelnde Kinder. Der pädagogische Auftrag, die kindliche Eigentätigkeit anzuregen, erscheint hier quasi als Choreografie bewerkstelligt. Zugleich ist das Ritual des Mandala -MaIens ein Modus der Regulierung des Kindergartenalltages und somit eine Bewältigung eines an die Professionalität der Erzieherinnen gestellten gesellschaftlichen Auftra-
46 ,Polarisation der Aufmerksamkeit' ist ein Begriff von Maria Montessori. Er bezeichnet eine Zentriertheit der Aufmerksamkeit beim Ordnen der Dinge.womit Maria Montessori den kindlichen Lernprozess meint. Sie spricht von .arbeiten" in diesem Zusammenhang.
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ges. An der Mandala-Praktik lässt sich jedoch zeigen, wie die Erfüllung dieses Auftrages die Machtbeziehung zwischen den Erzieherinnen und den Kindern berührt, ja wie die Forderung nach einem guten Kindergarten erst im Medium dieser Machtbeziehungen erfüllt werden kann. Betrachten wir noch einmal die Abfolge der geschilderten Situationen. Die Kinder befinden sich im Malraum, die Erzieherinnen sind draußen. Die Kinder sind also - mit der Ethnografin - unter sich. Ihre Beziehungen zueinander lassen sich überwiegend als reziprok charakterisieren. Sie stellen die Situation einerseits durch den Bezug auf die Maltischsituation her, indem sie malen. In dieser Rahmung sind sie gleichartige Personen. Darüber hinaus erweisen sie sich aber im Hinblick auf die weitere Konstruktion der Situation als verschiedenartig: Ihre je subjektiven Interessen und Wünsche treten hervor. Sebastian malt Titanic, die Ethnografin eine Oase, Ron den Kopf der Ethnografin. Das Geschehen wird in gewisser Hinsicht von Sebastian, Ron und der Ethnografin gelenkt, dies vollzieht sich stets flexibel im Hinblick auf die subjektiven Situationsdeutungen und Handlungsentwürfe (z.B. "Eh, spielen wir wieder wie neulich?" - Keiner antwortet.) als auch auf die wechselseitige Definition der Personen. Im Porträtieren der Ethnografin tritt dieses Ringen bei der Definition von Personen besonders hervor. Durch die Kontrastierung mit dem Mandala-Ritual erfährt das Geschehen jenseits der situativ wirksamen Kontexte eine Rahmung, die den Interaktionen der Kinder rückwärts gerichtet eine Bedeutung beimisst, die erst in der Perspektivität zwischen Kindern und Erwachsenen Geltung erlangt. Es ist eine Perspektivität, die nicht die Themen der Kinder, ihre Verwiesenheit aufeinander als Gleichaltrige in ihren intellektuellen, habituellen und körperlichen Dimensionen als Gegenstand von Bildungs- und Erziehungsprozessen erkennt, sondern das Maß ihrer Selbstdisziplinierung. Als stetiger Bezugspunkt von Sanktion und Intervention bestimmt es die Art einer großen Zahl von Begegnungen zwischen Kindern und Erwachsenen und überzieht das Geschehen mit einer Serialität, welche den Modus der Begegnungen zwischen Kindern im Sinne einer Selbststeuerung der Kinder zu verbessern strebt. Die Wirksamkeit dieses Verfahrens erweist sich in dem Maße, in dem die wiederkehrenden Disziplinierungen auf der Seite der Kinder ein immer dichter werdendes Wissen über ein Besser und Schlechter des aktuellen Kindergartengeschehens entstehen lassen, das in Formen ihrer Selbstorganisation kultiviert wird.
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5.4
Den Kindergarten öffnen, Spielszenarien ästhetisieren, Angebote differenzieren und die Organisation straffen
Viele Episoden entlang des Alltags verweisen auf die stetigen Bemühungen, den Kindergarten zu verbessern. Sie erschließen sich dem forschenden Zugang als eine sich wandelnde sichtbare Oberfläche, die von den Dingen zeugen, die den Kindergarten als eine pädagogische Einrichtung aufwerten. Dazu gehört so Unterschiedliches wie Magnettafeln, welche von der Öffnung des Kindergartens und den selbstbestimmten Bildungsprozessen der Kinder zeugen, Schubladenschränke, in denen die Produkte kindlicher Kreativität gesammelt werden, Schulkindermappen, welche als Dokumentationen zurückliegender Bildungsprozessen den Übergang der Kinder zur Schule begleiten, neu gestaltete Grupp enräume, angenehme Geräuschpegel, Musik aus Gruppenräumen, Plakate im Treppenhaus, die auf Sonderveranstaltungen hinweisen: Schulkindertreffen, Frühstücksbistros, religionspädagogische Angebote, Informationsveranstaltungen für Eltern etc. Die Liste ist keineswegs abschließbar: Es treten ständig neue Dinge verbessernd in den Alltag hinzu. Es handelt sich allerdings dabei nicht lediglich um Praktiken, die konzeptuell oder diskursiv als "gut" in den Alltag eingeführt würden. Vielfach sind es die symbolischen Gesten, die Kommentierungen am Rande, welche darauf verweisen, dass die bezeichneten Objekte im Kontext eines nicht explizierten Qualitätsurteils stehen. Neben den Dingen, die neu hinzugekommen sind, hat die Zentralisierung der Planung und Organisation vieler Sonderaktivitäten im Team dazu beigetragen, dass der Kindergarten in seinen Angeboten jetzt wesentlich differenzierter erscheint als früher: Kochen, Turnen, Musizieren, religionspädagogische Angebote, Kindertheater, Förderung der Schulkinder finden nun als Gruppenübergreifende Aktivitäten statt und rangieren neben dem Freispiel der Kinder als gezielte Fördermaßnahmen. Daneben differenziert sich das Geschehen aber auch im Hinblick auf weitere Serviceleistungen: Gespräche mit Eltern, Bemühungen, die Kinder mehr in die Mitgestaltung des Kindergartens einzubeziehen, Team- und Planungsgespräche unter den Mitarbeiterinnen des eigenen Kindergartens, aber auch mit Kolleginnen anderer Standorte. Die neu eingeführten Praktiken lassen sich mühelos auf die im Qualitätsdiskurs geforderten Verbesserungen des Kindergartens beziehen. Sie rekurrieren etwa auf die Forderung, Eltern mehr an der Gestaltung des Kindergartens zu beteiligen, die Erwartung einer vermehrten Öffentlichkeitsarbeit sowie einer stärkeren Gewichtung des Lern- oder Bildungsaspektes und nicht zuletzt einer Steigerung der konzeptuellen Arbeit
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etc. (vgl. z.B. Kronberger Kreis für Qualitätsentwicklung in Kindertageseinrichtungen 2001 3 ; Erath/Amberger, 2001). Es sind Praktiken, die den Kindergarten angesichts dieser neuen generalisierten Fremderwartungen qualifizieren, Praktiken allerdings, von denen ältere Erzieherinnen wissen, dass sie ihre konkrete Planung mit den konkreten Kindern, die ihnen in der Gruppe zugeteilt sind, erschweren: "Hatte man früher eine gute Idee, dann hat man sie in seiner Gruppe einfach umgesetzt Man hat gar nicht groß gefragt Heute hingegen braucht man für alles einen Plan, muss es im Team besprechen und mit den übrigen Angeboten koordinieren."
Die Differenzierung der Angebote und Leistungen nach innen und nach außen erfordert zugleich eine effizientere Organisation des Einsatzbereiches der Mitarbeiterinnen. Angesichts des erhöhten Koordinationsaufwandes, regelmäßiger Besprechungen, Verwaltungsarbeiten, Gesprächen mit Eltern, Fortbildungen, Vertretungen in anderen Gruppen, Öffnungszeiten am Nachmittag ohne zusätzliches Personal werden sie häufig aus den Gruppen abgezogen, sodass insgesamt weniger Personal zur Betreuung der Kinder zur Verfügung steht Zu einem Problem wird dies aber nicht, denn das Freispiel geht auch dann weiter, wenn die Erzieherinnen den Raum verlassen oder zeitweilig von Kolleginnen vertreten werden. Anders wäre dies bei begleiteten Aktivitäten, die dann häufigen Störungen unterworfen wären. Funktional betrachtet lösen die Freispielphasen daneben auch ein Serviceproblem der Betreuung: Jenen Kindern, denen mit der Flexibilisierung der Öffnungszeiten ermöglicht wurde, erst später am Vormittag in den Kindergarten zu kommen, wird es erleichtert, sich in die laufenden Aktivitäten ihrer Spielkameraden "einzuklinken". Allerdings entspricht der Flexibilisierung der Einsatzorte des Personals auch eine Veränderung des Geschehens unter Kindern. Bedingt durch die partielle Öffnung der Gruppen und die temporäre Teilnahme von Kindern an Aktivitäten außerhalb der Gruppe ist es einer größeren Fluktuation unterworfen, der Gegensatz von drinnen und draußen abgeschwächt, Waren früher die Abläufe für Kinder einfach und transparent, die Personen in der Gruppe bekannt und die Situationen klar definiert, so erfährt das Geschehen jetzt einen größeren Öffentlichkeitsgrad. Es ist nicht mehr so recht durchschaubar, was alles um einen herum passiert, wer die Personen genau sind und wie man sich angemessen auf sie beziehen kann. So wird es angesichts dieser gesteigerten Unübersichtlichkeit schwieriger, Anschluss zu finden, man ist in viel stärkerem Maße auf
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das Wissen um den Ordnungscharakter der ablaufenden Ereignisse angewiesen, um mit seinen Kontaktversuchen zu anderen nicht enttäuscht zu werden. Wird in der Programmatik des Freispiels die kindliche Autonomie betont und einer Regulierung des Geschehens durch die Erwachsenen entgegengewirkt, so tritt den Kindern nun die Komplexität der sie umgebenden Dinge entgegen, die ihnen zur Aufgabe macht, die Logik des Geschehens zu verstehen und ihre eigenen Handlungspläne und -absichten damit in Einklang zu bringen. Die Selbstorganisation der Kinder, die Teilhabe an den verschiedenen Formen der Gemeinschaft unter den Kindern, aber auch die Artikulation eigener Interessen und Wünsche wird zu einer nicht explizierten Aufgabe des Kindergartenkindes. In dem Maße, in dem die Erwachsenen in ihrer Rolle als Vermittler kulturellen Wissens und Könnens zurücktreten, tritt der pädagogische Raum als ein professionell geschaffenes Agens ins Blickfeld der bewertenden Beobachtung. Man muss es an etwas erkennen können, dass der Kindergarten besser wird. In diesem Sinn war über den gesamten ethnografischen Forschungsverlauf der Raum Anlass und Objekt steter Veränderungs- und Verbesserungsbemühungen. Durch seine zunehmende Ästhetisierung wurde gleichsam die Lücke zwischen der mangelnden Begründbarkeit effizienter Verknüpfungen von Intention und Wirkung durch die Sicht- und Erfahrbarkeit dessen geschlossen, was man von einem guten Kindergarten erwarten kann. Dabei ist seine Wirkungsmächtigkeit keineswegs an innovative Entde ckungen geknüpft, vielmehr an die Wiederbelebung und Steigerung des Anregungsreichtums seiner Materialien, Dekore, Arrangements. Die Räume müssen zur Neugier anregen, vor allem aber zeigen, wie sie die kindliche Kreativität und Phantasie anregen und damit zur Steigerung der kindlichen Entwicklung beitragen.
5.5
Schauplätze kindlicher Eigenständigkeit (Das Frühstücksbtstro]
Ein im Kontext der allgemeinen Verbesserungserwartungen entstandenes Angebot des Kindergartens S. ist das monatlich stattfindende Kinderbistro. Es ist eine Art Frühstücksbrunch. den Erzieherinnen und Eltern für die Kinder in der kleinen Turnhalle des Kindergartens vorbereiten. Für die Kindergartenleiterin stellt es ein Highlight des aktuellen Qualitätsmanagements dar (..Das Kinderbistro läuft eigentlich unheimlich gut!") und sein Erfolg erweist sich darin, dass die Kinder das locker inszenierte Arrangement als eine Gelegenheit annehmen, bei der sie über die Grenzen der eigenen Grup220
pe hinaus anderen Personen begegnen können und die ihnen ein höheres Maß an Eigenständigkeit abverlangt. Allerdings bringt der Brunch nicht nur Kinder, sondern auch andere Akteurgruppen zusammen, insbesondere Eltern und Erzieherinnen. Der Brunch ist ein Ereignis, das sie auf eine spezifische Art und Weise relationiert und ihr Verhältnis zueinander im Vergleich zu den sonstigen Ereignissen in prekärer Weise berührt. Sind es üblicherweise die Erzieherinnen als Professionelle, denen in selbstverständlicher Weise die Gestaltung der Arrangements obliegt, so werden bei diesem "Angebot" die Eltern - genauer: überwiegend die Mütter - im internen Geschehen des Kindergartens prä sent Für die Erzieherinnen stellt sich dabei die Frage, bis zu welcher Grenze sie das dürfen. Dass Eltern - und Öffentlichkeitsarbeit die Wünsche und Interessen der Eltern mehr ins Spiel bringen sollen, ist ein zentrales Element der diskursiven Praktiken außer- und innerhalb des Kindergartens und damit zugleich eine elementare Forderung an die Erzieherinnen. Bis zu welchem Punkt die Eltern sich allerdings einmischen dürfen in das interne Alltagsgeschehen, bleibt für die Erzieherinnen ein heikler Punkt, der zugleich mit schmerzhaften Erfahrungen verbunden ist (Die dürfen sich hier jetzt alles erlauben!) und an ihr Selbstverständnis als Professionelle rührt: .Ich hab' zu der (einer Mutter, die der berichtenden Erzieherin persönlich gut bekannt ist) gesagt, Du hör mal, wenn Dein Sohn in zwei Jahren zur Schule geht, dann gehst Du ja auch nicht einfach in den Unterricht und sagst der Lehrerin ,Mach das so oder so!" - Da ist die Lehrerin die Frau XY und wird gesiezt Das sind doch andere Verhältnisse." Wir haben doch auch unsere Ausbildung und die dürfen uns nicht in alles hineinreden!"
Dabei sind es nicht nur die "pädagogischen" Erwartungen an den Kindergarten, die sich etwa im Anschluss an Donata Elschenbroichs Bestseller "Das Weltwissen der Siebenjährigen" (Elschenbroich 2001) als Bildungserwartung an den Kindergarten fassen ließe, sondern viele aIItagspraktische Wünsche, wie z.B. die Anschaffung von Handtuchhaltern für den Sanitärbereich der Kinder, der Umgang mit der Zahnpasta, die Gestaltung des Sommerfestes (Da wird doch der Kindergarten auch mal ein Kasperletheater mit den Kindern vorbereiten können! - Da könnt Ihr doch nur gewinnen!) oder ob die GriIIwürstchen des ausgefallenen Elternfestes den Eltern mit nach Hause oder bis zur nächsten Gelegenheit in der Gefriertruhe aufbewahrt werden sollten. Vor allem aber bis zu welchem Punkt die Eltern beim internen Geschehen im Kindergarten mitmischen dürfen, ob z.B. auch sie Angebote mit
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den Kindern durchführen dürfen oder selbst bestimmen können, in welche Kindergruppe ihre Kinder aufgenommen werden. Damit wären sie in der Lage, die Professionalität der einzelnen Erzieherinnen bzw. Kindergartengruppen von einem externen Standpunkt einem bewertenden Vergleich zu unterziehen und diese Bewertungen intern wirksam werden zu lassen. Die Bearbeitung dieser einerseits durch eine Qualitätsdebatte entkoppelten und durch die Befragung der Eltern als evaluativem Baustein der Restrukturierungsmaßnahme des Trägers gesteigerten Erwartungshaltung stellt sich dem Kindergartenpersonal als prekärer Balanceakt dar. Denn angesichts der gesteigerten professionellen Imperative einer guten Eltern - und Öffentlichkeitsarbeit können die virulenten Wünsche nicht einfach zurückgewiesen, das Ansinnen der Eltern nicht einfach abgewertet werden. Vielmehr ist der fördernde "positive" Umgang mit den Elternerwartungen Teil der pro fessionellen Selbstbeschreibung der Erzieherinnen und korrespondiert mit diskursiven Praktiken, die die Eltern als kooperativ, einsichtig, verantwortungsbewusst und engagiert darstellen und deswegen die Erwartungen der Eltern als legitim erscheinen lässt. "Es sind ja nur einzelne, über die man sich ärgert. der überwiegende Teil ist doch sehr kooperativ. Eigentlich ist das Verhältnis zu den Eltern doch gar nicht so schlecht! Die Eltern haben ja Recht. dass sie jetzt was über die Entwicklung ihrer Kinder wissen wollen. Als Mutter würde ich mein Kind doch nicht in diesen Kindergarten geben. Wir können doch für die Kinder hier kaum etwas tun."
Diese diskursiven Praktiken verlangen, wenn der Kindergarten glaubwürdig sein will, dann aber auch eine Umsetzung der Elternerwartungen in Praktiken des Alltags, die kaum im Alleingang der Erzieherinnen bewältigt werden kann und zu internen Normierungen zwingt. Insgesamt wollen einige Mütter im Kindergarten S. selbst präsenter sein und mehr bestimmen. Der Kindergarten ist dann nicht nur ein Ort für Kinder, sondern auch ein Ort für Eltern, stiftet Anlässe der Partizipation, die über Aufgaben definiert werden. Für das konkrete Angebot des Kinderbistros, dessen Vorbereitung und Durchführung in gemeinsamer Hand liegt, wird die exklusive Benutzung der Küche durch die Erzieherinnen zu einer Grenzlinie, die internes Personal und Eltern voneinander trennt. Bei der Einhaltung dieses Gebotes stützen sich die Erzieherinnen auf hygienerechtliche Argumente. Die Eltern haben schließlich nicht an einer entsprechenden Fortbildung teilgenommen und dürfen sich allein deshalb nicht an der
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Zubereitung von Speisen beteiligen. - Dies war jedenfalls der allgemeine Tenor. Als die Ethnografin dann zum ersten Mal beim Kinderbistro teilnahm, standen Erzieherinnen und Eltern doch gemeinsam in der Küche. Traten in den Aushandlungen über die Gestaltung des Kindergartens die beiden Akteurgruppen Eltern und Erzieherinnen als gegensätzliche Parteien in Erscheinung, so verwischten sich in der Inszenierung der gemeinsamen Aktivität mit den Kindern diese Gegensätze. Stattdessen formierten sich hier Kinder und Erwachsene im Muster komplementärer Bezogenheit aufeinander. Kleine Turnhalle des Kindergartens: (Die Turnhalle ist als eine Art Restaurant umgestaltet) Die Kinder sitzen an fünf kleinen Yierertischen, vorne in der kleinen Turnhalle ist ein Büffet aufgebaut Dahinter stehen zwei Mütter. Erzieherin Mara lehnt an der Außenwand, die Kinder beobachtend, die hier die Rolle der Gäste einnehmen. Halblautes Gemurmel, fast wie in einem Restaurant, die Kinder wirken hier wie Erwachsene, nur ihre Gesten sind etwas ausgelassener. Sie treten als Gruppen in den Raum ein, wie in ein richtiges Bistro. Die Erwachsenen, Eltern und Erzieherinnen, bedienen an der Brunchtheke oder sorgen für Nachschub in der Küche. Im Hintergrund läuft ein Kassettenrekorder: Meditationsmusik Mara sagt, sie hätte den Kindern etwas anderes vorgeschlagen, aber sie hätten darauf bestanden, diese Musik zu hören. Jetzt fallen mir auch die brennenden Kerzen auf den Tischehen auf, die jeweils in der Mitte einer Papierserviette stehen. Messer, Schere, Gabel, Licht sind scheinbar Weisheiten von ge stern . Eine Mutter hinter dem Büffet sagt, wie ruhig es sei. Die Kinder haben sich so an den Tischen gruppiert, wie sie auch sonst miteinander spielen. Ein Tisch ist beispielsweise ganz von den türkischen Kindern besetzt, sie haben viele Stühle dazu geschoben, damit alle an den kleinen Tisch passen. Auf der anderen Seite des Raumes sitzen Max, Lars und Moritz aus der Bärengruppe und weiter hinten Leonie, Linda und Carla. Aufihren Zuruf hin setze ich mich eine Weile zu ihnen, frühstücke mit ihnen. Carla lacht, quiekt ein bisschen, während sie genüsslich ein Möhrenstückchen in ihren Mund schiebt und darauf herumknabbert Sie reibt sich den Bauch, dann schaut sie unter dem Tisch in Leonies Richtung, Leonie schaut zurück, sie winken sich unter dem Tisch zu, dann über dem Tisch, kichern, bis ich mitlachen muss. Dann stehen beide auf, stellen sich einander gegenüber, heben ihre Kleidehen hoch bis zur Brust und drücken ihre nackten Bäuche genüsslich gegeneinander. Sie wiederholen
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den Spaß mehrmals. Leonies Mutter, die hinter dem Büffet darauf auf merksam wird, ruft laut und etwas empört durch den Raum: "Was macht ihr denn da!': beide lassen ihre Röckchen fallen und setzen sich wieder an den Tisch. Ich versuche ein wenig mit ihnen übers Essen zu reden und über den bald anstehenden Schulbesuch. Leonie sagt, sie würde sich nicht aufdie Schule freuen, dort gäbe es nicht so schöne Frühstücksbistros, man müsse sich Brote mitnehmen in die Schule. Aber dann fällt ihr ein, dass sie dort vielleicht Nina wiedertrifft; die sie noch aus dem Kindergarten kennt Später tuscheln die Mädchen wieder miteinander, gucken beobachtend zu mir herüber. Halblaut, sodass ich es kaum verstehen kann, quiekt Carla, dass sie in Felix verliebt sei. "Ich in Kevin!", quakt Leonie albernd zurück, die Mädchen prusten vor Lachen, ich lache mit Dann kommt eine Gruppe jungen herein, Leonie lacht plötzlich ganz laut und wird dann ganz still. Sie erschrickt scheinbar vor etwas. Unter den jungen ist auch Kevin. Leonie steht auf und läuft im Raum umher, will in die Küche, geht dicht an Kevin vorbei. Kevin steht zuerst mit den anderen jungen, dann allein im Raum herum, so als müsse er sich orientieren. Er wippt unschlüssig von einem Fuß aufden anderen, von Leonie nimmt er keine Notiz. Am Nebentisch sitzt Dilara, sie schaut zu mir herüber, winkt mir. Sonst kommt sie immer zu mir, wenn sie mich sieht Auch jetzt würde sie wohl gerne zu mir herüberkommen. Aber es geht nicht Sie sitzt dort mit ihren Tischkameraden und ich hier mit meinen Tischnachbarn. Das ist die Ordnung des Bistros. Dann tritt Erzieherin Karo mit der kleinen janna in den Raum. Sie schaut suchend um sich, ich weise sie aufeinen Tisch mit einem leeren Platz hin, aber sie sagt, janna wolle nicht alleine sitzen. Sie hätte sich nicht getraut, alleine hier herzukommen. Mirfällt ein, dass ich das Mädchen vor einiger Zeit oft in der Igelgruppe habe weinen sehen. Eine Weile danach treten johanna und Franziska herein, erkennen mich und kommen zielbewusst zu mir herüber.
Normalerweise findet das Frühstück in den einzelnen Kindergartengruppen statt Dort gibt es einen Frühstückstisch, der im Laufe des Vormittags von den Kindern nach und nach genutzt wird. Die Kinder organisieren weitge hend selbst, wann und mit wem sie ihr mitgebrachtes Frühstück einnehmen. Die Gedecke müssen sie nach ihrem Frühstück selbst spülen und für die nächste Frühstücksrunde wieder bereitstellen. Einzelne Kinder müssen im Laufe des Vormittags aber dennoch von den Erzieherinnen immer wieder 224
angehalten und dabei unterstützt werden, ihr Frühstück einzunehmen. Das monatlich stattfindende Frühstücksbistro verleiht der Frühstückssituation einen größeren Öffentlichkeitscharakter, denn als "Offenes Angebot" der gesamten Einrichtung findet es außerhalb der Gruppenräume in der kleinen Turnhalle statt, die dann zu einer Art Brunch-Restaurant umgerüstet ist. Nicht nur die Kinder, mit denen man üblicherweise in der eigenen Gruppe spielt, sondern alle Kinder der Einrichtung kommen dort zusammen, ebenso wie auch die Erzieherinnen der anderen Gruppen und einzelne Eltern (ausschließlich Mütter), die bei der Organisation mithelfen. Die Möglichkeit der Teilnahme ist an eine Reihe impliziter Aufgaben geknüpft, die die Kinder ohne die Hilfe der Erwachsenen bewältigen müssen, denn der Übergang in eine als Restaurant, also eigentlich erwachsenenspezifisch kodierte Situation, korrespondiert mit einem affektkontroIIierteren Verhalten, als es in den einzelnen Gruppen oder auf dem Freispielgelände üblich ist. Die aus der Binnenperspektive durchgeführten Beobachtungen lassen den sozialen Raum als eine Ordnung erkennen, die auf dem Schematismus fremd vertraut konstruiert ist und deshalb Teilhabe an die Voraussetzung der Selbstorganisation der Kinder bindet. Die Bistrotische sind im Goffman'schen Sinne "Territorien", die einerseits Raumansprüche strukturieren und stabilisieren (Goffman 1982: 60), andererseits aber auch die Zusammengehörigkeit ihrer Benutzer kodieren und damit eine Perspektivität des "Wir und die anderen" (vgI. Kelle, 1997) schaffen: "Wir", das sind diejenigen, mit denen man gemeinsam ein Territorium belegt, "die anderen" sind die, die andere oder aber keine Territorien innehaben. Die Teilnahme am Bistro setzt ähnlich wie bei einem Restaurantbesuch voraus, dass man Freunde bzw. Spielkameraden hat, mit denen man sich entweder im Vorhinein ver abredet oder aber mit denen man aus einer vorausgehenden gemeinsamen Aktivität zusammen ins Bistro wechselt. Es mag auch sein, dass die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Clique so unbestritten ist, dass man sich ihr auch als "Nachkömmling" jederzeit anschließen kann. Was die gelassene Selbstverständlichkeit dieses Szenarios erst möglich macht, ist eine stabile Ordnung des Sozialen, an der sich Kinder orientieren und sie zugleich hervorbringen. Zugehörigkeit und Teilhabe der Kinder zu bestimmten Kindergruppen, die sich in der Perspektivität zu den Anderen definiert, sind Momente der Identifikation und Personwerdung, durch die sie (ebenso wie Erwachsene) Gewissheit über "ihren Ort" im sozialen Raum finden. Reden die Erzieherinnen davon, dass die Bistroaktion gut funktioniere, so meinen sie genau jenen reibungslosen Ablauf, der Ergebnis einer Selbstorganisation ist, welche sich nicht als eine spontane Ad-hoc-Durchführung eines .Ange-
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botes" erklären lässt, sondern sich aus einer sich fort entwickelnden Ordnung des öffentlichen Raumes Kindergarten ergibt. Er ist keineswegs eine pädagogische Sonderwelt, vielmehr ein mit den externen gesellschaftlichen Kontexten überlagerter und multiperspektivisch definierter Raum. Die Aufzeichnungen heben insbesondere drei Kontexte hervor, nach denen sich die Kinder als Zusammengehörige organisieren und in deren Folge auch der soziale Raum strukturiert ist. Es sind die der Ethnie, der Alterszugehörigkeit und des Geschlechtes. Die so entstehende Sozialwelt der Kinder steht gleichsam unter der Beobachtung der Erwachsenen (Erzieherinnen und Eltern), die als "Kellnerinnen" den Brunch organisieren und den dazugehörenden komplementären Part eines pädagogisch kodierten Generationenverhältnisses übernehmen, innerhalb dessen die Eigenständigkeit der Kinder an ihren sozialen Reproduktionsleitungen gemessen wird. Es gibt auch Kinder, die diese Leistung noch nicht erbringen können. Es sind die Kleinen, die gegen Ende des Brunches von den Erzieherinnen begleitet werden.
5.6
Pädagogische Wissensproduktion (Die Entwicklungsdokumentationen)
Eine zentrale Erwartung, die im Zuge des Qualitätsdiskurses an den Kindergarten herangetragen wird, besteht darin, seine Leistungsfähigkeit in der Dokumentation und Bewertung des Entwicklungsstandes der Kinder unter Beweis zu stellen. Während die Frage nach dem Know-how in den unterschiedlichsten Kontexten der öffentlichen Debatte aber noch diskutiert und erprobt wird, wird sie für die Erzieherinnen des Kindergartens spätestens dann handlungsrelevant, wenn ganz konkrete Eltern von den Erzieherinnen in den regulär werdenden Entwicklungsgesprächen wissen wollen, wie sich ihre Kinder entwickeln. Mit welchen Praktiken soll man nun aber darauf reagieren und an welchem Maßstab soll der Entwicklungsstand der Kinder beurteilt werden? Während Verbesserungsstrategien wie die der Umgestaltung von Räumen, eine verstärkte Elternarbeit, die Einführung verschiedener Förderangebote bewusst nach außen hin gezeigt werden, finden Prozesse der Bewertung bzw. Beurteilung von Kindern auf der Hinterbühne statt. Es mag vielleicht nicht allzu spekulativ erscheinen, dass die Kindergartenzeit in ihren in die Gegenwart hereinragenden Leitbildern von Schutz- und Freiraum, sich der der Qualitätssteigerung inhärenten Probleme der Leistungsbewertung nicht stellen kann und diese gleichsam in verdeckten Praktiken bewältigt.
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Erst intensive ethnografische Prozesse lassen dann Zusammenhänge einzelner Ereignisstränge als eine gezielte Praxis der Entwicklungsdokumentation erkennen. Eine der Gelegenheiten ergab sich anlässlich des sog. Kinderkochens, einem Angebot, das eine der Erzieherinnen wöchentlich durchführt. Es ist ein Angebot im kleinen Rahmen, nur jeweils vier bis fünf Kinder beteiligen sich. .Aber es dürfen immer mal andere mit" und prinzipiell dürfen auch Kinder aller Gruppen daran teilnehmen. Deshalb wählt die Erzieherin jedes Mal andere Kinder für ihr Angebot aus, ebenso wie sie immer neue Rezepte eigens für das .Kinderkcchen" aussucht. Es handelt sich um Koch- und Backanleitungen, die in didaktisch-methodischer Hinsicht wohlüberlegt sind, weil sie über die Zubereitung einzelner Produkte hinaus zugleich Gegenstand von Bildungsprozessen sein sollen. So ist der Apfel beispielsweise nicht nur Grundzutat diverser Gerichte, er steht zugleich auch für die bildsame Auseinandersetzung mit den Jahreszeiten, den natürlichen Prozessen des Wachstums und der Fortpflanzung und er gibt außerdem Anlass für "naturwissenschaftliche" Analysen der Beschaffenheit der Frucht (das Gehäuse, die Kerne, der Stiel etc.). Auch müssen Rezepte so beschaffen sein, dass sie von den Kindern selbst umsetzbar sind und sie nicht einfach zu Handlangertätigkeiten herangezogen werden. Die Erfahrung des "Selber-Tun-Könnens" wird für die Entwicklung der Persönlichkeit des Kindes als grundlegend betrachtet, wobei die entstandenen Produkte nicht nur für sich selber ste hen, sondern auf ihre Erzeuger und deren Können verweisen. So schreibt sich das .Kinderkochen" in seiner Ereignishaftigkeit in vielfältiger Weise dem Kindergarten als Moment einer ästhetischen Praxis ein, die den Kindergarten als Erfahrungsfeld auch für die diejenigen aufwertet, die gar nicht am .Ktnderkochen" teilnehmen. Das sind neben den ästhetischen und sinnlichen Bereicherungen, etwa den zubereiteten Leckereien und den kulinarischen Düften, auch Produkte, welche auf die pädagogische Zielsetzung der Angebote verweisen. Das können z.B. gemeinsam erarbeitete Rezepte sein, die als Bilddokumentationen die einzelnen Handlungsschritte der Herstel lung einer Speise dokumentieren, oder aber selbst gemalte Bilder, die in thematischer Nähe zu den Erzeugnissen stehen. Küche Als ich die Küche betrete, sitzt Karo mit vier Kindern am Küchentisch. Jedes Kind hat vor sich ein Blatt und malt mit Buntstiften darauf. Karo erklärt, dass die Bratäpfel bereits im Ofen seien. Nach einer ausgeprägten Bekundunq meiner Anerkennung setze ich mich noch einige Minuten zu
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Karo und den Kindern an den Tisch. In der Küche ist schon alles aufgeräumt Auf der Arbeitsplatte liegt ein Bilderbuch. Karo erklärt, dass es sich um eine Geschichte mit einem Apfelbaum handelt, die sie jetzt nach dem Zubereiten der Äpfel den Kindern noch vorgelesen habe. Die Kinder, erläutert sie mir kurz, malen die Geschichte jetzt Diese fühlen sich sofort aufgefordert, mir ihr Gemaltes zu zeigen. Sie halten mir ihre Bilder regelrecht vor die Nase und erklären, was darauf abgebildet ist Währenddessen beobachten sie sehr genau meine Reaktion: Anerkennend nicke ich, schaue ihre Gemälde an und interessiere mich auch für die Details. Während des Sprechens unterdrücken sie ihren üblichen Dialekt und versuchen ihre Aussagen in Standardsprache zu fassen. "Mmm, mmm", "aha" und "ah ja!': sage ich, während ich für mich feststelle, dass mir die Situa tion keine Alternative lässt, etwas anderes zu tun oder zu sagen .
Die Schilderung rückt die atmosphärischen Momente des Angebots in den Vordergrund, sie lässt den Kindergarten als einen freundlichen, vor allem heimisch und familial wirkenden Ort erscheinen. Die ästhetischen, freundlichen Elemente verschmelzen zugleich mit den synchron verlaufenden Lernarrangements, in denen die Kinder die für sie formulierten Aufgaben lösen.f? Was derartige Situationen selbst nicht verraten, ist, dass das Tun der Kinder gleichsam unter der Beobachtung der Erzieherinnen steht, die ihre Eindrücke von den Lernprozessen der Kinder, der Differenzierung ihres Könnens auch als Momente der eigenen Leistungsfähigkeit des Kindergartens dokumentieren, insbesondere dann, wenn die externen Erwartungen dazu drängen, den Entwicklungsprozess der Kinder zu beschreiben. Was dem protokollierten Geschehen unter den Kindern selbst (noch) nicht als ein Moment der Strukturierung inhärent ist, vollzieht sich als routinierte Aufzeichnungspraxis quasi auf einer Hinterbühne, die von einer Beobachterin zunächst einmal entdeckt werden muss. Nach einem vergleichbaren Kochangebot - diesmal stiftete die Kartoffel Gelegenheit zu Bildungsprozessen - traf ich Karo zufällig im Büro der Leiterin. Während der Wohlgeruch eines im Ofen schmorenden Gratins durch das Haus zog, war sie dort in Aufzeichnungsarbeiten vertieft.
In der Verschmelzung dieser beiden Momente scheint gelungen, was bereits in der Konzeption des Pestalozzi-Fröbel-Hauses in Berlin gegen Ende des 19. Jahrhundert angestrebt war, nämlich Pestalozzis .Wohnstubenkraft" und Spiel- und Erziehungslehre miteinander zu versöhnen. Die zuvor eingeschlagene Orientierung des Kindergartens an der Schule sollte gebrochen werden, Kindergarten und Familie so ähnlich wie möglich sein (vgl. Reyer 2004a: 524). 47
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Büro der Leiterin Karo am Schreibtisch, vor ihr liegen Formblätter, eine Art Liste, die sie ausfüllt Sie erklärt mir, dass sie einige Beobachtungen während des .Kinderkochenstfesthiilt: Ihre Liste enthält die Namen der Kinder in einer ersten Spalte. Dahinter, in die anderen Spalten, trägt sie offensichtlich ihre Beobachtungen der Kinder ein. "Nur ganz wenig': sagt sie beschwichtigend, beispielsweise wie die Kinder sich angestellt hätten, etwa beim Kartoffelschälen. .Peinmotoriscne Dinge meist!" Die Kartoffel sei, wenn sie geschält sei, ja ziemlich feucht, wenn nicht nass. Den Kindern würde es bisweilen noch schwerfallen, die nassen Kartoffeln festzuhalten. Ein Kind sei ihr heute wegen seiner großen Geschicklichkeit aufgefallen. Dieses feinmotorische Können sei sehr ungewöhnlich für Kinder in diesem Alter. Deshalb schreibe sie dies jetzt auf. Wenn die Leiterin, dann ein Entwicklungsgespräch mit den Eltern führe, würde sie kurz aufden Formblättern nachschauen und könne auch den Eltern etwas über die Entwicklung der Kinder sagen. Es sei ja nicht viel, was sie für die einzelnen Kinder tun könnten, sagt Karo. Eine Mutter habe das ziemlich deutlich zum Ausdruck gebracht Das Kind sei behindert und müsse gefördert werden. Die Mutter habe sie angefahren und gesagt: "Was tut ihr denn schon für den Jungen?" Recht habe sie, sagt Karo, aber man könne hier nicht viel tun.
Manchmal zwingt der zeitliche Druck, etwas über die Entwicklung der Kinder zu wissen, dazu, die Beobachtungen zu intensivieren, gleichsam gezielte Aufgaben zu formulieren, an deren Ausführung die Entwicklung mehr oder minder abgelesen werden kann. Bärengruppe Völlig ungewohnt sitzen heute fast alle Kinder in der Gruppe gemeinsam mit Erzieherin Klaudia am großen Maltisch. Sie bilden heute irgendwie eine Einheit, alle gehören scheinbar zusammen. Wie kommt das? Klaudia redet so nett mit den Kindern, ist interessiert, lässt sie erzählen. Ich höre aus ihrem Mund gar keine Kritik an den Kindern, keine Wiederholung von Regeln, keine Zurechtweisung. Was ist los?Zuerst habe ich das Geschehen vom Frühstückstisch aus beobachtet, jetzt setze ich mich zu ihnen an den Maltisch. Klaudia hat eine Liste in der Hand. Sie fordert ein Mädchen auf, "Karussell" zu sagen, das Mädchen wiederholt und ich höre, wie Klaudia wieder zu einem ausgedehnten Lob ansetzt Sie schreibt etwas in ihr Heft. Auch die anderen Kinder beobachten sie. Was macht sie da? Aber Klaudia
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erklärt nicht- was sie tut Die Kinder sind aber arglos, freuen sich, dass sich Klaudia ihnen heute so intensiv zuwendet Dann soll ein anderes Mädchen "Garage" sagen. Das Mädchen wiederholt: .Daraqe". Klaudia ermutigt: "Versuchs noch mal!" - .Daraqe", antwortet das Mädchen und Klaudia notiert etwas auf ihrem Blatt Schließlich wird Milena aufgefordert- etwas von zu Hause zu erzählen. Milena erzählt etwas von zu Hause. Klaudia hört geduldig zu, versteht aber nicht alles, fragt wieder nach, lässt dem Kind Zeit beim Sprechen. Dann schreibt sie wieder etwas auf. [...J Später erklärt sie mir, dass sie die Kinder testet Sie hat eine Liste entwickelt- auf der sie die Fähigkeiten der einzelnen Kinder einträgt Dazu gehöre "Mit der Schere schneiden zu können': "Rechts- oder Linkshiin diqkeit", "motorische Fähigkeiten': "die Aussprache der Wörter" (z.B. die Unterscheidung von "d" und .k" bzw. "g'), "Satzbau" usw. Ich frage Klaudia ungläubig, ob Rechts- oder Linkshändigkeit heute noch eine Rolle spiele. "Natürlich nicht': antwortet sie, außerdem wüssten die Eltern das selber, aber die würden so überprüfen, ob sich die Erzieherinnen mit ihren Kindern beschäftigen und sie persönlich kennen und entsprechend in der Lage seien, sie zu fördern. Nach einer Weile !ügt sie hinzu: ,,Aber nicht nur, weil die Eltern das wissen wollen': so sagt sie, sondern weil es Aufgabe einer Erzieherin sei, die Kinder zu fördern. Auf ihrer Liste hat sie alle Namen der Kinder ihrer Gruppe eingetragen und machtjeweils ein Kreuz oder kleine Bemerkungen, wenn die Kinder die in den einzelnen Katego rien genannten Dinge können. Ich sehe, dass Oksana viele Striche hat- also vieles nicht kann. Sie sitzt auch am Tisch. Sie weint Klaudia tröstet sie. Auch dieses Verhalten Klaudias gegenüber Oksana ist mir völlig unbekannt Normalerweise kritisiert sie sie ständig. Die Kinder erklären mir, warum Oksana heute weint Sie sagen, Oksana sei einsam, weil keiner mit ihr spiele. Tugay sei heute nicht da. Klaudia fordert dann andere Kinder auf, mit Oksana in die Rollenspielecke spielen zu gehen. Aber keines der Kinder will hier weg. Oksana beruhigt sich wieder. Sie hantiert an einem Stückehen Papier herum. Mitten auf dem Tisch liegen von den Kindern bemalte Blätter. Solche habe ich noch nie gesehen. Es sind Bilder mit einem Männchen drauf, kein .Kritzel-Krotzel", wie Fabienne neulich das Gekrakel der Kinder bezeichnet hat Ich zeige mich erstaunt über diese ungewöhnlichen Bilder und Klaudia erklärt- dass auch dies zu dem Test gehört Sie möchte herausfinden, ob die Kinder Kopffiißler malen. Deshalb fordert sie sie auf, ein Männchen und eine Blume zu malen. Bald ist Klaudia aber auch fertig mit ihrem Test- sie verteiltjetzt wieder Mandalas und
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fordert die Kinder auf, ihre Stifte zu spitzen. Sonst würden sie ja so viel über die Linien malen. Dann geht sie.
Die Beobachtung und Differenzierung der individuellen Entwicklung der Kinder ist angesichts gesteigerter generalisierter Qualitätserwartungen die Grundvoraussetzung für den Nachweis von pädagogischer Qualität Aus den Schilderungen geht hervor, wie aus der Binnenperspektive der Einrichtung diese Leistungserwartung bewältigt wird. Die Protokolle veranschaulichen, wie die Einführung neuer Praktiken, etwa die der regelmäßigen EIterngespräche, Folgeprobleme mit dazugehörenden Folgepraktiken nach sich ziehen, die die Frage nach den Entwicklungs- und Bildungsprozessen der Kinder mehr umgehen als formulieren. An die Stelle dessen treten Praktiken/Routmen einer rationellen, zeitökonomischen Wissenskonstruktion über den Entwicklungsstand der Kinder mit entsprechenden Verfahren der Dokumentation. Diese lösen zugleich mehrere Probleme der Alltagsbewältigung: Die schriftliche Dokumentation, die in der Akte des Kindes festgehal ten wird, bleibt für spätere Vergleichsprozesse und für die Entwicklungsgespräche mit den Eltern zur Verfügung. Sie schafft die Möglichkeit, über die Entwicklung des Kindes auch dann zu sprechen, wenn es sich um ein Kind handelt, das man nicht in der eigenen Gruppe betreut Die Akte des Kindes wird dabei zu einem Ort, an dem die unterschiedlichen Beobachtungen gebündelt und zu einem Gesamtbild zusammengetragen werden können. Grundsätzlich stehen solche konstruierten Bilder bereit, um im Bedarfsfall Handlungsstrategien zu vereinbaren und zu begründen.
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6
Der Kindergarten zwischen pädagogischer Ordnung und den Ordnungen der Kinder (Bilanz)
Die vorangegangenen ethnografischen Beschreibungen sind Ergebnisse theoretisch begründeter Fokussierungsprozesse auf die Wirklichkeit des Kindergartens. Sie bringen einerseits Ordnungen zur Darstellung, die in der Interaktion zwischen den Akteuren wirksam sind. Andererseits dokumentieren sie, dass sich die AkteurverhäItnisse als Folge von Qualitätspraktiken transformieren. Implizit weist dies auf eine Verschiebung von Kräfteverhältnissen hin, deren Beschreibung erfahrungsweltlich, nämlich als Kontext institutionalisierten Kinderlebens. m.E. überaus aufschlussreich ist Welche Aussagen über die ,Erziehungswirklichkeit' des Kindergartens lassen sich aufgrund dieser Forschungsergebnisse treffen? Vergegenwärtigen wir uns noch einmal den roten Faden der Argumentation. Im ersten Teil der Arbeit wurde die Frage, wie Kindertageseinrichtungen als Institutionen erziehen, in einem organisationstheoretischen Rahmen formuliert. Dabei wurden zunächst struktur- und systemtheoretisehe, insbesondere institutionentheoretische Beschreibungsoptionen gewählt, die die zunehmende Institutionalisierung früher Kindheit als ein Rationalitätsproblem erkennbar werden lassen, das sich der öffentlichen Frühpädagogik stellt Diesem Typus objekttheoretischer Organisationstheorien wurden in einem weiteren Schritt akteurspezifische Zugänge zum Organisationsphänomen zur Seite gestellt, um den Anschluss ethnografischer Forschung an struktur- bzw. systemtheoretische Beschreibungsoptionen zu ermöglichen. In ihnen tritt die Frage in den Blick, wie Akteure in ihren Begegnungen miteinander ihre Interaktionen strukturieren bzw. mittels welcher Strukturationen sie dauerhafte organisatorische Gebilde (re)produzieren. Diese ,Verflüssigung' des Organisationsbegriffes erlaubt es, Kindergärten als je partikulare Konstrukte von Akteuren in den Blick zu nehmen und ihre Funktionalität in Referenz zu einer Vielzahl von Kontexten, Akteuren und regulativen Ordnungen zu verstehen, sie somit begrifflich als Effekte eines (pädagogischen) Kräftefeldes zu fassen. Das Ziel dieser metho dologischen Überlegungen bestand darin, einen theoretischen Rahmen zu konturieren, auf den hin sich die ethnografischen Beobachtungen analysie ren und in Beschreibungen verdichten ließen. Gegenstand der Beobachtungen waren Situationen des Alltagsgeschehens, die durch Praktiken und Routinen strukturiert werden, welche im
P. Jung, Kindertageseinrichtungen zwischen pädagogischer Ordnung und den Ordnungen der Kinder, DOI 10.1007/978-3-531-91746-7_7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009
Sinne Giddens (1997) Systemhaftigkeit erzeugen und die Akteurgruppen (Kinder und Erzieherinnen) in spezifischer Weise aufeinander beziehen. Wie konstituieren nun diese Routinen die Erfahrungswelt der Kinder? Zum Gegenstand der Untersuchung wurden Ordnungen, auf die Akteure in ihren alltagsweltlichen Praktiken einerseits perspektivisch zugreifen und aus deren Vollzug die Unterscheidung von Akteurgruppen perspektivisch rep roduziert wird. Die Interaktionstypen zwischen und innerhalb der Akteurgruppen wurden daher getrennt voneinander untersucht Wie lassen sich ihre Ergebnisse im Licht der eingangs formulierten Problemstellung bilanzieren? Und: Wie lassen sich die Beobachtungen auf der Ebene situierter Praxis (d.h. der Akteurperspektive) in Beschreibungen zweiter Ordnung zusammenführen, die den Kindergarten nun wiederum als Organisation (d.h. objekttheoretisch) in seiner Erfahrungsweltlichkeit kennzeichnen? Die in der Vielfalt unterschiedlicher Situationen identifizierten Ordnungen sprechen dann nicht mehr für sich, sondern stellen innerhalb eines Feldes kontingente Kräfte dar, die erst in der Verknüpfung mit anderen ihre strategische Wirkung entfalten. Aussagen über die Frage, wie der Kindergarten als Organisation erzieht, müssen also Aussagen über die Relationalität von Ordnungen sein, die sich in Routinen verbinden. Die Leistung solcher Beschreibungen erweist sich darin, dass sie die Erfahrungsweltlichkeit des Kindergartens in Abhängigkeit zu externen Erwartungen, gesellschaftlichem Wandel und Rationalitätsambitionen zur Darstellung zu bringen vermag, ohne sich auf einen essentialistischen Begriff von Erziehungswirklichkeit einzulassen. ,Erziehungswirklichkeit' lässt sich dann in ihrer Heterogenität darstellen, ohne dass ihre systematische Beschreibbarkelt - wie etwa im Garbage-Can-Modell (CohenjMarchjOlson 1972) - verloren geht Es kann also konkretisiert werden, dass und wie Kindergärten jeden anders erziehen, ohne den Anspruch aufzugeben, dass es sich dabei tatsächlich um Erziehung und nicht um Sozialisation handelt Wie stehen daher die in den Interaktionen zwischen Erzieherinnen und Kindern wirksamen Ordnungen zu denen der Kinder und wie werden diese wiederum diskursiv und operativ zum Gegenstand von pädagogischer Professionalität? Kehren wir also zu den vorangegangenen ethnografischen Beschreibungen zurück und untersuchen wir, wie sie in den alltäglichen Routinen miteinander verknüpft sind.
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6.1
Routinen als Organisation der Unterscheidung zwischen Kindern und Erwachsenen
Was die Interaktionen zwischen Kindern und Erzieherinnen im Kindergarten kennzeichnet, ist ihr Bezug auf pädagogischen Sinn. Das heißt nicht, dass die Interaktion an sich pädagogisch ist. Organisatorisch betrachtet ist der Kern und das Ziel der aufeinander bezogenen Interaktionen die Konstitution und Stabilisierung von Settings, die als pädagogische Arrangements den Zusammenhang zwischen dem professionellen Handeln und den kulturellen Sinnbezügen des Lernens herstellen. Die Verknüpfung pädagogischer Konzepte und Programme mit organisatorischen Abläufen, Räumen, Zeitabschnitten, Materialien stellt sich dabei als Legitimationsstrategie und Handlungsorientierung einer rationalen Gestaltung von Tageseinrichtungen für Kinder dar. Dies ist der Hintergrund, vor dem die ethnografischen Schilderungen die Begegnungen zwischen Kindern und den Erzieherinnen als eine überwiegend komplementäre, durch Ordnungen von Raum und Zeit kontextierte Interaktionspraxis charakterisieren. Stets kreist die Kommunikation zwischen Kindern und Erzieherinnen um die Definition von Räumen, um die Verwendung von Spielmaterialien, um die Nutzung bestimmter Angebote, um die Einhaltung festgelegter Abläufe, die den Erwachsenen die Rolle der Vorbereiter, Beobachter, Begleiter von Lernarrangements zuweist und Kindern die Rolle der Lernenden. Dies gilt ebenso für gezielte pädagogische Angebote wie auch für das Freispiel. Die täglich stattfindenden Spiel- und Sitzkreise stellen hingegen Geselligkeitsformen dar, in denen Kinder und Erwachsene symbolisch als Gleiche gekennzeichnet sind. Allerdings treten auch hier die Erzieherinnen in einer prinzipiell asymmetrischen Position als Organisatoren und Moderatoren des Geschehens in Erscheinung und ihre zeitweilige Beteiligung bei den Sing- und Fingerspielen sind ritualisierte Gesten der Darstellung von Gemeinschaftlichkeit und Reziprozität Dabei stützt sich das professionelle Handlungs- und Legitimationswissen dieser Praxis auf die anthropologische Erkenntnis der Eigentätigkeit kindlichen Lernens. Der programmatischen Referenz auf dieses ontologische Merkmal korrespondiert die in der Alltagsstruktur des Kindergartens vorausgesetzte Selbständigkeit der Kinder, sich in den für sie erzeugten Arrangements zu organisieren und unter den Gleichaltrigen Zugehörigkeit und Anerkennung zu finden. Als Institutionalisierung des Lernens ist dies allerdings etwas anderes, als den Eigenwillen von Kindern und ihrem Lernen zu akzeptieren, denn die Institutionalisierung kindlichen Eigenwillens ist nicht mehr der gemeinte Eigenwille.
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Dass es sich bei den Alltagsarrangements des Kindergartens nicht um eine professionelle Anpassung der sozialen Umwelt an die natürlichen Lerndis positionen des Kindes handelt, sondern um eine in der Normierung von Alltagsvollzügen konsolidierte Ordnung, lässt sich insbesondere an ihren Störungen, Abweichungen und Sonderfällen studieren: Ausnahmen bestätigen die Regel. Es tritt in den Beobachtungen immer wieder hervor, dass ausgerechnet die Kinder den ihnen programmatisch und alltagsorganisatorisch zugestandenen Freiraum zugunsten eines engeren, weniger komple mentären Verhältnisses zu den Erwachsenen um definieren möchten, sei es in der Form direkter körperlicher Hinwendung zu den Erzieherinnen und bisweilen ihrer versuchten Besitzergreifung (Belagern, Festhalten) - deren Körper sind von den Kindern oft regelrecht umkämpft - , sei es in der Form von (bisweilen provokativen) Herausforderungen, die die Zuwendung der Erzieherinnen erzwingen. Darin wird hinter der programmatisch - komplementären Alltagsordnung doch die wechselseitige Angewiesenheit und Abhängigkeit von Kindern und Erwachsenen transparent. Dort wo die Herausforderungen allerdings als "auffälliges" oder ..entwicklungsverzögertes" Verhalten der Kinder diagnostiziert werden, normalisieren und normieren sie die komplementären Verkehrswege zwischen Kindern und Erwachsenen, die die Eigenständigkeit programmatisch festlegen. Sanftere Formen der versuchten Umdefinition dieser pädagogischen Ordnung ergeben sich aus Gelegenheiten, die die Kinder situativ oft sehr schnell erkennen und im Sinne ihrer Interessen nutzen. Dann versuchen sie etwa, die Erwachsenen in ihre Spiele mit einzubeziehen, sie als Vermittler von Fertigkeiten oder Fähigkeiten zu definieren, von denen sie etwas lernen möchten, oder aber Dinge, die sie schon einmal mit ihnen getan haben, durch Wiederholung allmählich in Rituale zu überführen. Obwohl oder auch gerade weil die Erzieherinnen als Professionelle auf das gemeinsame Programm verpflichtet sind und dessen Überführung in Alltagsordnungen für sie eine Form organisatorischer Bewältigung ihres gesellschaftlichen Auftrages darstellt, lässt sich ihre Haltung gegenüber der pädagogischen Ordnung als durchaus ambivalent charakterisieren. Versteckte Selbstdistanzierungen von der offiziellen Programmatik, Umdefinitionen didaktisierter Formen des Lernens, z.B. des Angebotes als lockere Formen der Geselligkeit, aber insbesondere auch informelle Absprachen über pragmatische Bewältigungsformen alltäglicher Anforderungen der offiziellen Verpflichtungen auf das Programm und schließlich die Urteile externer und entpflichteter Mitarbeiter verweisen auf den machtdruchdrungenen Herstellungscharakter von Präsentationen des Pädagogischen. Normierte Darstellungsformate des Lernens (Bollig 2004)
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und die Festlegung auf Muster pädagogischer Signifikation kennzeichnen daher einen zunehmenden Teil der Interaktionen zwischen Kindern und Erzieherinnen. Sie charakterisieren die symbolische Ordnung vergesellschafteter Generationenverhältnisse. Wegen der pädagogischen Bedeutsamkeit, die in der Realisierung von Programmen den selbsttätigen Bildungsprozessen der Kinder zugesprochen wird, wurden die ethnografischen Fokussierungen besonders von der Frage geleitet, wie denn nun die Kinder untereinander Ordnungen stabilisieren, aufgrund derer sie sich aufeinander beziehen können. Organisationstheoretisch betrachtet stellen sie zu einem zentralen Teil selbst die Umwelt bzw. Lernwelt her, die sie als Dienstleistungen des Kindergartens in Anspruch nehmen. Sie sind also nicht lediglich Kunden/Inanspruchnehmer von Betreuungsleistungen des Kindergartens, sie sind zugleich ,,Akteure des pädagogischen Feldes" (Honig 2002c: 14) und es sind überwiegend ihre Praktiken und Routinen, durch welche der Kindergartenalltag jene wiederkehrende und erwartbare "Struktur" erhält, die Organisationen kennzeichnet und die Kindern ermöglicht, sich darin zu orientieren und zu lernen, indem sie die Ordnungen und Praktiken, mit denen sie in Berührung kommen, reproduzieren, modulieren, serialisieren oder ihnen Brüche entgegensetzen. In diesem Sinn lassen sich die Ordnungen der Kinder als eine Organisationsmacht beschreiben, die sich, wenn auch nicht autonom im Hinblick auf ihre Beziehungen zu den Erwachsenen, im Spannungsfeld von Integration und Marginalisierung als existentiellen Schemata der Erfahrung entfaltet. Zwischen Dabei-Sein und Mitmachen auf der einen Seite und der Möglichkeit von Ausschluss/Isolation auf der anderen Seite schaffen sie in ihren Routinen und Freundschaften untereinander eigene Formen der Sozialität, die sie durch Rituale und Normen schützen. In ihren kontingenten Praktiken der Alters- und Geschlechterunterscheidungen sowie der ethnischen-, schicht- und milieuspezifischen Differenzierungen spiegeln sich die kulturellen Elementaria unserer Gesellschaft (Mollenhauer 1979). Die Kontexte dieser kulturellen (Re-)Produktion lassen sich in den nicht-pädagogischen Lebenszusammenhängen der Kinder auffinden. Die jeweiligen Spielarten der Geschlechter-, Alters- und ethnischen Ordnungen sowie ihrer Verknüp fungen sind deshalb je abhängig von ihren Akteuren, ihren Ressourcen (Denzin 1979) und dem kulturellen Kapital (Bourdieu 1987), das sie habi tuell entfalten. Ihre Handlungsmodi repräsentieren ein weites Feld unterschiedlicher Formen: Sie können als rituelle Praxis Freundschaftsbeziehungen erneuern oder auf Selbstbehauptung im Modus der Expressivität ausgerichtet sein, 237
andererseits können sie im Dienst der Unterwerfung/Kontrolle instrumentell verstanden werden oder aber z.B. über Geschlechterordnungen eine Kontaktfunktion erfüllen. Ihre gleichsam nicht-pädagogischen, partikularen und kontingenten Spielarten kennzeichnen die Begegnungsorte der Kinder als soziale Räume, die zwar für Kinder geschaffen sind, aber als Ordnungen der Kinder operieren. Als solche sind sie reale Kontexte des Kinderlebens und lassen sich aus dem organisatorischen Handlungsgeflecht des Kindergartens nicht als pädagogische Sonderräume (im Sinne von Freiräumen, in denen sich Kinder entwickeln können) herausdividieren. Die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse, die die Kinder in ihren Routinen reproduzieren, konstituieren einen wesentlichen Teil der Ordnungsmacht der Organisation Kindergarten. Diese bleibt aber inhaltlich unbestimmt, nimmt in den je partikularen frühpädagogischen Feldern, in die Kindertagesstätten eingebettet sind, jeweils unterschiedliche Formen an, variiert je nach ihren Akteuren, ihren Ressourcen, den politischen Strategien zentraler Akteure etc. Insofern stellen Kindertageseinrichtungen in den Begegnungsarrangements für Kinder offene Arenen kindlicher kultureller (Re-)Produktion dar, die als solche eine zentrale und dynamische Konstitutionsmacht der öffentlichen Kleinkinderziehung sind. Als Arrangements der Erwachsenen für die Kinder spiegeln sie eine liberale Praxis der Ordnungsbildung wieder, die ihre Organisationsmacht gerade deshalb entfalten kann, weil sie die Plausibilität gesellschaftlicher Machtverhältnisse, so wie sie in den kindlichen Praktiken reproduziert werden, nicht mehr begründen muss. Die Stabilisierung von Machtverhältnissen erfolgt in den (Re-)Produktionspraktiken der Kinder als der Pädagogik vorgängigen Ordnungen und die Möglichkeit ihrer Konsolidierung erhöht sich in Abhängigkeit von der Komplementarisierung der Erwachsenen-Kind-lnteraktionen. Die Rede von der Selbständigkeit der Kinder bezieht sich also auf deren (Re-)Produktion gesellschaftlicher Ordnungen. In dieser Heterogenisierung des Geschehens, die zwangsläufig im Zuge der Komplementarisierung des Interaktionsverkehrs zwischen Kindern und Erwachsenen entsteht, liegt auch eine entscheidende Strategie der Bewältigung des Vermittlungsproblems zwischen pädagogischem Rationalitätsanspruch und gesellschaftlicher Praxis, denn in der Heterogenisierung und Freisetzung der Ordnungen werden die paradoxen Vermittlungserwartungen, die an das professionelle Handeln der Erzieherinnen adressiert sind, minimiert. Diese Frage lenkte den ethnografischen Blick auf die pädagogischen Akteure. Wie kommen die Ordnungen der Kinder und ihre Sinnbezüge im professionellen Diskurs vor, wie lassen sich darin die beschriebenen Formen
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regulativer Praxis mit dem pädagogischen Anspruch vermitteln? In den ethnografischen Berichten und Schilderungen tritt vielfach hervor, wie dieser Zusammenhang zur Pädagogik durch Praktiken pädagogischer Signifikation hergestellt wird. Es handelt sich dabei um solche Praktiken, die den nicht nachweisbaren Zusammenhang zwischen pädagogischem Handeln und dem Lernen bzw. dem Lernerfolg der Kinder (vgl. Ölkers 1982; Heid 1994; Honig 2002b) symbolisch ersetzt durch den Nachweis von Praktiken, die sich auf Urteile, nicht aber auf die Sache (vgI. Honig/Neumann 2004) selbst beziehen. Dazu gehören zunächst alle jene Praktiken, die eine Referenz zum wissenschaftlich und kulturell geteilten bzw. legitimen Wissen herstellen. Ordnungen von Raum und Zeit, um deren Aufrechterhaltung es in der Interaktion mit den Kindern geht, sind keine beliebigen Ordnungen, sondern in Konzepte und Handlungsprogramme überführte semantisierte Bedeutungsgewebe, die das legitime kulturelle Wissen über Kinder und ihr Lernen gleichsam in die Orte und Abläufe des Kindergartengeschehens symbolisch einschreiben. Während es aber für Kinder zunächst nur Orte des Kinderlebens sind, verweisen sie für die Erwachsenen auf pädagogischen Sinn. Signifikationspraxen transportieren so eine Vielzahl von Zeichen in die Vollzüge des Alltags, die vom Wissen der Erwachsenen über das Lernen der Kinder zeugen, an dem die Kinder selbst zunächst nur insofern teilhaben, als sie es sich als Wissen der Erwachsenen über Kinder erschließen. Während aber für die Erwachsenen diese pädagogischen Szenarien des Kinderlebens Darstellungsformate einer guten Praxis symbolisieren, fungieren sie handlungspraktisch als eine Art choreografischer Einweisung in Situationen, die, wenn sie gelingt, für die Erwachsenen von den Lernprozessen der Kinder zeugen. Kennzeichnend für diese Signifikationspraktiken ist, dass sie ihre implizite Zeichenhaftigkeit gleichsam hinter dem Rücken der Akteure entfaltet, die als stumme Botschaften im Handlungsvollzug wirksam werden und deren Bedeutsamkeit für die eigene Person je individuell erschlossen werden muss. Die Einteilung der Zeit in biografische Zeitabschnitte durch die stetige Überziehung des Geschehens mit Geburtstagsritualen (Kap. 4.1.2), die Generalisierung spezifischer Wissens - und Könnenserwartllngen für spezifische Altersgruppen (Kap. 5.6), die Hierarchisierung von Altersstufen (Kap. 4.2.2 u. 5.6), Sonderförderung für die Schulkinder bei gleichzeitigem Ausschluss der Kleinen (Kap. 4.1.2), die Eruierung des Entwicklungsniveaus durch Beobachtungen, Aufzeichnungen, Objektivierung von Daten, Dokumentation von Entwicklungsschritten und Bildungsprozessen (Kap. 5.6), die Hervorhebung entwicklungsfördernder Leistungen des Kindergartens durch Aus-
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stellungen kindlicher Produkte, die Sammlung von Bildern in Schubladenschränken und ihre nach entwicklungsbezogenen Merkmalen vollzogene Sortierung und Aufbereitung in Mappen, die am Ende der Kindergartenzeit als Zeugnis einer professionell begleiteten Biografie des Lernens stehen [Honig/Ioos/Schrefber 2004), sind Praxen dieser pädagogischen Signifikation des Geschehens. Kennzeichnend für sie ist, dass sie auf Sinnkonstruktionen beruhen, die sich auf Erwachsenenhöhe abspielen und nur lose mit den Sinnbezügen der sozialen Kinderwelt gekoppelt sind. Dies heißt nicht, dass Kinder das Pädagogische nicht auch in ihren interpretativen Reproduktionen der Erwachsenenwelt entdecken (vgl. Kap. 4.2.2) und dass ihnen diese Entdeckungen zunehmend kommunikative Anschlüsse zu den Erzieherinnen eröffnen und Subjektivierungsmodi markieren. Gleichwohl sind die Begegnungen zwischen Kindern und Erwachsenen im Medium pädagogischer Sinnbezüge von einer ausgeprägten strukturellen Asymmetrie geprägt. Wie kommen nun aber umgekehrt die Praxen der Kinder (und die mit ihnen verknüpften Sinnbezüge des Kinderlebens) im professionellen Diskurs der Erzieherinnen vor? Die Antwort darauf muss angesichts der Vielfalt des Materials und der Kontingenz der Beobachtungen differenziert ausfallen. Mit Sicherheit aber lässt sich behaupten, dass die Thematisierung der kindlichen Praxen durch die Erzieherinnen davon abhängt, wie sich die Spiel- und Aktivitätsszenarien der Kinder in die Sinngefüge des Pädagogi schen fügen. Als malende, bastelnde, "schön spielende" Kinder stehen sie im Medium dieser pädagogischen Sinnbezüge und Erzieherinnen beziehen sich gerne darauf, denn "spielende Kinder" sind lernende Kinder und als solche zeugen sie von der Pädagogik des Kindergartens. Allerdings sind es mehr ihre verwertbaren Produkte und die Performativität des Spielens, was das Interesse der Erwachsenen kennzeichnet, als die Bedeutungskontexte der Kinder, die bei ihren Aktivitäten strukturierend sind. Schwieriger ist es, wenn der Gebrauch vorgängiger Kräfte/Ressourcen zu mehr oder minder brachialen oder subtilen Formen der Unterwerfung, Bedrohung, Gradierung, Gewaltanwendung, Zurückweisung oder Einschränkung persönlicher Freiheiten einzelner Kinder oder Kindergruppen führt. Unter diesen Vorzeichen fügen sich die Ordnungen der Kinder zwar nicht in die Sinnbezüge des Pädagogischen, sie können der Organisation des Kindergartenalltages aber in hohem Maße förderlich sein. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn der zeitliche Betreuungsaufwand relativ gering ist und die Ordnungen unter den Kindern strukturelle Asymmetrien stabilisieren, d. h. die Kämpfe um begehrte Ressourcen gleichsam durch die lnstitutionalisierung
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spezifischer Schemata abgekürzt werden oder aber, wenn der Gebrauch dieser Schemata überhaupt Bedeutungsrahmungen herstellt, durch welche sich Kinder aufeinander beziehen können. Wenn z.B.Alters- und Geschlechterordnungen ebenso wie ethnische Ordnungen bereits zu einem gewissen Maß dafür sorgen, dass sich erwartbare Muster der Alltagsbewältigung eta blieren und damit Orientierungen vermitteln, dann stellt sich der pädagogi sche Verbesserungsanspruch als eine Frage nach der Bewältigung der alltagsorganisatorischen Dilemmata, die sich zwangsläufig als Folgen der Verflüssigung oder Auflösung/Veränderungen der kollektiven Ordnungen der Kinder ergäben. Das Forschungsinteresse richtete sich daher auf die Frage, ob und wie diese Vermittlung von regulativer Praxis und pädagogischer Ambition erfolgt. Die ethnografische Analyse konnte dabei zeigen, dass die Strategien dieser Vermittlung die produktiven, d.h. für die Alltagsorganisation nützlichen Momente der Praktiken der Kinder keineswegs zerstören muss, um das Geschehen mit den Sinnbezügen des Pädagogischen zu signifizieren. Interventionen wie z.B. die Mandala-Praktik (vgI. Kap. 5.3) oder die Aufräumsanktion (vgI. Kap. 4.1.1) zielen darauf, raue, laute und aggressiv-gewaltsame Spielarten kindlicher Praxen zu befrieden und zu ästhetisieren, indem sie an Schemata wie laut/leise, friedlich/aggressiv anküpfend situativ zur Verbesserung des Geschehens eingesetzt werden. Sie fungieren als eine Art didaktischer Einweisung in Situationen, durch welche sich das Pädagogische als symbolische Ordnung mit der Selbstdisziplinierung der Kinder verknüpft. Andere Interventionen der Erzieherinnen bestehen in der Markierung und dem versuchten Ausschluss des offensichtlich Nicht-Pädagogischen. Dies geschieht z.B., wenn Kinder wegen ihrer Gewaltanwendung gegenüber anderen zeitweilig von den anderen isoliert werden (vgI. Kap. 4.1.1, Schweigestuhl, Isolation der Kinder im Büro der Leiterin). Wiederum andere Sanktionen sind direktive Einweisungen in konkrete Spiel- oder Beschäftigungs situationen des Kindergartenalltages (vgI. Kap. 4.1.1, die angeordnete Beschäftigung) oder aber die direkte Zuweisung bestimmter Spielpartner (vgI. Kap. 4.1.1). Den genannten Interventionsarten. die im Ausnahmefall angewendet werden, ist gemeinsam, dass sie den Modus der Bezogenheit zwischen Kindern und Erwachsenen im Krisenfall als ein hierarchisches Verhältnis chiffrieren. Sie entfalten ihre Wirkung in der symbolischen Signifikation dessen, was möglichst ausgeschlossen werden soll, und nutzen die Bezogen- und Verwiesenheit der Kinder auf Erwachsene als Appell, sich selbst
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im Sinne der erwünschten Eigenschaften zu transformieren. Sie zielen darauf, zivilisatorische Anstrengungen der Kinder in Gang zu setzen. Die Analyse dieser Interventionspraktiken offenbart jedoch, dass die von den Kindern in Gebrauch genommenen Ordnungen, um die es im Kern der Konflikte geht, unberührt bleiben. Implizit wird damit eine Unterscheidung getroffen zwischen der Sache bzw. der ,erfahrungsweltIichen Wirklichkeit des Kindergartens' und den legitimen Sinnbezügen, in der diese the matisiert wird. Es geht also um eine Frage der Sichtbarkeit/der Performativität oder - von der anderen Seite betrachtet - um eine strukturierenden Macht (Foucault 2005), die sich hinter dem Sicht- und Sagbaren bzw. dem Gezeigten verbirgt Implizit haben die skizzierten Spielarten der Intervention also eine affirmative Funktion im Hinblick auf die kollektiven sozialen Ordnungen der Kinder. Sie können dies aber nur, wenn sie sparsam eingesetzt werden. Ansonsten verweisen sie lediglich auf die Ohnmacht der Erwachsenen und die Unselbständigkeit der Kinder. Sie können also nur dann wirksam werden, wenn sie selbst schon als Störfall des Normalen kodiert und verstanden werden.w Sie können auch deswegen nur als Störfall kodiert werden, weil sie den Vorstellungen einer (zeitgemäßen) Pädagogik der Selbstbestimmung nicht entsprechen. Als hierarchische Sanktionen widersprächen sie in hohem Maß den Idealen einer kindzentrierten Pädagogik, die die selbsttätigen Bildungsprozesse der Kinder begleiten will, sie zeugten also nur vom Versuch der Bewältigung schwieriger Situationen, nicht aber von Pädagogik. Wenn aber die institutionelle Praxis zeigen muss, wie sie das Prinzip eines selbstbestimmten Lernens, die Begleitung der Bildung und Person-Werdung von Anfang an verwirklicht, wie können dann die Widerspruche zwischen vorgängigen ("nicht-pädagogischen") sozialen Ordnungen mit dem Anspruch einer "nicht-affirmativen", "nicht-hierarchischen" (Benner 1987) Pädagogik vermittelt werden? Aus den ethnografischen Schilderungen geht hervor, dass pädagogi scher Sinn gerade dort ein prekärer Bezugspunkt professioneller Kommunikation ist, wo sich pädagogisches Handeln im Hinblick auf die angestrebten Ziele legitimieren muss. Eine Tendenz der Entindividualisierung dieses Problems ist seine Bearbeitung durch die verbindliche Festschreibung von Handlungsmustern. Damit muss der pädagogische Sinn der Praxis gar nicht
Benner (1987) hat vergleichbar dieser Einsicht pädagogisches Handeln als ein "sich selbst negierendes Gewaltverhältnis" charakterisiert
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mehr in den je konkreten Gelegenheitsstrukturen für Lernprozesse gesucht und thematisiert werden, sondern schreibt sich dem Verkehr unter Professionellen in der Form institutionalisierter aufeinander bezogener TeilPraktiken ein, durch welche die Enkodierung des professionellen Tuns mit pädagogischem Sinn über normierte Alltagsvollzüge geleistet wird. Dies hat auch für die Verkehrsformen von Kindern und Erzieherinnen nachhaltige Konsequenzen, denn auch hier kommt das Pädagogische lediglich beim Vollzug von Routinen als ein symbolischer Kode zum Tragen, auch dann bzw. gerade dann, wenn die Sinnhorizonte von Kindern und Erzieherinnen völlig entkoppelt sind. Wo pädagogischer Sinn der Erwachsenen und die nicht-pädagogischen, sozialen Ordnungen der Kinder quer zueinander stehen, kommt den Routinen jene intermediäre Funktion zu, die in ihrer raumzeitlichen Ausdehnung jenen Fluss erwartbarer Ereignisse entstehen lassen, die dennoch Orientierung und Seinsgewissheit stiften.s? Auf der Handlungsebene der Erzieherinnen als professionellen Akteuren lässt sich diese Vermittlung paradoxer Ordnungen in Strategien der Amalgamierung von Pädagogik und Nicht-Pädagogik identifizieren (vgI. Kap. 4.3.2). In ihnen stehen die nicht-pädagogischen Ordnungen im Dienste der Alltagsorganisation, also auch im Dienste der Signifizierung des Pädagogischen und damit implizit der Unterscheidung von Pädagogik und Nicht-Pädagogik. Allerdings handelt es sich bei diesen Strategien nicht etwa um Formen der destruktiven Unterwanderung professioneller "Standards" oder um illoyale Einstellungen gegenüber den Leitzielen und Wertbezügen institutioneller Pädagogik, sondern um jene nicht bewussten Zugriffe auf hinter dem Rücken der Akteure liegende Strukturen, die den Akteuren, zumindest im Handlungsvollzug, nicht in der Form diskursiven Bewusstseins zugänglich ist Die beobachteten Strategien der Vermittlung (vgI. Kap. 4.3.2) bestehen im Einzelnen in der freisetzenden Entgrenzung der sozialen Kinderwelt, etwa in der Kultivierung nicht-pädagogischer Ordnungen an abseitigen Orten, im permissiven Umgang mit instrumentellen Praxen der Kinder, in der Instrumentalisierung der instrumentellen Praxen der Kinder sowie dem diskursiven Ausschluss dieser paradoxen Alltagsorganisation. Ähnliche Strategien der Harmonisierung von Gegensätzen sind Normalisierungen
Ein solcher Praktik- bzw. Routinebegriff verknüpft: die Sozialintegration von Subjekten auf der Ebene von Kopräsenz mit einer Systemintegration von Subjekten auf der Ebene überzeitlicher und überörtlicher Systeme (Netzwerke; vgI. hierzu auch Bourdieus Begriff des sozialen Raumes [Bourdieu 1985]).
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und Euphemisierungen des Geschehens etwa im Rahmen von Lern- bzw. Entwicklungsmetaphern. Diese Strategien werden in professions- bzw. professionalisierungstheoretischen Sichtweisen z.T. als Kompetenzdefizite von pädagogischem Personal problematisiert, hier sollten aber die strukturellen Ambivalenzen sichtbar gemacht werden, vor deren Hintergrund sie Bewältigungsversuche struktureller Dilemmata beschreiben. Die analysierten Vermittlungsstrategien bilden gleichsam die Rückseite der Signifikationspraxen des Pädagogischen.
6.2
Reorganisation der frühen Kindheit als zunehmende Entkopplung von pädagogischem Sinn und operativer Macht des Geschehens
In welchem Verhältnis stehen diese Befunde nun zu dem Anspruch, die Qualität des Kindergartens zu steigern? Lassen sie sich in Verbindung mit den aus dem ersten Ergebnisteil hervorgehenden Befunden zu Aussagen ver dichten, die den Wandel von Kindheit erkennen lassen? Lässt sich zeigen, wie der Kindergarten selbst Moment dieses Wandels ist, indem er ihn in einer Erfahrungswelt kultiviert, die er durch seine Organisationsstruktur erzeugt? Wie lässt sich dieser Wandel dann beschreiben? In KapitelS wurden die Beobachtungen im Hinblick auf die Qualitäts ambition fokussiert. Dabei ließ sich eine Reihe von Praktiken identifizieren, die an konkrete Leistungserwartungen anknüpfen. Dazu gehört etwa die gesteigerte Öffentlichkeitsarbeit, der stärkere Einbezug der Eltern in die Gestaltung des Kindergartens, die stärkere Gewichtung des Lern- und Bildungsaspektes ebenso wie die Steigerung der konzeptuellen Arbeit (vgl. z.B. Kronberger Kreis für Qualitätsentwicklung in Kindertageseinrichtungen 2001 3 ; ErathjAmberger 2001). Die daraus entstehenden Praktiken (gesteigerte Teamarbeit, mehr Absprachen bezüglich gemeinsamer konzeptueller Orientierungen ebenso wie verstärkte Kooperation bei der zunehmenden internen Öffnung des Kindergarten) verweisen einerseits auf ein dichter werdendes professionelles Sinnsystem, dessen zunehmende Pädagogisierung auf eine sich zwischen den Akteuren installierende Macht im Sinne Foucaults (2005) hinweist. Die Erzieher als professionelle Akteure können dann ihre beruflichen Handlungsvollzüge umso besser absichern, je mehr sie sich auf normierte Verfahren stützen, die ihrerseits auf geteilte Sinnbezüge im pädagogischen Feld referieren. Allerdings handelt es sich hierbei um die Sinnbezüge auf Erwachsenenhöhe, welche aufgrund ihrer Abkopp244
lung und Indifferenz gegenüber den Ordnungen und Sinnhorizonte der Kinder auf eine zunehmende Komplementarisierung zwischen der Erwachsenenweit und der Welt der Kinder hinausläuft. Dies wurde an Qualitätspraktiken veranschaulicht, die sich auf die Ambition beziehen, den Kindergarten im Hinblick auf die gesteigerten Leistungserwartungen zu verbessern (vgI. Kap. 5). In der Festschreibung von Abläufen, Verfahren und Settings transformieren sie die Interaktionsverhältnisse von Kindern und Erzieherinnen. In den neuen Routinen fallen Kindern und pädagogischem Personal spezifische Aufgaben zu, die sie je perspektivisch aufeinander beziehen. Die Leitidee der Selbsttätigkeit und Selbständigkeit der Kinder wird darauf bezogen, dass Kinder mehr als zuvor ihre Entwicklung unter Gleichaltrigen vorantreiben. Daher kultivieren und normieren die neu entstehenden Arrangements überwiegend eine raumzeitliche Trennung von Kindern und Erzieherinnen sowie eine komplementäre Bezogenheit zwischen ihnen, die sich auf das "Funktionieren" der Arrangements bezieht Das wird z.B. deutlich in der Durchführung des sog. Kinderbistros, das aufgrund seines verstärkten Öffentlichkeitscharakters den Kindern implizit neue Aufgaben formuliert. Diese bestehen darin, sich in der int erp reta tiven Reproduktion sozialer Ordnungen aufeinander zu beziehen und das Wissen um diese Ordnungen gleichsam als Medium der Herstellung von Zugehörigkeit zu reproduzieren. Eine andere Art der Einflussnahme sind etwa Disziplinierungspraxen, wie z.B. die der Mandala-Interventionen. Diese sind jedoch nicht nur Disziplinierungsappelle, sie stellen vielmehr zugleich soziale Choreografien dar, in welche n die Perspektivität zwischen Kindern als Lernwesen und Erwachsenen als Wissenden gleichsam szenisch ritualisiert wird. Andere Formen der Komplementarisierung bestehen in der Steigerung des Animationscharakters der Spiel- und Aktivitätsszenerien für selbsttätiges Lernen. Die zunehmende Öffnung von Kindertageseinrichtungen und die Regulierung des Geschehens in Form institutionalisierter Ordnungselemente, wie z.B. dem der Magnettafel, durch welche die Belegung von Räumen im Kindergartenalltag gemanagt wird, verweisen auf jene Wissenskontexte (hier: dem des eigenständigen Kindes als Akteur seiner Selbst), in welchen die Alltagsord nung die Selbstorganisation der Kinder voraussetzt So legt beispielsweise die MagnettafeI den Operationsmodus für die Belegung der Räume fest und überträgt dessen fortdauernde Anwendung den Kindern, wohingegen die Erzieherinnen die korrekte Bedienung kontrollieren. Dieses Gebrauchsschema weist in der Verknüpfung von Organisation und Interaktion, (Mollenhauer 1976: 51) den beiden Akteurgruppen (Kindern und Erzieherinnen) Verantwortlichkeiten zu, durch welche sie sich in einem komplementären 245
Modus von Aufgabe und Kontrolle aufeinander beziehen und im Vollzug ihrer Handlungen die Unterscheidung zwischen Kindern und Erwachsenen als "pädagogische Differenz" (Nemitz 1996) fortwährend hervorbringen (vgI.Jung 2005). Im Kapitel 5.2 (Der Holzzug) steHt sich das Problem pädagogischer Qualität bei der Frage danach, ob ein Holzzug im Freigelände abgeschafft werden soll, weil er den Sicherheitsstandards nicht mehr entspricht Ob die finanziellen Aufwendungen für seine Reparatur von Trägerseite erbracht werden, hängt von der pädagogischen Argumentation für seine Instandsetzung ab. Dass er als Ort im Freigelände eine der seltenen Gelegenheitsstrukturen schafft, bei der die Begegnungen zwischen Kindern und Erwachsenen nicht durch den Entwicklungsbezug finalisiert werden, ist aber kein diskursfähiges Argument In den Kämpfen um Erhalt und Abschaffung des Zuges wird deutlich, wie die Qualitätsambition jene sozialen Orte systematisch bedrohen, an denen nicht zweckgebundene Formen der Geselligkeit kultiviert werden und daher die Sinnhorizonte der Akteure nicht systematisch entkoppelt sind. Schließlich zeigen die Beobachtungen zu den Entwicklungsdokumentationen (Kap. 5.6) nicht nur z.T. wenig einfühlsame und instrumentelle Haltungen gegenüber den Kindern im Hinblick auf die Notwendigkeit, für die neu eingeführten regelmäßigen Entwicklungsgespräche mit den Eltern verwertbare Bildungsdokumentationen zu erstellen. Vielmehr thematisieren sie ein systematisches Problem, das sich aus den im pädagogischen Feld virulenten Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten ergibt: Je mehr das Lernen der Kinder in spezifische kindgemäße Settings überführt wird, je spezialisierter das Wissen um die Entwicklung und das Lernen der Kinder ist, je mehr der Verkehr zwischen Kindern und Erwachsenen in Routinen komplementarisiert wird, desto mehr driften die Sinnbezüge von Kindern und Erwachsenen auseinander und lassen die Rekonstruktion kindlicher Lernprozesse als Desiderat pädagogischer Professionalität erscheinen. Aus dieser Perspektive stellen sich Entwicklungsbeobachtungen und Bildungsdokumentationen als alltagspraktische und -organisatorische Lösungen für ein strukturell immer nachhaltiger erzeugtes Problem dar. Vergleicht man nun die beschriebenen Praktiken der Verbesserung mit den im ersten Ergebnisteil beschriebenen Ordnungstypen der Interaktion zwischen den Akteuren, dann erweist sich, dass Qualitätspraxen eine Steigerung pädagogischer Signifikation des Geschehens mit sich bringen. Die Analyse der Qualitätspraxen macht den dynamischen und durch Diskurse gesteuerten Wandel der Kindheit insofern sichtbar, als sie den Prozess der 246
Einflussnahme auf die Perspektivität zwischen Kindern und Erwachsenen verdeutlicht. Der gesteigerten Leistungserwartung entspricht eine zunehmende Selbstvergewisserung und Wissensbildung über das Lernen der Kinder auf Erwachsenenhöhe, sie vollzieht sich in einem sich ausweitenden normierenden Feld geteilten Sinns, der einerseits laufend die Gleichheit der Erwachsenen im Hinblick auf die Kinder hervorbringt und als Legitimationshorizont für die pädagogische Praxis dient. Dieser Symmetrisierung auf Erwachsenenhöhe entspricht eine Asymmetrisierung und Komplementarisierung der Begegnungsformen zwischen Kindern und pädagogischem Personal. Die sie strukturierende Macht ist aber keine hierarchische bzw. unterwerfende Herrschaft, sondern eine liberale Gestaltungskraft, die nach innen hin Arenen öffnet und die Kinder so in ihrer Sozialität zum Medium der Erziehung macht Die von ihnen reproduzierten, über die Grenzen des Kindergartens hinausweisenden Praxen der Alters- und ethnischen Differenzierungen erfüllen für sie eine Orientierungsfunktion, die die pädagogische Symbolwelt nicht stiftet
6.3
Perspektivität und Qualität als Schlüsselbegriffe einer Theorie des Kindergartens
Dem Auseinanderdriften von Erwachsenenwissen über Kinder und den Sinnkontexten der Kinder entspricht also eine sich ausdehnende Macht kollektiver Praxen der Kinder, die vom pädagogischen Sinn der Erwachsenen zwar entkoppelt, aber nicht unabhängig oder neben ihr existiert, sondern eine durch die Entkopplung bedingte Freisetzung und Nutzung der Potentiale im Sinne der organisatorischen Strukturierung des institutionellen Kinderlebens ist Es ist eine Macht, die sich nach innen hin und zwischen den Kindern Geltung verschafft und die in der (Re-)Produktion gesellschaftlicher Ordnungsschemata Regulative für das Zusammenleben und Schemata der Binnendifferenzierung der sozialen Kinderwelt erzeugt Die darin enthaltenen .Bfldungspotenttale" sind in hohem Maße perspektivisch und werden zunehmend differenzierter, informeller (Betz 2006; GrundmannjDravenauj
Luhmann (2006) hat im Rahmen seiner Theorie der Medialität des Kindes gezeigt, wie die Idee des Kindes die pädagogische Kommunikation organisiert. In Anknüpfung daran lässt sich behaupten, dass die Idee des Kindes in eine Idee der Kinder übergegangen ist, das heißt, dass das Wissen um das Lernen des Kindes in ein Wissen um das Lernen der Kinder unter Peers transformiert ist und entsprechend die pädagogische Kommunikation strukturiert.
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Bittlingmayer/Edelstein 2006) und abhängiger von den jeweiligen Akteuren, ihren Ressourcen, ihrem kulturellen Kapital und mithin ihrer sozialen Herkunft und Positionierung (vgl. Denzin 1979). Insofern entspricht der Normierung der Praxen pädagogischer Signifikation eine Institutionalisierung des Informellen, des jeweils partikular Unterschiedlichen, der kontingenten und flexiblen Ordnungen der Kinder. "Die Welt noch einmal", könnte man vermeintlich mit Klaus Mollenhauers berühmter Rekonstruktion der vergessenen Zusammenhänge der pädagogischen Aufgabe sagen (Mollenhauer 1983/2003), aber nicht als didaktische Repräsentation, sondern als wirkliche Welt, die in ihrer Zersplitterung im Innern pädagogischer Einrichtungen angesiedelt wird. Die Aufgabe ihrer (inhaltlichen) Begrenzung stellt sich dabei nicht so sehr als eine Frage der Auswahl von .Blldungsstoffen" und .Bildungsplänen". sondern als ein Problem der Organisation von Kräfteverhältnissen bzw. Ordnungen unter den Akteuren und deren Stabilisierung. Dabei können pädagogische Ideale, wie z.B. Mündigkeit, Toleranz, Mut, nur eine begrenzte Rolle spielen, denn primär kommt es auf die Stetigkeit von Ordnungen an, ohne die sich überhaupt keine Erfahrung machen lässt. Unter diesen Voraussetzungen wäre die Steigerung der Möglichkeiten von Erziehung (Luhmann 1981), die ja grundsätzlich eine Destabilisierung von Ordnungen darstellt, sogar prekär. Um überhaupt etwas bewirken zu können, ist es folgerichtiger, auch mit den nicht-pädagogischen Ordnungen zu kalkulieren. Die Funktion, die dabei den pädagogischen Professionellen zukommt, besteht daher weniger in der Schaffung und zunehmenden Qualifizierung einer pädagogischen Sonderwelt, sondern darin, die Kräfte der miterziehenden Umwelt zu gebrauchen.ü ihre Ressourcen und Regeln strategisch mit den Erwartungen, die an die Pädagogik des Kindergartens adressiert werden, in Einklang zu bringen, sie gewissermaßen in ein pädagogisches Sinnsystem einzuhegen. Konkret bedeutet dies, entstehende Ordnungen entweder zu unterstützen oder zu bekämpfen, ihnen Raum und Zeit zu gewähren oder zu entziehen, sie an spezifischen Orten anzusiedeln oder die Ordnungen strategisch miteinander zu verknüpfen, sie zu trennen oder aber Arenen zu öffnen, um die Positionierung der Ordnungen zueinander über den Kampf entscheiden zu lassen. Wichtig ist dabei die Unterhaltung strategischer Beziehungen zu zentralen Akteuren. Das können sowohl einzelne
VgI. hierzu Jürgen Reyers (2004) historische Auseinandersetzung mit den "Grenzen der Erziehung".
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Kinder als auch ausdifferenzierte ,organisatorische Gebilde' des Kinderlebens sein, Beziehungsgeflechte, die im Kindergarten über Raum und Zeit hinweg eine relative Stabilität haben. Natürlich spielen dabei im Hintergrund auch andere Akteure eine Rolle: Erzieherinnen und andere pädagogische Mitarbeiterinnen, Eltern und die Elternschaft im Gremium des Vorschulausschusses, weiteres pädagogisches Personal, der Träger oder andere pädagogische Einrichtungen im institutionellen Netz der Pädagogik. Es handelt sich bei der so sich konstituierenden Binnenwelt des Kindergartens sowohl um eine isolierte und wohlorganisierte Mikrowelt der Erfahrung und Erziehung als auch um keine Mikrowelt. Sie ist insofern keine Mikrowelt, als sie eine im Innern reproduzierte Außenwelt ist und die Ordnungen ebenso im Kindergarten sind wie außerhalb, weil sie das Soziale schlechthin konstituieren und insofern ebenso der Gesellschaft wie der Organisation zuzuordnen sind. Zugleich verknüpft sie aber als Mikrowelt die institutionalisierten Ordnungen mit einem Netz pädagogischer Wissensdifferenzierungen, über die die Kommunikation mit der ,,Außenwelt" reguliert wird und über die im Medium von Qualitätserwartungen die Selektivität dessen, was sich intern ereignet, beeinflusst wird. Qualität spielt dabei die Rolle eines Dispositivs der Verknüpfung externer Erwartungen mit internen Entscheidungen und Selektionen. Die Funktion, die einer sich so ausdifferenzierenden institutionalisierten, aber zugleich flexiblen Mikrowelt zukommt (Mayntz 1988: 21), besteht primär in der Organisation von Erfahrung mit gesellschaftlichen Ordnungen. Die Perspektivität zwischen Kindern und Erwachsenen wird über diese n Mikrokosmos vermittelt, der je nach Situierung des Kindergartens im sozia len Raum (Bourdieu 2001) diesen mehr oder minder reproduziert. Als solcher wird er zugleich für und von Kindern erzeugt und stellt für sie als eine periodisch wiederkehrende Zeitspanne der Kopräsenz mit anderen Kindern eine hermetische Verbindlichkeit her. Er tritt ihnen als soziales Objekt entgegen, über dessen Wahrnehmung sie ihre Beziehungen zu anderen steuern und für dessen Reorganisation sie als positionierte Akteure je perspektivische Leistungen erbringen. Diese .Elgenständlgkettserwartung" tritt ihnen in der Form von Selbsttransformationserwartungen entgegen, denn auch für die Erzieherinnen ist der soziale Raum der institutionalisierten Kinderwelt ein Wahrnehmungsmuster, innerhalb dessen sie die Kinder als Individuen beobachten, ihre Entwicklung einschätzen und ihre Lernerfolge beurteilen. Obgleich die Erzieherinnen selbst keine direkten Akteure dieses Raumes sind und die Beziehungen zu ihnen in hohem Maße ökonomisiert sind, spielen sie doch auch eine nicht unbedeutende Rolle bei der Gestaltung 249
dieses Raumes. Sie verfügen nämlich über wertvolle Ressourcen, die bei der Positionierung von Akteuren und Akteurgruppen zueinander im Spiel sind (Zeit, Raum, Autorität). Daher sind die Beziehungen zu ihnen ein ebenso knappes wie begehrtes und kostbares Kapital, das für die Positionierung der Kinder in der Sozialwelt der Kinder strategische Bedeutung hat. Auch den Eltern kommt als nicht kopräsenten Erwachsenen bei der Reproduktion des sozialen Raumes und der Selbstpositionierung der Kinder eine entscheidende symbolische Rolle zu. Durch sie wird - genealogisch betrachtet - der soziale Herkunftsort der Kinder symbolisch markiert. Dies ist eine Ressource der Kinder, da sie über die habituelle Reproduktion ihrer sozialen Herkunft eine Positionierung innerhalb des sozialen Raumes (Bourdieu 1985b) repräsentiert, von der aus dieser soziale Raum als Objekt erschlossen werden kann. Je genauer die Selbstverortung, desto besser die Wahrnehmung der Ordnungen und deren objektive Relationen zueinander und deren Zusammenführung zu einem sozialen Objekt. Dies gelingt durch Erfahrungen, die Kinder als Akteure in ihren Beziehungen zu anderen im Schematismus von vertraut/fremd bzw. gleich/ungleich machen. Diese Reproduktion der Differenzierungen des sozialen Raumes (Bourdieu 1987) durch die Kinder haben auch Corsarn/Rosier (1992) und Corsaro (1993) untersucht. Aus ihren Untersuchungen wird deutlich, wie die soziale Herkunft nicht nur Ressource, sondern ebenso Einschränkung bedeutet, da die Kinder in der interpretativen Reproduktion sozialer Positionierungen die soziale Ungleichheit in ihren Praktiken wiederherstellen. Es war das Anliegen dieser Arbeit, die Erfahrungswelt des Kindergartens ethnografisch zu erforschen, um daraus eine Antwort auf die Frage abzuleiten, wie der Kindergarten als Organisation erzieht. In Auseinandersetzung mit der an die Pädagogik gerichteten und im Qualitätsdiskurs reformulierten Erwartung der ,Rationalisierung der Erziehung' (Bernfeld 2000: 15) wurden Praktiken und Routinen, die den Alltag des Kindergartens konstituieren, ins Blickfeld einer organisationstheoretischen Perspektive geruckt und im Hinblick auf die organisatorische Vermittlung zwischen pädagogischem Rationalitätsanspruch und multifunktionaler Erwartungsstruktur untersucht Die lnstituetik der Ordnungen des Kindergartens kreiste um die Konzepte der Perspektivität und der Qualität. Sie müssen im Sinne einer Vermittlung von pädagogischer Rationalität und gesellschaftlicher Funktionalität als Schlüsselbegriffe einer Theorie des Kindergartens gelten. Der Begriff der Perspektivität, so wie er in Ankn üpfurig an Mead (1927/64) für die vorliegende Untersuchung leitend war, kennzeichnet die Form der Erziehung (Prange 1995, 1999,2004) als eine generationale Ord250
nung (Honig 2001), die die Unterscheidung von Kindern und Erwachsenen organisiert. Er war, an die neuere deutsche Kindheitsforschung (Honig/ Leu/Lange 1999) anknüpfend, dazu geeignet, institutionalisierte Kindheit als Ordnung der Kindheit zu explizieren, die quersteht zu den Ordnungen der Kinder. Gleichwohl spielen Kinder als Akteure in ihr eine wichtige Rolle, allerdings nicht als ,emanzipierte Subjekte ihrer Gegenwart' (Qvortrup 1997). Die Ergebnisse der Studie führten zur Einsicht, dass die Ordnungen der Kinder konstituierende Bestandteile einer Ordnung der Kindheit sind. Dem Begriff der Perspektivität kommt dabei die Funktion zu, in den Figurationen von Ordnungen eine erfahrungsweltliche Form der Erziehung zu identifizieren und damit Erziehung als ubiquitäres und entpersonalisiertes Generationenverhältnis zu beschreiben, insbesondere ihre Historizität. Die in dieser Studie untersuchte ,Generationengestalt'S2 stellt sich daher als eine historisch kontingente Form der Perspektivität dar, die in situierter Praxis pädagogische und nicht-pädagogische Ordnungen, so wie sie von den Akteuren jeweils aktualisiert werden, in je spezifischer Weise miteinander verknüpft. Dies wird umso deutlicher, wenn man Perspektivit ät in Relation zu Qualität stellt. Die ethnografischen Beschreibungen haben zu zeigen versucht, wie Qualitätspraktiken je konkrete und generalisierte Erwartungen an die Leistung des Kindergartens intern aufgreifen und bearbeiten. Als solche sind sie multifunktional, sie reagieren nicht nur auf pädagogische Erwartungen, sondern auf eine Vielzahl von Interessen und Verbesserungsambitionen.P Als sich verstetigende Praktiken sind sie Momente der Strukturierung des sozialen Mikrokosmos der Erziehung und schaffen in Form interner Differenzierung von Ordnungen redundante Erfahrungsmöglichkeiten. Die Vermittlung zwischen pädagogischem Rationalitätsanspruch und gesell schaftlicher Funktionalität erfolgt in den alltagspraktischen Routinen als Entparadoxierung durch interne Differenzierung von Ordnungen (Drepper 2003: 220). Praktiken der Signifikation des Pädagogischen und das operative Erziehungsgeschehen, das durch die Ordnungen der Kinder bestimmt wird, sind also voneinander entkoppelt. Der Kindergarten, so könnte man
VgI. Fend (1988). Magdalena [oos (2002) konnte zeigen, dass sie ebenso ein Instrument der Familien- und Arbeitsmarktpolitik sind, wie sie eine wichtige Rolle bei der Armutsbekämpfung spielen, indem sie weibliche Qualifikationen und Erwerbstätigkeit mobilisieren. S2 S3
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daher sagen, erzieht nicht-pädagogisch. Das Ordnen der Erfahrungen ist die implizite Aufgabe, die sich Kindern angesichts einer fragmentierten Erfahrungsweit stellt Der implizite Maßstab, an dem die pädagogische Qualität des Kindergartens bemessen wird, ist die Selbständigkeit der Kinder. Als formaler Begriff bezeichnet Qualität je historisch kontingente Maßstäbe der pädagogischen Ambition der Verbesserung pädagogischer Praxis schlechthin. Diese Bewertungsmaßstäbe sind für die Akteure pädagogischer Felder handlungsrelevant (Honig 2003) und können als basale Regeln der Institutionalisierung von Handlungsmustern und somit der Herstellung und Transformation pädagogischer Erfahrungsfelder aufgefasst werden. Perspektivit ät und Qualität beschreiben also, wie die Organisation Kindergarten mit dem weiteren gesellschaftlichen Ereignisfeld verknüpft ist Sie thematisieren die funktionale Relation zwischen institutioneller Erfahrungsweit als einer organisatorischen Einheit und gesellschaftlichen Erwartungen und kennzeichnen pädagogische Institutionen als je historisch bedingte bewegliche Effekte, die aus den Transaktionen je spezifischer Akteure hervorgehen. Eine Theorie des Kindergartens ist insofern auch eine Theorie der Differenzierung von Kindergärten. Sie vermag die Ungleichheit der Erfahrungswelten nicht nur in der Binnenwelt von Kindergärten zu verorten, sondern auch zwischen Kindergärten - bedingt durch ihre jeweilige Situierung im sozialen Raum - als Reproduktion sozialer Ungleichheit in den Blick zu nehmen. Eine solche Theorie steht daher in einer funktionalen Relation zu einer Theorie pädagogischer Felder (HonigjNeumann 2004), da sie die Rolle des Kindergartens als einem kollektiven Akteur im pädagogischen Feld expliziert Im Hinblick auf die aktuelle Bildungspolitik sollte der Zusammenhang von Qualität und Perspektivität jedoch deutlich machen, dass die Instituetik des Kindergartens vom sozialen Wandel generationaler Ordnungen bestimmt ist, die von Kindern und Erwachsenen perspektivisch reproduziert werden.
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Erklärungen Sämtliche Daten des beforschten Kindergartens wurden anonymisiert, Einrichtungsbezeichnung sowie Namen von Mitarbeitern, Kindern, Eltern etc. wurden pseudonymisiert. Einzelne Teile der Arbeit wurden zuvor in anderen Buch- bzw. Zeitschriftenbeiträgen publiziert. Die näheren bibliografischen Angaben werden im Text vorgenommen. Folgende Abkürzungen werden im Text verwendet:
Afl: Arbeitsstelle für Integration VAS: Vorschulausschuss Beim Zitieren von Protokollausschnitten und bei der Transkription von Videoaufnahmen werden folgende Zeichen verwendet: (asdJ):
[...J: AAA:
Einführende, zeitraffende oder kommentierende Passagen Auslassungen im Protokoll oder Transkript Großbuchstaben für betonte Sprechpassagen
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Wörtliche Rede wurde in den Transkriptionen nicht durch Anführungszeichen kenntlich gemacht.
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