Katrin Girgensohn (Hrsg.) Kompetent zum Doktortitel
VS RESEARCH Key Competences for Higher Education and Employability Herausgegeben von Dr. Katrin Girgensohn Dr. Gundula Gwenn Hiller
Der Erwerb von Schlüsselqualifikationen spielt eine zunehmend größere Rolle in der Hochschulausbildung. Im Zuge des Bologna-Prozesses wird nachhaltig gefordert, dass die akademische Ausbildung den Studierenden Qualifikationen jenseits des Fachlichen vermittelt, die ihnen einerseits dabei helfen, selbstgesteuertes und lebenslanges Lernen zu bewältigen. Andererseits sind diese Qualifikationen auch auf „employability“ (= Berufsfähigkeit) ausgerichtet, d. h. auf die Fähigkeit, berufliche Herausforderungen zu bewältigen. Dies stellt die Hochschulen derzeit vor die Aufgabe, ihre Angebote an die sich verändernden Bedingungen anzupassen. Diese Reihe widmet sich verschiedenen Fragestellungen zur Implementierung von Schlüsselqualifikationen an Hochschulen. This book series is dedicated to the implementation of key qualifications at universities. The acquisition of key qualifications plays an increasing role in university education. The Bologna process demands training for key competences beyond the curriculum: On the one hand these competences should enable students to master their studies with independent and lifelong learning. On the other hand these qualifications are aligned also to employability (= ability to work), i. e. to the ability to master vocational challenges. Universities have to adapt their offers to these changing conditions.
Katrin Girgensohn (Hrsg.)
Kompetent zum Doktortitel Konzepte zur Förderung Promovierender
Mit Geleitworten von Nina Lemmens und Arnd Wasserloos
VS RESEARCH
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Gedruckt mit Förderung des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2010 Lektorat: Dorothee Koch | Anita Wilke VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-17272-9
Geleitwort Internationale Potentiale führen zum Erfolg Geleitwort
Der Anteil der ausländischen Promovierenden an der Europa-Universität Viadrina liegt mit 30% über dem Durchschnitt an deutschen Hochschulen und ist ähnlich hoch wie in anderen bevölkerungsstarken Ländern wie Frankreich, Großbritannien oder den USA. Die Europa-Universität Viadrina hat früh erkannt, dass diese Gruppe ausländischer Promovierender ein großes Potential darstellt, das es besonders zu fördern und zu einem Teil einer umfassenden Internationalisierungsstrategie der Hochschule zu machen gilt. Mit Hilfe des aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) finanzierten und vom DAAD koordinierten Programms zur Förderung der Internationalisierung an den deutschen Hochschulen (PROFIS) wurde das Projekt „Wissenschaftskompetenz durch Diversität“ Ende 2007 begonnen. Ziel war es, gemeinsame Trainingsmodule für internationale und deutsche Doktoranden und Doktorandinnen zur Sensibilisierung für Wissenschaftskulturen und zur Förderung interkultureller Wissenschaftskompetenz zu schaffen sowie Kleingruppen zum „Academic Peer Coaching“ zu bilden, die eine enge gegenseitige Betreuung gewährleisten. Damit wurde, wie die Evaluation nach Ende des Projektes 2008 zeigt, nicht nur eine bessere Betreuungssituation für die ausländischen Promovierenden erreicht, sondern auch den deutschen Promovierenden ein Stück internationalisation at home nahegebracht. Die Diversität der Wissenschaftskulturen fördert die Entwicklung interkultureller Wissenschaftskompetenz, die allen Beteiligten in ihren zukünftigen Arbeitsfeldern zugute kommen wird. Sehr viel Wert wurde seitens des DAAD auf die Vernetzung und Verbreitung von im PROFIS-Programm entwickelten Projekten gelegt. Das vorliegende Projekt „Wissenschaftskompetenz durch Diversität“ der Europa-Universität Viadrina greift hier gleich zwei PROFIS-Projekte auf (der FH Köln und der FH Jena), die sich bereits an anderen Hochschulen bewährt haben, und entwickelte diese in neuer, auf die eigene Hochschule abgestimmter Form weiter. Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass neben studienspezifischen Faktoren für eine erfolgreich abgeschlossene Promotion eine verbesserte Integration der
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Geleitwort
internationalen Promovierenden von entscheidender Bedeutung ist. Dies scheint an der Viadrina in besonderem Maße gelungen: Diversitäten als Potential zu sehen und sie zu nutzen, um zu erkennen, wie ein ausländischer Teilnehmer des Projektes schrieb: „…dass alle mit Wasser kochen und dabei dieselben Schwierigkeiten haben, das Wasser zum Brodeln zu bringen. Das war tatsächlich häufig sehr motivierend.“ Die vorliegende Publikation zum Projekt „Wissenschaftskompetenz durch Diversität“ zeigt in beeindruckendem Maße, wie internationale Potentiale Erfolg bringend genutzt werden können und ist sicherlich für andere Hochschulen von großem Wert. Bonn, Oktober 2009 Dr. Nina Lemmens Abteilungsleiterin Internationalisierung und Kommunikation, DAAD
Geleitwort Schlüssel zur Qualifikation
Wer mit guten Examensnoten und einer hoch gelobten Abschlussarbeit im Gepäck mit dem Gedanken spielt, eine Doktorarbeit zu schreiben – oder dies sogar nahegelegt bekommt –, geht nicht unbedingt davon aus, dass es bei den handwerklichen Voraussetzungen dazu noch an etwas fehlen könnte. Immerhin hat man schon im Archiv, Feld etc. gearbeitet, und schließlich wäre es ja nicht das erste Mal, dass man die Befunde zu Papier bringt. Aber gerade für Promotionskandidaten ist „nach dem Examen“ häufig nicht die beste Zeit, um persönlichen Informations- oder Fortbildungsbedarf festzustellen, und oft wird dieser erst zu einem späteren Zeitpunkt deutlich: Wenn es bei der Arbeitsorganisation hakt, wenn das Verhältnis zum Betreuer einer Klärung bedürfte oder wenn man sich mitten im Prozess des Schreibens allzu oft vor einer leeren Bildschirmseite wiederfindet. Wenn in den aktuellen Debatten über die Reform der Doktorandenausbildung von Mindeststandards der Qualitätssicherung die Rede ist, geht es nicht zuletzt darum, Promovierenden Mittel und Wege aufzuzeigen, wie sich diese und andere Herausforderungen der Promotionsphase meistern lassen. Dass die Frage der hierfür notwendigen Schlüsselqualifikationen inzwischen in breiter Front an den Hochschulen angekommen ist, verdankt sich dabei auch den vielen kleineren und größeren Projekten, die sich in der Vergangenheit mit der Förderung von DoktorandInnen an deutschen Hochschulen befasst haben. Die im vorliegenden Band verarbeiteten Erfahrungen des Projekts „Wissenschaftskompetenz durch Diversität“1 machen dabei zweierlei deutlich: Erstens, dass es eine ganze Reihe von praktischen Hilfsangeboten gibt, von denen Promovierende nicht nur zu Beginn der in der Regel mehrjährigen Arbeit an der Doktorarbeit profitieren können, zweitens, dass sich Wissenschaftskompetenz nicht in der Befähigung zum Anfertigen einer Dissertation erschöpft, sondern von Selbstpräsentation über Teamfähigkeit bis zu interkultureller Zusammenarbeit auch nach weiter gehenden Kenntnissen und Fertigkeiten verlangt. Die Au1
Vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) unterstütztes Projekt zur Förderung der Internationalisierung der Hochschulen, das im Jahr 2008 an der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder) durchgeführt wurde.
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Geleitwort
torinnen und Autoren entwerfen ein dementsprechend umfassendes Bild der Anforderungen, vor die sich DoktorandInnen heutzutage gestellt sehen, und sie zeigen innovative Wege auf, wie die Vermittlung dieser Anforderungen im Kontext der Universität geleistet werden kann. Für viele der Organisationsmodelle und Arbeitstechniken, die dabei entwickelt werden, gilt, dass sie sich über die Promotion hinaus auch auf verschiedensten anderen Gebieten einsetzen lassen, mithin Schlüsselqualifikationen im besten und eigentlichen Sinne sind. Wenn die Viadrina Graduate School zum Wintersemester 2009/2010 erstmals ein reguläres Kursprogramm für deutsche und internationale DoktorandInnen aller Fakultäten anbietet, knüpft sie unmittelbar an diese Erfahrungen an. Dabei weiß sie sich eines wachsenden Zuspruchs von Seiten der Promovierenden, der Unterstützung von Hochschulpolitik und Forschungsförderung und, wie der vorliegende Band eindrucksvoll zeigt, eines umfassenden theoretischen und praktischen Engagements in den eigenen Reihen sicher. Frankfurt (Oder), September 2009 Dr. Arnd Wasserloos Viadrina Graduate School
Danksagung
Dem Deutschen Akademischen Austauschdienst gilt mein Dank für die finanzielle Förderung des Pilotprojekts „Wissenschaftskompetenz durch Diversität“ und für die unkomplizierte Unterstützung bei allen auftauchenden Fragen. Ebenfalls ein großes Dankeschön geht an das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg für die Unterstützung dieser Publikation. Das Pilotprojekt war nur möglich durch die gute Zusammenarbeit verschiedener Institutionen innerhalb des Zentrums für Strategie und Entwicklung der EuropaUniversität Viadrina. Insbesondere haben zum Gelingen beigetragen das Zentrum für Interkulturelles Lernen, das Internationale Büro und das Career Center. Maßgebliche Unterstützung bei dieser Publikation kam zudem von der neuen Viadrina Graduate School. Bei der Durchführung waren Gwenn Hiller und Franziska Liebetanz wunderbare Partnerinnen: vielen Dank! Für die Hilfe bei der Beantragung des Projekts danke ich Daniela Liebscher sowie Petra Weber, Torsten Glase und Irene Gropp. Und für Feedback und Korrekturen bei der Entstehung dieses Buches sei insbesondere Ulrike Lange, Imke Lange und Ramona Jakob gedankt.
Frankfurt (Oder) im November 2009 Katrin Girgensohn Schreibzentrum der Europa-Universität Viadrina
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis
Geleitwort: Internationale Potentiale führen zum Erfolg Nina Lemmens – DAAD
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Geleitwort : Schlüssel zur Qualifikation Arnd Wasserloos – Viadrina Graduate School
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Danksagung
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Einleitung Katrin Girgensohn
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Das Projekt „Wissenschaftskompetenz durch Diversität“ an der Europa-Universität Viadrina Heidi Fichter-Wolf
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Von der Funktion und dem Funktionieren des Promotionsprozesses William P. Dinkel, Alice Altissimo
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„Kick-off“: Gelungenes Netzwerken initiieren Katrin Girgensohn, Gundula G. Hiller
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Die Crux mit der Promotionsbetreuung – Einblicke in eine besondere Beziehung und Überlegungen zu Lösungsansätzen Anja Hennig
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Das kreative Chaos meistern Anna Lipphardt
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Selbstpräsentation und Stressmanagement in der Promotionsphase Julia Košinár
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Interkulturelle Wissenschaftskompetenz für Promovierende Gundula G. Hiller
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Inhaltsverzeichnis
Der Stipendienantrag – der „Businessplan“ für die Promotion Daniela Liebscher
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Publish or Perish? A Genre Approach to Getting Published in Leading English-language Journals Felicitas Macgilchrist
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Go Academic! Strategien für das Berufsfeld Wissenschaft Dunja M. Mohr
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Schreibberatung für in- und ausländische Promovierende als institutionelles Angebot Katrin Girgensohn, Franziska Liebetanz
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Online-Schreibgruppen: den regelmäßigen Austausch fördern Imke Lange, Ulrike Lange
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Creating Graduate Student Writing Programming Rebekah J. Buchanan
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Verbesserung des Lernens im Hochschulunterricht - neue Anforderungen für die Lehre Doris Thömen-Suhr, Frank Marks
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Autorinnen und Autoren
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Einleitung Katrin Girgensohn
Der Bologna-Prozess befindet sich in einer neuen Phase: nach der Umstellung auf modularisierte Bachelor- und Masterabschlüsse geht es nun darum, die Promotion im europäischen Raum zu reformieren. Die Hochschulen haben damit eine neue Herausforderung zu meistern, ohne dass eine abschließende Bilanz darüber gezogen werden konnte, ob der Bologna-Prozess bisher als Erfolg oder als Misserfolg bewertet werden muss. Die verschiedenen Beteiligten sehen das unterschiedlich. Während es Stimmen gibt, die die Reformen im Rahmen des Bologna-Prozesses grundsätzlich gutheißen, gibt es andererseits viele Lehrende und Studierende, die den Bologna-Prozess als gescheitert ansehen und sich über zahlreiche Verschlechterungen beklagen (vgl. z.B. Forschung und Lehre 6/2009). Ein wichtiger Kritikpunkt ist eine Tendenz zur Verschulung des Studiums: In dem Bemühen, die „workloads“ der Studierenden messbarer zu machen, sind bei der Modularisierung der Studiengänge immer mehr Pflichtelemente eingeführt und Anwesenheitskontrollen alltäglich geworden, zudem werden in nahezu allen Kursen Prüfungsleistungen verlangt. Europäische Vergleichbarkeit - das eigentlich Ziel des Bologna-Prozesses - schien zunächst nur durch übermäßige Kontrolle erreichbar gewesen zu sein. Für die Reform der Promotionsphase besteht nun eine Herausforderung darin, solche Verschulungstendenzen zu vermeiden und trotzdem gewisse Strukturen zu schaffen. Denn das Modell der individuellen Promotion, das bisher2 an deutschen Hochschulen vorherrscht, macht nicht nur eine europäische Vergleichbarkeit schwierig, sondern scheint auch für die Effizienz des Promovierens nicht unbedingt günstig zu sein. Das legen zumindest die langen Promotionszeiten in Deutschland nahe (vgl. Kerst & Minks 2004). Die Hochschulen stehen also vor der Aufgabe, für ihre Promovierenden Strukturen zu entwickeln, die sie so fördern, dass Promotionszeiten effektiver bewältigt und damit verkürzt werden und die zudem die Promotionsbedingungen europaweit vergleichbarer machen. Andererseits müssen sie versuchen, die große Freiheit beizubehalten, die 2 Seit 1998 gibt es eine wachsende Anzahl an mehr oder weniger strukturierten Promotionsprogrammen in Deutschland, wie DFG-Kollegs, Graduate Schools etc. 2005 betrug der Anteil der Promovierenden in Deutschland, die nicht individuell verantwortet promovieren, jedoch noch nicht mehr als 15% (vgl. BMBF 2005).
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das alte System des Promovierens kennzeichnet und die den Reiz des Promovierens als „erster Phase des eigenständigen wiss. Arbeitens“ ausmacht (vgl. Tiefel 2006). So bekräftigt auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung: Einig sind sich die Ministerinnen und Minister darin, dass die Förderung des Wissens durch originäre Forschung das Kernelement der Doktorandenausbildung in Europa ist und bleibt und, dass eine Überregulierung der Doktorandenausbildung zu vermeiden ist. (BMBF 2009).
Auch die Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) (EUV) musste sich dieser Aufgabe stellen. Die EUV versteht sich bildungspolitisch als Reformuniversität. Als besondere Herausforderung und besonderes Privileg kommt an der EUV hinzu, dass 30% der Promovierenden nichtdeutscher Herkunft sind. Die EUV hat damit einen für Deutschland überdurchschnittlich hohen Anteil ausländischer Promovierender (vgl. Moes 2006). Als es darum ging, Reformkonzepte für die Promotionsphase zu entwickeln, stand die EUV daher vor der Aufgabe, zu überlegen, wie sie dieser speziellen Situation gerecht werden könnte. Für ausländische Studierende ist an der EUV bereits ein breites Spektrum an Unterstützungs- und Integrationsangeboten vorhanden. So gibt es den studentischen Verein Interstudis, der ausländische Studierende betreut, es gibt mit dem Fforsthaus ein interkulturelles Wohnprojekt, es gibt Trainingsangebote, Sprachkurse, Tandemprojekte, Sprachlernberatung, Schreibberatung u.v.m.. Die Erfahrungen mit diesen Angeboten haben gezeigt, dass es zwar nötig ist, ausländische Studierende gezielt zu unterstützen, dass aber gemeinsame Angebote für in- und ausländische Studierende unverzichtbar sind, wenn es darum geht, die Studierenden auch wirklich zu integrieren. So hat Hiller (Hiller 2007) in einer Studie herausgearbeitet, dass auch an einer so international ausgerichteten Institution wie der Europa-Universität interkulturelle Kommunikation nicht von alleine funktioniert, nur weil verschiedene Kulturen koexistieren. Daher ist es ein Ziel der EUV, auch für die Promotionsphase Angebote zu machen, die ausländische Promovierende gezielt unterstützen, sie aber zugleich integrieren, indem deutsche Promovierende ebenfalls einbezogen werden. Der hohe Anteil ausländischer Promovierender der EUV soll nicht als Problem gesehen, sondern als Potenzial gezielt genutzt werden, um die Promotionsphase für alle Beteiligten zu verbessern. Das Wissen der internationalen Promovierenden über ihre eigene Wissenschaftskultur kann deutschen Nachwuchswissenschaftler/innen helfen, sich als eigene kulturelle Gruppe zu erfahren und so eine interkulturelle Wissenschaftskompetenz aufzubauen, die in den globalisierten Scientific Communities, z.B. auf Konferenzen oder bei internationalen Projekten, sehr wichtig ist.
Einleitung
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So entstand das Konzept für das Pilotprojekt „Wissenschaftskompetenz durch Diversität“. Es wurde entwickelt am Schreibzentrum der EUV, einer wissenschaftlichen Einrichtung für alle drei Fakultäten der Universität. Dies bot sich an, da es – unabhängig vom Fach – keine Promotion ohne Schreibprozesse gibt und Schreiben daher die fächerübergreifende Schlüsselqualifikation für alle Promovierenden ist. Schreiben ist zudem im wissenschaftlichen Forschungsprozess ein Denkmedium und es ist mitunter stark geprägt von unterschiedlichen Wissenschaftskulturen – sowohl in verschiedenen Ländern als auch in verschiedenen Fachkulturen innerhalb der Universitäten. Deshalb ist es ein ideales Medium um Diversität erfahrbar zu machen. So können Promovierende beispielsweise beim Austausch über Textausschnitte aus ihren Dissertationsschriften feststellen, was für unterschiedliche Stile innerhalb der Wissenschaft existieren – je nach Land oder auch je nach Fach. Um das Ziel zu erreichen, kulturelle Diversität produktiv zu nutzen, konnte außerdem auf die Erfahrungen des Zentrums für Interkulturelles Lernen (ZIL) zurückgegriffen werden. In diesem Rahmen bietet die EUV für Studierende und Lehrende regelmäßig interkulturelle Trainings an, die sehr stark nachgefragt werden. Diese interkulturellen Trainings sollten sowohl mit Schreibtrainings als auch mit weiteren Trainings zur Unterstützung der Promotionsphase verbunden werden. Interkulturalität wurde also nicht als Selbstzweck betrachtet, sondern wurde erlebt am Beispiel von wichtigen Qualifizierungen in der Promotionsphase. Das Kernstück des Pilotprojekts waren die Academic Peer Coaching Groups3: Promovierende wurden darin unterstützt, fächer- und heimatländerübergreifende Gruppen zu bilden, in denen sie sich gegenseitig in ihren Promotionsprozessen begleiten. Internationale Promovierende sollten so die kontinuierliche, gezielte Unterstützung deutscher Promovierender erfahren, umgekehrt sollten deutsche Promovierende von den unterschiedlichen Perspektiven der internationalen Promovierenden auf ihre Arbeitsprozesse profitieren. Diese Gruppen arbeiteten autonom, also ohne Leitung durch externe Betreuungspersonen. Darüber hinaus bot das Projekt sehr unterschiedlich ausgerichtete Trainings zu verschiedenen Schlüsselqualifikationen an - in dem Sinne, dass sie den Promovierenden Schlüssel in die Hand geben, die Promotion erfolgreich und effektiv zu bewältigen (vgl. Koepernik &Warner 2006). Die Trainings ergänzten die „Support-Strukturen“ (Wildt & Szczryba 2006 und Szczryba & Wergen 2009) der Gruppenarbeit durch regelmäßigen, weiterführenden Input. 3 Diese Idee wurde entwickelt in Anlehnung an das Konzept OPSIS der FH Jena und der Begriff orientiert sich an dem dort verwendeten Begriff „Scientific Coach“.
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Dieses Pilotprojekt konnte mit Unterstützung des DAAD 2008 durchgeführt werden. 19 Promovierende aller drei Fakultäten nahmen an dem Programm teil, zehn davon kamen ursprünglich nicht aus Deutschland. Strukturell war das Projekt bewusst angelegt als ein Mittelweg zwischen einer individuellen und einer strukturierten Promotion: Die Promovierenden bewarben sich für die Teilnahme und legten sich damit für einen begrenzten Zeitraum darauf fest, sich auf die Gruppenarbeit und die Trainings einzulassen. Es gab keine Teilnahmeverpflichtungen seitens der Fakultäten und keine Credit Points. Das vorliegende Buch gibt Einblicke in dieses Pilotprojekt. Die verschiedenen Beteiligten berichten von ihren Erfahrungen bzw. zeigen, weshalb bestimmte Inhalte für das Projekt wichtig waren: Heidi Fichter-Wolf erläutert als externe Evaluatorin des Projektes das Gesamtkonzept und wertet aus, wie es bei den Promovierenden ankam. Sie hat die Promovierenden dafür sowohl zu Beginn als auch am Ende des Projektes befragt und war zeitweise teilnehmende Beobachterin. Ihr Fazit zeigt, dass das Projekt äußerst positiv bewertet wurde, obwohl der zeitliche Rahmen des Pilotprojekts zu einer teilweise zu hohen Arbeitsbelastung der Teilnehmenden geführt hat. Im Beitrag von William Dinkel und Alice Altissimo kommen die Promovierenden zu Wort. Sie berichten von den Erfahrungen, die sie in ihren Academic Peer Coaching Gruppe gemacht haben und stellen fest, dass diese Arbeitsform insbesondere für solche Promovierenden hilfreich ist, die nicht als VollzeitPromovierende in die Universitätsstrukturen eingebunden sind. Es folgen Beiträge der beteiligten Trainerinnen. Katrin Girgensohn und Gundula Gwenn Hiller zeigen, wie ein mehrtägiges „Kick-off-Seminar“ zu dem Gelingen des Projekts maßgeblich beitrug. Bei diesem Training lernten die Promovierenden durch gezielt angeregte Reflexionen auf der Ebene der persönlichen Visionen und Erfahrungen gut kennen und konnten sich auf dieser Basis zu Academic Peer Coaching Gruppen zusammen finden. Teambuilding-Aktivitäten unterstützten den Prozess. Anja Hennig zeigt in ihrem Beitrag, wie wichtig es für Promovierende ist, das Betreuungsverhältnis zu reflektieren und selbst in die Hand zu nehmen. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch das Bewusstsein dafür, dass die kulturelle Prägung durch das Studium auch die Erwartungen an die Betreuung in der Promotion beeinflusst. Promovierende sollten sich damit auseinandersetzen, was sie an einer deutschen Universität von ihren Betreuungspersonen, den Doktormüttern und –vätern, erwarten können und was nicht. Anna Lipphardt befasst sich mit der organisatorischen Seite des Großprojekts Promotion. Sie zeigt, wie wichtig es ist, sich frühzeitig um Ordnungs- und Ablagesysteme Gedanken zu machen, welche Hilfsmittel zur Verfügung stehen
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und gibt Tipps sowohl für einzelne Promovierende als auch für Graduiertenschulen. Julia Košinár legt dar, wie Promovierende mit dem in der Promotionsphase unvermeidlichen Stress umgehen können, der einerseits durch die dauerhafte Belastung in chronische Überlastung auszuarten droht und andererseits in akuten Situationen wie bei Vorträgen gehandhabt werden muss. Julia Košinár plädiert für einen Ansatz, der neben psychischen und inhaltlichen Faktoren auch den Körper berücksichtigt: Bewusste Körperwahrnehmung und eine expandierte Körperhaltung können viel zum Wohlbefinden in der Promotionszeit beitragen. Das Training von Gundula Gwenn Hiller war explizit einem Thema gewidmet, das auch in den anderen Seminaren immer wieder eine Rolle spielte: den unterschiedlichen Wissenschaftskulturen und den damit verbundenen Erwartungen. Sowohl für die interkulturelle Kommunikation in den Academic Peer Coaching Gruppen als auch für die Kommunikation innerhalb der Universität, bei Forschungsreisen oder auf Konferenzen ist es für Promovierende unerlässlich, ein Bewusstsein für interkulturelle Kommunikation zu entwickeln. Da neben der ideellen Seite natürlich auch die materielle Seite der Lebensphase Promotion existentiell ist, widmet sich der Beitrag von Daniela Liebscher der Frage, wie sich gelungene Förderanträge für Promotionsvorhaben schreiben lassen. Daniela Liebscher gibt in ihrem Beitrag nicht nur handfeste Tipps zum Schreiben von Förderanträgen und Exposés, sondern erläutert auch die Bedeutung von Förderanträgen und deren einzelnen Bestandteilen. Felicitas MacGilchrist stellt das Training „Publish or Perish“ vor, in dem sich Promovierende damit beschäftigen, wie sie ihre Forschungsergebnisse in wichtigen internationalen, englischsprachigen Fachzeitschriften publizieren können. Das Training kombiniert praktische Schreibmethoden mit einem genreanalytischen Ansatz: Die Promovierenden lernen, die für sie relevanten Genres wie z.B. den Abstract eines Artikels oder die Einleitung so zu analysieren, dass sie sich beim Schreiben ihrer Artikel auch in der Fremdsprache Englisch sicher fühlen können. Ein schöner Nebeneffekt dieses Trainings ist, dass hier die Teilnehmenden alle in einer Fremdsprache schreiben müssen und so diese Erfahrung unabhängig von den Muttersprachen miteinander teilten. Dunja Mohr stellt Überlegungen zum Training „Go academic!“ vor, in dem es darum geht, eine Auseinandersetzung mit dem Berufsfeld Wissenschaft anzuregen. Denn nur eine realistische Vorstellung vom „Beruf Wissenschaft“ ermöglicht eine gezielte Berufswahl und eine effektive Vorbereitung. Da unklare Zukunftsperspektiven ein Grund für überlange Promotionszeiten sind, kann ein solches Training viel dazu beitragen, die Promotion effektiver zu gestalten. Katrin Girgensohn und Franziska Liebetanz berichten von der institutionellen Schreibberatung für in- und ausländische Promovierende. Ein solches Bera-
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tungsangebot konnte mit Unterstützung des DAAD zusätzlich angeboten werden und somit das Peer Coaching ergänzende, individuelle Beratungen ermöglichen. Der Beitrag erläutert was Schreibberatung ist, welche Besonderheiten die Schreibberatung für Promovierende prägen und worauf in der Beratung für ausländische Doktoranden geachtet werden sollte. Den Abschluss dieses Buchs bilden drei Beiträge, die in dieses Buch aufgenommen wurden, weil sie sinnvolle Ergänzungen zu dem vorgestellten Pilotprojekt bieten: Imke Lange und Ulrike Lange zeigen in ihrem Beitrag, dass sich autonome Unterstützungsstrukturen wie das Academic Peer Coaching auch in die virtuelle Welt übertragen lassen. Sie erläutern wichtige Prinzipien für kollegiale OnlineSchreibgruppen. Dabei geben sie nicht nur Hilfestellungen für das Geben und Nehmen von Feedback in Schreibgruppen im Allgemeinen, sondern schlagen auch Kommunikationsregeln für Chat- und E-Mail-Austausch vor. Rebekah Bukhanan stellt innovative Promotionsstrukturen der Temple University in Philadelphia vor. Dort haben Promovierende in sogenannten „Writing Retreats“ die Möglichkeit, in einem Zeitfenster von zwei Wochen und mit Begleitung externer, die eigenen Doktorväter oder –mütter ergänzenden Betreuungspersonen, intensiv im Schreibzentrum an ihrer Dissertation zu arbeiten. Angeboten werden außerdem Schreibwochenenden und autonome Schreibgruppen für Promovierende. Doris Thömen-Suhr und Frank Marks und widmen sich dem Thema der hochschuldidaktischen Weiterqualifizierung. Promovierende übernehmen häufig Lehre an den Universitäten. Für die berufliche Weiterentwicklung ist diese Aufgabe wichtig, oft aber auch mit sehr viel Aufwand verbunden, da es sich um erste Lehrerfahrungen handelt und es meist nur wenig Unterstützung seitens der Betreuungspersonen gibt. Trainings in Hochschuldidaktik sind daher eine sinnvolle Qualifizierung in der Promotionsphase. Der Beitrag zeigt, dass Lehre heute anders ausgerichtet sein muss als ausschließlich auf frontale, kognitive Wissensvermittlung. Training, das auf den Einsatz prozessbegleitenden Lernens und Lehrens vorbereitet, kann den Promovierenden nicht nur dabei helfen, bessere Lehre zu machen und sich selbst zu entlasten, sondern es kommt auch den Studierenden und damit der nächsten Generation Promovierender zu Gute. Es wird deutlich, dass hochschuldidaktische Fortbildung gerade unter den Anforderungen des Bologna-Prozesses wichtig ist und Promovierende - als die Generation der zukünftigen Lehrenden - der Schlüssel zu einer fortschrittlichen Lehre im Sinne der Anforderungen des Bologna-Prozesses sein können. In der Evaluation des Projekts wurde von den Teilnehmenden zudem angeregt, auch wissenschaftsmethodische Weiterqualifizierungsangebote zu integrieren. Für wissenschaftliche Methoden ein fächerübergreifendes Angebot zu ma-
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chen, erscheint allerdings sehr problematisch. Als ein möglicher Weg sei auf die NetzWerkstatt für qualitative Methodenbegleitung, ein Projekt der FU Berlin, verwiesen4. Sinnvoll sind sicher auch individuelle Beratungsangebote, wie das Projekt „Methodenberatung“ der Universität Hildesheim5. Insgesamt zeigt die Vielfalt der Beiträge, dass es sich lohnt, offen und phantasievoll diese nächsten Schritte des Bologna-Prozesses zu gehen und nicht feste Strukturen, sondern vielmehr die Beteiligten in all ihrer Individualität in den Mittelpunkt zu stellen: die Promovierenden mit ihren jeweiligen Heimatkulturen, ihren Fachkulturen, ihren Persönlichkeiten, ihren familiären und beruflichen Kontexten und allen ihren Potenzialen. Denn sie sind es, die „mit ihrer Qualifizierung zentrale Beiträge für Forschung und Wissenschaft“ leisten (Tiefel 2006: 75), aber auch für ihre außeruniversitären künftigen Berufsfelder – kurz: für die Zukunft unserer Gesellschaft.
Literatur BMBF (2005). Bologna Process: German National Report for 2005. URL: http://www.bologna-bergen2005.no/EN/national_impl/00_Nat-rep05/National_Reports-Germay_050118.pdf. (01.10.09). BMBF (2009). Der Bologna-Prozess. URL: http://www.bmbf.de/de/3336.php. (1.10.09). Forschung und Lehre (2009). Zehn Jahre Bolognareform. Forschung und Lehre (16, 6) 404-421. Hiller, G.G. (2007). Interkulturelle Kommunikation zwischen Deutschen und Polen an der Europa-Universität Viadrina. Eine empirische Analyse von Critical Incidents. Frankfurt/Main: IKO-Verlag. Kerst, Ch. & Minks, K. (2004). Fünf Jahre nach dem Studienabschluss - Berufsverlauf und aktuelle Situation von Hochschulabsolventinnen und Hochschulabsolventen des Prüfungsjahrgangs 1997. Forschungsbericht des HIS Hochschul-InformationsSystem im Auftrag des BMBF. URL: http://www.bmbf.de/pub/his_projektbericht_10_04.pdf. (2.10.2009). Koepernik, C. & Warner, A. (2006). Akademische Schlüsselqualifikationen. In Johannes Moes; Sandra Tiefel; Claudia Koepernik (Hg.), GEW-Handbuch Promovieren mit Perspektive, 303-314. Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag. Moes, J. (2006). Internationalisierung für Promovierende. In Claudia Koepernik; Johannes Moes; Sandra Tiefel (Hg.), GEW-Handbuch Promovieren mit Perspektive, 341356. Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag. Szczryba, B. & Wergen, J. (2009). Learning Outcomes der Promotionsphase - Supportstrukturen für die Kompetenzentwicklung des wissenschaftlichen Nachwuchses. In
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ULR: www.methodenbegleitung.de (2.10.2009) ULR: http://www.uni-hildesheim.de/de/6989.htm (2.10.2009)
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Katrin Girgensohn
Birgit Szczryba, Ulrich Welbers; Johannes Wildt; Ralf Schneider (Hg.), Wandel der Lehr- und Lernkulturen, 88-99. Bielefeld: W. Bertelsmann. Tiefel, S. (2006). Stellungnahme zum Beitrag von J. Wildt. In Werner Fiedler; Eike Hebecker (Hg.), Promovieren in Europa. Strukturen, Status und Perspektiven im Bologna-Prozess, Opladen: Barbara Budrich. Wildt, J. & Szczryba, B. (2006). Strukturiert promovieren: Didaktische Konzeptionen und Modelle einer strukturierten Doktoranden-Ausbildung. In Werner Fiedler: Eike Hebecker (Hg.), Promovieren in Europa. Strukturen, Status und Perspektiven im Bologna-Prozess, 51-72. Opladen: Barbara Budrich.
Das Projekt „Wissenschaftskompetenz durch Diversität“ an der Europa-Universität Viadrina Das Projekt „Wissenschaftskompetenz durch Diversität“
Heidi Fichter-Wolf
Abstract Das Projekt zur Graduiertenförderung „Wissenschaftskompetenz durch Diversität“ an der Europa-Universität Viadrina (EUV) richtet sich an dort Promovierende aus verschiedenen europäischen Ländern. Ein Pilotprojekt, vom DAAD im Rahmen des Programms PROFIS gefördert, wurde im Jahr 2008 durchgeführt. Es wurden 19 Teilnehmende aus unterschiedlichen nationalen Wissenschaftskulturen und verschiedenen Fachdisziplinen aufgenommen, die sich mit einem Motivationsschreiben um die Teilnahme beworben hatten. Den Kern des Programms bildete der Zusammenschluss der Promovierenden zu sogenannten Academic Peer Coaching Gruppen mit dem Ziel, sich wechselseitig während der Promotionsphase zu unterstützen. Im Rahmen des Programms wurden gleichzeitig flankierende Trainings- und Coaching-Maßnahmen angeboten, durch welche Schlüsselkompetenzen vermittelt werden, die für die berufliche Karriere von Bedeutung sind. Dieser Beitrag basiert auf dem Evaluationsbericht des Leibniz-Instituts für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS), das mit der externen Evaluation des Pilotprojekts beauftragt war.
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Zielsetzungen im Rahmen des Academic Peer Coachings zur Förderung interkultureller Wissenschaftskompetenz
Ziel des Programms „Wissenschaftskompetenz durch Diversität“ ist es, Promovierende an der EUV mit unterschiedlicher nationaler und kultureller Herkunft aus verschiedenen Ländern durch fachliche und soziale Begleitung gezielt zu unterstützen und damit zum erfolgreichen Abschluss ihrer Dissertation beizutragen. Gleichzeitig soll dadurch die Abschlussquote der ausländischen Doktoranden erhöht werden. Promovierende aus anderen Ländern stehen vor der schwierigen Aufgabe, die Ansprüche der deutschen Wissenschaftskultur zu meistern und mit deren
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Heidi Fichter-Wolf
strukturellen Defiziten umzugehen. Hierzu gehören u.a. eine häufig soziale Isolation aufgrund fehlender Einbindung in Forschungszusammenhänge und dem damit einhergehenden Mangel an wissenschaftlichem Austausch sowie unzureichende Betreuung. Insbesondere Promovierende, die aus Ländern stammen, in denen intensive Lehrer-Schüler-Beziehungen zur Lerntradition gehören, haben daher nicht nur die sprachlichen und inhaltlichen Ansprüche einer Dissertation zu bewältigen, sondern müssen auch die spezifischen Herausforderungen einer Promotion unter den Bedingungen des deutschen Wissenschaftssystems meistern. Die Entwicklung des Programms „Wissenschaftskompetenz durch Diversität“ an der Europa-Universität Viadrina wurde von der Annahme geleitet, dass gerade die Diversität der Promovierenden aus verschiedenen Wissenschaftskulturen und –traditionen (sowohl aus verschiedenen Disziplinen als auch verschiedenen Ländern) ein Potenzial darstellt, das für die Entwicklung von Wissenschaftskompetenz von hoher Bedeutung sein kann. Dieses Potenzial soll durch modulares Training und die Methode des Academic Peer Coaching gezielt genutzt und zur Sicherung des Promotionserfolgs gefördert werden. Hierzu gehören ein Bewusstsein für die Diversität von Wissenschaftskulturen, Entwicklung interkultureller Wissenschaftskompetenz, Förderung der Integration ausländischer Doktoranden in wissenschaftlicher Hinsicht, Unterstützung der sozialen Integration der Doktoranden durch das PeerPrinzip. In alle Phasen des Projekts integriert und mit den verschiedenen Qualifizierungsmaßnahmen verbunden, wird die wissenschaftliche Schreibkompetenz gefördert, da diese die meisten Teilkompetenzen6 des wissenschaftlichen Arbeitens in Deutschland beinhaltet. Ergänzt wird das Qualifizierungskonzept durch Trainings zur (interkulturellen) Kommunikation, zur Stressprävention, zur Arbeitsorganisation und zur Karriereplanung. Besonderen Wert wird auf die Ausbildung interkultureller Feedback-Kompetenzen durch das Academic Peer Coaching7 gelegt. Diese Methode soll es den Promovierenden ermöglichen, die in den Trainings erworbenen Fähigkeiten und Arbeitsmethoden bis zum Abschluss 6 Hierzu gehören: Interdisziplinäre Methodenkompetenz; Argumentations- und Formulierungsvermögen; Kommunikationskompetenzen für Präsentation, Networking und Feedback; Reflexionsfähigkeit; Projektmanagement- und Selbstkompetenz; Sozialkompetenz (vgl. Projektantrag). 7 Dieses wurde in Anlehnung an das von der FH Jena entwickelte Modell im Projekt OPSIS vorbereitet.
Das Projekt „Wissenschaftskompetenz durch Diversität“
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der Dissertation und darüber hinaus eigenständig anzuwenden und weiter zu entwickeln.
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Wissenschaftliche Begleitung durch ein qualitatives Evaluationsverfahren
Eine Evaluation des Pilotprojekts erfolgte prozessbegleitend mit qualitativen Methoden. Das Ziel war eine beschreibende Bewertung, ob und wie die Ziele des Programms erreicht wurden und wie die hier gemachten Erfahrungen für weitere Maßnahmen zur Doktorandenqualifizierung an der Europa-Universität Viadrina genutzt werden können. Durch die wissenschaftliche Begleitung des Prozesses sollten auch Zwischenergebnisse an die Projektleitung rückgekoppelt werden und für die laufende Maßnahme nutzbar gemacht werden. Eine quantitative Messung des Programmerfolgs über Indikatoren (Abschlussrate der Promotionsverfahren oder Anzahl der Publikationen etc.) war nicht das Ziel dieser Evaluation. Die Erhebung erfolgte mittels zweier Leitfaden gestützter Fragenkataloge, die den TeilnehmerInnen (TN)8 zu Beginn und am Ende der Projektlaufzeit vorgelegt wurde. Alle Fragen waren so angelegt, dass sie eine Beschreibung des Prozesses sowie die Darlegung eigener Meinungen, Erfahrungen und deren Hintergründe erforderten. Des Weiteren wurden die Bewerbungsschreiben der TN für das Programm, Protokolle der Seminare sowie Seminarunterlagen ausgewertet. Ergänzt wurde die Erhebung durch teilnehmende Beobachtung in einigen Trainings sowie durch Gespräche mit den TN (Gruppengespräche). Der erste Fragebogen konnte einen kompletten Rücklauf aller 19 TN verzeichnen. Dieser zielte auf die Abfrage des Profils der TN, ihrer Erwartungen, ihrer Motivationen sowie ihrer Vorerfahrungen. Mit der begleitenden Beobachtung sollten die Gruppenstruktur und ihre –dynamik, die Kommunikationsformen der Gruppenmitglieder, ihre Beteiligung und ihr Interesse am Programm sowie das soziale Klima erfasst werden. Die Zwischenergebnisse nach der ersten Befragung wurde den TN in einem Gruppengespräch mit dem Ziel mitgeteilt, ein Feedback zu erhalten und diese unter Einbeziehung ihrer Rückmeldungen und Anregungen reflektieren und ggf. ergänzen zu können. Den zweiten Fragebogen haben 11 von 19 TN beantwortet. Diese Befragung hatte zum Ziel, die persönliche und berufliche Entwicklung der Promovierenden durch die Teilnahme am Projekt in Hinblick auf ihre Anfangserwartungen, ihre (subjektiven) Lernerfolge sowie ihre persönlichen Erfahrungen im Projekt in Bezug auf Diversität zu erfassen sowie ihre Modifikations- und Ergänzungsvorschläge zu erfahren. 8
Die Abkürzung TN wird künftig für TeilnehmerInnen verwendet.
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Heidi Fichter-Wolf Zusammensetzung der Projektgruppe und Erwartungen der TeilnehmerInnen
3.1 Strukturelle Zusammensetzung (Alter, Geschlecht, Nationalität, Disziplin) Den größten Teil der Gruppe, die aus 19 TN bestand, bildeten Promovierende mit kulturwissenschaftlichem Hintergrund; zwei davon hatten eine Fächerkombination mit Sozialwissenschaft, drei mit Rechtswissenschaft sowie ein Gruppenmitglied mit Wirtschaftswissenschaft. Von den Promovierenden mit nur einer Disziplin gehörten drei zur Wirtschaftswissenschaft, einer zur Sozialwissenschaft und neun zur Kulturwissenschaft. An dem Qualifizierungsprogramm nahmen 13 Frauen und 6 Männer teil. Die teilnehmenden Nationalitäten waren: 8 x deutsch, 3 x deutsch-polnisch, 2 x polnisch, 1 x ukrainisch, 1 x deutsch-italienisch, 2 x russisch, 2 x weißrussisch. Die meisten TN waren ledig, wenige hatten Familie mit Kindern. Bis auf drei Ausnahmen waren alle neben der Dissertation berufstätig (Vollzeit oder Teilzeit). Acht TN nahmen eine Tätigkeit im wissenschaftlichen Bereich (WiMi, Lehrtätigkeiten) wahr.
3.2 Stand der Dissertationsvorhaben Der Beginn der Dissertation lag bei den meisten TN zwischen zwei und vier Jahren zurück, daneben gab es Ausnahmen: Start im Jahr 2001 (1 TN), Start in 2007 (2 TN), gerade begonnene Dissertation in 2008 (2 TN). Der Abschluss der Promotion war bei den meisten TN in den Jahren 2009 – 2010 geplant; 2 – 3 TN fokussierten auf einen Abschluss in 2011 und später. 3 – 4 TN wollten ihre Dissertation bereits 2008 abschließen. Die noch zu leistenden Arbeitsschritte reichten von der Konzeption und Ausarbeitung der methodischen Schritte bis zum Schreiben der Arbeit. Letzterer Arbeitsschritt musste zu Beginn des Projekts bei allen TN noch geleistet werden.
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Probleme mit der Dissertation und Erwartungen der TN an das Programm
Als ein wesentliches Problem für die Arbeit am Dissertationsvorhaben wurde von den TN die hohe zeitliche Belastung durch gleichzeitige Berufstätigkeit aufgrund der Notwendigkeit genannt, ihren Lebensunterhalt selbst finanzieren zu
Das Projekt „Wissenschaftskompetenz durch Diversität“
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müssen. Vor allem diejenigen TN, die einem Job nachgingen, der keinen Bezug zu ihrer Dissertation aufwies, sahen darin einen besonders großen Nachteil. Auf die Frage nach den Schwierigkeiten, welche die Arbeit an der Dissertation erschweren, wurde neben dem Zeitmangel durch berufliche Belastungen der fehlende wissenschaftliche Austausch, die Unsicherheit in Bezug auf die eigenen wissenschaftlichen Kompetenzen sowie keine oder eine unzureichende Betreuung in der Promotionsphase genannt. Besondere Schwierigkeiten stellten die Unsicherheit über die methodische Herangehensweise an die Dissertation sowie Schreibschwierigkeiten bzw. sogar Schreibangst dar. Weitere Störfaktoren waren Motivationsprobleme, mangelnde Selbstdisziplin und die Ablenkung durch andere Interessen sowie der fehlende externe Druck (z.B. in Bezug auf einen Abgabetermin). Diesen Problemen entsprachen die Erwartungen an das Programm. Vor allem wurde ein Austausch mit anderen Promovierenden gewünscht und erwartet, „von anderen zu lernen“ sowie „andere Herangehensweisen kennenzulernen“. Des Weiteren wurde eine Erhöhung der eigenen Motivation sowie eine verbesserte Selbstorganisation in Netzwerken erhofft. Durch den Erwerb von Schlüsselqualifikationen (z.B. Zeitmanagement, Schreibkompetenzen, Präsentationstechniken etc.) wurde erwartet, zukünftig zielorientierter und strukturierter die Anforderungen, welche die Dissertation mit sich bringt, bewältigen zu können. Sowohl die Beschreibungen der Schwierigkeiten als auch die formulierten Erwartungen an das Programm erweckten den Eindruck, dass viele der teilnehmenden Promovierenden unter der isolierten Situation der Dissertationsphase stark litten und durch die Teilnahme am Programm eine Verbesserung dieser Situation, insbesondere durch zielgerichtete Kontakte und die damit verbundenen Austauschmöglichkeiten, erwarteten. In Bezug auf die Verbesserung der Qualifikation wurden folgende Punkte genannt, bei denen Fortschritte durch die Teilnahme am Programm erhofft wurden: Verbesserung der Kommunikations- und (Selbst)Organisationsfähigkeiten, der Präsentationsfähigkeiten (Darstellung des eigenen Themas); Erwerb von Schlüsselqualifikationen in Bezug auf Zeitmanagement, Systematisches Arbeiten an der Dissertation, Projektplanung; Entwicklung und Verbesserung der Selbstdisziplin; Verbesserung/Entwicklung des Selbstbewusstseins in Bezug auf das eigene Thema und die Entwicklung wissenschaftlicher Kompetenz; Aufbau von Arbeitskontakten, die über das Programm hinaus tragen; Sich gegenseitig motivieren und aus den ‚downs’ herausholen; Entwicklung und Verbesserung von Schreibfähigkeiten;
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Heidi Fichter-Wolf
Erwerb von Kenntnissen des wissenschaftlichen Schreibens und Erwerb von Schreibtechniken/Aufbau von Schreibkompetenzen und Austausch von Schreiberfahrungen; Publizieren lernen (auch in englisch-sprachigen Zeitschriften); Rhetorische und methodische Vorbereitung auf die Disputation.
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Inhaltliche und organisatorische Konzeption des Programms
5.1 Ablaufplan /Module Die Tabelle 1 (siehe nächste Seite) gibt einen Überblick über das Gesamtprogramm. Sie veranschaulicht die Dauer der einzelnen Trainings (zwischen einem und drei Tagen) und zeigt, wie Academic Peer Coaching und Trainings miteinander verkoppelt wurden.
5.2 Inhaltliche Übersicht über die Trainings Die Inhalte, um die es in den einzelnen Trainings geht, sind Thema der Beiträge der Trainerinnen in diesem Buch. An dieser Stelle werden die Trainings daher nur kurz in Form der Ankündigungstexte für die einzelnen Module vorgestellt.
Das Projekt „Wissenschaftskompetenz durch Diversität“ Einzelmodule: Datum Thema Informationsveranstaltung/ 14.2.2008 Programmauftakt und Beginn der Bewerbungsfrist für das Programm „Kick-off“-Training 1.-3.5.08 inkl. Workshop zum Betreuungsverhältnis in verschiedenen Wissenschaftskulturen
Doz. I
Doz. II
Dr. Gwenn Hiller
Dr. Gwenn Hiller
Dr. Katrin Girgensohn Dr. Gwenn Hiller
Dipl.-Pol. Anja Henning
Dipl.-Pol. Anja Henning Dr. Julia Kosinar
Dr. Anna Lipphardt
Arbeitsorganisation
14./15.6.
Stressprävention und Selbstpräsentation
18.7.
Kommunikation in internationalen Teams Der Stipendiumsantrag: Businessplan für die Promotion
19.7.
„Publish or Perish“: Writing for International Journals
19./20.9.
„Go academic!“ – Karrierestrategien für die Wissenschaft
13./14.11. Dr. Dunja Mohr
12.8.
Abschlussveranstaltung am 14.11.2008
Dr. Gwenn Hiller Dr. Daniela Liebscher
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Parallel: Kleingruppenarbeit Academic Peer Coaching
Dr. Felicitas Dr. Katrin MacgilchGirgensohn rist
Vortrag von Dr. Dunja Mohr: „Schlüsselkompetenzen für Doktoranden“ Übergabe der Zertifikate
Tabelle 1 : Übersichtsplan des Projekts „Wissenschaftskompetenz durch Diversität“ 2008
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Heidi Fichter-Wolf
„Kick-off“ für erfolgreiches Peer Coaching in der Promotionsphase Dieses Training dient dem intensiven Kennenlernen der TN untereinander. Im Mittelpunkt steht die Beschäftigung mit dem eigenen Promotionsprojekt: Warum promoviere ich? Welche Wünsche, Visionen, Befürchtungen habe ich? Welche typischen Verläufe nehmen Promotionsprozesse? Durch Kleingruppenarbeit und Schreibaufgaben erfahren die TN viel voneinander. Dies bildet die Basis für das Bilden von Peer Coaching- Kleingruppen. Der zweite Teil des Seminars dient dazu, diese neu gebildeten Kleingruppen zu festigen und durch Etablierung von Gruppenregeln ein Fundament für die erfolgreiche Zusammenarbeit zu legen. Abschließend beschäftigen sich die TN mit der Frage nach dem Betreuungsverhältnis: Was erwarte ich von meinen Betreuern, was kann ich erwarten und was nicht?
„Das kreative Chaos meistern“ – Arbeitsorganisation in der Promotionsphase Dieser Workshop vermittelt grundlegende Arbeitsstrategien und -techniken zur Organisation des Forschungsprozesses. Impulsreferate, ausführliche Übungen und der kollegiale Austausch machen die TN vertraut mit den Grundlagen der Arbeitsplatz-Gestaltung, der Schaffung eines Ordnungssystems, der computergestützten Literaturverwaltung, mit Ansätzen der selbstreflexiven Arbeitsevaluation und des Zeitmanagements. In kleinen Gruppen, die den offenen, vertrauensvollen Austausch über die individuellen „Problemzonen“ der Doktorarbeit ermöglichen, erhalten die TN Einblick in die Grundlagen des wissenschaftlichen Projektmanagements und erproben die unterschiedlichen Ansätze anhand von ausführlichen Übungen an ihren eigenen Projekten. Der angeleitete kollegiale Austausch hat hierbei nicht nur zum Ziel, die vielfältigen Ressourcen zu aktiveren, die die Einzelnen mitbringen, sondern dient auch der nachhaltigen Vernetzung der Promovierenden untereinander – welche gerade für ‚free floater’ und ausländische Promovierende von Bedeutung ist. Große Aufmerksamkeit kommt zudem den interkulturellen Herausforderungen zu, mit denen sich Promovierende im Rahmen der zunehmenden Internationalisierung ihrer akademischen Ausbildung auseinandersetzen müssen. Anhand detaillierter Handouts lassen sich die einzelnen Lerninhalte zu Hause vertiefen.
Das Projekt „Wissenschaftskompetenz durch Diversität“
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Der Stipendiumsantrag - "Businessplan" für die Promotion Auch das beste Promotionsprojekt will finanziert sein. Wie aber bewirbt man sich für ein Promotionsstipendium oder Drittmittel? Wie überzeugt man Geldgeber und Gutachter vom eigenen Können und Wissen, obwohl man erst am Anfang der eigenen Forschungen steht und den Projektverlauf noch gar nicht kennt? Der Workshop unterstützt gezielt bei dieser Aufgabe. Die TN erhalten Gelegenheit, ihre Bewerbung mit Hilfe der Methoden des wissenschaftlichen Schreibens zu entwerfen, zu überarbeiten und „antragsreif“ zu machen. Ein besonderer Schwerpunkt wird auf der Beschreibung des eigenen Forschungsprojekts (Exposé) liegen. Deshalb sollen vorliegende schriftliche Projektbeschreibungen zum Workshop unbedingt mitgebracht werden. Die vorgestellten Herangehensweisen lassen sich auf das Schreiben von Anträgen für andere Forschungsprojekte übertragen.
Selbstpräsentation und Stressmanagement in der Promotionsphase Bei allen Promovierenden sind gewisse Stressfaktoren in der Promotionsphase vorhanden und alle befinden sich in der Lage, ihre Thesen verteidigen und ihre Ergebnisse präsentieren zu müssen. Deshalb empfiehlt es sich, möglichst zu Beginn schon Kompetenzen, die zur Stressprävention und –bewältigung befähigen, zu erwerben. Dieses Seminar konzentriert sich auf mentale Strategien und v.a. auf Körperkompetenzen, sprich: Selbststärkungs- und (Selbst-) Präsentationsfertigkeiten. Die TN werden angeregt, ihre aktuellen Belastungsfaktoren und ihre bisherigen Bewältigungsmuster zu erkennen und zu bewerten. Sie erfahren, welche Bedeutung innere Haltung und Selbstbilder auf das Gelingen von Situationen haben können. Die TN lernen Strategien zur Motivation kennen, überprüfen ihre Antreibermodelle und definieren kurzfristige und langfristige Ziele neu. Interaktions- und Kommunikationsstrategien für Präsentation und Auftreten werden durch Übungen und Rollenspiele vermittelt. Bei allen Übungen wird der Fokus auf das individuelle Potenzial gerichtet. Die neuesten Untersuchungen zu körperbasierter Selbstregulation haben ergeben, dass Selbststärkung über die Haltung erreicht werden kann, innere Klarheit, Struktur und Präsenz sind weitere Effekte. Dieses Konzept wird ebenfalls vorgestellt und vermittelt. Durch die Zusammenstellung der Übungen mit Reflexions- und Präsentationsteilen wird ganzheitlich auf die Anforderungen der Situation von Promovierenden eingegangen. Sie werden sowohl fit für die effektive Arbeit am Schreib-
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Heidi Fichter-Wolf
tisch, als auch für Vorträge, Bewerbungen und andere Präsentationssituationen gemacht. Interkulturelle Wissenschaftskompetenz und Arbeit in interkulturellen Teams In diesem Workshop werden die besonderen Herausforderungen von wissenschaftlichem Arbeiten im interkulturellen Kontext reflektiert. Eine Präsentation von Studien über unterschiedliche Wissenschaftsstile bietet die Basis für Diskussionen und soll den Erfahrungsaustausch unter den TN anregen. Interkulturell bedingte Missverständnisse zeigen sich häufig z.B. bei den Erwartungen an die Betreuung, im Umgang mit Quellen oder auch bei der Strukturierung der Arbeit. Dieses Wissen ist nicht nur für die Arbeit an der eigenen Dissertation hilfreich, sondern enthält auch wichtige Hinweise für die TN in ihrer Funktion als wissenschaftliche Mitglieder einer internationalen Hochschule. Ausgehend von der Frage, worin eigentlich interkulturelle Kompetenz bzw. Wissenschaftskompetenz besteht, werden die TN dafür sensibilisiert, welche Aspekte im interkulturellen Kontext besonders zum Tragen kommen können. Anhand von praktischen Übungen lernen die TN, auf unterschiedliche Kommunikationsgewohnheiten aufmerksam zu werden, die häufig eine Quelle für Missverständnisse bilden. Darüber hinaus werden Strategien erarbeitet, wie man interkulturellen Missverständnissen im Universitätsalltag vorbeugen kann und wie man ausländische Studierende bzw. Doktoranden gezielt unterstützen kann. Publish or Perish: How to write for leading scientific journals Das Seminar verbindet Schreibtraining mit Informationen und Übungen zum akademischen Schreiben auf Englisch. Die TN erarbeiten sich anhand der Analyse von Journal-Beiträgen aus dem eigenen Fachgebiet ein fundiertes Wissen über die Ansprüche von Peer Reviewern und Editoren. Sie analysieren Style Sheets und den Aufbau von Artikeln. Tipps und erprobte Methoden unterstützen vor Ort das Schreiben von ‚abstracts’ und Einleitungen für ein konkretes Projekt. In verschiedenen Feedbackschleifen werden Struktur und typisch deutsche Fehler beim „academic english“ überprüft. „Go academic!“: Ein Seminar zum Berufsfeld Wissenschaft Das Seminar widmet sich zunächst einem „Motivations- und QualifikationsCheck“ für das Berufsfeld WissenschaftlerIn: Welche Einflussfaktoren, welche Spielregeln gibt es? (Elfenbeinturm, Berufsfeldwissen, Anerkennungspraxis). In
Das Projekt „Wissenschaftskompetenz durch Diversität“
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Kleingruppen wird der Umgang mit diesen Anforderungen diskutiert und es werden mögliche Gegenstrategien erarbeitet. Anschließend steht die Anbindung an die ‚scientific community’ im Mittelpunkt. Dabei geht es auch um die Frage, wie sich Synergieeffekte nutzen lassen. Alle TN erstellen persönliche IstAnalysen und reflektieren ihre Entwicklungspotenziale. Eine wichtige Rolle spielen dabei auch Publikationsstrategien. Der zweite Teil des Seminars widmet sich wissenschaftlichen Bewerbungen. Dabei gehen die TN der Frage nach, was von ihnen als zukünftige wissenschaftliche Mitarbeitende, JuniorprofessorInnen und Post-Docs erwartet wird, um dann an den eigenen wissenschaftlichen Qualifikationsprofilen (Bewerbungsunterlagen) zu arbeiten.
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Bewertung des Programms
6.1 Bewertungen aus TeilnehmerInnensicht … bzgl. der Organisation (Zeitaufwand, Struktur, Klima) Insgesamt wurden sowohl die organisatorische Durchführung als auch der Ablauf des Programms von den TN als sehr gut eingeschätzt und die angebotenen Trainingsmodule als wertvoll bewertet. Dennoch hatte keine/r der TN alle Seminare besucht. Als Grund hierfür wurden die hohe zeitliche Belastung durch Berufstätigkeit sowie andere Verpflichtungen angegeben. Ganz besonders haben die TN das positive Lernklima hervorgehoben, das als „sehr freundlich, sehr effektiv“ eingeschätzt wurde. Von den meisten TN ist der Zeitaufwand für das Programm9 als angemessen bewertet worden, dennoch gab es in Einzelheiten unterschiedliche Einschätzungen: Während z.B. in einem Feedback-Bogen „das lange Auftaktwochenende an einem so schönen, vom Alltag entfernten Ort … als wichtig für die Gruppenbildung“ bewertet wurde, ist das Auftakttreffen in einer anderen Bewertung als zu lang eingeschätzt worden, das „keinen Freiraum“ ließ, so dass man „mit der Gruppe gefangen“ war. Man konnte „die wunderbare Umgebung der Unterkunft in Potsdam nicht (nutzen und) … saß hauptsächlich im Seminargebäude oder dem Wohnhaus ‚fest’.“ Ähnliche Unterschiede gab es in der Einschätzung in Bezug auf die zeitliche Organisation: Während einige eine eher „straffere Organisation“ wünschten, sollten nach Einschätzung anderer die Module zeitlich ausgedehnt werden, „so 9 In diesem Pilot-Projekt haben alle Trainings in dem relativ kurzen Zeitraum zwischen Mai und November 2008 stattgefunden.
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Heidi Fichter-Wolf
dass sich der Aufwand verteilt“. Diese Unterschiede hängen offensichtlich mit der jeweiligen persönlichen Arbeits- und Lebenssituation zusammen. Die Vorschläge für Veränderungen reichten von der stärkeren zeitlichen Zusammenlegung und Straffung der Module bzw. diese auf ein oder zwei Blockseminare zu konzentrieren, bis zur zeitlichen Ausdehnung des Programms. Als positiv wurde auch die Beteiligung der TN bei organisatorischen Belangen (z.B. Selbstorganisation des Mittagessens) genannt. Trotz der positiven Bewertung des Projekts in Bezug auf eine „gute Kommunikation und Information“ wünschten sich einige TN genauere Informationen über den Ablauf der Seminare bereits im Vorfeld zu erhalten.
… bzgl. des Qualifizierungskonzepts: Bewertung der inhaltlichen Module und der persönlichen Lernfortschritte Die TN haben die inhaltlichen Trainingsangebote in unterschiedlichem Ausmaß für sich genutzt und konnten dabei Lernfortschritte konstatieren. Folgende Aussagen wurden u.a. dazu gemacht: „Ich habe vor allem gelernt, bestimmte Sachverhalte einfacher, transparenter und überschaubarer darzustellen“ „Ich bin auf jeden Fall selbstbewusster in meinem Schreiben, kann meine Gedanken besser sammeln und formulieren, bin sehr aufmerksam geworden, was die Argumentation angeht“ „Beim Zeitmanagement bin ich nicht besser geworden und die Selbstpräsentation lässt bei mir weiterhin viel zu wünschen (übrig).“ „Schreiben: Ich habe Methoden an die Hand bekommen, die ich auch mit Gewinn schon einsetze. … Ich habe eindrucksvoll gelernt, wie viel der Austausch mit anderen über eigene Texte bringt und praktiziere das seitdem.“ „Das Selbstwahrnehmungsseminar war super, es hat mir viel klargemacht. Zusammen mit mehr Übung bin ich da (beim Präsentieren) selbstsicherer geworden.“ „Wertvolle konkrete Tipps (zum Zeitmanagement), die ich aber leider nicht ganz konsequent anwende.“ „Hauptsächlich wurde mir bei Schreibkompetenz geholfen. Auch Projektmanagement/Organisation wurden gut erklärt, allerdings habe ich das Gelernte nicht so umgesetzt, wie ich es gern getan hätte.“ „Gelernt habe ich vor allem etwas hinsichtlich des Verfassens von Artikeln“ „(ich hatte) Lernfortschritte insbesondere bei der Reflexionsfähigkeit und beim Organisations- und Zeitmanagement zu verzeichnen.“
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„Insbesondere im Englischen habe ich sehr viel dazu gelernt. Das Modul ’English Journal Articles’ war dazu sehr hilfreich“. Neben diesen Aussagen haben die TN richtig angemerkt, dass sich die erzielten Lernfortschritte erst im Verlauf des weiteren Prozesses der wissenschaftlichen Arbeit zeigen werden. Mehrfach wurde die Bedeutung der Trainings zum wissenschaftlichen Schreibenlernen hervorgehoben und von den TN betont, dass sich ihre Fähigkeiten in diesem Bereich schon verbessert haben. Mehrere TN haben sich einen weiteren Ausbau dieses Moduls gewünscht. In weiteren einzelnen Punkten gab es Änderungswünsche und Anregungen zu dem Programm. So wurde z.B. angeregt, im nächsten Durchlauf zusätzlich ein Modul über ‚empirische Methoden’ aufzunehmen. Einige TN hoben hervor, dass die Sitzungen insbesondere an den Wochenenden zu lang waren und sie meinten, man könnte „die Moduleinheiten etwas straffer konzipieren“. Dann wiederum kam die Anregung, alle Module zu konzentrieren und „alles innerhalb einer Woche zu machen“. Diese einzelnen Kritiken sind nicht konsistent und widersprechen sich auch teilweise, so dass daraus keine grundsätzliche Kritik an der inhaltlichen Struktur sowie der Ausrichtung der Module abgeleitet werden kann. In einigen Fällen wurde Selbstkritik dahin gehend geübt, dass es nicht gelang, das Gelernte gleich umzusetzen und es wurde die eigene mangelnde Selbstdisziplin dafür verantwortlich gemacht.
… bzgl. des Gruppenprozesses (Kleingruppen, Vernetzung etc.) Entsprechend ihren zu Beginn des Programms formulierten Erwartungen stellten fast alle TN die ihnen durch das Programm ermöglichten Austauschmöglichkeiten mit anderen Doktoranden sowie die sich dadurch entwickelnden Vernetzungsprozesse als sehr fruchtbar heraus. Insbesondere wurde die verbesserte Motivation durch das „Treffen mit Gleichgesinnten“ und „die Erkenntnis, dass ich mit meinen Problemen nicht alleine bin, (sondern) dass auch andere Doktoranden mit gleichen Schwierigkeiten kämpfen“ als positiv hervorgehoben. In dieser Beziehung hat nach Aussagen der meisten TN vor allem die Arbeit in den Kleingruppen viel gebracht, obwohl diese im Rahmen der Selbstorganisationsprozesse sehr unterschiedlich gestaltet wurden und auch die Kontinuität in diesen Gruppen stark variierte. Die Kleingruppen hatten sich bereits während des Auftaktwochenendes gegründet. Bei einigen lief dieser Prozess allerdings schwierig: „Der Gruppenfindungsprozess war langwierig und mir war … nicht ganz klar, worauf das hinauslief“; andere hatten sich gleich nach dem Auftaktseminar verabredet und trafen sich regelmäßig. Die Kriterien für die Auswahl der
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Gruppenmitglieder waren zum einen Sympathie und gleiche Interessen sowie ähnliche Erwartungen, aber vor allem auch räumliche Nähe. So hatte sich eine Gruppe gebildet, deren Mitglieder sich in Berlin, vor allem in der Staatsbibliothek regelmäßig trafen; eine andere Gruppe hatte sich nach dem Kriterium der räumlichen Nähe, nämlich ihres Wohnorts im Raum Słubice – Frankfurt (Oder) zusammengefunden. Die Nationalität spielte offensichtlich bei der Gruppenbildung keine Rolle, was sich auch mit dem Umstand erklären lässt, dass alle ausländischen Doktoranden die deutsche Sprache gut beherrschten und somit eine Sprachbarriere nicht vorhanden war. Von einer Gruppe wurde die gemeinsame Fachdisziplin als Kriterium für die Bildung der Kleingruppe hervorgehoben; von den meisten wurde jedoch gerade die heterogene sowie Disziplinen und Nationen übergreifende Zusammensetzung als gewinnbringend eingeschätzt. Bezüglich des Gruppenprozesses gestalteten sich die Entwicklungen zwar sehr unterschiedlich. Dennoch bewertete ein Großteil der TN die Erfahrungen in ihrer spezifischen Academic Peer Coaching Gruppe als sehr hilfreich für die Arbeit an ihrer Dissertation. Auf die Frage „Was hat Ihnen der Gruppenprozess gebracht?“ wurden u.a. folgende Antworten gegeben: „Gewissheit, dass ich nicht der Einzige bin, der mit bestimmten Problemen, wie Zeitmangel, Stress, mangelndem Selbstbewusstsein, usw. zu kämpfen (hat)“ „die Bereitschaft der Gruppenmitglieder sich mit den einzelnen Dissertationsprojekten interdisziplinär auseinanderzusetzen“ „Ich wurde selbstbewusster, von der Wichtigkeit meines Projektes überzeugt“ „Lektürehinweise, Spaß an der Rezension anderer Texte und vor allem: Aufbauende Worte zur rechten Zeit. Das vor allem, das war nötig und hat mir sehr! Geholfen.“ „Die Möglichkeit, wissenschaftliches Feedback zu bekommen“ „Die Kontrolle und der Druck, etwas abgeben zu müssen“ „Motivation durch regelmäßige ‚Kontrolle’ der Ergebnisse“ „Einen angenehmen Rahmen, um über die eigene Diss, das Vorankommen und die Probleme zu sprechen“ „Das Feedback aufgrund kritischer Nachfragen“ „Emphatisches Zuhören bei Projektvorstellung, ehrliches Feedback, Zuspruch“. Die folgende Aussage aus den Antworten im Fragebogen bringt die Erfahrungen aus den Gruppenprozessen gut auf den Punkt:
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Mir bringt vor allem der Austausch etwas und in diesem Sinne die DoktorandenAG. Sie hilft vor allem insofern, als man Meinungen und Bewertungen von Doktoranden anderer Disziplinen zur eigenen Arbeit erhält und gleichzeitig ein gewisser verbindlicher Rahmen besteht, in dem man seine Arbeit ‚abliefern’ muss.
Aus den Antworten der TN lässt sich schließen, dass die in den Gruppen geknüpften Kontakte die Programmlaufzeit überdauern werden. Bei einigen Gruppen zeigte sich das bereits konkret: Man trifft sich weiterhin, für Gespräche, Freizeitaktitiväten und man „plant auch andere gemeinsame Unternehmungen außer wissenschaftliches Arbeiten“. Denn es sind „hier auch Freundschaften entstanden …, die sich auch auf den Freizeitbereich ausdehnen“.
… bzgl. der interdisziplinären und interkulturellen Zusammenarbeit Die Bewertung dieser Frage erfolgt vor dem Hintergrund der spezifischen Ziele des Programms „Wissenschaftskompetenz durch Diversität“. Dieses sieht vor, dass zum einen Doktoranden mit unterschiedlicher nationaler und kultureller Herkunft durch fachliche und soziale Begleitung unterstützt werden, die unter den spezifischen Bedingungen der deutschen Wissenschaftstradition mit deren strukturellen Defiziten promovieren wollen. Zum anderen soll das Potenzial, das die Diversität der Promovierenden aus verschiedenen Wissenschaftskulturen und –traditionen darstellt, für die Entwicklung von Wissenschaftskompetenz der Promovierenden genutzt werden. Die Antworten in dem eingangs verteilten Teilnehmerfragebogen ließen bei allen Projektbeteiligten eine hohe Offenheit bezüglich der Arbeit in gemischten Teams erwarten. Die meisten TN brachten Erfahrungen aus interkulturellen Teams mit und bewerteten vor diesem Hintergrund eine solche Zusammenarbeit als bereichernd. Allerdings wurde die Voraussetzung betont, dass ein offenes Aufeinanderzugehen sowie die Bereitschaft für die Verständigung auf allen Seiten vorhanden sein muss. Während der Zusammenarbeit im Projekt mit TN aus verschiedenen Kulturen und Fachdisziplinen wurden allerdings von einigen auch Unterschiede wahrgenommen, die zu neuen Einsichten führten: „… das unterschiedliche Wissenschaftsverständnis war mir bekannt und bewusst, es war neu, mal mit anderen Disziplinen in Kontakt zu kommen“. Dies führte zu „positiven Erfahrungen durch Erkenntnisse über die Arbeits- und ‚Lebensschwerpunkte’ anderer“. Probleme wurden jedoch nicht auf diese Unterschiede zurückgeführt: „Ich glaube, wenn es Differenzen in den genannten Bereichen gibt, liegen sie eher in den einzelnen Persönlichkeiten als in den kulturellen oder disziplinären Unterschieden.“ Allgemein wurde der „Austausch als äußerst nutzbringend, da mit anderen
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Sichtweisen auch neue Erkenntnisse verbunden sind“ bewertet. Im Einzelnen gab es in Bezug auf die Diversität in den Wissenschaften folgende Einsichten:
… in Bezug auf kulturelle Unterschiede „Ja, die Diskussionsfähigkeit überwiegt auf jeden Fall auf der deutschen Seite.“ „Tendenziell scheinen die osteuropäischen Teilnehmer ein traditionelleres Rollenverständnis, stärkere und klarere Hierarchien zu haben. Die meisten sehen die Diss nicht als Selbstzweck, sondern verfolgen konkrete Pläne“ „Mir ist positiv aufgefallen, wie viele junge Frauen Kinder haben oder bekommen, während ihrer Doktorarbeitszeit. Ob dies kulturell wirklich so unterschiedlich ist, kann ich nicht beurteilen, wenngleich alle, die ich hier meine, aus osteuropäischen Ländern stammen. Unter deutschen Bekannten kenne ich wenige, die gleichzeitig Kinder haben oder großziehen“ „Die Selbstständigkeit ist in Deutschland ein wichtiger Punkt, was mir gut gefällt.“ „In Deutschland steht Eigenständigkeit und individueller Forschungsdrang im Vordergrund, viel offener zu den Querdenkern und Marginalen. Aber auch hohe wissenschaftliche Ansprüche und Sorgfalt.“ „Mit Sicherheit lässt sich sagen, dass in den osteuropäischen Ländern ein weitaus strengerer Umgang an den Universitäten herrscht. Aus diesem Grund scheint es mir so, als müssten sich Studenten aus diesen Ländern erst an die vielen Freiheiten gewöhnen, die sie hier haben (v.a. in den Geisteswissenschaften).“ „In Deutschland bedeutet Wissenschaft vor allem Kritik und Hinterfragen. In Polen bedeutet Wissenschaft vor allem Kenntnis und Wissen.“ „Die Konfrontationsmöglichkeit mit verschiedenen wissenschaftlichen Herangehensweisen.“ „Einblicke in andere Lebenssituationen, Verständnis für einige Einstellungen, aber eben auch die Erfahrung, dass man nicht alleine ist, dieselben Probleme hat.“
… in Bezug auf fachdisziplinäre Unterschiede „Wirtschaftswissenschaftler und Juristen sind eher zurückhaltend bei der Beurteilung ihrer Doktorväter/-mütter.“
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„Andere Anforderungen an das wissenschaftliche Schreiben zwischen Geistes- und Wirtschafts-/Rechtswissenschaften.“ „Unterschiede gibt es im wissenschaftlichen Schreiben aufgrund unterschiedlicher Anforderungen hinsichtlich Systematik, Schwerpunktsetzung, Argumentation.“ Unterschiede „zwischen der Arbeitsweise der Juristin, des Wirtschaftswissenschaftlers und der Kulturwissenschaftler in unserer Gruppe.“ „Die technischen Möglichkeiten, die andere Wissenschaftsdisziplinen nutzen, würde ich mehr in Anspruch nehmen.“ „Von der wirtschaftswissenschaftlichen Arbeitsweise finde ich die stringente Vorgehensweise und die Praxisbezogenheit gut.“ „Die Wirtschaftler scheinen sehr strikte Vorgaben zu haben, und müssen sehr strukturiert vorgehen. Ich bin erstaunt, was sich alles operationalisieren lässt. Bei den ‚Geistis’ schweift man leichter aufs Persönliche ab, das Ergebnis wird eher durch Einkreisen erreicht.“ „Insbesondere der interdisziplinäre Ansatz hat gezeigt, dass alle mit Wasser kochen und dabei dieselben Schwierigkeiten haben, das Wasser zum Brodeln zu bringen. Das war tatsächlich häufig sehr motivierend.“
… bzgl. der Fortschritte und der Klarheit in der Karriereplanung Konkrete Veränderungen in der Karriereplanung der TN haben sich während der Laufzeit des Projekts kaum ergeben. Von 11 Rückläufen antworteten 9 TN mit ‚nein’; in einem Fragebogen gab es dazu keine Antwort. Ein TN antwortete mit ‚nein’ weil er/sie sich „bereits in einem karriereorientierten Job“ befand und ein/e weitere/r war unsicher, „ob ich die Dr.-Arbeit wirklich abschließen werde“. Lediglich bei einer Antwort wurden konkrete neue Karrierepläne genannt: „Ich werde an einer anderen Hochschule zu einem etwas anderen Thema promovieren. …Ich hatte vier Angebote und jetzt eine tolle Forschungsstelle (in einer anderen Stadt)“. Am Ende der Projektlaufzeit wurden den TN in einem spezifischen Trainingsmodul zur Karriereplanung die beruflichen Anforderungen einer wissenschaftlichen Laufbahn vorgestellt, dabei wurden auch konkrete Anregungen und Tipps für eine zielgerichtete Karriere in diesem Bereich gegeben. Die TN werteten diesen Baustein des Programms einerseits als ‚ernüchternd’, weil ihnen bewusst geworden war, dass sie viele Kriterien noch nicht erfüllten. Andererseits schätzten sie dieses Trainingsmodul aber auch als sehr hilfreich für ihre künftige Karriereplanung ein, da ihnen viele hilfreiche Strategien zur Arbeit an der Universität aufgezeigt und erklärt worden waren, wie man z.B. die Anforderungen
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zu publizieren und sich im Wissenschaftsbetrieb zu engagieren sinnvoll mit der Doktorarbeit verbinden könne (vgl. Seminarprotokoll v. 13./14.11.08).
6.2 Gesamtbewertung sowie Verbesserungs- und Modifikationsvorschläge aus Sicht der Teilnehmenden Das Programm wurde von allen TN als sehr hilfreich und anregend für die Weiterarbeit an ihrer Doktorarbeit angesehen und einige gaben die Empfehlung, eine solche Form der Weiterbildung doch für alle Doktoranden an der EUV anzubieten. Die folgenden Bewertungen können das verdeutlichen: „Unabhängig von dem zusätzlichen Gewinn durch Diversität, hat mir das Programm so viel ‚Schub’ für meine Dissertation gegeben, dass ich der Meinung bin, es sollte solche Programme ganz allgemein und auch für deutsche Doktoranden geben.“ „Solche Workshops sollten für alle Doktoranden der Viadrina angeboten werden. Schon das Angebot einzelner Trainings nach Art des Career Centers wäre gut. Es ist aber ein Luxus, dass wir … als eine Gruppe das Programm durchlaufen haben.“ „Der Ansatz und das Ziel dieses Programms sind sehr empfehlenswert u.a. für Promovierende, die am Anfang ihrer Dissertation stehen.“ Für die Weiterentwicklung des Programms sowie für künftige Projektdurchgänge gab es einige Änderungsvorschläge. So wurde der Vorschlag eingebracht, das gesamte Programm als Blockseminar zu organisieren, mit der Begründung, dass dann alle TN gezwungen wären, anwesend zu sein und es auch leichter sei, sich eine komplette Woche freizuschaufeln als einzelne Tage. Andere TN wünschten jedoch wiederum eine größere zeitliche Verteilung der Module, so dass aus diesen Meinungen keine allgemein gültige Anregung für die künftige zeitliche Organisation des Programms abgeleitet werden kann. Ergänzungsvorschläge wurden in Bezug auf weitere inhaltliche Bausteine gegeben: ein Seminar zur Hochschuldidaktik mit der Begründung, dass eine Dissertation meist mit einer Lehrverpflichtung einhergeht; eine Ausweitung der Schreibübungen, z.B. eigene Module für die Konzeption, den Aufbau und das Schreiben einer Arbeit; Vorbereitung auf die Disputation; Ein Modul über empirische Methoden.
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6.3 Gesamtbewertung des Programms und Empfehlungen Durch die Akquisition von TN mit verschiedenen disziplinären und kulturellen Hintergründen waren die Voraussetzungen für die Durchführung des Pilotprojekts „Wissenschaftskompetenz durch Diversität“ geschaffen worden. Die Gruppe war damit interdisziplinär mit solchen Wissenschaftsdisziplinen besetzt, welche auch das Profil der Europa-Universität Viadrina ausmachen. Die Mehrzahl bildeten allerdings Promovierende aus dem Bereich der Kulturwissenschaft. Auch die interkulturelle Diversität war gewährleistet: mehr als die Hälfte der TN gehörten einer anderen Nationalität an, wobei der Schwerpunkt eindeutig auf Ländern Osteuropas lag. Der größte Anteil der Promovierenden befand sich in einem fortgeschrittenen Stadium des Dissertationsprozesses, wobei außerdem die meisten einer Berufstätigkeit neben der Dissertation nachgingen und somit eine Übereinstimmung bei den strukturellen Bedingungen für die Dissertation sowie ein gewisser gemeinsamer Erfahrungshintergrund vorausgesetzt werden konnten. Das Projekt hat einen wesentlichen Beitrag zur Bewältigung der als großes Problem erkannten Isolation während der Promotionsphase und dem mangelnden wissenschaftlichen Austausch geleistet. Der Austausch von Erfahrungen und Kenntnissen mit Promovierenden in der gleichen Situation sowie die damit einhergehenden sozialen Kontakte wurden als hoher Wert anerkannt. Insgesamt scheint das Programm mit seiner strukturellen als auch der inhaltlichen Ausrichtung an wichtige Bedürfnisse während der Promotionsphase anzuknüpfen, nämlich eine soziale Einbindung zu fördern und gleichzeitig wichtige Schlüsselkompetenzen zu vermitteln. Die Trainings wurden insgesamt als sehr gewinnbringend beurteilt, auch wenn die erworbenen Qualifikationen nicht sofort in die Praxis umgesetzt werden konnten. Insbesondere wurden die Schreibübungen zur Vermittlung der wissenschaftlichen Schreibkompetenz als sehr wichtig und notwendig beurteilt und sogar eine weitere Ausweitung dieser Trainings gewünscht. Insgesamt scheint es mit der ersten Umsetzung des Programms weitgehend gelungen zu sein, bestehende Unsicherheiten in Bezug auf die eigenen Kompetenzen bei den TN zu vermindern oder sogar zu beseitigen und gleichzeitig das Selbstvertrauen zu stärken sowie die Motivation für die Arbeit an der Dissertation zu erhöhen. Insbesondere das Konzept des Academic Peer Coaching hat sich durch die Umsetzung in Kleingruppen weitgehend bewährt. Die Selbstorganisation in den Gruppen war bis auf einige Ausnahmen gut gelungen und hat die gewünschte Verbindlichkeit sowie den Druck ‚etwas vorweisen zu müssen’ hergestellt. Die Nachhaltigkeit dieser Gruppen über die Programmlaufzeit hinaus kann zwar jetzt noch nicht abschließend beurteilt werden; es zeichnet sich jedoch ab, dass sich einige Gruppen weiterhin treffen werden und neben der sozialen Kontaktmög-
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Heidi Fichter-Wolf
lichkeit mit Gleichgesinnten ihre Gruppe weiterhin für den wissenschaftlichen Austausch nutzen werden. Ein Hauptproblem bei der Durchführung des Programms war die unregelmäßige Anwesenheit der TN bei den Trainings, die ihre Ursachen in unterschiedlichen (beruflichen, familiären und sonstigen) anderen Verpflichtungen hatte. Eine Kontinuität war daher nicht immer gewährleistet, ein Umstand, der auch von den TN als zu geringe Verbindlichkeit beklagt wurde. Die Arbeit in gemischten kulturellen und disziplinären Teams stellte kein Problem dar und wurde vielfach als Bereicherung in Bezug auf die eigenen methodischen Herangehensweisen sowie Sichtweisen angesehen. Es lässt sich allerdings zu diesem Zeitpunkt noch nicht beurteilen, ob und inwieweit hierdurch wechselseitige Lerneffekte eingetreten sind.
6.4 Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Programms (Die folgende Reihenfolge stellt keine Rangfolge oder eine Prioritätensetzung dar) Um das Problem der unregelmäßigen Teilnahme an den einzelnen Modulen zu minimieren, sollte überlegt werden, ob ein Angebot als Blockveranstaltungen – z.B. verteilt auf zwei Wochenblöcke – die Teilnahme und die Verbindlichkeit erhöhen könnten. Eine solche Konzentration der Veranstaltung macht die zeitliche Organisation (z.B. durch Urlaub) für berufstätige TN ggf. leichter und erschwert ein unentschuldigtes Fernbleiben. Der Gruppenaustausch für die gesamte Gruppe könnte dadurch intensiviert und die Kontinuität verbessert werden. Für die Durchführung der Blockveranstaltungen könnte ein Aufenthaltsort außerhalb der Universität mit Übernachtungsmöglichkeit vor Ort (z.B. wie bei der Auftaktveranstaltung) den Gruppenprozess befördern. Dabei sollte ein Konzept bevorzugt werden, dass einerseits der Wissensvermittlung dient, aber gleichzeitig auch Freiräume für gemeinsame Aktivitäten lässt und somit den sozialen Kontakten und der Gruppenbildung dienlich sein kann. Die Selbstorganisation bzw. Mitwirkung der TN könnte in bestimmten Bereichen (z.B. Organisation des Essens, gemeinsames Kochen) dazu beitragen, dass die TN sich im Rahmen gemeinsamer Arbeit – außerhalb des wissenschaftlichen Arbeitens – kennen- und einschätzen lernen können. Eine solche gemeinsame Aktivität könnte gleichzeitig im Rahmen eines Mo-
Das Projekt „Wissenschaftskompetenz durch Diversität“
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duls ‚Organisation und Teamfähigkeit’ als Praxistest genutzt werden, indem anschließend die unterschiedlich eingenommenen Rollen sowie die Erfahrungen mit der Teamarbeit ausgewertet und zum Thema eines Trainings ‚Teamentwicklung’ gemacht werden. Es sollte überlegt werden, ob die Entwicklung und Nachhaltigkeit der ‚Academic Peer Coaching-Gruppen’ noch gezielter unterstützt werden könnten, z.B. indem den Gruppen über die Programmlaufzeit hinaus professionelle Beratung (Coaching) durch die Trainer und Seminarleiter des Programms angeboten wird (so hat sich z.B. eine parallel angebotene individuelle Schreibberatung als sehr sinnvoll herausgestellt; diese sollte sowohl für ausländische als auch deutschsprachige Studierende angeboten werden); ggf. Post-docs der Europa-Universität Viadrina als Mentoren für die Unterstützung der Kleingruppen gewonnen werden; es sollte überlegt werden, ob eine Vermittlerbörse für Academic Peer Coaching Gruppen an der Universität eingerichtet werden kann; regelmäßige Nachtreffen (z.B. jährlich) zum Erfahrungsaustausch für alle Gruppen institutionalisiert werden. Diese müssten jedoch jeweils mit dem Angebot eines interessanten Themas verbunden werden, um Anreize für die Teilnahme zu geben. Wie in den Auswertungsbögen von einigen TN gewünscht, sollte eine detaillierte Information über das Programm sowie über einzelne Module bereits vor Beginn des Gesamtprogramms zur Verfügung gestellt werden. Wünschenswert wäre auch, Ergänzungsanregungen der TN abzufragen und – wenn organisatorisch und zeitlich möglich – in das Programm zu integrieren. Die von einigen TN gewünschten inhaltlichen Ergänzungen der Module (u.a. Seminar zur Hochschuldidaktik, empirische Methoden, Ausbau der Schreibübungen) sollten sinnvoll in das Programm integriert und umgesetzt werden.
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Fazit
Zusammenfassend kann das Programm „Wissenschaftskompetenz durch Diversität“ als ein sehr erfolgreiches und zukunftsweisendes Konzept zur Promotionsund Karriereförderung im Wissenschaftsbereich bewertet werden. Die im Pilotprojekt gewonnenen Erfahrungen fließen bereits in die neue „Viadrina Graduate School“ an der EUV ein und es bleibt zu hoffen, dass diese auch darüber hinaus
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Heidi Fichter-Wolf
aufgegriffen werden und Anregungen für die Entwicklung von Promotionsförderungsprogrammen in Europa geben können.
Von der Funktion und dem Funktionieren des Promotionsprozesses. Erfahrungsberichte der Promovierenden Von der Funktion und dem Funktionieren des Promotionsprozesses
William P. Dinkel, Alice Altissimo
Abstract Im folgenden Beitrag sollen aus den Erfahrungen mit den im Rahmen des Projekts „Wissenschaftskompetenz durch Diversität“ entstandenen selbstorganisierten Promovierendengruppen Hinweise auf deren Erfolgsfaktoren erarbeitet werden. Es zeigt sich, dass insbesondere die Berücksichtigung der individuellen Promotionsbedingungen bei der Konstitution der Gruppe sowie die klare Formulierung von Regeln für den Austausch zur Integration der Gruppen und damit zu deren nachhaltigem Erfolg beigetragen haben.
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Einleitung
Wer promoviert, der tut dies, um Wissenschaftler zu werden - So ließe sich das Leitbild des wissenschaftspolitischen Diskurses und auch der Ausgestaltung von Unterstützungsangeboten der Hochschulen für Promovierende umschreiben. Eigentlich eine kontrafaktische Herangehensweise, denn für lediglich die Hälfte der erfolgreichen Doktoranden bestehen in Deutschland langfristige Beschäftigungsmöglichkeiten in der Wissenschaft (Enders 2005: 39). Bei der Konzeption von Angeboten zur Unterstützung des Promotionsprozess sehen sich Hochschulen als Folge mit einem Dilemma konfrontiert: Einerseits geht es darum, wissenschaftliche Qualität, "Exzellenz", zu fördern und qualifizierten Nachwuchs für die Wissenschaft zu produzieren, andererseits muss dabei eine Ausstiegsoption mitgedacht und die Employability der später Promovierten sichergestellt werden. "Lock-ins" in den wissenschaftlichen Arbeitsmarkt sind zu vermeiden. Eine Antwort auf dieses Dilemma ist die Strukturierung der Doktorandenausbildung im Rahmen von Graduiertenkollegs und -schulen. Die intensive Einbindung des Promotionsprozesses in Wissenschaftsstrukturen soll dazu beitragen, das Anfertigen einer Dissertation zu beschleunigen, die Zahl der Promotionsabbrecher zu verringern und dabei gleichzeitig die Einbettung in wissen-
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William P. Dinkel, Alice Altissimo
schaftliche Netzwerke anzuregen (Wissenschaftsrat 2002: 45f.). Durch die Vermittlung von persönlichen beruflichen Handlungskompetenzen (Soft Skills) soll zudem die sektorenübergreifende Employability von Promovierten erhöht werden (Scholz 2009). Die zwei zentralen Elemente der strukturierten Doktorandenausbildung sind entsprechend zum einen die Bereitstellung eines strukturierten Seminar- und Kolloquiaprogramms, also eine systematische postgraduale wissenschaftliche Ausbildung, und zum anderen zusätzlich dazu die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen. Eine nicht intendierte Folge dieses ambitionierten Programms ist eine erhöhte Arbeitsbelastung zusätzlich zur Arbeit am Promotionsprojekt: Von den Teilnehmern an kulturwissenschaftlichen DFG-Graduiertenkollegs etwa wird diese als eine wichtige Ursache für die Verzögerung der Promotion angeführt (DFG 2002: 55). Gerade für Doktoranden mit hoher Arbeitsbelastung im Rahmen von Drittmittelstellen oder außeruniversitären Tätigkeiten ist diese Form der Strukturierung des Promotionsprozesses dadurch nur begrenzt attraktiv. Es handelt sich vielmehr um Angebote, die sich - mehr oder weniger explizit - an Doktoranden wenden, die ihr Projekt unabhängig von Erwerbstätigkeiten finanzieren. Vor dem Hintergrund des Exzellenzgedankens mag diese Vorselektion sinnvoll erscheinen (Wissenschaftsrat 2002, Hauss 2009). Gleichzeitig gibt diese Herangehensweise keine Antwort auf die Frage, wie sich der Promotionsprozess für einen nicht unerheblichen Teil der Doktoranden effizienter gestalten lässt. 2004 etwa finanzierten nur rund 50% der Promovierenden ihren Lebensunterhalt unabhängig von Erwerbstätigkeiten (Birsl 2008: 107).10 Die Bereitstellung von Angeboten zur Unterstützung des Promotionsprozesses für Promovierende, die in Erwerbskontexten promovieren, erscheint daher, aus wissenschaftlicher aber auch aus gesellschaftlicher Perspektive, vor dem Hintergrund der gleichen Argumente sinnvoll. Ein zentraler Vorteil der Graduiertenkollegs wird von ihren Teilnehmern hingegen im strukturierten Austausch mit anderen Kollegiaten gesehen. Insbesondere Kolloquien werden als wichtiger Ansporn bzw. als ein Moment sozialer Kontrolle und als ein zentraler Baustein für den Ausbau der eigenen wissenschaftlichen Qualifikation im Promotionsprozess gesehen (DFG 2002: 56). Sie bieten Doktoranden einen Rahmen, um den wissenschaftlichen Diskurs in einem weniger formalen, fachübergreifenden Rahmen einzuüben, sich gegenseitig über den Stand ihrer Arbeit zu berichten, ihre methodischen Ansätze zu erläutern, Fragestellungen zu begründen und Ergebnisse 10
Als Ausgangspunkt wurde die Summe der Promovierenden genommen, die angeben, ihr Promotionsprojekt vollständig oder zum Teil mit Hilfe von Stipendien, Graduiertenkollegs, dem/der Partner/in oder den Eltern zu finanzieren.
Von der Funktion und dem Funktionieren des Promotionsprozesses
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darzustellen. Diese gegenseitigen Präsentationen schärfen und präzisieren das Verständnis für die eigene Arbeit und die Arbeit der anderen in einem fachlich breiten Rahmen. (DFG 2002: 56)
Die Strukturierung der Doktorandenausbildung trägt offenbar nicht nur zur Optimierung des Promotionsprozesses, sondern auch zur Optimierung der Qualität der Dissertationen bei. Die Frage, die sich daraus ergibt, lautet: Wie können Angebote zur Unterstützung der Promotionsphase so formuliert werden, dass sie kompatibel mit dem Promotionsalltag einer möglichst großen Zahl an Doktoranden sind? Ein Beispiel dafür, wie es gelingen kann, die beiden auf den ersten Blick gegenläufigen Erfahrungen aus der Konzeption von Unterstützungsangeboten für Doktoranden zu vereinbaren, sind die im Rahmen des an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) durchgeführten Pilotprojekts "Wissenschaftskompetenz durch Diversität" entstandenen Doktorandenarbeitsgruppen („Academic Peer Coaching“). Dabei handelt es sich um eine Plattform für den Austausch unter Doktoranden, deren Aufbau sich in erster Linie an der Heterogenität der Ausgestaltung der Lebensphase Promotion bei den Beteiligten orientiert. Das Frankfurter Modell (vgl. Heidi Fichter-Wolff in diesem Band) ist dadurch insbesondere für diejenigen Promovierenden attraktiv, die vom wissenschaftspolitischen Normalmodell des in Vollzeit durch ein Stipendium oder eine Promotionsstelle abgesicherten Promovierenden abweichen. Im vorliegenden Kapitel wird aus dieser Perspektive berichtet. Präsentiert werden Erfahrungen, die von zwei nicht in Vollzeit Promovierenden in zwei verschiedenen Gruppen gesammelt wurden. Beide Gruppen fanden sich beim Auftaktseminar zusammen (siehe Girgensohn & Hiller in diesem Band) und arbeiten dauerhaft erfolgreich weiter. Ziel dieses Berichts ist es, erste Anhaltspunkte darauf herauszuarbeiten, welchen Beitrag die gezielte Förderung der Entstehung solcher Arbeitsgruppen für die Strukturierung der Doktorandenausbildung leisten kann. Angesichts der geringen Fallzahl und der Besonderheit der Textgattung Erfahrungsbericht ist es hingegen kein Ziel, methodisch abgesichertes Wissen bereitzustellen. Stattdessen sollen Hinweise auf begünstigende und erschwerende Faktoren für die Entstehung solcher Gruppen gewonnen und so eine erste Grundlage für eine noch durchzuführende präzisere und methodisch abgesicherte Untersuchung gelegt werden.
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William P. Dinkel, Alice Altissimo Interdisziplinäre Zusammenarbeit und Funktionen der Arbeitsgruppe
Die beiden hier vorgestellten Doktorandenarbeitsgruppen umfassten jeweils fünf Promovierende. Sie waren trotz ihrer klaren Verortung in den Geistes- und Sozialwissenschaften in disziplinärer Hinsicht heterogen zusammengesetzt. Neben den Literaturwissenschaften waren die Sprachwissenschaften, Sozialwissenschaften, die Politikwissenschaften und die Wirtschaftswissenschaften vertreten. In den Gruppentreffen äußerte sich diese Heterogenität insbesondere in erkenntnistheoretischen und forschungspragmatischen Unterschieden. Die in der Abgrenzung eines normativen von einem interpretativen Paradigma angelegten erkenntnistheoretischen Positionen fanden ihren Ausdruck in Diskussionen um den Tatsachenbegriff, um die normative Bestimmung von Wissenschaftlichkeit und methodischen Fragen. Da ein Großteil der Beteiligten empirisch arbeitete, wurden insbesondere Differenzen zwischen qualitativem und quantitativem Forschungsprozess thematisiert. Der zentrale Nutzen, den die Beteiligten aus dieser Auseinandersetzung ziehen konnten, war die Reflexion der disziplinären Grundlagen bzw. Begrenzungen, die die Forschungsprojekte charakterisierten und die Formulierungen möglicher theoretischer oder methodischer Alternativen. Inwieweit die dabei erarbeiteten Vorschläge Eingang in die Arbeiten fanden, kann nicht abschließend festgehalten werden. Angesichts der Notwendigkeit, mit der Dissertation als Qualifikationsarbeit disziplinäre Paradigma zu bedienen, kann man aber zu Recht skeptisch sein hinsichtlich der Möglichkeiten, die Ergebnisse der interdisziplinären Auseinandersetzung im individuellen Promotionsvorhaben umzusetzen. Deutlich wurden darüber hinaus Differenzen in der Ausgestaltung des Forschungsprozesses, besonders augenfällig war hier die Entsprechung der Einordnung des Promotionsprojekts zwischen den Polen deduktiv-induktiv in Routinen und Gewohnheiten der Textproduktion. Während die eher induktiv vorgehenden Promovierenden die Textproduktion als Prozess verstanden, in dem das Geschriebene permanenter Revision ausgesetzt ist, also langsam wächst und seine Form annimmt, ging eine deduktive Herangehensweise eher einher mit einer geplanten Textproduktion, also der Durchführung eines Schreibplans. Dieser Unterschied zeigte sich in einer Arbeitsgruppe schon nach den ersten Treffen, also zum Zeitpunkt ihrer Entstehung. Besprochene Textfragmente wurde so unterschiedlich interpretiert: Einerseits als Ergebnis eines Forschungsprozesses, andererseits als Instrument, das in diesem zum Einsatz kommt. Die dabei entstehenden Missverständnisse hatten zur Folge, dass die Funktion der besprochenen Texte für den individuellen Forschungsprozess im weiteren Verlauf schon im Vorfeld der Besprechung näher spezifiziert wurde.
Von der Funktion und dem Funktionieren des Promotionsprozesses
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Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal der Gruppenmitglieder war die Art der Finanzierung des Promotionsvorhabens. Der Großteil der Beteiligten in beiden Arbeitsgruppen finanzierte das Promotionsprojekt über wissenschaftliche Erwerbsarbeit an Hochschulen und im außeruniversitären Bereich, nur ein geringer Anteil mit Hilfe eines Stipendiums. Damit einher gingen unterschiedliche Zielsetzungen, die von den Beteiligten mit der Promotion verfolgt wurden. Neben die Qualifikation für eine Tätigkeit in der Wissenschaft trat so das Ziel der Absicherung von Risiken auf dem Arbeitsmarkt. Dennoch zeigte sich, dass trotz der sehr unterschiedlichen Zielsetzungen des Promotionsprozesses weder Unterschiede hinsichtlich der anvisierten Qualität noch hinsichtlich der Arbeitsintensität zu beobachten waren. Alle Beteiligten verfügten über ein sehr hohes Maß an Eigenmotivation und über ein hohes Maß an wissenschaftlichem Qualitätsbewusstsein. Gleichzeitig unterschieden sich die Funktionen, die die Gruppentreffen für die Beteiligten im Promotionsprozess erfüllten, jedoch gerade an dieser Stelle. Für die Beteiligten, die stärker in wissenschaftliche bzw. universitäre Zusammenhänge integriert waren, stellten die Treffen eher einen geschützten Raum außerhalb der wissenschaftlichen Kommunikationszusammenhänge dar. Für die Beteiligten, die sich durch wissenschaftsexterne Erwerbstätigkeit finanzierten oder über wenig Möglichkeiten zum fachlichen Austausch verfügten, waren die regelmäßigen Treffen eher einer der wenigen Integrationspunkte in eben diese. Das darin begründete Konfliktpotential konnte durch das individuelle Commitment, aber auch durch die klare Formulierung von Regeln beim Auftakttreffen und deren konsensualer Weiterentwicklung im Zuge der Treffen entschärft werden. Konsequenzen für den Ablauf der Treffen hatte diese Differenz daher nicht.
3
Internationale Zusammenarbeit
Schließlich waren die Gruppen mit Beteiligten aus Deutschland, Italien, Polen, der Ukraine und Russland auch in nationaler Hinsicht gemischt. Die daraus zu erwartenden Unterschiede relativierten sich jedoch aus zwei Gründen: Zum einen hatten alle nicht-deutschen Promovierenden eine intensive Sozialisierung in das deutsche Wissenschaftssystem und in die deutsche Wissenschaftskultur erfahren. Zum anderen haben Erfahrungen der deutschen Promovierenden mit ausländischen Wissenschaftssystemen dazu beigetragen, dahingehende Unterschiede zu explizieren. Insgesamt waren so die Spezifika der deutschen Wissenschaft, ihre kulturellen Normen und sozialen Werte eine Reibungsfläche, die eher zu Diskussionen innerhalb Promovierendengruppen anregte und weniger zu strukturellen Benachteiligungen führte. Gerade an dieser Stelle zeigte sich, dass
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William P. Dinkel, Alice Altissimo
die Promotionsphase neben ihrer Forschungskomponente auch eine intensive Sozialisierungskomponente enthält: Neben dem Beitrag zur gesellschaftlichen Funktion der Wissenschaft - der Produktion von Wissen durch Beiträge in wissenschaftlichen Kommunikationszusammenhängen - trat so immer das Funktionieren der Wissenschaft, also das Handeln oder der Habitus der Wissenschaftler als zentrales Moment der Qualifikation ins Blickfeld. Durch die vergleichende Perspektive, die auf Grund der Biografien und Erfahrungen der Beteiligten in den Diskussionen eingenommen werden konnte, wurde deutlich, dass Wissenschaft aus funktionaler Perspektive zwar international sein mag, auf Ebene des Funktionierens aber lokal bzw. kulturell geprägt ist. Dieses Herausarbeiten der Spezifika des deutschen Wissenschaftsbetriebs trug für alle Beteiligten dazu bei, diesen zu "entzaubern", handhabbar zu machen. Ihren konkreten Niederschlag fand dieser für alle Beteiligten nutzbringende Diskurs in gegenseitiger Unterstützung im Umgang mit wissenschaftsspezifischen Regulativen, etwa bei Drittmittelanträgen, bei der Publikationsvorbereitung und Karriereplanung, bei Betreuungsfragen.
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Erfolgsfaktoren
Zentraler Erfolgsfaktor für die Arbeitsgruppen war das individuelle Commitment der Beteiligten. Obwohl dieses auf der affektiven Ebene zu einem nicht zu unterschätzenden Anteil der gegenseitigen Sympathie der Beteiligten geschuldet war, lassen sich doch drei Faktoren ausmachen, die bei dessen Entstehung einen günstigen Einfluss hatten. Zunächst sei hier die eigenverantwortliche Formulierung und Kodifizierung von Regeln für den Ablauf der Gruppentreffen genannt. Im Rahmen eines mehrtägigen Auftakttreffens wurden Modalitäten für die Vorbereitung, für Terminänderungen, Abwesenheiten usw. definiert. Dabei bot sich die Möglichkeit, die Spezifika der unterschiedlichen Promotionskontexte zu formulieren und davon ausgehend zu einem Konsens über die grundsätzliche Ausrichtung der Treffen zu kommen, insbesondere der Ausgestaltung der Diskussion der individuellen Beiträge zu den Gruppentreffen. Zudem war Raum für eine intensive Diskussion von Erfahrungen mit dem Scheitern ähnlicher Arbeitsgruppen. Die im Rahmen des Auftakttreffens vorgenommene Kodifizierung des Austauschformats diente so als fester Referenzrahmen für die Ausgestaltung der Interaktionen im Rahmen der Gruppentreffen. Als positiv für die Integration der Arbeitsgruppen erwies sich zudem die starke Prozessorientierung der Gruppen. Neben der Besprechung aktueller Arbeitsergebnisse dienten sie als Rahmen für den Austausch über aktuell anstehen-
Von der Funktion und dem Funktionieren des Promotionsprozesses
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de Arbeitsprozesse. Dadurch hatten die Treffen, unabhängig von der Diskussion eigener Beiträge, immer einen Nutzwert für die Beteiligten. Besonders die explizite und für alle verbindliche Übereinkunft, die Zusammenarbeit ausschließlich konstruktiv zu verstehen, spielte hier eine wichtige Rolle. Sie war Grundlage für die Herausbildung einer Form der Zusammenarbeit, die sich durch eine spezifische Mischung aus fachlicher und persönlicher Unterstützung auszeichnete. Die wohl zentrale Voraussetzung für die Entstehung eines Commitment war aber die Tatsache, dass sich die Themenbereiche der Beteiligten nur im methodischen Bereich kreuzten. Dadurch wurden einerseits echte inhaltliche Anregungen, aber auch Auseinandersetzungen vermieden, andererseits konnte eine Konkurrenzsituation, die die Integration der Gruppe vermutlich erschwert hätte, vermieden werden. Als zentrales Unterscheidungsmerkmal zu universitären Kolloquien wurde entsprechend auch die persönlichere, konstruktivere Atmosphäre genannt. Die Atmosphäre der Gruppentreffen wird als von einer kollegialen, kooperativen Grundhaltung geprägt beschrieben, die wesentlich dazu beitrug, Problemen im Promotionsprozess eine positive Wendung zu geben.
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Fazit
Insgesamt lässt sich damit festhalten, dass die Arbeitsgruppen für die Beteiligten eine Doppelfunktion erfüllten: Zum einen boten die Treffen einen Anlass und eine Motivation für die Fertigstellung von Kapiteln, Fragmenten oder allgemeiner: zum Schreiben. Sie waren damit zugleich eine Quelle von Belohnungen, als auch ein strukturierendes Moment der Arbeit an der Textgattung Dissertation. Zum anderen waren sie ein Lernfeld. Durch den offenen, konkurrenzfreien Austausch über die Spezifika des deutschen Wissenschaftssystems trugen sie dazu bei, den häufig unterschätzten zweiten Bestandteil der Qualifikationsphase Promotion zu unterstützten - nämlich die Professionalisierung der durch das Studium vermittelten wissenschaftlichen Kompetenzen. Dadurch sind selbstorganisierte Formen der Strukturierung der Promotionsphase gerade für Doktoranden, die sich im Promotionsprozess außerhalb oder am Rande wissenschaftlicher Strukturen befinden, attraktiv, da sie der bei dieser Gruppe der Promovierenden häufig anzutreffenden zusätzlichen Belastung durch Berufstätigkeit Rechnung tragen. Selbstorganisierte Kolloquien sind im Falle dieser Gruppe viel versprechende Möglichkeiten, den Promotionsprozess effizienter zu gestalten und gleichzeitig die Qualität der entstehenden Forschungsarbeiten zu erhöhen. Sie sind eine Form, die positiven Aspekte einer strukturierten Doktorandenausbildung mit dem Problem der Einpassung dieser in den individuellen Promotionskontext zu versöhnen. Sie tragen dazu bei, sowohl die wissen-
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schaftsbezogenen Ziele der Strukturierung der Promotionsphase, die Verbesserung der Qualität von Promotionen und der Qualifikation von Doktoranden, sowie die gesellschaftlichen Ziele, die Verkürzung der Promotionsdauer und die Steigerung der Employability von Doktoranden, zu erreichen.
Literatur Birsl, U. (2008). Das Alles-oder-Nichts-Prinzip. In Stefan Klecha; Wolfgang Krumbein (Hg.). Die Beschäftigungssituation von wissenschaftlichem Nachwuchs, 89-120. Wiesbaden: VS. Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) (2002). Befragung der Doktorandinnen und Doktoranden der Graduiertenkollegs zur Qualität der Förderung. Erste Ergebnisse. Bonn: DFG.. URL: http://www.dfg.de/forschungsfoerderung/koordinierte_programme/graduiertenkolleg s/download/befragung2002.pdf. (01.10.2009) Enders, J. (2005). Brauchen Universitäten ein neues Paradigma in der Nachwuchsausbildung? In Beiträge zur Hochschulforschung (1/2005), 34-47. Hauss, K. (2009). Hürdenlauf in die strukturierte Doktorandenausbildung. Ergebnisse einer Internetrecherche zu Auswahlverfahren an den Graduiertenschulen der Exzellenzinitiative. URL: http://www.forschungsinfo.de/iq/agora/Doktorandenausbildung/doktorandenausbild ung.html. (01.10.2009) Scholz, A. (2009). Die Bedeutung von Schlüsselkompetenzen im Bologna-Prozess. URL: http://www.forschungsinfo.de/iq/agora/Bologna/bologna.html (01.10.2009). Wissenschaftsrat (2002). Empfehlungen zur Doktorandenausbildung, Drs. 5459/02. Saarbrücken. URL: http://www.wissenschaftsrat.de/texte/5459-02.pdf. (01.10.2009)
„Kick-off“: Gelungenes Netzwerken initiieren Katrin Girgensohn, Gundula Gwenn Hiller
Abstract Dieser Beitrag beschreibt ein mehrtägiges Kick-off-Event, das zum Ziel hatte, Promovierende interdisziplinär und interkulturell miteinander zu vernetzen, um ein gelungenes Peer Coaching zu initiieren. Wir zeigen, dass drei Faktoren das Gelingen von Peer Coaching bei Promovierenden erheblich beeinflussen: Zum einen spielt der soziale Faktor eine ganz wesentliche Rolle. Zum anderen ist gezielte Reflexion sehr wichtig. Und drittens ist es hilfreich, Visionen zu entwickeln. Zunächst werden wir genauer auf die drei Begriffe eingehen, dann werden wir das Workshopkonzept vorstellen und kommentieren.
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Einleitung
Das in diesem Band vorgestellte Promovierendenprojekt „Wissenschaftskompetenz durch Diversität“ war ein Projekt für deutsche und ausländische Promovierende der Europa-Universität Viadrina, das 2007 mit Unterstützung des DAAD stattgefunden hat. Die Grundidee des Projektes war es, Promovierende in interkulturellen und interdisziplinären Gruppen zu sogenannten Academic Peer Coaching Teams zusammen zu bringen, in denen sie einander in ihren Promotionsprozessen unterstützen können. Diese Peer Coaching Teams wurden in ihrer Arbeit unterstützt durch ein Auftakt-Seminar sowie durch flankierende Trainings zu verschiedenen Schlüsselkompetenzen (vgl. Fichter-Wolf in diesem Band). Die 19 Teilnehmenden11 hatten sich für das Gesamtprojekt mit einem Motivationsschreiben beworben und nahmen anschließend an dem Auftaktseminar teil, das in diesem Beitrag vorgestellt wird. Dieses Seminar wird im Folgenden als Kick-off-Seminar bezeichnet. Der Begriff „Kick-off“ stammt ursprünglich aus dem Sport und bezeichnet den Anstoß beim Fußball. In der Wirtschaft und im Weiterbildungsbereich wurde der Begriff übernommen, um den Anstoß für ein neues Projekt zu ritualisieren. Auch uns ging es darum, dem Beginn des Ge11
Zur Zusammensetzung der Gruppe siehe Fichter-Wolf in diesem Band.
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Katrin Girgensohn, Gundula Gwenn Hiller
samtprojekts eine besondere Stellung zukommen zu lassen. Wir entschieden uns für ein mehrtägiges Format, obwohl wir uns darüber im Klaren waren, dass Promovierende unter ständigem Zeitmangel leiden. Das Kick-off-Seminar fand in einem Seminarhaus außerhalb der Universität statt, um durch ein ständiges Beisammensein das Kennen lernen der Teilnehmenden zu fördern. Im Folgenden gehen wir genauer auf einzelne Ziele des Seminars ein. Wir denken, dass gerade ein Kick-off-Seminar entscheidend dazu beiträgt, ob ein Projekt wie unseres, das stark auf die Autonomie aller Beteiligten setzt, gelingen kann. Zugespitzt lässt sich sogar sagen, dass ein Gelingen ohne ein solches Seminar äußerst fraglich ist. Wir schließen das aus den Berichten mehrerer Teilnehmender, die von sich aus mehrmals versucht hatten, ähnliche selbstorganisierte Gruppen zu bilden, wie sie im Projekt schließlich statt fanden. Doch immer seien diese Gruppen bereits nach kurzer Zeit wieder auseinander gegangen oder hätten sich als unproduktiv herausgestellt. Ähnliche Erfahrungen haben wir an der Europa-Universität Viadrina mit autonomer Schreibgruppenarbeit von Studierenden gemacht: Auch hier trägt ein mehrtägiger Auftaktworkshop zu Beginn der Gruppenarbeit zum Gelingen der im Semesterverlauf völlig autonom durchgeführten Gruppenarbeit bei (vgl. Girgensohn 2007). Studierende berichten dort ebenfalls häufig, dass sie normalerweise im Studium eher negative Erfahrungen mit Gruppenarbeit machen. So führten zum Beispiel ungleich verteilte Arbeit oder unausgesprochene unterschiedliche Zielstellungen häufig zu Frustrationen und dazu, dass viele Studierende Gruppenarbeiten generell zu vermeiden versuchen. Orientiert an Berner (2001) sollte unser Kick-off-Seminar folgenden Zielen dienen: Klarheit über Ziele verschaffen (übergeordnete Projektziele des Gesamtprojekts „Wissenschaftskompetenz durch Diversität“, Ziele des aktuellen Seminars und Ziele der einzelnen Teilnehmenden) Erläuterung der im Rahmen des Gesamtprojekts geplanten Academic Peer Coaching-Gruppen und der folgenden Seminare, auch realistische Einschätzung des Arbeitsaufwands Klarheit über die eigene Rolle der Teilnehmenden schaffen Zusammensetzung der Academic Peer Coaching-Gruppen entscheiden, Teamentwicklung/Teambuilding Zielvereinbarungen und Zeitpläne erstellen in den Peer Coaching-Gruppen Stärkung der Motivation der Teilnehmenden für das Gesamtprojekt Entscheidend für unsere Planung war die Vermutung, dass die Promovierenden bis dato deutlich weniger Gelegenheit hatten, über diejenigen Faktoren ihrer
„Kick-off“: Gelungenes Netzwerken initiieren
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Promotionsphase zu reden, die jenseits des Fachlichen liegen, als zu Gesprächen über den Inhalt ihrer Arbeiten. Dementsprechend sollte das Reden über fachliche Inhalte der jeweiligen Dissertationsprojekte während dieses Auftakts am wenigsten Raum einnehmen. Als Leitlinien für die Planung des Kick-off-Seminars dienten uns drei Grundideen. Zum einen war uns, entsprechend den oben genannten Zielen, der soziale Faktor wichtig: die Teilnehmenden sollten einander möglichst gut kennen lernen, um funktionierende Teams bilden zu können. Wir gingen davon aus, dass ohne eine entsprechende anfängliche Unterstützung die geplante Netzwerksarbeit schwierig werden würde. Zweitens war es uns wichtig, die Teilnehmenden zu reflexivem Lernen anzuregen, da dies eine entscheidende Voraussetzung für selbstorganisiertes Lernen ist, wie es in den Academic Peer Coaching-Gruppen stattfinden sollte (vgl. Jenert 2008). Und drittens entschieden wir uns, mit Visionen zu arbeiten, um die Verwirklichung von Zielen zu unterstützen. Im Folgenden werden wir zunächst kurz auf diese drei Grundideen eingehen und danach einzelne Bausteine unseres Programms erläutern. Abschließend gehen wir auf Reaktionen und Rückmeldungen der Teilnehmenden ein.
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Unterstützung der Vernetzung
„Dies ist die einsamste Phase im Leben“, sagte einmal einer unserer Promotionsbetreuer über die Zeit der Promotion. Ein Artikel in der ZEIT im März 2009 berichtet vom „Hindernislauf zum Doktorhut“ als einem Parcours, auf dem man Gutdünken und Willkür seitens der betreuenden Instanzen ausgesetzt ist. Insgesamt wird die Betreuungssituation von Promovenden an deutschen Hochschulen allgemein stark kritisiert (vgl. auch Grühn et al. 2009 und den Beitrag von Hennig in diesem Band). Die gefühlte Isolation gilt als eine der Hauptursachen des Scheiterns von Promotionsvorhaben. Doch das muss nicht sein! Eine der Säulen des an der EUV entwickelten Doktorandenprogramms „Wissenschaftskompetenz durch Diversität“ ist der Netzwerkgedanke. Einerseits sollten alle Teilnehmenden des Programms ein 19 Personen umfassendes Promovierendennetzwerk bilden, das sich während der Projektlaufzeit ca. einmal monatlich trifft. Andererseits sollten innerhalb des Netzwerks Teams von 4-5 Personen entstehen, die sich regelmäßig zum gemeinsamen Lernen bzw. Peer Coaching treffen (siehe Beitrag von Dinkler und Altissimo in diesem Band). Für die Peer Coaching-Gruppen gelten
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Katrin Girgensohn, Gundula Gwenn Hiller
die gleichen Prämissen wie für das Lernen in Netzwerken12, das Siebert (2007) beschreibt, weshalb im Folgenden näher auf die Vorteile des vernetzten Lernens eingegangen werden soll. Im Sinne von Sieberts Netzwerkgedanken verstehen wir die Promovierendenteams hier als „Kooperationen, von denen `Synergieeffekte´ erwartet werden“ (Siebert 2007: 49). Das im hier vorgestellten Projekt begleitete, aber innerhalb des Netzwerks selbst gesteuerte Lernen liegt sowohl bildungspolitisch als auch lerntheoretisch im Trend. Die große Chance von vernetztem Lernen sieht der Hochschuldidaktiker Schäffter im produktiven Umgang „mit überfordernder Komplexität“ (2004: 33), die der Anspruch, globale und interdisziplinäre Wissensbestände zu managen, mit sich bringt. Hierbei stellt die Verschiedenheit der Mitglieder eine wichtige Basis dar. Durch die unterschiedlichen Ausgangsvoraussetzungen, Wissensbestände und Perspektiven wird vernetztes Lernen zu einer neuen, wie Siebert (2007: 52) es nennt, „sinnvollen“ Form des Lernens, da aus einzelnen Wissenssträngen „Gesamtzusammenhänge erkannt bzw. verknüpft werden können“. Ein weiterer Pluspunkt von Lernnetzwerken ist, dass sie Potential zur Produktion von „Sozialkapital“ (ebd.) bieten.13 So können in Lernnetzwerken soziale und personale Schlüsselkompetenzen erworben werden, die sowohl für die berufliche Karriere als auch für die Persönlichkeitsbildung gewinnbringend sein können. Siebert bezeichnet diese Vernetzungsfähigkeit oder auch „connectivity“ als kognitive Schlüsselkompetenz (Siebert 2007: 166)14. Funktionierende Netzwerke setzen sich zusammen aus objektiven Rahmenbedingungen (also z.B. dem institutionellen Rahmen), subjektivem Zugang, sozialem Kapital und relevanten Wissensbeständen (Siebert 2007: 50). Doch müssen diese zunächst initialisiert werden. Das Doktorandenbegleitprogramm „Wissenschaftskompetenz durch Diversität“ bildet einen institutionellen Rahmen, der einerseits die Generierung solcher Netzwerke ermöglicht, und andererseits ein „supportsystem“ anbietet, das bei 12
Zur Terminologie: Lernnetzwerke sind Verbundsysteme auf Zeit (Siebert: 49), in unserem Sinne analog zu Arbeitsgruppen und Teams. Es gibt keine übereinstimmenden Abgrenzungen zwischen den Termini Arbeitsgruppen, Team und Netzwerk (vgl. z.B. Kriz/Nöbauer 2006: 23). Teams und Arbeitsgruppen müssen oft eine gemeinsame Aufgabe bewältigen. In unserem Fall teilen die Promovierenden lediglich das Ziel, ihre Dissertation zu Ende zu bringen. So scheint uns hier die Bezeichnung Lern-Netzwerk passender als Team oder Arbeitsgruppe. Wichtig ist es uns hier, den sozialen Faktor im Lernprozess hervorzuheben, der in all diesen Konstellationen zum Tragen kommt. 13 So liest man bei Siebert, dass „in der internationalen Diskussion […] das Konzept des Lernnetzwerks mit der Produktion von Sozialkapital in Verbindung gebracht wird, wie etwa im OECDBericht `The Well-Being of Nations: the role of human and social capital´ (2001).“ (Siebert 2007: 50). 14 Zur Bedeutung von Teamarbeit und Networking als Schlüsselqualifikation für Studium und Beruf vgl. auch Nünning (2008: 269 ff.).
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Lernnetzwerken notwendig ist (Siebert 2007: 49). So stellt die Fähigkeit zur Netzwerkbildung eine gesonderte Kompetenz dar. „Zum Aufbau wirksamer und dauerhafter Netzwerke gehört es, die richtigen Leute zur rechten Zeit an die richtigen Tische zu bringen.“ (Siebert 2007: 166, Herv. d. Autors). Latente Ressourcen und Kompetenzen müssen erkannt und aktiviert werden, heterogene Gruppen moderiert, Konfliktthemen rechtzeitig erkannt und Diskussionen strukturiert werden. Wichtig ist es auch, gemeinsame Ziele festzulegen, die Beteiligung und die Arbeitsteilung zu regeln und die Prozesse, die in Gang gesetzt werden sollen, zu strukturieren. Die Unterstützung der Netzwerkbildung war deshalb ein zentraler Bestandteil des Kick-off-Seminars. Wir legten besonderen Wert auf den sozialen Faktor. So entschieden wir uns bewusst für ein Seminarhaus mit Selbstverpflegung, bei dem alle Teilnehmenden sich am Einkaufen und Kochen beteiligen mussten. Die Mehrbettzimmer des Seminarhauses trugen ebenfalls dazu bei, dass die Teilnehmenden einander schnell recht gut kennen lernten. Viele Programmpunkte bezogen sich zum einen auf die Netzwerkbildung und zum anderen zielten sie darauf, die Teamkompetenz der Teilnehmenden zu stärken. Laut Kriz & Nöbauer (2006: 47) ist Teamkompetenz eine fortwährende, selbstorganisierte, bewusste gemeinsam reflektierte, als stimmig empfundene und situative Rollen- und Beziehungsgestaltung von Teams als Ausdruck geteilter sozialer Konstruktion von Realität. (…) Teamkompetenz bedeutet eine nachhaltige Entwicklung und kontinuierliche Veränderung der Kommunikationsund Handlungsprozesse im Team mit dem Zweck, gemeinsam definierte Leistungsziele zu erreichen, die Arbeitszufriedenheit der Beteiligten sicherzustellen und im Rahmen der sich veränderten Umgebungsbedingungen als soziales System existenzfähig zu bleiben.
Zur Unterstützung der Teambildung gehörte auch, dass wir immer wieder interkulturelle Aspekte thematisierten, um das Bewusstsein der Teilnehmenden dafür zu schärfen, dass sie aus unterschiedlichen akademischen Kulturen kommen (vgl. den Beitrag von Hiller in diesem Band). Es erschien uns wichtig, dies immer wieder explizit zu machen, um die sich bildenden interkulturellen Teams zu unterstützen. Entsprechend unseres Konzepts „Wissenschaftskompetenz durch Diversität“ wollten wir die Teilnehmenden ermutigen, sich in möglichst heterogenen Teams zusammenzufinden. Im Sinne des Diversity-Ansatzes sollte die unterschiedliche Herkunft der Teilnehmenden zu einer gegenseitigen Befruchtung durch die dadurch ermöglichten multiplen Perspektiven führen.15 15
Hierzu Thomas und Ely: „Diversity should be understood as the varied perspectives and approaches to work that members of different identity groups bring.“ (Thomas/Ely 1996: 80).
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Ein weiteres Anliegen war es uns, den Teilnehmenden zu vermitteln, dass solche Netzwerke am erfolgreichsten sind, wenn Geben und Nehmen sich bei allen die Waage halten, bzw. alle Beteiligten von dem Projekt profitieren, und wenn alle Personen gleichermaßen inhaltlich engagiert sind (Siebert 2007: 166).
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Reflexives Lernen
Seit dem Bologna-Prozess ist die Forderung, Hochschulen sollten zu lebenslangem Lernen befähigen, explizit16. Lebenslanges Lernen ist darauf angewiesen, dass Lernende die Fähigkeit entwickeln, sich auf metakognitiver Ebene mit dem eigenen Lernen auseinander zu setzen (vgl. Häcker et al. 2008). Diese Auseinandersetzung auf einer Ebene jenseits des Lerngegenstandes wird als Reflexion bezeichnet (Häcker et al. 2008: 2). Oliver Reis (2009: 118) vermutet, dass die Umstellung der Lehre im Bologna-Prozess hin zu einer „Kompetenzorientierung ohne die Initiierung des systematischen reflexiven Lernens wirkungslos bleibt“. Nach Hilzensauer ist allen Ansätzen zum reflexiven Lernen gemeinsam, dass sie auf der persönlichen Erfahrung der Lernenden beruhen und dass Reflexion zyklisch verläuft, d.h. Reflexionen wieder in neue Erfahrungen einfließen usw. (vgl. Hilzensauer 2008: 8)17. Für unser Seminar erschien uns eben dieser Punkt, die persönliche Erfahrung, als wichtiger Ausgangspunkt für das reflexive Lernen. Die universitäre Unterstützung der Promovierenden richtet sich in der Regel nahezu ausschließlich auf die fachlichen Inhalte. Reflexionen auf einer Meta-Ebene sind entsprechend vor allem auf den Lerngegenstand ausgerichtet. So könnte z.B. in Doktorandenkolloquien festgestellt werden, dass ein Doktorand an einer bestimmten Stelle nicht weiterkommt mit seiner Arbeit. Ein solches Hindernis löst nach Theorien des reflexiven Lernens dann eine Reflexion darüber aus, mit welchen Strategien das Hindernis zu überwinden sei. Eine Lösung könnte dann darin bestehen, bestimmte Wissenslücken zu füllen. Dem Doktoranden könnten also im 16 Allerdings ist es schwer vorstellbar, dass Hochschulen vor dem Bologna-Prozess diesen Auftrag gar nicht gehabt hätten. So zeigt Welbers (2009), dass bereits Wilhelm von Humboldt keinen völligen Gegensatz gesehen hat zwischen dem Studium als Selbst- und Bildungszweck und dem Erwerb von Fähigkeiten, die dem Berufsleben dienen. 17 Hilzensauer (2008) zeigt zudem, dass reflexives Lernen eine lange Tradition hat, aber trotzdem noch immer wenig definiert ist und es an konkreten Anleitungen fehlt. Als einer der Begründer der Theorien zu reflexivem Lernen wird John Dewey genannt (Dewey 1910/1997), der davon ausging, dass Lernen nur dann erfolgt, wenn es eine Bedeutung für den Lernenden hat. Der Lernende erfährt ein (praktisches) Problem, stellt Hypothesen auf, wie es zu lösen sei (= Reflexion), überprüft diese Hypothesen. Auch Donald Schöns Konzept der „Reflective Praxis“ (Schön 1983) wird oft zitiert (vgl. Jenert 2008: 1). Schön unterscheidet zwischen Reflexion, die unmittelbar während einer Handlung erfolgt und der die im Rückblick erfolgt (vgl. Hilzensauer 2008: 8).
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Kolloquium Lektürevorschläge unterbreitet werden. Demgegenüber schlägt Siebert (1991) aus konstruktivistischer Perspektive vor, dass die Reflexion auf drei Ebenen stattfinden müsse: Neben der Ebene der Problemreflexion (Lerngegenstand) nämlich auch auf der Ebene der Selbstreflexion und der Ebene der Gruppenreflexion (in der Lerngruppe), wobei der Selbstreflexion gegenüber der Problemreflexion mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte (vgl. Hilzensauer 2008: 7). Entsprechend haben wir versucht, während unseres Seminars immer wieder dazu anzuregen, selbstreflexiv über den eigenen Promotionsprozess nachzudenken und dies dann in den Kontext der Gruppenreflexion zu bringen. Wie wir im einzelnen vorgegangen sind, erklären wir weiter unten, beim Ablauf des Seminars. Zunächst soll aber noch das Thema Visionen erläutert werden, das neben den genannten Aspekten eine wichtige Rolle spielte.
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Ziele und Visionen
Wir gingen von der These aus, dass der gesamte Promotionsprozess, wenn er mit einer klaren Vision verbunden ist, ungleich leichter und schneller vonstatten geht, als wenn dies nicht der Fall ist. Vision soll hiermit als übergeordnetes Ziel verstanden werden, als Perspektive, die durch die Vollendung der Promotion für den Karriere- und Lebensweg erscheint. Auch Zeit- und Projektmanagementtechniken betonen die Wichtigkeit von konkreter Zielsetzung für das Gelingen von Vorhaben (vgl. z.B. Nünning 2008: 24). So können positiv formulierte Ziele einen motivierenden Impuls setzen. Darüber hinaus ermöglichen sie eine Konkretisierung der Maßnahmen zur Erreichung eines Ziels (vgl. Echterhoff/Neumannn 2006: 23, Dörner 2007: 75f.). Gestützt wird unsere These außerdem durch Erfahrungswissen aus dem Gebiet des Neurolinguistischen Programmierens (NLP): Ein zu definierendes Ziel (Outcome) soll ein „sinnlich wahrnehmbares, erwünschtes Ergebnis, das den ‚Kriterien für Wohlgeformtheit‘ entspricht“, darstellen (O’Connor/Seymour 2000: 362). „Wohlgeformt“ wird ein Ziel, wenn es folgenden Kriterien entspricht: (1) es wird positiv ausgedrückt, (2) der Formulierende muss eine aktive Rolle im Erreichen des Ziels einnehmen können, (3) das Ziel soll so genau wie möglich beschrieben werden, vorzugsweise sinnlich wahrnehmbar, (4) es soll der Beweis formuliert werden, der zeigt, dass das Ziel erreicht ist, (5) es wird überprüft, ob ausreichend Ressourcen vorhanden sind, um das Ziel zu erreichen, (6) das Ziel muss eine angemessene Größe haben, also dessen Erreichbarkeit realis-
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tisch sein. (7) Schließlich muss der ökologische Rahmen18 hinterfragt werden, d.h., die Frage: „Welche Konsequenzen hat das Erreichen des Ziels für mein Leben?‘ sollte beantwortet und gut geheißen werden (vgl. O’Connor & Seymour 2000: 36 ff.). Ziele im Sinne des NLP entsprechen der Qualität von Visionen wie wir sie oben beschrieben haben. Um Visionen zu generieren, sofern sie nicht vorhanden sind, wird im NLP oft die Technik des „Erreichen eines gewünschten Zustands“ eingesetzt. Hierbei soll eine „Reise“ zu dem Zielzustand stattfinden, die durch die eigene Motivation vollzogen wird. Dies funktioniert nur, wenn der Zielzustand klar mit etwas verbunden ist, das der betreffenden Person absolut als lohnenswert erscheint (O’Connor & Seymour 2000: 42 f.). Zwar drückt etwa die Formulierung „Ich möchte meine Promotion noch bevor ich 30 werde, abgeschlossen haben“ ein klares Ziel aus. Eine viel größere Motivationskraft, die Promotion in diesem Zeitraum zu Ende zu bringen, hat jedoch ein Satz wie „Wenn ich 30 bin halte ich meine Promotionsurkunde in den Händen und trete kurz darauf meinen Traumjob als Fachanwältin für Völkerrecht in einer international renommierten Kanzlei an.“ Hier ist zum abstrakten Ziel eine klare, bildlich nachvollziehbare Vision hinzu gekommen. Eine intensivere Beschäftigung mit NLP-Techniken wollten wir im Seminar nicht einbringen, doch da Visionen eine große, motivierende Strahlkraft haben können, wurden die Promovierenden in einer ausführlichen Übung zur Generierung von Visionen angeregt. (s.u.)
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Ablauf des Kick-off-Seminars
Wir stellen nun den Ablauf des Kick-off-Seminars vor und gehen dabei auch auf die Reaktionen und Beiträge der Teilnehmenden ein. Das Seminar fand an einem verlängerten Wochenende statt, dauerte also drei Tage. Um die zeitliche Belastung im Rahmen zu halten, wurde ein Seminarbaustein, der sonst zu einem eigenen Seminartag geführt hätte, integriert, nämlich der Workshop „Das Betreuungsverhältnis in die Hand nehmen“ (vgl. den Beitrag von Hennig in diesem Band). Diese Entscheidung erwies sich als sehr passend, da auch dieser Workshop zum intensiven Kennenlernen beitrug. Zunächst ein Übersichtsplan:
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„Ökologie“ bedeutet im NLP, dass das Vorhaben mit seiner Umwelt im Einklang steht.
„Kick-off“: Gelungenes Netzwerken initiieren Tag 1
Morgens:
Nachmittags:
Ankommen, Kennenlern- Thematische Phase und Organisatori-
Schreibübung zum
sches
Kennen lernen der
59 Abends: Visionscollagen
Dissertationsthemen, Promotion als Prozess
Tag 2
Morgens:
Nachmittags:
Vernissage der Visions-
Teambuilding
Abends: frei
collagen Gruppenfindungsprozesse
Tag 3
Vormittags:
Nachmittags:
Workshop „Das Betreu-
Fortsetzung Work-
ungsverhältnis in die
shop „Das Betreu-
Hand nehmen“
ungsverhältnis in die Hand nehmen“ Feedbacktechniken, Seminarauswertung
Abbildung 1:
Übersichtsplan
5.1 Kennenlernen Da das Treffen einerseits Lust auf Networking wecken sollte, und andererseits am zweiten Tag Peer Coaching-Gruppen für das laufende Jahr gebildet werden sollten, widmeten wir der Kennenlernphase viel Zeit. Einige der Teilnehmenden
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kannten sich bereits im Vorfeld, doch viele waren einander völlig fremd. Es kamen zunächst Kennenlernspiele und Partnerinterviews zum Einsatz. Mittels Kärtchen wurde dann Folgendes abgefragt: Was erwarte ich von dem Programm und was bringe ich ein? Was befürchte ich? Dabei wurde deutlich, dass der Austausch mit anderen Promovierenden eine der zentralsten Erwartungen der Teilnehmenden war. Von den Arbeitsgruppen erwarteten sie gegenseitige Unterstützung auf der persönlichen sowie fachlichen Ebene, sie versprachen sich durch die Zusammenarbeit Denkanstöße und fachlichen Austausch. Es wurde mehrmals gesagt, dass von der interdisziplinären Zusammensetzung der Gruppe ein positiver Effekt erhofft werde. So wurde erwartet, dass das eigene Dissertationsthema dadurch kritischer geprüft werden könnte. Ideen und Aussagen müssten verständlicher formuliert werden, um sie Fachfremden zu erklären. Die Teilnehmenden erhofften sich auch, dass ihr Blickwinkel dadurch erweitert werde. Die Verbindlichkeit regelmäßiger Treffen wurde bereits zu diesem Zeitpunkt als sehr wichtig benannt, da die Teilnehmenden sich dadurch versprachen, positiven Druck zu bekommen, ihre Arbeitsorganisation zu verbessern und sich zu disziplinieren. Eine weitere zentrale Erwartung fast aller Teilnehmenden bestand darin, zu lernen, gute Texte zu schreiben, allgemein Schreibtechniken kennen zu lernen und zu entwickeln, um damit Schreibblockaden zu überwinden. Besonders motivierend war die Frage „Was bringe ich ein?“, da hier deutlich wurde, was für ein großes Potential die Gruppe einbringt. Genannt wurden beispielsweise Fähigkeiten wie Feedback geben zu können, d.h. durch produktive Fragestellungen andere anregen zu können, kritisch ihren Text zu reflektieren, offen, interessiert und kritisch zu sein und motivierend zu wirken. Viele Teilnehmende betonten ihre Teamfähigkeiten im internationalen und interdisziplinären Team. Einige Teilnehmende nannten ihre Lebenserfahrung als eine wichtige Kompetenz, die für Teamarbeit von Bedeutung ist. Lehrerfahrung, Leitung internationaler Workshops und soziales Engagement wurden ebenso genannt wie das Beherrschen von Techniken des wissenschaftlichen Arbeitens und Kenntnisse in qualitativen und quantitativen Methoden. Betont wurden auch die Fachkenntnisse der Teilnehmenden. Darüber hinaus kannten sich einige Teilnehmende mit Layout, Textsetzung, Bildbearbeitungsprogrammen und verschiedenen Datenbanken aus. Auch Kontakte zu unterschiedlichen Stiftungen und Erfahrungen mit dem Beantragen von Stipendien wurden genannt. Als die Vielfalt der vorhandenen Potentiale deutlich wurde, beschlossen die Teilnehmenden, eine Biete/Suche-Wand einzurichten. Es wurden auch Befürchtungen geäußert, doch waren dies vergleichsweise wenige. Genannt wurden zum Beispiel die Angst, Zeit nicht konstruktiv zu nutzen oder dass fachtheoretische Gespräche den erhofften Austausch lähmen wür-
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den. Vereinzelt kamen Bedenken, dass die Arbeitsmethoden sich nicht interdisziplinär übertragen lassen und deshalb nicht hilfreich sein werden. Andere befürchteten, dass die gemeinsame Arbeit nicht ausreichend fachspezifisch werde. Manche Teilnehmende waren unsicher, ob sie den Erwartungen der anderen Teilnehmer gerecht werden könnten. Insgesamt zeigte diese intensive Einstiegsrunde, dass die Motivation der Teilnehmenden sehr hoch war. Da es sich bei unserem Programm um ein zusätzliches, nicht in Form von Punkten o.ä. in die Ausbildung einfließendes Angebot handelte, wurde hier einerseits der Bedarf an einem „Supportsystem“ (s.o.) sehr deutlich. Andererseits wurde das Potential des Lernnetzwerks für selbstgesteuertes Lernen, aber auch für „Sozialkapital“ (s.o.) gleich zu Beginn offensichtlich.
5.2 Fachliche Ebene Um die fachliche Ebene einzubeziehen, regten wir dann am Nachmittag eine Schreibübung an, die Gabriela Ruhmann entwickelt hat (vgl. Ruhmann 1999): Die Teilnehmenden wurden aufgefordert, einen Beitrag für das Kindernachrichtenmagazin „Logo“ zu verfassen. Dafür sollten sie ihr Dissertationsthema so darstellen, dass es für Kinder verständlich ist. Diese Übung ist gut geeignet, um festzustellen, was man noch nicht in eigenen Worten ausdrücken kann und demnach noch nicht verstanden hat. Denn für das kindgerechte Schreiben müssen Fachwörter übersetzt und Diskurse erläutert werden. Zudem trug diese Übung dazu bei, dass alle Teilnehmenden verstehen konnten, worüber die anderen promovierten. Ergänzend wurde erläutert, dass Genre- und Perspektivwechsel eine wirksame Gegenstrategie bei Schreibblockaden sein können.
5.3 Dissertation als Prozess Nach der „Logo-Übung“ wandten wir uns noch einmal der Selbstreflexion zu, indem das Schreiben der eigenen Dissertation als Gesamtprozess betrachtet wurde. Dazu stellten wir zunächst das sog. „Stufenmodell des wissenschaftlichen Schreibprozesses“ vor, mit dem wir im Schreibzentrum arbeiten (nach Wolfsberger 2007; vgl. auch Girgensohn & Liebetanz in diesem Band). Demnach lassen sich in einem wissenschaftlichen Schreibprozess fünf unterschiedliche Phasen ausmachen: (1) Orientierung und Planung, (2) Recherche und Strukturierung des Materials, (3) Schreiben der Rohfassung, (4) Überarbeiten der Rohfassung, (5) Korrektur, Layout und Veröffentlichung. Natürlich lassen sich diese Phasen nur im Modell klar von einander abgrenzen, während Schreibprozesse im
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wirklichen Leben oft eher zyklisch verlaufen und zwischen den einzelnen Stufen gewechselt wird. Das Modell bietet aber eine gute Basis für die eigene Zeit- und Arbeitsplanung und kann dabei helfen, zu reflektieren, welche Arbeitsschritte anstehen. Wichtig ist zudem, dass die drei Tätigkeiten Schreiben, Lesen und Sprechen in allen Phasen wichtig sind. Wir luden die Teilnehmenden ein, nun ihren ganz persönlichen Dissertationsprozess modellhaft darzustellen. Auf großen Blättern sollten Diagramme gemalt werden, deren Querachse die verstrichene Zeit veranschaulicht. Durch zwei verschiedenfarbige Kurven sollten in Bezug zur Zeitachse einmal der fachliche „Flow“ eingetragen werden, also das Vorankommen der Arbeit, und einmal der emotionale „Flow“, also das eigene Befinden während der Promotionszeit. Teilnehmende, die noch ganz am Anfang ihres Prozesses waren, konnten wahlweise auch ihren bisherigen wissenschaftlichen Werdegang illustrieren. Ergänzt wurden die Kurven durch Symbole oder andere Bilder. Diese Übung diente dazu, zu reflektieren, wie sehr das fachliche Lernen verbunden ist mit Emotionen und beeinflusst wird durch weitere Faktoren. Die Bilder wurden in Kleingruppen vorgestellt und ausgewertet. Als ergänzende Aufgabe sollten die Kleingruppen anhand der Bilder herausarbeiten, was zum Promovieren an einer deutschen Universität nötig ist. Dies sammelten wir wieder per Kärtchenabfrage. Genannt wurden dabei Faktoren auf ganz unterschiedlichen Ebenen, wie z.B. Fachwissen, Freunde, eine gute Beziehung zum Betreuer, Finanzierung, Gelassenheit. Zum Abschluss dieser Arbeitsphase stellten wir das Modell der „Promotionskrisen“ vor, das Fiedler und Hebecker erarbeitet haben (vgl. Fiedler & Hebecker 2006). Durch die vorhergehende, intensive Auseinandersetzung mit dem eigenen Promotionsprozess regte dieses Modell eine lebhafte Diskussion an. Es wurde festgestellt, dass es hilfreich ist, um bestimmte typische Krisen zu wissen, damit auftauchende Schwierigkeiten nicht automatisch als persönliches Unvermögen gedeutet werden.
5.4 Visionenarbeit Am Abend wurden „Visionscollagen“ erstellt (vgl. Wolfsberger 2007: 37). Die Teilnehmenden sollten sich zunächst überlegen, warum sie sich überhaupt auf die Dissertation eingelassen hatten. Welche Ziele verfolgen sie? Was steckt hinter dem Wunsch nach dem Doktortitel? Davon ausgehend stellten wir die Frage, ob sie ein Bild von der Zeit nach der Dissertation haben. Welche Wünsche würden sie sich nach der Abgabe erfüllen? Eine Reise? Eine Feier? Ein eigenes Haus?
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Wir legten haufenweise alte Zeitschriften aus. Die Teilnehmenden sollten diese in Ruhe durchblättern und intuitiv alle Bilder herausreißen oder schneiden, die sie ansprechen. Diese Bilder wurden dann auf großen Blättern zu Collagen arrangiert. Diese Form der Abendbeschäftigung erwies sich – unterstützt von der einen oder anderen Flasche Wein – als sehr gemütliche und gesellige Runde, die sich über mehrere Stunden hinzog. Alle saßen eng beieinander und waren sehr auf ihr Werk konzentriert, kommentierten aber gleichzeitig auch die herumwandernden Illustrierten und die Bilder der anderen. Um schöne Ausschnitte wurde gefeilscht und ein reger Tauschhandel kam in Gang. Die Vernissage der Collagen am nächsten Morgen zeigte, dass sich das Durchhalten für alle Beteiligten lohnen wird. Wir gaben die Empfehlung, diese Collagen später gut sichtbar über den Schreibtisch zu hängen.
5.5 Teamfindung und Teambuilding Im Anschluss an die Vernissage der Visionscollagen folgte die Teamfindung für das Academic Peer Coaching. Bereits zu Anfang des Seminars hatten die Teilnehmenden ja Erwartungen an das gesamte Projekt deutlich gemacht, die sich zu einem großen Teil bereits auf die geplanten Peer Coaching-Gruppen bezogen. Inzwischen hatten die Teilnehmenden einander besser kennen gelernt, weil sie viel voneinander erfahren hatten. Wir luden sie nun dazu ein, sich noch einmal darauf zu besinnen, was sie sich persönlich von ihrer künftigen Peer Coaching-Gruppe zur Unterstützung ihres Promotionsprozesses wünschten. Dazu nutzten wir die Technik des „Freewriting“ (vgl. Elbow 1973, 1998): Während einer bestimmten Zeitspanne wird zu einem bestimmten Thema frei geschrieben, ohne darüber nachzudenken, ob der entstehende Text „gut“ oder „richtig“ oder kohärent ist. Der Stift sollte möglichst nicht abgesetzt werden, man versucht, mit seinen Gedanken Schritt zu halten. Wenn der Schreibfluss ins Stocken gerät, schreibt man darüber, dass gerade der Schreibfluss ins Stocken gerät oder man wiederholt das vorgegebene Thema immer wieder, so lange, bis sich neue Gedanken einstellen. Es dürfen alle in ihrer Muttersprache schreiben. Wichtig ist, dass vorher erklärt wird, dass der entstehende Text ausschließlich für die Schreibenden selbst bestimmt ist und niemand anders ihn zu lesen bekommt. Das Schreiben dient bei dieser Übung als Denkmedium: In seiner heuristischen Funktion (vgl. Hermanns 1988) verknüpft es Ideen, bringt Unbewusstes ins Bewusstsein und schafft so neue Erkenntnisse. Wir gaben sieben Minuten Zeit. Die Teilnehmenden sollte Freewritings machen zum Thema „Was wünsche ich mir von meiner Gruppe?“. Es herrschte konzentrierte Stille, die Stifte flogen über die Blätter.
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Anschließend folgte zunächst eine kurze Reflexion zu dieser Übung, bei der einige sich erstaunt darüber äußersten, wie viel Text sie in so kurzer Zeit geschrieben hatten, obwohl ihnen das Schreiben sonst eher schwer falle. Wir erläuterten, dass man solche sog. schreiberzentrierten Übungen gezielt einsetzen kann, um in Schreibphasen hineinzufinden („sich warm schreiben“) oder um sich schwierigen Problemen oder schwierigen Texten anzunähern (schreibend denken, z.B. in einem Journal). Freewriting kann auch dazu eingesetzt werden, Ziele zu klären und Visionen zu entwickeln. Tägliche kurze Schreibphasen jenseits des „eigentlichen“ Textes der Dissertation können sehr hilfreich sein, um das Projekt voran zu treiben und dran zu bleiben. Dann sollten die Teilnehmenden sich ihre soeben geschriebenen Texte noch einmal durchlesen und in Stichpunkten ihre Wünsche herausschreiben. Diese wurden dann auf Postern zusammengestellt. Alle wanderten nun mit ihren Postern vor dem Bauch durch den Raum. Zunächst galt es, alle Poster auf den „wandernden Litfasssäulen“ zu lesen und evtl. Rückfragen an die Postertragenden zu stellen. Dann sollten die Teilnehmenden versuchen, sich zu Gruppen zusammen zu finden, die möglichst viele Bedürfnisse abdeckten. Diese Bedürfnisse konnten auf ganz unterschiedlichen Ebenen angesiedelt sein, z.B. räumlich (wo treffen wir uns?), soziales Umfeld (wer hat Kinder, wer arbeitet wann?), thematisch (wer ist meinem Thema nah?), methodisch (wer arbeitet qualitativ?), Stand der Dissertation (wer ist auch im Endspurt, wer fängt gerade an?), verschiedenste weitergehende Bedürfnisse (z.B. wer möchte auch gemeinsam feiern und Freizeit verbringen bzw. wer möchte ausschließlich über das Fachliche sprechen; wer möchte sich 14-tägig treffen und wer nur monatlich?), etc. Dieser Findungsprozess dauerte eine ganze Weile, doch war es uns wichtig, uns hier als Leiterinnen nicht einzumischen, da nicht wir, sondern die Teilnehmenden anschließend in den Gruppen zusammen arbeiten sollten19. Schließlich hatten sich vier Teams gefunden. Diese setzten sich sofort zusammen, um gemeinsam Gruppenregeln auszuhandeln und erste Termine zu verabreden. Die Gruppenregeln wurden abschließend im Plenum vorgestellt. Dieser letzte Schritt war uns wichtig, um die Bedeutsamkeit der Etablierung gemeinsamer Regeln zu unterstreichen. Es wurde vereinbart, diese Regeln im Laufe der gemeinsamen Arbeit immer wieder zu überprüfen und ggf. weitere zu etablieren (vgl. den Beitrag von Dinkler und Altissimo in diesem Band). Den Nachmittag und Abend hatten wir für ein Teambuilding-Event reserviert, es fand eine Stadtrallye statt. Mit dieser Aktivität waren nicht alle Teilnehmenden glücklich, was vor allem an einigen organisatorischen Schwierigkei19
Zur Wichtigkeit selbst gewählter Gruppen für Gruppenarbeiten vgl. Girgensohn 2007, 150ff.
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ten lag. Es gibt jedoch zahlreiche Vorschläge für Teambuilding-Aktivitäten (vgl. z.B. Kriz & Nöbauer 2002). Wir würden auf jeden Fall empfehlen, Zeit für eine solche Aktivität einzuplanen. 5.6 Das Betreuungsverhältnis Am nächsten Tag schloss sich der Workshop zum Betreuungsverhältnis an (vgl. Hennig in diesem Band). Diese Reihenfolge war sinnvoll, weil so gewährleistet war, dass wirklich alle Gruppenmitglieder gemeinsam teilnahmen und noch einmal wichtige Aspekte ihres Promotionsprozesses miteinander teilten und reflektierten. 5.7 Etablierung von Feedbackregeln Zur Vorbereitung der konkreten Zusammenarbeit in den Academic Peer Coaching Teams gab es schließlich noch einen Vortrag zum Thema konstruktives Feedback. Wir erläuterten wichtige Feedbackregeln für die Besprechung von Texten, die dafür sorgen sollen, dass die Rückmeldung konstruktiv ist. Zum Beispiel ist es wichtig, dass der Autor eines Textes selbst aktiv wird und Fragen formuliert, die er zu seinem Text hat. Er behält in diesem Sinne die Verantwortung für seinen Text. Gleichzeitig muss er aber die Verantwortung abgeben und akzeptieren, dass sein Text eventuell bei seinen Lesern etwas anderes auslöst, als er geplant hatte. Elbow und Belanoff sprechen in diesem Zusammenhang von den „Paradoxen des Feedback“ (Elbow & Belanoff 1989). Wir erläuterten zudem, dass es mindestens ebenso wichtig ist, hervorzuheben, was an Texten gelungen ist, wie Schwächen herauszuarbeiten, da es erfolgversprechender ist, seine Stärken auszubauen als nur Schwächen reduzieren zu wollen. Textfeedback sollte zudem erst auf struktureller und inhaltlicher Ebene erfolgen, bevor evtl. sprachliche Mängel thematisiert werden (mehr zu solchen Textfeedbackregeln siehe Lange & Lange in diesem Band). Bei mehr Zeit wäre es an dieser Stelle empfehlenswert gewesen, diese Feedbackregeln nicht nur vorzustellen, sondern sie auch gleich auszuprobieren.
5.8 Seminarauswertung Es folgte eine Auswertung des Seminars. Da durch die begleitende Evaluation bereits ein Fragebogen ausgefüllt worden war, baten wir die Teilnehmenden, frei einen Brief mit ihren Eindrücken an die Seminarleiterinnen zu formulieren.
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Danach machten wir eine mündliche Auswertungsrunde mit dem „Fünf-FingerFeedback“. Dabei steht jeder Finger für einen Aspekt: Der Daumen signalisiert „Das war top!“, der Zeigefinger „Das hat mir das Seminar gezeigt“, der Mittelfinger „Das hat mir weniger gefallen“, der Ringfinger steht für etwas Emotionales und der kleine Finger ist frei für kleine Zusätze. Alle Teilnehmenden zählen nacheinander jeweils ein kurzes Statement zu jedem ihrer Finger auf, wobei die Finger wirklich gezeigt werden sollen, damit man sich daran erinnert, nicht zu ausufernd zu werden. Die Rückmeldungen zeigten, dass den Teilnehmenden die Atmosphäre des Kick-off-Seminars insgesamt sehr gefallen und gut getan hatte. Laut den Teilnehmenden hatte sich ein Zusammenhalt entwickelt, der ihnen Mut gebe, weiter zu arbeiten. Sie fühlten sich nun weniger allein mit ihrem Projekt. Die Möglichkeit, im Austausch mit anderen Promovierenden zu stehen, war ihnen sehr wichtig. Das gemeinsame Kochen und Essen habe dabei einen wesentlichen Beitrag geleistet. Mehrfach wurde genannt, dass der interdisziplinäre und interkulturelle Austausch hilfreich und positiv war. Das fächerübergreifende Arbeiten wurde als Chance gesehen, die sich positiv auf die Arbeit auswirken kann. Einige Teilnehmende empfanden es als Erleichterung, mit anderen ihre Probleme und Anliegen besprechen zu können und zu merken, dass sie nicht alleine da stehen. Viele Teilnehmende betonten, wie wichtig sie es finden, dass solche Programme an der Universität angeboten werden. Bemängelt wurde die Unpünktlichkeit, die sich bei einigen Teilnehmenden manchmal eingeschlichen hatte, weil die gemeinsame Arbeitszeit allen kostbar war. Die reflexive Lernhaltung, die das ganze Seminar durchzog, war für einige Teilnehmende ungewohnt und es wurde vereinzelt die Frage gestellt, ob nicht eine stärkere Zielorientierung (im Sinne der fachlichen Arbeit an der Promotion) möglich gewesen wäre. Insgesamt zeigen die überwiegend sehr positiven bis überschwänglichen Reaktionen, dass sich auf jeden Fall im Sinne der Stärkung der Motivation der Teilnehmenden ein Kick-off-Effekt eingestellt hat. Exemplarisch sei hier aus einem abschließenden Brief zitiert: Es ist mir ein Stein vom Herzen gefallen, wo ich endlich einsehen konnte, dass es auch andere Doktoranden mit ähnlichen Ängsten in Bezug auf den ganzen Dissertationsprozess gibt. Die Gespräche haben in mir große Motivation zum Weitermachen wiedererweckt. Das gemeinsame Kochen, Essen an einem Tisch, der Übernachtungsort haben das Kennenlernen ermöglicht. Die Spielabende (Pantomime, Visionscollagen) haben das Teamgefühl noch verstärkt! Für mich persönlich war es sehr bereichend, mich zu bestimmten Themen aussprechen zu MÜSSEN, da ich aus einem Land komme, in dem es an der Diskussionskultur an den Universitäten mangelt. (…)
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Es ist mir vieles klar geworden und ich konnte endlich viele Gedanken sammeln, die ich oft unter den Teppich gekehrt habe! (Teilnehmerin, Herv. i. Org.)
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Fazit
Es hat sich gezeigt, dass ein Kick-off-Seminar eine hilfreiche, wenn nicht sogar notwendige Maßnahme ist, um erfolgreiche Peer Coaching-Gruppen zu etablieren. Es ist vielleicht noch nicht die sprichwörtliche halbe Miete, aber doch ein sehr wichtiger Faktor. Gemeinsam wegzufahren, sich Zeit zu nehmen für Gruppenfindung und soziales Miteinander an den Abenden macht viel aus und bedeutet einen deutlichen Qualitätssprung gegenüber eintägigen Auftaktveranstaltungen in Universitätsräumen. Verantwortliche von Promotionsprogrammen tun gut daran, dafür Zeit und Ressourcen einzuplanen, damit die Promotionszeit zu Bildungszeit im Humboldtschen Sinne wird: Bildung ist die „Verknüpfung unseres Ichs mit der Welt zur allgemeinsten und freiesten Wechselwirkung“ (v. Humboldt 1793/1964: 6).
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Die Crux mit der Promotionsbetreuung - Einblicke in eine besondere Beziehung und Überlegungen zu Lösungsansätzen Die Crux mit der Promotionsbetreuung
Anja Hennig
Abstract Dieser Beitrag beschäftigt sich mit dem Betreuungsverhältnis als wichtigem Faktor für erfolgreiches Promovieren. Er zeigt, welche Probleme sich in Deutschland durch asymmetrische Machtverhältnisse in der Betreuung ergeben können und wie akademische Kulturen die Erwartungen an Betreuung beeinflussen. Lösungsansätze werden vorgeschlagen und in Form einer Checkliste zusammengefasst.
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Einleitung
„Rabenväter. Schlechte Noten für Deutschlands Professoren“ titelte die ZEIT vom 30. September 2004. Damit kommentiert sie die Ergebnisse einer Umfrage, die 2004 erstmals durchgeführt wurde. Das Doktorandennetzwerk thesis hatte 10.000 Doktoranden befragt, um Einblick in die Situation von Doktoranden an deutschen Universitäten zu erlangen. Allerdings ist das Ergebnis nicht so eindeutig, wie die Schlagzeile der ZEIT suggeriert. Denn über 50% der Promovierenden bewerteten ihre Situation als überwiegend positiv und den eigenen Erwartungen entsprechend. Bei dieser Zahl müsse aber, so die Auswertung der Studie, berücksichtigt werden, „dass ein Doktorand, der von vornherein keine großen Erwartungen in die Betreuung setzt, auch dann zufrieden ist, wenn er beim Verfassen seiner Dissertation wenig Unterstützung erfährt.“ Außerdem sind diejenigen, die ihre Promotion möglicherweise aus Unzufriedenheit mit der Betreuung abgebrochen haben, nicht erfasst (duz spezial 2004: 16/17). Keine Erwartungen hinsichtlich der Promotionsbetreuung zu haben scheint ebenso symptomatisch wie schlechte Erfahrungen, von denen immerhin 20% der Befragten zu berichten wissen (Die ZEIT, 30.9.2004). Grund genug also, sich mit dem Thema „Betreuungsverhältnis“ als wichtigem Bestandteil des Promotionsprozesses genauer zu beschäftigen.
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Der folgende Beitrag geht davon aus, dass Probleme im Betreuungsverhältnis die Arbeit an der Promotion massiv beeinträchtigen. Promovierende können aber ihr Verhältnis zur Betreuungsperson selbst mitgestalten, wenn sie sich bestimmter Mechanismen und Rechte bewusst werden. Dazu gehört auch, die Bedeutung unterschiedlicher akademischer Kulturen zu berücksichtigen: Welche Erfahrungen vom Lehren und Lernen liegen zu Grunde? Wie gestaltete sich bisher das Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden? Noch ist die Literatur zum Thema Betreuung im internationalen Vergleich rar. Das wird sich sicherlich ändern, da das Thema „Betreuung“ im Konzept der strukturierten Promotion im Rahmen des Bolognaprozesses Berücksichtigung findet.20 Insofern resultieren die folgenden Überlegungen und Tipps aus der Lektüre einiger Ratgeber, der Lehre in interkulturellen Zusammenhängen und den eigenen Erfahrungen als Diplomandin und Doktorandin. Angewendet habe ich sie in Form eines Workshopmoduls für das Programm "Wissenschaftskompetenz durch Diversität“, das für internationale und deutsche Doktoranden an der Europa-Universität Viadrina (EUV) stattfand. Der Beitrag gliedert sich in drei Teile: Der erste Teil skizziert das Besondere, das ein Betreuungsverhältnisses im Promotionskontext charakterisiert. Im zweiten Teil stelle ich das Konzept der akademischen Kulturen vor. Der dritte Teil widmet sich schließlich Strategien, die Promovierende nutzen können, um das Verhältnis zu ihren Doktoreltern21 besser in der Hand zu haben.
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„Zwischen Freund und Gegner“ - Asymmetrien im Betreuungsverhältnis
Häufig leiden Doktoranden bewusst oder unbewusst unter dem Verhältnis zu ihrer Betreuungsperson, was den Promotionsverlauf beeinträchtigen kann. Die Schuld allein den Doktoreltern zu geben, wäre zu einfach. Ebenso ungerechtfertigt wäre es, alles auf die fehlenden Betreuungsstrukturen zu schieben. Dennoch ist es von den Bedingungen her problematisch, dass die Zuständigkeiten bei der Betreuung von Doktoranden an deutschen Universitäten immer noch weitgehend unbestimmt sind. Doktoreltern können sie individuell überaus unterschiedlich ausgelegen. Befinden die einen, dass ein fünfzehnminütiges Gespräch alle halbe Jahre ausreichend ist, fordern andere alle drei Monate ein Kapitel zur Lektüre. Meist aber gibt es gar keine Absprachen darüber, wie sich Promovierende und 20 Dazu gehört, eine intensive fachliche Betreuung zu gewährleisten, was auch einen Betreuungsvertrag beinhaltet, in dem Rechte und Pflichten verbindlich festgelegt sind (Stock et al. 2006: 26). 21 Wenn es sich vom Sinn her ergibt, verwende ich den Begriff der „Doktoreltern“, womit der Betreuer oder die Betreuerin gemeint ist. Ansonsten beschränke ich mich auf die männliche Form. Doktorandinnen, Professorinnen oder Mitarbeiterinnen sind stets mitgemeint.
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Doktoreltern die Betreuung vorstellen. Denn selten wagen Promovierende, ihre Vorstellungen, Wünsche und Irritationen zu formulieren. Ein Grund dafür liegt in der Asymmetrie, die das Verhältnis zum Doktorvater oder zur Doktormutter in dreierlei Hinsicht kennzeichnet. Strukturell gesehen unterliegt es einem Machtgefälle, das im Prinzip der akademischen Weiterqualifizierung verankert ist: Die Doktoreltern sind es, die am Ende ein Werk mehrerer Jahre benoten, das einen Karrieresprung vorbereiten soll. Der Erfolg eines Doktoranden ist vom Urteil der Professoren abhängig. So schreckten viele Doktoranden „aus übergroßem Respekt vor der überlegenen Fachautorität“ zurück, „die kostbare Zeit des Betreuers tatsächlich in Anspruch zu nehmen. Oft befürchten sie, nicht genug vorweisen zu können“ (Knigge-Illner 2002: 50). Knigge-Illner vergleicht dies mit einer impliziten Beziehung zwischen Mutter und Tochter bzw. Vater und Sohn, was es für beide Seiten schwierig mache, ein partnerschaftliches Verhältnis aufzubauen. Ein weiteres Kennzeichen dieser asymmetrischen Beziehung ist individuellpsychologischer Natur. In der Regel stellt der Doktorvater oder die Doktormutter für Doktoranden eine ganz zentrale und bedeutende Person dar, was umgekehrt selten der Fall sein dürfte. Er oder sie ist nicht nur eine fachliche und möglicherweise renommierte Autorität und der persönliche Kontakt eine Ehre. Für die meisten Doktoranden sind „der Doktorvater/die Doktormutter der/die heimliche Adressat/in, an den/die sie denken, wenn sie an ihrer Arbeit schreiben. Sie möchten seinen/ihren Ansprüchen auf jeden Fall genügen“ (Knigge-Illner 2002: 49). Oft geht der Wunsch, beraten zu werden mit der Hoffnung einher, Anleitung, Orientierung oder gar emotionale Unterstützung und Bestätigung zu erhalten. Doch meist steht dem lang ersehnten Beratungsgespräch auf Professorenseite ein voller Terminkalender entgegen. So ist die Enttäuschung oder Kränkung häufig groß, wenn wenig Zeit zur Verfügung steht oder vermeintlich Desinteresse entgegengebracht wird (Knigge-Illner 2002: 48). „Auf ihn werden die meist überhöhten Maßstäbe projiziert. Das eigene Selbstwertgefühl hängt dann ganz entscheidend von seiner/ihrer Beurteilung ab“ (Knigge-Illner 2002: 51). Schwierig wird es auch dann, wenn der Wunsch nach einem persönlicheren Kontakt im Übernehmen von Arbeiten des Betreuers mündet. Die thesis-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass 73% Prozent der Doktoranden an einem Lehrstuhl, an Forschungseinrichtungen oder in Projekten arbeiten - „oft bis zur Selbstaufgabe“. Mehr als jeder fünfte Doktorand habe daher seine Promotion schon für einen längeren Zeitraum unterbrochen (Die ZEIT, 30.9.2004). Dies verweist auf den nächsten Punkt: So zeigt sich auf Grund der fehlenden Regelungen an den Universitäten die Asymmetrie im Betreuungsverhältnis in den unterschiedlichen und meist ungeklärten Zuständigkeiten. Alle sind sich einig, dass die Aufgabe der Doktoreltern darin besteht, zu beraten und im Pro-
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motionsprozess zu betreuen. Wie dies konkret aussehen soll, bestimmen in der Regel die Professoren und Professorinnen. Die Aufgabe der Doktoranden ist hingegen, sich um Termine/Beratungen etc. zu kümmern. Hier sind Betreuende selten aktiv oder setzen klare Deadlines (Knigge-Illner 2002: 51). Immerhin meinten 57,5% der Befragten, dass ihre Betreuungsperson ausreichend Zeit hätte, den Stand der Arbeit zu besprechen. Doch beschwerte sich jeder vierte Doktorand, dass sein Betreuer schlecht vorbereitet zu den gemeinsamen Treffen käme; bei jedem siebten fielen diese Treffen sogar komplett aus (Die ZEIT, 30.9.2004). Promovieren besteht also nicht nur aus der Suche nach Erkenntnissen und Ergebnissen im Forschungsprozess. In Anbetracht der skizzierten Asymmetrien ist es oft ebenso herausfordernd, sich mit der Betreuungsperson zu arrangieren. Daher ist es nur verständlich, dass Doktoranden bisher selten die Spielregeln mitgestalten und sich mit dem Geringsten zufrieden geben. Sie sind sich vermutlich auch nicht ihrer Rechte und Pflichten wirklich bewusst. Bevor ich darauf im dritten Teil genauer eingehe, widmet sich der folgende Abschnitt einer Überlegung, die gerade für interkulturelle Doktorandenkolloquia oder Arbeitsgruppen, aber auch grundsätzlich für Promovierende hilfreich sein kann: Das Verhältnis zur Betreuungsperson lässt sich leichter gestalten (oder ertragen), wenn man sich darüber bewusst wird, welche akademische Kultur das eigene Studium bestimmt und die jetzigen Erwartungen geprägt hat.
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Akademische Kulturen im Vergleich – eine persönliche Erfahrung
Das Konzept der akademischen Kulturen bezieht sich, so, wie ich es hier verwende, auf die unterschiedlichen Lehr- und Lernformen, durch die man während des Studiums, mitunter schon während der Schule, akademisch sozialisiert wurde. Es zielt auf die Interaktions- und Kommunikationsformen zwischen Lernenden und Lehrenden. Diese sind nicht nur an den Universitäten im internationalen Vergleich unterschiedlich. Sie differieren, das zeigten die Diskussionen auf bei dem Workshop, auch regional innerhalb Deutschlands.22 Sich als Promovierende über diese Unterschiede bewusst zu werden, hilft einerseits für das Arbeiten in interkulturellen Kolloquia. Andererseits, so meine ich, bestimmen diese Erfahrungen auch, welche Erwartungen und Befürchtungen man als Doktorand in Hinblick auf das Betreuungsverhältnis hat. Auch wenn die Art und Weise, wie interaktiv Lehrveranstaltungen durchgeführt werden und wie hierarchisch das Verhältnis zwischen Lehrenden und Studierenden angelegt ist, von einzelnen Persönlichkeiten abhängt, gibt es länder22 Ein Beispiel waren die unterschiedlichen Erfahrungen während der Schulzeit in der DDR und der BRD.
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spezifische Charakteristika. Diese Erfahrung machen nicht nur ERASMUSStudenten. Zu diesem Ergebnis kamen wir auch als Lehrende aus Polen, Tschechien und Deutschland, als wir zwischen 2004 und 2006 gemeinsam ein onlinebasiertes Seminar zur Außenpolitikanalyse konzipierten und durchführten.23 Nicht nur die Studierenden mussten in trinationalen Arbeitsgruppen zu veritablen Ergebnissen kommen. Die Herausforderung für uns als Lehrende war ebenso groß: Wir mussten die unterschiedlichen Vorstellungen von Lehren und Lernen sowie darüber, wie man mit Studierenden umgeht, so koordinieren, dass wir uns nicht ständig widersprachen. Unsere Erfahrungen präsentierten wir nach zwei Seminardurchgängen auf Konferenzen und fanden für uns den Begriff der unterschiedlichen „akademischen Kulturen“. Mit ihm ließen sich Probleme, die aus den unterschiedlichen Herangehensweisen entstanden, auf den Punkt bringen. Das Diagramm (Abb.1) veranschaulicht schematisch, wo sich die Unterschiede zwischen akademischen Kulturen am deutlichsten manifestieren: Zum einen in der vorherrschenden Lehrmethode, die sich im Spannungsfeld zwischen einem interaktiven Stil und einem frontalen Stil ansiedeln lässt. Für das Beispiel unseres trinationalen Seminars gäbe es auf so einer Skala eine Abstufung vom deutschen (bzw. Dresdner) recht interaktiven Stil, über den in der Mitte liegenden tschechischen bis hin zum polnischen eher frontalen Stil. Damit in Verbindung steht der zweite Bereich, nämlich das Verhältnis zwischen Studierenden und Lehrenden. Dieses beschrieben wir als zwischen egalitär und autoritativ liegend. Während in Polen die Lehrperson bereits qua Amt und Status eine zu respektierende Autorität darstellt, die von Studierenden selten angefochten wird, ist es an deutschen Universitäten keine Seltenheit, dass etwa in Fragen der Notengebung mit der Lehrperson diskutiert wird. Das ist, wie wir gelernt haben, zumindest in Breslau schwer vorstellbar. Auch hier hatte sich unser tschechischer Kollege in der Mitte zwischen den beiden Extremen verortet, während das deutsche Team aus der Erfahrung ebenso im Umgang mit den polnischen und tschechischen Studierenden sich eher als egalitär einstuft (Hennig & Wetzel 2008: 516). Natürlich sind dies keine validen Untersuchungsergebnisse. Gerade aber für Promovierende, die aus Mittelost- oder Osteuropa an deutsche Universitäten kommen, mag es jedoch hilfreich sein, sich mit diesen Unterschieden im Gespräch mit anderen auseinanderzusetzen. So können sie besser einschätzen, welchen Spielraum sie haben, um das Betreuungsverhältnis mitzugestalten.
23 Dieses Projekt war am Lehrstuhl für Internationale Politik der TU Dresden angesiedelt, wo ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig war. Partner waren Kollegen der Karlsuniversität Prag und der Universität Breslau Weitere Informationen dazu siehe URL: http://tudresden.de/die_tu_dresden/fakultaeten/philosophische_fakultaet/ifpw/intpol/Projekte/forpol
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egalitarian
studentteacher relations
interactive frontal
prevailing teaching method
hierarchic
Abbildung 1:
Parameter akademischer Kulturen Schaubild aus: Hennig, Anja; Karásek, Tomáš, 2006:24.
Der DAAD bezeichnet in seinen Informationen für ausländische Promovierende die Art und Weise, wie man in Deutschland promoviert, als „Lehrlingsmodell.“ Damit ist ein „sehr freies traditionelles System“ gemeint, bei dem „der Doktorand über ein hohes Maß an Selbstständigkeit und Eigenmotivation verfügt und das Verhältnis zu dem wissenschaftlichen Betreuer der Dissertation `eng und vertrauensvoll´ ist“ (DAAD 2009). Damit hatte eine polnische Doktorandin, so berichtete sie auf unserem Workshop, Schwierigkeiten. Sie hätte es zum Beispiel nie gewagt, ihrem deutschen Betreuer eine E-Mail zu schreiben. An ihrer polnischen Heimatuniversität würden Professoren darauf grundsätzlich nicht reagieren. Einen weiteren Punkt, der hier nicht vertieft werden kann, möchte ich kurz erwähnen. Probleme in der Zusammenarbeit mit der Betreuungsperson können auch auf Grund eines unterschiedlichen Verständnisses von Wissenschaft bzw. wissenschaftlichem Arbeiten resultieren. Die Erfahrungen in der interkulturellen Lehre haben gezeigt, dass es gerade zwischen (Mittel-)Osteuropa und Westeuropa unterschiedliche Traditionen dahingehend gibt, ob eher faktenorientiert (em-
24 Zu Beginn des Workshops haben sich die Promovierenden mit jeweils einem Punkt in diesem Schema verortet.
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pirisch-deskriptiv) oder aber theoriegebunden (theoretisch-analytisch) gearbeitet wird.25 Zusammengefasst bedeutet dies, dass es auch für das Betreuungsverhältnis eine Rolle spielt, wo wir akademisch sozialisiert worden sind. Für den einen oder die andere mag es hilfreich sein, dies zum Beispiel bei der Betreuungssuche mit zu reflektieren.
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Problemfelder im Betreuungsverhältnis und Lösungsansätze
Zu Beginn des Workshops an der EUV hatte ich die teilnehmenden Doktoranden gefragt, wie sie auf einer Skala von „sehr gut“ bis „frustrierend“ ihr Betreuungsverhältnis einschätzen. Zu meinem Erstaunen überwog eine eher positive Bewertung. Als wir aber im letzten Teil zu dem Punkt kamen, in den Arbeitsgruppen Probleme und mögliche Lösungsansätze zu besprechen, dehnten sich die Gespräche bis weit in die Kaffeepausen aus. Die abschließende Diskussion im Plenum über Problemfelder und Lösungsstrategien verlief dabei recht kontrovers. Es wurde deutlich, wie unterschiedlich die individuellen Erwartungen an die Betreuung und die Wahrnehmung von Problemen sind; ein Ergebnis, dass auch die thesis-Studie hervorgebracht hatte. Entsprechend schwierig ist es, allgemeingültige Strategien zu formulieren, wie man das Betreuungsverhältnis aktiv mitgestalten kann und für sich problematische Situationen löst. Ratsam ist jedoch zweierlei: Prinzipiell – und darauf weisen auch die Ratgeber hin – sollte man als Doktorand Probleme im Betreuungsverhältnis mit der Betreuungsperson besprechen. 26 Aus den Gründen, die ich in den beiden Teilen zuvor genannt habe, ist dies allerdings meist einfacher gesagt als getan. Daher ist es zweitens hilfreich, für sich zunächst zu klären, worin genau das Problem besteht. Auch dies fällt nicht immer leicht. Vor diesem Hintergrund geht der folgende Abschnitt auf einige Punkte ein, die behilflich sein können, Probleme zu identifizieren und zu lösen. Dazu gehört, sich über Phasen im Betreuungsverhältnis, über unterschiedliche Problemdimensionen und über Rechte und Pflichten von Doktoranden und Betreuern bewusst 25
Dies zeigte sich unter anderen bei dem Workshop „"Studying Political Science - Basic Approaches, Concepts, and Methods" im Februar/März 2008 am Collegium Polonicum, den Michaela Grün vom Lehrstuhl für Politikwissenschaft, Kulturen und Bewegungen im Vergleich der EuropaUniversität Viadrina und ich für polnische Studierende angeboten hatten, die sich für das Politikstudium an einer deutschen Universität vorbereiten wollten. 26 Diese nahe liegende Strategie wird von Stock et al. (2006) durchweg für alle Problembereiche empfohlen. Die folgenden Tipps resultieren aus diesem Buch, Knigge-Illner (2002) und eigenen Erfahrungen.
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zu werden. Abschließend gehe ich kurz auf die Betreuungsvereinbarung als einem Instrument ein, Zuständigkeiten und Erwartungen vorab festzulegen. Als Doktorand hat man oft das Gefühl, sich als einziger mit bestimmten wissenschaftlichen Fragen und Problemen herumzuschlagen. Für den Forschungsprozess sind Kolloquia und Arbeitsgruppen oft hilfreiche Orte, um zu erkennen, dass andere Ähnliches durchleben. Für Fragen, die das Betreuungsverhältnis betreffen, bleiben meist nur ein paar geduldige Freunde. Doch auch hier lassen sich Ähnlichkeiten feststellen. Dazu gehören verschiedene Phasen im Verhältnis zur Betreuungsperson, die sich aus dem Promotionsverlauf ergeben (Knigge-Illner 2002: 53). Die erste von vier Phasen beginnt mit der Kontaktaufnahme und endet mit Betreuungszusage. In dieser Phase ist man als angehender Doktorand völlig abhängig vom Interesse, der Zeit und der Einschätzung der eigenen Fähigkeiten durch den Professor. Ist das Betreuungsverhältnis formal geregelt und sind grundsätzliche inhaltliche Fragen geklärt, beginnt der gemeinsame Weg zum Thema und zur konkreten Fragestellung. Es ist eine Phase, bei der sich beide Seiten wissenschaftlich und persönlich besser kennen lernen; die jedoch auch zu großer Verunsicherung und zu Selbstzweifeln, aber auch zu erhebenden Momenten führen kann. Ist das Thema definiert und Wissen darüber angereichert, beginnt die Phase der allmählichen Emanzipation von der Betreuungsperson. Oft führen Konferenzbesuche dazu, dass man eine - idealerweise gesunde - Distanz zum Doktorvater oder zur Doktormutter aufbaut, gemeinsame Artikel oder Projekte überlegt. In der letzten Phase der Promotion löst man sich als Doktorand von der Betreuungsperson - entweder konfliktreich, unspektakulär oder mit einem Job in der Tasche. Auf den Punkt gebracht zielt „[d]er Prozess der Promotion letztendlich darauf ab, sich von den mächtigen Autoritätsfiguren zu lösen und zu Autonomie und Selbstachtung zu finden“ (Knigge-Illner 2002: 53). Auch wenn diese Phaseneinteilung idealtypisch ist, mag sie dem einen oder der anderen helfen, sich selbst innerhalb des Promotionsprozesses zu verorten und manchen Frust besser verstehen, akzeptieren oder beheben zu können. Ähnlich hilfreich kann es sein, sich über bestimmte Problemdimensionen bewusst zu werden, die, wie in anderen sozialen Beziehungen auch, im Betreuungsverhältnis für Unmut sorgen können. Hierbei unterscheide ich zwischen vier Problemdimensionen und drei Querschnittsproblemen. Bei der zeitlich-organisatorischen Dimension geht es um Probleme, die die Dauer der Beratungstreffen und ihre Vorbereitung betreffen. Hier ist es hilfreich, vorweg zu klären, in welchen Abständen man sich trifft, welche Regelung bei akutem Gesprächsbedarf denkbar ist, wann wer länger im Jahresverlauf abwesend ist. Aus organisatorischer Sicht ist wichtig, sich bei jeden Treffen über das weitere Vorgehen Gedanken zu machen: Wann werden welche Vorla-
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gen/Textfragmente etc., wie viele Tage vorher in welchem Seitenumfang an die Betreuungsperson geschickt? Die Kommunikationsdimension zielt auf die Kommunikationswege und -formen: Ist ein Feedback per E-Mail möglich bzw. erwünscht oder nur während Beratungstreffen vor Ort? Es ist immer hilfreich, Fragen für das Treffen vorweg zu formulieren und mit gebührendem Zeitabstand und nach Absprache vorher per E-Mail zu senden. Um optimalen Nutzen aus dem Beratungsgespräch zu ziehen und den Verlauf nachzuvollziehen - manchmal gibt es widersprüchliche Ratschläge zwischen unterschiedlichen Treffen - sollte man ein Beratungsgespräch im Nachhinein immer dokumentieren. Hat die Betreuungsperson für ein Kolloquium einen längeren Text gelesen, kann man nach vorheriger Absprache um den Textausdruck mit den Anmerkungen bitten. Schwieriger ist es, wenn sich Probleme auftun, die mit der Persönlichkeit der Betreuungsperson und/oder Doktoranden zusammenhängen. Besteht etwa eine Konkurrenzsituation? Sind die Doktoreltern zu kritisch oder dauerhaft zu wohlwollend? Prinzipiell sollte man Ärger, Ängste, Leidensdruck etc. ernst nehmen und sich nicht erst daran gewöhnen. Da es hier oft schwierig ist, dies mit der Betreuungsperson direkt zu besprechen, bietet es sich an, mit anderen Doktoranden oder Mitarbeitern die eigene Problemwahrnehmung zu thematisieren und so ein Gespräch vorzubereiten. In inhaltlich-wissenschaftlicher Hinsicht können Probleme auftauchen, wenn ein konträres Wissenschaftsverständnis vorliegt oder die Forschungsinteressen zu ähnlich sind. Prinzipiell gilt, dass man die Promotion für sich und nicht für den Professor schreibt. Idealerweise schlägt man einen Mittelweg aus den eigenen Vorstellungen und denen der Betreuung ein. Querschnittsprobleme betreffen solche Situationen, die alle zuvor genannten überlagern können. Eine häufig schwierige Situation besteht dann, wenn die Betreuungsperson der Promotion zugleich der Chef oder die Chefin ist. Das bestätigten auch die Betroffenen auf dem Workshop der EUV. So privilegiert man als wissenschaftlicher Mitarbeiter anderen Doktoranden ohne universitäre Anbindung gegenüber ist, für die Promotionsbetreuung, auch darauf hatte die thesis-Studie hingewiesen, ist dies nicht immer von Vorteil. Ist jemand in die Lehrstuhlarbeit eingebunden, können alle anderen genannten Probleme aufeinandertreffen: Zeitmangel bzw. Überlagerung von Arbeits- und Beratungsgespräch, Kommunikationsschwierigkeiten etc. Hier gilt es abzuwägen, welche Problembereiche am dringendsten gelöst werden müssen. Welche Wünsche/Forderungen lassen sich unter den Lehrstuhlbedingungen realistischer Weise aushandeln? Auch können geschlechtsspezifische Unterschiede die genannten Problembereiche überlagern. Als Doktorand kann man Strukturen und Persönlichkeiten
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nicht ändern, jedoch die eigene Kommunikations- und/oder Betrachtungsweise. Inwieweit resultieren Respekt und Unsicherheiten (auch der anderen Seite) daher, dass die Betreuungsperson bzw. der Doktorand ein Mann oder eine Frau ist? Gibt es möglicherweise Parallelen zur Kommunikation mit Vater oder Mutter und welche Lösungen gab es da? Gerade dies sind Fragen, bei denen man sich mitunter nicht scheuen sollte, psychologische Hilfe der universitären Beratungsstellen in Anspruch zu nehmen. Auf die Problematik interkultureller Unterschiede als drittes mögliches Querschnittsproblem ging der vorangegangene Teil mit Blick auf die akademischen Kulturen bereits ein. Natürlich können, wie in anderen sozialen Beziehungen auch, weitere kulturell bedingte Missverständnisse die Zusammenarbeit erschweren (vgl. den Beitrag von Hiller in diesem Band). Nicht jeder hat die Muße oder schlichtweg die Lust, das Verhältnis zu den Doktoreltern in allen seinen Facetten zu durchleuchten, um Probleme zu identifizieren und zu lösen. Anderen kann diese Sammlung von Problemfeldern helfen, Unzufriedenheiten genauer zu lokalisieren und entweder das eigene Verhalten zu ändern oder ein klärendes Gespräch anzustreben. Für beides ist es sinnvoll, sich gerade wegen der formal ungeklärten Zuständigkeiten bei der Betreuung von Doktoranden über gewisse Rechte und Pflichten im Bilde zu sein. Darauf geht der letzte Abschnitt ein.
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Rechte und Pflichten im Betreuungsverhältnis
In Vorbereitung des Workshops las ich in einem Promotionsratgeber zum Thema Betreuung Folgendes: „Denken Sie immer an den Nutzen Ihres Gegenübers! Der Professor bekommt keinen Euro mehr, wenn er auch noch Ihre Dissertation betreut.“ Der Professor könne aber, so der Autor weiter, immateriellen Nutzen haben wie etwa die beruflichen Erfahrungen des Doktoranden oder Kontakte in die Wirtschaft, die er vermitteln könne (Baring 2003: 39). Dass man, überspitzt gesagt, Professoren auf Knien danken muss, wenn sie trotz ihrer Forschungsprojekte einen als Doktorand aufnehmen, scheint eine verbreitete Sicht auf die Pflichten von Lehrstuhlinhabern. Anstatt jedoch stets das Gefühl zu haben, als Doktorand eine Belastung darzustellen, sollte man sehen, dass die Betreuung von Promotionen zum regulären Job von Professoren und Professorinnen gehört. Dies sieht auch das Informationsportal www.Hochschulkarriere.de so, das mit Unterstützung der Stiftung Mercator, dem Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), der deutschen Gesellschaft für Juniorprofessur e.V., dem Deutschen Hochschulverband und Thesis e.V. betriebenen wird. Hier findet sich eine übersichtliche Sammlung der
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Leistungen, die Doktoranden aus Sicht der Hochschulexperten von ihren Betreuern erwarten können. Sie unterscheiden zwischen grundlegenden und weitergehenden Leistungen und dem, was von Doktoranden zu erwarten ist. Ich habe die zentralen Punkte in Form einer „Checkliste“ zusammengefasst. Sie kann helfen, die eigene Betreuungssituation besser einschätzen zu können. Werden viele Punkte nicht erfüllt und fühlt sich der Doktorand schlecht betreut, sollte er oder sie dies ansprechen und mit der Betreuungsperson nach Lösungen suchen. Beginnen wir mit den grundlegenden Leistungen, die von der Betreuungsperson erwartet werden kann: a.
Zu erwartende grundlegende Leistungen der Betreuungsperson. Sie…
ist zentrale Ansprechperson für Promovierende hilft mit Wissen und Können bei Problemen und Fragen, wenn Promovierende nicht weiterkommen unterstützt bei Formulierung der Fragestellung, Themeneingrenzung und Festlegung des methodischen Ansatzes bespricht das weitere Vorgehen im Promotionsprozess (ggf. Auslandsaufenthalte, Erhebungen) unterstützt die Finanzierung der Promotion durch Gutachten für Stipendiengeber, Hilfe bei Beantragung von Forschungsprojekten etc. ist erste/r Adressat/in der Promotion und sollte sachlich, fair und konstruktiv Kritik üben entscheidet über Abgabe (im Sinne wissenschaftlicher Standards) der Promotion kümmert sich um Forschung und Lehre und betreut i.d.R. mehrere Doktoranden, d.h., ist zeitlich begrenzt verfügbar, muss aber den grundlegenden Leistungen nachkommen Von sehr engagierten Betreuern und Betreuerinnen sollte man Folgendes erwarten können:
b.
Weitergehende Leistungen. Sie…
vermitteln Kontakte zur Wissenschaftsgemeinde, Kollegen, Netzwerken etc. geben Insider-Tipps aus eigener Forschungspraxis weiter
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achten auf angemessenen Zeitplan und entsprechende Arbeitsbedingungen der Promovierenden und nehmen ggf. Rücksicht in bestimmten Phasen27 unterstützten die Vernetzung der Doktoranden/innen durch Kolloquien, Klausurtagungen etc. Ebenso wichtig ist es, als Doktorand im Blick zu haben, dass Doktoreltern nicht für alles sorgen können. c.
Was man von der Betreuung nicht erwarten kann:
die Vermittlung eines Promotionsthemas bzw. die Begeisterung dafür das Geben von Arbeitsanweisungen Lob und direkte Anerkennung. Stattdessen: Konzentration auf die zu verbessernden Punkte28 Gerade wenn Doktoranden bereits überlegen, die Betreuung zu wechseln, ist es hilfreich, zu wissen, was ein Betreuer nicht tun sollte. Hier nennt www.Hochschulkarriere.de vor allem:
d.
Was die Betreuungsperson nicht tun sollte:
Häufige Absage vereinbarter Treffen, konsequenter Zeitmangel Das Äußern von unqualifizierter oder persönlicher Kritik Einsetzen oder Ausnutzen des Schreibenden ganz für eigene Forschungszwecke Die Unterordnung unter eigene Forschung verlangen Natürlich sollten auch Betreuer von ihren Doktoranden Einiges erwarten können. e.
Was die Betreuenden von den Doktoranden erwarten können:
sich um ausgewogenes ein Verhältnis zur Betreuungsperson zu bemühen, gewisses Maß an Wertschätzung entgegenzubringen ohne zu beleidigen offen und ehrlich drängende Probleme im Promotionsprozess und/oder Betreuungsverhältnis anzusprechen 27
Meiner Meinung nach gehört dies auch zu den grundlegenden Leistungen. Dieser Punkt löst im Workshop heftige Kontroversen aus. Warum solle man kein Lob erwarten? In der Tat gibt es Betreuer, die mit Lob nicht sparen. Meiner Meinung nach geht es einem aber besser, wenn man dies nicht in erster Linie erwartet, sondern sich über konstruktive Kritik freut. 28
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pünktlich und vorbereitet zum vereinbarten Treffen zu kommen nur um Treffen bitten, wenn es wirklich etwas zu besprechen gibt den Rat der Betreuung ernst nehmen und ggf. erst einmal „überdenken“ jedoch keine bedingungslose Befolgung des Rates, wenn er völlig unangebracht scheint - dies aber im nächsten Gespräch klären.
Diese Punkte sind natürlich nur Orientierungshilfen und keine verbindlichen Regeln. Mehr Verbindlichkeit versprechen Promotionsabkommen. Wie eingangs erwähnt, haben im Rahmen des Bologna-Prozesses einige deutsche Hochschulen bzw. die dortigen Graduiertenschulen das Instrument der Promotionsabkommen eingeführt. Dies ist ein Dokument, das für alle Beteiligten transparente Regeln setzt, wie die Betreuung organisatorisch zu verlaufen hat. Auch wenn die Vordrucke für alle gelten, schaffen sie den Rahmen für individuelle Lösungen im Betreuungsverhältnis. Ein wichtiger Aspekt ist hierbei, Rechte und Pflichten innerhalb eines zu vereinbarenden Zeitplanes zu garantieren. So heißt es beispielsweise an der Graduiertenschule der Universität Münster: […] Der/die PromovendIn und das Betreuungsteam verpflichten sich zum Ziel einer erfolgreichen Durchführung des Vorhabens zu einer offenen und kooperativen Zusammenarbeit. Es wird vereinbart, dafür im Abstand von ........................ unter vier Augen ausführliche Gespräche über den Fortgang der Arbeit zu führen. Termine für die Abgabe von Berichten und Teilen der Arbeit wie auch für mündliche Präsentationen können in einem separaten Zeitplan aufgeführt werden. Der/die PromovendIn verpflichtet sich zur Einhaltung dieser Termine. Das Betreuungsteam verpflichtet sich dazu, sich Zeit für die Diskussion der Arbeit zu nehmen, die Qualität des Promotionsvorhabens durch Beratung und Diskussion zu befördern und alle verfügbare Hilfe für das Gelingen des Promotionsvorhabens zu leisten. Die vollständige Fassung der Dissertationsschrift wird vor der offiziellen Einreichung von dem Betreuungsteam inhaltlich und stilistisch kommentiert.29
So lange es an der eigenen Hochschule keine „Kultur“ solcher Vereinbarungen gibt, dürfte es schwierig sein, als Doktorand Entsprechendes einzufordern. Denkbar ist aber, sich an der oben skizzierten Checkliste oder an bereits existierenden Promotionsvereinbarungen zu orientieren, um für sich zu klären, welche Aspekte mit der Betreuungsperson besprochen und geregelt werden sollen.
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Dies ist ein Fragment eines zweiseitigen Textes. Siehe URL: http://www.unimuenster.de/imperia/md/content/graduate_school_of_politics/grasp_promotionsvereinbarung_06032 3.pdf (15.4.2008).
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Literatur Baring, R. (2003). Wie finde ich einen guten und schnellen Doktorvater an einer deutschen Universität? Erfolgreich promovieren für Wirtschafts-, Rechts-, Natur-, Ingenieur- und Geisteswissenschaftler. Düsseldorf: VDM. DAAD (2009): Wege zur Promotion in Deutschland, URL: http://www.daad.de/deutschland/forschung/promotion/04670.de.html (25.8.2009). Die ZEIT, 30.9.2004: Rabenväter. URL: http://www.zeit.de/2004/41/C-doktoranden (10.8.2009). duz spezial, 2004: URL: http://www.duz.de/docs/downloads/duzspec_promov.pdf (15.8.2009). Hochschulkarriere.de: Betreut werden während der Promotion, URL: http://www.hochschulkarriere.de/hkwiki/index.php/Betreut_werden_w%C3%A4hrend_der%20Promotion (15.4.2008). (Diese Seite ist nicht mehr aktuell, zur Zeit der Drucklegung dieses Beitrags wurde sie in das Informationsportal KISSWIN.de, Kommunikations- und Informationssystem „Wissenschaftlicher Nachwuchs“ eingearbeit.) Hennig, A. & Karásek, T. (2006). Teaching Political Science as a Process of Collaborative Learning: the Motivational Value of Learning Groups within an international Setting. In Inga Ulnicane; Katsia Dryven (Hg.): How to supervise Students. The Experience of First-time University Teachers, Vol. 3, epsNet Teaching Political Science Series, 3, Budapest, 2006, 77-86. Hennig, A. & Wetzel, A., (2008). ForPol online: Außenpolitikanalyse im (Länder- ) Dreieck akademischer Kulturen. Einblicke in Konzept und Ergebnisse eines polnischtschechisch-deutschen Hochschulseminars. In Alexander Brand; Stefan Robel (Hg): Internationale Beziehungen. Aktuelle Forschungsfelder, Wissensorganisation und Berufsorientierung. Festschrift für Monika Medick-Krakau, Dresden: TUDpress, 503-523. Knigge-Illner, H. (2002). Der Weg zum Doktortitel. Strategien für die erfolgreiche Promotion. Frankurt/New York: Campus Verlag. Stock, S.; Schneider, P.; Peper, E. & Molitor, E. (2006). Erfolgreich promovieren. Ein Ratgeber von Promovierten für Promovierende, Berlin/ Heidelberg: Springer Verlag. Promovierenden-Netzwerk „thesis“. URL: https://ssl.thesis.de/ (15.8.2009). Promotionsvereinbarung der Graduate School der Universität Münster. URL: http://www.uni-muenster.de/ imperia/md/content/graduate_school_of_politics/ grasp_promotionsvereinbarung_060323.pdf (15.4.2008).
Das kreative Chaos meistern Anna Lipphardt
Abstract Dieser Beitrag befasst sich mit der organisatorischen Seite des Großprojekts Promotion. Er zeigt, wie wichtig es ist, sich frühzeitig um Ordnungs- und Ablagesysteme Gedanken zu machen, welche Hilfsmittel zur Verfügung stehen und gibt Tipps sowohl für einzelne Promovierende als auch für Graduiertenschulen.
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Einleitung
In "Ordnung" kam ich während der Grundschulzeit selten über eine Drei Minus hinaus. Regelmäßig zermatschten mir im Schulranzen Bananen, liefen Stifte aus, vergaß ich Hefte und Bücher zuhause oder im Bus. Während des Studiums lief es nicht viel besser, besonders wenn Referate vorzubereiten oder Hausarbeiten zu schreiben waren (d.h. fast immer). Je weiter es an der Universität voranging, um so größer schien das Chaos in den heißen Phasen zu werden. Mit Beginn der Doktorarbeit schließlich überwucherte meine Arbeitsecke bald das gesamte Zimmer. Ich träumte immer häufiger davon, in meinem Bett von schwankenden Papierstapeln eingeschlossen zu werden, oder dass sich mein Laptop als RiesenPiranha entpuppte, der meine wertvollen, in schwer zugänglichen osteuropäischen Archiven aufgestöberten Quellen und mühsam zusammengestellten Literaturlisten mitleidslos in Konfetti verwandelte. Setzte ich mich morgens voll Tatendrang an dem Schreibtisch, "um endlich mal richtig was zu schreiben", gab ich oft gegen Mittag frustriert wieder auf, weil ich Stunden damit verbracht hatte, mir den Weg zum Computer freizuschaufeln und verschollenen Unterlagen nachzuspüren. Als sich schließlich auch noch mein Freund weigerte, in meinem "begehbaren Papierkorb" zu übernachten, wurde es Zeit, etwas zu ändern. Doktorarbeiten sind Großbaustellen, auf denen an vielen Ecken und Enden zugleich gebaut und gewerkelt wird. Ohne Statiker und ohne solide Bauleitung bleiben allerdings auch (oder gerade) die brillantesten architektonischen Pläne im Rohbau stecken oder fallen später in sich zusammen, von fatalen Arbeitsunfällen ganz zu schweigen. Bei mir hat es damals eine Weile gedauert, bis mir klar wurde, dass es ohne einige grundlegende Ordnungsstrukturen und Organisations-
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strategien nicht funktionieren würde. Manche der organisatorischen Umwege und Sackgassen, die mich viel Zeit, Nerven und Energie kosteten, hätten sich vermeiden lassen. Aber zum einen gab es an meiner Universität damals keine entsprechenden Schulungs- oder Beratungsangebote, und zum anderen war es mir als frischgebackener Doktorandin schlichtweg peinlich, zuzugeben, dass mein Organisationschaos die Forschungsarbeit immer wieder behinderte, und Kollegen oder gar Doktoreltern um Rat zu fragen. Statt dessen las ich mich zunächst durch ganze Bibliotheken zumeist amerikanischer Ratgeber-Literatur und probierte neue Ansätze nach dem trial and error-Prinzip aus. Als ich begann, Freunden, die ebenfalls promovierten, von meinen verunglückten Versuchen und Erfolgserlebnisse zu erzählen, stellte sich heraus, dass die Mehrzahl von ihnen ebenfalls an akutem Orga-Frust litt und es allein schon als Erleichterung empfand, sich darüber austauschen zu können. Dieser Artikel möchte zur Sensibilisierung für einige der organisatorischen Aspekte beitragen und sowohl den Promovierenden selbst, als auch denjenigen, die an den Universitäten für die Betreuung des wissenschaftlichen Nachwuchses verantwortlich sind, eine Reihe konkreter Handlungsempfehlungen an die Hand geben. Im Folgenden werden näher beleuchtet: 1. die Arbeitsplatzgestaltung, 2. die Literaturverwaltung und 3. das Ordnungs- oder Ablagesystem. Selbstverständlich sind noch zahlreiche weitere Aspekte zu berücksichtigen – z.T. werden sie in den anderen Beiträgen dieses Bandes behandelt. Gerade in der Anfangsphase eines Dissertationsprojekts können und sollten, was die Arbeitsorganisation anbelangt, entscheidende Weichen gestellt werden. Wer erst einmal in die tatsächliche Forschungsarbeit eingestiegen ist, ist in der Regel zu sehr mit Materialerhebung und -auswertung beschäftigt und zu stark unter Zeitdruck, um diesbezüglich noch nachhaltige Veränderungen anzugehen. Universitäten sind daher gut beraten, grundlegende organisatorische Aspekte im Rahmen der Soft-SkillsAusbildung möglichst früh zu vermitteln. Und Promovierende sollten verstehen, dass dieser Teil der wissenschaftlichen Ausbildung ernst zu nehmen ist und ihnen nicht etwa Zeit stiehlt, die von der Forschungsarbeit abgeht, sondern diese wesentlich erleichtern wird.
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My Office, My Castle
Wer eine Dissertation schreibt, hat einen richtigen Job, und wer einen richtigen Job hat, sollte auch einen Ort haben, an dem professionell gearbeitet werden kann. An ihrem Arbeitsplatz werden Promovierende viele Stunden verbringen und deshalb sollten sie dessen Gestaltung ernst nehmen. In der Regel werden Arbeitsräume als Gegebenheiten hingenommen, mit denen es sich zu arrangieren
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gilt. Zwar haben wenige Promovierende die Mittel, sich ihren idealen Arbeitsplatz zusammenzuzimmern, aber es gibt doch zahlreiche Möglichkeiten, sich innerhalb der vorhandenen Rahmenbedingungen eine Arbeitsumgebung zu schaffen, in der sie sich gerne aufhalten, die ihnen Freiraum zum Denken bietet und den Arbeitsprozess unterstützt, anstelle ihn einzuschränken. Dafür empfiehlt sich, zunächst eine Evaluation der gegenwärtigen Raumsituation vorzunehmen und sich zu vergegenwärtigen, welche räumlichen Faktoren essentiell sind, um gut arbeiten zu können. Wo sind die zentralen Problemzonen und wo gibt es noch Potential? Die „Schaltzentrale“ sollte konzentriertes Arbeiten ermöglichen, aber auch Raum zum Entspannen und gegebenenfalls zum Austausch mit anderen Menschen bieten. Sie muss funktional komfortabel mit ausreichend Bewegungsfreiheit und last but not least ästhetisch ansprechend gestaltet sein. Wichtig ist es des Weiteren, eine Balance zu finden zwischen dem Raum zum Arbeiten und zum Visualisieren, dem für Raum die Ablage der Forschungsmaterialien, und dem Raum zum Aufbewahren von Arbeitsmaterial und für technisches Equipment. Promovierende sollten sich mit ihrem Partner/ihrer Partnerin beraten oder sich aus ihrem Freundeskreis jemanden mit gutem Raumgefühl zur Beratung für die Umgestaltung holen. Außenstehende haben häufig einen offeneren Blick für die Möglichkeiten, die ein Raum bietet. Wichtig ist es, sich beim Nachdenken über das Thema "Arbeitsplatz" nicht nur auf den heimischen Schreibtisch zu beschränken, sondern alle Orte mit einzubeziehen, an denen Aktivitäten ausgeführt werden können, die mit dem Dissertationsprojekt in Verbindung stehen. Einigen Promovierenden steht, wenn sie Glück haben, neben dem Home-Office ein eigener Arbeitsplatz an ihrem Fachbereich oder in der Universitätsbibliothek zur Verfügung. Wenn das nicht so ist, ist es eine Überlegung wert, sich einen Arbeitsplatz in einer Bürogemeinschaft mit anderen Promovierenden oder Freiberuflern zu suchen. Vorteil dabei ist, dass man weniger vereinsamt, als wenn man zuhause, im stillen Kämmerlein an der Dissertation feilt. Zudem kann eine gewisse räumliche Distanz zwischen Arbeitsplatz und Privatleben nicht schaden, u.a. weil sie einen zwingt, irgendwann auch mal Feierabend zu machen und nach Hause zu gehen. Bei zwei oder mehr festen Arbeitsplätzen sollte jedoch einer davon zur Basisstation ausgebaut werden, an dem die Forschungsunterlagen und Verwaltungsaktivitäten zentriert werden – sonst verbringt man die Hälfte der Zeit damit, sich darüber zu ärgern, dass das Material, mit dem man arbeiten wolle, immer gerade da ist, wo man selbst nicht ist. Promovierende sollten darüber nachdenken, ob es noch andere Orte gibt, an denen sie gut arbeiten können. Zu bedenken ist dabei auch, ob sie an einem Ort zu bestimmten Tageszeiten oder Wochentagen besonders gut arbeiten können. Ich entwerfe z.B. neue Projekte gerne vormittags in meinem Kreuzberger Lieb-
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lingscafé, wo sich auch schon einige Schreibblockaden aufgelöst haben, bei denen ich zuhause nicht weitergekommen war. Unterwegs – im ICE oder am Flughafen – kann ich besonders gut Fachtexte lesen und eigene Texte oder Hausarbeiten korrigieren ( - zentrale Vorraussetzung ist hierfür allerdings, dass ich meinen ipod oder meine Oropax-Box dabei habe). Um Texte fertig zu schreiben, ziehe ich mich inzwischen nach Hause zurück, weil ich dort kein Internet habe, das Telefon abstellen kann und meine netten Kollegen mich nicht zum Plausch an der Kaffeemaschine verführen. Der letzte Raumfaktor, um den Promvierende sich kümmern müssen, sind sie selbst. Kein Forschungsproblem und keine Dissertation ist es wert, dass man sie "aussitzt" und sich dabei die Gesundheit ruiniert. Es wird sicher bei keinem Doktoranden und keiner Doktorandin ausbleiben, dass er oder sie wegen einer Deadline hin und wieder mit verspanntem Rücken, brennenden Augen, Kopfschmerzen und Ohrensausen vom Schreibtisch aufsteht – aber dies sollte die absolute Ausnahme bleiben und keinesfalls zur Regel werden! Achten sollten Promovierende auf gute Beleuchtung und eine ergonomische Gestaltung des Arbeitsplatzes. Es lohnt sich, sich einen guten Bürostuhl zu besorgen – viele Krankenkassen stellen diesbezüglich umfassende Informationen oder gar kostengünstige Büromöbel bereit. Wenn es in der Schreibphase zu zwicken beginnt, ist es meist schon zu spät, und man riskiert chronische Rückenprobleme. (In meinem Freundes- und Bekanntenkreis gab es zudem auffällig viele Promovierende, die – vor allem in der Endphase der Dissertation – Probleme mit Tinnitus und chronischen Kopfschmerzen hatten, und dies auch nach der Verteidigung nicht wieder ganz los wurden). Warnsignale des Körpers sollten daher unbedingt ernst genommen werden. Ausgleichssport, eine prophylaktische Rücken-Gymnastik und Entspannungstechniken, wie sie vom Uni-Sport oder den Krankenkassen angeboten werden, können dem rechtzeitig entgegen wirken. Promovierende sollten darauf achten, sich auch zu bewegen, wenn Sie lange am Schreibtisch sitzen müssen - ein Bildschirmschoner mit Entspannungs- und Gymnastikübungen fürs Büro kann helfen, sich immer wieder daran zu erinnern. Passen Sie gut auf sich auf!
Tipps für Promovierende Schaffen Sie Platz für Ihr Promotionsprojekt: Räumen Sie den Büchern, Unterlagen und Arbeitsmaterialien, die Sie für Ihre Doktorarbeit brauchen, oberste Priorität in Ihrem Arbeitszimmer ein und versuchen Sie, alle anderen Dinge in den übrigen Zimmern, ganz oben im Regal oder unter dem Bett unterzubringen. Nutzen Sie die Gelegenheit, gründlich auszumisten
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und sich z.B. auch von überholten Studienunterlagen zu trennen. Es sollte sich an Ihrem Arbeitsplatz nichts finden, was Sie von Ihrer Doktorarbeit ablenkt. Stehen längere Forschungsaufenthalte oder -reisen an, machen Sie sich rechtzeitig mit den Arbeitsbedingungen vertraut, die Ihnen on the road zur Verfügung stehen. Überlegen Sie sich, welche Forschungsunterlagen Sie dafür wirklich brauchen, und wie Sie diese sicher hin und her transportieren. Legen Sie sich im Internet eine virtuelle Plattform an (z.B. unter gmx media center oder googledocs), auf der Sie wichtige Dokumente und die aktuelle Version der Textes, an dem Sie arbeiten, als backup-Version ablegen. Achten Sie darauf, dass Freizeit und Urlaub (möglichst ohne Laptop!) nicht zu kurz kommen. Hin und wieder ein Tapetenwechsel hilft nicht nur, den Kopf freizubekommen und die Batterien wieder aufzuladen, sondern ermöglicht häufig auch neue Perspektiven auf Ihr Projekt.
Tipps für Graduiertenschulen Klären Sie bereits in der Antragsphase mit der Universitätsverwaltung ab, dass ausreichende, gut ausgestattete Arbeitsräume für Ihre Promovierenden zur Verfügung gestellt werden. Stellen Sie ihnen einen Common Room zur Verfügung, der zu Gespräch und Vernetzung einlädt. Lassen Sie neben den Pinnwänden für Wohnungsanzeigen an der Universität auch ein schwarzes Brett installieren, an dem Angebote und Suchanfragen für Arbeitsplätze in Bürogemeinschaften veröffentlicht werden und stellen Sie für Ihre Doktoranden entsprechende Webressourcen zusammen. Besonders die free-floater, die keinen Anspruch auf einen Arbeitsplatz haben, werden es Ihnen danken. Regen Sie in Workshops und Diskussionsrunden zur Reflexion über das Thema Arbeitsplatz und Raumgestaltung an. Vermitteln Sie – gegebenenfalls in Kooperationsveranstaltungen mit dem Uni-Sport oder der Studienberatung – grundlegende Entspannungstechniken und Haltungsübungen für die Arbeit am Schreibtisch. Vermitteln Sie Ihren Promovierenden außerdem, dass es okay ist, sich hin und wieder frei zu nehmen und auch mal zwei Wochen am Stück in Urlaub zu fahren.
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Anna Lipphardt Unterwegs mit dem Dissertations-GPS: das Literaturverwaltungsprogramm
Als ich 2001 bei der ersten Sitzung meines Graduiertenkollegs in die Runde fragte, welches Literaturverwaltungsprogramm empfohlen würde, stieß ich bei Professoren und Promovierenden auf allgemeine Verwunderung, und bekam wohlwollende Tipps, wie man einen Zettelkatalog sinnvoll führt, eine in WORD angelegte Literaturliste mit einem Klick alphabetisch sortiert oder gar eine Excel-Tabelle anlegt, um die bibliographischen Daten zu erfassen. Für mich begann an diesem Tag eine Suchaktion, die mich nach anderthalb Jahren und einigen missglückten Systemtransfers doch wieder bei dem amerikanischen Literaturverwaltungsprogramm landen ließ, mit dem ich schon zuvor gearbeitet hatte. Seither hat sich an deutschen Universitäten glücklicherweise einiges getan. Viele bieten ihren Studierenden und ForscherInnen heute vergünstigte oder gar kostenfreie Lizenzplätze für Programme wie EndNote, RefWorks oder Bibliographix an. Mit zotero ist inzwischen auch ein Open Office-Produkt hinzugekommen, das aufgrund seines schnell wachsenden Funktionsumfangs und der großen Nutzerfreundlichkeit zunehmend konkurrenzfähig wird. Viele WissenschaftlerInnen schreckt allerdings die Vorstellung, sich mühsam in ein neues, kompliziertes Programm einarbeiten zu müssen, immer noch ab. Im Folgenden möchte ich näher begründen, weshalb sich dies trotzdem lohnt – und weshalb meines Erachtens entsprechende Software-Lizenzen und -Schulungen zur Standard-Ausrüstung gehören sollten, die eine Universität ihren Promovierenden zur Verfügung stellt. Die bibliographischen Angaben und Notizen zu den gelesenen Texten, die wir im Laufe unserer wissenschaftlichen Karriere zusammentragen, sind nicht nur ein Hilfsmittel zur Erstellung von Fußnoten und Literaturverzeichnissen sondern unsere intellektuelle Schatzkiste, die Erweiterung unseres Gehirns, und sie wächst mit unseren Interessensgebieten und Projekten mit. Ein Literaturverwaltungsprogramm nimmt wenig Speicherplatz weg und passt auf jedes Laptop. Vor allem aber bietet es drei Grundfunktionen an:
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Ablage/Sammeln. Anders als ein Zettelkasten lässt ein Literatursystem sich nicht durcheinander bringen (– wem schon einmal ein Zettelkasten vom Schreibtisch gekippt ist, weiß, wovon ich spreche), sondern sortiert in der Basisfunktion alle Einträge alphabetisch oder nach Jahreszahl, und darüber hinaus auch nach individuell festgelegten Schlagworten und Themengebieten. Die gesammelten Daten lassen sich so passgenau für bestimmte Projekte vorstrukturieren und auch in Form von Literaturlisten ausdrucken. Zu je-
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dem Text, den Sie erfassen, gibt es einen Eintrag, in dem Sie neben den bibliographischen Angaben Zitate, Exzerpte, eigene Kommentare, den Standort (in einer bestimmten Bibliothek oder in Ihrem Privatarchiv) oder bestimmte Aktionen (wie Kopieren, Kaufen, Ausgeliehen an...) eintragen können. Einige Programme ermöglichen es zudem, PDFs, Bild-, Ton- und Videodateien – und damit den Text/die Quelle selbst – direkt zu integrieren oder zu verknüpfen. Direktimport von bibliographischen Daten. Zum Standard gehört inzwischen bei den meisten Programmen die Möglichkeit, aus Online-Katalogen (z.B. der KOBV-Verbund-Katalog der wissenschaftlichen Bibliotheken in Berlin und Brandenburg), Datenbanken (wie WorldCat oder ArticlesFirst), und Websites (englischsprachiger) Verlage im Anschluss an die LiteraturRecherche, die gefundenen Daten direkt in das eigene Literaturverwaltungsprogramm herunterzuladen. An der einen oder anderen Stelle müssen Datensätze noch ergänzt werden, aber vom Prinzip her erspart man sich mit dieser Funktion den mühsamen Arbeitsschritt, bibliographische Daten nach dem Copy-Paste-System oder gar per Hand zu übertragen. Textverknüpfung. Sie sollten sicher gehen, dass das Programm, das Sie sich zulegen, über eine solide Textverknüpfung zur Datenbank verfügt. Das heisst, dass Sie beim Verfassen eines Textes die entsprechenden Literaturangaben direkt mit ein, zwei Mausklicken aus der Datenbank in Ihre Fußnoten einfügen können, und dass diese Abgaben nach einem bestimmten Muster oder "Citation Style" (z.B. MLA-Style, Chicago Style) formatiert werden. Ans Ende des Dokuments hängt Ihnen das Programm eine alphabetisch sortierte, perfekt formatierte Liste aller im Text aufgeführten Literaturhinweise an.
Literaturverwaltungsprogramme wie EndNote oder RefWorks gehören an englischsprachigen Hochschulen seit langem zum Standard, Studierende lernen dort bereits im College damit umzugehen. Deutschland hinkt diesbezüglich beträchtlich hinterher, in den Geisteswissenschaften noch weitaus stärker als in den Lebenswissenschaften, wo professionelle Literaturverwaltungsprogramme durch die intensiven internationalen Forschungskooperationen mit englischsprachigen Einrichtungen bereits weit verbreitet sind. Auf Dauer werden sich auch die Technikskeptiker dieser Entwicklung nicht entziehen können. Schon heute bestehen zahlreiche englischsprachige Verlage und Fachzeitschriften darauf, dass einzureichende Manuskripte mit einem Literaturverwaltungsprogramm erstellt werden, und es ist lediglich eine Frage der Zeit, bis auch hierzulande die Erkenntnis ankommt, welch enorme Arbeitserleichterung dieses Verfahren letztlich sowohl für AutorInnen als auch für Verlage und Redaktionen bedeutet.
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Tipps für Promovierende Entscheiden Sie sich vor dem Einstieg in die heiße Forschungsphase für ein Programm. Nehmen Sie sich Zeit, das Für und Wider der unterschiedlichen Programme abzuwägen. Tun Sie sich mit Kommilitoninnen zusammen, so dass Sie eine eigene kleine Supportgruppe haben, wenn Fragen oder Probleme bei der Nutzung auftauchen. Kriterien, die bei der Wahl eines Literaturverwaltungsprogramms zu beachten sind - Verfügt das Programm über alle drei Funktionen: Ablage/Sammeln – Import bibliographischer Daten – Textverknüpfung? - Nutzerfreundlichkeit /Support? - Kosten? - Unterstützt das Programm nicht-lateinische Schriftsätze (Kyrillisch, Hebräisch etc.) und diakritische Zeichen (z.B. aus dem Polnischen, Litauischen etc.)? - Lassen sich PDFs, Bild-, Sound- und Videodateien in die Datenbank integrieren oder mit ihr verknüpfen? - Ist das Programm Mac kompatibel? Ist es Open Office kompatibel? - Lassen sich Daten aus anderen Programmen transferieren? (Das behaupten alle Anbieter, in der Praxis scheitert man als Durchschnittsuser allerdings meist an den technischen Hürden). Tipps für Graduiertenschulen Stellen Sie in Absprache mit Ihrem Rechenzentrum und/oder der Universitätsbibliothek günstige, am besten jedoch kostenlose Lizenzen der bewährten Literaturverwaltungsprogramme zur Verfügung. Sorgen Sie dafür, dass regelmäßig gute Einführungsschulungen stattfinden. Häufig scheitert der Einsatz eines bestimmten Literaturverwaltungsprogramms daran, dass die Einführungsschulungen an den Bedürfnissen der NutzerInnen vorbeigehen. Die meisten WissenschaftlerInnen wollen nicht en detail wissen, wie ein Literaturprogramm funktioniert, sondern wie sie es für sich nutzen können – möglichst unkompliziert und mit wenig Aufwand. InformatikerInnen und BibliothekarInnen, die diese Einführungveranstaltung i.d.R durchführen, erklären jedoch die Programme häufig von der technisch-strukturellen Seite her und nicht von der der praktischen Anwendungsmöglichkeiten.
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Greifen Sie daher zumindest zusätzlich auf das Know-how von WissenschaftlerInnen zurück, die bereits seit längerem mit den entsprechenden Programmen arbeiten und diese aus der Anwenderperspektive erklären können. Erfahrungsgemäß sind diese eher unter NachwuchswissenschaftlerInnen als in der Professorenschaft zu finden, weil erstere technischen Neuerungen gegenüber im Allgemeinen offener sind und zudem mehr Zeit (und in Ermangelung von Hiwis und Sekretärinnen auch einen höheren Bedarf) haben, sich ein Programm wirklich anzueignen.
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Eine Landkarte für die Doktorarbeit - das individuelle Ordnungssystem
Vom ersten Forschungsaufenthalt in New York brachte ich stapelweise Archivmaterial, Feldforschungsnotizen und Textkopien mit. Ich freute mich auf die Auswertung der tollen Funde, doch während ich mich gerade wieder in den Berliner Alltag eingewöhnte, fanden in den USA die Terroranschläge des 11. September statt. Tagelang hing ich vor dem Fernseher, unfähig mich mit meinem Projekt oder sonst irgendetwas zu beschäftigen. Währenddessen lagerten die Papierstapel weiter unbearbeitet in der Ecke, hin und wieder kippte einer um oder flatterte beim Lüften durcheinander. Mit der wachsenden Desintegration der Forschungsunterlagen begann ich mir ernsthafte Sorgen zu machen: Wie sollte ich da jemals etwas wiederfinden, geschweige denn, noch nachvollziehen, aus welcher Sammlung oder Bibliothek die einzelnen Materialien ursprünglich stammten? Ich hatte keine Ahnung, wo und wie anzufangen, da eine sinnvolle Ordnung reinzubringen. – Ein abgegriffenes Paperback, das mir an einem der letzten Tage in einem New Yorker Secondhand Bookstore in die Hände gefallen war, entpuppte sich schließlich als Rettung. Obwohl bereits vor einem Vierteljahrhundert verfasst und ganz auf das amerikanische Universitätssystem ausgerichtet, wurde David Sternbergs Ratgeber How to Complete and Survive a Doctoral Dissertation für mich so etwas wie meine Dissertationsbibel, nicht zuletzt wegen des dritten Kapitels mit dem Titel "Building a Dissertation File: Philosophy and Construction Code" (Sternberg 1981: 57-71). Dort heißt es: A dissertation candidate must have a file, and it has to be seriously constructed by the time a topic is decided upon, prior to undertaking [...] the dissertation itself. […] I like to conceive of it as a 'vehicle' which the candidate builds and then 'rides along' to the end of the dissertation. In my own [projects] I have discovered that the vehicle metaphor is much more than that: as my file grows, it eventually becomes the particular project. (ebd., 57f, Hervorh.i.O.).
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Sternberg gab damals den Anstoß dazu, mich ernsthaft mit der Schaffung einer sinnvollen Ordnungsstruktur und einem effektiven Ablagesystem für mein Projekt zu beschäftigen. Die deutschen Begriffe "Ablagesystem" und "Ordnungsstruktur" klingen allerdings nicht nur extrem unsexy, sie verschleiern auch eine wesentliche Eigenschaft, die im englischen Begriff "Filing System", anklingt. Es sollte sich hierbei nämlich nicht um eine statische Struktur, um einen vorgefertigten Aktenplan handeln, nach dem Papiere abgelegt werden und damit "aus den Augen, aus dem Sinn" geraten, sondern um ein dynamisches System, eine Aktivität, um einen fortlaufenden Prozess. Natürlich geht es dabei auch um ein handhabbares Archiv, darum, alle Materialien, die etwas mit dem Forschungsprojekt zu tun haben, strukturiert und eindeutig einzusortieren und dadurch später ohne Weiteres wiederzufinden zu können. Ein Forschungsarchiv sollte dabei grundsätzlich drei Bereiche umfassen: 1. 2. 3.
Administratives (Kontakte, Formalia, Zeitpläne u.ä.); die Forschungsmaterialien (Ideen, Projektskizzen, Primär- und Sekundärquellen, Exzerpte, Notizen usw; alles, was mit dem Schreiben und dem Manuskript zu tun hat (z.B. Style sheets und Transkriptionsregeln, Textbausteine und später die verschiedenen Versionen der einzelnen Kapitel).
Gerade was das Herzstück des Archivs, die Organisation der Forschungsmaterialien anbelangt, geht es dabei aber nicht darum, das eigene Projekt in ein Standardsystem, eine vorgebende Struktur einzupassen, sondern vielmehr darum, ein eigenes, individuelles System zu entwickeln, das die innere Logik oder Gestalt des Projekts widerspiegelt und sich mit dem Thema der Arbeit weiterentwickelt, wächst und flexibel bleibt. Es geht darum, die Struktur dem Projekt anzupassen, und nicht darum, sich sklavisch an strukturelle Vorgaben von außen zu halten. Die grundsätzliche Orientierung in Form der alphabetischen und chronologischen Absicherung kann man dabei getrost dem Literaturverwaltungssystem überlassen, mit dem sich auch Primärquellen – einschließlich ihrer jeweiligen Provenienz und Standortangaben – erfassen und rückverfolgen lassen; Querverweise helfen dabei, einzelne Quellen bei Bedarf auch mehreren Themenbereichen und Teilabschnitten der Arbeit zuzuordnen. Langfristig gesehen geht es darum, aus dem Exposé heraus eine stimmige Gliederung oder Struktur des Projekts zu entwickeln, um dann in der Schreibphase mit einem Griff die Ordner mit genau den Unterlagen herausziehen können, die für das anstehende Kapitel gebraucht werden.
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Die Entwicklung einer stimmigen, individuellen Systematik ist ein wichtiger konzeptioneller Arbeitsschritt und verlangt kreative Offenheit und intellektuelle Investition. Sie ist als Landkarte des wissenschaftlichen Terrains zu verstehen, das bearbeitet werden soll, und steht daher in enger Verbindung zu Fragestellung und Forschungsdesign. Exposé und erste Gliederungsentwürfe sind gute Ausgangspunkte, es lohnt sich hier jedoch, den Fokus zu öffnen, um noch einmal grundsätzlich zu überlegen, welche Themengebiete und Aspekte bei dem Projekt eine Rolle spielen könnten. Für die Ideenfindung, die thematische Ausdifferenzierung und Strukturierung können eine ganze Reihe von Kreativitäts- und Visualisierungsmethoden genutzt werden, z.B. Brainstorming, Clustern oder Mindmaps. Ich habe mich damals an einem 5-Punkte-Plan orientiert, den der Ratgeber File... Don't Pile! For People Who Write empfiehlt (Dorff et al. 1994: 8-29). Dieser pragmatische, von einer Bibliothekarin und zwei Sachbuchautorinnen ersonnene Ansatz sieht zunächst vor, alle Themen und Teilaspekte, die zu einem Projekt gehören, zu sammeln, danach Themengruppen einzurichten und Kategorien zu bilden und dafür kurze, prägnante Titel zu finden, um all dies abschließend dann in eine stimmige Reihenfolge zu bringen. Erst nach dieser Planungsund Konzeptionsphase geht es daran, die Papierberge selbst zu bewegen, sie zusammenzutragen, die einzelnen Materialien zu evaluieren und schließlich in einem Ordner abzulegen. War es mir ursprünglich nur darum gegangen, die Kontrolle über mein Forschungsunterlagen wieder zu erlangen, so hatte ich am Ende dieses mehrwöchigen Prozesses nicht nur ein aufgeräumtes Arbeitszimmer und ein gut sortiertes Archiv, sondern hielt zu meiner großen Überraschung mit dem Aktenplan zugleich auch den ersten Gliederungsentwurf für meine Dissertation in den Händen. Diese damals entwickelte Struktur wurde tatsächlich zum roten Faden, die auf der einen Seite immer wieder dafür sorgte, dass ich mich nicht mit irgendwelchen Nebenschauplätzen verzettelte, und mich zum anderen erkennen ließ, wo noch wesentliche Lücken bestanden und an welchen Baustellen besonders dringend weitergearbeitet werden musste. An der Grundstruktur des Projekts hat sich bis zur Fertigstellung des Manuskripts nicht mehr viel geändert, außer dass ich einige der ursprünglich geplanten Unterthemen für spätere Artikel oder die Buchversion herausnahm oder ganz strich, um die Dissertation auf einen machbaren Umfang einzugrenzen.
Tipps für Promovierende Übertragen Sie die Ordnungsstruktur für das Archiv auch auf die Ordner im Computer sowie gegebenenfalls auch auf Ihre Internet-Favoriten und Ord-
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Anna Lipphardt ner des Email-Accounts, um eine inhaltlich-strukturelle Korrespondenz zwischen den unterschiedlichen Arbeitsebenen herzustellen. Wenn sich an der Systematik mit Fortschreiten des Projekts Änderungen ergeben, sollte auf diesen Ebenen ebenfalls nachjustiert werden. Sinn und Zweck eines Ablagesystems sollte es nie sein, das System zu perfektionieren oder mehr Zeit mit der Systemerfüllung zu verbringen als mit der eigentlichen Forschungsarbeit, verstehen Sie dieses vielmehr als Annäherung an die Grundidee und -struktur Ihres Projekts. Veranschaulichen Sie die Strukturierung Ihres Forschungsprojekts und lassen Sie die Skizzen eine Weile auf sich wirken, bevor Sie sich entscheiden. Auch mit Software wie Mindjet oder Touchgraph lassen sich diese Entwürfe gut visualisieren und weiterentwickeln. Es werden genug Arbeitsblokaden auftauchen, in denen es mit dem Lesen, Denken und Schreiben nicht vorangeht. Nutzen Sie diese Phasen, um Ihre Systematik weiterzuentwickeln und Ihr Archiv zu pflegen. Überlegen Sie, für Ihr Archiv von Aktenordnern auf Hängeregister umzusteigen. Diese Variante hat nicht nur den Vorteil, dass sie sich flexibler erweitern und verändern lässt, sondern auch, dass sie weniger Platz einnimmt. Günstige Hängeregisterschränke finden Sie z.B. bei ebay, kiji, oder Geschäfts- und Praxisauflösungen.
Tipps für Graduiertenschulen Bieten Sie vor allem in der Anfangsphase Workshops an, in denen sich die Promovierenden mit der Strukturierung ihrer Projekte beschäftigen. Sinnvoll ist es, dies mit der Ausdifferenzierung der Fragestellung und der Projektkonzeption zu kombinieren. Stellen Sie Software zur Visualisierung von Themen und Strukturen zur Verfügung und bieten Sie entsprechende Schulungen an, in denen die Promovierenden diese Programme an ihren eigenen Projekten erproben können.
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Ausblick
Auch heute noch ähnelt mein Büro über längere Phasen einem Erd- (oder viel besser Papier-) bebengebiet. Im Unterschied zu früher habe ich heute allerdings keine Angst mehr, darin unterzugehen. Zum einen helfen bei allem oberflächli-
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chen Durcheinander mein Literaturverwaltungssystem und mein Ordnungssystem bei der Orientierung und dabei, weder die Einzelbaustellen noch den roten Faden und das große Ganze aus den Augen zu verlieren. Zum anderen akzeptiere ich inzwischen, dass ein gewisses Maß an Chaos zu mir und meinem Arbeitsstil gehört, und dass ich dies tatsächlich auch brauche, um überhaupt kreativ und konzeptionell arbeiten zu können. Allen, die noch auf der Suche nach einem positiven Zugang zu ihrem persönlichen Chaos-Faktor sind, sei wärmstens das Buch The Perfect Mess: The Hidden Benefits of Disorder. How crammed closets, cluttered offices and off-the-cuff-planning make the world a better place von Eric Abrahamson und David Friedman empfohlen (Abrahamson & Friedman 2007; Abrahamson & Friedman 2009). Abrahmson, der Management an der Columbia Business School unterrichtet, und Freedman, der sich als Journalist mit Wirtschafts- und Technologiethemen beschäftigt, räumen darin mit der Vorstellung auf, dass ausgefeilte Ordnungssysteme und aufgeräumte Schreibtische zwingend notwendige Voraussetzungen für das erfolgreiche Projektmanagement sind. "If a cluttered desk is a sign of a cluttered mind," zitieren sie einleitend Albert Einstein, – "of what, then, is an empty desk?" Ihr Plädoyer für das produktive Chaos fundieren die beiden Autoren auf zahlreichen wirtschaftswissenschaftlichen und organisationspsychologischen Untersuchungen, die gerade für WissenschaftlerInnen viele beruhigende Erkenntnisse bieten. So z.B., dass der Chaos-Faktor mit Bildungsgrad, Einkommen und Erfahrung nicht etwa ab-, sondern im Gegenteil deutlich zu nimmt (Abrahamson & Friedman 2007: 33).
Literatur Abrahamson E. & Friedman, D. (2007). The Perfect Mess: The Hidden Benefits of Disorder. How Crammed Closets, Cluttered Offices and Off-The-Cuff-Planning Make the World a Better Place, London: Phoenix. Abrahamson E. & Friedman, D. (2009). Das perfekte Chaos. Warum unordentliche Menschen glücklicher und effizienter sind, Berlin: Econ. Dorff P. u.a. (1994). File… Don’t Pile! For People Who Write. Handling the Paper Flow in the Workspace or Home Office, New York: St. Martin's. Sternberg, D. (1981). How to Complete and Survive a Doctoral Dissertation, New York: St. Martin's Griffin. Murakami, H. (2009). Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede, Köln: DuMont.
Selbstpräsentation und Stressmanagement in der Promotionsphase Julia Košinár
Abstract Dieser Beitrag beschäftigt sich mit den Belastungen, denen Promovierende ausgesetzt sind. Es werden theoretische Konzepte zu Stress eingeführt. Am Beispiel praktischer Übungen aus Trainings mit Promovierenden werden Strategien vorgestellt, wie mental und körperbasiert mit diesen Belastungen umgegangen werden kann.
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Einleitung
Die Promotionsphase ist eine besondere Zeit: sie ist auf eine besondere Art intensiv und anstrengend und teilweise ganz besonders einsam. Sie gestaltet sich unter den jeweiligen Umständen sehr unterschiedlich. Die einen promovieren sich im Rahmen einer Stelle als wissenschaftliche/r Mitarbeiter/in, andere mit der finanziellen und ideellen Förderung durch ein Stipendium und wieder andere nebenberuflich. Jeder Kontext bringt seine Probleme mit, die sich beziehen auf die Einbindung in die wissenschaftliche Community, (fehlende) Förderungen verschiedenster Art durch die Betreuerin bzw. den Betreuer und die Schwierigkeit neben beruflichen oder privaten Anforderungen ausreichend Zeit und Konzentration für die eigene Arbeit zu finden. Die Promotionszeit ist in hohem Maße von der Bemühung geprägt, konzentriert, diszipliniert und mit Hilfe der besten arbeitsorganisatorischen und interpersonellen Möglichkeiten das Vorhaben zu bewältigen. Diese Bemühungen bringen vielfach Belastungs- und Überforderungsgefühle mit sich. Zudem stehen die Promovierenden unter dem Druck, Situationen wie die Folgenden aushalten zu müssen: sich mit den eigenen Ideen nach außen öffnen, zuweilen das Gefühl der Stagnation aushalten, andere um Hilfe bitten, an die eigene Forschung glauben, Kritik entgegennehmen etc. Dafür ist mentale Stärke und Stabilität nötig. Nicht wenige machen z.B. die Erfahrung, von erfahrenen Kolleg/innen empfindlich kritisiert oder sogar angegriffen zu werden. Im Promotionsprozess, der bei den meisten mindestens drei Jahre lang dauert, gilt es
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demnach Strategien und Möglichkeiten zu entwickeln, um diese von Unsicherheiten begleitete Lebensphase gesund und mit andauernder Motivation zu überstehen. Ein wesentlicher Schritt dorthin ist die Reflexion eigener kognitiver und emotionaler Tendenzen, um den Bedarf an Veränderung zu klären und die eigenen Stärken zu erkennen. Ein entsprechender Reflexionsparcours wird im zweiten Teil meines Beitrages vorgestellt. In Trainingsform war er Bestandteil des Viadrina-Programms „Wissenschaftskompetenz durch Diversität“. Es ist schon angeklungen, dass es bei der Promotion neben der inneren Stabilität ebenso wichtig ist, nach außen Sicherheit zu empfinden und in Arbeitsgruppen, (Methoden-)Workshops oder auf Tagungen die eigenen Arbeitsschritte und später Ergebnisse selbstsicher präsentieren zu können. Unterstützung sollen Promovierende dafür in Präsentationsworkshops bekommen, in denen gängige rhetorische Stilmittel und Präsentationstechniken vermittelt werden. Darauf wurde im o.g. Training verzichtet und statt dessen eine Anleitung zu körperbasierter Selbstregulation (Košinár 2007) gegeben, die Promovierende authentischer und selbstsicherer sein lässt und eine gute Interaktion mit den Zuhörer/innen ermöglicht. Diese Methode wird in ihrer theoretischen und praktischen Anwendung im dritten Teil dieses Beitrags vorgestellt. Im Folgenden wird also erklärt, wie sich Stresserleben und Belastungen auswirken können und mit welchen mentalen und körperbasierten Strategien sich in der Promotionsphase gegensteuern lässt. Neben den theoretischen Ausführungen gebe ich – gekennzeichnet durch Kästen - anhand verschiedener Übungen und Konzepte Möglichkeiten zur Selbsteinschätzung. Zielgruppe dieser Anleitungen sind Leser/innen, die sich in der Promotionsphase befinden. Die Übungen geben so einen Einblick in Trainings, die ich mit Promovierenden durchführe.
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Individuelles Stresserleben und Umgang mit Anforderungen
Zur Einführung sollen zunächst Stresserleben und der Umgang mit Anforderungen thematisiert werden. In der Stresstheorie gibt es zwei Konzepte, die helfen, das Phänomen Stress und seine individuellen Erscheinungsformen besser zu verstehen. Eu-Stress und Dis-Stress In den 1930er Jahren hat der Naturwissenschaftler Hans Selye zum ersten Mal den Begriff Stress auf den Menschen angewandt. Stress sei eine „unspezifische Reaktion des Körpers auf jegliche Anforderung, die an ihn gestellt wird“ (Selye 1974: 57f.). Stress bezeichnet demnach eine körperliche Anpassungsreaktion auf
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unterschiedlichste Störfaktoren (Lärm, Hitze, Zeitmangel, Anfeindungen), die als „Stressoren“ bezeichnet werden. Die Hauptsymptome sind Schweißausbruch, Zittern, Erröten, Herzrasen und Hormonausschüttungen, die uns in einen „Fight oder Flight“-Zustand bringen. Wir reagieren in Höchststresssituationen also mit den gleichen Symptomen wie unsere Vorfahren, die Stress als Lebensbedrohung (Angriff durch wilde Tiere, Notwendigkeit der Nahrungssuche durch Jagd, etc.) kannten und stark körperlich in Stresssituationen reagierten. Durch diese Reaktionen kam es zu einer Entladung der Anspannung. Die Gefahr war gebannt, es kehrte Ruhe ein, auch im Körper. Diese Art des Stresserlebens nennt Selye (1974: 18ff.) „Eu-Stress“ – eine harmonische Stressempfindung, die uns zu Höchstleistungen anspornt und Kraft freisetzt. Es ist logisch, dass unser Körper in dieser Situation die Verdauungsfunktionen und den Stoffwechsel reduziert. Wir sind ganz auf die Herausforderung konzentriert und nach der Anspannung folgt die befriedigte Entspannung. In der Literatur werden gerne (Bühnen-)Auftritte als Beispiel für Situationen mit einer solchen Verlaufskurve genannt, die man durchaus mit Präsentationen bei Tagungen und in Arbeitsgruppen oder auch mit Prüfungen gleichsetzen kann. Heutzutage überwiegen jedoch Situationen, die eher in den Dis-StressBereich fallen. Als negativen Stress bezeichnet Selye Anforderungssituationen, denen die Entspannungskurve fehlt. Das kann einerseits sein, weil nach einer erledigten Aufgabe sofort die nächste oder mehrere gleichzeitig anstehen. Ein anderer Grund liegt darin, dass man sich mental nicht mehr entspannen kann und die vor einem liegenden Aufgaben Menschen bereits angespannt sein lassen (vgl. Kretschmann 2008: 22). In der Promotionsphase befinden sich Promovierende in einer Bewertungssituation, in der ihre Leistungen von den Betreuer/innen und Fachkolleg/innen beurteilt werden. Da die Promotion häufig mit eigenen Interessenbereichen, zumindest aber eigenem langwierigen Bemühen verbunden ist, macht jede Fremdeinschätzung angreifbar und angespannt. Nicht selten gibt es Meinungsverschiedenheiten und Interessenkonflikte, die in die Bewertung hineinspielen. Für viele sind zudem diese drei und mehr Jahre wenig greifbar, das bedeutet, dass vieles schwer einschätzbar und unkontrollierbar erscheint (s.u. Salutogenese) und die Anspannung auch wirklich erst nach der Disputation bzw. dem Rigorosum nachlassen kann. Insgesamt besteht also in der Promotionszeit die Gefahr von deutlich zu viel Dis-Stress. Dis-Stress bringt den Körper in einen dauernden Alarmzustand. Schlaf- und Verdauungsprobleme, Appetitlosigkeit oder Herz-Kreislaufstörungen können die Folge sein. Eng an die Dis-Stress-Theorie knüpft die Burnout-Theorie (Schaarschmidt & Kieschke 2007: 32f.) an. Wird der Belastungszustand chronisch, kommen selbst in Entspannungsphasen Erschöpfungszustände bis hin zu
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Depressionen mit Mutlosigkeitsgefühlen auf. Ist dieser Zustand ersichtlich, muss professionelle Hilfe geholt werden. Je sensibler man die eigene Verfassung wahrnimmt, umso schneller können Burnout-Tendenzen erkannt und gebannt werden. Die im Folgenden gezeigten Übungen können dann evtl. schon ausreichend sein, um die verbleibende Promotionszeit neu anzugehen und wieder ausreichende Entspannungsmomente zu erreichen. Malreflexion: Wie zeigt sich mein Stress körperlich? Für diese Übung nehmt ihr ein möglichst großes Blatt Papier und skizziert euch als Ganzkörperfigur so detailliert, wie ihr könnt (zur Not reicht ein Strichmännchen bzw. -frauchen). Dann denkt darüber nach, wie sich Stress bei euch auswirkt, wo er im Körper erscheint und wie sich das anfühlt. Findet Symbole, Zeichen oder andere Markierungsformen um eure Empfindungen abzubilden. Ihr könnt darüber nachdenken, ob bestimmte Stressoren bestimmte Erscheinungsformen mit sich bringen. Wenn ihr diese Übung mit mehreren Personen macht, werdet ihr vielleicht interessante Übereinstimmungen feststellen.
Das transaktionale Stressmodell In den 1960er Jahren wurde mit der kognitiven Wende der Ansatz Selyes, dass die Reaktionen auf Stress ebenso wie die Ursachen dafür unspezifisch seien, kritisiert. Zu wenig berücksichtigte sein Ansatz die Unterschiede zwischen den Menschen in Bezug auf ihre Belastungsempfindung. Das im Folgenden vorgestellte Konzept von Lazarus (vgl. Kretschmann 2008: 22f.) gilt bis heute als gutes Erklärungsmuster dafür, warum verschiedene Menschen Stressoren unterschiedlich wahrnehmen und darauf unterschiedlich reagieren. Für verschiedene Berufsgruppen wurde dieses Konzept spezifiziert, aber seine ursprüngliche Form kann gut auf die Promotionssituation angewendet werden. Die Bewertungshypothese (Lazarus & Launier 1981: 233ff.) läuft in drei Schritten ab. Die Erstbewertung ist die Einschätzung der Bedrohlichkeit einer Situation. Die betroffene Person wägt ab, ob die Situation irrelevant ist, günstig oder belastend. Solange die Situation keine negative Auswirkung auf das Wohlbefinden hat, wird sie nicht als stressend eingeordnet. Ist sie aber belastend, also stressre-
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levant, findet weiterhin eine Klassifizierung statt (Herausforderung, Bedrohung oder Schädigung/Verlust). Eine Herausforderung ist eine den Organismus eher beflügelnde Empfindung. In Bezug auf die Promotionszeit kann Bedrohung in Form von überhöhten Leistungsanforderungen auftreten, Schädigung/Verlust z.B. in Form negativer Bewertungen. Beide Arten sind zunächst einmal belastend. In der zweiten Bewertung prüft die Person ihre vorhandenen Ressourcen. Sie überprüft ihre Bewältigungsfähigkeiten und -möglichkeiten (Lazarus & Launier 1981: 238). Aus den ihr zur Verfügung stehenden Strategien werden nun solche ausgewählt, die zur Bewältigung, Abminderung oder Überwindung dienlich erscheinen. Ist ein ausreichendes Bewältigungsrepertoire vorhanden, kann die Situation erfolgreich bewältigt werden. Ist dies nicht der Fall entsteht Stress. Hierin liegt die Individualität im Umgang mit Stressoren: Person A findet die Situation irrelevant („Soll der Prof. mein Kapitel doch schlecht finden, ich bin zufrieden“), Person B leidet unter der Kritik des Betreuers, tröstet sich aber mit einer guten Besprechung durch den Zweitgutachter oder ruft eine gute Freundin an, die sie aufbaut, Person C ist völlig entmutigt und kann erst einmal nicht weiterarbeiten. In der Nachbewertung findet die Überprüfung der Situation nach oder schon während des Einsatzes der Strategien statt. Es wird ausgelotet, welcher Bedarf an Strategien für weitere ähnliche Anforderungen besteht bzw. was bereits gut bewältigt wurde. Das Transaktionale Stressmodell betont die Bedeutung des Geistes für die Einschätzung und Bewältigung von Anforderungen. Heutzutage kann der Ansatz jedoch nicht mehr ohne Verbindung mit dem Körper stehen gelassen werden, d.h. die Bedeutung des Körpers für das eigene emotionale Empfinden, die innere und äußere Haltung zu den Situationen, etc. müssen in die Betrachtung einbezogen werden. Hier wird also ein ganzheitliches Verständnis von Wechselwirkungen zwischen Körper und Seele, dem Individuum und der Umgebung zugrunde gelegt. Für die Darlegung der Bedeutung dieser Bereiche im Umgang mit Stress und für die Prävention von Stress werden sie jedoch einzeln vorgestellt: Zunächst werden die mentalen und anschließend die körperbasierten Möglichkeiten behandelt. Mentale Selbststärkung Bei der Beschäftigung mit mentalen Strategien zur Selbststärkung ist es wichtig zu beachten, dass es sich nicht um psychotherapeutische Maßnahmen handelt, sondern um die Reflexion zumeist unbewusster Muster, mit denen wir die Dinge betrachten und verstehen. Der folgende Gedankenparcours behandelt 5 Bereiche,
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die aus eigener Anschauung, dem Austausch mit in der Erwachsenenbildung tätigen Kolleg/innen und aus der Stressliteratur (u.a. Kretschmann 2008, Keller 2002) als relevant hervorgehen. Die Zusammenstellung wurde von mir vorgenommen, Ähnlichkeiten mit anderen Übungen sind aber durchaus vorstellbar. Mir war es jedoch wichtig, ein Schema zu entwickeln, das unser (berufliches) Selbstbild, unsere Vorstellungen von den Dingen und die Zusammenhänge zwischen uns und der Umgebung abbildet und zur Reflexion und Veränderung auffordert. Im Anschluss an den Parcours werden zwei in diesem Kontext relevante Konzepte vorgestellt. Diese können aus theoretischer Perspektive helfen, die eigenen kognitiven Muster und deren Bedeutung für unser Handeln zu verstehen.
Gedankenparcours A: Selbstmotivation entwickeln „Wenn das Leben keine Vision hat, nach der man sich sehnt, die man verwirklichen möchte, dann gibt es auch kein Motiv, sich anzustrengen“ (Erich Fromm)
Das Wort Vision löst bei einigen vielleicht das Gefühl aus, dass es sich um Utopien handelt, die man am besten schnellstens wieder begräbt. Visionen sind jedoch große Ziele, verbunden mit Hindernissen, sie sind große Herausforderungen im individuell unterschiedlichen Ausmaß. Für den einen ist der Abschluss der Promotion die große Vision, für eine andere sind es Veränderungen in der Gesellschaft (z.B. durch die Gründung einer Institution oder Mitarbeit in einem Entwicklungsland). Es gibt keinen objektiv messbaren Wert. Auch in welchem Zeitraum die Realisierung stattfinden soll, ist erst einmal sekundär. Wichtig jedoch ist, dass eine Vision zugelassen und verbalisiert wird. Im zweiten Schritt ist es wichtig, realistische und notwendige Einheiten zu formulieren, die das Ganze greifbarer machen. Die folgende Schreibübung soll diesen Vorgang verdeutlichen.
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Schreibübung: Visionen
Schreibt euch als erstes eure persönliche Vision oder ein sehr großes Ziel auf. Bildet Einheiten: Schreibt kleine Schritte zur Verwirklichung der Vision auf und verseht diese mit so konkreten Zeiteinheiten wie möglich. Setzt euch Punkte (Zwischenstationen), an denen ihr euch belohnt. Beispiel: Vision: Promotion schnellstmöglich abzuschließen. Zwischenschritte: noch zwei Theoriekapitel überarbeiten, Auswertung der Daten beenden, Korrekturleser finden, Termine für Disputation ausmachen. Belohnungseinheiten können je nach persönlichem Schwierigkeitsempfinden variieren: nach der Beendigung jedes Kapitels, nach einer erfolgreichen Woche, in der man früh aufgestanden ist, nach einem gelungenen Arbeitstreffen etc. (z. B. ins Kino gehen, Essen gehen, eine Tag nur Schönes machen).
Gedankenparcours B: Hindernisse und Widerstände durchschauen „Jeder Mensch hat pro Tag 60.000 Gedanken. 80% sind immer wiederkehrende Denkmuster.“ (Gustav Keller).
In der Psychologie spricht man von Antreibern, inneren Stimmen, die unser Denken und Handeln bestimmen. Da wir sie, durch Bezugspersonen beeinflusst, von Kind auf in unsere Wahrnehmung und unser Selbstbild integriert haben, sind sie uns selten bewusst. Antreiber sind Selbst-Suggestionen, die uns oftmals unter Druck setzen und stressen. Beispiele für problematische Antreiber: Ich darf keine Fehler machen Es ist wichtig, dass alle mich mögen Ich muss besser sein als die anderen Ich bin nur wertvoll, wenn ich tüchtig bin Ich werde vom Pech verfolgt Ich darf nicht kritisiert werden
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Ich muss die Zähne zusammenbeißen Was mich nicht umbringt, macht mich nur stärker .....etc. Eine wichtige Aufgabe ist es den/die eigenen Antreiber zu erkennen und anschließend eine oder mehrere positive Umschreibungen vorzunehmen (z.B. „Es ist nicht schlimm Fehler zu machen“, „Aus Fehlern kann ich mich entwickeln“; „Ich bin so, wie ich bin, wertvoll“, etc.). Entlarven Promovierende ihre problematischen Antreiber nicht, so wundern sie sich vielleicht, warum sie keinen Erfolg haben, ihnen alles so schwer fällt, andere immer mehr Glück zu haben scheinen, etc. Wer solche Denkmuster wiedererkennt, kann in der nächsten Schreibübung die eigenen Antreiber enttarnen und zur positiven, motivierenden Kraft transformieren. Schreibübung: Antreiber transformieren Überlegt euch von welchen Antreibern ihr manchmal beherrscht werdet und schreibt euch diese auf. Formuliert die Aussagen so um, dass es für euch positiv und motivierend wirkt. Schreibt euch die angenehmsten Formulierungen auf Zettel und platziert diese dort, wo ihr euch häufig damit konfrontiert seht. Überprüft nach einer Weile, ob sich eure Gedankenmuster auch in stressigen Situationen in die Richtung eurer Umformulierung entwickelt haben.
Teilnehmer/innen aus meinen Stresspräventionsseminaren haben berichtet, dass sie sich in Krisenzeiten ihre Aufzeichnungen hervorgeholt und alle positiven Affirmationen mehrmals täglich durchgelesen haben. Was vielleicht wie ein albernes Psychospiel klingt, ist weniger banal, wenn man bedenkt, dass diese Antreiber unsere (innere und äußere) Haltung zu den uns begegnenden Situationen beeinflussen und im Sinne einer self-fulfilling prophecy wirken können.
Gedankenparcours C: Optimismus entwickeln „Das Glas ist nicht halbleer, es ist halbvoll!“ (gängige Weisheit)
In unserer Kultur wird es als überheblich betrachtet, sich selbst zu loben und die eigenen Vorzüge zu betonen. Daher haben viele Menschen, v.a. Frauen, die Ten-
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denz, sich sehr kritisch zu betrachten. Um ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln, sollten wir jedoch lernen, das eigene Potenzial zu entdecken und zu erweitern, uns aber auch Grenzen zu setzen („Nein“ sagen lernen) oder gesetzte Grenzen zuzulassen. Das bedeutet keine Stagnation oder Demotivation, sondern den realistischen Versuch, das in der Situation geeignete Maß an Herausforderungen einzuschätzen. Man sollte nicht mehrere stressbelegte Aspekte auf einmal versuchen zu bewältigen. Beispiele für Grenzsetzungen „Meine Promotion soll innovativ sein, aber ich muss nicht auf allen Ebenen zugleich das Rad neu erfinden => ich kann mich methodisch an anderen Forscher/innen / an früheren Thesen orientieren, etc. „Es liegt mir schriftlich zu formulieren, aber frei zu sprechen macht mich unsicher“ => Es ist völlig in Ordnung sich Vorformulierungen auf Karteikarten zu schreiben oder die ersten zwei Minuten des Vortrags auswendig zu lernen, etc. Je weniger wir uns an Idealbildern orientieren und lernen, uns selbst realistisch wahrzunehmen, umso schneller und effektiver können wir unsere Fähigkeiten erweitern. Das Konzept der Selbstwirksamkeitserwartung (s.u.) basiert letztlich darauf, dass wir uns zutrauen, Situationen zu meistern. Dafür sollten wir immer wieder reflektieren, wo wir stehen, was wir bereits bewältigt haben und welche Ressourcen und Strategien uns schon zur Verfügung stehen (s.o. Transaktionales Stressmodell). Die folgende Schreibübung soll das Augenmerk auf bisherige Erfolge und Qualitäten lenken. Dabei ist es wichtig, die eigene Veränderung zu realisieren und zu erkennen, was noch vor einigen Monaten Schwierigkeiten bereitet hat und wo sich Kompetenzen schon weiterentwickelt haben.
Schreibübung: Erinnerung an Erfolge Notiert euch mindestens 5 tolle eigene Eigenschaften oder Fähigkeiten. Schreibt euch mindestens zwei positive Erfahrungen in Stichworten auf. Veränderungen wahrnehmen: was habe ich im Vergleich zu früher abgelegt / verändert? Schreibt euch mindestens zwei Punkte auf.
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Gedankenparcours D: Perspektivenwechsel In schwierigen Situationen erscheinen Probleme manchmal wie ein unüberwindlicher Berg. Es ist schwer zu glauben, dass es gelingen wird, diesen zu überwinden. Das lähmt, nimmt alle Energie und verführt manchmal sogar zum Aufgeben. Es ist hilfreich, hier eine Art Vogelperspektive auf sich selbst in diesen Situationen einzunehmen oder die eigene Lage in Relation zu anderen zu setzen (eigenen früheren Situationen, andern Menschen etc.). So ein Perspektivenwechsel relativiert häufig die eigenen Schwierigkeiten und man bekommt wieder Mut. Beispiele für Perspektivenwechsel „Wie schlimm sind meine Probleme wirklich gemessen an der Situation von Menschen in der 3. Welt, kranken Menschen, Umweltproblemen etc.“ „Wann habe ich schon einmal in einer solchen problematischen Situation gesteckt und was habe ich aus dieser vermeintlich negativen Situation gelernt?“ (Ein paar Einfälle notieren) Hat nicht jede Schwierigkeit auch etwas Positives? Steckt nicht in jeder schmerzvollen Entwicklung auch eine Chance? (Eine Situation positiv für sich umformulieren). Im Buddhismus findet man unzählige Parabeln und Geschichten, die helfen einen Perspektivenwechsel auf die eigene Situation vorzunehmen. Die folgende Geschichte weist auf einen wichtigen Punkt hin, der in der Promotionsphase nicht zu unterschätzen ist: die Verbindung zu anderen und das Gefühl nicht alleine mit seinen Sorgen zu sein. Eine Geschichte von Siddharta Gautama Buddha: Eine Frau beklagte den Tod ihres Kindes und wurde mit dem Schmerz nicht fertig. In ihrer Verzweiflung ging sie zu Buddha und bat ihn um eine Medizin oder ein Mittel, das ihren Schmerz lindern würde. Der Buddha zeigte sich einverstanden, sagte zu der Frau aber, dass er zur Herstellung der Medizin Senfkörner aus dem Haushalt einer Familie bräuchte, die nicht den Verlust eines lieben Menschen zu betrauern hätte. Die Frau machte sich auf den Weg. Sie klopfte an jede Hütte an der sie vorbeikam, aber so lange sie auch umher ging: sie fand keinen einzigen Menschen, der nicht schon mal einen geliebten Menschen durch den Tod verloren hatte.
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Sie erfuhr die vielen Geschichten der anderen und merkte, dass sie nicht alleine mit ihrem Schmerz dastand. Das tröstete sie sehr und sie verstand, dass es sehr weise von Buddha war, ihr diese Aufgabe zu stellen. Gedankenparcours E: Entschlüsse und Ziele Entschlüsse haben eine Eigendynamik und Kraft. Je konkreter wir uns Ziele setzen und uns entschließen, Umstände oder Verhaltensweisen zu ändern, desto stärker sind wir motiviert. Das ist der Unterschied zwischen „ich nehme mir etwas vor“ und „ich entschließe mich“. Dabei ist zu beachten, dass die Ziele mit Sinnhaftigkeit gefüllt werden können (s.u. Kohärenzsinn). Das ermöglicht es, in der Anstrengung einen Nutzen zu sehen und Schwierigkeiten als überwindbar zu empfinden. Inmitten langwieriger Prozesse wie einer Promotion ist es wichtig, Entschlüsse in Bezug auf Dinge zu fassen, die das Leben angenehmer machen und zur Verwirklichung der Vision beitragen. Schreibübung: Entschlüsse Führt euch ein nahes Ziel vor Augen und formuliert dieses in einen positiven Satz. Es ist unterstützend, wenn man den Satz so formuliert, als sei das Gewünschte schon eingetreten. Beispiele: “Ich werde Kap. 2 bis zum 8. Februar mit Freude fertig geschrieben haben.“ „Ich werde im April die Daten erhoben haben und danach eine Woche Urlaub machen.“ „Mein Verhältnis zu meinem Betreuer wird sich nach dem nächsten Gespräch verbessert haben.“
Wie stark die Macht unserer Gedanken und Vorstellungen über unsere Fähigkeiten ist, wird im Konzept der Selbstwirksamkeitserwartung (Schwarzer & Jerusalem 2002) deutlich. Dieses und das Salutogenese-Konzept sollen kurz vorgestellt werden, da sich hierin die Bedeutung mentaler Strategien noch einmal verdeutlichen lässt.
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Selbstwirksamkeitserwartung Dieses Konzept basiert auf der sozial-kognitiven Theorie des kanadischen Psychologen Bandura (vgl. Göttke 2004: 31), die darin besteht, dass unser Verhalten von unseren Gedanken und Überzeugungen gesteuert wird. Selbstwirksamkeit bedeutet Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, schwierige Handlungen selbst in Gang bringen und auch bei auftretenden Widerständen erfolgreich zu Ende führen zu können. Die Handlungs-Ergebnis-Erwartung ist unmittelbar an die ausführende Person und deren motivationale, aktionale, emotionale und kognitive Prozesse gebunden. Inzwischen belegen zahlreiche Studien den Zusammenhang von Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und Lernen, Motivation, Leistung und Selbstregulationsfähigkeiten (Schwarzer & Jerusalem 2002: 36). Menschen mit hoher Selbstwirksamkeitserwartung empfinden ihre Anforderungen als Herausforderungen, was wiederum eine gute Voraussetzung für das körperliche und psychische Wohlbefinden und die Berufszufriedenheit darstellt. Die Bedeutung für die Stressbewältigung wurde insofern nachgewiesen, dass sich zwei Phasen ausmachen lassen, die für die Bewältigungsfähigkeit wesentlich sind: Die motivationale Phase umfasst die Entschlussfassung einer bestimmten Handlung und deren Realisierung. Hier spielen Kompetenzüberzeugungen eine wichtige Rolle: „Ich fühle mich in der Lage, diese Aufgabe zu lösen“ (ebd.). Anschließend folgt die Voliotionsphase, was bedeutet, dass bestimmte Vorhaben auch durch Hindernisse nicht aufgegeben werden, also z.B. durch Ablenkungen, ungeplante Schwierigkeiten oder Unlustgefühle. Bei Studien mit Lehrkräften (Schmitz & Schwarzer 2002: 195ff.) hat man herausgefunden, dass selbstwirksame Lehrer/innen sich durch eine höhere Anstrengungsbereitschaft und Ausdauer, höhere Leistungen und ein effektives Zeitmanagement auszeichnen. Sie sind sehr diszipliniert und zeigen größere Flexibilität bei Problemlösungen. Diese Eigenschaften sind auch für die Promotionsphase relevant und zeigen die Bedeutung der Selbstwirksamkeitserwartung für das Gelingen aufwändiger Aufgaben.
Salutogenese Das Konzept der Salutogenese wurde in den 1970er Jahren von Antonovsky, einem amerikanisch-israelischen Medizinsoziologen entwickelt (Bengel et al. 2001). Er setzte dem verbreiteten Verständnis von Krankheit (als Abwesenheit von Gesundheit) ein Gesundheits-Krankheits-Kontinuum entgegen und ging der Frage nach, warum manche Menschen unter bestimmten Umständen krank wer-
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den und andere nicht. Antonovskys Erkenntnisse sind im Zusammenhang mit Stressprävention und -bewältigung interessant. Zu den salutogenetischen Faktoren gehören einmal der soziale Rückhalt durch emotionale Netzwerke, ein intrinsisch verankerter Grundoptimismus, Selbstwirksamkeitserwartungen, sowie eine auf die Lebenssituation bezogene Kohärenzempfindung. Zentral am Konzept der Salutogenese ist der Kohärenzsinn (sence of coherence). Hierbei geht es um die Frage, ob die Person die Anforderung als verstehbar, handhabbar und sinnhaft empfinden kann. Diese drei Komponenten bilden die mentale Voraussetzung, sich Problemen stellen und diese gesund bewältigen zu können. Verstehbar meint, eine Situation oder Veränderung zu erkennen und zu verstehen, und diese handhaben zu können mit dem Gefühl, die Situation selbst beeinflussen zu können und geeignete Bewältigungsmöglichkeiten zu finden. Das Gefühl der Sinnhaftigkeit hilft Menschen, Veränderungen oder Krisen als Herausforderung zu betrachten, als Chance sich weiterzuentwickeln. Diese Fähigkeiten setzen beim Menschen Kraft und Motivation frei. Ich denke, dass die Darstellung der beiden Konzepte das Stresskonzept von Lazarus & Launier (s.o.) ergänzt, wobei auch hier wieder das kognitive Element im Vordergrund steht. Um den ganzheitlichen Ansatz von Selbststärkung und Stressmanagement zu verdeutlichen, soll im Folgenden die Rolle des Körpers in den Mittelpunkt gerückt werden. Die Phänomenologen weisen darauf hin, dass unser Körper immer anwesend ist und wir unser Körper sind. Wichtig bei der Beschäftigung mit Stressbewältigung ist es, einen Weg zu finden, wie wir in eine Homöostase, einen Einklang von Kopf und Körper, gelangen können.
Körperbasierte Selbstregulation und Selbstpräsentation Die körperbasierte Selbstregulation nutzt den Einfluss von Körperverhalten auf unsere emotionalen Zustände. Dieser Zusammenhang wird in der Emotionspsychologie Körper-Feedback genannt und wurde von einigen wenigen Forscher/innen seit den 1970er Jahren erprobt (im deutschsprachigen Raum: Stepper 1992, Döring-Seipel 1996). Zentral ist hierbei die Annahme der Wechselwirkung von Gefühlen und Körperhaltung. Das bedeutet, dass die Körperhaltung nicht nur Ausdruck unserer Befindlichkeit oder Einstellung zu den Dingen und Personen ist, sondern Gefühle durch die Körperhaltung generiert und verstärkt werden können. Eine einfache Übung kann diesen Zusammenhang erfahrbar machen.
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Körperübung: Generierung von Gefühlen durch die Körperhaltung (Diese Übung eignet sich für eine Gruppe in einem größeren leeren Raum) Geht zunächst in eurer normalen Haltung durch den Raum. Nach der Anweisung der Seminarleitung verändert ihr eure Haltung zunächst in eine expandierte Körperhaltung (s.u.) und nehmt anschließend die typischen Merkmale einer gebeugten Haltung (s.u.) ein. Dabei gilt, dass die jeweilige Haltungsübernahme im Rahmen eures individuellen Körpermusters stattfindet, die Haltungen also, wenngleich vielleicht ungewohnt, so doch zum eigenen Haltungsrepertoire gehören sollen. Expandierte Haltung: weitere, längere Schritte, zentriertes Becken, geöffneter Oberkörper, (ausgestrichene, gerade Schultern), gehobener Kopf mit Blick in den Raum, mitschwingende Arme, entspannte Atmung Gebeugte Haltung: engere, kürzere Schritte, Becken leicht nach hinten gekippt (Entenpopo), Schultern eingerollt, Oberkörper leicht eingefallen, Arme enger am Körper, Kopf gesenkt. In den jeweiligen Haltungen geht ihr durch den Raum und erspürt die Wirkung der Haltungen auf das Gefühl. Wird die Übung in der Gruppe durchgeführt, übernimmt nach einer Weile die Hälfte der Teilnehmer/innen die gebeugte und die Hälfte die expandierte Haltung. Wenn ihr euch begegnet, bleibt ihr kurz voreinander stehen und nehmt euch mit Augenkontakt wahr. Danach geht ihr weiter und begegnet der nächsten Person. Die Haltungen werden je zwei Mal getauscht. Anschließend könnt ihr euch über die Erfahrungen austauschen. Ich habe diese Übung, lange bevor mir Körper-Feedback ein Begriff war, in meinen Körperworkshops durchgeführt30. Die Rückmeldungen der Teilnehmer/innen waren immer die gleichen - durch die Körperhaltung wird eine zur Haltung kongruente Emotion generiert, die sogar die vorherige Befindlichkeit auflösen kann: Die Einnahme einer gebeugten Körperhaltung löst Gefühle wie Traurigkeit, Unsicherheit oder Verschlossenheit aus Die Einnahme einer expandierten Körperhaltung verursacht Gefühle wie Freude, Selbstsicherheit, Arroganz, Zuversicht, Offenheit und Verbundenheit mit anderen.
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Vielfältige Übungen und theoretische Ausführungen zu Körperverhalten sind nachzulesen in Košinár (2009).
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Die Emotionen, die bei einer expandierten Körperhaltung geschildert wurden, entsprechen den Gefühlen, die zu einem hohen Selbstwertgefühl gehören. Dieses ist eine bereichsspezifische Größe und keineswegs stabil, sondern immer wieder neu erlernbar und tagesform- ja sogar situationsabhängig. Das bedeutet, dass das Selbstwertgefühl beeinflussbar ist. Da unser Körperverhalten, wie eben dargestellt, Einfluss auf unsere Emotionen hat, kann durch die bewusste Einnahme einer expandierten Körperhaltung ein Gefühl von Selbstsicherheit und innerer Stabilität entstehen. Die Erkenntnis dieses Zusammenhangs zog eine Studie (Košinár 2007) nach sich, um die Möglichkeiten von Körper-Feedback für Stressprävention zu erforschen und dabei die Individual- und Kontextbedingungen zu überprüfen. Es sollte untersucht werden, ob die Methode die innere Stabilisierung in öffentlichen Situationen ermöglicht, in denen professionelles Verhalten wichtig ist, dieses aber durch Überforderungsgefühle oder eine schlechte Tagesform ins Wanken gerät. Mehr als 400 Teilnehmer/innen haben inzwischen die Möglichkeit der Körperbasierten Selbstregulation (Košinár 2007) in stressigen Situationen ausprobiert und ihre teilweise außerordentlichen Erfahrungen dokumentiert. Die wissenschaftliche Begleitung einer Gruppe von Lehramtsstudierenden hat unterschiedliche Anwendungsformen gezeigt: Innenwirkung: Die Haltung wirkt sich auf das Gefühl aus. Es entstehen (laut Aussagen der Interviewpartner/innen aus meiner Untersuchung) Wohlgefühle, innere Stabilität und Unangreifbarkeit, bessere Strukturiertheit und Klarheit. Außenwirkung: Die Haltung hat eine Wirkung auf die Umgebung, deren Reaktion wiederum stärkt das Selbstwertgefühl der Akteur/innen. Sie fühlen sich „nicht mehr unter ferner liefen“, spüren Einfluss und Macht, haben eine bessere Präsenz und bekommen mehr Aufmerksamkeit und Respekt. Wechselwirkung von innen und außen: Das bessere innere Gefühl wird mit dem Bewusstsein genossen, dass man dadurch auch eine bessere Außenwirkung hat. Selbstwahrnehmung: Die (kurze) Konzentration auf den Körper, das Innehalten, beruhigt und gibt mehr Selbstsicherheit. Erweiterung des Körpervokabulars: Neben dem Bewusstsein für die eigene Körpersprache wird die Körperbasierte Selbstregulation als besonderes Handwerkszeug empfunden („Geheimwaffe“). Was genau die Gefühle generiert, konnte unter den Emotionspsychologen nicht geklärt werden. Ich gehe von einer im phänomenologischen Sinne unmittelbaren Verbindung zwischen Körper und Gefühl aus. Die divergierenden Anwendungs-
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formen legen aber nahe, dass das Individuum je nachdem, ob es eher auf die Außen- oder Innenwirkung fokussiert ist, eher kognitiv oder unmittelbar körperlich reagiert. Unbestritten ist die Wirkung der Atmung auf unser Wohlbefinden. Wenn wir uns also beugen, wird unsere Atmung eingeschränkt, richten wir uns auf, machen wir uns weit und groß. Die Atmung bekommt mehr Raum. Wesentlich an den Ergebnissen ist auf jeden Fall die Möglichkeit einer individuellen Annäherung an die Methode. In der Auswertung der Bedingungen für einen erfolgreichen Einsatz zeigte sich, dass es wichtig ist, offen gegenüber der Methode zu sein und einen Wunsch zur Selbststärkung zu verspüren, über eine gewisse Selbstwahrnehmung zu verfügen und zu spüren, wann der Körper eine expandierte Haltung aufweist bzw. diese ggf. wieder herzustellen, bei der Anwendung Raum für die Selbstwahrnehmung zu haben, d.h. inhaltlich und konzeptuell sicher zu sein (z.B. während einer Präsentation). Die unbestrittenen Vorteile sind, dass die Methode jederzeit situativ eingesetzt werden kann - vor einer stressigen Situation (vor einem Vortrag) oder währenddessen (bei einer Auseinandersetzung). Zudem kann sie von jeder Person angewendet werden, ohne ein besonderes Training oder bestimmte Voraussetzungen mitzubringen. Folgende Schritte zeigen die Möglichkeit zur individuellen Einübung: Einübung der Körperbasierten Selbstregulation Nachdem die expandierte Körperhaltung in ihrer Zusammensetzung kennen gelernt wurde (s.o. Körperübung), ist es wichtig diese in das natürliche Körpermuster zu integrieren. Dazu sucht man sich am besten Alltagssituationen aus, die Gelegenheit zur Selbstbeobachtung lassen. Das kann der Weg zur Uni, nach Hause, zum Bus etc. sein, das kann die Fußgängerzone der Innenstadt sein. Es ist sehr interessant, mit der gebeugten und expandierten Körperhaltung zu experimentieren und die Reaktionen der Umgebung zu beobachten. Hat sich der Körper an die expandierte Haltung gewöhnt, kann diese gezielt vor und in stressigen Situationen eingesetzt werden, z.B. auf dem Weg zum Vortragsraum, aber auch inmitten von Präsentationen, schwierigen Begegnungen, Konflikten – allen Situationen also, die Professionalität und Selbstsicherheit erfordern.
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Die Körperbasierte Selbstregulation ist somit sowohl der Selbststärkung dienlich als auch für die Verbesserung der Außenwirkung. Es soll noch einmal betont werden, dass es sich um eine Wechselwirkung handelt und die Einnahme der Haltung keinesfalls als aufgesetztes Überheblichkeitsgebaren verstanden werden soll. Sie soll in das individuelle authentische Körpermuster integriert werden und durch stetige Übung nach einiger Zeit soweit automatisiert sein, dass sie selbstverständlicher Teil unseres Ausdrucksrepertoires wird. Gleiches gilt für die Bemühung um ein authentisches Auftreten während eines Vortrags. Es nützen die besten Präsentationstechniken nicht viel, wenn die Zuschauer/innen das Gefühl haben, dass die Gesten und Bewegungen einstudiert sind. Wir bringen ein großes Körperhandlungsrepertoire mit, das unseren Charakter widerspiegelt. Innerhalb dieses persönlichen (Körper-)Verhaltens sind wir alle in der Lage zu nuancieren: etwas schneller oder langsamer zu sprechen, etwas weniger oder mehr zu gestikulieren, zu lächeln, einzelne Worte zu betonen, uns und den Zuschauer/innen mehr Zeit zu lassen etc. Meistens sind es bei Präsentationen Kleinigkeiten, die dafür sorgen, dass unsere Inhalte besser verständlich werden oder wir selbstbewusster wirken. Es geht demnach nicht um Techniken, die erlernt werden sollen, sondern um eine aufmerksame Interaktion mit dem Publikum. Eine gute Präsentationsübung, die man zur Selbstüberprüfung der genannten Faktoren durchführen kann, ist die folgende: Präsentationsübung zur Schulung der Wahrnehmung des eigenen Verhaltens (diese Übung eignet sich für eine Gruppe von 3-15 Personen) Bereitet eine kurze Präsentation (5 min.) eines Themas vor, über das ihr aktuell forscht, schreibt oder referiert. Die anderen Teilnehmer/innen müssen sich in dem Feld nicht auskennen. Eure Präsentation sollte unter möglichst realistischen Bedingungen stattfinden (mit Overhead oder Beamer, Stehpult, Tisch etc.). Nach Beendigung der Präsentation erzählen eure Zuschauer/innen ihre subjektiven Empfindungen während des Vortrages: wie sie sich gefühlt haben, ob sie sich wahrgenommen, angesprochen oder angeschaut fühlten, ob sie Lust bekamen zuzuhören, ob es etwas gab, das sie neugierig, angeregt oder desinteressiert gemacht hat, etc. Ihre Gefühle und Wahrnehmungen sollen sie versuchen an beschreibbaren Phänomenen zu erklären. Z.B. „Ich wurde nach drei Minuten unruhig, da ich mir mehr Abwechslung (durch Visualisierung, durch Bewegungen des Referenten) gewünscht hätte“; „Ich fühlte mich direkt angesprochen, da du mir in die Augen geschaut hast und uns bei den wichtigen Details zugenickt hast“.
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Die klassische Beurteilungs- und Feedbackrunde mit Belehrungen und Verbesserungsvorschlägen wird somit durch eine Bedarfsklärung ersetzt, die auf der subjektiven Wahrnehmungsebene ansetzt. Der bzw. die Referent/in hat so die Möglichkeit, aus ihrem bzw. seinem individuellen Repertoire nach Verbesserungsmöglichkeiten zu suchen (z.B. wie kann ich mehr Abwechslung hereinbringen) und ggf. die Zuschauer/innen nach konkreten Ideen zu fragen. Wenn die Gruppe sich gut versteht, kann auch Videographie zur Unterstützung hinzugenommen werden. Das Video anzuschauen bietet sich dann aber erst nach der Rückmeldungsrunde an.
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Resümee
In der Promotionsphase sind mentale Stärke und Selbstsicherheit in hohem Maße gefordert, um mit den für diesen Qualifizierungsschritt typischen Belastungen umgehen zu können. Für den Einsatz geeigneter Schritte zur Lösung von Schwierigkeiten ist es wichtig, sich der eigenen Verhaltens- und Reaktionsmuster in stressigen Situationen bewusst zu sein. Ferner ist ein Repertoire an adäquaten Strategien wesentlich, um sich im Sinne der Selbstwirksamkeit den Anforderungen gewachsen zu fühlen und flexibel und motiviert reagieren zu können. Es wurden mentale Strategien vorgestellt, die helfen Abstand zu gewinnen, die Sicht auf die Dinge zu ändern oder eine allzu kritische Selbstbewertung zu überwinden. Durch die Selbstreflexion gelingt es uns zu erkennen, in welche Richtung wir unser Denken und Handeln lenken und welchen Schritt wir als nächstes wagen sollten. In Bezug auf unser Auftreten wurde verdeutlicht, dass es v.a. die innere Selbststärkung unseres Selbstwertgefühls ist, das uns bei Präsentationen und in der Interaktion hilft. Hierfür kann gezielt die Körperbasierte Selbstregulation eingesetzt werden. Authentisches (Körper-)Verhalten ermöglicht es, individuelle Stärken zu zeigen und auf der Basis einer emotionalen Stabilität den Hindernissen und Schwierigkeiten mit Zuversicht entgegen zu treten.
Literatur Bengel J. & Strittmeier, R. & Willmann, H. (Hg.) (2001). Was erhält Menschen gesund? Antonovskys Modell der Salutogenese – Diskussionsstand und Stellenwert. Eine Expertise im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung . Band 6. Köln: BZgA. Erweiterte Neuauflage.
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Döring-Seipel, E. (1996). Stimmung und Körperhaltung. Der Einfluss von manipulierten Körperhaltungen auf dysphorische Stimmungen. Eine experimentelle Studie. Weinheim: Beltz. Göttke, K. (2004). Anforderungen, Stressoren und Ressourcen bei alternierender Telearbeit. Eine arbeitspsychologische Analyse unter besonderer Berücksichtigung von Selbstregulationsstrategien. Hamburg: Dr. Kovac. Keller, G. (2002). Selbstmanagement im Lehrberuf. Donauwörth: Auer. Kosinar, J. (2007). Selbststärkung im Lehrberuf. Individuelle und kontextuelle Bedingungen für die Anwendung körperbasierter Selbstregulation. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren. Kosinar, J. (2009). Körperkompetenzen und Interaktion in pädagogischen Berufen. Konzepte, Training, Praxis. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Kretschmann, R. (Hg.) (2008). Stressmanagement für Lehrerinnen und Lehrer. Ein Trainingsbuch mit Kopiervorlagen. Weinheim und Basel: Beltz. Lazarus R.S. & Launier, R. (1981). Stressbezogene Transaktionen zwischen Personen und Umwelt. In Jürgen R. Nitsch (Hg.), Stress. Theorien, Untersuchungen, Maßnahmen. Bern, Stuttgart, Wien: Huber, 213-259. Schaarschmidt, U. & Kieschke, U. (2007). Einführung und Überblick. In Uwe Schaarschmidt; Ulf Kieschke (Hg.), Gerüstet für den Schulalltag. Psychologische Unterstützungsmaßnahmen für Lehrerinnen und Lehrer. Weinheim und Basel: Beltz, 17-43. Schmitz, G. & Schwarzer, R. (2002). Individuelle und kollektive Selbstwirksamkeitserwartung von Lehrern. In Zeitschrift für Pädagogik. Beiheft 44, Weinheim und Basel: Beltz, 192-214. Schwarzer, R. & Jerusalem, M. (2002). Das Konzept der Selbstwirksamkeit. In Zeitschrift für Pädagogik. 44. Beiheft. Weinheim und Basel: Beltz, 28-53. Selye, H. (1974). Stress. Bewältigung und Lebensgewinn. München: Piper. Stepper, S. (1992). Der Einfluss der Körperhaltung auf die Emotion Stolz. Experimentelle Untersuchung zur Körper-Feedback-Hypothese. Universität Mannheim: Diss.
Interkulturelle Wissenschaftskompetenz für Promovierende Gundula Gwenn Hiller
Abstract Der Workshop interkulturelle Wissenschaftskompetenz für Promovierende hatte das Ziel, die Teilnehmer für interkulturelle Fragestellungen zu sensibilisieren. In Bezug auf die im Doktorandenbegleitprogramm „Wissenschaftskompetenz durch Diversität“ auftretenden Anforderungen erhielten die Teilnehmer eine theoretische Einführung zur Bewusstmachung interkultureller Unterschiede im Wissenschaftskontext, mit Fokus auf die Bereiche Hierarchien, Betreuung, Kontakt und Kommunikation sowie Wissenschaftskulturen und –stile. Im Trainingsteil des Workshops lernten die Teilnehmer neben einer strukturierenden Schreibübung Tools zur interkulturellen Kommunikations- und Teamkompetenz kennen.
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Einleitung
In diesem Beitrag werde ich anhand einiger Beispiele zunächst eine kurze Einführung in das Thema „interkulturelle Anforderungen an internationale Promovenden in Deutschland“ geben. Da ich aus Platzgründen hier keine umfassende Darstellung der interkulturellen Probleme von internationalen Promovierenden geben kann, möchte ich mich hier vor allem auf die beiden Themenbereiche unterschiedliche Erwartungen bezüglich des Betreuungsverhältnisses und des Wissenschaftsstils eingehen, da diese Aspekte a) zentral sind und b) sich auch gut dafür eignen, um sie im Rahmen eines Workshops zur interkulturellen Wissenschaftskompetenz zu behandeln. Im Anschluss daran wird der Begriff „interkulturelle Wissenschaftskompetenz“ definiert. Insgesamt soll der Beitrag zeigen, warum ich das Training interkultureller Wissenschaftskompetenz für einen wichtigen Schritt im Lernprozess eines Doktorandenbegleitprogramms halte, und warum sowohl deutsche als auch internationale Promovierende davon profitieren können. Abgerundet wird der Beitrag durch praktische Empfehlungen, wie dieser Lernprozess in eine Doktorandenausbildung integriert werden könnte. Anregungen zu Übungen, mit denen man diese Themen in einem Workshop bearbeiten kann, befinden sich in eingerahmten Texten.
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Gundula Gwenn Hiller Interkulturelle Herausforderungen für ausländische Promovierende in Deutschland Am Anfang hatte ich viele Schwierigkeiten (wegen Sprache, Ordnungen, unterschiedliche Erwartungen, Mentalität usw.) Ich persönlich hatte von Anfang an das Gefühl, zwar als Wissenschaftlerin ernst genommen zu werden, aber dass Deutsche kalt und nicht hilfsbereit wären. Die Universität (in Heidelberg), die ich fachlich interessant fand, hätte meinen Masterabschluss aus Thailand (Ausland) nicht anerkannt, das heißt, ich hätte zwei bis drei Jahre länger gebraucht als hier (in Frankfurt/Oder). Wegen Hochschulwechsel hatte ich allerdings viel Zeit verloren. Als Ausländerin wünschte ich mir mehr Orientierungshilfe für die Zeit der Promotion, insbesondere zur Vorbereitung der Promotion (was sollte man wissen, wie, wo, wann sollte man machen?), weil alles neu für mich war. Und ich hatte am Anfang Schwierigkeiten, richtige deutsche Freunde zu finden, die meinen Humor, thailändische Mentalität verstehen konnten, ich hatte das Gefühl, hier hätte man überhaupt kein Humor. Nach einer langen Erfahrungen und Beschäftigung mit der Arbeit über Probleme und Möglichkeiten der Entwicklungen der interkulturellen Kommunikationsfähigkeiten kann ich mehr verstehen.
So fasst Phannipha Kasikam31, eine Promotionsstipendiatin der thailändischen Regierung, die Probleme, die ihrer während ihrer Promotionszeit in Deutschland begegneten, zusammen. Ich habe sie kurz nachdem sie in Frankfurt (Oder) angekommen war, kennen gelernt, und war während vier Jahren Zeugin der Schwierigkeiten, mit denen sie sich als Doktorandin konfrontiert sah. Da sie sich in keiner strukturierten Doktorandenausbildung befand, und sich als „Entsandte“ ihrer Regierung selbst um universitäre Anbindung und Betreuung kümmern musste, fühlte sie sich in vielen Fragen allein gelassen und erlebte die ganze Bandbreite klassischer Probleme ausländischer Promovierender in Deutschland am eigenen Leib. Trotz hervorragender Deutschkenntnisse als Germanistin zeigte sie viele Symptome eines Kulturschocks (Furnham & Bochner 1989), der von Schlaflosigkeit über stundenlanges Chatten, Mailen und Telefonieren nach Hause bis zu sehr häufigen Infektionserkrankungen reichte. Obwohl ihre Situation, sowohl in ihrem individuellen Erleben als auch von außen betrachtet, schwierig war, fiel es ihr sehr schwer, angebotene Hilfe anzunehmen. Immer wieder sagte sie, sie wolle ja niemanden stören. Wie im obigen Zitat32 geschildert, stellten sich besonders administrative Vorgänge („Ordnungen“, Nicht-Anerkennung des Studiums), aber 31
Name geändert. Ich bat sie nach Abgabe ihrer Dissertation, als sie bereits zurück in Thailand war, mir per E-mail in ein paar kurzen Sätzen die Probleme, mit denen sie sich während ihrer Promotionszeit in Deutschland ausgesetzt sah, zu schildern. 32
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auch die - offensichtlich nicht erwartete - deutsche „Mentalität“ (von ihr bezeichnet als „unterschiedliche Erwartungen“, „kalt“, „nicht hilfsbereit“, „kein Humor“) als problematisch dar. Weitere Punkte, die sie benennt, sind die Schwierigkeit, Freunde zu finden und insbesondere auch die fehlende „Orientierungshilfe“ für die Vorbereitung und die Zeit der Promotion („ was sollte man wissen, wie, wo, wann sollte man machen?“). Phannipha Kasikam ist sicherlich kein Einzelfall.33 Wohl hängt dies stark ab von der individuellen Situation, in der sich die ausländischen Promovenden befinden (ist man Mitglied einer strukturierten Doktorandenausbildung, trifft man seinen Doktorvater täglich im Labor, oder muss man sich selbst organisieren bzw. strukturieren etc…), doch im Allgemeinen wird in Deutschland insgesamt eine eher schlechte Betreuungssituation beklagt (vgl. z.B. Gruehn et al. 2009), die sowohl das Gros der deutschen als auch der ausländischen Doktoranden betrifft. Weiter ist anzunehmen, dass die Probleme internationaler Doktoranden in vielen Punkten denen der internationalen Studierenden entsprechen. Vergleicht man die von Phannipha Kasikam genannten Aspekte mit den in der 18. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks genannten häufigsten Problemen, so zeugt ihr obiges Zitat davon, dass ihre Schwierigkeiten sehr ähnlich gelagert sind, wie die der hier befragten Studierenden: In der Untersuchung nannten Studierende aus Schwellenländern (wie z.B. Thailand, Indien, China, Russland, Türkei) folgende Bereiche "sehr schwierig" oder "schwierig": Kontakt mit deutschen Studierenden (40%); Finanzierung (39%); Orientierung im Studiensystem (38%); Arbeitserlaubnis (30%); Studierende aus Industrieländern: Orientierung im Studiensystem (31%); Kontakt mit deutschen Studierenden (28%); Kontakt zu Hochschullehrern (24%) (Studentenwerk 2008).34 Die Studie zeigt, dass sich die Probleme zwar je nach Herkunft der Studierenden etwas unterscheiden, bemängelt werden von allen Gruppierungen allerdings die Punkte: Kontakt mit deutschen Studierenden und Orientierung im Studiensystem. Beides hatte auch Phannipha Kasikam explizit benannt. 33
Leider sind mir keine Untersuchungen zum Thema interkultureller Probleme von Doktoranden in Deutschland bekannt. Selbst im umfassenden Überblick von Heinen (2007) über aktuelle Studien zur Doktorandenausbildung finden sich keine Hinweise auf entsprechende Untersuchungen. Aus diesem Grund werden in diesem Beitrag Studien, die sich auf internationale Studierende in Deutschland beziehen, herangezogen, dort, wo sie mir übertragbar auf die Situation der Promovierenden erschienen. 34 Studierende aus Entwicklungsländern nannten als Probleme: Finanzierung (46%); Kontakt mit deutschen Studierenden (41%); Zimmer-/Wohnungssuche (41%); Kontakt zur Bevölkerung (35%); Arbeitserlaubnis (34%); Orientierung im Studiensystem (34%); Beantragung des Visums/der Aufenthaltsgenehmigung (32%). URL: http://welcome.hamburg.de/fragen-und-antworten/1071024/faqprobleme.html (29.09.2009).
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2.1 Hierarchien, Kontakt und Betreuung Wenn Doktoranden, wie im Falle Phannipha Kasikams erst nach Abschluss ihres Hochschulstudiums nach Deutschland kommen, um zu promovieren, so werden sie mit einer akademischen Kultur konfrontiert, deren wissenschaftliches Selbstverständnis und Studienpraxis für die meisten neu ist. So stellt die Gratwanderung zwischen Betreuung und selbständigem Arbeiten für viele, die engmaschige Betreuung und verschultere Strukturen gewohnt sind, ein echtes Problem dar. Hierzu gehört z.B. die Tatsache, dass in Deutschland oft das Promotionsthema selbst gefunden werden muss. Weiterhin ist das Entwickeln eigener Forschungspositionen, das sich von denen der Autoritäten abgrenzt, für viele neu (vgl. Gymnich & Stedmann 2007). Neben der notwendigen Integration in das Hochschulsystem und dessen Anforderungen sowie dem Zurechtkommen mit den Alltagsstrukturen (Wohnung, Finanzierung, Behörden) ist oft auch die soziale Integration eine Herausforderung (vgl. v. Queis 2008): Dazu gehören die Kontaktfindung zu anderen Promovierenden genauso wie die Vernetzung im eigenen Fachbereich und die Beziehungsgestaltung zu den Betreuern. Was Letzteres angeht, also das Verhältnis zum Betreuer, so können ausländische Promovierende Erwartungen an ihren Betreuer herantragen, die sehr stark von deren Rollenverständnis abweichen. Um dies zu illustrieren, sollen hier einige Beispiele angeführt werden. So zeigt eine Studie von Cortazzi & Jin (1997), dass die Beziehung Studierender – Lehrender in China zwar durch formale Distanz charakterisiert ist, aber sich deren Beziehung nicht auf die gemeinsame akademische Zusammenarbeit beschränkt, sondern den Anspruch mit sich bringt, man gehöre zu einer großen Familie und der Lehrende ist jederzeit bereit, dem Lernenden zu helfen. Während also Chinesen dem Hochschullehrer folgende Rollen zuweisen: Autorität, Fachmann, Vorbild für fachliches Wissen und Können, Elternrolle, Freund, verstehen sich beispielsweise britische Dozenten als Vermittler, Organisatoren, Vorbilder (dafür, wie man etwas herausfindet) und wohlwollender Kritiker (Cortazzi & Jin 1997; zit. n. v. Queis 2008).35 An den US-amerikanischen Hochschulen hingegen gibt es weniger Hierachiedenken als in Deutschland. Die Professoren bieten den Promovierenden früh den Wechsel zur „first-name-basis“ an, das heißt, man nennt sich beim Vornamen und unternimmt gemeinsame Freizeitaktivitäten, gegenseitige Einladungen sind auch an der Tagesordnung, d.h. es wird im Doktoranden-Betreuer-
35
Hierarchische Distanz, aber auch Fürsorge und persönliches Interesse kennzeichnen beispielsweise auch das Verhältnis von Lehrendem zu Lernendem (Student, Promovend) in Russland (v. Queis 2008).
Interkulturelle Wissenschaftskompetenz für Promovierende
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Verhältnis nicht so stark getrennt zwischen beruflich und privat wie in Deutschland (vgl. Erll & Young 2007). Da es in Deutschland keine expliziten bzw. standardisierten Regeln für die Doktorandenbetreuung gibt, fühlen sich gerade diejenigen Promovenden, die aus Hochschulkulturen mit stark hierarchischen Strukturen kommen, in der unklaren Betreuungsstruktur häufig verunsichert (v. Queis 2008). Als Reaktion darauf zieht sich ein Teil zurück, ein anderer Teil sucht die Nähe und wird als „aufdringlich“ missverstanden (ebd.). Befinden sie sich in einer unstrukturierten Betreuungssituation, so müssen die betroffenen Promovierenden also lernen, ein adäquates Maß an Betreuung bei ihrem Doktorvater bzw. Doktormutter einzufordern. Erhalten sie dies trotz aller Bemühungen nicht, so können sie dieses Manko eventuell durch entsprechende Vernetzung zu anderen Professoren ihres Fachgebiets, wissenschaftlichen Communities oder Doktoranden kompensieren. Übung Der Brief eines chinesischen Studenten kann als Beispiel oder Diskussionsgrundlage dienen für unterschiedliche Erwartungen an Betreuung, die Schwierigkeit, den richtigen Ton zu treffen und Hierarchien. Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Müller! Verzeihen Sie die Störung. Ich heiße Wang und bin Student für Elektrotechnik an der Technischen Hochschule Wuhan. Meine Regierung gibt mir ein 1-jähriges Stipendium zur Fortbildung an einer deutschen Hochschule. Kann ich in dem Jahr bei Ihnen arbeiten? Können Sie mir einen Laborplatz zur Verfügung stellen? Leider dauert mein Stipendium nur ein Jahr. Können Sie mir anschließend ein weiteres Stipendium besorgen, denn ich möchte die Doktorarbeit bei Ihnen schreiben. Das wäre sehr gut für mich. Ich habe gelesen, Sie sind Spezialist für Signaltechnik, können Sie mir die wichtigsten Bücher und Aufsätze darüber schicken? Bis zum 1.7. bin ich noch hier in Kanton zu erreichen. Schicken Sie bitte die Sachen nach Kanton. Ich habe gehört, die Wohnungssituation ist sehr schwierig in der BRD. Können Sie mir bitte helfen bei der Zimmersuche? Ich werde am 1.9. ungefähr in der BRD ankommen. Entschuldigung für meine Belästigung. Bitte schreiben Sie sofort Arbeitsmaterial 1: Brief des chinesischen Studenten; Quelle: Robert Bosch Stiftung (2004).
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2.2 Kommunikations- und Wissenschaftsstile Generell stellt die Orientierung im wissenschaftlichen Arbeiten in Deutschland eine Herausforderung für viele internationale Promovenden dar (siehe auch das Zitat von Phannipha Kasikam oben). Die Anforderungen hier entsprechen oft nicht den Standards, die die Doktoranden an ihrer Heimatuniversität gelernt haben, und häufig sind sie sich dessen zu Anfang gar nicht bewusst. Dass der Wissenschaftsstil eng mit der kulturellen Prägung verknüpft ist, sollen folgende Beispiele zeigen: Bolten sieht einen engen Zusammenhang zwischen kommunikativen Stilen und Kultur (Bolten 2007). So finden kulturell bedingte Kommunikationsstile Entsprechungen in allen Bereichen, wie etwa „Führungsstil, Verhandlungsstil, Lernstil“ etc. (Bolten 2007: 78f.). Ähnlich geht der Friedensforscher John Galtung vor, der in einem Essay von 1983 vier verschiedene kulturell bedingte intellektuelle Stile beschreibt, auf die er im Rahmen seiner internationalen Forschungstätigkeit immer wieder gestoßen ist, und die sich in den Kommunikationsgewohnheiten ausdrücken: den saxonischen, teutonischen, gallischen und nipponischen Wissenschaftsstil (Galtung 1983). Da sich dieses Modell einerseits gut als Diskussionsgrundlage in Seminaren zur interkulturellen Wissenschaftskompetenz einsetzen lässt und andererseits sich daraus für den hier beschriebenen interkulturellen wissenschaftlichen Kontext durchaus interessante „kulturspezifische Merkmalszuschreibungen für bestimmte Formen der DozentenStudierenden-Interaktion“ (Bolten 2007: 80) ableiten lassen, sollen Auszüge seiner deskriptiven Analysen hier abgebildet werden. Übung: Wenn Galtungs Beschreibungen auch stark verallgemeinern, so enthalten sie dennoch interessante Thesen, die als Diskussionsgrundlage für interkulturelle Unterschiede im wissenschaftlichen Kontext dienen können. So können sie in einem Workshop für interkulturelle Wissenschaftskompetenz präsentiert und diskutiert werden. Danach können die Teilnehmer beispielsweise nach eigenen Beobachtungen gefragt werden.
Interkulturelle Wissenschaftskompetenz für Promovierende Stil sachsonisch
Zentrum (a) (b)
nipponisch
Japan
teutonisch
Deutschland
gallisch
Frankreich
USA GB
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Peripherie Kanada, Australien
Charakteristika Faktenorientiert, empirisch, personenzugewandt, humorvoll, aufbauend, pragmatisch Ostasien Primat sozialer Beziehungen, „Einheit des Gegensätzlichen“, enzyklopädisches Vorgehen, Vagheit, „Meister“-Bezug (Ancienität); „sowohl – als auch“ als Denkprinzip Osteuropa Theoriebildung: „Daten illustrieren, beweisen aber nicht“, Strenge und Humorlosigkeit der Präsentation in Zusammenhang mit der Angst, die Theorie (? Dialektik!) in der Wirklichkeit nicht verifizieren zu können, Polarisierung i.S. des „Entweder-Oder“ als Denkprinzip Italien, frankophones Ästhetisch, theorieorientiert (rational); Afrika, Rumänien polarisierende Argumentation, die aber über die „elegance“ der Sprache und des Sprechens im Sinne einer „Hängematte“ ästhetisch zusammengehalten wird.
Arbeitsmaterial 2: Intellektuelle Stile nach Galtung, Quelle: Bolten 2007. Stil sachsonisch
Wissenschaftliche Kommunikation Andere aufbauen, schmeicheln, Humor (USA): „anything goes“
nipponisch
Höflichkeitsbezeugungen, Autoritäts-Respekt, organische Solidarität
teutonisch
Kaum Höflichkeitsbezeugungen, kühl, spöttisch
gallisch
ästhetisch
Theorieorientierung „Daten verbinden, Theorien trennen“, induktiv-empirisches Vorgehen; „viele kleine Pyramiden“ Eher gesellschaftliche als intellektuelle Debatten, prästabilisierte soziale Beziehungen dürfen nicht verletzt werden: Sowohl-als-auchDenken; Kreismodell Daten illustrieren, beweisen aber nichts: deduktives Verfahren (z.B. Rechtswiss.), antithetisches Entweder-Oder-Denken; „große Pyramide“ Theoriegeleitet wie teutonisch, aber eher balanceorientiert; „Hängematte“
Thesenproduktion USA: „Wie lässt sich das operationalisieren?“ UK: „Wie lässt sich das belegen?“ * horizontal, individualistisch * nicht-polarisiert „Wer ist Ihr Meister?“ * vertikal, kollektivistisch * nicht-polarisiert
„Wie können sie das begründen/ableiten?“ * vertikal, individualistisch * polarisiert
„Kann man das auch gut auf Französisch sagen?“ * horizontal, individualistisch * polarisiert
Arbeitsmaterial 3: Merkmalszuschreibung für Interaktionen (nach Galtung 2003), Quelle: Bolten 2007.
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So ist laut Galtung der „teutonische“ (deutschbasierte) intellektuelle Stil individualistisch, monologorientiert, relativ abstrakt und theorieabgeleitet. Übertragen auf den Wissenschaftsstil könnte dies bedeuten, dass es für einen ausländischen Promovierenden in Deutschland von Vorteil sein könnte, wenn er seine Theoriebildung deduktiv anlegt und gut begründet. In der Tat wird von Professoren, die ausländische Studierende und Promovierende betreuen, beklagt, dass diese oft große Mühe hätten, ihre schriftlichen Arbeiten zu organisieren und zu „strukturieren“. Schreibübung zum Trainieren von Strukturieren:36 Zu einem Thema werden möglichst spontan Aspekte aufgeschrieben auf kleine Zettel oder Karten (Brainstorming). Also z.B. zu einem Kapitel der Dissertation oder der Dissertation insgesamt. Dann nimmt man die Zettel und versucht, sie zu sortieren und Überschriften auf abstrakterer Ebene zu finden. So hat man eine mögliche Gliederung, die man sich abschreiben kann. Diese Gliederung stellt man einem Partner vor und gemeinsam überlegen beide, ob es alternative Gliederungsmöglichkeiten gibt. Dafür mischt man alle Zettel wieder und redet darüber, was für Sortierungen noch in Frage kommen. Im Idealfall wird deutlich, dass es nicht nur eine mögliche Strukturierung gibt.
Vergleichende Studien zum wissenschaftlichen Schreiben in verschiedenen akademischen Traditionen bestätigen, dass es nicht nur, was Aufbau und Struktur von wissenschaftlichen Texten angeht, viele Unterschiede gibt,37 sondern auch unterschiedliche Verständnisse die einzelnen Textsorten betreffend.38 Die deutsche Wissenschaftssprache wird häufig als „inhaltsorientiert“ charakterisiert, im Gegensatz zur angelsächsischen Wissenschaftskultur trägt hier der Autor die Verantwortung dafür, das Wissen zu vermitteln und der Leser dafür, den Text zu verstehen (Clyne & Kreutz 2003). Vereinfachende Formen, die etwa in angelsächsischen Texten zugunsten der Lesbarkeit zumeist bevorzugt werden, können hier leicht als „unprofessionell“ erscheinen (ebd.). In Deutschland ist Wissenschaft also ein Vorgang „des Denkens und Problematisierens“ (v. Queis 2009). Die in angelsächsischen Wissenschaftstexten geforderte Linearität stellt in Deutschland keinen verbindlichen Maßstab dar. Hier werden vom Grundsätzlichen Details abgeleitet, Exkurse und Abschweifungen sind erlaubt. Weiter wer36
Übung von Sibel Vurgun, Arbeitskreis Schreibdidaktik. Viele Beispiele hierzu finden sich in Doleschal & Gruber (2007). Zu Unterschieden in der Textorganisation zwischen englischen und deutschen Texten publizierte z.B. Clyne (1987); deutsche und mexikanische Texte verglich Eßer (1997). 38 So zeigt etwa ZałĊska (2007) die verschiedenen Konzepte zwischen dem polnischen artykuł und dem italienischen articolo auf, die Länge, Textkomposition, Wortwahl etc. betreffen. 37
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den möglichst vollständige Abhandlungen zum Thema erwartet, zur Not auch auf Kosten der Kernaussage. Wie ausländische Promovierende berichten, erlebten sie hier, dass es unverzeihlich war, wenn sie einen „abwegigen Titel, den der Professor zufällig kennt“ ausließen (v. Queis 2009: 91; vgl. auch Rienecker & Jörgensen 2003). Ferner herrscht in Deutschland, wiederum im Gegensatz zur angelsächsischen Tradition39, weniger Konsens darüber, was ein guter wissenschaftlicher Text ist (Clyne & Kreutz 2003). Während man in der angloamerikanischen Tradition der Auffassung ist, dass Schreiben gelehrt bzw. gelernt werden kann, gilt in Deutschland oft noch die Meinung, dass dies eine angeborene Fähigkeit ist, „die ein Student vom Meister übernimmt“ (v. Queis 2009: 91). Fehlende Standards und Trainingsmöglichkeiten erschweren es den ausländischen Promovierenden deshalb zusätzlich, „erwartungsgemäß“ zu schreiben. Auch im Umgang mit Quellen und Zitierkonventionen wenden ausländische Studierende und Promovierende häufig andere Standards an als in Deutschland. So legt v. Queis (2009) dar, wie am Beispiel des Konzepts „Plagiat“ der kulturelle Unterschied zwischen China und dem Westen beim Verfassen wissenschaftlicher Texte besonders deutlich wird: In den westlichen akademischen Kulturen ist es Standard, dass der Autor eines Textes der alleinige Verfasser ist und er Quellen vollständig nennt sowie Zitate als solche kenntlich macht. Zudem werden die Texte bzw. Zitate häufig mit eigenen Stellungnahmen kommentiert. In der chinesischen akademischen Tradition hingegen wird es hoch geschätzt, Texte möglichst wörtlich wiederzugeben, ohne die Quellen zu nennen und ohne eigene kritische Kommentare. Dies liegt darin begründet, dass „nicht subjektive Originalität oder individuelle Kreativität, sondern die möglichst detailgetreue Kopie“ als „hochangesehene Leistung“ gilt (v. Queis 2009: 93). Da es sich bei den Urhebern häufig um Persönlichkeiten handelt, die den Gebildeten geläufig sind, ist eine besondere Kennzeichnung überflüssig. So kommt es häufig vor, dass chinesische Studierende Texte beispielsweise ihrer Dozenten zitieren, in der Meinung, sie erwiesen ihm damit Referenz, und er kenne ja die Quelle (Vgl. Viv & An 2006). Diese Beispiele sollten illustrieren, wie viele interkulturelle Aspekte bei der Internationalisierung der Doktorandenausbildung zu beachten sind. Über die hier angeführten Probleme bezüglich Betreuung und wissenschaftlichen Arbeitens hinaus stellen für die internationalen Promovierenden auch Bereiche wie Selbst39
In angelsächsischen Kulturen herrscht Konsens darüber, dass ein guter Wissenschaftstext folgende Eigenschaften aufweisen sollte: „Linearität, Symmetrie, frühe Definitionen der Haupttermini und das frühe Auftreten metatextueller Hinweise“ (Clyne & Kreutz 2003: 62).
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organisation, Kontaktknüpfen, Administration u.v.m. Probleme dar. Dessen sollten sich die deutschen Hochschulen, die verstärkt auf Internationalisierung ihrer Programme setzen, bewusst sein.
3
Wieso interkulturelle Wissenschaftskompetenz an deutschen Hochschulen?
Internationalisierung ist seit einigen Jahren ein explizites Desiderat der deutschen Doktorandenausbildung (vgl. Gymnich 2007). Subsumiert werden diesbezüglich unter diesem Begriff drei Aspekte: Zum Einen wird unter „Internationalisierung der Doktorandenausbildung“ verstanden, dass diese an die internationalen Standards anzugleichen sei. Zum Anderen ist damit die Akquise internationaler Promovierender gemeint. Im Vergleich zu den USA, Frankreich und Großbritannien haben die deutschen Hochschulen weitaus weniger internationale Promovierende (2003 waren es 10 %; im Vergleich dazu gab es in den anderen genannten Ländern 20-35 %). Und darüber hinaus heißt Internationalisierung oft auch, dass die deutschen Promovierenden in den internationalen wissenschaftlichen Kontext integriert werden sollen (vgl. ebd.). Studien zeigten eine mangelnde Mobilität deutscher Promovierender auf (Moes 2006). In einem anderen Zusammenhang formulierte ich die These, dass nur „interkulturell kompetente Hochschulen“ langfristig internationale Studierende anziehen und halten können, und noch wichtiger, diese soweit zu integrieren vermögen, wie es nötig ist, damit sie es zu einem erfolgreichen Abschluss bringen können (vgl. Hiller 2010). Unter interkulturell kompetenter Hochschule verstehe ich hierbei, dass sowohl die Lehrenden, die Programmentwickler, das Personal als auch die Studierenden, also alle Akteure im System Hochschule interkulturell kompetent sind.40 Das Gleiche gilt für die Promovierenden: Die Deutschen sollten interkulturell kompetent sein, weil sie einerseits häufig an der Lehre beteiligt sind und dort mit internationalen Studierenden zu tun haben (und künftige Professoren gehen aus ihnen hervor), andererseits, wie oben gefordert, aktiv am internationalen Wissenschaftssystem teilhaben sollen. Darüber hinaus sollten sie sich idealerweise für Kontakte und Zusammenarbeit mit internationalen Studie40
In diesem Sinne empfehlen Gymnich & Stedman (2007), dass die Betreuer interkulturell kompetent sein müssen und vor allem von Beginn an mit dem internationalen Promovenden Strukturen, Bund Erwartungen klären.
Interkulturelle Wissenschaftskompetenz für Promovierende
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renden öffnen und dies als bereicherndes Element erleben. Dies entspricht unserem Grundgedanken für das in diesem Band vorgestellte Projekt „Wissenschaftskompetenz durch Diversität.“
4
Was aber ist interkulturelle Wissenschaftskompetenz?
Wie ich andernorts ausführlich dargelegt habe, muss interkulturelle Kompetenz Komponenten beinhalten, die die Akteure befähigen, innerhalb einer Situation „adäquat“ zu denken, zu fühlen und zu handeln (Hiller 2010). Darunter verstehe ich Komponenten, die dem Individuum helfen, sowohl den Interaktionspartner bzw. die Situation oder den Kontext einzuschätzen und flexibel und adäquat darauf zu reagieren. Diesem Verständnis von interkultureller Kompetenz liegt zugrunde, dass interkulturelle Begegnungen als Situationen begriffen werden, in denen Individuen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen neue Standards für ihre Interaktion aushandeln. Diese Begegnungen können höchst uneindeutig sein, da die eigenen kommunikativen und Verhaltensregeln den Erwartungen des anderen eventuell nicht entsprechen. Also geht es darum, einen neuen Kontext zu schaffen, indem die Lücke zwischen den auseinanderklaffenden Konventionen überbrückt werden kann: Gleichzeitig müssen unterschiedliche Erwartungen und Interpretationen ausbalanciert und adjustiert werden bzw. potentielle Konflikte und Missverständnisse ohne Gesichtsverlust für beide Seiten bewältigt werden. Wie Straub et al. (2007) zu Recht fordern, sollten die Modelle bzw. Definitionen für interkulturelle Kompetenz nicht allgemeingültig-normativ formuliert werden, sondern funktional, etwa in Bezug auf den Kontext und eventuell zu erreichende Ziele. Im Falle interkultureller Wissenschaftskompetenz kann so bezogen auf das spezifische, konkrete Handlungsfeld „Hochschule“ ein Modell entwickelt werden mit dem Fokus auf „interkulturelle Studier- und Promovierfähigkeit“ und „Kooperation“. Hier stellt sich also die Frage, was eine interkulturell kompetente Person dazu befähigt, im wissenschaftlichen Umfeld bzw. Hochschulkontext adäquat und effektiv zu handeln. Prinzipiell sollte sie über ein Set an Fertigkeiten (skills), Wissen und Werten verfügen, die sie befähigen, in einer selbst-organisierten, effektiven und angemessenen Weise in interkulturellen Begegnungen bzw. Kontexten zu handeln.41 Hierzu gehören zunächst folgende Komponenten:
41
Ausführlich hierzu in Hiller 2009a.
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Gundula Gwenn Hiller
Ambiguitätstoleranz Empathie Kreativität Kommunikationsfertigkeiten (bewusstes Kommunizieren) Verhaltensflexibilität Konfliktlösungskompetenz Offenheit für Neues Bereitschaft, scheinbar alltägliche Dinge und erworbene Kenntnisse immer wieder in Frage zu stellen und zu erneuern Interkulturelle Teamkompetenz Fokussiert auf den Hochschul- bzw. Wissenschaftskontext heißt das, dass sich die interkulturell kompetente Person bewusst ist über ihre eigene kulturelle Prägung und deren möglichen Einfluss auf Interaktionssituationen.42 Das Wissen um kulturelle „Regeln“ (wie funktioniert der deutsche Wissenschaftsbetrieb, wie müssen wissenschaftliche Texte verfasst werden, wie sehen die Hierarchien aus, was kann ich erwarten? etc.) ist in diesem Kontext auch wichtig. Dazu gehört die Fähigkeit, sich dieses Wissen zugänglich zu machen. Die Bereitschaft, scheinbar alltägliche Dinge und erworbene Kenntnisse immer wieder in Frage zu stellen und zu erneuern, ist eine essentielle Kompetenz im Hinblick auf das erfolgreiche Agieren im internationalen Umfeld. Deshalb ist es wichtig, dass die Betroffenen es vermögen, ihr Verhalten flexibel an die bestehenden Gegebenheiten anzupassen und bereit sind, sich soweit auf neue Erfordernisse einzustellen, dass sie ihre Aufgaben erfolgreich bewältigen können. Die Wertschätzung von Vielfalt (Diversity, vgl. den Beitrag von Girgensohn & Hiller in diesem Band) sollte gerade auch den einheimischen Akteuren zu Eigen sein: Weder Betreuer noch die Doktoranden-Fellows sollten den internationalen Promovierenden das Gefühl geben, dass die kulturellen Eigenheiten, die sie einbringen, falsch, unangebracht oder gar „lästig“ sind. Diversität in Teams (wie Graduiertenkollegs, Arbeitsgruppen etc.) sollte als Bereicherung im 42 Hinzu kommt das Bewusstsein, dass situative, strukturelle Faktoren, genauso wie Vorannahmen die Situation bestimmen. Insgesamt versteht die interkulturell kompetente Person Kultur als einerseits prägendes, andererseits aber dynamisches Konstrukt, und sie weiß, dass sich kulturelle Unterschiede auf unterschiedlichen Ebenen manifestieren können: materiellen, gesellschaftlichen oder internalisierten Artefakten. Darüber hinaus weiß die Person, dass interkulturelle Interaktion gleichzeitig immer ein Aushandlungsprozess ist, der neue kommunikative Muster und Verhaltensstandards schaffen kann, die die Beteiligten situativ als geeignet empfinden und die Interaktion ihrem Ermessen nach gelingen lässt. So lassen sich die zugrunde liegenden Eigenschaften bzw. Haltungen einer interkulturell kompetenten Person zusammenfassen als Offenheit/Aufgeschlossenheit („open-mindedness“) sowie Neugier für Fremdes; wobei Akzeptanz, Toleranz und Respekt für kulturelle Unterschiede einerseits, aber auch Akzeptanz und das Respektieren der eigenen Toleranzgrenzen andererseits vorhanden sind (vgl. Hiller 2009a).
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Sinne von Perspektivenvielfalt und Horizonterweiterung gesehen werden. Hierzu gehören auch Bereitschaft und Fähigkeit zur interkulturellen Teamkompetenz. Letztlich sollte der interkulturell kompetente Wissenschaftler auch über die Bereitschaft verfügen, interkulturelles Lernen als anhaltenden Lernprozess zu sehen, und in neuen Situationen immer wieder die eigenen Fähigkeiten in formellen und informellen Kontexten zu erweitern sowie die eigene Kommunikationsund soziale Kompetenz zu trainieren. Übertragen auf die von mir modifizierte Lernspirale „Interkulturelle Kompetenz“ (Bertelsmannstiftung auf Basis des Interkulturellen Kompetenzmodells von Deardorff 2006) könnte ein Modell für „interkulturelle Wissenschaftskompetenz“ folgendermaßen aussehen:
Lernspirale Interkulturelle Wissenschaftskompetenz
Interne Wirkung:
Handlungskompetenz
Reflexionskompetenz
• UmfassendeskulturellesWissen
• Relativierung von Referenzrahmen
• Kommunikationsfähigkeiten; z.B.
• Empathiefähigkeit + Bewusstheit über Komplexität von Interaktion und möglichen Einflüssen
Fragen und „Nichtwissen“ offenbaren • Konfliktlösungsfähigkeit
+ Fähigkeit zu Perspektivwechsel
+ Kreativität
+ Bereitschaft, scheinbar alltägliche Dinge und erworbene Kenntnisse immer wieder in Frage zu stellen und zu erneuern
+ Verhaltensflexibilität
Lernbereitschaft * Haltungen und Einstellungen
Externe Wirkung: Konstruktive Interaktion
• Wertschätzung von Vielfalt
• Vermeidungvon Regelverletzungen
• Ambiguitätstoleranz
• Zielerreichung
+ Akzeptanz, Toleranz, Respekt für das/ den „Andere/ n“
• erfolgreiches„Teamwork“
+ Respektieren eigener Grenzen + „open-mindedness“ * Lernbereitschaft bildet die Basis im Sinne einer expansiven Lernmotivation (Holzkamp 1995)
Abbildung 1:
Modell für „interkulturelle Wissenschaftskompetenz“ auf Basis der Lernspirale „Interkulturelle Kompetenz“ (Bertelsmannstiftung nach Deardorff 2006), ergänzt um die mit „+“ versehenen Aspekte (Grafik: Jan Hoffmann)
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Gundula Gwenn Hiller Fazit
Wie an den obigen Beispielen deutlich wurde, bringt die Internationalisierung der Doktorandenausbildung in Deutschland viele interkulturelle Herausforderungen für alle Beteiligten mit sich. Um die internationalen Promovierenden zum erfolgreichen Abschluss ihrer Promotion zu führen, sollte die Vermittlung interkultureller Wissenschaftskompetenz sowohl ein Anliegen der Institution Hochschule sein als auch der Promovierenden. Um interkulturelle Wissenschaftskompetenz an einer Hochschule zu etablieren, sollten folgende Aspekte bedacht werden: Die internationalen Studierenden müssen die entsprechenden Informationen erhalten, aber auch Kommunikations- und Handlungsstrategien entwickeln, um den spezifischen Anforderungen des deutschen Wissenschaftsbetriebs gerecht zu werden. Die Lehrenden sollten sensibilisiert sein für die interkulturellen Fragestellungen und eine entsprechende Betreuungs- und Beratungskompetenz aufweisen. Für deutsche Doktoranden ist interkulturelle Wissenschaftskompetenz eine Voraussetzung, um sich in den internationalen Wissenschaftsbetrieb zu integrieren. Vor Ort können sie ihre internationalen Fellows unterstützen und sich mit ihnen austauschen. Optimalerweise machen sie hierbei die Erfahrung, dass diese Form der Kooperation lehrreich und gewinnbringend sein kann, wie in dem in diesem Band vorgestellten Projekt „Wissenschaftskompetenz durch Diversität“ (vgl. Girgensohn & Hiller in diesem Band). Hierzu wäre es empfehlenswert, an Hochschulen vermehrt interkulturelle Trainings anzubieten, und zwar für alle an der Hochschule vorhandenen Gruppen wie Studierende, Verwaltung, Lehrende, Promovierende etc. (ausführlich hierzu Hiller & Vogler-Lipp 2010). Zusätzlich raten wir aus unserer Erfahrung heraus dazu¸ maßgeschneiderte interkulturelle Trainings für die verschiedenen Zielgruppen anzubieten, so könnten dies etwa für internationale Promovierende Trainings mit dem Schwerpunkt auf Handlungsstrategien für den deutschen Wissenschaftsbetrieb, für deutsche Promovierende Trainings zu Handlungsstrategien für den internationalen Wissenschaftsbetrieb sein, für die Lehrenden bzw. Betreuer interkulturelle Beratungskompetenz. Zusätzliche Trainingsformate wären Workshops zu interkultureller Team- und Vernetzungskompetenz; interkultureller Schreibkompetenz oder Präsentationstrainings.
Interkulturelle Wissenschaftskompetenz für Promovierende
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Der Stipendienantrag - der "Businessplan" für die Promotion Daniela Liebscher
Abstract Wollen Promovierende ein Promotionsstipendium beantragen, sehen sie sich mit einer komplexen Schreibaufgabe konfrontiert: Wie sollen sie als noch unerfahrene Forscher ihr Promotionsvorhaben realistisch planen und damit potentielle Förderer überzeugen? Schreibtrainings können hier gezielt Abhilfe schaffen, indem sie über die Anforderungen der Textsorte aufklären. Die Struktur der Stipendienanträge erklärt sich dabei aus der Struktur der deutschen Förderlandschaft. Leider herrscht in dieser Förderlandschaft noch keine Geschlechtergerechtigkeit, weshalb besonders Frauen von der Unterstützung beim Antragschreiben profitieren. Hochschulen, die Promotionswillige durch gezielte Angebote in der sensiblen Antragsphase beraten und begleiten, können auf diesem Wege daher auch dazu beitragen, Frauen den Weg in die Wissenschaft zu ebnen.
1
Einleitung
"Vor das Stipendium hat der liebe Fördergott den Stipendienantrag gestellt", fasst Julia Fischer (2006) im "Campus-Knigge" die Situation für NachwuchswissenschaftlerInnen in Deutschland launig zusammen. Denn Forschung wird an Hochschulen und Forschungseinrichtungen hierzulande zunehmend durch so genannte "Drittmitteln" finanziert. Geldgeber sind die Europäische Kommission, die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) oder Ministerien, zahlreiche private und öffentliche Stiftungen oder auch die Wirtschaft. Einen großen Teil ihres Forscherlebens verbringen WissenschaftlerInnen inzwischen damit, die Finanzierung ihrer Forschungen einzuwerben und Anträge zu verfassen. DoktorandInnen, die ein Stipendium für die Finanzierung ihrer Promotion beantragen wollen, stehen am Anfang dieser Antragskarriere. Wie von anderen WissenschaftlerInnen auch, wird von ihnen erwartet, dass sie bereits vor Beginn des Forschungsvorhabens überzeugend über den Stand ihres Forschungsthemas, über das methodische Vorgehen zur Erarbeitung der Fragestellung sowie über die zu erwartenden Ergebnisse informieren können. Als sei das nicht paradox genug,
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Daniela Liebscher
kommt für die "Forschungsanfänger" erschwerend hinzu, ihr erstes langfristiges Forschungsvorhaben realistisch einschätzen zu müssen. Wie lässt sich diese komplexe Schreibaufgabe am besten bewältigen? Wie lässt sich der "Fördergott" günstig stimmen, um die erhoffte Finanzierung für die Promotion zu erhalten? Aus der Schreibforschung wissen wir, dass AutorInnen ihre Schreibaufgaben erfolgreich bewältigen, wenn sie die Anforderungen der Textsorten kennen, ihren Schreibprozess bewusst steuern können, indem sie ihn in überschaubare Teilschritte einteilen und sich dabei über ihr Schreiben austauschen, sich regelmäßig Feedback einholen und ausreichend Zeit für Überarbeitungen einplanen. Schreibtrainings für Graduierte sind hier sinnvoll, weil sie die nötige Textsortenkompetenz, Schreibtechniken und unmittelbares Feedback vermitteln. Sie geben Sicherheit, und selbstbewusstes Auftreten ist gerade beim Schreiben von Anträgen mitentscheidend. Das bewährt sich besonders bei ausländischen Graduierten, die sich neben den sprachlichen Herausforderungen mit der deutschen "Antragskultur" auseinandersetzen müssen (vgl. Olk 2003). Schreibtrainings sparen DoktorandInnen vor allem Zeit. Das ist Geld wert, denn die Antragsphasen werden üblicherweise nicht finanziert. Die Betroffenen befinden sich vielmehr oft in prekären finanziellen Übergangssituationen oder verfügen nur über knappe Freizeit für das Abfassen ihres Stipendienantrags, weil sie sich den Lebensunterhalt anderweitig verdienen müssen. Der Wissenschaftsrat hat deswegen 2002 die Einführung von drei- bis sechsmonatigen "Qualifizierungsstipendien" empfohlen (Wissenschaftsrat 2002: 73). Von diesem Segen sind deutsche Promovierende jedoch noch weit entfernt.43 Je früher und gezielter Promotionswillige daher in dieser Phase Feedback erhalten, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Opfer an den "lieben Fördergott" sich gelohnt haben werden. Der folgende Beitrag geht zunächst auf die Rolle eines Stipendienantrags in seinem Kontext des Auswahlverfahrens ein. Aus der augenblicklichen Struktur des Stipendienwesens erklärt sich die Struktur eines Stipendienantrags. Über die generellen Kriterien und Standards der Stipendien- und Stellenvergabe bei Promotionsstipendien wird leider kaum etwas veröffentlicht. Im Unterschied zu den meisten anderen Textsorten des wissenschaftlichen Schreibens gibt es auch so gut wie keine Quellen, die darüber informieren, was beim Schreiben 43
Stipendien zur Vorbereitung der Promotion gehören zurzeit zum Angebot einiger DFGGraduiertenkollegs oder zu besonderen landeseigenen Förderprogrammen beispielsweise für FHAbsolventinnen oder Studentinnen mit Kind.
Der Stipendienantrag - der "Businessplan" für die Promotion
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eines Exposés für die Dissertation zu beachten ist. Das liegt zum einen daran, dass Begutachtungsverfahren generell vertraulich gehandhabt werden. Zum anderen wird die Promotion im deutschen Hochschulwesen durch die persönliche, informelle Beziehung zwischen Doktormutter/-vater und Doktorand geprägt, die eigenen, wenig transparenten Regeln unterliegt, beispielsweise bei der Besetzung von Promotionsstellen am Lehrstuhl. Erst seit sich Programme zum strukturierten Promovieren in Form von Graduiertenkollegs und -schulen etablieren, nimmt auch die Standardisierung der Bewerbungsverfahren zu. Der Trend zur Ausweitung der Drittmittel-Forschung erhöht die Nachfrage nach Ratgebern und Handreichungen. Der Beitrag basiert auf den wenigen deutschsprachigen Leitfäden und Hinweisen, die bisher zum Schreiben von Forschungs- und Stipendienanträgen vorliegen. Die entstehende Ratgeberliteratur wird vorzugsweise im Internet veröffentlicht. Empfehlenswert sind hier das Infomaterial von Adamczak (2008) aus dem Forschungsreferat der Universität Kassel, Schwarzer (2001), die am Beispiel eines sozialwissenschaftlichen Projekts auch auf die Gründe eingeht, die zur Ablehnung eines Forschungsantrags führen können, sowie Nünning & Nünning (2007) und Sommer (2007), die aus ihrer langjährigen Erfahrung mit Antragsverfahren des Gießener Graduiertenzentrums Kulturwissenschaften berichten.
2
Von Fairness und Fährnissen bei Antragsverfahren zur Promotionsförderung
Promotionsstipendien vergeben staatliche und private Stiftungen, Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Berufsverbände/Fachgesellschaften, aber auch Länder und Gemeinden. Es gibt Angebote, bei denen die Stipendiaten an einem strukturierten Ausbildungsprogramm teilnehmen und solche, bei denen den Promovierenden keine inhaltlichen oder zeitlichen Vorgaben, aber auch keine weiteren Angebote gemacht werden. Für die erste Variante stehen exemplarisch die DFGGraduiertenkollegs, für die andere Variante die Graduiertenförderung der Länder. Die elf Begabtenförderungswerke nehmen eine Zwischenposition ein. Stipendien sollen NachwuchswissenschaftlerInnen die Möglichkeit bieten, sich uneingeschränkt einem Einzelprojekt zu widmen, insbesondere in den geistes-, sozial- und kulturwissenschaftlichen Fächern. Sie haben allerdings einen strukturellen Nachteil gegenüber Promotionsstellen: Nur ein Fünftel aller DoktorandInnen finanziert sich über ein Stipendium, ein weiteres über eigene/externe Mittel. Etwa drei Fünftel des wissenschaftlichen Nachwuchses promoviert über Promotionsstellen an Hochschulen und an außeruniversitären Forschungseinrich-
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Daniela Liebscher
tungen (BMBF 2008: 31). Auch wenn Promotionsstellen durch promotionsferne Tätigkeiten belastet werden, sind sie sozialversicherungs- und arbeitsrechtlich sowie karrierepolitisch betrachtet im Vorteil (Würmann 2006). Stipendien bedeuten eine geringere Einbindung in feste Arbeitszusammenhänge und manchmal eine mangelnde Förderung durch die Betreuungspersonen. Dieses Gefälle ist auch genderpolitisch ein Problem: Stellen werden überwiegend von Männern besetzt. Stipendien sind dagegen oft "Frauensache", auch im späteren Verlauf der wissenschaftlichen Laufbahn (vgl. Gülder & Reinhardt 2007). Um die Attraktivität und die Erfolgsquoten der Promotionsstipendien zu erhöhen, unternehmen Bund, Länder und Stiftungen seit einigen Jahren erhebliche Anstrengungen. Sie sind nicht zufällig gekoppelt mit den Bemühungen, den Frauenanteil bei den Promotionen zu erhöhen. Denn dieser ist in Deutschland niedriger als bei den Männern und liegt unter dem EU-Durchschnitt (European Commission 2006). Folgende Möglichkeiten existieren: Variante 1: Das strukturierte Promovieren in Graduiertenkollegs der DFG, Promotionskollegs oder Graduiertenschulen an den Hochschulen wird in den letzten Jahren massiv ausgebaut. Vorreiter sind die interdisziplinären, zeitlich befristeten DFG-Graduiertenkollegs zu Schwerpunktthemen, die außerdem in der Regel eine großzügige Stipendienpolitik betreiben und auf Gleichstellung der Geschlechter und Familienförderung achten. Die Promotionsdauer hat sich laut Statistik in diesem Rahmen verkürzt, und die hohen Abschlussquoten sind so gut, dass der Wissenschaftsrat in seiner jüngsten Stellungnahme zur Doktorandenausbildung die "flächendeckende Einrichtung" - allerdings dauerhafter - Promotionskollegs an Universitäten empfohlen hat (Wissenschaftsrat 2002: 52). Variante 2: Die Landesgraduiertenförderung wird in den einzelnen Bundesländern zurzeit reformiert, sei es durch eine gezielte Frauenförderung oder durch den Aufbau von Promotionskollegs. Variante 3: Seit 2005, dem Amtsantritt von Annette Schavan, einst Leiterin des katholischen Cusanuswerkes, baut das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) das staatliche Stipendienwesen finanziell aus und bewirbt die Begabtenförderungswerke (URL: http://www.stipendiumplus.de; http://www.stipendienlotse.de). Diese dürfen 40% der Mittel, die sie zur finanziellen Förderung ihrer StipendiatInnen vom BMBF erhalten, für die Promotionsförderung verwenden. Die Zahl der Promotionsstipendien steigt inzwischen leicht; die "ideelle Förderung" wird erweitert, beispielsweise durch DiversityProgramme: Frauen, Studierende aus bildungsfernen Familien oder mit Migrationshintergrund werden gezielt gefördert. Leider gibt es bisher keine Statistik über die Promotionsphase mit Angaben zu Anzahl und Struktur von Promovierenden vom Beginn bis zum Abschluss der Qualifizierung. Es fehlt hierzulande an Daten über Erfolgs- und Abbruchquoten
Der Stipendienantrag - der "Businessplan" für die Promotion
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der Promotion, was letztlich eine Aussage über die Effizienz des deutschen Förderwesens erschwert. Das BMBF hat daher den ersten "Bundesbericht zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses (BuWIN)" in Auftrag gegeben (BMBF 2008). Dieser deutet an, dass die Finanzierungsart bereits die Weichen für den Promotionserfolg stellt (ebd., 49). Das scheint besonders für Frauen von Bedeutung zu sein. In Graduiertenkollegs sind sie erfolgreich, auch wenn sie länger für ihre Promotion als ihre Kollegen brauchen. Dagegen scheitern sie öfter als Männer, wenn sie mit einem Stipendium der Landesgraduiertenförderung nicht in wissenschaftliche Kommunikationszusammenhänge eingebunden sind (für Niedersachsen vgl. Noeres & Kirschbaum 2004, 26-28). Frauen werden mitunter bereits in den Auswahlverfahren für Promotionsstipendien schlechter bewertet als Männer. Das Phänomen ist aus wissenschaftlichen Begutachtungsprozessen bekannt.44 Gerade die Studienstiftung des deutschen Volkes, das größte der Begabtenförderungswerke, nimmt in all ihren Auswahlverfahren bis hin zu den DoktorandInnen weniger Frauen auf, als sich tatsächlich bewerben (vgl. Studienstiftung 2009: 31). Ihr Präsident, Gerhard Roth, spricht das Problem inzwischen offen an (Roth 2009: 4), die Stiftung weiß darauf aber "(e)rstaunlicherweise" keine Erklärung“ (vgl. Studienstiftung 2009: 16). Andere Werke oder auch Landesgraduiertenprogramme, die darauf achten, weisen in ihren Jahres- und Geschäftsberichten dagegen Frauenquoten zwischen 50% und 70% nach, was auch daran liegt, dass sich überdurchschnittlich viele Frauen bei ihnen bewerben.45 Hier fehlen weitere Studien, um das Ausmaß dieser Weichenstellung nachzuvollziehen. Zweifellos beeinflusst die aktuelle gesellschaftspolitische Diskussion über "Begabung" und "Qualifizierung" (von Frauen, Ausländern, "Bildungsinländern" etc.) die Auswahlverfahren. War vor einigen Jahren beispielsweise noch das Alter der AntragstellerInnern ein entscheidendes Ausschlusskriterium, wird dieses inzwischen flexibler gehandhabt. Die DFG hat gar Altersgrenzen in ihren Förderverfahren abgeschafft, um Chancengleichheit herzustellen. Die üblichen Auswahlkriterien für Promotionsstipendien sind projektbezogen: Passt das Dissertationsvorhaben zu den Stiftungszielen bzw. ist es im Graduiertenkolleg interdisziplinär anschlussfähig? Ist das Thema aktuell? Ist das Projekt wissenschaftlich relevant? Ist es als Promotionsvorhaben in der ausgeschriebenen Förderzeit machbar? 44
Laut einer Studie über die Begutachtung medizinischer Post-Doc-Projekte müssten Frauen 2,5-mal so viel veröffentlichen, um von den GutachterInnen dieselbe Annerkennung zu erhalten wie ihre Kollegen (Wennerås & Wold 2000). 45 Aktuell beträgt der Frauenanteil in der deutschen Graduiertenförderung 43,4%, vgl. Katrin Dapp, Referentin Ideelle Förderung der Friedrich-Ebert-Stiftung, schriftliche Mitteilung vom 15.07.2009.
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Daniela Liebscher
Dazu gehören Voten interner und externer Gutachter über die Bedeutung und Qualität der Forschungsvorhabens. Zu den personenbezogenen Kriterien zählen der Lebenslauf (Alter/Familienstand), hervorragende Studienleistungen und wissenschaftliche Vorarbeiten. Bei Begabtenförderungswerke spielt das gesellschaftspolitische Engagement der BewerberInnen eine zentrale Rolle, aber seine konkreten Formen müssen zum weltanschaulichen Horizont der jeweiligen Stiftung passen. Das weltanschauliche, politische und religiöse Selbstverständnis der Stiftung bzw. das Forschungsprogramm des Kollegs/der Graduiertenschule, das Fördervolumen der Institution und ihr genderpolitisches Selbstverständnis beeinflussen außerdem das Auswahlverfahren. Formal setzt sich ein Antrag auf ein Promotionsstipendium bzw. zur Bewerbung für ein Graduiertenkolleg daher folgendermaßen zusammen: einem ausführlichen Anschreiben einem (meist) tabellarischen Lebenslauf Ausführungen und Belegen über fachliche Vorkenntnisse, persönliche Schwerpunkte, gesellschaftliches Engagement etc. Kopien aller Zeugnisse (vom Abiturzeignius bis zum Abschlusszeugnis) (evtl.) einem Exemplar der Abschlussarbeit einem Exposé über das Dissertationsvorhaben Gutachten bzw. Empfehlungsschreiben (mindestens) eines Hochschullehrers. Um die Qualität der Auswahlverfahren zu sichern und größtmögliche Fairness und Transparenz zu ermöglichen, durchlaufen Anträge auf Finanzierung einer Forschung - von der Promotion bis zum Großforschungsprojekt - mehrere Stufen der Begutachtung. Am aufwändigsten werden Anträge bei der DFG geprüft, der wichtigsten staatlichen Förderinstitution für Forschung durch "Drittmittel" (vgl. www.dfg.de/antragstellung/begutachtung/download/karte_begutachtung_05.pdf). Aber auch bei den Begabtenförderungswerken und Graduiertenkollegs muss ein Antrag mindestens zwei Stufen passieren: 1.
In der Vorauswahl werden alle eingegangenen Anträge vorsortiert. Unvollständige Anträge werden grundsätzlich nicht bearbeitet. Stiftungen prüfen, ob die geplante Forschungsarbeit und die Person des Bewerbers/der Bewerberin zum Stiftungsprofil passen. Das mehrstufige Verfahren gilt auch für
Der Stipendienantrag - der "Businessplan" für die Promotion
2.
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Graduiertenkollegs. Hier bewerten je ein fachnaher und ein fachfremder Gutachter die eingereichten Exposés. Nur wenn die Voten übereinstimmen, kommt der Antrag in die engere Auswahl. Die Ablehnungsquote ist in dieser Stufe am höchsten, sie liegt bei den Begabtenförderungswerken bei 50%-70% (vgl. Abb. 1-2). In der Regel erfährt man auch nicht die Gründe. Denn die Anzahl der eingereichten Anträge übersteigt bei den Stiftungen das Fördervolumen um ein Vielfaches. Bei kleinen Begabtenförderungswerken bewerben sich teilweise 10 Promovierende und mehr auf ein Stipendium. Bei DFG-Graduiertenkollegs kamen laut der letzten Erhebung (DFG 2004, 16) durchschnittlich 4,7 Bewerbungen auf ein Stipendium, mit steigender Tendenz vor allem in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Das engere Auswahlverfahren beginnt, wenn ein Antrag als förderungswürdig anerkannt wurde. Bei Stiftungen müssen die BewerberInnen ihr Projekt in Gesprächen mit Vertrauensdozenten vorstellen und sich in Auswahlgesprächen und -wochenenden bewähren. Graduiertenkollegs führen Vorstellungsgespräche oder laden zu Vorträgen ein. Das Verhältnis von Bewilligungen und Ablehnungen kehrt sich in dieser Stufe um. Je nach Stiftung liegt die Bewilligungsquote zurzeit bei ca. 12% bis 37% der eingereichten Anträge (vgl. Abb. 3).
An der Bearbeitung der Anträge sind nicht allein Fachgutachter beteiligt, sondern auch Referenten der verschiedenen Geschäftsstellen. Daraus ergeben sich klare Anforderungen an die Textsorte: Der Antrag muss formal einwandfrei sein und der Ausschreibung entsprechen. BewerberInnen belegen dadurch ihre Textsortenkompetenz. Das Forschungsvorhaben muss zu den Zielen und Schwerpunktprogrammen der Fördereinrichtung passen; im Falle der Bewerbung bei Kollegs muss es interdisziplinär bzw. thematisch anschlussfähig sein. Das Exposé über das Forschungsvorhaben muss klar und verständlich geschrieben sein sowie übersichtlich gegliedert und optisch gut strukturiert. Zum einen muss sich das Projekt Nicht-Experten rasch erschließen. Zum anderen müssen Fachgutachter viele Anträge sichten, und sie haben dafür wenig Zeit.
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Abbildung 1:
Daniela Liebscher
Die drei Stufen des Auswahlverfahrens bei Begabtenförderungswerken46
46 Die Diagramme beruhen auf den Zahlen der Geschäfts- und Jahresberichte der Begabtenförderungswerke. Ein besonderer Dank gilt Katrin Dapp (Friedrich-Ebert-Stiftung), Dietrich Einert (HansBöckler-Stiftung) und Ulla Siebert (Heinrich-Böll-Stiftung) für detailliertere Auskünfte. Die genauen Frauenquoten an den einzelnen Bewilligungsstufen werden, mit Ausnahme der Studienstiftung, von den Stiftungen entweder nicht erhoben oder nicht veröffentlicht.
Der Stipendienantrag - der "Businessplan" für die Promotion
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Abbildung 2:
Das Verhältnis von eingereichten und bewilligten Anträgen bei ausgewählten Begabtenförderungswerken
Abbildung 3:
Bewilligungsquoten ausgewählter Begabtenförderungswerke im Vergleich
142 3
Daniela Liebscher Die „Bausteine“ eines Exposés
Den Kern eines Stipendien- oder Forschungsantrags bildet das Exposé. Die sehr gute Beschreibung eines sehr guten Forschungsprojektes ist immer noch entscheidend für die Bewilligung eines Promotionsstipendiums. Ein Exposé skizziert eine Forschungsarbeit, die noch nicht durchgeführt ist, sondern sich in der Planung befindet . Ein Exposé zu verfassen, hilft zunächst einem selbst, sich über sein Forschungsziel, sein Vorwissen und seine Lücken klar zu werden. Mehr als andere wissenschaftliche Textsorten ist das Exposé allerdings an Dritte gerichtet (vgl. Hellmann o. J.: 1). Es muss potentielle BetreuerInnen, Geldgeber und andere Förderinstitutionen dazu motivieren, die geplante Forschungsarbeit über einen längeren Zeitraum ideell, personell und/oder finanziell zu unterstützen. Im Falle deutscher Graduate Schools werden die Exposés (engl. research proposals) nach US-amerikanischem Vorbild bei Bewilligung inzwischen auch vermehrt als verbindliche Grundlage für Betreuungsvereinbarungen angesehen. Im Idealfall fasst ein Exposé für eine Dissertation auf ca. 15 Seiten alles Inhaltliche und Organisatorische rund um die geplante Forschungsarbeit so überzeugend zusammen, dass sich Betreuer und Geldgeber zur Unterstützung bereit zeigen. Ein Exposé enthält unabhängig vom Fach und der Fördereinrichtung stets:
Forschungsidee/Problembereich Stand der Forschung Fragestellung Methodisches Vorgehen/Arbeitsprogramm Arbeits- und Zeitplan Ausgewählte Literatur.
Bei manchen Fördereinrichtungen muss man den „Arbeits- und Zeitplan“ sowie die „Literaturliste“ gesondert einreichen (Ausschreibung beachten!). Form und Zweck der Exposés ähneln den Businessplänen, wie sie Existenzgründer den Banken für die Einwerbung von Krediten vorlegen sollten. Auch in der Forschung geht es um die Einwerbung einer Finanzierung. Zwar verlangen die Fördereinrichtungen die Geldleistungen im Unterschied zu den Banken nicht zurück. Gleichwohl sind mit der Bewilligung von Geldern/Stipendien Pflichten verbunden. Dazu zählen regelmäßige Rechenschafts- und Forschungsberichte sowie Veröffentlichungsnachweise. Bei einer Reihe von Begabtenförderungs-
Der Stipendienantrag - der "Businessplan" für die Promotion
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werken ist die Teilnahme an den Angeboten der ideellen Förderung verpflichtend, z.B. an Seminaren, Arbeitsgruppen oder Selbstverwaltungsgremien. Die DFG hat sowohl für den Aufbau von Projektanträgen als auch für die Begutachtung dieser Anträge Standards gesetzt. Auch wer keinen DFG-Antrag stellt, sollte einen Blick auf die DFG-Anforderungen werfen. Der Aufbau der DFG-Anträge erfolgt für alle Fachgebiete nach einheitlichen Vorgaben (DFG 2009a). Das Exposé ist inzwischen eine standardisierte Textsorte des wissenschaftlichen Schreibens. Das bedeutet: Formalia spielen eine große Rolle. Statt sprachlicher Individualität sind wissenschaftliche Begriffe und Formulierungen gefragt. Wie bei anderen wissenschaftlichen Textsorten muss man eine nachvollziehbare Argumentation präsentieren und fachspezifische methodische Standards nachweisen. Die folgende Übersicht soll als Checkliste beim Schreiben und Überarbeiten eines Dissertationsexposés dienen. Ihr liegt das DFG-Muster zugrunde. Die Reihenfolge der "Bausteine" kann je nach Ausschreibung variieren.
Tabelle 1: Gliederungsteile eines Exposés
0.
Gliederungsteil des Exposés
Inhalt Inhaltliches ist durch einen Punkt gekennzeichnet Erläuterungen zu den Inhalten der einzelnen „Bausteine“ sind kursiv eingefügt.
Allgemeine Angaben
zur Person zum Thema zur Gesamtdauer des Vorhabens zum Fachgebiet, dem das Vorhaben zugeordnet werden soll zur Dauer der beantragten Förderung Diese Informationen sollten dem Exposé vorangestellt werden.
144
Daniela Liebscher
Meistens geben die Fördereinrichtungen für diese Angaben Formulare aus. Hier ist Platz für einen kurzen Lebenslauf, evtl. mit Angaben zu den wichtigsten Veröffentlichungen 1.
Titel
2.
Zusammenfassung/ Abstract
Tipp
Der Titel fungiert als Blickfang des Antrags. Sorgfalt beim Formulieren ist angebracht. Bei international ausgerichteten Projekten (EU, DAAD) sind Akronyme angesagt (vgl. DAAD-Programm zur Förderung der Internationalisierung an den deutschen Hochschulen PROFIS). Kurze und gut strukturierte Darstellung des Vorhabens und seiner Neuartigkeit/Besonderheit, die auch Nicht-Experten verstehen. Es kann vorkommen, dass Gutachter aus Zeitmangel nicht das ganze Exposé lesen. Dem entscheidenden Gremium der DFG, dem Hauptausschuss, liegen tatsächlich nur die Zusammenfassung und die Gutachten der Fachgutachter vor. Wer ein Abstract verfassen will/muss, sollte es daher zum besten Teil seines Exposés machen. Ein Abstract kann auch später nützlich sein, z.B. für die Kurzvorstellung auf Tagungen, Konferenzen oder auch Homepages oder als Eintrag in Datenbanken etc. In DFG-Anträgen darf die Zusammenfassung höchstens 15 Zeilen (1.600 Zeichen) umfassen. Dieser Richtwert hilft, sein Anliegen auf den Punkt zu bringen. Die Zusammenfassung sollte auf jeden Fall eine Seite nicht überschreiten. Sie gibt bereits einen ersten Eindruck von der Qualität des Vorhabens: Ist sie klar und strukturiert, so ist das erfahrungsgemäß auch der übrige Antrag. Die Zusammenfassung lässt sich am besten zum Schluss schreiben, wenn der Antrag abgabereif ist. Dann hat sich beim Schreiben und Korrigieren des Antrags die Fragestellung des Projekts präzisiert. Anregungen bietet die angloamerikanische Daten-
Der Stipendienantrag - der "Businessplan" für die Promotion
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bank "Dissertation Abstracts Online" (nur mit Lizenz nutzbar). Die Datenbank GEPRIS der DFG ist dagegen frei zugänglich (http://gepris.dfg.de/gepris/). Sie enthält die Antrag-Abstracts der geförderten Projekte aus allen Fächern. Tipp
3.
4.
DFG-Gutachter Reinhard Jahn (2006a) empfiehlt, ein Thema ggf. durch Schemata etc. zu visualisieren, um den Gutachtern rasch den nötigen Überblick zu verschaffen. Stand der Forschung Eine Auswertung der für die Forschungsfrage und eigene Vorarbeirelevanten Literatur vornehmen ten Es geht nicht darum zu beweisen, dass man sich in seinem Fachgebiet auskennt. Vielmehr soll man in der Lage sein, evtl. Lücken zu benennen und aktuelle Theorien in seine Arbeit einzubeziehen. Man belegt hier seine Fähigkeit, die wichtigsten einschlägigen Arbeiten in Bezug auf das zu fördernde Projekt auswählen zu können. Aufsätze, Paper, Qualifikationsarbeiten, frühere Projekte, Arbeitsschwerpunkte, auf denen das beantragte Projekt aufbauen kann, zählen als „Vorarbeiten“. Die Vorarbeiten müssen belegt werden: Abschlussarbeiten und Veröffentlichungen werden zusammengefasst und im Anhang beigefügt (hier Vorgaben des Ausschreibungstextes beachten); unpublizierte Ergebnisse werden ausführlicher dargelegt. Eine klare Fragestellung formulieren Fragestellung/ Ziel der Forschungs- Ein für die beantragte Förderdauer machbares Ziel formulieren arbeit Die forschungsleitende Fragestellung sollte sich wie ein roter Faden durch den Antrag ziehen. Das Antragsthema sollte aus dem Antrag heraus ohne Sekundärliteratur verständlich sein. Es empfiehlt sich, hier auch auf die Relevanz des Projektes für die Praxis, für die Wissenschaft und insbesondere für die Förderorganisation hinzuweisen.
146
5.
6.
Daniela Liebscher Die Förderorganisationen, ob Graduiertenkollegs oder Stiftungen, verfolgen bestimmte Förderabsichten und thematische Schwerpunkte. Man sollte erklären können, wie und warum das beantragte Projekt den Zielen und Zwecken der Förderorganisation entgegenkommt und inwiefern das geplante Projekt zur Weiterentwicklung des institutionellen Forschungsprofils beitragen könnte. Methodisches Vor- Auflistung und Begründung der Arbeitsschritte gehen/ Vorhandene/erst zu beschaffende/noch zu entArbeitsprogramm wickelnde Mittel und Methoden Der Forschungsprozess – von der Fragestellung über die Datenerhebung und Datenauswertung bis zur Ergebnisformulierung (Schreiben) - stellt eine Abfolge von Entscheidungen dar. In diesem Kernabschnitt muss man beweisen, dass man seine Forschungsidee auf konkrete Schritte „herunterbrechen“ kann. Man muss darlegen, was man machen will, wie man es machen will und warum man es machen will. Man beweist seine Methodenkenntnis gerade auch dadurch, dass man z.B. bei der Datenerhebung in Archiven, durch Interviews etc. Fehlversuche zeitlich (und finanziell) mit einplant. Es ist unrealistisch und unwissenschaftlich, davon auszugehen, dass alle geplanten Methodenschritte auf Anhieb klappen werden. Vielmehr sollte erkennbar werden, dass man sich bereits Gedanken gemacht hat für den Fall, dass der eine oder andere Ansatz nicht funktioniert und Alternativen benennen kann. Aufwand und Nutzen der gewählten Ansätze sollten in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Tipp Die DFG gibt als Richtwert an, dass der Arbeitsplan etwa die Hälfte des gesamten Antrags ausmachen sollte. Visualisierung der geplanten Arbeitsschritte und Zeitplan „Meilensteine“ durch eine tabellarische Darstellung oder mittels einer Zeitachse
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Hier vermittelt man den Begutachtenden, dass man das Ganze im Blick hat und die Faktoren Zeit und Arbeitskraft realistisch verwaltet, wissenschaftliches Projektmanagement beherrscht, die wichtigsten Etappen und Meilensteine nennen kann und mit der entsprechenden Terminologie umzugehen weiß. Das macht einen erfolgreichen Projektabschluss wahrscheinlich. Für das Exposé genügen in der Regel Halbjahresschritte als zeitlicher Rahmen; einzelne Schritte können einen oder mehrere Monate umfassen, aber eine noch detailliertere Planung ist in diesem Stadium unrealistisch. Ein guter Arbeits- und Zeitplan baut auf der Grobstruktur des wissenschaftlichen Schreibens auf: Strukturierung und Gliederung des gesammelten Materials, Rohfassung des Textteile und Überarbeitung und Endredaktion des Textes. Dabei unterteilt er die Phasen in Zwischenschritte, plant Zeitfenster für das Überarbeiten von Textteilen ein sowie Pufferzeiten für Unvorhersehbares. Gerade die Phase der Überarbeitung ist ein häufig unterschätzter Arbeitsschritt, der viel Zeit in Anspruch nehmen kann. Welche Arbeitsschritte müssen nacheinander, welche parallel erfolgen? Arbeits- und Zeitplan (und ggf. Finanzplan) müssen miteinander übereinstimmen. Begabtenförderungswerke und Graduiertenkollegs fördern realisierbar angelegte Projekte, da sie regelmäßig evaluiert werden und ihr Erfolg an rechtzeitig beendeten Promotionen gemessen wird. Anders als Graduiertenkollegs bewilligen Begabtenförderungswerke Promotionsstipendien zunächst für zwei Jahre. Es besteht die Möglichkeit, um ein weiteres Jahr zu verlängern. Man sollte beim persönlichen Zeitplan die Zeit einkalkulieren, die ein solcher Verlängerungsantrag benötigt und dabei bedenken, dass Begutachtungsverfahren einige Monate dauern können.
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Daniela Liebscher Tipp
Einerseits gehören Kurskorrekturen gerade bei geistes- und kulturwissenschaftlichen Arbeiten und qualitativen Studien zum Forschungsprozess; das Abweichen von der ursprünglichen Projektskizze gilt hier nicht unbedingt als Zeichen für eine mangelhafte Planung. Andererseits können diese Abweichungen aber die Promotionsdauer verlängern, was Frustrationen bei allen Beteiligten auslösen kann. Um rechtzeitig gegenzusteuern, sollte man für ein regelmäßiges "Controlling" des Arbeitsprozesses sorgen. Hilfreich können sein: selbstorganisierte Schreib- und Arbeitsgruppen zum Austausch der Fortschritte/Arbeitsprobleme; klare Vereinbarungen mit der Betreuungsperson über regelmäßige "Feedbackschleifen"; Wahrnehmung von institutionellen/privaten Angeboten zur Forschungssupervision etc.
Alphabetische Liste der im Antrag verwendeten Literatur Bei der Verwendung der Literatur ist es wichtig, der Versuchung zu widerstehen, sein ganzes Wissen auszubreiten. Vielmehr sollte man durch eine präzise Auswahl zeigen, dass man die relevante Literatur des Themas kennt und sie einzuordnen weiß. Exemplar der Abschlussarbeit 8. Anhang Sonderdrucke/Kopien von Veröffentlichungen evtl. wichtiges Anschauungsmaterial zum Forschungsvorhaben (Tabellen, Skizzen etc.) Zum Umfang und zur Gestaltung des Anhangs Vorgaben des Ausschreibungstextes beachten oder Informationen bei den Ausschreibungsinstitutionen erfragen. Zusätzliche Bausteine (bei Drittmittelanträgen) Geplanter Bedarf für: 9. Finanzplan Personal (Wissenschaftliche Mitarbeiter, Hilfskräfte) Verbrauchsmaterial (Kopien etc.) Geräte und spezifische Software 7.
Literaturliste
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Reisekosten (auch zu Tagungen) Publikationen Dieser "Baustein" wird bei Anträgen auf Promotionsstipendien nicht nachgefragt. Ist ein Promotionsstipendium bewilligt, besteht allerdings die Möglichkeit, bei den Förderern Zuschüsse zu Kopien- und Reisekosten zu beantragen. Bei Drittelmittelanträgen ist dieser "Baustein" dagegen mitentscheidend. Erfahrene Gutachter blicken als Erstes auf die kalkulierte Endsumme und können bereits einschätzen, ob jemand zu bescheiden oder zu großspurig auftritt. Beides belegt einen Mangel an Kompetenzen im Projektmanagement und weckt zumindest Misstrauen: Wenn AntragstellerInnen zu knapp kalkulieren, könnte ihnen am Ende das Geld fehlen, und Nachanträge sind in der Regel ohne Erfolg. Kalkulieren sie zu großzügig, gelten sie rasch als unseriös. Erfahrene Kollegen oder das Fachpersonal der Hochschulverwaltung können bei der Berechnung der einzelnen Posten helfen. Weitere Voraussetzungen Vorhandene Ressourcen, die außerdem den Erfolg des Projekts garantieren: vorhandene Geräte, z.b. EDV-Anlagen , Kooperationen mit Kollegen der Hochschule/des Fachbereichs, Zusammensetzung der Arbeitsgruppe, Sachmittel aus dem Haushalt der Institution etc.
10.
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Schluss
TeilnehmerInnen von Schreibtrainings zum "Anträge schreiben" haben ein großes Bedürfnis, ihre Textentwürfe von ihren KollegInnen begutachten zu lassen und dann anhand der "Bausteine" zu bearbeiten bzw. einen ersten Entwurf zu skizzieren. Denn entweder wurde ihr Exposé von potentiellen Betreuungspersonen, vom Promotionsausschuss ihrer Universität und/oder von einer Stiftung abgelehnt. Oder sie sind sich noch unklar über die konkrete Fragestellung ihres
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Daniela Liebscher
geplanten Projektes und tun sich entsprechend schwer, es in klare Worte zu fassen. In der Tat geht es meistens darum, die Forschungsfrage zu präzisieren sowie das Vorhaben in einen Arbeits- und Zeitplan zu fassen. Dabei wirkt die Arbeit an der Textsorte unmittelbar auf die AutorInnen zurück: Je deutlicher sich die konkreten Schritte des Promotionsprojekts herauskristallisieren, desto machbarer erscheint den Graduierten selbst das eigene Projekt und desto motivierter sind sie, die Promotion tatsächlich anzugehen. Davon profitieren erfahrungsgemäß vor allem Frauen. Hochschulen, die Promotionswillige durch entsprechende Angebote in der sensiblen Antragsphase beraten und begleiten, gewinnen nicht nur hochmotivierte DoktorandInnen und legen den Grundstein zum Erfolg der Promotionsvorhaben. Sie tragen auch dazu bei, Frauen den Weg in die Wissenschaft zu ebnen.
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-- (2009b). DFG richtet 14 weitere Graduiertenkollegs ein. Pressemitteilung Nr. 17, Bonn, 12. Mai 2009: DFG. URL: http://www.dfg.de/aktuelles_presse/pressemitteilungen/2009/presse_2009_17.html European Commission. Directorate-General for Research (2006). She Figures 2006. Women in Science. Statistics and Indicators, Luxembourg: Office for Official Publications of the European Communities. Fischer, J. (2006). Stipendium. In Miloš Vec u. a. (Hg.), Der Campus-Knigge. Von Abschreiben bis Zweitgutachten, 205f., München: C.H. Beck Verlag. Gülder, J. & Reinhardt, A. (2007). Gleichstellung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern - Einschätzungen und Fakten zum Förderhandeln der DFG. In DFG Infobrief (1), 1-9. URL: http://www.dfg.de/zahlen_und_fakten/ib/ Hellmann, G. u.a. (o. J.). Das Exposé einer Magister-, Diplom- oder Doktorarbeit, Frankfurt/M.: Johann Wolfgang Goethe-Universität, Institut für Politikwissenschaft. URL: http://www.soz.uni-frankfurt.de/hellmann/mat/WA-Expose.pdf Jahn, R. (2006a). Dos and Dont's. Der etwas andere Leitfaden. Ein Leitfaden zum Formulieren von Anträgen, Bonn: DFG. URL: www.dfg.de/antragstellung/begutachtung/download/der_andere_leitfaden_0608.pdf -- (2006b). Leitfaden für Antragsteller von Forschungsstipendien, Bonn: DFG. URL: www.dfg.de/antragstellung/begutachtung/download/der_andere_leitfaden_forschung sstip_0608.pdf Noeres, D. & Kirschbaum, A. (2004). Zur Bedeutung geschlechtsspezifisch wirkender Auswahlprozesse bei der Förderung von Promotionen an niedersächsischen Hochschulen - Ergebnisse der Studie. In Dorothee Noeres; Almuth Kirschbaum (Hg.), Promotionsförderung und Geschlecht. Ergebnisse einer empirischen Studie und Folgerungen für die Praxis. Dokumentation des Abschlussworkshops am 19. Januar 2004 an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, 15-36, Oldenburg: Zentrum für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Nünning, V. & Nünning, A. (2007). Erfolgreich bewerben: Anforderungen an Bewerbungen auf Stipendien und Stellen. In Ansgar Nünning; Roy Sommer (Hg.), Handbuch Promotion. Forschung - Förderung - Finanzierung, 142-154, Stuttgart/Weimar: Verlag J.B.Metzler. Olk, H. (2003). How to Write a Research Proposal, Accra: DAAD. URL: http://ic.daad.de/accra/download/How_to_write_a_research_proposal.pdf Roth, G. (2009). Vorwort. In Studienstiftung des deutschen Volkes (Hg.), Jahresbericht 2008, 4-8, Bonn: Studienstiftung des deutschen Volkes. Schwarzer, G. (2001). Forschungsanträge verfassen. Ein praktischer Ratgeber für Sozialwissenschaftler/-innen, Zeitschrift für Internationale Beziehungen (8), 141-156. URL: http://www.zib-online.info/zib/hefte/ZIB_1_2001.pdf Sommer, R. (2007). Das Exposé: Projektskizze, Arbeits- und Zeitplan. In Ansgar Nünning; Roy Sommer (Hg.), Handbuch Promotion. Forschung - Förderung - Finanzierung, 246-253, Stuttgart/Weimar: Verlag J.B. Metzler. Wennerås, C. & Wold, A. (2000), Vetternwirtschaft und Sexismus im Gutachterwesen. In Beate Krais (Hg.). Wissenschaftskultur und Geschlechterforschung, 107-120, Frankfurt a. M.: Campus Verlag.
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www.stipendiumplus.de ist die Informationsseite der Arbeitsgemeinschaft der elf Begabtenförderungswerke im bundesdeutschen Hochschulbereich, die vom BMBFunterstützt werden. www.thesis.de Das interdisziplinäre Netzwerk THESIS für Promovierende und Promovierte e.V. unterstützt seit 1991 Doktorandinnen und Doktoranden aller Fachrichtungen bei ihrer Promotion und danach durch lokale Gruppen, Weiterbildungsangebote, Umfragen und Recherchen und hochschulpolitische Lobbyarbeit. www.uni-bielefeld.de/(de)/soz/igss/graduateschool/studentprofiles.html In den Promovierendenprofilen der International Graduate School in Sociology, Universität Bielefeld finden sich Beispiel-Exposés für sozialwissenschaftliche Forschungsthemen. Andere Dissertations-Exposés lassen sich über "Google" recherchieren. www.uni-kassel.de/wiss_tr/ Die Website des Forschungsreferats Kassel betreibt einen Infoservice rund um das Antragswesen.
Publish or Perish? A Genre Approach to Getting Published in Leading English-language Journals Felicitas Macgilchrist Abstract English-language writing skills are becoming indispensible for scholars for whom English is an additional language. This chapter outlines how a ‘genre approach’ can assist scholars who wish to publish research articles in leading international journals. It first describes the approach, and then traces the stages of a genre-based workshop for doctoral and post-doctoral researchers. A central argument is that the key to successful academic/scientific writing in English is more than learning vocabulary and grammar. The publishing workshop thus aims to develop ‘genre awareness’, i.e., it gives participants the tools to independently analyse the conventions, contexts, constraints and choices available in their disciplines.
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Introduction
‘Internationalisation’ has become a key buzz word in recent debates on higher education. Indeed, for scholars across a range of disciplines, one of the central goals of research is to disseminate their findings in research articles published in leading peer-reviewed international journals. Since English has, for better or worse, become the lingua franca of the international academic community, many scholars around the world now see a need to communicate their findings in English-language publications. In this sense, publishing in top-ranked journals is not only imperative for individual careers, but also for the creation of a truly global academic community, in which scholars for whom English is an additional language (EAL) actively participate in the production of knowledge. This chapter outlines how a ‘genre approach’ can facilitate EAL scholars’ writing (publishing) skills in English in the humanities, social sciences and ‘hard’ sciences. Section 2 defines the priorities of genre pedagogy. Section 3 describes an interactive cycle of teaching and learning, and illustrates the way the cycle has been used in a trainer-led two-day workshop (henceforth the ‘publishing workshop’) designed by Katrin Girgensohn and myself.
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Felicitas Macgilchrist Genre Pedagogy
Approaches to teaching genre tend to be divided into three groups. First, the systemic-functional linguistic approach, also known as the Sydney School, which draws on Michael Halliday’s richly descriptive linguistics (Halliday & Matthiessen 2004) and generally sees genre as “a staged, goal-oriented, social process”. “Social because we participate in genres with other people; goaloriented because we use genres to get things done; staged because it usually takes us a few steps to reach our goals” (Martin & Rose 2003: 7). Second, the New Rhetoric approach which initially pays more attention to situation and context, and less to linguistic specifics. New Rhetoric writers tend to draw on Carolyn Miller’s seminal work which described genre as “typified rhetorical actions based in recurrent situations” (Miller 1984: 159). Finally, the English for Specific Purposes (ESP) or English for Academic Purposes (EAP) approaches, which, being primarily oriented to language teaching, combine elements from the first two with research on second language acquisition. John Swales, a prominent contributor to ESP/EAP discussions on genre, provides a working definition of genre which highlights communicative purpose and constraints of content, positioning and form which, nevertheless, enable variation (Swales 1990: 45-54). Shared among these approaches – and the thinking behind this chapter – is an emphasis on language as a rhetorical practice embedded in social contexts; on genre as situated social action (Miller 1984) and a site of dynamic interaction (Devitt 2004). Catherine Schryer demonstrates this understanding by using ‘genre’ as a verb: we genre our way through social interactions, selecting an appropriate utterance to respond to particular communicative situations (Schryer 1995, cited in Adam & Artemeva 2002: 181). Genre is thus seen as tied to (conventional, recurrent, evolving, hybridising, situated, semiotic, social) action/practice, and thus to power and status, rather than solely to particular (innocent, conflict-free, static) forms or rules. For foreign language teaching, genre pedagogy was one reaction to the challenges posed by communicative language teaching (CLT). Particularly popular in the 1980s and 1990s, communicative approaches to language teaching emphasise that classroom activities should be as natural (authentic), stress-free and learner-centred as possible, and that teachers should thus intervene as little as possible. Individualised courses are designed to create activities to meet the specific class’ needs. Although these elements are still widely seen as valid, CLT has been criticised from two perspectives. First, evaluations of large scale implementation of such communicative approaches suggest that learners have little or no sense of progression or achievement in this type of course (Campbell 1986,
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cited in Feez 2002: 51). Second, using class time to replicate natural communicative language use is “to deny the whole purpose of pedagogy, which is to contrive economical and more effective means for language learning than is provided by natural exposure and experience” (Widdowson 1995: 164). The approach to genre adopted in the publishing workshop builds on this concern that classroom teaching provide a sense of systematic organised progression in which learners are explicitly told what they are learning and why. EAL (English as an additional language) scholars are offered support by (i) “raising awareness of the ways language works in disciplinary arguments”, (ii) “encouraging writers to reflect on their own practices” and (iii) “providing them with strategies for analysing target publications and navigating the processes of submission and revision” (Hyland 2009: 182). In this sense, EAL scholars are not only learning to improve their vocabulary and grammar, but are learning to become genre analysts. We add a fourth element: (iv) exploring the practice of writing explicitly for oneself only (“non-audience-oriented” writing, Elbow 1998a), since we have found that this reduces learners’ anxiety. One concrete strategy for implementing these four aspects is the genre-based teachinglearning cycle.
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The Teaching-Learning Cycle in the Publishing Workshop
Various descriptions of teaching-learning cycles are circulating in genre theory texts, primarily from the Sydney school, which have been adapted here (Fig. 1; cf. Feez 2002: 65ff.). Before looking at the cycle in more, I would like to emphasise three points. First, it is represented as a cycle to highlight that learners can enter the process at any point, according to their particular expertise in the given genre or literacy event (Rothery 1996). Second, in practice, teachers will modify the cycle, skipping certain parts, spending longer on others, again depending on the students’ level of experience and expertise in the given genre. Third, I agree with Susan Feez that “one of the most useful aspects of genre-based pedagogy in ESL [English as a Second Language] is that it allows teachers to unhook effective teaching methods” from specific approaches to language teaching (Feez 2002: 67f.). The aim instead is to use those methods found to be effective at particular stages of learning and with particular learners. In the publishing workshop we use a variety of assignments including: individual, pair and group tasks, brainstorming, clustering, mind-mapping, trainer-led input sessions, learner-centred communicative activities, free writing, audienceoriented writing and non-audience-oriented writing, vocabulary building, writing
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Felicitas Macgilchrist
preparation, redrafting, language feedback and peer feedback. Some of these are outlined in more detail below.
Figure 1: A Teaching-Learning Cycle. Each phase of the teaching-learning cycle aims to develop genre awareness. Priority lies on the skills of genre analysis which facilitate learners’ awareness of the particular ‘discourse communities’ (‘communities of practice’) they are aiming to join, e.g. biogeneticists, theoretical mathematicians or political scientists. On a practical level, in preparation for the two day publishing workshop, we (the trainers, Katrin Girgensohn and myself) request participants to bring (i) a leading journal in their field (for scientists we ask for a leading journal other than Science or Nature) and (ii) a specific idea for a journal research article they need to write (this can be one they are actually currently writing or they may need to fictionalise the final results of research they are currently working on in order to write up the findings).
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Also in preparation, we select three journal articles with which the participants will work throughout the workshop. For humanities and social sciences, these are taken from leading journals from participants’ disciplinary specialisations. For scientists, one is from Nature, one from Science and one from another leading journal which publishes lengthier papers, so that participants become aware of the stylistic differences between the two leading journals and the majority of other top ranking journals.
3.1 Building the Context As Fig. 1 shows, one phase is devoted to context-building, a fundamental aspect of genre understood as social action. In this phase, learners are offered the opportunity to “experience and explore the cultural and situational aspects of the social context of the target text” through a range of activities (Feez 2002: 66). Future phases of the teaching-learning cycle draw on teacher and learners’ shared understanding of the contexts developed during this phase. For the publishing workshop, the core context is the process of submitting a paper to a leading English-language journal. Using various teaching and learning methods, learners explore the social and rhetorical work done by research articles. The first morning, after participants get to know each other, we introduce the workshop and present the publication process for academic papers (see Fig. 2). Potential authors must, for instance, select an appropriate journal (e.g., by finding top-ranked journals as listed on the Web of Science Master Journal List (http://scientific.thomsonreuters.com/mjl, or checking the impact factor of journals on http://sciencegateway.org/rank/index.html), analyse the journal’s ‘guidelines for authors’ and style sheets, consider the specific audiences and become familiar with previous articles published in the journal (i.e. its style and its recent debates and priorities). After writing the paper, they submit it to the journal and it is passed after editorial review to experts in the field. Authors receive comments from peer reviewers and almost certainly have to make changes and resubmit before finally having their paper accepted and published. At this point in the publishing workshop, we share anecdotes about scholars who (re-)submitted their papers up to seven times before being accepted.
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Felicitas Macgilchrist
Figure 2: Stages of the Publication Process In this phase, learners also engage with comments made by journal editors and peer reviewers about priorities for journal articles. At the very basic level, these include relevance to the journal, flawless methodology and ethics. Most editors also prioritise papers which make a strong primary contribution to knowledge, which clearly demonstrate the broader significance of the research beyond the specific findings reported, and which are set out elegantly and convincingly. We encourage participants to thoroughly explore the website of the journal they wish to submit to, checking e.g. “style guides” or “advice to authors”. A wealth of resources on “avoidable errors” when submitting papers is available online, including, for instance, errors in introductions: “The study question, hypothesis, study objectives are not specified or are confused; the importance, novelty, originality of the study is not shown; the presentation is not intriguing (i.e., the introduction is boring).” (Biros n.d.). An important feature of building the general context is to reflect critically on the power of ‘international’ journal editors, mostly based in the UK and US, who operate as gatekeepers deciding which articles are ‘cutting edge’, which
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type of ‘logic’ is acceptable, and which papers are written to a suitable standard (cf. Flowerdew 2008). At this stage, we include a task dubbed “Articles Anonymous”, asking participants to write as their article about their feelings (fears, excitement, etc) about their future (Ruhmann 1999). A prompt is offered, e.g. “I’m Susanne’s Pigment Saturation and I’m an article. I’m looking forward to finally being written, since Susanne’s been thinking about me for so long. But I’m really not sure if she has enough data to make a strong argument, and if she’ll find the right words for being cautious about her findings.” Central to this task is that the writer is the only reader of the text. Participants can experiment and explore writing in English with no fear of censure or embarrassment. A possible critique is that learners are participating in order to improve their writing and trainers should thus give feedback on all texts. Given our experience of writing workshops, however, we strongly believe that the stress-free environment provided by non-audienceoriented writing strengthens EAL writers’ confidence in other (audienceoriented) writing tasks in which the social and rhetorical actions of the texts are more central. More specific contexts are then explored for abstracts and introductions. Abstracts, for instance, are the most read (sometimes the only read) part of a written research paper, generally available free of charge on the journal websites. They should be aimed at the target readers of the journal in question, i.e. with expectations of disciplinary specialisation and (in)formality that potential authors should be aware of before submission. Key words that international scholars and search engines will look for should be included. On the first morning, before analysing the abstracts, a second (nonaudience-oriented) ‘free writing’ activity is offered. Participants write for 20 minutes about the context and topic of the paper they intend to write during this workshop. This activity allows participants to gather thoughts about their individual focus during the workshop. Again, we emphasise that the participants are the only readers for their own texts, and encourage them to try to switch off their internal editor which, for most of us, looks over our shoulders as we write. By making us feel we should write well the first time, this internal editor inhibits our ability to write a lot or to write at all.
3.2 Modelling and Deconstructing the Text As the description above indicates, we – as trainers – structure the contextbuilding phase quite strongly. In the subsequent phase of modelling and deconstructing texts we again strongly scaffold the learning process. Here, we aim to
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introduce learners to sample texts from the target genre in the contexts already explored, and to deconstruct the specific social actions, structures, logics and language use (grammar, vocabulary) in the texts. In the publishing workshop, we first explore abstracts, since they are (i) the most widely accessible part of a research paper, and (ii) short texts which include the core information of a complete research paper. On the second day, we analyse and write introductions, since EAL scholars report that they are among the most challenging sections of a paper to write (cf. Uzuner 2008). Both abstracts and introductions tend to have a visible purposeful structure which lends itself very well to raising EAL scholars’ genre awareness, since in our experience, the participants in publishing workshops have received no formal training in the structuring of abstracts or introductions, are surprised to discover a clear logic, and are then able to translate this awareness to other genres.
3.3 Modelling and Deconstructing Abstracts For example, in the abstract for “Why Peer Discussion Improves Student Performance on In-Class Concept Questions” (Smith et al. 2008), learners analyse the social action of each sentence or clause. Although a more fine-grained analysis is possible (e.g. Melander, Swales & Fredrickson 1997), in the publishing workshop the central aim at this stage is to draw learners’ attention to the rhetorical work done by each sentence or clause in academic writing. Although we emphasise that there is no single correct answer, analysis could be along the lines of: Describe context /topic /importance: When students answer an in-class conceptual question individually using clickers, discuss it with their neighbors, and then revote on the same question, the percentage of correct answers typically increases. Specify problem: This outcome could result from gains in understanding during discussion, or simply from peer influence of knowledgeable students on their neighbors. State objective: To distinguish between these alternatives in an undergraduate genetics course,
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Describe method: we followed the above exercise with a second, similar (isomorphic) question on the same concept that students answered individually. Report results: Our results indicate that peer discussion enhances understanding, even when none of the students in a discussion group originally knows the correct answer. Following this analysis of social action, learners analyse lexis and grammar, such as the predominant use of present tense (answer, discuss, revote, increases, indicate, enhances, knows) with the past tense in the methods section (followed, answered); the use of modal verbs (could result) and cautious lexis (results indicate rather than prove); the use of the infinitive to express objectives (to distinguish); the use of we rather than passive voice; the opening structure of when students answer…; the lack of the as a sentence starting word. In each case, learners attend to the rhetorical work done by each language element, exploring, for instance, author-reader relationships, degree of specialisation and pace. In our publishing workshop, we scaffold the first abstract most extensively by discussing it with learners as a whole group. Learners then analyse two further abstracts in pairs and exchange ideas in a whole-class discussion. Finally, learners analyse a fourth abstract independently. Following our request before the workshop, they should each have brought an article from a leading journal which is relevant to their own specific research. They go through the analytical steps – rhetorical action then lexis/grammar – for their own abstract individually, before the whole class comes together to discuss similarities and differences. In practice, learners find many similarities; thus it is important at this stage to emphasise the differences. An inherent danger of genre pedagogy is that a genre is presented as an empty structure/form into which writers simply pour their particular content. To combat this, we have found it helps to emphasise that familiarity with the limits and possibilities of genre can enhance creativity and diversity. The stability offered by familiarity enables students to make conscious choices as to whether/when to conform or to differ. “Meaning exists in the interaction of choice and constraint, in genre no less than in language”, writes Devitt (2004: 150). Hyland urges teachers to “recognize the possibilities of genre variation to avoid dogmatic assertions”; we should “encourage a sense of exploration and experiment among our students so they can come to see the possibilities of expression that lie open to them” (Hyland 2004: 64).
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3.4 Modelling and Deconstructing Introductions A similarly staged approach is used to explore the genre of research paper introductions on Day 2 of the workshop. After a whole-class discussion of the first introduction, learners are introduced to John Swales’ (1990) CARS (Create A Research Space) model of the rhetorical structure of introductions (see Fig. 3). They consider how the three introductions we have provided and the fourth introduction they have brought with them from their specialist journal cohere with, and diverge from, the model. In this way, as above, the goal is learning to become genre analysts rather than learning genres per se.
Figure 3: Writing Introductions by Creating a Research Space (from Swales 1990)
3.5 Joint Construction of a Text In the next phase, trainers begin to reduce their interventions, as learners adopt more active responsibility for their learning process. Groups of learners jointly construct a text belonging to the target genre. Trainers guide them through the
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process of planning, drafting and redrafting, and are actively involved in the negotiation of meaning in this phase. Since the EAL scholars attending our publishing workshop have strong academic skills and work in diverse disciplinary specialisations, we omit this phase and go directly to the next phase of independent text construction.
3.6 Independent Construction of a Text In the independent construction phase, learners work on the contexts and texts – in our case, writing the abstracts and introductions for research papers reporting on their current research – independently. They consult with trainers and other learners only as they feel necessary. In our workshop, to encourage participants’ reflection on their writing practices and widen their repertoire of writing strategies, we suggest adopting what Peter Elbow has called a ‘developmental model’ for the abstract-writing phase on Day 1 (Elbow 1998b: 18-22). In this activity, rather than struggling to produce one polished text, a chunk of time is split into three or four units. In the publishing workshop, we take one hour and split it into three chunks. Learners write one complete abstract in 15 minutes. They then spend five minutes reading their abstract and writing about what they think works and what needs improvement. Next, they put the first texts away (or close the document on their laptops), and spend 15 minutes writing a second complete abstract, starting from their reflections but without referring to the first abstract at all. This is followed by five further minutes of written reflection on the second abstract, and a final round of writing, referring only to the second reflection followed by a final comment on the third version. If time allows, learners can then choose to polish a final version of their abstracts and/or read and give feedback on their peers’ texts. A warning for trainers: this activity can lead to strong initial resistance from learners and very positive reactions after it is finished. Most participants comment that they feel more tired than if they had written one version slowly and carefully but are far less frustrated than they would have been. In the introduction-writing phase on the second day, participants select their own writing strategies.
3.7 Peer Feedback and Editing We include several phases of giving and receiving peer feedback on texts written during the workshop (cf. Lange & Lange, this volume). When learners adopt the
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role of peer reviewer they also learn to consider their own text from a distance. Learners respond to the feedback by editing their text to publishable standard.
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Conclusion
In conclusion, four features of the two day workshop for doctoral and postdoctoral researchers on publishing in leading academic journals summarise the central goals and priorities of this type of genre approach to academic writing. Each reacts in some way to critique which has been aimed at related approaches to genre pedagogy. First, teacher-learner relations. It is important to avoid “authoritarian practices in teaching” (Barrs 1994: 252). Scaffolding in the teaching-learning cycle involves joint negotiation and decreasing teacher involvement. Numerous assignments and activities are learner-centred. Non-audience-oriented writing tasks enable learners to explore writing in a private space, free from hierarchical control. Second, authentic reading and writing. There is a danger in EAP classrooms of importing purportedly “authentic” situations into the classroom but in the process turning learning tasks and assignments into “a mélange of strippeddown, rhetorically simplified events” (Adam & Artemeva 2002: 185). By analysing journal articles which EAL scholars themselves have selected as relevant to their current research, and by writing abstracts and introductions which they genuinely intend to publish, the workshop avoids this danger, enabling learners to experiment with the genres of their own discourse communities. Third, genre awareness. Explicit teaching of genres has been criticised from two perspectives: (i) since genres may be more productively acquired through situated immersion, explicit teaching of genres is “unnecessary; for the most part, not even possible; and where possible, not useful” (Freedman 1993: 226); (ii) teaching genre acquisition “could lead to rigidly prescriptive conceptions of a genre and to formulaic writing” (Devitt 2004: 193). In response to these criticisms, the workshop emphasises throughout that genre awareness is the goal of the publishing workshop rather than genre acquisition. EAL scholars should leave the workshop as proficient genre analysts, able to analyse the conventions, contexts, power relations, constraints and variations which particular genres at a given time make available. Finally, diversity and change. Genres in the approach outlined here are taught neither as static forms or structures into which writers can pour their content, nor as a restraint on individual creativity. Instead, the heterogeneous, hybrid and evolving nature of genres is emphasized. EAL scholars are encouraged to
Publish or Perish?
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experiment with forms and structures in order to explore diverse ways of expressing their research findings and to thus actively participate in the global academic community.
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Go Academic! Strategien für das Berufsfeld Wissenschaft Dunja M. Mohr
Abstract Die Diversität von Promotionsphasen erfordert promotionsbegleitende Angebote wie Workshops und Seminare. Ein bisher oft vernachlässigter Aspekt dabei ist die Auseinandersetzung mit dem Berufsfeld Wissenschaft und den eigenen Karrierevoraussetzungen. Dieser Beitrag zeigt die Vielfalt möglicher Einflussfaktoren auf Berufswege in der Wissenschaft und erläutert die Inhalte des Workshops „Go Academic! Qualifizierungsstrategien für NachwuchswissenschaftlerInnen“.
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Strukturelle Diversität von Promotionsphasen
Seit fast zehn Jahren befindet sich die Hochschullandschaft in einem umfassenden Wandel. Im Rahmen von Bologna sollte eine Vereinheitlichung des Studiums und somit eine größere Mobilität im europäischen Hochschulraum erreicht werden. Während mit der Umstellung auf BA- und MA-Studiengänge im Rahmen dieses Bologna Prozesses zumindest eine Angleichung der verschiedenen Studienabschlüsse und Studiensysteme anvisiert wurde, ist eine Harmonisierung der Promotionsphase eher ausgeklammert worden und noch in weiter Ferne. Allein schon die Auslegung der Promotionsphase an sich ist im europäischen Hochschulraum umstritten: Handelt es sich um eine eigenständige wissenschaftliche Qualifikationsphase oder um ein Promotionsstudium? Bilden DoktorandInnen eine eigene Statusgruppe an der Universität, gar mit (Promotions-)Arbeitsvertrag und Lohn (wie z.B. in den skandinavischen Ländern), oder wird ihnen ein prekärer ungeregelter Sonderstatus der Eigenfinanzierung beispielsweise durch (kostengünstigere) Begabtenstipendien oder externe, universitäts- oder sogar berufsferne Beschäftigung zugewiesen?47 Diese Rah47 Vgl. hierzu die von Antonia Kupfer und Johannes Moes (2003) herausgegebene Studie Promovieren in Europa. Ein internationaler Vergleich von Promotionsbedingungen, die informative Einzelberichte zur Struktur der Promotionsphase in Großbritannien, Frankreich, Spanien, Österreich, Belgien, Niederlande, Norwegen, Schweden, Finnland, Dänemark, Polen, aber auch in den USA enthält.
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menbedingungen haben zur Folge, dass die Promotionsbedingungen hochindividuell sind: Sie unterscheiden sich nicht nur länder-, hochschul- und fächerspezifisch, sondern auch in ihrer Finanzierung, der Betreuungsleistung und in ihrem Leistungsanspruch. Unterschiede gibt es auch bezüglich des wissenschaftlichen Umfelds und der damit einhergehenden vernetzten oder isolierten Arbeitssituation am Lehrstuhl oder Institut, in der Arbeitsgruppe, dem Graduiertenzentrum etc. und der weiteren Ein- bzw. Anbindung an die Scientific Community. Kurzum: der Status Quo der Promovierenden wird in den einzelnen Ländern des europäischen Hochschulsraums sehr unterschiedlich definiert oder ist z.T. noch ungeklärt.
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Promotionsbegleitende Veranstaltungen
Zu dieser strukturellen Diversität der Promotionsphase kommen soft factors – wie beispielsweise die von der Struktur des jeweiligen Lehrstuhls und der Art der Einbindung des/der PromovendIn abhängigen Teilhabe am (informellen) Informationsfluss und Zugehörigkeit zum inner circle des Lehrstuhls/Instituts und der damit verbundenen Teilhabe am sogenannten ‚Türöffnereffekt’ (informelle, häufig same-sex Förderbeziehungen) –, die aber durchaus berufswegentscheidend sein können. Den wenigsten angehenden Promovierenden ist dies bewusst. Sehr häufig gestaltet sich der Übergang vom Examensabschluss zur Promotion eher zufällig, vielleicht als Gelegenheit, die man beim Schopfe packt, weil ‚es sich gerade so ergibt’. Dann ist aber das Wissen um die Strukturen des Berufsfelds Wissenschaft vom Zufall abhängig. So werden soziale Herkunft und Bildungsnähe bzw. Bildungsferne der Herkunftsfamilie, die entscheidenden Einfluss auf die wissenschaftliche Persönlichkeitsstruktur und Bildungs- sowie Karrierechancen der/des PromovendIn haben, zu dominanten Faktoren, die leicht das wissenschaftliche Fortkommen bestimmen. Unter Umständen führt diese Selektion nicht zum Fortkommen der Besten, sondern der am besten Informierten bzw. am besten Vernetzten oder sozial Begünstigten (homosoziale Kooptation). Diese, wie die PISA Studie belegt hat, bereits in der frühkindlichen Erziehung beginnenden sozialen Selektionsprozesse – einhergehend mit der Benachteiligung von Frauen48 und Menschen mit Migrationshintergrund – setzen sich also auch in der Hochschullandschaft fort: Die deutsche Bildungselite läuft Ge48 Inken Lind (2008: 147) fasst die aktuelle Forschungslage zur Marginalisierung von Wissenschaftlerinnen prägnant zusammen: „Zu den bisher gut gesicherten Erkenntnissen zur Berufsbiographie von Wissenschaftlerinnen gehören längere Qualifikationsphasen der Wissenschaftlerinnen, ein höheres Alter bei Promotion und Habilitation sowie eine längere Zeitdauer zwischen Habilitation und Erstberufung bei Professorinnen.“ .
Go Academic! Strategien für das Berufsfeld Wissenschaft
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fahr, sich primär aus sich selbst zu rekrutieren und signifikante Segmente der Gesellschaft auszugrenzen, wie neuere Untersuchungen belegen.49 Eine Möglichkeit, potenziell gerechtere Zugangschancen zu ermöglichen, sind den Promotionsprozess50 begleitende Veranstaltungen, die einerseits Methodiken und wissenschaftliches Handwerkszeug vermitteln (z. B. in Schreibwerkstätten oder Methodenworkshops) und andererseits auf einer Metaebene Kernkompetenzen wie Feldwissen, Vermittlungstechniken, Organisationsstrukturen, Selbstmanagement, Arbeitsorganisation und Zeitmanagement und die kritische Reflektion der Wissenschaft und ihrer Statuspassagen vermitteln und stärken. Ein seitens des strukturierten Promotionsstudiengangs angebotenes bzw. zu initiierendes, kollegiales Beratungsnetzwerk innerhalb der peer group kann zusätzlich stabilisierend (besonders in den drei kritischen Phasen des Promotionsprozesses)51 und z. B. auch interkulturell integrierend wirken (vgl. den Beitrag von Dinkler & Altissimo in diesem Band). Ein den Berufsweg begleitendes karrierespezifisches 49 Vgl. zum Beispiel die HIS (Hochschul-Informations-System) Studie Das soziale Profil in der Begabtenförderung (2009) über die soziale Herkunft der Stipendiatinnen und Stipendiaten der Begabtenförderungswerke, die belegt, je niedriger der soziale bzw. Berufs- und Bildungsstatus der Herkunftsfamilie ist, umso geringer sind die Chancen, im deutschen Hochschulsystem z.B. durch ein Stipendium gefördert zu werden. Die Berufsbiographieforschungen zu den Karrierewegen in der Wissenschaft deuten in eine ähnliche Richtung und unterstreichen des weiteren die Notwendigkeit von Geschlechtergerechtigkeit auch im akademischen Feld. Vgl. hierzu u.a. Färber und Spangenberg (2008) und Beaufaÿs (2003). Da der Selektionsprozess schon zwischen Schulabschluss und der Entscheidung, überhaupt zu studieren greift, ist es das Ziel sozialer Initiativen, wie z. B des vielfach preisgekrönten Internetportals „Arbeiterkind.de“, über Zugangs- und Finanzierungsmöglichkeiten zu informieren und so die Distanz und die Informationslücken bei bildungsferneren Abiturienten zu überbrücken bzw. zu füllen. Auch die „Böckler Aktion Bildung: Mut machen, Perspektiven schaffen“, eine spezielle Stipendiumsförderungsinitiative der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, richtet sich gezielt an Abiturienten aus einkommensschwachen und/oder bildungsfernen Herkunftsfamilien, um diesen ein Studium zu ermöglichen. 50 Sehr sinnvoll ist es, hier schon in der Examensabschlussphase eine Möglichkeit anzubieten, sich über den Promotionsprozess, Finanzierung, Themen- und Betreuungswahl umfassend zu informieren und so die Promotion wesentlich bewusster anzugehen. 51 Die Promotion teilt sich in drei Abschnitte ein: die „Anfangsphase“, die geprägt ist von der Suche nach einer Finanzierung, der Wahl des Themas und des Betreuers oder der Betreuerin; der „Vertiefungsphase“, in der die methodische Arbeit, Theorieeinarbeitung und Materialsichtung und – auswertung gepaart mit auf- und abebbenden Forschungskrisen (meist den Material- und Relevanzkrisen) im Vordergrund stehen, und der „Abschlussphase“, in der man sich leicht mit der ‚Aufschieberitis’ infiziert und Prüfungsängste, Perspektivlosigkeit, krisenhafte Berufs- und Lebensplanung die Oberhand gewinnen und den Abschluss der Promotion verhindern (vgl. ausführlicher hierzu Mohr 2008). Zur Bewältigung von Höhen und Tiefen in der Promotion, vgl. Werner Fiedler und Eike Hebecker (2005). Eine tiefergehende Arbeits- oder auch Beziehungsstörung im Betreuungsverhältnis oder im universitären Arbeitskontext bedarf allerdings einer individuellen Beratung, wie sie z.B. das Promotionscoaching oder die Forschungssupervision leisten können. Störungen und Ängste, die außerhalb des Promotionskontextes liegen, können jedoch nur in anderen, fachtherapeutischen Beratungsformaten adäquat behandelt werden. Vgl. hierzu Szczyrba (2006).
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Beratungsangebot kann durch fach-, universitäts-, geschlechtsspezifisches Mentoring noch erweitert werden. Durch solche promotionsbegleitenden Veranstaltungen und Beratungsangebote wird zugleich die oftmals chronisch überlastete Betreuungssituation zwischen Doktorvater/Doktormutter und DoktorandIn entschärft, da curriculare Qualifizierungsangebote gezielt immer wieder auftauchende Fragen und Probleme, die dem Promotionsprozess inhärent sind, aufgreifen können und das Betreuungsverhältnis sich so auf die konkreten fachwissenschaftlichen Inhalte konzentrieren kann.
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Berufsziel Wissenschaft
Strukturierte Promotionsstudiengänge bzw. strukturierte Begleitprogramme rund um die Promotion bieten also viele Vorteile. Ein ganz erheblicher Faktor kann dabei die Vermeidung von Umwegen, die Entlarvung von Illusionen und die Fokussierung auf konkrete Berufsziele – besonders wichtig in den Geisteswissenschaften – sein. Während man sich in vielen Berufszweigen vorab über das Tätigkeitsfeld informieren kann und muss, scheint sich der wissenschaftliche Karriereweg – so zumindest häufig die Aussage von erfolgreichen NachwuchswissenschaftlerInnen bzw. HochschullehrerInnen – entweder zufällig zu ergeben bzw. ist er von einem Nimbus der ‚Berufung’, der Begabung, einzig aufgrund herausragender wissenschaftlicher Leistungen geprägt. Oder aber den (erfolgreichen) WissenschaftlerInnen war bereits sehr früh im Studium klar, dass sie die Hochschullaufbahn verfolgen wollen. Heißt das also im Umkehrschluss, dass, wer mit dem Verbleib in der Wissenschaft liebäugelt, sich lediglich anstrengen und ein originäres, aktuelles, idealerweise anschlussfähiges, aber auf jeden Fall innovatives und exzellentes Forschungsvorhaben in Form einer Promotion in kürzester Zeit absolvieren muss und schon steht ihr/ihm der Karriereweg an der Hochschule offen? Besondere Leistungen entstehen aus einer Mélange aus Begabung oder „innerer Hingabe“ und „harter Arbeit“, wie schon Max Weber den Berufsethos von WissenschaftlerInnen formulierte. Gepaart mit Ausdauer und Selbstdisziplin bilden sie den wissenschaftlichen drive, die Grundfeste für die Karriere in der Wissenschaft – so der gehegte Wissenschaftsmythos. Obgleich dies sicher auf eine Vielzahl exzellenter Forscher und Forscherinnen zutrifft, haben jedoch etliche berufsbiographische und wissenschaftssoziologische Forschungen aufgezeigt, dass andere Parameter für die wissenschaftliche Karriere durchaus nicht unerheblich sind. Nach Niklas Luhmann ist auch die Wissenschaft ein Teilsys-
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tem des Gesellschaftssystems und funktioniert nach dem Prinzip der selektiven Zuschreibungen von singulären Persönlichkeitsmerkmalen.52 Robert Merton (1985: 155) spricht vom sogenannten ‚Matthäus Effekt’: Der Matthäus-Effekt besteht darin, dass hoch angesehenen Wissenschaftlern für bestimmte wissenschaftliche Beiträge unverhältnismäßig große Anerkennungsbeiträge zufallen, während solche Anerkennung Wissenschaftlern, die sich noch keinen Namen gemacht haben, vorenthalten wird.
Merton diagnostiziert ein Zusammenspiel von „ausgeprägter Ich-Stärke“, die Durchsetzungsfähigkeit ermöglicht und starkes Selbstvertrauen signalisiert und so zu einem sich selbst reproduzierenden Belohnungssystem führt (ebd. 165). Sandra Beaufaÿs (2003) geht bei ihrer Fragestellung „Wie werden Wissenschaftler gemacht“ davon aus, dass Individuen primär über Zuschreibungsprozesse und Anerkennung von bestimmten Codes zu Wissenschaftlern ‚gemacht’ werden: Wissenschaftliche Leistungen allein garantieren niemandem, dass diese auch anerkannt werden. Nur die Anerkennung bringt jedoch die Möglichkeit, sich irgendwann einen Namen zu machen und damit die Chance auf eine unabhängige Position zu bekommen (29).
Die wenigsten PromovendInnen sind sich im Klaren darüber, wohin die eigene Forschungsarbeit berufsperspektivisch führen soll, was das Berufsfeld Wissenschaft umfasst und worauf es – neben Exzellenz und Originalität – zusätzlich ankommt, um erfolgreich weitere Schritte in Richtung Wissenschaft als Beruf zu unternehmen oder aber sich konsequent einer Laufbahn in der Wirtschaft zuzuwenden. Hierbei spiegeln häufig die Unterschiede der Promotionsfinanzierung auch den Informationsstand bzw. das berufsbezogene know how wieder: Wer am Institut z. B. als wissenschaftlicher Mitarbeiter beschäftigt ist, gewinnt tiefere Einblicke in das Arbeitsfeld und erhält andere Chancen der Protektion und der Netzwerkangebote als beispielsweise eine Stipendiatin oder ein Doktorand, der sich außeruniversitär finanziert. Ein Qualifizierungsprogramm kann hier als Nachteilsausgleich bzw. als spezielle Förderung wirken.
52 Vgl. hierzu insbesondere Steffani Englers umfassende Studie ‚In Einsamkeit und Freiheit? ’Zur Konstruktion der wissenschaftlichen Persönlichkeit auf dem Weg zur Professur’ (2001), in der sie die Anerkennungsprozesse und Zuschreibungsprozesse von wissenschaftlicher Persönlichkeit in sechs Fallstudien detailliert untersucht.
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Dunja M. Mohr Der Workshop „Go Academic!“
Den wissenschaftlichen Berufsweg zu beschreiten heißt auch, sich der zukünftigen Aufgabenfelder bewusst zu sein. Zumeist dominieren Vorstellungen von Forschung das vage Berufsbild. Die Aufgabe eines für den wissenschaftlichen Berufsweg qualifizierenden Workshops ist es, den TeilnehmerInnen ein realistisches Bild über die Aufgabenfülle und -verteilung in den einzelnen Personalkategorien zu vermitteln. Im interkulturellen Bereich kann hier auch eine Einführung in das deutsche Wissenschaftssystem, in Stellenperspektiven und -strukturen und unter Umständen in unterschiedliches Kommunikationsverhalten und divergente Hierarchiegefüge gegeben werden. Ein begleitendes Qualifizierungsangebot wie „Go Academic! Qualifizierungsstrategien für NachwuchswissenschaftlerInnen“ bietet in einem kompakten Workshop von zwei bis vier Tagen – je nach Auswahl des Themenspektrums – den DoktorandInnen einen geschützten Raum, in dem sie einen realistischen Blick auf die Wissenschaft als Beruf wagen sollen. Sie werden mit den Anforderungskriterien, Leistungsindikatoren, Spielregeln, Einflussfaktoren, Ausgrenzungsmechanismen, Barrieren, Konkurrenz- und Solidaritätsprinzipien, Geschlechteraspekten und sozialen Organisationsformen des Berufsfelds Wissenschaft konfrontiert. Thematisiert werden auch verschiedene Wissenschaftlertypen und Organisationskulturen der Institute/Fachbereiche/Fakultäten sowie Kommunikations- und Hierarchieformen. Die Teilnehmenden können diese Themen gemeinsam reflektieren und die verschiedenen Kompetenzfelder und inhärente Abläufe sowie Handlungsstrategien im Sinne von „tool kits“ kennenlernen. In der Gruppenkonstellation kann so der sonst üblichen Isolation entgegengewirkt werden und idealiter eine positive Gruppendynamik bis hin zu einer über den Workshop hinaus andauernden sporadischen oder regelmäßigen kollegialen Beratung entstehen. Die DoktorandInnen werden angeleitet, ihre Eigenperspektive zu schärfen und auch ihre Motivation für die Promotion kritisch zu hinterfragen. Die sonst übliche Frage „Worüber promovieren Sie denn?“ wandelt sich hier zur selbstkritischen Frage „Warum promoviere ich?“ Das berufliche und lebensweltliche Ziel der eigenen Forschungstätigkeit soll hier aufgespürt werden und so die Promovierenden ermuntern, ihre Bildungsbiographie und ihren Berufsweg aktiv(er) zu gestalten. Selbstverständlich lebt Wissenschaft von der wissenschaftlichen Neugier, dem Interesse, Neuland zu betreten. Zugleich brauchen aber auch WissenschaftlerInnen Gelder für die Forschung, Möglichkeiten zum internationalen, interdisziplinären Austausch und zur Diskussion, also Drittmittel. Und nicht zuletzt brauchen sie eben auch eine Stelle, von der aus adäquate Forschung möglich ist. Strategisches Handeln heißt deshalb, die eigenen Forschungsinteressen und For-
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schungskontakte einmal aus der Distanz zu betrachten; den oft auf die eigene Universität begrenzten Blick national und international zu weiten; Forschungsthemen synergetisch zu bündeln, neue wissenschaftliche Kontakte gezielter zu knüpfen; überhaupt einen Überblick über das eigene Fachgebiet, die angrenzenden Fachgebiete und das (inter)nationale Forschungsgefüge zu erarbeiten; vielleicht auch einmal ein allzu häufig gerittenes Lieblingsthema zurückzustellen: Welche Forschungsthemen sind innovativ in meinem Fachgebiet? Was sind die wichtigsten Publikationsreihen? Wie publiziert man eigentlich und wo? Welche nationalen und internationalen Fachgesellschaften gibt es im eigenen Fach und angrenzenden Fachgebieten? Wie kann ich mich hier einbringen? Wie funktioniert das Feld der Forschung? Darüber hinaus sind folgende Fragen wichtig: Wie kann ich mich in der Selbstverwaltung der Universität einbringen? Wie vermittele ich mein Fachwissen didaktisch angemessen in Lehrveranstaltungen, die in den Zeiten der BA/MA- Studiengänge im schlechtesten Fall nach dem Prinzip der Dorfschule von Erst- bis Achtsemestlern mit entsprechend unterschiedlichem Fachniveau in der Neben- oder Hauptstudienrichtung besucht werden? Dies sind durchaus Fragen, die ‚junge’53 ForscherInnen bewegen und zu großer Unsicherheit beitragen. Eine Analyse des eigenen Standortes in der Wissenschaft und eine Überprüfung der Entwicklungspotentiale, ein Check der eigenen Motivation und der Qualifikationen im Rahmen des Workshops hilft, das individuelle standing besser einzuschätzen und ein wissenschaftliches Profil auch strategisch zu planen und auszubauen. Gleichwohl soll auch ein Bewusstsein für die nicht zu unterschätzenden Faktoren Glück, Zufall und Pech vermittelt werden: Nicht allein die Qualifikationen bestimmen den eigenen Lebensoder Karriereweg, wie die Wissenschaftssoziologie gezeigt hat. Einzelne Elemente des Workshops führen dezidiert ein in das organisatorisch-strategische Handwerkszeug der Tagungsorganisation, der Publikationsformen und Textsorten, der Vortragsgestaltung und Präsentationstechniken sowie in die Lehrdokumentation und das Erstellen eines Qualifikationsprofils. In diesen Phasen findet ein intensiver, interaktiver fach(kultur)übergreifender Austausch zwischen den in Teams zusammenarbeitenden PromovendInnen statt. Ein Lernen voneinander und das Heraustreten aus der Isolation werden hier im Zusammenspiel mit der konkreten Arbeit an realen Projekten gefördert. Im Erfahrungsaustausch und in der Entwicklung von Projekt- und Berufsvisionen sollen die Promovierenden für die eigenen Gestaltungsmöglichkeiten von Forschungsaktivitäten und damit für eine aktive Beschreitung ihres zukünftigen Forschungsweg sensibilisiert werden. Dabei kann sich die realistische Erkenntnis 53 ‚Jung’ ist hier sicher ein schwieriger Begriff, da das biologische Alter von den sogenannten ‚NachwuchsforscherInnen zwischen 30 und 45 Jahren liegen kann.
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Dunja M. Mohr
herausgestalten, dass „Plan B“, der Abschied von der alma mater und die Hinwendung zu anderen Berufswegen, zielführender und letztendlich zufriedenstellender ist – mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen. Diese könnten z. B. eine abgespeckte Promotion oder Konzentration auf die Qualifikationsarbeit an sich bedeuten oder ein frühes Knüpfen von Kontakten in die Wirtschaft. In den verschiedenen Modulen des Workshops werden zudem genderspezifische Aspekte angesprochen, um auf die ‚Paßfähigkeit’ als ein Auswahlkriterium in der Wissenschaft aufmerksam zu machen (vgl. u.a. Zimmermann 2000). Dies sind beispielsweise ein Ungleichgewicht bei der Finanzierung der Promotion,54 unterschiedliche Kommunikationsstrukturen, defensiveres Selbstmarketing und strukturelle Barrieren (biographischer Karriereknick in der Familiengründungsphase bzw. Altersgrenzen), die über die Frustration des Scheiterns an der „gläsernen Decke“ zum cooling out führen. Im Workshop führt die Konfrontation mit den wissenschaftlichen Karriereperspektiven gerade in der Gruppenkonstellation zum Abgleich zwischen Selbstund Fremdbild und zu einer Selbstbefragung, ob die Identifikation mit der Wissenschaft als Beruf gelingen kann. Häufige Perspektivwechsel erlauben den TeilnehmerInnen andere Rollen, beispielsweise die des Betreuers, der GutachterIn oder des/der DekanIn, zu übernehmen und so eine bessere Einschätzung für die Entscheidungsstrukturen in der Wissenschaft gewinnen. Durch die Eröffnung von größeren Handlungsspielräumen und einer weitgespannten Reflektion des Berufsfelds Wissenschaft können die Promovierenden ihren Promotionsprozess und ihren weiteren universitären oder außeruniversitären Berufsweg selbstbestimmter und bewusster gestalten.
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verlaufs. In Brigitte Berendt, Hans-Peter Voss, Johannes Wildt (Hg.), Neues Handbuch Hochschullehre, F 5.2., 1-16. Berlin: Raabe. Krimmer, H. & Zimmer, A. (2003). Karrierewege von Professorinnen and Hochschulen in Deutschland. Zeitschrift für Frauenforschung und Geschlechterstudien (4:21), 1833. Kupfer, A & Moes, J. (Hg.) (2003). Promovieren in Europa. Ein internationaler Vergleich von Promotionsbedingungen. Frankfurt: GEW. Lind, I. (2008). Wissenschaftlerinnen an Hochschulen: Analyse der aktuellen Situation. In Jutta Dalhoff (Hg.), Anstoß zum Aufstieg – Karrieretraining für Wissenschaftlerinnen auf dem Prüfstand, 142-169. Bielefeld: Kleine. Merton, R. K. (1985). Der Matthäus-Effekt in der Wissenschaft. In Robert K. Merton. Entwicklung und Wandel von Forschungsinteressen. Aufsätze zur Wissenschaftssoziologie, 147-17. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Middendorf, E. & Isserstedt, W. & Kandulla M. (2009). Das soziale Profil in der Begabtenförderung. Hannover: HIS Projektbericht. Mohr, D.M. (2008). Go Academic! Zur Professionalisierung der Promovierendenausbildung durch strukturierte Qualifizierungsangebote. In Brigitte Behrendt, Hans-Peter Voss, Johannes Wildt (Hg.), Neues Handbuch Hochschullehre, F 5.8. 1-14. Berlin: Raabe. Szczyrba, B. (2006). Forschungssupervision und Promotionscoaching – Beratungsformate für die Promotionsphase und ihre Aufgabengebiete. In Claudia Koepernik, Johannes Moes, Sandra Tiefel (Hg.), GEW-Handbuch Promovieren mit Perspektive. Ein Ratgeber von und für DoktorandInnen, 277-285. Bielefeld: W. Bertelsmann. Zimmermann, K. (2000). Spiele mit der Macht in der Wissenschaft: Passfähigkeit und Geschlecht als Kriterien für Berufungen. Berlin: Sigma.
Schreibberatung für in- und ausländische Promovierende als institutionelles Angebot Schreibberatung für in- und ausländische Promovierende
Katrin Girgensohn, Franziska Liebetanz
Abstract Dieser Beitrag beschäftigt sich mit Schreibberatung für in- und ausländische Promovierende. Er stellt die Prinzipien dieser nicht-direktiven Beratungsform vor und erläutert Besonderheiten der Schreibberatung während der Promotionsphase und für Nicht-Muttersprachler.
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Einleitung
Promovierende in den Sozial- und Geisteswissenschaften verfügen über eine hohe Schreibkompetenz. Davon ist auszugehen, denn sie haben nicht nur bereits Studienabschlüsse erlangt, sondern sind in der Regel auch besonders gute Studierende gewesen, wenn sie sich zu einer Promotion entschließen. Promovierende sind also relativ erfahrene wissenschaftlich Schreibende. Dennoch stellen sich mit der Promotion neue Herausforderungen, die nicht immer leicht zu bewältigen sind. Zunächst ist festzuhalten, dass wissenschaftliche Schreibkompetenz eine so komplexe Kompetenz ist, dass es zehn bis fünfzehn Jahre braucht, um „professionell“ schreiben zu können (vgl. Kellog 2008). Selbst wenn man die Oberstufe der Schule mit einrechnet, werden die wenigsten Promovierenden über eine so ausgedehnte Schreiberfahrung verfügen. Hinzu kommt, dass Schreibkompetenz nicht einfach einmal erlangt wird und sich dann universal auf jede Schreibaufgabe anwenden lässt. Zwar haben Promovierende bereits gelernt, adressatenbezogene wissenschaftliche Texte zu verfassen und sind mit den Regeln des wissenschaftlichen Schreibens vertraut. Es kommen jedoch in der Promotionsphase etliche Anforderungen hinzu, die auch exzellenten Promovierenden neu sind. Auf einige dieser Anforderungen werden wir zunächst kurz eingehen, bevor wir die Möglichkeiten von Schreibberatungsangeboten für Promovierende genauer schildern.
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Katrin Girgensohn, Franziska Liebetanz
Zu den Herausforderungen für Promovierende beim Schreiben gehört zunächst schon allein der Umfang einer Dissertation. Gerade das Schreiben von Langtexten ist den Promovierenden noch nicht sehr vertraut. Hier sind oft ganz andere Schreibstrategien nötig als bis dahin zum Einsatz kamen. Ortner (2004) spricht im Zusammenhang mit dem Schreiben langer akademischer Texte von der Notwendigkeit, „blindes Puzzle“ zu spielen: Wenn Lernende im Lauf ihres Universitätslebens plötzlich akademische Langtexte schreiben müssen, ändert sich für sie sehr viel. Sie sehen sich wie Wittgenstein meist nicht vor ein klar definierbares und aus- und eingrenzbares Problem gestellt, sondern sie bewegen sich auf einem Feld, das ein Sumpf ist. Durch den Aneignungsprozess ist der Ausschnitt aus dem Wissensfeld, in den die akademische Arbeit gestellt werden soll, noch chaotischer geworden, als er es von Natur aus schon ist. (Ortner 2004, Abschnitt III).
Die Schreibenden müssen es nicht nur aushalten, dass sie, wenn sie mitten in ihrem Schreibprojekt stecken, nicht wissen, wie sich am Ende alles „zusammen puzzeln lässt“, was sie schreiben. Sie müssen darüber hinaus auch die „Puzzleteile“, die am Ende ein Ganzes ergeben sollen, selbst erschaffen. Mit einem solchen Vorgehen haben die wenigsten im Laufe des Studiums genügend Erfahrungen gesammelt. Zu dieser inhaltlichen Dimension kommt eine zeitliche hinzu: Eine Dissertation zu schreiben dauert in der Regel mehrere Jahre. Das erfordert nicht nur ein viel größeres Durchhaltevermögen als die bis dahin geschriebenen Arbeiten, sondern auch andere und bewusstere Formen der Arbeitsorganisation. Oft ist die Lebensphase Promotion zudem verbunden mit vielen weiteren Verpflichtungen wie Arbeit am Lehrstuhl und in der Lehre, Familienarbeit usw., die es mit dem eigenen Forschen und Schreiben irgendwie zu verbinden gilt Eine weitere Herausforderung ist der Druck, mit diesem Projekt explizit einen eigenen Forschungsbeitrag leisten zu müssen. Promovierende müssen etwas Neues und Eigenes entdecken und formulieren und sollen sich so eine Eintrittskarte in ihre jeweilige Scientific Community erschreiben. Das ist ein hoher Anspruch, der bestens dazu geeignet ist, Blockaden hervorzurufen. In engem Zusammenhang mit dem Druck, Neues erforschen zu müssen, steht auch die Verpflichtung, die Dissertation veröffentlichen zu müssen. Im Studium veröffentlichen die wenigsten Studierenden eigene Texte, wissenschaftliche Arbeiten sind hier eher „Trockenübungen“ (vgl. Battaglia & Kruse 1998). Mit dem eigenen Text an die Öffentlichkeit zu gehen, erfordert Mut, und das Wissen um diesen bevorstehenden Schritt kann großen Druck erzeugen. Weitere Schwierigkeiten ergeben sich für Promovierende, die ihren Hochschulabschluss nicht in Deutschland gemacht haben. Oft sind sie das erste Mal
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mit der deutschen Wissenschaftskultur und ihren Eigenheiten konfrontiert, zu denen zum Beispiel ein sehr hohes Maß an Selbständigkeit gehört (siehe dazu die Beiträge von Hennig und Hiller in diesem Band). Hinzu können sprachliche Schwierigkeiten und Unsicherheiten im Stil der jeweiligen Fachwissenschaftssprache kommen (vgl. Brandl et al. 2008; Büker 1998; Ehlich 1999; Grieshammer 2008). Generell sind Schreibprozesse, die nicht in der Muttersprache erfolgen, durch eine höhere kognitive Belastung des Arbeitsgedächtnisses gekennzeichnet (vgl. Krings 1992: 62). Mit einer wachsenden Zahl ausländischer Studierender in Deutschland und mehr Promovierenden, die auch in Deutschland eine auf Englisch geschriebene Dissertation einreichen müssen, betreffen diese Aspekte nicht wenige Promovierende. Wir beschäftigen uns unten genauer mit der Frage, inwiefern Nicht-Muttersprachler einen „Sonderfall“ für die Schreibberatung darstellen. Da aber sehr viele der Herausforderungen für Muttersprachler und nicht Muttersprachler prinzipiell die gleichen sind, bezieht sich dieser Beitrag ausdrücklich nicht nur auf ausländische Promovierende – auch deshalb, um das Bewusstsein dafür zu erhöhen, dass nur ein kleiner Teil von Schreibschwierigkeiten auf Sprachproblemen beruht. Unterstützungsbedarf für die Schreibprozesse in- und ausländischer Promovierender ist also da, auch wenn es sich um exzellente Nachwuchswissenschaftler55 handelt. Generell gibt es verschiedene Wege, um Doktoranden beim Schreiben zu unterstützen. So bieten Stiftungen und zunehmend auch Graduate Schools Schreibwerkstätten an, in denen in Seminaren die Schreibfertigkeiten trainiert werden. Schreibwerkstätten in der Promotionsphase sind sinnvolle Angebote, die dazu beitragen können, Promotionszeiten zu verkürzen. Sie vermitteln verschiedene Schreibmethoden und bieten den Rahmen, um in einer Gruppe Texte besprechen und voran bringen zu können. Der Werkstattcharakter solcher Seminare ermöglicht es den Teilnehmenden, ein vielstimmiges und qualifiziertes Feedback voneinander zu bekommen, das auf einer anderen Ebene stattfindet als im klassischen, auf die fachlichen Inhalte ausgerichteten Doktorandenkolloquium. Da sich die Schreibaufgaben innerhalb der langen Promotionszeit deutlich unterscheiden, sollten Schreibwerkstätten für Doktoranden den unterschiedlichen Arbeitsstand von Promovierenden von vornherein berücksichtigen56.
55
weibliche und männliche Pluralform verwenden wir willkürlich abwechselnd, wenn die Verlaufsform („Studierenden“,“ Promovierende“ etc.) sich nicht anbietet. 56 So bietet zum Beispiel die Hans Böckler Stiftung mehrtägige Schreibwerkstätten zu unterschiedlichen Phasen im Promotionsprozess an, wie „Systematisieren, Strukturieren, Produzieren“ oder „Zum Ende kommen“ usw.. Sinnvoll sind auch Schreibwerkstätten zu bestimmten Genres (vgl. die Beiträge von Liebscher und Macgilchrist in diesem Band).
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Sehr zu empfehlen sind auch Schreibgruppen und Schreibtandems, in denen sich Promovierende untereinander organisieren (siehe dazu die Beiträge von Dinkler & Altissimo und Lange & Lange in diesem Band). Ein weiteres Instrument ist ein Schreibberatungsangebot für Promovierende. Schreibberatung bietet vor allem den Vorteil des individuellen, fokussierten Gesprächs. Dazu stellt Steven North fest:: „Nearly everyone who writes likes – and needs – to talk about his or her writing […].” (North 1995: 78). Schreibende, auch professionell und versiert Schreibende, zeichnen sich demnach dadurch aus, dass sie nicht nur schreiben, sondern auch reden. Und zwar „[...] preferably to someone who will really listen, who knows how to listen, and knows how to talk about writing too.“ (ebd.: 78). Wie “someone” qualifiziert sein sollte, um Schreibberatung für Promovierende durchzuführen und nach welchen Prinzipien Schreibberatung abläuft, das werden wir im Folgenden ausführen. Dabei bringen wir auch Erfahrungen ein, die wir im Schreibzentrum der Europa-Universität Viadrina gesammelt haben. Mit Unterstützung des DAAD konnten wir hier zusätzlich zu dem in diesem Band bereits beschriebenen Projekt „Wissenschaftskompetenz durch Diversität“ ausländischen Promovierenden das Angebot machen, Schreibberatungen durch ausgebildete Schreibberaterinnen in Anspruch zu nehmen.
2
Schreibberatung
Wir erläutern zunächst die wichtigsten Prinzipien der Schreibberatung an Hochschulen, die sich durch ihre Orientierung auf den ganzen Schreibprozess vom produktorientierten Textlektorat stark unterscheidet. Dann gehen wir darauf ein, was Schreibberatung für Promovierende von Schreibberatung für Studierende unterscheidet. Anschließend überlegen wir, welche Beratung speziell ausländische Promovierende brauchen. Schließlich erläutern wir Bedingungen für gelungene Schreibberatung, also die institutionellen Voraussetzungen und die Fähigkeiten und Ausbildung der Beratungspersonen.
2.1 Grundlagen der Schreibberatung In der Schreibberatung geht es immer individuell um die Ratsuchenden und die umfassenden Anforderungen der jeweiligen Textproduktion (Ruhmann 1995: 85ff.). Dafür werden die individuellen Arbeitsziele und die individuellen Schreibfähigkeiten feststellt und die Prozesse, Prozeduren und Produkte des Schreibens in den Blick genommen (vgl. Abraham et al. 2005: 8). Schreibpro-
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zess meint dabei den Vorgang des Schreibens, Prozeduren sind die individuellen, oft internalisierten Abläufe während des Schreibprozesses und Produkte die entstehenden Texte (Baurmann & Weingarten 1995). In der Schreibdidaktik umfasst der Schreibprozess den gesamten Verlauf der Textproduktion. Er wird für das wissenschaftliche Schreiben modellhaft unterteilt in einzelne Arbeitsschritte. So unterscheiden wir im Schreibzentrum der Europa-Universität Viadrina die Bearbeitungsstufen (1) Orientierung und Planung, (2) Recherche und Strukturierung des Materials, (3) Schreiben einer Rohfassung, (4) Überarbeiten der Rohfassung, (5) Korrektur und Veröffentlichung des Textes.
Ü berarbeitung
Korrektur & V eröffentlichung
Rohfassung
Orientierung & Planung
Recherche & Strukturierung
R eden Schreiben Lesen
Abbildung 1:
Schreibprozessmodell: 5 Schritte und drei Spuren zum Abschluss einer Arbeit
Da dieses Modell57 einen linearen Ablauf idealtypischer Schreibprozesse suggeriert, sollte immer vermittelt werden, dass Schreibprozesse oft zirkulär verlaufen und eine Rückkehr zu jedem Arbeitsschritt auf jeder Stufe möglich ist. Auch ist das Vorgehen beim Schreiben sehr individuell (vgl. Ortner 2000) - den Schreib57
Das Stufenmodell mit den mitlaufenden Spuren orientiert sich an Wolfsberger (2007). Eine ähnliche Einteilung in die verschiedenen Stufen, Schritte oder Phasen wird in der Literatur oft gemacht und variiert geringfügig (vgl. z.B. Frank et al. 2007; Kruse 1998; Märtins 2000)
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prozess gibt es nicht. Wir betonen durch die drei mitlaufenden Spuren im Modell – Reden, Schreiben und Lesen - zudem, dass in jeder Phase des Schreibprozesses geredet, geschrieben, und gelesen werden muss, damit nicht z.B. der Eindruck entsteht, gelesen werde nur in den ersten beiden Phasen und geschrieben nur in der dritten. Diese modellhafte Veranschaulichung hat sich trotz der problematischen Vereinfachung und Idealisierung als geeignet erwiesen, um Schreibenden ein Bewusstsein dafür zu verschaffen, welche Arbeitsschritte zum Schreiben wissenschaftlicher Texte gehören und welchen Umfang diese Arbeitsschritte haben. Es hilft Schreibenden, einzuschätzen, wo sie sich befinden und das weitere Vorgehen zu planen. Prozeduren sind nach Baurmann und Weingarten (1995: 8) "[...]stabilere Schreibroutinen oder 'Programme' [...], die in der gesamten Schreibpraxis eine bedeutsame Rolle spielen, vermögen sie den gesamten Vorgang doch wirkungsvoll zu entlasten." Solche Prozeduren sind individuell. Sie sind abhängig von den eigenen Schreiblernerfahrungen und vom "Schreibertyp". (vgl. Ortner 2000). Produkte schließlich sind "Ergebnisse des Schreibens, die in unterschiedlichem Maße abgeschlossen und gültig sein können" (ebd.). Für die Schreibberatung spielen insbesondere solche Produkte eine Rolle, die noch nicht abgeschlossen und gültig sind. Das Bewusstsein der Schreibenden, an einem noch nicht abgeschlossenen Text zu arbeiten, muss sogar als Voraussetzung für eine produktive Beratungssituation betrachtet werden, da sich ein langfristiger Lerneffekt nur einstellen kann, wenn Feedback zum Text auch umgesetzt wird (vgl. Bean 2001: 235). Im Mittelpunkt der Schreibberatung stehen also jeweils Ratsuchende mit ihren individuellen Prozessen, Prozeduren und Produkten. Dies ist ein wichtiger Unterschied zum Textlektorat, in dem ausschließlich die Produkte besprochen werden. In der Regel suchen Ratsuchende die Beratung dann auf, wenn kleinere oder größere Schwierigkeiten den Schreibprozess erschweren oder verhindern. Betont werden sollte an dieser Stelle, dass Schreibschwierigkeiten ein normaler Bestandteil von Schreibprozessen sind: Professionell wissenschaftlich zu schreiben bedeutet unserer Ansicht nach nicht, keine Probleme beim Schreiben zu haben. Vielmehr besteht die Könnerschaft darin, die beim Schreiben auftauchenden Schwierigkeiten bewusst wahrzunehmen, anzunehmen und produktiv zu bearbeiten. (Ruhmann 2009: http//:www.sz.ruhr-uni-bochum.de)
Schreibberatung ist zudem nicht ausschließlich problemorientiert. Wie North (s.o.) festgestellt hat, ist das Reden über das eigene Schreiben ein natürliches Grundbedürfnis, auf das eine Schreibberatung eine institutionalisierte Antwort
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darstellt. Es ist durchaus möglich, auch gut verlaufende Schreibprozesse durch regelmäßige und gezielte Gespräche noch stärker zu fördern. Um auf die individuellen Bedürfnisse der ratsuchenden Schreiber einzugehen, verfolgen wir am Schreibzentrum der Europa-Universität Viadrina einen nichtdirektiven Beratungsansatz58 nach Rogers (1985). Rogers stellt bewusst die Bedürfnisse, Ängste, Wünsche und Ziele seiner Klienten in den Mittelpunkt seiner Gespräche. Der Beratende nimmt dabei die Rolle des aktiv Zuhörenden ein, er bewertet die Aussagen seines Klienten nicht oder gibt ihnen keine konkrete Ratschläge. Vielmehr spiegelt er durch das Wiederholen der Aussagen seiner Ratsuchende ihre Bedürfnisse, damit sie ihre eigenen Lösungswege entwickeln können und somit ihren Bedürfnissen gerecht werden. Die Grundsätze der nicht-direktiven Beratung haben sich für die Schreibberatung bewährt. Die Beraterin nimmt die Rolle der aktiven Zuhörerin ein. Sie versucht, die Schwierigkeiten und Fragen der Ratsuchenden durch ein Gespräch zu erfahren und zu verstehen. Meistens wird zu Beginn einer Beratung zunächst ausführlich über die Schreibprozesse der Ratsuchenden geredet, ohne gleich auf das aktuelle Schreibprojekt oder möglicherweise vorliegende Texte einzugehen. Die Beraterin verwendet dabei Gesprächstechniken wie das Spiegeln und Wiederholen der Aussagen der Ratsuchenden in eigenen Worten. Die nicht-direktive Beratungsmethode trägt dazu bei, dass der ratsuchende Schreiber seinen Schreibprozess intensiv reflektiert und darüber nachdenkt, an welchen Stellen er nicht weiterkommt, woran es liegen könnte und welche Strategien hilfreich sein könnten. Dabei ist es wichtig, festzustellen, was für ein Schreibertyp der Ratsuchende ist, bzw. welche Prozeduren er beim Schreiben von Texten anwendet (vgl. Keseling 2004). Es kann sich herausstellen, dass diese Prozeduren zum momentanen Zeitpunkt oder auch grundsätzlich ungeeignet sind. Es kann aber auch sein, dass den Ratsuchenden erst im Gespräch bewusst wird, dass sie bereits über ein Repertoire an geeigneten Strategien verfügen, um die momentane Schreibkrise zu bewältigen, und sie sich das nur bewusst machen müssen, um wieder handlungsfähig zu werden. Erst wenn die individuellen Herangehensweisen, Bedürfnisse und Schwierigkeiten der Ratsuchenden aufgedeckt werden, können auf sie abgestimmte Techniken und Methoden zum erfolgreichen Schreiben einer wissenschaftlichen Arbeit vorgeschlagen werden. Durch die nichtdirektive Vorgehensweise versuchen die Beratenden nicht nur, vorschnelle "Diagnosen" und "Patentlösungen" zu vermeiden, sondern sie gehen "mäutisch" vor 58 Wir orientieren uns dabei an US-amerikanischen Schreibzentren und der entsprechenden Literatur. Natürlich gibt es weitere Beratungsansätze, z.B. wird am Schreibzentrum der Ruhr-Universität Bochum auch systemische Schreibberatung praktiziert. Zu den Grenzen und Gemeinsamkeiten von Schreibberatung und psychologischer Beratung vgl. Scheuermann (2008).
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(Gaul et al. 2008: 7; Mertlitsch & Struger 2007). D.h. sie gehen davon aus, dass die ratsuchende Person die Fähigkeiten hat, die richtigen Lösungen zu finden, und die Unterstützung der Beratenden darin besteht, diese Erkenntnisse ans Licht zu holen. Die Ratsuchende behält dabei die Verantwortung für ihr Schreibhandeln und somit für die entstehenden Texte. Gemeinsam legen Ratsuchende und Berater dann Ziele fest – sowohl für die aktuelle Beratungssequenz als auch langfristig. Auch das weitere Vorgehen in der Beratung folgt nicht-direktiven Gesprächstechniken. Bezieht sich die Beratung konkret auf bereits vorliegende Textteile, so sollte der Text auf verschiedenen Ebenen besprochen werden: Zunächst auf der Ebene der "Higher Order Concerns" (vgl. Reigstad & McAndrew 1984: 42ff.). Auf dieser Ebene werden Leseeindrücke besprochen, die das Verstehen des Textes sehr erschwert oder verhindert haben. Erst wenn diese Ebene bearbeitet wurde ist es sinnvoll, sich den "Lower Order Concerns" zuzuwenden: den Elementen des vorliegenden Textes, die das Lesen verlangsamt oder gestört haben, aber nicht das Verstehen grundsätzlich verhindern. Es ist wichtig, den Ratsuchenden dieses Vorgehen zu erklären. Zum einen, um sie so weit wie möglich zu beteiligen und zum anderen, damit sie nach einem intensiven Beratungsgespräch über Higher Order Concerns nicht mit der Vorstellung nach Hause gehen, der Text sei nun druckreif. In der Regel betreffen die Higher Order Concerns vor allem die Struktur des Gesamttextes und einzelner Passagen, während die Lower Order Concerns oft eher auf der Formulierungsebene angesiedelt sind. Wie sieht ein nicht-direktives Beratungsgespräch aber nun konkret aus? Liegt beispielsweise ein unstrukturierter Text vor, so beschreibt die Beraterin ihre eigenen Wahrnehmungen von unverständlichen Textstellen oder Textausschnitten möglichst wertfrei und konkret. Sie sagt also nicht: "Dieser Text hat keinen roten Faden", sondern: "Ich verliere beim Lesen an dieser Stelle den Faden, weil ich nicht nachvollziehen kann, woher dieser Gedanke plötzlich kommt. Kannst du mir erklären, warum du dieses Argument an dieser Stelle einbringst?" Ein solches Vorgehen ist sinnvoll, weil ein unstrukturierter Text ganz unterschiedliche Ursachen haben kann. So können Strukturprobleme ein Hinweis darauf sein, dass der Schreiber das Thema noch nicht richtig erfasst hat oder dass er generell Probleme hat sich zu konzentrieren und es deshalb sinnvoller ist, den Fokus der Beratung zuerst auf die Schaffung einer geeigneten Arbeitsatmosphäre zu legen, als Strukturierungstipps zu geben. Es könnte sein, dass der Ratsuchende sprachliche Probleme hat und sich so stark auf den korrekten Ausdruck konzentriert, dass er die strukturelle Überarbeitung des Textes aus dem Blick verloren hat (vgl. Abraham & Bräuer 2005: 91). Auch fehlende, falsche oder beängstigende Vorstellungen von den Adressaten eines Textes können zu strukturell schwachen Texten führen, genauso wie fehlende konzeptionelle Planungen vor
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dem Schreiben (vgl. Keseling 2004) und vieles mehr. Betrachtet man die Vielfalt der möglichen Ursachen für Schreibschwierigkeiten, so werden die Vorteile einer individuellen Schreibberatung deutlich. Um das eigenverantwortliche Lösen von Schreibschwierigkeiten zu unterstützen, verfügen die Beratenden zudem über ein Repertoire an Schreibmethoden und Textsortenwissen. Eine Methode könnte bei einem unstrukturierten Text zum Beispiel darin bestehen, die Ratsuchende zum Zeichnen einer MindMap aufzufordern und so die Struktur des Textes zu visualisieren. Textsortenwissen könnte hier bedeuten, mit der Ratsuchenden herauszuarbeiten, welchen Aufbau und welche Elemente ein Textteil wie z.B. eine Einleitung üblicherweise hat oder welche rhetorischen Mittel in einem wissenschaftlichen Text üblicherweise zur Leserführung verwendet werden (vgl. dazu Macgilchrist in diesem Band).
2.2 Schreibend lernen in der Schreibberatung Jenseits des Textes ist es darüber hinaus ein übergeordnetes Ziel von Schreibberatung, zu vermitteln, dass Schreiben verschiedene Funktionen haben kann. In der Regel ist es das Ziel Studierender und Promovierender, Produkte (also Texte) zu schreiben, die die Normen wissenschaftlicher Texte erfüllen und somit stark adressatenorientiert sind. In der Forschung wird hier von "reader-based prose" gesprochen (Flower 1979). Auf dem Weg zu adressatenorientierten Texten ist es aber überaus sinnvoll, das Schreiben auch in seiner Funktion als Denkmedium einzusetzen (Heuristische Funktion des Schreibens, vgl. Hermann 1988, Girgensohn 2007: 185). Texte entstehen nicht aus einem Guss, nachdem der Schreiber bereits zu Ende gedacht hat. Vielmehr entwickeln sie sich, wie unsere Gedanken. Wir lesen andere Texte, reflektieren sie, verschriftlichen unsere Gedanken, bringen sie mit anderen Textausschnitten, Theorien und Meinungen in Verbindung, um ein schlüssiges Ganzes zu entwickeln. Immer wieder denken wir beim Schreiben nach und lösen Probleme. Wir verlangsamen unseren Denkprozess, da wir unsere Gedanken aufschreiben und sie erneut lesen. Der Text und unsere Aussagen gewinnen dadurch an Qualität. Hermann stellt fest: “Schreibend sucht man nach Problemen. Die Qualität eines Textes diskursiver Art hängt zuerst einmal von der Qualität der Probleme ab, die er behandelt und aufwirft“. (Hermann 1988: 71). Zudem ist festzustellen: erst wenn wir etwas richtig verstanden haben, ist es uns möglich, dies in eigene Worte auszudrücken und verständlich für eine Adressaten zu formulieren. Für die Beraterin bedeutet dies, es auszuhalten, dass der ratsuchende Schreiber sich in diesem schreibenden Denkprozess befindet, seine Texte sich Schritt für Schritt entwickeln und verändern und in der Beratungssituation oft alles andere als druckreif sind. Die Beraterin muss also
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jegliche Rohfassungen als wertvoll betrachten und als wichtige Beiträge zum fertigen Text. Der ratsuchende Schreiber muss lernen, solche Rohfassungen als notwendige Schritte zu betrachten und nicht als nutzlosen Textüberschuss. Dafür ist es hilfreich, einige Texte von vornherein als "writer-based prose" zu schreiben, also als Texte, die man schreibt zur Selbstverständigung über den Forschungsgegenstand, über eigene Ideen und über persönliche Bezüge zum Thema. Für solche Texte bietet es sich an, ein Forschungsjournal zu führen (vgl. Lange 2010) oder Methoden wie Freewritings (Elbow 1998) einzusetzen.
2.3 Schreibberatung für Promovierende Die bisher genannten Prinzipien der Schreibberatung gelten für ratsuchende Studierende genauso wie für Promovierende, die die Schreibberatung aufsuchen. Grundsätzliche Unterschiede würden wir also nicht machen. Erfahrungsgemäß spielen aber einige Themen in der Schreibberatung für Promovierende häufiger eine Rolle. Diese wurden bereits eingangs skizziert. Im Folgenden zeigen wir, wie sich diese Themen auf die Schreibberatung für Promovierende auswirken. Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zur Beratung Studierender ist der Umfang des Schreibprojekts und damit auch des gesamten Arbeitsprozesses bei einer Dissertation. Während wir für Studierende im Schreibzentrum offene Sprechstunden anbieten, in die sie ohne Voranmeldung kommen und in denen sie dann mit der Beraterin sprechen, die verfügbar ist, empfehlen sich für Promovierende fest verabredete Termine. Diese sollten mindestens eine Stunde dauern, da nicht nur die zu besprechenden Textpassagen oft länger sind, sondern auch mehr Gesprächsbedarf jenseits des Textes bestehen kann. Auch sollten die Promovierenden über einen längeren Zeitraum mit immer der gleichen Beraterin zusammen arbeiten können. Zur Textarbeit mit Promovierenden ist zu sagen, dass es in der Regel auf Grund der beschränkten Ressourcen nicht möglich sein wird, komplette Dissertations-Rohfassungen zu lesen. Wie in allen Schreibberatungssettings empfiehlt sich ein exemplarisches Arbeiten an einzelnen Kapiteln. Sehr häufig werden auch an Textausschnitten Stärken oder Schwächen deutlich, die sich in der gesamten Arbeit wieder finden und im Anschluss an die Beratung eigenständig von den Ratsuchenden bearbeitet werden können. Meistens ist es sinnvoll, sich ein Unterkapitel der Arbeit schicken zu lassen und es im Vorfeld der nächsten Beratung zu lesen. Die Promovierenden sollten aufgefordert werden, möglichst kon-
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krete Wünsche für die Rückmeldung zu formulieren, damit ein zielgerichtetes Gespräch stattfinden kann59. Es gibt weitere Faktoren, die bei der Beratung mit Promovierenden eine größere Rolle spielen. So hat Hayes (1996) in seinem Schreibprozessmodell festgehalten, dass auch solche Faktoren wie die „soziale Aufgabenumgebung“ oder „Motivation und Affekt“ das Schreiben beeinflussen. Dies gilt zwar für alle Schreibprozesse, doch scheinen gerade diese beiden Faktoren in der Promotionsphase besonders wichtig: Zur „sozialen Aufgabenumgebung“ gehört z.B., welche sozialen Erfahrungen man im Laufe des Schreibprozesses macht oder welche Adressaten man sich beim Schreiben vorstellt. In der Promotionsphase kann das bedeuten, dass z.B. die Beziehung zum Betreuer den Schreibprozess stark beeinflusst (vgl. Hennig in diesem Band) oder entmutigendes Feedback auf einer Konferenz die nachfolgenden Schreibprozesse hemmt (vgl. Košinár in diesem Band). „Motivation und Affekt“ spielen für ein Promotionsprojekt eine kaum zu überschätzende Rolle: Nur wenn für die Schreibenden klar bleibt, welche Ziele mit der Promotion verfolgt werden, lässt sich die Motivation über einen Zeitraum von mehreren Jahren halten (vgl. Girgensohn & Hiller in diesem Band). Die Beratenden sollten diese Faktoren also im Beratungsgespräch berücksichtigen. Ein weiteres Thema, das in der Schreibberatung für Promovierende eine Rolle spielt, ist z.B. die Arbeitsorganisation: Wie kann ich den langen Weg in handhabbare Abschnitte teilen? Wie setze ich mir kurz- und langfristige Ziele? Aber auch: Wie ordne ich meine Notizen, wie richte ich meinen Arbeitsplatz ein, wie bekomme ich die Arbeitszeit an der Dissertation unter einen Hut mit meinen anderen Verpflichtungen? Erfahrungsgemäß lässt sich die Schreibberatung auch nicht immer von fachlicher Beratung trennen. Wissenschaftstheoretische und methodische Fragen spielen immer wieder eine Rolle. Diese treten manchmal erst in der Beratung zu Tage, müssen aber unbedingt mit den Betreuern der Arbeit geklärt werden. In solchen Fällen kann die Beratung genutzt werden, um Sprechstundengespräche vorzubereiten. Da die Promotion als Qualifizierungsarbeit stark mit der eigenen Karriereplanung verbunden ist, tauchen mitunter in der Schreibberatung auch strategische Fragen auf. Ein Beispiel dafür ist die Frage, ob es schadet, wenn man sich kritisch gegenüber bestimmten wissenschaftlichen Schulen oder Personen äußert. Oder es stellt sich die Frage, ob es mitunter ratsam sein könnte, eine Promotion möglichst schnell zu beenden und zu veröffentlichen, z.B. mit Augenmerk auf 59 Eine solche Vorgehensweise hat zudem den gleichen Vorteil, wie die Arbeit in Peer Coaching Gruppen (vgl. Dinkel & Altissimo in diesem Band) oder Online Schreibgruppen (vgl. Lange & Lange in diesem Band): sie rhythmisiert den Schreibprozess. Die Promovierenden wissen, dass ihr Rohtext erwartet wird, es gibt greifbare und wohlwollende Adressaten.
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eine in absehbarer Zeit frei werdende Stelle, und dafür Abstriche zu machen bei der Qualität der Arbeit. Immer wieder sind auch die in Promotionsprozessen durchaus typischen Krisen ein Beratungsthema. So erleben viele Promovierende eine oder mehrere sogenannte „Relevanzkrisen“: Die Relevanzkrise äußert sich vornehmlich darin, dass die Bedeutung der eigenen Forschungsergebnisse, der Stellenwert im Vergleich zu anderen Arbeiten unklar und schwer zu bestimmen ist. Die Krise wird ausgelöst durch eine Unsicherheit über die Relevanz und Bedeutsamkeit des eigenen Forschungsanspruches und der Forschungsergebnisse. (Fiedler & Hebecker 2006: 5)
Weitere typische Krisen sind nach Fiedler & Hebecker die Materialkrise (Wie finde ich genug Material bzw. wie unterscheide ich wichtiges und unwichtiges?), und die Abschlusskrise (Wie finde ich ein Ende?) (ebd.). Für ausländische Promovierende kann die Schreibberatung auch ein Ort sein, an dem sie über ihre Schwierigkeiten mit der deutschen Wissenschaftskultur berichten. Es kann für sie sehr hilfreich sein, über Fremdheitsgefühle zu sprechen, zum Beispiel in Bezug auf bestimmte Anforderungen, auf den Umgang mit Kollegen oder auf deutschsprachige wissenschaftliche Texte. Möglicherweise nutzen sie die Schreibberatung, um viele Fragen zu stellen, für die es anderswo keinen Raum gab, z.B. auch zu Finanzierungsmöglichkeiten, Publikationsstrategien, Erwartungsdruck im Heimatland, etc. All diese Themen sollten ihren Raum in der Schreibberatung bekommen, wenn sie den Ratsuchenden dabei helfen, ihre Schreibprozesse effektiver zu gestalten und voran zu kommen. Daher lässt sich die Schreibberatung für Promovierende manchmal nicht so leicht abgrenzen von anderen Beratungsangeboten, wie z.B. allgemeinen Lebensberatungen, psychologischen Beratungen, Karriereberatungen u.a.60. Auf jeden Fall sollten die Beraterinnen ggf. deutlich machen, wo die Grenzen ihrer Beratung liegen. Diese Grenzen variieren sicherlich von Schreibberaterin zu Schreibberater und von Beratung zu Beratung – sie sind vermutlich so individuell wie jeder Schreibprozess. Es sollte jedoch klar sein, dass Schreibberater keine Therapeuten sind und dass ihre Aufgabe immer nur darin besteht, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Die Schreibberaterin wird also evtl. gemeinsam mit den Ratsuchenden nach weiteren Anlaufstellen suchen. Eine Zusammenar-
60 Zum Vergleich verschiedener Beratungsangebote siehe auch Furchner & Ruhmann (1999), die das Beratungsangebot der Studienberatung und des Schreibzentrums nebeneinander stellen.
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beit mit anderen Institutionen ist wünschenswert. Die zu Beginn einer Beratung festgesetzten Ziele sollten bei alledem nie aus dem Blick verloren werden.
2.4 „Sonderfall“ Nicht-Muttersprachler? Für ausländische Promovierende kommen zu den oben genannten Schwierigkeiten noch Unsicherheiten mit der deutschen Sprache generell und mit den stilistischen Besonderheiten der deutschen Wissenschaftssprache(n) hinzu (vgl. Ehlich 1999). Auch das als „Wissenschaftskultur“ bezeichnete Wissen um das, was hierzulande als “wissenschaftlich“ bezeichnet wird und was nicht, kann eine hinzukommende Herausforderung sein (vgl. Eßer 2000). Die Schreibberater für ausländische Promovierende sollten auf diese Besonderheiten vorbereitet sein. Zu den sprachlichen Schwierigkeiten ist zu sagen, dass das Schreiben in einer Fremdsprache selbstverständlich eine große Herausforderung ist. Jedoch sollten nicht vorschnell alle Schwierigkeiten beim Schreiben auf die Fremdsprachlichkeit zurück geführt werden. Untersuchungen weisen darauf hin, dass vermutlich die Schreibkompetenz in der Muttersprache einen stärkeren Einfluss auf die Schreibkompetenz in der Fremdsprache hat als die allgemeine Fremdsprachkompetenz (vgl. Grieshammer 2008: 21ff). Wer also in der Muttersprache versiert schreibt, hat vermutlich auch in der Fremdsprache weniger Probleme damit, einen gut strukturierten Text zu schreiben, als jemand, der die Sprache gut beherrscht, aber wenig Schreibkompetenz hat. Für die Beratung heißt das, dass der oben erläuterte Fokus auf Schreibprozesse und –prozeduren jenseits des vorliegenden Textes genauso wichtig ist wie in der Beratung mit Muttersprachlern. Dies sollte den Beratenden bewusst sein und auch den Ratsuchenden erklärt werden, denn die Fokussierung auf die sprachliche Ebene ist eine große Versuchung in der Beratung, weil sie so naheliegend scheint. Auch das Prinzip, Higher Order Concerns vor Lower Order Concerns zu bearbeiten, ist für die Beratung ausländischer Promovierender besonders wichtig. Gerade Nicht-Muttersprachler neigen nämlich dazu, die strukturelle Überarbeitung von Texten außer Acht zu lassen, weil die sprachliche Ebene ihre ganze Konzentration erfordert (vgl. Abraham & Bräuer 2005; Silva 1993). Nach Leki liegt dies daran, dass das Arbeitsgedächtnis der Schreibenden überlastet ist mit den vielen Anforderungen, die das Schreiben in der Fremdsprache stellt (Leki 1992 nach Grieshammer 2008: 32). Um die strukturelle Überarbeitung unterstützen zu können, ist es gerade für ausländische Promovierende wichtig, auch Genrewissen in der Beratung zu vermitteln. Denn wie die kontrastive Linguistik herausgearbeitet hat, unterscheiden sich wissenschaftliche Texte unterschiedlicher Länder deutlich in ihrem Aufbau und ihrer Stilistik (vgl. Schröder 1991). Es
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kann sinnvoll sein, in der Beratung Beispieltexte heranzuziehen: Wie haben andere ihre Dissertation gegliedert? Wie haben sie ihre Einleitung aufgebaut, ihr Fazit formuliert? Dennoch müssen natürlich auch sprachliche Schreibschwierigkeiten Raum in der Schreibberatung bekommen. Nichtmuttersprachler bemerken ihre Schwachstellen im Text und ihre sprachlichen Fehler schneller, wenn der Berater diese mündlich wiederholt und spiegelt. Um das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit möglichst beizubehalten, sollte versucht werden, durch exemplarische Textarbeit typische Fehler aufzudecken, nach denen die Ratsuchenden im Anschluss gezielt suchen können. Eine Arbeitshilfe können Fehlerprotokolle sein (Sittard 1999). Nichtmuttersprachlicher sollten auch aktiv Satzkonstruktionen aus wissenschaftlichen Texten sammeln, um sie in ihre eigenen Texte einbauen zu können. Eine solche Sammlung kann in der Schreibberatung begonnen und immer wieder thematisiert werden, um die Motivation zu steigern. Es ist hilfreich zu wissen, dass viele Nichtmuttersprachler die fremde Sprache besser sprechen, als sie sie schreiben. Selbst grammatikalische Regeln können Nichtmuttersprachler manchmal besser mündlich erklären, als sie im Text anwenden (Hayward 2000). Dies gilt im Besonderen für Schreiberinnen, die ihre Zweitsprache im Wesentlichen mündlich erworben haben, wie beispielsweise Promovierende, die bereits seit ihrer Kindheit in dem Land leben und ihre Zweitsprache unsystematisch durch das Sprechen gelernt haben.61 Betont werden muss allerdings, dass die Schreibberatung ein abschließendes Korrektorat nicht ersetzen kann. Es ist wichtig, den Ratsuchenden deutlich zu machen, dass sie sich vor der Abgabe jemanden suchen müssen, der den Gesamttext – auch gegen Bezahlung – korrigiert, weil anders als bei Hausarbeiten in einer Dissertation keine Fehler geduldet werden können. Es kann für die Promovierenden hilfreich sein, zu erfahren, dass auch muttersprachliche Promovierende eine Abschlusskorrektur von Außen vornehmen lassen und dass dies kein Betrug, sondern ein legitimer Schritt ist. Für die Beratenden erfordert die Beratung von Nicht-Muttersprachlern besondere Sensibilität. Es ist wichtig, die Ratsuchenden nicht durch einen starken Fokus auf Schwächen und Fehler zu entmutigen (vgl. Grieshammer 2008: 35), sondern die Stärken der Arbeit zu betonen. Denn leider machen NichtMuttersprachler im akademischen Bereich oft die Erfahrung, dass sie auf Grund ihrer sprachlichen Fehler als „Problemfälle“ wahrgenommen werden, statt in ihren Kompetenzen.
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Ritter & Sandvik (2009) nennen diese Gruppe von Schreibern 1.5 Generation
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Die Beratenden müssen darüber hinaus aufpassen, die Texte nicht zu vereinnahmen, indem sie ihnen in den Beratungsgesprächen quasi ihren eigenen Stempel aufdrücken (vgl. Severino 2004). Außerdem erfordert die Beratung auch interkulturelle Sensibilität in der Interaktion zwischen Ratsuchenden und Beratenden (vgl. Hayward 2000).
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Vorraussetzungen für Schreibberatung an der Hochschule
Schreibberatung an der Hochschule stellt hohe Anforderungen an die Berater. Sie müssen Kenntnisse in der Beratertätigkeit haben, Fachkenntnisse über den Schreibprozess, das wissenschaftliche Schreiben, sowie Textsortenkenntnisse. Und sie sollten selbst geübte Schreiber sein. Daher ist eine fundierte Ausbildung für Schreibberater notwendig. Allerdings gibt es keine einheitliche Ausbildung. Wenn es überhaupt Ausbildungsangebote gibt, dann variieren sie von Universität zu Universität. An einigen Universitäten werden angehende Schreibberater in kompakten Schulungen mit den wichtigsten Regeln der Schreibberatung vertraut gemacht62 und an anderen Universitäten müssen die angehenden Berater intensivere Leistungen erbringen oder mehrere Module absolvieren63. An den derzeit existierenden universitären Schreibzentren in Deutschland arbeiten unterschiedlich qualifizierte Beraterinnen. Es gibt Schreibberaterinnen, die über ein abgeschlossenes Studium verfügen und sowohl Bachelor-, Masterstudierende und Promovierende beraten. An anderen Universitäten arbeiten sogenannte Peer-Tutoren: studentische Schreibberaterinnen, die ihren Kommilitonen beim Schreiben unterstützen64. Neben einer Grundausbildung ist es bei einer Schreibberatung, die sich an Promovierende richtet, wichtig, dass die Schreibberater über ein abgeschlossenes 62 So z.B. die Peer-Tutoren am Schreiblesezentrum der Universität Hildesheim (http://www.unihildesheim.de/de/leseschreibzentrum.htm) 63 So umfasst z.B. die an Promovierende gerichtete Ausbildung „Schreiben lehren an der Hochschule“ des Schreiblabors der Universität Bielfeld fünf zweitägige Präsenzmodule (http://www.unibielefeld.de/Universitaet/Studium/SL_K5/slab/schreibenlehren/Weiterbild_Schreibenlehr.html). Die Ausbildungen zum Schreibberater/Schreibberaterin an der PH Freiburg (http://www.phfreiburg.de/hochschule/zentrale-einrichtungen/schreibzentrum/hochschulzertifikatschreibberatung.html) und der Europa-Universität Viadrina (http://www.euv-frankfurto.de/de/campus/hilfen/schreibzentrum/schreibtrainer/index.html) umfassen jeweils vier modularisierte Seminare und dauern zwei bis drei Semester (vgl. Bräuer 2005). 64 Peer-Tutoren sind ausgebildete Studierende, die ihre Kommilitonen beraten. Ratsuchende Studierende, die von ihren Kommilitonen im Schreiben beraten werden, haben oft weniger Ängste und Hemmungen als im Gespräch mit Dozierenden. Für beide Gesprächspartner bietet das Peer-Gespräch zudem die Möglichkeit, zu lernen, wie man sich einen wissenschaftlichen Diskurs aneignet und daran teil hat (vgl. Bruffee 1978).
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Studium verfügen. Sie sollten eine wissenschaftliche Ausbildung absolviert haben und den akademischen Kontext kennen. Sie sollten also wenigstens eine Abschlussarbeit geschrieben haben. Schreibberater die eine Qualifizierungsarbeit geschrieben haben, kennen nicht nur das wissenschaftliche Arbeiten an kürzeren Texten, sondern haben auch die organisatorischen und persönlichen Herausforderungen erlebt, die mit längeren Texten und längeren Bearbeitungszeiträumen verbunden sind. Hilfreich könnte es natürlich sein, wenn die Beratenden selbst promoviert haben. Allerdings muss das nicht voraus gesetzt werden, erfahrungsgemäß ist das entscheidendere Kriterium eine Schreibberatungsausbildung. Eine weitere Grundlage, um kompetente Schreibberatung für Promovierende anzubieten, besteht darin, ihnen ein langfristiges Betreuungsangebot bieten zu können. Promovierende beim Schreiben zu begleiten bedeutet, sie über mehrere Jahre zu begleiten. Es ist notwendig, ihnen ein Betreuungsangebot für die gesamte Zeit zu bieten oder zumindest längerfristige Ansprechpartner. Es ist daher ungünstig, wenn Schreibberatungsangebote langfristig geplant werden, aber nur über kurzfristige Drittmittel finanziert werden. Um die Qualität der Schreibberatung zu sichern, ist eine andauernde Reflexion der Beratungsgespräche sinnvoll. Die Schreibberaterinnen des Schreibzentrums der Europa-Universität Viadrina verfassen daher zu jeder Beratung ein Protokoll. Im Protokoll wird der Verlauf des Beratungsgespräches festgehalten und die jeweilige Beraterin reflektiert die Beratung und ihr Vorgehen. Diese Protokolle dienen als Grundlage für die fortlaufende kollegiale Beratung der Schreibberater untereinander im Team des Schreibzentrums.
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Fazit
Promovierende, die eine Schreibberatung in Anspruch nehmen können, haben die Möglichkeit, sich langfristig mit einer Schreibberaterin über ihren Schreibprozess und somit über ihre Dissertation auszutauschen. Sie erhalten Feedback und entwickeln langfristige Arbeits- und Schreibstrategien. Dies trägt wesentlich zum Gelingen und zur Effektivität des Dissertationsvorhabens bei. Promovierenden sollte daher vermittelt werden, dass es zum professionellen wissenschaftlichen Arbeiten dazu gehört, sich von Fachpersonen beraten zu lassen und den Schreibprozess zu reflektieren. Eine Universität, die den Anspruch hat, ihren Doktoranden eine gute Ausbildung zu ermöglichen, sollte ihnen also professionelle Schreibberatung anbieten – langfristig und durch qualifizierte Berater. Eine Investition in gesicherte institutionelle Strukturen in diesem Bereich wird sich nicht nur auszahlen durch kürzere Promotionszeiten und bessere Arbeiten, sondern auch langfristig durch
Schreibberatung für in- und ausländische Promovierende
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qualifizierte Wissenschaftler, die ihre Arbeits- und Schreibstrategien reflektieren und so zu einer hochwertigen Forschung und Lehre beitragen.
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Online-Schreibgruppen: den regelmäßigen Austausch fördern Imke Lange, Ulrike Lange
Abstract Schreibgruppen können Promovierende motivieren und die entstehenden Texte deutlich verbessern, da sie schon während der Textentstehung eine Leserschaft bilden, regelmäßige Zwischentermine setzen und konstruktive Rückmeldung auf Textentwürfe geben. Doch im Alltag ist es neben Lehre, Jobs, Forschungsreisen und Familie für Promovierende oft schwierig, sich regelmäßig mit Gleichgesinnten zu treffen. Abhilfe können hier Online-Schreibgruppen auf der Basis von Chats und E-Mail-Verkehr schaffen. Sie überbrücken örtliche Distanzen, sparen Zeit, weil Anreisewege wegfallen, und bieten zahlreiche weitere Vorteile. Dieser Beitrag stellt die Online-Schreibgruppenarbeit nach den Prinzipien von Graham Badley (2005) vor: „short-lived, small in size, supportive“. Der Beitrag gibt Anregungen zur Mitgliederauswahl und zu grundlegenden Prinzipien, Empfehlungen zum Setting der Chats und zum Umgang mit Texten.
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Einleitung A thesis support group that works well can offer you important gifts: a cheering squad, readers, trustworthy critics und editors, people who encourage you to set goals, hold you to them, and keep you good company at the various stages of what is otherwise, for most of us, most of the time, a solitary journey. (Bolker 1998: 115)
Eine Dissertation zu schreiben bedeutet in vielen Fächern, dies in Einsamkeit und ohne regelmäßigen, kollegialen Austausch mit Peers über die entstehenden Texte zu tun. Strukturierte Promotionsprogramme versuchen hier Abhilfe zu schaffen, können aber nicht alle Promovierenden erreichen und sind auf Grund einer Konkurrenzkultur auch nicht immer der geeignete Rahmen, um frühe Textentwürfe miteinander zu teilen. Wenn der Austausch fehlt, kann die Produktivität beim Schreiben leiden, Texte werden erst in einem zu späten Stadium an Testleser gegeben und die Ausbildung einer professionellen Haltung zum Schreiben
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Imke Lange, Ulrike Lange
und zum Textfeedback kann sich verzögern oder gar unterbleiben. Eine Möglichkeit, hier Abhilfe zu schaffen ist es, Promovierende dazu anzuregen und anzuleiten, Schreibgruppen zu gründen, in denen sie sich gegenseitig durch Feedback beim Schreiben ihrer Texte unterstützen und dabei gleichzeitig zu ihrer Professionalisierung als Schreibende beitragen. In unserem Artikel stellen wir vor, wie solche Schreibgruppen virtuell stattfinden können, damit auch Promovierende, die räumlich getrennt sind, an ihnen teilnehmen können. Zunächst wird erklärt, was eine kollegiale Online-Schreibgruppe ist, welche Ziele sie hat und was sie bewirken kann. Anschließend erläutern wir wichtige Arbeitsprinzipien für solche Gruppen und geben dabei Empfehlungen für den produktiven Umgang mit Textentwürfen und für den Umgang miteinander im Chat und per E-Mail. Abschließend stellen wir einige Überlegungen dazu an, wie sich kollegiale Online-Schreibgruppen in strukturierte Promotionsprogramme integrieren lassen. Das Konzept der kollegialen Online-Schreibgruppe, das wir in diesem Artikel vorstellen, basiert wesentlich auf den Erfahrungen, die wir zusammen mit zwei weiteren Kolleginnen im Selbstexperiment mit einer Schreibgruppe dieses Typs gemacht und in einem Praxisbericht ausgewertet und reflektiert haben.65 Der Ausgangspunkt waren dabei die Anregungen zu kollegialen Schreibgruppen von Graham Badley (2005) (siehe unten). Wir ergänzen dieses Konzept hier durch unser Praxiswissen aus unseren Erfahrungen als Moderatorinnen von Schreibgruppen und Schreibworkshops für Promovierende unterschiedlicher Universitäten und Fächer. Online-Schreibgruppen sind ein besonders flexibles Modell für strukturierte kollegiale Unterstützung: Eine kleine Gruppe von Promovierenden tauscht zu vorher festgelegten Terminen Ausschnitte aus ihren laufenden Schreibprojekten aus. Die Promovierenden lesen die Texte der anderen aus der Gruppe und bereiten ein Feedback vor, das zum Ziel hat, die Produktivität zu fördern und Anregungen zu einer Überarbeitung der Texte zu geben. Dieses Feedback geben sie einander bei einem virtuellen Treffen in einer Chatgruppe. Da viele Promovierende neben ihrer Promotion andere Verpflichtungen haben (Lehre, Erwerbstätigkeit, Familie) und strukturierte Promotionsprogramme häufig längere Auslandaufenthalte vorsehen, scheinen virtuelle Treffen oft leichter mit dem Lebensrhythmus der Promovierenden vereinbar zu sein als Treffen an einem realen Ort. Ein weiterer Vorteil ist, dass Promovierende so unabhängig von ihrem Wohnort überregionale Netzwerke vertrauensvoller kollegialer Zusammenarbeit bilden können. Erfahrungsgemäß bestehen Netzwerke, in denen man sich durch intensi65 Mitglieder der ersten Schreibgruppe und Autorinnen des Artikels, der auch im Rahmen einer Online-Schreibgruppe verfasst wurde, waren: Katrin Girgensohn, Imke Lange, Ulrike Lange, Friederike Neuhaus und Jana Zegenhagen (vgl. Girgensohn et al. 2009). Die Idee zur Online-Schreibgruppe wurde im Arbeitskreis Schreibdidaktik geboren und bereits von anderen Kolleginnen aufgegriffen.
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ve Zusammenarbeit gut kennen gelernt hat, oft auch über die Promotionszeit hinaus und bieten wertvolle Ressourcen für den Berufseinstieg und die Karriere. Die kollegiale Online-Schreibgruppe ist also eine Schreibgruppe, in der jede Person ihren eigenen Text schreibt und dabei von ihren Kolleg/innen unterstützt wird. Sie unterscheidet sich von der Situation der kollektiven Autorenschaft, wie sie v.a. in den Naturwissenschaften üblich ist (vgl. Ascheron und Kickuth 2005: 146ff), bei der mehrere Personen einen gemeinsamen Text schreiben. Die letztgenannte Form, auch „group writing“ (vgl. Lehnen 1999) genannt, ist ausdrücklich nicht Thema dieses Beitrags, da sich durch kollektive Autorschaft die Rahmenbedingungen des Schreibens grundlegend verändern – auch wenn hier ebenfalls Online-Schreibgruppenarbeit hilfreich sein kann. Schreibgruppen sind keine neue Erfindung. Wie Anne Ruggles Gere 1987 zeigt, reicht die Tradition innerhalb und außerhalb der Universität mindestens bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts zurück. In den 1970er Jahren wurde Peter Elbows „Writing without Teachers“ (1973) zum Bestseller, ein Buch in dem v.a. die Gründung von Schreibgruppen angeregt wird. Dennoch scheinen kollegiale Schreibgruppen momentan an deutschen Universitäten nicht weit verbreitet oder zumindest nicht sichtbar zu sein.66 Ein Grund hierfür kann die gerade in den Geistes- und Sozialwissenschaften gepflegte Vorstellung sein, dass Schreiben ein einsames Geschäft ist. Dazu mag vor allem bei Promovierenden, die mit der Dissertation ja eine Prüfungsarbeit schreiben, die Sorge kommen, sich eine Blöße zu geben, wenn sie einen unfertigen, rohen Text anderen zeigen, sich von ihnen Feedback geben lassen und auf ihre Überarbeitungsvorschläge eingehen. Monique Honegger (2008) hat bei einer Untersuchung der „Zeigeblockaden“ schreibender Studierender festgestellt, dass Studierende sich überwiegend in einem Stadium der Schreibentwicklung befinden, das Carl Bereiter (1980) als „Unified Writing“ bezeichnet. Die Schreibenden sind in diesem Stadium so stark auf die innere Auseinandersetzung mit dem eigenen Text konzentriert, dass sie nicht daran denken, andere FeedbackInstanzen zu zulassen als die eigene, innere kritische Stimme. Zurückgezogenheit und Selbstbezogenheit sind notwendige Bestandteile von Schreibprozessen. Sie werden jedoch zum Problem, wenn während langer Schreibprozesse Einschätzungen von Außen kaum eingeholt werden oder ganz unterbleiben. Nach unserer Beobachtung gilt das nicht nur für Studierende, sondern häufig auch für Promovierende und andere Forschende.
66 Dieser Eindruck mag auch dadurch entstehen, dass Schreibgruppen zumeist informelle Zusammenschlüsse und damit nicht öffentlich sichtbar sind. Aus unserer eigenen fachwissenschaftlichen Praxis und der Arbeit mit Promovierenden unterschiedlicher Fächer und Universitäten gibt es jedoch keine Hinweise auf eine Kultur dieser Gruppen.
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Imke Lange, Ulrike Lange
Grundsätzlich bleibt festzuhalten, dass viele Promovierende im Studium nicht gelernt haben, unfertige Texte anderen zu zeigen. Es ist ein wichtiger, ja unerlässlicher Schritt zur Professionalisierung des Schreibens, sich Rückmeldung auf Rohtexte zu holen. Er erfordert Mut und Vertrauen.67 Die traditionellen Doktorandenkolloquien scheinen in diesem Zusammenhang häufig weniger als unterstützende kollegiale Gruppe wahrgenommen zu werden, sondern eher als Foren, um fertige Ergebnisse zu präsentieren und zu verteidigen. Solche Foren sind wichtig für Promovierende, z.B. um das Verhalten auf Tagungen einzuüben. Sie können aber produktives Textfeedback nicht ersetzen. Auch die Sorge, Ideen, die noch nicht publiziert wurden, mit anderen zu diskutieren, kann Schreibgruppenarbeit hemmen. Um sich nicht von dem durchaus bestehenden Risiko des „Ideenklaus“ blockieren zu lassen, ist die Erfahrung notwendig, von einem Austausch immer selber zu profitieren, weil man so das eigene wissenschaftliche Denken weiterentwickeln und neue Motivation zum Schreiben finden kann. Eine Möglichkeit, diese Sorge zu mildern, können interdisziplinäre Zusammenschlüsse sein, in denen die Promovierenden an sehr unterschiedlichen Themen arbeiten (s.u.). Einen gewissen Schutz bietet es auch, Kapitel jeweils nur in Ausschnitten vorzustellen. Schließlich zeigen unsere Erfahrungen, dass gerade Promovierende sich scheuen, die Verpflichtung der Schreibgruppenarbeit einzugehen, weil sie einen hohen Zeitaufwand befürchten und den Nutzen für die eigene Produktivität unterschätzen. All diese Sorgen und Vorbehalte sollten bei der Gestaltung des Settings einer kollegialen Schreibgruppe bedacht werden.
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Ziele und Effekte von kollegialen Schreibgruppen für Promovierende
Die Ziele und Effekte von kollegialen Schreibgruppen für Promovierende sind für virtuelle und für reelle Schreibgruppen gleich. Schreibgruppen erhöhen die Textqualität, sie fördern die Produktivität und die Motivation der Schreibenden, und sie erweitern das Wissen der Teilnehmenden über Schreibprozesse, Feedbackverfahren und Leserreaktionen:
a. Textqualität Die grundlegende Tätigkeit in der Schreibgruppe ist es, sich gegenseitig Rückmeldung auf Textentwürfe zu geben. Jeder Textausschnitt wird von mehreren 67 „Rohtexte sind so heikel wie rohe Eier. [...] Das rohe Ei ist ein Symbol dafür, wie zerbrechlich erste Textfassungen und ihre VerfasserInnen sind.“ (Wolfsberger 2007: 192).
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Leser/innen kommentiert. Diese Kommentare können einander ergänzen, bekräftigen, aber auch widersprechen. Durch diese Widerspiegelung des Leseverständnisses unterschiedlicher Leser/innen bekommen die Autor/innen eine Vielzahl an Informationen, die sie bei der Überarbeitung des Textes nutzen können. Die Entscheidung, auf welche Anregung sie wie eingehen, bleibt immer bei den Autor/innen, so dass ihnen an keiner Stelle die Verantwortung für ihren Text abgenommen wird.68 Die Schreibgruppe ist ein Testpublikum, das unterschiedliche Reaktionen auf die vorgestellten Textausschnitte artikuliert. So können Gedanken und Formulierungen ausprobiert und durch den Dialog mit den anderen präzisiert und gestärkt werden. Das regelmäßige, kontinuierliche Feedback im Prozess der Textentstehung hat einen positiven Einfluss auf die Textqualität und unterstützt die Autor/innen dabei, ihre bereits in der Schreibgruppe ausgetesteten Gedanken später in der Öffentlichkeit selbstbewusst zu vertreten. Darüber hinaus entwickelt sich aber auch die Fähigkeit, sich bei der Überarbeitung von eigenen Texten in die Leserposition zu versetzten und sensibilisiert zu sein für mögliche Leserreaktionen. Der Effekt der Arbeit mit und in der Schreibgruppe geht so über die Arbeit am aktuellen Text hinaus.
b.
Produktivität und Motivation
Neben der Textverbesserung hat die kollegiale Schreibgruppe vor allem das Ziel, die Produktivität der Beteiligten zu steigern. Das regelmäßige Textfeedback und die Treffen im Chatroom reduzieren die Einsamkeit beim Schreiben, die häufig die Produktivität beim Schreiben hemmt oder sogar zu Blockaden führen kann (vgl. Keseling 2004: 120ff). Die Schreibgruppe bildet von Anfang an eine wohlwollende Leserschaft, die den nächsten Textausschnitt erwartet und deren Interesse anspornend wirkt. Das Schreiben geschieht so nicht mehr in einer monologischen Situation, sondern findet Resonanz in den Reaktionen der Gruppe. Auch wenn virtuelle Treffen reale Begegnungen nicht ersetzen können, führen die regelmäßigen Diskussionen im Chatroom zu einem wesentlich stärken Gruppengefühl als lediglich der Austausch von Dateien und E-Mail. Hierzu kommt, dass die Schreibgruppe durch die regelmäßigen Treffen auch den Schreibprozess rhythmisiert: Um die Arbeit der Gruppe zu ermöglichen, müssen zu bestimmten Terminen vorher festgelegte Textmengen an die 68 Elbow und Belanoff (1989) sprechen in dem für Schreibgruppen sehr empfehlenswerten Buch „Sharing and Responding“ vom „Paradox des Feedbacks“: Einerseits müssen Autor/innen den Leser/innen die Entscheidung darüber lassen, wie sie Texte wahrnehmen und verstehen und andererseits müssen sie für sich selbst entscheiden, ob sie das Feedback annehmen möchten oder nicht.
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anderen verschickt werden. Diese Vereinbarungen fördern ein regelmäßiges Arbeiten in kleinen Schritten, das für eine hohe Produktivität beim Schreiben empfohlen wird (vgl. z.B. Boice 2000; Silvia 2007). Durch die Verbindlichkeit der Gruppe gegenüber wird das Schreiben zudem zu einer nicht nur wichtigen, sondern zu einer dringenden Aufgabe.69 Gerade Promovierende, die viele andere Verpflichtungen haben oder dazu neigen, das Schreiben aufzuschieben, finden in der Schreibgruppe so eine Unterstützung, um kontinuierlich Text zu produzieren.
c.
Erweitertes Wissen über den Schreibprozess, Feedbackverfahren und Leserreaktionen
Aus didaktischer Sicht ist ein besonders wichtiges Ziel der Arbeit in der kollegialen Schreibgruppe das Lernen auf der Metaebene, weil es zu einer Professionalisierung des Umgangs mit Texten führt. In der Schreibgruppe werden durch den Austausch von Textentwürfen, das Feedback auf diese Texte und später evtl. auch auf überarbeitete Versionen derselben Texte Arbeitsprozesse nachvollziehbar, die fertigen Texten nicht mehr anzusehen sind. Die Angehörigen einer Schreibgruppe teilen Ausschnitte ihrer Arbeitsprozesse miteinander und geben so einander auch auf dieser Ebene Anregungen. Durch den Vergleich mit den Arbeitsweisen der anderen wird das eigene Arbeiten bewusster und kann so reflektiert und verbessert werden. Neben dem Schreibprozess (Form der Textentwürfe, Umsetzung von Feedback in der Überarbeitung) betrifft das Lernen auf der Metaebene auch das Geben des Feedbacks (Was wird kommentiert? Wie wird kommentiert? Welche Reaktion löst das Feedback bei der/dem Autor/in aus?) und die Bandbreite der möglichen Lesarten eines Textes. 1.
Grundlegende Prinzipien der Schreibgruppenarbeit
Im Folgenden werden zunächst Prinzipien zusammengefasst, die für virtuelle und reale Schreibgruppen gleichermaßen gelten, bevor wir dann anschließend auf die Besonderheiten der Online-Arbeit eingehen.
69 Zur Unterscheidung von wichtigen und dringenden Aufgaben in der Zeitplanung vgl. z.B. Seiwert (2000: 160ff). Während wichtige Aufgaben für das Erreichen langfristiger Ziele entscheidend sind, üben dringende Aufgaben einen größeren Druck aus und werden deshalb häufig eher erledigt als wichtige.
Online-Schreibgruppen: den regelmäßigen Austausch fördern a.
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Short-lived, small, supportive
Graham Badley70 (2005) bezeichnet seine akademischen Schreibgruppen („Scholary Writing Group“) als „SSS-Groups“. „SSS” ist ein Akronym für “short-lived, small in size, supportive”. „Short-lived“ meint bei Badley, dass sich die Gruppe für die Dauer eines Semesters und für nicht mehr als sechs Gruppentreffen zusammenfindet. Dies trägt zu einem konzentrierten Arbeiten bei und kann zudem ein wichtiges Argument für die Teilnahme sein, da man sich für einen überschaubaren Zeitraum darauf einlässt. Im Rahmen einer Schreibgruppe für Promovierende kann von vornherein eine längere Zusammenarbeit verabredet werden. Wichtig ist jedoch, dass es sich um einen begrenzten und überschaubaren Zeitraum handelt. So sollte nie mehr als ein Jahr verabredet werden. Sollte die Gruppe anschließend weiter zusammenarbeiten wollen, ist das letzte Treffen ein guter Zeitpunkt, um die bisherige Zusammenarbeit zu reflektieren und ggf. neue Regeln zu etablieren oder auch neue Mitglieder aufzunehmen. „Short-lived“ bedeutet weiterhin, dass auch die einzelnen Gruppentreffen zeitlich begrenzt sind. Badley schlägt 90 Minuten vor. Realistischer erscheinen uns 120 Minuten. Grundsätzlich ist eine zeitliche Begrenzung deshalb sinnvoll, weil sie den Zeitaufwand überschaubar macht und es den Beteiligten so erleichtert, sich auf die Zusammenarbeit einzulassen. „Small“ als Kriterium für eine Schreibgruppe bedeutet konkret, dass sich nicht mehr als drei bis sechs Mitglieder zusammenfinden (Badley bezieht sich hier auf Empfehlungen von Olson 1995). Badley betont, dass diese Gruppengröße eine hohe Intensität in der Zusammenarbeit ermöglicht, in der die einzelnen viel Feedback und Unterstützung geben können. „Supportive“ betont den Aspekt, dass das Feedback die Teilnehmenden weiterbringen soll. Dafür werden Regeln etabliert. Badley schlägt einen „writing group facilitator“ (Leiter) vor. Will die Gruppe kollegial arbeiten und nicht ein Gruppenmitglied besondere (zusätzliche) Aufgaben übernehmen, sollte die Moderation von Treffen zu Treffen wechseln. Alle Gruppenmitglieder sind auf diese Weise gleichberechtigt (zur Aufgabe der Moderation s.u.).
70 Badley hat an der Anglia Polytechnic University in Essex Schreibgruppen für Universitätsdozenten initiiert und als Feld für «action research» genutzt.
206 b.
Imke Lange, Ulrike Lange Die Zusammensetzung der Schreibgruppe
Wie kann eine Schreibgruppe von Promovierenden zusammengesetzt sein? Wichtig ist, dass die Teilnahme weder verpflichtend ist, noch die Gruppe von Dritten zusammengestellt wird. Dies hat sich als ein wesentlicher Faktor für die Produktivität von Schreibgruppen erwiesen (vgl. Girgensohn 2007). Alle Teilnehmenden sollten sich bewusst und ohne Druck für die Teilnahme entscheiden und selber wählen, mit wem sie zusammen arbeiten wollen. Dafür müssen die einzelnen einen Punkt in ihrem Schreibprozess erreicht haben, an dem sie sich bereit fühlen, aus der Zurückgezogenheit herauszutreten und sich mit anderen Promovierenden über ihre Texte auszutauschen. Das bedeutet nicht, dass die Gruppenmitglieder ihre Texte bereits gut finden müssen, entscheidend ist die Bereitschaft der Autor/innen, „Zeigeblockaden“ (s.o.) zu überwinden und ihre Texte vorzustellen (vgl. Bolker 1998: 112 und 99-101). Um ein Bewusstsein für eine solche Entscheidung und die Findung der Teilnehmenden generell zu fördern, empfiehlt es sich auch für Online-Schreibgruppen, sich mindestens einmal real zu treffen, zumal das Chatten angenehmer wird, wenn man sich zu den schriftlichen Kommentaren die feedbackgebenden Personen vorstellen kann (vgl. Girgensohn & Hiller in diesem Band). Zur Zusammensetzung von Schreibgruppen sind unterschiedliche Möglichkeiten denkbar, die alle Vor- und Nachteile haben. Welche Kombination die beste Unterstützung bringt, können nur die Mitglieder entscheiden. Eine wichtige Überlegung ist, wie homogen oder heterogen sich die Gruppe zusammensetzen soll:71 Kommen die Mitglieder alle aus dem gleichen Fachgebiet (haben evtl. sogar den gleichen Betreuer oder die gleiche Betreuerin) oder setzt sich die Gruppe fächerübergreifend zusammen? Befinden sich alle Mitglieder am gleichen Punkt im Schreibprozess oder an unterschiedlichen Punkten (z.B. Einlesen ins Thema, Einstieg ins Schreiben nach Sammlung des Datenmaterials, Überarbeitung der Rohfassung)? Der Fokus einer fachlich heterogenen Gruppe liegt stärker auf dem Schreibprozess. Die Mitglieder laufen nicht in Gefahr, sich in themenspezifischen Details zu verbeißen oder sich fortwährend um möglichen Ideenklau Gedanken machen zu müssen. Konkurrenzgefühle fallen weg bzw. werden auf ein Maß reduziert, das eine produktive Kooperation ermöglicht. Das fehlende Fachwissen der ande71 Vgl. Bolker (1998), 104-115. Bolker beschreibt die Vor- und Nachteile in der Zusammensetzung von Schreibgruppen für Promovierende (u.a. auch zur Arbeit in gleichgeschlechtlichen vs. gemischtgeschlechtlichen Gruppen). Unterhaltsam ist ihre Beschreibung der „group member from hell (GMFH)“.
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ren Gruppenmitglieder kann aber unter Umständen auch zum Nachteil werden, denn nicht immer lassen sich Inhalte erfassen, wenn die Zusammenhänge den Lesenden nicht klar sind. Darüber hinaus kann eine interdisziplinäre Sicht anderer Gruppenmitglieder sehr hilfreiche Ergänzungen bringen, u.U. aber auch dazu führen, dass zu viele neue Ideen hinzukommen.. Eine Gruppe, deren Mitglieder in unterschiedlichen Stadien des Schreibprozesses befinden, hat den Vorteil, dass nicht alle auf dem gleichen Auge blind sind, wenn z.B. alle zur gleichen Zeit mit dem Schreiben der Rohfassung beginnen. Zudem ist die Art des Feedbacks vielfältiger, weil die diesbezüglichen Wünsche Autor/innen stärker variieren werden. So möchten Schreibende im Anfangsstadium in der Regel keine Rückmeldungen zu Formulierungen haben, sondern eher ihre Ideen diskutieren, während Schreibende, die ihre Texte demnächst veröffentlichen wollen, sich eher Feedback zu ihren Strukturierungen und Formulierungen wünschen. Die Schreibgruppenarbeit wird so abwechslungsreicher. Ein Nachteil kann hier der unterschiedliche Druck sein, den die Teilnehmenden spüren. Kurz vor der Abgabe der Dissertation stehen viele Promovierende nicht nur unter Zeitdruck, sondern sind auch durch die bevorstehende Bewertung und Veröffentlichung sehr angespannt. Feedback erfordert zu diesem Zeitpunkt einerseits besondere Sensibilität und ist andererseits besonders wichtig. Mitunter fällt es Teilnehmenden zu diesem Zeitpunkt schwer, sich auf die Texte anderer Gruppenmitglieder einzulassen. Das Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen in der Gruppe kann so in Gefahr geraten. Möglicherweise kann es dann sinnvoll sein, dass sich die Gruppe entsprechend der aktuellen Interessen und Bedürfnisse aufteilt. In jedem Fall sollte die Situation in der Gruppe offen angesprochen werden.
c.
Geben und Nehmen: Feedback auf Texte und Unterstützung beim Schreiben
Damit die Rückmeldung auf die Texte für alle Beteiligten möglichst bereichernd ist, müssen einige Prinzipien beachtet werden. So ist es grundsätzlich wichtig, dass als Ziel der Zusammenarbeit die Steigerung der Produktivität des Schreibens festgelegt wird: Alle Gruppenmitglieder achten darauf, diesen Fokus als Gruppenziel beizubehalten. Die Zusammenarbeit beruht generell auf Gleichrangigkeit und Gegenseitigkeit (kollegial/ PeerFeedback), niemand hat bewertende Autorität.
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Eine weitere wichtige Absprache betrifft die Textmenge, die die Mitglieder zum jeweiligen Termin neu schreiben oder überarbeiten (z.B. 1.500 – 2.000 Wörter, das sind etwa fünf DIN A4-Seiten).72 Um das Feedback produktiv („supportive“) zu gestalten sollten folgende Regeln festgehalten werden: Mit allen Texten und deren Autor/innen wird respektvoll umgegangen. Die Autor/in formuliert möglichst konkrete Feedbackwünsche. Beim Feedback wird also nicht alles angemerkt, was auffällt: maßgeblich sind die Feedbackwünsche, die formuliert wurden. Darüber hinaus sollte beachtet werden, dass verschiedene Stadien im Arbeitsprozess unterschiedliches Feedback erfordern. Zum Beispiel ist eine Detailkritik für Erstentwürfe nicht sinnvoll. Umgekehrt sollten bei der Diskussion von Texten kurz vor der Abgabe keine Grundsatzdiskussionen mehr eröffnet werden. Für das Feedback-Geben gilt, dass Rückmeldungen konkret, wertschätzend, produktivitätsfördernd und überarbeitungsorientiert sein sollten (vgl. Ruhmann 1999; Frank et al. 2007: 97ff). „Kritik“ impliziert in unserer Kultur meist ein Benennen von Defiziten. Für Lernprozesse ist es aber mindestens ebenso wichtig, auch gelungene Textstellen oder Aspekte zu benennen. Lob sollte deshalb immer eingebracht werden, auch jenseits von den geäußerten Feedbackwünschen. Negative Kritik wird begründet und möglichst als Frage formuliert, z.B: „Warum hast du das an dieser Stelle geschrieben?“ statt „Dieser Satz passt hier nicht hin“. Rückmeldung wird in Ich-Botschaften formuliert („Ich finde diese Stelle aus diesen und jenen Gründen schwierig“ statt „Das kann man so nicht machen“). Die Verantwortung für den Text und die Überarbeitung bleibt bei den Autor/innen, die darüber entscheiden, ob und wie sie auf das Feedback reagieren. Das bedeutet auch, dass es nicht die Aufgabe der Feedbackgebenden ist, den Text zu verbessern, sondern Anregungen zur Überarbeitung zu geben. Die Zusammenarbeit basiert auf Vertraulichkeit (evtl. durch eine schriftliche Vereinbarung), d.h. alles, was innerhalb der Gruppe ausgetauscht wird, bleibt in der Gruppe. So braucht niemand zu fürchten, dass seine Ideen und Gedanken vor der eigenen Publikation von anderen übernommen werden 72 Varianten und Möglichkeiten zur Feedback-Organisation der zu lesenden Textteile sind ausführlicher in Girgensohn et al. (2009) vorgestellt.
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oder dass eine peinliche Situation durch das Präsentieren unfertiger Texte entsteht. Die Vereinbarung, Kommunikationsprobleme und Missverständnisse anzusprechen, ist unerlässlich, um den Gesamtertrag der gemeinsamen Arbeit zu gewährleisten. Dabei kann man sich zum Beispiel an Ruth Cohns Regeln zur themenzentrierten Interaktion orientieren (Cohn 1991), die darauf zielen, stets ein Gleichgewicht zwischen den Polen „Sache“ (also Steigerung der Produktivität des Schreibens), „Wir“ (Gruppe) und „Ich“ (subjektive Bedürfnisse) zu wahren. Jedes Gruppenmitglied ist selbst für dieses Gleichgewicht verantwortlich und hat die Aufgabe, auch unterschwellig wahrgenommene Störungen zu thematisieren. Den Promovierenden sollte außerdem bewusst sein, dass die Schreibgruppe niemals den Kontakt mit der Betreuer/in und deren Rückmeldungen ersetzen kann. Unter Umständen kann die Schreibgruppe auch gemeinsam überlegen, wo ggf. weiteres Feedback eingeholt werden könnte (z.B. von Schreiberfahreneren oder fachlich Kompetenteren). Da, wie bereits gesagt, die universitäre Sozialisation oft zu wenig Erfahrungen (selbst unter Promovierenden) mit konstruktivem Feedback beiträgt, könnte es nützlich sein, das Feedbackgeben in einem Auftaktworkshop anzuleiten und einzuüben. Werden diese Regeln beachtet, dann wird die Schreibgruppe sich positiv auswirken auf Motivation, Produktivität und Textqualität. Doch auch produktive Schreibgruppenarbeit will gelernt sein. Es kann durchaus sein, dass es auf dem gemeinsamen Weg auch Reibungspunkte gibt. Unserer Erfahrung nach werden z.B. die Rückmeldungen trotz vereinbarter Regeln nicht immer als motivierend empfunden; hier spielen menschliche Kommunikations-Probleme oder die Enttäuschung über zu wenig oder zu ungenaues Feedback eine Rolle. Umgekehrt gibt es auch die Situation, dass ein/e Autor/in auf ihre Rohfassung so vielfältige und enthusiastische Rückmeldungen bekommt, dass es ihr schwerfällt, auszuwählen und mit der Überarbeitung zu beginnen. Reibungen dieser Art sind in einem Gruppenprozess nicht zu vermeiden und sollten als Lernmöglichkeit begriffen werden. 3
Besonderheiten der Online-Schreibgruppenarbeit
Eine Online-Schreibgruppe ermöglicht: die Zusammenarbeit einer Gruppe unabhängig vom Wohnort ortsunabhängige Arbeitstreffen (solange ein Internetzugang besteht)
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zeitnah zur Verfügung stehende Protokolle (Chatprotokolle) mit den Rückmeldungen der anderen zum eigenen Text. Das Protokoll entsteht durch den Chat selber und muss nicht wie bei einem realen Treffen oder einer Telefonkonferenz nachträglich angefertigt werden. Die im dritten Kapitel beschriebenen grundlegenden Prinzipien einer Schreibgruppe finden auch in Online-Schreibgruppen Anwendung. Für die technische Realisierung der Treffen geben wir darüber hinaus hier einige Empfehlungen:
a.
Technische Vorbereitung und Absprachen
Jedes Mitglied richtet einen Chat-Arbeitsplatz ein. Das Vorgehen variiert geringfügig je nach gewähltem Anbieter und wird auf dessen Internetseiten bzw. im Supportservice verständlich erklärt. Vor Beginn der Schreibgruppenarbeit empfiehlt sich ein Probechat, damit sich jede/r einzeln und als Gruppe mit dem Kommunikationsmedium vertraut machen kann. Sinnvoll ist, zunächst Termine für die gemeinsamen Chats zu vereinbaren – und zwar regelmäßig und möglichst für die gesamte Dauer der Schreibgruppe. Obwohl das auch für „reale“ Schreibgruppen eine sinnvolle Vorgehensweise ist, erscheint uns dies für Online-Treffen besonders wichtig, da „virtuelle“ Verabredungen unter Umständen weniger ernst genommen werden könnten. Feste Wochentage und feste Uhrzeiten tragen zur Verbindlichkeit bei und ermöglichen eine langfristige Planung der Aufgaben (Schreiben und Lesen). Ein hilfreiches Werkzeug zum Finden gemeinsamer Termine ist z.B. der Basisdienst „Doodle“ (www.doodle.de). Er ist kostenlos und erfordert weder Registrierung noch Software-Installation und besteht aus Termintabellen, die den eingeladenen Umfrageteilnehmer/innen im Internet zur Verfügung stehen. Der Turnus der Treffen (z.B. alle vier Wochen) richtet sich nach der Zielsetzung und den Rahmenbedingungen der einzelnen Gruppenmitglieder. Außerdem sollte die Dauer der Treffen von vornherein abgestimmt werden. Nach mehr als zwei Stunden im Chatroom sinkt die Konzentration erheblich. Zu einem bestimmten Zeitpunkt vor dem jeweiligen Chat-Termin (z.B. eine Woche vorher) schickt jedes Mitglied seinen Text(teil) per E-Mail an die anderen Mitglieder der Schreibgruppe und formuliert seine Feedback-Wünsche. Bis zum Chat liest jede/r die Texte der anderen. Darüber hinaus kann eine Rollenzuteilung beim Lesen vereinbart werden: Jedem Text wird im Rotationsprinzip ein/e Leser/in als „ausführliche“ Leserin zugeordnet. Diese liest diesen Text besonders gründlich und schickt ihre Rückmeldungen der Autorin gegebenenfalls zusätzlich zum Chat per E-Mail zu.
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Bei einer wechselnden Moderation der Online-Schreibgruppe sollte abgesprochen werden, wer bei welchem Treffen die Moderation übernimmt. (Zu den Aufgaben der Moderation siehe unten.)
b.
Empfehlungen zum Ablauf eines Chats
Ein Treffen mit der Online-Schreibgruppe bedeutet, weitere anderthalb oder zwei Stunden am Bildschirm zu sitzen und zu kommunizieren, nachdem man vielleicht schon den ganzen Tag am Bildschirm gearbeitet hat. Deshalb sollte man sich seinen virtuellen Arbeitsplatz so organisieren, dass man gerne und konzentriert am Chat teilnehmen kann: für leibliches Wohl sorgen, ohne Störungen von außen und mit Ablagemöglichkeiten für die ausgedruckten Texte. Die Moderatorin lädt die Gruppenmitglieder pünktlich ein und eröffnet den Chat. Die Aufgaben der Moderatorin sind: Den Chat zu strukturieren (Besprechungsabfolge der Texte) und ggf. durch Kommentare auf der Meta-Ebene darauf aufmerksam zu machen, wenn Mitglieder nicht zu Wort kommen. Sie behält die Zeit im Blick. Nach dem Chat speichert sie das Chatprotokoll, hebt darin Themen bzw. die Besprechungsphasen der einzelnen Texte durch Absätze und Überschriften hervor und schickt das Protokoll als Textdokument an die Mitglieder der Gruppe. So können später alle nachlesen, was zu ihren Texten gesagt wurde. Wie bei realen Gruppentreffen sollte zu Beginn kurz Zeit zum informellen Austausch sein. Hier bietet sich ein Blitzlicht73 an: Wie geht es den Einzelnen? Welche Neuigkeiten gibt es? Dann folgt die Besprechung der einzelnen Texte jeweils für eine bestimmte Zeitspanne (z.B. 15 Minuten) von allen Gruppenmitgliedern nacheinander: Text von A wird kommentiert von B, C, D, E; Text von B wird kommentiert von C, D, E, A usw. Zum Schluss äußert sich die Autorin noch einmal und überlegt ggf. hier schon ihr weiteres Vorgehen. Den Chat beschließt ein kurzes Stimmungsbild. Auch Blitzlicht und Stimmungsbild werden von der Moderatorin geleitet. Durch die Echtzeitkommunikation im Chat entsteht der Eindruck eines geschriebenen Gespräches, das Qualitäten von Mündlichkeit und Schriftlichkeit verbindet. Einerseits kann durch den Gesprächcharakter das Gefühl eines realen Treffens entstehen. Andererseits kann die Distanz, die das Medium mit sich bringt, es leichter machen, Rückmeldungen zu formulieren und anzunehmen. Die Kommunikation im Chat wird einfacher, wenn bestimmte Regeln und Zeichen vereinbart werden. Bei manchen Programmversionen sieht man nicht, wer gera73 „Spielregel“ für ein Blitzlicht: Alle berichten nur sehr kurz und beziehen sich dabei nicht auf die Aussagen der anderen: Diese bleiben i.d.R. unkommentiert stehen.
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de schreibt. Das Schreiben braucht Zeit, manche tippen schneller, andere langsamer. So kann auf dem Bildschirm schnell ein Durcheinander entstehen: Noch während man schreibt, wechselt das Thema und der eigene Beitrag ist schon nicht mehr aktuell. Es ist dann schwierig, sich auf einen vorherigen Beitrag zu beziehen. Wenn Chatteilnehmer gleichzeitig schreiben, kann es zu Verstimmungen und Verwirrung kommen, man fühlt sich zuweilen gehetzt. Hier können Zeichen helfen, die Kommunikation zu ordnen, z.B.: + # ! ? @NAME Meta
„Ich schreibe gleich noch weiter, bitte warten.“ „Mein Beitrag ist beendet.“ „Ich stimme dem zu, was du gerade gesagt hast.“ „Verstehe ich nicht.“ „Mit dem, was ich jetzt äußere, beziehe ich mich auf das, was NAME gesagt hat.“ „Ich sage jetzt etwas auf der Meta-Ebene.“
Das folgende Beispiel ist ein Auszug aus einem Chatprotokoll.74 Besprochen wird zu diesem Zeitpunkt der Text von IL. KG gibt gerade ihre Rückmeldungen, UL liest mit: [21:14:17] KG: ich bin weiterhin sehr fasziniert und wünsche mir viel mehr Texte des Genres "Werkstattbericht"+ [21:14:44] KG: insgesamt habe ich mich gefragt, ob der Bourdieu eigentlich wichtig ist obwohl ich die Zitate gut finde+ [21:15:02] KG: eigentlich sind sie nicht so wichtig für deine Frage,hatte ich das GEfühl+ [21:15:16] KG: Ganz toll finde ich die Einblicke in deine Notizen+ [21:15:35] KG: aber manchmal dachte ich, dass du dich zu schlecht machst+ [21:15:50] UL: ! [21:16:50] KG: und mir ist nicht klar, wer die Zielgruppe ist, weil, ehrlich gesagt, ich auch nicht diese ganzen unterschiedlichen Definitionen kenne und den unterschied zwischen erklären und definieren und da mehr Hilfestellung bräuchte - falls es nicht für eine linguistische Fachzeitschrift ist. Unbedingt weitermachen, […] Mit dem Zeichen „+“ kennzeichnet KG mehrmals, dass ihr Beitrag noch nicht beendet ist. Sie formuliert ihre Rückmeldung in Ich-Botschaften („mir ist nicht klar“), formuliert Kritik als Frage („ob der Bourdieu eigentlich wichtig ist“), 74
Dritter Chat unserer Online-Schreibgruppe 2007 (18.6.2007).
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begründet ihre Kritik („eigentlich sind sie nicht so wichtig für deine Frage“), benennt gelungene Aspekte („Ganz toll finde ich die Einblicke in deine Notizen“) und motiviert die Autorin („Unbedingt weitermachen“). UL stimmt an einer Stelle spontan einer Äußerung von KG zu („!“). Die Verantwortung für den Text und die Überarbeitung bleibt bei der Autorin. So muss IL später die Entscheidung treffen, ob z.B. ihre Zielgruppe „diese ganzen unterschiedlichen Definitionen“ kennt oder ob sie den Unterschied zwischen Erklären und Definieren ausführlicher erläutert. Nicht zuletzt bringt der Chat als Mischform von Schriftlichkeit und Mündlichkeit, durch die Kommunikation mit klaren Regeln und durch liebevolle Überwachung der Kommunikationsregeln durch die Gruppenmitglieder, auch etwas Spielerisches mit sich und wirkt sich auch dadurch positiv auf die Motivation aus.
c.
Empfehlungen zum Umgang mit den Textdokumenten
Je nach Gruppengröße werden viele Texte hin- und hergeschickt, die Texte wachsen und überarbeitete Versionen ersetzen Entwürfe. Damit die Mitglieder der Online-Schreibgruppe nicht im Daten- und Textchaos versinken, empfiehlt sich ein klarer Umgang mit den Textdateien: Die Textdokumente sind immer gleich vorbereitet und mit eindeutigen Dateinamen versehen: Name des Autors bzw. der Autorin, Nummer bzw. Datum der Textversion in der Kopfzeile, Seitenzahlen (ggf. auch Zeilennummerierung) und feste Seitenumbrüche. Diese Vorbereitung erleichtert die genaue Benennung von Textstellen während des Chats und die Organisation der Dateien im eigenen Ablagesystem. Die Texte können auch als pdf-Dateien verschickt werden, damit alle dasselbe Druckbild vor sich haben. Die Feedbackwünsche werden präzise formuliert und direkt in die Textdatei geschrieben - möglichst an die Stelle, auf die Feedback gewünscht wird. Hilfreich ist eine besondere Formatierung für Feedbackwünsche, z.B. kursiv. Es ist sinnvoll, dass die Gruppe sich über bestimmte einheitliche Zeichen verständigt, z.B. zur Markierung eigener Formulierungsunsicherheiten sog. „Zögerzeichen“. Diese Zeichen signalisieren den Lesern: „Kümmere dich nicht um die Formulierung. Sie ist noch nicht endgültig.“ Solche Zeichen
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Imke Lange, Ulrike Lange
sind schnell erkennbar und vom Textverarbeitungsprogramm per Suchfunktion zu finden: // oder ## oder *** (vgl. Bünting 2000: 18). In der E-Mail-Kommunikation zwischen den Chat-Terminen (u.a. bei der Versendung der zu lesenden Texte) werden aussagekräftige Betreffzeilen verwendet. Zu den Protokollen: Hilfreich ist es, wenn die Moderatorin das Protokoll (zwei Stunden Chat umfassen ca. 14-16 Seiten) gliedert und mit Zwischenüberschriften versieht oder fett markiert, wenn ein neuer Text bzw. ein neues Thema besprochen wird. Der Arbeitsaufwand beträgt etwa zehn Minuten.
4
Ausblick
Die Schreibgruppenarbeit, die wir in diesem Artikel vorgestellt haben, ist autonom und selbst organisiert. Welchen Platz kann eine solche OnlineSchreibgruppe in den heute angebotenen Möglichkeiten einer organisierten Promotionsphase finden? Zu der Frage, ob Doktoranden ein strukturiertes Promotionsprogramm mit ständiger Betreuung wollen oder ob es mehr Freiheit für die eigenständige Forschungsarbeit braucht, schreibt „Christian“ bei academics.blog Folgendes75: …wenn Doktoranden ihre Freiheit nutzen und unabhaengig von gerade ang[e]sagten Verhaltenscodes ihre Ideen entwickeln und sich austauschen, dann werden Produkte entstehen, die fuer andere interessant sind. Forschung ist nicht nur stromlinienfoermiges Karri[e]remachen; gerade Querdenker sind ja gefragt. Um nicht falsch verstanden zu werden: Betreuung, Reisen, Konferenzen, PhD-Kurse etc.: all das ist gut; nur meine ich, dass dies nicht die Formen sind, in die Doktoranden gegossen werden sollten, sondern all das stellt m.E. nur die Bedingung her sich selbststaendig und selbststaendiges Denken (gerade in den Geisteswissenschaften) zu entwickeln; und darauf kommt es an.
Der Blog-Beitrag beschreibt ein Spannungsfeld, in dem sich viele Doktoranden befinden: Zwischen (erster) wissenschaftlicher Freiheit und strukturierten Promotionsprogrammen. Einerseits schaffen strukturierte Programme zunehmend 75 Kommentar von Christian am 9.10.2008 (12:06). URL: http://www.academics.de/blog/index.php/aktuelle-themen/was-wollen-doktoranden/ (Stand: 14.09.2009). „academics“ ist ein Karriereportal der Wissenschaft, initiiert von DIE ZEIT und der Zeitschrift Forschung & Lehre. Das „academics.blog“ ist ein Karriere-Blog: Wissenschaftler/innen und Nachwuchswissenschaftler/innen aus dem In- und Ausland berichten von ihrem Alltag in Lehre und Forschung.
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einen Rahmen, der Promovierende unterstützen kann, in drei Jahren ihre Arbeit tatsächlich abzuschließen. Andererseits können die begleitenden Anforderungen und Erwartungen dazu führen, dass Reisen, Konferenzen, kreditierte Seminare etc. zu dringenden Aufgaben werden und sich das Schreiben der Dissertation zu einer wichtigen Aufgabe verschiebt (siehe Anm.5). „Christian“ wünscht sich Bedingungen, die genügend Freiraum lassen, um selbständiges und selbsttätiges Denken im Rahmen der Promotion zu entwickeln. Es liegt auf der Hand, dass eine Online-Schreibgruppe externen Promovierenden, die nicht über eine Stelle oder einen Platz in einem strukturierten Promotionsprogramm in eine Kooperation mit anderen eingebunden sind, den notwendigen Austausch mit Peers bieten kann. Aus unserer Sicht ist die Einbindung einer Online-Schreibgruppe aber auch in strukturierte Promotionsprogramme durchaus möglich und sinnvoll, um das wissenschaftliche Schreiben und Arbeiten der Promovierenden zu professionalisieren,76 wenn folgende Punkte beachtet werden: Die Teilnahme an der Onlinegruppe muss freiwillig sein. Falls die Teilnahme kreditiert werden soll, muss die Online-Schreibgruppe eine Wahlveranstaltung sein und es müssen genügend andere Angebote zur Verfügung stehen. Wie oben dargestellt, sollten die Gruppenmitglieder nicht von außen vorgegeben werden, sondern sich selbst wählen. Eine von außen vorgegebene Gruppenzusammensetzung scheint nach unseren Erfahrungen keine geeignete Grundlage zu sein – auf gar keinen Fall, wenn einzelne Mitglieder nicht bereit oder in der Lage sind, eigene Texte zur Verfügung zu stellen. An den Gruppen darf keine Person teilnehmen (oder Informationen aus den Gruppendiskussionen erhalten), die in einem Bewertungsverhältnis zu den anderen Gruppenmitgliedern steht. Dies könnte z.B. dadurch gewährleistet werden, dass die Gruppen von externen Trainerinnen initiiert und begleitet werden. Je interdisziplinärer die Zusammensetzung der Gruppen und je größer die Auswahl der Promovierenden bei der Gruppenbildung ist, desto besser. Eine gute Voraussetzung bieten hier übergreifende Research Schools, die verschiedene Fächer und Projekte einer Universität zusammenfassen. Das Angebot von Online-Schreibgruppen im Rahmen von strukturierten Promotionsprogrammen bietet auch ganz klare Vorteile: 76 Vgl. Girgensohn et al. (2009). Neben ausführlichen Erfahrungen und Reflexionen gibt es auch eine Handreichung, wie man eine Online-Schreibgruppe einrichten kann.
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Imke Lange, Ulrike Lange
Viele Promovierende schrecken aus Zeitgründen davor zurück, an einer Schreibgruppe teilzunehmen. Wenn sie für die Teilnahme an Gruppen dieser Art Credits erwerben können, kann ihnen dies die Entscheidung erleichtern, diese Arbeitsform auszuprobieren. So wie die Teilnahme an Promotionskolloquien häufig kreditiert wird, könnte auch die virtuelle Variante anerkannt werden.77 Denkbar sind einführende Workshops im Rahmen von Summerschools, in Fort- und Weiterbildungsangeboten oder im Bereich der Vermittlung von forschungsrelevanten Schlüsselqualifikationen.78 Für diese Veranstaltungen sollten jedoch Credits unabhängig davon vergeben werden, ob sich die Promovierenden anschließend zu Online-Schreibgruppen zusammenfinden oder nicht. Eine modifizierte Form des in diesem Beitrag vorgestellten Konzepts wäre eine von einer externen Person (im Sinne des „writing group facilitator“ bei Badley) moderierte Online-Schreibgruppe. Dass eine Online-Schreibgruppe sowohl innerhalb als auch außerhalb eines strukturierten Promotionsprogramms ein sinnvoller, selbst gewählter und selbst organisierter Freiraum zum Denken und Schreiben sein kann, sollte unser Beitrag zeigen. Über nachfolgende Online-Schreibgruppen für Promovierende freuen wir uns, teilen gerne unsere Erfahrungen und sind an neuen Erfahrungen interessiert.79
Literatur Ascheron, C. & Kickuth, A. (2005). Make Your Mark in Science. Creativity, Presenting, Publishing, and Patents. A Guide for Young Scientists. Hoboken, NJ: J. Wiley. Badley, G. (2005). Using Writing Groups to Help Transform University-Teachers into Scholar-Writers. EATAW-Proceedings 2005. Ed. American Hellenic Union, CDRom. Athens. Bereiter, C. (1980). Development in Writing. In Lee W. Gregg; Erwin R. Steinberg (Hg.), Cognitive Processes in Writing, 73-93. New York: Hillsdale.
77
Die Beteiligung kann über die Anwesenheit bei den entsprechenden Chatterminen nachgewiesen werden. Die Stundenzahl ergibt sich aus der Summe der Chatzeiten und einem festgesetzten Zeitanteil zur Vorbereitung (Lesen der anderen Texte). 78 Vgl. Girgensohn & Hiller in diesem Band. 79 Gerne bieten wir an, unsere Erfahrungen und Reflexionen in Form von Briefings persönlich vorzustellen und zur Verbreitung solcher Schreibgruppen beizutragen.
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Boice, R. (2000). Advice for New Faculty Members. Nihil Nimus. Boston; London: Allyn and Bacon. Bolker, J. (1998). Writing Your Dissertation in Fifteen Minutes a Day. A Guide to Starting, Revising, and Finishing Your Doctoral Thesis. New York: Holt Paperbacks. Bünting, K. & Bitterlich, A. & Pospiech, U. (2000). Schreiben im Studium: Mit Erfolg. Ein Leitfaden. Berlin: Cornelsen Scriptor. Cohn, R. (1991). Von der Psychoanalyse zur Themenzentrierten Interaktion. Stuttgart: Klett-Cotta. Elbow, P. (1973). Writing without Teachers. New York: Oxford University Press. Elbow, P. & Belanoff P. (1989): Sharing and Responding. New York: Random House. Frank, A. & Haacke, S. & Lahm, S. (2007). Schlüsselkompetenzen. Schreiben in Studium und Beruf. Stuttgart, Weimar: Metzler. Gere, A. R. (1987). Writing Groups. History, Theory and Implications. Carbondale, Edwardsville: Southern Illinois University Press. Girgensohn, K. (2007). Neue Wege zur Schlüsselqualifikation Schreiben. Autonome Schreibgruppen an der Hochschule. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Girgensohn, K. & Lange, I. & Lange, U. & Neumann, F. & Zegenhagen, J. (2009). Gemeinsam schreiben: Das Konzept einer kollegialen Online-Schreibgruppe mit PeerFeedback. Zeitschrift Schreiben. Online publiziert: 27.5.2009. URL: http://www.zeitschrift-schreiben.eu/cgibin/joolma/index.php?option=com_content&task=view&id=67 &Itemid=32 (21.9.2009). Honegger, M. (2008). Zeigeblockade: Das Zeigen unbeendeter Texte und die Selbststeuerung des Schreibprozesses. Zeitschrift Schreiben. Online publiziert: 29.5.2008. URL: http://www.zeitschrift-schreiben.eu/cgibin/joolma/index.php?option=com_content&task=view&id=46&Itemid=54 (Stand: 21.9.2009). Keseling, G. (2004). Die Einsamkeit des Schreibers. Wie Schreibblockaden entstehen und erfolgreich bearbeitet werden können. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften. Lehnen, K. (1999). Kooperative Textproduktion. In Otto Kruse; Eva-Maria Jakobs; Gabriela Ruhmann (Hg.), Schlüsselkompetenz Schreiben. Konzepte, Methoden, Projekte für Schreibberatung und Schreibdidaktik an der Hochschule. Neuwied: Luchterhand. 147-170. Ruhmann, G. (1999). Schreiben lernen, aber wie? Instrumentenkoffer zur Leitung von Schreibwerkstätten. In Handbuch Hochschullehre (Ergänzung März). Berlin, Bonn u.a.: Raabe. Silvia, P. J. (2007). How to Write a Lot. A Practical Guide to Productive Academic Writing. Washington: American Psychological Association (APA). Seiwert, L. J. (2000). Wenn Du es eilig hast, gehe langsam. Das neue Zeitmanagement in einer beschleunigten Welt. Frankfurt, New York: Campus. Wolfsberger, J. (2007). Frei geschrieben. Mut, Freiheit & Strategie für wissenschaftliche Abschlussarbeiten. Wien: Böhlau.
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Unter Mitarbeit von Katrin Girgensohn und mit Dank an Friederike Neumann und Jana Zegenhagen.
Creating Graduate Student Writing Programming Rebekah J. Buchanan
Abstract Questions surrounding Ph.D. completion and time to completion are continually being addressed throughout the United States by degree granting universities as well as by larger, federal education organizations. With graduate students seeking support and advising in order to complete dissertations, and with universities limiting funding support and moving towards graduate students completing Ph.D. programs in record time, it is imperative that opportunities for support and community building are available across the university. By providing specific, sustained, and guided assistance to graduate students writing centers have the ability to aid graduate students in working towards timely completion and a community of support. This chapter details one university’s attempt at creating sustained writing programming geared at assisting dissertation writers toward completion.
1
Introduction
Questions surrounding Ph.D. completion and time to completion are continually being addressed throughout the United States by degree granting universities as well as by larger, federal education organizations. The United States’ National Council of Graduate Schools is in the midst of conducting a seven year study around Ph.D. completion and attrition. The study has revealed disparities in completion rates due to race, gender, financial support, and field of study. In determining the needs of graduate students the CGS report financial support, mentoring and advising, family support, peer and social support, program quality, and professional and career guidance to be the main factors in completion (Jaschik: 2007). With graduate students seeking support and advising in order to complete dissertations, and with universities limiting funding support and moving towards graduate students completing Ph.D. programs in record time, it is imperative that opportunities for support and community building are available across the university. By providing specific, sustained, and guided assistance to
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graduate students writing centers have the ability to aid graduate students in working towards timely completion and a community of support. Following the call for more programming for graduate students, the Temple University Writing Center decided to implement more focused graduate programs. First, we set out to analyze the needs of our graduate student population. In doing so, we came up with three different programming options for students to participate in. We first created Dissertation Writing Retreats aimed at giving students a large amount of time for writing and critique. From these came smaller Writing Weekends and the creation of sustained writing communities through Writing Groups. This chapter details our university setting and our three Graduate Student programs.
2
Starting Our Programs
Our university has a large graduate student population. We offer over 150 graduate programs and have over 9,000 graduate students enrolled in the university, making up roughly 26% of the student population. Though our writing center serves both undergraduate and graduate students, recently we began to realize that certain needs of graduate students were not being met through our regular tutoring services. Because of the specific needs of graduate students, we decided to implement programs for working with graduate students and assisting them on thesis and dissertation completion. We began this process by determining the areas we felt graduate students needed assistance in once they reached the dissertation stage. We started by researching other programs in the United States that focused on working with graduate student dissertators. In doing our research we learned that many graduate programs focused on helping students overcome dissertation hurdles. Guided by the cultures of their universities, programs did a variety of different things with dissertators. They created writing communities, required students to sit in a room together and write with minimal interruption and distraction, or gave students the opportunities to work with scholars in their field and other graduate students on the road to dissertation completion. In each case, the goal of the graduate student programming focused as much on creating a community as it did on helping students write. Taking these ideas, we decided to design a program that both supported our specific student populations—traditional graduate students as well as non-traditional students with full-time jobs and families — and also create support for writing and community building.
Creating Graduate Student Writing Programming 3
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Dissertation Writing Retreats
Our largest program, and one which many others expanded from, is the Dissertation Writing Retreats (DWR). Held at various points throughout the year, the DWR allows graduate students at the dissertation stage who are doing large amounts of writing to attend a two-week, intensive writing session. The Retreats are open to 25 dissertators, who come to the Writing Center and spend between 40 and 80 hours writing over the two-week period. They are supplied with office supplies, water, juice, snacks, breakfast and lunch at different times as well as computers and space to leave all their materials for the duration of the Retreat. The group has their own, private space to work and the opportunity to take breaks, meet together, and write in a community environment during their time. Each Retreat starts with a new faculty member facilitating a discussion about their dissertation writing experiences. The faculty member gives Retreat participants the opportunity to hear about their strategies for navigating the dissertation, what worked for them during the writing, and what they would have liked to do better now they have had a chance to look back on the experience. Participants are then given the opportunity to talk with the faculty member and each other about their concerns, struggles, fears, accomplishments, and questions. After spending time learning about each other, the places they are at in the dissertation process, and their goals for the Retreat, participants than sit down to meet with their faculty advisors for the Retreat. The major element of the Retreat is to support participants in writing by providing them with Faculty Advisors. Faculty Advisors are not the participants’ dissertation advisors; instead, they are faculty members chosen by the Writing Center who have a similar research interest, methodological experiences, or expertise in the topic the dissertators are writing about. The initial meeting with faculty advisors helps the dissertator set realistic goals for the Retreat, share with the advisor about their dissertation experience thus far, and set two additional meetings to talk about their work. Dissertators then start writing. At different times throughout the Retreat we provide lunches to give participants a chance to converse with one another and talk about their writing and their experiences as dissertators. They also meet with the Retreat Advisors, sending a copy of 30 pages of their work ahead of time, so that they can spend an hour conferencing on their writing. During this time, participants have the opportunity to hear from someone outside their committee who can give them advice on their work. During the Retreat, we also invite participants’ dissertation advisors to come by, meet with the students, have lunch, or provide insight into what might best help the student succeed during the Retreat.
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Rebekah J. Buchanan
We charge participants a fee to participate in the Writing Retreats with the understanding that once they complete the Retreat requirements by meeting a specific number of hours and meeting twice with their Faculty Advisors, a portion of the fee is returned to them as incentive for completion. The Writing Retreats have been widely successful. We have provided 5 writing retreats to date, and have had over 80 different students participate (some repeat the program), from 40 different departments. Twelve of these participants successfully defended their dissertations.
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Thesis/Dissertation Writing Weekends
After our first Writing Retreat, participants were so excited about the work they completed, they asked for additional writing time. From this we decided to provide Writing Weekends during the months we do not offer Dissertation Retreats. We open the Weekends to any graduate student interested in having a set aside space to write for a weekend. During the Weekends we prove meals, space, supplies, and computers so that participants can work uninterrupted. For a nominal fee, students attend the Weekend, come and go as they choose, and spend time working surrounded by a community of graduate students. The Writing Weekends allow participants to get away from normal writing routines and spend quality time concentrating on their work with minimal distractions.
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Graduate Student Writing Groups
The third program we started was to form and facilitate writing groups for graduate students. Graduate students submit a request to be placed in a writing group. On their application they supply their program, dissertation stage, research, ideal group, completion goals, and meeting availability. Students are then placed into groups which best fit their ideal version of a group and their availability and needs. The initial group meeting is facilitated by a writing center graduate tutor. The tutor guides the group through a successful first meeting, including getting to know one another, sharing why participants joined a writing group, discussing the writing process, defining the purpose of the group, determining group members’ roles, scheduling meetings, and setting a focus for subsequent meetings. From there, the tutors share with participants tips for creating a successful writing group, which include: defining the purpose, deciding on time and place, setting a focus, communication, allowing others to enter and leave, and being patient with the group process.
Creating Graduate Student Writing Programming
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Groups are then left on their own to grow organically. The writing center facilitator checks in with them once a semester and is also available to facilitate workshops around specific topics, but the groups are free to structure themselves in ways that best meet the needs of the participants. They are also free to add or remove individuals as the group changes and grows. To date, we have placed over 70 graduate students in 20 writing groups. Some of the group members have since gone on to complete their dissertations while others continue, adding and changing members.
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Graduate Student Programming
In her book, Writing Your Dissertation in Fifteen Minutes a Day, Joan Bolker (1998) addresses the importance of taking hold of a process through practical steps and methods which guide writers to dissertation completion. She argues that dissertation writers must look at writing as a process and an experiment in which they must actively engage. She writes about the loneliness of writing a dissertation and the importance of cultivating relationships with other dissertation writers in order to combat this loneliness. There are times that dissertation writers have the ability, forethought, and means to create and sustain these communities on their own. But, in an academic environment that asks for them to teach, research, and find time for personal and possibly other professional commitments, it is many times hard for graduate students to know how to start to build grounded learning and writing communities. As a writing center, we are the space on campus where students turn to for writing help and guidance. In thinking about specific, focused ways to work with a population in need—in our case dissertators—we were able to build community and support and push graduate students to think about how space, time and community impact their writing process and production.
References Bolker, J. (1998). Writing your dissertation in fifteen minutes a day. New York: Henry Holt and Co. Jaschik, S. (2007, December 17). How to cut PhD time to completion. Inside Higher Ed. URL: http://www.insidehighered.com/news/2007/12/17/phd
Verbesserung des Lernens im Hochschulunterricht – neue Anforderungen für die Lehre Doris Thömen-Suhr, Frank Marks
Abstract Besonders in der Promotionsphase ist es für den wissenschaftlichen Nachwuchs wichtig, sich mit den Prinzipien guter Lehre zu beschäftigen. Wer eine Karriere in der Wissenschaft und Wirtschaft anstrebt, sollte nicht nur grundlegende Kenntnisse über die Gestaltung seminaristischen Unterrichts besitzen, sondern letztlich als Führungskraft Kompetenzen in der Prozessbegleitung von Gruppen entwickeln, die miteinander lernen und arbeiten. Der Beitrag stellt zunächst den internationalen, hochschuldidaktischen Diskurs vor, um diesen als aktuellen Orientierungsmaßstab für die Prinzipien guter Lehre zu verstehen. Vor diesem Hintergrund werden anschließend didaktische Implikationen herausgearbeitet, die den wesentlichen Handlungsrahmen für gute Lehre definieren. In diesem Sinne sind Lehrende weniger als Wissensvermittler/innen, sondern vielmehr als Prozessbegleiter/innen gefordert. Einige der dafür notwendigen Feedback-Kompetenzen werden im letzten Abschnitt vorgestellt letztlich aber in hochschuldidaktischen Seminaren konkretisiert und trainiert.
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Der internationale hochschuldidaktische Diskurs ‚Gute’ Lehre besteht darin, das eigenständige Lernen den Studierenden zu ermöglichen und zu unterstützen. In diesem Sinne ist gute Lehre heute studierendenzentriert. Lehre hingegen, die sich als reine Wissensvermittlung begreift und die aktive Verarbeitung des Wissens durch die Studierenden vernachlässigt, verschenkt einen großen Teil ihrer möglichen Wirkung (Beschluss der Hochschulrektorenkonferenz vom 22.4.08).
In diesem kurzen Abschnitt wird klar signalisiert, was das Kennzeichen guter Lehre ist: die Aktivierung und Motivierung von Studierenden und damit die Anleitung zum selbst gesteuerten Lernen. Handelt es sich hier um ein Primat auf höchster nationaler, hochschulpolitischer Ebene, das im Übrigen der Wissenschaftsrat (2008) in seinen „Empfehlungen zur Qualitätsverbesserungen in Lehre
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Doris Thömen-Suhr, Frank Marks
und Studium“ unterstützt, oder wird hier ein (inter-) nationaler Trend beschrieben? Es liegen gravierende Veränderungen vor, welche die deutsche Hochschullandschaft prägen. Diese vollziehen sich auf der Grundlage des sog. BolognaProzesses, der mit einer im Juni 1999 stattfindenden Konferenz in Bologna begann, und an der knapp 30 europäische Bildungsminister teilnahmen. Hier wurde vereinbart, dass ein „europäischer Hochschulraum“ bis 2010 geschaffen werden solle. Konkret wird die Einführung eines zweistufigen Systems vergleichbarer Abschlüsse (Bachelor- und Master-Stufe), die Modularisierung der Studiengänge, die Einführung eines europaweiten Leistungspunktesystems (European Credit Transfer System/ECTS) sowie die Förderung der Mobilität von Hochschulangehörigen angestrebt. Es folgten weitere internationale Beschlüsse, welche die vereinbarten Resolutionen spezifizierten. Eine Verlängerung des Bologna-Prozesses bis 2020 erfolgt in dem „Communiqué von Leuven and Louvain-la-Neuve“ (Bologna-Konferenz 4/2009). Insbesondere die Internationale Mobilität sowie die Nachbesserung in Bereichen der Curriculumentwicklung werden hier unterstrichen. Mit diesen Maßnahmen soll unter anderem eine europaweite, strukturelle Qualitätsverbesserung und –sicherung der Lehre an Hochschulen mit dem Ziel erreicht werden, die Beschäftigungs- bzw. Berufsbefähigung (Employability) der Hochschulabsolventen zu fördern. Was bedeutet aber in diesem Zusammenhang Employability?
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Employability als Orientierungsmaßstab für die Lehre
Die Bologna-Deklaration besagt, dass Hochschulbildung für Employability zu sorgen habe („It emphasised the creation of the European area of higher education as a key way to promote […] employability […]"; […] creation of the European higher education area as a key way to promote […] employability […]“ BOLGNA_DECLARATION 1999: 1ff). Dem folgend wird in der Akkreditierung von entsprechenden neuen Studiengängen die Vermittlung von Employability ("Befähigung, eine qualifizierte Beschäftigung aufzunehmen") als Qualifikationsziel evaluiert. Hierbei werden sowohl fachliche als auch überfachliche und persönlichkeitsbildende Elemente betrachtet (vgl. Akkreditierungsrat 2008:1). Ihre Deutung und Operationalisierung hinsichtlich sog. ’Kenntnisse’, ’persönlicher und berufsbezogener Kompetenzen’ (Termini, die das European Qualifications Framework – EQF – als Referenzgrößen angibt) bleiben noch zu klären. Als Bezugsgrößen der Employability sind Begriffe zu nennen wie etwa Kommu-
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nikationskompetenz, soziale Kompetenzen, die Fähigkeit des lebenslangen Lernens sowie das Lernen zu lernen, Umgang mit eigenen Stärken und Schwächen wie auch die Fähigkeit zur (An-)Leitung von Menschen und Projekten. Trotz der internationalen Forderung nach Förderung dieser Kompetenzen werden insbesondere die kommunikativen, sozialen Kompetenzen von den Lehrenden bisher in ihrem Unterricht jedoch noch nicht genügend berücksichtigt (vgl. Plet & Schindler 2007). Damit ergibt sich für sie eine neue - im hochschuldidaktischen Diskurs altbekannte – Aufgabe einer diesbezüglichen Kompetenzvermittlung. Ziel eines entsprechenden (auf Employability ausgerichteten) Kompetenzerwerbs ist damit: die Fähigkeit des Individuums, einen Arbeitsplatz zu bekommen, ihre andauernde Fähigkeit, im Beschäftigungssystem zu bleiben, ‚Unabhängigkeit’ im Arbeitsmarkt (Faktoren, die das Individuum in die Lage versetzen, im Hinblick auf seine Beschäftigungssituation wählen zu können), (Sicherung einer hochwertigen) Qualität der Arbeit. (Richter 2004: 3)
Neben den o.g. Kompetenzen geht es in der Auseinandersetzung mit dem Begriff der Employability um den Anwendungsbezug des in der Hochschulausbildung Gelernten. Dabei erhalten die Lerninhalte vor dem Hintergrund eines konkreten Handlungsfeldes einen neuen Sinnbezug für die Studierenden. Komplexes Wissenschaftswissen sowie Wissenschaftsmethoden lassen sich so nachhaltiger kognitiv verankern. Prof. Dr. Jürgen Kohler (2004) beschreibt in seinem Konferenzbeitrag in Heidelberg "Schlüsselkompetenzen und 'Employability' im BolognaProzess" sehr eindrücklich, dass Wissenschaftlichkeit und Praxisbezug nicht – wie im traditionellen Lager noch gerne vertreten – unvereinbar seien, sondern sich unter Vermittlung von überfachlichen (Schlüssel-) Kompetenzen ergänzen und bedingen würden sowie maßgeblich seien für das Erreichen von Employability.
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Didaktische Implikationen
Die geforderte Ausrichtung von Lehre auf Employability impliziert, dass traditionelle Lehrmethoden keineswegs abzulösen seien, sondern um aktivierende und motivierende Lehrarrangements ergänzt werden sollten. Sie bleiben und werden damit integraler Bestandteil von Lehre. So erscheint die Vorlesung durchaus sinnvoll, wenn es darum geht, z.B. einen systematischen Überblick über komplexe Sachverhalte zu vermitteln. Aber auch hier stellt sich die Frage nach der ‚optimalen’ Vermittlung umfassender Inhalte, so dass diese nicht als passives,
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Doris Thömen-Suhr, Frank Marks
sondern als aktives Wissen verankert werden. Aktives, unmittelbar abrufbares Wissen setzt voraus, dass sich die Studierenden mit dem dargestellten Lehrstoff (aktiv) auseinandersetzen. Eine Employability fördernde (gute) Lehre stellt im Wesentlichen die folgenden didaktischen Prinzipien in den Vordergrund:
Aktivierung von Studierenden durch angeleitetes, selbständiges Lernen Herstellung kontextorientierter/berufspraktischer Bezüge Training sozialer/kommunikativer Kompetenzen Engmaschige Rückmeldung über Lernfortschritte.
Aus den o.g. Aspekten lassen sich bestimmte didaktisch-methodische Implikationen ableiten, auf die im Folgenden näher eingegangen wird.
3.1 Praxisbezogenes Lernen durch Aktivierung von Studierenden (Hochschuldidaktische Thesen) Lernen beschreibt einen Prozess, der sich auf unterschiedlichen, nicht immer voneinander trennbaren Ebenen vollzieht: kognitiv, affektiv und handlungsbezogen. Im konventionellen Studium erfolgt die Verknüpfung dieser Ebenen konzeptionell nur unzureichend. Ihre Berücksichtigung stellt aber eine wichtige Grundlage für einen effektiven und erfolgreichen Erwerb der für den künftigen Beruf erforderlichen Fach-, Methoden- und Sozialkompetenz dar. Somit sollte das Studium nicht nur überwiegend, wie in der Hochschulausbildung allgemein üblich, das Erarbeiten von Fachkenntnissen (kognitive Ebene) berücksichtigen, sondern ebenfalls die Reflexion und den Aufbau von Werthaltungen und Einstellungen (affektive Ebene) sowie das Einüben praktischer Fertigkeiten (psychomotorische/ handlungsbezogene Ebene) - auch im Sinne von methodischer Kompetenz - einbeziehen. Gute Lehre ist gekennzeichnet durch die Berücksichtigung dieser Ebenen. Dies setzt voraus, dass eine didaktisch sinnvolle Gesamtplanung erfolgt, die auf die folgenden Prämissen ausgerichtet ist: 1. 2.
Neu zu erwerbendes Wissen braucht kognitive Anknüpfungsmöglichkeiten an vorhandene Informationen (Vorwissen). Theoretische Aussagen sollten einen Praxis- bzw. Erfahrungsbezug haben, um Sinnzusammenhänge herstellen zu können. Hinweis: Praxis heißt nicht zwangsläufig aktives Handeln im Unterricht, sondern meint ebenfalls die Herstellung von Praxisbezügen.
Verbesserung des Lernens im Hochschulunterricht 3.
4.
5.
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Schaffung von Möglichkeiten zur aktiven Beteiligung und Motivation der Lernenden sind wesentliche Voraussetzungen für einen effektiven Lernprozess (vgl. Marks 2001). Überprüfung des eigenen Handelns und Wissens im Unterricht heißt immer auch Reflexion und Entwicklung persönlicher Einstellungen und Werthaltungen. Selbständiges, (inter-)aktives Lernen erfolgt in der Regel in einem sozialen Bezugssystem, das wiederum Lerngegenstand ist. Damit werden Kommunikation und die eigene Sozialkompetenz kritisch reflektiert und gefördert.
Die folgenden Prinzipien führen die unter 1. bis 5. genannten Aspekte weiter aus: a.
Auf das Individuum bezogene Lernprinzipien:
Die Anknüpfung an vorhandenes Wissen ist eine wesentliche Voraussetzung für effektives Lernen und ermöglicht eine individuell angepasste Informationsverarbeitung. Vorhandenes Wissen lässt sich durch das Anbieten von inhaltlichen Anknüpfungsmöglichkeiten (Kontext) effektiver reaktivieren und reproduzieren. Das Wissen ist in spezifischer Weise strukturiert. Die Anwendung und Erweiterung gespeicherten Wissens hängt von seinen kognitiven Strukturen ab. Effektive Lehr-Lernmethoden knüpfen direkt an den vorhandenen kognitiven Strukturen an und wirken so gezielt auf diese ein (Bildung und Erweiterung von sog. semantischen Netzwerken). Die aktive Auseinandersetzung mit neuen Informationen fördert die Ausprägung semantischer Netze. Je umfassender diese sind, desto mehr Assoziationsmöglichkeiten zur Reaktivierung gespeicherten Wissens bieten sie. Das Aufstellen von Zielen ist wesentliche Voraussetzung beim Aufbau semantischer Netze. Beteiligung an der Lernzielsetzung steigert die intrinsische LernMotivation. Je ausgeprägter der Übereinstimmungsgrad von individuellem Lernmotiv und Lernziel ist, desto größer ist die Lernmotivation. Selbst-Entdecken fördert die Lernmotivation. Eine zunehmende Lernmotivation steigert den Lernerfolg. Die Auseinandersetzung mit komplexen Lerngegenständen (divergentes Lernen) fördert - im Gegensatz zur Einzelbetrachtung ohne Kontextbezug (konvergentes Lernen) - die Problemlösungsfähigkeit und unterstützt den Lernenden beim Transfer gelernten Wissens.
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Die Überprüfung vorhandenen Wissens auf seine Anwendbarkeit fördert kreatives Denken. Lernen wird gefördert durch eine positive Verstärkung (Lernerfolg). Theorie und Praxis werden traditionell als didaktisch schwierig zu verknüpfende Einheiten betrachtet. Ihre Integration lässt sich z.B. durch die Schaffung von Bezugssystemen im Unterricht herstellen: Praxisprobleme als Ausgangspunkt für die theoretische Reflexion. Förderung der Eigenverantwortlichkeit und Selbststeuerung des Lernprozesses durch Schaffung von Feedbackgelegenheiten zur selbständigen Überprüfung des eigenen Lernergebnisses. Visualisierung als 'didaktische Brücke' zwischen der Struktur des Praxisproblems und den individuell verschiedenen Kognitionsstrukturen. Aktivierung möglichst vieler sensorischer Informationskanäle zur Steigerung der Behaltensleistung (multisensorische Informationsverankerung). b.
Auf die Gruppe bezogene Lernprinzipien:
Prinzip des interaktionellen Lernens: Interaktiver Informationsaustausch führt zur Neuordnung, ggf. Erweiterung kognitiver Strukturen und damit zu quantitativem und qualitativem Lerngewinn (Schaffung von Synergien durch Lernen von- und miteinander). Mit Hilfe von Interaktionen können Möglichkeiten zur Reflexion sozialer Verhaltensweisen geschaffen werden. Eine konstruktive, lernfördernde Gruppenarbeit setzt das Kennen der Gruppenphasen (Anfangs-, Konflikt-, Normierungs-, Arbeits- und Schlussphase) voraus (vgl. Marks 2005). Der Erfolg der Gruppenarbeit ist abhängig vom Führungsstil. Ist die Beziehungsebene gestört, so vermag die Gruppe und damit jede/r einzelne auf der Sachebene keine volle Leistung zu erbringen. Hier ist kompetente Konfliktlösungsfähigkeit gefragt. Eine mangelnde Gruppenkohärenz ist Ausdruck einer gestörten Beziehungsebene und behindert das Lernen in der Gruppe. Die Vielfalt individueller Beiträge, als Ausdruck subjektiver Situationsbetrachtung, fördert eine differenzierte Situationseinschätzung und damit kognitive Verknüpfungen. c.
Auf inhaltlich-ethische Aspekte bezogene Lernprinzipien:
Handlungs-/Entscheidungsfreiräume und Eigenverantwortung fördern die Lernmotivation.
Verbesserung des Lernens im Hochschulunterricht
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Eine differenzierte Situationserfassung erfordert eine Betrachtung sowohl von objektiven als auch von subjektiven Aspekten. Eine Erörterung von Situationen, die an sachbezogenen und individuellen Wahrnehmungsmustern orientiert ist, verlangt, dass alle Beiträge jeder/s Einzelnen ernst zu nehmen sind (potentielle Gleichrangigkeit aller Äußerungen). Die hier angeführten Prinzipien sind eine wesentliche Voraussetzung für die Gestaltung einer effektiven Lehre sowie effektiven Lernens, das die kognitive, psychomotorische und affektive Ebene zu berücksichtigen vermag.
3.2 Beispiel für die Umsetzung der Prinzipien auf der curricularen Ebene Diesem didaktischen Anspruch folgend ist beispielsweise in Berlin an der Charité ein Reformcurriculum der medizinischen Ausbildung entwickelt worden (vgl. Thömen 1997). Seine zentrale Methode ist das Problemorientierte Lernen (vgl. Marks & Thömen 1998). Dabei geht es um ein strategisches Vorgehen zur Bearbeitung von spezifischen, berufspraktischen Situationen in Kleingruppenarbeit. Die Analyse ist in seiner Struktur hypothetisch-deduktivem und damit wissenschaftlichem Denken angepasst. Lehrenden kommt hier eine beobachtende, moderierende Rolle zu. Es sind die Studierenden, die den Prozess innerhalb des methodischen Rahmens gestalten. Curricular betrachtet stellt es einen thematisch-inhaltlichen Bezugspunkt der begleitenden Lehr- und Lernveranstaltungen dar und verknüpft die genannten Ebenen: es verbindet die aktive Wissensaneignung (kognitive Ebene) mit der kritischen Überprüfung eigener Haltungen (affektive Ebene) im Zusammenhang konkreter Praxisbezüge (handlungsbezogene Ebene). Die Methode unterstützt die Studierenden nicht nur beim Erarbeiten und Verstehen von Themen während des Studiums. Darüber hinaus bietet es ihnen Hilfestellungen, Probleme in ihrer künftigen Berufstätigkeit zu erkennen und Ansätze zu deren Lösung zu finden sowie sich kontinuierlich fortzubilden. Damit trägt das Berliner Reformcurriculum seinem Anspruch nach der geforderten Employability und den sich daraus ergebenden didaktischen Implikationen Rechnung. Unabhängig von der methodischen Gestaltung des Reformstudiengangs Medizin verdeutlicht das Beispiel die Veränderung der Haltung, Funktion und Rolle von Lehrenden.
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Doris Thömen-Suhr, Frank Marks Die neue Rolle der/des Lehrenden als Prozessbegleiter/in
Im Vorangegangenen wird deutlich, dass die klassische Rolle von Lehrenden als Wissensvermittler im Rahmen eines aktivierenden, motivierenden und auf die künftige Berufspraxis ausgerichteten Lernprozesses von Studierenden zu kurz greift. Neue Kompetenzen sind erforderlich. Der scheinbare Gegensatz in der Aussage: "Wer führen will, muss folgen können" trifft im besonderen Maße auf das Verhalten von Lehrenden in ihrer Rolle als Moderator/in, Coach, Trainer/in, Prozessbegleiter/in und Mentor/in zu. Lehrende führen nicht mehr allein aufgrund ihres Wissensvorsprungs und ihres Rollenvorteils, sondern im Wesentlichen durch ihr pädagogisch-psychologisches Geschick und methodisches Können. Eine wesentliche Größe ist hier die Fähigkeit zur genauen Wahrnehmung der Lerngruppe, die ihren Lernprozess innerhalb eines definierten Rahmens selbst organisiert. Der/die Lehrende hat hier die Aufgabe den Prozess im Wesentlichen durch Feedback zu unterstützen. Nicht der "Vortrag" der/des Lehrenden, sondern der "Nachtrag" wird hier zum zentralen Mittel.
4.1 Lernunterstützung durch kontinuierliche Rückmeldungen Wie kann solch eine Prozessbegleitung im Sinne der genannten didaktischen Implikationen aussehen? Wenn Studierende zum selbständigen Lernen aktiviert werden, so setzt dies voraus, dass Lehrende über den Lernprozess der Studierenden orientiert sind. Ebenfalls ist es ein Grundbedürfnis der Studierenden, sich inhaltlich auf ‚richtiger’ Fährte zu befinden. Somit ist eine intensive, lernwirksame Kommunikation zwischen beiden Seiten unerlässlich mit dem Ziel, sich wechselseitig, prozessbezogen zu orientieren. Eine wesentliche Aufgabe der/des Lehrenden ist dann die Etablierung eines Rückmelde- bzw. Feedbacksystems innerhalb seminaristischen Unterrichts. Dies bedeutet, dass Studierende aktiv in den Unterrichtsprozess einbezogen werden (durch Übungen, Gruppenarbeit, Referate und dergleichen) und ihnen unmittelbare Rückmeldung ermöglicht wird. In diesem Sinne setzt die Hochschulqualifizierung direkt am eigentlichen Lernprozess akademischen Könnens an.
4.2 Die Realisierung des Feedbacks als Leitprinzip der Prozessbegleitung Hilfreich dafür ist, dass in einer der ersten Sitzungen oder vor dem ersten Feedback der Gruppe die Feedbackregeln vorgestellt werden. (In unseren Lehrveran-
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staltungen sprechen wir dabei gern vom Sandwichprinzip des Feedbacks, d.h. wir geben in der Reihenfolge konkret positive, konkret negative, konkret positive Rückmeldung - als Ich-Botschaft in Richtung auf eine wünschenswerte Entwicklung der Präsentierenden. Für die Feedbackempfänger gilt es, keine Verteidigungshaltung einzunehmen). Diese Regeln hängen ggf. auf Poster permanent im Raum. Feedback soll Studierende nicht in die Defensive drängen, sondern Wege aufzeigen. Das Ziel einer Feedbacksequenz ist es, subjektive Stärken und Schwächen motivierend herauszuarbeiten, um künftig Stärken bewusst und gezielt einsetzen und Schwächen methodisch überwinden zu können. Es gilt zu fragen: Was können wir konkret wie besser machen? Für ein Feedback sind etwa 15 Minuten zu veranschlagen (zu Anfang evtl. etwas mehr). Bei dem folgenden Modell handelt es sich um ein 3 Phasen-Feedback: Im Anschluss an eine Lehr-/Lernsequenz (z.B. am Ende eines Referates, einer Gruppenarbeit oder auch einer Veranstaltung) fragen wir daher (1) zunächst die Kleingruppe/das Lernteam (bzw. den Referierenden…) selbst: „Wie haben Sie es erlebt, was würden Sie beibehalten bzw. beim nächsten Mal anders machen, welche Rückmeldung geben Sie sich selbst?“. Anschließend geben wir (2) das Wort an die Gruppe, wir fragen also die anderen Studierenden nach ihrer Meinung: „Wie haben Sie es erlebt? Wie fanden Sie es? Welche Rückmeldung geben wir den einzelnen? Wie können sie sich verbessern? Was sind ihre Stärken?“ An dieser Stelle sollten keine Diskussionen geführt werden. (3) Der/die Lehrende gibt Feedback. Wichtig ist dabei, sich selbst an die Feedbackregeln zu halten bzw. zwischen einzelnen Perspektiven zu unterscheiden, die wir nachfolgend weiter erläutern. Gemäß üblicher Standards (vgl. Marks et al. 2009), gilt es bei einem Feedback zwischen dem, was man wahrnimmt, und dem, wie man es bewertet, zu unterscheiden. Dementsprechend hat es sich als sinnvoll erwiesen, dass wir in Anlehnung an die oben differenzierten Lernprinzipien (vgl. Abs. 3.1) zwischen drei Perspektiven explizit unterscheiden: a.
Auf die Gruppe bezogene Feedback-Perspektive im Sinne der kriteriengeleiteten Handlungsanalyse. Diese betrachtet und beschreibt den Einsatz bzw. die Ausführung der geforderten Präsentations-, Moderations- oder Gruppenarbeits-Elemente einer gestellten Aufgabe. Dabei wird hier die ‚Lehrhandlung’ der/des Studentin/en oder des Teams - in ihrer Lehrfunktion - auf die übrige Studierendengruppe analysiert. Gemäß üblicher Standards sind klare Wertmaßstäbe anzusetzen, z.B.: Wurden Medien eingesetzt? Waren Folien, Poster, Flipcharts lesbar oder sogar ansprechend gestaltet? Wurden erhellende Übungen bzw. Materialien eingesetzt? Wurden ggf. Moderationsmaterialien verwendet?
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b.
c.
Doris Thömen-Suhr, Frank Marks Wie wurde der Raum/die ‚Bühne’ gestaltet? Wurden rhetorische Figuren verwendet? Wie wurde die Körpersprache eingesetzt? Auf das Individuum bezogene Feedback-Perspektive im Sinne der subjektiven Wirkungsanalyse. Sie beschreibt das individuelle Erleben des Einzelnen hinsichtlich des Ablaufes und der Bewertung der/des Einzelnen: Waren die einzelnen Teile bzw. die Personen, die Präsentation, Moderation, Gruppenarbeit, Übung gut aufeinander abgestimmt und haben sie einen positiven Effekt gehabt? Wie wirkte bspw. die Rhetorik, die Körpersprache, die Kleidung? Auf den Inhalt bezogene Feedback-Perspektive im Sinne der inhaltlichen Kommentierung. Sie ermöglicht dem/der Lehrenden bspw. zu ergänzen, zu unterstreichen, richtig zu stellen, zu diskutieren, üben zu lassen, überzuleiten, Verständnisfragen zu stellen. Zu fragen ist: wurden die Inhalte zur vollständigen Zufriedenheit aller Beteiligten dargestellt?
Lehrenden in prozessbegleitender Funktion kommt die Aufgabe zu, orientierend und unterstützend mit dem Lernprozess umzugehen. Dies umfasst notwendige Interventionen, wenn beispielsweise in einem Feedback durch Studierende nicht zwischen dem Verhalten einer Person und ihrer Persönlichkeit unterschieden wird. Die Funktion von Lehrenden ist zwar auch eine fachliche, aber insbesondere eine menschliche. Die Einwilligung der Studierenden in die Führung durch Lehrende ist eine Vertrauenserklärung. Insofern sind Lehrende selbst das wichtigste Medium in ihren Veranstaltungen.
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Ausblick
Eines dürfte deutlich geworden sein: Gute Lehre bemisst sich an der aktiven, begleiteten Gestaltung von Lernprozessen durch die Studierenden. Ihr Bezugspunkt ist die Beschäftigungsfähigkeit. Aus der erörterten Definition des Begriffs der Employability ist die Notwendigkeit abzuleiten, dass eine enge Verzahnung theoretischer mit praktischen Studieneinheiten zwingend notwendig ist. Auf der Grundlage von Selbsttätigkeit und der damit verbundenen Übernahme von Verantwortung für das eigene Lernen ist eine enge Rückkopplung mit den Promovenden, in der Rolle als Lehrende, über die individuellen Lernfortschritte unerlässlich. Sie haben hier nicht die Funktion, Inhalte an die Studierenden zu vermitteln, sondern diese dazu zu motivieren, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und sie anzuwenden.
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Das hochschuldidaktische, methodische Repertoire kann letztlich in dem vorliegenden kurzen Beitrag nur angesprochen werden und sollte in hochschuldidaktischen Seminaren während der Promotionsphase konkretisiert und trainiert werden.
Literatur Richter, R. (2004). „Employability“ - „Beschäftigungsfähigkeit“. Zur Diskussion im Bologna-Prozess und in Großbritannien. Bochum. URL: http://www.hrk.de/de/download /dateien/02-2004 Employability Diskussion im Bologna Prozess und in GB-Richter.pdf) Kohler, J. (2004). Schlüsselkompetenzen: Schlüssel zu mehr (Aus-)Bildungsqualität und Beschäftigungsfähigkeit? Konferenzbeitrag Heidelberg, 22. und 23. Januar 2004. Marks, F.; Thömen, D. (1998). Die Rekonstruktion der Wirklichkeit: Handwerkszeug für die Moderation des Problemorientierten Lernens (POL). In Brigitte Berendt, HansPeter Voss; Johannes Wildt (Hg.), Handbuch Hochschullehre. Kap. 3.2. Bonn: Raabe-Verlag. Marks, F. (2001). Motivierung von Studierenden im seminaristischen Unterricht. In Brigitte Berendt, Hans-Peter Voss; Johannes Wildt (Hg.), Das NEUE Handbuch Hochschullehre. Bonn: Raabe-Verlag. (2.Auflage, E 3.1). Marks, F. (2005). Gruppendynamik und Hochschulunterricht. Gruppendynamische Prozesse im Seminar. In Brigitte Berendt, Hans-Peter Voss; Johannes Wildt (Hg.), Das NEUE Handbuch Hochschullehre. 3. völlig überarb. Auflage. Bonn: Raabe-Verlag. Marks, F.; Thömen-Suhr, D.; Wypior, J. (2009). Lehrende als Trainer und Coach - Training Sozialer Kompetenzen (TSK) im Hochschulunterricht. In Brigitte Berendt, Hans-Peter Voss; Johannes Wildt (Hg.), Neues Handbuch Hochschullehre A 3.7., Kap. 1, S.2f.. Bonn: Raabe-Verlag. Pletl, R.; Schindler, G. (2007): Umsetzung des Bologna-Prozesses. Modularisierung, Kompetenzvermittlung, Employability. In Universitäts-Verlag-Webler (Hg.), Das Hochschulwesen: Analyse der Bologna-Wirklichkeit und konstruktive Auswege aus dem Dilemma, 34-38. 55.Jg./Heft 2/Bielefeld. Thömen, D. (1997). Problemorientiertes Lernen (POL) als zentrales didaktisches Instrument des Reformstudiengangs Medizin an der Humboldt-Universität zu Berlin. In Göpel, B.; Schmithals, F. (Hg.): Didaktische Konzepte für gesundheitswissenschaftliche Studiengänge. Materialien zur Studienreform. Bielefeld Akkreditierungsrat (Hg.) (2008): Kriterien für die Akkreditierung von Studiengängen. [URL.:http://www.akkreditierungsrat.de/fileadmin/Seiteninhalte/Beschluesse_AR/0 8.02.29_Kriterien_Studiengaenge.pdf / stand 08.11.09] BOLGNA DECLARATION 1999. URL: http://www.ond.vlaanderen.be/hogeronderwijs/bologna/documents/MDC/BOLOGN A_DECLARATION1.pdf (08.11.09).
Autorinnen und Autoren
Alice Altissimo ist Kulturwissenschaftlerin und promoviert zum Begriff von Hilfe im universitären Bereich an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt Oder. Außerdem koordiniert sie dort das Programm für Sprachlernberatung am Sprachenzentrum. Kontakt: [email protected] Dr. Rebekah Buchanan is the Assistant Director at Temple University’s Writing Center. In addition to her work with dissertation writers, her research interests include outof-school and self sponsored, radical literacy practices. She can be reached at [email protected]. William P. Dinkel ist Doktorand an der Europa-Universität Viadrina. In seinem Promotionsvorhaben beschäftigt er sich mit der Wissensproduktion in räumlich verteilten Forschungsgruppen. Kontakt: [email protected] Dr. Heidi Fichter-Wolf ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am IRS (Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung). In ihren Forschungen über grenzüberschreitende Hochschulkooperationen befasst sie sich mit der Rolle von Wissen in kulturellen Kontexten, der Diversität von Wissenschaftskulturen und der Entwicklung interkultureller Kompetenz. Kontakt: [email protected] Dr. Katrin Girgensohn hat nach ihrer Promotion zu autonomer Schreibgruppenarbeit an der Hochschule das Schreibzentrum der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder) gegründet und leitet es seit 2007. Freiberufliche Tätigkeiten als Schreibtrainerin auch im literarisch-kreativen Bereich. Kontakt: [email protected] Anja Hennig studierte Politikwissenschaft in Potsdam, Breslau und Berlin. Nach ihrem Diplom arbeitete sie für drei Jahre am Lehrstuhl für Internationale Politik der TU Dresden im Bereich e-learning und konzipierte ein polnisch-tschechisch-deutsches Seminarprojekt. Mit einem Stipendium der Robert-Bosch Stiftung begann sie 2006 ihre Promotion an der Viadrina (Politikwissenschaft) zum Verhältnis von Religion und Moralpolitik im katholischen Europa. Ihr eigenes Betreuungsverhältnis bewertet sie als positiv. Kontakt: [email protected] Dr. Gundula Gwenn Hiller, wissenschaftliche Leiterin des Zentrums für Interkulturelles Lernen an der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder), zuständig für Projektentwicklung, Koordination und Durchführung eines Programms für interkulturellen Kompetenzerwerb der Studierenden. Außerdem selbständige Trainerin für Kommu-
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Autorinnen und Autoren nikation, interkulturelle Kompetenz, und Mediation in internationalen Forschungsinstitutionen, längere Auslandsaufenthalte in Frankreich, Italien, Polen, USA.
Dr. Julia Košinár promovierte 2003-2007 in den Erziehungswissenschaften und entwickelte Theorie-Praxis-Konzepte zu den Themen Stressprävention und Körperkompetenzen. Zurzeit habilitiert sie sich zum Thema "Entwicklung überfachlicher personaler Kompetenzen in der Lehrerausbildung" und leitet das Doktorandenkolloquium im Arbeitsgebiet Grundschul- und Frühpädagogik an der Universität Bremen (Prof. Ursula Carle). Kontakt: [email protected] Imke Lange arbeitet als freiberufliche Trainerin für wissenschaftliches, berufliches und kreatives Schreiben in Hamburg. Ihr Schwerpunkt im wissenschaftlichen Schreiben sind Workshops für Lehramtsstudierende, für Studierende der Fachrichtungen Maschinenbau und Soziale Arbeit sowie fächerübergreifende Workshops. Kontakt: [email protected] Dr. Ulrike Lange ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Schreibzentrum der RuhrUniversität und Trainerin/Beraterin für wissenschaftliches sowie kreatives Schreiben. Ihre Schwerpunkte sind interdisziplinäre Schreibworkshops, Schreiben in der Fremdsprache und Journal/Portfolio. Kontakt: [email protected] Franziska Liebetanz hat Kulturwissenschaften studiert und ist Koordinatorin des Schreibzentrums der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Sie ist Schreibberaterin für Promovierende und Studierende und gibt Seminare zum wissenschaftlichen Schreiben an verschiedenen Schulen und Hochschulen. Kontakt: [email protected] Dr. Daniela Liebscher, Historikerin, Schreibtrainerin, Mitbegründerin des Arbeitskreises Schreibdidaktik Berlin-Brandenburg, unterrichtet seit 2005 wissenschaftliches Schreiben an verschiedenen Hochschulen und Graduierteneinrichtungen. Kontakt: [email protected] Dr. Anna Lipphardt ist promovierte Kulturwissenschaftlerin und seit 2008 Fellow am Zukunftskolleg sowie am Kulturwissenschaftlichen Kolleg der Universität Konstanz. Neben ihrer Forschungstätigkeit gibt sie seit 2006 auch Workshops zum Thema Organisationsstrategien für Promovierende. Kontakt: [email protected] Felicitas Macgilchrist ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung, Braunschweig. Sie studierte Psychologie, Erziehungs- und Sprachwissenschaften, und promovierte 2009 zu einem mediendiskursanalytischen Thema. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der genre analysis, der ethnographischen Diskursanalyse und der Diversität, besonders in Bezug auf Bildungsmedien. Kontakt: [email protected]
Autorinnen und Autoren
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Dipl.-Päd. Frank Marks ist Inhaber des pep.per.mind® Instituts für Personalentwicklung in Forschung und Lehre in Berlin. Er war knapp 10 Jahre Mitarbeiter und in leitender Funktion in der Arbeitsstelle für hochschuldidaktische Fortbildung und Beratung und im Arbeitsbereich Didaktik und Interaktionsforschung des Instituts für Erwachsenenbildung der Freien Universität Berlin. Er ist Autor diverser didaktischer Veröffentlichungen. Dr. Dunja M. Mohr hat in London, Montréal und Marburg studiert, mit einem Promotionsstipendium der Hans-Böckler-Stiftung in Trier promoviert und war Postdocstipendiatin der DFG in Erlangen. Sie ist Wissenschaftliche Assistentin in der Anglistik an der Universität Erfurt, Vertrauensdozentin der Hans-Böckler-Stiftung und leitet seit 10 Jahren Workshops im Bereich wissenschaftliche Weiterqualifizierung für NachwuchswissenschaftlerInnen. Kontakt: [email protected] Dipl.-Päd. Doris Thömen-Suhr war Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Charité zu Berlin. Hier wurde seinerzeit das deutschlandweit erste POL-basierte, an internationalen Vorbildern orientierte Medizinstudium konzipiert und eingeführt. Lehraufträge an unterschiedliche Universitäten und im Bereich der Weiterbildung, Trainerin und Coach sowie Koordinations- und Marketingbeauftragte für das pep.per.mind® Institut für Personalentwicklung in Forschung und Lehre/Standort Hamburg. Dr. Arnd Wasserloos ist Koordinator der Viadrina Graduate School. Verschiedene Tätigkeiten in Forschung und Lehre (Kulturwissenschaft, Angewandte Ethik) sowie im Wissenschaftsmanagement. Kontakt: [email protected].