Klappentext: Die verheerenden Angriffe der Aliens setzen sich unaufhaltsam fort, und die Streitkräfte der Erde rüsten s...
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Klappentext: Die verheerenden Angriffe der Aliens setzen sich unaufhaltsam fort, und die Streitkräfte der Erde rüsten sich, um die völlige Zerstörung zu verhindern. Die Achtundfünfzigste Angriffsstaffel erhält den Befehl, den Nachschub zu sichern. Diese Mission führt Shane Vansen und ihre Kameraden auf den abgelegenen Bergwerksplanetoiden Bunuel, um bis zum Eintreffen eines Frachtschiffkonvois die dortigen Erzförderanlagen zu bewachen. Doch ihre Ankunft auf Bunuel verläuft völlig anders als erwartet – eine menschenfeindliche Einöde erwartet sie hier, und die gigantische labyrinthische Minenanlage scheint völlig verlassen zu sein... bis die Marines die Leichen der massakrierten Bergleute finden und von Scharfschützen unter Beschuß genommen werden. Shane Vansen und ihre Mitstreiter sehen sich unversehens mit einem gefürchteten Feind aus der Vergangenheit konfrontiert: Abtrünnige Silikanten haben das Bergwerk besetzt, um das kostbare Erz an die Chigs auszuliefern. In den finsteren unterirdischen Gängen der Mine beginnt ein grausames und blutiges Spiel mit höchsten Einsätzen, und Shane Vansen begegnet schon bald ihrem schlimmsten Alptraum...
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Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Space: above and beyond. – Köln: vgs Stories Bd. 2. Kopf oder Zahl / Dina Anastasio. Aus dem Amerikan. von Torsten Dewi. – 1. Aufl. – 1997 ISBN 3-8025-2513-2
Die Story SPACE: ABOVE AND BEYOND™ – KOPF ODER ZAHL basiert auf der gleichnamigen Fernsehserie von Glen Morgan und James Wong, produziert für Twentieth Century Fox Corporation. Die Serie wird in Deutschland unter dem Titel SPACE 2063 bei VOX gesendet. © 1996 by Twentieth Century Fox Corporation. SPACE: ABOVE AND BEYOND™ is a trademark of the Twentieth Century Fox Corporation. Erstveröffentlichung bei: Harper Trophy, an Imprint of HarperCollins Children’s Books. HarperCollins Children’s Books is a division of HarperCollins Publishers, New York. Titel der amerikanischen Originalausgabe: SPACE: ABOVE AND BEYOND™ – Dark Side of the Sun. A story by Dina Anastasio based on characters and situations created by Glen Morgan and James Wong. 1. Auflage 1997 © der deutschsprachigen Ausgabe: vgs Verlagsgesellschaft, Köln Lektorat: Ralf Schmilz Umschlaggestaltung: KOMBO KommunikationsDesign, Köln Copyright des Coverfotos: © by Twentieth Century Fox Corporation Satz: Typo Forum Gröger, Singhofen Druck: Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany ISBN 3-8025-2513-2 Besuchen Sie unsere Homepages im WWW: http://www.vgs.de
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Der Traum Ich träume wieder denselben unentrinnbaren Traum. Ich treibe durch einen Wirbel aus Sternen. Ich fliege direkt auf die Sonne zu. Ich bin allein. Ich bin immer allein. Dann, jedesmal, geschieht es: eine gigantische Eruption aus Gas und Staub. Die Sonne explodiert in purpurrote und blaue Energieteilchen – dann ist sie verschwunden. Ich falle durch den leeren Raum. Tiefer, immer tiefer durch die Dunkelheit auf die Erde zu. Ich sehe unser Haus. Unser altes Haus außerhalb von San Diego. Es ist eine Ewigkeit her, seit die synthetischen Rebellen kamen, in jener Nacht. Sie nahmen meinen Eltern das Leben. Und in meinem Traum, wie in der Wirklichkeit, will ich wissen, warum es geschah. Meine Eltern waren Marines, genau wie ich. Sie sahen die Silikanten kommen. Mit künstlicher Intelligenz ausgestattete Wesen. K.I. Von Menschen erschaffene Maschinen. Meine Eltern sahen sie zuerst, noch vor meinen kleinen Schwestern und mir. Meine Mutter weckte mich. »Kommt!« sagte sie. »Beeilt euch!« Sie führte uns einen dunklen Korridor entlang. Meine kleinen Schwestern liefen vor mir her, meine Mutter hinter mir. Als wir fast an der Leiter waren, berührte sie meine Schulter. »Shane«, sagte sie, »gleichgültig, was passiert, du mußt dich um deine kleinen Schwestern kümmern.« Meine Mutter ahnte, welches Schicksal sie erwartete. Das weiß ich jetzt. Sie scheuchte uns die Leiter zum Dachboden hinauf und beschied uns, sehr, sehr leise zu sein. »Ich liebe euch«, flüsterte sie. Und dann war sie fort. 4
Ich konnte an ihrem Tonfall hören, daß etwas Schreckliches bevorstand. Ich hatte Angst. Ich wollte sie aufhalten, mich an ihrem Rock festklammern. »Warte!« rief ich. »Bitte laß uns nicht hier!« Sie zögerte und legte den Finger auf ihre Lippen. Dann berührte sie mein Haar und lächelte. Ich hörte sie gehen. Sie bewegte sich leise und gewandt wie eine Katze die Leiter hinunter. Meine Schwestern und ich rückten zusammen und warteten. Unsere Mutter kam nicht wieder. Nach einer Weile krabbelte ich zum Luftschacht und blickte nach unten. Ich konnte unsere Eltern durch die Schlitze sehen. Sie waren von Gestalten umgeben, die ich zuerst für Menschen hielt. Bis ich ihre Augen sah. Diese Augen! Ich werde diese Augen niemals vergessen. Sie waren weiß, ganz weiß. Bis auf das Fadenkreuz anstelle der Pupillen. Und dann fiel mir noch etwas auf. Die Wesen atmeten nicht. Sie piepsten. Ich konnte den Körper meiner kleinen Schwester neben mir fühlen. Ich drehte mich zu ihr um und nahm ihre Hand. Ich drückte sie, aber Jenny erwiderte den Druck nicht. Ich weiß heute, daß sie viel zu verängstigt war, um etwas anderes zu tun, als stumm zuzusehen. Wir lauschten auf das Piepsen der seltsamen Wesen, ein sich wiederholendes digitales Geräuschmuster. Ich hatte schon von diesen Kreaturen gehört, aber noch nie zuvor eine gesehen. Sie waren Maschinenwesen. Terroristen. Sie waren K.I. Wir sahen zu, wie sie unsere Eltern auf die Knie stießen. Wir sahen zu, wie unsere Eltern um ihr Leben bettelten. Aber es war sinnlos. Die Silikanten legten auf sie an. Und feuerten. An dieser Stelle meines Traumes explodiert jedesmal die Sonne... Aber in der Wirklichkeit, in dem Haus weit unten auf der Erde, explodierte die Mündung der Waffe. 5
Meine Eltern sind tot. Und ich will wissen, warum sie sterben mußten.
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1 Shane Vansen fuhr von ihrem Lager hoch. Sie zitterte. Ihr T-Shirt und ihre Haare waren klamm von kaltem Schweiß. Sie atmete schwer und versuchte, den Alptraum abzuschütteln. Die explodierende Sonne, der Dachboden, ihre Eltern, die Waffen... Es war alles so vertraut. Würde es nie aufhören? Sie atmete wieder und wieder tief durch, bis sie endlich etwas ruhiger wurde. Shane warf einen Blick in die Schatten und beobachtete die anderen Marines. Sie schliefen fest. Die Achtundfünfzigste. Cooper, Nathan, Damphousse und die anderen. Gute Marines. Gute Kameraden. Sie drehte sich zur Seite und ließ die Beine über den Rand ihrer Koje baumeln. Es hatte keinen Sinn, sich noch einmal umzudrehen. Sie war viel zu verängstigt, um schlafen zu können. Wenn sie bloß diesen Alptraum loswerden könnte. Es war schön auf der Saratoga, wenn alle schliefen. Aus irgendeinem Grund empfand sie diese Zeit als ermutigend. Dieser Raumwaffenträger, zehn Stockwerke hoch und mit einem Flugdeck von viereinhalb Hektar, war zu ihrem Zuhause geworden. Auf dem Oberdeck warteten die Kampfschiffe, aber hier unten, wo sie Wand an Wand und Koje an Koje ihre Kameraden wußte, fühlte sie sich sicher. Shane rutschte zum Bullauge und sah hina us. Der Weltraum. Ein Meer von glitzernden Sternen leuchtete vor dem schwarzen Himmel. In ihrer Kindheit hatte der Weltraum eine andere Bedeutung für sie gehabt. Die Bewohner der Erde hatten geglaubt, den Weltraum kolonisieren zu können und in den Tiefen des Alls eine neue friedvolle Heimat zu finden. Die Silikanten würden
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der Vergangenheit angehören. Alle Feindseligkeiten würden der Vergangenheit angehören. Es würde einen Neuanfang geben. Aber die Menschen hatten sich geirrt und scheiterten. Sie brache n ins All auf und trafen dort neue Feinde, Aliens von einem anderen Stern, die sie mit ihren Waffen willkommen hießen... Laute Musik brauste auf und schien das Schiff zu erschüttern. Shane drehte sich herum und suchte nach der Quelle des Lärms. Auf der anderen Seite des Zimmers wurde Damphousse wach. Die Fotos ihrer Familie vibrierten an der Decke über ihr. Die Musik wurde lauter. Shane wußte Bescheid. Sie hatte in den Geschichtsbüchern darüber gele sen. Man nannte das Rock’n’Roll. Sie sah in Nathans Richt ung. Seine Augen waren weit geöffnet, und er brüllte: »Hey, Mann, mach das aus!« Nathan war Shanes bester Freund in der Einheit. Aus irgendeinem Grund konnten sie gut miteinander. Shane fragte sich manchmal, ob das daran lag, daß sie beide unglücklich waren. Aber das wäre ein schrecklicher Grund für zwei Menschen, gut miteinander auszukommen. Aber vielleicht stimmte ihre Vermutung trotzdem. Shane schloß die Augen und versuchte, die Musik zu ignorieren. Sie dachte über Nathans Schicksal nach. Er und Kylen hatten heiraten wollen. Sie hatten gemeinsam das Tellus-Programm absolviert. Und sie hatten sich vorgenommen, den Rest ihres Lebens gemeinsam zu verbringen. Aber nur Kylen wurde zu der neuen Kolonie geschickt, während Nathan zurückbleiben mußte. Und kurz nach der Landung wurden die Kolonisten von Aliens angegriffen. Die meisten starben. Aber einige wurden 8
als vermißt geführt. Nathan hatte nie herausgefunden, was mit Kylen geschehen war. Shane öffnete die Augen. Irgend jemand hatte es geschafft, die Musik zu unterbinden. Wang war nun auch wach. Und Damphousse... Sie war es auch gewesen, die das Musikproblem gelöst hatte. Unter den Augen der anderen gab sie Cooper die antike CD zurück und tapste wieder zu ihrem Schlafplatz. Cooper hatte einige Schwierigkeiten, sein Gerät wieder in Gang zu bringen. Shane fragte sich, ob er wohl immer ein Problem bleiben würde. Man hatte es ihr prophezeit, aber sie wollte nicht daran glauben. Was hatte man über ihn gesagt? »Er macht nur Ärger.« »Er mißachtet Befehle.« »Er ist anders. Geht zu viele Risiken ein. Igno riert den gesunden Menschenverstand. Ein Großmaul. Jedermanns Sorgenkind.« Aber Shane hatte das alles nicht glauben wollen. Vorurteile, hatte sie gedacht. Nichts als Vorurteile. Cooper Hawkes war nicht wie die anderen. Er hatte niemals Eltern gehabt. Er hatte überhaupt keine Familie. Er schien in jeder Hinsicht ein Mensch zu sein – bis auf den Nabel im Nacken, der ihn verriet. Er war ein In-Vitro, was bedeutete, daß er in einem Bruttank gezüchtet worden war. Und daher rührte auch die häßliche Bezeichnung »Tank«. Ehe es Cooper gelang, sie alle wieder mit Musik zu beschallen, betrat Commander McQueen den Raum. Er war der vollkommene Marine. Groß und schlank. Sein Haar war vorschriftsmäßig gestutzt. Seine Uniform saß perfekt. Er war ein Tank, wie Cooper.
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»Hören Sie zu!« begann McQueen zackig. »Sie werden eingesetzt. Frühstücken Sie, machen Sie sich fertig und melden Sie sich in zwanzig Minuten auf dem ISSCV-Ladedeck!« Shane sah zu, wie McQueen wieder ging und dachte über das nach, was er gesagt hatte. ISSCV stand für Internal Solar System Cargo Vehicle. Ein Frachttransporter also. Er sollte sie zu ihrem Bestimmungsort bringen. Aber wohin?
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2 Shane und die anderen Mitglieder der Achtundfünfzigsten Staffel kamen an diesem Morgen nur sehr langsam in die Gänge. Es wurde nicht gesprochen. Jeder dachte darüber nach, wohin die Reise gehen mochte, und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Coopers entnervender musikalischer Weckruf hatte sie alle nervös und unausgeschlafen in den Tag entlassen. Sie legten ihre Flugausrüstungen an und trugen die Kampfanzüge und die Helme zu dem Frachttransporter. McQueen erwartete sie bereits. Hinter ihm sahen sie den schweren Transporter. Einmal an Bord, würden sie, bis sie ihr Reiseziel erreichten, zusammengepfercht in einem langen Metallcontainer hocken. Shane Vansen rieb sich die Augen und wartete auf McQueens Erklärung, wohin die Reise gehen würde. »Rühren!« befahl er, und sie richteten ihre volle Aufmerksamkeit auf ihn. »Das sind Ihre Befehle: Sie fliegen bis zweihundertfünfzig MSK hinter den siebten Sektor des Kepler-Gürtels. Ihr Ziel ist die Bergwerksanlage von Bunuel.« »Bodenangriff?« erkundigte sich Wang. McQueen zögerte. Er wußte, daß sie über die Antwort nicht sehr glücklich sein würden. »Nein, Wachdienst.« Er hatte recht mit seiner Vermutung. Ein Stöhnen lief durch die Staffel. Wachdienst? Das hieß, sie würden sich die Beine in den Bauch stehen und auf Posten auf und ab marschieren, während andere die Action für sich hatten. Warum? Nathan stellte die Frage, die ihnen allen auf der Zunge lag. Die Aliens massierten ihre Angriffe, und die Achtundfünfzigste sollte sie aufhalten. 11
»Sir«, sagte Nathan, »die Chigs sind bei Proxima auf dem Vormarsch. Warum werden wir in dieser Situation bloß für Wachdienste eingesetzt?« »Der Schutz unserer Rohstoffe ist für die Kriegsführung von entscheidender Bedeutung«, erklärte McQueen. »Denken Sie nach. Die Anlage auf Bunuel fördert natürliches Helium 3. Helium 3 ist ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Raketentreibstoffe, ohne den unsere gesamte Flotte außer Gefecht gesetzt wäre. Die Chigs würden uns einfach überrennen. In zwei Tagen wird ein schwerbewaffneter Konvoi die Anlage erreichen, um dort mit Heliumerz beladen zu werden. Ein lebenswichtiger Transfer. Sie werden dafür sorgen, daß niemand ihn zu sabotieren versucht. Habe ich mich klar ausgedrückt?« Niemand sprach. Die Achtundfünfzigste hatte verstanden. »Ich weiß, daß Sie das für einen Routineauftrag halten«, fuhr McQueen fort, »aber in diesem Krieg gibt es keine Routineaufträge. Ich bin als strategischer Berater für Luftkampfmanöver zur Colin Powell abberufen worden. Vansen, Sie sind Truppenführer, West ist Ihr Stellvertreter. Alles klar?« »Klar«, kam die kollektive Antwort. »Gut. Dann bewegen Sie sich!« Als McQueen ihren Namen aussprach, zuckte Shane zusammen. Sie fühlte sich in der Rolle des Anführers nicht sonderlich wohl. Sie war noch nicht bereit dazu. Oder? Sie wartete, während die anderen sich zum ISSCV begaben. Dann folgte sie McQueen, bis sie ihn eingeholt hatte. »Sir?« sprach sie ihn an. McQueen drehte sich zu ihr um. »Vielleicht könnte West die Truppenführung übernehmen, Sir.« McQueen runzelte die Stirn und betrachtete sie aufmerksam. 12
»Wo liegt das Problem?« fragte er nach einer Weile. »Nun... ich... ich denke nur...« Shane zögerte, dann fand sie die richtigen Worte. »Hatten Sie jemals das Gefühl, daß da draußen etwas lauert?« »Das Gefühl, nicht zurückzukommen?« fragte McQueen. Shane war sich nicht sicher. Nein, das war es nicht. Oder vielleicht doch? »Das hat jeder mal«, sagte McQueen freundlich. »Und wie wird ›jeder‹ damit fertig, Sir?« McQueen dachte über Shanes Frage nach. »Nun«, erwiderte er schließlich, »ich schätze, jeder geht da raus und kommt wieder zurück. Oder eben nicht.« »Danke, daß Sie es mir so einfach machen, Sir«, sagte Shane sarkastisch, packte ihre Ausrüstung und ging zum Transporter. McQueen stoppte sie. »Vansen!« Shane drehte sich um und wartete. »Was geschieht, wird von niemandem vorherbestimmt. Und mit Glück hat es auch nichts zu tun. Es liegt allein bei Ihnen, was passiert. Sie müssen einen klaren Kopf behalten und Fehler vermeiden, dann kommen Sie auch zurück. Es ist so einfach.« Shane dachte über McQueens Worte nach, während das ISSCV auf die Oort-Wolke zuhielt, den Geburtsort zahlreicher Kometen. Sie saß vor einem Computerbildschirm und studierte die nachtschwarze Endlosigkeit. Auf dem Schirm konnte sie das unbestimmte Signal einiger Brocken erkennen, die sich ihnen näherten. Sie beugte sich ein wenig vor. Das Schiff konnte leicht ausweichen. Es würde eine ruhige Reise werden. Es gab keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Shane lehnte sich zurück und sah sich um. Hinter ihr vertrieben sich die anderen Mitglieder der Achtundfünfzigsten 13
Staffel die Zeit. Wang erzählte eine Geschichte. Nathan las in einem Handbuch. Damphousse saß vor ihrem Monitor. »Hey!« sagte Damphousse plötzlich. »Was ist das?« »Was?« fragte Shane alarmiert. »Dieser Punkt.« Shane wandte sich wieder ihrem Bildschirm zu, während Damphousse fortfuhr. »Ein Objekt folgt uns. Einhunderttausend MSK und näher kommend.« Shane sah es jetzt auch. »Hast du versucht, Funkkontakt aufzunehmen?« »Keine Antwort«, gab Damphousse zurück. Wang stieß fast mit der Nase an seinen Schirm. »Ein singuläres Objekt«, berichtete er. »Chigs fliegen immer nur in Formation. Was kann das sein?« »Vielleicht ein Komet«, schlug Nathan vor. Shane drückte auf den Knopf der Bordkommunikation. »Navigator!« rief sie. »Hier ist Vansen. Kurskorrektur um fünfundzwanzig Grad.« Die Stimme des Piloten kam laut und deutlich rein. »Verstanden«, sagte er. »Ausweichmanöver in drei... zwei... eins.« Während das Schiff den Kurs änderte, versammelten sich die Mitglieder der Achtundfünfzigsten vor Damphousses Computerschirm und beobachteten den Punkt auf dem Monitor. »Was auch immer es ist, es hat gerade ebenfalls seinen Kurs geändert«, murmelte Damphousse. Shane richtete sich kerzengerade auf. »Stationen besetzen!« befahl sie. Sie beugte sich zu Damphousses Monitor vor, während Nathan, Cooper und Wang sich auf ihre mit einem Joystick, einem großen Trackball und einer VR-Brille ausgerüsteten Plätze begaben.
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Cooper setzte sich die VR-Brille auf und legte eine Hand auf den Trackball. »Geschütze bereit«, verkündete er, während am Heck eine Doppelbatterie ausfuhr. »Objekt bei fünfundsiebzigtausend MSK und näher kommend«, meldete Damphousse. Shane starrte über Damphousses Schulter hinweg auf den Monitor. »Alle Stationen: feindliches Objekt auf vierzehn Grad achtern backbord«, informierte sie die anderen. Nathan, Cooper und Wang bearbeiteten ihre Joysticks, um die Geschütze auszurichten. »Schnell, Shane«, rief Damphousse. »Check Kanal vier!« Shane eilte zur Kommunikationskonsole und lauschte. Zuerst hörte sie nur statisches Rauschen, dann filterte ihr Gehör etwas Vertrautes aus der Geräuschkulisse. Sie hatte diese Piepser schon einmal gehört. Es war das charakteristische Piepsen der K.I. »Künstliche Intelligenzen«, flüsterte Shane. »Das ist kein Chig. Es ist ein Silikanten-Signal.« »Negativ!« rief Nathan. »Synthetische wurden in diesem Sektor nie gesichtet.« »Verfolger auf drei Uhr!« rief Cooper. Sein Geschütz schwang elegant herum und richtete seine Mündung in die Weite des Weltraums. Ein gewaltiger Lichtblitz flammte auf. »Direkter Treffer!« triumphierte Damphousse. »Verfolger vernichtet. Alles klar.« Nathan, Cooper und Wang nahmen ihre VR-Brillen ab und grinsten Shane an. »War wohl doch ein Komet«, lachte Nathan. »Für mich sah das wie ein feindliches Mutterschiff aus«, sagte Cooper.
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Aber Shane war nicht überzeugt. Sie dachte an die digitalen Piepser. Wie konnte sie jemals die Geräusche der K.I. vergessen – der Kreaturen, die ihre Eltern ermordet hatten?
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3 Während das ISSCV durch das All brauste, bereitete Shane die Landung vor. Unter ihr trieben Hunderte von Kubikmeilen harten schwarzen Eises – der Komet Bunuel. Und diesen kargen Felsbrocken sollten sie allen Ernstes bewachen? Landelichter begrüßten das Schiff, als es unweit der Fördertürme des Bergwerks aufsetzte, die fünf Stockwerke hoch vor ihnen aufragten. Die Landelichter waren die einzigen Lichter ringsum. Dunkelheit umgab sie. Tiefste Dunkelheit. Shane erschauerte, während sie versuchte, die undurchlässige Schwärze von Bunuel zu durchdringen. Es war unheimlich. Sie hoffte, daß die Mission bald gelaufe n sein würde. Sie folgte den anderen auf die Oberfläche des Kometen. Ihre Füße berührten den Boden und federten sofort wieder ab. Shane verlor das Gleichgewicht. »Gravitation«, sagte sie zu Wang. »Eher das Fehlen von Gravitation.« Wangs Stimme zitterte leicht. Seine zierliche Gestalt wirkte vor den tiefen Schatten angespannt und zerbrechlich. Sie würde auf ihn aufpassen müssen. Shane bewegte sich vorsichtig über die öde Oberfläche des Himmelskörpers. Die Gruppe würde einige Zeit brauchen, um sich an diese Umgebung zu gewöhnen. Ungeachtet der schweren Kampfausrüstung und des Helms fühlte sich Shane federleicht. »Darauf habe ich seit Monaten gewartet«, lachte Wang und zog einen Football hervor. »Eine Oberflächengravitation, die nur ein Drittel der Schwerkraft auf der Erde beträgt. Stell dich weit hinten auf, Damphousse. Ganz weit hinten.«
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»Du kannst hier doch gar nicht weit genug sehen, Wang!« rief Damphousse und machte sich auf den Weg. Aber Wang hatte an alles gedacht. Er zog an einer kleinen Schnur, und der Ball erstrahlte in hellem Licht. »Eine Chemikalie im Innern des Balls, Damphousse«, rief er. »Unterschätze nie einen intelligenten Menschen wie mich.« Wang trat ein paar Schritte zurück und warf einen Paß. Der erleuchtete Ball segelte steil in den Himmel und verschwand nach einer halben Meile hinter dem Horizont. Shane sah unbeeindruckt zu, wie der Ball verlorenging. Dann gesellte sie sich zu Nathan und half ihm, die Ausrüstung abzuladen. »Dieser Ort ist mir unheimlich«, murmelte der. »Fünf Milliarden Jahre in totaler Finsternis. Als wäre die Sonne erloschen oder so was.« »Es ist vielleicht nur ein blöder Sondereinsatz«, schnappte Shane, »aber bis der Konvoi eintrifft, ziehen wir das hier wie einen Ernstfall durch.« Nathan sah sie an. Shane war offensichtlich sauer. Aber weswegen? »Zehn Bergarbeiter arbeiten hier unter Tage«, fuhr sie fort. »Es ist unsere Aufgabe, sie zu beschützen.« Sie wandte sich den anderen zu. »Collins, Sie bewachen das ISSCV. Funken Sie die Arbeiter an und teilen Sie ihnen mit, daß wir hier sind. Das Codewort lautet ›Bulldog‹, die Antwort ›Chesty‹. Alles klar? Bulldog.« »Chesty«. antworteten die Marines im Chor. »Noch einmal«, rief Shane, »Bulldog!« Die Antwort kam prompt. »Chesty!« Shane lächelte. »Und noch einmal. Nur für den Fall der Fälle. Bulldog!« »Chesty!« Shane fühlte sich jetzt besser. Das waren ihre Kameraden. Sie würden zur Stelle sein, wenn sie sie brauchte. 18
»Der Rest von uns wird die äußeren Grenzen der Anlage bewachen. Wir teilen uns in Zweiergruppen auf. Bewegt euch!« Damit drehte sie sich um und führte ihre Marines in die Dunkelheit. Der Ball war auf der anderen Seite des Kometen gelandet. Er lag hinter einem schwarzen Fels und glühte in der Nacht. Er lag reglos, denn es gab hier keinen Wind. Nur Stille. Dann, ganz plötzlich, ertönte ein leises elektronisches Klicken aus der Dunkelheit. Eine Hand packte zu. Das Klicken wurde lauter. Die Hand ergriff den Football und hob ihn hoch. Dann trug sie ihn davon. Shane konnte die Anspannung nicht abschütteln. Sie versuchte es mit Atemübungen – vergeblich. Während sie die äußeren Grenzen des Bergwerks abschritt, war jeder Muskel in ihrem Körper ge spannt. Irgend etwas stimmte nicht mit diesem Ort – diesem schwarzen Ort, der so weit von der Sonne entfernt und doch so seltsam vertraut war. Ein Geräusch stahl sich in ihre Gedanken. Sie fuhr herum und stellte sich ihm... Es war Lieutenant Gordon, ihr Partner auf dieser Patrouille. Sie standen schweigend beieinander und lauschten in die Stille. Sie hörten nichts. Nicht das geringste Geräusch.
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4 Cooper und Nelson, seine Partnerin, standen auf der Plattform A der Bergwerksanlage und lauschten ihrerseits. Sie waren erschöpft, und Cooper hatte Mühe, wach zu bleiben. Das einzige Geräusch kam von ihren Sauerstofftanks. Einatmen. Ausatmen. Einatmen. »Das macht mich echt fertig«, stöhnte Nelson, »wenn man nur den eigenen Atem hört.« »Ist mir schnuppe«, gab Cooper zurück. »Wenn es zu still ist, macht mich das erst recht fertig.« Nelson lachte und hielt den Atem an. Kein Geräusch drang mehr aus ihrem Tank. Es war erschreckend still. Dann lachte sie herzhaft. Sie lachte auch noch, als der Arm auftauchte. Keiner von ihnen hatte ihn in der Dunkelheit bemerkt. Plötzlich war er da, schoß hinter einem Metallpfosten hervor. Ein nackter Arm schlang sich um Nelsons Nacken und riß sie zurück. Cooper fuhr herum, als er spürte, daß seine Partnerin verschwunden war. Vorsichtig ging er auf die Kante der Plattform zu und sah nach unten. Dort unten lag Nelson. Tot. Shane hörte den Alarm durch ihren Helmfunk. »Hier ist Hawkes!« rief Cooper. »Nelson ist tot. Ich habe keine Ahnung, was...!« Shane hörte die Panik in Coopers Stimme. Aber da war noch etwas anderes, ein anderes Geräusch. Ganz in der Nähe. Sie sah nach unten und bemerkte den Felsbrocken. Er wackelte, als würde er sich von allein bewegen. Aber das war unmöglich. Irgend jemand oder irgend etwas... Sie blickte auf und lauschte. Nichts. Kein Geräusch. Aber trotzdem... irgend etwas stimmte da nicht. Da draußen war
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etwas. Dessen war sie sich sicher. Sie riß sich zusammen und machte ihre Waffe scharf. Ein weiterer Felsbrocken löste sich und rollte auf sie zu. Sie wandte sich der Bewegung zu und zielte in die Dunkelheit. Ein Schatten regte sich dort. »Bulldog!« zischte Shane. »Terrier!« Falsche Antwort. Shane zielte höher, feuerte und sah, wie die Kugel in die Silhouette einschlug. Der Schatten sackte zu Boden und blieb liegen. Ein unheimlicher Schatten in der lautlosen Dunkelheit. Shane senkte die Waffe und ging näher. Die Gestalt schien menschlich, aber sie wußte, daß sie es keineswegs mit einem Menschen zu tun hatte. Funken stoben; Piepser waren zu hören. Shane kniete nieder, um die Gestalt zu betrachten. Drähte hingen aus der Schußwunde, und Öl sickerte daraus hervor. Shane keuchte und sprang zurück. Tränen stie gen ihr in die Augen. Sie hatte so ein Ding schon einmal gesehen. Sie wußte, womit sie es zu tun hatte. Vor ihr lag ein Silikant. Ein K.I. »Wir werden angegriffen!« Nathans Stimme, die aus ihrem Helmfunk knisterte. »Scharfschützen! Scharfschützen!« Das war Wangs Stimme. Shane konnte jetzt sogar die Kugeln pfeifen hören. Sie kamen aus allen Richtungen. Aus dem Helmfunk. Aus der Dunkelheit hinter ihr. Von überall her. Der Lärm hallte durch das Rund ihres Helms und erschütterte die Felsen ringsum. »Ich kann sie nicht sehen!« schrie Nathan. »Wo stecken die Typen? Ich höre sie überall, aber...!« »Sie sind überall!« rief Wang. »Aber ich kann sie nicht lokalisieren. Shane? Shane? Bist du dran, Shane?«
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Und dann... Stille. Nichts. Uneingeschränkte Dunkelheit. »Rückzug!« schrie Shane. »Rückzug!« Niemand antwortete. Stießen ihre Rufe auf taube Ohren? »Wang? Nathan? Seid ihr da?« »Wir sind hier!« antwortete Wang endlich. »Rückzug! Rückzug! Wir formieren uns neu beim Transporter!« befahl Shane. Sie zogen sich zurück und suchten die Sicherheit im Innern des ISSCV. Jemand schaltete das Licht ein. Sie ließen sich auf den Boden fallen und drängten sich schweigend zusammen, außer Sichtweite der K.I. Nach ein paar Minuten bemerkte Shane eine Bewegung zu ihrer Linken. Sie hob den Kopf. Es war Nathan. Er bewegte sich vorsichtig vorwärts und zählte die überlebenden Marines. Er wiederholte die Zählung, bis er sicher war. »Wir haben Nelson und Bennett verloren«, seufzte er. Shane sah ihn an und nickte. Ihr Blick war sanft und voller Schmerz. Sie drehte sich zu Wang um. »Gib mir mal das Nachtsichtgerät«, sagte sie. Wang reichte ihr das Gerät. Sie kroch auf das Bullauge zu und beobachtete die Umgebung. Der Blick durch die Nachtsichtbrille jagte ihr einen Schrecken ein. Sie hatte sich an die Dunkelheit gewöhnt, doch die Lichtverstärker änderten alles. Wo zuvor nur Schatten gewesen waren, erkannte sie nun Konturen; Weiß trat an die Stelle von Grau; was sie zuvor nur hatte erahnen können, lag jetzt in schockierender Deutlichkeit vor ihr. Sie sah eine Welt faszinierender metallischer Formen. Es gab keine Bäume, keine Berge, keine Blumen – nur einen Kometen und ein Bergwerk. Shane wandte sich nach rechts und hielt jäh inne. Sie sah Umrisse, die vertrauten Umrisse menschlicher Körper.
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Sie rückte noch etwas näher an das Bullauge heran und stellte die Sichtschärfe neu ein. Neun Körper. Neun Leichen. Verstreut auf dem felsigen Untergrund rund um die Mine. Shane wußte, wer das war. Die Bergleute, zu deren Schutz die Achtundfünfzigste abkommandiert worden war. Sie zog sich wieder zurück und senkte das Nachtsichtgerät. »Sie haben die Bergarbeiter getötet«, berichtete sie den anderen. Cooper griff sich die Brille. Nachdem er sich selbst überzeugt hatte, reichte er sie an Nathan weiter. »Das klang vorhin aber gar nicht nach Waffen der Aliens«, sagte Cooper. »Die Chigs hätten doch...« »Das waren nicht die Aliens«, klärte Shane ihn auf. »Wenn uns nicht die Chigs angegriffen haben, wer war es dann?« wollte Wang wissen. Shane wußte es. Diese seltsamen Augen waren unverwechselbar. Keine Pupillen. Fadenkreuze. K.I.-Augen. Die Augen aus ihrem Alptraum. Aber diesmal waren sie real. »Sie sind keine Menschen«, zischte sie, »sondern Kreaturen aus Kunststoff. Kreaturen, die vor langer Zeit auf der Erde gebaut wurden.« »Wir sollten besser rausgehen und abchecken, womit wir es zu tun haben«, schlug Nathan vor. Aber Shane hörte ihm nicht zu. Sie dachte an ihre Eltern und an die toten Bergarbeiter. Sie erschauerte, als sie sich an die Fadenkreuzaugen erinnerte. Ihre eigenen Augen füllten sich mit Tränen, als das Bild ihrer Eltern aus ihrem Gedächtnis auftauchte. »Ich hasse sie«, stöhnte sie leise. Aber sie wußte, daß das noch nicht alles war. Sie hatte Angst vor den Silikanten. Todesangst.
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5 Shane starrte stumm geradeaus und hörte zu, wie sich die anderen darauf vorbereiteten, das Schiff zu verlassen. Sie konnte spüren, daß Nathan sie beobachtete. »Kommst du?« fragte er und setzte seinen Helm auf. Die anderen waren schon auf den Beinen und strebten dem Ausgang zu. »Ich weiß, womit wir es zu tun haben«, sagte Shane. »Es sind zu viele K.I. Du hast sie gehört. Sie sind überall.« »Das werden wir ja sehen«, entgegnete Nathan. »Ja, das werden wir. Wir haben ja auch die Bergleute gesehen, die wir beschütze n sollten. Sie sind tot, Nathan. Unser Auftrag ist gelaufen.« »Kommst du?« Nathan warf ihr den Helm zu, und sie setzte ihn widerstrebend auf. Doch dann folgte sie den anderen hinaus in die Nacht. Sie schlichen sich an der Anlage vorbei und umgingen die Leichen. In sicherer Entfernung sammelten sie sich. »Wir müssen sie aufspüren, Shane«, sagte Nathan mit gesenkter Stimme. »Wir müssen einen Gegenangriff starten. Sie dürfen keine Gelegenheit erhalten, eine Verteidigungsstrategie zu entwickeln.« »Wir brauchen Verstärkung«, erklärte ihm Shane. »Es sind einfach zu viele. Wir warten auf den Konvoi.« Die anderen verfolgten ihre Diskussion aus einigem Abstand. »Aber bis dahin sind es noch zwölf Stunden!« warf Wang mit vor Anspannung rauher Stimme ein. »Und in zwölf Stunden haben die K.I. das Bergwerk längst unter ihre Kontrolle und das Helium 3 in ihren Besitz gebracht. Und was dann? Wir haben keinen Treibstoff mehr. Niemand wird mehr
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Treibstoff haben. Kein Schiff wird mehr abheben. Dann werden sie uns niedermache n.« Shane wich seinem Blick aus. »Wir haben keine Wahl.« Sie seufzte. »Wir sind ihnen zahlenmäßig unterlegen.« Niemand antwortete. Sie klang, als wollte sie kneifen. Und Shane wußte das. Sie klang, als hätte sie Angst. Damphousse, ein Schatten in der Dunkelheit, schlich zurück zum ISSCV. Als sie wiederkam, hatte sie einen Grundriß des Bergwerks dabei. »Sie haben Plattform B abgeschaltet«, raunte sie. »Aber die Abraumarbeiten unter Plattform A gehen weiter.« »Sind da unten noch Bergarbeiter?« fragte Shane. »Negativ«, erwiderte Damphousse. »Ich habe zumindest keine Antwort erhalten. Sieht aus, als wären wir ganz auf uns gestellt.« Wang war nun völlig von der Rolle. »Die sind da drin!« rief er. »Die K.I. haben die Mine übernommen. Sie schnappen sich das Helium-3-Erz. Wir müssen etwas unternehmen!« Nathan nahm den Grundriß und studierte ihn. Nach kurzer Zeit richtete er sich auf. »Es gibt einen unterirdischen Tunnel, der Plattform A und Plattform B verbindet. Und dieser Tunnel führt auch noch zu einer Hintertür, die nach draußen geht.« »Negativ!« protestierte Shane. »Was soll das heißen?« wollte Cooper wissen. »Wir haben keine andere Wahl!« Shane wirbelte herum und starrte ihn an. »Ich habe hier das Sagen, Cooper!« fauchte sie. »Vergiß das nicht!« »Hör erst mal zu!« sagte Nathan. »Wang und Gordon können die Aufmerksamkeit der Silikanten auf sich ziehen, wenn sie ihre Plattform mit Raketen angreifen. Währenddessen kann der Rest von uns durch den Tunnel reinschleichen.« »Negativ! Negativ! Negativ!« schrie Shane. »Sie haben sicher Wachen an der Tür und allen anderen Knotenpunkten.«
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»Dann erledigen wir die eben mit unseren Smart-Granaten«, fuhr Nathan beharrlich fort. »Kommt nicht in Frage!« Shane bebte vor Wut. »Wir werden dieses Risiko nicht eingehen.« »Es kommt nic ht in Frage, daß wir die K.I. das Helium 3 stehlen lassen, damit sie es an unsere Feinde verkaufen«, murmelte Damphousse. Wang schüttelte den Kopf. »Anscheinend haben wir überall nur Feinde.« Er seufzte. »Aliens, die das Universum unterjochen wollen. Und Künstliche Intelligenzen aus Plastik.« »Vergiß Nelson und Bennett nicht«, fügte Cooper hinzu. »Sie wären bestimmt auch bereit, das Risiko einzugehen, wenn sie jetzt hier sein könnten.« Shane zog sich ein paar Schritte zurück, dann drehte sie sich wieder zu den anderen um. »Risiko. Ihr hört euch schon selbst wie Silikanten an.« »Was meint sie damit?« fragte Cooper verwundert. »K.J. sind versessen auf Glücksspiele«, erklärte Damphousse. Cooper runzelte verwirrt die Stirn. »K.I. sind wandelnde Computer, die darauf programmiert wurden, Soldaten und Diener zu sein«, berichtete Wang. »Sie sind Maschinen, die philosophische und ethische Konzepte verstehen können, aber sie entwickeln keine Initiative. Alles, was sie wissen, haben sie erlernt.« »Sie wissen zum Beispiel, was Freiheit bedeutet. Aber sie wissen nicht, wie man um sie kämpft«, fügte Damphousse hinzu. »Und vor ungefähr fünfundzwanzig Jahren«, nahm Wang den Faden wieder auf, »hat jemand ihre Programmierung erweitert. Der Typ war ein Genie. Aber er war es leid, daß sein Boß alle Lorbeeren erntete. Also erweiterte er die Programmierung der K.I.« »Inwiefern?« fragte Cooper. 26
»Der Typ brachte den Maschinen bei, Risiken einzugehen. Sein Befehl lautete: ›Geht Risiken ein!‹ Das war der Beginn der K.I.-Kriege. Die Silikanten wurden Terroristen und gingen bereitwillig das Risiko ein, das ihr Ziel barg, die Erde zu übernehmen.« »Das Risiko-Prinzip wurde so etwas wie die Religion der K.I.«, erklärte Damphousse. »Und das einzige, was sie an uns Menschen schätzen, ist unser Hang zum Glücksspiel. Denn ein Glücksspiel bedeutet Risiko. Diese schrecklichen Maschinen hätten fast die Erde zerstört. Sie terrorisierten alles und jeden. Und dann krallten sie sich ein paar Startmodule und verschwanden in den Weltraum. Und jetzt sind sie hier, auf diesem Kometen.« »Und terrorisieren uns«, schloß Wang den Vortrag ab. Während Wang, Cooper und Damphousse von den Silikanten sprachen, gesellte sich Nathan zu Shane. »Es sieht dir gar nicht ähnlich, dich vor einem Kampf zu drücken«, sagte er so wohlwollend wie möglich. »Du bist kein Feigling, Shane. Wirst du mir also bitte sagen, was mit dir los ist?« Shane sagte lange Zeit gar nichts. Sie dachte an ihre Eltern. Sie dachte an die Silikanten, die sie ermordet hatten. Aber wenn irgend jemand sie verstehen würde, dann Nathan. »Es gibt nichts, daß ich mehr hasse als... diese... diese... Kreaturen.« »Ich verstehe«, sagte Nathan gedämpft. »Ich fühlte genauso, als die Aliens mir Kylen nahmen.« Shane nickte. »Die K.I. haben meine Mutter und meinen Vater ermordet«, erklärte sie leise. »Und ich habe...« Das nächste Wort blieb ihr im Hals stecken. Aber Nathan wußte, was es war. »Angst?« fragte er. Sie drehte sich um und sah seine Silhouette in der Dunkelheit an. »Okay, ich gebe es zu. Ich habe schreckliche 27
Angst vor diesen... Dingern. Das war schon immer so. Seit jenem Tag auf dem Dachboden. Ich wußte damals, daß ich die nächste sein würde. Daß sie mich holen würden. Und das glaube ich noch immer, Nathan. Sie sind darauf aus, mich zu töten. Und doch...« Nathan wartete darauf, daß sie weitersprach. Er verzichtete darauf, ihr ins Wort zu fallen. »Es ist so seltsam«, sagte sie nach einer Weile. »Ich habe mein ganzes Leben darauf gewartet. Ich dachte, daß ich nie die Chance bekommen würde, ihnen gege nüberzutreten. Und jetzt...« Nathan beendete den Satz für sie: »... hast du deine Chance.« »Richtig. Jetzt habe ich meine Chance. Und ich bin so verängstigt, daß ich mich kaum rühren kann.« Nathan lächelte und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Du bist der Truppenführer«, sagte er. »Ich schätze, das hatte ich vergessen. Wir respektieren dich. Du bestimmst, was geschieht.« Nathan ließ sie allein.
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6 Shane zögerte. Wieder schoß ihr der Traum durch den Kopf. In dem Traum herrscht Dunkelheit. Die Sonne ist erloschen, so wie sie hier und jetzt erloschen scheint. Der Dachboden ist kalt, und meine Eltern sind umzingelt. Die Fadenkreuzaugen der K.I. beobachten sie, so wie sie mich jetzt beobachten. Und ich habe Angst, so wie ich jetzt Angst habe. »Sie haben meine Eltern getötet«, flüsterte Shane in die Nacht hinaus. »Ich weiß nicht, warum. Und nun werden sie mich töten. In dieser einen Sache bin ich mir vollkommen sicher: Ich bin die nächste.« Shane sah sich um. In unmittelbarer Nähe versorgte ein Schatten seine Kampfausrüstung mit zusätzlichen Munitionsstreifen. Cooper. Er beobachtete sie. Sie konnte seine Augen nicht sehen, aber sie wußte, daß er sie ansah. Einmal machte er einen Schritt auf sie zu, und sie dachte schon, er wollte etwas sagen, aber dann drehte er sich um und setzte seine Beschäftigung fort. Als er fertig war, ging er zu den Waffen. Damphousse war dort und bewachte das Schießgerät. Sie entsicherte ein Gewehr und warf es ihm zu. Auch Nathan war fast fertig. Er sah zu ihr herüber, ließ den Blick jedoch rasch über sie hinwegschweifen. Es war ihm unangenehm, daß sie wußte, daß er sie beobachtete – und Shane wußte das. Sie wußte außerdem, daß er darauf wartete, daß sie die Initia tive ergriff. Es war höchste Zeit. Shane fragte sich, ob er wohl glaubte, daß sie einfach davonlaufen würde, daß ihre Furcht so übermächtig war, daß sie nicht mehr zur Anführerin taugte? 29
Konnte er damit recht haben? Shane ging zu Nathan und baute sich neben ihm auf. Er befestigte gerade eine Granate an seinem Gürtel. Nachdem er das getan hatte, wandte er sich ihr zu. Sein Gesicht verriet Anspannung, aber nicht mehr. Sie fragte sich, was er denken mochte. Vielleicht hätte sie sich ihm nicht anvertrauen dürfen; vielleicht hätte sie ihre Ängste für sich behalten sollen. Sie fühlte sich jetzt etwas besser. Die innere Unrast ließ nach. Sie überprüfte ihre Ausrüstung und das Kampfmesser. Alle Zweifel waren wie weggeblasen. Shane war bereit. Sie sammelte die Marines und gab ihnen Instruk tionen. Wang und Gordon sollten sich anschleichen und die Posten ausschalten. Danach würden sie sich den anderen im Tunnel anschließen. »Alles fertig?« fragte Shane. »Fertig.« »In Ordnung, tun wir’s!« Wang und Gordon verschwanden in der Dunkelheit. Die anderen setzten sich ebenfalls in Bewegung und machten sich auf den Weg durch die Nacht zu dem Bergwerk. Als sie den Tunnel erreicht hatten, verharrten sie. Und warteten. Wang und Gordon legten sich hinter einem Felsen auf die Lauer und beobachteten das Gelände. Wang sah die Gestalten zuerst. Es waren zwei. Er stieß Gordon an und deutete in die entsprechende Richtung. Zwei K.I. patrouillierten auf dem zweiten Stockwerk der Plattform. Wang und Gordon betrachteten sie einen Moment lang. Dann nahm Wang den Boden/Boden-Raketenwerfer und feuerte. Die Rakete heulte auf die Plattform zu.
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Als sie die Explosion hörten, drehten sich die Marines der Achtundfünfzigsten zu ihrer Anführerin um. Shane wußte, daß die Sache keinen Aufschub mehr duldete. »Los!« befahl sie und übernahm die Führung. Sie starteten in Zweiergruppen mit entsicherten Waffen und stürmten in den engen schwarzen Tunnel. Als sie im Laufschritt weiter vordrangen, hörten sie nichts als das Geräusch ihrer Stiefel. Plötzlich stießen sie auf ein Hindernis. Es gab keinen Ausweg. Eine schwere Schleuse blockierte den Weg. Über ihnen hörten sie, wie eine weitere Explo sion das Bergwerk erschütterte. Als das Grollen verklungen war, bewegte sich Cooper auf die Schleuse zu. Shane wollte ihn beiseite stoßen. »Ich werde sie selbst öffnen«, sagte sie. »Die gehört mir!« murmelte Cooper und schob sie weg. »Aber ich habe den Code.« »Ich auch.« Er betrachtete die Tastatur und gab die richtige Kombination ein. Die Schleuse öffnete sich ein wenig. Als sie wieder festsaß, war der Spalt gerade groß genug, daß Nathan eine Blendgranate hindurchwerfen konnte. »Runter!« brüllte er, ehe eine dritte Explosion durch die Anlage hallte. Die Marines der Achtundfünfzigsten Staffel drückten die Gesichter auf den Boden, bis die Schockwelle abgeklungen war. Als alles wieder still war, stand Nathan auf. Vorsichtig zwängte er sich durch den Spalt. Dann gesellte er sich wieder zu Cooper. »Alles klar!« zischte er. »Nichts wie raus hier.« Shane hörte ihn und zuckte zusammen. Hatte Nathan vergessen, daß sie die Anführerin war? Wieder stießen sie in Zweiergruppen vor. Shane und Cooper Seite an Seite. 31
Shane mußte an die Schleusentür denken. »Woher kanntest du den Code?« rief sie, während sie den engen Gang entlangliefen. »Das ist mein kleines Geheimnis«, lachte Cooper vergnügt. »Ich habe als einzige die Codes, Hawkes!« erinnerte sie ihn. Cooper lachte abermals. »Sieh mal einer an.« Er hatte ihre Missionsunterlagen durchwühlt! Shane fragte sich, was er noch alles gelesen hatte. »Alles im Dienste des Auftrags«, sagte er. Shane antwortete nicht. Statt dessen blieb sie stehen und horchte. Die Marines hinter ihr taten es ihr gleich. Sie waren nun tief im Innern des Bergwerks. Nir gendwo war ein Geräusch zu hören. Sie rückten weiter vor, zögerten und rannten dann durch ein Labyrinth kleiner Rä ume und Flure. Winzige Wasserperlen tropften von den Rohren über ihren Köpfen. Außer dem Geräusch des Wassers und dem leisen Pfeifen ihrer gequälten Lungen war kein Laut zu hören. Es war still. Viel zu still.
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7 Gewehrfeuer zerriß die Stille; zuerst nur ein Schuß, dann in immer dichterer Folge, bis das Feuer regelrecht auf die Marines niederprasselte. Shane warf sich zu Boden, hob dann ihren Kopf und sah sich vorsichtig um. Die anderen hatten sich verteilt, aber sie konnte erkennen, daß die Silikanten Sterling erwischt hatten. Er lag auf der anderen Seite des kleinen Raumes. Tot. Sie konzentrierte ihre Aufmerksamkeit auf Nathan. Er nahm die Granate von seinem Gürtel, zog den Stift und warf sie. Shane sah, wie die kleinen Propeller und Stabilisatoren die Granate durch die Luft sausen ließen. Das Geschoß verharrte einen Augenblick, dann schwebte es über dem fliehenden K.I. Nach einem kurzen Zögern nahm die Granate die Verfolgung auf, jagte durch die Luft und erfaßte ihr Ziel. Als sie am anderen Ende explodierte, wurde der Raum für einen Sekundenbruchteil taghell. Die Achtundfünfzigste konnte nun weiter vorrücken. »Vorwärts!« befahl Shane. Die Marines sprangen auf die Füße und stürmten in das Labyrinth. In Zweiergruppen nahmen sie den nächsten Raum. Erneut wurden sie von feindlichem Feuer begrüßt. Die K.I. waren überall. Jeder weitere Schritt schien nur noch mehr Silikanten anzulocken. »Beim nächsten Mal kriegen sie mich«, flüsterte Shane sich selbst zu, während sie sich nach Deckung umsah. »Wenn nicht in diesem Raum, dann im nächsten. Oder im übernächsten.« Sie bewegte sich in einem Irrgarten. Was mochte sie am Ziel erwarten? Der Tod? Sie war unfähig, auch nur einen weiteren Schritt zu tun. Ihr Herz klopfte wild im Klammergriff der Angst, und sie preßte ihren Körper gegen den kalten, feuchten Boden. 33
Cooper robbte an ihre Seite und stieß sie an. »Wir müssen hier raus. Schnell!« sagte er. Aber Shane konnte sich nicht rühren. »Beweg dich, Shane!« schrie er, um das Feuer zu übertönen. »Beweg dich!« Doch sie blieb einfach liegen. Cooper schüttelte sie. »Bist du tot, Vansen?« Sie konnte sehen, wie besorgt er war. Aber als er merkte, daß sie nicht verletzt war, wich die Furcht in seinen Augen blanker Wut. Sie wußte, was er dachte. Sie war die Anführerin. »Dann bleib eben hier!« bellte er. »Wer braucht dich schon?« Shane sah zu, wie er aufstand. Sie wollte ihn rufen, brachte aber kein Wort heraus. Ich führe diese Truppe! wollte sie sagen, aber sie konnte Cooper nur wie gelähmt nachschauen. Sie sah, wie er ein Magazin in seine Waffe schob und sich abwandte. Sie sah das Mündungsfeuer seines Gewehres, aber sie konnte sich nicht bewegen. Er würdigte sie keines Blickes. Sie fragte sich, ob er wohl dachte, daß es so für alle Beteiligten besser sei. Cooper war ein In-Vitro, ein Tank. Er verabscheute diesen Ausdruck, den nur haßerfüllte Menschen verwendeten. Sie selbst bezeichnete ihn aus einem uralten und allzu naheliegenden Grund so: um sich größer und besser zu fühlen. Aber genau das war er nun einmal. Ein Tank. Er war in einer riesigen Brutröhre aufgezogen worden. Die Menschen hatten ihn gezüchtet, damit er ihre Schlachten für sie schlug. Und das tat er. Er drehte sich um, nahm die Gegner aufs Korn und feuerte. Drei K.I. fielen. Der Rest suchte Deckung. Aber das genügte Cooper nicht. Er feuerte noch einmal. Er würde sie alle
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erwischen. Shane wußte, daß er bereit war, sich jederzeit jedem x-beliebigen Feind entgegenzuwerfen. Cooper schoß abermals. Er drehte sich um. Da war noch ein Silikant. Er rannte auf einen Raum mit der Aufschrift ATMOSPHÄRENKONTROLLE zu. Shane hatte ihn auch gesehen. Sie wußten beide, was das bedeutete. Der K.I. wollte ihnen die Luft abdrehen. Auch Nathan mußte den Silikanten entdeckt haben. Er erschien plötzlich neben Shane und sah die Furcht in ihren Augen. Er kniete nieder und berührte ihre Hand. »Vansen und ich werden ihn aufhalten«, teilte er den anderen mit. »Der Rest von euch stößt zu Gordon und Wang. Los!« Tränen schossen Vansen in die Augen, als sie hörte, wie Nathan die Befehle gab. Das wäre ihre Aufgabe gewesen. Aber sie hatte nichts unternommen. »Okay«, flüsterte Nathan ihr zu. »Es sind K.I. Und sie haben deine Eltern ermordet. Aber sie sind nicht hinter dir her, Shane. Sie wollen dieses Bergwerk. Du bist stärker als sie. Du bist ein Mensch. Menschen haben diese Maschinen entwickelt. Sie sind nur elender Computermüll. Du wirst sie doch nicht...« Nathans Worte drangen endlich zu ihr durch, und Shanes Furcht verwandelte sich in Zorn. Sie stand auf und sah ihren Kameraden an. »Computermüll?« sagte sie. »Das gefällt mir. Gehen wir!« Sie machten sich gemeinsam auf den Weg. Als sie den Raum mit der Atmosphärenkontrolle erreicht hatten, hielten sie inne. Nathan stellte sich links neben der Tür auf und horchte. Shane übernahm die rechte Seite. Einen Augenblick später trat sie die Tür ein und checkte die Lage. »Sauber!« flüsterte sie.
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Vorsichtig betraten Nathan und Shane den Raum. Es war dunkel, nur ein paar kleine Lämpchen an Kontrollpulten spendeten Licht. Sie erkannten den Raum sofort. Hier hatte sic h einmal die Schaltzentrale befunden, von der aus die gesamte Anlage mit Sauerstoff versorgt worden war. Es gab Reihen von Pulten, die mit Computermonitoren bestückt waren. Shane zögerte, ihr Abzugsfinger war angespannt. Sie starrte in die Dunkelheit und wartete auf... sie wußte nicht, worauf. Ein Stoß erschütterte sie, und Shane sprang in Deckung. Als sie sich sicher fühlte, lugte sie vorsichtig um die Ecke. Nathan hatte ganz in ihrer Nähe Schutz gesucht. Und dort? Was war das? Ein Schatten auf der gegenüberliegenden Seite des Raums. Ein sich bewegender Schatten. Ein Silikant. Shane würde den Schatten eines Silikanten jederzeit identifizieren. Er stand vor einer Kontrolltafel, die der Regulierung des Mischungsverhältnisses von Sauerstoff und Kohlendioxid diente. Der Silikant machte sich daran, die Tafel langsam und systematisch zu zerstören. Shane und Nathan sprangen auf und hoben ihre Waffen. Sie wollten dieses... Ding nicht töten. Sie brauchten es. Es hatte Informationen, die ihnen vielleicht nützlich sein konnten. »Halt! Laß deine...!« rief Nathan. Der K.I. fuhr herum, dann warf er sich in Deckung. »Feuer!« schrie Shane. Beide schossen, um das Wesen aufzuhalten. Dann hielten sie inne und lauschten. Der Raum war unheimlich still. »Wir müssen die Luftversorgung reparieren!« flüsterte Nathan. »Und zwar schnell. Laß uns die Schalttafel überprüfen.«
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»Ich weiß nicht«, entgegnete Shane. »Wir haben keine Ahnung, wo er steckt.« »Gib mir Deckung.« »Ich weiß nicht«, sagte Shane noch einmal. Nathan kam näher und sah ihr in die Augen. Er wurde langsam wütend. »Ohne Luft werden wir verrecken, Shane«, sagte er. »Ich muß herausfinden, was der K.I. mit dieser Kontrolltafel angestellt hat. Also, gib mir Deckung. Okay?« »Okay, ich gehe zuerst. Du hältst dir den Rücken fr ei.« Sie schlüpfte mit erhobener Waffe aus den Schatten. Dann arbeitete sie sich in einer diagonalen Linie vor, dabei behielt sie Nathan jede Sekunde im Auge. Sie hatten die Kontrolltafel fast erreicht, als Shane rechter Hand aus der Dunkelheit ein Geräusch hörte. Nathan schritt unverdrossen weiter. Er hatte offenbar nichts gehört. Shane stand vor ihm an der Kontrolltafel und hob ihre Waffe. Sie lauschte in die Stille. Dann hörte sie Nathans Finger, die über die Tastatur glitten. Shane stand völlig frei und bot ein leichtes Ziel. Wenn die K.I. hinter ihr her waren, dann konnten sie sie jetzt niederschießen. Ganz einfach.
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8 Zur gleichen Zeit, als Nathan die Kontrolltafel überprüfte, stand Cooper untätig herum. Die K.I. waren irgendwo vor ihm; und irgendwo hinter ihm die Nachhut: Damphousse und Gwynn. Und er brauchte ihre Hilfe, um die Tür vor seiner Nase zu öffnen. Brauchte er sie wirklich? Er versuchte es abermals im Alleingang, doch es war zwecklos. Hier war mehr als schiere Körperkraft gefragt. Es war zu kompliziert. Dazu gehörte Einfallsreichtum. »Macht schon!« knirschte Cooper, als Damphousse und Gwynn endlich auftauchten. Gwynn nahm die verschlossene Tür in Angriff und untersuchte den Mechanismus. Zuerst mußte er die Alarmschaltung lahmlegen. Er arbeitete schnell. Er konnte die Anspannung seiner Kameraden spüren. Als das Rotlicht und der Signalton abgeschaltet waren, trat er zurück. Nun war Damphousse an der Reihe. Es dauerte seine Zeit, aber schließlich gab die Tür nach. Cooper eilte voraus. Wang und Gordon erwarteten ihn bereits. Stocksteif und reglos. Sie schienen jemanden... etwas... irgendwo... weiter hinten zu wittern. »Was ist?« fragte Cooper. »Kommt schon!« Wang stand wie angewurzelt und starrte stumm geradeaus. Cooper wollte noch etwas sagen, als er die beiden Schatten bemerkte, die mit erhobenen Waffen hinter Wang und Gordon aus der Dunkelheit auftauchten. »K.I.«, murmelte Cooper. »Dreh dich mal um«, flüsterte Wang ihm zu. Cooper folgte der Aufforderung. Hinter ihm waren zwei weitere Silikanten erschienen. Die Marines waren umzingelt.
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Sie ließen ihre Waffen sinken und verhielten sich still und abwartend. Sie mußten nicht lange warten. Feliciti OH 519 war eine K.I. wie jeder andere Silikant und doch irgendwie anders. Sie war geschaffen worden, um zu führen. Früher war sie sehr attraktiv gewesen. Doch jetzt war sie unübersehbar ramponiert. Sie hatte viele, viele Kämpfe mitgemacht, und ihre Haut war an einigen Stellen aufgerissen. Feliciti OH scannte die Marines mit kalten, stechenden Fadenkreuzaugen. »Ihr verfügt über Informationen, die ich brauche«, zischte sie. »Bereitet euch darauf vor, sie mir zu geben.« Cooper und Damphousse warfen sich einen Blick zu. Was konnten die K.I. von ihnen wollen? Im Atmosphärenkontrollraum überprüfte Nathan immer noch die Anzeigen. »Der K.I. hat die Luftzufuhr abgedreht«, verkündete er nach einer Weile. »Wir können sie nicht mehr einschalten. So wie’s aussieht, haben wir noch für ungefähr eine Stunde Luft. Danach brauchen wir die Atemgeräte.« Shane duckte sich und suchte die Dunkelheit ringsum nach dem Silikanten ab. »Vielleicht haben wir ihn getroffen, Nathan«, sagte sie. »Vielleicht ist er hinüber.« »Keine Ahnung. Aber ich weiß, daß wir bald tot sind, wenn wir nichts gegen die Luftknappheit unternehmen.« Shane nahm ihren Helm ab. Nathan tat es ihr gleich und prüfte die Anzeige an seinem Anzug. »Ich bin bei zwanzig Prozent«, sagte er. »Das sollte...« Er unterbrach sich und starrte in eine Ecke. »Was ist?« fragte Shane. »Pssst. Hör mal!« 39
Sie standen Seite an Seite und lauschten. Ein leises Rascheln war zu hören. Shane hob ihre Waffe und huschte durch den Kontrollraum. Als sie fast am anderen Ende angelangt war, bemerkte sie ein leises Schluchzen. Jemand weinte. Shane näherte sich der Quelle des ungewöhnlichen Geräusches und schlug den Kolben ihrer Waffe gegen einen Stapel Metallcontainer. »Bitte!« ließ sich eine Stimme vernehmen. »Nicht...!« »Identifizieren Sie sich!« befahl Shane. »Ich bin ein Bergarbeiter. Ich arbeite hier. Ich bin geflohen, nachdem...« Natürlich! Der zehnte Bergarbeiter. Den hatte sie fast vergessen. Ein kleiner alter Mann mit einem schmutzigen Gesicht tauchte hinter den Containern auf. Er hielt die Hände über den Kopf, und in seinen Augen standen Tränen. Er war unübersehbar verängstigt. »Sind Sie die ganze Zeit hiergewesen?« fragte Nathan sanft. Der Mann nickte und nahm die Hände runter. »Wir wollen Ihnen nichts tun«, versicherte Shane. »Wir wurden hergeschickt, um sie während des Erztransfers zu beschützen.« »Zu spät«, erwiderte der Mann, »ich bin der einzige Überlebende. Hier wird niemand mehr irgend was transferieren.« Shane wollte den Mann fragen, was passiert war, doch sie fürchtete die Antwort. Nathan übernahm das für sie. »Was war los?« fragte er. Der alte Mann schloß die Augen. Doch im nächsten Moment öffnete er sie wieder. Ein Ausdruck von Todesangst flog über sein Gesicht. 40
Shane kannte diesen Ausdruck. Der Mann erinnerte sich an etwas Schreckliches. »Sie waren meine Freunde«, sagte er leise. »Ich habe mit den meisten mein ganzes Leben lang gearbeitet. Sie waren meine Familie. Diese... diese... diese Dinger kamen in unser Bergwerk und schlachteten alle ab.« »Und Sie?« fragte Shane. »Ich konnte fliehen. Was sind das für Wesen? Sie klangen wie... Computer. Aber sie sahen aus wie Menschen. Haben Sie sie geschnappt?« Shane berichtete ihm von den K.I. »Es war furchtbar«, sagte der Mann. Und dann weinte er wieder. »Ich weiß«, nickte Shane. »Aber es kommt schon wieder alles in Ordnung.« Doch sie war sich ihrer Worte gar nicht so siche r. Trotzdem mußte sie sie aussprechen. Für ihn. Und für sich selbst. Sie standen schweigend da. Keiner wußte, was er sagen sollte. Der Raum war still. Sie atmeten flach, denn die Luft wurde immer knapper. Und dann... Was war das? Ein leises Klicken. Piepser. Statik. Nathan und Shane richteten sich auf. Sie spitzten die Ohren und gingen auf das Geräusch zu. »In Deckung!« flüsterte Shane dem alten Mann zu. Nachdem er sich verzogen hatte, gaben Shane und Nathan sich gegenseitig Feuerschutz. Sie zählten leise bis zehn, dann stürmten sie mit den Gewehren im Anschlag los. Shane sah den K.I. zuerst. Er lag hinter einer Maschine und bewegte sich nicht. »Alles klar«, rief Shane. Der Bergarbeiter kam wieder zum Vorschein. Aber er hielt sich zitternd im Hintergrund.
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Die Piepser und das Klicken kamen tatsächlich von dem K.I. Aber es gab keinen Grund, sich länger vor ihm zu fürchten. Er lag sterbend auf dem Boden. Seine Kunststoffhaut war zerfetzt. Dunkelbraunes Schmieröl sickerte ihm aus den Ohren. Seine Fadenkreuzaugen waren auf etwas Unsichtbares gerichtet. Aber was mochte er anstarren? »Der ist am Ende«, flüsterte Nathan Shane zu. Sie standen Seite an Seite über dem Silikanten und hörten seinen letzten Piepsern zu. Doch dann vernahmen sie ein neues Geräusch. Aus einem Lautsprecher in der Brust des K.I. kamen Worte. Ein schmerzverzerrtes Stöhnen. Ein Schrei. Gefechtslärm. Ein weiterer Schrei, lauter diesmal. Und dann... »Mein Name ist Damphousse«, drang eine ferne Stimme aus dem Lautsprecher. »Vanessa Damphousse. Lie utenant Vanessa Damphousse. Dienstnummer 5BS1927. WARTET! STOPP! LASST IHN IN RUHE!« Und dann Coopers Stimme. Shane konnte den Schmerz in seinen Worten hören. »Sag Ihnen nichts, Damphousse«, keuchte er. »Sag Ihnen...!« Coopers Flehen verstummte. Er schrie. Es war ein furchtbarer Schrei, ein Schrei des Schreckens. Es war der Schrei eines Mannes, der gefoltert wurde. Und dann hörten sie eine andere Stimme. Eine Stimme ohne Emotionen. Die Stimme eines Silikanten. »Du wirst mir jetzt sagen«, begann sie, »du wirst mir jetzt sagen, wer euer Anführer ist.« Shane sprang auf und starrte Nathan an. »Warum?« entfuhr es ihr. Nathan bedeutete ihr, still zu sein. Er lehnte sich nach vorne und lauschte dem Dialog aus dem Brustkorb des Silikanten. »Cooper«, flüsterte Nathan. »Und Damphousse. Sie werden...« 42
Er beendete den Satz nicht. Das war auch nicht nötig. Shane wußte genau, was geschah. Das Geräusch von Waffen knisterte durch den Lautsprecher. Zuerst nur eine Waffe, dann mehrere. Irgendwo wurden ihre Kameraden gefoltert. Waffen wurden abgefeuert. Und dann... nur noch statisches Rauschen. Shane schloß die Augen. Sie zitterte am ganzen Leib. Ihre Knie wurden weich. Während sie die letzten Piepser des K.I. hörte, stand ihr wieder das Bild ihrer Eltern vor Augen. Sie wollte es aus ihrem Kopf verbannen. Aber die Erinnerung wollte nicht weichen. Es war soweit. Die Zeit war endlich gekommen.
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9 Shane hatte gehört, wie Cooper gefoltert wurde, aber sie wußte nicht, wie schlimm es war. Niemand wußte das. Außer Cooper. Er befand sich irgendwo auf der anderen Seite des Bergwerks. Seine Augen waren geschlossen. Er stöhnte leise. Die Seile, mit denen ihn die K.I. aufrecht an ein Rohr gefesselt hatten, schnitten tief in seine Handgelenke. Sein Körper schmerzte von den Schlägen. Cooper hing an einem Rohr ganz in der Nähe des Eingangs der Anlage. Vier weitere Mitglieder der Achtundfünfzigsten waren neben ihm aufgehängt worden. Ihre Augen verrieten ihren Schmerz. Aber sie schrien nicht. Diesmal nicht. Nie wieder. Sie gehörten zur Achtund fünfzigsten. Sie waren Marines. Unter ihnen belferte Feliciti OH Befehle. »Schafft das Helium 3 auf das Fahrzeug und haltet euch bereit, schnell von hier zu verschwinden! Wir kennen den Standort ihres Anführers noch nicht, aber wir werden...« Ein durchdringendes Knirschen und eine Serie digitaler Piepser unterbrachen sie. Feliciti OH drehte sich um. Justin EBs Modem piepste wütend. »Brandon IM ist immer noch funktionsuntüchtig«, meldete Justin. »Zwei Karbon-Einheiten haben ihn gefangengenommen.« »Position?« fragte Feliciti OH. »Unbekannt«, antwortete Justin EB. »Eine Fehlfunktion.« Feliciti wandte sich wieder den Marines zu, die hilflos vor ihr baumelten. Ihre Genugtuung über die Lage der Menschen hatte sich in Haß verwandelt. »Wo sind die anderen Mitglieder eurer Einheit? Wer ist euer Anführer?« 44
Die Marines blieben ihr eine Antwort schuldig, und Feliciti OH’s Miene verzerrte sich vor Wut. »Wenn unsere Einheit dran glauben muß«, zischte sie böse, »dann seid auch ihr geliefert. Sagt mir, wo euer Anführer ist! Ich brauche euren Anführer!« Sie wollte Shane. Aber warum? »Ich bin ein Führer«, rief Feliciti OH. »Die Führer sind wichtig. Die Führer geben Befehle. Sagt mir, wo ich euren Führer finde!« Cooper schüttelte den Kopf; er brachte sogar ein Lächeln zustande. Diese Maschinenwesen waren völlig durchgeknallt. Sie wollten nicht Shane. Sie wollten den Anführer. Wer auch immer das war. Sie hatten keine Ahnung, wer Shane war. Im Atmosphärenkontrollraum untersuchten Shane und Nathan den sterbenden K.I. Das digitale Muster, das sein Körper von sich gab, klang beinahe verzweifelt. »Ich habe Wang und Gordon nicht gehört«, sagte Shane. »Aber die K.I. haben anscheinend Hawkes und Damphousse gefunden.« Nathan beugte sich über den zuckenden Silikanten. »Diese Einheit funktioniert noch«, sagte er, »aber...« Plötzlich wurde das digitale Muster wieder lauter und überschlug sich fast. Shane hielt sich die Ohren zu. »Was für ein widerwärtiges Geräusch«, sagte sie. »Das ist ihre Form der Kommunikation«, erklärte Nathan. »Sie sind durch ein kabelloses Modem miteinander verbunden. Diese Einheit wird versuchen, ihre Position an die anderen durchzugeben.« »Dann finden sie uns«, flüsterte Shane. Aber Nathan hatte einen Plan. »Nicht, wenn wir ihnen zuvorkommen.«
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Nathan zog sein Kampfmesser aus der Scheide und schnitt in die Kunststoffhaut des K.I. Dunkles Öl sickerte aus dem Maschinenwesen und bildete eine Lache auf dem Boden. »Ich werde versuchen, seinen RAM-Speicher anzuzapfen«, sagte Nathan und drehte die Klinge. »Vielleicht haben die anderen Silikanten dieser Einheit hier ihre Position mitgeteilt.« Nathan schnitt noch tiefer und richtete sich ein wenig auf. Er studierte seinen Patienten wie ein Chirurg bei einer Operation. Kabelmeilen schlängelten sich durch den synthetischen Körper. In die Schädeldecke waren Sender/Empfänger und Radio lautsprecher eingelassen. »Schnell, Shane. Zerbrich die Glühbirne in deiner Lampe, aber achte darauf, daß der Wolframfaden intakt bleibt.« Shane riß ihr Messer aus der Scheide an ihrem Gürtel. Sie knackte damit das Glas der Lampe und legte die beiden hauchdünnen Wolframfäden frei. »Schnell, er schaltet sich ab«, flüsterte Nathan. »Halt die Drähte an seine rechte Schläfe.« »Ich könnte seine rechte Schläfe nicht...« »HINTER DEM OHR! MACH SCHON!« Shane stieß die Drähte in einen Kontakt hinter dem Ohr des Silikanten. Die digitalen Signale kamen in immer schnellerer Abfolge. Sekunden später waren sie zu einem gleichmäßigen Sirren verschmolzen. Dann verflüchtigte sich das Signal, und die Stimme einer weiblichen K.I.-Einheit ertönte aus dem Lautsprecher. »Sie greifen die Menschenkolonie auf Vesta an«, berichtete die Stimme. »Das ist altes Zeug«, sagte Nathan. »Versuch es mal einen Zentimeter weiter oben.« Shane aktivierte einen anderen Kontakt und wartete. Diesmal ließ sich eine männliche Stimme vernehmen. »Geht Risiken ein!«, predigte sie. »Tötet sie alle! Reinigt die Erde von den Menschen!« 46
Shane erschauderte. »Das war der Beginn der K.I.Revolution«, sagte sie. »Ich weiß nicht...« »NOCH MAL!« fuhr Nathan sie an. »NOCH MAL! DAS DING STIRBT!« Als Shane den nächsten Kontakt ausprobierte, wechselte das digitale Muster zu einem andauernden tiefen Summen. »Silikanten verfügen über ein kollektives Gedächtnis«, erklärte Nathan. »Jede einzelne Einheit teilt die Erfahrungen aller übrigen Einheiten.« Plötzlich begann der Körper des Silikanten zu zucken. Seine Augen bewegten sich hektisch hin und her. Dann sprach er, quälend langsam, ein paar Worte: »01:30:23 Übertragung erhalten... Feliciti OH 519... Gegenwärtige Position... Plattform A... Luftschleuse...« Bei dem Wort »Luftschleuse« sackte der K.I. endgültig in sich zusammen. Die Maschine war gewissermaßen tot. Aber noch nicht ganz. »Die Einheit zeigt noch Restfunktionen«, flüsterte Nathan. »Aber wir haben, was wir wollten«, sagte Shane. »Wir wissen, wo sie Cooper und die anderen gefangenhalten.« Nathan nickte und wollte sich in Bewegung setzen. Aber Shane und der Bergarbeiter blieben, wo sie waren. »Also ist jeder K.I. in der Lage, jedes Ereignis der Vergangenhe it aus dem kollektiven Gedächtnis abzurufen«, überlegte Shane laut. »Selbst wenn es außerhalb seiner eigenen Existenzspanne liegt. Dann könnte diese Einheit also erklären, warum meine Eltern ermordet wurden, oder nicht?« Das sterbende Maschinenwesen konnte den Tod ihrer Eltern rekonstruieren. Es konnte ihr alles sagen, was sie wissen wollte. Nathan berührte sie sacht an der Schulter und reichte ihr das Gewehr. »Du hast jetzt eine neue Familie. Und es liegt an uns, sie zu retten.«
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Der Bergarbeiter wich nicht von Shanes Seite. Sie wußte, daß er sich auf sie verließ. »Ich möchte nicht noch einmal hören, was meinen Kameraden zugestoßen ist«, sagte er. »Muß ich?« Shane lächelte. »Natürlich nicht«, erwiderte sie. »Und ich muß auch keine alten Wunden aufreißen, wenn ich nicht will. Und ich denke, ich will nicht.« Sie stand auf und wandte sich ab, doch dann drehte sie sich noch einmal zu dem Maschinenwesen um. Schließlich entfernte sie sich von ihm, voller Verachtung für jeden einzelnen Silikanten.
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10 In derselben Sekunde, als Shane, Nathan und der Bergarbeiter sich auf den Weg zur Plattform A machten, grinste Feliciti OH ihr neues Opfer böse an. Der Industriebohrer bewegte sich immer näher und näher auf Wang zu. Sie beobachtete, wie er verzweifelt versuchte, seine Angst zu unterdrücken. Aber er hatte Angst. Sie konnte es an seinen Augen sehen. Feliciti schritt die Reihe ihrer Gefangenen ab. Sie ließ den schweren Bohrer lauter schrillen und beobachtete die Reaktionen der Marines. Gordon und Damphousse schienen ruhig, aber Feliciti wußte, daß das nur Fassade war. Sie lächelte und ging weiter zu Cooper. Sie umkreiste ihn langsam. Dieser hier ist anders, dachte sie. Was mochte ihn von seinen Kameraden unterscheiden? Er sah aus wie sie... Natürlich! Sie entdeckte die kleine Beule in seinem Genick und fuhr mit einer Hand in seinen Haarschopf. Dieser hier hatte einen Intro-Nabel. Er war ein Tank. Feliciti trat einen Schritt zurück und lachte schallend. Ein dämlicher Tank in einer Marine-Einheit? Das konnte nur ein Witz sein. »Was hast du hier verloren?« erkundigte sie sich bei Cooper. »Warum kämpfst du für diese Menschen? Sie haben euch gezüchtet, um uns zu töten, damit sie nicht selber sterben mußten. Ihr seid nichts als Kanonenfutter!« Cooper streckte sich und sah weg. Er hatte diese Leier schon oft gehört. Als er jung war, hatte sie ihn auf Schritt und Tritt verfolgt. »Hey, Tank«, hatten sie gerufen, »was ist das für’n Ding in deinem Nacken?« 49
»Hey, Tank«, hatten sie gerufen, »stammst du aus ‘ner Schote in ‘nem Reagenzglas?« »Wie ‘ne Riesenerbse?« »Hast nicht mal ‘ne Mama, was?« »Der Tank hat keine Eltern«, hatten sie gerufen, »und trotzdem ist er kein Waisenknabe.« »Kannst nicht träumen, Tank!« »Kannst nicht weinen!« Mit den Tränen hatten sie recht gehabt. Er konnt e tatsächlich nicht weinen. Aber was die Träume anging, hatten sie sich geirrt. Er wußte, was Alpträume waren. Sie rissen ihn Nacht für Nacht aus dem Schlaf... »Du schuldest ihnen nichts«, rief Feliciti OH’s Stimme ihn in die Gegenwart zurück. Vielleicht hat sie damit sogar recht, dachte Cooper. Was hatten die Menschen je für ihn getan? Sie hatten ihn ausgelacht. Sie hatten ihm Spottnamen nachgerufen. Seine Augen mußten seine Zweifel verraten haben, denn Feliciti OH kam neugierig näher. »Ich habe recht«, sagte sie. »Die Menschen haben nichts für dich getan. Sie haben dich nur mißbraucht. Die verschreckten kleinen Karbon-Einheiten brauchten jemanden, der gegen uns kämpfte. Wir wollten sie überrollen, und sie bekamen es mit der Angst zu tun. Sie hatten soviel Angst, daß sie sich nicht einmal selber zu kämpfen trauten. Also bauten sie die Brutfabriken und züchteten Söldner heran. Wie dich! Sie dachten, sie hätten gewonnen. Sie dachten, sie hätten die Erde von den K.I. befreit. Aber das war ein Irrtum. Sie machten sich auf in den Weltraum, um fremde Welten zu erobern. Aber wir waren clever. Äußerst clever. Und jetzt sind wir hier. Und ihr Tanks seid immer noch Narren.« Vielleicht, dachte Cooper, vielleicht hat sie wirk lich recht. 50
»Sag mir, wo die anderen sind ! Sag mir, wo euer Anführer ist! Dann lasse ich dich gehen.« Nein. Nein. Sie hat unrecht. Die anderen, die Gefangenen an meiner Seite, sind meine Kameraden. Sie würden jederzeit für mich einstehen. Cooper starrte sie aus haßerfüllten Augen an. Felicia OH grinste und tippte auf den Intro-Nabel. »Nun komm schon, Tank!« drängte sie. Cooper zuckte zurück, aber er konnte nirgendwohin ausweichen. Die Anführerin der Silikanten grinste abermals und bewegte die Spitze des Industriebohrers auf Coopers Nacken zu. Jede Faser seines Körpers verkrampfte sich; auf seiner Stirn bildeten sich Schweißperlen. Er mußte etwas unternehmen... und zwar schnell. Aber was? Und dann wußte er es. »Geht Risiken ein!« brachte er mit aller Kraft, die noch in ihm steckte, heraus. Feliciti OH runzelte die Stirn und hielt inne. »Ein Spiel«, erklärte Cooper. »Wenn ihr gewinnt, sagen wir euch, was ihr wissen wollt. Wenn wir gewinnen, laßt ihr uns gehen.« Cooper wußte, daß er des Rätsels Lösung gefunden hatte. Er hatte die Silikanten am Haken. »Geht Risiken ein!« war die einzige Phrase, die sie aufhalten konnte. Aber der Rest der Achtundfünfzigsten war von dieser Idee alles andere als begeistert. »Du hast doch gesagt, In-Vitros hätten kein Glück im Spiel, Cooper«, erinnerte ihn Wang krächzend. »Weißt du, was du da tust?« rief Damphousse. »Wenn du verlierst, mußt du...« Cooper wußte, was sie sagen wollte. Er würde ihnen Shane ausliefern müssen. Aber er würde nicht verlieren. Auf keinen Fall. »Kein Problem«, versicherte er und schnitt ihr das Wort ab. 51
Er war zuversichtlich. Er war ein Gewinner. Nie mand konnte ihm das Wasser reichen. Seine Herkunft spielte hier keine Rolle.
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11 Feliciti OH war entzückt. »Du hast die Wette initiiert«, sagte sie, »also bestimme ich das Spiel. Wir spielen Blackjack mit einem Satz Karten. Ich werde keine weiteren Karten aufnehmen, wenn ich siebzehn Punkte habe.« Sie zog ein Kartenspiel aus ihrer Tasche und mischte. Sie war sehr gut darin. Offensichtlich tat sie es nicht zum ersten Mal. Die Achtundfünfzigste Staffel ließ sie nicht aus den Augen. »Was hat sie gesagt?« fragte Cooper. »Zähle einfach die Punkte auf deinen Karten«, sagte Wang. »Wer am nächsten an einundzwanzig rankommt, hat gewonnen.« Cooper nickte und beobachtete die Anführerin der Silikanten. Er sah, daß sie sich auf die Partie freute. Sie war sicher, daß sie gewinnen würde. Aber Cooper wußte es besser. Er war ein Gewinner. Er würde sie bei diesem Spiel schlagen. Und dann würde er frei sein. Plötzlich unterbrach Feliciti ihre Beschäftigung mit den Spielkarten und versteifte sich. Ein entferntes digitales Muster drang aus Justin EBs Modem. Sie ging auf ihn zu. Das Muster wurde schwächer. Feliciti preßte die Wange an Justin EBs Brust und lauschte. Einen Augenblick später richtete sie sich wieder auf. Das Modem war verstummt. Es war... vollkommen still. Feliciti OH ging wieder auf Cooper zu und blieb lange vor ihm stehen. Sie dachte über irgend etwas nach. Die Achtundfünfzigste wartete schweigend. Die ganze Staffel ahnte, daß etwas Unvorhergesehenes geschehen war. Aber sie wußten nicht, was es war.
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»Der Einsatz ist gerade eben erhöht worden«, sagte Feliciti OH endlich. »Die Brandon-IM-Einheit hat ihre Funktion eingestellt. Nun spielt ihr nicht mehr um eure Freiheit. Ihr spielt um euer Leben. Und um das Leben eures Anführers.« »Was soll das bedeuten?« flüsterte Wang Damphousse zu. »Das bedeutet, daß er tot ist. Vorausgesetzt, ein K.I. kann überhaupt sterben.« Feliciti blickte auf und starrte ihn an. Dann trat sie vor. Cooper stoppte sie. »Denk an das Spiel!« erma hnte er sie. »Geh ein Risiko ein!« Feliciti drehte sich um und mischte die Karten noch flinker als zuvor. Dann legte sie sie zu einem Stapel zusammen. »Bereit zu verlieren, Tank?« lachte sie. »Sei dir da nicht so sicher«, erwiderte Cooper. »Unterschätze nie einen...!« Feliciti OH warf ihm die erste Karte vor die Füße. Es war eine Zehn. »Das bedeutet zehn Punkte für dich!« verkündete Feliciti wütend. Cooper sah sie von oben herab an. Eine Zehn ist genau richtig, vielen Dank. Sie legte ihre erste Karte mit dem Bild nach unten ab, so daß niemand sie sehen konnte. Dann gab sie Cooper eine weitere Karte. Eine Sieben. »Siebzehn Punkte für dich.« Sie zog eine neue Karte und drehte sie um. Eine Neun. »Es liegt an dir«, lachte sie. Cooper sah die anderen an und runzelte die Stirn. Wang schüttelte den Kopf. Siebzehn war eine gute Zahl. Aber Cooper ging nicht darauf ein. Feliciti hatte eine Neun aufgedeckt. Was, wenn ihre verdeckte Karte eine Zehn war. Dann hätte sie neunzehn Punkte. Und das Leben der Marines. »Noch eine!« verlangte Cooper. 54
»Tank«, sagte Feliciti OH sanft, »du dämlicher Tank.« Cooper wußte, daß sie ihn aus der Ruhe bringen wollte. Aber er würde jetzt nicht kneifen. Nicht dieses Mal. Dieses Mal würde er gewinnen. »WARTE!« kreischte Wang. »Tu das nicht, Cooper! Es ist die falsche Strategie.« »Er hat recht«, stimmte Damphousse ihm zu. »Halt dich zurück. Die nächste Karte bringt dich über einundzwanzig.« Cooper schüttelte den Kopf. »Noch eine!« wiederholte er, diesmal lauter. Wang und Damphousse schlossen die Augen. Sie konnten das nicht mit ansehen. Schließlich spielte Cooper hier auch um ihre Haut. Die Lage war todernst. Feliciti OH drehte die nächste Karte um. Damphousse und Wang öffneten die Augen und sahen nach unten. Alles in Ordnung. Ein As. Achtze hn Punkte für Cooper. Er konnte immer noch verlieren, wenn ihre verdeckte Karte eine Zehn war. Er dachte daran, noch eine Karte zu nehmen, aber das wäre Wahnsinn gewesen. »Okay«, sagte er. »Ich bleibe bei achtzehn.« Cooper schloß die Augen. Dann öffnete er sie wieder und wartete darauf, daß Feliciti OH ihre Karte umdrehte. Sie ließ sich Zeit. Sie wußte, daß die Körper der Marines mittlerweile höllisch schmerzen mußten. Sie würde das hier so lange wie möglich hinaus zögern. Sie wollte ihre Handgelenke bluten sehen. Sie wollte sie schreien und um Gnade betteln hören. Sie war darauf programmiert. Irgend jemand hatte dieses Detail vor langer Zeit hinzugefügt. Jemand, der gemein war. Jemand, der einen Krieg auch dann noch weiterführen wollte, wenn er nicht mehr zu gewinnen war. Sie ging auf und ab. Sie stieß die Stiefel der Marines an. 55
Sie spielte mit dem Kartenstapel. Nur noch einen Augenblick. Einen winzigen Augenblick. Die Marines beobachteten sie. Sie ließen das Kartenspiel keine Sekunde aus den Augen. Sie war eine K.I. Zu allem fähig. Und ganz bestimmt war sie fähig, die nächste Karte umzudrehen. »Dreh sie um!« rief Cooper. »Geh ein Risiko ein!« »Bitte mich!« lachte Feliciti OH. »Geh ein Risiko ein, du verdammter Plastikhaufen!« Sie drehte die Karte um. Es war eine Sechs. Achtzehn Punkte für Cooper, fünfzehn Punkte für die K.I. »Ich nehme noch eine Karte«, sagte Feliciti OH. »Natürlich tust du das«, zischte Cooper. »Du hast gar keine andere Wahl. Du bist nur ein blöder Computer. Ein lausiger, blöder Computer. In deinem dummen Kopf steckt nichts außer einem Haufen Drähte.« Sie achtete nicht auf ihn. Sie konzentrierte sich auf die Karten, als wollte sie den Wert der nächsten Spielkarte ergründen. Sie wollte ein Risiko eingehen. Ihre dritte Karte war eine Fünf. Sie hatte fünfzehn Punkte auf der Hand gehabt. Nun hatte sie zwanzig. Feliciti blickte zu den gefesselten Achtundfünfzigern auf und grinste gemein. Eine Zeitlang sagte sie gar nichts. Sie stand nur da und zeigte ein unverschämtes, überlegenes Robotergrinsen. Und sie ließ sie unerbittlich im eigenen Saft schmoren. Sie war die Gewinnerin. Das Leben der Marines lag nun in ihrer Hand.
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»Zwanzig Punkte für mich!« sagte sie schließlich und lachte. »Sieht aus, als hätte ich gewonnen.« Wang streckte einen Fuß aus und stieß Damphousse an. Sie drehte den Kopf und hob die Schultern. Es gab nichts zu sagen. Sie wußten, was ihnen jetzt bevorstand. Und sie konnten nicht das geringste dagegen tun. »Dein Auftritt, Jean-Paul«, sagte Feliciti OH. Der K.I. namens Jean-Paul war bereit. Er hob langsam seine Automatik und kam näher. Dann drückte er die Mündung seiner Waffe zwischen Coopers Augen. »›Blöde Computer‹«, fauchte er, »hast du uns ›blöde Computer‹ genannt, du dämlicher Tank?« »Genau das seid ihr.« »Halt die Klappe, Cooper!« flüsterte Damphousse. »Halt, um Gottes willen, die Klappe!« Ihre Stimme bebte. Cooper wußte, daß sie große Angst hatte. Sie waren Freunde. Er hob die Schultern. »Tut mir leid«, sagte er. »Ich hab’s versucht.« »Schon gut«, entgegnete sie. »Es ist nicht deine Schuld. Kein Glück im Spiel. Vielleicht sollten wir besser für eine Weile still sein.« Cooper hielt den Mund. Er sagte kein Wort mehr. Er dachte über Schmerz nach. Warum hatte man ihnen bei der Züchtung nicht das Schmerzempfinden genommen? Wenn sie eine perfekte Tomate herstellen konnten, warum dann nicht auch einen perfekten In-Vitro? Ohne Schmerzempfinden. Jean-Paul kam näher. Er hob die Waffe. Sein Arm streckte sich. Er zielte. »Sag uns, was wir wissen wollen«, forderte er. Niemand sprach. Jean-Paul trat einen weiteren Schritt vor. Bevor er abdrücken konnte, krachte ein Schuß.
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Die Jean-Paul-Einheit wurde wie von einer unsichtbaren Hand nach hinten gerissen. Dann fiel sie funkensprühend um.
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12 Shane Vansen war außer sich. Sie lehnte an einer Brüstung und beobachtete die Szene weiter unten. Sie sah ihre gefesselt aufgehängten Kameraden. Und vor ihnen die widerlichen Kreaturen, die ihre Eltern getötet hatten. Ihr Schuß hatte eine von ihnen umgenietet. Aber da waren noch mehr. Eine ganze Menge mehr. Sie drehte sich zu Nathan um, der sich in einen Schatten gekauert hatte. Sein Atem ging in schnellen, fiebrigen Zügen. Sie versuchte sich an seine Worte zu erinnern. Du hast jetzt eine neue Familie. Und es liegt an uns, sie zu retten. Waren das seine Worte gewesen? Shane führte den Bergarbeiter in eine Nische im Hintergrund und wies ihn an, sich dort zu verstecken. »Ich komme später wieder zu Ihnen zurück«, sagte sie. »Versprochen.« Der alte Mann nickte und verschwand in der dunklen Nische. Shane kehrte zurück an die Brüstung. Die Menschen dort unten waren ihre Familie. Wenn sie nichts unternahm, würden sie in der nächsten Sekunde sterben. Nathan hatte sich erhoben und kam auf sie zu. Als er neben ihr stand, berührte er ihren Arm. »Fertig?« fragte er. »Fertig.« »Halt die Augen auf«, flüsterte er und feuerte. Shane wußte, was er meinte. Eine verirrte Kugel konnte leicht einen ihrer Kameraden töten. Sie zielte, und ihre Waffe schien zu explodieren. Sie feuerte noch einmal und noch einmal. Die Silikanten stoben auseinander und suchten Deckung.
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Aber einer von ihnen war clever. Er rührte sich nicht von der Stelle. Dann schob er langsam ein Magazin in seine Waffe und legte auf Damphousse an. Shane zuckte zurück. Sie packte Nathans Uniform und zog ihn nach hinten. »Feuer einstellen!« befahl sie. Der K.I. blieb reglos stehen, die Mündung seiner Waffe war auf Damphousse gerichtet. Dann machte er einen Fehler. Er sah nach oben. Damphousse war darauf vorbereitet. Mit einer letzten Kraftanstrengung zog sie die Knie an und trat nach ihm. Die Wucht des Stoßes reichte aus, um den Silikanten quer durch den Raum zu schleudern und auf dem harten Boden landen zu lassen. »Feuer!« sagte Nathan gedämpft. Aber Shane wollte noch warten. »Noch nicht«, entgegnete sie. »Laß die anderen erst ihre Deckung verlassen. Die werden sich nicht lange versteckt halten. Das können sie gar nicht. Es liegt nicht in ihrer Natur. Sie müssen rauskommen und ein Risiko eingehen.« Shane und Nathan warteten. Dann wurden die K.I. wieder sichtbar. Langsam. Einer nach dem anderen. Erst fünf. Dann sechs. Dann mehr und noch mehr. Zu viele, um den Überblick zu behalten. »Ich habe gehört, ihr sucht nach mir«, rief Shane von ihrem Standort an der Brüstung aus. »Ich bin die Anführerin.« Dann richtete sie sich zu ihrer vollen Größe auf und brüllte: »Feuer!« Ihr Gewehr spukte Garbe um Garbe aus, während Shane an einer der Rohrleitungen nach unten glitt. Nathan blieb zurück und gab ihr Feuerschutz. Sein Gewehr fauchte und lärmte. Die Waffen der Silikanten antworteten prompt. Shane zögerte, als sie über den Köpfen der anderen Marines baumelte, und sah nach unten. 60
Sie mußte ohnmächtig zusehen, wie die K.I. ihre Waffen auf die gefesselten Achtundfünfziger richteten. Aber Nathan reagierte unverzüglich. Ein wahrer Geschoßregen prasselte auf die Silikanten nieder. Mit jedem Treffer schienen Schaltkreise zu explo dieren; Funken schlugen aus künstlichen Körpern. Schließlich ebbte die Schießerei ab. Shane ließ sich fallen und bewegte sich auf Cooper und die anderen zu. Sie schnitt einen nach dem anderen los. »Danke«, sagten sie. »Danke, Shane.« Sie waren ihre Kameraden. Ihre Familie. Die Achtundfünfzigste Staffel war frei. Während Wang ihre Waffen einsammelte, gingen die anderen bereits in Deckung. Dann nahmen die Marines im Schutz tiefer Schatten die übriggebliebenen Silikanten unter Beschuß, die sich hinter Maschinen und Gerätschaften versteckten. Sie waren dort nur schwer auszumachen. Shane und die anderen schossen, was das Zeug hielt, doch die meisten Feuerstöße gingen fehl. Aber schließlich gaben die Maschinenwesen, wie Shane es vorausgesagt hatte, ihre Deckung auf. Der fatale Befehl, der ihnen eingepflanzt worden war, trieb sie jetzt in den Untergang. Einer nach dem anderen trat ins Freie, um ein Risiko einzugehen. Und einer nach dem anderen wurde getroffen und fiel. Es war ein furchtbares Gemetzel. Von zwei Seiten hallte Gewehrfeuer durch den Raum, bis nur noch wenige K.I. übrig waren. Die Silikanten blickten sich verstört um. Sie begriffen, daß sie einen verhängnisvollen Fehler gemacht hatten, und zogen sich wieder in die Schatten zurück. Ohne das Feuer einzustellen, suchten sie sichere Deckung. Cooper arbeitete sich robbend bis zu Shanes Position vor. Er deutete auf eine große Rohrleitung. »Feliciti OH, ihre 61
Anführerin, hält sich dort versteckt. Sie ist hinter dir her, also paß auf!« Shane wagte sich weiter vor, doch sie hielt inne, als sie einen einzelnen K.I. entdeckte, der sich zwischen den Rohrleitungen bewegte. Das Maschinenwesen versuchte offenbar, eine kleine Tür zu erreichen. Die Marine beobachtete es von einer Säule aus. Dann trat sie vor, folgte dem Silikanten durch die Tür und ließ die anderen zurück. Cooper sah, was sie tat. Er ließ Feliciti OH gerade lange genug aus den Augen, um zu Nathan zu schleichen und ihm mitzuteilen, daß Shane verschwunden war. Das gab der K.I.Anführerin genug Zeit, eine kleine Gruppe um sich zu versammeln und durch eine andere Tür hinauszuführen. Cooper schaute auf und entdeckte sie bereits dicht bei der Tür. Er alarmierte die anderen, und gemeinsam machten sie sich an die Verfolgung der Silikanten. Feliciti und ihre Gefolgschaft rannten einen dunklen, kalten Gang entlang. Mit einem Befehl, den nur Silikanten verstehen konnten, führte sie die Gruppe aus dem Eingangsbereich. Sie verharrte kurz, horchte und folgte ihren Leuten dann in das labyrinthische Gewirr aus Gängen und Räumen im Innern des Bergwerks. Die Marines hatten sie aus den Augen verloren. Nathan betrat als erster den finsteren Irrgarten. Wenn sie sich möglichst still verhielten, konnten die Marines vielleicht die Schritte der K.I. hören. Sie wandten sich nach links und lauschten. Die Silikanten waren irgendwo vor ihnen. Die Marines gingen weiter. Die Umgebung wurde immer dunkler. Sie konnten kaum noch etwas erkennen, als sie zuerst nach links, dann wieder nach rechts abbogen. Nathan hielt die Truppe an und lauschte erneut. Die K.I. befanden sich tatsächlich vor ihnen. Aber in welcher Entfernung? Das war unmöglich festzustellen. 62
Sie bogen um eine weitere Ecke. Vor ihnen öffnete sich ein Raum, den sie vorsichtig in Augenschein nahmen. Geisterhafte Schatten und Schemen bevölkerten die tiefe Finsternis. Die Marines postierten sich an der Tür und sahen sich nach geeigneten Zielen um. Apparate unterschiedlicher Größe standen an den Wänden aufgereiht. Ein Maschinenraum. Gordon hielt den unheimlichen Raum für verlassen. Vielleicht waren die K.I. durch die Tür auf der gegenüberliegenden Seite entkommen. Ohne nachzudenken, stürmte er weiter vorwärts. Die Marines reagierten sofort und versuchten, ihn zurückzuhalten. Aber er riß sich los und rannte bis in die Mitte des Maschinenraums. »WARTE!« schrie Nathan. Cooper wollte Gordon folgen, aber Nathan hielt ihn fest. »Sei nicht dumm«, flüsterte er. »Wir können es uns nic ht leisten, euch beide zu verlieren.« Sie brachten im Schleichgang und mit angehaltenem Atem die Tür hinter sich. Gordon lief immer noch. Er hatte die andere Seite beinahe erreicht. Er würde es schaffen. Er würde... Ein greller Blitz erfaßte ihn und schle uderte ihn zu Boden. Eine Explosion ungeheuren Ausmaßes erschütterte die Anlage; Staub- und Rauchwolken stiegen in die Höhe und brachten die Achtundfünfzigste zum Husten. Als sich der Rauch verzogen hatte, entdeckten die Marines Gordon sofort. Diesmal gab es kein Zögern. Sie rannten zu ihrem Kameraden und gingen neben ihm in die Knie. Er lag stumm und unbeweglich auf dem Boden. »Er ist tot«, stöhnte Nathan. »Unmöglich!« sagte Cooper und schüttelte langsam den Kopf. Nathan seufzte und schloß Gordon die Augen. Dann stand er auf und suchte in der Dunkelheit nach etwas, womit er den 63
Körper bedecken konnte. Er ging auf eine Wand zu, drehte dann wieder um und marschierte in die andere Richtung. Es war sinnlos. Der Raum war dicht an dicht mit Maschinen vollgestellt, aber das war es auch schon. Alles hier war aus Stahl. Kaltem Stahl. Nathan war auf dem Weg zurück zu seinen Kameraden, als das Feindfeuer wieder einsetzte. Die K.I. waren ganz in der Nähe. Ihre Schüsse kamen präzise und zielgenau. Damphousse richtete sich ruckartig auf und wich zurück. »Ich habe keine Munition mehr«, sagte sie mit gepreßter Stimme. Sie spähte über ihre Schulter. Hinter ihr ragte eine zwei Meter hohe Wand aus schweren Maschinen auf. Die anderen folgten ihr und versteckten sich zwischen den Apparaten. Sie konnten nichts anderes tun als warten. Es waren jetzt wieder mehr Silikanten, und sie schienen aus allen Richtungen zu kommen. »Was, zum Teufel...?« zischte Nathan. »Ich dachte, wir hätten diesen Abschaum erledigt.« Aber nein. Mehr und mehr K.I. tauchten auf. Sie kamen mit erhobenen Waffen aus allen Winkeln hervor, und sie hielten direkt auf die Marines zu. Wang überprüfte seine Munition. Er hatte noch zwölf Projektile. Das war alles. Und keiner seiner Kameraden hatte mehr vorzuweisen als er. Das reichte nie und nimmer. Wang seufzte und ließ sich hinter die Maschinenreihe fallen. Nathan dachte darüber nach, was er den anderen jetzt sagen konnte. Er konnte sagen, daß alles okay war. Er konnte sagen, daß sie das hier sicher überlebten. Er konnte sagen, daß es immer eine Lösung gab. Aber er würde selbst kein einziges Wort glauben. Sie waren am Ende. Es gab keinen Ausweg. 64
»Wo ist Vansen?« erkundigte sich Wang. »Ich hoffe, an einem besseren Ort als wir«, antwortete Nathan. Seine Stimme war leise und brüchig. Zum ersten Mal hatte er wirklich Angst.
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13 Shane Vansen befand sich an keinem besseren Ort. Die undurchdringliche Schwärze der oberen Ebene hatte sie eingeholt. Rohrleitungen, Kabel und Schläuche versperrten ihr den Weg. Es kam ihr so vor, als hätte sie während ihrer Verfolgungsjagd schon Meilen zurückge legt. Sie hatte den K.I. in einem dunklen Gang verloren. Und dann hatte sie ihn in einem engen Tunnel wiedergefunden. Sie hatte ihn durch das Kabelge wirr und die Korridore verfolgt. Und sie hatte ihn fast erwischt. Aber der Silikant war ihr wieder entkommen. Shane wollte den K.I. stellen. Und wenn sie ihn ein ganzes Jahr lang jagen mußte, sie würde ihn kriegen. Jeder x-beliebige K.I. würde ihr genügen. Es war nicht wichtig. Sie wollte nur irgendeinen Silikanten. Irgendeinen. Eine Frage mußte beantwortet werden, und nur ein K.I. konnte sie beantworten. WARUM HABT IHR MEINE ELTERN UMGEBRACHT? Die Antwort auf diese Frage war irgendwo in ihren Speicherbänken verborgen. Sie mußte dort sein. Denn in der furchtbaren Welt der Silikanten gab es kein Vergessen. Shane ging unbeirrt weiter. Irgendwo auf ihrem Weg würde sie auf die Kreatur treffen, die die Antwort kannte. Wild entschlossen, den Silikanten zu fangen, beschleunigte sie ihre Schritte. Dann hielt sie inne und lauschte. Aber da war nichts. Nur lastende Stille. Plötzlich schoß ein Arm aus dem Gewirr der Schläuche und packte sie. Shane hielt den Atem an und riß sich los.
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Als sie wieder festen Halt hatte, drehte sie sich um. Ein Schatten bewegte sich auf sie zu. Die Fadenkreuzaugen des Feindes hatten sie im Visier. Shane machte einen Schritt nach vorn und packte den K.I. Sie war im Vorteil. Sie kämpften miteinander, und Shane schmetterte die K.I.Einheit gegen eine Mauer, dann riß sie ihr Messer aus der Scheide. Das Maschinenwesen starrte sie aus aufgerissenen weißen Augen an. Die Fadenkreuze in der Mitte blinzelten nicht; sie blieben auf Shane gerichtet wie auf ein Ziel. Die Marine bemerkte, daß der Silikant das Namensschild an ihrer Uniform las. Seine Augen bohrten sich förmlich in ihren Namen. Vansen. Der Name brannte sich unauslöschlich in die Speicher des K.I. ein. Shane fragte sich, ob er wohl nach einer Übereinstimmung suchte. Vansen. Vansen. Vansen. Shane ging mit erhobenem Messer auf ihn zu. Aber sie stieß nicht zu. Sie tötete ihren Feind nicht. Etwas ließ sie an Ort und Stelle verharren, als wäre sie festgefroren. Es war eine Stimme. Eine Stimme, die sie besser kannte als jede andere auf der Welt. »Bitte... erschießt uns nicht! Unsere Kinder...!« flehte die Stimme. Sie kam aus den Speichern dieses... dieser... Scheußlichkeit. Die Stimme ihrer Mutter. Der K.I. hatte den Namen Vansen mit einer alten Erinnerung verknüpft. Er hatte die Stimme aufgerufen, um Shanes Entschlossenheit zu erschüttern. Und er hatte Erfolg damit. Shane erschauderte, gefangen in diesem längst vergangenen Moment. »Mutter?« hauchte sie. Stille. 67
Shane trat einen Schritt zurück und wartete darauf, abermals die Stimme ihrer Mutter zu hören. Tränen stiegen ihr in die Augen. Nichts. Keine neuen Worte. Das Gedächtnis des K.I. war erschöpft. Shane vermochte sich nicht zu bewegen. Jetzt war es an dem K.I., seinen Vorteil wahrzunehmen. »Runter auf den Boden!« befahl er. Shane stand wie angewachsen. Die verängstigten Schreie ihrer Mutter hallten von den Rohrleitungen wieder. Schüsse aus längst vergangenen Tagen. Shane zuckte zusammen und fand wieder in die Gegenwart zurück. Sie starrte das Maschinenwesen an. Was war das für ein Ding, das ihre Vergangenheit in sich trug? Sie wollte es wissen. Sie mußte die Antwort kennen. Aber um sie zu bekommen, mußte sie sich noch einmal dem Schrecken ihrer Mutter stellen. Der K.I. begann zu lachen. Shane bebte vor Wut. »WARUM?« schrie sie. »Ich will wissen, warum ihr meine Familie ermordet habt!« Der K.I. sah sie ausdruckslos an. Nichts. Er gab keinen Laut von sich. Shane stand jetzt mit dem Messer in der Hand vor ihm. »Spiel es ab!« verlangte sie. »Dann lasse ich dich laufen!« »Einem Menschen zu trauen ist nicht sehr erfolgversprechend«, bemerkte der Silikant mecha nisch. »Geh ein Risiko ein!« Das waren die richtigen Worte. Der K.I. reagierte genauso, wie Shane es sich erhofft hatte. Er lehnte den Kopf gegen die Mauer in seinem Rücken. Er schloß die Fadenkreuzaugen und wartete. Dann öffnete er sie wieder. Er stand völlig bewegungslos da, während die Audioaufzeichnung aus seinem Lautsprecher drang. Statisches 68
Rauschen. Das Geräusch Silikantenstimme.
eines
Autos.
Eine
tonlose
»Dies sind Häuser von Armeeangehörigen«, sagte die Stimme. »Wie die Schweine im Schlachthof«, antwortete eine boshafte zweite Stimme. »Welche zuerst?« »Spielt das eine Rolle?« »Eigentlich nicht. Eigentlich nicht.« »Halt!« »Wo?« »Ganz egal.« »Wirf eine Münze. Kopf das nächste Haus. Zahl dieses hier.« »Zahl.« »Vansen.« »Wer?« »Vansen. Vansen. Ganz egal.« »Mehr Glück beim nächsten Mal.« Shane konnte nicht länger zuhören. Ihr war speiübel. Schweiß rann ihr über die Haut. Zorn überwältigte sie. Sie hob ihr Messer und ging auf den K.I. los. Plastik knirschte. Brach auf. Platzte auseinander. Funken stoben. Öl trat aus. Digitale Notmuster piepsten. Sie konnte nicht aufhören! Sie konnte nicht aufhören! Sie konnte nicht aufhören... bis die Erinnerungen verblaßten und der K.I. verstummt war. Sie stand eine ganze Weile stumm und reglos über ihm. Ihr Atem beruhigte sich nur langsam. Ein Geräusch schreckte sie auf. Das leise Klicken von Stiefeln brachte sie in die Realität zurück. Sie straffte sich. Das Geräusch kam aus einem Liftschacht in ihrer Nähe. 69
Sie schlich näher und sah nach unten. Die Schritte gehörten zu zwei K.I.-Wachen, die unge fähr vier oder fünf Etagen entfernt waren. Es war Zeit, sich wieder den anderen anzuschließen, die Shane irgendwo dort unten vermutete. Sie mußte also an den Wachen vorbei. Aber wie? Shane sah sich um. Es gab keinen anderen Weg nach unten. Sie umklammerte ihr Messer und zog sich rückwärts zurück. Dann drehte sie sich um und entdeckte eine Kabeltrommel. Genau das hatte sie gesucht. Dieses Kabel würde sie an ihr Ziel bringen. Sie huschte auf Zehenspitzen zu einer Rohrleitung und schlang das Kabel darum. Dann knotete sie das andere Ende um ihre Hüfte und kehrte in die Mitte des Gangs zurück. Shane war bereit. Sie stieß sich ab und schoß durch die Luft. Das Rohr hielt, und sie segelte mit atemberaubender Geschwindigkeit in den Liftschacht. Die Silikanten hatten keine Chance; Shane hatte das Überraschungsmoment auf ihrer Seite. Sie landete neben ihnen und erledigte einen nach dem anderen. Die K.I. hatten eine wichtige Patrouillenregel vergessen. Sie hatten nach links gesehen. Sie hatten nach rechts gesehen. Sie hatten auch hinter sich geschaut. Aber eines hatten sie nicht getan: Sie hatten nicht nach oben gesehen. Die Silikanten waren binnen Sekunden außer Gefecht gesetzt. Und Shane hatte ihre Waffen.
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14 Auf der anderen Seite der Bergwerksanlage bellte Feliciti OH neue Befehle. Die Fadenkreuze in ihren Pupillen waren auf den K.I. vor ihr eingestellt. »Wir sind wegen des Helium 3 hier«, erinnerte sie ihre Truppe. »Es ist an der Zeit, daß wir es uns nehmen. Die Aliens warten schon. Ihr zwei Einheiten la det das H-3 auf das Schiff. Der Rest wird sich euch anschließen, sobald wir die Menschen erledigt haben.« Nachdem die zwei Silikanten verschwunden waren, kehrte Feliciti OH in den Maschinenraum zurück. Eine Handvoll K.I. folgte ihr. Sie wurden von Gewehrfeuer begrüßt, aber das kümmerte Feliciti OH offenbar nicht, denn sie wußte, daß die Achtundfünfziger ihr Pulver praktisch verschossen hatten. Die K.I. rückten immer näher auf die Maschinenreihe vor, hinter der die Marines in Deckung lagen. »Sie kommen«, informierte Cooper seine Kame raden. »Und ich habe keine Munition mehr.« Er konnte den Feind hören. Er konnte ihn jedoch nicht sehen. Die Maschinen versperrten ihm die Sicht. »Ich habe noch ein halbes Maga zin«, sagte Wang. Er erhob sich auf die Knie und wollte sich auf Cooper zubewegen. Aber irgend etwas stimmte nicht. Er fühlte sich seltsam. Er wollte sich an der Wand abstützen, konnte sein Gleichgewicht nicht halten. Nathan sah ihn straucheln und wußte, was los war. »Die Anlage hat kaum noch Restluft«, sagte er. »Wenn uns die Silikanten nicht töten, wird der Stickstoff das übernehmen.« »Der Konvoi ist doch schon auf dem Weg«, sagte Damphousse. »Können wir nicht durchhalten, bis er eintrifft?« 71
Nathan schüttelte den Kopf. Den Konvoi hatte er fast vergessen. Er versuchte sich zu erinnern, wann er Bunuel erreichen sollte. McQueen hatte von zwei Tagen gesprochen. Wie lange waren sie schon hier? So lange bestimmt noch nicht. »Keine Chance«, sagte er. »Das dauert noch Stunden.« »Vielleicht sollten wir es mit einem Ausbruch versuchen«, schlug Wang vor. Aber Nathan wußte, daß auch das nicht funktionieren würde. Sie waren umzingelt. Ein Schritt nach draußen, und die Silikanten würden sie in Hundefutter verwandeln. Sie saßen in der Falle. Die vier Marines rückten enger zusammen. Sie lagen mit dem Rücken zur Wand, und es gab keinen Ausweg. Der Maschinenraum schien unheimlich still. »Was machen die?« flüsterte Wang. »Man hört gar nichts«, sagte Damphousse. »Warum nicht?« »Vielleicht sind sie weg«, murmelte Wang sarkastisch. »Mittagspause.« »Diese Stille ist schlimmer als das feindliche Feuer«, sagte Damphousse. »Sie bereiten sich auf ihren nächsten Vorstoß vor«, erklärte Nathan. Ihre Worte klangen hohl und verzerrt. Sie mußten möglichst viel Luft sparen. Es war an der Zeit, den Mund zu halten. Sie saßen eine ganze Weile ruhig und verängstigt dicht beieinander. Nathans Gedanken drehten sich um Shane. Wo war sie? Lebte sie noch? Oder hatten die Silikanten sie erwischt? Er warf einen Blick in die Runde und musterte seine Kameraden. Diese Marines waren nicht nur Shanes Familie. Sie waren auch die seine. Er entspannte sich für einen kurzen Moment. Dann schreckte ihn das Geräusch von Gewehrfeuer auf.
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Nathan seufzte und kam auf die Beine. Das war’s. Und es gab nichts, was sie dagegen tun konnten. Seltsamerweise empfand er keine Furcht mehr. Nur noch Resignation. Die anderen erhoben sich neben ihm. Sie schienen ihre Furcht ebenfalls verloren zu haben. Nathan sah, daß sie erschöpft waren. Und sie hatten den Mut sinken lassen. Vor allem las er in ihren Gesichtern, daß sie wußten, daß es vorbei war – und daß sie sich damit abgefunden hatten. »Fertig?« Alle nickten. Sie waren zu schwach, um zu sprechen. »Feuert erst, wenn sie die Maschinenreihe überrannt haben!« Die Schüsse krachten lauter. Jenseits ihrer Deckung flackerten Blitze, als wollte die ganze Welt in einem großen Feuerwerk untergehen. Die vier Marines standen Seite an Seite. Sie konnten nur warten. Dann hörten sie Schritte. Und dann... eine Stimme. »Bulldog«, rief die Stimme. Ihre Augen weiteten sich, und sie sahen einander verwundert an. »Chesty«, antwortete Nathan. »Bestätigt!« sagte die Stimme. Es war Shane. Sie konnten es nicht glauben! Sie würden am Leben bleiben! Sie sprangen auf die Füße und rannten um die Maschinenreihe herum. Als sie Shane sahen, lachten und jubelten sie. Aber Shane jubelte nicht. Schweiß und Öl bedeckten ihr Gesicht, und unter dieser Schicht lag unverkennbar Schmerz. »Sie verladen das Helium 3«, berichtete sie. »Wir müssen sie aufhalten.«
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»Wir haben nicht mehr genug Sauerstoff für einen Kampf«, keuchte Nathan. »Und wir haben keine Munition mehr. Aber wenn wir es zum ISSCV schaffen, können wir den Konvoi anfunken. Die Schiffe sind in der Lage, den K.I.-Transporter abzufangen. Sie können ihn ohne Schaden...« Aber Shane hörte ihm gar nicht zu. »Sie haben meine Familie ermordet, weil Zahl fiel«, sagte sie. »Sie haben eine Münze geworfen. Kopf, die eine Familie stirbt; Zahl, die andere ist dran. Die Münze zeigte Zahl... Vansen. Darum haben sie es getan.« Niemand sprach. Niemand wußte darauf etwas zu sagen. »Sie werden diesen Felsen nicht lebend verlassen!« teilte Shane der Achtundfünfzigsten langsam und entschlossen mit. »Ich werde diese Sache beenden. Ein für allemal.« Nathan griff nach ihrem Arm und hielt sie fest. »Shane«, sagte er sanft, »du hast deine Antwort. Du weißt nun, warum. Aber Rache wird das Problem nicht lösen. Im Weltraum treiben sich noch Tausende von Silikanten herum. Du kannst sie nicht alle töten. Du mußt weitermachen, oder deine größte Angst wird sich erfüllen. Sie werden dich töten, ohne dafür eine Waffe benutzen zu müssen.« Shane riß sich los. »Was ist mit dem Helium 3, Shane?« wollte Damphousse wissen. »Wir müssen sie aufhalten«, stimmte Wang zu. »Wenn die das Zeug den Aliens übergeben, ist es aus mit unserem Treibstoff.« Shane stürmte aus dem Maschinenraum und sprang dabei achtlos über die K.I., die sie vorhin mühelos erledigt hatte. Sie rannte den Korridor entlang. Schneller, immer schneller. Als die Bergwerksanlage erschüttert wurde, blieb sie stehen. Ein Raumschiff hob ab. Ein Raumschiff voll mit Helium 3. Sie rannte zur Luftschleuse und griff sich einen Helm samt Atemgerät. Dann kehrte sie in den Korridor zurück. 74
Die anderen folgten ihr. Sie wußten, was Shane vorhatte, und sie fürchteten sich davor. »Vansen!« schrie Wang von der anderen Seite des Raumes. »Du kannst sie nicht abschießen. Dann werden wir das H 3 verlieren!« Shane drehte sich nicht um. Erst als die Außentür hinter ihr zuschlug, stoppte sie. Sie setzte den Helm auf und sah sich um. Ein orangerotes Leuchten erhellte den Himmel. Sie schloß die Augen. Für einen Moment war sie wieder auf dem Dachboden. Sie hörte das Flehen ihrer Mutter. Die Sonne explodierte. Ihre Schwestern weinten. Sie würde diese Erinnerung für immer zerstören. Sie würde diesen Traum nie wieder durchleben müssen. Shane kniete nieder und richtete den Raketenwerfer aus. Als das Grollen weiter anschwoll, führte sie eine kleine Rakete in die Röhre ein. Sie wartete. Plötzlich donnerte der K.I.-Transporter über die Hügel und hob sich in den Himmel empor. Als er direkt über ihr war, drückte Shane ab. Die Rakete schoß aus dem Werfer. Sie hatte gut gezielt. Die Rakete erwischte den Transporter voll. Über ihr schien die Nacht zu zerspringen. Sie schloß die Augen und sah wieder die Sonne. Orangerot. Leuchtend in der Schwärze des Alls. Sie wartete. Sie wußte, was als nächstes kam. Die Sonne würde wie jedesmal in schillernde bunte Energieteilchen explodieren. Shane öffnete die Augen und sah die Trümmer des Schiffs auf Bunuel herabregnen. Diese Welt war grau und kalt. Sie hatte keine Ähnlichkeit mit der Sonne. Sie erschauderte und sah weg. Als sie wieder hinsah, war die Welt dunkel. Und sie war allein.
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15 Shane stand sehr lange dort. Sie bewegte sich nicht. Sie drehte sich nicht um, als sie Schritte hörte. Nathan kam und trat an ihre Seite. »Du hast sie zerstört«, sagte er nach einer Weile. »Ein paar von ihnen«, entgegnete Shane. »Aber es gibt noch viel mehr von ihnen.« Sie drehte sich um und sah ihn an. »Ich habe Angst. Ich habe das Helium 3 vernichtet.« »Es gibt noch mehr davon. Das Bergwerk ist groß.« Er berührte ihren Arm und führte sie aus der Dunkelheit. Als sie das ISSCV erreichten, hielten sie inne und blickten zu den Sternen auf. »Was ist mit dem Konvoi?« fragte Nathan. »Sollte da nicht ein schwerbewaffneter Konvoi sein?« Shane lächelte. Das hatte sie fast vergessen. Ihre Mission. Sie erinnerte sich an ihre Befehle. In zwei Tagen wird ein schwerbewaffneter Konvoi die Anlage erreichen, um dort mit Heliumerz beladen zu werden, hatte McQueen gesagt. Sie werden dafür sorgen, daß niemand ihn zu sabotieren versucht. McQueen hatte nicht mit den Silikanten gerechnet. Oder mit neun toten Bergleuten. Shane blinzelte in das endlose Sternenmeer. Was würden sie tun, wenn der Konvoi kam? Es gab keine Arbeiter mehr, die das Erz verladen konnten. Sie erinnerte sich an den alten Mann und ging zurück, um ihn zu holen. Er kauerte noch immer in der Nische, in der sie ihn zurückgelassen hatte. Er zitterte, als sie ihm aufhalf. »Es ist vorbei«, beruhigte sie ihn. »Und es kommt alles wieder in Ordnung.« »Sind Sie sicher?« fragte der alte Mann.
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Shane lächelte und nickte. Diesmal war sie sich sehr, sehr sicher. Sie gingen gemeinsam durch die Dunkelheit. Nachdem sie das Innere des ISSCV betreten hatten, funkte Shane McQueen an. »Feind vernichtet«, meldete sie. »Aber ich fürchte, die Bergarbeiter sind bis auf einen tot. Kein Anzeichen des Konvois zu sehen.« »Welcher Feind?« fragte McQueen. »Künstliche Intelligenzen. Eine ganze Menge. Es ist niemand mehr hier, der die Ladung übergeben könnte.« »Und wie steht’s mit Ihnen?« lachte McQueen. Shane blickte sich zu Nathan um und stöhnte. »Vermute ich richtig, daß Sie einen schweren Tag hatten, Vansen?« »Kann man wohl sagen.« »Na schön. Ich schicke eine Ersatzmannschaft. Können Sie es noch so lange aushalten?« »Ich denke schon.« Das Funkgerät knisterte. »Meteoriten«, erklärte McQueen. »Sehen Sie durch das Bullauge irgend welche Sternschnuppen?« Shane sah hinaus in die Nacht. »Keine Sternschnuppen... Aber ich sehen Lichter.« »Das dürfte der Konvoi sein. Noch Feinde in der Gegend?« »Negativ. Ich denke, wir haben alle erwischt.« »Die Ersatzbergleute sind auf dem Weg«, sagte McQueen. »Sie können sich absetzen, sobald sie eintreffen. Over and out.« Shane ging zu ihrer Pritsche und dachte über die K.I. nach. Würden sie zurückkommen, bevor der Konvoi eintraf? Sie waren überall. Auf der Erde. Im interplanetarischen Weltraum. In den tiefsten Regionen des Alls. Sie würde sie niemals vernichtend schlagen können. 77
Sie streckte sich aus und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Auf der anderen Seite des ISSCV starrte Nathan durch das Bullauge. Vermutlich beobachtete er die Ankunft des Konvois. Shane fragte sich, ob er wohl an Kylen dachte. Es mußte furchtbar sein, nicht zu wissen, ob ein geliebter Mensch tot oder lebendig war. Wenigstens war sie, was ihre Eltern betraf, sicher. Denn sie war dabeigewesen.
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Der Traum Der Traum hat sich verändert. In diesem Traum bin ich acht Jahre alt. Ich bilde mit meinen Geschwistern einen Kreis. Ich werfe ein Frisbee in die Luft. »Zeig deinen Schwestern, wie man es fängt!« ruft die Stimme meiner Mutter. »Ja, so!« In meinem Traum drehe ich mich um. Ich suche nach dem Gesicht meiner Mutter. Aber ich sehe es nirgendwo. Statt dessen sehe ich zwei Silikanten. Sie warten und beobachten. Ein Schuß kracht durch die Abendluft. Meine kleinen Schwestern schreien. Ein neuer Traum. Und doch ist es derselbe. Ich weiß jetzt, daß er noch nicht ausgeträumt ist. Aber ich werde es weiter versuchen... Bis er mich endgültig verläßt.
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