Bernd-Peter Lange Medienwettbewerb, Konzentration und Gesellschaft
Bernd-Peter Lange
Medienwettbewerb, Konzentration...
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Bernd-Peter Lange Medienwettbewerb, Konzentration und Gesellschaft
Bernd-Peter Lange
Medienwettbewerb, Konzentration und Gesellschaft Interdisziplinäre Analyse von Medienpluralität in regionaler und internationaler Perspektive
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Barbara Emig-Roller VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Satz: Jung Medienpartner GmbH, Limburg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15115-1
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1. Einführung: Historischer Erfahrungen und aktuelle Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2. Medienentwicklung in geschichtlicher Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2.1 2.2 2.3 2.4
Medientechnik als revolutionäre Kraft und ihre Ausdifferenzierungen . . . . . . . . . Medienorganisation und -finanzierung im Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Medienregulierung als gesellschaftlicher Anspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Medienwirkungen und gesellschaftliche Evolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30 49 51 55
3. Der umfassende Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 3.1 Medien im weitesten Sinne, Wettbewerb, Konzentration und Macht: einige Begriffsklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Kritik der bisherigen Forschungs- und Gestaltungsansätze: Zersplitterung auf verschiedene Disziplinen, Institutionen und Politiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Ideologien und gesellschaftliche Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Der sozio-ökonomische Ansatz: Evaluation des normativen Konzepts von Medienpluralität vor dem Hintergrund von Medienwettbewerb und Konzentration in transdisziplinärer Absicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Die aufsteigende Folge der Themenbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61 67 68
70 72
4. Demokratietheoretisches, gesellschafts- und medienpolitisches Konzept zu Medienwettbewerb und -konzentration und die verfassungsrechtliche Verankerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6
Informations- und Meinungsfreiheit als universelles Bürgerrecht . . . . . . . . . . . . . Pressefreiheit: von der Abwehr staatlicher Einriffe zur institutionellen Garantie Rundfunkfreiheit in historisch evolutorischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zensurverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesetzliche Grenzen der Grundrechte und institutionellen Garantien aus Art. 5 Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Medienwettbewerb und –konzentration im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7 Verfassungsrecht und Demokratietheorie: Die Kommunikationsfreiheiten und die Medien als „vierte Gewalt“ oder „countervailing power“? . . . . . . . . . . . . . . . 4.8 Leitbilder zu Medienwettbewerb und Konzentration und medienpolitische Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75 77 78 79 80 82 89 93
5. Die empirischen Befunde im Überblick 5.1 Ausstattung der Haushalte mit Medientechnik und Nutzung . . . . . . . . . . . . . . . 95 5.2 Medienunternehmen: Produktionsbedingungen, Finanzierungsformen, Vertriebswege und ihre Kundschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 5.3 „Herkömmliche“ Märkte, unternehmerische Verflechtungen und Parameter von Medienwettbewerb und -konzentration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
6
Inhalt
5.4 Die Dynamik der Medientechnikentwicklung und ihr Einfluss auf Medienwettbewerb und Konzentration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Kommunikative Dimensionen von Medienwettbewerb und -konzentration . . . 5.6 Regulierungsdilemmata und -perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7 Wettbewerb und Konzentration im dualen Rundfunksystem: Organisationsund Finanzierungsformen und gesellschaftliche Auswirkungen . . . . . . . . . . . . .
112 113 115 116
6. Technikgeneseforschung und ihre analytische Reichweite zu Medienwettbewerb und Konzentration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5
Technikgeneseforschung als sozialwissenschaftliche Disziplin . . . . . . . . . . . . . . Akteure der Technikentwicklung und -gestaltung und ihr Machtpotential . . . . . Wissenschaftliche Politikberatung und Begleitforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interessen und Leitbilder als Determinanten der Medientechnikentwicklung . . Medientechnikentwicklung als Parameter von Wettbewerb und Konzentration
124 127 129 142 143
7. Der wirtschaftswissenschaftliche Zugang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 7.1 7.2 7.3
7.4 7.5
Wirtschaftstheoretische Schulen zu Wettbewerb und Konzentration und ihre historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung: die wirtschaftstheoretischen Grundannahmen zu Wettbewerb und Konzentration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirtschaftspolitische Ansätze zur Förderung des Leistungswettbewerbs und zur Regulierung der Konzentration vor dem Hintergrund der wirtschaftstheoretischen Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirtschaftstheoretische Ansätze und Medienwettbewerb und Konzentration . . Kritik und Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
145 157
159 163 176
8. Der kommunikationswissenschaftliche und medienpolitische Zugang . . . . 187 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5
Medienpluralismus und „vorherrschende Meinungsmacht“ . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Duales Rundfunksystem: Fruchtbarer Wettbewerb oder ruinöse Konkurrenz? . . 189 Regionale Zeitungsmonopole und ihre Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Kommunikationspolitik und medienspezifische Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . 192 Medienwirkungsforschung und ihre Bedeutung zur Beurteilung von Medienwettbewerb und Konzentration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 8.6 Wirkungen von Medientechniken auf die Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 8.7 Evaluation von Medienpolitik vor dem Hintergrund kommunikationswissenschaftlicher Analysen in vergleichender Absicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
9. Der juristisch regulierende Ansatz: Rechtsetzung und Rechtsanwendung im Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 9.1 Verfassungsrechtlicher Rahmen für Informations-, Meinungs-, Medien- und Kunstfreiheit und das Bundesverfassungsgericht in seiner Wächterfunktion . . . 206 9.2 Kartellrecht und seine Anwendung auf nationaler und EU-Ebene . . . . . . . . . . . 208 9.3 Telekommunikationsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
7
Inhalt
9.4 Deutscher Rundfunkstaatsvertrag: Geschichtliche Entwicklung und Kontroversen in Bezug auf seine Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5 Öffentlich-rechtlicher Rundfunk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.6 EU-Rundfunkregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.7 Kritik und Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
220 232 233 236
10. Die politikwissenschaftliche Evaluation: Historische Entwicklung von Medienwettbewerb und -konzentration vor dem Hintergrund der Kommunikationspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 10.1 Geschichtliche Erfahrungen: Gemeinsamkeiten des Journalismus in Deutschland und Tabus im Medienwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Politikwissenschaftlichen Analyse von Kommunikationspolitik . . . . . . . . . . . . 10.3 Standortwettbewerb und Wirtschaftsförderung im Spannungsfeld zur normorientierten, staatlichen Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4 Kommissionen zu Medienwettbewerb und -konzentration . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5 Medienpolitische Positionen der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6 Medienpolitik als eigenständiges Politikfeld? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.7 Juristische Regulierung als symbolische Politik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.8 Internationale Einflüsse auf Medienwettbewerb und Konzentration in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.9 Evaluation und Forschungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
239 242 248 249 255 259 260 262 263
11. Soziologische Ansätze zu Macht und Herrschaft und ihre Bedeutung für Medienwettbewerb und Konzentration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 11.1 11.2 11.3 11.4 11.5
Soziologische Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klassen, Schichten und Milieus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Macht der Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Medienwettbewerb und gesellschaftliche Schichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse und Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
265 267 268 275 275
12. Makrotheoretische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 12.1 12.2 12.3 12.4 12.5 12.6
Kritische Theorie zum Verhältnis von Kultur und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . Cultural studies: encoding und decoding von Medieninhalten . . . . . . . . . . . . . Funktionalistische Analyse der Mediengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neuere Ansätze der Institutionenökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sozialwissenschaftliche Regulationstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bedeutung makrotheoretischer Ansätze für das Verständnis von Medienwettbewerb und Medienkonzentration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
278 279 280 281 283 285
13. Die Zusammenführung der verschiedenen Ansätze in sozio-ökonomischer und medien- bzw. gesellschaftspolitischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 13.1 Der interdisziplinäre Ansatz auf dem Prüfstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 13.2 Medienwettbewerb und -konzentration im Rahmen einer Zivilisationstheorie . . 300
8
Inhalt
13.3 Demokratische Entwicklung und rechtliche Ordnung auch als medial vermittelter, konfliktträchtiger gesellschaftlicher Lernprozess . . . . . . . . . . . . . . . 305 13.4 Gesellschaftspolitische Perspektiven im Widerstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314
14. Die Exemplifizierung an case studies national und international und die jeweilige Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 14.1 Bertelsmann: Vom deutschen Buchclub zum internationalen Multimedia-Player . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2 Aufstieg und Fall des Kirch-Imperiums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3 Der Axel Springer Verlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4 Time-Warner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.5 Walt Disney Co. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.6 Sony . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.7 Murdoch: News Corporation und das weltumspannende Medien-Netzwerk . . . 14.8 Berlusconi: Mit Media Set zur Medienmarkt- und Politikbeherrschung in Italien mit europäischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.9 Vivendi in Frankreich und ihre internationalen Verbindungen . . . . . . . . . . . . .
317 320 323 325 326 328 329 331 335
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Liste der Schaubilder und Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346
„… Kritik dagegen ist die moralisch analytische Haltung zum Leben und zur Natur“ Thomas Mann
Vorwort Sozialwissenschaftliche Analysen zum Thema von Macht und Herrschaft durch Medien vereinen verschiedene Blickwinkel und disziplinäre Zugänge. Zum besseren Verständnis der Komplexität und der Schnelligkeit der Medienentwicklung zeichne ich hier meine kontinuierliche Befassung mit Medienfragen nach. In weit mehr als 40jähriger wissenschaftlicher Arbeit habe ich konkrete Erfahrungen mit den sich ständig ausweitenden und beschleunigenden technischen Innovationen, unternehmerischen Reorganisationen und medienpolitischen Veränderungen gesammelt. Noch als Student der Rechtswissenschaften nahm ich 1961 an dem Verfahren gegen das sog. „Adenauer Fernsehen“ vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe teil und habe in dem Seminar von Prof. Dr. Friesenhahn in Bonn, der gleichzeitig Verfassungsrichter war, über das wegweisende Urteil, das die Unabhängigkeit des öffentlich rechtlichen Rundfunks stärkte, ausführlich referiert. Seit dieser Zeit datiert das wissenschaftliche und politische Interesse an Fragen der Medienordnung als Teil der gesellschaftlichen Verfassung unseres Gemeinwesens. Als Assistent am Institut für Konzentrationsforschung der Freien Universität Berlin unter Prof. Dr. Helmut Arndt ab 1967 kam die kritische Analyse der Anti-Konzentrationspolitik in den USA, die eine viel längere Tradition hat als in Deutschland, und die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Problemen der Pressekonzentration hinzu. Als Professor für Wirtschaftstheorie am Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück ab 1974 war mein Schwerpunkt in der Forschung und in der wissenschaftlichen Politikberatung die Entwicklung neuer Kommunikationstechnologien, die Analyse ihrer Wirkungen und die Gestaltung des rechtlichen Rahmens, um die positiven Potentiale zu erschließen und die negativen gesellschaftlichen Wirkungen zu minimieren: es ging 1974/75 in der Bundes-„Kommission für den Ausbau der technischen Kommunikation“ (KtK) um die Evolution der Telekommunikation unter rechtlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aspekten. In dem mit Kollegen erstellten Bericht für den Bundesinnenminister ging es um die Entwicklung der audiovisuellen Medien unter dem Aspekt intermediärer Konkurrenz und Konzentration auf nationaler und supranationaler Ebene (1976). Es folgte die wissenschaftliche Begleitung von Bildschirmtext- und Kabelpilotprojekten (1980 – 1989) und der ISDNEinführung und Anwendungen (1990 – 1995). Es ging um die Analyse der “Gefahren der informationstechnologischen Entwicklung – Perspektiven der Wirkungsforschung“ (1979) und um die Herausarbeitung der „Sozialpolitischen Chancen der Informationstechnik“ (1982). Zusammen mit Prof. Dr. Ulrich Pätzold wurde 1983 der „Medienatlas NRW – Grundlagen der Kommunikation“ vorgelegt. In einem Gutachten für die hessische Landesregierung mit Prof. Dr. Jürgen Reese ging es sehr umfassend um „Informationsgesellschaft oder Überwachungsstaat? – Die Entwicklung der Informationsgesellschaft aus der Sicht der Bundesrepublik Deutschland“ (1984). 1980 habe ich ein Gutachten im Auftrage der ARD für einen Prozess vor dem Bundesverfassungsgericht um die Verfassungsmäßigkeit des saarländischen Rundfunkgesetzes zum The-
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Vorwort
ma „Kommerzielle Ziele und binnenpluralistische Organisation von Rundfunkveranstaltern“ vorgelegt. Ende der 80er Jahre war ich an dem NRW Projekt „Sozialverträgliche Technikgestaltung“ beteiligt. 1992 wurde das Europäische Medieninstitut in Düsseldorf angesiedelt. Es diente als Frühwarnsystems auf wissenschaftlicher Basis zur Beobachtung und Evaluation der Medienentwicklung in Europa. Unter meiner Leitung 1993 – 1999 standen u. a. Fragen der Medienregulierung in länderübergreifender Perspektive – „Television in Europe: Regulatory Bodies, Status, Functions and Powers in 35 European Countries“ (Serge Robbillard) – und Fragen der Medienkonzentration in Europa im Vordergrund. Hinzu kam die unabhängige Beobachtung der Medienentwicklung insbes. in Zentral- und Ost-Europa anlässlich von ersten „freien“ Wahlen nach dem Zusammenbruch der Sowjet-Union im Auftrage der EU-Kommission – mehr als 30 Missionen, in mehreren Ländern mehrfach. Außerdem veranstaltete das Institut jährlich das Europäischen Film- und Fernseh-Forums als Treffpunkt von Medien-Schaffenden, Vertretern von Regulierungsinstitutionen und Wissenschaftlern in jeweils einem anderen europäischen Land. Das Institut hat u. a. 1993 die Studie „Media Concentration in Europe“ (Sanchez Tabernero) veröffentlicht, 1995 den ersten „Bericht über die Entwicklung der Meinungsvielfalt und der Konzentration im privaten Rundfunk gemäß § 21, Abs. 6 Staatsvertrag über den Rundfunk im vereinten Deutschland“ vorgelegt und 1995 zusammen mit der Bertelsmann-Stiftung die weltweit vergleichenden Studien „Television Requires Responsibility“ publiziert. Im gleichen Jahr war ich an dem „Bericht zur Lage des Fernsehens“ für den Bundespräsidenten beteiligt. 1998 hat das Institut den im Auftrage der Europäischen Rundfunkunion verfassten Bericht „Perspectives of Public Service Television in Europe“(Runar Woldt et. al) vorgelegt und 1999 die Untersuchung „Cornerstone of the Information Society, Legal and Policy Implications of Convergence“ (Serge Robbillard) publiziert. 2002 habe ich eine „Expertise zum Umstieg vom analogen zum digitalen Fernsehen“ für die Landesanstalt für Rundfunk NRW erarbeitet und 2003 war ich Gutachter zur Habilitation von Andrea Grisold in Wien mit dem Titel „Kulturindustrie Fernsehen, Zum Wechselverhältnis von Ökonomie und Massenmedien“. Das Thema dieses Buches hat mich also mein gesamtes bisheriges Forscherleben beschäftigt, wobei es immer weiter ausgeweitet wurde: Ging es zunächst um die wirtschaftswissenschaftliche Analyse der zunehmenden Konzentration der Medien auch und gerade im Zusammenhang technischer Entwicklungen, so kam die Frage nach Formen und Auswirkungen des Medienwettbewerbs hinzu. Ging es darüber hinaus um juristische Fragen der Regulierung, so behandelt diese Publikation auch die Frage nach den gesellschaftlichen Determinanten und der sozialen und politischen Reichweite staatlicher Medienpolitik. Zunehmend kam das Thema der Machtausübung durch Technikauswahl und -gestaltung im Bereich der Medien ins wissenschaftliche Blickfeld. Damit wurde aus dem wirtschafts- und rechtswissenschaftlichen Zugang zum Thema von medial vermittelter Macht und Herrschaft eine sozialwissenschaftliche Analyse gesellschaftlicher Evolution durch spezifische Medien, ihrer Technik, ihrer Organisation, ihrer Finanzierung, ihrer Inhalte und ihrer individuellen und gesellschaftlichen Wirkungen.
Vorwort
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Um es mit Matthias Matussek, wenn auch ein wenig zu pathetisch, zu sagen: der Antrieb zu dieser Arbeit ergibt sich aus dem Ziel, die nachfolgenden Generationen „vor den Verstrahlungen einer vulgarisierten Gesellschaft zu schützen“ ( Matussek, S. 109). Die Geschichte von Gesellschaften ist die Geschichte vom kulturellen Aufbruch und vom Niedergang. Die Geschichte der Wirtschaft ist stets zugleich eine Geschichte der Ausübung und des Zerfalls wirtschaftlicher Macht. Für Marktwirtschaften in demokratischen und rechtsstaatlichen Verfassungen ist die Wahrung kultureller Standards und die Bändigung verfestigter wirtschaftlicher Macht eine wesentliche und immer wieder neu zu lösende Aufgabe. Hierbei spielen unabhängige und kritische Medien eine unersetzliche Rolle: Sie tragen zur offenen kulturellen und gesellschaftlichen Kommunikation bei und setzen Politik unter ständigen Rechtfertigungsdruck. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Medien selber frei sind, also weder selbst Teil wirtschaftlicher Macht sind noch auf Grund publizistischer und wirtschaftlicher Konzentration einseitig Macht ausüben können. Geht man von dynamischen Wettbewerbsfunktionen nach dem Konzept des vorstoßenden und nachfolgenden Wettbewerbs aus, und ist man sich der historischen Prozesse der Wirtschaftsentwicklung bewusst, so erscheint es besonders schwierig, zwischen temporären, tolerierbaren und verfestigten, also unakzeptablen Machtpositionen zu unterscheiden. Beziehen sich die behandelten Fragestellungen auf die „überkommenen“ Medienorganisationen, heute also die Mehr-Zeitungsverlage und die weltweit agierenden Multimedia-Konzerne, so ist ganz aktuell zu fragen, welche Veränderungen sich in Bezug auf Macht und Herrschaft durch die neuen Internet Plattformen wie „Google“, „My Space“, „You Tube“ und „Second Life“ ergeben. Die Zusammenarbeit mit vielen Kolleginnen und Kollegen (die Namen finden sich bei den Literaturhinweisen zu den hier erwähnten Publikationen) der verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen und mit Unternehmern und Gewerkschaftern hat mir einen lebenslangen, fruchtbaren Lernprozess ermöglicht. Ohne ihn wäre dieser interdisziplinäre Zugang zu dem Thema dieses Buches nicht möglich gewesen. Mein Dank geht also an all die „Mitstreiter“, mit denen ich zusammenarbeiten durfte. Mein Dank gilt aber zuvörderst meiner Frau, Dr. Jutta-B. Lange-Quassowski, mit der ich viele der hier behandelten Fragen immer wieder diskutiert habe. Mein Dank geht auch an meinen Klassenkameraden Dr. Alfred Eschrich, dem ich eine Reihe wertvoller Hinweise verdanke. Alle Irrtümer und Fehler liegen allein in der Verantwortung des Autors. Eine solche Themenbehandlung von verschiedenen disziplinären Zugängen durch eine Person kann nie so detailliert und fundiert sein, wie eine Monographie zu einem Teilaspekt. Die Auswahl der disziplinären Literatur ist immer auch ein Stück weit subjektiv geprägt. Auch die Auswahl der „Fälle“ juristischer Konflikte ist selektiv. Nur: Das Thema verlangt auf Grund seiner Komplexität und seiner gesellschaftlichen Bedeutung nach einer übergreifenden Analyse, die theoriegeleitetes Arbeiten mit gesellschaftspolitischen Perspektiven verknüpft. Die besondere Schwierigkeit einer derartigen Analyse ergibt sich aus dem schnellen Wandel in Bezug auf technische Infrastrukturen, Unternehmensorganisationen, business cases, juristischer Regulierung und medienpolitischer Entscheidungen in einer zunehmend globalisierten Welt.
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Vorwort
Wenn der hier präsentierte Ansatz und die zur Diskussion gestellten Schlussfolgerungen sich dennoch als fruchtbar erweisen, so kann der Ansatz und das Vorgehen von nachfolgenden Wissenschaftlern fortgeschrieben und präzisiert werden. Wissenschaft hat ihren eigenen Ansprüchen und Regeln zu folgen. Sie kann juristische Regulierung und Politik nicht anleiten oder gar ersetzen. Sie kann ihnen aber den kritischen Spiegel vorhalten und sie so zum konstruktiven Dialog einladen und Anstöße für diesen Dialog geben. In diesem Sinne wurde dieses Buch geschrieben.
Koblenz, den 7. 3. 2008
Bernd-Peter Lange
1. Einführung: Historische Erfahrungen und aktuelle Herausforderungen Das hier behandelte Thema hat sehr verschiedene, aber miteinander verwobene Dimensionen. Der Leser lasse sich von der Komplexität der hier zusammenhängend dargestellten Problemfelder nicht abschrecken. Sie werden in den folgenden Kapiteln systematisch und getrennt voneinander behandelt. Wenden wir uns zunächst den aktuellen politischen und wirtschaftlichen Dimensionen zu. Am 9. und 10.4.2006 wurden in Italien, einem der Gründungsmitglieder der Europäischen Union, Parlament und Senat in geheimer und gleicher Wahl gewählt. Nach offiziellem vorläufigem Endergebnis hatte die von Silvio Berlusconi geführte Mitte-Rechts-Regierung die Wahl verloren – allerdings sehr knapp. Doch auch mehrere Tage nach der Wahl hat Berlusconi, der Medien-Mogul, seine Niederlage nicht eingestanden, Berlusconi der „große“ Kommunikator, der kurz vor der Wahl alle Italiener, die das von Romano Prodi angeführte Mitte-Links-Bündnis wählen würden, als Super-Deppen beschimpft hatte. Am 22.4.2004 hatte das Europäische Parlament einen Bericht über das Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit mit großer Mehrheit angenommen. In diesem Bericht heißt es in Bezug auf Italien, dass „Gefahren einer schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung der freien Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit bestehen könnten“. Das Parlament wies darauf hin, dass „der Grad der Konzentration des audiovisuellen Marktes in Italien derzeit der höchste in ganz Europa ist“, und dass „einer der Bereiche, in denen der Interessenkonflikt am deutlichsten zum Vorschein kommt, der Bereich der Werbung ist“. Die Abgeordneten nehmen zur Kenntnis, dass „das italienische System aufgrund der einzigartigen Kombination der Konzentration von wirtschaftlicher, politischer und Medienmacht in den Händen eines Mannes, nämlich des derzeitigen Präsidenten des Ministerrates … eine Besonderheit darstellt“. (Der Präsident des Europäischen Parlaments hatte darauf bestanden, dass alle Namen aus dem Bericht gestrichen werden). Im April 2008 wird in Italien erneut gewählt und Silvio Berlusconi mit seiner geballten Medienmacht hat gute Aussichten, wieder das Amt des Ministerpräsidenten zu erringen. Was hat diese Momentaufnahme mit dem Thema dieses Buches zu tun? Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass – einzigartig in Europa – der Inhaber eines Medienimperiums gleichzeitig Ministerpräsident ist bzw. war bzw. erneut sein kann: ein Synonym für „Mediendemokratie“? Silvio Berlusconi hat seine überragende Medienmacht – 2002/03 44% Anteil am italienischen Fernsehen mit seiner privatwirtschaftlichen, rein kommerziellen Gruppe Mediaset – die RAI als halbstaatlicher Sender hatte 44,7% – und 38% Anteil an der Presse in Italien – und seinen kraft Amtes als Ministerpräsident gewonnenen politischen Einfluss auf die RAI benutzt, um für seine Partei „Forza Italia“ Publicity zu machen und sich persönlich in den medialen Vordergrund zu spielen. Trotz schlechter wirtschaftlicher Daten für Italien – 0,1% Wirtschaftswachstum in 2005 und 0% in 2006, rund 8% Arbeitslosigkeit und 4,3% Haushaltsdefizit in 2005 – sind immerhin fast 50% der Italiener Berlusconis Einfluss erlegen und haben das von ihm geführte Bündnis gewählt. Ohne Zweifel hat ihm die Medienkonzentration in Italien geholfen, so lange an der
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politischen Macht zu bleiben, obwohl hinlänglich belegt ist, dass er sich vor allem in die Politik begeben hat, um über Gesetzesänderungen sich selbst vor Strafverfolgung wegen Korruptionsvorwürfen zu schützen und sein mediales Vermögen zu mehren. Silvio Berlusconi gilt als der reichste Mann Italiens. Er hat es offenbar – medial vermittelt – verstanden, die Verfolgung seines privaten Wohls, indem er den Staat für sich persönlich instrumentalisiert, als leuchtendes Vorbild eines self-made-man darzustellen, dem es für den gemeinen Italiener nachzueifern gilt. Offenbar hat ihn in dieser Selbstherrlichkeit keine Medienkonzentrationskontrolle oder sonstige Regulierung in Italien oder von der EU bzw. dem Europäischen Parlament aus gehindert bzw. wenigstens gebremst. Mangelnder Medienwettbewerb besonders im Fernsehen hat also – so ist zu vermuten – die gesellschaftliche Entwicklung in Italien beeinflusst – und dies nicht nur bei Wahlen. Medien prägen die Weltsicht der Rezipienten: Sie „vermitteln“ vom Nutzer nicht unmittelbar überprüfbare „Realität“ bzw. ihre Interpretation und Bewertung. Inter- und intramedialer Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Bürger bzw. Konsumenten – beim kommerziellen Fernsehen Wettbewerb um die Gelder der werbetreibenden Wirtschaft für spots als „Programmunterbrechungen“ oder Sponsorengelder – prägt die Auswahl und Präsentation von Inhalten. Medienkonzentration als Ballung von ökonomischer und publizistischer Macht in den Händen einer Person bzw. einer Familie erweist sich daher als zentrales Problem gesellschaftlicher Verfassung. Als Pointe zur Entwicklung in Italien sei angemerkt, dass Anfang November 2006 Berlusconis italienisches Medienimperium Interesse angemeldet hat, die deutsche SAT1/Pro 7/Kabel 1 etc.-Gruppe – früher Kirch jetzt in den Händen amerikanischer Finanzinvestoren um Haim Saban – zu übernehmen. (Zum Zuge bei dem Übernahmepoker kamen dann schließlich die „Heuschrecken“, die international agierenden private-equity Firmen Permira und KKR, doch dazu später). Ende 2006 wird gemeldet, dass EU-Kommissionspräsident Barroso in der zunehmenden Medienmacht des Energieriesen Gazprom – er dominiert die wesentlichen elektronischen Medien in Russland – eine Gefahr für die dortige Demokratie sieht. „Ein Problem entsteht, wenn es sich wie bei Gazprom um einen Staatsmonopolisten handelt. Die Kontrollfunktion der Medien gegenüber dem Staat darf nicht geschwächt werden“, so Barroso. Er spreche damit Besorgnis erregende Ereignisse wie den Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja gegenüber dem russischen Präsidenten Putin an. Im August 2007 wird gemeldet, dass Murdocks News Corp. den seit 1902 bestehenden USMedienkonzern Dow Jones mit dem journalistischen Flagschiff „Wall Street Journal“ für 5 Milliarden US-Dollar (3,7 Milliarden Euro) übernimmt. Das Kaufangebot lag damit 60% über dem Börsenkurs des vergangenen Monats. So ein Aufschlag, um die Kontrolle über ein Unternehmen zu übernehmen, ist außergewöhnlich hoch. Gegen die Übernahme gab es Widerstand seitens des Hauptaktionärs, der Familie Bancroft und der Mitarbeiter, die dadurch die redaktionelle Unabhängigkeit des Wall Street Journal gefährdet sehen, da der Konservative Murdock in dem Ruf steht, die Medien in seinem Eigentum auch inhaltlich beeinflussen zu wollen. Die News Corp. zählt heute mit 175 Zeitungstiteln – darunter das Boulevard-Blatt „The Sun“ und die Tageszeitungen „Sunday Times“ und „Times“ in Großbritannien und „New York Post“ in den USA – und mit den Fernsehsendern FOX in den USA und Sky channel in China mit 28 Milliarden Dollar Jahresumsatz neben Time Warner, Bertelsmann und
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Viacom zu den größten und einflussreichsten Medienkonzernen der Welt. Jetzt „erobert“ Murdock die Wirtschaftspresse (Rhein-Zeitung, 2.8.07). Die Fragen von Macht und Herrschaft und ihrer Kontrolle auch und gerade in Demokratien westlicher Prägung und darauf bezogen die kritische wissenschaftliche Analyse von Macht und Herrschaft und ihren gesellschaftlichen Folgen gehören daher zu den wichtigsten sozialwissenschaftlichen Untersuchungsfeldern. Macht und Herrschaft wird heute in subtiler Form besonders vermittelt über Medien – vorrangig über Presse, Hörfunk, Fernsehen und Film als „Massenmedien“, aber in zunehmendem Maße auch über das Internet als Medium und als Plattform für Dienste der Individualkommunikation. Bei der sozialwissenschaftlichen Analyse muss es sowohl um die Erklärung der ökonomischen, politischen und kulturellen Determinanten von Medienwettbewerb und die Triebfedern von Medienkonzentration gehen als auch um die kritische Evaluation von Medienpolitik und vorrangig juristischer Medienregulierung, zum Dritten schließlich um die Aufarbeitung von Medienwettbewerb in seinen inhaltlichen und ökonomischen Ausprägungen und die publizistischen und gesellschaftlichen Auswirkungen von Medienkonzentration. Das Beispiel Berlusconi zeigt, dass nur mit einem umfassenden sozialwissenschaftlichen Ansatz, der z.B. ökonomische, rechtliche, kommunikative und politische Aspekte berücksichtigt, das Thema Medienwettbewerb, Konzentration und Gesellschaft angemessen behandelt werden kann. Wenden wir uns jetzt der historischen Dimension des Themas zu. Für Deutschland ist in diesem Zusammenhang auf die Erfahrungen mit dem HugenbergKonzern zu verweisen. Alfred Hugenberg, u. a. 1909 – 1918 Vorsitzender des Direktoriums der Firma Krupp, hatte 1916 zusammen mit den führenden Industriellen E. Kirdorf, Heinrich Wilhelm Beukenberg und H. Stinnes die „wirtschaftliche Gesellschaft“ gegründet. Diese wiederum bildete mit der Auslands-GmbH, gegründet 1914 als Propagandainstrument der deutschen Schwerindustrie, den Hugenbergkonzern, eine nationalkonservative Mediengruppe, die Werbe- und Nachrichtenagenturen, Pressedienste, Presseverlage und Filmgesellschaften umfasste. Die Medien des Hugenbergkonzerns waren in der Weimarer Republik das Sprachrohr der Deutschnationalen Volkspartei. Hugenberg nutzte seine beherrschende Stellung im deutschen Nachrichten-, Zeitungs- und Filmwesen, um nach 1918 gegen die parlamentarisch-demokratische Grundordnung und die auf Völkerverständigung angelegte Außenpolitik zu agitieren. Mit der von Hugenberg maßgeblich geförderten Kampagne gegen den Young-Plan bot er Hitler die Plattform, um sich als energischer Führer der Rechten zu profilieren und im Kreise einflussreicher bürgerlicher Gewährspersonen vor die Öffentlichkeit zu treten. Für Hitler war dies der Durchbruch in die „große“ Politik (Fest, S.371f.) In der Regierung von Adolf Hitler, dem mit besonderer Hilfe der deutschen Schwerindustrie die Macht putschartig Ende Januar 1933 zuerteilt worden war (vgl Hallgarten, Radkau), hatte Hugenberg bis Juni 1933 das Amt des Reichsministers für Wirtschaft und Ernährung inne. (vgl. Guratzsch, vgl. auch Koszyk, S. 219ff.) Auch in diesem Fall handelt es sich um eine spezifische Form der Medienkonzentration in Verbindung mit besonderer wirtschaftlicher und politischer Macht gebündelt in einer Person: Alfred Hugenberg. Die Entwicklung der Weimarer Republik wäre möglicherweise anders verlaufen, wenn es eine gesellschaftliche, ordnungspolitisch durchgesetzte Begrenzung dieser Machtverflechtung gegeben hätte. Angesichts der geballten ökonomischen und publizisti-
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schen Macht des Hugenbergkonzerns hatte die junge Republik, die mit den Folgen des ersten Weltkrieges und der Weltwirtschaftskrise schwer zu kämpfen hatte, keine Zukunftsperspektive. Der Hugenbergkonzern ist somit als Steigbügelhalter des Nationalsozialismus in Deutschland mit seinen katastrophalen Folgen nach innen und außen anzusehen. Sind die Lehren in Deutschland, die aus diesen geschichtlichen Erfahrungen gezogen wurden, ausreichend? Sind die Fusionskontrolle und die Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen gemäß dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen von 1957, die auch auf Medienunternehmen anwendbar sind, stark genug? Sind die rundfunkspezifischen Regelungen des geltenden Rundfunkstaatsvertrages der Bundesländer durchgreifend sowohl was ihren Inhalt als auch was ihre Anwendung und Durchsetzung angeht, um vorherrschende ökonomische Macht und Meinungsmacht zu unterbinden bzw. zu kontrollieren, damit inhaltliche Medienpluralität herrscht und die parlamentarische Demokratie funktionsfähig bleibt in ihrem Wechselspiel von politischer Opposition einerseits und von der Parlamentsmehrheit getragener Regierung andererseits? Grundsätzlicher gefragt: Ist der Gesetzgeber in Deutschland auf Bundes- wie auch auf Länderebene angesichts geballter Medienmacht in der Presse und ebenso beim kommerziellen Rundfunk in der Lage, souverän eine am Gemeinwohl orientierte Regulierung von Medienwettbewerb und Konzentration durchzusetzen oder allgemeiner: Wer bestimmt in Deutschland die politische Agenda? Sind es populistisch um Zustimmung gleich Auflage bzw. Quote buhlende Medien oder die politisch auf Zeit Verantwortlichen? Wie ist das Wechselspiel zwischen den Medien als „vierte Gewalt“ und den drei anderen Gewalten: Parlament und Regierung, öffentliche Verwaltung und Justiz? In welchem – juristisch gesetzten und gesellschaftlich bes. von der Geschichte geprägten – Rahmen vollziehen sich Medienwettbewerb und Konzentration? Diese Fragen nehmen die juristisch regulatorische Dimension des Themas ins Blickfeld. Das Bundesverfassungsgericht hat seit 1961 in ständiger Rechtsprechung die Organisationsform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als staats- und wirtschafts- unabhängigen, gemeinwohlorientierten Hörfunk- und Fernsehveranstalter legitimiert und die Rechtsfigur der Bestands- und Entwicklungsgarantie geschaffen. Die Frage nach den Zukunftsperspektiven unserer öffentlich-rechtlichen Sender von ARD und ZDF stellt sich angesichts eines ungleichen Wettbewerbs zwischen dem den Bürgerinteressen verpflichteten öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den rein Rendite orientierten, privatwirtschaftlich organisierten, kommerziellen Rundfunkveranstaltern, angesichts der permanenten Auseinandersetzungen um die Rundfunkgebühren, angesichts der zunehmenden Globalisierung des Wettbewerbs um inhaltliche Rundfunkangebote – vornehmlich Sportveranstaltungen, Shows, Filme und Serien – und angesichts der zunehmenden Beliebtheit – besonders bei Jugendlichen – des Internet und zunehmend auch des Handys als Informations- und Unterhaltungsmedium immer wieder neu. Wie bestandsfest ist ihre verfassungsrechtlich garantierte „Bestands- und Entwicklungsgarantie“? Können sie sich auch angesichts der verschärften medialen Konkurrenz weiterhin auf die Gebührenfinanzierung verlassen? Können sie weiterhin ein Gegengewicht zur privatwirtschaftlichen Konzentration im Medienbereich mit eigenständigem Profil sein oder werden sie durch ruinöse Konkurrenz zu Anpassungsprozessen gezwungen, die die Programmqualität nivellieren und die wiederum ihre Legitimationsbasis untergraben? Werden ARD und ZDF sich am Handy-TV, Video on Demand und Internet-Fernsehen beteiligen bzw. beteiligen dürfen
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und damit wieder einmal eine neue Verbreitungstechnik nutzen? Gibt es hierzu Vorgaben der Medienpolitik? Wer reguliert den Wettbewerb um die Nutzung immer neuer Techniken? In den letzten Jahren ist ein ständiger Prozess der Multimedia-Konzentration besonders in globaler Perspektive festzustellen, zum einen durch überproportionales Wachstum der „führenden“ Konzerne wie Time/Warner/AOL, wie der Murdock-Gruppe oder wie des Bertelsmann-Konzerns, zum anderen durch spektakuläre Fusionen. So meldet beispielsweise am 9.Mai 2007 das Handelsblatt auf den Seiten 1 und 2, dass der kanadische Medienkonzern Thomson knapp 13 Milliarden Euro für die Übernahme des britischen Nachrichtendienstes Reuters bietet. Durch diese Fusion entstünde ein neuer Weltmarktführer für Wirtschaftsinformationsdienste mit einem Marktanteil von 34%, gefolgt von Bloomberg mit 33%. Zu fragen ist, ob und wenn ja wie weit nationale Regulierungsbehörden oder die EU-Kommission noch in der Lage sind, auf den weltweiten Medienmärkten für ökonomischen Leistungswettbewerb und publizistische Pluralität zu sorgen. 2006 haben sowohl das Bundeskartellamt als auch die KEK, die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich, die Fusion zwischen dem Axel Springer-Konzern, dem führendem Presseverlagshaus in Deutschland und der Sat1/Pro7/Kabel 1 etc.- Fernsehgruppe untersagt, aber der Axel Springer Verlag hat eine gerichtliche Überprüfung dieser Entscheidungen angestrengt und das Ergebnis steht noch aus. Geht es hier um die Anwendung des „reinen“ Wettbewerbsrechts oder (auch) um eine medienspezifische Regulierung? Geht es hier um eine „reine“ juristische Auseinandersetzung oder auch um die Behauptung der Souveränität des Staates publizistischer Macht gegenüber? Eine weitere Dimension des Themas ist die der Wirkungen von Medienwettbewerb und Konzentration. Kommerzieller Fernsehwettbewerb im Bereich des sog. „Free TV“, finanziert über Werbeeinblendungen, orientiert sich an der massenhaften Aufmerksamkeit der Umworbenen. In Deutschland sitzen Kinder von 3 – 13 Jahren rund 90 Minuten pro Tag vor dem Fernseher. Kinder und Jugendliche (14 – 19-jährige) verbringen 2006 pro Tag durchschnittlich 392 Minuten vor dem Fernsehschirm bzw. PC (14 – 19-jährige 152 Minuten vor dem Fernseher) – eine halbe Stunde mehr als vor 10 Jahren –, alle Altersgruppen ab 14 Jahre zusammen 202 Minuten pro Tag; (vgl. Media-Perspektiven Basisdaten 2006, S.70ff.). Pädagogen und Medienwirkungsforscher machen auf die Folgen aufmerksam und warnen vor exzessivem „Fernsehkonsum“. Unsere „High-Tech-Gesellschaft“ gerade auch mit ihren im globalen Vergleich relativ hohen Löhnen sei auf die bestmögliche berufliche Qualifikation und Bildung der Jugendlichen angewiesen. Mehr denn je gilt, dass Wissen und die Fähigkeit, es produktiv anzuwenden, wirtschaftliche Macht bedeutet. Das Land, das in der Lage ist, die permanente informationstechnische Revolution anzuführen, wird wohlhabender und mächtiger sein als andere, so wird behauptet. Wenn aber Kinder wegen der Faszination des kommerziellen Fernsehens mehr Zeit vor der „Glotze“ verbringen als in der Schule, wenn 42% der Jungen im Alter von 9 bis 10 Jahren in ihrem Zimmer ein eigenes Fernsehgerät und 38% ein eigene Spielkonsole – Mädchen der gleichen Altersgruppe 31% bzw. 16% – haben und wenn 10% der Grundschüler als gefährdet gelten, computersüchtig zu werden (vgl. DER SPIEGEL Nr. 20, 2007, S.42ff „Aliens im Kinderzimmer“), dann könnten die hohen Bildungs- und Ausbildungsziele der Gesellschaft nicht erreicht werden. In zugegeben pointierter und daher möglicherweise unzulässig verallgemeinernder Form heißt es u. a. zu den Wirkungen technisch vermittelter Kommunika-
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tion: „Elektronische Bildschirmmedien, Fernsehen und Computer, machen dumm, dick und gewalttätig“(Spitzer). Jugendpsychologen weisen weitgehend übereinstimmend kritisch darauf hin, dass Kinder, die sich täglich ausdauernd in die fiktiven Welten von Computerspielen vertiefen, sich in ihnen ausleben, nicht erwachsen werden wollen und sich schwer tun, in der realen Welt mit ihren Herausforderungen und Auseinandersetzungen Verantwortung zu übernehmen. Hirnforscher schätzen die Zahl der vom Computer krankhaft abhängigen Jugendlichen auf 100 000 in Deutschland und belegen durch ihre empirischen Untersuchungen, dass die ständige „Bedienung“ des Computers z.B. bei Spielen zu einer spezifischen Strukturierung des Gehirns führt – das Medium ergreift Besitz von seinem „Nutzer“, um es plastisch auszudrücken. Anfang 2007 wurde auf politischer Bühne über das eventuelle Verbot sog. Killerspiele debattiert, ohne dass allerdings bisher ein Konsens zu erzielen war weder auf europäischer Ebene noch in Bund und Ländern. Manche Studenten „googeln“ mehr Zeit am Tag als dass sie Zeitung lesen. Sie geben selber zu, dass Google abhängig und süchtig macht. Techniken – so wird demgegenüber gesagt – sind zunächst gesellschaftlich neutral und es komme auf die je spezifischen Bedingungen der Anwendung an. Nicht der Medienkonsum allein sei das Problem, sondern die Verbindung mit mangelnder Betreuung durch die Eltern. Diese jedoch fühlen sich oft überfordert angesichts ihrer bes. zeitlichen Herausforderungen im Beruf einerseits und der Unübersichtlichkeit des gesamten elektronischen Medienangebotes andererseits. Hier nun wird die Frage nach den gesellschaftlichen Regulierungsbedingungen für die Medienentwicklung aufgeworfen und damit ein Dilemma angesprochen: Einerseits bedarf die Marktwirtschaft in schneller Folge technischer Innovationen, der Markt „verlangt“ nach immer neuen und spektakuläreren Angeboten für die Spaß- bzw. Freizeitgesellschaft, der Stress der Arbeitswelt verlangt nach Erholung, Ablenkung und Unterhaltung, andererseits sollen neue Techniken und neue inhaltliche Angebote „sozialverträglich“ angewandt werden, d.h. z. B. weder Gewalt verherrlichend noch Kinderpornographie propagierend. Einerseits hat jeder Bürger und jede Bürgerin die Freiheit und das Recht, selbst über die Mediennutzung zu bestimmen, andererseits funktioniert Demokratie nur, wenn möglichst viele Wähler gut informiert sind und sich eine fundierte Meinung zu politischen und gesellschaftlichen Fragen – weitestgehend über die Medien – gebildet haben. Einerseits ist es primäre Aufgabe der Eltern, ihre Kinder zu erziehen und damit ihre Aufgabe, ihnen Medienkompetenz zu vermitteln und sie vor Suchtgefahren zu bewahren, andererseits ist das mediale Angebot besonders für Kinder so verführerisch, dass viele Eltern ohne gesamtgesellschaftliche Regulierung und Begrenzung des Angebots ohnmächtig und hilflos zurück bleiben und ihre Kinder sich in Folge zu hohen, passiven Medienkonsums oft nicht mehr normal entwickeln. Wenden wir uns nun der kommunikations-, wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Dimension des Themas zu. Hier kommt die gesamtwirtschaftliche Bedeutung des „Mediensektors“ als „nationaler“ Wirtschaftssektor ins Spiel: Er setzt sich aus leitungsgebundenen und drahtlosen Infrastrukturen – Telekommunikation –, aus Computer Hard- und Software – Informationstechnologie –, aus der Produktion und Verteilung von Empfangs- und Wiedergabegeräten – Telefonen, Handys, Walkmen, iPods, Spielekonsolen, Radios, Fernsehempfängern, Schallplatten- und CD- und DVD-Abspielgeräten, Videorecordern und Decodern, der früher sog. „braunen“ Ware – und dem gesamten Bereich der Produktion von Inhalten – Autoren von Büchern und Fil-
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men, Regisseuren und Filmproduzenten, Zeitungsredaktionen und Rundfunkveranstaltern, Webbdesignern und Erfindern von elektronischen Spielen, der Werbebranche – und allen auf diese Bereiche bezogenen Dienstleistungen zusammen. Der so qualifizierte Mediensektor hat einen Anteil von 5,5% am Sozialprodukt der Bundesrepublik Deutschland, wenn man die Zahlen von Seuffert für 2001 zu Grunde legt (zitiert nach Hutter, S. 20). Für diesen Sektor muss ständig auf dem aktuellen Niveau qualifiziert werden, muss geforscht und kreativ gearbeitet werden, will er in der europäischen und weltweiten Konkurrenz mithalten. Beispielhaft sei hier auf die Konkurrenz zwischen amerikanischer und europäischer Filmindustrie, aber auch auf den Wettbewerb im Softwarebereich zwischen den USA, Europa und Asien verwiesen. Gleichzeitig sind Medienunternehmer, Verleger und Rundfunkveranstalter, Journalisten, Autoren und Redakteure gefordert, Verantwortung für die demokratische und soziale Entwicklung der Gesellschaft zu übernehmen und täglich auszuüben. Die Vorsitzende der FriedrichEbert-Stiftung Anke Fuchs äußerte bei dem Mainzer Mediendisput 2006 demgegenüber Besorgnis, dass immer mehr journalistische Produkte durch PR-Texte ersetzt würden, dass weniger seriöse Recherche als früher stattfinde und möglicherweise die Bürger durch die bevorstehende digitale Revolution immer weniger von fundierten journalistischen Angeboten Gebrauch machten. Die immer stärkere „Boulevardisierung“ der Medieninhalte, besonders auch die Personalisierung von Politik, bei der die bisherigen Grenzen zwischen Privatheit und öffentlichem Raum verschwimmen, hat zu einer oft beobachtbaren Kumpanei zwischen Journalisten und Politikern geführt: Erhalte ich von Dir Informationen, lob ich Dich in meinen medialen Beiträgen. Kai Diekmann, der Herausgeber der „Bild“-Zeitung hat dazu festgestellt: „Wer mit Journalisten im Fahrstuhl nach oben fahre, werde auch begleitet, wenn es wieder nach unten gehe“ (Zitiert in DER SPIEGEL, Nr. 19 2007, S. 52). Es stellt sich die Frage, ob derartige Journalisten ihrer Aufgabe als kritische Analytiker von politischen Entwicklungen gerecht werden. Die hier aufgeworfenen Fragestellungen können noch stärker über die individuelle Ebene hinaus in gesamtgesellschaftlicher Perspektive formuliert werden: Medien-, Talkshow- oder Spaßgesellschaft oder auch Mediendemokratie und Informations- bzw. Wissensgesellschaft oder auch „globale Öffentlichkeit“ sind Schlagworte eines mehr oder weniger oberflächlichen öffentlichen Diskurses bei dem Versuch der Kennzeichnung der gegenwärtigen Gesellschaftsverfassung, wobei „die“ Medien dabei – sicher nicht immer uneigennützig – über sich selbst reflektieren. In diesen Diskussionen geht es auch um die Rolle der Medien im Zusammenhang der Bewahrung und Weiterentwicklung der spezifischen kulturellen Identität eines Landes einerseits und dessen wirtschaftlicher Behauptung in dem zunehmend globalisierten Wettbewerb andererseits. In einem SPIEGEL-Interview wurde der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Josef Ackermann, gefragt: „Die Amerikaner haben strategische Bereiche definiert, beispielsweise die TV-Branche, wo Ausländer keine Mehrheitsbeteiligungen erwerben dürfen. Ein Vorbild für Deutschland?“ Ackermanns Antwort: „… In einer Welt, die immer mehr zusammenwächst, müssen wir grundsätzlich offen für Übernahmen aus dem Ausland sein. Deutsche Unternehmen akquirieren ja auch im Ausland. Aber es ist außerordentlich problematisch, wenn unsere Unternehmen im Rüstungs- oder Telekommunikationsbereich, wahrscheinlich auch im Medienbereich, weitgehend unter Einflüsse kommen, die wir nicht mehr kontrollieren kön-
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nen“ (SPIEGEL 4/2007, S. 39). Bei dieser Antwort ist nicht ganz klar, wer mit „wir“ gemeint ist: die Kontrolle durch die Deutsche Bank oder durch die politischen Institutionen der Bundesrepublik? Am 15.11.06 geht der Sender „Al Jazeera English“ aus Doha mit weiteren Sendezentren in Washington, London und Kuala Lumpur auf Sendung. Es gehe darum, auf dem umkämpften Fernsehweltmarkt in Konkurrenz zu CNN international, BBC World und weiteren globalen Sendern mit westlichem (nationalem) Hintergrund wie z.B. der deutschen Welle den Menschen im Nahen Osten, Afrika und Asien in der globalen Öffentlichkeit eine authentische Stimme zu verleihen. Ein junger Mitarbeiter dieses neuen Senders – Brite und Muslim – wird zitiert: „Die Worte, mit denen die Medien die Welt erklären, bestimmen unser Bewusstsein“. Es gelte den Nachrichtenfluss von Nord nach Süd mit seinen hegemonialen Tendenzen umzudrehen (vgl. Hamann). Um diesen Konflikt, vor dem sich Journalisten weltweit sehen, zugespitzt zu verdeutlichen: palästinensische Selbstmordattentäter sind für „den Westen“ und Israel zu Recht Mörder, für viele Menschen in arabischen Ländern aber Freiheitskämpfer und Märtyrer. Diese gesamtgesellschaftliche Perspektive muss daher auch die Fragen nach journalistischer Ethik, Professionalität und Verantwortung angesichts eines knüppelharten kommerziellen Wettbewerbs um sensationelle Stories und um tatsächliche bzw. angebliche Skandale einschließen auch angesichts eines weit verbreiteten Scheckbuchjournalismus. Sie muss auch Fragen beantworten nach „nationaler Brille“ und Vorurteilen einerseits und nach Definitionen von journalistischer Objektivität in der Berichterstattung andererseits. Die Beantwortung dieser Fragen muss allerdings eingebettet sein in die Analyse der Organisation der je spezifischen Medien und ihrer Funktionsmechanismen. Verantwortung kann normalerweise nur wahrgenommen werden aus einer relativ unabhängigen und abgesicherten Position heraus, die z.B. für die überwiegende Zahl der Journalisten in Zentral- und Osteuropa nach dem Zusammenbruch der Sowjet-Union nicht gegeben war. Ihre Wahlberichterstattung war daher in vielen Fällen völlig unausgewogen und entsprach nicht den Standards eines professionellen Journalismus westlicher Prägung (vgl. dazu Lange, Ward: Media and Elections). Wie schwer es ist, journalistische Verantwortung gemäß den Aufgaben eines kritischen Journalismus in einer Demokratie wahrzunehmen, zeigt sich auch daran, dass Jahre nach dem 11. September 2001 und nach der US-amerikanischen Invasion im Irak führende Journalisten der New Jork Times und der Washington Post einräumen, „einseitig“, „leichtgläubig“ und „unangemessen“ berichtet zu haben. Man sei „ehrerbietig“ gegenüber dem amerikanischen Präsidenten gewesen, der sich als „Kriegspräsident“ stilisiert und damit eine patriotische Haltung auch der amerikanischen Presse eingefordert habe. Das kritische Wächteramt der Presse in der Demokratie ist damit stark diskreditiert worden und hat dadurch die Funktionsfähigkeit der amerikanischen Demokratie beeinträchtigt. Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene ist darüber hinaus nach den Folgen einer zunehmenden Ökonomisierung und Kommerzialisierung der Medien zu fragen. Indizien dieser Entwicklung sind u. a., dass die EU-Kommission darauf dringt, Werbung in Rundfunkprogrammen in der Form des product placement – früher als Schleichwerbung gebrandmarkt – zu legalisieren, wenn wie beim Sponsoring allgemein am Anfang und Ende des „Programms“ darauf hingewiesen wird. Auch beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der ebenfalls Skandale um Schleichwerbung u. a. durch gezieltes product placement zu verkraften hatte, machen Unterhaltungs-
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stars und prominente Sportler „nebenher“ Produktwerbung und vermarkten so ihre Popularität. Es ist also zu fragen: Welche Folgen ergeben sich aus der Omnipräsenz der Werbung? Wie steht es um den Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Konkurrenz und publizistischer Vielfalt? Die wachsende Konzentration im Medienbereich, in erster Annäherung erfasst in der abnehmenden Zahl selbständiger Medienhäuser – in mehr als 60% der Landkreise und der kreisfreien Städte in Deutschland gibt es nur eine Tageszeitung mit lokaler bzw. regionaler Berichterstattung; im Bereich des kommerziellen, rein über Werbung finanzierten Fernsehens gibt es praktisch nur ein Duopol von zwei Medienkonzernen, um nur einige Indikatoren vorab zu benennen –, behindert diese Medienkonzentration Innovationen, erhöht sie Marktzutrittsbarrieren, hat sie eine Homogenisierung journalistischer Arbeitsweisen, Normen und Inhalte zur Folge? Geht mit zunehmender Medienkonzentration eine Abnahme der Konzentrationskontrolle unter dem Deckmantel von „Deregulierung“ einher? Ein Indiz dafür könnte die in fast allen westlichen Ländern zu beobachtende Heraufsetzung der Schwellenwerte sein, bei deren Überschreiten eine Fusion zu untersagen ist. Wird durch hoch konzentrierte Medienkonglomerate mit all ihren Möglichkeiten der Mehrfachverwertung „ihrer“ Inhalte – die geheimen Verführer der Bewusstseinsindustrie – Macht in der Gesellschaft ausgeübt? Führen derartige Entwicklungen zu Legitimationsdefiziten von „Mediendemokratien“? Gibt es demgegenüber realistische Konzepte der juristischen Re-Regulierung und/oder zivilgesellschaftlicher Gegenwehr? Die wissenschaftliche Erforschung und medienpolitische Gestaltung der Konzentration im Medienbereich muss auch die Monopolposition von Google im Bereich der weltweiten Suchmaschinen – zumindest was die Größe der Computerinfrastrukturen und deren Rechenkapazitäten angeht –, beachten. Sie muss auch deren technische Allgorithmen zur Präsentation von Nachrichten und die Selektion von Informationen – ganz vorne stehen die 3 Ps: „Pillen, Porno und Poker“ – in das Blickfeld nehmen. Wer beherrscht das World Wide Web und wer hat die Zuständigkeit und die Durchsetzungskraft, um es im gesamtgesellschaftlichen Interesse zu regulieren? Damit ist die technologische Dimension des Themas angesprochen Der Titel dieses Buches ist daher bewusst übergreifend gewählt worden, um Medienwettbewerb und Konzentration in den notwendigen Kontext technischer, wirtschaftlicher, juristischer und gesellschaftlicher, d.h. vor allem journalistischer, bildungs- und kultureller aber auch allgemeiner zivilisatorischer Entwicklungen zu stellen. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Fragen von Medienwettbewerb, Konzentration und Gesellschaft muss vor allem kritisch sein: Theorien sind auf ihre historische Bedingtheit zu analysieren. Zu ihrer Entstehungszeit können sie durchaus emanzipatorisches Potential entfaltet haben wie z.B. das Grundrecht der Pressefreiheit als Abwehrrecht gegenüber staatlicher Gängelung im Zusammenhang mit der demokratischen Entwicklung. Wird Pressefreiheit heute aber von interessierter Seite nur noch als Absicherung unternehmerischer Marktfreiheit im Medienwettbewerb verstanden, so kann dies als eine einseitige, vorhandene Wirtschaftsmacht bewahrende Position verstanden werden. Ideologien als „allgemeingültige“ Theorien oder als „feststehende“ Befunde verkleidete einseitige Interessenpositionen sind also in Konfrontation mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit herauszuarbeiten und zu hinterfragen. Bei der Ideologiekritik geht es also um die Analyse des Zusammenhangs zwischen Bewusstsein und gesellschaftlicher Entwicklung.
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Theoretische und auf sie aufbauende politische Konzepte sind auf ihre Reichweite hin zu untersuchen: Werden sie den vorgeblichen Werten wie z. B. der Orientierung an der Informationsfreiheit für jedermann oder der inhaltlichen Medienpluralität als Voraussetzung lebendiger Demokratie oder der unternehmerischen Innovationsfreiheit als Voraussetzung für dynamischen Wettbewerb gerecht ? Wem nützen diese Ziele? Stehen sie im Konflikt zueinander? Gibt es offene oder verdeckte Wertehierarchien z. B. zwischen der geforderten Orientierung an publizistischer Vielfalt einerseits und der vorrangigen Ausrichtung der kommerziellen Medienhäuser an maximaler Rendite? Werden von diesen Konzepten externe Effekte von Medienwettbewerb und Konzentration erfasst und wenn ja evaluiert? Kritische Sozialwissenschaft in diesem Sinne orientiert sich an den universellen Menschenund Bürgerrechten der Meinungs-, Rede-, Presse- und Rundfunkfreiheit und dem Zensurverbot und fordert das emanzipatorische Potential der Medien und ihrer Organisation im Sinne der Hilfe bei der Befreiung des Menschen aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit ein. Kritische Sozialwissenschaft versucht zum einen den status quo zu erklären, zu analysieren, welches die Ursachen für die Entwicklung zu diesem status quo hin sind – in herkömmlicher Terminologie positive Theorie –, zum anderen aber auch mögliche Wege zur besseren Verwirklichung der universellen Menschen- und Bürgerrechte und der nachhaltigen Festigung der Demokratie aufzuzeigen. Bei dieser normative Analyse geht es um die Optimierung des Mediensystems an Hand von offen gelegten und begründeten Kriterien. Der normative Ansatz, wenn er denn eine „realistische Vision“ beinhaltet, muss eng mit der positiven Theorie und ihren empirischen Befunden verknüpft sein. Bezogen auf das hier umrissene Thema bedeutet dies, einen Ansatz des Vergleichs verschiedener disziplinärer Zugänge zu wählen: Wirtschaftswissenschaftlich ist zu analysieren, was unter „funktionsfähigem“ Wettbewerb einerseits und negativ zu bewertender Medienkonzentration andererseits zu verstehen ist. Es gilt zu fragen, wieweit die juristische Medienregulierung und Konzentrationskontrolle ihren verfassungsrechtlichen Zielvorgaben gerecht wird und in welchem Verhältnis ihre Tätigkeit zu wirtschaftstheoretischen und -politischen Ansätzen zu Wettbewerb und Konzentration steht. In Bezug auf die Entwicklung der Medientechnologien ist zu klären, in wie weit diese Technologien noch Werkzeuge in der Hand der Menschen sind oder aber ob sie in spezifischen Ausprägungen die Menschen zunehmend beherrschen, ihren Alltag strukturieren und ihre Weltbilder prägen. Es gilt zu fragen, wie Medienpolitik – in Deutschland besonders die Politiken der Bundesländer – einzuschätzen ist: Handelt es sich vorrangig um Standort- und Wirtschaftsförderungspolitik und ist Medienregulierungspolitik – insbesondere Jugendschutz und Antikonzentrationspolitik – demgemäß möglicherweise hauptsächlich symbolische Politik zur Beruhigung verängstigter (besonders bayrischer) Landfrauen und besorgter Intellektueller? (vgl. dazu Lange 2006) Wie ist in diesem Zusammenhang zu bewerten, dass in der Bundesrepublik 15 Landesmedienanstalten zur Regulierung weltweit agierender Medienkonzerne wie z.B. der Bertelsmann-Gruppe zuständig sind, Medienkonzerne, die sich das für sie günstigste, d. h. liberalste Regulierungsregime bei ihrer Standortwahl aussuchen und Bundesländer bzw. EU-Länder gegeneinander auszuspielen versuchen?
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Es gilt kommunikationswissenschaftlich zu analysieren, welche Wirkungen von Medienwettbewerb und Konzentration auf die einzelnen Nutzer und die Gesellschaft insgesamt ausgehen in Sinne der Prägung der politischen und allgemeinen Kommunikationskultur und im Sinne der Prägung der Weltsicht der Bürger. Die sich verändernden technischen, organisatorischen und Nutzungsbedingungen, unter denen Fernsehen stattfindet, – bis Anfang der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts nur öffentlich-rechtliches Fernsehen in Deutschland, danach „Duales System“ bes. über Kabel und Satellit, jetzt Internet- und morgen auch Handy-TV nach immer neuen Geschäftsmodellen – verändern das Medium und seine Inhalte und damit auch die Seh-, Denk- und Lebensgewohnheiten des Publikums. Medien im Sinne von spezifischen Verbindungen von Technik und Inhalten stellen zunehmend primäre Sozialisationsagenturen dar, während der Einfluss von Familien, Schulen, Kirchen, Gewerkschaften und politischen Parteien nachlässt. Der Prozess der immer stärkeren Individualisierung in unserer Gesellschaft, der grundsätzlich als Vorbedingung einer Revitalisierung der „bürgerlichen Gesellschaft“ – Bürger hier ausdrücklich als citoyen verstanden – zu begrüßen ist, verlangt aber nach Orientierung durch umfassende Bildung, durch Vorbilder und Stärkung des Selbstbewusstseins, des Selbstvertrauens und der Selbstbeherrschung durch – wie die Pädagogen sagen – Selbstwirksamkeit. Die Bedeutung und damit auch die Verantwortung der Medien steigen demgemäß. Es gilt daher bezogen auf die konkreten Anwendungs- und Regulierungsbedingungen der einzelnen Medien zu fragen, falls die von ihnen im Konkurrenzprozess ausgelösten Wirkungen gemessen an einzelnen konkreten Wertvorstellungen als schädlich einzustufen sind – negative externe Effekte –, unter welchen realistischen Bedingungen es auf staatlicher und zivilgesellschaftlicher Ebene Abhilfe geben kann. Dabei sind selbstverständlich die Wertvorstellungen exakt zu benennen und in ihrem Kontext darzustellen. Dabei ist auch auf die (engen) Möglichkeiten der Veränderung einzugehen angesichts eines wenig entwickelten Problembewusstseins in der Bevölkerung und sogar in weiten Teilen der Wissenschaft, angesichts der „Befangenheit“ von Politikern gegenüber selbstbewussten Medienunternehmen, die die Verbindungswege der Politiker zu ihren Wählern beherrschen und angesichts globaler Verflechtungen. Hinzu kommt der Mangel einer weltweit zuständigen Regulierungsinstanz, die auf gleicher Augenhöhe mit dem Multimedia-Konzernen agieren müßte. Gleichzeitig bleibt zu berücksichtigen, wie sich die traditionellen Medien, die professionellen Mittler zwischen „Realität“ und Bürger bzw. Konsument, verändern angesichts der sich zunehmend abzeichnenden „Selbstorganisation“ im Internet – welche Zukunft haben der Brockhaus oder die Enzyclopaedia Britannica angesichts von Wikipedia, eBay und Google? Welche Zukunft haben Tageszeitungen, „free TV“ und öffentlich-rechtlicher Rundfunk angesichts von Pay TV, Video on Demand, Web-TV, Grid TV und dem Internet mit der virtuellen, von der Realität losgelösten Welt von „Second Life“ und online Diensten wie z.B. die „Jedermann“Video-Plattform „YouTube“, die 2006 vom Suchmaschinenbetreiber Google für mehr als 1,3 Milliarden Euro erworben wurde? Abstrakter formuliert: Welche Zukunft haben die „überkommenen“ Institutionen der Presse, des Rundfunks und mit ihnen der professionelle Journalismus angesichts von geänderten Geschäftsmodellen in der Medienbranche und angesichts von aktiven, weltweit agierenden „Laien“ im Internet oder mit SMS-Botschaften über Handys? Alfred Neven DuMont, der Verleger des Kölner Stadtanzeigers und neuerdings der Frankfurter Rundschau formuliert es so: „Das gedruckte Wort hat einen Gegner – und das ist der
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1. Einführung: Historische Erfahrungen und aktuelle Herausforderungen
junge Mensch“ (Zitiert nach Nass), gemeint ist der junge Mensch, der durch die ständige Nutzung des Internet sozialisiert wird im Sinne der Entwöhnung vom Umgang mit dem gedruckten Wort. Gleichzeitig wird aber die Frage gestellt: Bietet das Netz der bürgerlichen Öffentlichkeit möglicherweise eine bessere Teilhabe an den Angelegenheiten des Staates und der Gesellschaft, ist es somit vielleicht sogar das „demokratischere“ Medium? (Vgl. ebenda). Die schier unendlichen technischen Möglichkeiten der Informationsgenerierung, -verarbeitung und -verbreitung und damit die unmittelbare Verfügbarkeit von Unmengen von schriftlichen Informationen und Bildern hat vieles verändert. Aber ist es nicht wie mit dem Licht? Wenn das Licht zu stark und ungefiltert ist, dann erhellt es nicht, es blendet und trübt die Sicht. Hier wäre die Frage anzuschließen: Wer beherrscht „das Netz“ bzw. die dort versammelten Plattformen wie Google und Wikipedia? Verlagert sich medialer Einfluss von MultimediaKonzernen zu Technikkonzernen wie Google, Yahoo, Microsoft, apple und Telekommunikationsunternehmen, die über die Beherrschung von Netzen, software und hardware zunehmend Kommunikationsprozesse lenken? Wie wird deren Macht kontrolliert? Ein zentrales Thema ist also die Frage nach den Auswirkungen technischer und organisatorischer Umbrüche auf gesellschaftliche Kommunikation, ihre Machtstrukturen und auf die gesellschaftliche Evolution. Interdisziplinär im Sinne der Verknüpfung verschiedener Ansätze heißt daher: • Die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien sowohl in ihrer Eigendynamik als auch in ihrem ökonomischen und politischen Kontext im Sinne der Technikgeneseforschung herauszuarbeiten. Warum werden in gesellschaftlichen Selektionsprozessen bestimmte Technologien aus dem Potential von alternativen Techniken ausgewählt, gefördert und in bestimmten Formen angewandt? Wer sind die bestimmenden Akteure für die Entwicklung der Medientechnik? Um konkret zu fragen: Warum wurde das Kabelfernsehen in Deutschland in seiner spezifischen Ausgestaltung durchgesetzt und was bedeutet dies für unser Thema? Was treibt die umfassende Digitalisierung der medialen Wertschöpfungskette von der Produktion bis zum Endgerät voran? Welche Interessen verfolgen beispielsweise Bill Gates mit Microsoft, Steve Case mit AOL/Time-Warner und Larry Page und Sergei Brin mit Google? In wie fern strukturieren bestimmte Techniklinien die Nutzung und welche Ziele verfolgt die Technologiepolitik? • Die wirtschaftswissenschaftliche Entwicklung von Konzepten zu Wettbewerb und Konzentration und die jeweiligen Kontroversen um diese Konzepte im Sinne der „verborgenen“ Interessenkonstellationen vorzustellen, ihre Bedeutung für das Thema „Medienwettbewerb und Konzentration“ herauszuarbeiten und gleichzeitig zu analysieren, wie weit diese Konzepte juristische und/oder kommunikationspolitische Regulierungsansätze geprägt haben. • In rechtswissenschaftlicher Analyse die Entwicklung des Regulierungsrahmens darzustellen und im Sinne der Rechtstatsachenforschung die Reichweite und Effizienz dieses Rahmens und seiner Anwendung durch das Bundeskartellamt, die Landesmedienanstalten und die Gerichte vor der Folie der Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts kritisch zu überprüfen. Dabei sind je spezifische institutionelle Prägungen und „Vorurteile“ zu berücksichtigen.
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Kommunikationswissenschaftlich gilt es, die Antipoden von „Medienpluralität“ und „vorherrschender Meinungsmacht“ hinsichtlich ihrer Operationalität zu hinterfragen und zu klären, wieweit ihre Reichweite angesichts der Umbrüche bei der Massen- und der Individualkommunikation einzuschätzen ist. Es ist zu analysieren, welche Wirkungen von Medienwettbewerb und -konzentration – besonders im dualen Rundfunksystem – ausgehen • In politikwissenschaftlicher Perspektive ist zu fragen, welchen Leitbildern und Interessenkonstellationen Medienpolitik folgt, was einerseits in Bezug auf die Medienentwicklung real gefördert und andererseits kommunikativ vermittelt wird. Gleichzeitig ist zu klären, welche Möglichkeiten staatliche Politik überhaupt hat angesichts „naturwüchsiger“ technologischer Innovationen – eher vorausschauend gestaltend oder eher nur im Nachhinein korrigierend und reparierend? • Makrosoziologisch und d.h. im weitesten Sinne kommunikationswissenschaftlich ist das Thema von Macht und Herrschaft durch Informations- und Kommunikationstechniken und über Medien den Ansätzen der Analyse von gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen zuzuordnen, um von daher Orientierungen für die Einordnung der Ergebnisse der anderen wissenschaftlichen Zugänge zu erhalten. • Interdisziplinär heißt in diesem Sinne, das Thema aus den verschiedenen Perspektiven unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen zu analysieren, diese zu vergleichen und an Hand der die Forschung leitenden Fragestellungen zu bewerten. So könnte es gelingen, die Befunde der einzelnen wissenschaftlichen Zugänge, die alle für sich eine Berechtigung haben, als Bausteine für die Fortentwicklung einer gehaltvollen Zivilisationstheorie zu benutzen. Im Sinne der Analyse gesellschaftlicher Evolution ist zu fragen, in wie weit spezifischer Medienwettbewerb und spezifische Medienkonzentration zivilisatorische Modernisierungsschübe fördernd unterstützen oder aber hemmen, wie weit sie Integration fördernd wirken oder aber zur weiteren Spaltung der Gesellschaft beitragen z.B. in „information poor“ und „information rich“, oder z.B. in im bürgerlichen Sinne selbst bestimmte Bürger und durch mediale Botschaften fremd bestimmte Konsumenten. Es ist in medien-, besonders in gesellschaftspolitischer Perspektive zentral danach zu fragen, welche Rolle die sicher im Einzelnen zu differenzierenden Medien gelebte Demokratie fördern oder bei bestimmten Medien sogar strukturell behindern. Die Macht der Hugenberg-Presse hat entscheidend zur zivilisatorischen Katastrophe des Nationalsozialismus in Deutschland beigetragen. In diesem Sinne tragen „die Medien“ eine große gesellschaftliche Verantwortung für das friedliche und demokratische Zusammenleben in Deutschland und in Europa. In Bezug auf mögliche Ausprägungen von Interdisziplinarität werden die additive, die imperialistische, d.h., dass eine Disziplin den Anspruch auf Vorherrschaft erhebt, und die verändernde unterschieden (vgl. Kiefer, Medienökonomik S. 11). Der hier gewählte Ansatz ist am Ehesten der dritten Form zuzuordnen mit dem spezifischen Akzent, in Bezug auf eine Leitfrage die Argumentationsstruktur und die Reichweite eines disziplinären Ansatzes kritisch zu analysieren und mit vorgegebenen Wertvorstellungen zu konfrontieren. Transdisziplinär heißt daher die Zusammenschau der einzelnen disziplinären Zugänge und ihrer Ergebnisse, um daraus eine übergreifende, umfassende sowohl wissenschaftliche als auch medien- bzw. gesellschaftspolitische Perspektive zu gewinnen. In zivilisatorischer Entwicklungsperspektive geht es um erste Annäherungen zu den Fragen:
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1. Einführung: Historische Erfahrungen und aktuelle Herausforderungen
Wie ist die Einstellung in der Gesellschaft zu neuen Technologien und Innovationen? Gibt es Ansätze für ein Zusammenwirken von Natur- und Geisteswissenschaften in der Gestaltung neuer Technologien nach bestimmten Kriterien? • Wie geht die bundesrepublikanische Gesellschaft mit ökonomischer und medialer Macht und Herrschaft um? Welche Rolle spielen dabei die Sozialwissenschaften? • Wie ist das Verhältnis von Staat, Marktwirtschaft und Zivilgesellschaft? • Was passiert, wenn in einem gesellschaftlich so relevanten Bereich wie dem Mediensektor für relevante Mediengattungen sowohl Markt- als auch Staatsversagen zu konstatieren ist? • Welches sind die Mechanismen zur Lösung gesellschaftlicher Konflikte nach innen und außen? Welche Rolle spielen dabei die je spezifischen Medien? • Welchen Stellenwert haben Bildung und Kultur – generell und in den Medien? • Wie lernt die bundesrepublikanische Gesellschaft aus der Geschichte? Ist sie sich bewusst, dass Zukunft nur nachhaltig gestaltet werden kann, wenn die historische Herkunft reflektiert wurde? Welche Bedeutung kommt hierbei einzelnen Medien zu? • Wie demokratisch und wie pluralistisch ist die bundesrepublikanische Gesellschaft? Welche Rolle spielen je spezifische Medien und die Vielfalt der Medien bei der gesellschaftlichen Integration und Evolution? Das Buch bezieht sich vorrangig auf die Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland – dies ist mit regionaler Orientierung gemeint. Die Entwicklung in der Bundesrepublik ist aber nicht losgelöst aus dem EU- bzw. weltweiten Kontext zu analysieren, daher die internationale Perspektive. Der Autor ist sich bewusst, dass er hiermit einen hohen Anspruch formuliert und auch Neuland betritt zum einen in der Zusammenschau unterschiedlicher wissenschaftlicher Zugänge zu einem komplexen Thema, zum anderen in dem expliziten Bezug auf den Zusammenhang zwischen „vorherrschenden“ theoretischen Konstrukten und konkreten Ausgestaltungen technologischer, ökonomischer, juristischer und gesellschaftlicher Wirklichkeit. Im Sinne der These, dass Fortschritt der wissenschaftlichen Erkenntnis mehr durch das Aufwerfen von neuen Fragen, durch das Infragestellen vorhandener wissenschaftlicher und politischer Argumentationsmuster und den Perspektivwechsel als durch schon gesicherte neue Befunde erzielt werden kann, wird dieser Versuch unternommen. Um den interdisziplinären Ansatz verständlich zu machen, erscheint es dem Autor notwendig, die jeweiligen Grundlagen der einzelnen Ansätze auszubreiten, Grundlagen, die dem jeweiligen Fachmann bzw. der Fachfrau als selbstverständlich erscheinen. Nur: Ein Kommunikationswissenschaftler wird sich in den Verästelungen verschiedener wirtschaftswissenschaftlicher Wettbewerbstheorien und ihren Implikationen normalerweise nicht auskennen, ebenso wie ein Wirtschaftswissenschaftler die verschiedenen Rechtsfiguren von horizontalen, vertikalen und diagonalen Unternehmenszusammenschlüssen in der Regel nicht verinnerlicht hat. Umgekehrt: Ein Jurist tut sich generell schwer, die kommunikationswissenschaftlichen Argumentationsmuster zur Begründung vorherrschender Meinungsmacht nachzuvollziehen. Da aber diese Publikation für alle diese Wissenschaftler gemeinsam gedacht ist, bedarf es der Aufarbeitung der je spezifischen Grundlagen. Um die folgende Darstellung so transparent wie möglich zu gestalten, wird bei der Wiedergabe der spezifischen wissenschaftlichen Zugänge zum Thema zunächst das Selbstverständnis der Disziplin – natürlich mit ihren (immanenten) Kontroversen – berücksichtigt, d.h. die
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Argumentation folgt – soweit objektiv distanziert nachvollziehbar – der der jeweiligen Disziplin immanenten Logik. Erst danach erfolgt der Perspektivwechsel zur kritischen Analyse der Reichweite des jeweiligen Ansatzes und seiner spezifischen Bedingungen. Dieses Buch ist nicht eine neue Medienökonomie oder Medienökonomik im umfassenden Sinne, wiewohl es in einzelnen Punkten möglicherweise neue bzw. pointiertere Sichtweisen zur Diskussion stellt. Dieses Buch zielt auf der Basis einer kritischen wissenschaftlichen Evaluation der vorherrschenden Medienentwicklung auf die Diskussion und Verwirklichung einer integrativen, an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts orientierten „neuen“ Medienpolitik als Gesellschaftspolitik.
2. Medienentwicklung in geschichtlicher Perspektive Die herkömmlicher Weise als Massenmedien bezeichneten „Inhaltsträger oder -vermittler“ – Tagespresse, Zeitschriften, Buch, Film, Hörfunk und Fernsehen – und die als Medien der Individualkommunikation bezeichneten „Übermittlungskanäle“ – Telefon, Fax, Handy, und Internet – haben sich im Laufe der Zeit sehr dynamisch entwickelt, sowohl was die technischen Grundlagen der Produktion, der Verteilungsinfrastrukturen und der Speichermedien angeht als auch was die Organisations- und Finanzierungsformen der wirtschaftlichen Einheiten betrifft und schließlich was die Formen des Wettbewerbs untereinander ausmacht. Dieser dynamische Prozess, der ununterbrochen anhält, ist gekennzeichnet durch eine kontinuierliche Ausdifferenzierung der Medien in den beiden oben genannten Ausprägungen – war früher Fernsehen nur über terrestrische, drahtlose Ausstrahlung mit Kapazitätsengpässen empfangbar, so gibt es heute gleich mehrere Alternativen: Kabelfernsehen, Satellitenempfang, digitale terrestrische Ausstrahlung und Empfang über Breitband-Internet bzw. demnächst drahtlos aufs Handy. Dieser Prozess ist außerdem gekennzeichnet durch die zunehmende Bedeutung der Finanzierung von Medienangeboten über Werbebotschaften. Dies gilt sowohl für die Presse bis hin zu „kostenlosen“ Anzeigenblättern als auch für den Rundfunk – kommerzielles Radio und „Free TV“ – als auch für Online Dienste wie Google. Gleichzeitig ist dieser Prozess gekennzeichnet durch eine zunehmende Verbreitung und damit Zugänglichkeit für praktisch alle Bevölkerungsschichten zumindest in den westlichen Industrienationen und durch eine Beschleunigung der Entwicklung. Um auf 50 Millionen Nutzer zu kommen, brauchte das Radio 50 Jahre, das Fernsehen 14 und das Internet nur 4 Jahre. Schaubild 1: Die Ausdifferenzierung der Medien im Zeitablauf
Medien iPhone Internet Fernsehen Radio Film Telefon Tageszeitung Buchdruck 1400
1500
1600
1700
1800
1900
2000
Zeit
2. Medienentwicklung in geschichtlicher Perspektive
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Waren früher für Presse- und Buchverlage Persönlichkeiten prägend, denen die Verlage gehörten, so sind heute oft anonyme Kapitalgesellschaften in kaum zu durchschauenden wirtschaftlichen Verschachtelungen die Eigentümer. Freilich gibt es auch heute noch Personen, die ihr „Medienimperium“ geprägt haben – siehe Leo Kirch – bzw. noch prägen – siehe das Ehepaar Mohn bei Bertelsmann, die Familie Murdoch in Großbritannien bzw. weltweit und wie erwähnt Silvio Berlusconi in Italien. Der institutionelle und organisatorische Wandel des Mediengeschäftes hin zu einer immer weiter um sich greifenden Kommerzialisierung bezieht sich aber nicht nur auf die Unternehmensformen und die Geschäftsmodelle sondern auch auf die Frage, in welchem Gewande Macht und Herrschaft ausgeübt wird. Heute spielen auf der Unternehmensebene neben horizontaler, vertikaler und diagonaler Konzentration der Aufbau und die Pflege von Unternehmensnetzwerken u. a. durch langfristige Lieferverträge z. B. in Bezug auf Filme und Serien, durch den Handel mit Veröffentlichungsrechten, durch die Etablierung von Kreditabhängigkeiten und durch persönliche Verflechtungen etc. eine zunehmende Rolle. Schließlich spielen in Bezug auf die Ausübung unternehmerischer und publizistischer Interessen immer stärker international agierende Finanzinvestoren eine entscheidende Rolle. Auf der gesellschaftlichen Ebene ist zu fragen, wie mediale Verbreitung von gesellschaftlichen Leitvorstellungen sowohl in Filmen und Fernsehserien als auch in Werbebotschaften – die Macht von Bildern – und Interpretationen von gesellschaftlichen Entwicklungen in Presseberichten und Nachrichtensendungen wirtschaftliche und politische Macht und Herrschaft abgesichert haben und auch heute absichern. Auch die Formen der Medienregulierung als ordnungspolitischer Rahmen für Medienwettbewerb und Konzentration haben sich im Laufe der Zeit gewandelt. Früher standen medienspezifische Ansätze – Pressefusionskontrolle einerseits und Rundfunkstaatsvertrag andererseits – im Vordergrund der juristischen Regulierung. Angesichts der fortschreitenden technischen und ökonomischen Konvergenz zwischen Telekommunikation und Rundfunk auf Grund der umfassenden Digitalisierung und Informatisierung sowohl der Produktion von Inhalten als auch ihrer Verteilung wird zunehmend über eine medienübergreifende inhaltliche und institutionelle Regulierung vorrangig nach Vorstellungen zum wirtschaftlichen Wettbewerb diskutiert z.B. nach dem Vorbild der FCC in den USA oder der jüngst gebildeten OFCOM in Großbritannien. Wenn auch schon zu Zeiten der Einführung der damals revolutionären Technik des Buchdruckes über die Folgen heftig diskutiert wurde, so ist doch die seriöse wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Techniknutzung und Medienwirkungen besonders auf Jugendliche jüngeren Datums. Sie ist aber angesichts des zunehmenden Angewiesenseins der Bürger auf Medien zum Verständnis der nahen und fernen „Umwelt“ und angesichts verschärften kommerziellen Wettbewerbs und gleichzeitig zunehmender Konzentration im Bereich von Multimedia und Internetdiensten von nicht zu unterschätzender Bedeutung: Gerade auch im Zusammenhang von Medienentwicklung und Bildung, beruflicher Ausbildung und wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung geht es darum, negative Entwicklungen für die Individuen und für die Gesellschaft insgesamt zu minimieren und die positiven zu fördern.
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2. Medienentwicklung in geschichtlicher Perspektive
2.1 Medientechnik als revolutionierende Kraft und ihre Ausdifferenzierungen Moderne Medien sind geprägt von der jeweils angewandten Technik: der Technik der Produktion von Inhalten und deren Speicherung, – z.B. der Herstellung einer Druckvorlage für ein Buch und dessen Druck oder der Produktion eines Konzertes und dessen Speicherung auf CD`s –, der Technik der Verbreitung z.B. des Verkaufs über Buchhandlungen oder der Ausstrahlung eines Fernsehprogramms über Kabel oder Satellit und der Technik zur Nutzung z.B. durch Rundfunkempfangsgeräte, Videorecorder, CD-Player oder mit dem Internet verbundene PCs. Medientechnik bezieht sich also einerseits auf Produktionsprozesse und andererseits auf Infrastrukturen der Verteilung oder der Kommunikation und auf die entsprechenden „Endgeräte“. Medientechnik hat sich gerade in den letzten 50 Jahren besonders schnell entwickelt. Seit Einführung der Breitbandkabel ab Mitte der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts als zusätzliche Fernsehverteilinfrastruktur neben der bis dahin kapazitätsmäßig sehr begrenzten analogen terrestrischen Ausstrahlung gibt es in Deutschland das sog. Free TV, das rein kommerzielle Fernsehen, das über Werbeeinblendungen und das Sponsoring finanziert und privatwirtschaftlich organisiert ist. Die Kabelpilotprojekte – vorgeschlagen von der KtK 1976 – waren in Dortmund, Berlin, München und Ludwigshafen das Experimentierfeld mit der neuen Technik der Breitbandkabel und den neuen Satellitenangeboten. Politisch ging es Bundeskanzler Helmut Kohl und seinem „Medienminister“ Christian Schwarz-Schilling um die „Entauthorisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“. Der Bundespostminister Schwarz-Schilling startete daher Anfang der 80er Jahre die Verkabelung der Republik, finanziert aus den Einnahmen der Post und des Telefonverkehrs. Dieses Beispiel verdeutlicht, wie durch eine neue Verteiltechnik neue Medienorganisationen und Finanzierungsformen möglich werden. Die Einführung des Kabelfernsehens in der ersten Regierung Kohl, hoch subventioniert mit ca. einer Milliarde DM jährlich, hat also dazu beigetragen, aus einem rein öffentlich-rechtlichen Rundfunksystem das sog. duale Rundfunksystem zu entwickeln, das Nebeneinander von kommerziellen und gemeinwohlorientierten Programmen mit entsprechenden je spezifischen unternehmerischen Unternehmensformen. In diesem Sinne kommt der dynamischen Entwicklung der Medientechnik eine revolutionierende Kraft zu – und zwar in diesem Falle nicht über den Markt durchgesetzt sondern über den Staat nach rein (partei)-politischer Opportunität eingeführt. Technik und ihre Anwendung entwickelt sich daher nicht nur eigensinnig: Aus dem Angebot von alternativen Techniklinien mit je spezifischem Potential wird nach ökonomischen und politischen Interessen ausgewählt. So war die vom CDU-Medienpolitiker Schwarz-Schilling eingeführte und hoch subventionierte Kupferkoaxialkabeltechnik ohne Rückkanäle eine damals schon „überholte“, reine Verteiltechnik. Sie wurde jedoch ausgewählt, weil sie versprach, relativ schnell eine zusätzliche Verteilinfrastruktur aufzubauen, um dann auf dieser Basis kommerziellen Rundfunkveranstaltern wirtschaftliche Entfaltungsmöglichkeiten zu gewähren. So konnte der Wunsch von Bundeskanzler Kohl, das „Monopol“ der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten aus parteipolitischen Gründen zu brechen, realisiert werden. Die Entwicklung des Rundfunks in Deutschland von Beginn in Weimar an ist von staatlichem Einfluss und Missbrauch geprägt, sodass in sozialwissenschaftlicher Perspektive immer das von Spannungen bestimmte Dreieck von Technikentwicklung, industrieller Vermarktung und staatlicher Förderung, Inpflichtnahme und Beherrschung zu analysieren ist.
2. Medienentwicklung in geschichtlicher Perspektive
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Neue Medientechniken führen nicht nur zu neuen Medienorganisationen sondern rufen in den meisten Fällen auch neue Formen der juristischen Medienregulierung hervor. So sind z.B. der Wettbewerb und die Konzentration im Bereich des kommerziellen Rundfunks im Rundfunkstaatsvertrag der Bundesländer vom 31.8.1991, bisher sieben Mal – und einige Male substantiell – novelliert, geregelt. Neue Medientechniken, in ihrem Gefolge neue Medienorganisation und Finanzierungsformen mit je spezifischen inhaltlichen Angeboten rufen auch neue Wirkungen hervor, die z.B. den Jugendschutz vor neue Herausforderungen stellen. So wurde jüngst gemeldet, dass sich immer mehr Schüler und Schülerinnen Gewalt- und Pornodarstellungen auf ihr Handy herunterladen, u. a. um besonders „cool“ zu erscheinen. Vor Einführung der Handy-Technologie gab es diese Probleme nicht – zumindest nicht in dieser Form der massenhaften Verbreitung. Gleiches gilt für einen „übermäßigen“ Fernsehkonsum besonders bei Jugendlichen. Während auf dieser Mikroebene Medienwirkungen zunehmend auch wissenschaftlich fundiert diskutiert werden, kann man dies für die Makroebene, die Wirkungen des medialen und gesellschaftlichen Wandels durch neue Technologien und durch weitere Kommerzialisierung und Globalisierung der über sie verbreiteten Inhalte und Dienstleistungen auf die Funktionsfähigkeit der Demokratie nicht sagen, obwohl diese Wirkungsebene mindestens so wichtig ist wie die erst genannte. •
Vom Buchdruck zu Multimedia
Auch wenn das Meißeln von Buchstaben und Zeichen in Stein, auch wenn das Schreiben auf Pergament eine gewisse Technik im Sinne handwerklicher Fertigkeiten erforderte und weit in der Geschichte zurückreicht, so ist doch der Beginn der Medientechnik mit der Erfindung des Buchdrucks und seiner Verbreitung ab der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts anzusetzen. Dabei ist der Buchdruck nicht nur als neue Vervielfältigungstechnik zu verstehen, sondern als soziotechnisches und sozio-ökonmisches System in dem Sinne, dass neue technische Verfahren in herkömmliche wirtschaftliche und kulturelle Arbeitsweisen und Kommunikationsformen eingepasst werden und gleichzeitig diese eigensinnig verändern. In sozialwissenschaftlicher Perspektive ist Technikentwicklung und -anwendung nie ein isoliertes naturwissenschaftliches Phänomen sondern als Teil einer bestimmten Kultur und ihrer Veränderung zu analysieren. In diesem Sinne fragt Technikgeneseforschung nach den gesellschaftlichen Bedingungen, den ökonomischen und politisch vorherrschenden Interessen, den juristischen Rahmenbedingungen und den kulturellen Prägungen, warum sich spezifische Techniklinien durchsetzen, andere aber nicht. Hierbei sind auch die je spezifisch dominanten Leitbilder gesellschaftlicher Kommunikation zu analysieren. Analysiert man in diesem Sinne die Einführung des Buchdrucks und folgt man den Analysen Gieseckes, so ist festzuhalten: 1.) Die Nutzung der neuen Technik orientiert sich zunächst an den Vorläufern: Gutenbergs Ziel war eine Schönschreibmaschine ohne Griffel und Feder zur schnellen Vervielfältigung von bisher hand(ab)geschriebenen Folianten. Erst im Laufe der Zeit entwickelt das neue Medium seine „Eigensinnigkeit“ und seinen spezifischen Platz in der gesellschaftlichen Kommunikation.
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2. Medienentwicklung in geschichtlicher Perspektive
2.) Die Einführung der neuen Technik wird von mannigfachen kritischen Stimmen begleitet: Es wird vor Missbrauch gewarnt, Fehler würden sich durch die schnelle, massenhafte Verbreitung potenzieren. Grundsätzlicher: Die Übersetzung und die durch den wohlfeilen Buchdruck weite Verbreitung der Bibel schocken die Traditionalisten, die ihre Herrschaft – u. a. durch das Monopol der Interpretation der lateinischen Bibel gesichert – untergraben sehen. Wissen wird durch den Buchdruck massenhaft zugänglich. Dadurch beginnt sich die ständische Ordnung aufzulösen, obwohl „das Anhäufen von Informationen der Mehrzahl der Menschen im Mittelalter als ein gefährliches und verwirrendes Unterfangen galt“(Giesecke S. 179). 3.) Die damals revolutionär neue Technologie verhilft der Durchsetzung einer freien Marktwirtschaft der Meinungen auf die Sprünge. „Meinungsstreit war die unmittelbare Folge des Fortfalls des Approbationsprinzips und des Versagens der umfassenden Vorzensur“(Giesecke S. 186). Die Einführung des Buchdrucks stellt damit auch einen Bestandteil des Übergangs vom Mittelalter in die frühe Neuzeit dar. 4.) Die Zugriffschancen auf „kodifiziertes“ Wissen für die breite Masse der Bevölkerung – so sie denn des Lesens und Schreibens kundig ist – steigern sich enorm. Außerdem: „Skriptographische Informationsverarbeitung erlaubt es, die Auswahl und Vernetzung von Informationen zu anonymisieren. Sie ermöglicht damit – bezogen auf den politischen Bereich – geheime Wahlen abzuhalten, und diese gelten wiederum als ein konstitutiver Bestandteil der abendländischen Demokratie“(Giesecke S. 187). 5.) Der Buchdruck und seine Verbreitung tragen im jeweiligen Land seiner Verbreitung zur Herausbildung einer allgemeinen Öffentlichkeit bei. In Deutschland stärkt dies wiederum die Selbstreflektion der Nation. „„Deutschland gebührt für alle Zeiten der Ruhm, diese nützliche Kunst hervorgebracht zu haben“, so liest man überschwänglich bei Giovanni Andreae 1468. „Die Wissenschaften, die guten Autoren, die dank dieser Tat“ – eben der Erfindung des Buchdrucks – „zur Unsterblichkeit gelangen – alle sind sie unserem Deutschland verpflichtet“ schreibt Johannes Nauclerus in seiner 1516 gedruckten Chronik“ (Giesecke S. 193). 6.) Das typographische Kommunikationssystem – die Organisation des Bücher-Schreibens, -Druckens und -Vertreibens – hat sich als eigenes Subsystem der Gesellschaft herausgebildet: der Staat legt für dieses „eigensinnige“ Subsystem im Presse- und Urheberrecht, im Datenschutzgesetz und im Gesetz über jugendgefährdende Schriften nur Rahmenbedingungen fest, innerhalb derer sich der „marketplace of ideas“, der Marktplatz der veröffentlichten Informationen und Meinungen nach den Regeln der Konkurrenz – der Rezipient vergleicht und wählt das aus, was ihm am meisten zusagt – frei entfalten kann (vgl. Giesecke S. 462ff). 7.) Das Buch, der Speicher von Informationen, Wissen, Erfahrung, Phantasie, Spekulation und Utopien in allen Bereichen menschlichen Lebens – Natur- und Geisteswissenschaften, Beruf und Freizeit, Literatur, Musik, Kunstwerke, Geschichte und Zukunftsentwürfe und -phantasien – wird zur Ware auf einem nach ökonomischen Gesetzen determinierten, d.h. durch Renditestreben gesteuerten Markt (Giesecke S. 640ff). Kultur und Ökonomie gehen damit eine – nicht immer spannungsfreie – Symbiose ein.
2. Medienentwicklung in geschichtlicher Perspektive
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Nimmt man diese Punkte zusammen, so wird die revolutionäre Kraft des sozio-technischen und kulturwirtschaftlichen Kommunikationssystems „Buchdruck“ zur gesellschaftlichen Veränderung in praktisch allen Lebensbereichen deutlich. Auf der Basis des Buchdrucks hat sich neben Flugblatt, Flugschrift und Plakat die Presse als Oberbegriff über alle periodisch erscheinenden Druckwerke entwickelt und zwar erschienen bereits 1609 in Wolfenbüttel der „Aviso“ und in Straßburg die „Meßrelationen“. 1650 wurde in Leipzig die erste Tageszeitung, die „Einkommende Zeitungen“ verbreitet. 1665 erschien in Paris die erste wissenschaftlich ausgerichtete Zeitschrift, das „Journal des Savants“. Die weitere Rationalisierung der Drucktechnik begünstigte ab Ende des 19. Jahrhunderts Massenauflagen. Dies trug zur Entstehung von publizistischen Großunternehmen bei, die auch zur besseren Auslastung des Maschinenparks als Mehrzeitungsverlage Pressegruppen oder Presse-Konzerne bildeten. Hier begegnet uns zum ersten Mal der Einfluss der Technik – die Ermöglichung von Massenproduktionsvorteilen – auf Wettbewerb und Konzentration. Neben den Großverlagen wie Ullstein und Scherl oder dem Mosse-Konzern oder später dem Hugenberg-Konzern existierten und existieren die für Deutschland typischen Regional- und Lokalzeitungen. Gleichzeitig bildete sich der Typ des Generalanzeigers heraus als Vorläufer der heutigen „unabhängigen und überparteilichen“ Tageszeitungen – auf lokaler bzw. regionaler Ebene heute oft als Monopolzeitungen. Im Laufe der Zeit schritt die Ausdifferenzierung fort in der Unterscheidung von Boulevard- gleich Straßenverkaufszeitungen und Abonnementzeitungen. Unterteilt nach Erscheinungsweise traten neben die Tageszeitungen die Sonntags- und Wochenzeitungen. Unterteilt nach der Finanzierung traten neben die durch Verkaufsentgelt und Werbung getragenen Tageszeitungen die für den Bezieher vordergründig unentgeltlichen weil rein durch Werbung finanzierten Anzeigenblätter. Der Prozess der Institutionalisierung der Werbung und damit die Ermöglichung der (Teil)finanzierung von periodischen Presseerzeugnissen ist eng verknüpft mit dem Prozess der Industrialisierung und der Durchsetzung kapitalistischer Wirtschaftsweise, also in Deutschland seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Dieser Prozess setzt eine arbeitsteilige Produktion von Massengütern, damit also funktionsfähige Märkte und einen gewissen Wohlstand der Gesellschaft über die Sicherung des Existenzminimums hinaus, also die Möglichkeit, auch modische Güter mit Markennamen für den Massenkonsum zu vermarkten, voraus. Hinzu kommen muss die Bereitschaft, sowohl bei den Presseproduzenten als auch bei den Rezipienten, Werbung zu akzeptieren. Dafür musste ein gewisser Gewöhnungs-, bzw. Lernprozess abgeschlossen sein. (Die Einführung und Durchsetzung der Werbung zur Finanzierung von Presseerzeugnissen hatte und hat einen Gewöhnungseffekt und eine Sozialisationswirkung) (vgl. Kiefer, Medienökonomik S.246ff) Presseunternehmen als Orte der redaktionellen Aufbereitung von Informationen und Nachrichten, der Herstellung des Produkts in der Kombination von redaktionell verantwortetem Teil und Anzeigen und Werbung und als Orte des Drucks sind eingebunden in mehrstufige Wertschöpfungsketten: auf der ersten Stufe stehen die Informations- und Pressedienste, Agenturen und freischaffende Autoren als Lieferanten der „Rohstoffe“, auf der letzten Stufe steht der Vertrieb. Idealtypisch sollen alle Stufen für sich unabhängig und durch ökonomischen Wettbewerb bestimmt sein, um Wahlmöglichkeiten zwischen den Konkurrenten auf einer Stufe in Bezug auf die Angebote der vor- und der nachgelagerten Stufen zu erhalten.
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2. Medienentwicklung in geschichtlicher Perspektive
Tatsächlich sind Tendenzen der vertikalen Integration, der Beherrschung der gesamten Wertschöpfungskette durch ein Medienunternehmen, festzustellen. Die Entwicklung der Presse hin zu kapitalistischen Unternehmungen ist begleitet von dem andauernden Streit über die Interpretation der Pressefreiheit: Überspitzt formuliert geht es um die Frage, ob dieses Grundrecht eher im Zusammenhang der Kommunikationsfreiheiten zur Absicherung der Demokratie zu sehen ist oder eher im Zusammenhang der Berufsfreiheit und des Eigentumsschutzes für die Verleger als Individuen (vgl. Kiefer, Medienökonomik S. 64 und weiter unten in Kap. 4). Die Ausdifferenzierung bei den Zeitschriften, die gerade in den letzten 20 – 30 Jahren bewusst aus ökonomischen Interessen u. a. aus dem Verlangen nach Zielgruppenwerbung ohne Streuverluste forciert worden ist und an Geschwindigkeit und Umfang zugenommen hat, ließ neben die Publikumszeitschriften vom Typ „DER SPIEGEL“, „Stern“ oder „Focus“ besonders vielfältige special interest-Zeitschriften entstehen und um die Gunst des immer heterogeneren Publikums buhlen: Frauenzeitschriften und Männermagazine, Programm- und Sport- bzw. Hobbyzeitschriften, Wirtschafts-, Reise- und Wissenschaftsmagazine, Verbandszeitschriften und Berufsnachrichten etc., wobei es in vielen Fällen schwer ist, zwischen journalistisch verantworteten Inhalten und in „Artikeln“ versteckter Werbung und Public Relations zu unterscheiden. Der Prozess der Ausdifferenzierung bei den Zeitschriften ist nicht nur dem Prozess der Ausdifferenzierung der Publika gefolgt, sondern hat sie aktiv mit betrieben: Jede Sportart bedarf ihrer speziellen Geräte und ihrer speziellen Kleidung, ihrer eigenständigen Arenen und ihrer speziellen Fangemeinschaften und deshalb eben auch spezieller, vorrangig über Werbung finanzierter Zeitschriften als Marketing Promotoren. Der Ausdifferenzierung bei den Typen der periodischen Publikationen entspricht weitgehend eine Aufspaltung der Pressemärkte in Teilmärkte nach räumlichen und inhaltlichen Dimensionen. Aus der Sicht eines Konsumenten konkurriert ein Tennismagazin nicht mit einer Zeitschrift für Jäger, die „Bild-Zeitung“ nicht mit der FAZ. Deshalb bilden die Sportzeitschriften einen Teilmarkt der periodischen Presse ebenso wie die Boulevardzeitungen. Dies gilt aber nicht in Bezug auf die in den verschiedensten Zeitschriften verbreiteten Werbebotschaften – z.B. für Unterhaltungselektronik, Automobile oder Waschmittel. Diesbezüglich bilden die verschiedensten Zeitungen und Zeitschriften einen gemeinsamen Werbemarkt. Werbung ist nicht auf Dauer mit der Presse verbunden. Neue Formen der Werbung finden sich bereits im Internet, z.B. im Zusammenhang mit Suchmaschinen, dem Schreiben von E-mails oder Buchungsvorgängen. Aktuell wird an der Professionalisierung des „virilen marketing“ gearbeitet, d.h. Werbebotschaften sollen sich wie Viren durch Mund zu Mund-Propaganda ausbreiten und so eine noch höhere Wirkung erzielen. Die Symbiose von Tagespresse und Zeitschriften mit den Werbeanzeigen ist daher als eine historische Erscheinung anzusehen. Es hat von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis Ende des 19. Jahrhunderts gedauert, bis neben den Buchdruck für Bücher und die periodisch erscheinenden Veröffentlichungen ein weiteres technisches Medium trat, das Telefon. Als Ende des 19. Jahrhundert Alexander Graham Bell einer Kommission seine Erfindung vorstellte, kam diese zu dem Ergebnis, dass diese neue Technik sehr wohl dazu geeignet sei, Kommandos von der Brücke eines Schiffes in den Maschinenraum zu übermitteln. Sie konnte sich aber nicht vorstellen, was denn ein Nutzer in New
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York mit einem anderen in Boston über den Verbindungsdraht besprechen sollte. Das Telefon hat auf dem Weg der Integration in den Alltag von heute etwa 600 Millionen „Fernsprechteilnehmerhaushalten“ weltweit gleich etwa 40% der 1,5 Milliarden Haushalte einen mehrfachen Funktionswandel durchgemacht. In diesem sozialen Prozess der Technikentwicklung werden 5 Stufen unterschieden: 1.) Vom technischen Demonstrationsobjekt des hessischen Physiklehrers Phillip Reis zum Kommunikationsmedium 2.) Vom massenkommunikativen Verteilmedium zum Individualkommunikationsmedium. Das Telefon wurde zunächst auch als Mittel zur Verteilung rundfunkähnlicher Unterhaltungs- und Informationsdienste benutzt. So gab es in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts in Bayern telefonische Opernübertragungen – ein Beleg für die Multifunktionalität des Telefons. 3.) Vom Nah- zum Fernmedium. 4.) Vom Geschäftsmedium zum massenhaft verbreiteten Privatmedium. Bis zur Privatisierung des öffentlichen Fernmeldewesens Ende des vorigen Jahrhunderts wurden auf Grund der an Allgemeinwohlkriterien orientierten Tarifstruktur – Flächendeckung im Raum, Einheitlichkeit der Gebühren, Ermäßigungen für einkommensschwache Haushalte – die Privatgespräche durch die geschäftlichen Telefonate subventioniert. Trotzdem gab es noch Anfang der 70er Jahre 46% der privaten Haushalte ohne Telefonanschluß. Der Versorgungsgrad war nach Einkommen stark unterschiedlich: einkommensschwache Familien 21%, einkommensstarke 88% (vgl. KtK) Heute ist nahezu jeder Haushalt in der Bundesrepublik mit einem Telefonanschluß versorgt. 5.) Von der Unidirektionalität zunächst nur genutzt zur Telegrammübermittlung – zur Interaktivität. (vgl. zu den Entwicklungsstufen Beck). Die Integration des Telefons in den Alltag der Bürger, besonders aber der Jugendlichen ist wesentlich durch die Senkung der Telefongebühren besonders in den letzten Jahren erfolgt. Hieß es früher an den öffentlichen Telefonzellen „Fasse Dich kurz“, so ermöglichen heute durch internationalen Wettbewerb niedrige Kosten für Call by Call Gespräche oder flat rates zeitlich wie räumlich grenzenloses Telefonieren. Gab es in der Zeit des Monopols der staatlichen Fernmeldeverwaltung nur das graue „Einheitstelefon“, so führte die Liberalisierung des Endgerätemarktes zu einer Vielfalt der Geräte – schnurlose Sprech- und Empfangsgeräte, Anrufbeantworter und Handys – und zu Zusatzfunktionen wie die zunächst unter Datenschutzaspekten diskutierte Rufnummeranzeige. Die Handys wurden zu Multifunktionsgeräten entwickelt: Neben dem Telefonieren ermöglichen sie das Schreiben von SMS, das Photographieren und die Nutzung als Navigationsgerät. Der weitere Ausdifferenzierungsprozess des Mediums Telefon begann mit der„Zusatzfunktion“ des Faxens und setzte sich fort mit der Einführung von ISDN, integrated services digital network. Hatten sich bis Ende der 80er Jahre der digitale Computer und das analoge Telefonnetz als technisch getrennte Systeme entwickelt, so erlaubte die Digitalisierung der Telefoninfrastruktur nicht nur eine wesentliche Erhöhung des Übertragungsvolumens und der Geschwindigkeit, sondern auch die Verknüpfung mit PCs. Damit ergaben sich neue Dienste wie z.B. Bildschirmtext als Vorläufer der Internetrecherche, E-mail als elektronischer Brief bis hin zur Übertragung bewegter Bilder – Internet Fernsehen –, alles über die freilich technisch stark veränderte Telefoninfrastruktur.
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Das Telefon und seine weiteren Dienste haben die „vergangene“ strikte Trennung zwischen beruflicher Tätigkeit außer Haus und der „Privatsphäre“ verwischt: Immer mehr berufliche Dienstleistungen und Geschäftstätigkeiten können und werden von der Wohnung aus online erledigt – tele-working. Hinzu kommen Erledigungen wie home banking, home shopping und online Informationen über Reiseziele und Buchung von Reisen. Die Integration des Telefons in den Alltag verändert Berufswelt und „Freizeit“, Kommunikationsverhalten und Einstellung zu neuen Techniken, bei Jugendlichen aber zunehmend auch bei Älteren. Als weitere Medien, die sich auch zunächst völlig eigenständig entwickelten – neben den Printmedien und dem Telefon und seinen Ausdifferenzierungen – sind der (Kino)film, der analoge Hörfunk und das Fernsehen zu behandeln. Erste öffentliche Filmvorführungen – schwarz-weiße bewegte Bilder ohne Ton – fanden etwa zeitgleich in Berlin und Paris – 1895 – und New York – 1896 – statt und zwar in Jahrmarktbuden oder Cafés (zur Filmgeschichte vgl. z.B. Brockhaus). Ab 1905 wurden spezielle Filmvorführräume benutzt mit live Musikbegleitung. Um 1910 bereits waren die trivialen Genres wie Kriminal- und Komödienfilm – Frankreich – oder Westernfilm – USA – ausgeprägt. In Deutschland spezialisierte sich der frühe Film auf phantastisch-neoromantische Stoffe. Damit wird deutlich, dass die Entwicklung des Films als sozio-technisches System und kulturelles „Gut“ von Anfang an einerseits international beeinflusst war, aber in seinen Inhalten je spezifische Akzente auf Grund kultureller Besonderheiten und historischer Prägungen in den verschiedenen Ländern annahm. Mit Beginn des ersten Weltkrieges übernahmen die USA die Führung auf dem Film-Weltmarkt, eine Führung, die bis heute anhält. In diese Zeit fällt auch die politisch forcierte Entwicklung des Propagandafilms. 1917 wurde in Deutschland die Universum Film AG (Ufa) gegründet, die „dokumentarische“ Wochenschauen von den Kriegsschauplätzen lieferte, die vor den eigentlichen Filmen liefen. Nach dem 1. Weltkrieg waren die Filme in Deutschland vorrangig Filmkomödien, historische Großfilme und utopische Monumentalfilme wie etwa Metropolis von Fritz Lang. Der Tonfilm, der ab etwa 1930 eingeführt wurde, knüpfte an den Stummfilm an, der zu dieser Zeit bereits ein Massenpublikum gefunden hatte. Er nahm die besondere Gestalt des Musikfilms an – z.B. „Der blaue Engel“ (J. von Sternberg). Nachdem Hitler 1933 die politische Macht zuerteilt worden war (vgl. dazu u. a. Hallgarten, Radkau), waren über 500 führende Schauspieler und Filmregisseure zur Emigration gezwungen. Dies, die Anwendung einer strikten Zensur und die Verbrennung von Büchern sowie die Verfemung von Künstlern durch die Stigmatisierung ihrer Werke als „Entartete Kunst“ sind nur als Akte der Barbarei und als kultureller Rückfall aus Angst vor der Moderne zu kennzeichnen. Im Nationalsozialismus standen zur Stützung des Regimes monumentale Dokumentarfilme wie „Triumph des Willens“ von Leni Riefenstahl oder „Kolberg“ und „Durchhalte“-Wochenschauen der Ufa im Vordergrund. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde der Farbfilm entwickelt, der eine lange Zeit neben dem Schwarz-Weiß-Film lief, während der Tonfilm den Stummfilm direkt verdrängt hatte. Mit wenigen Ausnahmen des politischen Films – z.B. „Des Teufels General“ 1955 von Käutner – wandte sich der Film in Deutschland der reinen Unterhaltung zu, insbesondere dem Heimatfilm. Spiegeln Filmsujets gesellschaftliche Entwicklungen wider, so ist dies Ausdruck der damals vorherrschenden Verdrängung der deutschen Geschichte des vorigen Jahrhunderts.
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In den 60er und 70er Jahren kam das Fernsehen in Deutschland stark auf als Konkurrenz zum Kinofilm. Die Reaktion der Filmindustrie waren die Präsentation des Breitwand Verfahrens als technische Innovation, die Schaffung darauf abgestimmter Monumentalfilme als inhaltliche Innovation und die Versuche mit dem Autoren- und dem Experimentalfilm. Hierin wird sichtbar, dass das Medium Film sein spezifisches Profil sucht, um im medialen Wettbewerb durch Alleinstellungsmerkmale zu überleben. Ein solches Merkmal war in Deutschland ab 1975 die Entwicklung des Erzählkinos. Gleichzeitig aber wurden auch spezifische Filmproduktionen entwickelt, die sowohl für die Vorführung im Kino als auch im Fernsehen – Fernsehfilm – geeignet waren und sind. Hierin kann eine Doppelstrategie in der Konkurrenz gesehen werden: Einerseits spezifische Abgrenzung und Profilierung, andererseits Kooperation, um sozusagen Huckepack mit dem Fernsehen zu überleben. Während die technische Evolution des Films kontinuierlich erfolgte, vom Stummfilm in Schwarz-Weiß zum Tonfilm und dann zum Farbfilm auf Großbildleinwand bis hin zu spektakulären Tricks und Computeranimationen und 3-D-Versuchen, fand die Ausdifferenzierung der Filmgattungen in ihren Grundzügen bereits ganz am Anfang der Filmgeschichte statt. Die Suggestivkraft des Films durch Emotionalisierung mit Hilfe von Großaufnahmen und Musik ist im medialen Vergleich am höchsten einzuschätzen. Daher war und ist sein Missbrauch zur politischen Propaganda besonders gefährlich. Auch für das Medium Film gilt, dass seine Entwicklung entscheidend von technischen Neuerungen geprägt war und ist. Außerdem wurde seine Evolution sowohl von kommerziellen Überlegungen als auch von politischen Intentionen, nicht nur der Propaganda sondern auch der Bewahrung kultureller Identität, wie z.B. bei der staatlichen Filmförderung in Frankreich, geprägt. Die kommerziellen Imperative ergeben sich besonders aus dem praktisch 100prozentigen Fixkostenanteil der Produktion und Verteilung. Daher müssen aufwendige Produktionen so angelegt sein, dass sie mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit ein Massenpublikum – heute möglichst weltweit – erreichen, um die Kosten und möglichst noch einen Gewinn wieder einzuspielen. Die Produktionsbedingungen: hoher technischer Aufwand, extrem hohe Gagen für bekannte und akzeptierte Schauspielerinnen und Schauspieler und damit der hohe Fixkostenanteil bestimmen die Themenauswahl und die inhaltliche Präsentation. Der Beginn des Hörfunks ist etwa zeitgleich mit der Entwicklung des Telefons und des Films anzusetzen. Nachdem der Pionier in technischer Hinsicht Heinrich Hertz 1888 den Nachweis erbracht hatte, dass sich elektromagnetische Schwingungen im Raum oder längs elektrischer Leitungen fortpflanzen, wurde an der Verwertung dieser Erkenntnisse gearbeitet: am 22.12.1920 sendet die Hauptfunkstelle Königs-Wusterhausen ein erstes Instrumentalkonzert aus. 1923 beginnt die offizielle Eröffnung des Hörfunks in Deutschland mit Mittelwellensendern. 1926 gibt es bereits 1 Mio. Rundfunkhörer. Erstmals 1925 wird ein Radioprogramm auf Kurzwelle von den USA nach Europa übertragen. Bertold Brecht sieht das Grundproblem des Hörfunks darin, dass er erfunden wurde, ohne dass es ein Bedürfnis dafür gegeben habe: „Nicht die Öffentlichkeit hatte auf den Rundfunk gewartet, sondern der Rundfunk wartete auf die Öffentlichkeit“ (Radiotheorie, 1927 – 1932). Die Rundfunkentwicklung in Deutschland ist von Anfang an stark von staatlicher Intervention geprägt. 1925 wird die Reichsrundfunkgesellschaft (RRG) mit Hans Bredow als Vorsitzendem gegründet. Die deutsche Reichspost ist mit 51% beteiligt. 1926 wird der „Drahtlose
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Dienst“ als AG (DRAD AG) aus der Taufe gehoben. Das Reichsinnenministerium sicherte sich damit entscheidenden Einfluss auf das inhaltliche Programmangebot, denn diese Gesellschaft hatte das Monopol für alle Nachrichtensendungen und andere Formen der politischen Berichterstattung. Hierin kommt lange vor Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft ein obrigkeitsstaatliches und autoritäres Verständnis in Bezug auf Medienangebote zum Ausdruck, das mit Vorstellungen einer freiheitlichen demokratischen Verfassung nicht zu vereinbaren ist. 1933 wurde die RRG zum Eigentum des Reiches erklärt und direkt dem Propagandaministerium unter Joseph Goebbels unterstellt. Zeitversetzt folgt das Fernsehen der Entwicklungslogik des Hörfunks. Anfang des 20ten Jahrhunderts wurde die Braunsche Röhre und der Röhrenverstärker entwickelt, damit bewegte Bilder zerlegt und über Entfernungen übertragen werden können. Noch im Versuchsstadium werden 1928 in den USA und 1929 in Großbritannien von der BBC erste regelmäßige Fernsehsendungen ausgestrahlt. Ab 1934 sendet die RRG gemeinsam mit der Reichspost Kurzfilme und Wochenschauen auch versuchsweise. Die Olympiade 1936 wird übertragen, auch ein Propagandaereignis. Seit 1938 bemühen sich die Forschungsanstalt der Reichspost und deutsche Firmen um die Gemeinschaftsentwicklung eines deutschen „Einheitsfernsehempfängers“ wie vorher bei der Entwicklung des „Volksempfängers“ beim Radio. Nach dem 2. Weltkrieg wurden unter bestimmendem Einfluss der Alliierten 3 Lehren aus der jüngsten Geschichte gezogen: • der zukünftige Rundfunk dürfe nicht im Dienste einer Partei oder des Staates stehen • es sollte keinen kommerziellen Rundfunk wie in den USA geben, der sich allein durch Werbung finanziert • der Rundfunk sollte regional orientiert und nach dem Vorbild der BBC öffentlich-rechtlich organisiert sein. Ende der 40er Jahre nahmen die Landesrundfunkanstalten ihre Sendungen über eigene technische, terrestrische Sendenetze auf und schlossen sich 1950 zur ARD zusammen. Am 25.12.1952 begann der NWDR mit öffentlichen Fernsehsendungen in Schwarz-Weiß. 1954 startete in den USA das Farbfernsehen nach der NTSC-Norm. In Westeuropa außer in Frankreich wurde dagegen 1966/67 das Farbfernsehen nach der qualitativ überlegenen PalNorm eingeführt. 1961 – nachdem Bundeskanzler Konrad Adenauer ein zusätzliches staatliches Fernsehprogramm einführen wollte – bestätigte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), dass der Rundfunk staatsfern zu organisieren sei – er verbot das sog. Adenauer-Fernsehen, u. a. weil gemäß dem Grundgesetz nur die Bundesländer zur Normierung der Rundfunkverfassung legitimiert seien. Das BVerfG entschied, dass die Sendeinfrastruktur in der Hand der bundesstaatlichen Fernmeldeverwaltung liege, aber dem Rundfunk gegenüber eine rein dienende Funktion habe – die Landesrundfunkanstalten durften aus geschichtlichen Gründen ihre Sendenetze für die Dritten Programme behalten. 1962 wurde auch in Reaktion auf das Urteil des Bundesverfassungsgericht das ZDF durch Staatsvertrag von den Bundesländern als öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt gegründet, um ein zweites bundesweites Fernsehprogramm zu ermöglichen. Den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist auf gesetzlicher Basis ein Programmauftrag vorgegeben: Die Programme sollen der Information, der Bildung und der Unterhaltung
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dienen. Um ihre Unabhängigkeit zu sichern, werden sie durch eine allgemeine Gebühr finanziert, die von allen Haushalten zu entrichten ist, die Empfangsgeräte bereithalten. Der Ausdifferenzierungsprozess des Rundfunks bezieht sich sowohl auf technische und organisatorische als auch auf programmliche Aspekte. Beim Radio brachte die technische Innovation des UKW-Rundfunks einen großen Sprung in der Verbreitung und Nutzung. Dazu trug die Integration in komplette HiFi-Anlagen bei, zu denen zunächst Schallplattenabspielgeräte und heute CD-Player gehören. Das Radio wird heute von Erwachsenen als „Nebenbei“- Medium vorrangig am Morgen bzw. am Vormittag und im Auto genutzt Beim Fernsehen waren es die Einführung der Fernbedienung und die Durchsetzung des Videorecorders nach der VHS-Norm, die die Verbreitung vorantrieben. Heute geht es um HDTV, das hoch auflösende Fernsehen, das eine weit bessere Bildqualität ermöglichen soll und um flache Bildschirme, wo wiederum zwei technische Verfahren – LCDund Plasma Bildschirme – konkurrieren. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben bisher immer technische Neuerungen auch von der Seite ihrer Programmproduktionen unterstützt und waren daher ein verlässlicher Partner der Geräteindustrie. Organisatorisch brachte die Einführung des kommerziellen Rundfunks Anfang der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts grundsätzliche Veränderungen. Die Konsequenzen, die nach der Katastrophe der Naziherrschaft gezogen worden waren, wurden damit über Bord geworfen. Die Zeitungsverleger hatten schon frühzeitig die Privatisierung und damit Kommerzialisierung des Rundfunks gefordert: Private Rundfunkprogramme, über Werbung finanziert, etablierten sich besonders in der Form von Lokalradios, oft in der Hand von Zeitungsverlegern – in NRW in einer besonderen Organisationsform, die Kapitaleinfluss und redaktionelle Verantwortung zu trennen suchte. Im Fernsehbereich sendete nun eine Arbeitsgemeinschaft aus Zeitungs-, Zeitschriften- und Großverlagen sowie die Programmgesellschaft für Kabel- und Satellitenfunk (PKS) ihr Gemeinschaftsprogramm SAT 1. Seit August 1985 trat RTL Plus hinzu, getragen von der Bertelsmann AG und Radio Luxemburg. In programmlicher Hinsicht sind bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die Ausweitung der Sendezeiten bis rund um die Uhr und die Ausdifferenzierung der Programme zu nennen: Beim Hörfunk sind es die Aufgliederung in verschiedene „Wellen“ wie Musikkanäle verschiedener Genres einerseits und Informationskanäle zu politischen Nachrichten oder Informationen im Verkehrsfunk andererseits. Beim Fernsehen geht es zum einen um eine verstärkte Regionalisierung, zum anderen um neue Kanäle wie KiKa, den Kinderkanal des ZDF, wie arte, den deutsch-französischen Kulturkanal, ZDF Theater, 1 Extra, den Dokumentationskanal Phönix oder 3 Sat, den Gemeinschaftssender von ZDF, ORF und SRG. Hinzugekommen sind Online-Angebote wie Videotext oder z.B. tagesschau.de und ZDFmediathek, die zunächst nur Programm begleitend oder Programm ergänzend sein dürfen, was sich als Begrenzung angesichts der allgemeinen Internet-Entwicklung nicht wird halten lassen, denn die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten genießen laut Bundesverfassungsgericht eine Bestands- und Entwicklungsgarantie, die sich auch auf die Nutzung von allen möglichen technischen Verteilinfrastrukturen erstreckt. Bei den kommerziellen Fernsehveranstaltern ist eine Ausdifferenzierung neben den „Vollprogrammen“ hin zu Spartenkanälen wie Deutsches Sport Fernsehen (DSF), wie home shopping-Kanälen, religiösen Programmen oder Bahn TV festzustellen. Außerdem gibt es Pay-TV
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Programme, in Deutschland bes. von „Premiere“ angeboten. Premiere war zunächst Teil des Kirch-Imperiums mit seiner vorherrschenden Marktstellung im Bereich der Filmrechte. Kommerzielle Veranstalter experimentieren mit online-Angeboten und versuchen diese in die Mehrfachverwertung ihrer „Programme“ zu integrieren. Vorabverwertung sieht bei RTL so aus: „Nehmen Sie etwa die Erfolgsserie „CSI“, die auf vielen unserer Sender läuft. Eine Woche vor der TV-Ausstrahlung könnte man Ausschnitte und Trailer auf YOU TUBE oder Clipfish bereitstellen. Einen Tag vorher kann die Episode online als Video-on-Demand abgerufen werden, gegen Bezahlung natürlich. Dann die reguläre Ausstrahlung im traditionellen Fernsehen, über DSL und Handy-TV. Am Tag danach steht die Episode als kostenloser download mit Werbung oder gegen Bezahlung ohne Werbung bereit. Und hinterher vermarkten wir DVD-Boxen der einzelnen Staffeln“ (RTL Chef Zeiler, SPIEGEL-Gespräch, DER SPIEGEL 17, 2007 S. 102f). So soll unternehmerisch auf das im Verhältnis zum Online-Werbeboom stagnierende Werbewachstum im kommerziellen Fernsehen reagiert werden. Technisch geht es immer wieder um Normungen, die einerseits zu einer möglichst weitgehenden Vereinheitlichung der Verbreitungs- und Empfangseinrichtungen führen sollen – vgl. die gescheiterten Versuche der EU, die D2-MAC-Norm für verbindlich zu erklären –, die andererseits aber oft mit Industrieinteressen kollidieren, die „ihre“ Industriestandards marktmäßig durchsetzen wollen. So versucht Sony 2007 die Playstation 3 als Trojanisches Pferd mit dem neuen DVD-Standard „Blue-ray“ in die Wohnzimmer zu bringen: Das in die SpieleKonsole eingebaute DVD-Laufwerk kann hoch auflösende Filme abspielen. Auf diese Weise versucht sich der Konzern aus Japan gegen den Konkurrenz-Standard HD-DVD durchzusetzen, auf den vor allem Microsoft und Toshiba setzen. Sony Pictures Entertainment produziert schon kräftig hoch auflösende Filme für das Blue-ray-Format. Damit beherrscht Sony die gesamte Wertschöpfungskette von der Filmproduktion bis zu den Abspielgeräten. Die Konsolen werden für 200,– $ unter den Herstellungskosten angeboten, um den Industriestandard durchzusetzen, doch bisher ist Sony bei den Spielkonsolen der neuen Generation weltweit nur die Nummer 3. Inzwischen aber wird gemeldet, dass Toshiba seine Unterstützung für HD-DVD aufgibt, sodass sich wohl der Industriestandard Blue Ray Disc durchsetzen wird (Rhein-Zeitung 20.2.2008, S. 9). Betrachtet man die bisher geschilderte Mediengeschichte im Überblick, so ging und geht es in systematischer Perspektive auf der Ebene der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung um den Diffusionsprozess von Medienprodukten – Bücher, Zeitungen und Zeitschriften und Filmen – und beim Rundfunk um die Diversifizierung von Verteilinfrastrukturen und um die Vermarktung von immer neuen Programmformaten und von Empfangsgeräten: Es gibt bestimmte Lebenszyklen z.B. von Fernsehgeräten, die entweder durch Neuerungen wie den Übergang vom Schwarz-Weiß- Fernsehen zum Farbfernsehen oder durch das Angebot von flachen Bildschirmen verlängert werden oder aber durch neue Produktlebenszyklen wie die Einführung von Videokassettenrecordern oder DVD-Playern ergänzt oder sogar ersetzt werden.
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Schaubild 2: Lebenszyklen von Produkten Umsätze Produkt 1
Sättigung
Invention
Take off Produkt 2
Abschwung
Start Produktvariation von 1
Markteinführung
Zeit
Diese Lebenszyklen werden durch staatliche Maßnahmen – Forschungsförderung und Normungsprozesse – beeinflusst, zum Teil sogar determiniert, wenn man an die Entwicklung des „Volksempfängers“ denkt. Auf der Ebene der Infrastrukturen ist festzustellen, dass der Staat bzw. die ihn „Lenkenden“ durch die Beherrschung der Verteilnetze immer wieder versucht hat bzw. haben, die Kontrolle über die Medienangebote zu erhalten – und dies gilt sowohl für die Weimarer Republik als auch für die Zeit des Nationalsozialismus und auch für die Bundesrepublik. Heute gibt es eine Vielfalt der technischen Übertragungswege für das Fernsehen: analoge und digitale terrestrische Sendenetze, Kabel- und Satellitenübertragung, ebenfalls analog und digital und in ersten Ansätzen das Internet. Was nun die inhaltlichen Angebote angeht, so bietet der Buchmarkt buchstäblich alles: Praktische Lebenshilfe, berufliche Informationen und Bildung, Wissenschaften, Geschichte und Kultur in all ihren Ausprägungen der Literatur, des Theaters, der Musik und der bildenden Kunst und dies in den verschiedenen Formen der Präsentation – vom preisgünstigen Paperback bis zu teuren Luxusfolianten. Eine ähnliche Ausdifferenzierung der Titel und Inhalte ist bei den Zeitungen und besonders den Zeitschriften anzutreffen. Für den Rundfunkbereich prägt seit Anfang der 80er Jahre das sog. Duale System die Inhalte der Sendungen, das Nebeneinander von öffentlich-rechtlichem Rundfunk, zur Information, Bildung und Unterhaltung der Bürger verpflichtet, und kommerziellen Angeboten, die vorrangig der Unterhaltung der Konsumenten dienen, die die Adressaten der Werbung und des Sponsoring im bzw. des Programms sind. Besonders die kommerziellen Programme müssen eine möglichst hohe Einschaltquote erzielen, um auf dem Werbemarkt eine maximale Rendite zu erwirtschaften – die Werbung treibende Wirtschaft zahlt einen 1000der Preis, d.h. pro 1000 Zuschauern des Programms, in dem ihre Werbung platziert wird. Die kommerziellen Sender verkaufen somit „ihre“ Zuschauerschaft an die werbetreibende Wirtschaft. Die privaten Programme wenden sich daher an das gleiche, möglichst große und zahlungskräftige Publikum und sie sind deshalb weitgehend inhaltlich gleich. Sie bieten immer wieder „more of the
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same“ an auf dem untersten Niveau des kleinsten gemeinsamen Nenners der massenhaft zu unterhaltenden Klientel. Überspitzt formuliert: Unbegrenzte Vielfalt insbesondere auf dem Bücher- und Zeitschriftenmarkt, Einfalt im kommerziellen Fernsehen, immer wieder künstlich durch angeblich neue Formate und „Sensationen“ verschleiert; relative Vielfalt bei der überregionalen seriösen Tagespresse, Einfalt bei der Boulevardpresse und vielfältige Programme der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sowohl was das Meinungsspektrum angeht als auch was die Formate betrifft. Das jüngste Medium ist das Internet, ursprünglich als Kommunikationsnetzwerk des amerikanischen Militärs entwickelt. Neben dem Telefon ist das Internet das bedeutendste Medium, weil es sehr schnell und universell interaktiv ist. Es eignet sich für E-mails, also elektronische Briefe, für den Zugriff auf Datenbanken weltweit, für das chatten und für den Datenaustausch. 2005 gab es weltweit über 1 Milliarde online Nutzer unter Einschluss der geschäftlichen Nutzung, für das home shopping, für das booking von Flügen, Reisen und Veranstaltungen, für das dating, für interaktive Spiele, für die Teilnahme an Versteigerungen und Glücksspielen, für das Telefonieren, für geschäftliche Korrespondenz und – bei breitbandigem Ausbau – für das Internet TV. Waren die Internet Dienste zunächst – abgesehen von den Telekommunikationskosten – entgeltfrei, so werden durch die Erschließung von immer raffinierteren Verknüpfungen mit Werbebotschaften und von Bezahldiensten neue Geschäftmodelle entwickelt, die die Internet Plattformen auch ökonomisch immer interessanter erscheinen lassen. So hat Google, das weltweite unentgeltliche privatwirtschaftliche Suchsystem über das Internet, sich zunächst über die Vermarktung der Zugriffszahlen auf die begehrtesten Begriffe –„the data base of intentions“ – finanziert (vgl. Batelle). Inzwischen verknüpft Google die gesuchten Begriffe mit dem Angebot von werbenden Informationen, die die Werbung treibenden Unternehmen je nach der Höhe der Zugriffe auf die betreffenden Schlagworte bezahlen müssen (vgl. DER SPIEGEL, Die Anzeigen-Maschine, 3/2007, S.58ff: „Der Werbemarkt im weltweiten Netz ist fest in der Hand von Google“). Google erscheint damit als monopolistisches Unternehmen in einem neuen Gewand, das allein schon durch die Auswahl von angebotenen Verknüpfungen von Begriffen und Informationen gate keeper-Funktionen und damit wirtschaftliche und publizistische Macht ausübt. Die Mediensysteme in Deutschland haben sich immer mehr nach US-amerikanischem Vorbild einer weitergehenden Ökonomisierung im Sinne einer verstärkten Kommerzialisierung auf Grund von starken Impulsen aus dem Wirtschaftssystem entwickelt (vgl. auch Kiefer, Medienökonomik S.34). Bemerkenswerter Weise hat bisher kein Medium ein anderes, „altes“ verdrängt. Jedes hat seinen Platz in dem unendlichen Ausdifferenzierungsprozess gefunden. Freilich hat sich z.B. der Film in der Konkurrenz mit dem Fernsehen verändert: einerseits versucht der Kinofilm Alleinstellungsmerkmale z.B. in der Präsentation zu entwickeln, andererseits gibt es inzwischen eine etablierte Kooperation in der Form des Fernsehfilms. Auch das kommerzielle Fernsehen verändert sich ständig: Immer weniger kann von „Programm“ im Sinne eines Vollprogramms die Rede sein. Unterhaltungsangebote und Werbung gehen schon seit längerem immer stärker fließend ineinander über. Mehrfach verwendbare Unterhaltungsepisoden, verbunden mit Nutzer-„beteiligung“ bestimmen das Angebot. Die geschilderten Medien sind einerseits in den Alltag der sie nutzenden Menschen integriert worden, andererseits haben sie diesen Alltag verändert in Bezug auf die Kommunikati-
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onsgewohnheiten und in Bezug auf die Weltsicht. So wird unser Bewusstsein vom Weltgeschehen in seinen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Aspekten wesentlich über Printund elektronische Medien geprägt: Dies ist Realitätswahrnehmung aus zweiter Hand, da für die Bürger die unmittelbare „Welt-erfahrung“ äußerst beschränkt ist. Während die elektronischen Medien in der Aktualität führend sind und diesbezüglich die Tagespresse abgelöst haben, so muss diese sich in der medialen Konkurrenz stärker um ausführlichere Hintergrundberichterstattung bemühen. Ob die Presse sich so auch gegenüber der „Häppchen-Kultur“ des Internet und vor allem der SMS-Kommunikationskultur über Handy behaupten kann, ist eine offene Frage. Die Kultur des Lesens geht bei Jugendlichen merklich zurück. Wie weit nun die Medien als sozio-technische bzw. sozio-ökonomische Systeme den gesellschaftlichen Wandel lediglich begleiten oder aber ihn vorantreiben bzw. evtl. auch bremsen, bedarf der eingehenden Analyse. Dabei ist auch die Frage zu beantworten, welche Rolle die juristische und medienpolitische Regulierung spielt bei dem Versuch, Medienentwicklung, durch technische Innovationsprozesse und wirtschaftliche Konkurrenz voranzutreiben bzw. zu kanalisieren. Dabei ist auch zu klären, welche Rolle die Förderung von Medienkompetenz in unserem Bildungssystem spielt. •
Digitalisierung und Konvergenz
Bis vor kurzem waren die analogen Welten des Telefons und des Rundfunks – analog deshalb, weil analoge Signale auf elektromagnetische Trägerwellen aufgeprägt werden (analoge Modulation) – einerseits und die des digitalen Computers – digital, weil sich die digitalen Signale aus 0 und 1 Informationen zusammensetzten (digitale Modulation) – andererseits getrennt und in Folge dieser technischen Differenzen bildeten sie auch getrennte Märkte. Auf Grund der sich abzeichnenden umfassenden Digitalisierung aller elektronischen Medien – sowohl der bisherigen Individual- als auch der Massenkommunikation, die die digitale „Sprache“ des Computers übernehmen – werden diese Trennungen in technischer und in Folge dessen auch in wirtschaftlicher Hinsicht aufgehoben. Wenn von dem gleichen Medienunternehmen sowohl Rundfunk- als auch Telekommunikations- und Computerdienste als auch Buchpublikationen (e-books zu Herunterladen via Internet) angeboten werden, spricht man deshalb von technischer und von ökonomischer Konvergenz. Beide Formen der Konvergenz ziehen zumindest in manchen Bereichen auch eine regulatorische Konvergenz im Sinne der Vereinheitlichung des ordnungspolitischen Vorgehens nach sich bzw. müssen diese möglicherweise nach sich ziehen. Auf der Infrastrukturebene, auf der Ebene der Verteilung von Rundfunkprogrammen und der Ermöglichung von technisch vermittelter Individualkommunikation ist zunächst zwischen den Rundfunkübertragungsnetzen und den Telekommunikationsnetzen zu differenzieren. Bezüglich der Rundfunkverteilnetze ist festzuhalten, dass 2008 die analogen terrestrischen Sendenetze in Deutschland abgeschaltet werden. 2006 hat die Regional Radiocommunications Conference (RCC 06) in Genf – durchgeführt von der International Telecommunications Union, einer Organisation der UNO – einen neuen Frequenzplan für die digitale terrestrische Ausstrahlung von Hörfunk und Fernsehen (DVBT) rechtsverbindlich verabschiedet. Gegenüber den analogen Frequenzen ermöglicht DVBT eine Vervielfachung der Kanalkapazitäten: Waren es bisher normalerweise fünf terrestrische Kanäle – drei öffentlich-rechtliche (das ARD
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Gemeinschaftsprogramm; das jeweilige Dritte Programm und das ZDF) und zwei kommerzielle Programme (Sat 1 und RTL), so sind es jetzt 24 digitale Programmäquivalente, die im deutschen dualen Rundfunksystem je zur Hälfte auf die öffentlich-rechtlichen Veranstalter und auf die privaten Programmanbieter aufgeteilt werden. Mit dieser Form der Ausstrahlung wird es möglich, die gesamte Produktions- und Verteilkette durchgängig digital zu gestalten von den digitalen Kameras und der Speicherung über die Ausstrahlung bis hin zu den Empfangsgeräten, den alten Geräten mit zusätzlichem digitalem Decoder oder den neuen von Grund auf digitalen. Neben der Vervielfachung der Übertragungskanäle und einer Reduzierung der Kosten der Übertragung bietet DVBT auch noch eine größere Mobilität in Bezug auf den Standort des Empfangsgerätes: es ist lediglich eine Zimmerantenne erforderlich, die mit dem Fernseher mitwandern kann – z.B. aus dem Wohn- oder Schlafzimmer in die Küche oder auf die Gartenterrasse. Auch der zweite Übermittlungsweg, das Kabel wird auf digitale Übertragung umgestellt: auch hier kommt es zu einer Vervielfachung der Übertragungskapazitäten: einem analogen Kabelkanal entsprechen zehn Programmäquivalente; waren bisher in Deutschland im Kabel also beispielsweise 30 Kanäle im Angebot und sollen alle nach der Digitalisierung wieder für die Fernsehübertragung genutzt werden, so stehen dann 300 zur Verfügung. Der Begriff des „digitalen Fernsehens“ ist irreführend, weil den Blickwinkel verengend: Das digitale Breitbandkabel ermöglicht viel mehr als Fernsehen und Rundfunkhören. Es ermöglicht „Video on Demand“, wenn es denn zur Interaktivität aufgerüstet werden würde. Es ermöglicht schnellen Internetzugang und Internet Telephonie. Es ermöglicht damit e-Learning, e-Governmet, e-Commerce, home shopping und tele-working, wie es das breitbandige Internet ebenfalls vermittelt. Damit diese Möglichkeiten Wirklichkeit werden, bedarf es einerseits großer wirtschaftlicher Investitionen in die Netzinfrastrukturen und andererseits neben der allgemeinen Kabelgebühr neuer Geschäftsmodelle und Abrechnungsmodalitäten. (Zum Umstieg auf das digitale „Fernsehen“ vgl. Lange, Expertise). Bei der Satellitenübertragung bestehen gegenwärtig analoge und digitale Wege nebeneinander, für beide ist ein je entsprechender Decoder notwendig. Für die digitalen Satellitenkanäle ist die Kapazität ähnlich unbegrenzt wie beim Kabel. Solange die Programme des sog. Free TV unverschlüsselt und damit, was die Übertragung angeht, unentgeltlich empfangbar sind, ist dieser Weg der Übermittlung von Fernsehprogrammen der kostengünstigste. Bezüglich der Telekommunikationsnetze ist auch eine durchgehende Digitalisierung festzustellen. Über ISDN hinaus werden breitbandige Netze wie DSL oder VDSL der deutschen Telecom aufgebaut, die schnelleren Internet Zugang und auch die Videoübertragung sowohl für die geschäftliche als auch für die private Nutzung ermöglichen. Die Deutsche Telecom ist mit IPTV gestartet und setzt auf „Triple Play“ über ihre Netze: Internetzugang, Fernsehen und Telephonie. Damit wollen die Telekommunikationsunternehmen ihre Marktstellung gegenüber selbständigen Kabelnetzbetreibern stärken – die Deutsche Telecom hatte ihre Kabelnetze, die zunächst nur der Fernsehverteilung dienten, im Jahre 2003 abschließend in 13 Bundesländer verkauft ( für 1,725 Milliarden Euro an ein Konsortium aus APEX, Goldmann Sachs Capital und Providence Equity, vgl. teletarf . de vom 13.3.2003). Von staatlicher Seite sind die Investitionen der Telecom in neue Märkte – z. B. gut 3 Milliarden Euro für ein Hochleistungsbreitbandnetz für 50 deutsche Großstädte – Ende 2006 auf gesetzlicher Basis zunächst für drei Jahre von der Regulierung durch die Bundesnetzagentur freigestellt worden – ein Privileg für
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Pioniere (vgl. Das Parlament, 27.12.2006, S. 10; das verabschiedete Gesetz ist am 26.2.2007 in Kraft getreten, trifft aber nach wie vor auf Bedenken aus Brüssel, vgl. Rhein-Zeitung 3.2.07, S. 7. Die EU-Kommission hat inzwischen Klage gegen die Bundesrepublik eingereicht. Die Bundesnetzagentur hat durch ihre Interpretation des Gesetzes – Wettbewerber dürfen die Kabelkanäle der Telekom nutzen, die schon vergraben sind – versucht, eine vermittelnde Position einzunehmen, vgl. Wirtschaftswoche 2.7.07, S.14). Neue Unternehmen bieten verstärkt über das Internet Telefondienste an, auch als neue Geschäftsmodelle. So ermöglicht „Skype“ bereits 136 Millionen Menschen weltweit das unentgeltliche Telefonieren über Computernetzwerke, mit einer entsprechenden auch kostenlosen Software. Sie finanzieren diesen Telefondienst offenbar über kostenpflichtige Zusatzdienste wie z.B. Kish-Kish, die Zuschaltung eines Lügendetektors, der die Sprachfrequenz des Telefonpartners auf erhöhten Stress hin analysiert. 2006 wurde „Skype“ für 2,6 Milliarden US Dollar an eBay verkauft (vgl. Jungclaussen). Auch die drahtlosen Telefonnetze werden digital aufgerüstet und erlauben über UMTS, die Handys multimedial zu nutzen: neben dem Telefonieren zum Versenden von SMS Botschaften, zum Photographieren und Versenden der Fotos, zum Navigieren, zum drahtlosen Internet Zugang und damit – wenn auch auf sehr kleinem display – zum Internet TV. Auch auf der Ebene der Geräte zeichnet sich auch auf Grund der umfassenden Digitalisierung eine weitere Ausdifferenzierung und gleichzeitig eine Integration mehrerer Funktionen in ein Gerät ab, wie sie schon bei der Ablösung der Schallplattenabspielgeräte durch CD-Player eingetreten ist: Fernsehgeräte gibt es jetzt mit flachem und großem Bildschirm und gesendet wird zunehmend im Format 16:9. 2008 wollen ARD und ZDF mit HDTV beginnen, mit dem hoch auflösendem Fernsehen, das die Bildqualität wesentlich verbessern soll. Diese Geräte können gleichzeitig als Internet Zugang genutzt werden, ebenso wie über den PC Bildschirm Videos abgerufen und angesehen werden können, wodurch die herkömmliche Trennung zwischen Fernsehempfangsgerät und PC-Bildschirm aufgehoben wird bzw. werden kann. Es wird in diesem Zusammenhang kontrovers diskutiert, ob sich damit auch die Nutzungsgewohnheiten verändern werden: Verschwimmt die Unterscheidung in „lean backward“, Unterhaltung durch passiven Fernsehkonsum und „lean forward“, die aktive PC Nutzung? Wahrscheinlich ist dies ein Problem des Wandels der Generationen. Für viele Jugendliche, die mit dem PC aufgewachsen sind, dürfte die Nutzung des PC-screens zum „Fernsehen“ kein Problem darstellen. Auch bei den multifunktionalen PCs geht die technische Entwicklung ständig weiter. So wird von den Innovationen der Nano-Technologien beispielsweise im Bereich der Elektronik ein ähnlicher Schub erwartet wie durch die Erfindung des Transistors für den Rundfunk oder der integrierten Schaltkreise für die Computer (Impulse Nr.1, 2007, S.24). In Bezug auf hoch auflösendes Fernsehen für Speichermedien tobt auch Anfang 2007 noch ein Streit um Industrienormen: Sony setzt auf „Blue-ray-Disc“, während Microsoft und Toshiba auf „HD-DVD“ schwören, zwei Systeme, die beide gestochen scharfe Bilder liefern, aber untereinander nicht kompatibel sind (vgl. DER SPIEGEL, 3/2007, S.120: Die totale Vernetzung) Auch die Handys werden wie gesagt zu Multifunktionsgeräten: So hat die Firma apple computer in der Mitte des Jahres 2007 das iPhone auf den Markt gebracht. Das iPhone kann als Handy genutzt werden, es enthält aber an Stelle der Tasten ein touch screen. Mit dem iPhone
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kann photographiert werden und es kann gleichzeitig als iPod dienen, also als Multimedia Player z.B. für aus dem Internet herunter geladene Musik und Videos. Über das iPhone kann zusätzlich der drahtlose Zugang zum Internet hergestellt werden und es kann als TaschenComputer, als Organizer und als Navigationsgerät genutzt werden. Der Markteinführungspreis von 499,– bis zu 599,– US-Dollar liegt für dieses Multimediagerät im Vergleich zum „normalen“ Handy allerdings relativ hoch. Von den iPods sind bis zum Beginn des Jahres 2006 mehr als 70 Mio. weltweit verkauft. Das Unternehmen „apple computer“ streicht aus dem Firmennamen das Wort „Computer“, da es jetzt als „apple Inc.“ auch ein Telekommunikationsunternehmen ist. Im Herbst 2007 ist das i-Phone in Deutschland zunächst exklusiv von T-mobile in der Bindung an einen 2 Jahres Vertrag zur Handy-Nutzung für 399,– Euro allein für das Gerät herausgebracht worden. Nachdem dann Vodafone geklagt hatte, hat sich T-mobile vorläufig bereit erklärt, das Gerät auch ohne Handy-Vertrag abzugeben, aber dann für einen Preis von über 900,– Euro. Die Digitalisierung bezieht sich auch auf Spiele, auf Spielkonsolen oder auch auf Spiele, die im Internet angeboten werden. Unter „Multimedia“ ist also im digitalen Zeitalter die Verschmelzung von Fernsehen, Internet, Musikangeboten, Telefon und Spielen zu verstehen. Robert Iger, der Chef der Walt Disney Co, die heute weit mehr als eine Firma zur Produktion von Filmen ist, wird mit dem Satz zitiert: „Wir haben es derzeit mit einer Medienexplosion zu tun“. Es gehe darum, jeden Inhalt jederzeit auf jedes Gerät zu bringen. Es gehe um die Totalvernetzung des Alltags – Steuerung des Energieverbrauchs und der Nahrungszubereitung unter Einschluss des elektronischen Fernmessens und Überwachens nicht nur unter Sicherheits-, sondern auch unter Gesundheitsaspekten und die Nutzung der elektronischen Medien. All dies ist heute schon machbar und in manchen Haushalten bereits realisiert. Auf der Ebene der Programme oder besser der inhaltlichen Angebote, weil der Programmbegriff oft mit herkömmlichen Vollprogrammen gleich gesetzt wird, geht es in Zukunft zunächst um Fortentwicklungen redaktionell verantworteter Angebote im digitalen Zeitalter. Die öffentlich-rechtlichen Anbieter beanspruchen die Übertragung ihrer Sendungen auf allen zur Verfügung stehenden technischen Plattformen und die Ergänzung durch breitbandige Internet Dienste: Es geht um die Übertragung ihrer Programme im Internet mit zusätzlichen interaktiven Verbindungen zu den Nutzern, es geht um zeitversetzte Ausstrahlungen und um den auch privat nutzbaren Abruf aus Datenbanken. Dieser wird für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten besonders wichtig, haben sie doch einen riesigen Fundus in ihren Archiven. Der ZDF-Intendant Markus Schächter erklärte am 23.2.07: „In einigen Jahren wird Abruffernsehen ebenso wie heute der Teletext zum festen Bestandteil der Fernsehnutzung der Zuschauer gehören“. Mit seiner Mediathek verfüge das ZDF bereits über eine eigene Plattform, die Sendungen auf Abruf sowohl für PC als auch für den Fernseher sowie für mobile Kleingeräte wie iPods oder Handys bereitstellt. Umstritten ist in diesem Zusammenhang die Frage nach der Bezahlung des Datenbankabrufs durch die Nutzer, da die kommerziellen Video-Anbieter hier eine unfaire Konkurrenz befürchten, zumal die archivierten Filme und Sendungen bereits durch die früher erhobenen Rundfunkgebühren abgegolten seien. Eine Perspektive für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten besteht darin, sich in ihrem Selbstverständnis von dem überkommenen zunächst technisch geprägten Rundfunkbegriff – längs oder mittels eines Leiters – zu lösen und ihre Marke zu prägen von der Qualität
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der redaktionell verantworteten Beiträge der Information, der Bildung, der Unterhaltung und des Bürgerservices her. Dann wären auch Online Angebote und Interaktivitäten unbeschränkt möglich und sogar öffentlich-rechtliche Programmzeitschriften und Zeitungen. Eine andere Perspektive, die sich nur durch die Akzentsetzung von der ersten unterscheidet, wäre die verstärkte Regionalisierung der Programmangebote bzw. die auf Ballungsgebiete konzentrierte erweiterte Angebotspalette. Beide Perspektiven erfordern hohe Investitionen und sind in der Konkurrenz besonders zu den Zeitungsverlegern schwer durchzusetzen. Um auf allen technischen Plattformen vertreten zu sein, müsste die Medienpolitik der Bundesländer zu Gunsten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verändert werden. Die kommerziellen Rundfunkanbieter setzen einerseits auf zusätzliche Spartenkanäle für „Minderheiten“ in einer immer weiter ausdifferenzierten und individualisierten Gesellschaft: RTL bietet spezielle Kanäle an: „RTL crime“, „RTL Living“ und „RTL passion“. Andererseits verknüpfen die kommerziellen Anbieter ihre Sendungen verstärkt mit „call ins“ und verdienen so neben der Werbung, die die Kosten aber oft nicht mehr deckt, an den mit den Telekommunikationsunternehmen geteilten Einnahmen aus den Telefonentgelten für die „Teilnahme“ der Zuschauer an Rate- oder Gewinnspielen. Bisher mussten die Fernsehveranstalter an die Telekommunikationsunternehmen – terrestrische Ausstrahlung – bzw. an die Satellitenbetreiber Astra oder Eutelsat zahlen, damit ihre Programme auf diesen Verteilplattformen vertreten sind. Für den Nutzer war der Zugang, hatte er die entsprechenden Empfangseinrichtungen, unentgeltlich; lediglich für die Nutzung des Kabels musste er eine monatliche Gebühr zusätzlich zur Rundfunkgebühr bezahlen. Nun haben die kommerziellen Rundfunksender angekündigt, ihre Programme über Satelliten nur noch verschlüsselt anzubieten, was zu zusätzlichen Zahlungen bei den privaten Haushalten als Rezipienten führen würde. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten verlangen demgegenüber, dass es für alle Bürger einen diskriminierungsfreien Zugang zu allen Rundfunkdiensten geben müsse und verweisen diesbezüglich auf das in Art. 5 GG verbriefte Jedermann-Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu informieren (Vgl. ARD Jahrbuch 2006). Daneben gibt es verstärkt PayTV Angebote – im Fernsehen wie im Internet. Die Digitalisierung, so ist zu vermuten, wird diese Entwicklung beschleunigen. Die Rundfunkökonomie ist durch das Problem geprägt, dass das Ausschlussprinzips des Marktes wegen der universellen Empfangbarkeit der durch die Luft ausgestrahlten Programme nicht anwendbar ist. Dies hat zur Folge, dass die Programme entweder wie beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk über die an das Halten der Empfangsgeräte gekoppelte Gebühr oder aber wie bei den kommerziellen Veranstaltern rein über die spot-Werbung oder das Sponsoring finanziert werden. Dieses Problem lasse sich durch Verschlüsselung digitaler Programme und ein Inkasso im Zusammenhang mit der ohnehin notwendigen Set-top-box überwinden. Auch werde es jetzt möglich, Zielgruppenangebote zu produzieren und anzubieten, so dass die unveränderte Verteilung eines einmal produzierten Prototypens – eines Films oder einer Fernsehserie – an ein Massenpublikum nicht mehr notwendig sei (vgl. Kiefer, Medienökonomik S. 188). Diese neuen Formen von elektronischen Medien unterstützen die aus dem Print-Bereich bekannten Differenzierungs- und Individualisierungsprozesse. Sie etablieren gleichzeitig direkte Interaktionen an Märkten und werden die bisherigen kommerziellen Programmanbieter und die darauf bezogene Werbung vor gravierende wirtschaftliche Probleme stellen.
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Neue Fernsehanbieter aus anderen Medienbereichen tauchen auf: Grid-TV ermöglicht z.B. Microsoft, einen eigenen Fernsehkanal zu betreiben. Die großen Multimediakonzerne planen, ihre Produkte quer durch alle Medienkanäle zu vermarkten. So will die Walt Disney Co. zu dem Film „Fluch der Karibik“ interaktive Anwendungen für hoch auflösende Speichermedien anbieten, den Film als Computerspiel vermarkten und auf der XD (Xtreme Digital)-Website eine „einladende Piratenwelt“ vorstellen. Weder beim Entwickeln und bei der Vermarktung der neuen Geräte noch bei der wirtschaftlichen „Ausbeute“ in neuer Form präsentierter Inhalte sind deutsche Produzenten in nennenswertem Umfang vertreten. Auch in diesem Bereich haben wir es mit einer weiteren Amerikanisierung der europäischen Medienmärkte und der bundesrepublikanischen Medienkultur zu tun. Durch diese Ausdifferenzierung der inhaltlichen Angebote löst sich die Vorstellung von „Vollprogrammen“ auf und es kommt außer bei großen Sportereignissen wie der Fußballweltmeisterschaft bei den Nutzern nicht mehr zu zeitgleichen Gemeinschaftserlebnissen, über die am darauf folgenden Tag mit Berufskollegen oder Freunden gesprochen werden kann. Die Individualisierung auch der Mediennutzung nimmt weiter zu, eine Individualisierung, die in einer bürgerlichen Gesellschaft, so wie sie in der Ausgestaltung der Grundrechte im Grundgesetz vorgezeichnet ist, per se nicht zu kritisieren ist. Nur: Bisherige kommerzielle Fernseh„Programme“ lassen sich im Grunde – überspitzt formuliert – auf drei Grundmuster zurückführen: „Boy meets girl“ oder vice versa, die Krimistruktur „Who has done it?“, und schließlich die „Eventshows“, bei denen man mit Kandidaten mitfiebern kann wie bei „deal or no deal“, „Wer wird Millionär?“ „Wetten dass … ?“ oder Tanzwettbewerben. Dann aber stellt sich die Frage, wie denn dasjenige Rundfunkangebot, das zur umfassenden Information der Bürger notwendig ist, damit die Demokratie auch gelebt werden kann, produziert und zu den Rezipienten gebracht wird. Der Verweis, kommerzielles Fernsehen sei nun einmal ein reines Unterhaltungsmedium und es gebe ja die öffentlich-rechtlichen Programme, kann nicht befriedigen, denn diese erreichen im Durchschnitt nur knapp die Hälfte der Bevölkerung. Droht die Vertiefung einer informationellen oder medialen Zwei-Klassen-Gesellschaft mit vereinfachend ausgedrückt „Unterschichten-Fernsehen“ einerseits und gehobenem Bürgerfernsehen der öffentlich-rechtlichen Sender? Neben dem sich abzeichnenden Wandel in Bezug auf redaktionell verantwortete Rundfunkprogramme steht möglicherweise ein noch radikalerer Umbruch ins Haus: Immer mehr werden im Internet von den Nutzern selbst ins Netz gestellte Informationen und Videos genutzt, in virtuellen Gemeinschaften oder aber mehr oder weniger zufällig beim Surfen entdeckt. Es geht um Wikipedia, eine Wissensdatenbank, die von interessierten „Laien“ aufgebaut, von anderen weiter geschrieben und von Dritten zu Rate gezogen wird. Bei Wikipedia kann jedermann Informationen eingeben aber auch die Texte anderer Nutzer korrigieren oder streichen. Ziel ist es, dass jeweils ein neutraler Standpunkt eingenommen wird. Ob diese „Selbstreinigung“ funktioniert, ist zweifelhaft, bzw. es ist unklar, welchen Schutz es vor Manipulationen gibt: DER SPIEGEL (3/2007) berichtet, wie u. a. Bundestagsabgeordnete Wikipedia benutzen, um einerseits ihre Biographien zu schönen und um andererseits politische Gegner zu diffamieren. Es geht auch um YOU TUBE, das neue „Ich-Fernsehen“, in das jeder Internetnutzer weltweit (selbst gedrehte) Videos einstellen kann. Es geht um „Second Life“, die virtuelle Welt zur geträumten Selbstverwirklichung. Sind redaktionelle „gatekeeper“ noch erforderlich
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in dieser sich abzeichnenden Welt der selbst referentiellen medialen Ich-AGs? Die Manager von YOU TUBE haben sich mit CBS, einem der drei großen Fernseh- Networks der USA geeinigt, dass Teile der Programme von CBS auch auf YOU TUBE angeboten werden und so die Video Surfer zum „alten“ Medium zurückgeführt werden. Eine mögliche Konkurrenz zu YOU TUBE wird „Joost“ sein, die Verbindung von Internet TV mit herkömmlichen Programmen und dem Abruf von Videos, auch solchen der Nutzer (vgl. Jungclaussen). All diese neuen Internet Dienste vom Telefonieren bis zu inhaltlichen interaktiven Angeboten stehen in scharfer Konkurrenz zu den bisherigen, früher oft staatlichen Telekommunikationsunternehmen. Auch das Internet wird ständig technisch weiterentwickelt. Heute geht es um Web 2.0 mit den Möglichkeiten, virtuelle Gemeinschaften weiterzuentwickeln. Die technische und wirtschaftliche Konvergenz im digitalen Multimediazeitalter stellt die Medienregulierung vor große Herausforderungen: Zum einen geht es um die Klärung von Urheberrechtsfragen in Bezug auf den Abruf und das Herunterladen von Texten, Musik, Videos und Filmen aus dem Internet. Zum anderen geht es um Jugend- und Verbraucherschutz z.B. in Bezug auf Gewaltdarstellungen – vgl. die interaktiven Killerspiele. Es geht auch um die Identifizierung aller Arten von Werbung in der veränderten Medienwelt. Es stellt sich die Frage, welchen Wert hat der alte Grundsatz der Trennung von Programm und Werbung noch? Zum Vierten schließlich geht es um die Frage nach der Fortentwicklung eines spezifischen Medienrechts zur Sicherung publizistischer Pluralität und wirtschaftlichen Leistungswettbewerbs zwischen allen Formen der inzwischen vielfach weltweit agierenden Medienunternehmen. Tragen die alten Marktabgrenzungen in sachlicher oder in räumlicher Hinsicht noch? Ist das Instrumentarium zur Erfassung von Wettbewerb und Konzentration noch brauchbar oder bedarf es auch hier einer Fortentwicklung? In welcher Form wird die Regulierungsdebatte von der Entwicklung der Informationsflut im Internet beeinflusst? Ist die Debatte über mediale Macht und Herrschaft überholt oder ist sie nur unter neuen Vorzeichen einerseits der Globalisierung und andererseits der Digitalisierung und der sich daraus ergebenden technischen Konvergenz zu führen?
2.2 Medienorganisation und -finanzierung im Wandel Für die klassische periodische Presse und die Buchverlage war die auf eine Verleger-Persönlichkeit zugeschnittene Organisationsform typisch, nämlich die sich in Familienhand befindlichen OHG, KG oder GmbH (vgl. Kühne, Anlageband). Der Verleger bestimmte die publizistische Ausrichtung des Blattes bzw. des Verlags-Programms. Später bildeten sich dann wirtschaftliche Großorganisationen heraus, von denen mehrere Zeitungen bzw. Zeitschriften herausgegeben wurden. Die Organisationsform hierfür ist die Aktiengesellschaft, wobei die Mehrheit der Aktien entweder (noch) in der Hand einer Verlegerfamilie liegen kann – siehe den dominanten Einfluss der Familie Mohn über die Bertelsmann – Stiftung auf die Bertelsmann AG, einen weltweit agierenden Multimedia-Konzern – oder sich im Streubesitz befindet. In diesen Fällen steht bei der Führung des Verlagsgeschäftes durch angestellte Manager die Orientierung an der wirtschaftlichen Rendite meist mehr im Vordergrund als die publizistische Ausrichtung und Profilierung.
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In der Weimarer Zeit waren Presseunternehmen mit der Industrie verbunden – siehe den Hugenbergkonzern –, während nach 1945, gefördert durch die Lizenzierungspolitik der Alliierten, von direkten Industrieinteressen unabhängige Medienhäuser entstanden. Bei den Boulevard-Blättern ist der Anteil der Finanzierung über Anzeigen wesentlich höher als bei der „seriösen“ Tagespresse. Unentgeltliche Anzeigenblätter sind inzwischen für letztere – was die Finanzierung über Werbung angeht – eine echte Konkurrenz geworden. Der Rundfunk der Weimarer Republik wurde von der staatlichen Reichspost veranstaltet. Es war in der Zeit des Nationalsozialismus ein reines Propagandainstrument der Gewaltherrscher. Daher wurde nach dem Krieg auf Drängen der Alliierten Besatzungsmächte die Rechtsform der staatsunabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt mit Selbstverwaltung nach BBC Vorbild geschaffen. In jüngster Zeit drängen weltweit agierende Finanzinvestoren – private equity Firmen – auch auf deutsche Medienmärkte vor. Im Dezember 2006 wurde die Fernseh-Sendergruppe Pro7/Sat 1 durch die Finanzinvestoren Permira und Kohlberg, Kravis, Roberts & Co. (KKR) übernommen. Der bayrische Ministerpräsident Stoiber sagte dazu: „Die Bietergruppe Permira/KKR hat mit ihrem Angebot ein industrie- und medienpolitisches Konzept vorgelegt, das den Medienstandort München stärkt“. Die neuen Eigentümer planen eine Verschmelzung mit der ihnen bereits gehörenden SBS-Gruppe mit Sitz in Luxemburg, einer Gruppe zu der bereits 19 TV-Sender, 4 Pay-TV Bouquets und 24 Radiosender in 10 europäischen Ländern gehören. Es gehe um den Angriff auf die dominante Position der RTL Gruppe. Permira und KKR sind spezialisiert auf die Übernahme, den Umbau und den Wiederverkauf von Firmen. In Deutschland kaufte KKR bereits u. a. MTU, Autoteile Unger und das Duale System Deutschland, das monopolartige Entsorgungssystem für Plastikmüll. Permira machte durch die Übernahme des Mobilfunkanbieters debitel und des Pay-TV-Senders Premiere, den es aber wieder abstieß, auf sich aufmerksam. Die Auswirkungen dieser neuen Organisationsformen bzw. dieser veränderten wirtschaftlichen Einflüsse auf Medienunternehmen – hier Fernseh-Sender – lassen sich noch nicht voll abschätzen. Oft werden derartige Übernahmen durch Finanzinvestoren auch über Kredite, die die erworbenen Unternehmen aufnehmen müssen, finanziert – sog. Leverage Buy – outs – und die übernommenen Unternehmen werden zu hohen Ausschüttungen gezwungen. Die Befürchtungen gehen dahin, dass diese Entwicklung zu einer untragbaren Verschuldung der betroffenen Unternehmen führen könne – so die Europäische Zentralbank in ihrem Monatsbericht vom Dezember 2006. Außerdem wird befürchtet, dass die in der öffentlichen Diskussion oft auch als „Heuschrecken“ bezeichneten Finanzinvestoren sich immer nur für relativ kurze Zeit bei den erworbenen Unternehmen engagieren und sie dann, möglicherweise reorganisiert und filetiert, weiter verkaufen, so dass keine strategische Planung und keine Zukunftsinvestitionen für die betroffenen Unternehmen möglich sind. Die internationalen Finanzinvestoren um Haim Saban haben die Pro 7/Sat 1-Gruppe lediglich für ca. 3 Jahre gehalten, um sie dann mit Milliarden-Gewinn weiterzureichen. Die neue Investorengruppe erwartet wiederum bezogen auf ihr eingesetztes Kapital eine Rendite von ca. 20%. Im Juni 2007 haben KKR und Permira SBS für 3,3 Milliarden Euro an die Pro7/Sat 1-Gruppe verkauft. Dies hat offenbar zur Folge, dass nun bei Sat 1 kräftig gespart werden muss, um die Renditevorstellungen der Finanzinvestoren zu erreichen: Die Sendungen „Sat 1 am Mittag“, „Sat 1 am Abend“ und „Sat 1 News – Die Nacht“ werden eingestellt. Hiervon sollen
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ca. 180 Jobs betroffen sein. Die zuständige rheinland-pfälzische Landeszentrale für Medien und Kommunikation (LMK) hat die Konsequenzen geprüft: Die Lizenz beziehe sich auf ein Vollprogramm, woraus sich bestimmte Aufgaben zur medialen Versorgung der Bevölkerung ergeben. Da Sat 1 nach der Streichung von Sendungen immer noch einen Informationsanteil von 23,4% der Gesamtsendezeit habe, sei der status als Vollprogramm jedoch nicht gefährdet. Allerdings hat die LMK sehr großzügig zu Gunsten von Sat 1 auch Lebensweltthemen und Service-Beiträge den Informationssendungen zugerechnet (Rhein-Zeitung, 27.7.07). Entsprechend der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung haben sich auch die Organisationsformen der Medien gewandelt und orientieren sich bei den Multimedia-Konzernen an den Perspektiven des europäischen gemeinsamen Marktes bzw. des Weltmarktes. Google finanziert seine Suchmaschine über die Versteigerung des Raumes für die die Suchergebnisse begleitende Werbung. Dieses Finanzierungskonzept soll auch auf die Digitalisierung der Weltliteratur angewandt werden: Möglicherweise wird also das Suchergebnis „Die Leiden des jungen Werthers“ z. B. mit der Werbung für eine Partnervermittlung begleitet. Bei google news werden diejenigen Nachrichten automatisch ganz nach vorne gebracht, die am meisten angeklickt werden. Die „begleitende“ Werbung ist dann besonders teuer. Der Wandel der Organisations- und Finanzierungsformen der Medien spiegelt die zunehmende Kommerzialisierung und Internationalisierung vieler Medienaktivitäten wider. Welchen Einfluss haben die zunehmende Ökonomisierung, die Globalisierung vieler Medien und die Konzentration in weltweit agierenden Multimedia-Konzernen auf das Mediensystem als Teilsystem unserer bundesrepublikanischen Gesellschaft? Was wird aus den kulturellen und den Demokratie fördernden Funktionen, die das Mediensystem verfassungsrechtlich erfüllen soll? Vor welchen Herausforderungen steht die Regulierung des bundesrepublikanischen Mediensystems?
2.3 Medienregulierung als gesellschaftlicher Anspruch Medienentwicklung findet nie naturwüchsig, sondern nur im Rahmen staatlicher Regulierung statt. Sie ist sozusagen das Scharnier zwischen privatwirtschaftlicher Betätigung und gesamtgesellschaftlichen Ansprüchen und Funktionserwartungen. Staatliche Regulierung beginnt mit der gesetzlichen Zur-Verfügung-Stellung von Rechtsformen für Medienunternehmen – GmbH’s, Aktiengesellschaften, Konzerne einerseits und öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten andererseits –, diese setzt sich fort mit dem Erlass von Organisations-, Wettbewerbsund Antikonzentrationsgesetzen: Presse- und Rundfunkgesetze, das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen bzw. der Rundfunkstaatsvertrag und deren Anwendung durch spezielle Institutionen: Bundeskartellamt, Landesmedienanstalten und Gerichte. Hinzu kommen das Urheberrecht und Jugend-, Verbraucher-, und Datenschutzgesetze. Staatliche Regulierung – im demokratischen Willensbildungsprozess in Gesetze gegossen und schlussendlich durch Gerichte, die dritte Gewalt angewandt –, orientiert sich offiziell an Kriterien wie Förderung des Leistungswettbewerbs und publizistischer Pluralität, wie freie Entfaltung von Kindern und Jugendlichen, wie Schutz der Autoren und wie Garantie der informationellen Selbstbestimmung der Bürger. Neben diese Regulierung treten Selbstverwaltungsorganisationen wie z. B. der Bundespresserat, um journalistische Integrität zu wahren oder der Werberat, um über die
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Grenzen der Werbefreiheit zu wachen. Schließlich gibt es Regelungen in Medienunternehmen intern, wie z.B. Redaktionsstatute oder redaktionelle Leitlinien und es gibt Richtlinien von Berufsverbänden z.B. zur journalistischen Ethik. Staatliche und zivilgesellschaftliche Regulierung der Medienentwicklung nimmt für sich in Anspruch, der Verwirklichung übergeordneter gesamtgesellschaftlicher Ziele wie der Entfaltung kultureller Pluralität und der Funktionsfähigkeit der Demokratie zu dienen. An diesem Anspruch ist sie zu messen. Inhaltliche Regulierung und institutionelle Arrangements prägen Verhaltensweisen von Vorstand und Mitarbeitern in Medienunternehmen und diese prägen wiederum die inhaltlichen Angebote, die wiederum die Rezipienten in ihrer Realitätswahrnehmung beeinflussen. Wird z.B. durch die Konzentrationskontrolle eine marktbeherrschende Stellung einer BoulevardZeitung akzeptiert, und verfolgt die Redaktion dieses Blattes das Ziel, einen Bundeskanzler oder eine Bundeskanzlerin „nieder zu schreiben“ durch populistische Agitation, so darf man sich nicht wundern, wenn der oder die Betroffene vorrangig in Tagespolitik verharrt und auf dieses Blatt „hört“ bzw. sich durch dieses Blatt eine Meinung „bildet“. Wenn die Medienpolitik z.B. lokale bzw. regionale Monopolzeitungen duldet, darf man sich nicht wundern, wenn die Bürger, die keine alternative Informationsquelle zu lokalen oder regionalen Ereignissen und Entwicklungen haben, „einseitig“, je nach politischer Ausrichtung des Verlegers bzw. Verlages, informiert werden. Werden z.B. durch Landesmedienanstalten brutale Gewaltdarstellungen in Fernsehprogrammen geduldet, so darf man sich nicht wundern, wenn vernachlässigte Jugendliche aus prekären Verhältnissen zunehmend Gewaltanwendung als Problemlösung in ihrem Alltag ansehen und gewaltsam agieren. Auch die Medienregulierung befindet sich in stetigem Wandel. Bestand früher Regulierung aus einem komplexen Zusammenspiel von inhaltlichen Vorgaben und institutionellen Arrangements – Rundfunkgesetze und Organisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Fernmeldegesetz und Organisation des Bundesministeriums für das Post- und Fernmeldewesen, Rundfunkstaatsvertrag und Vorschriften zur Eigentümerstruktur bei kommerziellen Rundfunkveranstaltern –, so wird von der Medienpolitik in Verfolgung der offiziellen „Deregulierung“ zunehmend auf spezifische institutionelle Arrangements verzichtet. Nach dem Paradigma des privatwirtschaftlichen Wettbewerbs soll sich auch im Medienbereich die Steigerung des „Volkswohlstandes“ von selbst einstellen. Der Presseverlag war bisher eine besondere Organisationsform, geschützt durch die institutionelle Garantie der Pressefreiheit des Art. 5 GG. Dieser Organisationsform entsprach der Typ des Verlegers, der die inhaltliche Ausrichtung seines/seiner Blätter bestimmte und der an der publizistischen Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit selber teilnahm. Heute werden große Medienhäuser zunehmend in der Form von Aktiengesellschaften organisiert, die auf reine Maximierung der Dividende durch konsequente Kommerzialisierung getrimmt werden. Symptomatisch war diesbezüglich der Kampf bei Bertelsmann: Familienunternehmen contra Börsengang, den die Familie Mohn (vorläufig?) gewonnen hat – der Vorstandsvorsitzende Middelhoff musste gehen. Im Bereich der Netzinfrastrukturen wurde das Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen in ein staatliches Unternehmen umgewandelt und dann privatisiert und an die Börse gebracht. Zur Regulierung wurde zunächst die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP) und dann die Bundesnetzagentur geschaffen, zuständig für alle pri-
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vatwirtschaftlichen Telekommunikationsanbieter, sowohl was die Netze als auch was die Dienste betrifft. Waren bis 1984 nur öffentlich-rechtliche Rundfunkveranstalter in spezifischer Organisationsform – Binnenpluralismus, (relative) Staatsferne und Wirtschaftsunabhängigkeit – präsent, so wurden danach von der staatlichen Medienpolitik kommerzielle Sender zugelassen aber nur nach dem sog. Kooperationsmodell – kein beteiligtes Unternehmen durfte 50% Anteil auf sich vereinigen. Schließlich wurde jede Form des Unternehmertums erlaubt bis hin zur Übernahme durch internationale Finanzinvestoren – bis zu einem Marktanteil von 30% – und dies alles in Übereinstimmung mit der schleichenden Kommerzialisierung von immer mehr gesellschaftlichen Bereichen. War früher die Trennung von Netz und Nutzung, also der Verweis der Netzbetreiber auf eine rein dienende Funktion den Inhalte Anbietern gegenüber eine eigenständige Freiheitsgarantie – die gatekeeper der Verteilkapazitäten sollten aus dieser Position heraus keinen Einfluss auf die Auswahl der durch zu leitenden Angebote erhalten –, so versuchen heute verstärkt z.B. Kabelgesellschaften die Angebote zu selektieren bzw. selber als Anbieter von Diensten und Sendungen aufzutreten und mit neuen Geschäftsmodellen, z.B. dem Angebot von Paketen von unterschiedlichen Diensten, Nutzer speziell zu locken. Die Perspektiven der Regulierung werden von einigen interessierten Kreisen in der Vereinheitlichung der Regulierung für alle Rundfunkveranstalter gemeinsam gesehen – bisher sind EU-Kommission und das Bundeskartellamt nur für die kommerziellen Veranstalter zuständig. Die Regulierung der öffentlich-rechtlichen Sender ist gemäß dem Amsterdamer Protokoll Sache der Mitgliedsländer. Angestrebt wird eine Vereinheitlichung nur nach den Kriterien des Wettbewerbsrechts, nicht mehr getrennt nach Wettbewerbs- und Rundfunkrecht. Außerdem wird ebenfalls von interessierter Seite auf die zunehmende Globalisierung der Medienentwicklung verwiesen – Filme und Fernsehserien werden international gehandelt, Bestseller in viele Sprachen übersetzt und weltweit verkauft, Fernsehprogramme zunehmend grenzüberschreitend ausgestrahlt –, und daraus wird die Forderung nach Deregulierung abgeleitet. Um in der internationalen Konkurrenz bestehen zu können, bedürfe es starker Unternehmen, die nicht durch eine starke nationale Regulierung gefesselt werden dürften. Damit ist ein Dilemma angesprochen: Solange es keine effektive weltumspannende Medienregulierung gibt, solange herrscht auf dem Weltmedienmarkt das Gesetz des Stärkeren. Andererseits bedarf es auf den besonders durch Sprachen und spezifische Kulturen abgegrenzten nationalen Medienmärkten der Regulierung eines an Kriterien der Förderung der Demokratie in Nationalstaaten wie Pluralität und Qualität der Angebote und an wirtschaftlichen Kriterien des Leistungswettbewerbs orientierten Werten. Alle Fragen der Medienregulierung lassen sich systematisch auf zwei grundsätzliche, einander widersprechende Positionen zurückführen: • Die beste Medienentwicklung ist die nach Marktgesetzmäßigkeiten entsprechend liberaler Vorstellungen. In Bezug auf Gefahren dieser Entwicklung hat die Medienpädagogik vorbeugend zu wirken, eine nachträgliche Korrektur erfolgt über das Strafrecht.
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Es gibt strukturelle Vorkehrungen, um präventiv Gefahren zu mildern: z.B. technische Filterprogramme zum Jugendschutz, Inpflichtnahme der Netzbetreiber bei der Weiterverbreitung verbotener Inhalte, verschärfte Aufsicht über Veranstalter mit der Drohung und Durchsetzung von Lizenzentzug, Pluralität sichernde Programmauflagen bis hin zur Verpflichtung auf alternative Organisationsformen. Behält man diese Aspekte des Wandels der Medienregulierung „im Hinterkopf “, so lassen sich grundsätzlich vier Faktoren und ihre Verknüpfung untereinander zur Kennzeichnung eines (nationalen) Mediensystems als Subsystem der Gesellschaft identifizieren: – Verfassung und Gesetze zu Kommunikations- und Medienfreiheiten – Medienregulierung in der Praxis: Anwendung der juristischen Vorgaben durch Medienbehörden und Gerichte – vorherrschende (auch historisch und kulturell geprägte) Bedingungen auf den Medienmärkten – Wahrnehmung journalistischer Verantwortung: Regeln des Managements, Selbstregulierung, ethische Standards der Profession (Vgl. zu den vier Faktoren Bertelsmann Foundation/European Institute for the Media S. 467ff) Zur Analyse je spezifisch regulierter Mediensysteme auf Grund unterschiedlicher Ausprägungen der genannten Faktoren sind folgende Fragen zur jeweiligen gesellschaftlichen Funktion zu beantworten: – Wird Erziehung und Bildung der Bürger gefördert im Sinne der Stärkung ihrer persönlichen Selbstbestimmung und Selbstverantwortung in Politik und Gesellschaft und im Sinne ihrer beruflichen Qualifikation und Selbstbehauptung in der Wirtschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger und als Verbraucher? – Wird die gesellschaftliche Integration der Bürger unterschiedlichen Herkommens und unterschiedlicher religiöser oder auch politischer Überzeugungen als Beitrag zum inneren Frieden gefördert? – Wird das Mediensystem seiner Schutzfunktion – Verbraucherschutz, Jugendschutz und Vorkehrungen zur Bewahrung und Vermittlung kultureller Werte – gerecht? – Entwickelt sich das Mediensystem synchron mit der Gesellschaft oder wirkt es eher bremsend oder beschleunigend? Hilft es, gelebte Demokratie auch mit ihren notwendigen Kontroversen breit in der Bevölkerung zu verankern oder wirkt es eher entpolitisierend? (vgl. ebenda, S. 463ff.) Grundsätzlich ist zu fragen, wie die Medienregulierung, wie die Regeln, nach denen sich das Medienangebot richtet, zu Stande kommen, welche unterschiedlichen Kräfte – verschiedene Leitvorstellungen und gesellschaftliche Machtkonstellationen – im Zeitablauf auf die Regulierung einwirken und sie in eine bestimmte Richtung verändern. Nun wird sicher eingewandt werden, derartige Fragen ließen sich mit wissenschaftlichen Methoden nicht genau beantworten. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Fragen zu wichtig sind, um sie so „tot zu schlagen“. Außerdem gibt es durchaus überprüfbare Argumente, um diese Fragen zu beantworten. Im Übrigen gilt, dass die Sozialwissenschaften allgemein angehalten werden sollten, sich mehr mit qualitativen Fragen zu beschäftigen: Nur weil quantitative Analysen leichter sind, sind sie deshalb noch nicht wichtiger.
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2.4 Medienwirkungen und gesellschaftliche Evolution Mediennutzung zielt auf die Auslösung externer Effekte ab: Sie dient der persönlichen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Information des Zeitungs- und Zeitschriftenlesers, sie dient der Information, der Bildung und Unterhaltung des Nutzers der öffentlich-rechtlichen Rundfunkangebote. Sie soll gesellschaftliche Partizipation und demokratisches Engagement fördern und die Teilhabe an der kulturellen Entwicklung der Gesellschaft ermöglichen. Gesellschaftliche Evolution zeigt sich also an der Funktionsfähigkeit der Demokratie, die nicht zuletzt davon abhängig ist, wie weit die Kommunikationsfreiheiten auch tatsächlich genutzt werden und öffentliche Diskurse wahrgenommen oder aber durch den Einsatz von Medienmacht – gemessen an den demokratietheoretischen Vorgaben – deformiert werden. Gleichzeitig sind die Mehrheit der Medien wirtschaftliche Unternehmen, die um die Aufmerksamkeit der Rezipienten buhlen, die nach hohen Auflagen bzw. Einschaltquoten streben, um über Nutzerentgelte und Einnahmen aus Werbung ihren Gewinn zu maximieren. Zu fragen ist zum einen, für welche Medien es zutrifft, dass ihre öffentliche Aufgabe durch wirtschaftlichen Wettbewerb von privatwirtschaftlichen Unternehmen erfüllt wird, und zum anderen, wenn dies zutrifft, ob dieser Wettbewerb durch Konzentrationsprozesse pervertiert wird. Zum Dritten schließlich ist zu klären, ob derartigen Konzentrationsprozessen regulierend Einhalt geboten wird. Zu fragen ist in diesem Zusammenhang, wie weit die zunehmende Politik- bzw. Politikerverdrossenheit der Bevölkerung – ein Indiz dafür ist das vergleichsweise hohe Ansehen der nicht unmittelbar demokratisch legitimierten Staatsorgane Bundespräsident und Bundesverfassungsgericht – auf Medienwettbewerb und -konzentration zurückzuführen ist. Besonders die Boulevard-Medien leben von der personalisierten politischen Auseinandersetzung, gleichzeitig fordern sie aber populistisch eine „starke Hand“ und ein „Ende des Parteienstreites“, so als ob die inhaltlichen Kontroversen nicht wesensmäßig zur demokratischen Meinungs- und Willensbildung gehören würden. Angesichts der durch das Internet ausgelösten Veränderungen kommen die „etablierte“ Presse und auch die überkommenen Geschäftsmodelle des „Free TV“ unter Druck. „Im Jahre 1984 wurden in den Vereinigten Staaten täglich 63,3 Millionen Zeitungsexemplare verkauft; im Jahr 2006 waren es nur noch 43,7 Millionen – ein Rückgang von rund einem Drittel in gut 20 Jahren. Es traf vor allem Amerikas große, renommierte Tageszeitungen, Blätter von nationaler und internationaler Bedeutung. Die Los Angeles Times verkaufte 1990 noch 1,2 Millionen Exemplare, heute sind es 770000; die Auflage sank allein im ersten Halbjahr 2006 um 8 Prozent. Bei der New York Times betrug der Rückgang im selben Zeitraum 3,5 Prozent, bei der Washington Post 3,3 Prozent. Ein Trend, der seit längerem anhält. … Der Trend in Europa, auch in Deutschland, ist ähnlich“ (Nass). Die verkaufte Auflage lokaler und regionaler Abonnement-Zeitungen in Deutschland ging von 1995 mit 18,1 Mio. täglich auf 14,8 Mio. 2006 zurück (vgl. DER SPIEGEL, 8/2007, S.72) Gleichzeitig ist daher angesichts der sich abzeichnenden Individualisierungstendenzen durch die zunehmende Internet Nutzung zu fragen, ob sich organisierte Medienmacht „verflüchtigt“ bzw. ob sie neutralisiert wird oder aber ob sie nur in verändertem Gewand auftritt? Verlagert sie sich von den etablierten Multimedia-Konzernen auf die Betreiber der InternetPlattformen: z.B. von Time/Warner/AOL zu Google, von ABC/CBS/NBC zu Microsoft?
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Oder gelingt es den etablierten Medien ihr Know How auf Internet Dienste zu übertragen und durch neue Geschäftsmodelle dort die Verluste durch den Rückgang der Auflagen und demzufolge den Rückgang bei den Anzeigeneinnahmen zu kompensieren – „Die New York Times lesen 4,9 Millionen, ihr Online-Portal aber nutzen schon 13,4 Millionen Menschen“? (Nass). In der heutigen „Medien- oder auch Zuschauergesellschaft“ besteht trotz der Informationsmöglichkeiten über das Internet eine zunehmende Abhängigkeit von journalistischer Professionalität: Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhänge stellen sich als immer komplexer dar und niemand kann alle Probleme aus eigener Anschauung wahrnehmen und beurteilen. Besorgniserregend ist in diesem Zusammenhang eine ermittelte teilweise Deprofessionalisierung des Journalismus in Deutschland. Es gebe heute deutlich weniger hauptberufliche Journalisten als 1993, die Zahl der „Gelegenheitsjournalisten“ nehme zu, immer mehr Journalisten berichteten nicht mehr aus der Distanz, sondern treten selbst als Experten oder Allwissende vor die Kameras (Weischenberg et. al: Die Souffleure der Mediengesellschaft, zitiert nach: Das Parlament, 15.1.2007). Mit der Begründung, der Kostendruck müsse aufgefangen werden, werden in immer mehr Zeitungsverlagen Redaktionen verkleinert bzw. ausgelagert, um die „Journalisten“ – sie arbeiten dann nur noch von Tag zu Tag – wieder „einzukaufen“, aber mit geringeren Honoraren und schlechterer sozialer Absicherung als vorher (vgl. DER SPIEGEL, 8/2007, S.72) Noch grundsätzlicher stellt sich die Situation bei Google dar. Für ihren Nachrichten-Dienst benötigen sie keinerlei Journalisten mehr. Ein technischer Algorithmus bestimmt nach den Selektionskriterien der Nutzer, welche Nachricht als wichtig erscheint. Benötigen wir noch die Garantie der Pressefreiheit, wenn zunehmend in Abwandlung des Ausspruches von Marshal McLuhan gilt: The technology is the message? Die Mehrheit bestimmt den Inhalt! Bespiegeln sich die Konsumenten in den Medien nur noch selber? Hat der kritische, professionelle Journalismus noch eine Zukunft? Die immer weiter um sich greifende Kommerzialisierung der Medieninhalte, gefördert durch eine verstärkte Finanzierung über Werbung, führt dazu, dass die geforderte Trennung von Werbung und redaktionell verantworteten Inhalten weitgehend aufgehoben wird. Die Allgegenwärtigkeit der immer raffinierteren Werbung schwächt die Position der Menschen sowohl in ihrer Rolle als Konsumenten als auch als Bürger, da es immer schwieriger für sie wird, zwischen Public Relations und vertrauenswürdiger Information zu unterscheiden. Werbung als Verführung mit Appellen an das Unterbewusstsein arbeitet mit der Suggestivkraft von Bildern und auch mit der Psychofalle Duft: Marketingstrategen arbeiten in Einkaufszentren, Tankstellen, Modeboutiquen und Buchhandlungen auch mit Düften, um Lust auf das Einkaufen zu machen. Diese Düfte wirken direkt auf das Emotionszentrum des Gehirns, ohne dass die vernebelten Kunden dies bemerken. Mediennutzung kann auch weitere gesellschaftliche Kollateralschäden hervorrufen: Das „Sich-Aus-Leben“ in virtuellen Welten wie bei „Second Life“ kann dazu führen, dass das Rüstzeug für das Leben in der realen Welt mit ihren Konflikten und Auseinandersetzungen verloren geht, zumal im „Second Life“ die Avatare, die Klone des „anderen Ichs“, ständig umworben werden – in dieser künstlichen „Realität“ gibt es keine Trennung von Werbung und realem Leben; Für bestimmte Risikogruppen von Jugendlichen können aggressive Computerspiele, insbes. Killerspiele, bei denen das grausame Töten aus jeglichem Kontext gelöst ist und
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als sportliche Leistungsdisziplin betrieben wird, süchtig machen, zum Realitätsverlust beitragen und unkontrollierbare Gewaltausbrüche z. B in Schulen begünstigen. 44% der gewalttätigen Jugendlichen haben Gewaltcomputerspiele sehr oft genutzt, 14% nie (Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen, zitiert nach DER SPIEGEL, Nr. 20 2007, S. 45). Außerdem hemmt exzessiver Fernsehkonsum bei Jugendlichen körperliche Aktivitäten, selbst bestimmtes Lernen und das Sammeln von Erfahrungen. Zehnjährige, die sehr oft Computerspiele mit Altersfreigabe ab 18 Jahre nutzen, weisen besonders in Deutsch, aber auch in Sachkunde und Mathematik schlechtere Leistungen auf als der Durchschnitt (ebenda, S. 48). Handy-Nutzung hat bei manchen Jugendlichen zu gravierender Überschuldung geführt. Beim Chat im Internet werden Kinder zunehmend sexuell belästigt von pädophilen Menschen, die die Anonymität des Internet missbrauchen (vg. Rhein Zeitung 7.2.2007). Im Frühjahr 2007 hat die Bundesregierung einen Aktionsplan: Fit statt Fett gestartet, um der Fettleibigkeit den Kampf anzusagen. So wie Fast Food und Bewegungsarmut u. a. durch passiven Medienkonsum zu Übergewicht führen, so kann – so die parallele Hypothese – das „Vollmüllen“ des Kopfes mit unablässiger Musik und/oder kommerziellen Fernsehangeboten und Computerspielen zur mangelnden Fähigkeit führen, sich in diese Gesellschaft zu integrieren und den Qualifikationsanforderungen gerecht zu werden. Digitale Medieninhalte sind grundsätzlich veränderbar. Unter künstlerischen Gesichtspunkten ist dies ein großer Fortschritt in Bezug auf Nachbearbeitungen von Photos und Filmen oder auch in Bezug auf Computeranimation und -simulation und special effects für Filme. Andererseits aber öffnet sie der Manipulation Tür und Tor: So können z.B. aus Polizei-Videos von Demonstrationen einzelne Köpfe herausretuschiert oder umgekehrt Bilder von Nichtteilnehmern hineinkopiert werden. Das gleiche gilt für Dokumentationen von bestimmten Ereignissen an bestimmten Orten zu bestimmten Zeiten. So werden beispielsweise Bilder nackter Frauen im Internet verbreitet und tausendfach herunter geladen, die aus dem Porträt einer bestimmten Frau mit dem Körper einer Pornodarstellerin montiert wurden, ohne dass die Betroffenen Möglichkeiten hätten, sich gegen derartige Manipulationen und Grundrechtsverstöße zu wehren (vgl. DER SPIEGEL 8/2007, S. 50). Gaben schon früher Filmaufnahmen „die Realität“ nicht unverfälscht wieder auf Grund der gewählten Bildausschnitte, der Perspektive und der Kommentierung, so gibt es heute keinerlei Verlass mehr auf einen gewissen Realitätsgehalt von Bildern. Dies erfordert bei den Bürgern das Erlernen des „Lesens“ bzw. Entschlüsselns von Bildern, was besonders notwendig erscheint angesichts der Suggestivkraft bewegter Bilder, unterlegt mit hoch emotionaler Musik. Wenn man bedenkt, wie viele Jahrhunderte die Alphabetisierung fast aller Mitglieder der Gesellschaft in westlichen Industrieländern gedauert hat, dann wird die Herausforderung an die Verbreitung visueller Bildung deutlich. In Bezug auf die Veränderung von Werken erscheint die Digitalisierung ebenfalls janusköpfig: die leichtere Vervielfältigung macht einerseits die Rechte-Piraterie zum Kinderspiel, andererseits lassen sich durch Signalverzerrung z.B. bei der Übertragung von bewegten Bildern über Pay TV-Decoder Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechte besser sichern (Vgl. Kiefer, Medienökonomik S. 278). Die marktwirtschaftliche Organisation der Wirtschaft, zu der es prinzipiell keine wirkliche Alternative gibt, erzeugt daher verschiedene Dilemmata: Zum einen „verführt“ besonders das werbefinanzierte kommerzielle Fernsehen auf Grund von Personalisierung, Skandalisierung, Sensationalisierung, und Trivialisierung von politischen und gesellschaftlichen Konflikten und
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dabei immer neuen Tabubrüchen, um die Aufmerksamkeit der Zuschauer über die inhaltlichen Angebote auf die Werbebotschaften zu lenken, besonders Jugendliche zu exzessivem Fernsehkonsum, zumal dieser ja vordergründig kostenlos ist. Ein typisches Beispiel ist die Casting show: „Deutschland sucht den Superstar“ bei RTL, in der Dieter Bohlen die Quote auf über 20% (= 7,31 Millionen RTL-Zuschauern, vgl. DER Spiegel, 4/2007 S.69) hochtreibt. Er erreicht dies mit menschenverachtenden und beleidigenden Kommentaren – zu den gesanglichen Fähigkeiten einer jungen Kandidatin: „Das ist Darmverschluss, das ist Scheiße“ (RZ 24.1.07) –. Der Vorsitzende der Kommission für Jugendschutz (KJM) der Landesmedienanstalten, Wolf-Dieter Ring kritisierte, dass Bohlen als Identifikationsfigur „antisoziales Verhalten“ als Erfolg versprechend darstellt. „Bei den Respektlosigkeiten handelt es sich aber offenbar nicht um einzelne Entgleisungen, sondern um eine bewusste Inszenierung“, sagte Ring (ebenda). Die KJM hat deshalb ein Prüfverfahren gegen RTL wegen „möglicher sozialethischer Desorientierung von Kindern und Jugendlichen“ eingeleitet. Man könnte die Vorgänge auch pointierter einordnen: Hier werden Menschen zu bloßen Objekten degradiert, um sie dem kollektiven Gespött der Öffentlichkeit preis zu geben, mit dem Ziel, die Quote zu erhöhen, damit RTL als wichtiger Gewinnbringer des Bertelsmann-Konzerns mehr von den Werbung treibenden Unternehmen kassieren kann. Das Dilemma: Die Marktwirtschaft lebt zum einen von der Werbung, offenbar gerade auch im kommerziellen Fernsehen aber auch zunehmend im Internet wie an Google ablesbar, und dem Angebot und dem Verkauf immer neuer „modischer“ Produkte und digitaler Dienstleistungen. Zum anderen aber muss die Gesellschaft die Nebenwirkungen verkraften in der Form der Scheininformation und Entpolitisierung großer Bevölkerungsschichten, in der Form des Stresses in den Kindergärten und Grundschulen am Montagmorgen, in der Form des Umgangs mit suchtkranken oder gewalttätigen oder sozialethisch desorientierten Jugendlichen oder in der Form von unqualifizierten und daher auf dem Arbeitsmarkt schwer vermittelbaren Heranwachsenden. Außerdem bedarf es ständiger Bemühungen zur Sicherung des Urheberrechts der Autoren, um die kreativen Inhalte-Produzenten nicht noch weiter zu frustrieren. Das gleiche Dilemma scheint sich in Bezug auf das Internet zu ergeben. Einerseits stellen die E-mails gegenüber der herkömmlichen Post und die weltweite Internet-Recherche gegenüber dem Bibliotheksbesuch einen erheblichen Fortschritt in der gesellschaftlichen Kommunikation dar, andererseits gibt es auch hier dunkle Seiten: tausende von Seiten Kinderpornographie, Gewaltvideos und Killerspiele, Abzocke mit unseriösen Angeboten und Überschwemmung mit unerwünschter Werbung. Neue Techniken der Kommunikation und die über sie verbreiteten Inhalte erscheinen daher janusköpfig. Es bedarf offenbar eines relativ langen gesellschaftlichen Lernprozesses, um sie zu beherrschen und in die Alltagsroutinen zu integrieren. In der verschärften globalen Konkurrenz zwischen Nationen um Arbeitsplätze, Einkommen und Wohlstand gilt es daher, die Kollateralschäden durch die Einführung neuer Medien nach rein kommerziellen Kriterien so gering wie möglich zu halten, damit – um es plakativ auszudrücken – das Geld, das für Drogenentzug, Polizei und Sozialhilfe gespart werden kann, in die dringend benötigte Bildung und berufliche Qualifizierung umgeleitet werden kann. Nur: Wie kann gegen die privatwirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten des „Free TV“ und neuerdings der Internetplattformen ein solcher Umdenkungsprozess, der eine neue integrative Gesellschafts-, Technologie-, Wirtschafts- und Medienpolitik erfordert, bewirkt werden?
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Grundsätzlich stellt sich die Frage, wie die negativen Auswirkungen der Medienentwicklung an die staatliche Medienpolitik „rückgekoppelt“ werden bzw. welches Frühwarnsystem es erlaubt, frühzeitig präventiv einzugreifen, ohne die technische und wirtschaftliche Dynamik auszubremsen. In diesem Zusammenhang wäre die überkommene Ressorteinteilung – hier Technologie- und Wirtschaftspolitik, dort Familien-, Kultur- und Medienpolitik, hier Ingenieure mit ihren Tools, dort Sozialpädagogen mit ihren Anti-Suchtprogrammen – zu diskutieren. Denn diese erschwert es, integrative Politikansätze zu formulieren und – was noch wichtiger erscheint – solche auch gegen massive Partikularinteressen durchzusetzen. Die wirtschaftliche Bedeutung der Informations-/Kommunikationstechnologien und der Internet-Entwicklung als Schlüsseltechnologien und entscheidende Standortfaktoren nicht nur für den Medienbereich, sondern für alle Lebensbereiche – u. a. Bildung und Ausbildung, öffentliche Verwaltung, Finanzwirtschaft, Gesundheitsmarkt – kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Nur: Es gibt intelligentere Ansätze, um technischen und wirtschaftlichen Fortschritt einerseits und kulturelle Standards und gesellschaftliche Evolution andererseits zu verknüpfen und integrativ zu optimieren. Der Begriff einer nachhaltigen „Medienökologie“ deutet in diese Richtung. Den international dominierenden kommerziellen Web-Angeboten von Google und Amazon über eBay und My Space bis zu You Tube, Microsoft und Wikipedia ist allerdings dreierlei gemeinsam: Erstens, sie sind nicht durch staatliche Förderung entstanden sondern häufig als Garagengründungen und „Graswurzel Initiativen“. Zweitens, sie entstanden nicht in Deutschland sondern in den USA und sind daher von der amerikanischen kommerziellen Kultur geprägt. Drittens, sie werden vorrangig über Werbung finanziert, die kaum von den inhaltlichen Angeboten getrennt ist. Gibt es dagegen für die Zukunft eine europäische Perspektive? Und wenn ja, wie sieht sie aus? Zur gesellschaftlichen Evolution gehört also auch der Umgang mit neuen Technologien. Werden z.B. neue Medientechniken durch ein Innovationen gegenüber aufgeschlossenes Klima und durch den schnellen Transfer ingenieurwissenschaftlicher Erkenntnisse in marktfähige Produkte begünstigt? Werden sie sinnvoll in die Alltagsroutinen und produktiv in die berufliche Arbeit integriert? Werden schädliche Nebenwirkungen der Technikanwendung erkannt und frühzeitig möglichst ausgeschlossen? Gibt es einen folgenreichen Diskurs zwischen Ingenieuren einerseits und Sozialwissenschaftlern, Pädagogen, Medizinern und Arbeitspsychologen andererseits zur sozialverträglichen Technikgestaltung? Gibt es gegenüber der „Leitkultur“ der USA einen „europäischen Weg“, über den einerseits versucht wird, wenigstens in der Technikanwendung und in der Entwicklung von Inhalten wieder wirtschaftlich konkurrenzfähig zu werden, einen „europäischen Weg“, der aber andererseits geprägt ist von Erfahrungen in Europa, um so z.B. Gewalt verherrlichende Filme und Spiele und die Verbreitung von „überkommenen“ Klichees, wie die in vielen Western und Krimis aus US-amerikanischen Produktionen transportierte angebliche Notwendigkeit des Waffeneinsatzes zur Selbstverteidigung, zu unterbinden? Gesellschaftliche Evolution misst sich daher einerseits an der Verwirklichung der Menschenrechte, an der gelebten Medien- und Kommunikationsfreiheit auf der Mikroebene – und an der Funktionsfähigkeit der Wirtschaft und der Demokratie als lernenden System auf friedlicher Basis, also auf der Makroebene, wobei zu beachten ist, dass beide Ebenen untereinander eng verbunden sind über Medienorganisation, Medienwettbewerb und Medienregulierung auf
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der Mezzoebene. Andererseits misst gesellschaftliche Evolution sich aber auch an den Mechanismen, mit denen die aufgezeigten Dilemmata minimiert werden können, letztlich also an dem Grad der Wohlstanderhaltung und der gesellschaftlichen Integration möglichst aller Mitglieder der Gesellschaft entsprechend ihren Fähigkeiten und ihrem Engagement. Hierbei gilt es freilich durch Erziehung sowohl im Elternhaus als auch in den Schulen Selbständigkeit, Selbstbeherrschung und Selbstverantwortung zu fördern und zu fordern. Dazu gehört nicht zuletzt die Förderung von Medienkompetenz auf dem Weg in die Wissensgesellschaft, die einerseits von den Erfahrungen der Vergangenheit lebt und andererseits darauf aufbauend die Zukunft nach Kriterien der Generationengerechtigkeit, der Nachhaltigkeit im Umgang mit der Natur und des dauerhaften Friedens mit Nachbarvölkern gestaltet. Es gilt, einerseits Medienkompetenz auf breiter Basis zu vermitteln. Medienkompetenz umfasst die Kompetenzen, mit den Medien verantwortungsvoll umzugehen und die Fähigkeiten, die Medienangebote für die eigenen Bedürfnisse sinnvoll zu nutzen und d. h. zum einen die Angebote lesend und visuell entschlüsselnd zu verstehen, sie kritisch auszuwählen und in ihrem spezifischen Kontext zu erfassen und zum anderen sich aktiv in ihnen auszudrücken. Andererseits gilt es, die Perspektiven der Wissensgesellschaft zu diskutieren und zu gestalten. Sollen diese fundamentalen Fragen auf wissenschaftlicher Basis beantwortet werden, so ist eine interdisziplinäre Herangehensweise erforderlich. Alle Einzelwissenschaften sind darauf hin zu befragen, welchen Beitrag sie zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen leisten können. So sind z.B. die Rechts-, die Wirtschafts-, und die Kommunikationswissenschaften darauf hin zu befragen, ob und wie sie in der Lage sind, die beschleunigte medientechnische Entwicklung der letzten Jahrzehnte zu erfassen und in ihre normativen Konzepte zu integrieren; ob und wie sie in der Lage sind, neue Formen der Ausübung von medial vermittelter Macht kritisch zu analysieren und das bisherige Instrumentarium zu ihrer Beherrschung fortzuschreiben; ob und wie sie in der Lage sind, auf die „Revolutionierung“ der Medien und ihrer Nutzung durch das Internet und die individualisierten Dienstleistungen zu reagieren? So sind z.B. die Politikwissenschaften und die Soziologie darauf hin zu befragen, wie sie Medienmacht erfassen und konkrete Medienpolitik erklären und welche Ansätze sie beizutragen haben, um Medienwettbewerb und Medienkonzentration zu kanalisieren. Nur so kann ein Gesamtbild der historischen Medienentwicklung in gesellschaftlicher Perspektive entstehen. Nur so wird es möglich, eine realistische „Vision“ einer integrativen Medien- und Technologiepolitik, die vom Staat und von der Zivilgesellschaft getragen wird, zu entwickeln.
3. Der umfassende Ansatz Zum Verständnis des hier verfolgten Ansatzes sind zunächst einige Begriffsklärungen erforderlich, um sodann die Bedeutung der bisherigen wissenschaftlichen Ansätze zu dem hier behandelten Thema zu diskutieren. Darauf folgen die Entfaltung des eigenen interdisziplinären Vorgehens und die Erläuterung der Gliederung.
3.1 Medien im weitesten Sinne, Infrastrukturen, Wettbewerb, Konzentration und Macht: einige Begriffsklärungen Medien im weitesten Sinne sind zunächst technische und ökonomische Plattformen, auf denen sich Inhaltsanbieter und Nutzer nach bestimmten vertraglich vereinbarten bzw. staatlich gesetzten Regeln treffen. Dies gilt sowohl für die bisherigen Massenmedien mit ihren professionellen Redaktionen – sie verteilen wie bei der Tageszeitung, dem Buchverlag oder dem Rundfunk von einem Punkt aus Informationen im weitesten Sinne an viele Nutzer – als auch für die technisch vermittelte Individualkommunikation – das Telefon, die E-mail oder die Internet Recherche (zum Medienbegriff vgl. auch Saxer, zitiert bei Kiefer, Medienökonomik S. 33). Hinsichtlich der Massenmedien ist die Tageszeitung in doppelter Hinsicht eine solche Plattform: Sie bietet sowohl tagesaktuelle Informationen in Schrift und Bild als auch Werbebotschaften. Beides liegt nach redaktioneller und verlegerischer Leistung in gespeicherter – auf Papier gedruckter – Form am Kiosk oder beim Abonnement im Briefkasten für den Leser bereit. Hinsichtlich der technisch vermittelten Individualkommunikation bedarf es keiner professioneller Redaktionen zur Informationsaufbereitung. Die Teilnehmer selbst sind unmittelbar „Nachrichtenquellen“. Sie bedürfen nur des Zugangs zu den verbindenden technischen Infrastrukturen. Medien in diesem Sinne sind also wirtschaftlich-technische Systeme des Informationsangebotes bzw. des Informationsaustausches, wobei der Informationsbegriff im umfassendsten Sinne gemeint ist: er schließt gedruckte Texte ebenso ein wie die Bildwiedergabe, gesprochene Worte ebenso wie Musik, graphische Darstellungen ebenso wie filmische Aufnahmen. Medien in diesem Sinne sind technische Produktions- und Übermittlungssysteme, gebunden an Wiedergabe- oder Speichergeräte bzw. andere materielle Speicherformen wie Papier. Die Übermittlung erfolgt entweder live – bestimmte Fernsehsendungen wie z.B. Talkshows, Nachrichtensendungen oder Sportübertragungen in der Massenkommunikation oder beim Telefongespräch bei der Individualkommunikation. Oder sie erfolgt zeitversetzt wie z.B. bei der Tageszeitung, dem Buch, dem Kino- oder Fernsehfilm oder der E-mail. Die Evolutionsgeschichte der Medien durchlief eine immer umfassendere „Inanspruchnahme“ der menschlichen Sinne: Ging es nach Einführung des Buchdrucks zunächst um das Lesen – eine geistige Anstrengung, um aus kleinen schwarzen Zeichen Sinn zu erschließen –, so kamen „Standbilder“ in der Presse hinzu, dann die Erweiterung auf das Hören – Schallplatte und Radio –, schließlich das umfassende Angebot für (fast) alle Sinne: der Tonfilm – zunächst schwarz-weiß, dann in Farbe – und das Fernsehen in immer größeren Bildformaten bis hin zu den interaktiven Computerspielen, die den Nutzer förmlich mit allen Sinnen und Instinkten in ihren Bann schlagen.
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Der Medienbegriff umfasst also sowohl die technischen Systeme der Übermittlung, Speicherung und Wiedergabe von Schrift, Ton und Stand- und bewegten Bildern. Er umfasst auch die Infrastrukturen wie auch den übermittelten content, die Botschaften. Die Infrastrukturen zumindest im Bereich der elektronischen Medien waren bisher von der content-Produktion organisatorisch getrennt und ihr gegenüber zu Neutralität verpflichtet. Das Bundesverfassungsgericht hatte 1961 entschieden, dass das Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen – heute die privatisierte deutsche Telekom – mit ihren Netzen eine ausschließlich dienende Funktion gegenüber den Rundfunkveranstaltern habe. Gleiches sollte für die Vertriebswege der Presse gelten. Die Plattformen des Internet wie z.B. Google sind auch Infrastrukturen: sie ermöglichen den Nutzern über Suchvorgänge, sich das Wissen der Welt, so wie es angeboten wird, zu erschließen. Nur: Sie sind nicht neutral, da sie das Surfen lenken und z.B. mit Werbebotschaften beeinflussen. Die Begriffe Wettbewerb und Konkurrenz werden oft synonym gebraucht. In erster Annäherung geht es um die wirtschaftliche Rivalität um Kunden – Parallelwettbewerb. Als Ort dieses Zusammentreffens verschiedener Anbieter wird der Bedarfsmarkt identifiziert, der Ort, wo die mit Kaufkraft ausgestattete Nachfrage auf das Angebot trifft. Dieser „Ort“ hat eine sachliche und eine räumliche Dimension: Sachlich stehen die Waren im Wettbewerb, die aus der Sicht der potentiellen Kunden funktional austauschbar sind, d. h. die geeignet sind, die gleichen Bedürfnisse zu befriedigen. Deshalb werden z.B. Mittelklasse PKW und Oberklasse-Limousinen verschiedenen Märkten zugerechnet, weil aus der Sicht der Käufer ein VW Passat nicht mit einem BMW der 7er Reihe austauschbar ist. Gleiches gilt für die sachlich getrennten Märkte der Boulevard-Zeitungen einerseits und der „seriösen“ überregionalen Zeitungen andererseits. Räumlich werden Märkte gegeneinander abgegrenzt nach dem Kriterium der Erreichbarkeit: Gemüse wird lokal eingekauft, Autos dagegen regional wenn nicht sogar in noch weiterem Umkreis. Gleiches gilt für die Abgrenzung lokaler bzw. regionaler und bundesweiter Pressemärkte: Lokale Informationen sind nur in den Zeitungen „vor Ort“ erhältlich, nicht aber in den überregionalen Zeitungen. Wettbewerb kann auch nach den Dimensionen der Rivalität unterschieden werden: Preisund Qualitäts- und Marketingwettbewerb beziehen sich auf ein gegenwärtiges Angebot nicht nur homogener Güter, Innovationswettbewerb zielt dagegen auf die zeitliche Abfolge des Angebots von veränderten bzw. verbesserten Gütern und Dienstleistungen ab. Eine weitere Unterscheidung bezieht sich auf den Leistungswettbewerb – den Versuch, die Kunden durch das Produkt, seine Gestaltung, seinen Preis und seinen Vertrieb zu überzeugen – und die ruinöse Konkurrenz – die Versuche, Mitwettbewerber z.B. durch Preiskämpfe vom Markt zu verdrängen. Leistungswettbewerb kann sich nur dann voll entfalten, wenn offener Marktzutritt sowohl auf Seiten der anbietenden Unternehmen als auch auf Seiten der Nachfragenden gegeben ist. Oft wird Leistungswettbewerb auch verstanden als der Wettbewerb, der durch staatliche Regulierung hervorgebracht wird – Wettbewerb als staatliche Veranstaltung –, während ruinöse Konkurrenz den „naturwüchsigen“ Kampf von Unternehmen um Marktbeherrschung und Dominanz kennzeichnet.
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Darüber hinaus wird zwischen dem Wettbewerb innerhalb eines Bereiches – in Bezug auf Medien also Wettbewerb im Bereich der Tageszeitungen – intramedialer Wettbewerb – und Wettbewerb zwischen verschiedenen Bereichen – also z.B. in Bezug auf die Gewinnung von politischen Informationen als Wettbewerb zwischen Tageszeitungen, Radio- und Internetdiensten – intermedialer Wettbewerb – unterschieden. Unter Konzentration wird in erster Annäherung die Ballung ökonomischer Größen zur Ausübung wirtschaftlicher Macht verstanden. Unternehmenskonzentration bezieht sich auf relevante Märkte, auf die „Orte“, wo Angebot und Nachfrage von spezifischen Gütern und Dienstleistungen zusammentreffen: In horizontaler Richtung geht es darum, entweder durch überproportionales internes unternehmerisches Wachstum oder durch Fusionen einen marktbeherrschenden Anteil an den Umsätzen eines Bedarfsmarktes zu erringen. In vertikaler Richtung geht es um die unternehmerische Beherrschung von Wertschöpfungsketten, also z.B. um den Aufbau von Vertriebsabhängigkeiten, d.h. dass Wettbewerber darauf angewiesen sind, den Vertriebsweg des Konkurrenten zu nutzen. Gleiches gilt für den Fall, dass ein Unternehmen die notwendigen Bezugsquellen beherrscht oder z.B. strategisch wichtige Patente gehortet hat. Von diagonaler oder conglomerater Konzentration spricht man, wenn von einem Unternehmen bzw. Konzern ganz verschiedene Märkte bedient werden und daher Gewinne eines Marktes für Preiskämpfe auf ganz anderen Märkten mobilisiert werden können. Formen der Konzentration sind neben überproportionalem, internem unternehmerischem Wachstum, das sich z.B. in Marktanteilsgewinnen zeigt, Kollektivmonopole durch die Bildung von den verschiedensten Arten von Kartellen, die bei Fortbestehen formaler unternehmerischer Selbständigkeit untereinander den Wettbewerb ausgeschlossen haben. Formen der Konzentration sind Parallelverhalten im Oligopol, d.h. dass z.B. Preise auf Märkten, auf denen zwei bis ca. acht Unternehmen anbieten, sich im Gleichklang bewegen, sind die Herstellung von allen Arten von unternehmerischen Abhängigkeiten wie z.B. Vertriebs- oder Bezugsabhängigkeiten zur Beherrschung ganzer Wertschöpfungsketten und das Eingehen von Fusionen – externes Wachstum. In jüngster Zeit bildet die Etablierung von Unternehmensnetzwerken eine neue Form der Konzentration und damit der Etablierung wirtschaftlicher Macht. Dies wird.u. a. durch langfristige Lieferbeziehungen, personelle Verflechtungen – in dem einen Unternehmen Vorstand, in dem anderen Aufsichtsrat und vice versa – und durch langfristige Kreditbindungen bewirkt. In den Wirtschaftswissenschaften werden Mikro-, Mezzo- und Makroebene unterschieden: Auf der Mikroebene geht es um die Analyse der Determinanten individuellen Verhaltens, auf der Makroebene geht es um die Entwicklung der großen Aggregate wie Volkseinkommen, Konsum und Investitionen. Die Analyse von Wettbewerb und Konzentration wird der Mezzoebene zugerechnet, da hier die Verknüpfung der beiden anderen Ebenen erfolgt: Der unternehmerische Wettbewerb verbindet das individuelle Konsumverhalten und das unternehmerische Angebotverhalten mit der gesamtwirtschaftlichen Wachstumsrate. Wirtschaftlicher Wettbewerb und ökonomische Konzentration spielen sich immer im Rahmen staatlicher Ordnungen ab. Idealtypisch geht es um staatliche Garantien für unternehmerische Freiheit im Angebot auf Märkten und Wahlfreiheit der Konsumenten in der Nachfrage. Staatliche Ordnungspolitik hat die Aufgabe, die Verfolgung egoistischer Ziele – Gewinnmaximierung bei den Unternehmen und Nutzenmaximierung bei den Konsumenten – so zu kanalisieren, dass das Wirtschaftssystem gesamtgesellschaftlichen Zielsetzungen wie der freien
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Entfaltung seiner Bürger und der Wohlstandsmehrung entsprechend der Marktleistung gerecht wird. „The liberty of the sheep to coexist with the wolf is meaningless in the absense of the shepherd. Free enterprice makes sense only within a framework of freedom, within a system of rights which maximises the individual freedoms of an entire society. And, since competition is a human artifact rather than a gift of nature, its preservation requires governmental action. It requires laws, like antitrust to protect the competitive order against subversion by individuals and private groups” (Adams, S. 13). Die spannende Frage, die sich in jeder Epoche neu stellt, ist die: Wie weit gelingt es staatlichen Institutionen jeweils, die Wettbewerbsordnung aufrecht zu erhalten und privatwirtschaftliche Machtausübung einzudämmen. Der Begriff der Macht bzw. der Machtausübung umfasst im engeren Sinne alle Maßnahmen, durch die eine Person oder Institution gegen deren Willen zu einer Handlung oder Unterlassung gezwungen werden kann. Diese Machtausübung kann von einer Person, einer Institution der Privatwirtschaft oder dem Staat in den verschiedenen Ausprägungen wie Polizei, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Militär ausgehen. Max Webers Definition von Macht stellt ab auf die Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegenüber Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht. Erscheinungsformen sind militärische, politische, staatliche, mediale und wirtschaftliche Macht. Max Webers Definition ist so bedeutsam, weil sie die verschiedensten Konstellationen, die Machtausübung ermöglichen, umfasst – also auch die Kombination aus wirtschaftlicher und publizistischer Macht. Der Begriff der Macht ist umfassender als der der Gewalt. Um dies zu verdeutlichen, hat Elias Canetti das einprägsame Beispiel von Katz und Maus benutzt: Hat die Katze die Maus gefangen, so hat sie sie in ihrer Gewalt. Beginnt sie mit der Maus zu spielen und lässt sie ein wenig laufen, so hat sie sie nicht mehr in ihrer Gewalt, aber immer noch unterliegt die Maus ihrer Machtausübung, denn die Katze kann sie jederzeit wieder in ihre Gewalt bringen, um sie dann zu töten (Canetti S. 333). Machtausübung kann also mit begrenzter oder illusorischer Freiheit in einem klar definierten Raum der der Herrschaft Unterworfenen einhergehen. Im weiteren Sinne kann von Machtausübung auch dann gesprochen werden, wenn es einer dominanten Person oder Institution gelingt, in ihrem Sinne prägenden Einfluss z.B. auf das Bewusstsein und das Verhalten der Bevölkerung zu gewinnen. In diesem Sinne können Trendsetzung z.B. in der Mode oder in der Werbung oder „Meinungsführerschaft“ in der politischen Berichterstattung, wenn sie unangefochten ausgeübt werden können, als Manifestationen von Macht angesehen werden. Publizistische Macht in diesem Sinne geht in einer Demokratie meist mit wirtschaftlicher Macht einher. Machtausübung ergibt sich aus der Kombination von individuellen Charaktereigenschaften der Handelnden und komplexen Organisationen und Umwelten als ihren Machtbasen. Machtausübung in diesem Sinne bedeutet Fremdbestimmung und Manipulation. Sie ist an einem Gefälle zwischen Herrschaft und Unterworfenen in den verschiedenen Formen von Abhängigkeit, Hörigkeit, Unwissenheit, Ohnmacht und Unorganisiertheit zu erkennen. Die Gegenbegriffe sind individuelle oder institutionelle Autonomie, Selbstbestimmung und Selbstbeherrschung. Im Zusammentreffen mit dem „Gegenüber“ – Wirtschaftsunternehmen, Medien, Verbänden, politischen Parteien – herrscht idealtypisch Gleichberechtigung im Sinne der gleichen Augenhöhe.
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Legitime Macht kann durch Staatsorganisation zugewiesen oder durch Autorität erworben werden. Dies gilt z.B. für Macht durch Expertenwissen, z.B. bei Ärzten, Ingenieuren oder angesehenen Journalisten. Medienkonzerne, die je nach Reputation, Glaubwürdigkeit und Reichweite erhebliche Wirkungen oft weit über ihre unmittelbaren Klienten hinaus entfalten, üben – trotz bestehenden publizistischen Wettbewerbs – Macht durch Wissen und Einflussnahme aus. Dies ergibt sich auf Grund ihrer Kommentierungen und Deutungen sozialen Geschehens. In Bezug auf Machtausübung ist zwischen legitimer Macht – z.B. die Macht eines durch demokratische Wahlen legitimierten Parlaments zum Erlass von Gesetzen, die in Rechte der Bürger eingreifen – und illegitimer Macht, z.B. eines Diktators oder eines marktbeherrschenden Preiskartells – Machtmissbrauch – zu unterscheiden. Machtausübung kann daher auch durch die Abwesenheit von publizistischen oder ökonomischen Wettbewerb festgestellt werden und ist dann als strukturelle Macht zu bezeichnen. Als Funktionen der Machtausübung sind, bezogen auf die Macht der Medien, die Definitionsmacht und die Verfügungsmacht zu unterscheiden. Die Definitionsmacht beschreibt das Potential zu einer der umfassensten und zugleich subtilsten Formen der Einflussnahme. Definitionsmacht kommt z.B. in der Wahl der journalistisch verwandten Begriffe – „Mob“ oder aber legitime Demonstranten zur Beschreibung von Massenkundgebungen – und in der Wahl des journalistischen Genres zur Berichterstattung und des verwandten Stils zum Ausdruck. Die Macht der Medien erwächst damit aus der Macht über die Herstellung und Lenkung von Publizität. Unkontrolliert kann sie zur Medienmanipulation missbraucht werden. Während nach landläufigen Vorstellungen die Naturwissenschaften sich nur auf überprüfbare Fakten beziehen, so haben es die Geisteswissenschaften nur zum Teil mit empirischen Befunden zu tun. Ihr Hauptgegenstand ist die Theoriebildung, um soziale Zusammenhänge zu interpretieren, zu deuten und um hinter der Vielfalt von Erscheinungsformen Gesetzmäßigkeiten zu entdecken. Gemäß konstruktivistischem Theorieansatz wird soziale, gesellschaftliche und kulturelle Wirklichkeit u. a. von Journalisten geschaffen, indem sie im Diskurs in Arenen der Öffentlichkeit bestimmt wird, in einem spezifischen Kontext erläutert und schließlich als „richtige“ Deutung verbreitet und damit manifest wird. Definitionsmacht liegt dann bei den Subjekten, welche mit ihren Ansichten diese diskursiven Konstruktionen nachhaltig beeinflussen oder gar dominieren. Geht es im weiteren Sinne um publizistische Macht so gilt: „The capacity to communicate, to package and diffuse information, means power. Power however is not a primary concern for most mainstream economics, certainly not for neoclassicists” (Babe, zitiert nach Kiefer, Medienökonomik S.10). Der erste Teil des Zitats meint einen noch umfassenderen Machtbegriff: Er spricht schon denjenigen, – Journalisten, Redaktionen und Verlagen –, die Informationen im weitesten Sinne aufbereiten und über Medien verbreiten, Macht zu, offenbar allein schon aus ihrer Professionalität und aus der gatekeeper Funktion heraus, der Fähigkeit, als Schleusenwärter des unendlichen Informations- und Meinungsflusses zu fungieren. Der zweite Teil des Zitates bleibt der Überprüfung in Kapitel 7 vorbehalten. Der erste Teil des Zitates ist deshalb besonders bedeutsam, da er sich auf strukturelle Gefälle zwischen straff organisierten Institutionen einerseits und diffusen Rezipienten und unorganisierten Publika bezieht. Turow spricht in diesem Zusammenhang von „Power
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Roles“ und erwähnt vorrangig die Producer: „They create material for release to the public via mass media and they set and supervise content and selection guidelines. Their leverage is control over people and ideas that might get exposure to the public via Mass media” (zitiert nach Kiefer, Medienökonomik S. 194). Diese Definition von Macht knüpft an an soziologische Vorstellungen von „Macht durch Organisation”, wobei allein schon die Möglichkeit der Selektion von Informationen für eine Veröffentlichung nach den Vorstellungen des Medienunternehmens Macht und Einfluss gewährt, besonders dann, wenn die Angebote dieses Unternehmens nur unzureichend durch publizistischen Wettbewerb anderer Unternehmen kontrolliert werden. Diese Vorstellung von Machtausübung lässt sich auch auf die Internet Plattformen übertragen, da diese bereits durch die Organisation und Finanzierung der links und der Suchmaschinen selbstherrliche Selektionsmaßnahmen vornehmen. Neben der Definitionsmacht ist die Verfügungsmacht eine andere relevante Machtfunktion im Medienbereich. Verfügungsmacht kann über Ressourcen wie Druckkapazitäten oder Vertriebswege und über Technologien ausgeübt werden, z.B. auf Grund von Patenten. Der Aufstieg von Microsoft ist der Verfügungsmacht über software zu verdanken. Gleiches gilt in Bezug auf die Verfügung über Verteilnetze wie bei Eutelsat und bei Astra in Bezug auf Satellitennetze. Will man angemessen über Medienmacht diskutieren, so sind beide Dimensionen von Macht, die Definitionsmacht über Medieninhalte und die Verfügungsmacht über Technologien zu deren Verbreitung zu berücksichtigen, besonders dann, wenn sie in wirtschaftlichen und publizistischen Kombinationen agieren. In einem noch allgemeineren Sinne ist die Macht der Technik zu analysieren, die in der Strukturierung ihrer Nutzung und der Schaffung von Abhängigkeiten liegt. Wenn in diesem Buch von Gesellschaft die Rede ist, so ist im weitesten Sinne die Gemeinschaft aller Bürger und ihrer Institutionen gemeint. Diese Gemeinschaft untergliedert sich in die Subsysteme von „Wirtschaft“, „Medien und Kultur“, „Staat und Politik“ als die Agenturen zur Gestaltung von Wettbewerb und Konzentration in den beiden genannten Bereichen und „Zivilgesellschaft“ als dem Bereich des „Privaten“, in dem die Wirkungen von Entwicklungen in den anderen Subsystemen im Positiven wie im Negativen zu spüren sind. Aber auch die anderen Subsysteme sind wirkungsmäßig untereinander verflochten: wirtschaftliche Konzentration im Medienbereich wirkt auf die demokratische Öffentlichkeit zurück und technischer Fortschritt stellt staatliche Regulierung bzw. staatliche Medienpolitik möglicherweise vor neue Herausforderungen. Des Öfteren werden im Folgenden die Begriffe Marktversagen und Staatsversagen verwandt. Dabei wird zunächst von einem Zusammenwirken von Markt- und Staatsfunktionen nach dem Subsidiaritätsprinzip im Modell der (sozialen) Marktwirtschaft ausgegangen: Privatwirtschaftliche Erstellung und Verteilung von Gütern und Dienstleistungen über Märkte soll fünf Funktionen erfüllen: gerechte Verteilung – Einkommen nur entsprechend der Marktleistung – ,Steuerung des Angebots nach Käuferpräferenzen – der Kunde soll „König“ sein –, Einsatz der Produktionsmittel nach Effizienzkriterien, Flexibilität in der Reaktion auf Veränderungen und Hervorbringung von Innovationen. Der Staat hat dabei die Aufgabe, u. a. durch seine Ordnungspolitik dafür zu sorgen, dass die Rahmenbedingungen für wirtschaftlichen Wettbewerb zur Erfüllung der genannten Funktionen stimmig sind.
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Staatliche Ordnungspolitik besonders in der Form der Wettbewerbspolitik ist als Resultante gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse zu verstehen, die „mit Macht“ auf den Staat einwirken. Je nach den Verschiebungen dieser Kräfteverhältnisse zwischen politischen Parteien, zwischen Unternehmerverbänden und Gewerkschaften usw. verändert sich die Ordnungspolitik. Die relativ durchlöcherte Wettbewerbspolitik heutiger Prägung ist Ausdruck starker wirtschaftlicher Interessen in ihrer Einwirkung auf staatliche Institutionen. Wenn der Wettbewerb auf den Märkten die genannten Funktionen trotz adäquater Ordnungspolitik nicht erfüllen kann, spricht man von Marktversagen. Dies kann sich ergeben bei strukturell bedingtem unvollständigem Wettbewerb. Hier kann evtl. durch veränderte staatliche Regulierung Abhilfe geschaffen werden. Dies kann sich bei erwünschten externen Effekten und öffentlichen Gütern ergeben. Hier ist dann eine andere Organisationsform der Produktion und Verteilung vorzusehen als im privatwirtschaftlichen Wettbewerb. Dies kann sich auf Grund unzureichender Informationen entweder bei den Produzenten oder bei den Konsumenten oder sogar bei beiden ergeben. Sind diese ebenfalls strukturell bedingt, ist auch hier von privatwirtschaftlicher Organisation abzusehen. Dann hat der Staat in dem entsprechenden Bereich entweder für andere Organisationsformen der Güter- oder Dienstleistungserstellung und -verteilung zu sorgen oder sie selber zu übernehmen. Wenn der Staat entweder seinen ordnungspolitischen Verpflichtungen dem privatwirtschaftlichen Wettbewerb gegenüber nicht nachkommt oder aber die von ihm selbst zu erstellende Güterproduktion und -verteilung im gesamtgesellschaftlichen Interesse nicht leistet, dann spricht man von Staatsversagen. Dieses ist dann wiederum mit Hilfe der Analyse der den Staat dominant beeinflussenden Interessen und Ideologien zu entschlüsseln.
3.2 Kritik der bisherigen Forschungs- und Gestaltungsansätze: Zersplitterung auf verschiedene Disziplinen, Institutionen und Politiken Die bisherigen sozialwissenschaftlichen Forschungen zu Medienwettbewerb und Konzentration sind ganz stark vom jeweiligen disziplinären Ansatz geprägt und diese verschiedenen Ansätze wirken kaum gegenseitig befruchtend. Dies gilt besonders im Hinblick auf die Medienpolitik: Während viele Ökonomen oft die Anwendung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkung auf den Mediensektor für ausreichend halten, um Medienwettbewerb aufrecht zu erhalten, fordern Kommunikationswissenschaftler eine spezifische Regulierung für den Medienbereich, um Medienpluralität zu sichern. Erstere setzen auf das Bundeskartellamt, die letzteren auf den Rundfunkstaatsvertrag und seine Anwendung durch die Landesmedienanstalten bzw. die Kommission zur Ermittlung der Konzentration der Medien. Offenbar liegen den zwei konkurrierenden bzw. sich überlappenden Ansätzen unterschiedliche – wirtschaftswissenschaftliche bzw. publizistische – Vorstellungen von Medienwettbewerb und Konzentration und deren gesellschaftlicher Funktion zu Grunde. Hinzu kommt, dass für die Infrastrukturen, also für die Telekommunikationsunternehmen eine Bundesbehörde, die Regulierungsbehörde für Post- und Telekommunikation, heute Bundesnetzagentur, zuständig ist. Schließlich ist in bestimmten Fällen die EU-Kommission, dort insbes. die Generaldirektion für Wettbewerb involviert. Die Übertragungswege sind national – terrestrische, Kabel- und Mobilfunknetze –, kontinental – Satelliten – und global – Internet.
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Eine effiziente Koordination der diesbezüglichen institutionellen Zuständigkeiten ist bisher nicht erkennbar. Auch die Medienpolitik ist in sich widersprüchlich: Sie hat einerseits den kommerziellen Rundfunk in Deutschland zugelassen und damit den öffentlich-rechtlichen Rundfunk einer – wie manche meinen ruinösen Konkurrenz ausgesetzt und andererseits gibt es immer noch einen tragfähigen Konsens der parteipolitisch unterschiedlich geführten Bundesländer, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch materiell die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Bestands- und Entwicklungsgarantie zu gewähren. Gleichzeitig konkurrieren die Bundesländer um die Standorte für Medienunternehmen. Für die Politikwissenschaft ergibt sich daher ein weites Feld der Analyse praktizierter Medienpolitik im Mehrebenensystem in Deutschland und Europa und zur Erarbeitung in sich konsistenter medienpolitischer Gestaltungsvorschläge. Neben Wirtschafts-, Politik- und Kommunikationswissenschaften ist die juristische Regulierung von Medienwettbewerb und Konzentration zu nennen, die ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten der Gesetzgebung und der Gesetzesauslegung und -anwendung unterliegt. Gesetzgebungen z.B. in der Form des Rundfunkstaatsvertrages sind das Ergebnis von politischen Auseinandersetzungen und Kompromissen, die oft viel Spielraum für richterliche Auslegung lassen und praktisch nie einem „reinen“ wirtschafts- oder kommunikationswissenschaftlichen Konzept entsprechen, zumal es solche „unumstrittenen“ und in sich schlüssigen Konzepte wenn überhaupt nur selten gibt. Alle Fragen zu Medienwirkungen und ihre Konsequenzen für die Sozialisation und Bildung von Jugendlichen, für die gesellschaftliche Entwicklung einer Nation insgesamt liegen quer zu den genannten Ansätzen und werden deshalb oft – unverbunden – an die Sozialwissenschaften mit Psychologie und Soziologie und an die Erziehungs- und Familienpolitik überwiesen. Von dort gibt es nur rudimentäre Rückkoppelungen zur Medienpolitik – z.B. periodische, populistische Forderungen nach dem Verbot von „Killerspielen“ im Internet nach Gewalttaten – und zur juristischen Regulierung.
3.3 Ideologien und gesellschaftliche Interessen Bei Ideologien geht es ganz allgemein um das Verhältnis von „vorgestellter“ Welt zur „wirklichen“ Welt. Es sind Denkmodelle, aus denen Ansprüche abgeleitet werden und die der Mobilisierung gesellschaftlicher Gruppen dienen. Gleichzeitig sollen sie das soziale Band festigen, das dem Zusammenhalt der Gesellschaft dient. Folgt man dem kritischen Ideologiebegriff, so sind Ideologien gesellschaftliche Leitbilder, die von interessierter Seite als allgemeingültig ausgegeben werden, hinter denen sich aber einseitige Ansprüche – politische, weltanschauliche oder wirtschaftliche Interessen – verbergen. Aufgabe der Sozialwissenschaften ist u. a. Ideologiekritik, um Lobbyismus, der mit Hegemonialansprüchen auf Grund angeblich „herrschender“ Theorien daherkommt, als solchen zu kennzeichnen. Eine konkrete Frage also lautet: Liegt die Forderung nach Freiheit des Wettbewerbs im Medienbereich gleich der Forderung nach Zurückdrängen staatlicher Regulierung im gesamtgesellschaftlichen Interesse und ist daher legitim oder aber verbirgt sich dahinter die Forderung
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von (Groß)Verlegern nach ungehemmter wirtschaftlicher Expansion und Marktbeherrschung nach einseitigen inhaltlichen, durch publizistischen Wettbewerb nicht mehr kontrollierten, Vorstellungen und ist daher aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive illegitim? Zu der Frage nach der Freiheit von… gehört also immer gleichzeitig die Frage: Freiheit wozu. Außerdem ist „Freiheit“ zu qualifizieren und einzugrenzen: die Pressefreiheit ist nach verbreiteter Auffassung auch die Freiheit, publizistische Erzeugnisse über die Werbung in ihnen zu finanzieren. Dies kann eine bestimmte Abhängigkeit z.B. von der Wirtschaftswerbung bedeuten und damit die kritische Berichterstattung über wirtschaftliche Entwicklungen begrenzen. Daher sind die Freiheitsgarantien immer auch im Kontext anderer Freiheiten oder Grundrechte – hier z.B. des Jedermann-Rechts auf Informationsfreiheit zu sehen und auszulegen. Es kann nie absolute Freiheiten geben. Derartige Fragen können wissenschaftlich seriös nur beantwortet werden, wenn die Bewertungsmaßstäbe explizit gemacht und konfligierende Werte in ihren Hierarchien offen diskutiert werden. Konkret: In Bezug auf die angesprochenen Fragen geht es um das Verhältnis der Pressefreiheit als für die Funktionsweise der Demokratie konstitutives Grundrecht zu der ebenfalls grundrechtlich geschützten Eigentumsgarantie und Berufsfreiheit. Eine Schwierigkeit für die offene Diskussion dieser Fragen liegt darin, dass die privatwirtschaftliche Presse bzw. der kommerzielle Rundfunk diesbezüglich keine neutralen Arenen des öffentlichen Diskurses bereitstellen, da sie selber „Partei“ in dieser Diskussion sind. Möglicherweise versagt hier die Pressefreiheit, wenn, wie an einzelnen Beispielen nachweisbar, der Lobbyismus der kommerziellen Medien die eigenen „Organe“ benutzt, um Politiker einzuschüchtern und die Mediengesetzgebung im eigenen spezifischen Interesse zu beeinflussen. Eine möglicherweise gleichfalls von ideologischen Vorstellungen geprägte Diskussion bezieht sich auf die Frage, ob es medien- bzw. wirtschaftspolitisch besser sei, dass Fernsehveranstalter wie die Pro7/Sat 1 – Gruppe in Händen „deutscher“ Unternehmen bzw. Unternehmer bleiben. Bayerns ehemaliger Ministerpräsident Edmund Stoiber wird mit der Ansicht zitiert, dass das gegenwärtige Kartellrecht deutsche Unternehmen bei geplanten Übernahmen diskriminiere. Übernahmen deutscher Firmen würden nach strengen Maßstäben beurteilt, während der Einstieg internationaler Unternehmen vom hiesigen Kartellrecht „nicht erfasst“ werde (vgl. Der Spiegel Nr. 51/2006, S. 20). Hintergrund ist, dass das Bundeskartellamt die Übernahme der Pro7/Sat 1-Gruppe durch die „deutsche“ Axel Springer AG aus wettbewerbsrechtlichen Gründen nicht genehmigt hatte. In dieser Diskussion werden nationale, d. h. damit gesamtgesellschaftliche Interessen vorgeschoben, während es in Wahrheit um bayrische Standortinteressen aus wirtschaftlichen und fiskalischen Motiven geht, denn die Pro7/Sat 1-Gruppe, aus dem Kirchmedien-Imperium hervorgegangen, hatte ihren Sitz in München. Im Übrigen stehen derartige Argumente im Widerspruch zu dem gemeinsamen europäischen Markt, dessen Verfassung sich gerade gegen nationale protektionistische Maßnahmen wendet. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die von Stoiber geforderte Anpassung der deutschen Kartellgesetzgebung an die Globalisierung im Klartext nur heißen kann, dass er dafür eintritt, dass der Axel Springer Konzern, der in einigen Pressemärkten bereits marktbeherrschende Positionen einnimmt, diese Position gleichzeitig auch im Fernsehgeschäft – zumindest im Fernsehwerbemarkt – erhalten soll. Wenn seine Argumentation so zu verstehen ist,
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dann wird Medienpolitik zum gefügigen Handlanger der Interessen von Medienkonzernen, von deren Presse sich derartige Politiker im Gegenzug Wohlwollen erhoffen. Mit gleicher kritischer Analyse ist zu fragen, wie weit die für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk beanspruchte „Gemeinwohlorientierung“, die Unabhängigkeit von wirtschaftlichen und politischen Interessen, der Realität entspricht oder aber ob sie heute zum Teil nur vorgeschoben wird, um die Beharrungstendenzen und Verkrustungen von quasi halbstaatlichen Großinstitutionen vor Kritik zu immunisieren. Angesichts von Skandalen um Schleichwerbung, um dubiose Verträge mit Sportjournalisten und Sportlern muss die Frage gestellt werden, ob die Rundfunkfreiheit und die aus ihr abgeleitete Selbstverwaltung diesbezüglich versagt, da die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten kein öffentliches Forum anbieten zur Diskussion ihrer eigenen notwendigen Strukturreformen. Denn gleichzeitig tun sie sich mit Kritik von außen sehr schwer, selbst wenn sie zur Stärkung ihrer Zukunftsfähigkeit vorgetragen wird. Ideologiekritik versucht also hinter den Erscheinungsformen und „veröffentlichten“ Begründungen und Konstrukten die Gesetzmäßigkeiten und „wahren“, oft aber verschleierten Interessen zu ergründen.
3.4 Der sozio-ökonomische Ansatz. Evaluation des normativen Konzepts von Medienpluralität vor dem Hintergrund von Medienwettbewerb und Konzentration in transdisziplinärer Absicht Der sozio-ökonomische Ansatz zeichnet sich durch folgende Aspekte aus: • Er geht von dem Verständnis der Einbettung der technischen, ökonomischen und publizistischen Entwicklung in gesellschaftliche Strukturen aus, d.h. insbesondere in spezielle Arbeitsorganisationen, in die Staatsverfassung, in das Mediensystem, in die staatliche Regulierung, in eine spezifische Sozialpolitik und in kulturelle Traditionen. So wird versucht, die vorherrschenden Wirtschaftswissenschaften aus dem Elfenbeinturm der „Modellschreinerei“ herauszuholen und sie wieder als Sozialwissenschaft zu verstehen. • Er betrachtet technische, ökonomische und soziale Entwicklungen in ihrem historischen Kontext. Wirtschaftlicher Wettbewerb zu Beginn der Industrialisierung hatte andere Erscheinungsformen und verlief in einem anderen ordnungspolitischen Rahmen als heute unter den Bedingungen globalisierter Märkte mit weltweit agierenden Konzernen. Daher kann es für den sozio-ökonomischen Ansatz keine „zeitlosen“ Modelle von „fairem Wettbewerb“ oder „gleichgewichtigem Wachstum“ geben. • Für ihn sind die Fragen nach Macht und Herrschaft, nach politischer, wirtschaftlicher und medialer Macht und Herrschaft, integraler Bestandteil des Forschungsprogramms. • Dies gilt ebenso für die Fragen nach „vorherrschenden“ Interessenpositionen und ihrer Vermittlung über „mainstream“-Wirtschaftstheorien, über politische Programme, mediale Berichterstattung und Verlautbarungen von Verbänden. Es gilt in Fortführung „überkommener“ Wissenschaftstradition nach den Gesetzmäßigkeiten und Strukturen hinter gesellschaftlichen, also auch medialen Erscheinungsformen zu fragen und dabei immer wieder „allgemeingültige“ Positionen zu hinterfragen. In diesem Sinne ist Ideologiekritik gemeint.
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• Ein derartiger sozio-ökonomischer Ansatz ist verpflichtet, die Wertorientierungen, von denen er ausgeht, offen zu legen und zur Diskussion zu stellen, zum einen in der Perspektive, wie weit die angegebenen Werte und Wertehierarchien nachvollziehbar und überzeugend sind und wem sie dienen, zum anderen, wie weit es dem jeweiligen Wissenschaftler gelungen ist, die Konsistenz seiner Forschung im Zusammenhang seiner eigenen Werte zu beweisen. • Der sozio-ökonomische Ansatz analysiert ein Problem aus dem Blickwinkel verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen, um zu klären, wie weit diese jeweils dazu beitragen, das Problem zu erklären und evtl. Lösungsansätze aufzuzeigen. • Der sozio-ökonomische Ansatz verfolgt die wissenschaftliche Analyse mit dem Ziel, zur Gestaltung gesellschaftlicher Strukturen und Verhältnisse beizutragen. Er muss ordnungspolitisch stringent sein. Er geht von dem Subsidiaritätsprinzip aus – also er räumt privatwirtschaftlicher Betätigung zur Erstellung und zum Angebot von Gütern und Dienstleistungen einen prinzipiellen Vorrang vor staatlicher Betätigung ein. Wenn aber ein Marktversagen für einen Wirtschaftsbereich festgestellt wird, dann ist in klarer Konsequenz der Staat gefordert, sei es mit veränderter Regulierung, sei es, dass er alternative Organisationsformen für den betreffenden Sektor zur Verfügung stellen muss. Der sozio-ökonomische Ansatz versucht so Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik und Medientheorie und Medienpolitik integrativ in emanzipatorischer Absicht zu verbinden. Bezogen auf das hier zu bearbeitende Problemfeld heißt sozio-ökonomischer Ansatz, auf empirischer Basis Medienwettbewerb und Konzentration unter den heutigen Bedingungen in der Bundesrepublik in ihren Verflechtungen in der EU und auf dem Weltmarkt aus der Perspektive unterschiedlicher Wissenschaften zu analysieren und diese Analyse mit dem normativen Konzept von Medienfreiheit und -pluralität, so wie es verfassungsrechtlich und demokratietheoretisch niedergelegt ist, zu konfrontieren. So soll erreicht werden, ein gehaltvolles Bild der gegenwärtigen Medien- und gesellschaftlichen Verfassung der Bundesrepublik Deutschland zu zeichnen. Dabei wird auch der Versuch unternommen, diese Befunde in transdiziplinärer Absicht als Bausteine einer fortzuschreibenden Zivilisationstheorie zu sehen. Konkret: Wie geht unsere heutige Gesellschaft mit (medialer) Macht und Herrschaft um? Sichern die Medien (nur) den status quo der gesellschaftlichen Entwicklung ab oder hemmen bzw. fördern sie die Entwicklung der Zivilgesellschaft, in der die freie Entfaltung der Persönlichkeit im Sinne der Menschen- und Bürgerrechte reale Wirklichkeit werden kann? Welchen Beitrag leisten die Medien zur Erklärung des notwendigen technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels, sind sie ein offenes Forum zur friedlichen Austragung der Konflikte über die Richtung und die Kosten des Wandels und haben sie eine integrative gesellschaftliche Funktion oder tragen sie zur Polarisierung bei? Unterstützen sie das Ringen um Nachhaltigkeit in der Energie-, Sozial-, Außen- und Umweltpolitik oder setzen sie aus purer Renditeorientierung auf Sensationslust und Populismus? Sicher ist es in diesem Zusammenhang unzulässig, „die“ Medien über einen Kamm zu scheren, aber vielleicht ergeben sich aus den folgenden Analysen Strukturmerkmale z.B. aus den Organisations- und Finanzierungsformen einzelner Medientypen, die mit der positiven Beantwortung der aufgeworfenen, sicher weiter zu differenzierenden, Fragen korrelieren.
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Schaubild 3: Interdisziplinärer und transdisziplinärer Ansatz
Transdisziplinärer Zugang Interdisziplinärer Zugang Empirische Forschung
Medien Kommunikationswissenschaft
Technikgeneseforschung
Wirkungsforschung
Wirtschaftswissenschaften
Wettbewerb
Konzentration
Soziologie
juristische Regulierung
Sozialwiss. Makrotheorie
Politikwissenschaft
Gesellschaft Medienpolitik
Zivilisationstheorie
3.5 Die aufsteigende Folge der Themenbehandlung In Kapitel 4 wird das demokratietheoretische und medienpolitische Konzept zu Medienfreiheit und -pluralität, zu Medienwettbewerb und Konzentration auf der Basis der verfassungsrechtlichen Verankerung und der verfassungsgerichtlichen Interpretation im Zeitablauf entfaltet. Damit soll die Wertorientierung explizit beschrieben werden, vor deren Hintergrund die tatsächliche Medienentwicklung sozio-ökonomisch analysiert werden soll. Kapitel 5 beschreibt die empirischen Befunde im Überblick als Basis der Konfrontation von realer Entwicklung und Wertehorizont als gesellschaftlichem „Überbau“. Die empirischen Befunde beziehen sich nicht nur auf den status quo der technischen Infrastrukturen, ihrer Organisation und Perspektiven, nicht nur auf Medienmärkte und ihrer Verflechtungen in horizontaler, vertikaler und conglomerater Dimension, sondern auch auf die Dynamik der
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medientechnischen Entwicklung, die gegenwärtig besonders durch die umfassende Digitalisierung von Medienproduktion und -verteilung gekennzeichnet ist. Die empirischen Befunde beziehen sich darüber hinaus auch auf den Stand und die Perspektiven staatlicher Medienregulierung und auf Wettbewerb und Konzentration im sog. Dualen Rundfunksystem und die sich daraus ergebenden gesellschaftlichen Auswirkungen. Kapitel 6 behandelt die Ansätze der relativ jungen Disziplin der Technikgeneseforschung und versucht herauszuarbeiten, was diese Ansätze zur Erklärung von Medienwettbewerb und Konzentration beitragen. Dabei geht es darum zu analysieren, wer die Akteure der Technikentwicklung sind und welches Machtpotential sie jeweils haben. Außerdem wird vorgestellt, welche Ergebnisse Kommissionen zeitigen, die wissenschaftliche Begleitforschung zu Pilotprojekten und weitere Forschungen zum Thema Medienwettbewerb und -konzentration vorzuweisen haben. Vor der Folie dieser Befunde wendet sich Kapitel 7 dem wirtschaftswissenschaftlichen Zugang zu. Es gilt zu fragen, wie sich die wirtschaftstheoretischen Konzepte zu Wettbewerb und Konzentration im Laufe der Zeit gewandelt haben, welche zu „vorherrschenden“ wurden und wie vor diesem Hintergrund Medienwettbewerb und Konzentration zu erfassen und zu bewerten sind. Hier ist auch zu fragen, wie weit wirtschaftswissenschaftliche Ansätze die Dynamik der technischen Entwicklung erfassen und berücksichtigen oder ob sie durch Befunde der Technikgeneseforschung zu ergänzen sind. Darauf aufbauend sind wirtschafts- und in ihrem Gefolge medienpolitische Konzepte zur Medienregulierung darzustellen und kritisch zu analysieren. Kapitel 8 wechselt die Perspektive von den Wirtschaftswissenschaften zur Kommunikationswissenschaft und fragt, welches „Leitbild“ von Medienpluralismus diese sozialwissenschaftliche Disziplin entwickelt hat, um „vorherrschende Meinungsmacht“ und „ruinöse Konkurrenz“ im dualen Rundfunksystem operational zu erfassen. Außerdem wird dargestellt und analysiert, welchen Beitrag die Medienwirkungsforschung zur kritischen Beurteilung von Medienwettbewerb und Konzentration im Zusammenhang demokratischer und gesellschaftlicher Evolution leistet. Hier ist auch eine kritische Evaluation im Zusammenhang des wirtschaftswissenschaftlichen Zugangs vorzunehmen. Kapitel 9 wendet sich aufbauend auf den vorherigen Kapiteln dem juristisch regulierenden Ansatz zu: zum einen auf der Basis des wirtschaftspolitischen Konzeptes, zum anderen unter Berücksichtigung des medien- und kommunikationspolitischen Ansatzes. Dabei ist wie in den vorausgegangenen Kapiteln die historische Entwicklung der Wettbewerbs- und Konzentrationsregulierung nachzuzeichnen und auf dahinter stehende Interessenpositionen einzugehen. Dies wird an einigen Fällen konkreter Regulierung verdeutlicht. Kapitel 10 baut wiederum auf den vorausgegangenen Analysen auf, diesmal aber aus der Perspektive der Politikwissenschaft: es gilt zum einen herauszuarbeiten, welche Akteure mit welchen Konzepten in den Arenen der kommunikationspoltischen Gestaltung (politics) aktiv sind und welche daraus resultierenden staatlichen policies auf die Medienentwicklung Einfluss nehmen – Standortpolitik einerseits, Rechtspolitik andererseits und schließlich Regulierungspolitik – und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen. Zum anderen ist im Sinne der Rechtstatsachenforschung zu fragen, ob und wenn ja welche Durchschlagskraft die einzelnen polcies hinsichtlich Medienwettbewerb und Konzentration entfaltet haben und von welchen ordnungspolitischen Leitvorstellungen (polity) sie ausgehen. Die politikwissenschaftliche Ana-
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lyse muss ihre Befunde zu Medienwettbewerb und Konzentration in den größeren Zusammenhang von gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischen Macht stellen und sie aus dieser Perspektive bewerten. In Kapitel 11 wird die Frage aufgeworfen nach dem Beitrag der Soziologie zum Thema Macht und Herrschaft, speziell nach der Analyse medialen Wettbewerbs und den Wirkungen von medial vermittelter Macht. Dabei steht die Frage nach Macht durch Organisation und Macht durch mediale Sozialisation im Vordergrund, wobei diese Analyse mit der Frage nach Klassen, Schichten und spezifischen Milieus verknüpft wird. Aus einer noch weiter aggregierten Perspektive fragt Kapitel 12 nach makrosoziologischen Ansätzen zur Einordnung spezifischen Medienwettbewerbs und von vorherrschender Medienkonzentration in die Beschreibung und Analyse gesellschaftlicher Evolution in historischen Zusammenhängen. Abschließend wird in Kapitel 13 der Versuch unternommen, die Perspektive einzelner, sicher auch stark untereinander verbundener aber auch widerstreitender Disziplinen zu verlassen und in transdisziplinärer Absicht im Rahmen einer Fortschreibung einer notwendigerweise vergleichenden Zivilisationstheorie vorherrschenden Medienwettbewerb und Konzentration unter den spezifischen Bedingungen des gegenwärtigen sog. Dualen Rundfunksystems einzuordnen. Hierbei sind die Funktionen der „herrschenden“ Theorien zur Erklärung der Medienentwicklung und zur Legitimation von Medienorganisationen und von Medien- und Gesellschaftspolitik zu analysieren. Hierbei sind auch die sich abzeichnenden Trends der Technikentwicklung und der gesellschaftlichen Regulierung zu berücksichtigen auch und gerade im Vergleich zu anderen Ländern. Hierbei geht es vor allem um die Beantwortung der Frage, wie weit das vorfindliche Mediensystem mit seinen inhaltlichen Angeboten die demokratische und gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland fördert. Abschließend geht es vor der Folie dieser Ergebnisse um Perspektiven einer notwendigerweise veränderten Medienpolitik. Kapitel 14 schließlich analysiert einige case studies vom Aufstieg und teilweise auch vom Niedergang einzelner nationaler und internationaler Medienkonzerne, ihrer Unternehmenspolitik und den landesspezifischen Regulierungsversuchen, sowohl als ausführlichere Materialien für die vorausgegangenen Kapitel als auch als über die deutschen Landesgrenzen hinausweisende Anwendungsbeispiele für die verschiedenen wissenschaftlichen Ansätze.
4. Demokratietheoretisches, gesellschafts- und medienpolitisches Konzept zu Medienwettbewerb und -konzentration und seine verfassungsrechtliche Verankerung Normen und Werte zur Evaluation realer Medienentwicklungen ergeben sich aus verfassungsrechtlichen Festschreibungen der Grundrechte und aus demokratietheoretischen Konzepten. Der Kampf um die Organisation eines frei zugänglichen „Marktplatzes der Ideen“ ist in westlichen Staaten eng verknüpft mit dem Kampf um Rechtsstaat und Demokratie. Das Zeitalter der Aufklärung, der Ausgangspunkt für die Formulierung universeller Menschenrechte, für die Ausgestaltung eines Verfassungssystems nach den Prinzipien der Gewaltenteilung und für die Befreiung von Kunst und Literatur, also gedrucktem Gedankengut von Bevormundung und obrigkeitlicher Zensur ist der Beginn der Modellierung eines gesellschaftlichen Rahmens für die Entwicklung der Meinungsfreiheit und einer freien Presse und damit für die Medienentwicklung. Dieser Rahmen wurde entsprechend der Ausdifferenzierung der Medien und entsprechend der gestiegenen Bedeutung der Medien für die politische und gesellschaftliche Entwicklung erweitert und präzisiert. Im Laufe der geschichtlichen Entwicklung ist dementsprechend ein Funktionswandel in Bezug auf die einzelnen Kommunikationsfreiheiten festzustellen. Gegenüber dem absoluten bzw. dem Obrigkeitsstaat galt es zunächst sowohl für die Individuen, die aus Untertanen zu Staatsbürgern wurden, als auch für die medialen Institutionen wie die Presseverlage Rechte gegen den Staat zu erkämpfen. Meinungs- und Pressefreiheit wurden als Abwehrrechte gegen direkte staatliche Eingriffe verstanden und ausgestaltet. Später kam die Funktionserweiterung der Pressefreiheit und der Rundfunkfreiheit als konstitutive Elemente der Demokratie hinzu. Pressefreiheit und Rundfunkfreiheit bedürfen des Schutzes und der Förderung durch den Gesetzgeber und weiterer staatlicher Organe. Die Pressefreiheit und Rundfunkfreiheit wurden damit zusätzlich als institutionelle Garantien für den Bestand und die Entwicklung der Demokratie interpretiert.
4.1 Informations- und Meinungsfreiheit als universelles Bürgerrecht Das liberale Konzept der individuellen Freiheitsrechte geht auf die Aufklärung zurück. „Mit dem Glauben an die Selbstbestimmung und die Vernunft des einzelnen Menschen und mit der Hoffnung auf dessen Lösung aus der Unmündigkeit waren Forderungen nach Denk- und Redefreiheit untrennbar verbunden. An die Stelle des – vor allem von der Kirche geforderten – Vertrauens in den Besitz der Wahrheit war das verstärkte Suchen nach ihr getreten. Die sittliche und geistige Autonomie des Menschen sollte sich nicht nur in dem Kampf um Glaubensund Gewissensfreiheit, sondern auch in dem um eine eigenständige Meinungsfreiheit bewähren, die als politische Freiheit gegen jegliche Bevormundung gerichtet war“ (Hoffmann-Riem, Kommentar S. 276). 1791 ist dementsprechend das „First Amendment“, die erste Ergänzung der amerikanischen Verfassung von 1776 in Kraft getreten und legte fest: „Congress shall make no law abridging the freedom of speech or of the press“. Die Garantie der Meinungsäußerungsfreiheit und der
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4. Demokratietheoretisches, gesellschafts- und medienpolitisches Konzept ...
Pressefreiheit gegen jede Art der Verkürzung durch Gesetz wird als das Herz der Grundrechte bezeichnet (Loewenstein, S. 488). In Laufe der Medienentwicklung wurde es auf der individuellen Ebene durch die Informationsfreiheit ergänzt – nur so macht die Meinungsäußerungsfreiheit unter den Bedingungen einer immer komplexeren und unübersichtlichen Welt Sinn. Auf der Ebene der Medien wurden die für die Demokratie und eine offene und pluralistische Gesellschaft konstitutiven Grundrecht ausgedehnt durch die Erweiterung der Pressefreiheit auf den Rundfunk und den Film als weitere Mittel zur freien Meinungsäußerung und Meinungsbildung. Durch diese Verankerung der Grundrechte in der Verfassung war erstmals dreierlei festgeschrieben. 1.) Die Fundierung des Staates von den „souveränen“ Individuen her und damit der Vorrang des Bürgerrechts in der Gesellschaft vor kirchlicher oder obrigkeitsstaatlicher Autorität. 2.) Der Zusammenhang zwischen Grundrechten und den Medien, die sowohl als Quellen der Information als auch als Organe der Meinungsäußerung ebenso frei wie die Bürger agieren sollen. 3.) Die Grundrechte – sowohl die Bürgerrechte der Informations- als auch der Meinungsäußerungsfreiheit – als auch die Absicherungen der Medien der Presse, des Rundfunks und des Films – sind prinzipiell gegen den Staat gerichtet und sollen vor seiner Willkür und seinen Eingriffen schützen. In der ersten Phase der verfassungsmäßigen Entwicklung steht also die Vorstellung der Freiheitssicherung in Abgrenzung zum Staat im Vordergrund der Grundrechtsinterpretation. In Deutschland wurde erst in die Paulskirchen-Verfassung von 1849 ein Grundrecht auf Meinungs- und Pressefreiheit aufgenommen. Damit waren auf Verfassungsebene die freie Entfaltung der Presse und das Zensurverbot abgesichert, beides Grundrechte zur Abwehr staatlicher Eingriffe. Ein Beispiel von vielen späteren Verletzungen dieser Grundrechte war das Verbot sozialdemokratischer Druckwerke durch das Sozialistengesetz von 1878. Es zeigt, wie wenig diese Grundrechte in der damaligen politischen Praxis verankert waren. Nach dem zweiten Weltkrieg mit den Erfahrungen von politischer Zensur und staatlicher Monopolisierung der Medien zu Propagandazwecken in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur war in Deutschland das Bewusstsein der Bedeutung des Schutzes der Kommunikationsfreiheiten gestärkt. So ist Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG) mit der Garantie des JedermannRechts auf Meinungsäußerungsfreiheit in Wort, Schrift und Bild und des Rechts, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu informieren, ein Grundrecht in Abwehr staatlicher Bevormundung. Auch die Gewährleistung der Pressefreiheit und der Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film in Satz 2 haben zunächst die gleiche Stoßrichtung. In der Verknüpfung von individuellen Grundrechten mit der Garantie von Presse- und Rundfunkfreiheit und in der Ausrichtung gegen staatliche Intervention ist hier von unseren Grundgesetzvätern und –müttern bewusst eine Parallele zum First Amendment der amerikanischen Verfassung mit unveränderbaren und direkt geltenden Kommunikationsfreiheiten geschaffen worden.
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4.2 Pressefreiheit: von der Abwehr staatlicher Eingriffe zur institutionellen Garantie Die Interpretation des Art. 5 GG ist jedoch nicht bei diesem liberalen Verständnis der Grundrechte stehen geblieben, so wichtig und unverzichtbar sie auch ist. Das heutige Konzept der Kommunikationsfreiheiten sieht sie im engen Zusammenhang des Demokratie-, Rechtsstaatsund Sozialstaatsprinzips. Der freie Austausch von Tatsachen und Meinungen zwischen Individuen trage dazu bei, zum Nutzen der Allgemeinheit in all ihren Subsystemen von Politik über Wirtschaft und Wissenschaften bis hin zur Kultur und zum Fortschritt der Gesellschaft die Vernunft gemäße „Wahrheit“ zu erkennen (Vgl. Hoffmann-Riem, Kommentar S. 477). Damit wird die Ausübung der individualrechtlichen Kommunikationsfreiheiten in den Zusammenhang objektiv-rechtlicher Verpflichtungen insbesondere an den Gesetzgeber gestellt. Art. 5 GG enthält daher einen programmatischen Auftrag an den Staat, gefährdete Freiheit – bedroht von wo auch immer – aktiv zu stützen, zu sichern und zu festigen. Der Staat habe dafür zu sorgen, „dass die notwendigen rechtlichen und sonstigen (wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen u. a.) Voraussetzungen für die Wahrnehmung der grundrechtlichen Freiheiten bestehen“ (Hesse, zitiert nach Hoffmann-Riem, Kommentar S. 480f). So kann sich aus diesem institutionellem Verständnis der Medienfreiheiten die Pflicht des Staates ergeben, dass er Gefahren abzuwehren hat, die ein freies Pressewesen durch die Bildung von Meinungsmonopolen bedrohen (BVerfGE 20, 176). „Die starke publizistische Bedeutung der Presse für die Kommunikationsversorgung der Bevölkerung lässt es nur zu, sie dem freien Spiel der Kräfte nach dem Marktmodell zu überlassen, wenn dies nicht zu einer Vermachtung unter Zurückdrängung ökonomischen und publizistischen Wettbewerbs und letztlich zu einer Gefährdung der chancengleichen Kommunikationsversorgung führt. Die Konzentrationsprozesse im Bereich der Presse, insbesondere der Lokalpresse, bedingen Zweifel an der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbsmodells“. Auch für den Bereich der überregionalen Tageszeitungen besteht – wie das Bundesverfassungsgericht formuliert – nur „begrenzte Vielfalt“ (BVerfGE 57/322). Die Prüfung der Tauglichkeit des Marktmodells entfällt auch nicht etwa deshalb, weil die privatwirtschaftliche Pressestruktur als verfassungsrechtliches Grundmodell oder als Normalzustand zu bewerten wäre. Die privatwirtschaftliche Struktur muss – wie auch jede mögliche andere Struktur – immer neu durch ihre Funktionsfähigkeit legitimiert werden. Nicht nur eine fiktive, sondern eine reale „geistige und wirtschaftliche Konkurrenz“ ist Grundlage der Erfüllung der „öffentlichen Aufgabe“ der Presse“(Hoffmann-Riem, Kommentar S. 571). Aus der staatlichen Verpflichtung zur Schaffung der Voraussetzungen, damit die Pressefreiheit ihre Funktionsfähigkeit in der Gesellschaft entfalten und bewahren kann, folgt langfristig gleichzeitig die öffentliche Aufgabe, Pressekonzentration zu begrenzen.
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4.3 Rundfunkfreiheit in historisch evolutorischer Perspektive Während sich die Presse historisch privatwirtschaftlich entwickelt hat, ist die Entwicklung des Rundfunks – Hörfunk und Fernsehen – in Deutschland bis zum Ende des zweiten Weltkrieges von staatlicher Monopolisierung und Missbrauch geprägt. Danach wurden unter Anleitung der Alliierten die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in den Bundesländern gegründet. Das Marktmodell zur Organisation der Rundfunkfreiheit stand also auf Grund dieser historischen Erfahrungen und Entwicklungen und u. a. auf Grund der hohen Kosten der Produktion von Programmen und der Frequenzknappheit in Bezug auf die Verbreitungswege zunächst nicht zur Debatte. Die Interpretation der Garantie der Rundfunkfreiheit in Art. 5 GG verband daher von vorneherein subjektiv- und objektivrechtliche Elemente und betonte die der Freiheit der Meinungsbildung dienende Funktion dieser Garantie. Die Rundfunkfreiheit diene der Aufgabe, freie und umfassende Meinungsbildung durch den Rundfunk zu gewährleisten (BVerfGE 57, S. 320) So wie bei der Presse habe der Staat die Aufgabe, die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit der Rundfunk, in welcher Organisationsform auch immer, diese Funktion in der Gesellschaft erfüllen könne. Daraus folge, dass das reale Informationsangebot des Rundfunks wie auch die anderen Sparten seiner Programme pluralistisch im kommunikativen Sinne sein müsse. Eine publizistische Vielfalt und Ausgewogenheit sei im Gesamtprogramm der Rundfunksender zu gewährleisten. Bei der Schaffung der positiven Ordnung für den Rundfunk, also bei der Ausgestaltung der institutionellen Garantie der Rundfunkfreiheit, sind die Möglichkeiten einer Konzentration von Meinungsmacht und die Gefahr des Missbrauchs zum Zwecke einseitiger Einflussnahme auf die öffentliche Meinung ebenso in Rechnung zu stellen wie die Besonderheiten des Mediums Rundfunk. „Die Gleichzeitigkeit von Verbreitung und Empfang des Programms, die problemlose Überbrückung von Raum und Zeit, die „Fesselung“ des Zuschauers und die (meist) feste Zeitstruktur des empfangenen Programms bedingen Besonderheiten, die im Zusammenspiel mit der besonderen Wirkungsintensität eines im häuslichen Bereich empfangenen Programms besondere Sicherungen vor einseitiger Beeinflussung und Rücksichten auf Gefährdungspotentiale erfordern. Dieser Schutzbedarf des „captive audience“ besteht im Interesse der Rezipienten und entfällt auch dann nicht, wenn der bisher noch bestehende Frequenzmangel als Zugangsbegrenzung für die Kommunikatoren entfallen oder die finanziellen Zugangshürden geringer werden sollten“ (Hoffmann-Riem, Kommentar S. 573). Damit wird deutlich, dass der Staat der Garantie der Rundfunkfreiheit im Gesamtzusammenhang der Kommunikationsfreiheiten besondere Aufmerksamkeit zu schenken hat und dass er sich an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts halten muss. Freilich beziehen sich diese Orientierungen auf den überkommenen Rundfunk als Massenmedium. Zu prüfen bleibt, wie weit diese Orientierungen Bestand haben bzw. fortgeschrieben werden müssen angesichts der zunehmenden Individualisierungstendenzen in der Informationssuche der Bürger insbesondere über das Internet und der damit möglicher Weise korrespondierenden Abnahme der gesellschaftlichen Bedeutung der Massenmedien.
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4.4 Zensurverbot Die ausdrückliche Erwähnung des Zensurverbotes in Art. 5 GG geht auf die geschichtlichen Erfahrungen mit dem deutschen Obrigkeitsstaat zurück. Die Karlsbader Beschlüsse von 1819 gegen die erste, aus damaliger Sicht „revolutionäre“ Studentenbewegung, aber auch die negativen Erfahrungen sowohl von Heinrich Heine als auch von Karl Marx mit dem Einschreiten des Staates gegen aus dessen Sicht missliebige Meinungsäußerungen sowie die sog. Sozialistengesetze gegen die Sozialdemokratie stellen den „Erfahrungshintergrund“ dar: Am 29. März 1836 schrieb Heine an Cotta: „Sie wissen, der Bundestag hat, zunächst durch preußischen Antrieb, meine künftigen Schriften verboten… Unterdessen macht die preußische Regierung bekannt, dass das Interdikt gegen die jungen Deutschlandverbrecher sich nicht auf die künftigen Schriften derselben erstrecken solle, wenn sie ihre Schriften hübsch untertänig von der preußischen Zensur zensieren ließen… Wie intelligent sind doch diese Preußen, ebenso intelligent wie knickerig! Sie wollen mich für mein eigenes Geld kaufen! Denn um ein Buch drucken lassen zu können, um es durch die Zensur zu bringen, dürfte ich darin nichts schreiben, was ihnen missfiele, ja ich müsste aus dieser Rücksicht manches Wohlgefällige für sie einweben, ich dürfte fremde Staaten hecheln, wenn ich nur Preußen recht liebevoll den Fuß striche,… Nächst diesem indirekten Verkauf meiner Feder würde ich die teuersten Interessen der deutschen Schriftwelt an Preußen verraten;…“ (Zitiert nach Erich Kästner, S.273f.) Kästner sagt dann weiter: „Inzwischen ist – nach entsetzlichen Zwischenspielen, die wir dadurch wiedergutmachen, dass wir sie vergessen – der Fortschritt eingerissen. Er hat das so an sich. „Künftige Schriften“ werden ebenso wenig verboten wie bereits erschienene. Es gibt keine Vorzensur und es gibt keine Zensur mehr. Man braucht eigen-sinnige Zeitschriften nicht mehr zu verbieten – denn wir habe keine. Charaktervolle Zeitungen lassen gelegentlich ihre „andere“ Meinung wie einen Kanarienvogel aus dem Bauer. Besorgnis ist nicht am Platze. Der Vogel, den wir haben fliegt nicht weg“. Zensur ist nicht nur ein Phänomen deutscher Geschichte. Was Zensur bedeutet, lässt sich auch für Italien nachvollziehen, wenn man sich z.B. die Entstehungsgeschichte der Oper „Ein Maskenball“ vergegenwärtigt. Verdi ist praktisch an den Auflagen der Zensur zuerst in Neapel unter französischer Herrschaft und dann im Rom des Papstes verzweifelt und musste das Libretto immer wieder umschreiben. Staatliche Zensur ist aber nicht nur eine überkommene Erscheinung des reaktionären Obrigkeitsstaates des 19. Jahrhunderts und des Nationalsozialismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sondern sie wurde auch unter der Diktatur z.B. in Portugal bis zur so genannten Nelkenrevolution von 1974 praktiziert. Jeder Presseverleger hatte seine Zeitung vor dem Druck dem staatlichen Zensor vorzulegen, der die Seiten dann mit den inkriminierten Passagen zurück sandte. Die Auflage der Zensurbehörde war, nicht nur die betreffenden Textstellen zu löschen, sondern auch die leeren Zeilen mit unverdächtigem Inhalt zu füllen, so dass keine weißen Flecken entstanden, die das geheime Wirken der Zensur offenbart hätten. Direkte staatliche Zensur wurde auch in der „DDR“ bis 1989 sehr effektiv praktiziert – ein glücklicherweise, hoffentlich auf Dauer in Europa gescheiterter Versuch, freie Gedanken einzumauern so wie auch das ganze Land. Zensur ist aber nicht nur der direkte Eingriff des Staates in Publikationen und ihren Inhalt.
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Zensur findet auch durch Einschüchterung oder gar Ermordung kritischer Journalisten statt, wie in jüngster Zeit gehäuft in Russland. Zensur findet auch in der Form der „Schere im Kopf “ oder des „vorauseilenden Gehorsams“ statt, wie jüngst bei der Unterwerfung von Google unter die Auflagen der chinesischen Führung, über die Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens in der chinesischen Suchmaschine nicht zu berichten oder wie vor einiger Zeit in der Auseinandersetzung um die dänischen Mohammed-Karikaturen und die „vorsorgliche“ Absetzung der Mozart-Oper Idomeneo in Berlin, weil die Intendantin Ausschreitungen von sich möglicherweise verletzt fühlenden Islamisten befürchtete. So wie ein staatliches Zensieren von bestimmten Meinungen in einer freiheitlichen Demokratie nicht toleriert werden kann, so kann eine Zensur von gesellschaftlichen oder religiösen Gruppen gegenüber einzelnen Meinungsäußerungen nicht akzeptiert werden. Europa ist eine Kultur- und Wertegemeinschaft seiner Bürger. Zu diesen Werten gehören die Meinungsäußerungsfreiheit und die Toleranz gegenüber Andersdenkenden. Die Menschenrechte der Aufklärung sind uneingeschränkt zu verteidigen gegenüber angemaßten Deutungshoheiten politischer oder religiöser Intoleranz. „Haben wir die geistigen Vorkämpfer der Aufklärung und der Französischen Revolution, wie Voltaire, vergessen? Er widersprach gern und scharf den Äußerungen seiner Gegner. Aber er kämpfte auch für deren Recht, ihre Meinung sagen zu dürfen. Hat die „Linke“ in Deutschland schon wieder vergessen, was Rosa Luxemburg ihr ins Stammbuch geschrieben hat: Freiheit ist immer die des Andersdenkenden?“ (Ritter, S.6). Eine Relativierung der Grundrechte, eine Relativierung der verfassungsrechtlichen Freiheiten darf es also nicht geben.
4.5 Gesetzliche Grenzen der Grundrechte und institutionellen Garantien aus Art. 5 GG In den USA sind die Grenzen der Meinungsfreiheit, also die Grenzen innerhalb derer sich der Meinungskampf auf dem „market place of ideas“ abspielt, durch den Supreme Court gezogen worden. Seit den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts wird auf eine „clear and present danger“ abgestellt, auf eine unmissverständliche und unmittelbare Gefahr, dass die fragliche Äußerung eine Schädigung des öffentlichen Interesses verursachen könne und auch verursachen wird, wenn sie nicht unterbunden wird. Dabei komme es nicht so sehr auf den Inhalt der Aussage an, sondern vielmehr auf die Umstände, unter denen sie gemacht wurde. Außerdem wird der Meinungsfreiheit eine „preferred position“ eingeräumt: es gilt also im Konfliktfall eine Vermutung für die Aufrechterhaltung der Grundrechte und gegen die Legalität des staatlichen Eingriffs. Nur auf Grund der Sondersituation beim Rundfunk wird dem Staat in diesem Bereich ein Recht zur Lizenzierung eingeräumt, ohne dass er dadurch aber ein Recht auf die Beeinflussung der Inhalte ableiten kann. Die Gesetze – insbesondere der Sherman Antitrust Act von 1890 – seien so anzuwenden, dass die den freien wirtschaftlichen Wettbewerb unterbindende Machtkonzentration verhindert werde – United States v. Paramount Pictures, U.S. Supreme Court 1948 (vgl. Loewenstein, S. 488ff, S. 494; vgl. auch Lange et al., Konzentrationspolitik in den USA, S. 410ff.) (In dem Fall ging es um das bewusste Parallelverhalten von Wettbewer-
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bern – hier Filmproduktions- und -verleihfirmen – zur Behinderung des Wettbewerbs auf der Stufe der Filmtheater). Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland legt in Art. 5 Abs.2 fest, dass die Kommunikationsfreiheiten ihre Schranke finden in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. Als allgemein werden nach der Definition des Bundesverfassungsgerichts solche Gesetze bezeichnet, die nicht eine Meinung als solche verbieten, die sich nicht gegen die Äußerung der Meinung als solche richten, die vielmehr dem Schutze eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsgutes dienen, dem Schutz eines Gemeinschaftswertes, der gegenüber der Betätigung der Meinungsfreiheit den Vorrang hat (BVerfGE 7, S. 289ff; 62, S. 230ff). Hieraus folgt besonders, dass alle Gesetze, die der Sicherung der positiven Ordnung für die Kommunikationsfreiheiten dienen, allgemeine Gesetze in diesem Sinne sind. Als allgemeine Gesetze in diesem Sinne sind auch Gesetze anzusehen, die dem inneren und äußeren Frieden dienen und sich gegen bestimmte Typen von Meinungsäußerungen wenden wie Kriegs- oder Rassenhetze, Hochverrat oder das Leugnen des Holocaust. Freilich sind solchen Gesetzen wegen des hohen Gutes der Meinungsäußerungsfreiheit enge Grenzen zu ziehen. Der Jugendschutz verbietet nicht bestimmte Meinungen oder ihre Äußerung, sondern soll den Zugang von Jugendlichen zu bestimmten Inhalten verhindern oder erschweren. Am schwierigsten ist die konkrete Bestimmung der Grundrechtsschranke auf Grund des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Rechts der persönlichen Ehre. Presseverlage und ihre Journalisten beklagen, dass durch die Ausweitung dieser Schutzbereiche ihre Arbeit stark erschwert werde. Vgl. das „Carolinen Urteil“, wodurch die Privatsphäre „Prominenter“ geschützt wird. Diese Konflikte ergeben sich hauptsächlich durch die seichte Berichterstattung über Prominente, die in der Boulevardkonkurrenz eine immer stärkere Rolle spielt und daher die Paparazzi anstachelt. Die Abwägung hier hat zu erfolgen zwischen der Privatsphäre, die auch bei sog. Prominenten grundrechtlich geschützt ist, und dem universellen Recht auf Informationsfreiheit aus allgemein zugänglichen Quellen. Zeigt sich ein sog. Prominenter in der Öffentlichkeit und ist sein Erscheinen bzw. sind seine Äußerungen möglicherweise von öffentlichem Interesse, was von verantwortlichen Journalisten zu entscheiden ist, so hat die Pressefreiheit Vorrang vor dem Persönlichkeitsschutz. In jüngster Zeit ist die Auseinandersetzung um die Abwägung zwischen Rundfunk- und Kunstfreiheit einerseits und Persönlichkeitsrechten andererseits wieder virulent geworden am Beispiel des WDR-Filmes: „Contergan – Eine einzige Tablette“, der fiktionalen Aufarbeitung des damaligen Skandals. Die Firma Grünenthal und ein Betroffener sahen gemeinsam ihre Persönlichkeitsrechte durch den Film verletzt, da sie ihre Geschichte teilweise falsch, teilweise verdreht dargestellt glaubten. Das Hamburger Oberlandesgericht hob am 10.4.2007 den Kunstcharakter des Filmes ausdrücklich hervor. Ein Spielfilm könne gar nicht in allen Details die damaligen Ereignisse darstellen. Der Fernsehzuschauer könne durchaus zwischen einer fiktionalen und einer dokumentarischen Aufarbeitung der Geschichte unterscheiden. Ein Spielfilm müsse das Recht haben, geschichtliche Ereignisse zu überhöhen, zu dramatisieren und zu pointieren, solange er das Wesen der jeweiligen Ereignisse selbst nicht verfälsche. Damit wur-
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de dem WDR die Ausstrahlung des Films mit wenigen Bearbeitungsauflagen gestattet. Die Einsprüche der Betroffenen wurden zurückgewiesen. (Vgl. dazu Leder). Diese Bestätigung der Rundfunk- und der Kunstfreiheit ist grundsätzlich zu begrüßen. Es gibt durchaus eine höhere künstlerische Wahrheit als die getreue Abbildung der Realität, die von Betroffenen sowieso unterschiedlich wahrgenommen wird. Freilich ist immer wieder die Verantwortung der Produzenten zu unterstreichen, die sich nicht leichtfertig auf die Kunstfreiheit berufen können. Das Gericht hat ausdrücklich betont, dass selbst in einem Kunstwerk das Wesen der jeweiligen Ereignisse nicht verfälscht werden darf. Eine weitere Abwägung hat zu erfolgen zwischen den im allgemeinen Gesetz des Urheberrechts geschützten Interessen der Autoren etc. einerseits und dem Interesse der Öffentlichkeit an der weiten Verbreitung von Werken der Kunst in all ihren Ausfächerungen und von denen der Wissenschaft. Wird das Urheberrecht eng ausgelegt, so wird möglicherweise Kreativität und Innovation behindert. Wird es dagegen weit ausgelegt, so wird der Zugang zu den erschaffenen Werken möglicherweise erschwert.
4.6 Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Medienwettbewerb und -konzentration im Überblick Das Bundesverfassungsgericht hat sich jeweils in konkreten Prozessen mit Medienfragen beschäftigt. Im Laufe der Zeit ist dann aus den einzelnen Entscheidungen, die oft aufeinander aufbauen, bis heute eine „ständige Rechtsprechung“ geworden. Die wichtigsten Entscheidungen werden hier in ihrer zeitlichen Reihenfolge kurz wiedergegeben, um dann die Hauptpunkte zu Wettbewerb und Konzentration systematisch zusammenzufassen. Als erstes besonders wichtiges Urteil ist das sog. Lüth-Urteil von 1958 (BVerfGE 7/185) zu nennen. Erich Lüth hatte gegen den Regisseur des NS Propagandafilms „Jud Süß“ von 1940, Veit Harlan in der Nachkriegszeit zum Boykott gegen dessen weiteren Film „Unsterbliche Geliebte“ aufgerufen und war wegen empfindlicher Vermögensschäden des Regisseurs zivilrechtlich zur Unterlassung des Boykottaufrufes verurteilt worden. Das Bundesverfassungsgericht stellte demgegenüber die „objektive Wertordnung“ durch die Grundrechte, hier besonders des Art. 5 GG in den Vordergrund, die für alle Bereiche des Rechts Geltung habe. „Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist als unmittelbarer Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt. … Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung ist es schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist. … Es ist in gewissem Sinne die Grundlage jeder Freiheit überhaupt“ (S. 208). Der Boykottaufruf Lüths, der auf die Bildung der öffentlichen Meinung in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage abzielte und nicht wirtschaftlichen Auseinandersetzungen gedient habe, sei daher durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG gedeckt. Damit hob das Bundesverfassungsgericht das Urteil der Vorinstanz auf. 1961 legte das Bundesverfassungsgericht mit der Entscheidung gegen das Deutschland-Fernsehen von Bundeskanzler Konrad Adenauer den Grundstein der heutigen Rundfunkordnung (BVerGE 12, 205).
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1960 hatten Adenauer und sein Justizminister Schäffer die „Deutschland Fernsehen GmbH“ gegründet, wobei der Bund die Mehrheit des Stammkapitals übernahm. Das Bundesverfassungsgericht stelle zunächst klar, dass die Bundeskompetenz für das Fernmeldewesen im Sinne des Art. 73 Nr. 7 GG nur den sendetechnischen Bereich des Rundfunks ausschließlich der Studiotechnik umfasse. Die Veranstaltung von Rundfunksendungen sei eine öffentliche Aufgabe. Wie diese zu organisieren sei, sei nach der Kompetenzordnung zwischen Bund und Ländern Sache der Bundesländer. Die Gründung der „Deutschland Fernsehen GmbH“ sei daher verfassungswidrig – eine schallende Ohrfeige für den Bundeskanzler. Das Bundesverfassungsgericht machte in dieser Entscheidung darüber hinaus grundsätzliche Ausführungen zur Rundfunkorganisation. Auf Grund der Frequenzknappheit – damals standen nur drei terrestrische Frequenzen zur Ausstrahlung von Fernsehprogrammen zur Verfügung –, auf Grund des hohen finanziellen Aufwandes für die Produktion von Rundfunkprogrammen und auf Grund der besonderen Wirkungen des Fernsehens bestünde für den Rundfunk im Vergleich zur privatwirtschaftlichen Presse eine Sondersituation, die bestimmte organisatorische Vorkehrungen zur Sicherung der Meinungs- und Informationsvielfalt erforderten. Der Rundfunk sei ein Medium und ein eminenter Faktor für die öffentliche Meinungsbildung. Er dürfe daher nicht einseitig dem Staat oder einer gesellschaftlichen Gruppe überlassen werden. Zwar könne auch eine rechtsfähige Anstalt des Privatrechts Träger von Rundfunkveranstaltungen sein. Jedoch müsse durch Gesetz der Bundesländer eine Organisation sichergestellt werden, in der zwecks Gewährleistung eines Mindestmaßes an inhaltlicher Ausgewogenheit alle maßgeblichen Kräfte der Gesellschaft Einfluss hätten und im Gesamtprogramm zu Wort kommen könnten. Hiermit war die institutionelle Garantie der Rundfunkfreiheit umschrieben, die staatliche Verpflichtung zur Schaffung und Erhaltung einer positiven Ordnung zur Verwirklichung der Rundfunkfreiheit aus Art. 5 GG. Diese Ausführungen wurden zur „Magna Charta des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ (Wenzel, Verfassungsrechtsprechung S. 126), sie bilden bis heute auch bei einer veränderten Frequenzsituation die Legitimationsbasis seiner von privatwirtschaftlicher Organisation grundlegend abweichenden Verfassung. Der Verweis auf die Funktion des Rundfunks als eminentes Medium und als Faktor der Meinungsbildung ist bedeutsam, weil einerseits zum Ausdruck gebracht wird, dass durch den Rundfunk „hindurch“ die Strömungen in der Gesellschaft, in Politik, Wirtschaft und Kultur, wirksam werden indem sie medial vermittelt werden und andererseits weil der Rundfunk in der Art, wie dieser Vermittlungsprozess erfolgt, selber an der Meinungsbildung mitwirkt und dadurch zu einem eigenständigen Faktor wird neben z.B. den politischen Parteien oder den Staatsorganen. Gerade auf Grund dieser Doppelfunktion – Rundfunk als Medium und Faktor – bedarf der Binnenpluralismus innerhalb der Organisation des öffentlichrechtlichen Rundfunks zur Mitwirkung der gesellschaftlich relevanten Gruppen der Gesellschaft in seinen Programmen besonders sorgfältiger Vorkehrungen. Dies gilt auch für die staatliche Verpflichtung, den Außenpluralismus beim durch diese Entscheidung nicht grundsätzlich ausgeschlossenen kommerziellen Rundfunk zu organisieren: wildwüchsige Konkurrenz oder unbegrenzte Machtzusammenballung bei privatwirtschaftlichen Rundfunkunternehmen sind jedenfalls qua Verfassungsauftrag zu verhindern. 1962 veröffentlichte DER SPIEGEL unter der Überschrift „Bedingt abwehrbereit“ einen kritischen Artikel über den Rüstungsstand der Bundeswehr. Darauf hin wurden auf staatsanwaltschaftliche Anordnung die Verlagsräume durchsucht, der Herausgeber Rudolf Augstein
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und der Redakteur Konrad Ahlers wurden verhaftet. Adenauer sprach im Bundestag von einem „Abgrund von Landesverrat“. Tatsächlich wurden die Beschuldigten später freigesprochen. Vier der Richter des entscheidenden Senats des Bundesverfassungsgerichts sahen in dem Spiegel-Urteil von 1966 in dem Durchsuchungsbefehl eine Verletzung der Pressefreiheit des Art. 5 GG, die anderen vier waren anderer Meinung, sodass wegen Stimmengleichheit keine Grundrechtsverletzung festgestellt wurde. Die institutionelle Eigenständigkeit der Presse ist in diesem Urteil vom Bundesverfassungsgericht so beschrieben worden: „Eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse ist ein Wesenselement des freiheitlichen Staates; insbesondere ist eine freie, regelmäßig erscheinende politische Presse für die moderne Demokratie unentbehrlich. … So wichtig die der Presse zufallende öffentliche Aufgabe ist, so wenig kann diese von der organisierten staatlichen Gewalt erfüllt werden. Presseunternehmen müssen sich im gesellschaftlichen Raum frei bilden können. Sie arbeiten nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen und in privatrechtlichen Organisationsformen. Sie stehen miteinander in geistiger und wirtschaftlicher Konkurrenz, in die die öffentliche Gewalt grundsätzlich nicht eingreifen darf “ (BVerfGE 20, S. 162ff.) 1969 hatte sich das Bundesverfassungsgericht erneut mit dem Verhältnis des Grundrechts auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG zu Boykottaufrufen auseinander zu setzen (BVerGE 25, 256) Die Wochenzeitung „Blinkfüer“ – hauptsächlich im Hamburger Raum vertrieben und mit geringer Auflage – druckte auch die Hinweise auf Rundfunkprogramme der DDR ab. Nach dem Bau der Berliner Mauer 1961 wirkte der im Hamburger Bereich mit seinen Zeitungen marktbeherrschende Axel Springer Verlag auf die Zeitungshändler ein, indem er sie aufforderte, sich vom Vertrieb solcher Blätter wie Blinkfüer zu distanzieren. Andernfalls drohte er mit Beendigung der Geschäftsbeziehungen zu diesen Händlern. Das Bundesverfassungsgericht missbilligte diesen Boykottaufruf: Zwar sei es auch dem wirtschaftlich Stärkeren nicht verwehrt, zur Unterstützung seiner Meinungsäußerung in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage zum Boykott eines wirtschaftlich schwächeren Geschäftskonkurrenten aufzurufen. Doch dürfe der Verrufer nur die Überzeugungskraft seiner Argumente einsetzen, um die Angesprochenen zur Teilnahme am Boykott zu bewegen. Wenn er aber darüber hinaus schwere Nachteile für die Nichtbefolgung des Boykottaufrufes androhe, dann sei der Aufruf nicht mehr durch die Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 GG gedeckt, da er den potentiellen Boykotteuren die Möglichkeit einer Entscheidung in innerer Freiheit nehme. Es könne nicht akzeptiert werden, dass der Meinungswettbewerb durch massive wirtschaftliche Druckmittel ausgeschaltet werde. Insofern liege hier die Konstellation anders als im Lüth-Urteil. Als dieses Urteil zum Boykott von Blinkfüer erging, war die betroffene Wochenzeitung wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten bereits eingestellt. Im sog. Mehrwersteuer-Urteil von 1971 stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass die Rundfunkanstalten eine öffentliche Aufgabe wahrnehmen. Ihre Tätigkeit sei nicht gewerblich und daher auch nicht mehrwertsteuerpflichtig. 1981 hatte sich das Bundesverfassungsgericht mit der Frage auseinander zu setzen, unter welchen Bedingungen privatwirtschaftliche Rundfunkveranstalter zugelassen werden dürften –
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im Saarland gab es diesbezüglich eine weit reichende Regelung, auf die sich die privatwirtschaftliche „Freie Rundfunk AG“ (FRAG) stützte. Das Gericht verbot in der Entscheidung (BVerfGE 57, 295) dem Gesetzgeber, den Rundfunk dem freien Spiel der Kräfte zu überlassen. „Anders als im Pressewesen lasse sich hier umfassende Information und Meinungsbildung nicht durch Wettbewerb allein sicherstellen“. Das Bundesverfassungsgericht konkretisierte außerdem Anforderungen an ein außenpluralistisches Rundfunkmodell, insbes. legte es fest, dass der Landesgesetzgeber für eine vorbeugende Konzentrationskontrolle zu sorgen habe, damit es zu keinen Beeinträchtigungen einer freien und umfassenden Berichterstattung durch kommerziellen Rundfunk kommen könne. Einmal durch Medienkonzentration eingetretene Fehlentwicklungen könnten im Nachhinein – wenn überhaupt – nur schwer wieder beseitigt werden. 1986 legte das Bundesverfassungsgericht in der Auseinandersetzung mit dem Niedersächsischen Rundfunkgesetz fest, dass privatwirtschaftlicher Rundfunk mit seinen aufgrund der Werbefinanzierung eng begrenzten Möglichkeiten, zur Pluralität der Informationen und Meinungen beizutragen, nur solange legitimiert sei und bestehen dürfe, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk seiner Aufgabe der Grundversorgung nachkommen könne (BVerfGE 73, 118). Diese Ausführungen sind besonders wichtig: Nicht wie sonst im wirtschaftlichen Bereich wird der privatwirtschaftlichen Betätigung Vorrang eingeräumt, sondern im Rundfunkbereich wird die kommerzielle Betätigung durch Medienunternehmen nur unter dem Vorbehalt zugelassen, dass der Rundfunk in öffentlich-rechtlicher Verfassung seine Aufgaben voll erfüllen kann. 1987 konkretisierte das Bundesverfassungsgericht den Begriff der Grundversorgung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und dies ist für die Abgrenzung der Betätigungsfelder im dualen System des Rundfunks in Deutschland von entscheidender Bedeutung. Danach ist Grundversorgung nicht nur Mindestversorgung, sondern eine an die Gesamtheit der Bevölkerung gerichtete Darbietung, die umfassend und in voller Breite informieren und in diesem Rahmen Meinungsvielfalt herstellen soll. Insofern durfte der Landesgesetzgeber – in diesem Fall der in Baden-Württemberg – die öffentlich-rechtlichen Landesrundfunkanstalten nicht zugunsten Privater von der Veranstaltung regionaler und lokaler Programme ausschließen, wohl aber ein Werbeverbot im öffentlich-rechtlichen Regional- bzw. Lokalfunk statuieren (BVerfGE 74, 297). 1991 im 6. Rundfunkurteil des Bundesverfassungsgerichts hat das Gericht festgeschrieben, dass es dem Landesgesetzgeber verwehrt sei, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in programmlicher, finanzieller und technischer Hinsicht auf dem gegenwärtigen Niveau „einzufrieren“. Vielmehr müsse eine „Bestands- und Entwicklungsgarantie“, wie sie § 3 des nordrheinwestfälischen WDR-Gesetzes enthalte, gewährt werden. Außerdem sei der Grundversorgungsauftrag dynamisch zu verstehen, d. h., dass den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten erlaubt sein müsse, in sendetechnischer, programmlicher und finanzieller Hinsicht alle Möglichkeiten zu nutzen, die auch anderen Rundfunkunternehmen zur Verfügung stehen, insbesondere die Satelliten- und Breitbandkabeltechnik, sowie im Rahmen seiner Aufgabenstellung neue Dienste mittels neuer Techniken anzubieten. Auch die Veröffentlichung von Druckwerken mit vorwiegend programmbezogenem Inhalt sei von der Rundfunkfreiheit gedeckt, wenn sie dem Aufgabenkreis des Rundfunks als unterstützende Randbetätigung zugeordnet werden könne.
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Grundsätzlich bestätigt das Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung zum WDRund Landesrundfunkgesetz in NRW seine bisherige Rechtsprechung zur Rundfunkfreiheit: Sie sei eine dienende Freiheit. Daher gehe es nicht nur um die Abwehr staatlicher Eingriffe, sondern auch um die Verpflichtung des Landesgesetzgebers auf eine positive Ordnung, die sicherstelle, dass der Rundfunk dem Staat ebenso wenig wie einzelnen gesellschaftlichen Gruppen ausgeliefert werde, sondern dass er die Vielfalt der Themen und Meinungen aufnehme und wiedergebe, die in der Gesellschaft insgesamt eine Rolle spielten. Von Seiten der Verfassung komme es allein auf die Gewährleistung freier und umfassender Berichterstattung an. Die Mischfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus Gebühren und Werbeeinnahmen sei geeignet, einseitige Abhängigkeiten zu lockern und hierdurch die Programmgestaltungsfreiheit zu stärken, jedenfalls soweit sich dieser Rundfunk vorrangig aus Gebühren finanziere. Ferner sei es von Verfassungswegen in einer dualen Rundfunkordnung erlaubt, wenn auch nicht gefordert, für den privaten Rundfunk an die Breite des Programmangebotes und die Sicherung gleichgewichtiger Vielfalt geringere Anforderungen zu stellen als für den öffentlichrechtlichen Rundfunk. Begründet wird dies mit strukturellen Defiziten beim kommerziellen Rundfunk auf Grund der reinen Finanzierung über Werbung und dem daraus sich ergebenden wirtschaftlichen Zwang der Orientierung der Programme an der Massenattraktivität. Aus der dienenden Funktion der Rundfunkfreiheit folge allerdings, dass auch das Programmangebot privater Rundfunkveranstalter den Kriterien der Ausgewogenheit und Vielfalt genügen müsse (BVerfGE 83, 238). 1992 – also nach Einführung des kommerziellen Rundfunks in Deutschland – entschied das Bundesverfassungsgericht, dass Art. 5 GG staatliche Vorkehrungen für die Sicherung der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verlange. Die Gebühren dürften bei Mischfinanzierung nicht in den Hintergrund treten. 1998 stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass die Festsetzung der Rundfunkgebühr durch einen Rundfunkstaatsvertrag verfassungskonform sei. Das Verfahren der Gebührenfestsetzung müsse aber vor Einflussnahmen auf das Programm schützen. Die Gebührenfestsetzung dürfe nicht medienpolitisch genutzt werden. Diese Feststellungen wurden in der Entscheidung von 2007 bekräftigt und präzisiert (BVerfGE vom 11.9.2007) Im gleichen Jahr 1998 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass das Recht auf nachrichtenmäßige Kurzberichterstattung ebenfalls verfassungskonform sei. Dieses Recht dürfe aber nicht unentgeltlich ausgestaltet werden und der Gesetzgeber müsse sicherstellen, dass die Möglichkeit der Kurzberichterstattung grundsätzlich allen Fernsehveranstaltern zugänglich sei. 2007 entschied das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang des Verfahrens zur politischen Einflussnahme auf das Procedere bei der Gebührenfestlegung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk einstimmig, dass die von ihm aufgestellten Anforderungen an die gesetzliche Ausgestaltung der Rundfunkordnung zur Sicherung der Rundfunkfreiheit im Sinne des Art.5 Abs. 1 Satz 2 GG durch die jüngsten Entwicklungen von Kommunikationstechnologien und Medienmärkten nicht überholt sind. „Die besondere Suggestivkraft des Mediums (Hör- und Fernsehfunk) ergibt sich insbesondere aus der Möglichkeit, die Kommunikationsformen Text und Ton sowie beim Fernsehfunk zusätzlich bewegte Bilder miteinander zu kombinieren und der programmlichen Information dadurch insbesondere den Anschein hoher Authentizität zu verleihen. Diese Wirkungsmöglichkeiten gewinnen zusätzliches Gewicht dadurch, dass die neuen Technologien eine Vergrößerung und Ausdifferenzierung des Angebots und der Ver-
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breitungsformen und -wege gebracht haben sowie neuartige programmbezogene Dienstleistungen ermöglicht haben“ (BVerfgE vom 11.9.07, Rdnr. 116). Der Konzentrationsdruck auf den Medienmärkten gefährde die Erreichung des der Rundfunkordnung insgesamt verfassungsrechtlich vorgegebenen Vielfaltszieles. „Der Prozess horizontaler und vertikaler Verflechtung auf den Medienmärkten schreitet voran. Die Veranstaltung und Verbreitung von Rundfunkprogrammen ist häufig nur ein Glied in einer multimedialen Wertschöpfungs- und Vermarktungskette. Es bestehen vielfältige Potentiale der wechselseitigen Verstärkung des publizistischen Einflusses und des ökonomischen Erfolges und damit der Nutzung von Größenund Verbundvorteilen, darunter auch des crossmedialen Marketing. Die neuen Technologien erlauben im Übrigen den Einsatz von Navigatoren und elektronischen Programmführern, deren Software ihrerseits zur Beeinflussung der Auswahlentscheidungen von Rezipienten genutzt werden kann“ (ebenda, Rdnr. 118). Die – unberechtigte – Kritik an diesem Urteil behauptet, dass das Bundesverfassungsgericht den öffentlich-rechtlichen Sendern einen weitgehenden Freibrief ausgestellt habe, mit ihren Gebühren-Milliarden ungehemmt die digitale Welt zu erobern (Vgl. DER SPIEGEL; 38/2007, S. 126ff). Auch nach diesem Urteil bleibt es dabei, dass der Landesgesetzgeber im Rahmen der Vorgaben der Rundfunkfreiheit die Aufgabe hat, den Auftrag der öffentlich-rechtlichen Sender zu bestimmen. Am 27.2.2008 entscheidet das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang der Frage nach den Grenzen der staatlichen Rechte zur Online-Durchsuchung privater Computer, dass der Staat die Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme grundsätzlich achten und gewährleisten müsse. Computerdaten seien dem „Kernbereich privater Lebensführung“ zuzurechnen und daher nur in ganz engen Grenzen für den Staat ausforschbar (1BvR 370/07). Über den konkreten Anlass der Entscheidung hinaus sind diese Ausführungen von Bedeutung, setzen sie doch auch privatwirtschaftlichen Unternehmen wie z.B. Google Grenzen in der Verwertung von privaten Nutzungsdaten und von Nutzungsverhalten. Insofern ist der hier im Zusammenhang mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung konkretisierte „digitale Intimschutz“ auch ein den wirtschaftlichen Wettbewerb im Internet begrenzender Rahmen, indem die Bürger vor der unautorisierten Erhebung von Daten zur Erstellung von Persönlichkeitsprofilen geschützt werden (Vgl. DER SPIEGEL 10/2008, S. 42ff.). Systematisch ergeben sich aus diesen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu den Kommunikationsfreiheiten des Art. 5 GG folgende verbindliche Leitlinien: 1) Die individuelle Meinungsfreiheit hat einen so hohen Stellenwert, dass sie auf andere Rechtsgebiete ausstrahlt. Der öffentliche Aufruf zum wirtschaftlichen Boykott ist durch sie gedeckt, solange es um eine publizistische Auseinandersetzung geht – Lüth-Urteil. Wird hingegen zu wirtschaftlichem Boykott aufgerufen und gleichzeitig mit wirtschaftlichen Folgen gedroht, so überschreite dies die publizistische Auseinandersetzung und verstößt daher gegen Art. 5 GG – Blinkfüer-Urteil. Durchsuchungen von Presseredaktionen bei vermuteten Straftaten sind an sehr strenge Voraussetzungen geknüpft – SpiegelUrteil. 2) Sowohl die individuelle Informations- und Meinungsäußerungsfreiheit als auch die Presse- und Rundfunkfreiheit werden in einem engen Zusammenhang zur demokratischen Verfasstheit der Bundesrepublik gesehen. Die beiden letzteren sind als institutionelle Garantie ausgestaltet, damit Presse und Rundfunk ihre öffentliche Aufgabe wahrnehmen
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können. Der Staat hat die Aufgabe, die Voraussetzungen zu schaffen, damit die Kommunikationsfreiheiten ihre Funktionen auch tatsächlich entfalten können. Im Bereich der Presse hat der Wettbewerb zwischen privatwirtschaftlich agierenden Verlagen für eine größtmögliche publizistische Vielfalt zu sorgen. Das Marktmodell einer privatwirtschaftlichen Presse ist nur so lange gültig, wie es die Funktionsfähigkeit der Presse in der Gesellschaft garantiert. Der Staat hat die Aufgabe, Monopolbildungen im Pressebereich zu verhindern. Im Bereich des Rundfunks, der zugleich Medium und Faktor im Prozess der öffentlichen Meinungsbildung ist, haben die Bundesländer, nicht der Bund, auf Grund der spezifischen Produktions-, Verteilungs- und Finanzierungsbedingungen die Aufgabe, eine positive Ordnung zu schaffen und zu gewährleisten, damit in Rundfunkprogrammen eine ausgewogene Vielfalt der Meinungen parallel zur Vielfalt der Meinungen in der Gesellschaft zum Ausdruck kommt – Urteil zum Adenauer-Fernsehen. Presse und Rundfunk müssen auch in ihren je spezifischen Organisationsformen frei sowohl von staatlicher Gängelung und Zensur als auch frei von einseitigen Einflüssen gesellschaftlicher Gruppen sein. Um die Rundfunkfreiheit auch materiell zu sichern, ist bei der Festlegung der Rundfunkgebühren mittlerweile ein dreistufiges Verfahren festgeschrieben: auf der ersten Stufe melden die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ihren Finanzbedarf für die kommende Gebührenperiode an. Auf der zweiten Stufe prüft die unabhängige Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) den angemeldeten Bedarf nach Kriterien der Wirtschaftlichkeit unter Beachtung des Funktionsauftrages der öffentlichrechtlichen Sender und sie gibt eine Empfehlung zur Anpassung der Gebühren ab. Auf der dritten Stufe schließlich einigen sich die Ministerpräsidenten auf einen neuen Gebührenstaatsvertrag, der in allen 16 Landesparlamenten zu ratifizieren ist. In diesem Staatsvertrag können die Ministerpräsidenten nur in engen, vom Gesetzgeber klar zu umreißenden Grenzen von den Empfehlungen der KEF abweichen. Damit soll den Versuchen, über die Festsetzung der Rundfunkgebühren medienpolitischen oder sonstigen politischen Einfluss auf die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auszuüben, ein Riegel vorgeschoben werden. Im dualen Rundfunksystem sind spezifische Anforderungen an kommerzielle Veranstalter zu stellen: Auch ihre Programme haben jedes für sich ein Mindestmaß an inhaltlicher Ausgewogenheit zu gewährleisten. Der Landesgesetzgeber hat für eine vorbeugende Konzentrationskontrolle zu sorgen, da einmal bestehende Strukturen wirtschaftlicher und/oder publizistischer Macht – wenn überhaupt – nur schwer wieder zu beseitigen sind. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der hauptsächliche Garant der Rundfunkfreiheit in publizistischer Perspektive, darf nicht auf den status quo festgeschrieben werden. Im Gegenteil, durch eine landesgesetzliche Bestands- und Entwicklungsgarantie ist ihm sowohl in technischer, als auch in finanzieller so wie in programmlicher Hinsicht Innovationsfreiheit einzuräumen – hier insbesondere bezogen auf Lokal- bzw. Regional- aber auch Spartenprogramme und neue (Internet)dienste – vgl. das Urteil zu den NRW Mediengesetzen. Dadurch soll versucht werden, ihm in der Konkurrenz zum privatwirtschaftlichen Rundfunk ein level playing field der Konkurrenz zu bereiten: Trotz unterschiedlicher Or-
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ganisationsformen, Aufgaben, Finanzierungsmodalitäten und Orientierungen sollen Rahmenbedingungen für einen fairen publizistischen Wettbewerb geschaffen werden 9) Kommerzieller Rundfunk kann nur solange angeboten werden wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Aufgaben der Grundversorgung der gesamten Bevölkerung erfüllen kann. 10) Um die Verbreitung von Ausschließlichkeitsrechten in Bezug auf die Information über gesellschaftlich besonders relevante Ereignisse einzudämmen – wenn auch nur rudimentär –, wird das Recht auf Kurzberichterstattung für alle Fernsehveranstalter als mit dem Grundgesetz vereinbar angesehen. 11) Auch die jüngsten technologischen und marktmäßigen Medienentwicklungen stellen diese Grundsätze nicht in Frage, im Gegenteil sie bekräftigen ihre Notwendigkeit. 12) Für das Internet gelten auch die Konsequenzen aus dem Grundrechten der freien Entfaltung der Persönlichkeit, der informationellen Selbstbestimmung und des „digitalen Intimschutzes“. Aus diesen Grundrechten ergeben sich enge Grenzen auch für das privatwirtschaftliche Ausforschen von persönlichen Daten und Verhaltensweisen. Das Bundesverfassungsgericht hat damit in Auslegung des Art. 5 GG einen konsistenten Rahmen für Medienorganisation und Medienwettbewerb in Deutschland und gegen Medienkonzentration vorgegeben, an den die Landesgesetzgeber gebunden sind und der für die Akteure in Presse und Rundfunk verpflichtend ist. Dass das Bundesverfassungsgericht immer wieder besonders im Rundfunkbereich Streit entscheidend und verfassungsauslegend tätig werden musste, hängt zum einen mit dem BundLänder-Verhältnis zusammen: der Bund scheint sich nur schwer damit abzufinden, dass er nur eine Rahmenkompetenz für die Presse hat und dass ansonsten die Länder in ihrer Kulturhoheit allein zuständig sind für die Medienorganisation. Die Notwendigkeit ständig neuer Entscheidungen haben zum anderen mit den unterschiedlichen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Interessenlagen zu tun: während Presseverlage immer schon für kommerziellen Rundfunk – natürlich unter ihrer Regie, zumindest aber Beteiligung – eintraten und besonders in einigen CDU bzw. CSU geführten Landesregierungen Unterstützung fanden, traten von der SPD geführte Landesregierungen mehr oder weniger stark für den Erhalt und den Ausbau des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ein und für eine relativ strikte Kontrolle des kommerziellen, rein über Werbung finanzierten Rundfunks.
4.7 Verfassungsrecht und Demokratietheorie: Die Kommunikationsfreiheiten und die Medien als „vierte Gewalt“ oder „countervailing power“? In Art. 20 Abs. 2 GG heißt es: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volk in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt“. Das Volk ist nichts anderes als die Summe der einzelnen Bürger. Nur gut informierte Bürger, die zu einer eigenen Urteilsbildung fähig sind, die sich für das Gemeinwesen engagieren – zumindest an den Wahlen und Abstimmungen teilnehmen –, sind die Basis der Demokratie, so wie sie im Grundgesetz konstituiert ist: Art. 20 Abs. 1 GG besagt: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“. Die Grundrechte und die Staatsorganisation sind untrennbar auf einander be-
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zogen. Die Kommunikationsfreiheiten sind zugleich individuelle Grundrechte und in ihrer Gewährleistung und Ausübung funktional, ja schlechthin konstitutiv für die lebendige Demokratie. Institutionalisierte Medien sind als „vierte Gewalt“ zu verstehen, die und durch die die Bürger ihre Meinungsbildung gegenüber den drei anderen Gewalten – Gesetzgebung, Verwaltung und Justiz – vornehmen und kundtun. Das zugrunde liegende Menschenbild ist das des umfasssend gebildeten, selbst bestimmten, urteilsfähigen und selbst beherrschten Subjekts, das sich in freiheitlichen gesellschaftlichen Diskursen souverän bewegt und sich durch diese auch medial vermittelten Diskurse eine eigene Meinung bildet und diese auch angstfrei äußert und für sie eintritt (vgl. hierzu die Diskursphilosophie von Habermas). Dieses Menschenbild entspricht einem hohen Ideal der Funktionsweise der bürgerlichen Gesellschaft, das nicht deckungsgleich ist mit der Realität: So prägen beispielsweise die Arbeitsbedingungen abhängiger Beschäftigung für große Teile der Bevölkerung deren Kommunikationsverhalten insbesondere in der passiven Rezeption vorrangig des kommerziellen Fernsehens und der Boulevard-Presse und ihre weitgehende Abstinenz in Bezug auf die Teilnahme an politischem Geschehen. So behindern die mangelnden Deutschkenntnisse vieler Mitbürger mit Migrationshintergrund und ihre traditionellen Orientierungen, dass sie sich als Staatsbürger in Deutschland sehen und verhalten. Trotzdem gibt es keine Abstriche an den Leitvorstellungen des bürgerlichen Menschenbildes, zumal die Grundrechte allen gleichmäßig zustehen und jede Frau und jeder Mann in der sozialen Marktwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich die Möglichkeit hat, über die Wahrnehmung von Bildungsangeboten und durch Selbststudium die Voraussetzungen für die Teilnahme an der gesellschaftlichen Meinungs- und Willensbildung zu erwerben. In Bezug auf die Journalisten gehen von diesen grundgesetzlichen Festlegungen sehr hohe Anforderungen aus. Entgegen der relativ geringen Achtung, die sie im Schnitt in der Gesellschaft genießen, müssten sie eine hohe gesellschaftliche Wertschätzung erfahren entsprechend ihrer wichtigen Aufgaben und ihrer Verantwortung. Freilich ist diese durch Qualifikation und tatsächliches Verhalten zu erarbeiten und immer wieder zu beweisen. Gefälligkeitsjournalismus, wie man ihn nicht nur beim Reisejournalismus erlebt, steht dem diametral entgegen. Die institutionalisierten Medien haben also nach diesen Leitvorstellungen eine professionell auszuübende Mittlerfunktion zwischen den Bürgern in all ihren verschiedenen Rollen als Staatsbürger, evtl. als Mitglied einer politischen Partei, einer Gewerkschaft oder eines Arbeitgeberverbandes, evtl. als Mitglied einer Religionsgemeinschaft, in Beruf und Familie, als Lernender oder Lehrender, als Konsument und „Freizeitler“ beim Sport, beim Genuss kultureller Angebote oder aber als Produzent von Kultur einerseits und den staatsorganisatorisch etablierten drei Gewalten, der Politik, der Wirtschaft und der Gesellschaft insgesamt andererseits. Diese Mittlerfunktion gliedert sich in eine Informations- und Kritikfunktion – es geht um die umfassende und verständliche Darstellung und kritische Begleitung des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Geschehens durch gut recherchierte Berichte und Kommentare. Gleichzeitig geht es um eine Rückkoppelungsfunktion: die Medien sollen eine Plattform zum Austausch der Meinungen der Bürger darstellen – u. a. durch Leserbriefe in den Zeitungen oder Talkrunden und Straßeninterviews im Radio oder Fernsehen. Weiterhin – und dies wird immer wichtiger – geht es um die Erfüllung einer Service- und Beratungsfunktion: Verbraucher- und Gesundheitsberatung, Bildungs- bzw. Ausbildungs- und Finanzberatung. Diese
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kann nur seriös ausgeübt werden, wenn sie unabhängig von wirtschaftlichen und sonstigen Interessen angeboten wird. Schließlich geht es um eine Unterhaltungs- und Entspannungsfunktion, wobei nicht zu unterschätzen ist, dass von Unterhaltung auch eine Sozialisationsfunktion wahrgenommen wird. Mediale Sozialisation ist dabei nicht statisch zu verstehen sondern ist ein Gewöhnungsprozess im Guten wie im Schlechten, je nach dem, welche Medien vorrangig oder gar ausschließlich genutzt werden. Alle die positiven Funktionen der Medien werden auch als ihre öffentliche Aufgabe bezeichnet. „Die normativen Funktionserwartungen der Demokratietheorie bezüglich der ˛Homogenisierungs- und Differenzierungsleistungen’ von Massenkommunikation betreffen Sozial- und Personalsysteme. Beiden, den gesellschaftlichen Teilgebilden wie den einzelnen Bürgern, sollen die Medien zur Integration in die demokratische Gesellschaft verhelfen, indem sie Gemeinsamkeiten in einem solchen Maße aufzeigen, dass sich eine für das Funktionieren der demokratischen Einrichtungen ausreichende Interessen- und Bewusstseinsharmonisierung einstellt“ (Ravenstein, S. 180 mit weiteren Verweisen). Die fundamentale Bedeutung der Medien für die Konstitution und Entwicklung moderner Gesellschaften wird mit folgendem Zitat belegt: „Als Organisatoren und Integratoren der verschiedensten Bewusstseinswelten unter identischen Botschaften bauen denn auch die Massenmedien die komplexen Großgesellschaften der Moderne recht eigentlich auf bzw. halten sie zusammen“ (Saxer, S.8). Die Frage nach der Kontrolle der „Vierten Gewalt“ in Bezug auf ihre Funktionserfüllung wird beantwortet mit dem Verweis auf den Wettbewerb der Medien untereinander: Indem die Bürger die seriöseste Zeitung kaufen, so die Vorstellung, honorieren sie das Vertrauen erweckende inhaltliche Angebot, an dem sich dann auch die Konkurrenten orientieren werden – inhaltlicher Qualitätswettbewerb als Leitvorstellung medialer Ordnung in Freiheit. Daraus folgt auch, dass die im Wettbewerb untereinander stehenden Presseorgane erwünschter Weise unterschiedliche inhaltliche Profile z.B. nach politischer Grundausrichtung aufweisen – nur aus publizistischer Vielfalt lohnt sich eine Auswahl – so das Modell des Außenpluralismus bei der Presse im Rahmen der allgemeinen Gesetze. In diesem Marktmodell wird unterstellt, dass wirtschaftliche Konkurrenz zu publizistischer Vielfalt führt. Wirtschaftliche Konkurrenz soll auf jeder Stufe der gesamten Wertschöpfungskette herrschen, um sowohl horizontale wie auch vertikale Konzentration und Vermachtung der Medienmärkte auszuschließen. Anders als bei der Presse kann im Rundfunkbereich der freie wirtschaftliche Wettbewerb nicht zu einer breiten Pluralität der Informationen und Meinungen führen. Die publizistische Vielfalt ist durch eine positive, vom Landesgesetzgeber herzustellende Ordnung zu garantieren und dies geschieht – so das Bundesverfassungsgericht – u. a. durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nach dem Modell des Binnenpluralismus. Die Vorstellungen eines frei zugänglichen „Marktplatzes der Ideen“ korrespondieren mit Grundprinzipien der freiheitlichen Marktwirtschaft für Güter und Dienstleistungen im Rahmen einer staatlichen Ordnung: Der Markt ist der Ort, an dem Angebot und Nachfrage sich treffen, die Konsumenten bzw. Rezipienten kommen zusammen, sammeln Informationen, vergleichen Preise und Qualität, argumentieren und wählen schließlich aus. Leistungswettbewerb um Qualität und Preis und Innovationswettbewerb um Neuerungen zum Wohle der Konsumenten sind auch hier die Leitvorstellungen. Nicht nur, dass parallel zum publizistischen Wettbewerb auch hier Macht im Rahmen rechtsstaatlicher Ordnung kontrolliert werden und Leistungswettbewerb herrschen soll, sondern auch, dass der offene Informations- und
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Meinungsmarkt der „sonstigen“ Marktwirtschaft insgesamt dazu hilft, leistungsfähig und innovativ zu sein. Die Medien sollen die Markttransparenz erhöhen und die wirtschaftliche Entwicklung kritisch begleiten. Insofern ist beispielsweise auch der Weltmarkt der Dienstleister für Finanzinformationen nach Kriterien des ökonomischen und publizistischen Leistungswettbewerbs zu organisieren. Die Parallelität der Organisation der Marktwirtschaft ist für die privatwirtschaftliche Presse offensichtlich, ohne allerdings hier auf die Beschränkungen durch die teilweise Finanzierung über Werbung einzugehen. Für den Rundfunk gilt zwar die gleiche Leitvorstellung, aber auf Grund seiner spezifischen Bedingungen sind die Informations- und Meinungsmärkte dort durch gesonderte organisatorische Vorkehrungen auszugestalten. Was folgt daraus? Der „Marktplatz der Ideen“ sowohl in der Presse als auch im Rundfunk muss frei sein von Machteinflüssen jeder Art. Er darf weder von der Politik gegängelt werden noch darf er allein abhängig sein von anderen manifesten, also z.B. wirtschaftlichen, religiösen oder sonstigen Interessen. Qualität und Professionalität sollen das Informations- und Meinungsangebot und den Wettstreit um die fundiertere Information und die bessere Argumentation und Meinung bestimmen. Die Pluralität des medialen Angebots soll sich frei im publizistischen Wettbewerb entfalten und möglichst breit angelegt sein: keine auf Verbreitung und Gehör angelegte Meinung darf – solange sie sich im Rahmen der allgemeinen Gesetze bewegt –, unterdrückt werden. Nur so kann gewährleistet werden, dass sich aus dem freien, medial vermittelten Meinungs- und Willensbildungsprozess der Bürger in der Demokratie ein (Mehrheits)konsens bilden kann, der dem Allgemeinwohl dient. Die Organisation des demokratischen Staates in der Kombination von Grundrechten wie der Achtung der Menschenwürde, der Garantie der Kommunikationsfreiheiten und der Religionsfreiheit einerseits, der Gewaltenteilung und der rechtsstaatlichen Garantien und institutionell gesicherter Medien andererseits ist Ausdruck dessen, dass es keine absoluten Gewissheiten oder für alle verbindlichen Aussagen, Feststellungen etc. gibt. Der so konstituierte Rechtsstaat gibt nur einen Ordnungsrahmen zur Lösung gesellschaftlicher Probleme in geregelten, friedlichen Bahnen vor. Dies ist kein „wert(e)loser“ Relativismus, sondern ein aus leidvoller geschichtlicher Erfahrung begründeter Humanismus. Die Vorstellung einer wehrhaften Demokratie – wehrhaft gegen die gewaltsame Durchsetzung eines für alle verbindlichen Glaubens, wehrhaft gegen Intoleranz und Machtanmaßung, wehrhaft gegen Einschüchterung, Indoktrination und jede Form von Fundamentalismus –, erhält so eine inhaltliche Bedeutung über die Abwehr von Rechts- und Linksradikalismus hinaus. Gleichzeitig gehört zu dieser Konzeption von demokratischem Rechtsstaat der Schutz von Minderheiten: Demokratie ist eben weit mehr als die Herrschaft der Mehrheit, so wie sie in freien Wahlen gebildet worden ist. Zu diesem Konzept der „checks and balances“ der Gewaltenteilung und des Föderalismus gehört eben auch das kritische Gegengewicht der Medien gegenüber der Politik sowohl in den Ausprägungen der Staatsorganisation – Mehrheit und Opposition im Parlament, Regierung und Verwaltung – als auch in den Organisationen der Gesellschaft – politische Parteien, Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften. Ein kritisches Gegengewicht sollen die Medien darüber hinaus auch zur unabhängigen Justiz bilden – Gerichtsberichterstattung und Prozessanalyse –, zur Wirtschaft – Wirtschaftsberichterstattung – und zu Wissenschaft und Kultur. Die Journalisten müssen daher ihr Medienhandwerk und die professionelle Analyse des jeweiligen Bereiches beherrschen. Damit kommt den Journalisten eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe zu:
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Professionalität im doppelten Sinne ist gefordert. Die Medien sollen dabei Anwalt und Dolmetscher, nicht Vormund der Bürger sein, damit diese sich in Bezug auf die einzelnen gesellschaftlichen Bereiche, die sie allein in der Regel nicht durchschauen, eine eigenständige, fundierte, und d.h. auf rationalen Überlegungen aufbauende Meinung bilden können, um dann in Abstimmungen und Wahlen die staatliche Willensbildung zu tragen und zu bestimmen und um zwischen den Wahlen auch „im Bilde“ zu sein und um sich auch in dieser Zeit äußern zu können. In Bezug auf diese Aufgabe der Medien wird von „Gegenmacht“, oder auch von „Vierter Gewalt“ gesprochen. Der erste Begriff erscheint missverständlich, als er suggeriert, dass Macht durch Medien, so ausgeübt werden darf wie Macht von den staatlichen, demokratisch legitimierten Organen, was aber gerade nicht gemeint ist. Der Begriff der „Vierten Gewalt“ ist unscharf, da die Medien gerade nicht wie Gesetzgebung, Verwaltung und Judikative zu den „vorgegebenen“ Gewalten der Staatsorganisation gehören. Sie genießen eine institutionelle Garantie, um die Kommunikationsfreiheiten im publizistischen Wettbewerb eigenständig auszufüllen, müssen sich aber selbst zivilgesellschaftlich etablieren und behaupten.
4.8 Leitbilder zu Medienwettbewerb und Konzentration und medienpolitische Konsequenzen Aus den geschilderten demokratietheoretischen und verfassungsrechtlich verankerten „Vorgaben“ ergibt sich ein normatives Leitbild, das durch qualitative Kriterien bestimmt ist. Medienorganisation und -regulierung muss immer im Bezug auf die Funktion der Medien in der Demokratie gedacht und ausgestaltet werden. Eine reine marktwirtschaftliche Orientierung nach dem Prinzip des „Laissez faire, Laissez aller“ der Medien darf es daher nicht geben. Das Leitbild ist eine möglichst breite inhaltliche Pluralität an fundierten und gut recherchierten Informationen, ihrer Analyse in Bezug auf ihren Kontext und ihre Kommentierung, und eine breite Wiedergabe der unterschiedlichen Meinungen in der Gesellschaft. Für das journalistische Handwerk bedeutet dies, Information und dazu die eigene, persönliche Meinung im Kommentar klar zu trennen. Für die Medienorganisation bedeutet dies, redaktionell verantworteten Inhalt und Werbung klar zu trennen. Die Medienorganisation muss unabhängig sein von den Interessen derjenigen Bereiche, die der Journalismus analysiert und kommentiert – Unabhängigkeit von der Politik, von der Wirtschaft, von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, von Religionsgemeinschaften, von der Wissenschaft und von kulturellen Institutionen. Die Presse von politischen Parteien oder von Verbänden oder von Kirchen ist als solche klar zu kennzeichnen und von anderen Publikationen abzugrenzen. Professioneller Journalismus und Public Relations sind klar auseinander zu halten. Nach diesem Leitbild darf es weder eine allgemeine Presse des Bundesverbandes der deutschen Industrie geben noch einen allgemeinen Rundfunk im Besitz der Gewerkschaften oder einzelner politischer Parteien. Das Gebot der Pluralität bezieht sich nicht nur auf Informationen, sondern auch auf mediale Bildungsprogramme, auch auf Unterhaltungsangebote und auch auf mediale Serviceleistungen. Nur aus einem pluralen, in Konkurrenz stehenden Gesamtangebot auf den einzelnen Medienmärkten können sich die Bürger ein Meinungsbild machen.
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Medienwettbewerb ist vorrangig publizistisch zu verstehen. Inhaltliche Qualität und Professionalität müssen im Vordergrund stehen. Vermutungen sind als solche zu kennzeichnen, mit Gerüchten sollte möglichst nicht gearbeitet werden. Gewaltverherrlichungen stehen im Widerspruch zur Verpflichtung der demokratischen Gesellschaft, ihre Konflikte möglichst friedlich auszutragen. Der Jugendschutz ist zu wahren. Staatliche Medienpolitik hat die Aufgabe, eine positive Ordnung für die Medien zu schaffen, damit sie ihre Funktionen in der Demokratie erfüllen können. Dazu gehört einerseits, einen rein kommerziellen Wettbewerb zu verhindern und andererseits jede Form der Beherrschung der Medien, sei es publizistisch sei es ökonomisch von vorneherein zu unterbinden. Dies muss sich sowohl auf verfestigte Strukturen als auch auf spezifische Verhaltensweisen beziehen, durch die Macht, offen oder verdeckt, ausgeübt wird. Dieses sind hohe Anforderungen an den Staat in der Form der Gesetzgebung und Verwaltung, soll er doch die Rahmenbedingungen schaffen, damit die Medien in ihrer jeweiligen technischen und wirtschaftlichen Form ihrer Kritikfunktion selbst auch ihm gegenüber gerecht werden können, und dies mit Regulierungsszenarien, die in „machtvolle“ Medienorganisationen eingreifen und damit möglicherweise unmittelbar Unternehmensinteressen berühren. Ob der Staat dieser Aufgabe gerecht wird, unterliegt der wissenschaftlichen und publizistischen Analyse und letztlich dem Diktum des Bundesverfassungsgerichts, wenn es denn zur Streitschlichtung angerufen wird. Das Dilemma hierbei ist, dass eine kritische publizistische Analyse der Medienentwicklung und der Medienpolitik nur in den Medien selber stattfinden kann, in Medien, die von dieser Analyse selber „betroffen“ sind und daher kaum „uninteressiert“ bzw. „objektiv“ diese Analyse wiedergeben werden. So haben deutsche Zeitungsverleger insbesondere aus ökonomischen Interessen seit Ende der 50er Jahre die Politik bedrängt, kommerziellen Rundfunk zuzulassen und sich als die „geborenen“ Veranstalter angedient. Medienkritik kommt daher in Zeitungen und im kommerziellen Rundfunk nicht vor, es sei denn man kritisiert die Konkurrenz, also z.B. die Kritik an der Erhöhung von Rundfunkgebühren in den Zeitungen, besonders den Boulevardblättern, denn diesen ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk ein Dorn im Auge. Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk befasst sich (naturgemäß?) selten kritisch mit sich selbst. Medienkritik findet daher praktisch nur auf dem Buchmarkt statt – und wenn juristische Gutachten für Prozesse vor dem Bundesverfassungsgericht benötigt werden.
5. Die empirischen Befunde im Überblick Es gibt keine empirischen Befunde „an sich“, sie stehen immer in einem speziellen Kontext von wissenschaftlichen Fragestellungen und demgemäß in einem spezifischen Erhebungszusammenhang, der auch die verwandten Begrifflichkeiten prägt. So wird z.B. Medienkonzentration nach wirtschaftswissenschaftlichen Kriterien erfasst, wenn es um ökonomischen Medienwettbewerb geht. Soll dagegen kommunikationswissenschaftlich publizistische Konzentration gemessen werden, so wird ein anderes Instrumentarium verwandt, zumindest ist es nicht deckungsgleich mit dem wirtschaftswissenschaftlichen. Die Erfassung publizistischen Wettbewerbs muss wenigstens zusätzlich qualitative Kriterien z.B. der Breite und Seriosität der Berichterstattung, der Tiefe der Analyse und Kommentierung von Nachrichten usw. berücksichtigen. Es sollen hier die wesentlichen empirischen Befunde vorrangig aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive voran gestellt werden, damit für die folgenden Kapitel und Erörterungen das reale Substrat, auf das sie sich beziehen, in einem ersten Ansatz sichtbar wird. Die Erweiterungen bzw. Modifizierungen entsprechend den anderen wissenschaftlichen Zugängen sollen dort dann „nachgeliefert“ werden.
5.1 Ausstattung der Haushalte mit Medientechnik und Nutzung Technisch vermittelte Kommunikation bedarf der Infrastruktur der Übermittlung und der Geräteausstattung zum Empfang bzw. zur Aussendung von Informationen im weitesten Sinne. 2007 lebten in Deutschland so und so viel Personen ab 14 Jahren in Prozent der Gesamtbevölkerung in Haushalten mit: Radio 98,6% (53,1% in Haushalten mit vier und mehr Geräten) Fernsehgerät (Farb-) 97,7% Pay-TV-Decoder/d-box 29,2% (2000 erst 7%) Videorecorder 61,1% (Anteil rückläufig) DVD Player (nur Abspielgerät) 58,6% (Anteil zunehmend: 2004 37,3%) PC und damit Internetanschluss 62,7% (1999 erst 28,2%) (vgl. Media-Perspektiven, Basisdaten 2007, S. 67) Von den 37,18 Mio. Fernsehhaushalten in Deutschland (zum Jahresende 2006) wurden 1,92 Mio. ausschließlich terrestrisch versorgt, 18,72 Mio.über Satelliten (davon 8,17 Mio. digital) und 18,5 Mio. über Kabel (davon 2,76 Mio. digital) (Media Perspektiven, Basisdaten 2007, S. 5). Während also die rund 36 Millionen Haushalte der Bundesrepublik mit Telefon, Hörfunkund Fernsehgerät(en) praktisch voll versorgt sind, gibt es nach wie vor ein Wachstum bei PayTV, DVD-Playern und PCs mit Internetanschlüssen. Aber auch z.B. bei den mit Farbfernsehgeräten versorgten Haushalten gibt es innovative Ersatzbeschaffungen von Geräten z.B. mit flachem und größerem Bildschirm auf digitaler Basis. Die Entwicklung der Mediennutzung von Personen ab 14 Jahren in Minuten pro Tag montags bis sonntags (der Sonntag wurde erst ab 1990 in die Erhebung aufgenommen) für die gesamte Bundesrepublik (bis einschließlich 1990 nur alte Bundesländer) stellt sich wie folgt dar:
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1985 Gesamt 351 davon: Fernsehen 121 Hörfunk 154 Tageszeitung 33 Zeitschriften 10 Bücher 17 CD/LP/MC/MP3 14 Video/DVD 2 Internet – (Media-Perspektiven, Basisdaten 2007 S. 68)
5. Die empirischen Befunde im Überblick
1995 393
2005 600
158 162 30 11 15 14 3 –
220 221 28 12 25 45 5 44
An diesen Daten fällt auf die enorme Ausweitung der Nutzungszeit für Medien insgesamt: von 1985 knapp 6 Stunden auf 2005 10 Stunden. Im gleichen Zeitraum ist die durchschnittliche Fernsehnutzung von 2 Stunden täglich – 1985 gab es erst erste Ansätze des kommerziellen Fernsehens – auf mehr als 3 1/2 Stunden täglich gestiegen, während die Nutzung der Tageszeitungen und der Zeitschriften in etwa gleich geblieben ist, was gegenüber den audiovisuellen Medien einen relativen Rückgang bedeutet. 2005 liegt die Internetnutzung bereits höher als die Nutzungszeit für Tageszeitungen und Zeitschriften zusammen. Unterteilt man die Mediennutzung nach den Kriterien „in der Freizeit“ und „außerhalb der Freizeit“, so entfallen 2005 von den 600 Minuten der Gesamtzeit 274 auf die Freizeit und 246 auf die Zeit außerhalb der Freizeit. In der Freizeit macht das Fernsehen mit 191 Minuten täglich den größten Teil aus. (Media Perspektiven, Basisdaten 2007, S. 69). Kinder im Alter von 3 – 14 Jahren kommen 2005 auf 91 Minuten Fernsehnutzung täglich – wobei zu beachten ist, dass es sich hierbei um Durchschnittszahlen handelt. Nimmt man alle Zuschauer ab drei Jahren, so ergeben sich für 2006 in der Prime-Time 20 – 1 Uhr nachts folgende Marktanteile aller Fernsehprogramme im dualen System: Öffentlich-rechtliche Programme: Das Erste 15%, ZDF 14,8%, Dritte Programme der öffentlich-rechtlichen Sender 14,7%; als Summe ergeben sich 44,5%, wobei zusätzlich 1 Extra, ZDF Theater Kanal, der Kinderkanal des ZDF KIKA, Phoenix, 3 Sat und ARTE zu berücksichtigen wären, die bei den Sonstigen mitgerechnet werden. Kommerzielle Programme: Sat 1 8%, Pro 7 6,8%, RTL 12,7%, Sonstige (vorrangig Private) 27,9%; als Summe ergeben sich 56,4% (Media-Perspektiven, Basisdaten 2006, S. 73). Diese Zahlen belegen, dass die Zuschauerschaft in Deutschland praktisch je zur Hälfte die öffentlich-rechtlichen Programme und die kommerziellen nutzt, was nicht heißt, dass die jeweiligen Programme ausschließlich von der gleichen Bevölkerungsgruppe bevorzugt werden. Die Nutzer kommerzieller Rundfunkprogramme erhalten diese vordergründig unentgeltlich. Tatsächlich zahlen alle Konsumenten der in den kommerziellen Programmen umworbenen Produkte für diese höhere Preise – Preise, die die Kosten der Werbung wieder einspielen müssen. 2005 haben die kommerziellen Rundfunkveranstalter brutto 7,695108 Milliarden Euro Umsätze aus dem Verkauf von Werbeplätzen erzielt (Heffler/Möbus S.319).
5. Die empirischen Befunde im Überblick
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2005 betrugen die Werbefunkumsätze der ARD-Werbung netto 236,6 Mio. Euro (plus 8,4% im Vergleich zum Vorjahr), die Werbefernsehumsätze des ARD-TV netto 158,1 Mio. Euro (minus 15,2%) und die des ZDF netto 101,9 Mio. Euro (minus 9,5%). Als Summe der NettoWerbeumsätze der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ergibt sich damit 496,6 Mio. Euro (Media-Perspektiven, Basisdaten 2006, S. 10f.). Die Rundfunkgebühren für die öffentlich-rechtlichen Programme, die bisher an das Halten eines empfangsbereiten Radios bzw. eines Fernsehers gekoppelt sind, setzen sich aus der monatlichen Hörfunkgebühr/Grundgebühr – 5,25 Euro seit dem 1.4.2005 – und der Fernsehgebühr – 11,51 Euro monatlich – zusammen. Die Rundfunkgebühren werden, nachdem die KEF, die unabhängige Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten einen Vorschlag erarbeitet hat, in einem Staatsvertrag der Bundesländer festgelegt, der durch alle 16 Länderparlamente zu ratifizieren ist. 2005 erzielten die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten 7,0834 Milliarden Euro Erträge aus Rundfunkgebühren – davon 5,0824 Milliarden für die ARD-Anstalten, 1,6814 Milliarden für das ZDF und 136,2 Millionen Euro für die Landesmedienanstalten (Media-Perspektiven, Basisdaten 2006, S. 10). (Es ist systematisch überhaupt nicht zu erklären, dass ein Teil der öffentlich-rechtlichen Rundfunkgebühr zur Finanzierung der Aufsicht über die kommerziellen Sender benutzt wird). Die Bürger der Bundesrepublik Deutschland zahlen also auf ganz verschiedene Weise für die Rundfunkprogramme, also für die Radio- und Fernsehangebote.
5.2 Medienunternehmen: Produktionsbedingungen, Vertriebswege und ihre Kundschaft Medienunternehmen bewerkstelligen in einer straffen hierarchischen Organisation den Prozess der Herstellung und Verbreitung von Produkten. Sie kombinieren Informationsbeschaffung und redaktionelle Leistungen mit hoch spezialisierten technischen Produktionsprozessen, sie verbinden kaufmännisches Know How in der Aquisition von Anzeigen und meist Wirtschaftswerbung mit der Organisation von Vertriebswegen. • Einbindung in komplexe Strukturen Im Verhältnis zu anderen produzierenden Unternehmen stellen sich Medienunternehmen als komplexer dar. Sie sind stärker in technische Produktions- und Verteilstrukturen und in Marktbeziehungen zu anderen Unternehmen eingebunden.
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5. Die empirischen Befunde im Überblick
Schaubild 4: Organisation eines Presseunternehmens
Beschaffung
Infoliefereranten
Anzeigenkunden
Agenturen
Werbeagenturen
Inhaltliche Gestaltung
Produktion
Anzeigenteil
Redaktion
Technische Herstellung/Druck
Finanzen
DER VERLAG
Personal
Distribution
Vertrieb
Konsumtion
Rezipienten
Schaubild 5: Funktionale Stufen eines Unternehmens der audiovisuellen Wirtschaft
Produktion
Rechtehandel/ Lizenzmarkt Andere Medienmärkte (Presse etc.)
Veranstaltung
Endgerade
Distribution techn. Verteilung/ Vermarktung
Rezipienten
Quelle: Europäisches Medieninstitut, Konzentrationsbericht S. 149
Werbemarkt
Internationale Märkte
5. Die empirischen Befunde im Überblick
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Ein Medienunternehmen kann als ein Netzwerk verstanden werden, ein Netzwerk von Außenbeziehungen – insbes. zu den Nachrichtenlieferanten, den Film- und Serienproduzenten und den Werbetreibenden auf der Inputseite und zu den Vertriebsorganisationen und den „Endabnehmern“, den Rezipienten auf der Outputseite –. Insbesondere die elektronischen Medien sind auf technische Verteilnetze – meist in der Hand anderer Institutionen oder Unternehmen – und die Ausstattung der Haushalte mit adäquaten Empfangsgeräten angewiesen bzw. bei Presseunternehmen auf adäquate Vertriebsstrukturen oder bei Filmproduzenten auf Kinoketten. Intern sind die einzelnen Abteilungen – insbes. Redaktion, kaufmännische Abteilung, Personal, Produktion (auch wenn ausgelagert) und Vertrieb – kommunikativ zu verknüpfen, strategisch auf einander auszurichten und unter dem Gesichtspunkt der Gewinnmaximierung zu führen im Interesse der Eigentümer – physische Personen oder Aktionäre – bzw. in Erfüllung eines gesetzlich vorgegebenen Auftrages wie bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Die Netzwerke erfordern daher einen hohen Koordinationsaufwand. • Vorteile der Massenproduktion (economies of scale) und Verbundvorteile (economies of scope) Ein Unternehmen hat normalerweise feste Kosten – Redaktion, Verwaltung – und variable Kosten, eben Kosten, die mit dem Produktionsumfang variieren – z.B. Druckkosten oder Kosten der Vervielfältigung von CDs oder DVDs. Legt man bei einem Unternehmen der Tagespresse die Redaktionskosten auf die verkauften Exemplare um, so wird deutlich, dass diese Fixkosten eine immer geringere Rolle spielen, je höher die verkaufte Auflage ist. Diese Vorteile der Massenproduktion ermöglichen es Presseunternehmen mit einer relativ hohen Auflage ihre Konkurrenten mit einer kleineren Auflage z.B. im Abonnements- oder Verkaufspreis auszustechen. Economies of scale lassen also bei sonst gleichen Bedingungen die bereits führenden Unternehmen schneller wachsen als ihre Wettbewerber. Von Verbundvorteilen spricht man dann, wenn z.B. die relativen Redaktionskosten bzw. Verwaltungskosten gesenkt werden können dadurch, dass sie auf zwei gleichartige Produkte – z.B. eine Tageszeitung und eine Zeitschrift – umgelegt werden können oder aber Verbundwerbung geschaltet wird in komplementären Publikationen. Auch Verbundvorteile erhöhen die Wettbewerbsposition derjenigen Unternehmen, die sie realisieren können. Hinzu kommt, dass in Medienunternehmen mit mehreren Produkten das unternehmerische Risiko gesenkt werden kann, denn generell gilt: „Medien sind ein risikoreicher Geschäftsbereich auch, weil sie dem Zwang zur Neuheit und Innovation unterliegen. Medien, vor allem aktuelle Medien, sind leicht verderbliche Produkte, die einen schnellen ökonomischen Entwertungsprozess erfahren, ihr Produktlebenszyklus ist stark beschleunigt“ (Kiefer, Medienökonomik S. 191). Aus diesen Gründen ist der Trend zu Multimedia-Konzernen erklärlich. • Finanzierung über direkte Entgelte und Werbung Bei den teilweise über Werbeeinnahmen finanzierten Medien, also der Tagespresse, den Zeitschriften und dem kommerziellen Rundfunk, wird das unternehmerische Wachstum durch die Werbung/Auflagen-Spirale bestimmt: Je höher die Auflage bzw. die Zahl der Rundfunkteilnehmer, umso höher die Einnahmen aus der einzelnen Anzeige. Damit wird das überpropor-
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tionale Wachstum der „Marktführer“ zusätzlich begünstigt. Hierin liegt neben den Einsparmöglichkeiten pro produziertem Printprodukt durch Massenproduktion bzw. der relativ geringeren Minutenpreise für Rundfunkproduktionen, legt man sie auf eine größere Hörer- bzw. Seherschaft um, ein wesentlicher Grund für Medienkonzentration im kommerziellen Bereich. Den unterschiedlichen Finanzierungsformen liegen auch unterschiedliche Konzepte der Produktion und Verteilung zu Grunde. „Es lassen sich zwei ˛Logiken’ der Medienproduktion unterscheiden, die vor allem Logiken der Produktion zweiter Ebene und der ökonomischen Verwertung kultureller Produkte sind. Editorial Production ist die Logik der Produktion und Refinanzierung materieller Werkkopien, Produktion nach dem Warenhausprinzip mit dem Ziel der Mischkalkulation. Flow Production ist die Logik der Produktion von Medienpublika, die Logik vor allem werbefinanzierter Medien. Editorial Production strebt Refinanzierung vor allem über das Preissystem an, Flow Production vor allem aus dem Werbemarkt“ (vgl.ebenda, S. 191). • Vertriebsinfrastrukturen Im Bereich der Presse sind unterschiedliche Vertriebsinfrastrukturen zu unterscheiden. Bücher werden über einen selbständigen Buchhandel oder über unternehmenseigene Buchclubs, wie bei Bertelsmann, vertrieben. Tages- und Wochenzeitungen werden entweder am Kiosk, in Einkaufsketten oder im Zeitschriften- und Buchhandel angeboten oder über die Post bzw. eigene Zusteller im Abonnement ausgeliefert. Im Bereich der elektronischen Medien stehen heute die verschiedensten Verteilnetze zur Verfügung: terrestrische Ausstrahlung, Breitbandkabelnetze, Satellitenübertragung und Internet, wenn es um die zeitgleiche Rezeption geht. Kommt es darauf nicht an, so stehen auch die Speichermedien – Musik CDs, Video-Kassetten, DVDs zum Kauf oder zur Ausleihe – zur Verfügung. Aus der Perspektive kommerzieller Rundfunkveranstalter werden die verschiedenen Verteilnetze unter Kostengesichtspunkten bewertet, d. h. es wird die Frage gestellt, wie viele kaufkräftige Haushalte werden erreicht. Sie konzentrieren sich daher auf Ballungsgebiete und sind an einer Vollversorgung der Bevölkerung nicht interessiert im Gegensatz zu den öffentlich-rechtlichen Sendern, die auf eine flächendeckende Versorgung nach dem Gesichtspunkt der allgemeinen Zugänglichkeit verpflichtet sind. Bei den elektronischen Medien muss zu den Infrastrukturen noch die entsprechende Ausstattung der Haushalte mit Empfangs- bzw. Wiedergabegeräten hinzukommen, damit der gesendete Inhalt auch genutzt werden kann. • Konsumentencluster Hier geht es um die Frage nach soziodemographischen Gruppen, die sich jeweils auf Grund ihres Medienkonsumverhaltens abgrenzen lassen. Die Bild-Zeitung aus dem Axel-Springer-Konzern mit einer täglichen verkauften Auflage von 3,882 Mio. Exemplaren in 2004 wurde 2006 insgesamt täglich von 11,49 Mio. Lesern genutzt, davon 7,09 Mio. Männer und 4,4Mio. Frauen. Bei der Zeitschrift DER SPIEGEL ist das Verhältnis noch krasser: Bei einer Auflage von rund 1 Mio. wird das Nachrichtenmagazin
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bei wöchentlich 6 Mio. Lesern von 3,84 Mio. Männer und 2,17 Mio. Frauen gelesen. Die Programmzeitschrift Hörzu, auch aus dem Axel Springer Verlag, dagegen wird von 2,35 Mio. Frauen und 1,84 Mio. Männern gelesen. Die soziodemographische Struktur der Onlinenutzer – Onlinenutzung in den letzten 4 Wochen – stellt sich 2006 wie folgt dar: 65,8% der männlichen und 49,9% der weiblichen Mediennutzer. Bei den 14 – 19jährigen sind es 96,1%, bei den 60 Jahre und Älteren sind es dagegen nur 18,7% (Media-Perspektiven, Basis Daten 2006, S. 83ff). Was das Fernsehen angeht, so werden die öffentlich-rechtlichen Programme tendenziell eher von den älteren Mitbürgern genutzt, während die jüngeren eher zu den kommerziellen Sendern tendieren. Dies hängt auch damit zusammen, dass die kommerziellen Fernsehsender ihre Zielgruppe als die 14 – 49jährigen definieren, weil in dieser Altersgruppe noch Markenbindungen über Werbung hergestellt werden können, und diese Zielgruppe daher für die Werbung treibende Industrie besonders interessant ist. Erst Mitte 2007 werden auch ältere Mitbürger – ab 55 – als kaufkräftig entdeckt, aber ihre Markenpräferenzen sind schon ausgeprägt und kaum mehr veränderbar.
5.3 „Herkömmliche“ Märkte, unternehmerische Verflechtungen und Parameter von Medienwettbewerb und -konzentration Das wirtschaftswissenschaftliche Instrumentarium der Erfassung und Beschreibung von Medienwettbewerb und -konzentration ist entwickelt worden für klar gegeneinander abgrenzbare Bedarfsmärkte. Es bezieht sich daher noch auf die Zeit, in der Presse, Rundfunk und Film je spezifische eigene Welten bildeten. • Marktabgrenzungen und Methoden der Konzentrationsmessung Märkte werden nach inhaltlichen – sachlich-gegenständlichen –, räumlichen und zeitlichen Kriterien abgegrenzt. Inhaltlich gehören Güter oder Dienstleistungen zu dem gleichen Markt, wenn die Produkte funktional, d.h. zur Befriedigung eines spezifischen Bedarfs aus der Sicht der Nutzer, austauschbar sind. Räumlich ist ein Markt von der Zugänglichkeit auch aus der Sicht der Käufer abzugrenzen. Das Kriterium zeitlich bezieht sich auf den eventuellen Zeitaufwand, den ein Käufer bereit ist, zu investieren, um ein „potentielles“ Angebot zu realisieren: Auf eine Tageszeitung am Kiosk zu warten, kommt nicht in Frage, bei einem Buch nimmt man auch eine längere Wartezeit in Kauf. Ist ein spezifischer relevanter Bedarfsmarkt nach diesen Kriterien abgegrenzt, so können nach der Marktform und/oder den Verhaltensweisen der Marktteilnehmer (vgl. Kapitel 7) der tatsächliche Wettbewerb und die unternehmerische Konzentration erfasst werden. In einem ersten Schritt werden die Zahlen der Anbieter und die der Nachfrager ermittelt und dann die jeweiligen Marktanteile. Dies lässt sich in der Lorenzkurve darstellen: je bauchiger sie ist, also je größer die Abweichung von der Normalverteilung, um so ausgeprägter ist die Konzentration.
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Schaubild 6: Die Lorenzkurve
85% Marktanteil
100% Marktanteil
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33%
0
33%
66%
100% des Unternehmens
In einem zweiten Schritt geht es um die Frage danach, ob die Anbieter den Wettbewerb untereinander beschränken und wenn ja, in welcher Form: durch Kartelle, durch Parallelverhalten bes. im Oligopol oder durch die Schaffung bzw. Aufrechterhaltung von Abhängigkeiten. In einem dritten Schritt geht es um die Ermittlung der dynamischen Veränderungen, also um die Wachstumsraten des größten Anbieters – die Frage nach überproportionalem internen Wachstums – bzw. um die Wirkunken eines Unternehmenszusammenschlusses – die Frage nach externem Wachstum. In einem vierten Schritt schließlich geht es um die Betrachtung der Verflechtungen der anbietenden Unternehmen über verschiedene Märkte hinweg, also die Frage nach vertikaler Integration oder conglomerater Wirtschaftsmacht. • Pressemärkte: lokale, regionale, nationale und weitere Untergliederungen Pressemärkte sind zunächst sachlich-gegenständlich abzugrenzen. Zeitungen, Zeitschriften und Bücher sind aus der Sicht der Käufer in der Regel nicht funktional austauschbar, sie gehören also verschiedenen Märkten an. – Zeitungen Die Entwicklung der Tagespresse in Deutschland wird zunächst ohne Differenzierung nach Bedarfsmärkten erfasst durch die Zählung der Publizistischen Einheiten, also der Zeitungen mit selbständigen Redaktionen im publizistischen Sinne – also ohne Berücksichtigung, ob sie evtl. zu mehreren zu einem Unternehmen gehören.
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1954 gab es in Deutschland 225 Publizistische Einheiten, 1989, also vor der Vereinigung 119, 1991 158 und 2006 137. Setzt man 1954 den Index von 100 an, so sank er bis 1989 auf 53, also fast auf die Hälfte. Setzt man den Index unter Berücksichtigung der Vereinigung 1991 auf 100 an, so liegt er 2006 bei 87 – der Prozess der ständigen Abnahme der Publizistischen Einheiten hat sich also fortgesetzt. Gleichzeitig ist ein noch dramatischeres Absinken der verkauften Auflage zu konstatieren: wurden 1991 bezogen auf die 158 Publizistischen Einheiten täglich 27,3 Millionen Exemplare verkauft, so waren es 2006 nur noch 21,2 Millionen – der Index sank von 100 im Jahre 1991 auf 78 im Jahre 2006 (vgl. Schütz; Media Perspektiven, Basisdaten 2006, S. 44) Der gleiche Trend ist in Bezug auf Wochen- und Sonntagszeitungen festzustellen. Innerhalb der Kategorie der Zeitungen sind nach dem Kriterium der funktionalen Austauschbarkeit Teilmärkte zu bilden für Tageszeitungen, Sonntagszeitungen und Wochenzeitungen, auch wenn sich teilweise deren Inhalte überschneiden. Der Bedarf, der zielgerichtete Kaufwunsch z.B. in Bezug auf eine Wochenzeitung richtet sich auf Wochenübersicht und besondere Hintergrundanalysen, während bei der Tageszeitung die Aktualität im Vordergrund steht. Innerhalb der Tageszeitungen sind wiederum Märkte der Boulevardblätter gegen die der seriösen Presse abzugrenzen: Aus der Sicht der überwiegenden Zahl der Leser sind z.B. die BildZeitung und die FAZ oder Die Welt nicht funktional austauschbar. Innerhalb der seriösen Presse sind weiterhin nach den Schwerpunkten der Berichterstattung und der Anzeigen und Werbung die Märkte der überregionalen, meist bundesweit berichtenden Blätter von denen der lokalen bzw. regionalen Blätter zu unterscheiden. Auch wenn z.B. die Rhein-Zeitung oder die Neue Osnabrücker Zeitung meist auf den ersten Seiten über die bundesweite bzw. die Welt-Politik und über die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung berichten und sich insofern eine Schnittmenge z.B. mit der FAZ ergibt, so haben diese Regionalzeitungen doch ihren Schwerpunkt in der regionalen Berichterstattung und der regionalen Werbung. Sie sind diesbezüglich ohne Alternativen. Sie stehen auch nicht in einem redaktionellen Wettbewerb mit den aus der Sicht der Belieferten kostenlosen Anzeigenblättern, denn deren inhaltliches Angebot ist sehr begrenzt und kann eine regionale Tageszeitung nicht ersetzen. Die Landkreise und die kreisfreien Städte der Bundesrepublik bilden daher je spezifische Märkte der regionalen Tagespresse, wobei eine Zeitung sich nicht auf einen dieser Märkte beschränken muss. Im Jahre 2004 gab es in fast 60% der Kreise bzw. kreisfreien Städte nur eine Zeitung mit lokaler bzw. regionaler Berichterstattung. In 35,1% weiterer Kreise bzw. kreisfreier Städte gab es zwei Zeitungen dieser Kategorie. Die Zahl der Ein-Zeitungsgebiete hat über die Jahre ständig zugenommen: sie lag 1954 bei 15,2% und 1985 noch unter 50% (vgl. Schütz 2005, S. 224). In Bezug auf die lokalen bzw. regionalen Monopolzeitungen haben die Bürger keine Auswahlmöglichkeiten, weder was die Berichterstattung über Politik, Wirtschaft und Kultur „vor Ort“ angeht noch was Kleinanzeigen betrifft. Selbst dort, wo noch zwei Zeitungen angeboten werden, liegt ein Duopol vor, bei dem aus Erfahrung kein wesentlicher wirtschaftlicher Wettbewerb zu erwarten ist – siehe unten Kapitel 7. Die Konzentration bei der Zeitungspresse in Deutschland insgesamt wird durch die Ermittlung der Marktanteile der 10 größten Verlagsgruppen gemessen, wobei diese jeweils mehrere Publizistische Einheiten herausgeben, die deshalb im ökonomischen Sinne nicht selbständig
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sind, weil sie unter einheitlicher unternehmerischer Leitung stehen. Die ermittelten „Marktanteile“ = anteilige Auflage aller Zeitungen in Prozent – beziehen sich auf eine einzelne Bedarfsmärkte übergreifende Betrachtung, die der Zusammenfassung verschiedener Zeitungen in einem Verlag geschuldet ist. Die Axel Springer AG, Hamburg und Berlin, ist das in Deutschland führende Haus der Tagespresse mit einem „Marktanteil“ von 22,5% in 2006 (1991 23,9%). Der Springer Verlag „beherrscht“ zehn Publizistische Einheiten durch eine mindestens 50prozentige Beteiligung. Flagschiff des Verlages ist „Bild“ mit 3.545.200 verkauften Exemplaren täglich in 2006. An weiteren 5 Publizistischen Einheiten besteht darüber hinaus eine Minderheitsbeteiligung des Axel Springer Verlages. Die Auflagen der Zeitungen werden entsprechend der Beteiligungshöhe dem Axel Springer Verlag zugerechnet, also z.B. bezogen auf die Beteiligung von 74,5 % an der Ostsee-Zeitung von deren Auflage von 160100 nur 119275. Die so errechnete anteilige Auflage an der gesamten Auflage der Tagespresse in Deutschland betrug 4.761.641 Exemplare täglich (1991 6.549.366). (Geht man von dem wirtschaftlichen Tatbestand aus, dass eine 50% Beteiligung oder mehr die Beherrschung des Unternehmens bedeutet, so wären für diese Beteiligungen die vollen Auflagen dem Springer Verlag zuzurechnen; dann wären allerdings bei Minderheitsbeteiligungen – zumindest bei denen unter der Sperrminorität von 25% – auch die anteiligen Auflagen nicht zu berücksichtigen. Der „Marktanteil“ des Springer -Verlages läge bei derartiger Zählung höher, weil eine zusätzliche Auflage von überschlägig 125.000 Exemplaren aus den Mehrheitsbeteiligungen ihm voll zuzurechnen wäre). An zweiter Stelle folgt die WAZ-Verlagsgruppe, Essen mit einem „Marktanteil“ von 5,6% und zehn Publizistischen Einheiten im 100prozentigen oder im Mehrheitsbesitz unter einem unternehmerischen Dach vereint und einer im Minderheitenbesitz. Die anteilige Auflage betrug 1.175.302 Exemplare täglich (1991 1.390.327). An dritter Stelle folgt die Verlagsgruppe Stuttgarter Zeitung/Die Rheinpfalz, Ludwigshafen/Südwestpresse/Ulm mit einem „Marktanteil“ von 5,2% und 16 Publizistischen Einheiten im 100prozentigen oder Mehrheitsbesitz und zwei im Minderheitenbesitz. Die anteilige Auflage betrug 1 100 427 Exemplare täglich (1991 1 396 829). Die zehn größten Verlagsgruppen der bundesrepublikanischen Tagespresse vereinigten 2006 55,3% der anteiligen Gesamtauflage auf sich (1991 54,4%). Ihr „Marktanteil“ ist daher in den letzten 15 Jahren leicht gestiegen, d. h. ihr Anteil an den Auflagenverlusten der gesamten Tagespresse war leicht unterproportional. Die zehn größten Verlagsgruppen beherrschten 2006 von den verbliebenen 137 publizistischen Einheiten 94, bei denen die Verlagsbeteiligung 49% oder mehr betrug (vgl. Media-Perspektiven, Basis-Daten 2006, S. 43ff). An diesen Zahlen ist bemerkenswert die dominante Stellung des Axel Springer Verlages, der knapp ein Viertel der Tageszeitungen herausgibt, gefolgt von Verlagsgruppen, die es lediglich auf „Marktanteile“ von um die 5% bringen und daher kaum ernst zu nehmende Wettbewerber für den Axel Springer Verlag, dem Marktführer sind, zumal dessen Position auf einzelnen Bedarfsmärkten noch größer ist: Auf dem Hamburger Zeitungsmarkt kommt der Springer Verlag nach Feststellungen der KEK allein bei den Abonnement-Tageszeitungen auf einen Marktanteil von 90 %, in Berlin auf 32 %. Auf dem Markt für Sonntagszeitungen kommt der gleiche Verlag mit Bild am Sonntag und Welt am Sonntag bundesweit auf 88 % Marktanteil. Unterteilt man die Tageszeitungen insgesamt nach Abonnement- und Kaufzeitungen, die nur teilweise auf Grund der unterschiedlichen Vertriebsformen aber auch auf Grund unter-
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schiedlicher Aufmachung und Themenbehandlung in Konkurrenz zu einander stehen, so ist festzustellen, dass der Axel Springer Verlag mit 80,4% Marktanteil in 2004 bei den Kaufzeitungen mit der bundesweit verbreiteten Bild-Zeitung absoluter Marktführer ist. Die fünf größten Kaufzeitungen, die außer der Bild-Zeitung alle nur jeweils in großstädtischen Gebieten – Hamburg/Berlin, Köln und München – angeboten werden, kommen auf einen kummulierten Marktanteil von 97,3%. Die vier nach der Bild-Zeitung größten Boulevardzeitungen kommen damit gemeinsam lediglich auf 16,9% Marktanteil (Media-Perspektiven, Basis-Daten 2006, S. 54). Nur in den großstädtischen Gebieten, in denen eigenständige Kaufzeitungen vertrieben werden, steht die Bild-Zeitung des Axel Springer Verlages in Konkurrenz, ansonsten hat sie bei den Kaufzeitungen eine Monopolstellung inne. International vergleichend kann für den nationalen Zeitungsmarkt festgestellt werden, dass die 3 führenden Zeitungshäuser in der Niederlanden 98,2% Marktanteil haben, in Deutschland 87,4%, in Großbritannien 70,6%, in Frankreich 70,0% und in Italien 44,8%. Die entsprechenden Zahlen für den Markt der regionalen Presse lauten: Niederlande 88,1%, Deutschland 27,9%, Großbritannien 51,6% und Frankreich 46,7% (Commissariaat voor de Media and David Ward, S. 8f). Die Konzentrationen auf den nationalen Zeitungsmärkten in Europa sind infolgedessen besonders hoch und stellen bis auf Italien ein enges Oligopol dar. Während bei der Tagespresse die Auflagen zurückgehen, zeigt der Trend bei den kostenlos verteilten Anzeigenblättern klar nach oben. 2006 verbreiteten 468 Verlage, zum Teil beherrscht von den Tageszeitungsverlagen im gleichen Verbreitungsgebiet, 1350 Titel mit einer Auflage von 86,4 Mio. Exemplaren. Allerdings erschienen sie nicht täglich, sondern 84,7 Mio. davon (2mal) wöchentlich. War 1985 der Netto-Anzeigenumsatz 624 Mio. Euro (Index 100), so betrug er 1995 schon 1491 Mio. Euro (Index 239) und 2005 immerhin 1898 Mio. Euro (Index 304) (Media-Perspektiven Basis-Daten 2006, S. 55). Aus diesen Zahlen wird ersichtlich, in welchem Umfang der lokalen und regionalen Tagespresse durch das rasante Wachstum der Anzeigenblätter eine Konkurrenz um Werbeerlöse erwachsen ist, jedenfalls für diejrnigen Tageszeitungen, die nicht selber die Anzeigenblätter in ihrem Erscheinungsgebiet herausgeben. – Zeitschriften Bei der Publikumspresse sind vier Verlage/Konzerne dominant – sie bilden ein enges Oligopol: Bauer (Marktanteil 2006 20,7%), Springer (16,1%), Burda (15,5%) und Gruner+Jahr als Teil des Bertelsmann-Konzerns (10,6%). Alle 4 zusammen haben einen Marktanteil von 62,9%, der über die Jahre nur geringfügig schwankte (Media-Perspektiven, Basis-Daten 2006, S. 56). Diese 4 führenden Verlage von Publikumszeitschriften haben in den letzten 15 Jahren sowohl die Zahl ihrer Titel kräftig als auch die Auflagen ausgedehnt. 1990 gaben die 4 Verlage 74 Titel heraus, 2006 waren es 187. Betrug die Gesamtauflage der 4 Verlage 1990 47,44 Mio. Exemplare, so waren es 2006 52,98 Mio., wobei der ganz überwiegende Teil 14-tgl. erscheint (Ebenda, S. 57). Die Publikumspresse ist nach Bedarfsmärkten zu unterteilen. Politische Magazine wie DER SPIEGEL, Focus und STERN bilden einen eigenen Markt ebenso wie die „bunten“ Blätter und die diversen Programmzeitschriften für den Rundfunk, denn sie sind jeweils aus der Sicht der Käufer nicht funktional austauschbar.
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Zu den Publikumszeitschriften kommen eine Fülle von Special-Interest-Zeitschriften wie Blätter für die verschiedenen Sportarten und Hobbys, Männer-Magazine und Rätselzeitschriften, Jugendzeitschriften und Natur- und Geschichtsmagazine wie z.B. GEO und weitere Spezialmagazine. – Bücher Auch der Markt für Bücher ist in die verschiedensten Bedarfsmärkte zu unterteilen zum einen entlang der Spezifika der Einzelwissenschaften, zu anderen nach den verschiedenen Gattungen der Literatur und der Künste. 2005 ist eine Gesamtzahl der Buchtitel von 78082 in Deutschland mit einer Erstauflage zu verzeichnen, wobei die Literatur den größten Anteil mit 31,3 % der Titel hat, gefolgt von den Sozialwissenschaften mit 20, 2%. Die Umsätze buchhändlerischer Betriebe betrugen 2006 zusammen für alle Vertriebsarten 9,159 Milliarden Euro (Media-Perspektiven, Basis-Daten 2006, S. 59) Die Marktstruktur auf den Büchermärkten ist gekennzeichnet durch eine hohe Verlagskonzentration innerhalb des Bertelsmann-Konzerns einerseits und vielen mittelständischen bzw. kleinen selbständigen Verlagen andererseits. • Rundfunkmärkte In diesem Bereich sind die Märkte für Hörfunk und für Fernsehen zu unterscheiden. Beim Hörfunk stellt sich zunächst die Frage nach der Marktabgrenzung. In der Dimension der sachlichen Abgrenzung, der funktionalen Austauschbarkeit aus der Sicht der Nutzer, sind die verschiedenen Hörfunkwellen zu unterscheiden: Reine Musiksender stehen nicht im Wettbewerb mit Kanälen, auf denen vorrangig Nachrichten gesendet werden, selbst die vorrangig Musik sendenden Kanäle sind untereinander verschieden und oft nicht Konkurrenten je nach Musikfarbe. Hinzu kommen die räumliche und sachliche Empfangbarkeit – terrestrische Verbreitung oder Satellitenempfang – und schließlich die Organisationsform der Veranstalter. Bei rein über Werbung finanzierten Hörfunkprogrammen gibt es keine direkten Marktbeziehungen zu den Nutzern, sondern lediglich zu den Werbetreibenden. Die 37 von der Radio Marketing Service GmbH erfassten kommerziellen Hörfunkanbieter in Deutschland, die meist nur in einem Bundesland empfangbar sind, haben 2005 389,8 Mio. Euro Netto-Werbeumsätze erzielt, die Netto-Werbefunk-Umsätze der ARD-Werbung betrugen im gleichen Zeitraum 236,6 Mio. Euro (Media-Perspektiven, Basis-Daten 2006 S. 18 und S. 10) Bei den Fernsehmärkten ist zwischen den Bereichen des Pay TV, bei denen es eine direkte vertragliche Marktbeziehung zwischen dem Anbieter und dem Kunden gibt, und dem Free-TV zu unterscheiden, wo es eben diese Marktbeziehung nicht gibt. Die Europäische Kommission hat in dem Wettbewerbsverfahren gegen Bertelsmann, Kirch und die deutsche Telekom auch aus weiteren Gründen diese Märkte unterschieden: Aus der Sicht der Pay TV Abonnenten stelle dieses Angebot einen eigenen Markt dar, weil es ohne Werbeunterbrechungen auskomme. Diese Abonnenten, die ca. 10% ihrer Fernsehnutzung auf Pay TV-Angebote verwenden, seien deshalb bereit, ein besonderes Entgelt zu entrichten. Auf dem Pay-TV-Markt gibt es in Deutschland nur einen Anbieter, nämlich Premiere (u. a. ARENA + Premiere Bundesliga).
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Beim kommerziellen Free TV gibt es Marktbeziehungen nur zwischen den Veranstaltern und den Werbetreibenden, so wie es das Bundeskartellamt im Fall der Übernahme der SAT 1 Gruppe durch den Axel Springer-Verlag richtig festgestellt hat. Auf diesem Markt gibt es praktisch ein wettbewerbsloses Duopol: Die Sat 1 Gruppe und die RTL Gruppe teilen sich diesen Markt zu mehr als 80%. Die Werbeeinblendungen durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten fallen auf diesem Markt wegen den einzuhaltenden zeitlichen Limitierungen nicht ins Gewicht (vgl. dazu ausführlicher Kapitel 9). International vergleichend vereinigen die ersten drei Rundfunkanbieter folgende „Marktanteile“ – Zuschaueranteile – auf sich (in Klammern der in der Zahl enthaltene Anteil der öffentlich-rechtlichen Sender): Niederlande 84,6% (37,6%), Deutschland 90,9% (44,4%), Italien 88,7% (44,7%), Frankreich 80,7% (36,6%), Spanien 71,4% (30,7%) (Commissariaat voor de Media and David Ward, S. 11) • Film Der Filmmarkt in der Bundesrepublik wird nach wie vor von Filmen aus Hollywood beherrscht. Dies ergibt sich aus dem Verleihumsatz nach Herstellungsländern – in Klammern die Marktanteile für 2005: Filme aus Deutschland: 45,4 Mio. Euro (13,8%), USA 253,3 Mio. Euro (77,2%), Großbritannien 6,4 Mio. Euro (2,0%), Frankreich 9,5 Mio. Euro (2,9%). (Media Perspektiven, Basisdaten 2006, S. 61). • Telekommunikationsmärkte: Netze und Dienste Hier ist zwischen vier Arten von Netzen zu unterscheiden: Telefonfestnetze, Mobilfunknetze, breitbandige Kabelnetze und Satellitennetze. Die beiden ersteren dienen traditionell der technisch vermittelten Individualkommunikation, die beiden letzteren der massenmedialen Verbreitung von Rundfunksendungen. Auf Grund der inzwischen durchgehenden Digitalisierung der Telekommunikation und des Rundfunks ab ca. 2000 verschwimmen die Grenzen zwischen den beiden Netztypen zunehmend: In Kabelnetzen werden auch Telefon- und Abrufdienste angeboten und Telefonnetze bieten auch die Übertragung von Text-, Video- und Musiksendungen (Netzkonvergenz). Nach der Liberalisierung und Privatisierung der Telekommunikationsnetze bieten immer mehr privatwirtschaftliche Unternehmen auch über die Netze der Deutschen Telekom bzw. eigene Handy- oder Kabelnetze Übertragungs- bzw. Kommunikationsdienstleistungen an. Bei Kabelnetzen zur Rundfunkübertragung sind die Märkte regional nach den Grenzen einzelner oder mehrerer Bundesländer abgesteckt, bei Satellitennetzen gehen die räumlichen Grenzen weit über einzelne Nationalstaaten hinaus. Auf dem weltweiten ITK- Märkten machten 2003 die hier behandelten Carrier Services 42% der gesamten Wertschöpfung aus (vgl. Hutter, S. 16 und S. 18f zu weiteren Aufgliederungen).
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• Märkte für neue Online Medien Hier sind zunächst die Märkte für Informationsabruf, für E-mail Kommunikation, für Transaktionen wie Reisebuchungen, Waren An- und Verkauf oder online-banking und für onlineWerbung zu unterscheiden. Außerdem ist der Markt der Online-Plattformen, der provider für die Kommunikation wie AOL, T-Online etc. und der Informationsprovider wie Google, microsoft internet explorer oder wikipedia bzw. der Transaktionsprovider wie ebay, amazon etc. von dem „Direktzugang“ zu Nachrichtenquellen wie Bibliotheken, Unternehmen, Medien – Tagesschau.de, ZDFmediathek, Spiegel online etc. – und öffentlichen Institutionen abzugrenzen. Diese Märkte haben sich in den letzten Jahren sehr stark entwickelt, besonders seit die Refinanzierung der Informationsangebote über Werbung als lukratives Geschäft „entdeckt“ worden ist. Die Online-Medien bieten schnelle und vielfältige Recherche-Möglichkeiten zu sehr günstigen „flat rates“; der gesellschaftliche Preis ist die ständige Überflutung der Nutzer mit aufdringlicher Werbung, die zeitweise die gewollte Nutzung so überlagert, dass der „Kunde“ abwarten muss, bis das Werbefenster wieder schließbar ist. 2007 waren 62,7% der Bevölkerung ab 14 Jahre online, d. h. 37% hatten oder wollten keinen Zugang zum Internet; letzteres entspricht immerhin 27 Mio. Personen. Von den 54 Mio. Onlinern hatten 59% einen Breitband bzw. DSL Anschluss mit wachsender Tendenz, 20% einen ISDN-Anschluss und 18% kamen über ein Modem ins Internet. 35% der PC`s sind mit einem USB-Teil zum TV-Empfang bzw. einer TV-Karte ausgerüstet, worin die zunehmende technische Konvergenz zwischen den digitalen Medien zum Ausdruck kommt (vgl. Gerhards, Mende, S. 383 und Gescheidle, Fisch, S, 394). • Verflechtungen: Presse, Rundfunk, Film, Telekommunikation, Internet In der heutigen Zeit sind für die großen Multimedia-Konzerne unternehmerische Aktivitäten auf praktisch allen Medienmärkten anzutreffen. Dies erfolgt einerseits, um Mehrfachverwertungen von Medieninhalten im eigenen Haus zu ermöglichen, um dadurch Synergieeffekte wie beim cross selling zu realisieren und andererseits aus Gründen der Risikostreuung. Ein Beispiel für vertikale Integration ist die frühere Kirch-Gruppe.
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Schaubild 7: Vertikale Integration im Film- und Fernsehbereich
Film-/ Fernsehproduktion z. B. Taurus Film, Unitel, Beta-Film, Mercury Int. u.a.
Andere Medienmärkte z. B. Axel Springer Verlag; – Musikverlage – Kino – Hörfunk
Lizenzhandel z. B. Taurus Film; Beta Film; ISPR
Fernsehveranstalter SAT1, DSF, Pro7, Kabelkanal, Premiere
Internationale Märkte diverse Aktivitäten und Kooperationen z. B. mit Fininvest (IT) Ringier (CH) Canal Plus (Fr)
Distribution, Service, Vermarktung z. B. Merchandising München, Media Service, MDM, Media Direkt Versand, Medien Plus Film
Quelle: Europäisches Medieninstitut, Konzentrationsbericht S. 177
Der Bertelsmann-Konzern mit Sitz in Gütersloh hat 2005 einen Gesamtumsatz von 17,890 Milliarden Euro erzielt, davon 5,282 Milliarden im Innland und 12,304 Milliarden im Ausland. Buch- und Musikclubs sowie E-Commerce-Aktivitäten erzielten einen Umsatz von 2,384 Milliarden; Random House, der amerikanische Buchverlag, 1,828 Milliarden; Gruner und Jahr, der Zeitschriften Verlag, 1,828 Milliarden; die RTL Group, die Fernsehsender, 5,112 Milliarden; BMG Entertainment, die Musiksparte, 2,128 Milliarden und die Arvato, die Ge-
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sellschaft der Druckhäuser, 4,365 Milliarden Euro (vgl. Media-Perspektiven, Basis-Daten 2006, S. 27) Der Axel Springer Konzern, wesentlich kleiner als der Bertelmann-Konzern, erzielte 2005 einen Konzern Umsatz von 2,392 Milliarden Euro, davon 1,179 Milliarden aus Vertrieb und 986 Millionen aus Anzeigen. Der Konzern gibt Boulevard-Zeitungen – Bild und Bild am Sonntag –, Tageszeitungen und Zeitschriften heraus nicht nur in Deutschland sondern auch in Ungarn und Polen, in der Tschechischen Republik, in Frankreich und Spanien, hält Beteiligungen an Rundfunkveranstaltern – u. a. 12% an der Pro7/Sat1 Media AG, 27% am Regionalfernsehen Hamburg und an diversen Radios – u. a. jeweils 100% an Radio Schleswig Holstein und Radio PSR Leipzig und ist im Internet geschäftlich vertreten, u. a. mit dem ImmobilienService Immonet und einem Buchhandel (ebenda S.27 und S. 36ff auf der Basis der von Horst Röper ermittelten unternehmerischen Verflechtungen) Weltweit führend ist der Konzern AOL/TIME/WARNER mit mehr als 30Milliarden US Dollar Jahresumsatz und den Geschäftsfeldern Film, Fernsehsender, TV-Produktion, Rechtehandel, Kabelnetze, Tonträger, Verlage, Internet-Services, Merchandising von Produkten aus Medienpublikationen, Betreiben und Vermarkten von Sportvereinen gefolgt von der Walt Disney Co., ebenfalls in den Branchen Film, Video, Radio, Tonträger, Multimedia, InternetServices, Verlage, Merchandising, Freizeitparks und Hotels tätig. • Die Entwicklung des Werbemarktes und seiner Untergliederungen Die Werbemärkte in Bezug auf Medien lassen sich wirtschaftswissenschaftlich relativ gut abgrenzen nach sachlich inhaltlichen und räumlichen Kriterien. Auf dem Gesamtwerbemarkt der Presse wurden 2006 9,914 Milliarden Euro brutto aufgewendet (plus 6,8% gegenüber 2005). Dies entspricht einem Anteil von 49,3% aller Werbeaufwendungen mit leicht zunehmender Tendenz. Auf die Zeitungen entfielen hiervon 5,307 Milliarden Euro (plus 6,3%), dies entspricht einem Anteil von 26,4% an allen Werbeausgaben. Auf die Publikumszeitschriften entfielen 4,167 Milliarden Euro (plus 7,6% nach minus 0,6% in 2005 gegenüber 2004). Dies entspricht einem Anteil von 20,7% an den gesamten Werbeaufwendungen 2006. Für Werbung im Hörfunk insgesamt wurden 2006 1,219 Milliarden Euro (plus 4,5%) aufgewendet. Damit hat der Hörfunk einen Anteil von 6,1% an den gesamten Werbemarktumsätzen. In Fernsehveranstaltungen wurden 2006 brutto 8,295 Milliarden Euro (plus 3,1%) für Werbung ausgegeben. An den Gesamtwerbeaufwendungen macht dies einen Anteil von 41,3% aus mit leicht abnehmender Tendenz. (Möbus/Heffler, S. 283). Der Fernsehwerbemarkt – hier konkurrieren alle Fernsehveranstalter, also sowohl die kommerziellen als auch die öffentlich-rechtlichen, miteinander – weist insofern einige Besonderheiten auf, als die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in ihrem Angebot von Werbezeiten gesetzlich beschränkt sind – nicht nach 20 Uhr und nicht an Sonn- und Feiertagen. Diese Beschränkung gilt allerdings nicht in Bezug auf das Sponsoring. Wegen dieser Beschränkungen kann nicht von einem symmetrischen Wettbewerb gesprochen werden. Außerdem sind die Werbeumsätze der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Bezug auf Fernsehsendungen relativ gering im Verhältnis zu den Marktführern RTL und der Sat1 etc.-Gruppe.
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2005 haben die ARD netto 158,1Mio. Euro (minus 15,2% gegenüber dem Vorjahr) umgesetzt, das ZDF 101,9 Mio. Euro( minus 9,5%), RTL/RTL II und Super RTL dagegen kommen im gleichen Jahr auf Bruttowerbeumsätze von 2.933,2 Mio. Euro, Sat1, Pro 7 und Kabel 1 sogar auf 3.438,5Mio. Euro (Media-Perspektiven, Basis-Daten 2006, S. 11 und 18). Die zum Bertelsmann-Konzern gehörende RTL-Gruppe und die Sat1/PRO 7/Kabel 1 etc. Gruppe bilden auf dem Fernsehwerbemarkt daher ein marktbeherrschendes Duopol mit zusammen einem Marktanteil von über 80%. Das Bundeskartellamt schließt u. a. aus der Tatsache, dass die Marktanteile in diesem Duopol über eine lange Zeit konstant geblieben sind, obwohl der Gesamtfernsehwerbemarkt rückläufig war, dass es sich um ein wettbewerbsloses Duopol handelt (vgl. dazu ausführlich Kap. 9). • Die Entwicklung der Online-Werbemärkte In den letzten vier Jahren ist der Markt für Online-Werbung stark gewachsen. 2004 betrug die Steigerung gegenüber dem Vorjahr 4%, 2005 36% und 2006 66% im Vergleich zu 2005. Mit einem Umsatzvolumen von 596 Mio. Euro liegt die Online-Werbung 2006 knapp hinter den Werbeaufwendungen für Plakat (680Mio. Euro), aber noch deutlich hinter denen für Radiowerbung mit 1,2 Milliarden Euro (vgl. Möbus/Heffler, S. 289) 2007 hatte Google 16,4 Milliarden Dollar Werbeumsätze, Yahoo 6,1, AOL 2,2 und Microsoft 2,1. Microsoft insgesamt erzielte 2007 einen Nettogewinn von 14,1 Milliarden Dollar, Google dagegen „nur“ 4,2 (DER SPIEGEL 7/2008: Alles wandert ins Netz, S. 72 ff). Auf den Online-Werbemärkten hatte in der Vergangenheit Google die größten Zuwächse. Seine wichtigsten Konkurrenten sind Microsoft und Yahoo, wobei Microsoft versucht durch die Übernahme von Yahoo für fast 45 Milliarden Dollar die Marktführerschaft von Google anzugreifen (Rhein-Zeitung 2.2.2008). Googles Gegenstrategie besteht darin, Werbenetzwerke auch mit anderen Medien aufzubauen (vgl. dazu Kaumanns und Suegenheim). • Crossmediale Werbekampagnen Multimedia-Unternehmen, die verschiedene Mediengattungen im Angebot haben, können der Werbung treibenden Industrie und dem Dienstleistungssektor kombinierte Werbekampagnen unter Einsatz verschiedener Werbeträger anbieten, um die Aufmerksamkeit für die umworbenen Produkte bzw. Dienstleistungen zu steigern. Sie legen dafür Kombinationstarife fest, durch die sie Wettbewerbsvorteile gegenüber Mitbewerbern z.B. durch cross subsidizing erzielen können, was wiederum den Konzentrationsprozess hin zu den Multimedia-Konzernen fördert.
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5. 4 Die Dynamik der Medientechnikentwicklung und ihr Einfluss auf Medienwettbewerb und Konzentration Die Dynamik der aktuellen Medienentwicklung ist durch folgende Aspekte gekennzeichnet: 1.) Umfassende Digitalisierung der gesamten Wertschöpfungskette von der Produktion von Inhalten bis zu deren Rezeption und Speicherung. Damit wachsen auf der technischen Ebene bisher getrennte Infrastrukturen und getrennte Medien zusammen: Telekommunikation und Datenverarbeitung verschmelzen ebenso wie Rundfunk und Internet. 2.) Die umfassende Digitalisierung führt zu einer auch ökonomischen Konvergenz: Medienunternehmen spezialisieren sich nicht mehr auf eine Gattung, sondern machen inhaltliche Angebote auf verschiedenen Vertriebswegen: Time/Warner/AOL verbindet Presseerzeugnisse mit Film- und Fernsehproduktionen und Online-Diensten. Google bietet eine Suchmaschine und weitere Dienste wie Nachrichten und Bildinformationen – google earth – an. Presseverlage sind auch im Internet vertreten, ebenso wie öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten zunehmend online-Dienste anbieten. 3.) Die Finanzierung der neuen Dienste erfolgt vorrangig über die Werbung, die immer unverholener mit den inhaltlichen Angeboten vermischt ist oder über direktes Entgelt wie beim Pay-TV oder Informationsabruf im Internet gegen Gebühr. 4.) Diese drei Entwicklungslinien finden auf einer globalen Ebene statt. Die großen Multimedia Player sind Weltkonzerne wie Disney, Time/Warner/AOL, Murdock, Bertelsmann, Google, Microsoft etc., die inhaltliche Angebote in allen Medien vermarkten. Für sie sind die Grenzen von Nationalstaaten allenfalls unter Sprachaspekten, kulturellen Traditionen und unterschiedlichen Regulierungsregimes interessant. Diese vier eng miteinander zusammenhängenden sehr dynamischen Entwicklungslinien haben zu einem enormen Schub der Medienkonzentration geführt, da bisher getrennte, und von verschiedenen selbständigen Unternehmen bediente Märkte zu größeren zusammenhängenden Märkten zusammenwachsen, die von wenigen Multimedia-Konzernen beherrscht werden. Sie sichern ihre Position u. a. durch Mehrfachverwertungen ab in sog. Verwertungskaskaden, z.B. der zeitlichen Abfolge der Ausstrahlung eines Films: zunächst im Kino, dann im Fernsehen, dann als Wiederholung, dann auf DVD zum Kauf und zum Ausleihen. Diese Verwertungskaskaden werden in Multimedia-Unternehmen begleitet und gefördert durch cross promotion. In den „eigenen“ Zeitungen und Zeitschriften und auf den „eigenen“ Internet Portalen werden die Filme oder Fernseh-Serien vermarktet und beworben. Hinzu kommt, dass die bisherige Trennung zwischen Medienunternehmen einerseits und anderen Wirtschaftsunternehmen andererseits zunehmend (wieder) verwischt wird. Besonders ausgeprägt ist diese Entwicklung in Frankreich: Das größte Bauunternehmen Europas, Bouygues, kontrolliert TF1, Frankreichs größten privaten Fernsehsender mit einem Gesamtumsatz von 2,6 Milliarden Euro 2006, dem Luft- und Raumfahrtkonzern Dessault gehört die Tageszeitung „Le Figaro“ mit einer Auflage von 332 818 Exemplaren täglich, Arnaud Lagadere, u. a. EADS Aktionär, beherrscht u. a. das Magazin „Paris Match“ mit einer Auflage von 677 138 Exemplaren und die Frauenzeitschrift „Elle“ mit einer Auflage in Frankreich von 349 982 Exemplaren in 2006. Hinzu kommt, dass die Rüstungsbosse und Modezaren eng mit der Familie Sarkozy, dem neuen Staatspräsidenten Frankreichs, liiert sind (Vgl. FOCUS 27, 2007, S. 168).
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Medienwettbewerb und Medienkonzentration in einer zunehmend globalen digitalen Welt erhalten somit neue Dimensionen und neue Akzente, die nur unvollkommen von nationalen Regulierungsinstitutionen kontrolliert werden (können).
5.5 Kommunikative Dimensionen von Medienwettbewerb und -konzentration Medienwettbewerb wird vordergründig ausgetragen in der Dimension der Schnelligkeit der Veröffentlichung „neuer“ Informationen oder stories. Wer als Erster mit „breaking news“ auf dem Markt ist, der erhält die größte Aufmerksamkeit, die sich dann entweder in gesteigerter verkaufter Auflage – Tagespresse – bzw. erhöhter Einschaltquote – Rundfunk – niederschlägt. Der ökonomische Druck auf kommerzielle Medien, ihre Rendite über Auflagensteigerung oder Quotenerhöhung zu erreichen, hat Scheckbuch-/Kampagnen-/Schweinejournalismus hervorgebracht, der nicht einmal davor zurückschreckt, mit frei erfundenen „Stories“ oder „Skandalen“ zu arbeiten. Fraglich bleibt in diesem Zusammenhang, ob das gegenwärtige Gegendarstellungsrecht ausreicht, derartigen Entwicklungen entgegenzutreten. Hintergründig wird Medienwettbewerb ausgetragen in der Kommentierung und Deutung von Daten, Ereignissen und Entwicklungen. Hierbei geht es zum einen um die Qualität der journalistischen Arbeit, besonders was die Kontextualisierung angeht. Ein konkretes Beispiel: Als das Verfahren gegen den Sprecher der Deutschen Bank Josef Ackermann wegen Untreue – Gewährung von Abfindungen bei der Übernahme von Mannesmann durch Vodafone – eingestellt wurde gegen Zahlung von 3,5 Mio. Euro, hieß es in den heute-Nachrichten des ZDF, dies sei eine hohe Summe. Diese Aussage ist aus der Sicht eines „Normalverdieners“ richtig, bedeutet für Herrn Ackermann aber lediglich eine Zahlung in der Höhe von ca. 3 Monatsgehältern. Ohne die Herstellung der Relation von Zahlung und Einkommen bleibt die Nennung der Summe ohne Einordnungsmöglichkeit für den Fernsehteilnehmer und damit u. U. nichts sagend oder sogar irreführend. An diesem Beispiel wird auch die stark eingeschränkte bzw. tatsächlich verzerrte Wahrnehmungskapazität der Rezipienten deutlich, die besonders von der Boulevardpresse eigens gefördert wird: Lassen sich Skandale an Personen festmachen, so sind sie medienwirksam. Strukturelle Entwicklungen dagegen, wie z.B. die politisch unverantwortlich hohe Staatsverschuldung, weil ihr keine entsprechenden Investitionen gegenüberstehen, lassen sich medial nur schwer „rüber bringen“, und spielen daher in der „Medienwirklichkeit“ eine untergeordnete Bedeutung, obwohl sie aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive viel bedeutsamer sind, als wenn jemand 20.000,– Euro unterschlagen hat. Wie prägend Fernsehen bzw. dessen Werbung auf die Realitätswahrnehmung der Rezipienten ist, wird an dem Beispiel des Kindes deutlich, dass zum ersten Mal in seinem Leben eine Kuh auf der Weide sieht und nicht fassen kann, dass die Kuh nicht lila ist. Besonders kritisch werden diese Verzerrungen in Bezug auf die Darstellung der „Wirklichkeit“, die sich aus den Vermarktungsbedingungen kommerzieller Medien einerseits und den begrenzten Aufnahmekapazitäten der großen Masse der Mediennutzer andererseits ergeben, in den Bereichen der Kriegsberichterstattung und der Krisenkommunikation. Der Beginn der Bombardierungen im 2. Golfkrieg der US-amerikanischen Regierung wurde von der Tageszeit her bewusst in die „prime time“ der Westküste der USA gelegt.
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„Auf eine einfache Formel gebracht: Emotion statt Reflexion, Dramatik statt Routine, Personen statt Prozesse, Ereignisse statt Hintergründe, Simplizität statt Komplexität – das ist der Preis der Mediengesellschaft“ (Löffelholz, S.25). Bei der Kriegsberichterstattung haben es die Journalisten mit dem Streben der Militärführung nach „informationeller Überlegenheit“ zu tun sowohl dem Kriegsgegner als auch der eigenen Bevölkerung gegenüber. In Bezug auf den Irakkrieg heißt es: „Entsprechend differenziert erscheinen die Kommunikationsinstrumente, welche die USA zur Durchsetzung ihrer angestrebten Informationsüberlegenheit verwenden – zuletzt vor und während des Irakkrieges. Neben scheinbar neuen Instrumenten wie dem embedded journalism wurden bereits erprobte Maßnahmen zur Einflussnahme auf Medien, Bevölkerung und gegnerische Streitkräfte eingesetzt – von der Zensur über Desinformationskampagnen bis zur vorgeblich sachorientierten Bereitstellung von Bildmaterial und Nachrichten“ (daselbst, S. 27). Die Bücher, die 2006/2007 den Eintritt der USA in den Irakkrieg und dessen Verlauf nachzeichnen, „lesen sich wie eine Enzyklopädie der Inkompetenz der Bush-Regierung aber auch wie eine Selbstkorrektur des patriotischen Überschwangs der unmittelbaren Kriegsberichterstattung“ (Haller). Welche Chancen hat demgegenüber ein unabhängiger Journalismus, der versucht „auf der Höhe der Ereignisse in ihrer aktuellen Zeit“ zu sein? Besonders anschaulich wird dies am Beispiel eines US-amerikanischen Soldaten, der 2004 in Afghanistan durch zynischer Weise sogenanntes „friendly fire“, also durch eigene Kameraden zu Tode kam. Das US-amerikanische Militär und das Pentagon machten daraus eine erfundene Heldengeschichte und vertuschten so den wahren Hergang. Erst 2007 wurde der Sachverhalt durch eine Untersuchung im Kongress, die durch die veränderte Kongressmehrheit der Demokraten ermöglicht wurde, aufgeklärt, nicht aber durch die Presse. (Vgl. Rhein Zeitung vom 26.4.07 S.5). Die Medien „im Dienste“ politischer Herrschaft haben eine lange Tradition: Karl Krauss schrieb 1919: „Invalide waren wir durch die Rotationsmaschinen (der Presse im Dienste der Kriegspropaganda) ehe es Opfer durch Kanonen gab“. Heute werden Bilder der Kriegsberichterstattung eingesetzt, um die jeweilige Grausamkeit des Gegners zu belegen und die Loyalität der eigenen Bevölkerung zu steigern. Hierfür hat sich der Begriff der „killing screens“ eingebürgert. Ähnliches gilt für Krisenkommunikation, wo die Journalisten gegen die Kommunikationsstrategien betroffener Unternehmen oder Regierungen ankämpfen müssen. Auch hier wird versucht, interessegeleitet, Informationsströme zu kanalisieren und die Kommunikation zu beherrschen (vgl. Töpfer). Der Medienwettbewerb findet in der Auswahl, Präsentation und Kommentierung von Nachrichten statt als Teil der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um Deutungsmuster und Deutungshoheit. Dies lässt sich gut an dem Kampf um „gültige“ Geschichtsbilder demonstrieren: Der 8. Mai 1945, eine deutsche Niederlage oder ein Tag der Befreiung von der Nazi-Diktatur? In diesem Zusammenhang spielen Bilder und Photographien eine besondere Rolle, weil sie einprägsamer sind als Worte. Synonym für das Vernichtungslager Ausschwitz ist nach 1945 ein Photo geworden, das ein Eisenbahngleis auf das Tor hin zeigt. Tatsächlich handelt es sich um eine Innenansicht. Hier steht die geringfügige Ungenauigkeit im Dienste der übergeordne-
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ten Wahrheit, der „Übersetzung“ der Metapher: unerbittliche, grausame Endstation für viele Hunderttausende unschuldiger Menschen. Als abschreckende Beispiele gelten z.B. die Bilder der einseitigen, verfälschenden Propaganda des Nationalsozialismus, die „Größe“ und „Macht“ vorgaukeln, um einzuschüchtern und Gefolgschaft einzufordern. Auch heute unter demokratischen Verhältnissen wird Politik in Bildern inszeniert. Bilder der Berliner Kabinettsrunde suggerieren ein entspanntes Miteinander in der Koalition, obwohl fast immer sehr hart um Kompromisse in Sachfragen gerungen wird. Die Kanzlerin auf einer Fregatte vor dem Libanon hält sich beim tiefen Überflug eines Kampfflugzeuges nicht die Ohren zu: Sie gibt die furchtlose Politikerin. Journalisten befinden sich diesbezüglich in einem Dilemma: Einerseits suchen sie aus Gründen des Wettbewerbs die Nähe zu den Informationsquellen – dem Militär, den Politikern, den Unternehmen – und stehen daher immer in der Gefahr, instrumentalisiert zu werden. Anderseits sollen sie unabhängig und kritisch berichten. Tun sie dies, so verlieren sie möglicherweise den Zugang zu ihrer Informationsquelle. Guter Journalismus erfordert neben der erwähnten doppelten Professionalität daher auch Charakterstärke. Unter den Zwängen der unternehmerischen Risikominderung durch Mehrfachverwertung erhält die Wettbewerbsdimension der „Hortung“ von Urheber- und Verwertungsrechten eine zunehmende Bedeutung. Auch diese Behinderung eines freien wirtschaftlichen Wettbewerbs begünstigt Konzentrationsprozesse.
5.6 Regulierungsdilemmata und -perspektiven Systematisch ist zunächst festzustellen, dass juristische Regulierung, wenn sie denn auf spezifische Marktstrukturen oder –verhaltensweisen bezogen ist, immer zeitlich und inhaltlich hinter der dynamischen Entwicklung hinterherhinkt. Dies zeigt sich momentan besonders in Relation zur Ausbreitung des Internet, dessen Stärke als frei und selbst organisiert ausgegeben wurde, das aber auch sehr dunkle Seiten hat. Dieses Regulieren auf Grund von Erfahrungen, nachdem die ersten Kinder buchstäblich in den Brunnen gefallen sind – z.B. bei Kindesmissbrauch zur Herstellung von kinderpornographischen Bildern –, dieses Hinterherhinken hinter „neuen“ Tatbeständen der Wettbewerbsbeschränkung und Konzentration lässt sich nur verbessern, wenn stärker mit Generalklauseln gearbeitet wird, die aber den Nachteil haben, das die Regulierung vom Gesetzgeber weitgehend auf die Behörden und die Gerichte übergeht, die bei Generalklauseln einen weiten Ermessensspielraum haben. Juristische Regulierung kommt praktisch nicht gegen wirtschaftliche Strukturen an. Kommerzielle, über Werbung ganz – Free TV – oder zum Teil – Presse-finanzierte Medien sind es sich auf Grund ihrer reinen Renditeorientierung im eigenen Interesse schuldig, für die Werbetreibenden ein freundliches Umfeld zu schaffen – die Deutsche Bahn drohte jüngst CAPITAL mit Anzeigenentzug wegen eines kritischen Artikels zum geplanten Börsengang, und dies ist nur ein Beispiel von vielen. In diesen Fällen ist die Forderung nach der Trennung von Werbung und Programm bzw. redaktionell verantwortetem Teil eine reine Formalität, die die wahren Verhältnisse verschleiert. Dies wurde besonders deutlich an dem mehr oder weniger offe-
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nen Product Placement im Fernsehprogramm oder in dem Verkauf einer „redaktionell“ zu verantwortenden Sendung an den Werbetreibenden: So konnte Procter and Gamble z.B. „seinen“ Gesundheitsratgeber so gestalten, dass die Werbung für Pampers optimal platziert wurde. Dies wird immer wieder deutlich, wenn in der Tagespresse „freundliche“ Berichte über die Bilanzpressekonferenz eines Unternehmens mit der Anzeige des gleichen Unternehmens begleitet werden. Derartige strukturelle Begrenzungen sind nur schwerlich mit der umfassend zu verstehenden Presse- und Rundfunkfreiheit in Einklang zu bringen. Hinzu kommen die Zersplitterung der institutionellen Regulierungsagenturen – allein 15 Landesmedienanstalten in Deutschland – und ihre unterschiedlichen Orientierungen – hier Bundesnetzagentur, Bundeskartellamt, und die EU-Kommission, dort die KEK und die Landesmedienanstalten (vgl. dazu Kapitel 9).
5.7 Wettbewerb und Konzentration im dualen Rundfunksystem: Organisationsund Finanzierungsformen und gesellschaftliche Auswirkungen • Rentabilitätsorientierung kommerzieller Medienunternehmen Kommerzielle Medienunternehmen, wenn sie denn teilweise oder ganz über Werbung finanziert werden, stehen vor der Aufgabe, ein mediales Produkt zu kreieren, das einerseits bei den Nutzern Aufmerksamkeit erregt und andererseits für die Werbetreibenden wohlgefällig ist, das für deren Anzeigen ein attraktives Umfeld schafft. Je höher die Auflage bzw. die Einschaltquote des uniformen Produktes ist, umso höher der 1000er Preis, den der Verleger oder der Rundfunkveranstalter von den Anzeigenkunden verlangen kann. Kommerzielle Veranstalter sehen also auf Grund ihrer Rentabilitätsorientierung auf hohe Auflagen bzw. Einschaltquoten. Dieser Kampf um Einschaltquoten wird auch mit immer neuen Tabubrüchen geführt: So bedienten die Container-Sendung „Big Brother“ und die Serie „Dschungel-Camp“ voyeuristische Begierden, um in der Konkurrenz um Aufmerksamkeit die Nase vorne zu haben. So startete am 15. Mai 2007 in Kanada die Sendung „Naked news of America“, präsentiert von einer jungen „Dame“, die sich während der Nachrichten Show vollständig entblättert. Sicher wird diese Show mehr Zuschauer, vor allem Männer, anlocken, aber nicht wegen der Nachrichten. Nur dann, wenn die Medienprodukte allein gegen die Zahlung eines direkten marktmäßigen Preises vertrieben werden, lassen sich auch kleinere Zielgruppen bedienen, immer unter der Voraussetzung, dass diese auch kaufkräftig sind. • Zur Legitimation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Die Legitimation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als staatsunabhängiger, dem Gemeinwohl verpflichteter Veranstalter von Radio- und Fernsehprogrammen für alle Bürgerinnen und Bürger, die in Deutschland leben, ergibt sich zunächst aus den geschichtlichen Erfahrungen in der Weimarer Republik und in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur. Sie ergibt sich auch auf Grund der Erfahrungen mit rein kommerziellen Rundfunkveranstaltern wie denen in den USA. Deshalb wurde nach dem zweiten Weltkrieg bewusst an ein europäischen Vorbild,
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nämlich die BBC angeknüpft. Hinzu kamen zunächst die Frequenzknappheit zur Ausstrahlung der Programme und der vergleichsweise hohe finanzielle Aufwand zur Erstellung und Verbreitung der Programme. Es galt und gilt immer noch, Unabhängigkeit vom Staat und Unabhängigkeit von einseitigen wirtschaftlichen, politischen, religiösen oder sonstigen Interessen zu organisieren, damit sich professioneller Journalismus frei und verantwortungsvoll entfalten kann. Es galt und es gilt, Rundfunkprogramme nach höchsten Qualitätsstandards zu entwickeln und anzubieten. Die BBC hat in dem Prozess um die Erneuerung ihrer Royal Charter, die von 2007 bis 2017 gelten soll, versucht, Kriterien für die Evaluation der Erfüllung solcher Standards zu entwickeln. Der „Public Value“, den die BBC erbringen soll, der Maßstab für ihren Beitrag zur Lebensqualität in Großbritannien, wird in fünf verschiedenen Feldern differenziert: – Democratic Value: die BBC unterstützt das gesellschaftliche Leben und trägt zur öffentlichen Debatte bei; – Cultural and creative value: die BBC bereichert das kulturelle Leben in Großbritannien; – Educational Value: die BBC schafft Chancen für Bildung und Weiterbildung; – Social and community value: die BBC trägt zur gesellschaftlichen Kohärenz und Toleranz bei; – Global value: die BBC ist der global vertrauenswürdige Anbieter von Nachrichten und Informationen, sie trägt die hochwertigsten Erzeugnisse britischer Kultur in die Welt (Woldt, S. 599f). Im Weißbuch der Regierung 2006 kam als 6. Aufgabe hinzu: Building digital Britain: die BBC soll eine führende Rolle bei der Digitalisierung übernehmen (ebenda, S. 603). Dazu hat die BBC ein Programm „Creative Future“, ein Projekt zur Festlegung der BBC Strategie in Bezug auf die Nutzung der neuen Techniken angekündigt, um auch die Internet-kids (wieder) zu erreichen. Zur Überprüfung der Erreichung dieser Ziele wird ein dreistufiges System der Qualitätssicherung – u. a. public value tests – eingeführt. Eine derartige umfassende strategische Positionierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in der Gesellschaft steht in Deutschland noch aus. Da die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nicht untereinander in wirtschaftlichem Wettbewerb standen und auch nicht stehen sollten – dies wäre das Modell des Außenpluralismus gewesen –, bedurfte es zu ihrer Selbstverwaltung eigenständiger Mechanismen. Nach dem Modell des Binnenpluralismus sollen alle „gesellschaftlich relevanten Kräfte“ in ihrem Programm zu Wort kommen und in ihren Entscheidungsgremien vertreten sein, im Rundfunkrat und dort die Programmgrundsätze bestimmen, den Verwaltungsrat wählen, den Haushalt beschließen und den Intendanten oder die Intendantin wählen. Es gibt keine allgemein akzeptierten Kriterien, wer zu den „gesellschaftlich relevanten Kräften“ gehört und deshalb in den Gremien der Rundfunkanstalten vertreten sein muss. Geht man von Vorstellungen von Gegengewichten aus, so müssten immer die Pendants vertreten sein: Wenn Arbeitgeberverbände, dann auch Gewerkschaften, wenn katholische Kirche, dann auch evangelische Kirche und jüdische Kultusgemeinde (und auch Vertreter des Islam in Deutschland?), wenn Religionsgemeinschaften, dann auch freie weltanschauliche Gemeinschaften, wenn Vertreter von Kultureinrichtungen, dann neben staatlichen Institutionen auch Repräsentanten nichtstaatlicher Kultureinrichtungen. Dieses Konzept ist zunächst an dem status quo gesellschaftlicher
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Machtverteilung orientiert, ja es tradiert vielmehr überkommene Strukturen, wenn auch z.B. nach mehr als 60 Jahren nach Flucht und Vertreibung Vertreter von Vertriebenenverbänden in den Gremien der öffentlich-rechtlichen Sender vertreten sind. Bei derartigen Strukturen kommt das innovative Potential unserer Gesellschaft zu kurz, da es keine Repräsentanz einer wie auch immer zu definierenden Avantgarde in Wissenschaft, Kunst oder Zivilgesellschaft gibt. (Vgl. dazu Lange, 1977). In der Realität sind immer wieder manifeste Versuche der einseitigen „Beherrschung“ öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten durch politische Mehrheiten zu verzeichnen: Dies zeigt sich in parteipolitisch ausgerichteter Personalpolitik, dies zeigt sich in der Bildung von „Freundeskreisen“ entlang politischer Parteilinien in den Gremien und dies zeigt sich in den Verfahren zur Festsetzung der Rundfunkgebühren, wenn Ministerpräsidenten ihren diesbezüglichen Einfluss zu nutzen versuchen, einerseits auf Programme der öffentlich-rechtlichen Sender inhaltlich einzuwirken und andererseits über die restriktive Finanzierung dieser Sender „ihre“ Klientel der kommerziellen Veranstalter, von denen sie eine günstigere Berichterstattung erwarten, zu bevorteilen (vgl. dazu oben das Urteil des BverfG im Jahre 2007 zur Festsetzung der Rundfunkgebühren). Die Konkurrenz zwischen den kommerziellen Fernsehveranstaltern und dem öffentlichrechtlichen Rundfunk in Deutschland wird auf verschiedenen Ebenen ausgetragen. Spätestens seit Einführung des dualen Rundfunksystems in Deutschland wird dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk von den Vertretern der privatwirtschaftlichen Konkurrenz grundsätzlich das Existenzrecht abgesprochen: Es gebe keine Frequenzknappheit mehr, der Bürger könne wie am Kiosk aus einer Fülle von Rundfunkangeboten auswählen und der öffentlichrechtliche Rundfunk sei ein Fremdkörper in der Marktwirtschaft. Sodann wird versucht, das Betätigungsfeld des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einzuengen: Online-Angebote seien ihm nur – wenn überhaupt – Programm begleitend bzw. Programm ergänzend zu gestatten. Er sei grundsätzlich auf die herkömmlichen Techniken zu begrenzen. Schließlich wird die Rundfunkgebühr als „Zwangsgebühr“ diffamiert und als verfassungswidrig eingestuft. Diese Argumente werden aus der Perspektive einseitiger wirtschaftlicher, medialer und politischer Interessen vorgetragen. Sie sind daher auf ihren Ideologiegehalt hin zu überprüfen. Die EU-Kommission – sicher kein Freund des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – hat im April 2007 ein Verfahren gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland eingestellt, ein Verfahren, das überprüfen sollte, ob die Rundfunkgebühren als unzulässige staatliche Subventionen einzustufen seien und ob es ein „level playing field“ zwischen kommerziellen und öffentlich-rechtlichen Sendern gibt oder ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk aus seinem Gebührenaufkommen kommerzielle Aktivitäten wie z.B. den Vertrieb von Audiooder Videokassetten bzw. CDs subventioniere. In der Stellungnahme der EU-Kommission wird festgestellt, dass dies nicht der Fall sei und dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk das Recht habe, alle neuen Techniken zu nutzen Es wird lediglich mehr Transparenz in Bezug auf das wirtschaftliche Gebaren der öffentlich-rechtlichen Veranstalter eingefordert. Der VPRT, der Verband der kommerziellen Rundfunkveranstalter, ist damit mit seinen neuerlichen Beschwerden gegen die öffentlich-rechtliche Konkurrenz in Brüssel gescheitert.
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• Organisationsform und Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Das Modell des Binnenpluralismus, die Repräsentation der gesellschaftlich relevanten Kräfte in den Gremien und ihre Mitwirkung im Programm ist eine Form der autonomen Selbstverwaltung, da eine Außenkotrolle über wirtschaftlichen und über publizistischen Wettbewerb gerade nicht gewollt ist. Auch eine solche Form der Selbstverwaltung ist kritisch zu evaluieren, denn sie tendiert in der Praxis zu korporatistischen Verhaltensweisen, aufgeblähten bürokratischen Strukturen und einer Closed Shop-Mentalität. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland hat auf Grund der Konkurrenz des kommerziellen Hörfunks und Fernsehens und auf Grund der dauernden Angriffe, seine Existenzberechtigung betreffend, in weiten Teilen ein Art Wagenburgmentalität entfaltet, anstatt souverän – z.B. durch medienkritische Sendungen oder/und „massenwirksame“ öffentliche Diskurse – seine Leistungen zu evaluieren und seine Legitimation offensiv zu verteidigen, jedenfalls ist dies der Eindruck, wenn man die Diskussion um die BBC und ihre Selbstdarstellung als Vergleichsmaßstab heranzieht. Das Verfahren zur Festsetzung der Rundfunkgebühren ist im Zusammenhang der Verfassungsrechtsprechung in Kapitel 4 f behandelt worden. Die monatliche Rundfunkgebühr für Hörfunk und Fernsehen zusammen beträgt momentan 17,03 Euro monatlich. Setzt man sie in Relation zu anderen Aufwendungen für Medienangebote, so ist festzustellen, dass sie weit geringer ist als das Abonnement einer Tageszeitung und etwa soviel kostet wie ein einmaliger Kinobesuch zu Zweit, und dies bei einem täglichen Hörfunk- und Fernsehangebot, das umfängliche Nachrichten und Hintergrundinformationen, Serviceangebote, mehrere Serien, Krimis und Filme zur Auswahl anbietet. Einkommensschwache Haushalte können von der Zahlung der Gebühr befreit werden, um ihnen als Bürger die Teilnahme am kommunikativen Geschehen zu ermöglichen. Gegenwärtig (2007) sind es 2,882.506 Mio. Haushalte oder 9,5 % aller privaten Fernsehhaushalte (vgl. die Anzahl der angemeldeten Rundfunkempfangsgeräte, Stand 31.3.2007, Media-Perspektiven 5 2007, S. 270). In der marktwirtschaftlich organisierten Welt der Tages- und Publikumspresse gibt es keine, von den Verlagen gewährten kostenlosen Abonnements. Das Gebührenaufkommen betrug 2005 insgesamt 7,0834 Milliarden Euro, davon erhielten die ARD-Anstalten 5,0824 Milliarden Euro, das ZDF 1,6814 Milliarden Euro und die Landesmedienanstalten 136,2 Mio. Euro (Vgl. Media-Perspektiven, Basis-Daten 2006, S. 10) Die Rundfunkgebühren sind im Zeitablauf stärker gestiegen als die allgemeinen Lebenshaltungskosten: Von 1985 bis 2005 haben sich die Rundfunkgebühren in etwa verdoppelt, der Verbraucherpreisindex erhöhte sich jedoch nur um rund 40%. Der Finanzbedarf der Rundfunkanstalten wuchs so stark aufgrund der Preis treibenden Konkurrenz mit den kommerziellen Sendern, insbesondere um Übertragungsrechte an Sportgroßveranstaltungen, um Filmpakete und um Quoten treibende Talkmaster. Nicht zuletzt wurde der Gebührenanstieg durch die erheblichen Programmausweitungen hervorgerufen und damit auch kompensiert, die in dieser Zeit erfolgt sind, übrigens in aller Regel mit Billigung, wenn nicht sogar auf Wunsch der Politik. Dies gilt für den Hörfunk als auch – in besonderem Maße – für das Fernsehen; denn abgesehen vom Ausbau der Dritten Programme wurden zwischen 1985 und 2005 nicht weniger als 4 neue öffentlich-rechtliche Fernsehkanäle eröffnet – Eins plus (das später in 3sat aufging), ARTE, PHOENIX und KI.KA.
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Um die Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu stärken wird seit längerem eine Indexierung der Rundfunkgebührenentwicklung diskutiert. Dies würde bedeuten, dass die Gebühr jährlich nach gesetzlicher Festlegung z.B. in der Größenordnung des 1,3 bzw. 1,5fachen der Inflationsrate ansteigt. Um für neue Entwicklungen gerüstet zu sein, könnte daneben das bisherige Verfahren angewandt werden. So würde ein Mehr an Planungssicherheit und Unabhängigkeit mit Flexibilität verbunden. Die ARD hat für die Gebührenperiode 2009 bis 2012 ihren Finanzbedarf bei der KEF angemeldet. Daraus ergäbe sich eine Erhöhung um 95 Cent, die die ARD als Ausgleich für eine zu erwartende jährliche Inflationsrate von 2% wertet. Die teilweise Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Programme über Werbung – spot Werbung nicht nach 20 Uhr und nicht an Sonn- und Feiertagen, unbegrenztes Sponsoring – wird kontrovers diskutiert. Die öffentlich-rechtlichen Sender sehen darin eine gewisse Garantie ihrer Unabhängigkeit, die bei reiner Gebührenfinanzierung nach dem gegenwärtigen Verfahren nicht voll gegeben sei. Kritiker weisen darauf hin, dass der Nettoerlös aus der Werbung z.B. beim WDR unter 5% der Einnahmen liege, beim ZDF wesentlich höher, so dass diese Finanzierungsquelle keine so große Rolle (mehr) spiele. Im Übrigen weisen sie darauf hin, dass Finanzierung über Werbung mit dem Prinzip der völligen publizistischen Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Sender nicht vereinbar sei und dass die Abschaffung dieser Finanzierungsform die wirtschaftliche Konkurrenz mit den kommerziellen Veranstaltern verringere. Die beiden Organisations- und Veranstaltungsformen im dualen Rundfunksystem hätten dann klar unterscheidbare Konturen. Die Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten lasse sich z.B. durch die Indexierung der Anpassung der Rundfunkgebühren stärken (vgl. Lange 1986). • Zur Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Konkurrenz zum kommerziellen Rundfunk: Programmprofile Lässt man zunächst einmal die Qualität der einzelnen Sparten der Rundfunkveranstalter bei Seite, d. h. z.B. die Informationssendungen der kommerziellen Veranstalter RTL, Sat 1 oder Kabel 1 werden zunächst als gleichwertig mit denen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten angesehen – das Gleiche gilt für den Fernsehfilm oder Kindersendungen – so ergeben sich auf der Basis der 2005 gesendeten Minuten deutliche Profilunterschiede: Informationssendungen: ARD 43% der Sendedauer, ZDF 48,8%, RTL 25,2%, Sat1 17,7%, PRO 7 27,7% Fiction: ARD 32,2%, ZDF 30,5%, RTL 23,8%, Sat1 24,1% PRO 7 28,7% Nonfictionale Unterhaltung: ARD 6,9%, ZDF 5,6%, RTL 19,9%, Sat1 31,7%, PRO 7 20,8% Kinder-/Jugendsendungen: ARD 5,7%, ZDF 5,0%, RTL 1,4%, Sat1 0.2%, PRO 7 2,4% Werbung: ARD 1,4%, ZDF 1,3%, RTL 20,5%, Sat1 20,5%, PRO 7 14,5% Die Sendedauer ist bei allen Veranstaltern mit 1440 Minuten pro Tag gleich (vgl. Media-Perspektiven, Basisdaten 2006, S. 23). Beim Vergleich der Programmleistungen der jeweiligen Rundfunkveranstalter des sog. Free TV sind die unterschiedlichen Zeitanteile für Werbesendungen zu berücksichtigen. Auch wenn
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5. Die empirischen Befunde im Überblick
sich die Programmsparten nicht vollständig vergleichen lassen, ergeben die Zahlen doch signifikante Unterschiede: Im Bereich der in Bezug auf die Funktionsfähigkeit der Demokratie besonders relevanten Informationen aus allen Bereichen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind die öffentlich-rechtlichen Sender nach wie vor eindeutig führend, das Gleiche gilt für Kultur und Wissenschaft, die bei den kommerziellen Veranstaltern Fehlanzeige sind. Deren Schwerpunkte liegen dagegen im Bereich der Unterhaltung. Auch im Bereich der Unterhaltung gibt es signifikante Unterschiede zwischen öffentlichrechtlichen und kommerziellen Sendern. Dies lässt sich an der Quote der Eigenproduktionen und an der inhaltlichen Ausrichtung festmachen. Hier handelt es sich um qualitative Kriterien. Werden die Images von öffentlich-rechtlichen (ö-rR) und kommerziellen (kR) Fernsehprogrammen direkt in der Abfrage bei Personen ab 14 Jahre im Jahre 2005 verglichen, so ergeben sich verschiedene Wertschätzungen: Trifft eher auf ö-rR zu sachlich 79% glaubwürdig 76% kompetent 71% informativ 65% aktuell 56% sympathisch 42% zukunftsorientiert 36% vielseitig 31% mutig 24% unterhaltend/unterhaltsam 25% modern 19% locker und ungezwungen 15% (Media-Perspektiven, Basis-Daten 2006, S. 68)
trifft eher auf kR zu 14% 14% 20% 24% 31% 50% 55% 63% 69% 67% 74% 81%
Diese Zahlen zeigen einerseits die Führung der öffentlich-rechtlichen Sender in der Wertschätzung der Bürger im Bereich seriöser und vertrauenswürdiger Information. Sie zeigen aber andererseits die Defizite in den Bereichen der Zukunftsorientierung, des Mutes zur Kritik und der Unterhaltung, wo die kommerziellen Sender führend sind. (Dies heißt nicht, dass die öffentlich-rechtlichen Sender in diesen Bereichen die kommerziellen kopieren sollen, aber sie müssen sich diesen Defiziten in ihrem Image stellen). Die öffentlich-rechtlichen Sender lassen sich zum Teil von der Sensationsgier der kommerziellen Konkurrenz anstecken. So ist der öffentlich-rechtliche niederländische Fernsehsender BNN bereits mehrfach wegen provokanter Showkonzepte in die Kritik geraten, beispielsweise mit einem Sexkurs für Teenager und einer Show, bei der Menschen zu ihren Sexgewohnheiten befragt und diverse Drogen ausprobiert werden. Die Firma Endemol, die die umstrittene Containersendung „Big Brother“ entwickelt hat, produzierte nun für BNN die „Große Spendershow“, in der drei Nierenkranke um das Organ einer Todgeweihten wetteifern. Diese entscheidet in aller Öffentlichkeit sozusagen auf dem Sterbebett, wer ihre Niere erhalten soll, of-
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5. Die empirischen Befunde im Überblick
fenbar nach dem Kriterium, wer von den „Bewerberinnen“ sein Los am tränenreichsten gleich quotenträchtigsten „verkaufen“ kann (am Ende der Show wurde enthüllt, dass die Spenderin der Niere von einer Schauspielerin dargestellt wurde). Von hier aus ist es kein weiter Schritt, um bei eBay lebenswichtige Operationen oder Organe zu ersteigern • Duales System und gesellschaftliche Entwicklung Bei dem deutschen dualen Rundfunksystem handelt es sich um zwei von ihrer Organisation, ihren Orientierungen und ihren Finanzierungsmodalitäten her unterschiedliche Rundfunksysteme und doch sind sie untereinander in ihrer Programmgestaltung zunehmend mehr verknüpft über die wechselseitige Beachtung der Einschaltquote. Für die kommerziellen Veranstalter ist die jeweilige Einschaltquote der Maßstab für wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg. Das Programm wird deshalb so ausgerichtet, dass die größtmögliche Zahl von möglichst auch zahlungskräftigen Zuschauern an die Werbung treibende Wirtschaft verkauft werden kann – daher der Schwerpunkt im Bereich der Unterhaltung, während mit seriösen Informationssendungen offenbar nicht entsprechend viele Zuschauer angelockt werden können. Die öffentlich-rechtlichen Veranstalter dagegen sind gesetzlich auf ihren Programmauftrag zur Information, Bildung und Unterhaltung verpflichtet, was auch Sendungen für sog. Minderheiten einschließt, besser wäre zu sagen, Sendungen auch für gesellschaftliche Gruppen mit je spezifischen Interessen. Da aber die Rundfunkgebühren von allen Rundfunkteilnehmern aufgebracht werden müssen – das Angebot wird für alle Bürger bereitgehalten –, also auch von denen, die ausschließlich Programme der kommerziellen Veranstalter nutzen, darf die durchschnittliche Einschaltquote nicht eine kritische Schwelle unterschreiten, weil sonst die Legitimation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, bzw. seines gegenwärtigen Finanzierungssystems in Gefahr geriete. Deshalb orientieren sich besonders im Unterhaltungsbereich auch die öffentlich-rechtlichen Veranstalter an Einschaltquoten und vergleichen sich mit den „Erfolgen“ der kommerziellen Konkurrenz. Insofern haben sich die Programme der öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten seit Hinzutreten der kommerziellen Sender verändert, einerseits positiv, weil sie sich den Herausforderungen innovativer Konkurrenz stellen mussten, andererseits negativ, weil sie zunehmend in den Sog der mainstream Unterhaltung geraten sind und sich schwer tun, in diesem Bereich ihr eigenständiges Profil zu wahren. Gleichzeitig tritt der Bildungsauftrag zunehmend in den Hintergrund (vgl. Lange, 1991). Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind durch den wirtschaftlichen Wettbewerb um Spielfilme, Sportrechte und Showmaster zu immer größerem finanziellen Aufwand gezwungen worden, was sich auch auf die Höhe der Rundfunkgebühren niederschlägt. (vgl. Bericht zur Lage des Fernsehens). Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben es versäumt, z.B. durch die Herausgabe eigener Rundfunkzeitschriften auf die mediale Bildung und die Medienkompetenz ihrer Nutzer einzuwirken. Der gesellschaftliche Konsens in Großbritannien in Bezug auf die Bedeutung und Notwendigkeit der BBC scheint größer zu sein als der in der Bundesrepublik in Bezug auf die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, deren Notanker immer wieder nur der Gang zum Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe ist. So sind sie in weiten Teilen ihrer Programmbereiche relativ hilflos der Erosion ihrer Legitimationsgrundlagen ausgeliefert.
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Es zeichnet sich eine Spaltung der Gesellschaft in Bezug auf die Fernsehnutzung ab: Die gebildeteren und die älteren Zuhörer und Zuschauer nutzen hauptsächlich die Programme der öffentlich-rechtlichen Veranstalter, während die ungebildeten Schichten der Gesellschaft und besonders viele Jugendliche kommerzielle Programme und Internet-Angebote bevorzugen, was bei ihnen dann oft mit einer Entpolitisierung, populistischer Politik(er)verdrossenheit und vorrangiger Konsumorientierung einhergeht. So trägt das duale Rundfunksystem mit weitgehender Nicht-Regulierung des kommerziellen Rundfunks möglicherweise zur Entsolidarisierung der Gesellschaft und zur Einengung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bei, der zu einem Relikt im Zusammenhang mit der demographischen Entwicklung zu werden droht. Die Einführung öffentlich-rechtlicher, staatsunabhängiger Rundfunkanstalten war einer der wesentlichen Neuerungen in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, die mitgeholfen hat, eine veränderte, freiheitliche Kommunikationskultur aufzubauen. Wird sie weiter geschwächt, so erodiert auch die Funktions- und Integrationsfähigkeit der demokratischen Gesellschaft.
6. Technikgeneseforschung und ihre analytische Reichweite zu Medienwettbewerb und Konzentration 6.1 Technikgeneseforschung als sozialwissenschaftliche Disziplin Technikwirkungsforschung bezieht sich auf die Wirkungen, die von eingeführter Technik ausgehen, Technikgeneseforschung dagegen analysiert gesellschaftliche Selektionsprozesse in Bezug auf die Einführung neuer Technologien und die dabei vorherrschenden Leitbilder und wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen. Technikentwicklung wird dabei als sozialer Prozess begriffen, „der von gesellschaftlichen Akteuren getragen und von vergleichsweise ergebnisoffenen sozialen Konstruktions-, Definitions- und Aushandlungsprozessen geprägt ist“ (Dolata und Werle, S. 15 mit weiteren Verweisen). Beide sozialwissenschaftliche Disziplinen sind noch relativ jung und haben daher noch keine gefestigten Forschungstraditionen. Sowohl ihre gesellschaftliche Bedeutung als auch die Kontroversen um ihre Leistungsfähigkeit gehen aus den folgenden Zitaten hervor: „Wenn Dürrenmatt skeptisch und seherisch zugleich feststellt, dass die zweite Kultur, die naturwissenschaftliche, das Entscheidende ist und dass die Politik nachhinkt, dann heißt das aber auch: Elementare Bereiche unserer Daseins- und Zukunftsgestaltung, also zentrale Bereiche der Politik, werden nicht in den Parlamenten und nicht in den Kabinetten, nicht in Düsseldorf, nicht in Bonn, auch nicht im Weißen Haus und nicht im Kreml gemacht – sondern in den Labors und Konstruktionsbüros. … Immer wieder wird der Versuch gemacht, den Geisteswissenschaften eine kritische oder helfende Rolle zuzuweisen bei diesem Prozess der fortschreitenden Naturbeherrschung (durch weitere Technisierung, der Verf.). Durchaus extreme Positionen kennzeichnen die Erwartungen. Da ist der hochgemute Glaube, die Geisteswissenschaften stünden in einer aufklärerischen Tradition und könnten dieses Erbe in eine Haltung der Kritik ummünzen, um so der Technisierung und Merkantilisierung der Welt zu widerstehen. Und da ist andererseits die resignative schöne Geste, den Geisteswissenschaften wenigstens eine die Modernisierungsschäden heilende Funktion zu lassen“ (Kaiser, S. 14). In beiden zitierten Positionen kommt die lange Zeit vorherrschende, typisch deutsche Ablehnung von Technik zum Ausdruck. Für die Entwicklung neuer Techniken und für ihre Einführung, bzw. ihre gesellschaftliche Adaption, die keineswegs identisch sein muss mit den Vorstellungen der Entwickler, gibt es sehr unterschiedliche Paradigmen. Technikgenese ergibt sich zunächst aus verschiedenen Kulturen. So unterscheidet Rammert die Kultur der Naturwissenschaften, denen es auf experimenteller Basis vorrangig um Erkenntnisgewinn geht, von der der Erfinder, die eine Lösung für ein bestimmtes Problem suchen und er benennt schließlich die Kultur der Anwender, denen es auf die ökonomische Verwertung und damit auf die Marktreife ankomme (Rammert, S. 90ff). Außerdem spielen bei der Technikgenese verschiedene Leitbilder eine wesentliche Rolle: so ist es für die Ausgestaltung der Medien von entscheidender Bedeutung, ob ihre Ausgestaltung von dem Leitbild des einseitigen Transports von Informationen von einer Quelle an viele Rezipienten geprägt wird oder aber von dem Leitbild wechselseitiger Kommunikation.
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Am Beispiel der Genese des Telefons wurde gezeigt, dass im Laufe des gesellschaftlichen und ökonomischen Ausleseprozesses das Leitbild sich verändert hat. Technikgenese- und Technikwirkungsforschung sind auch auf Medien, ihre Produktionsund Verbreitungstechniken anzuwenden. Erste Hinweise dazu finden sich oben in Kapitel 2 zur Geschichte der Medienentwicklung. Schließlich ist davon auszugehen, dass sowohl die unterschiedlichen Kulturen als auch die verschiedenen, jeweils vorherrschenden Leitbilder als auch dominante ökonomische Verwertungsinteressen (oft unterstützt von der Politik) oder direkte politische Machtansprüche den Prozess der Technikgenese als sozialen Ausleseprozess prägen. Die Entwicklung und allgemeine Verbreitung des Hörfunks in Deutschland mit dem „Volksempfänger“ wurde vom nationalsozialistischen Staat und seinen eindirektionalen Propagandainteressen, die Entwicklung der informationstechnologischen hardware durch die Vergabe hoch dotierter staatlicher Entwicklungsaufträge aus dem US-amerikanischen Militärhauhalt vor allem an IBM vorangetrieben, während die Geschichte der Software-Entwicklung insbesondere durch Microsoft zunächst als private Innovation ohne staatliche Beteiligung nach dem Leitbild einer elektronischen Rechenmaschine begann. Die Entwicklung des Internet wiederum ist die Geschichte der Mutation eines spezialisierten militärischen Netzwerkes zu einem „Jedermann-Medium“: Ein Netz sucht sich seine Nutzer. Die Programme zur „Humanisierung der Arbeitswelt“ oder zur „sozialverträglichen Technikgestaltung“ waren deutsche staatliche Programme, um besonders unter Beteiligung der Gewerkschaften die Technikanwendung so zu gestalten, dass sie nicht nur nach unternehmerischen sondern auch nach Beschäftigten-Interessen ausgerichtet wurde. Damit sollte verdeutlicht werden, dass Technikentwicklung und -anwendung in gesamtgesellschaftlicher Verantwortung zu erfolgen haben. Technik selber wird aber auch als Akteur, als Struktur oder als Institution verstanden. Die Modellierung der Technik als Akteur wird verständlich, wenn man diese auf SoftwareAgenten und Roboter konzentriert. „Diese, so wird betont, lassen sich nicht mehr auf eine passive Objektrolle reduzieren, sondern sind aktiv, interaktiv oder intelligent geworden und in ihren Handlungsabläufen nicht mehr gänzlich festgelegt oder erscheinen als Interaktionspartner in Face-to-Screen-Situationen“ (Dolata und Werle, S. 18). Dieser Ansatz bedeutet, eine standardisierte Technikanwendung nicht nur als imperative Vorgabe an den Nutzungsablauf zu verstehen sondern, speziell in Bezug auf die interaktiven Technikangebote diese als eigenständige und eigenwillig „Handelnde“ zu begreifen. Wird Technik als Struktur oder System begriffen, so soll damit zum Ausdruck gebracht werden, dass technische Artefakte über eine lange Zeit wirksamen und prägenden Einfluss auf soziales Handeln haben. „Mit technischen Arrangements werden bestimmte soziale Effekte auf Dauer gestellt“ (daselbst, S. 19). Auf das Fernsehen als Medium der zeitgleichen Ausstrahlung und Rezeption übertragen bedeutet dies, dass die Hauptsendezeit ab 19 Uhr den Alltag der überwiegenden Anzahl der privaten Haushalte strukturiert in ihren Sehgewohnheiten. Im Zusammenhang des Aufkommens von Speichermedien und des Internet geht diese Strukturierung zurück und ermöglicht eine weitere Individualisierung der Mediennutzung, freilich um den Preis, dass man bei den Kollegen und Kolleginnen am Arbeitsplatz nicht mehr voraussetzen kann, dass sie am Vortag die gleiche Sendung gesehen haben – mit der Ausnahme wichtiger Fußballspiele in Deutschland.
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Strukturierung durch Technik lässt sich auch an einem anderen, verallgemeinerbaren Beispiel verdeutlichen: Der Verf. war zu einem Vortrag eingeladen und hatte 45 Minuten Zeit, seine Argumentation zu einem Thema zu entfalten. Anschließend kam der Radio-Reporter und verlangte eine Zusammenfassung in 5 Minuten. Für das Fernsehinterview standen nur 1 1/2 Minuten zur Verfügung, sodass aus dem differenzierenden Vortrag nur eine einzige „Botschaft“ überbracht werden konnte. Oder: Die Tagesschau im Fernsehen des 1. Programms dauert 15 Minuten. Für das Handy-TV wird ein Nachrichtenüberblick von 100 Sekunden Dauer zusammengefasst. Daran wird deutlich, dass die Übermittlungsbedingungen spezifischer Medientechniken allein aus sich heraus den Trend verstärken zu mehr Informationen auf allen Kanälen, aber weniger Vermittlung von Hintergrundwissen. Für netzgebundene technische Systeme wie den Rundfunk gilt nicht nur, dass sie „both socially constructed and society shaping“ seien, sondern dass sie wegen des hohen Kapital- und Organisationsaufwandes die Herausbildung hierarchischer Großorganisationen begünstigt haben (vgl. ebenda, S. 19). Dies trifft auf Buch- und Presseverlage mit ihren Druckereien aber besonders auf Rundfunkveranstalter und Telekommunikationsunternehmen zu. Für die letzteren seien durch auf der Mikro- und Optoelektronik aufsetzenden technologischen Umbrüchen Möglichkeiten der Dezentralisierung und Liberalisierung entstanden, die die monopolartigen Strukturen aufgebrochen hätten. „Das Internet bietet aufgrund seiner Struktureigentümlichkeiten als lose gekoppeltes global integriertes technisches Kommunikationsnetz eine Plattform für vielfältige kommerzielle und nicht kommerzielle Angebote, die teils in Kooperation, teils im Wettbewerb großer und kleiner Anbieter entstehen und sich oftmals hierarchischen Koordinations- und Kontrolleingriffen auf nationaler, aber auch supranationaler Ebene entziehen“ (daselbst, S. 20). Das Konzept der Technik als Institution nimmt Herrschafts- und Kontrollverhältnisse in den Blick, die oft als nicht hinterfragte Sachzwänge Verhalten nicht nur in Bezug auf Produktionsprozesse in der Fabrik prägen. Von einigen Autoren wird der Technik eine effektivere Programmierung des Verhaltens zugeschrieben als durch soziale Institutionen (vgl. daselbst, S.21). Die steuernde Wirkung der Technik bzw. ihrer Standards wird am Beispiel der Software, die das Internet und dessen Nutzung steuert, deutlich: sie wird mit der regelnden Bedeutung des Rechts gleichgesetzt – code is law. Umso wichtiger ist es besonders im Bereich der Medien, dass diese Codes den allgemeinen Zugang der Bürger zu Informationen und deren freie Kommunikation nicht behindern sondern fördern. Daraus folgt, dass ordnungspolitisch gegen proprietäre, unternehmenseigene Standards vorgegangen werden muss, weil diese nicht nur zu wettbewerbswidrigen Marktbeherrschungen führen können, sondern auch weil sie kommunikationspolitisch negative Effekte der privatwirtschaftlichen Herrschaft durch Technik über die Nutzer aufweisen. Im Bereich der Medien ist das wissenschaftliche Interesse nicht nur auf die Genese der Medientechniken und ihre gesellschaftliche „Regulierung“ zu richten, sondern es gilt die Verbindung von Techniklinien mit spezifischen inhaltlichen Angeboten zu analysieren, also z.B. in Bezug auf das Pay-TV die Verbindung von Verschlüsselungstechniken mit spezifischen Angebotsformen für Sportübertragungen oder für Filme.
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6.2 Akteure der Technikentwicklung und -gestaltung und ihr Machtpotential Aus diesen kurzen Hinweisen wird deutlich, dass auf Technikentwicklung und -anwendung sehr unterschiedliche Interessen einwirken. Je nach der in Bezug auf eine einzelne Techniklinie spezifischen Machtverteilung in diesem sozialen Prozess nimmt die Entwicklung eine eigenständige Richtung. Eine neue Techniklinie wie z.B. das Satellitenfernsehen ist daher als Resultante in einem Kräfteparallelogramm zu verstehen, das durch unterschiedliche wirtschaftliche und politische, manchmal sogar außen- und miltärpoliische Interessenartikulationen geprägt ist. Dabei spielen auch im Medienbereich Leitbilder eine wichtige Rolle. Ein solches auf Medien bezogenes Leitbild ist z.B. das der Massenkommunikation, der Verteilung von Inhalten von einem Punkt an viele ohne einen direkten Rückkanal, d.h. also ohne direkte Reaktionsmöglichkeiten auf das Angebot außer es anzunehmen oder abzulehnen. Ein diametral entgegen gesetztes Leitbild, das sich aber (zunächst) nicht als wirkungsmächtig erwiesen hat, ist das der Brechtschen Radiotheorie von 1927 – 1932, nach der jeder sowohl Sender als auch Empfänger sein sollte. Der Rundfunk war nach seinen Vorstellungen aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln. Das Radio sollte so zu einem Sprecher und Medium in einem werden: idealer weise kommuniziert es mit seinen Hörern. Auch wenn heute der Hörfunk kein einseitiges Verteilmedium mehr ist, so scheinen sich diese Vorstellungen in ihrer „Radikalität“ erst 80 Jahre später im Internet zu realisieren. • Forschung und Entwicklung Forschung und Entwicklung im Bereich von Technologien werden in staatlichen und privatwirtschaftlichen Unternehmen betrieben. In beiden Feldern werden sie dominiert von den Natur- und Ingenieurwissenschaften. Diese haben ihre eigensinnigen Vorstellungen von technischen Funktionalitäten und Standards. Dies lässt sich am Besten an den Beispielen von Fernbedienungen oder Textverarbeitungssoftware demonstrieren. Der Autor benötigt für den Fernsehempfang – terrestrisch und digital über Satteliten –, für den Videorecorder und den DVD-Player vier verschiedene Fernbedienungen mit insgesamt 143 Knöpfen, wobei z.B. für das Sattelitenfernsehen zwei Tastaturen gemeinsam angewandt werden müssen. Die Funktionalitäten eines Textverarbeitungsprogramms lassen sich numerisch nur unvollkommen erfassen. Gemeinsam ist diesen Beispielen, dass sie für den „Normalverbraucher“ zu kompliziert und zu anfällig sind. Normalerweise wird nicht mehr als 15% des technischen Potentials von den Nutzern in Anspruch genommen, drücken sie aber aus Versehen auf den falschen Knopf oder die falsche Taste, dann sind sie verloren und sind auf für den technischen Laien unverständliche „Gebrauchsanweisungen“ verwiesen. Ingenieure können sich nur schwer in die Situation eines Nutzers versetzen, dem es auf die schnelle und leichte Beherrschung von Alltagsroutinen ankommt. Ingenieure dagegen wollen ihrem Spieltrieb und ihrem Streben nach „Vollkommenheit“ und Perfektionismus nachkommen. Sie üben damit Macht über die Nutzer aus, die ihnen ausgeliefert sind, weil mögliche alternative Technikprodukte auch nur von Mitgliedern der gleichen „Ingenieurskaste“ entwickelt würden.
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• Staat Der Staat ist neben der Forschungsförderung ein wesentlicher Akteur im Bereich der Medientechnikentwicklung durch seine Entscheidungen zum Ausbau der Infrastrukturen und durch seine ordnungspolitischen Weichenstellungen in Bezug auf Telekommunikations- und Rundfunkverteilnetze und Empfangsgeräte. Insofern ist es von entscheidender Bedeutung, von welchen Leitbildern der Staat in Bezug auf die Technikgenese und -anwendung ausgeht und nach welchen Kriterien er die Rahmenbedingungen setzt. Je nach der politischen Führung in einer Koalition der Bundesregierung und je nach den Kräfteverhältnissen zwischen Bund und Ländern stehen in Deutschland ganz grob eingeteilt eher die Ziele der Förderung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Industrien der Informations- und Kommunikationstechnologien im Vordergrund – CDU/CSU – oder eher Ansätze der Nachhaltigkeit wie Sicherung der Grundrechte und des Daten- und Verbraucherschutzes – SPD –. • Wirtschaft Solange es sich um marktfähige Produkte handelt, die keine besonderen Infrastrukturen benötigen, um zu den Verbrauchern zu gelangen, sind die Interessenlagen von Unternehmen, die – meist mit Hilfe von Ingenieuren – Innovationen durchsetzen wollen eindeutig: Wer das Patent hat, hat die Macht, das entsprechende Gut zu vermarkten. Wenn es sich jedoch um Neuerungen handelt, die nur im Zusammenwirken mehrerer Unternehmen durchgesetzt werden können, so müssen in den Arenen der Aushandlung Kompromisse gefunden werden, bis alle, die für die Diffusion notwendig sind, zustimmen. Dies gilt besonders für Dienstleistungen, die auf technische oder andere Netzwerke angewiesen sind. So lässt sich z.B. nachweisen, dass bei der Entwicklung von electronic cash in einer solchen Aushandlungsarena die Verbände der Banken, der Handel und Telekommunikationsunternehmen beteiligt waren. Die Banken waren dominant und so konnten sie den Entwicklungspfad des neuen Zahlungsverkehrs nach ihren Vorstellungen ohne die Interessen des Handels und die der Verbraucher zu berücksichtigen, bestimmen (Vgl. Klein). Ähnliche Aushandlungsarenen gibt es in Bezug auf neue Medien: Bei der Einführung des Kabelfernsehens in Deutschland mussten die Kabelindustrie, die Telekom und potentielle kommerzielle Rundfunkanbieter zusammenwirken, denn potentielle Netzbetreiber waren auf zusätzliche Inhalteanbieter angewiesen und umgekehrt. In diesem Fall wurde die Durchsetzung eines neuen Mediums noch komplizierter, da die Unternehmen auch auf den Staat angewiesen waren, der die rechtlichen Voraussetzungen für kommerziellen Rundfunk erst schaffen musste. Dass auch andere technischen Lösungen für das Kabelfernsehen als die Kupferkoaxialkabelverteiltechnik möglich gewesen wären, ergibt sich auch aus der damals schon bekannten Glasfasertechnik mit weit höherer Übertragungskapazität und der Rückkanalfähigkeit. Als Alternative hätte auch damals schon die Satellitentechnologie – allerdings nicht von deutschen Unternehmen angeboten – zur Verfügung gestanden. Doch die Unternehmen der Kabelindustrie im Verbund mit der Medienpolitik von Bundespostminister Schwarz-Schilling waren ab 1984 in der Aushandlungsarena stärker. Die Folgen waren, dass zwar das kommerzielle Fernsehen durchgesetzt wurde, aber die Kabel subventio-
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niert, später nachgerüstet und ganze Netze verkauft werden mussten: Aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive eine gigantische Fehlinvestition. Systematisch wird in Bezug auf wirtschaftliche Interessen zwischen sechs verschiedenen Strategien und entsprechenden Leitvorstellungen unterschieden. 1. game-electronic-strategy ab 1977: der private Haushalt wird als Unterhaltungsort verstanden und dementsprechend soll vor allem an Jungen und erwachsene Männer Unterhaltungsspielzeug verkauft werden. 2. children`s education focus strategy: Der private Haushalt wird hier als Lehr- und Lerneinheit modelliert. 3. office technology strategy: hier wird der private Haushalt als Arbeitsort verstanden und er soll dementsprechend technologisch – off- und online – aufgerüstet werden. 4. home information systems strategy: Der private Haushalt wird hier schwerpunktmäßig als Informations- und Kommunikationszentrum verstanden. 5. consumer electronic interchange strategy ab 1987: Hier sollen – auch durch die Digitalisierung ermöglicht – die Unterhaltungselektronik des Rundfunks und die Informationstechnik der Telekommunikation und des Computers eine Verknüpfung eingehen. 6. home of the future strategy: Hier werden zusätzlich zur 5. Strategie Überwachungs- und Steuerungsfunktionen im privaten Haushalt integriert. (Vgl. Mettler-Meibom, S. 56ff). Diese unterschiedlichen Strategien spiegeln unterschiedliche Interessen einzelner Branchen wieder. Sie sind heute nur in Kombinationen und bisher keinesfalls durchgängig anzutreffen. Sie verdeutlichen jedoch, wie Leitbilder, an die sich die Konsumenten anpassen sollen, strukturierend wirken.
6.3 Wissenschaftliche Politikberatung und Begleitforschung Immer dann, wenn – wie z.B. bei der Entwicklung von Infrastrukturen im Kommunikationsbereich – eine reine Technikdiffusion nach Marktgesetzmäßigkeiten nicht erfolgen kann oder aber Befürworter und Gegner spezifischer Techniklinien sich die Waage halten, wie Anfang der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts in Bezug auf das Kabelfernsehen, sind staatliche Institutionen – Bundes- oder Landesregierungen oder Parlamente – auf die Idee verfallen, sich wissenschaftlich beraten zu lassen, sei es in der Form von Gutachten, sei es von pluralistisch zusammen gesetzten Kommissionen, sei es durch die wissenschaftliche Begleitung von Pilotprojekten. So sollen einerseits gegenseitige Blockaden aufgehoben werden und andererseits Konsensbildungsprozesse gerade in Bezug auf Zukunftsperspektiven befördert werden. Die wissenschaftliche Politikberatung und die Begleitforschung zu Pilotprojekten mit Informations- und Kommunikationstechnologien soll hier nur insofern behandelt werden als Fragen des Medienwettbewerbs und der Medienkonzentration und ihrer Regulierung berührt werden.
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• Kommissionen – Kommission für den Ausbau des technischen Kommunikationssystems (KtK) 1974/76 In der pluralistisch zusammengesetzten Expertenkommission auf Bundesebene – Vertreter der Wissenschaft, der nachrichtentechnischen Industrie, der Gewerkschaften, der Politik, der Presseverbände, der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten – ging es zunächst um Empfehlungen zu den Prioritäten des Ausbaus der Telekommunikation. Die Kommission hat sich vorrangig auf Vorschläge für den Ausbau der Telefoninfrastruktur verständigt und die beschleunigte Einführung von Fax und Bildschirmtext im Bereich der Individualkommunikation befürwortet. Während die Vertreter der Industrie im dem Krisenjahr 1974 den Vorschlag einer Breitbandverkabelung der Bundesrepublik als staatliches Investitionsprogramm in der Größenordnung von 300 Milliarden DM favorisierten, die Vertreter der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten dagegen strikt gegen die Schaffung neuer Rundfunkverteilinfrastrukturen waren, weil sie den Weg für kommerzielle Konkurrenz nicht mit bahnen wollten, hat sich die Kommission auf den Vorschlag von Kabelfernseh-Pilotprojekten verständigt, um den Bedarf nach neuen inhaltlichen Angeboten und erweiterten Verteilinfrastrukturen unter wissenschaftlicher Begleitung zu testen. Für die einen wurde dieser Vorschlag als Einstieg in das kommerzielle Fernsehen, für die anderen als Möglichkeit der umfassenden gesellschaftlichen Diskussion über Nutzen und Schaden kommerzieller Rundfunkangebote verstanden. In dieser Auseinandersetzung haben sich diejenigen durchgesetzt, die für kommerzielle Medieninteressen den Markt öffnen wollten. Gleichzeitig wurde in dem Zusammenhang des Ausbaus von Netzinfrastrukturen über deren Regulierung diskutiert – die Kontroverse lautete: Dienstewettbewerb auf Netzinfrastrukturen oder Wettbewerb der Netze – jeweils Telekommunikations- bzw. Kabelfernsehnetze. Mit der letzteren Alternaive sollte die Privatisierung der Deutschen Telekom vorbereitet werden, auch wenn auf Grund der hohen Infrastrukturkosten die Vorstellung, dass die Nutzer real zwischen verschiedenen Netzen auswählen können, absurd ist. Es bleibt dann nur die erste Alternative bzw. die Regulierung der Entgelte für die Vermietung der (Mit)nutzung der Netze an Wettbewerber. – Enquete-Kommission des Bundestages Im Frühjahr 1981 beschließt der Deutsche Bundestag die Einsetzung der Enquete-Kommission „Neue Informations- und Kommunikationstechniken“ unter dem Vorsitz des CDU-Medienpolitikers und späteren Bundespostministers Schwarz-Schilling. Sie hat den Auftrag, die Probleme der neuen Informationstechniken unter rechtlichen, gesellschaftspolitischen, wirtschaftlichen, finanziellen, technischen und organisatorischen Aspekten national wie international darzustellen und Empfehlungen zu erarbeiten. Die Kommission hat vorrangig Expertenanhörungen durchgeführt. „Diese Kommission war praktisch nicht arbeitsfähig, da sie von beiden politischen Lagern instrumentalisiert wurde und in ihrem als Zwischenbericht gedachten Endbericht widersprüchliche Ergebnisse und Sondervoten veröffentlichen musste. Über-
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dies fiel die Arbeit der Kommission in die Zeit des Regierungswechsels“ (Tonnemacher, S. 220). • Begleitforschung zu Pilotprojekten – Bildschirmtext (BTX) Die Entwicklung von Bildschirmtext ist deshalb von Bedeutung, als es sich um einen frühen Vorläufer des Internet handelt. Nachdem die KtK 1976 die Erprobung von Bildschirmtext – individueller Abruf von Textinformationen und einfachen Graphiken aus Speichern über die Telefonleitung auf den Fernsehschirm, Kurzdialog mit Datenbanken – empfohlen hatte, wurden zwei Feldversuche durchgeführt. Der eine fand in Düsseldorf /Neuß statt von 1980 bis 1983, der andere in Berlin. In § 3 Bildschirmtextversuchsgesetz NW wurde festgelegt, dass der Feldversuch wissenschaftlich begleitet und ausgewertet wird. „Neben den Auswirkungen im Medienbereich sind insbesondere auch die sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Folgen zu untersuchen“. In der sechsköpfigen Begleitforschungskommission waren Kommunikationswissenschaftler, Soziologen und ein Wirtschaftswissenschaftler vertreten. Dieser neue Ansatz im Umgang mit einer neuen Technik ist durch folgende Merkmale gekennzeichnet: • Vormarktmäßiger Einführung der Technik sollten die möglichen Wirkungen in Pilotanwendungen untersucht werden, um eventuell notwendigen Regelungsbedarf rechtzeitig zu erkennen. Dies setzte voraus, dass während des Feldversuches die Rahmenbedingungen konstant gehalten wurden, um Veränderungen durch neue technische Kommunikationsdienste messen zu können und dass keinerlei Einführungsentscheidungen während der Laufzeit der Pilotanwendungen getroffen werden, um Präjudizierungen zu vermeiden, zwei Voraussetzung, die im realen Leben kaum einzuhalten sind. • Im Vordergrund standen Fragen insbesondere nach den Auswirkungen auf die Presse, aber der Auftrag der Begleitforschung war umfassend beschrieben: er bezog sich auch auf soziale, kulturelle und wirtschaftliche Folgen und verlangte daher nach einer integrativen Betrachtungsweise. • Für den Landesgesetzgeber ging es um den Nachweis der originären Regelungskompetenz. Dies wurde einerseits mit der Ähnlichkeit von Bildschirmtext zum Rundfunk begründet – ausgehend von einem von der Technik der Übertragung her abgeleiteten Rundfunkbegriff, andererseits auf die Zuständigkeit der Länder gestützt, wenn dem Bund nicht eine ausdrückliche Kompetenz im Grundgesetz zugewiesen ist. Es ging also darum, das Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen, das die Infrastruktur für Bildschirmtext bereitstellte, auf eine ausschließlich dienende Funktion gegenüber den Länderkompetenzen zu verweisen. Die wissenschaftliche Begleitforschungskommission hat unter den Aspekten der Stärkung der Position der Nutzer der neuen Technik und damit der Begrenzung der Macht der Anbieter folgende Feststellungen und Empfehlungen ausgesprochen: • Es wird empfohlen, bildschirmtext-spezifische Regelungen des Datenschutzes vorzunehmen. Es ging darum, von vorneherein zu verhindern, dass aus der Nutzung von Bild-
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schirmtext – z.B. Abruf spezifischer Seiten, home banking etc. – Profile der Teilnehmer erstellt werden. Die Vermarktung des „gläsernen Konsumenten“ sollte unterbunden werden. • Zur Absicherung der Verbraucher wird empfohlen, Gebühren und Seitenentgelte für jeden Abrechnungszeitraum aufzuzeichnen. In dem hier vorliegenden Konflikt mit dem Datenschutz soll der Verbraucherschutz Vorrang haben und nicht nur – wie Datenschützer fordern – in Ausnahmefällen eine Aufzeichnung für den nächstfolgenden Abrechnungszeitraum erfolgen. Allerdings dürfen die aufgezeichneten Daten nur im juristischen Konfliktfall an den Anbieter weitergegeben werden und sind ansonsten nach Abrechnung zu löschen. • Durch die technische Systemgestaltung, die Gebührenregelung und durch rechtliche Vorschriften soll erleichtert werden, dass Werbeinhalte für den Verbraucher eindeutig identifizierbar und ohne Kosten erreichbar sind. • Da wegen der hohen Kosten die Gefahr besteht, dass Service- und Beratungsdienste nicht gewinnorientierter Anbieter sich nicht in ausreichendem Maße entwickeln, werden Maßnahmen zu ihrer Förderung empfohlen. Um auf der Anbieterseite den Wettbewerb zu fördern, sollte die Gebührengestaltung durch die Deutsche Bundespost so erfolgen, dass nicht eine einseitige Nutzung von BTX durch Großunternehmen und große Anbieter begünstigt wird. Wünschenswert ist, so die Kommission, dass Betriebe und Wirtschaftsbereiche, die informationstechnologisch noch unterentwickelt sind, durch BTX eine Starthilfe zur Nutzung des Potentials der EDV erhalten. Weiter wird festgestellt, dass die BTX-Entwicklungen nicht vorwiegend unter medienpolitischen Aspekten gesehen werden sollten. Infolgedessen sollten das technische System und die rechtlichen Vorschriften so gestaltet sein, dass auch „pressespezifische“ Angebotsformen ermöglicht werden (vgl. Abschlußbericht Bd. 1 und 10 Anlagebände). Die Vorschläge der Kommission stellen eine wohl abgewogene Mischung aus Innovationsförderung und Experimentierfreude einerseits und vorbeugendem Schutz der potentiellen Nutzer vor Machtmissbrauch durch Anbieter von Inhalten und Diensten dar. Der Bildschirmtextstaatsvertrag der Bundesländer aus dem Jahre 1983 folgt im Wesentlichen dieser Linie der „sozialverträglichen“ Einpassung eines neuen „Mediums“ in vorhandene gesellschaftliche Kommunikationssysteme und Wirtschaftsstrukturen. – Kabelfernsehen Auf Grund der Empfehlung der KTK wurden Mitte der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts vier Pilotprojekte mit der damals neuen Verteiltechnik für Rundfunkprogramme durchgeführt: In Dortmund, Ludwigshafen, München und Berlin. Es ging vorrangig um die Erprobung unterschiedlicher inhaltlicher Angebote: Lokalfernsehen des WDR in Dortmund; kommerzielle Rundfunkangebote in Ludwigshafen und München, insbesondere durch die Veranstaltergemeinschaft der Presseverleger als Anbieter von Sat 1 und um die Frage nach der entsprechenden Ausgestaltung der technischen Infrastrukturen. Die umfassendste Begleitforschung wurde in Dortmund durchgeführt auf Grund des Auftrages gemäß § 1 Abs. 2 des Kabelversuchsgesetzes NW vom 20.12.83: „Der Modellversuch soll die Entscheidung über eine künftige Nutzung der Breitbandtechnik vorbereiten. Er dient dem
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Zweck, wissenschaftliche Erkenntnisse über die Nutzungsmöglichkeiten und die Wirkungen bei der Nutzung dieser Technik 1. auf den Einzelnen, die Familie und das gesellschaftliche Leben, 2. auf die bestehende Medienstruktur, insbesondere Presse und Film, 3. auf die bestehende Wirtschaftsstruktur, den Arbeitsmarkt und die Entwicklung der Informationsbeziehungen, 4. hinsichtlich neuer Organisations- und Finanzierungsformen zu gewinnen“. Die Kommission hat nach fast fünfjähriger intensiver Begleitforschung umfassend zu allen aufgeworfenen Fragen Feststellungen und Empfehlungen ausgesprochen. Zu den technischen Rahmenbedingungen für die Rundfunkentwicklung heißt es: „Ausgehend von Übertragungswegen ist der internationale Trend zu HDTV (dem hoch auflösendem Fernsehen) eindeutig und vollzieht sich schneller als erwartet“. Die Bundesrepublik hat die Chance, in dieser Technik, die im Wesentlichen auf Glasfaser-Übertragungswege angewiesen ist, eine führende Wettbewerbsposition einzunehmen, weitgehend verspielt. In der Bundesrepublik waren – im Gegensatz zu anderen Ländern – Ende der siebziger Jahre auf Grund der politischen Entscheidung für die Kupferkoaxialkabeltechnik kaum Breitbandkabelnetze, die für HDTV-Übertragung – hochauflösendes Fernsehen mit Rückkanälen – geeignet sind, aufgebaut. Vor diesem Hintergrund hätte unter Wettbewerbsgesichtspunkten die Chance bestanden, durch Überspringen der Kabelverteiltechnik Investitionsmittel für die Infrastruktur des zu erwartenden großen Marktes für HDTV einzusetzen und den zwischenzeitlich realen Bedarf an Übertragungskapazität durch andere Systeme (Satellit, Großgemeinschaftsantennenanlagen, terrestrische Frequenzen) zu decken. Ursprünglich sollten die Kabelpilotprojekte Ergebnisse hinsichtlich des Bedarfs nach neuen Fernsehprogrammen liefern, auf deren Grundlage ein sinnvoller Ausbau der technischen Infrastruktur hätte stattfinden können. Diese Pläne wurden durch die vorzeitige Entscheidung der Deutschen Bundespost (DBP) von 1984 für eine kostenintensive Koaxialbreitbandverkabelung obsolet. Die BK-Netze werden selbst nach bewusst positiven Berechnungen der DBP frühestens in 18 Jahren Kostendeckung erreichen und sind mit erheblichen wirtschaftlichen Risiken behaftet angesichts der entstehenden Konkurrenzsituation, insbesondere durch Satelliten. Bis dahin ist nach seriösen Schätzungen für die DBP mit jährlichen Verlusten von weit über 1 Milliarde DM pro Jahr aus den BK-Netzen zu rechnen. Die Übertragungsnetze stellen den wichtigsten, aber auch den finanziell aufwendigsten Teil des gesamten Systems der Rundfunkverteilung dar. Das heute in der Bundesrepublik bestehende unkoordinierte Mit-, Neben- und Gegeneinander der verschiedenen Übertragungssysteme führt zu einer Verschwendung volkswirtschaftlicher Ressourcen. Eine wirtschaftlich zu rechtfertigende Ausbaustrategie im Sinne des Betreibers der Infrastruktur ist nur möglich, wenn Konsens über Zahl, Art und Weise der in der Bundesrepublik zu verteilenden Rundfunkprogramme entsteht. „Ausgehend von der weiter bestehenden öffentlichen Verpflichtung der Deutschen Bundespost für den Ausbau der Infrastruktur, ausgehend von der dienenden Funktion des Infrastrukturausbaus im Rundfunkbereich gegenüber der medienpolitischen Verantwortung der Bundesländer und aufgrund einer volkswirtschaftlichen innovationsorientierten Betrachtungsweise kommt die Kommission zu folgenden Überlegungen:
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– Die DBP sollte im Rahmen ihres Infrastrukturauftrages ein bundesweites, d.h. flächendeckendes Netz für die Übertragung von sechs bis sieben Fernsehprogrammen anbieten. Dies bedeutet, dass neben den drei vorhandenen terrestrischen Netzen und dem Ausbau weiterer terrestrischer Frequenzen die Inbetriebnahme des TV-Sat hierauf zu verrechnen ist. – Da der Infrastrukturauftrag zur Sicherung einer gewissen „Grundversorgung“ mit Rundfunkprogrammen so erfüllt werden kann, sollte der weitere Ausbau von Breitband-Koaxialkabelnetzen durch die DBP mit Ausnahme der Arrondierung einzelner Gebiete gestoppt werden. Der weitere Ausbau der BK-Netze sollte nicht weiter als öffentliche Infrastrukturaufgabe angesehen werden. – Die DBP sollte ihre Investitionsmittel, statt sie in BK-Netzen zu binden, dafür einsetzen, dass in der Bundesrepublik Deutschland frühzeitig eine sowohl industriepolitisch als auch medienwirtschaftlich wichtige Infrastruktur für HDTV geschaffen wird, sobald hinsichtlich der technischen Standards die notwendigen Voraussetzungen gegeben sind…“ (F 44 f. und F 47f, Abschlußbericht I, S.38ff). Zur Rundfunkstrukturentwicklung, Rundfunkökonomie und Medienpolitik heißt es: „Die weitere Entwicklung des kommerziellen Werbemarktes für Rundfunkveranstalter wird entscheidend von den technischen Reichweiten beeinflusst. Der Ausbau der Infrastruktur für die Rundfunkübertragung determiniert das Potential der Anbieterzahl und damit mehr oder weniger auch die Pluralität der Programmangebote. Nach den Forschungsergebnissen kann eine Konzentration auf wenige bundesweite private Fernsehveranstalter (am wahrscheinlichsten sind zwei) vermutet werden. Weitere Ergebnisse eines Vergleichs der Organisation zur Lizenzierung und Kontrolle privatwirtschaftlicher Rundfunkveranstalter legen nahe, dass die beiden bundesweiten Veranstalter SAT 1 und RTL plus mit Verlagen aus dem Printbereich eng verflochten sind und dass diese beiden Privatveranstalter bei der Lizenzierung, sowohl was Kabelübertragungen als auch was terrestrische Frequenzen angeht, bevorzugt behandelt wurden“. Weiter stellt die Kommission einmütig fest: „Damit sind alle medienpolitischen Wünsche nach Trennung unterschiedlicher Informationsquellen im Printbereich und im Bereich elektronischer Medien („mediale Gewaltenteilung“) unrealistisch geworden. Außerdem stellt die medienökonomische Konzentration besondere Probleme an Aufsicht und Kontrolle, da der Außenpluralismus bei so geringer Anzahl von Veranstaltern nicht funktionsfähig ist, sich aber auch alle anderen Auflagen hinsichtlich der Breite und Vielgestaltigkeit des Programms als wenig durchsetzungsfähig erwiesen haben. Die Konkurrenz zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunkveranstaltern findet nicht mit gleichen Mitteln und auf den gleichen Märkten statt. Beide Veranstaltertypen haben je unterschiedliche Adressaten (zum einen die Bürgerinnen und Bürger zum anderen die Konsumentinnen und Konsumenten) und sie tragen die Konkurrenz mit unterschiedlichen Mitteln (Werbeform, Programmformate) aus. Das Bundesverfassungsgericht hat in Kenntnis dieser Situation eine asymmetrische Regulierung gefordert: Es müsse gesichert werden, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die Grundversorgung gewährleisten können. Dafür sei eine ausreichende finanzielle Basis erforderlich. Asymmetrische Regulierung ist also erforderlich, um Wettbewerbsgleichheit herzustellen. Die Etablierung von zwei bundesweiten privaten Rundfunkveranstaltern führt nicht nur zu relativen Anteilsverlusten öffentlich-rechtlicher Veranstalter am Werbemarkt, sondern zu abso-
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luten. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten geraten zusehends in die Klemme zwischen zurückgehender Werbungsfinanzierung, erhöhten Kosten durch die Konkurrenz z.B. bei Sportübertragungen und als unzureichend erachteten Gebührenerhöhungen. Im Anwendungsprozeß der Landesmediengesetze durch die Landesmedienanstalten zur Lizenzierung und Aufsicht über privatwirtschaftlichen Rundfunk haben sich eine Reihe immanenter und struktureller Probleme ergeben. Zu den immanenten Problemen gehören u. a. die faktisch gegebenen politischen Einflussnahmen, die einseitige Auslegung der Gesetze nach wirtschaftsrechtlichen (Vielfalts-)Kriterien, ohne dass ökonomische Verflechtungen und Konzentrationsprozesse aufgedeckt und verhindert wurden. In einzelnen Bundesländern sind regionale Konzentrationsprozesse (Doppelmonopole zwischen privatwirtschaftlicher Presse und Rundfunk) festzustellen, die den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an die Rundfunkfreiheit widersprechen. Gleiches ergibt sich bei Betrachtung der einzelnen Anbietergemeinschaften bzw. der sich herausbildenden Ketten, die nur Öffnungen von einzelnen regionalen Fenstern ermöglichen, ohne damit neue Quellen der Information zu erschließen. Zu den immanenten Problemen gehören auch die Überforderungen der Landesmedienanstalten mit vorherigen Prognosen in Bezug auf die Vielfaltssicherung bei Lizenzvergabe einerseits und durch sich dynamisch entwickelnde Marktprozesse, z.B. bei den Werbeformen andererseits. Zu den strukturellen Problemen gehören die grundsätzlichen Spannungen zwischen medienökonomischen Rentabilitäts-, Konzentrations- und Werbungsfinanzierungs-Imperativen einerseits und verfassungsrechtlichen Vorgaben zur rundfunkrechtlichen Sicherung von Rundfunkund Meinungsfreiheit andererseits. Die bisherige Lizenzierungs- und Kontrollpraxis hat gezeigt, dass die Landesmedienanstalten sich den ökonomischen Mechanismen des „Regelfeldes“ anpassen, und d. h. dass die Mediengesetze einseitig nach wirtschaftlichen Kriterien – Standortfragen, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, Bildung von Anbietergemeinschaften – ausgelegt werden und dabei die inhaltlichen Maßstäbe nach publizistischer Vielfalt und Verhinderung von vorrangiger Meinungsmacht verloren gehen. Den Landesmedienanstalten in den meisten Bundesländern ist es weder gelungen, bei der Lizenzierung der privaten Rundfunkanbieter Meinungsvielfalt zu sichern, bei den tatsächlich gesendeten Programmen für publizistische Vielfalt zu sorgen, noch haben sie vermocht, Konzentrationsentwicklungen zu verhindern, obwohl gerade nach den BVerfG-Urteilen aus dem Jahre 1987 Konzentrationsvermeidung im Vordergrund der rundfunkrechtlichen Bemühungen gegenüber dem privatwirtschaftlichen Rundfunk stehen müsste. Der gegenwärtige Zustand widerspricht deshalb den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Es zeigt sich aber auch, dass diese Vorgaben mit der Realität des „dualen“ Rundfunksystems nicht zu vereinbaren sind. Aufgrund des umfassenden Sachnachweises wird das Bundesverfassungsgericht zum einen die immanenten Defizite der gegenwärtigen Lizenzierungs- und Kontrollpraxis anerkennen und sich zum anderen mit dem strukturellen Widerspruch zwischen Rundfunkfreiheit einerseits und Marktfreiheit andererseits auseinandersetzen müssen. „… Der Gesetzgeber muss für neue Organisationsformen sorgen, die eine effektive binnenplurale Ausgestaltung sichern, den Versuch also aufgeben, Außenpluralismus mit Hilfe wirt-
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schaftsrechtlicher Anforderungen durchzusetzen. Rundfunkfreiheit geht Marktfreiheit vor.“ (F10 bis F13, F16 und 17, ebenda S. 20ff) Zu den Auswirkungen erweiterter Programmangebote auf den einzelnen, das Familienleben und soziale Lebenslagen heißt es: „Für pädagogisch bedenklich hält die Kommission, wenn sich neue Habitualisierungen von Programmvorlieben bei Kindern einschleifen, weil bei vermehrtem Programmangebot Kindersendungen nicht mehr an erster Stelle stehen…. Das Mediennutzungsverhalten wird entscheidend vom sozialen Kontext bestimmt. Bedeutsame Einflussgrößen sind hierbei sozialer Status, auch Schicht genannt (Schulbildung, Ausbildung, Berufsposition, Einkommen); damit verbunden die Wohngegend und die Wohnsituation, aber auch Strukturen und Habitualisierungen der Interaktion in Gruppen (Familien) und bei allein stehenden Personen. Ohne die Berücksichtigung dieser so genannten Kontextvariablen ist die Interpretation von Mediennutzungsstrukturen nicht möglich. Es bestätigt sich die allgemeine Vermutung, dass die Mediennutzung für einzelne Gruppen sehr unterschiedlich ist. Entgegen der in der kommunikationswissenchaftlichen Diskussion vorherrschenden Hypothese von der so genannten Wissenskluft („knowledge-gap“) erscheint es der Kommission angemessener, von „soziokultureller Polarisierung“ zu sprechen, weil damit nicht nur kognitive, sondern auch soziale und emotionale Differenzen angesprochen werden“. Die Kommission fährt zusammenfassend fort: „Es hat sich in allen Untersuchungen gezeigt, dass es Nutzer gibt, die die erweiterten Programmangebote per Kabel, wie die Informations- und Kommunikationstechnologien insgesamt, produktiv für sich anwenden. Das heißt, sie ziehen sozialen, kommunikativen, emotionalen und beruflichen Gewinn, ohne dass bisher Beeinträchtigungen festzustellen sind. Es gibt aber Gruppen in sozialen Problemsituationen, für die eher das Gegenteil gilt. Hier kann ein – prinzipiell wertfrei zu betrachtender – erheblich erweiterter Medienkonsum Indikator sein für soziale Isolation (ältere Menschen, Arbeitslose), für die unzureichende Bearbeitung u. a. latenter Ängste und Unsicherheiten. Die unterschiedliche Ausstattung mit „Bildungskapital“ scheint hierbei eine zentrale Rolle zu spielen. Je höher der Bildungs- und Berufsstatus, desto produktiver werden die neuen Medienangebote bewältigt. Umgekehrt gilt: Je niedriger der Bildungs- und Berufsstatus ist, desto größere Unsicherheiten und Ambivalenzen sind mit dem erweiterten Medienangebot verbunden. Es führt eher zur Desorientierung und zum Zurückweichen auf gewohnte Verhaltensstrukturen.“ (F 34 bis 36, ebenda, S. 32ff). Zu den übergreifenden Aspekten wird festgestellt:“ Die Kommission sieht sich nach mehr als vierjähriger Arbeit in ihrer Ausgangshypothese bestätigt, dass Medienpolitik sich verstärkt als integratives Politikkonzept aus Medienordnungs-, Technologie-, Wirtschaftsstruktur-, Wissenschafts-, Bildungs- und Sozialpolitik darstellen sollte. In diesem Sinne setzt Medienpolitik eine neue Form von Kommunikationspolitik voraus. … Die Begleitforschung zum Dortmunder Modellversuch beruht auf einer Verknüpfung von Anbieter-, Angebots- und Nutzungsanalysen und darauf bezogenen Untersuchungen zu den Auswirkungen. Bewertungen zum Modellversuch insgesamt stützen sich auf die Verbindung qualitativer Ergebnisse aus allen vier Untersuchungsbereichen. Aus einer derartigen Verknüpfung lassen sich resümierend eine Reihe von Schlussfolgerungen hinsichtlich des engeren Untersuchungsgegenstandes „Kabelfunk Dortmund“ und der von ihm produzierten Lokalprogramme ableiten.
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• Die Anbieteranalyse (Kommunikatorenebene) hat ergeben, dass in einer dezentralen Einheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wie dem „Kabelfunk Dortmund“ relativ kostengünstig von engagierten Programmmachern, die einer hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt waren, ein attraktives und vielfältiges lokales Hörfunk- und Fernsehprogramm produziert werden kann. • Die Inhaltsanalyse dieser Lokalprogramme hat gezeigt, dass der lokale Rundfunk gegenüber Zeitungen ein eigenständiges Programmprofil mit lokalen Informationsangeboten entwickeln kann. • Diese Lokalprogramme wurden insgesamt vergleichsweise intensiv genutzt. Sie konnten sich in der Programmgunst vor allem gegen die WDR-Regionalprogramme behaupten. • Der Kabelfunk Dortmund und die von ihm produzierten Lokalprogramme haben auch zu eindeutig feststellbaren Veränderungen u. a. in der politischen Kultur in Dortmund geführt. • Der Kabelfunk Dortmund ist unter den Gesichtspunkten von Programmorganisation und produktion, inhaltlicher Ausgestaltung und Publikumsresonanz als erfolgreiches Experiment lokalen Rundfunks in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft zu bewerten. Dies gilt insbesondere auch in seiner Konkurrenz zu kommerziellen privatwirtschaftlichen Programmen. Der Kabelfunk Dortmund ist insgesamt als eine positive kommunikationspolitische Innovation zu werten.“ (F 5 bis 7, ebenda, S. 17f.). Diese Feststellungen und Empfehlungen werden hier deshalb so ausführlich wiedergegeben, weil sie einerseits einen integrativen Ansatz der sozialwissenschaftlichen Technikforschung durch das Zusammenwirken von Sozial-, Wirtschafts- und Ingenieurswissenschaftlern demonstrieren, und weil andererseits die strukturellen Probleme der Aufsicht und Kontrolle über kommerziellen Rundfunk schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt bei der Einführung des privatwirtschaftlichen Rundfunks klar herausgearbeitet wurden. Des weiteren sind diese Feststellungen und Empfehlungen hier so ausführlich zitiert, weil die damaligen Erkenntnisse und Desiderata auch heute noch aktuell sind, und weil die reale Entwicklung über diese Feststellungen und Empfehlungen einfach „hinweg gegangen“ ist, was die Praxis der Zulassung kommerzieller Anbieter betrifft und was die weitgehende Funktionsunfähigkeit der Landesmedienanstalten angeht. Dies ist nur zu erklären durch politische Entscheidungen zum NichtHandeln wider besseres Wissen unter dem Druck von handfesten Interessen. Zu klären ist, ob in der Zwischenzeit die reale Entwicklung sowohl auf den Rundfunkmärkten als auch im Bereich der Regulierung sich so verändert hat, dass die von der Kommission hier geäußerte fundamentale Kritik nicht mehr aufrecht erhalten werden kann. Das Kabelpilotprojekt Dortmund hat unabhängig von diesen Fragen zweierlei positive Wirkungen gezeitigt. Zum einen konnte und kann kein Politiker in Bezug auf seine medienpolitischen Entscheidungen sich darauf zurückziehen, er habe nicht gewusst, welche Folgen sein Handeln beim Ausbau der BK-Netze und bei der Zulassung des kommerziellen Rundfunks haben werde. Zum anderen ist demonstriert worden, dass öffentlich-rechtliches Lokalbzw. Regionalfernsehen möglich ist und einen Zugewinn an medialer Vielfalt darstellt und von den Bürgern gut angenommen wird.
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– ISDN Der Übergang vom analogen Telefon zu „Integrated Services Digital Network“ (ISDN), dem damals schnellen Daten- und Kommunikationsnetz auf digitaler Basis ist Anfang der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts von der Deutschen Telekom als Infrastruktur verstanden worden nach dem Motto: Wir bieten eine Verbindung bis zur Steckdose; wie der Dienst dann genutzt wird, ist Sache der Anwender. Die Landesregierung NRW hatte bald erkannt, dass so eine schnelle Diffusion dieser leistungsfähigen Technik nicht erreicht werden würde. Sie hat deshalb eine interdisziplinär zusammengesetzte Forschungskommission berufen, deren Aufgabe es war, Anwendungen vorrangig in Unternehmen und Verwaltungen – mittelständische Handelsunternehmen, Versicherungen, Druck- und Verlagswesen, Krankenhäuser und kommunale Verwaltungen – als Pilotprojekte mit Modellcharakter zu fördern. Die Anforderungen an die Kommission lauteten: • „Aufschluss zu geben über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und die Leistungsgrenzen der ISDN-Kommunikationssysteme, und über die Einsatzmöglichkeiten und jeweiligen Anwendungsvoraussetzungen des ISDN; • Orientierungswissen dafür zu erarbeiten, dass die Modernisierungs- und Wachstumschancen, die in der Herstellung und Anwendung der neuen Kommunikationstechniken liegen, ausgeschöpft werden können; • wissenschaftliche Erkenntnisse über mögliche Gefahren und Risiken, über die Notwendigkeit Risiko mindernder Maßnahmen und über technische und organisatorische Gestaltungsoptionen beim Einsatz der ISDN-Technik an (Büro)Arbeitsplätzen zu gewinnen; • Anstöße und Diskussionsgrundlagen für einen öffentlichen Dialog zwischen Technikherstellern und -anwendern, Arbeitnehmern und Arbeitgebern sowie Wissenschaftlern und Politikern über die Chancen und Risiken der neuen Informations- und Kommunikationstechniken zu liefern“ (Lange, Grimmer, Kaderali, Rock, Schumm-Garling, Strunz, Baron, S. 19f.) Die ISDN-Kommission ging bei ihrer Arbeit von einem breiten Technikverständnis aus, bei dem es um die Einbindung von ISDN-Anwendungen in komplexe sozio-technische und sozio-ökonomische Systeme geht, bei denen organisatorische und soziale Fragen berücksichtigt werden. Die Kommission hat sich auf Grund der in den Pilotanwendungen gemachten Erfahrungen dafür ausgesprochen, Technik und Organisation simultan, unter Berücksichtigung des jeweiligen Wechselverhältnisses, zu optimieren, um das wirtschaftliche Potential von Reorganisationsprozessen im Zusammenhang von neuen Technikanwendungen voll auszuschöpfen. Dabei orientierte sie sich an einem arbeits- bzw. lernorientierten Leitbild und ging davon aus, dass Informations- und Kommunikationstechniken gestaltbar sind und zwar sowohl hinsichtlich der Konfiguration der Technik als auch hinsichtlich der Einbindung in organisatorische Prozesse der Arbeitsabläufe als auch hinsichtlich der rechtlichen Rahmenbedingungen. „Die Kommission sieht in dem Verhältnis von Standardisierung und Liberalisierung keinen prinzipiellen Widerspruch. Wettbewerb entfaltet vor allem auf der Basis akzeptierter Standards seine volle ökonomische Effizienz. Dies zeigt insbesondere auch der Stand der Standardisierung im ISDN, der weltweit als führend bei Infrastrukturtechnologien angesehen werden kann“(daselbst, S. 26). Die Kommission tritt angesichts der blutleeren ordnungspolitischen
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„Modelle“ des freien internationalen Welthandels dafür ein, Innovationen in den Bereichen der Datenverarbeitung und der Endgeräte zu fördern, da die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit von deutschen Unternehmen in diesen Bereichen zu beklagen sei. „Beim Konkurrenzkampf auf dem Weltmarkt zumindest im Bereich der IuK-Technologien handelt es sich vorrangig um einen Machtkampf um Marktanteile, der besonders aus Fernost von strategischen Allianzen aus Unternehmensverbünden und staatlichen Stellen dominiert wird. In derartigen Auseinandersetzungen gilt es, einseitige Abhängigkeiten von Anbietern von Schlüsseltechnologien zu vermeiden. Dies kann auch erreicht werden, wenn die „heimischen“ Unternehmen selber auch in wichtigen Bereichen der Schlüsseltechnologien am Markt führend sind. Eine weitere wichtige Bedingung der Sicherung von Wettbewerb und Standort ist die Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen proprietären Lösungen und solchen Lösungen, die offene Netzzugänge und Kompatibilität sichern. Hier plädiert die Kommission grundsätzlich für offene Netzzugänge und die Sicherung von weitestgehender Kompatibilität. ISDN ist ein solcher offener Standard“ (daselbst, S. 27). Bezüglich der sich damals abzeichnenden Konvergenz von IuK-Techniken und Rundfunkverteiltechnik verweist die Kommission auf die zentrale Aufgabe von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, neue ökonomisch vernünftige und gesellschaftlich wünschenswerte Verantwortungs- und Regulierungszuschnitte zu entwickeln. Der ganzheitliche Ansatz der Kommission hat sich bewährt, indem einerseits erkannt wurde, dass durch den Versuch, proprietäre Industriestandards am Markt durchzusetzen, Herrschaft über Wettbewerber und Anwender ausgeübt wird und indem praxisbewährte Vorschläge für Reorganisationsprozesse bei Anwendern gemacht wurden, die auch zu neuen Berufsbildern geführt haben (Zu den Details vgl. die Publikationen in der Schriftenreihe der Kommission). – Kommission Sozialverträgliche Technikgestaltung Das 1985 aufgelegte Programm des NRW-Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales zu „Mensch und Technik – sozialverträgliche Technikgestaltung“ knüpfte an folgenden Satz aus der Regierungserklärung von Ministerpräsident Johannes Rau aus dem gleichen Jahr an: „Wir brauchen einen gesellschaftlichen Konsens darüber, welche neuen Technologien wir wollen und welche nicht, welche wir fördern und welche nicht. Nicht alles, was technisch machbar ist, ist auch gesellschaftlich wünschenswert“. Die Technologiepolitik in NRW sollte nach Lösungen für die technologische Entwicklung suchen, die ökonomisch vorteilhaft und zugleich umweltfreundlich und sozialverträglich sind. Das Programm wurde maßgeblich bestimmt durch den Beirat, in dem sowohl Gewerkschaftsvertreter als auch Vertreter von Unternehmen als auch Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen repräsentiert waren. Im Bereich der Fragestellungen und Gestaltungsperspektiven „Alltag und Lebenswelt“ liegt ein Focus der Analysen auf der absehbaren ungleichen Verteilung der Zugangs- und Nutzungsmöglichkeiten, die zu räumlichen und sozialen Benachteiligungen führen können. „So ist zu erwarten, dass sich die bereits heute vorhandenen Unterschiede im informationellen Medien- und Diensteangebot infolge der ungleichgewichtigen Erschließung städtischer Ballungsräume und ländlicher Gebiete verstärken werden. Des weiteren zeigt sich, dass die individuellen Möglichkeiten und Fähigkeiten zur Techniknutzung vom Einkommens- und Bil-
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dungsniveau abhängen, was zu neuen Informations- und Bildungsbarrieren, zur gesellschaftlichen Ausgrenzung bestimmter Gruppen und langfristig zu einer Verschärfung sozialer Gegensätze führen könnte. Dies gilt umso mehr, wenn die zu beobachtende Kommerzialisierung informationeller Angebote nicht durch ein verstärktes Angebot an staatlichen und/oder gemeinnützigen Alternativen kompensiert wird“ (Das SoTech-Programm nach 3 Jahren (1988), S. 47f.). Projekte waren: Auswirkungen der Neuen Medien auf den Alltag von Vorschulkindern, ältere Menschen und Medien, Mädchen und Computer, Medienerziehung und Eltern. Diese Ansätze zur Förderung der Neuen Medien unter dem Aspekt der sozialen Integration gehen von einer sozialstaatlichen Verantwortung aus, möglichst allen Bürgerinnen und Bürgern die gleichen Zugangschancen zu IuK-Techniken zu gewährleisten und zwar in Ergänzung bzw. zum Teil in Kompensation marktwirtschaftlicher Diffusionsprozesse. • „freie“ Forschung – „Gefahren der Informationstechnologie“ 1978 hat die Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung eine Gruppe von Sozialwissenschaftlern damit beauftragt, die Gefahren der informationstechnologischen Entwicklung unter status quo-Bedingungen zu prognostizieren, um auf einer solchen Basis Handlungsmöglichkeiten zu identifizieren, die die Risiken abwenden bzw. minimieren. Die Wissenschaftler haben ihre Analysen differenziert auf das ökonomische, das soziale und das politische System und deren Wechselwirkungen bezogen. In Bezug auf die ökonomische Medienstruktur in der Bundesrepublik gehen sie von folgenden Veränderungen auf Grund der Einführung neuer Informationstechniken aus: • Beschleunigung der privatwirtschaftlichen Presse- und Multimediakonzentration • Verstärkung der Kommerzialisierung der inhaltlichen Medienangebote. Zur Begründung verweisen sie auf den durch die Ausbreitung von Bildschirmtext – heute Internet – auf die Pressefachverlage ausgeübten Druck, von der Print- auf die Telekommunikation umzustellen. Dies erhöhe die Gefahr der Konzentration bei den Fachverlagen. Außerdem werde die Zulassung der Werbung in Kabelfernsehprogrammen und in Bildschirmtextangeboten zu einem Rückgang der Werbeeinnahmen bei der Tagespresse führen, wodurch ebenfalls die Pressekonzentration weiter zunehmen werde. Bei Zugang privatwirtschaftlicher Medienunternehmen zu Rundfunkverteilnetzen würden sich schließlich bestehende Medien-Großkonzerne durchsetzen, wodurch ebenfalls die Multimediakonzentration beschleunigt werde (Reese et. al., S. 43f.). Diese frühen Prognosen sind erstaunlich präzise eingetroffen und zeigen, dass eine analytische sozialwissenschaftliche Wirkungsforschung durchaus von gesellschaftlichem Wert ist. – „Sozialpolitische Chancen der Informationstechnologie“ Praktisch die gleiche Forschergruppe hat 1982 wiederum im Auftrage der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung die sozialpolitischen Chancen der Informationstechnik untersucht. Hier ging es darum, das bisherige Paradigma von Technikgenese und -diffusion
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– nach der Invention wird eine Innovation auf Märkten eingeführt und damit sucht sich die Technik ihre Anwender – umzudrehen und zunächst von sozialen Problemen auszugehen, dann zu fragen, wieweit diese Probleme mit Kommunikationsdefiziten zu tun haben und dann erst zu analysieren, ob spezifische Anwendungen der IuK-Techniken – immer als soziotechnisches System verstanden – eine Lösung bringen können. Es ging also um eine Technologie anstoßende Sozialforschung, die in eine staatliche Förderung einer sozialen Informationstechnologie münden sollte. Die Grundgedanken lassen sich in unserem Zusammenhang der Medienentwicklung am Besten am Beispiel der Vorschläge zur Verbesserung von Verbraucherinformation und -kommunikation verdeutlichen. Es wurde zur Stärkung der Selbstbestimmung der Verbraucher der Auf- bzw. Ausbau eines von Anbietern unabhängigen Auskunftssystems und einer computerunterstützten Beratung vorgeschlagen. „Tendenziell sollen funktionale und personelle Machtungleichgewichte abgebaut werden“ (Lange, Kubicek, Reese, Reese, S. 182ff.). Obwohl der damalige Bundesminister für Forschung und Technologie Volker Hauff sich die Förderung einer sozialen Informationstechnologie auf die Fahnen geschrieben hatte, war der Ansatz zum damaligen Zeit doch zu „revolutionär“, als dass er in praktische Politik umgesetzt wurde. Es gab keine mächtigen wirtschaftlichen und/oder politischen Interessen, die sich aus der Realisierung dieser Vorschläge Nutzen versprachen. Auf den Medienbereich heute übertragen könnte eine Bürgerinformation zum Umgang mit Medien z.B. Eltern helfen, Anregungen zu erhalten, wie sie das Leseverhalten ihrer Kinder fördern können und wie sie deren Fernsehkonsum kanalisieren und die Auswahl von Spielen über Konsolen oder Computer oder das Internet kontrollieren können. – „Wissensgesellschaft oder Überwachungsstaat?“ Wissenschaftliche Politikberatung ist dann besonders schwierig, wenn zukünftige technische Entwicklungen und ihre wahrscheinlichen Wirkungen abgeschätzt werden sollen, um auf dieser Basis Gestaltungsanforderungen zur Risikovermeindung zu identifizieren. Hilfreich ist dann der Versuch, vorhandene Trends in die Zukunft fortzuschreiben und dabei mit Hilfe der Szenariotechnik auch eventuelle Trendbrüche zu berücksichtigen. In dem Gutachten „Die Entwicklung der Informationsgesellschaft aus der Sicht der Bundesrepublik Deutschland (Reese und Lange, 1984) zur Vorbereitung einer grundsätzlich angelegten Tagung der hessischen Landesregierung zur Wahrung der Freiheitsrechte im Computerzeitalter wurden Profile der Technologie- und Gesellschaftspolitik unterschiedlicher europäischer Staaten verglichen und Szenarien der zukünftigen Entwicklung zur Diskussion gestellt. Zu den Perspektiven in Bezug auf soziale Integration heißt es in dem Gutachten – noch vor der Einführung des kommerziellen Rundfunks in Deutschland –: „Einer der weit reichenderen Einflüsse neuer Telekommunikation geht zweifellos auf das Fernsehen zurück. Es ist geradezu zu einer Sucht in vielen Familien und bei Alleinstehenden geworden. In der Bundesrepublik liegt der durchschnittliche tägliche Konsum bei zwei Stunden; in Italien, wo in den siebziger Jahren private Fernsehprogramme zugelassen und in großer Zahl ausgestrahlt wurden, ist die tägliche Fernsehdauer auf vier Stunden gestiegen – eine Zahl, die etwa US-amerikanischen und japanischen Verhältnissen entspricht. Besonders schlimm sind die Kinder betroffen, bei denen zum Beispiel in Japan ein Fernsehkonsum von sechs Stunden pro Tag gemessen worden ist…. Wenn man bedenkt,
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dass es sich hierbei um Durchschnittszahlen handelt – dass also weite Teile der Bevölkerung noch deutlich mehr fernsehen – dann ist vor dem Hintergrund eines normalen Arbeitstages klar: für Familiengespräche und vertiefende Auseinandersetzungen im Freundeskreis bleibt nicht viel Zeit. Es kann überhaupt kein Zweifel daran bestehen, dass die Mehrzahl der Familien unter diesem Medium „leiden“, ohne es eigentlich zu wissen; denn die dadurch entstehenden Mängel in der Sozialisation der Kinder (Erziehung) fallen als Konflikte innerhalb und außerhalb der Familie an, die einfach personalisiert werden, also gegenseitig zugeschoben werden. Nicht jeder in den 20 Millionen Haushaltungen in der Bundesrepublik kann ein Psychoanalytiker sein oder sich dessen Hilfe versichern“ (ebenda S. 226). Diese Ausführungen verweisen auf Wirkungen des sozio-technischen Systems Fernsehen, die sich der individuellen Wahrnehmung weitgehend entziehen, die aber für die Kennzeichnung gesellschaftlicher Verhältnisse bedeutsam sind. Gleichzeitig deuten diese Ausführungen auf unausgeschöpfte Potentiale zur Verbesserung des Zusammenlebens in Familien und in der Gesellschaft hin. In dem Gutachten heißt es weiter: „Fernsehen hilft alten Menschen über ihre Einsamkeit hinweg, und es füllt die Aufsichtslücken, wenn die Kinder allein gelassen werden müssen. Man sollte solche Lückenbüßerfunktionen des Fernsehens nicht dogmatisch ablehnen. Jede Gesellschaft braucht Lückenbüßer, mit denen die Unzulänglichkeiten ihrer Sozialorganisation zugedeckt werden können, und sicher hängt hier viel von der inhaltlichen Programmgestaltung ab. Warum sollte ein gutes Fernsehprogramm nicht auch soziale Integration unterstützen? Indessen lässt die künftige Entwicklung hier eher Befürchtungen aufkommen. In Japan soll laut Zeitungsberichten eine medizinische Untersuchung von Unfallursachen bei gehäuft auftretenden Gesichtsverletzungen und Nasenbeinbrüchen von Kindern zu dem Resultat geführt haben, dass die gesamte Psychosomatik durch sechs- und mehrstündiges Fernsehen unterentwickelt bleibe, so dass sich die Kinder beim Stolpern nicht mehr rechtzeitig abstützen. Schwerer wiegt, dass die Vielzahl der gleichzeitig angebotenen Programme dazu führt, dass die Kinder nur noch die dramatischen Szenen ansehen, indem sie zwischen verschiedenen Programmen hin- und herschalten. Wie realitätsfern entwickeln sich solche Menschen, und wie bedenklich muss ihre Kontaktarmut stimmen!“(daselbst, S. 226f). Folgt man diesen Analysen, so gehen von dem sozio-technischen System „Fernsehen“ kulturelle Veränderungen aus, die sich nicht nur auf die Rezeption bestimmter Inhalte wie Krimiserien beziehen, sondern auch Alltagsroutinen und wie wir heue wissen selbst Ernährungsgewohnheiten – „couch potatoes“ – grundsätzlich beeinflussen. Diese Ergebnisse sind kongruent mit den Überlegungen zu Technik als Struktur und als Institution.
6.4 Interessen und Leitbilder als Determinanten der Medientechnikentwicklung In den erwähnten Kommissionen kamen unterschiedliche Interessenkonstellationen zum Tragen: In der KTK, besonders geprägt durch die Ministerien für das Post- und Fernmeldewesen und das Bundesforschungsministerium – damals in der Hand ein und desselben Ministers –, gab es eine starke Position der Vertreter der nachrichtentechnischen Industrie im Vergleich zum Beirat „sozialverträgliche Technikgestaltung“ mit einer relativ starken Position von Ge-
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werkschaftsvertretern. Damit waren auch unterschiedliche Leitbilder und Akzente der Empfehlungen verbunden. Ein Leitbild war das der Politikberatung durch pluralistisch-gesellschaftliche Gruppen und Wissenschaftsdisziplinen – zusammengesetzte Kommissionen, die technologiepolitische Konsensbildungsprozesse vorantreiben sollten. Ein anderes Leitbild war das der Industriepolitik: Es ging in dem Krisenjahr 1974 in der KtK u. a. um die Verkabelung der Bundsrepublik mit unterschiedlichen innovativen bzw. medienpolitischen Akzenten. Ein infrastrukturpolitisches Leitbild lag dann vor, wenn die staatliche Koordination des Ausbaus der Telekommunikationsnetze mit ihrer dienenden Funktion gegenüber der Medienentwicklung angestrebt wurde. Ein wettbewerbspolitisches Leitbild war dann gegeben, wenn Privatisierung und Deregulierung der Netze und Dienste verfolgt wurden. Das Leitbild der wissenschaftlich begleiteten Pilotanwendungen richtete sich auf die Schaffung von Transparenz bei der gesellschaftlichen Auswahl von Techniklinien und ihrer Anwendung und die Abschätzung der zu erwarteten Folgen. Das Leitbild der antizipativen sozialwissenschaftlichen Risikoabschätzung und der Erarbeitung von Gestaltungsvorschlägen war ausgerichtet an Zielsetzungen der gesamtgesellschaftlichen, nachhaltigen und integrativen Entwicklung. Das Leitbild der sozialpolitischen „Inpflichtnahme“ der IuK-Techniken versuchte das Paradigma der bisherigen Technikentwicklung umzudrehen: statt neue Technik sucht sich seine Anwendungen, soziale Probleme suchen sich sozi-technische Lösungen mit Hilfe der Technik. Alle diese Leitbilder kamen niemals in Reinkultur vor, sondern sie vermischten sich mit dominanten bzw. untergeordneten Akzenten in umgesetzter Technologiepolitik. Es gab durchgehend Versuche der Entwicklung einer integrativen Technologie-, Wirtschafts-, Medien- und Gesellschaftspolitik. Aber im Prinzip auf Grund der Bund-Länderzuständigkeiten, auf Grund der Ressortabgrenzungen und der relativ schwachen Stellung der Ministerpräsidenten wie auch der Bundeskanzler trotz Richtlinienkompetenz in ihren jeweiligen Kabinetten und auf Grund der relativen Ohnmacht der Politik gegenüber medialer Machtzusammenballung war die integrative, souveräne Politik bis heute kaum zu realisieren.
6.5 Medientechnikentwicklung als Parameter von Wettbewerb und Konzentration Die Technikgenese- und -wirkungsforschung hat bestätigt, dass Technikentwicklung die dominante treibende Kraft des gesellschaftlichen Wandels in Verbindung mit der Durchsetzung von wirtschaftlichen Interessen ist. Medientechnik sowohl als Akteur als auch als Strukturen und Institutionen prägt das Verhalten der Bürger und übt Macht über sie aus, in dem Sinne, dass ihre Nutzung als Ergebnis von vorgegebenen Strukturen und als Ergebnis von bereits in der frühen Kindheit einsetzenden Sozialisationsprozessen praktisch unausweichlich ist. Ein besonderes Veränderungspotential der Medientechnik ergibt sich durch die umfassende Digitalisierung: Auslöser ist die technische und in ihrem Gefolge die ökonomische Konvergenz. Sie führt nicht zu einer höheren Pluralität der medialen Angebote, sondern schon vor-
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handene Multimedia-Konzerne dehnen ihre Aktivitäten auf die neuen Felder zur technischen Verbreitung ihrer Angebote aus. Multimedia-Konzentration und Herrschaft durch Technik sind daher gerade auch in ihrer Verbindung nach wie vor brisante gesellschaftliche Problemfelder. Dabei finden bei den Nutzern in Bezug auf die Möglichkeiten der Individualisierung des Medienkonsums und in Bezug auf Mobilität-Handies, iPhone, walkman und Internet Nutzung – eine besondere Resonanz, was zunächst unter der Zielsetzung der Selbstverwirklichung uneingeschränkt zu begrüßen ist. Offen bleibt allerdings die Frage, wer nach welchen Leitbildern und Interessen die Inhalte anbietet, die über die Medien der „Individualkommunikation“ verbreitet werden und wie die gesellschaftlich notwendige Kontrolle organisiert werden kann bezüglich Gewaltdarstellungen, Kinderpornographie, Datenschutz etc. Soziale Arenen stellen sich als „Kampfplatz“ um Vorherrschaft bei der Technikgenese dar und die Technikausgestaltung und die Regulierung der über sie verbreiteten Inhalte erweist sich als Machtfaktor in Bezug auf Wettbewerb und Konzentration. Die gesamtgesellschaftliche Steuerung der Technikgenese – Förderung des Leistungswettbewerbs und Setzung von staatlichen Rahmenbedingungen, orientiert an den Grundrechten – ist nur unvollkommen entwickelt, auch weil Ingenieurs- und Sozialwissenschaften nur in Ansätzen auf gemeinsame Strategien verpflichtet sind: Nach wie vor gilt das Schema der Diffusion: Einführung neuer Informations- und Kommunikationstechniken nach technischen und wirtschaftlichen Parametern, danach erst werden Fragen der „Sozialverträglichkeit“ und der „Nachhaltigkeit“ diskutiert: Beispiele sind der Jugend- und Datenschutz, die immer erst im Nachhinein, wenn die technischen Strukturen bereits manifest geworden sind, sozusagen als Reparaturbetrieb eingesetzt werden. Ausnahmen bilden allerdings die geschilderten Kabelpilotprojekte und ihre wissenschaftliche Begleitung, die Arbeiten der ISDN-Kommission und die Forschungen zu den sozialen Potentialen der Informations- und Kommunikationstechniken. Hier wurde versucht, einerseits einen folgenreichen Dialog zwischen Technik- und Sozialwissenschaften einerseits und Technikentwicklern und -anwendern und der Öffentlichkeit andererseits zu organisieren. Hier wurden Szenarien der zukünftigen Entwicklung zur Diskussion gestellt, um Risiken zu identifizieren und Ansätze zu ihrer Minimierung zu erarbeiten. Ob die Erkenntnisse der Kommissionen jedoch ausreichend in Politik und Gesetze und ihre Anwendung umgesetzt worden sind, bleibt eine wichtige Frage. Aus diesen Erfahrungen folgt: Es gilt, die Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung bei der Technikgenese auf wissenschaftlicher Basis zu institutionalisieren. Dabei gilt es eine Balance zu finden zwischen der Förderung der notwendigen Dynamik der Technikentwicklung durch wirtschaftlichen Wettbewerb einerseits und der Wahrung verfassungsrechtlicher Grundrechte wie Kommunikationsfreiheiten, Verbraucher- und Datenschutz andererseits. Die gesellschaftlich notwendige Politikgestaltung muss dann folgen (vgl. dazu Kapitel 13).
7. Der wirtschaftswissenschaftliche Zugang 7.1 Wirtschaftstheoretische Schulen zu Wettbewerb und Konzentration und ihre historische Entwicklung Theorien über wirtschaftliche Zusammenhänge und Entwicklungen, z.B. über die Preisbildung auf spezifischen Märkten oder zur Wachstumsdynamik, sind praktisch immer als Versuche zu verstehen, auf aktuelle, historisch bedingte, Fragestellungen zu antworten. Sie werden dann zu „herrschenden“ Lehrmeinungen, wenn sie von gesellschaftlich relevanten Gruppierungen aufgegriffen werden, weil sich diese ihrer zur Durchsetzung eigener Interessen bedienen. Adam Smith gab dem aufstrebenden Bürgertum Argumentationsmuster gegen den vorherrschenden Feudalismus Ende des 18. Jahrhunderts an die Hand. Karl Marx analysierte die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen des beginnenden Kapitalismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und seine Analysen wurden von den in Gründung begriffenen Gewerkschaften und sozialistischen Parteien aufgegriffen. Das bis heute fortwirkende neo-klassische wirtschaftstheoretische Gedankengut seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist wiederum einerseits als Reaktion auf die revolutionären marxistischen Analysen zu verstehen, andererseits als Versuch, marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnungen als sowohl im Interesse der Unternehmer als auch der „freien“ Arbeitnehmer und der „souveränen“ Konsumenten zu begründen. Hier sollen die verschiedenen wirtschaftstheoretischen Ansätze zu Konkurrenz und Konzentration in dogmengeschichtlicher Reihenfolge in ihren Grundzügen nachgezeichnet werden, um einerseits das heutige wirtschaftspolitische Instrumentarium zur Regulierung von Wettbewerb und Konzentration besser verstehen zu können und um andererseits die Implikationen der Übertragung wirtschaftswissenschaftlicher Analysen auf den Mediensektor besser abschätzen zu können (zu Details der folgenden Ausführungen vgl. Hofmann). • Sich selbst regulierende Märkte im ordnungspolitischen Rahmen: Adam Smith Adam Smith ist mit seinem Hauptwerk „An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations“ (1776) der Begründer des sozialphilosophisch überhöhten Liberalismus. Mit der „klassischen“ Lehre von der sich selbst ordnenden Marktwirtschaft weist er für seine Zeit die Bedingungen nach, unter denen die neue Marktgesellschaft, sich selbst überlassen, keineswegs in die Anarchie einander widerstreitender Interessen zerfällt: Unter den Bedingungen der freien unternehmerischen Konkurrenz und im Rahmen staatlicher Rechtsordnung ergebe sich aus der individuellen Interessenverfolgung die gesellschaftliche Wohlfahrt. Die „unsichtbare Hand“ des über die Konkurrenz vermittelten Wertgesetzes, d.h. dass der Arbeitswert den Tauschwert auf den Märkten bestimmt, beflügeln die immer weitere Arbeitsteilung der Produktion und den Wettbewerb um Produktivitätssteigerungen und Produktinnovationen. Dies diene sowohl den Konsumenten als auch dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt. Der Staat habe – so Adam Smith – neben dem Schutz der Gesellschaft nach außen (Kriegswesen) und nach dem Subsidiaritätsprinzip die wirtschaftliche Betätigung dort zu betreiben, wo kein ausreichender privatwirtschaftlicher Gewinn winkt (Infrastrukturen, vor allem
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Verkehr). Ansonsten habe er den Einzelnen gegenüber Seinesgleichen zu schützen (Rechtsordnung). „Handel und Gewerbe können selten sehr lange in einem Land gedeihen, das ohne geordnetes Rechtswesen ist, in dem sich die Menschen ihres Eigentums nicht sicher fühlen, in dem das Vertrauen in Verträge nicht durch das Gesetz gestärkt wird und in dem man nicht regelmäßig den Einsatz der Staatsgewalt erwarten kann, damit zahlungsfähige Schuldner auch zur Leistung gezwungen werden“ (zitiert nach Kiefer, Medienökonomik S. 44f.). Schon in dieser frühen Phase der freien unternehmerischen Betätigung erkennt Adam Smith, dass Unternehmer, wenn sie zusammensitzen, nicht nur über das Wetter reden, sondern darüber, wie sie Gewinn maximierend untereinander die Preiskonkurrenz ausschalten können, z.B. durch die Bildung von Kartellen. Auf dieser Basis lässt sich wirtschaftspolitisch der Ruf nach ansonsten von Staatsintervention freier Marktwirtschaft im Rahmen staatlicher Wettbewerbspolitik – Antikartell- und Antimonopolpolitik – begründen. Die Lehren von Adam Smith sind vom aufkommenden Bürgertum seiner Zeit als Argumentationsmuster gegen staatlichen Merkantilismus und als Legitimationsmuster für ihr „freies“ Unternehmertum aufgegriffen worden und dann mit dem Erstarken des Bürgertums zur „herrschenden Lehre“ geworden. • Kritik der Politischen Ökonomie: Karl Marx Nicht der utopische Revolutionär Karl Marx, sondern der scharfsinnige Analytiker der wirtschaftlichen Verhältnisse seiner Zeit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat sich mit Entwicklungen der Konkurrenz und der Konzentration beschäftigt und sie als immanente Gesetzmäßigkeiten kapitalistischer Entwicklung aufgefasst. Zu seinem Erfahrungshintergrund gehörten weder funktionsfähige Gewerkschaften noch eine umfassende staatliche Sozialpolitik noch eine wirksame Wettbewerbspolitik. Nach Marx bezeichnet Konzentration des Industriekapitals das überproportionale Wachstum einzelner, unter einheitlicher Leitung zusammengefasster, produktiv eingesetzter Kapitalien, während er den Zusammenschluss bisher selbständiger Kapitalien (Unternehmen) unter einheitlicher Verfügungsgewalt als Zentralisation kennzeichnet. Beide Formen besonderer wirtschaftlicher Macht sind das Ergebnis unternehmerischer Konkurrenzprozesse, die von dem Streben nach maximalem Profit getrieben sind. Dieses Streben bewegt sich nach Marx im Rahmen des Wertgesetzes, d.h. das die durchschnittliche, gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit zur Herstellung eines Produktes dessen Preis am Markt bestimmt. Die Unternehmen setzen nun im Rahmen der Konkurrenz auf Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft im Produktionsprozess durch ständigen Druck auf die Löhne und die immer weitere Rationalisierung und Technisierung des Produktionsprozesses, um die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit zur Herstellung von Produkten zu senken. Nach Marx führt die erbitterte Konkurrenz zur ständigen Verschärfung der Gegensätze von Lohnarbeit und Kapital. Mit diesen Analysen hat Marx zum Verständnis der Gesetzmäßigkeiten und der Dynamik kapitalistischer Produktion unter den Bedingungen frühkapitalistischer Organisation und unregulierter Konkurrenz beigetragen. Seine Lehren wurden zu seiner Zeit von sozialistisch orientierten Gewerkschaften und Parteien aufgegriffen. Deren Versagen und teilweise Tragik ist, dass sie zum großen Teil die Thesen von Karl Marx dogmatisch vertreten haben und nicht er-
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kannt haben, dass es unzulässig ist, seine Analysen aus ihrem historischen Kontext herauszulösen. • Neoklassik 1: Die Entwicklung der Lehre von der Preisbildung: Hermann Heinrich Gossen, Carl Menger, William Stanley Jevons Im Gegensatz zu Marx, der von objektiven Gesetzmäßigkeiten bei der Preisbildung auf Märkten ausgegangen war, vertreten die Neoklassiker eine subjektive Preislehre, d.h. sie betrachten „vordergründig“ das Marktgeschehen und hinterfragen die Bedürfnisse nicht, die sich als Bedarf „souveräner“ Konsumenten im Sinne kaufkräftiger Nachfrage am Markt artikulieren. Außerdem vertrauen sie auf die sich selbst regulierende Kraft des Wettbewerbs, in dem sich autonome Individuen als Nachfrager und Unternehmen als Anbieter gleichberechtigt und nach den gleichen rationalen Prinzipien handelnd gegenüber stehen. Sie liefern damit dem Mittelstand und dem ihn tragenden Bürgertum die Rechtfertigung für ihre Forderung nach freier Entfaltung in der Markwirtschaft – die „unsichtbare Hand“ des Wettbewerbs bewirke, dass sich das individuelle Streben nach Gewinn zum Wohle der Gemeinschaft koordiniert. Diese Argumentationsmuster werden als methodologischer Individualismus bezeichnet. Hermann Heinrich Gossen schreibt 1854 in seinem Buch: „Entwicklung der Gesetze des menschlichen Verkehrs und der daraus fließenden Regeln des menschlichen Handelns“: „Der Mensch wünscht sein Leben zu genießen und setzt seinen Lebenszweck darin, seinen Lebensgenuss auf die möglichste Höhe zu steigern“ (S. 1) – dies liest sich heue wie das Leitmotiv der Spaß- oder Mediengesellschaft. Als rational handelnder Mensch – als homo oeconomicus – muss nach Gossen das Genießen so eingerichtet werden, dass die Summe des Genusses des ganzen Lebens ein Größtes werde. Welche Güter den höchsten Genuss bereiten, das entscheidet das Individuum autonom nach subjektiven Wertvorstellungen. Freilich gilt – so Gossen – das Gesetz des sinkenden Grenznutzens, d.h. „Die Größe eines und desselben Genusses nimmt, wenn wir mit Bereitung des Genusses ununterbrochen fortfahren, fortwährend ab, bis zuletzt Sättigung eintritt“ (S.4f.) Daraus folgt, dass der Nutzen maximierende Konsument seine beschränkten finanziellen Ressourcen so auf die verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten verteilen muss, dass sein Gesamtnutzen entsprechend seiner individuellen Bedürfnishierarchie am größten ist. So wie nach Gossen das Individuum nach eignen Vorstellungen seinen Nutzen und seinen Genuss optimiert, so maximiert der Unternehmer seinen Gewinn, in dem er durch rationale Produktionsverfahren auf die sich am Markt artikulierende Nachfrage eingeht und auf ihre Veränderungen reagiert. Während Marx von der Herrschaft des Kapitals ausging, so sind nach Gossen alle Marktteilnehmer gleichermaßen Nutzen-Maximierer, ohne dass es Über- bzw. Unterordnungsverhältnisse oder einseitige Abhängigkeiten gäbe. Gossen hat damit die Grundlagen für das Menschenbild der Neoklassik gelegt: Es ist das des homo oeconomicus: Der Mensch, der gleichermaßen als Konsument und Unternehmer, rational und souverän handelt. Der österreichische Nationalökonom Carl Menger arbeitet in seinem 1871 erschienen Werk „Grundsätze der Volkswirtschaftslehre“ eine Hierarchie der zur Bedürfnisbefriedigung geeigne-
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ten Güter heraus. Er unterscheidet Güter niederer und Güter höherer Ordnung. Güter niederer Ordnung sind die, die zur Befriedigung elementarer Lebensbedürfnisse beitragen. Güter höherer Ordnung sind nach Menger diejenigen, die dem Endprodukt vorgelagert sind wie z.B. der Ackerbau mit den dazugehörigen Werkzeugen dem Brot als Gut erster Ordnung notwendiger Weise voraus gehe. Komplementäre Güter sind diejenigen, die als Güter höherer Ordnung im Produktionsprozess für ein Gut erster Ordnung, das Endprodukt, notwendigerweise zusammengeführt werden müssen. Hiermit wird einerseits das Verständnis für den arbeitsteiligen Produktionsprozess zur Herstellung von Gütern für den Endverbrauch gefördert und andererseits die Vorstellung der Gleichberechtigung der Produktionsfaktoren auch in Bezug auf Arbeit und Kapital befördert. Den Vorgang der Preisbildung am Markt bei gegebener Konkurrenz erklärt Menger aus den subjektiven Einschätzungen des jeweiligen Tauschwertes für die Marktpartner. Dieser wiederum leitet sich aus dem Nutzen der Güter niederer Ordnung für die Bedürfnisbefriedigung ab. Damit bereitet er den Weg dafür, dass viele Ökonomen weder nach der Güterqualität fragen, denn diese sei ja eine Frage der subjektiven Einschätzung noch die Bildung der Bedürfnisse nach Güterkauf hinterfragen, denn diese sei ja ausschließlich Sache der autonomen Individuen. Damit wird einer vorrangig quantitativen Betrachtung wirtschaftlicher Entwicklungen auf Märkten der Boden bereitet. William Stanley Jevons hat in seiner 1871 erschienenen „Theory of Political Economy“ die Grenznutzenlehre zur Theorie der Märkte erweitert. Er hat die Vorstellungen des englischen Utilitarismus organisch mit der Wirtschaftslehre verknüpft. Er startet seine Ausführungen mit der Analyse des Spannungsverhältnisses von Vergnügen und Unlust im menschlichen Leben. Er schreibt: „Unsere Wünsche möglichst vollständig mit der geringsten Anstrengung zu erfüllen, d.h. die größtmögliche Menge des Begehrenswerten mit einem möglichst geringen Aufwand an Unerwünschtem zu erlangen, mit anderen Worten: das Vergnügen zu maximieren, ist das Problem der Wirtschaftslehre“ (S. 36). Der Begriff der Güter, die der Erzeugung von Vergnügen dienen, wird weit gefasst: jede Substanz, Handlung oder Dienstleistung, die Lust bereiten oder Unbill abwenden kann, fällt unter diesen Begriff. Nach Jevons herrscht auf einem Markt, dem Ort des Austausches von unterschiedlichen Gütern dann Gleichgewicht, wenn die Nutzengrade, d.h. wenn die subjektiven Einschätzungen des begehrten und des dafür hinzugebenden Gutes gleich sind. Mit einer Reihe mathematischer Gleichungen wird diese Gesetzmäßigkeit hinter der Preisbildung belegt immer unter den Prämissen des autonomen, seinen Nutzen maximierenden Subjekts sowohl als anbietender Produzent als auch als nachfragender Konsument. Wirtschaftspolitisch folgt aus diesen Analysen die Forderung nach vollkommener Freiheit des Austausches auf Märkten und nach deren möglichst vollständiger Selbstbestimmung. Nach Jevons ist es somit wirtschaftstheoretisch „bewiesen“, dass die Maxime des „Laissez faire, Laissez aller“ das wahre Prinzip der Marktwirtschaft darstellt, um im Austausch der Güter den Nutzen zu maximieren. Damit haben Menger und Jevons dazu beigetragen, eine Theorie des Marktgleichgewichts zu begründen. Gleichzeitig stellen sie Anbieter und Nachfrager auf gleiche Stufe und immunisieren sich gegen Fragen nach prinzipiellen Unterschieden bei deren Handlungsmöglichkeiten und nach einem Machtgefälle. Außerdem liefern sie Argumente für Forderungen nach staatli-
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cher Deregulierung und fallen damit hinter die Erkenntnisse von Adam Smith zu den institutionellen Voraussetzungen für funktionsfähige Märkte zurück. • Neoklassik 2: Bedingungen für Marktgleichgewichte und Bewertung von Marktformen: Léon Walras, Heinrich von Stackelberg Aufbauend auf der von Gossen, Jevons und Menger propagierten subjektivistischen Nutzwertanalyse versucht Walras die theoretische Wirtschaftswissenschaft in einem mathematischen System auszudrücken. Ihm geht es in seinem Hauptwerk „Élements d`économie poltique pure“ von 1874 darum, das Beziehungsgefüge der Marktgrößen funktionalistisch zu beschreiben: ein Marktgleichgewicht ist bei freier Konkurrenz dann gegeben, wenn Angebot und Nachfrage – jeweils determiniert vom Grenznutzen der Anbieter und Käufer – sich entsprechen. Walras verbindet also die subjektive Wertlehre mit den objektiven Bedingungen der Marktpreisbildung. So schafft er die Grundlage für die Analyse und Bewertung einzelner Marktformen. Von Stackelberg hat 1932 in seiner Schrift „Grundlagen einer reinen Kostentheorie“ sich besonders der Bestimmung der unternehmerischen Angebotskurve zugewandt. Er leitet bei s-förmigem Verlauf der Kostenkurve – zunächst sinkende dann steigende Grenzkosten (Kosten, die hinzu kommen, wenn eine Einheit mehr produziert wird) – und bei gegebener Erlöskurve die Gewinn maximale Angebotsmenge ab, die Menge, bei der Kosten- und Erlöskurve am weitesten von einander entfernt sind. Diese Menge ist das unternehmerische Produktionsoptimum. Unter den Bedingungen freier Konkurrenz gilt, dass beim Produktionsoptimum Grenzerlös – der Erlös, der erzielt wird, wenn eine Einheit zusätzlich abgesetzt wird – gleich den Grenzkosten ist. Gegenüber dieser sozialökonomisch erwünschen Wirtschaftsverfassung ergibt sich nach von Stackelberg einerseits auf Grund technischer Gegebenheiten der Produktion – der technische Fortschritt verschiebe oft das Betriebsoptimum über das Produktionsoptimum hinaus – und andererseits auf Grund des Strebens nach maximalem Gewinn die Versuchung der Unternehmer, den Preis höher anzusetzen als die Grenzkosten. Hiervon gehe eine Tendenz zum monopolistischen Zusammenschluss der Produktionszweige aus. Der horizontalen Konzentration – der Unternehmensfusion auf gleicher Marktebene – folge oft die vertikale Konzentration, der Zusammenschluss zwischen Unternehmen verschiedener Produktionsstufen. Von Stackelberg hat damit einerseits eine Begründung für die Angebotskurve auf der Basis unternehmerischer Kostenstrukturen geliefert, andererseits aber auch auf vom optimalen Wettbewerb abweichende Konzentrationstendenzen hingewiesen. • Die Lehre von der Preisbildung bei beschränkter Konkurrenz: Augustine Antoine Cournot, Edward H. Chamberlain Cournot hat in seinem wirtschaftswissenschaftlichen Werk von 1838 „Recherches sur les principes mathématiques de la théorie des richesses“ nachgewiesen, dass ein Gewinn maximierender Monopolist im Vergleich zur Situation vollständiger Konkurrenz, d. h. einer Vielzahl von Anbietern, das Angebot verknappt und einen überhöhten Preis verlangt. Der Monopolist setze die Angebotsmenge bei gegebener Nachfragekurve so fest, dass der Abstand zwischen seiner Erlöskurve einerseits und der Kostenkurve – zunächst fallende dann steigende Grenzkosten –
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andererseits am größten sei. Daraus folgt, dass – in dieser statischen Betrachtung – Monopole als wirtschaftspolitisch unerwünscht, vollständige Konkurrenz dagegen als erwünscht angesehen werden. Der amerikanische Nationalökonom Chamberlin hat in seinem 1933 erschienenen Werk „The Theory of Monopolistic Competition“ in bewusster Abgrenzung zur neoliberalen Chicagoer Schule um Milton Friedman, die das „Laisser faire“ vollständig freier Konkurrenz propagierte, darauf aufmerksam gemacht, dass die meisten Preisbildungen auf Märkten eine Mischung aus Monopol und Konkurrenz darstellen. Er bezieht sich auf die vorherrschenden Marktsituationen, die im Gegensatz zu den theoretischen Annahmen nicht durch homogene Güter sondern durch die Differenzierung der Produkte gekennzeichnet sind. Die tatsächlich gegebene oder nur vermeintliche Produktdifferenzierung könne auf Qualität, Farbe oder Aufmachung der Waren beruhen, aber auch auf Besonderheiten der Verkaufsweise oder des Images des anbietenden Unternehmens. Auf Grund dieser realitätsnahen Betrachtungsweise gelingt es Chamberlin neben Preisgestaltung und Variation der Angebotsmenge die Produktgestaltung und -präsentation als Wettbewerbsinstrument zu berücksichtigen. Außerdem verweist Chamberlin in diesem Zusammenhang auf die Reaktionsverbundenheit der Anbieter „ähnlicher“ Produkte: Sind Qualität, Preise und Mengen der Konkurrenten gegeben, so wird der Unternehmer sein Angebot in den Dimensionen Qualität, Präsentation etc., Preis und Menge so ausgestalten, dass er seinen Gewinn maximiert. Mit anderen Worten: Er versucht, eine unterscheidbare Marke zu kreieren, über die er eine spezifische Kundenbindung erzeugen kann. Dies soll ihm gegenüber der Konkurrenz zumindest für ein bestimmtes Preissegment eine gewisse Monopolstellung ermöglichen. Heute spricht man auch angesichts des scharfen Konkurrenzkampfes z.B. auf dem Automobilmarkt von einer doppelt geknickten Nachfragekurve: Es wird angenommen, dass z.B. Kunden von Mercedes oder BMW eine derart starke Markenbindung haben, dass ihre Anbieter die Preise nach oben in einem bestimmten Umfang variieren können, ohne dass ihnen die Käufer untreu werden. Chamberlin kommt deshalb zu dem Schluss, dass bei unvollständiger Markttransparenz Werbung dazu dient, den Bedarf dringlicher und weniger elastisch, d. h. weniger volatil, zu machen im Sinne der Verstärkung der Kundenbindung. Schaubild 8: Doppelt geknickte Nachfragekurve
P = Preis
Monopolistischer Bereich
N = Nachfrage
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Aus Chamberlins Analysen folgt, dass der Preis bei monopolistischer Konkurrenz höher liegt als bei vollständigem Wettbewerb, u. a. deshalb, weil die Kosten für Produktdifferenzierung, Marketing und Werbung gedeckt werden müssen. In dieser oligopolistischen Konkurrenz gibt es auch kein Gleichgewicht mehr in dem Sinne, dass sich Angebot und Nachfrage decken bzw. bei Veränderungen der Produktionskosten oder der Nachfrage wieder zu einem neuen Gleichgewicht tendieren. Die monopolistische Konkurrenz zeitigt zumeist „Gleichgewichts“-preise, die Angebot und Nachfrage nicht wie bei vollständiger Konkurrenz zum Ausgleich bringen, so Chamberlin. Während Chamberlin die Erscheinungsformen oligopolistischer Konkurrenz realitätsnah beschreibt und analysiert, lässt er die Frage nach den wirtschaftspolitischen Konsequenzen gänzlich unbeantwortet. • Wettbewerb als Prozess der schöpferischen Zerstörung.: Joseph Alois Schumpeter Waren die neoklassischen Analysen letztlich von der Suche nach Bedingungen für statische Marktgleichgewichte geprägt und waren diese theoretischen Konstrukte (mit Ausnahme von Chamberlin) sehr weit von der wirtschaftlichen Realität entfernt, so war es Schumpeter, der in seinem 1912 erschienenen Werk „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“ Konjunkturen als Ergebnis periodisch gehäuft auftretender Innovationen gedeutet hat. Dabei analysiert er unternehmerischen Wettbewerb als Prozess der schöpferischen Zerstörung. Alte bzw. durch den technischen Fortschritt überholte Produkte und Produktionsverfahren werden zerstört in dem Sinne, dass sie in der wirtschaftlichen Konkurrenz durch Innovationen verdrängt werden. Sei der Wettbewerb, so wie ihn die Neoklassiker verstanden, ein laues Lüftchen so sei die reale Konkurrenz um Innovationen, angetrieben vom Streben der Unternehmer nach höchst möglichem Gewinn, als Bombardement bestehender Verhältnisse anzusehen. Innovationen – oder auch die Durchsetzung neuer Kombinationen von Faktoren im Produktionsprozess – lassen sich nach Schumpeter in fünf Fallgruppen fassen: – Herstellung eines neuen, das heißt dem Konsumentenkreis noch nicht vertrauten Gutes oder einer neuen Qualität eines Gutes (Produktinnovation) – Einführung einer neuen, das heißt dem betreffenden Industriezweig noch nicht bekannten Produktionsmethode (Prozessinnovation) – Erschließung eines neuen Absatzmarktes – Erprobung einer neuen Bezugsquelle von Rohstoffen oder Halbfabrikaten – Durchführung einer Neuorganisation eines Marktes, wie Schaffung einer Monopolstellung oder Durchbrechung eines Monopols Im Prozess der Innovationskonkurrenz der Unternehmer um Gewinn kommt es zu zeitweiligen monopolistischen Marktbeherrschungen, die aber durch andere Unternehmer wieder aufgehoben werden. Damit liefert Schumpeter Argumente gegen eine auf statischer Betrachtung beruhende negative Bewertung von Monopolen (vgl. dazu oben die Ausführungen zu Cournot). Die Funktion des Unternehmers in der Durchsetzung immer neuer Innovationen ist nach Schumpeter nicht nur die fortwährende Umorganisation der Wirtschaft sondern auch die fortwährende Umwälzung der Schichten der Gesellschaft: erfolgreiche Unternehmer steigen sozial auf, dem entspricht die Deklassierung, der soziale Abstieg der nieder konkurrierten Unternehmer. „Die Oberschichten der Gesellschaft gleichen Gasthöfen, die zwar immer voll von Leu-
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ten sind, aber von immer anderen – von Leuten, die sich in viel höherem Maß aus den Tiefen rekrutieren als viele unter uns wahrhaben wollen“ (S. 288f.) Schumpeters Lehre, die geeignet ist, die Dynamik der Innovationskonkurrenz auf der Basis des technischen Fortschritts besser zu verstehen, dient mit dem Nachweis der Notwendigkeit des Unternehmergewinns als Basis der wirtschaftlichen Entwicklung gleichzeitig als Legitimation freiheitlicher unternehmerischer Ordnung und sozialer Durchlässigkeit auch und gerade gegenüber sozialistischen Ansprüchen auf Umverteilung und Verstaatlichung von privatwirtschaftlichen Unternehmen. • Wettbewerb als staatliche Veranstaltung: John Bates Clark Während schon Adam Smith auf die Rolle des Staates zur Schaffung und Erhaltung einer Wettbewerbsordnung hingewiesen hatte, in der die Verfolgung egoistischer Ziele der Förderung des Gesamtwohles dient, lieferten die neoklassischen Gleichgewichtsmodelle sich selbst regulierender Marktwirtschaften Argumente für die Beschränkung des Staates auf Nachtwächterfunktionen: Wenn die Polizei für Ruhe und Ordnung sorge und der Staat außerdem das Geldwesen überwache, dann sei es am Besten, die wirtschaftliche Entwicklung den Märkten nach dem Prinzip des Laisser faire, laisser aller zu überlassen. Demgegenüber betonte John Bates Clark 1914 in seinem Werk „The Control of Trusts“, dass Wettbewerbsfreiheit wie jede andere Freiheit durch staatliche Politik gesichert werden muss. 1911 war in den USA der marktbeherrschende Rockefeller Öltrust, durch ein Urteil des US-Supreme Court, gestützt auf den Sherman Act, entflochten worden. Die Funktionsfähigkeit der Wettbewerbsfreiheit im Sinne der Förderung des Gemeinwohls müsse gestaltet werden und sei eine soziale Errungenschaft, die immer wieder erkämpft werden müsse. „In our worship of the survival of the fit under free natural selection we are sometimes in danger of forgetting that the conditions of the struggle fix the kind of fitness that shall come out of it; that survival in the prize ring means fitness for pugilism, not for bricklaying nor philantropy; that survival in predatory competetion is likely to mean somthing else than fitness for good and efficient production; and that only from strife with the right of rules can the right kind of fitness emerge. Competition is a game played under rules fixed by the state to the end that, so far as possible, the prize of victory shall be earned, not by trickery or mere self-seeking adroitness, but by value rendered. It is not the mere play of unrestrained self-interest; it is a method of harnessing the wild beast of self-interest to serve the common good – a thing of ideals and not of sordiness. It is not a natural state, but like any other form of liberty, it is a social achievment, and eternal vigilance is the price of it” (Zitiert nach Adams, S.13) Gegenüber neoklassischen Forderungen nach immer weitergehender staatlicher Deregulierung ist dieser Ansatz eine wirtschaftswissenschaftliche Begründung für eine permanente aktive staatliche Ordnungspolitik. • Konzepte zum funktionsfähigen Wettbewerb: Marktform, Marktverhalten und Marktergebnis: Erhard Kantzenbach Kantzenbach, dessen Analysen zur „Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs“ von 1967 eher den Interessen der Großindustrie und ihrer oligopolistischen Beherrschung von zentralen Berei-
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chen der Wirtschaft – Automobilindustrie, Energieversorger, Stahlindustrie, Großbanken – entsprechen, sieht als zentrales theoretisches Problem der Wettbewerbspolitik die mögliche Zielantinomie zwischen dem Einsatz optimaler Produktionstechnik einerseits und der Schaffung und Erhaltung optimaler Wettbewerbsintensität andererseits. Kantzenbach orientiert sich an den folgenden fünf gleichrangigen und voneinander unabhängigen Wettbewerbsfunktionen: – Steuerung der funktionellen Einkommensverteilung nach der Marktleistung, – Lenkung des Angebots am Markt nach den Käuferpräferenzen, – Lenkung der Produktionsfaktoren in ihre produktivsten Einsatzmöglichkeiten, – Anpassung der Produktionskapazität an außenwirtschaftliche Daten und – Beschleunigung und Durchsetzung des technischen Fortschritts. Die verschiedenen Wettbewerbsprozesse sind durch unterschiedliche Funktionserfüllung gekennzeichnet. Dies ist auf unterschiedliche Wettbewerbsintensität zurückzuführen, die wiederum von der Marktform abhängig ist. So ist in der Marktform der vollständigen Konkurrenz die Lenkung des Angebots nach den Käuferpräferenzen und geringem Preis am Besten erfüllt, aber es mangelt auf Grund der relativ geringen Unternehmergewinne bei dieser Marktform an der Beschleunigung der Durchsetzung des technischen Fortschritts. Im Oligopol dagegen sind die Preise relativ gesehen höher und die oligopolistischen Unternehmen können die Gewinne zur Entwicklung neuer technischer Produktionsverfahren und zur Durchsetzung des technischen Fortschritts in der Produktentwicklung einsetzen. Die Intensität eines Wettbewerbsprozesses wird gemessen durch die Geschwindigkeit, mit der Vorsprungsgewinne, die der technische Fortschritt dem Unternehmen einbringt, von der Konkurrenz durch den nachahmenden Wettbewerb weg gefressen werden. Es wird von Kantzenbach zwischen potentieller und effektiver Wettbewerbsintensität unterschieden. Die potentielle Wettbewerbsintensität ist gekennzeichnet durch den Grad der oligopolistischen Interdependenz, – wie stark spürt das eine Unternehmen in seiner Nachfrage Veränderungen, wenn ein anderes die Qualität der Produkte oder die Preise verändert –, also durch die Nachfragebeweglichkeit, die Anbieterzahl und die Kapazitätsauslastung. Die Verringerung der Anbieterzahl erhöht die potentielle Wettbewerbsintensität durch den auf Grund des gleichzeitig steigenden Gewinnniveaus wachsenden Finanzierungsspielraum der Unternehmen für Innovationen und Anpassungsinvestitionen. Die effektive Wettbewerbsintensität wird nicht zwangsläufig – so Kantzenbach – durch die steigende oligopolistische Interdependenz und damit die steigende potentielle Wettbewerbsintensität erhöht, da im Bereich enger Oligopole – zwei bis vier anbietende Unternehmen – in zunehmendem Maße die wirtschaftliche Macht als Auslesekriterium im Wettbewerb an Stelle der wirtschaftlichen Leistung tritt. Die hier auftretenden Machtkämpfe seien verantwortlich für das Abweichen der effektiven von der potentiellen Wettbewerbsintensität. Da Kantzenbach sich in Bezug auf das Dilemma zwischen statischer Preiskonkurrenz und geringem technischem Fortschritt bei vollständiger Konkurrenz einerseits und beschränkter Preiskonkurrenz und intensivem Wettbewerb um technische Innovationen im Oligopol andererseits für letzteres entscheidet, also für die Priorität der fünften Wettbewerbsfunktion, wird von ihm das Optimum der Wettbewerbsintensität für den Bereich weiter Oligopole – ca. fünf bis zehn Unternehmen an einem Markt – mit mäßiger Produktdifferenzierung angegeben.
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Die tatsächliche Situation auf vielen Märkten stimmt aber nicht mit dieser optimalen Wettbewerbsintensität überein. Bei der Ableitung der kostenoptimalen Betriebsgröße kommt Kantzenbach zu dem Ergebnis, dass in den meisten Fällen, in denen Unternehmen die wettbewerbsoptimale Größe überschreiten, technologische und/ oder organisatorische Ersparnisse zu diesen Unternehmensgrößen geführt haben. Eine Optimierung der Wettbewerbsintensität durch Veränderung der Produktionsstruktur – Vermehrung der Zahl selbständiger Unternehmen am Markt durch Entflechtung vorhandener Großunternehmen – sei daher nicht erstrebenswert. In dem Bereich der überoptimalen Wettbewerbsintensität – enges Oligopol – steigen die Neigung und die Möglichkeiten, zu Wettbewerbsbeschränkungen. Die gegenseitige Abstimmung des Preisverhaltens zwischen den Oligopolisten – sei es durch formlose Absprache, sei es durch Vertrag über ein Preiskartell – wird von Kantzenbach als begrenzte Reduzierung der potentiellen Wettbewerbsintensität auch unter gesamtwirtschaftlichen Aspekten begrüßt, da oligopolistische Preiskämpfe keine positive Wettbewerbsfunktion erfüllen. In Bezug auf Investitionskartelle stellt Kantzenbach fest, dass die Freiheit und Unabhängigkeit der unternehmerischen Investitionsentscheidung das Kriterium für ein Minimum an funktionsfähigem Leistungswettbewerb sei. Gibt es also demnach „gute“ und „böse“ Kartelle, so geht Kantzenbach davon aus, dass fast alle Unternehmenszusammenschlüsse eine Reduzierung der Wettbewerbsintensität für die beteiligten Unternehmen bewirken und/oder den technischen Fortschritt bei den Produktionsverfahren ermöglichen. Kantzenbach tritt daher für eine Genehmigungspflicht von Unternehmenszusammenschlüssen ein. Bei unteroptimaler Wettbewerbsintensität – zu viele anbietende Unternehmen am Markt – solle die Konzentration gefördert werden. Mit diesem Konzept glaubt Kantzenbach die Lösung des scheinbaren Widerspruches, der zwischen der hohen Funktionsfähigkeit des bestehenden marktwirtschaftlichen Systems und der Tatsache besteht, dass in ihm Wettbewerbsbeschränkungen nicht die Ausnahme sondern die Regel bilden, gefunden zu haben. Mit diesen Analysen steht Kantzenbach in der Tradition der englischsprachigen Theoretiker wie John Maurice Clark zu den Bedingungen eines „workable competition“. Ein funktionsfähiger Wettbewerb ist dann gegeben, wenn die Normen zu Marktstruktur, Marktverhalten und Marktergebnis eingehalten sind. Die Marktstruktur ist dann akzeptabel, wenn folgende Kriterien gegeben sind: große Zahl von Anbietern, gemäßigte Produktdifferenzierung, keine künstlichen Mobilitätsbeschränkungen, angemessener Zugang zu Informationen, Unsicherheit über das Preisverhalten der Konkurrenten, andauernde Öffnung neuer Bereiche für den Wettbewerb. Das Marktverhalten ist demnach nicht zu beanstanden, wenn folgende Tests bestanden sind: kein Schutz ineffizienter Unternehmen, keine unfairen, boykottierenden oder gewalttätigen Praktiken, wettbewerbliche Rivalität zwischen den Unternehmen auf Grund unabhängiger Entscheidungen unter den Gesichtspunkten von Gewinn und Verlust, „wahre“ Werbung. Das Marktergebnis ist dann befriedigend, wenn folgende Tatbestände gegeben sind: die Gewinne ergeben sich in der Höhe, dass sie Investitionen und Effektivität belohnen und Innovationen anregen, die Qualität der Güter befindet sich in Übereinstimmung mit den Interessen der Verbraucher, der Marktzutritt ist so frei, wie es die allgemeinen Bedingungen der Branche erlauben, keine politische und wirtschaftliche Macht befindet sich in den Händen einer kleinen Gruppe, die Wohlfahrt der Arbeitnehmer wird berücksichtigt. Ist das Marktergebnis im
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Hinblick auf den technischen Fortschritt einigermaßen befriedigend, so wird auch der unvollkommene Wettbewerb als funktionsfähig angesehen. Diese Konzepte zum funktionsfähigen Wettbewerb versuchen, mit dem Ziel, praktikable Tests für die Wettbewerbspolitik zu erarbeiten, trotz unvollkommenen Wettbewerbs die Leistungsfähigkeit marktwirtschaftlicher Wirtschaftsordnung unter Beweis zu stellen. Dem Staat kommt einerseits die Funktion zu, Konzentration zu fördern bis zur optimalen Wettbewerbsintensität und andererseits hat er die Aufgabe, durch die Fusionskontrolle den Übergang zu einer unteroptimalen Wettbewerbsintensität zu unterbinden. • Vorstoßender und nachfolgender Wettbewerb: Erich Hoppmann Hoppmann als eher an den Interessen einer mittelständischen Wirtschaft orientierter Wissenschaftler gehört zu den schärfsten Kritikern des Konzepts der „workable competition“ und des Konzepts der Funktionsfähigkeit des oligopolistischen Wettbewerbs von Kantzenbach. Hoppmann verfolgt das Ziel einer wettbewerbspolitisch praktikablen Definition des unternehmerischen Wettbewerbs: „Wettbewerb sind jene Marktprozesse, die den Zielen der Wettbewerbspolitik entsprechen“. Er geht in seiner Kritik der „Workable Competition als wettbewerbspolitisches Leitbild“ im Jahre 1967 von folgenden zwei Zielkomplexen für die Wettbewerbspolitik aus: – Wettbewerbsfreiheit und – ökonomische Vorteilhaftigkeit. Ausgehend von der durch Schumpeter geprägten prozessualen Wettbewerbstheorie sieht Hoppmann die Freiheit zum Wettbewerb unter den Konkurrenten (Parallelprozess) in der Freiheit der Initiative, zum Vorstoß in technisches, organisatorisches und ökonomisches Neuland und in der Freiheit zur Nachfolge und zur Imitation. Die Freiheit der Marktgegenseite (Austauschprozess) sieht er in der Freiheit zur Auswahl unter mehreren Alternativen – Wettbewerb als Entdeckungsverfahren. Die wettbewerblich ablaufenden Marktprozesse seien erwünscht, weil sich in ihnen die genannten wirtschaftlichen, insbesondere unternehmerischen Freiheiten manifestieren. Diese Freiheiten seien Voraussetzungen für verschiedene Aspekte wirtschaftlicher Selbstbestimmung, für Freiheit der Konsumwahl, der Einkommensverwendung, der Vermögensverwendung, für Freiheit beim Einsatz der eigenen Arbeit (freie Berufswahl und Berufsausübung, Gewerbefreiheit, freie Arbeitsplatzwahl). Zur ökonomischen Vorteilhaftigkeit heißt es, dass die wettbewerbliche Organisation der Marktprozesse wechselseitige individuelle Vorteile bringe, indem im Parallelprozess gelte, dass der, der Besseres leiste, vor seinen Mitbewerbern einen finanziellen Vorteil erziele. Im Austauschprozess bringe das „Zum-Zuge-Kommen“ des Leistungsfähigeren dem einzelnen Nachfrager qualitative und preisliche Vorteile. Diese individuellen Vorteile seien auch gesamtwirtschaftlich erwünscht wegen ihrer positiven Auswirkungen wie geringe Kosten der Güterproduktion, gute Qualität der Erzeugnisse, Varietät der Erzeugung und der Produkte, Einführung technischer und organisatorischer Fortschritte und Ausschaltung unwirtschaftlicher Bereiche. Damit stelle die auf Leistungswettbewerb gegründete marktwirtschaftliche Ordnung das notwendige Bindeglied zwischen individuellem Verhalten von Unternehmern und Konsumenten und gesamtwirtschaftlicher Entwicklung dar.
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Hoppmann schließt sich der Feststellung der Regierungsbegründung zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen von 1957 an, die lautet: „Die Wettbewerbswirtschaft ist die ökonomischste und zugleich demokratischste Form der Wirtschaftsordnung“. Hoppmann geht davon aus, dass abgesehen von bestimmten Ausnahmebereichen die geschilderte Form des Leistungswettbewerbs prinzipiell in allen Wirtschaftsbereichen möglich ist, d. h. dass ein „spirit of competition“ vorhanden ist und dass die Möglichkeit der Lenkung der Marktprozesse durch wirtschaftspolitisch installierte „Spielregeln“ gegeben ist. Es komme dabei darauf an, Wettbewerbsfreiheit praktikabel negativ über das Kriterium der „ungebührlichen Marktmacht“ zu definieren. • Ursachen der Konzentration: Hans Otto Lenel Auf der Basis von empirischen Untersuchungen identifiziert Lenel 1968 die folgenden wichtigsten Gründe für Unternehmenskonzentrationen, die zu überragender Marktmacht führen können: – Technische Gründe Hier geht es auf Grund des Einsatzes von spezifischen technischen Produktionsverfahren um die Vorteile aus der Massenproduktion (economies of scale): die Stückkosten sinken bei Erhöhung der Produktion bei gegebenem technischen Wissen bis zu einer bestimmten Menge. Verändert sich dieses technische Wissen, so steigt diese betriebsoptimale Produktionsmenge. Unternehmen, die diese Vorteile aus der Massenproduktion ausnutzen können auf Grund der vorhandenen Nachfrage, können kleinere Wettbewerber beispielsweise durch Preiskriege „ausschalten“ bzw. so bedrängen, dass sie zur Übernahme bereit sind, so dass die übernehmenden Unternehmen schneller wachsen als die übrigen Wettbewerber. – Finanzierungsvorteile Der Zugang von Großunternehmen zu den Finanzierungsmärkten und damit zu den Banken – Kreditaufnahme, Ausgabe von Unternehmensanleihen oder Emission neuer Aktien, – ist viel einfacher und günstiger als für kleinere Unternehmen. Großbanken in Deutschland haben z.B. Kreditlinien für das Kirch Medienimperium mit seinen Fernsehsendern und seinen immensen Filmarchiven auch dann noch verlängert, als hohe Verluste bekannt wurden, während „normale“ mittelständische Unternehmen längst hätten Konkurs anmelden müssen. Auch durch diese Finanzierungsvorteile können Großunternehmen überproportional wachsen und damit ihre Marktmacht steigern. – Weitere Vorteile auf Grund von Marktmacht Marktbeherrschende Unternehmen können ihren Zulieferern die Bedingungen – Preise, Qualität und Mengen – diktieren und dadurch Teile von deren Gewinnmargen auf sich transferieren, besonders wenn die Zulieferer auf Grund spezieller Fertigungen von dem Unternehmen abhängig sind. Marktbeherrschende Unternehmen können ihre Position auch auf Grund von Diversifikationsstrategien erworben haben. Sie können so durch die Verwendung von Gewinnen aus ei-
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nem Markt zur Unterbietung von Konkurrenten in einem anderen Markt diese vom Markt verdrängen und so ihre bereits dominante Position weiter ausbauen. Wirtschaftswissenschaftler, die die Dynamik dieser die Konzentrationsprozesse auf Märkten beschleunigenden Gründe anerkennen, plädieren für strenge Wettbewerbsgesetze und AntiKonzentrationsmaßnahmen.
7.2 Zusammenfassung: Die wirtschaftstheoretischen Grundannahmen zu Wettbewerb und Konzentration Moderne Lehrbücher der „mainstream“ Wirtschaftstheorie (vgl. z.B. Helmstädter), also der Wirtschaftstheorie, die als Begründung der „Wohlstand für alle“ fördernden Funktionsweise der Marktwirtschaft durch Leistungswettbewerb auf breiten gesellschaftlichen Konsens stößt, gehen davon aus, dass die aus subjektiven Nutzenpräferenzen abgeleitete Nachfragekurve eines Marktes für ein spezifisches Gut preiselastisch ist: bei hohem Marktpreis wird relativ wenig gekauft im Vergleich zu einem niedrigeren Preis. Umgekehrt gilt für die entsprechende aus dem Gewinnmaximierungsprinzip des Unternehmers und seiner s-förmigen Kostenkurve abgeleitete Angebotskurve, dass bei relativ hohem Preis viele Güter angeboten werden im Vergleich zu einem niedrigeren Preis. Daraus folgt, dass es in diesem „zeitlosen“ Marktmodell einen Schnittpunkt zwischen Angebot und Nachfrage gibt, für den sich der Markt im Gleichgewicht befindet – freilich gehen bei diesem Gleichgewicht diejenigen Konsumenten, die den Marktpreis nicht entrichten wollen oder können, leer aus. Auf Grund dieser Ableitung eines stabilen Gleichgewichts auf den Märkten wird gefordert, innerhalb eines staatlich gesetzten Ordnungsrahmens die autonomen Unternehmer und Konsumenten selbst entscheiden zu lassen, was sie zu welchem Preis anbieten bzw. nachfragen. Das statische Marktgleichgewicht stellt sich auch immer wieder ein, wenn es vom Gleichgewicht abweichende Preise oder Mengen gibt: der Wettbewerbsmechanismus führt entlang der Nachfrage- bzw. Angebotskurve immer wieder zum Schnittpunkt beider Kurven zurück. Wenn nun das Marktmodell dynamisiert wird, d. h. dass sich die Nachfragekurve auf Grund von veränderten Käuferpräferenzen nach rechts – steigender Bedarf – oder nach links – sinkender Bedarf – verschiebt oder aber die Angebotskurve sich auf Grund von veränderten Kostenstrukturen – veränderte Preise der Vorprodukte oder Einführung neuer Produktionsverfahren – nach rechts oder links verlagert, dann gibt es im neuen Schnittpunkt der beiden Kurven immer ein neues Gleichgewicht.
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Schaubild 9: Marktgleichgewicht nach dem Cobbweb-Theorem
Angebotskurve
Preis A
A = Ausgangspunkt G= Schnittpunkt von Angebot und Nachfrage = Gleichgewicht
G
Nachfragekurve N= nachgefragte Menge
Daraus folgt sowohl für die statische als auch für die dynamische Betrachtung: „freie“ Märkte tendieren immer zu einem stabilen Gleichgewicht. Die so funktionierenden Märkte erfüllen folgende Funktionen: • Faktorallokation: die knappen Ressourcen für die Produktion – insbesondere Rohstoffe, Kapital und Arbeit – werden in ihre produktivsten Verwendungen gelenkt • Güterallokation: die produzierten Güter entsprechen den Wünschen der Kunden • Verteilfunktion: die Einkommen werden entsprechend der Leistung im Produktionsprozess verteilt • Innovationsfunktion: offene Märkte fördern Neuerungen zum Wohle der Konsumenten • Anpassungsfunktion: Märkte passen sich veränderten Bedingungen wie z.B. schwankenden Wechselkursen und veränderter „Umwelt“ wie z.B. veränderter Regulierung an. Wettbewerb in diesen Marktmodellen findet vorrangig auf der Unternehmensseite statt, und zwar über Kostensenkungsprozesse entweder durch den Einsatz neuer Technologien und/oder Reorganisationsmaßnahmen. Verminderte Kosten werden über geringere Angebotpreise und größere Angebotsmengen an die Kunden weitergegeben. Da es sich in der Ausgangsbetrachtung um homogene Güter handelt, sind die anderen anbietenden Unternehmen gezwungen, sich mit den Preisen anzupassen, wollen sie nicht auf ihren Waren sitzen bleiben. Hieraus folgt, dass die Marktform der vollständigen Konkurrenz – viele, etwa gleich große Unternehmen am Markt und viele Konsumenten – gegenüber Monopol und Oligopol als die beste angesehen wird. Die Wirtschaftstheoretiker, die nicht so sehr den Preiswettbewerb auf Märkten gestärkt sehen wollen, sondern mehr auf den Innovationswettbewerb abstellen, sind auch bereit, tempo-
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räre Monopole zu akzeptieren bzw. sie favorisieren das weite Oligopol mit mäßiger Produktdifferenzierung – vgl. das Konzept des funktionsfähigen Wettbewerbs. Andere wiederum lehnen die Orientierung an bestimmten Marktformen ab und setzen vorrangig auf die Freiheit der Wettbewerbsprozesse. Wirtschaftstheoretiker, die ihre Analysen stärker an empirischen Befunden orientieren, haben die Ursachen für die Abweichungen vom Idealbild des Leistungswettbewerbs und die Tendenzen zur Unternehmenskonzentration herausgearbeitet und damit die Wettbewerbspolitik vor kaum lösbare Aufgaben gestellt: marktwirtschaftlicher Wettbewerb ist prinzipiell wünschenswert und allen anderen Formen der Wirtschaftsordnung vorzuziehen, aber ihm wohnen immanente Tendenzen zur Unternehmenskonzentration inne, die seine Grundlagen selbst gefährden. Die Wirkungen von Wirtschaftskonzentration bestehen in der Verhinderung des Marktzutritts von neuen Unternehmen, in dem Erlahmen von Innovationsprozessen und in der Ausbeutung der Kunden durch überhöhte Preise am Markt.
7.3 Wirtschaftspolitische Ansätze zur Förderung des Leistungswettbewerbs und zur Regulierung der Konzentration vor dem Hintergrund der wirtschaftstheoretischen Entwicklung Die verschiedenen auf der Neoklassik beruhenden wirtschaftspolitischen Schulen zu marktwirtschaftlichem Wettbewerb und unternehmerischer Konzentration sind sich einig in ihrem Ausgangspunkt von der subjektiven Wertlehre, von dem Menschenbild des homo oeconomicus, des rational handelnden, mit vollständiger Markttransparenz ausgestatteten Verbrauchers und des Gewinn maximierenden Unternehmers – beide am Markt auf „gleicher Augenhöhe“, d.h. ohne Machtgefälle –, und in der positiven Bewertung marktwirtschaftlichen Wettbewerbs. Uneinig sind sich die verschiedenen Schulen in der Spezifizierung dieses Wettbewerbs: Die einen sehen den wünschenswerten Wettbewerb determiniert durch spezifische statische Marktformen – wobei auch über diese wiederum kein Konsens besteht – während die anderen optimalen Wettbewerb durch den offenen Prozess von innovativem Vorstoß und nachahmender Verfolgung sehen. Die einen orientieren sich an der Neoklassik von Gossen über Cournot bis von Stackelberg – Marktform der vollständigen Konkurrenz – bzw. an Chamberlin und Kantzenbach – funktionsfähiger Wettbewerb im weiten Oligopol – die anderen orientieren sich an Schumpeter und Hoppmann – sie stellen auf die Freiheit der Wettbewerbsprozesse ab und akzeptieren auch temporäre Monopolstellungen. Wettbewerb nach diesen unterschiedlichen Vorstellungen bezieht sich immer auf Güter, an denen individuelle Eigentumsrechte gebildet werden können. Dies bedeutet, dass das Ausschlussprinzip des Marktes greift: der Inhaber des Gutes kann jeden anderen von dessen Nutzung ausschließen. Damit gilt auch die Rivalität des Konsums: Der Verbrauch des Gutes durch den Eigentümer hindert andere an dem Verbrauch des gleichen Gutes. Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs auf Gütermärkten setzt darüber hinaus voraus, dass sich die potentiellen Konsumenten vor dem Kauf über das Gut, seine Qualität, seinen Preis und seine Entsorgung informieren und Vergleiche anstellen können. Sind diese Bedingungen nicht gegeben, also etwa bei Informationsdefiziten oder handelt es sich um öffentliche Güter, die allen gleicherma-
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ßen ohne Ausschlussprinzip – wie z.B. die öffentliche Sicherheit nach innen und außen – zur Verfügung stehen oder handelt es sich um Güter mit ausgeprägten externen Effekten wie z.B. der allgemeinen, chancengleich zu gewährenden Schulbildung, so ist von einer marktwirtschaftlichen Organisation abzusehen. Bei einem Marktversagen in derartigen Bereichen ist der Staat ordnungspolitisch gehalten, andere Mechanismen der Produktion und Verteilung – etwa durch öffentliche Institutionen – vorzusehen. Für die Frage nach der Funktionsweise von Medienmärkten, wenn sie nach diesen Vorstellungen analysiert werden sollen, ist zu konstatieren, dass durch den Ausgangspunkt von subjektiven Wertvorstellungen diese Wirtschaftswissenschaftler sich immunisieren gegen die Frage, wie denn die subjektiven Wertvorstellungen, die zu Kaufentscheidungen führen, zustande kommen. Die Frage nach der Sozialisation der Individuen durch mediale Inhalte und durch Werbung wird nicht gestellt und bleibt daher unbeantwortet. Außerdem handelt es sich vorrangig um statische, zeitlose Marktmodelle, in denen kulturelle Prägungen und historische Entwicklungen keinen Platz haben. Damit aber stellt sich die Frage nach dem Realitätsgehalt der postulierten „gleichen Augenhöhe“ zwischen Anbieter und Nachfrager, bzw. nach der Souveränität der Konsumenten. Darüber hinaus bleibt zu prüfen, ob die Gütereigenschaften für ein marktmäßiges Angebot auf alle Medien zutreffen und ob sich die Käufer in allen Fällen vor dem Kauf ausreichend informieren können. Die Frage, wie die Medienmärkte mit teilweiser oder vollständiger Finanzierung über Werbung ordnungspolitisch zu beurteilen sind, muss darüber hinaus gestellt und beantwortet werden. • Ordnungspolitische Konsequenzen im Überblick Grundsätzlich einig sind sich die meisten Wettbewerbstheoretiker darüber, dass der wirtschaftliche Wettbewerb seine Leistungsfähigkeit zum Wohle der Verbraucher nur entfalten kann im Rahmen staatlicher Regulierung, d.h. in einem staatlich gesetzten und durch staatliche Wettbewerbsbehörden und Gerichte durchgesetzten Ordnungsrahmen. So sollen die beiden großen Regelungsmechanismen – Markt und Staat – nach wirtschaftspolitischen Vorstellungen ineinander greifen. Für den Fall des Versagens des Wettbewerbs durch Prozesse interner oder externer Unternehmenskonzentration sollen z.B. durch Fusionskontrolle oder eine Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen durch die Anti-Kartell- und Wettbewerbsbehörden unternehmerischer Wettbewerb und Marktzutrittsfreiheit wiederhergestellt werden. Für den weitergehenden Fall von Marktversagen, d. h. dass marktwirtschaftlicher Wettbewerb ordnungspolitisch nicht organisiert werden kann, bedeutet Regulierung den Einsatz direkter staatlicher Eingriffe in unternehmerisches Handeln als da wären: Begrenzung des Einsatzes unternehmerischer Handlungsparameter wie Preis-, Mengen- und Produktgestaltung und in Folge die Begründung alternativer Steuerungsmechanismen jenseits von privatwirtschaftlichen Märkten. Dieses ordnungspolitische Denken setzt zweierlei voraus: Zum einen, dass der demokratische Staat der Wirtschaft und ihren Unternehmen gegenüber unabhängig – nur dem Gemeinwohl verpflichtet – ist, dass er also souverän die Wettbewerbsordnung gestalten kann und zum anderen, dass seine Instrumente und Sanktionen zur Durchsetzung der Wettbewerbsord-
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nung immer „auf der Höhe der Zeit“ und durchschlagend sind, d.h. dass er sich faktisch immer Respekt verschaffen kann. Diese zwei Voraussetzungen können diskutiert werden: Zu fragen ist, wie weit es unternehmerischen Lobbygruppen gelungen ist bzw. immer wieder gelingt, Wettbewerbsgesetze „zu verwässern“ – hier können die zahlreichen Ausnahmen vom allgemeinen Kartellverbot im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen angeführt werden. Noch grundsätzlicher kann gefragt werden, wie es dem Staat gelingen kann, seine Wettbewerbsgesetzgebung den veränderten Konkurrenzentwicklungen – z.B. Marktentwicklungen mit vielen kleinen Produzenten und Anbietern auf regionalen Märkten hin zu international agierenden oligopolistischen Konzernen – anzupassen, und dies angesichts der geschilderten Uneinigkeit bei den Wettbewerbstheoretikern in Bezug auf die inhaltliche Qualifizierung „funktionsfähigen“ Wettbewerbs. Hinzu kommt, dass im Gegensatz zu wirtschaftlicher Dynamik Gesetzgebung und juristische Anwendung von Gesetzen langwierig und auf Konstanz angelegt ist. Hinzu kommt, dass Juristen keine Wirtschaftswissenschaftler sind und von daher Diskrepanzen im Hinblick auf die Interpretation von ökonomischen Sachverhalten vorprogrammiert sind. Für den Fall des Marktversagens in einem speziellen Teil der Wirtschaft bleibt zu fragen, wie es dem Staat gelingen kann, eine alternative Organisationsform der Güter- oder Dienstleistungsproduktion durchzusetzen, wenn und soweit es sich vorher um privatwirtschaftliche Unternehmen mit starker Lobby handelte. Wenn der Staat aus den angeführten Gründen nicht in der Lage sein sollte, seine ordnungspolitischen an Gemeinwohlkriterien orientierten Aufgaben in einem bestimmten wirtschaftlichen Bereich wahrzunehmen, dann liegt „Staatsversagen“ vor. Wenn nun aber für einen bestimmten gesellschaftlichen bzw. wirtschaftlichen Bereich sowohl Markt- als auch Staatsversagen zu konstatieren ist und wenn sich gleichzeitig daraus erhebliche negative externe Effekte ableiten lassen, dann ergibt sich eine gravierende gesellschaftspolitische Problemlage, für die es bisher nach wirtschaftswissenschaftlicher Analyse bzw. nach wirtschaftspolitischen Instrumenten keinen geregelten Mechanismus der Krisenbewältigung gibt. • Orientierung an Marktformen Die strengen Ordnungspolitiker wie Walter Eucken nach dem zweiten Weltkrieg wollten die Marktform der vollständigen Konkurrenz verwirklicht sehen. Sie sprachen sich daher für ein vollständiges Kartellverbot aus und für die Entflechtung von Monopolen. Diese Vorstellungen lagen auch den ersten Entwürfen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) aus den Jahren 1948/49 zu Grunde, die aber durch eine parlamentarische Beratung über acht lange Jahre sehr stark verwässert wurden: Es gibt viele Ausnahmen vom Kartellverbot und marktbeherrschende Unternehmen können nicht entflochten werden sondern unterliegen nur einer Missbrauchsaufsicht durch das Bundeskartellamt. Auch kann die Fusionskontrolle durch eine Sondererlaubnis des Bundswirtschaftsministers unterlaufen werden. Andere Theoretiker der Wirtschaftspolitik haben sich, nachdem sich in der wirtschaftlichen Entwicklung immer mehr oligopolistisch beherrschte Märkte herausgebildet haben, an den Konzepten des funktionsfähigen Wettbewerbs orientiert und vorgeschlagen, dieses Konzept bei der Fusionskontrolle oder der Missbrachsaufsicht nach GWB anzuwenden.
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• Orientierung an der Freiheit von Marktprozessen Im Gegensatz zu der vorrangig statischen Betrachtung von Marktformen, geht es bei der Orientierung an der Freiheit der Marktprozesse darum, den dynamischen Wettbewerb im Sinne Schumpeters und Hoppmanns offen zu halten. Auch temporäre Monopole können hiernach akzeptiert werden, wenn der Marktzutritt für potentiellen Wettbewerb real gegeben ist, d. h. dass die Stellung des Monopolisten nicht durch spezielle Verfügungsrechte z.B. über Patente besonders abgesichert ist. Bei dieser Orientierung geht es also vorrangig um die rechtliche Bewertung von Marktverhalten. Unternehmerischer Wettbewerb wird als offener Prozess, als Entdeckungsverfahren für Neues verstanden. Die Normierung dieses Ansatzes erscheint viel schwieriger als die des Ansatzes bei Marktstrukturen, da hier auch Intentionen von unternehmerischem Verhalten, und dies auch noch in ihrer Orientierung auf die Zukunft zu bewerten sind. • Internes, überproportionales Wachstum und Konzentration durch Unternehmenszusammenschlüsse; „Gute“ und „schlechte“ Kartelle; Konzentration und Kooperation; „Fairer“ Wettbewerb und „ruinöse“ Konkurrenz; Parallelverhalten im Oligopol: Dilemmata Die praktische Wettbewerbspolitik stellt sich als eine Kombination der geschilderten ordnungspolitischen Orientierungen dar entsprechend der Kräfteverteilung in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft und ihrer Einwirkung auf staatliche Institutionen, indem sie sowohl Aspekte von Marktstruktur als auch von dynamischem Marktverhalten als auch von Marktergebnissen berücksichtigt. Dabei steht sie jedoch vor einer Reihe von Dilemmata: – Internes überproportionales Wachstum wird als unternehmerische Leistung bewertet und daher nicht als gefährliche Marktstruktur sanktioniert, auch wenn es zu einer eindeutigen Marktbeherrschung geführt hat. Eine Entflechtung, um wieder wettbewerbliche Markstrukturen herzustellen, kommt nicht in Betracht weil gesetzlich nicht vorgesehen. Lediglich die Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen – § 22 GWB – kommt in diesem Fall zum Zuge, eine Aufsicht, die in weiten Teilen ein stumpfes Schwert darstellt, weil sie sich beispielsweise in der Preiskontrolle – zu hohe Preise auf Grund von Monopolmacht? oder zu geringe Preise, um verbliebene Konkurrenten vom Markt zu verdrängen? – in die unternehmerische Preiskalkulation hineinversetzen muss, ein schwieriges Unterfangen für Regulierungsbeamte und Richter. Externes Wachstum dagegen unterliegt der Fusionskontrolle, die nach dem Marktstrukturansatz mit einem Fusionsverbot enden kann. – Kartelle, also Absprachen unter selbständigen Unternehmen über die verschiedensten Wettbewerbsparameter, werden in Deutschland nicht generell verboten. Unter den Begriffen wie Strukturkrisenkartelle, Rationalisierungskartelle usw. werden Kartellformen erlaubt, die auch als Deckmantel für weitere den Wettbewerb behindernde Formen der Zusammenarbeit benutzt werden können. Im Übrigen gibt es notorische Kartellsünder wie die Zementindustrie oder die Baubranche, die offenbar zu der Einschätzung gekommen sind, dass die zu erwartenden Bußgelder bei möglicher Entdeckung des Kartells weit weniger wiegen als die zusätzlichen Gewinne aus den ständigen Kartellabsprachen.
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– Nach deutschem Kartellrecht wird zwischen erlaubter Kooperation zwischen Unternehmen und zu kontrollierender Konzentration unterschieden, obwohl die Übergänge fließend sind. – Ordnungspolitisch ist es – auch auf Grund der unterschiedlichen theoretischen Ansätze der Wettbewerbstheorie – nicht gelungen, sauber zwischen ruinöser Konkurrenz und fairem Wettbewerb zu unterscheiden, auch wenn es Konsens über einige Tatbestände des unzulässigen Verdrängungswettbewerbs gibt. – Bei Kartellen liegen meist Beweise über die Absprachen wie schriftliche Verträge oder Protokolle von gemeinsamen Sitzungen vor. Bei der Marktstruktur des (engen) Oligopols sind derartige Unterlagen nicht von Nöten, ergibt sich doch aus der Reaktionsverbundenheit der Unternehmen ein gleichgerichtetes Verhalten auf den Märkten. Parallelverhalten im Oligopol, das ebenso Wettbewerbs beschränkend ist wie eine Kartellabsprache, lässt sich daher schwerer nachweisen und wegen der Marktstruktur auch weniger erfolgreich unterbinden. Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen auch in seinen Novellierungen als Ausdruck vom Gesetzgeber gewollter Ordnungspolitik der Marktwirtschaft stellt sich daher als unvollständiger Instrumentenkasten dar, der einerseits von vorneherein Kompromisscharakter hatte und andererseits der dynamischen Entwicklung von Marktstrukturen und unternehmerischen Verhaltensweisen nur unvollständig angepasst wurde.
7.4 Wirtschaftstheoretische Ansätze und Medienwettbewerb und Konzentration Vor diesem Hintergrund der allgemeinen Wettbewerbspolitik soll nun die Anwendung von Wettbewerbs- und Konzentrationstheorie(n) und von Wettbewerbspolitik auf den Mediensektor dargestellt und kritisch analysiert werden. • Bruchlose Übertragung auf den Mediensektor Alle bisher geschilderten wirtschaftswissenschaftlichen Ansätze zu Wettbewerb und Konzentration haben immer nur die Angebotsseite analysiert, nicht dagegen die direkten oder indirekten Wirkungen des Angebots auf die Konsumenten bzw. auf die Gesellschaft insgesamt. Dies ist der durchgängigen Postulierung der Souveränität des homo oeconomicus geschuldet. Allen wirtschaftswissenschaftlichen Ansätzen in ihrer Anwendung auf den Mediensektor ist darüber hinaus gemeinsam, dass sie Medienangebote fast durchgängig wie andere ökonomische Güter und Dienstleistungen behandeln. Medienmärkte – Pressemärkte wie auch Märkte für Fernseh- und Filmrechte und die entsprechenden Werbemärkte – werden analysiert und bewertet wie Märkte beispielsweise für Automobile, Waschmaschinen oder Möbel. Da die Rezipientenseite aus den theoretischen Überlegungen ausgeblendet bleibt, kommen die kulturellen Besonderheiten, die gesellschaftliche Bedeutung der Medien und ihre Sozialisationsfunktion nicht in den Blick. Geht man von der nicht weiter hinterfragten Prämisse des selbst bestimmten homo oeconomicus aus und betrachtet man Produzenten und Konsumenten als auf gleicher Augenhöhe nach den gleichen Gesetzmäßigkeiten der Nutzenmaximierung agierend, so kann die Problematik der Suggestivkraft von Werbung als „geheime Verführerin“
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nicht in den Blick kommen. Noch weniger kann die Begrenzung des inhaltlichen Spektrums der Berichterstattung bei durch Werbung – wenn auch nur teilweise – finanzierten Medien oder die Spirale der immer weiter fortgesetzten Tabubrüche zur Auflagensteigerung insbesondere der Boulevardpresse oder zur Quotensteigerung des kommerziellen Fernsehens – „if it bleeds it leads“ – thematisiert werden. Die auf der subjektiven Wertlehre aufbauenden wirtschaftstheoretischen Analysen abstrakter Märkte liefern keine befriedigende Erklärung, wie die subjektiven Nutzenkalküle zustande kommen und sich im Laufe der Zeit verändern: – die Autonomie des souveränen, rational handelnden Wirtschaftssubjekts – sowohl als Nachfrager als auch als Anbieter von Gütern – wird zeitlos vorausgesetzt. – das (begrenzte) Einkommen, das zur Bedarfsdeckung zur Verfügung steht und nach subjektiven Nutzenkalkülen auf verschiedene Güter verteilt wird, wird als gegeben angesehen. Die Grenznutzenlehre gibt damit keine Antwort auf die Frage nach der gesellschaftlichen Verteilung der Kaufkraft. – als abstraktes mathematisches System – noch dazu wenn es sich auf statische Marktmodelle bezieht – blendet es spezifische historische Bedingungen, kulturelle Eigenheiten und tradierte mentale und emotionale Prägungen aus und ist damit weit entfernt von der jeweiligen wirtschaftlichen Realität. – obwohl von Adam Smith die institutionellen Voraussetzungen der Märkte frühzeitig erkannt wurden, ging ihre Erforschung in der Entwicklungsgeschichte der neoklassischen Wirtschaftstheorie „verloren“ bzw. sie wurde „ausgeblendet“. Von dieser Kritik ist allerdings Chamberlin auszunehmen, der mit seinen Analysen monopolistischer Konkurrenz reale Wettbewerbsprozesse im Oligopol realitätsnah beschrieben hat. Von dieser Kritik ist allerdings auch Schumpeter auszunehmen, dessen Auffassung von Konkurrenz als schöpferische Zerstörung realen insbesondere technischen Innovationsprozessen am ehesten gerecht wird. Allerdings ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass in Zeiten großer Aktiengesellschaften mit angestellten Vorständen es den Unternehmertyp, so wie ihn Schumpeter verstanden hat, nicht mehr gibt. Auch ist John Bates Clark positiv hervorzuheben, der auf den Wettbewerb als staatliche Veranstaltung verwiesen hat. Trotz dieser Einwände werden von „Mainstream“-Ökonomen Medienmärkte wie andere Gütermärkte analysiert und auf sie das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen bruchlos angewandt. Diese Anwendung wird auch als völlig ausreichend angesehen, um funktionsfähigen Medienwettbewerb zu verwirklichen. Ein unmittelbares Beispiel für die direkte Übertragung des methodologischen Individualismus gibt die Monopolkommission in ihrem 8. Hauptgutachten 1988/89 unter dem Vorsitz von Volkswirtschaftsprofessor Carl Christian von Weizsäcker (zur Monopolkommission und der Veränderung ihrer ordnungspolitischen Positionen vgl. Kapitel 10). In Kapitel V – Konzentration und Wettbewerb im Medienbereich schreibt die Kommission unter Zusammenfassung und Empfehlungen: „Die Übersicht über Konzentration und Wettbewerb im Medienbereich hat deutlich gemacht, dass in diesem Sektor ordnungspolitische Defizite unverändert fortdauern. Von Konsumentensouveränität auf den Rundfunkmärkten kann keine Rede sein. Das Angebot der öffentlich-rechtlichen Anstalten wird zwangsfinanziert (Gebühren). Für private Anbieter ist der Rundfunkhörer oder der Fernsehzuschauer vornehmlich als Konsument von Werbung interessant. Der Zugang zu den Märkten ist nicht offen. Hörfunk und Fernse-
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hen sind vielmehr hoch reguliert. Dieser Befund gilt, obwohl die ursprünglichen Gründe für solche wettbewerblichen Ausnahmebereiche heute weitgehend entfallen sind (Frequenzmangel, besonderer Finanzierungsaufwand für einen Marktzutritt). … Die überkommenen öffentlich-rechtlichen Strukturen haben sich eher weiter verfestigt. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten verstehen sich unverändert so, dass sie im Grundsatz außerhalb der Wettbewerbsgesetze stehen. … Das Angebot privater Konkurrenten wird demgegenüber nachhaltig erschwert. … Einzelne Landesmediengesetzgeber haben angesichts dieser Umstände lokalen und regionalen Zeitungsverlegern einen weitgehenden Zugriff auf die elektronischen Medienmärkte eingeräumt. Die Kehrseite davon ist, dass der Substitutionswettbewerb, der hier zwischen Zeitungsmärkten (Anzeigenmärkte wie Lesermärkte) und Rundfunkmärkten entstehen könnte, weiter geschwächt wird. … Dies ist umso bedenklicher, als auf lokalen Leser- und Anzeigenmärkten aus strukturellen Gründen vielfach keine wirksame Konkurrenz möglich ist (Einzeitungskreise). Diese Entwicklung auf dem Rundfunkmarkt ist nach Auffassung der Monopolkommission nicht so sehr Ausdruck von Wettbewerbsversagen als von Regulierungsversagen. Bei der Fusionskontrolle nach dem GWB schlägt dieser Defekt in der Weise durch, dass intermediäre Zusammenschlüsse zur Veranstaltung von privatem Rundfunk regelmäßig nicht untersagt werden können, da sie als „Aufholfusion“ gegenüber den dominanten öffentlich-rechtlichen Anbietern positiv gewertet werden. …Auch ein sogenanntes außenplurales Modell ist möglich“ (Bundestagsdrucksache 11/7582, Teilziffern 671ff). Grundlegende entsprechende Reformen im Rundfunkbereich seien möglich, da Bestands-, Entwicklungs- und Finanzierungsgarantien der öffentlich-rechtlichen Anstalten keinen Verfassungsrang hätten. Diese Ausführungen belegen unverschlüsselt, dass die Monopolkommission einerseits den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ordnungspolitisch für gefährlich und überholt ansieht, ihn in völliger Verkennung der verfassungsrechtlichen Lage wenn überhaupt noch in der Reduktion auf eine kulturpolitische Funktion bestehen lassen will. Sie belegen andererseits, dass die Monopolkommission einem reinen Marktmodell ausschließlich für kommerziellen Rundfunk den Vorzug gibt und dies offenbar nicht nur für Pay TV sondern auch für das rein über Werbung finanzierte, irreführender Weise sog. Free TV, für das die Bürger – vordergründig – „nichts“ bezahlen müssen. Die völlige Umkehr der Behauptung von Markt- und Regulierungsversagen (vgl. dazu weiter unten) ist nur möglich durch eine ideologische Verabsolutierung von „freier Marktwirtschaft“ für alle Gesellschaftsbereiche, und das, obwohl bewusst konstatiert wird, dass der Fernsehzuschauer für die privatwirtschaftlichen Veranstalter vornehmlich als Konsument von Werbung „interessant“ ist. Es gibt jedoch in zunehmendem Maße Wirtschaftswissenschaftler, Juristen und Medienökonomen, die eine differenzierende Position in der Analyse von Medienmärkten einnehmen. So hat beispielsweise Kantzenbach darauf hingewiesen, dass die Finanzierung von Tageszeitungen auch über Anzeigen zu einer die Konzentration fördernden Spirale von Werbungsfinanzierung und Auflagensteigerung führt. So hat Sjurts nachgewiesen, dass Internalisierungsstrategien nach dem Prinzip „think global, act local“ nur von großen Medienkonzernen erfolgreich umgesetzt werden können, weil nur sie über die finanziellen Mittel verfügen, im Ausland Tochtergesellschaften zu gründen oder ein lokales Unternehmen zu aquirieren. Dies gilt für deutsche Medienkonzerne im Ausland wie für ausländische (Medien)unternehmen auf „Brautschau“ in Deutschland. Derartige Internationalisierungsstrategien verstärken die Medienkonzentration auf den Inlandsmärkten.
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• Ordoliberalismus und Medien: Mestmäcker Mestmäcker wendet aus ordnungspolitischer Sicht die gleichen Kriterien des wirtschaftlichen Leistungswettbewerbs sowohl auf die Presse als auch auf den Rundfunk an. In Bezug auf die Presse schreibt er: „Der Zusammenhang von wirtschaftlicher und publizistischer Selbständigkeit der Verlage, zwischen wirtschaftlichem und publizistischem Wettbewerb ist konstitutiv für ein freies Pressewesen“ (1978, S. 30). Das allgemeine Wettbewerbsrecht sei bestimmt und geeignet, die wirtschaftlichen Voraussetzungen der Pressevielfalt zu erhalten. Nach ihm seien die einzelnen Erscheinungsformen der Konzentration zu beurteilen: – Pressefusionen; die Zusammenfassung bisher selbständiger Verlage zu einer neuen wirtschaftlichen und publizistischen Einheit, – die Zusammenfassung bisher selbständiger Verlage zu einer neuen wirtschaftlichen Einheit bei teilweiser Aufrechterhaltung der bisher selbständigen publizistischen Einheiten, – die Zusammenfassung publizistischer Einheiten durch Übernahme des redaktionellen Teils bei Fortbestehen wirtschaftlicher Selbständigkeit – Teilintegration: z.B. Bildung von Gemeinschaften für den Bereich der Anzeigen, des Drucks oder des Vertriebs (daselbst, S. 219f.) Für die Aufrechterhaltung des Wettbewerbs setzt Mestmäcker in diesen Fällen auf die Anwendung der Fusionskontrolle nach GWB: Fusionen seien auch dann zu untersagen, wenn selbständige publizistische Einheiten erhalten würden. Er hätte also anders als das Bundeskartellamt im Falle der Fusion der WAZ mit der NRZ diese untersagt. Außerdem setzt Mestmäcker auf die Entwicklung von Verhaltensnormen für marktbeherrschende Presseverlage – bes. im lokalen und regionalen Bereich – im Rahmen der Missbrauchsaufsicht. So müssten zur Analyse eines möglicherweise ruinösen Verdrängungswettbewerbs der Preiswettbewerb, die Kombinationstarife für Werbung in mehreren Zeitungen und eine Beherrschung des Großhandels überprüft werden. Zur Zeit dieser Analysen, Ende der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts zeichneten sich die „neuen Medien“ wie z.B. das Kabelfernsehen gerade am Horizont ab. Mestmäcker bemerkt dazu: „Die neuen Medien eröffnen die Möglichkeit, die lokalen und regionalen Alleinstellungen von Zeitungen dem Wettbewerb auszusetzen. Diese Möglichkeit besteht jedoch nur, wenn nicht dieselben Unternehmen, die auf diesen Märkten über beherrschende Stellungen verfügen, die neuen Medien ganz oder teilweise kontrollieren. Der Zugang zu den neuen Medien sollte ferner so ausgestaltet werden, dass die Konzentration durch konglomerate Medienunternehmen, welche auf einer Mehrzahl von Märkten tätig sind und auf einem Teil dieser Märkte über beherrschende Stellungen verfügen, nicht weiter gesteigert wird“ (daselbst, S. 226). Hier wird – ordnungspolitisch konsequent – der Trennung der verschiedenen Mediengattungen in wirtschaftlicher Hinsicht das Wort geredet. Sieht man aber auf die Entwicklung von Beteiligungen lokaler bzw. regionaler Presseverleger an lokalen bzw. regionalen Radios oder Fernsehveranstaltern und sieht man auf die Entwicklung weltweit agierender Multimediakonzerne, so bleibt festzustellen, dass die Medienpolitik diesen Vorschlägen nicht gefolgt ist. Mestmäcker erkennt für den Bereich des Rundfunks die Problematik der rein über Werbung finanzierten kommerziellen Programme an – der Rezipient ist nicht der Vertragspartner der Programmanbieter sondern die werbetreibende Wirtschaft, in Folge dessen kann der Konsu-
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ment nicht direkt seine Konsumentensouveränität ausspielen. Daher plädiert Mestmäcker für privatwirtschaftliches Pay TV als dominante Form der Rundfunkorganisation und Finanzierung: Nur so könne auch im Rundfunkbereich den Marktgesetzmäßigkeiten zur vollen Geltung verholfen werden. • Eine spezifische Medienökonomie: Heinrich Jürgen Heinrich in seinen zwei Bänden der Medienökonomie ist grundsätzlich Marktwirtschaftler, aber einer, der die Medienproduktion „unvoreingenommen“ und kenntnisreich analysiert. Generell leitet er ab, dass Information und Meinungsvielfalt öffentliche Güter seien – Nicht-Rivalität des Konsums, Schwierigkeiten, Eigentumsrechte durchzusetzen, erwünschte externe Effekte etc., alle diese Kriterien träfen zu. In der parlamentarischen Demokratie sei Meinungsvielfalt unabdingbar, werde aber privat nicht nachgefragt. Die resultierende Unterproduktion dieses Gutes sei also ein Strukturfehler eines kommerziellen Medienmarktes (Heinrich, Bd. 1, zum Marktversagen S. 70ff und S. 94f). Als Strukturproblem des Wettbewerbs besonders im Pressesektor arbeitet Heinrich überzeugend die einzigartige Fixkostendegression der Medienproduktion heraus, die ein wesentlicher Grund für die Pressekonzentration sei (daselbst, S. 96ff). Hinzu komme als weiterer Grund der Medienkonzentration die Gewinn steigernde Spirale aus Auflage und sinkendem Tausenderpreis hinzu, die sich aus dem Verbund von Rezipienten- und Werbemarkt ergebe. (daselbst, S. 129f, S. 229ff, S. 244ff mit gewissen Relativierungen auf Grund des empirischen Materials). Auf Grund des konstatierten und empirisch belegten Marktversagens im Pressebereich diskutiert Heinrich staatliche Maßnahmen zur Produktion des öffentlichen Gutes „Meinungsvielfalt“ und Aspekte staatlicher bzw. gesellschaftlicher Überwachung der Qualität von Meinungsprodukionen – z.B. die vorgeschlagene Stiftung „Medientest“ – allerdings mit gravierenden Bedenken für den Pressesektor (daselbst, S. 112ff). Für den Bereich des Rundfunks konstatiert er ebenfalls Marktversagen (Bd.2 S. 24ff), d.h. dass die Vorstellungen vom Wettbewerb auf Gütermärkten nicht auf kommerzielle Rundfunkmärkte übertragbar sind. An medialen Inhalten ließen sich definierte Eigentumsrechte nur unzureichend begründen; Sendungen des „free TV“ über terrestrische Sendenetze oder Satelliten verbreitet, könnten von jedermann ohne marktmäßige Bezahlung empfangen werden. Raubkopien insbesondere für Musik im Internet ließen sich schwerlich verhindern. Die elektronischen Medien als stoffliche Träger der Information seien teils private, teils öffentliche Güter je nach Übertragungsweg und Abrechnungssystem. Pay-TV als verschlüsseltes Signal, das nur mit Hilfe eines bezahlten Decoders empfangen werden kann, ist ein privates Gut, gleiches kann gelten bei Programmen nur über Kabel. Unverschlüsselte Signale, die frei aus der Luft empfangen werden können, dagegen sind öffentliche „Güter“, weil allgemein ohne Bezahlung zugänglich. Außerdem sei bei Film- und Rundfunkproduktionen wegen der fast ausschließlichen fixen Kosten der Informationsproduktion Nichtrivalität des Konsums gegeben: mein Fernsehkonsum schließt nicht den Nachbarn vom Konsum des gleichen Programms aus. Als Folgen des Nichtausschlusses des Rundfunkprogrammkonsums konstatiert Heinrich die Orientierung der Produktion von Inhalten an der großen Zahl der potentiellen Nutzer, weil
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nur so – vermittelt über die Werbekontakte – die Fixkosten über die Erlöse auf dem Werbemarkt wieder eingespielt werden können. Dies bedeutet gleichzeitig die Produktion des „more of the same“ bzw. die Produktion von Programmen, die die Aufmerksamkeit des geneigten Publikums erhalten durch Skandalisierung von Politik und Gesellschaft, Brutalisierung von Konflikten und Trivialisierung von individuellen und gesellschaftlichen Problemen – immer in den gleichen Programmformaten angeboten. Bei derartigem Marktversagen könne die zur Konstituierung einer demokratischen Öffentlichkeit notwendige publizistische Vielfalt an seriöser Information im kommerziellen Rundfunk nicht zustande kommen. Ohne im Einzelnen auf die Ergebnisse der Medienwirkungsforschung einzugehen konstatiert Heinrich pekuniäre, psychologische und technologische externe Effekte, die allerdings seiner Meinung nach weder qualitativ noch quantitativ erfassbar seien, sodass eine Zuordnung nach dem Verursacherprinzip nicht möglich erscheine. Heinrich diskutiert Maßnahmen zur Verstärkung des privaten Charakters von Informationen und Ansätze zur Verringerung der Anreize für geistigen Diebstahl, um so mehr Marktwirtschaft zurück zu gewinnen, ohne allerdings diesen Möglichkeiten große Erfolgschancen einzuräumen. Er plädiert daher für eine Stärkung eines allerdings reformierten öffentlichrechtlichen Rundfunks. • Neue Politische Ökonomie Die Vertreter der Neuen Politischen Ökonomie bauen zwar auf den klassischen Ansätzen der Wirtschaftswissenschaften – methodologischer Individualismus – auf, sie ergänzen sie aber in wesentlichen Punkten. Sie lösen sich von „zeitlosen“ Modellen und verstehen sich als Analytiker historischer Entwicklungen. Sie fragen explizit nach dem Verhältnis von kapitalistischer Entwicklung und staatlicher Intervention und Regulierung. Sie blicken über Aspekte betrieblicher und volkswirtschaftlicher Effizienz hinaus und beziehen Wertungsfragen in ihre Untersuchungen ein. Sie propagieren demgemäß einen „ganzheitlichen Ansatz“, ähnlich der hier vertretenen sozio-ökonomischen Herangehensweise (vgl. dazu oben Kapitel 3). Für die Analyse der Neuen Politischen Ökonomie in Bezug auf die Entwicklung der Medien sind der Property-Rights-Ansatz, der Principal-Agent-Ansatz, die Transaktionskostenökonomik und der Public-Choice-Ansatz von besonderer Bedeutung (vgl. Kiefer, Medienökonomik S. 53ff). Der Property-Rights-Ansatz geht davon aus, dass Eigentums-, Verfügungs- und Nutzungsrechte sozial regulierte Beziehungen sind und dass sie eine soziale Machtrelation zwischen Personen in Bezug auf Güterverwendungen spiegeln (vgl. daselbst, S. 275). Dieser Ansatz wendet sich damit explizit auch den Positionen und Rechten der Rezipienten zu und er weist damit weit über die behandelten wirtschaftswissenschaftlichen Theorien hinaus. Private Verfügungsrechte sind demnach grundsätzliche Voraussetzungen für Märkte und sie umfassen ein ganzes Bündel von Rechten: – Individuelle Entscheidungsfreiheit über die Güterverwendung – alleinige Verantwortung für die Folgen der Verwendung – Recht auf freie Übertragbarkeit der einmal erworbenen Verfügungsrechte Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, so sind sie entweder durch staatliche Regulierung zu schaffen, oder aber eine marktwirtschaftliche Verwendung ist nicht möglich. „Eine wirt-
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schaftliche Nutzung des immateriellen und öffentlichen Gutes „literarisches Werk“, bei dem ja keine Konsumrivalität besteht und die Grenzkosten der Vervielfältigung für den Nutzer, sobald der Autor sein Werk veröffentlicht hat, gleich Null sind, macht eine gesetzliche Definition des Property Rights des Autors notwendig, um eine Preisbildung für literarische Werke und ihre Nutzung zu ermöglichen“ (ebenda, S. 275). Der Gesetzgeber, der erst ein vermarktungsfähiges Gut entstehen lässt, hat eine Güterabwägung vorzunehmen zwischen dem Anspruch des Autors auf Privatisierung des monetären Gewinns aus seinem kreativen Ressourceneinsatz einerseits und den erwünschten positiven externen Effekten andererseits, die von dem Werk und seiner Vervielfältigung als Kollektivgut für die es nutzende Allgemeinheit ausgehen. Je nach dem wie diese Abwägung ausgeht, ergibt sich eine schwache oder starke (Macht)-Position des Autors am Markt für literarische Werke. Dieser Ansatz lässt sich generalisieren in Bezug auf alle medialen Produkte, denen aus demokratietheoretischen Gründen positive externe Effekte zugesprochen werden, an denen aber gleichzeitig Eigentumsrechte gebildet werden können und die daher marktmäßig gehandelt werden. Die staatliche Regulierung entscheidet dabei über die Ausgestaltung der sozialen Machtrelation zwischen Medienanbietern und Rezipienten und damit gleichzeitig über das Ausmaß der externen Effekte. Nach dem Principal-Agent-Ansatz sind wirtschaftliche Akteure nicht nur Individuen (wie vom methodologischen Individualismus angenommen), sondern auch korporative Akteure wie Unternehmen, Werbewirtschaft und der Staat. Diese Akteursrollen werden nach diesem Ansatz darauf hin analysiert, welche Kontrollmöglichkeiten sie im Prozess der Produktion und Verteilung von Medien auf Grund ihrer Verfügung über bestimmte Ressourcen haben und dadurch Macht und Einfluss ausüben (Turow, zitiert nach Kiefer, Medienökonomik S. 193). Die Produzenten von Inhalten haben eine dominante Machtposition als gatekeeper für Autoren, Filmemacher und Journalisten. Die Inhalte produzierende Organisation wählt die zu verbreitenden Werke aus und setzt die Produktionsrichtlinien. Eine ähnliche Machtposition hat die Werbung treibende Wirtschaft inne, denn sie kontrolliert finanzielle Ressourcen, auf die die Presse und der kommerzielle Rundfunk angewiesen sind. Schließlich analysiert Turow die Rolle der „Hilfstruppen“, die Industriebereiche, die den Produzenten zuarbeiten, sowohl was das Material und die Technik bei ihnen selber als auch bei den Rezipienten angeht (ebenda, S. 194). Straffe Organisation beim Prinzipal, den Multimedia Unternehmen und den Werbeagenturen und ihren Auftraggebern einerseits und Unorganisation bei den diffusen weil am Markt nur schwer artikulationsfähigen Rezipienten andererseits erlaubt es den Unternehmen immer mehr, im eigenen Interesse „fürsorglich“ für die Rezipienten das mediale Angebot durch Produktdifferenzierung, Heterogenisierung und Zielgruppenaufspaltung nach dem Prinzip der doppelt geknickten Nachfragekurve zu bestimmen. Damit vergrößert sich das Machtgefälle. So bleibt beim kommerziellen Rundfunk, der sich komplett über Werbung und Sponsoring finanziert und bei dem es nur eine vertragliche Marktbeziehung zwischen Veranstalter und Werbung treibender Wirtschaft gibt, von der vorausgesetzten souveränen Rolle des als homo oeconomicus agierenden Rezipienten nichts übrig. Die Transaktionskostenökonomik liefert Erklärungsansätze für die unternehmerische Frage „make or buy“, Produktion und Verteilung in hierarchischer Organisation oder aber Einkauf am Markt, also für die Frage, wie weit unternehmerische Integration und Konzentration ge-
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hen kann und soll. R. H. Coase hat eine zunächst einfache Entscheidungsregel aufgestellt: Sind die Organisationskosten der Koordination im Unternehmen für die Erstellung eines Gutes höher als die Transaktionskosten der Koordination über den Markt, so fällt die Entscheidung für „buy“ statt für „make“, für das vertragliche Zusammenwirken mehrerer selbständiger Individuen bzw. Unternehmen über die Institution des Marktes mit dem Koordinationsmechanismus Preis. Im umgekehrten Fall fällt die Entscheidung für die Produktion in der Unternehmung unter einheitlicher Leitung. Dabei gibt es zunehmend zwischen den Polen Markt und Hierarchie fließende Übergänge, besonders in Unternehmensnetzwerken. „Unternehmensnetzwerke zeichnen sich nämlich durch eine intermediäre Position zwischen einer rein marktlichen und einer rein hierarchischen, d. h. unternehmensinternen Organisationsform aus“ (Sydow, S. 72). „Gehört zur Definition des Konzerns der horizontale, vertikale oder laterale Verbund von rechtlich selbständigen, wirtschaftlich allerdings abhängigen Unternehmungen, die unter einheitlicher Leitung eines herrschenden Unternehmens zusammengefasst sind (§ 18 I Aktiengesetz), so kann ein faktischer Konzern ebenso durch personelle Verflechtungen gegeben sein wie durch gemeinsame Beratungen der Unternehmenspolitik. Der faktische Konzern gilt als das marktnähere, der Vertragskonzern als das unternehmensnähere Modell“ (Europäisches Medieninstitut, Konzentrationsbericht, S. 145). „Ein Unternehmensnetzwerk stellt eine auf die Realisierung von Wettbewerbsvorteilen zielende Organisationsform ökonomischer Aktivitäten dar, die sich durch komplex-reziproke, eher kooperative denn kompetitive und relativ stabile Beziehungen zwischen rechtlich selbständigen, wirtschaftlich jedoch zumeist abhängigen Unternehmungen auszeichnet. Ein derartiges Netzwerk, das entweder in einer oder in mehreren miteinander verflochtenen Branchen agiert, ist das Ergebnis einer Unternehmensgrenzen übergreifenden Differenzierung und Integration ökonomischer Aktivitäten. Dazu werden strategische Make – or Buy – Überlegungen mit dem Ziel angestellt, die Funktionswahrnehmung im Netzwerk unter langfristigen Gewinnerzielungsgesichtspunkten optimal zu verteilen und im Zusammenhang damit die gesamte Wertschöpfungskette durch Restrukturierung zu optimieren. Zum anderen wird – im Falle von Buy-Entscheidungen – die jeweilige Leistungserstellung mit den infrage kommenden Unternehmungen eng abgestimmt sowie die Art der zu entwickelnden innerorganisationellen Beziehungen geplant…“ (Sydow, S. 79ff). Der Typus von Verträgen, der die Beziehungen zwischen den Netzwerkunternehmen regelt, unterscheidet sich grundsätzlich von Verträgen, die sich auf normale, flüchtige Austauschverhältnisse am Markt – dem sog. Spot contracting – beziehen. Die Vertragsbeziehungen zwischen Netzwerkunternehmen werden meist langfristig geregelt und durch personell-organisatorische Maßnahmen wie z.B. verschachtelte Aufsichtsratmandate ergänzt – das sog. relational contracting –. Für derartige strategische Netzwerke ist meistens kennzeichnend, dass sie von einer vorherrschenden Unternehmung geführt werden. Da die Macht also in diesen strategischen Netzwerken ungleich verteilt ist, ist ein derartiges Netzwerk einem Konzern, der unter einheitlicher Leitung steht, unter Konzentrationsgesichtspunkten gleichzustellen. Typische Indikatoren derartiger Unternehmensnetzwerke sind – spezifische Vertragsbeziehungen, also z.B. langfristige Filmlieferverträge zwischen einem Filmhändler (wie es der Kirch-Konzern einmal war) und Fernsehveranstaltern – Personelle Verflechtungen/familiäre Bindungen/freundschaftliche Beziehungen – Finanzielle Abhängigkeiten, insbesondere durch langfristige Kreditbindungen.
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Die theoretische Ableitung und systematische Erfassung derartiger Tatbestände ist eine Sache, der tatsächliche Beweis „eigentumsähnlicher“ Unternehmensverbindungen, der auch vor Gerichten Bestand hat, ist eine andere Sache. Es gilt daher: Je mehr solcher Tatbestände zusammentreffen, je mehr Indizien für strategische Unternehmensnetzwerke sprechen, umso eher kann man auch faktisch von einer einheitlichen Leitung und damit konzentrierter Macht ausgehen. Schaubild 10: Organisationsformen ökonomischer Aktivitäten Marktliche Koordination „Spotcontracting“
Kaufvertrag
Tauschgeschäft
langLizenz- Joint fristige Fran- Venture Lieferchiseverträge verträge Internalisierung
Markt „arms-length transaction“
employment relationship hierarchische Koordination
relational contracting
Interorganisationales Netzwerk „quasi firm“
Profit Center
Externalisierung
Funktional Organisation
Hierarchie „firm“
Quelle: Sydow S. 104 Schaubild 11: Formen von Unternehmensverbindungen Konzentrationsgrad
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Unternehmensverbindung 1 Markt 2 Horizontale Vertragsbeziehung ohne Kapitalbeteiligung 3 Vertikale Vertragsbeziehung ohne Kapitalbeteiligung 4 Horizontale Vertragsbeziehung mit Kapitalbeteiligung
5 Vertikale Vertragsbeziehung mit Kapitalbeteiligung 6 Kooperatives Gemeinschaftsunternehmen 7 Konzentratives Gemeinschaftsunternehmen 8 Fusion
Quelle: Heinrich, Wirtschaftswissenschaftliches Konzept zur Erfassung beteiligungsgleicher Tatbestände 1994, zitiert nach: Beteiligungsgleiche Verflechtungstatbestände, Europäisches Medieninstitut, Konzentrationsbericht S. 147ff.
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Nur langsam werden derartige Konzentrationstatbestände auch in der Anwendung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen berücksichtigt, sodass die Feststellung berechtigt erscheint, dass die konkrete Wettbewerbspolitik den immer neuen Tatbeständen der Wettbewerbsbeschränkungen hinterherhinkt. Oder bildhaft ausgedrückt: Im Wettlauf zwischen Regulierung (Hase) und hoch konzentrierter Industrie (Igel) ist der Igel immer wesentlich schneller. • Der Public-Choice-Ansatz und die Verfassungsökonomie Es handelt sich hier um den Versuch, die Wirtschaftswissenschaften in eine allgemeine Gesellschaftstheorie (wieder)einzubetten. Es geht um die Analyse, wie menschliches Verhalten und Entscheiden unter vorgegebenen Regeln aussieht – choices within rules – (public-choise-Ansatz) bzw. wie die spezifischen Regeln des freiwilligen Gesellschaftsvertrages überhaupt zustande kommen – choises of rules – (Verfassungs- oder Konstitutionenökonomik) (Vgl. Kiefer, Medienökonomik S. 57). Wendet man diese Ansätze auf Medieninhalte, ihre Produktion, ihre Verteilung und ihre Nutzung an, so geht es zum einen darum zu verstehen, dass die große Mehrheit der Rezipienten in der Regel den Informations- und Bildungsangeboten einen hohen gesellschaftlichen und persönlichen Stellenwert einräumt, selber aber vorrangig Unterhaltungsangebote nutzt (daselbst, S. 226). Offenbar gibt es abweichend vom eindimensional rational handelnden homo oeconomicus der neoklassischen Wirtschaftstheorie mehrere Präferenzordnungen und mehrere Rationalitäten für ein und dieselbe Person, die das Verhalten je nach dem Kontext der Entscheidungssituation prägen: das Wahlverhalten ist anders, ob die Person in der Öffentlichkeit nach persönlichen Präferenzen befragt wird oder aber ob sie den „eigenen“ privat nachgibt – public or private choice. „Downs … verweist mit Blick auf das politische Informationsverhalten generell auf einen Konflikt zwischen individueller und sozialer Rationalität, einem Problem, dem wir im Zusammenhang mit der Bereitstellung öffentlicher Güter bereits begegnet sind. Für den einzelnen Rezipienten ist es rational, den Aufwand für politische Information möglichst klein zu halten, da er – wie der Wähler –weiß, dass er als Individuum kaum eine Chance hat, die Politik der Regierung zu beeinflussen. Er wird folglich nicht einmal die ihm unentgeltlich zur Verfügung stehende Information voll nutzen, da dies viel Zeit beansprucht. Der Konflikt entsteht, so Downs, weil ‘1. rationale Bürger wollen, dass die Demokratie gut funktioniert, um in den Genuss ihrer Vorteile zu gelangen, und sie funktioniert dann am besten, wenn die Bürgerschaft gut informiert ist; 2. vom Standpunkt des Individuums … es irrational ist, gut informiert zu sein’. Der Konflikt entsteht, weil die Ziele, die die Menschen als Individuen anstreben, jenen Zielen widersprechen, die sie als Mitglieder der Gesellschaft anstreben. ….Die Vorteile einer gut funktionierenden Demokratie sind ein öffentliches Gut, also unteilbar und für alle wirksam, für gut und für schlecht informierte Bürger. Das schafft den Anreiz, sich als „informativer Freerider“ zu verhalten, Informationsprogramme oder Bildungsangebote zwar überzeugt für grundsätzlich wichtig zu halten, selbst aber eher den Marktpräferenzen folgend Unterhaltungsangebote zu nutzen. Tietzel spricht plastisch von „Präferenzen für verschiedene Egos“, die z. T. eben rivalisieren. Als Bürger finde ich es gut, dass es Arte, 3 Sat, BR@ und Phoenix gibt, aber als Konsument schaue ich Sat 1, Pro 7 und RTL an. Der Gang zur Wahlurne oder
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die regelmäßige Nutzung von Informationsangeboten lässt sich dann auch als Beispiel für die „Theorie des Selbst-Managements“ erklären, also als den Versuch eines Menschen, „eines seiner Egos auf Dauer und allein handlungsleitend zu machen“ (Zitiert nach Kiefer, Medienökonomik, S. 226f.). Zum anderen ist gemäß dem Ansatz der Verfassungsökonomik die Frage zu klären, welche Regeln die Gesellschaft ausgewählt hat oder im Verlauf der Geschichte auswählt, um sicherzustellen, dass die Medien ihrer öffentlichen Aufgabe gerecht werden können, dass Medieninhalte als öffentliche Güter produziert, diskriminierungsfrei angeboten und auch genutzt werden. Konkret bedeutet dies, nach den historischen Bedingungen und vorherrschenden Interessen zu fragen, die die „Medienverfassung“ bestimmt haben. Nach dem 2. Weltkrieg wurden auf gesellschaftlicher Ebene zwei zentrale ordnungspolitische Wahlentscheidungen zur Medienorganisation getroffen: Die Pressefreiheit soll in privatwirtschaftlichem Wettbewerb gesichert werden durch von anderen Unternehmen unabhängige Verlage. Rundfunkfreiheit soll dagegen nur in der Form von gesellschaftlich kontrollierten, nicht Renditezwängen unterworfenen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten realisiert werden. Für beide Grundentscheidungen waren die Macht der Alliierten, die Erfahrungen der Nazidiktatur und die Schwäche der deutschen Staatlichkeit von besonderer Bedeutung. Später, unter anderen politischen und ökonomischen Interessenkonstellationen – die Souveränität der deutschen Staatlichkeit war weitgehend wiederhergestellt und die Presseverleger waren wirtschaftlich wieder erstarkt – wurde die vorhergehende gesellschaftliche Wahl ergänzt, aber auch stark verändert durch die Zulassung eines kommerziellen, rein an Renditeerzielung orientierten Rundfunks. Dies wurde ideologisch verbrämt durch den Verweis auf den wirtschaftlichen Wettbewerb als Garanten publizistischer Vielfalt auch im Rundfunkbereich, obwohl publizistische Vielfalt im öffentlich-rechtlichen Rundfunk abgesichert war. Der public choice-Ansatz und die Verfassungsökonomik bieten daher realistische Theorieansätze, um einerseits menschliches Verhalten den Medien gegenüber besser zu erklären als auf der Basis des methodologischen Individualismus. Andererseits gelingt es, unterschiedliche Medienorganisationen und ihre gesellschaftliche Rechtfertigung aus verschiedenen politischen und wirtschaftlichen Machtstrukturen zu erklären. Es können von diesen Ansätzen aus gewisse Parallelen zur Technikgeneseforschung gezogen werden, wenn es dort darum geht, in Aushandlungsarenen zu klären, wie dort die Kräfte verteilt sind und welche mächtigen Interessen sich dort durchsetzen. Mit diesen Ansätzen lässt sich auch zeigen, dass staatliche Medienpolitik immer die Resultante in dem Kräfteparallelogramm der unterschiedlichen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Interessen ist, die auf sie einwirken. • Medienökonomik: Kiefer Während Medienökonomie als die Beschreibung der Medienwirtschaft verstanden wird, soll unter Medienökonomik die wirtschaftswissenschaftliche Analyse, die theoretische Durchdringung der Medienwirtschaft erfasst werden. In ihrer Medienökonomik erschließt Kiefer das wirtschaftswissenschaftliche Instrumentarium in seiner Anwendung auf den Mediensektor in kommunikationswissenschaftlicher Perspektive. Ihr geht es insbesondere um das Herausarbeiten des Spannungsverhältnisses zwischen dem Normsystem der Publizistik, das sich auf Viel-
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falt richte und dem der Ökonomie, das von der Erzielung maximaler Rendite beherrscht werde. Die Leitfrage sei, wie die öffentliche Aufgabe der Medien in einem System privater Verfügungsrechte in der Marktwirtschaft verwirklicht werden könne. Das Wachstum der Medienwirtschaft habe zu einer immer weiter um sich greifenden Ökonomisierung der Medien geführt. Kiefer kommt demgegenüber zu dem Ergebnis, dass die Markttheorie bzw. die marktwirtschaftliche Organisation nicht anwendbar sei auf Medien als öffentliche bzw. als Clubgüter (S. 154ff). „Die Problemanalyse marktlicher Bereitstellung von Medien muss beide Hauptakteure auf Märkten, die Produzenten und die Konsumenten von Mediendienstleistungen umfassen, denn bei beiden sind die Probleme aus medienökonomischer Sicht gravierend. Wichtigste Ursachen dafür sind die Guteigenschaften von Medien und die damit verbundenen Marktunvollkommenheiten bis zum Marktversagen. Bei beiden Akteuren ergeben sich aus den Guteigenschaften spezifische Informations- und Wissensprobleme, die rationale Wahlhandlungen auf beiden Seiten streng genommen unmöglich machen. – Bei den Produzenten erster und zweiter Stufe besteht prinzipielle Unsicherheit, ob das Produkt wegen der Heterogenität der auf Medien ˛gerichteten‘ Präferenzen und der Informationsprobleme der Konsumenten überhaupt auf Nachfrage treffen wird. Damit besteht gleichzeitig prinzipielle Unsicherheit auch hinsichtlich der Refinanzierungsmöglichkeiten, eine Unsicherheit, die durch die Unteilbarkeit des immateriellen Medienprodukts zudem mit hohem finanziellem Risiko belastet ist. Die Konsequenzen dieser Ausgangssituation, die sich je nach den Bedingungen auf dem jeweiligen Markt für Kopien für die einzelnen Mediengattungen stark differenziert darstellt, müssten und könnten mit Hilfe medienökonomischer Ansätze im Detail analysiert werden. Stichworte zu bekannten, wenn auch kaum systematisch untersuchten Konsequenzen sind Imitation statt Innovation, Formatierung und Standardisierung, horizontale und vertikale Konzentration, Skalen- und Verbundvorteile, Mehrfachverwertung von einmal Produziertem, Mischkalkulation, Werbeteilund Werbevollfinanzierung. Die Liste ist ganz sicher nicht erschöpfend. – Bei den Konsumenten/Rezipienten besteht mit Blick auf die Medienprodukte weitgehende Qualitäts- und Nutzenunkenntnis. Diese ausgeprägte Informationsasymmetrie zu seinen Lasten ist durch eigene Anstrengungen des Konsumenten auch kaum überwindbar, ebenso wenig allerdings auch durch die gängigen marktlichen Lösungen der Ökonomen. Öffentliche, also kollektiv installierte und finanzierte Versuche, die gravierenden Informationsmängel des Rezipienten zu mildern oder zu lösen, existieren nicht. Die Konsequenzen dieser Ausgangssituation, die dem Medienkonsumenten im Marktprozess eine prinzipiell schwächere Position zuweist, als im Konzept von der Konsumentensouveränität vorgesehen, bedürfen ebenfalls genauerer Analyse“ (S. 397). Kiefer ist es mit diesen Analysen überzeugend gelungen, mit Hilfe der eigenen Prämissen der Wirtschaftswissenschaften nachzuweisen, welche Probleme eine marktliche Organisation der Medien – gemessen an den Forderungen nach freier Öffentlichkeit – mit sich bringen. Diese Probleme sind in Bezug auf die einzelnen Medien und ihre je spezifischen Produktions- und Rezeptionsbedingungen zu konkretisieren.
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• „Neue“ Medienökonomik: Michael Hutter In seiner 2006 erschienenen Neuen Medienökonomik geht Hutter davon aus, dass die sich auf Gütermärkte beziehenden allgemeinen Wirtschaftswissenschaften nicht auf die Produktion und Verteilung von Informationen anwendbar seien. Die „Neuheit“ sei ein zentrales Merkmal aller Informationsprodukte. „Neuheit ist das entscheidende Wertungskriterium für das Interesse der Verwender“ (S. 29). Medien seien die Elemente, in denen Informationsinhalte ausgedrückt, gespeichert und vervielfältigt werden können. Risiken der „Neuheitsproduktion“ – z.B. bei der Produktion eines neuen Filmes – führen dazu, dass nur größere Unternehmen mit ausreichender Finanzmacht investieren können. Außerdem seien nur Großunternehmen in der Lage, ihr Risiko durch Verwendung des Films in anderen Medien – im Fernsehen, auf DVD`s – zu mindern. Die spezifische Verteilung der Filmerfolge nach dem „power law“ – nur einige wenige, die nicht vorausberechnet werden können, führen zu großer Nachfrage – erzwinge die Multimediakonzentration. Die Größenvorteile ergäben sich durch die degressiven Kosten der Vervielfältigung und die Netzeffekte (S. 40). Immer in Bezug auf das vorrangige Beispiel der Filmproduktion und -verteilung bezogen, weist Hutter nach, dass jeweils ein halbes Dutzend „Hub“-unternehmen, also die Unternehmen, die einen Netzwerkknoten der Wirtschaftsbeziehungen der jeweilige Branche besetzen, mit Hunderten von Kleinunternehmen – im Filmbereich den sog. Independents – konkurrieren (S. 59). Resümierend und verallgemeinernd stellt Hutter fest: „Im internationalen Markt finden wir acht Unternehmen, deren Umsatz in Medienmärkten um Größenordnungen über den Umsätzen der kleineren Unternehmen liegt. Auf der Ebene nationaler Märkte, hier im deutschen Markt, finden wir in jeder Mediensparte eine Gruppe von nicht mehr als fünf Unternehmen, die zusammen etwa 80% des Gesamtumsatzes auf sich ziehen. Mit Ausnahme des Printbereichs sind die mittleren Größen schwach besetzt, aber in jeder Sparte gibt es eine drei- oder vierstellige Zahl von Kleinunternehmen. … Das Phänomen der effizienten Spaltung der Netzwerkknoten in wenige große, vertikal und horizontal integrierte Nabenknoten und viele Kleinknoten mit Verbindung zu kleinen Öffentlichkeiten kann also offenbar auf mehreren Wettbewerbsebenen beobachtet werden“ (S.69f). Kritisch kann zu Hutter angemerkt werden, dass es sich nicht um eine „neue“ Medienökonomik handelt, sondern um eine – sicher verdienstvolle – modifizierte Anwendung ökonomischer Theorie auf die Besonderheiten des Mediensektors. Die systematische Unterteilung in Beschaffungs-, Werbe-, Verteiler- und Verwendermärkte entspricht durchaus herkömmlichen Analysen. Der verwandte Informationsbegriff und der Verweis auf „Neuheit“ als entscheidendes Wertungskriterium der Verwender greift zu kurz: Die Medien transportieren vielmehr als Informationen, sie transportieren gesellschaftliche Interpretationsmuster, Emotionen, Weltbilder und Fiction. Käme es immer nur auf Neuheiten an, dann dürfte es nicht so viele Wiederholungen besonders im Fernsehen aber auch in der Musik geben. Die Struktur vieler Sendungen etwa bei Krimis aber auch bei Unterhaltungsserien und Spielfilmen ist immer gleich, nur die Verpackung erscheint neu. Die Funktion von Unterhaltung ist nicht primär die Suche nach Neuheit sondern nach Entspannung und Ablenkung. Hutters Verdienst liegt in der „erneuten“ Herausarbeitung der Gründe für Medienkonzentration, die er mit dem Bild der Netzwerkknoten erfasst. Er verweist zu Recht nicht nur auf
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Größenvorteile in einer besonders unsicheren unternehmerischen Umwelt, sondern auch auf die Fähigkeiten von Großunternehmen, in ihrem eigenen Interesse die Laufzeit von Urheberrechten, die sie selber halten, durch Einflussnahme auf den Gesetzgeber zu verlängern (S. 49).
7.5 Kritik und Perspektiven
• Das Spannungsfeld zwischen (Medien)Ökonomie und Medien als Kulturträgern Durch die zunehmende Kommerzialisierung praktisch aller Medien hat sich das Spannungsfeld zwischen Medien als vermarktete Güter und Medien als Kulturträger im weitesten Sinne verschärft – als Vermittler von Bildungsinhalten, Literatur, Musik und Kunst, politisch relevanter Information, fundierter Kommentierung und qualitativ hochwertiger Unterhaltung. Die wirtschaftswissenschaftlichen Zugänge zur Analyse des Mediensektors sind einerseits von imperialistischen Attitüden geprägt – die Medienwirtschaft ist eine Untergruppe der Gesamtwirtschaft wie jede andere und ist dementsprechend ebenso zu analysieren und ordnungspolitisch zu behandeln – andererseits gibt es in unterschiedlichen Ausprägungen Differenzierungen und die Betonung der Besonderheiten des Mediensektors gegenüber anderen Industriebereichen. Differenziert wird mit Recht zwischen dem Büchermarkt, auf den die Kriterien zur Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs – Eigentumsrechte an den gehandelten Gütern, Ausschlussprinzip des Marktes, Rivalität des Konsums, vorherige Informationsmöglichkeit über das zu erwerbende Gut z.B. über Rezensionen oder Inaugenscheinnahme vor dem Kauf, relativ leichter Marktzutritt für Newcomer sowohl was Autoren als auch – wenn auch in eingeschränkterem Maße – was Verlage angeht – zutreffen – freilich mit der Buchpreisbindung zum Schutze der Vielfalt der Verlage abgesichert. Dem gegenüber stehen die rein über Werbung finanzierten kommerziellen Rundfunkangebote, für die diese Kriterien nur schwerlich anwendbar sind. Für den Pressemarkt wird grundsätzlich und in Bezug auf die einzelnen Konzentrationsbefunde über Marktzutrittsmöglichkeiten diskutiert (vgl. Kopper, 1984, S. 35 ff; Lange, ebenda, S. 96ff). Lokale bzw. regionale Zeitungsmonopole versperren den Marktzutritt und die Rezipienten und die Anzeigenkunden werden mangels Alternativen ausgebeutet. Es handelt sich also um ein doppeltes Marktversagen: Marktversagen wegen Aufhebung der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs und Marktversagen wegen des Eintritts negativer externer Effekte durch publizistische Einfalt. Gleiches gilt für das enge Oligopol des kommerziellen Fernsehens mit nur zwei Veranstalterfamilien auf dem deutschen Markt. Die Anwendung des wirtschaftswissenschaftlichen Instrumentariums auf Medienmärkte hat jeweils in zwei Stufen zu erfolgen: Auf der ersten Stufe ist zu klären, ob Leistungswettbewerb überhaupt möglich ist. Auf der zweiten Stufe ist bei Bejahung der ersten Frage zu klären, ob Wettbewerb beschränkende Unternehmenskonzentration gegeben ist und wenn ja, wie ihr wettbewerbspolitisch begegnet wird bzw. werden kann. Wird die erste Frage verneint, liegt also Markversagen vor, so ist zu klären, welche alternativen Organisationsformen zur Erstellung des Güter- oder Dienstleistungsangebotes nach wirtschaftlichen Effizienzkriterien geeignet sind.
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Bei der Analyse von Medienentwicklungen auf den genannten zwei Stufen ist mindestens zwischen vier Bereichen zu unterscheiden: – Infrastrukturbereich Hiermit ist das Vertriebssystem für Medienprodukte gemeint, also bei den Printmedien der Buch- und Zeitschriftenhandel und die Organisation zum Verteilen der Zeitungen – Straßenverkauf und Zustellung beim Abonnement – und bei den elektronischen Medien die Sendenetze. Auf diesen Infrastrukturbereich der Medien sind die Vorstellungen und wirtschaftswissenschaftlichen Prinzipien der „freien Marktwirtschaft“ nur zum Teil anwendbar. So macht es ordnungspolitisch und volkswirtschaftlich keinen Sinn, z.B. Breitbandkabel zur Verteilung von Rundfunksendungen oder anderer Telekommunikationsdienste mehrfach auszulegen, um den Nutzern Wahlmöglichkeiten zwischen alternativen Anbietern zu ermöglichen: Zum einen würden volkswirtschaftliche Ressourcen verschwendet, zum anderen entstünde im günstigsten Fall ein Duopol, in dem die „Wettbewerber“ zu Absprachen bzw. Parallelverhalten neigen. Einer staatlichen Regulierung eines privatwirtschaftlichen Duopols ist daher eine öffentliche Infrastrukturverantwortung mit Neutralitätspflicht gegenüber den Nutzern vorzuziehen, um dann statt den Wettbewerb der Netze den Wettbewerb auf dem Netz durch die Diensteanbieter zu organisieren. Die Ordnungspolitik in Deutschland hat dieses „Modell“ mit der Privatisierung der Deutschen Telekom verlassen und versucht über die Netzagentur durch asymmetrische Regulierung „Wettbewerb als ob“ auf den Netzen zu simulieren, wobei sie ständig z.B. Netznutzungsgebühren für die Konkurrenten der Telekom überprüfen und genehmigen muss. – Printmedien Hier ist die wirtschaftswissenschaftliche Analyse je spezifisch auf den Buchmarkt, auf die Märkte für Tages- und Wochenzeitungen und auf den Zeitschriftensektor anzuwenden. Auf Bücher treffen uneingeschränkt alle Voraussetzungen für Wettbewerb auf privatwirtschaftlich organisierten Märkten zu: Es handelt sich um Güter, an denen Eigentumsrechte erworben werden können und auf die das Ausschlussprinzip des Konsums anwendbar ist – beides allerdings nur, solange es einen wirksamen Kopier- und Vervielfältigungsschutz gibt. Da die Voraussetzungen einer marktwirtschaftlichen Organisation der Büchermärkte gegeben sind, ist auf der zweiten Stufe zu fragen, ob in der Realität Konzentrationsprozesse anzutreffen sind. Die Märkte der Bücher sind in Teilmärkte – z.B. wissenschaftliche Fachbücher, und hier wiederum nach Sparten wie Natur- bzw. Geisteswissenschaften, Lehrbücher, Lexika, Kunstbände, Belletristik, um nur einige zu nennen, aufzuteilen entsprechend den Kriterien der funktionalen Austauschbarkeit und des Raumes. Zu klären ist zum einen die Konzentration auf den einzelnen Teilmärkten, zum anderen die Teilmärkte übergreifende Konzentration wie z.B. in den Händen des Bertelsmann-Konzerns. Außerdem ist der Wettbewerb bzw. die Konzentration im Buchhandel zu analysieren. So wird z.B. darauf hingewiesen, dass die Krise der Branche auf das veränderte Kaufverhalten der Leser und Leserinnen zurückzuführen ist – zunehmender Kauf über das Internet und Konzen-
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tration auf wenige Titel: Promi Biographien, Sachbücher, Kalender und der neueste Harry Potter Roman (vgl. Heinold, Spiller). Bei den Märkten der Tages- und Wochenzeitungen ist zunächst zu unterscheiden zwischen den Märkten für regionale und lokale Tageszeitungen und denen für überregionale Zeitungen. Auf ersteren ist ein allgemeiner Trend zu lokalen bzw. zu regionalen Monopolzeitungen festzustellen, und zwar heute bei gut 60% der Kreise und kreisfreien Städte. Diese Monopolzeitungen haben verfestigte Positionen und werden auch nicht durch potentiellen Wettbewerb anderer Zeitungsverleger bedroht. Weder stellen die kostenlosen Anzeigenblätter, wenn sie denn von selbständigen Presseunternehmen hergestellt und vertrieben werden, einen publizistischen Wettbewerb dar – wohl aber eine ökonomische Konkurrenz um Anzeigen und Werbung – noch gibt es bisher eine publizistische Herausforderung durch lokalen bzw. regionalen Rundfunk oder entsprechende Internetdienste. Die Herausgeber der Monopolzeitungen können sich auch nicht damit rechtfertigen, dass sie um einer hohen Auflage willen sich einer gewissen inhaltlichen Pluralität befleißigen, denn – wenn überhaupt – tun sie dies freiwillig. Grundsätzlich bleibt das Direktionsrecht des Verlegers unangetastet und wird auch durch den Tendenzschutz abgesichert. Da diese Zeitungen nicht dem publizistischen Wettbewerb ausgesetzt sind, dem Rezipienten also keine Wahlmöglichkeiten gegeben sind, fehlt es grundsätzlich und strukturell an dem Regulativ gegen potentielle verlegerische Willkür und Manipulation. Diese seit langem bekannten Monopolstellungen, die sich auf Grund der Auflagen-Werbespirale ergeben haben als Konzentrationen aus dem vormaligen Wettbewerbsprozess, sind deshalb weder wirtschafts- noch medienpolitisch zu rechtfertigen, da sie im diametralen Gegensatz zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben zu den Kommunikationsfreiheiten, insbesondere der Pressefreiheit stehen. Von den „main-stream“ Wirtschaftswissenschaftlern sind diese Monopolstellungen nicht kritisiert worden und insofern ist ein ordnungspolitisches Versagen dieser Wirtschaftswissenschaftler zu konstatieren. Da die Wettbewerbsordnung auf den betroffenen lokalen und regionalen Tageszeitungsmärkten nicht funktioniert, ist hier ein Marktversagen festzustellen. Da der Staat daraus bisher keine medienpolitischen Konsequenzen gezogen hat, ist auch ein Staatsversagen angesichts der Verpflichtung der Bundesländer auf die Schaffung von Rahmenbedingungen für die Realisierung der Pressefreiheit zu konstatieren. Die Verleger dieser Monopolzeitungen können sich nicht dem Staat gegenüber auf die institutionelle Garantie der Pressefreiheit und /oder die Berufsfreiheit berufen, wenn der Staat ihre unternehmerische Freiheit einschränken würde zu Gunsten etwa der Stärkung der inneren Pressefreiheit, denn das Grundrecht der Pressefreiheit ist höher anzusetzen als eine unternehmerische Position, die gerade nicht grundrechtskonform ist. Zur Diskussion medienpolitischer Alternativen zur (Wieder)herstellung der Pressefreiheit im „Nahbereich“ der Bürger vgl. das Schlusskapitel des Buches. Die Kritik an der vorherrschenden Organisations- und Finanzierungsform der Tagespresse kann aber noch grundsätzlicher ansetzen: Die überwiegende Finanzierung dieser Zeitungen über Anzeigen und Werbung hält diese Presseorgane in der Abhängigkeit der Anzeigenkunden befangen – finanziell und in Folge dessen auch inhaltlich. Tageszeitungen sind so auf ein eingeschränktes Spektrum der Berichterstattung verpflichtet, das z.B. die kritische Wirtschaftsberichterstattung behindert, könnten doch sonst die großen Werbekunden mit Entzug der Werbung drohen. Dieses sind keine theoretischen Befürchtungen, sondern durch praktische
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Beispiele belegte Erfahrungen. So hat z.B. der VW-Konzern vor einiger Zeit auf einen relativ harmlosen Bericht in der Wochenzeitung DIE ZEIT über das verbesserungswürdige Marketing des Konzerns mit – allerdings zeitlich begrenztem – Anzeigenboykott reagiert. Derartige Abhängigkeiten sind Konzentrationstatbestände, die der verfassungsrechtlich verankerten und geforderten Pressefreiheit widersprechen. In Bezug auf die überregionalen Märkte der Tagespresse ist zunächst ein gewisser Wettbewerb bei den seriösen Zeitungen zu konstatieren, z.B. zwischen WELT, FAZ, Süddeutscher Zeitung und Frankfurter Rundschau. Auf dem nationalen Markt der Boulevardzeitungen gibt es dagegen praktisch keine Auswahlmöglichkeiten für die Leser: er wird vom Springer-Verlag beherrscht mit der Bild-Zeitung. – Audiovisuelle Medien, hier wieder unterschieden in kommerziellen und öffentlichrechtlichen Rundfunk und Film Die neoliberale Schule der heute vorherrschenden „main-stream“ Wirtschaftstheorie mit ihrem dogmatischen methodologischen Individualismus und dem imperialen Anspruch, möglichst alle gesellschaftlichen Bereiche nach Marktgesetzmäßigkeiten zu organisieren, versagt in Bezug auf die notwendige Kritik am kommerziellen, rein über Werbeeinnahmen finanzierten Rundfunk: Indem sie das Marktmodell auch auf diesen Bereich überträgt – der Konsument wählt souverän zwischen den angebotenen „Programmen“ aus –, verkennt sie die spezifischen Finanzierungsbedingungen – die Marktbeziehungen gibt es nur zwischen den „Programmanbietern“ und der werbetreibenden Wirtschaft. Mit der Figur des homo oeconomicus auch in dieser Konstellation verstellt sie den Blick auf die Sozialisationsbedingungen der Konsumenten. Diese haben erstens keine Auswahlmöglichkeiten zwischen weitgehend identischen Angeboten, zweitens sind sie in diesem „Spiel“ nur die Objekte, die durch die „Programme“ für die Werbung konditioniert werden sollen – die medienpolitische Forderung nach Trennung von Werbung und Programm ist beim kommerziellen Rundfunk eine der Beschwichtigung dienende Farce – und drittens werden sie durch die Emotionalisierung der inhaltlichen Angebote mehr und mehr zur Nutzung konditioniert und „verführt“. Der Principal-Agent-Ansatz liefert hier das notwendige Analyseinstrumentarium: er belegt das Machtgefälle zu Ungunsten der Rezipienten. Hinzu kommt, dass dem kommerziellen Rundfunk auf Grund seiner Produktionsbedingungen eine starke Tendenz zur Konzentration innewohnt, und schon von daher nicht von Pluralität des inhaltlichen Angebotes – wie wohl vom Bundesverfassungsgericht gefordert – gesprochen werden kann. Die Realität des kommerziellen Rundfunks in Deutschland ist von einem Duopol geprägt – Bertelsmann/RTL einerseits und SAT 1/Kabel 1/Pro7/ etc. Gruppe andererseits –. Selbst wenn man sich auf eine marktliche Organisation kommerziellen Rundfunks einlässt, so muss man angesichts dieses engen Duopols, das wettbewerbspolitisch nicht angegriffen wird, von einem Versagen der Ordnungspolitik ausgehen. Nimmt man die Kriterien für funktionierende Märkte ernst, so muss man für den Bereich des kommerziellen Fernsehens, des an privatwirtschaftlicher Gewinnerzielung orientierten Rundfunks feststellen: – Es handelt sich nicht um ein Gut, an dem Eigentumsrechte begründet werden können; es besteht keine vertragliche Marktbeziehung zwischen Anbietern und Rezipienten – Das Ausschlussprinzip des Konsums ist nicht gegeben.
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Die Nutzer können sich nur unvollkommen im Vorhinnein über das Angebot informieren. – Beim Fernsehen handelt es sich um ein öffentliches Gut, von dem positive externe Effekte erwartet werden, die aber auf Grund der Finanzierung rein über Werbung nicht eintreten können. Daher ist für diesen Bereich ein Marktversagen aus strukturellen Ursachen anzunehmen. Gleichzeitig gilt in diesem Bereich für Filme und Serien das Problem der sehr hohen Fixkosten, was die Produzenten von vorne herein auf eine zu erzielende hohe Einschaltquote achten lässt. Diese Produktionsbedingungen prägen die Inhalte und damit als negative externe Effekte die beschränkten Auswahlmöglichkeiten und die Nutzung durch die Rezipienten. Tagespresse und Zeitschriften sind zwischen diesen beiden Polen, den Büchermärkten und den Märkten für kommerzielles Fernsehen, angesiedelt. Einerseits zahlt der Rezipient ein Entgelt – es gelten also marktliche Beziehungen, andererseits beschränkt die reine Werbefinanzierung das inhaltliche Spektrum des Angebotes. Vor diesem Hintergrund des Marktversagens im Bereich des kommerziellen, rein über Werbung finanzierten Fernsehens lässt sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk als alternative Organisationsform wirtschaftswissenschaftlich begründen. Da das Marktversagen strukturell begründet ist, kann es auch nicht durch veränderte Regulierung aufgehoben werden. Staatliche Ordnungspolitik ist daher allein aus marktwirtschaftlichen Gründen aufgerufen, für das Fernsehen eine alternative Organisationsform vorzusehen. Dieses könnte das Pay-TV sein, da hier nicht von vorneherein ein Marktversagen anzunehmen ist. Da aber für die Teilnahme am PayTV entsprechende Kaufkraft vorhanden sein muss, da sich umgekehrt das marktwirtschaftliche Angebot von Pay-TV entsprechend der Nachfrage hauptsächlich auf Filme und Spartenprogramme konzentriert, kann dies nicht die vom Bundesverfassungsgericht geforderte positive Ordnung sein, um Rundfunkfreiheit materiell zu sichern und um allen Bürgern die Teilnahme an der Rundfunkkommunikation zu sichern, sondern allenfalls eine ergänzende. Eine der Organisationsformen, die diesen Ansprüchen genügt, ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk, und zwar nicht als ordnungspolitisch bedenkliche Ausnahme von der Marktwirtschaft, wie von Seiten kommerzieller Medienvertreter oft behauptet, sondern genau andersherum als Ergebnis des Marktversagens des fälschlicher Weise sog. kommerziellen Free-TV. Wenn die Konsequenzen des Marktversagens darüber hinaus weiter gedacht werden, dann wäre kommerzieller, rein über Werbung finanzierter Rundfunk schon aus wettbewerbspolitischer Sicht zu untersagen, weil ordnungspolitisch nicht begründbar, weil durch hohe Medienkonzentration gekennzeichnet und außerdem, weil von ihm negative externe Effekte ausgehen, auch auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Zu negativen externen Effekten auf die Gesellschaft vgl. unten Kap.12. – Internet und Online-Dienste Sachlich sind Internet-Dienste abzugrenzen nach Funktionen, die für die Nutzer erfüllt werden. Die Provider von E-mail Diensten bilden einen eigenen Markt ebenso wie die, die Suchmaschinen anbieten. Hinsichtlich der räumlichen Dimension sind die Internet-Märkte relativ schwierig abzugrenzen, da Angebote in der jeweiligen Landessprache zunehmend von Diensten in englischer
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Sprache überlagert werden, der lingua franca der weltweiten Jugend, wobei dies in Bezug auf Musiktitel am weitesten fortgeschritten ist. Zur Frage, ob marktmäßige Austauschprozesse im Internet vorliegen, ist zwischen vordergründig kostenlosen, rein über Werbung finanzierten Diensten und entgeltpflichtigen Angeboten zu unterscheiden. In Bezug auf die rein über Werbung finanzierten Internet-Dienste wie z.B. die von Google gilt das Gleiche wie beim kommerziellen, rein über Werbung finanzierten Rundfunk: An den Angeboten lassen sich keine Eigentumsrechte bilden, es gilt nicht das Ausschlussprinzip des Marktes und es gibt keine vertragsmäßigen Beziehungen zwischen Diensteanbietern und Nutzern. Soweit es sich um gesellschaftlich relevante Informationen handelt, sind die Dienste als öffentliche Güter einzustufen, mit positiven externen Effekten. Damit gilt auch für diesen Bereich die Feststellung des Marktversagens. Auf der zweiten Stufe der ordnungspolitischen Überprüfung ergibt sich, was den Werbemarkt im Internet angeht, eine hohe Konzentration bei den „führenden“ Anbietern Google und Microsoft. Auf die Frage, wer das Internet beherrscht bzw. wer im Internet die größte Machtposition einnimmt, gibt es mehrere Antworten. Ausgehend von der Erkenntnis, dass Wissen Macht bedeutet, so muss man konzidieren, dass Google über die größte Machtbasis im Netz verfügt, denn auf deren Servern sind auf mehr als acht Milliarden Seiten Informationen aus weltweit fast allen Bereichen des Wissens gespeichert. Hinzu kommen die erfassten Daten über das Nutzerverhalten. Das Internet ist zunächst praktisch ohne staatliche Regulierung gewachsen. Es stellt zum einen eine technische Plattform zur Kommunikation dar. Es ist praktisch eine Erweiterung des Telefonnetzes dadurch, dass es eine höhere Bandbreite der Datenübermittlung bereitstellt und damit einhergehend schriftliche, graphische und musikalische Nachrichten in Zweiwegkommunikation übermitteln kann. Zum anderen bieten auf dieser Plattform Unternehmen ihre Dienstleistungen an. Neben einer unendlichen Fülle von Firmen der verschiedensten Branchen werden spezifische Dienstleistungen von einigen wenigen, marktbeherrschenden Firmen angeboten. Hier ist vorrangig Google zu nennen, die vordergründig eine Suchmaschine anbieten aber hintergründig die Suchvorgänge analysieren und dann Schlagworte je nach Nutzungshäufigkeit an Werbung treibende Firmen vermarkten. Google ist in jüngster Zeit durch spektakuläre Aquisitionen aufgefallen: Nachdem Google 2006 für über eine Milliarde Euro die Video-Plattform YOU TUBE erworben hatte, meldete diese Firma im April 2007 den Aufkauf des Online-Werbers DoubleClick für 2,3 Milliarden Euro. DoubleClick ist auf gezielte Display-Anzeigen in Bild-, Wort- und Videoformat spezialisiert und verfügt über komplexe Software, die nicht nur die Anzeigenplazierung, sondern auch die Kontrolle ihrer Wirksamkeit ermöglicht. Durch diesen Deal hat Google die Konkurrenten Yahoo, Microsoft und AOL ausgestochen, die ebenfalls Interesse an DoubleClick hatten, einer Firma, die erst 2005 von Private Equity Firmen für weit weniger als die Hälfte erworben worden war. Die Wettbewerbsbehörden haben die Transaktion noch nicht genehmigt. „Der Markt für Online-Werbung hat ein Volumen von fast 29 Milliarden Dollar. Er war im vergangenen Jahr um 36 Prozent gewachsen. Auf Internet-Suchanzeigen entfallen 43 Prozent und auf Display-Anzeigen rund 34 Prozent des globalen Marktes für Online-Werbung, so die US-Wirtschaftsagentur Bloomberg“ (Rhein-Zeitung 16.4.2007, S. 6).
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Würde das Instrumentarium der Wettbewerbs- bzw. Konzentrationsanalyse auf Google strikt angewandt, so müsste geklärt werden, ob dieses Unternehmen seine weltweit marktbeherrschende Stellung missbraucht. Auch müsste die Fusionskontrolle auf die genannten Aquisitionen angewandt werden. Inzwischen wird am 18.5.07 gemeldet, dass Microsoft die OnlineWerbefirma Aquantive für etwa 6 Milliarden US-Dollar übernimmt und sich damit in Reaktion auf die Übernahme von DoubleClick durch Google auch auf dem wachsenden Markt der Online-Werbung positionieren will. Auch diese Fusion bedarf der wettbewerbsrechtlichen Überprüfung. Neben den über Werbung finanzierten, für den Nutzer vordergründig kostenlosen Diensten werden Internetangebote zunehmend gegen direktes Entgelt finanziert, so z.B. bei den Angeboten des Internet-Auktionshauses eBay oder bei allen E-mail Providern wie AOL, Yahoo etc. Die wirtschaftswissenschaftliche Analyse der Internet-Märkte erscheint deshalb schwierig, weil auf gleicher Plattform sehr unterschiedliche Dienste angeboten werden. Gleichzeitig werden die verschiedenen Märkte z.B. für Internet-Recherche, für Musik down loads, für die Abwicklung von E-mails, für die Buchung von Reisen und Veranstaltungen von einem GesamtInternet-Werbemarkt überlagert, ähnlich dem Werbemarkt, der die Teilmärkte der Presse bzw. des Rundfunks überlagert. Dass Google seine Macht auch nutzt wird auch daran ersichtlich, dass Zensur ausgeübt wird, wenn z.B. aus Sicht der Chinesischen Staatsführung unerwünschte Informationen über das Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens auf www.google.cn, dem chinesischen Zugang zu Google einfach ausgeblendet werden. Wikipedia soll sich dagegen anders als Google, Yahoo und Microsoft der Aufforderung der chinesischen Regierung widersetzt haben, politische Einträge für eine chinesische Version zu blockieren. Fragt man nach der Herrschaft über Technik, so ist die Software von Microsoft führend. Es wird berichtet, dass das Betriebssystem Windows Vista vom USA Geheimdienst NSA mit entwickelt worden ist, von der NSA, die für das Abhören fremder Mächte durch das Abfangen von Milliarden von E-mails und Faxen zuständig ist. Mit der Vorherrschaft über ComputerSoftware hat Microsoft den Zugang zu den Endgeräten in der Hand, die die Schnittstelle zwischen Nutzer und dem World Wide Webb darstellen. Microsoft versucht über diesen Weg, seine wirtschaftliche Macht in den Internet-Bereich auszudehnen. Derartige Formen wirtschaftlicher Macht lassen sich aber nur schwer mit dem geschilderten Instrumentarium der „klassischen“, vorrangig auf Märkte ausgerichteten Wirtschaftstheorie erfassen. Fragt man nach der politischen Macht über das Internet, so fällt auf, dass die USA jederzeit in der Lage sind, einzelne Länder vom Internet abzukoppeln und damit deren Nervenstränge der technisch vermittelten Kommunikation lahm zu legen. Damit haben die USA zumindest ein mächtiges Drohpotential in der Hand, um ihren politischen Willen weltweit – zumindest dort, wo die Länder auf das Internet angewiesen sind –, durchzusetzen. • Ökonomisierung, Kommerzialisierung und Konvergenz Die in Kapitel 2 geschilderte immer weiter zunehmende Ökonomisierung und Kommerzialisierung der Medien, die sich besonders an der Omnimedienpräsenz der Wirtschaftswerbung zeigt, steht in weiten Bereichen im Widerspruch zu den in Kapitel 4 geschilderten erwünschten externen Effekten, der materiellen Fundierung der Demokratie durch freiheitliche Medien
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und Kommunikationsprozesse: das inhaltliche Spektrum der allein oder teilweise durch Werbung finanzierten Berichterstattung richtet sich allein nach der ökonomischen Verwertbarkeit. Damit wird es eingeschränkt und verzerrt: es wird so präsentiert, dass es die Wirtschaftswerbung stimulierend einbettet. Außerdem gibt es auf Grund der strukturellen Informationsdefizite auf Seiten der Rezipienten keine Begegnung am Markt auf gleicher Augenhöhe, sondern ein Machtgefälle zu Gunsten der Anbieter. Auf Grund der Guteigenschaften der Medien, den Unsicherheiten der Produzenten in Bezug auf den möglichen Erfolg ihrer Angebote und den hohen Fixkosten der Produktion tendieren kommerzielle Medienmärkte der Presse, des Films und des Rundfunks zu hoher horizontaler, vertikaler und diagonaler wirtschaftlicher und in Folge dessen publizistischer Konzentration. Die technische und in ihrem Gefolge ökonomische Konvergenz der bisher unterschiedenen Bereiche der Presse, des Rundfunks und der Telekommunikation, der Massenmedien und der Individualkommunikation verleihen den ohnehin schon vorhandenen Konzentrationsprozessen einen zusätzlichen Impuls und das in globalen, nationale Märkte übergreifenden Dimensionen. Damit wird das Spannungsverhältnis zwischen den verfassungsrechtlichen Anforderungen an freiheitliche Medien und den realen Verhältnissen der Medienproduktion und –konzntration noch verschärft. • Versagen der „main stream“ Wirtschaftswissenschaften? Die neoklassischen Ökonomen verweigern sich der stringenten Anwendung der eigenen Kriterien auf Medienmärkte. Sie müssten dann für die Teilmärkte des kommerziellen Free-TV und der rein über Werbung finanzierten Internetdienste Marktversagen konstatieren. Außerdem müssten sie in Bezug auf lokale und regionale Pressemärkte, in Bezug auf die Märkte für die Boulevardpresse, in Bezug auf den Werbemarkt für kommerzielles Free-TV und in Bezug auf Multimediaverflechtungen hohe Konzentrationsgrade feststellen und dementsprechend staatliche Antitrustmaßnahmen fordern. Da sie dies nicht tun, erscheinen sie als Apologeten der wirtschaftlichen und publizistischen Macht der Medienunternehmen, die außerhalb der Wettbewerbsordnung agieren. Grundsätzlicher ist nach deren Verständnis vom homo oeconomicus im Bereich der Medienmärkte zu fragen. Während in der Realität nachweisbar ist, dass die Rezipienten vom Angebot der Medien sozialisiert und konditioniert werden, von der Werbung verführt und eingelullt werden und bei kommerziellen, über Werbung finanzierten Medien nur eingeschränkte Auswahlmöglichkeiten haben, wird von neoklassischen Ökonomen das Konstrukt des selbst bestimmten, souveränen homo oeconomicus auch im Medienbereich aufrecht erhalten. Damit wird dieses Konstrukt in den beschriebenen Bereichen zu einem ideologischen Artefakt. Darin zeigt sich dann auch, wie fatal es ist, wenn eine Wirtschaftstheorie zur „herrschenden“ wird. Außerdem werden in den klassischen Wirtschaftswissenschaften die gesellschaftlichen Determinanten der Technikentwicklung und -selektion nur unvollkommen berücksichtigt. Technikentwicklung wird in neoklassischen Ansätzen als exogenes Datum betrachtet. Nur Schumpeter
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macht hier eine rühmliche Ausnahme, allerdings führt er technische Innovationen einseitig auf unternehmerisches Handeln zurück. Damit wird die Frage nach den gesellschaftlichen Selektionsmechanismen in der Auswahl neuer Informations- und Kommunikationstechniken und ihrer Auswirkungen auf Kommunikationskulturen aus der wirtschaftswissenschaftlichen Analyse ausgeblendet. Die neoklassischen „zeitlosen“ Marktformenmodelle erlauben nur eine unvollkommene Berücksichtigung der von der Digitalisierung und dem Internet geprägten Medienevolution in historischer Perspektive. Außerdem bieten diese wirtschaftswissenschaftlichen Ansätze kein adäquates Instrumentarium zur Erfassung und Bewertung des ordnungspolitischen Übergangs von der Trennung von Werbung und Programm zur Omnipräsens der Werbung. Vertreter des methodologischen Individualismus würden unreflektiert sagen: Wenn die Konsumenten dies so wollen, dann ist es ihr gutes Recht, da sie ja souverän entscheiden können. Indem das Grundgesetz – im Gegensatz zur Weimarer Verfassung, in der Grundrechte nur unverbindliche programmatische Aussagen waren –, die Grundrechte, also auch die Kommunikationsfreiheiten als unmittelbar einklagbare Rechte gegenüber dem Staat und die Rundfunkfreiheit in Art. 5 GG als institutionelle Garantie-Verpflichtung des Staates zur Schaffung einer positiven Medienordnung – ausgestaltet hat, stärkt es die Bürger als Individuen in der Gesellschaft gegenüber den staatlichen Großorganisationen – Parlament und Regierung, Verwaltung und Justiz – und als citoyen in der Demokratie. Damit zielt das Grundgesetz auf die Absicherung der bürgerlichen Gesellschaft und der mit ihr verbundenen Demokratie. Dies ist als bewusste Wahlentscheidung im Sinne der Verfassungsökonomik anzusehen, auch wenn sich nicht alle Bürger dem entsprechend verhalten, was durch das Vorhandensein verschiedener Rationalitäten der Individuen nach dem public choice-Ansatz erklärt wird. Dies ändert jedoch nichts an dem Leitbild des citoyen in der Demokratie. Gemessen an diesem Leitbild mangelt es an der vom Bundesverfassungsgericht geforderten positiven Ordnung, um Rundfunkfreiheit umfassend zu sichern – Staatsversagen in Bezug auf Tolerierung des kommerziellen Rundfunks, der Leistungswettbewerb und publizistische Vielfalt strukturell nicht zulässt. In Parallele zu dem Leitbild des citoyen in der Demokratie vertritt die vorherrschende Wirtschaftswissenschaft mit dem methodologischen Individualismus – dem Ausgangspunkt der Legitimation der Marktwirtschaft beim souveränen homo oeconomicus – sowohl als Konsument als auch als Güter und Dienstleistungen anbietendes Unternehmen – eine gleiche Orientierung. Aber: Der homo oeconomicus als Käufer wird im kommerziellen Rundfunkbereich zu einem ideologischen Konstrukt, da seine schwache, ja ohnmächtige Position auf spezifischen Medienmärkten wie im Bereich der lokalen Presse und des kommerziellen Free-TV weder durch staatliche Regulierung – Mangel an positiver Ordnung – noch durch Medienerziehung der Rezipienten gegenüber den Organisationen der Produzenten bzw. Anbieter gestärkt wird. Dies wird besonders deutlich, wenn „liberale“ Wirtschaftswissenschaftler wie z.B. Carl Christian von Weizsäcker pauschal die reine Informationsfunktion der Werbung betonen und Werbung generell positiv bewerten, da sie den Konsumenten Informationskosten erspare, obwohl Wirtschaftswerbung meistens die Güter einseitig positiv und emotional darstellt. Damit kann festgestellt werden, dass der verfassungsrechtliche Versuch, den Bürger zu stärken, in den vorherrschenden Wirtschaftswissenschaften keine Entsprechung findet, ja somit in ihnen ins Leere läuft. Bei konsequenter Anwendung der Kriterien für die Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft gerade auch der neoklassischen Volkswirtschaftslehre für den Bereich des
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kommerziellen Rundfunks ist eindeutig Marktversagen zu konstatieren. Insofern ist es besonders Aufsehen erregend, dass von diesen „Wissenschaftlern“ unter dem Deckmantel des allgemeinen Rufes nach Deregulierung, und d. h. Abbau staatlicher Aufsicht und Kontrolle, wegen internationalen Wettbewerbs sogar die Stärkung kommerzieller Medienunternehmen gefordert wird – z.B. durch die Aufhebung der Kennzeichnungspflicht für Werbung. Damit liefern sie den Multimediakonzernen, wissenschaftlich verbrämt, unmittelbare Anknüpfungspunkte für ihre Argumentationen zur Durchsetzung ihrer einseitigen Interessen. Ein wichtiges Ergebnis der bisherigen Analysen ist also für den kommerziellen Rundfunkbereich der Widerspruch zwischen den vom Grundgesetz geforderten Regeln der Medienorganisation und ihrer immer wieder erneuerten Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht einerseits und ideologisch befangener „herrschender“ Wirtschaftswissenschaft andererseits, wie sie z.B. im 8. Hauptgutachten der Monopolkommission zum Ausdruck kommt und auf die politische Zulassung des kommerziellen Rundfunks Einfluss gehabt hat. Nur allmählich werden von „Außenseitern“ – in Ansätzen bei dem Juristen Mestmäcker, verstärkt bei dem Medienökonomen Heinrich und bei der Kommunikationswissenschaftlerin Kiefer – die Grundannahmen der marktwirtschaftlichen Organisation des kommerziellen, rein über Werbung finanzierten Rundfunks in Frage gestellt und für diesen Bereich ein weitgehendes Marktversagen konstatiert, bisher aber, ohne dass das entscheidende Folgen für die Medienpolitik gehabt hat. Von den vorherrschenden wirtschaftswissenschaftlichen Annahmen geht, wie die Analysen gezeigt haben, konsequenter Weise keinerlei Druck aus auf die offenbar notwendige Umkehr staatlicher Regulierung.Im Gegenteil: durch die Forderung nach weitergehender Deregulierung wird die Position der Bürger in der Medienwelt weiter geschwächt. Auf Grund seiner Einbindung in die Konkurrenz um Einschaltquoten kann der öffentlich-rechtliche Rundfunk nur eine schwache Kompensation für die Defizite des kommerziellen Rundfunks darstellen. Die Diskrepanz zwischen verfassungsrechtlichem und demokratietheoretischem Anspruch an eine positive Ordnung und wirtschaftwissenschaftlich nach mainstream-Vorstellungen legitimierter Realität des kommerziellen Rundfunks wird so manifest. Offenbar spiegelt die ideologische Vorherrschaft neoklassisch geprägter Volkswirtschaftslehre gerade auch in ihrer generellen „Anwendung“ auf den Mediensektor die gesellschaftliche Machtverteilung und Machtverschiebung zu Gunsten der Inhaber der kommerziellen Medien wieder. Angesichts des Versagens der wirtschaftswissenschaftlichen Analyse auf der Basis des methodologischen Individualismus, – man könnte auch schärfer von ideologischer Immunisierung gegen Kritik sprechen –, auf Grund des Marktversagens in der Organisation des kommerziellen Rundfunks, auf Grund der geschilderten gesellschaftlichen Machtverschiebung und auf Grund der verfassungsrechtlichen Anforderungen an freiheitliche Medien ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk geradezu legitimiert und notwendig, um – wenn es denn möglich ist –, dieses Versagen auf verschiedenen Ebenen zu kompensieren. Dazu wären aber mehrere Voraussetzungen zu schaffen: – Der öffentlich-rechtliche Rundfunk müsste aus der ruinösen Konkurrenz mit den kommerziellen Veranstaltern befreit werden, damit er seinem demokratischem Funktionsauftrag voll gerecht werden kann
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– Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sollte auf die Finanzierung über Werbung und Sponsoring verzichten. Dies erscheint aber nur dann möglich, wenn die politischen Einflussnahmen auf die Festlegung der Rundfunkgebühren unterbunden werden z.B. durch eine Indexierung. – Die Selbstverwaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist von bürokratischen Verkrustungen zu befreien und effektiver zu gestalten. Der politische Zugriff durch Parteien ist weiter zurückzudrängen. Das Finanzgebahren ist transparenter zu gestalten. Mit den „öffentlichen“ Mitteln ist sparsamer umzugehen. – Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss diskriminierungsfreien Zugang zu allen Verbreitungstechnologien haben und sich inhaltlich stärker als mutiger, innovativer und professioneller, von spezifischen Interessen unabhängiger Mittler zwischen gesellschaftlicher „Realität“ und den Bürgern profilieren. – Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat einen verantwortlichen Journalismus und Qualitätsstandards auf höchstem Niveau zu garantieren. Vermischung von redaktionellen Beiträgen und PR in jeder Form und Schleichwerbung z.B. durch Product Placement dürfen nicht vorkommen. Die Programmleistungen sind zu evaluieren ähnlich den Konzepten zum public value der BBC. – Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss Programmstrategien entwickeln, die einerseits Jugendliche wieder verstärkt ansprechen und andererseits umfänglich Bildungsprogramme anbieten. – Die Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Gesellschaft ist verstärkt transparent zu machen und offensiv öffentlich zu vertreten.
8. Der kommunikationswissenschaftliche und der medienpolitische Zugang 8.1 Medienpluralismus und „vorherrschende Meinungsmacht“ Der zentrale kommunikationswissenschaftliche Begriff der publizistischen Vielfalt dient der Beschreibung der Qualität medialer Leistungen für die Allgemeinheit. „Diese Vielfalt soll in möglichst großer Breite, Vollständigkeit und Ausgewogenheit zum Ausdruck kommen und dadurch die Informationsfreiheit des Einzelnen sowie die Artikulationsmöglichkeiten von Minderheit(smeinung)en gewährleisten. Vielfalt wird in strukturelle bzw. Funktions-Vielfalt, formale und inhaltliche Vielfalt unterteilt. Funktions-Vielfalt meint die Breite größerer struktureller Einheiten (etwa den vom Rundfunk gesetzlich geforderten Funktionen Information, Bildung, Beratung und Unterhaltung). Formale Vielfalt wird in der Varianz von Präsentationsformen (z.B. Gestaltungselemente oder journalistische Stilformen) festgemacht. Diese Vielfaltsform wird durch die Quellenvielfalt ergänzt, also die unterschiedliche Herkunft der Informationen, und knüpft eine Verbindung zwischen dem Kriterium der Vielfalt und der Richtigkeit der Informationen. Inhaltliche Vielfalt bezieht sich auf Merkmale der Informationen und Meinungen, der Interessen-, Themen- und Personendarstellung. Sie lässt sich in vier Hauptkomplexe differenzieren: Vielfalt der Lebensbereiche, Vielfalt geographischer/regionaler Räume, Vielfalt kultureller/ethnischer Gruppen sowie Vielfalt gesellschaftlicher/politischer Interessen. Diese Interessen finden ihren Ausdruck in der Vielfalt von Issues und Akteuren. Unter Issues wird der Bezug auf abstrakte Sachgebiete oder Konflikte (z.B. Wirtschaft, Gesundheit, Kultur usw.) verstanden. Akteure lassen sich in Repräsentanten sozialer Einheiten (z.B. Politiker) oder Individuen mit deren kontextualen (Soziodemografie, Zugehörigkeit zu einer sozialen Einheit etc.) und Verhaltensmerkmalen (handelndes Subjekt oder Objekt des Geschehens) unterteilen. Werden Akteure unterschiedlichen politischen Lagern zugeordnet, so kann Ausgewogenheit indiziert werden“ (Fahr, S. 304). Diese Ausdifferenzierung des Begriffs der publizistischen Vielfalt geht wesentlich weiter als die Anknüpfung der wirtschaftswissenschaftlichen Wettbewerbstheorie an die Vielzahl der Anbieter an einem Markt. Aus diesem Grunde und wegen der qualitativen Dimensionen gibt es eine relative Schwierigkeit der Messung und dementsprechend der medienpolitischen Normierung einer „angemessenen“ oder „ausreichenden“ Vielfalt. Dies umso mehr, als die Verarbeitungskapazität von Rezipienten in Relation zur Fülle an Informationen in Schrift, Ton und Bild begrenzt ist. Deshalb ist es eine besondere Aufgabe des Journalismus, Komplexität zu reduzieren durch die Präsentation ausgewählter nützlicher, relevanter und verständlicher Informationen, deren Kontext aber niemals verloren gehen darf. Publizistische Vielfalt und wirtschaftlicher Leistungswettbewerb sind nicht deckungsgleich. „So ist der Zusammenhang von ökonomischer und publizistischer Konzentration noch längst nicht theoretisch geklärt und der Begriff der publizistischen Vielfalt empirisch nur bedingt brauchbar“ (Altmeppen, Medienkonzentration S. 176). Ganz so tief scheint der Graben zwischen Wirtschafts- und Kommunikationswissenschaften jedoch nicht zu sein. So lässt sich der publizistische Begriff einer unabhängigen Quelle von Informationen wirtschaftswissenschaftlich in der Form eines selbständig am Markt agierenden
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Unternehmens abbilden. Die Anzahl von autonomen Unternehmen auf Medienmärkten ist noch keine hinreichende Bedingung für publizistische Vielfalt aber eine notwendige. Umgekehrt lässt sich aus ökonomischer Marktbeherrschung auf die Beschränkung publizistischer Vielfalt schließen. Allerdings bedarf die wirtschaftwissenschaftliche Analyse von Medienwettbewerb der Berücksichtigung publizistischer Vielfaltskriterien wie z.B. unterschiedlicher Stilformen in der Präsentation eines Themas – Nachricht, Kommentare, Hintergrundberichterstattung, Karikatur, Satire etc. –, um über das quantitative Kriterium der Quellenvielfalt hinauszukommen. In einem kommunikationswissenschaftlichen Gutachten des Hans-Bredow-Instituts aus dem Jahre 2003 für die KEK wird zur Anwendung der Konzentrationskontrolle des Rundfunkstaatsvertrages (vgl. dazu Kap. 9) vorgeschlagen, zur Erfassung eines „substanziellen Meinungseinflusses“ einer Medienkategorie eine Differenzierung von Medienmärkten vorzunehmen nach Reichweite, Nutzungsdauer, aktueller Information, Einbettung in die Alltagskultur und Kundenbindung. Der potenzielle Meinungseinfluss wird demgemäß beim Fernsehen am höchsten eingestuft, gefolgt vom Radio, den Tageszeitungen, in einem „Topf “ den Sonntagsund Wochenzeitungen, Nachrichtenmagazinen und aktuellen Zeitschriften, dann den Anzeigenblättern, den Programmzeitschriften, den Online-Angeboten, an vorletzter Stelle wieder zusammengefasst Buch, Video/DVD, Tonträger, Kino, Spiele und schließlich mobile Dienste. Das Gutachten selbst ist sich bei dieser Rangfolge nicht sicher, denn es listet z.B. auf, dass Tageszeitungen in ihrem Meinungseinfluss durchaus noch höher einzustufen sind als das Radio und es darüber hinaus auch Gründe gibt, sie mit dem Fernsehen gleichzustellen. Die Kriterien der Differenzierung überzeugen, aber ihre jeweilige Gewichtung bleibt umstritten. Die KEK selber ist im Verfahren der geplanten Fusion des Springer Verlages mit der Pro7/Sat 1-Gruppe anders vorgegangen in der Erfassung vorherrschender Meinungsmacht bei marktbeherrschenden Positionen auf medienrelevanten, verwandten Märkten. Sie führt Gewichtungsfaktoren je nach Suggestivkraft, Breitenwirkung und Aktualität einzelner Mediengattungen ein. So geht sie bei der Presse von einer zum Fernsehen relativen Suggestivkraft von 66,66% aus (vgl. dazu im folgenden Kapitel). Ausgehend von Max Webers Definition von Macht (vgl. Kap. 3 a) finden sich in der Kommunikationswissenschaft „unterschiedliche Forschungsansätze, in denen die Frage nach der Medienmacht formuliert wird. Sie lassen sich danach unterscheiden, in welche sozialen Beziehungen die Medien dabei eingeordnet werden. In der mikroanalytisch orientierten Wirkungsforschung wird die Wirkung der Medien auf Individuen und deren Aggregation erforscht. Auf dem Spektrum zwischen der Annahme von Allmacht und der Annahme von Ohnmacht der Medien finden sich zahlreiche Ansätze und Befunde. Dass durch Medienbotschaften Wirkungen erzielt werden, mit denen der oben genannte Machtbegriff erfüllt wird, muss sehr skeptisch gesehen werden. Veränderungen des Denkens, Wollens und Handelns der Menschen durch Medienbotschaften sind an zahlreiche soziale, psychische und kulturelle Bedingungen gebunden. In einer Mesoperspektive wird untersucht, ob Medienorganisationen innerhalb der Politik – und auch innerhalb des Sports, der Wirtschaft oder der Kultur – so an Einfluss zu anderen Organisationen gewonnen haben, dass ihnen Medienmacht im obigen Sinne unterstellt werden kann. Dies steht hinter der Diagnose von Mediatisierung oder von einer „Mediokratie“. Die Medienlogik beginne, die anderen Bereiche zu dominieren. Die Ressource
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(von der die Wahrscheinlichkeit abhängt, den eigenen Willen durchzusetzen) ist bei den Medien die Verfügungsgewalt über Publizität“ (Vowe, S. 177f). Diese Ausführungen befinden sich auf einem hohen Abstraktionsniveau – es ist allgemein von „den Medien“ die Rede. Sie lassen eine Beschreibung der spezifischen Bedingungen vermissen, unter denen von Allmacht einzelner Medien bzw. von deren Ohnmacht ausgegangen werden kann. Außerdem geht der Autor ohne Begründung systemtheoretisch von den gegeneinander abgeschotteten gesellschaftlichen Funktionssystemen Politik, Medien, Wirtschaft usw. aus, woraus dann „notwendigerweise“ folgt, „dass jedes Funktionssystem die anderen allenfalls irritieren, nicht aber beherrschen kann. Demgemäß kann das Mediensystem seinen Code nicht im Politiksystem durchsetzen“ (daselbst, S. 178). (Zur Auseinandersetzung mit dieser Position, die im Grunde die Unmöglichkeit einer Kommunikations- bzw. Medienpolitik impliziert, vgl. Kap. 13). Offenbar gibt es bisher in der Kommunikationswissenschaft keinen Konsens darüber, wie Medienmacht forschungsmäßig und in deren Folge medienpolitisch zu operationalisieren ist. Ein Indiz dafür scheint auch zu sein, dass sich kommunikationswissenschaftliche Medienkonzentrationsforschung eng an wirtschaftswissenschaftliche Kategorien anlehnt, vgl. z.B. den Beitrag von Altmeppen mit weiteren Verweisen, S. 175f.
8.2 Duales Rundfunksystem: Fruchtbarer Wettbewerb oder ruinöse Konkurrenz? Schon kurz nach der Einführung des kommerziellen Rundfunks in Deutschland und dem odnungspolitischen Anspruch, durch die Landesmedienanstalten für einen „geregelten publizistischen Wettbewerb“ im dualen System zu sorgen, waren bereits Anfang der 90erJahre drei Prognosen eingetroffen: 1. Die Zwänge zur ökonomischen Rentabilität auf den Werbemärkten veranlasst die privatwirtschaftlichen Rundfunkunternehmen die gängigen Unterhaltungsangebote in den Vordergrund ihrer Programme zu stellen – more of the same an Filmen, Serien und Spaßshows statt Gewinn an inhaltlicher Vielfalt. 2. Ökonomische Konzentrationsprozesse haben die geforderte Vielfalt durch Vielzahl der von einander unabhängigen Rundfunkunternehmen zu einem engen Oligopol von marktbeherrschenden und sowohl vertikal als auch horizontal und diagonal verflochtenen Medienunternehmen schrumpfen lassen. 3. Besonders gestützt auf US-amerikanische Erfahrungen war vorher vorausgesagt worden, dass mit Verhaltenskontrollen und Aufsichtsmaßnahmen von Landesmedienanstalten Rundfunkfreiheit gegen die ökonomische Logik des kommerziellen Rundfunks nicht gesichert werden könne. Oft komme es zwischen Aufsicht führenden Institutionen und zu beaufsichtigenden Unternehmen zu einer Verfilzung, die mit dem Gebot der Staatsferne, aber auch mit der Rundfunkfreiheit im Sinne der Zutrittsfreiheit zum Markt der Informationen und Meinungen im Widerspruch stehe. Lizenzierung, Aufsicht und Kontrolle durch „unabhängige“ Kommissionen würden so zu symbolischer Politik verkommen (Lange, 1991, S. 8ff mit weiteren Verweisen). Unter der Voraussetzung, dass diese Feststellungen auch heute zutreffen, ist jetzt zu fragen, welche Rückwirkungen ungezügelte Konkurrenz der privatwirtschaftlichen Rundfunkveran-
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stalter um Werbung, um Film- und Sportrechte, um Moderatoren und Entertainer und insgesamt um Einschaltquoten auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zusätzlich zu den Konzentrationsprozessen im „eigenen“ Bereich haben. Die diesbezügliche Diskussion wird kommunikationswissenschaftlich unter dem Schlagwort der inhaltlichen Konvergenz der Programmangebote im dualen System geführt: Fernsehen als Informations- und Bildungsmedium oder nur noch als Spaßproduzent und Unterhaltungsmaschine? Konvergenz kann sich „nach unten“ ergeben, wenn die öffentlich-rechtlichen Veranstalter sich an die minderen Programmstandards der kommerziellen Sender anpassen, um im Quotenwettbewerb mitzuhalten. Sie kann sich „nach oben“ ergeben, falls die privaten Sender sich den höheren Programmstandards der öffentlich-rechtlichen Veranstalter annähern sollten. „Heute wird eher davon ausgegangen, dass es wohl Konvergenzentwicklungen in beiden Richtungen gab und gibt; unbestritten ist aber auch die Tatsache, dass die Programmqualität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – misst man sie am Informationsanteil sowie an seriöser Unterhaltung – nach wie vor deutlich höher ist, als das, was die privaten Sender insgesamt und Einzelne ganz besonders bieten“ (Tonnemacher, S. 198 auch unter Verweis auf die Untersuchungen von Krüger). „Kommunikationspolitisch viel gravierender sind einerseits die Programmverflachungen, die bei praktisch allen privaten teilweise aber auch bei öffentlich-rechtlichen Sendern zu sehen sind, und andererseits die häufigen bis vielfachen Verstöße gegen rundfunkrechtliche Bestimmungen, wie etwa Werberegelungen oder die Bestimmungen des Jugendschutzes“ (Tonnemacher, S. 200). Es sei bisher nicht gelungen die Überflutung mit Gewaltdarstellungen, seien sie realer oder fiktionaler Art, trotz einer Vielzahl von Gesetzen und Gremien einzudämmen. Bei der Frage nach den positiven und negativen Auswirkungen der Konkurrenz im dualen Rundfunksystem ist zu differenzieren. Zweifelsfrei hat die Konkurrenz die Kosten auf beiden Seiten für den Erwerb von Rechten an Filmen, Serien und Sportveranstaltungen und für Fernsehmoderatoren und Entertainer in die Höhe getrieben. Ein Teil der notwendigen Anpassungen der Rundfunkgebühren der öffentlich-rechtlichen Sender ist hierauf zurückzuführen. Zweifelsfrei ist die zahlenmäßige Auswahl an Filmen, Krimis, Unterhaltungsshows etc. für die Fernsehzuschauer gestiegen. Dies ergibt sich auch durch die Ausweitung der Sendezeiten rund um die Uhr. Gleichzeitig schauen die öffentlich-rechtlichen Sender verstärkt auf die Einschaltquote der einzelnen Programme und Formate, um ihre Legitimität sowie die Gebühren zu rechtfertigen. Dabei droht immer mehr der spezifische Funktionsauftrag in Bezug auf seriöse Unterhaltung und Bildung aus dem Blickfeld zu geraten. So sind z.B. die Interviews von Thomas Gottschalk mit eingeladenen „Prominenten“ in ˛Wetten dass…?‘ des ZDF meist nichts anderes als Promotion-Veranstaltungen für deren Tourneen, Filme oder sonstigen Auftritte. Viele der Nachmittags- oder der Vorabend-Programme, eben auch über Werbung mitfinanziert, unterscheiden sich nicht wesentlich von denen der Privaten: vergleiche z.B. „Das Quiz“ mit Jörg Pilawa im Ersten und „Wer wird Millionär?“ mit Günter Jauch bei RTL. Das ZDF plant entgegen diesem Trend der Konvergenz in Richtung der kommerziellen Sender, die Volksmusiksendungen von Dieter Thomas Heck und Marianne und Michael einzustellen und stattdessen Klassiksendungen stärker im Programm zu berücksichtigen (Rhein-Zeitung 16.7.2007). Es gibt besonders qualitativ hoch stehende Programme auf 3 Sat, arte, häufiger in
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den Dritten Programmen oder im ZDF-Theater-Kanal und auch die Eigenproduktionen der öffentlich-rechtlichen Sender haben meist ein sehr hohes kulturelles Niveau. Jan Tonnemacher, der wie erwähnt Programmverflachungen und die ansteigende Flut von Gewaltdarstellungen in der Konkurrenz im dualen System kritisiert, geht für die Zukunft trotzdem von einem relativ geregelten Nebeneinander der beiden ungleichen Rundfunksysteme aus, besonders unter Verweis auf die verfassungsrechtliche Absicherung des öffentlichrechtlichen Rundfunks.
8.3 Regionale Zeitungsmonopole und ihre Leistungen Walter J. Schütz hat kontinuierlich die Entwicklung der Ein-Zeitungs-Kreise analysiert. Die Folgen der Konzentration im lokalen und regionalen Bereich sind jedoch kommunikationswissenschaftlich seit langem nicht mehr untersucht worden. Tonnemacher verweist in seinem 2003 erschienenen Buch zur Kommunikationspolitik auf die in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts geführte Auseinandersetzung um die Frage der Qualitätsunterschiede in der journalistischen Berichterstattung zwischen Zeitungen in Alleinanbieterposition und solchen mit Konkurrenz vor Ort. Noelle-Neumann kam 1976 sowohl auf der Basis von Leserbefragungen als auch von einer inhaltsanalytischen Langzeitstudie zu dem Ergebnis, „keine Anhaltspunkte für Qualitätseinbußen der Zeitungen nach Erringen der Monopolstellung oder für einen Missbrauch der Monopolstellung gefunden zu haben“ (zitiert bei Tonnemacher, S. 132). Knoche und Schulz kamen dagegen auch auf der Basis inhaltsanalytischer Stichproben zu dem Ergebnis, „dass publizistische Konkurrenz durchaus zu besserer Leistung führt, wechselseitige Kontrollmöglichkeiten bietet und Journalisten mehr Unabhängigkeit verschafft“ (zitiert bei Tonnemacher, ebenda). Tonnemacher stellt dazu resignierend fest: „Bei diesen Untersuchungen handelt es sich um frühe Beispiele dafür, dass die Kommunikationswissenschaft kaum in der Lage ist, schlüssige Beweise für erwartete Wirkungen von Medien oder Änderungen im Medienbereich zu liefern“ (daselbst, S. 133). Bemerkenswert ist: 1. Das Thema ist seit vielen, vielen Jahren nicht wieder aufgegriffen worden, trotz Zunahme der Einzeitungsgebiete und damit trotz verstärkten Widerspruchs zwischen ordnungspolitischem Anspruch und realer Entwicklung. Offenbar gibt es sowohl in der Kommunikationswissenschaft wie in der Medienpolitik Gewöhnungstendenzen im Sinne der Kapitulation vor der Macht des Faktischen bzw. vor der Macht der Verlegerverbände. 2. Die Untersuchungen von Knoche und Schulz verweisen in die richtige Richtung: es geht nicht nur um die publizistische Leistung sondern auch um die Arbeitsbedingungen von Journalisten und um die (zumindest potentielle) wechselseitige Kontrolle der Verlage im Wettbewerb. 3. Die wirtschaftswissenschaftlichen Überlegungen zu Wettbewerb und Konzentration stellen vorrangig auf Strukturmerkmale ab. Aus der Mehrzahl von selbständigen Verlagen wird auf ein Verhalten nach Kriterien des Leistungswettbewerbs geschlossen, das wiederum zu positiven Ergebnissen im Interesse der Konsumenten führt. Umgekehrt werden verfestigte Monopolstrukturen negativ bewertet. Folgt man diesen ordnungspolitischen Schlussfolgerungen, so kann es nicht um die Prüfung missbräuchlichen Verhaltens gehen,
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sondern die Monopolstellung an sich ist unakzeptabel: Die ökonomische Marktstruktur der lokalen bzw. regionalen Zeitungsmonopole stellt per se eine Gefährdung publizistischen Wettbewerbs dar.
8.4 Kommunikationspolitik und medienspezifische Regulierung Hier ist zwischen kommunikationswissenschaftlicher Analyse bestehender Kommunikationspolitik einerseits – discipline-science – und normativen Anforderungen an dieselbe andererseits – policy-science – zu unterscheiden. Deskriptiv analytisch wird unter Kommunikationspolitik die Summe politisch motivierten und intendierten Handelns verstanden, „das sich auf die Organisation, die Funktionsweise, die Ausgestaltung sowie die materielle und personelle Situation der Massenmedien bezieht“ (Kleinsteuber, S. 17). Institutionen und Akteure der Kommunikationspolitik in diesem Sinne sind sowohl staatliche Organe wie die EU, Bund und Länder, als auch politische Parteien, Kirchen, Unternehmerverbände und Gewerkschaften, die Medien und ihre Verbände selber, die Werbewirtschaft und die Verbraucherverbände (vgl. die Auflistung in Kap. 5 bei Tonnemacher, S. 73, vgl. auch Kutsch/Ravenstein, S. 64ff). Die wissenschaftliche Analyse der Kommunikationspolitik erfolgt zunehmend in einem interdisziplinären Zusammenwirken der Kommunikations- und Publizistikwissenschaft mit Rechts- und Wirtschaftswissenschaft, Psychologie, Soziologie und Politikwissenschaft (Vgl. Tonnemacher, S. 14 ff). Die normativ orientierte Definition von Kommunikationspolitik lautet: „Kommunikationspolitik ist geplantes und zielorientiertes Handeln zur Durchsetzung oder zur Schaffung oder Erhaltung von Normen im Bereich der Information und Kommunikation im öffentlichen oder im eigenen Interesse“ (Tonnemacher, S. 21). Nach Schatz et. al. lassen sich drei verschiedene Erscheinungsformen der Medienpolitik (als Unterform von Kommunikationspolitik) unterscheiden: • Ordnungspolitik, sie spricht das ordnungspolitische Zulassungsproblem an, also die gesetzliche Regelung zur Auswahl von Kommunikatoren; • Infrastruktur- und Ressourcenpolitik, sie umfasst u. a. die technische Infrastruktur, die informationellen Grundlagen der Massenkommunikation, das kreative Humankapital, die finanzielle Basis, Organisations- und Personalstruktur; • Programm(struktur)- und Informationspolitik, sie benennt die faktische Steuerung des Mediensystems durch Staat und politische Parteien“ (zitiert bei Kleinsteuber, S. 25). Eine kommunikationswissenschaftliche Evaluation der einzelnen Bereiche der Kommunikationspolitik lässt sich in etwa folgendermaßen zusammenfassen: Pressepolitik: zu den Monopolstellungen von Tageszeitungen im lokalen und regionalen Bereich und ihren Auswirkungen liegen nur umstrittene, relativ lange zurückliegende Untersuchungen vor. Die Innere Pressefreiheit als die rechtliche Sicherung bestimmter Strukturprinzipien im Verhältnis zwischen Verleger und Chefredakteur und den übrigen redaktionellen Mitarbeitern eines Presseunternehmens ist bis heute trotz mehrfacher politischer Anläufe nicht in einem Presserechtsrahmengesetz geregelt sondern lediglich auf freiwilliger Basis über Redaktionsstatute in einigen Verlagen kodifiziert. Da gemäß §118 Betriebsverfassungsgesetz die Presse zu den tendenzgeschützten Organisationen gehört und daher die Mitbestimmungs-
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rechte der Arbeitnehmer bei Einstellungen, Versetzungen und Kündigungen in Verlagen eingeschränkt sind, ist der Verleger nach wie vor uneingeschränkter „Herr im Haus“. Dies wird kritisiert, da „die Pressefreiheit auch im Innenverhältnis zwischen Verleger und Journalisten gewährleistet sein muss“ (Tonnemacher, S. 133). Die Selbstkontrolle der Presse u. a. über den Deutschen Presserat wird auf Grund der Freiwilligkeit als wenig effektiv gekennzeichnet (Tonnemacher, S. 137ff). Zu den medienpolitischen Problemen im Zeitschriftenbereich wird einerseits positiv hervorgehoben, dass es kaum Probleme hinsichtlich der Angebotsvielfalt gebe, dass ständige Marktzutritte und -rückzüge durch den Trend zu Special-Interest-Zeitschriften zu verzeichnen seien und dass Nachrichtenmagazine wie DER SPIEGEL, FOCUS und Stern besondere Kontrollaufgaben gegenüber der Politik wahrnehmen, sie sich demgemäß aber auch immer wieder gegen Angriffe der Politiker zur Wehr setzen müssen. Kritisch wird andererseits angemerkt, dass sich besondere medienpolitische und berufsethische Probleme bei Blättern ergeben, die im Konkurrenzkampf auf Veröffentlichung vermeintlicher oder tatsächlicher Skandale und auf ˛Sex and Crime‘ setzen (Tonnemacher, S. 142). Die Evaluation der Rundfunkpolitik fällt ambivalent aus: Einerseits wird die medienpolitische Position des öffentlich-rechtlichen Rundfunks insbesondere auf Grund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht und der gesetzlichen Absicherung seines unbeschränkten Zugangs zu den auch neuen Verteiltechniken als gesichert angesehen andererseits werden medienpolitische Probleme besonders bei den kommerziellen Veranstaltern durch Programmverflachung und durch die Überflutung mit Gewaltdarstellungen, seien sie realer oder fiktionaler Art gesehen. Die Jugendschutzgesetze bedürften diesbezüglich dringend der Überarbeitung (Tonnemacher, S. 200f). Röper hat kontinuierlich die „Formation von Medienmultis in Deutschland“ dokumentiert und kritisch analysiert und damit wesentlich dazu beigetragen, das Thema der Medienkonzentration wach zu halten (vgl. dazu jährlich in Media-Perspektiven: Röper, Horst, Formation deutscher Medienmultis). Zur besseren Funktionsweise des dualen Rundfunksystems wird von einigen Kommunikationswissenschaftlern unter Verweis auf das Vorbild Großbritannien vorgeschlagen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk ganz auf Werbeeinnahmen verzichte, dann entfiele die Notwendigkeit der Kommerzialisierung des Vorabendprogramms von ARD und ZDF. Die Werbeeinnahmen machten bei ARD als auch beim ZDF netto nur noch 5 Prozent aus, so dass zur Kompensation der diesbezüglichen Einnahmeausfälle nur eine moderate Gebührenanhebung notwendig sei (Tonnemacher, S. 241). Die Evaluation der Kommunikationspolitik in Bezug auf Neue Medien erfolgt unter der Überschrift: Wirtschafts- und Wettbewerbsförderung oder Ordnungspolitik für den Medienwandel? Entgegen den Apologeten von weiterer Deregulierung mit ihrer Kritik an der Verrechtlichung der Kommunikationspolitik mit einer komplizierten und überregulierten Verteilung von Kompetenzen und Zuständigkeiten wird darauf hingewiesen, dass die Kommunikationsfreiheiten in einer Demokratie nicht beeinträchtigt werden dürfen. Daher dürfe das Feld der Medienpolitik nicht den neoliberalen Wirtschaftspolitikern überlassen werden, weil sie die Medienpolitik sonst in eine Standort-, Wettbewerbs- oder Wirtschaftsförderungspolitik umwandeln würde (Tonnemacher, S. 241).
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Zur kommunikationswissenschaftlichen Evaluation internationaler Kommunikationspolitik heißt es, dass der zunehmenden Internationalisierung der Medienentwicklung kaum durch die Schaffung von neuen Rahmenregelungen im Sinne einer Harmonisierung begegnet worden ist, sondern vielmehr durch einen umfassenden Deregulierungsprozess. Dieser bedeutet, dass der Prozess der weiteren Medienkonzentration sich ungehindert fortsetzen kann. Statt des überkommenen Bekenntnisses zur öffentlichen Aufgabe des Rundfunks, die zu ihrer Absicherung kommunikationspolitischer Garantien bedürfe, werde der Rundfunk nach der Zulassung kommerzieller Veranstalter praktisch überall in Europa nun unter den Gesichtspunkten des Marktes betrachtet. Unter den Stichpunkten Deregulierung und Kommerzialisierung gehe es ordnungspolitisch um „weniger Staat und mehr Markt“. „Damit rekurriert Europa auf das so lange geschmähte und zu europäischen Verhältnissen kontrapositionär betrachtete Rundfunksystem der USA, das durch dauerhafte Deregulierungsprozesse zu einem vollständig dem Markt überlassenen System wurde. … Insgesamt entsteht dabei für viele westeuropäische Länder der Eindruck, dass Rundfunkrecht und Rundfunkorganisation zwar grundlegend am Public-Service-Konzept festhalten, auf der anderen Seite aber die Deregulierung und Kommerzialisierung der nationalen Rundfunkmärkte vehement vorangetrieben haben. Die staatliche Kommunikationspolitik im Rundfunksektor verkommt damit zu einem symbolisch-rituellen Akt der gesellschaftlichen Konsenssicherung. … Erst nachdem sich wesentliche Änderungen in den Rundfunksystemen bereits dauerhaft etabliert hatten, wurde nachträgliche Legitimationsarbeit geleistet – und dies allerdings nur in Form eines ˛muddling through‘“ (Meckel, S. 98ff; die Autorin wurde später Staatssekretärin für Medienpolitik in der Staatskanzlei NRW, ohne dass durch ihre Arbeit eine neue Linie der Medienpolitik im Sinne ihres wissenschaftlichen Anspruchs sichtbar wurde).
8.5 Medienwirkungsforschung und ihre Bedeutung zur Beurteilung von Medienwettbewerb und Konzentration Das Interesse an der kommunikationswissenschaftlichen Wirkungsforschung beruht im politischen System darauf, die Auswirkungen von Medienaussagen über die Handlungen der Akteure zu evaluieren. Das Sozialsystem hat ein Interesse daran, den Einfluss der Medien auf die soziale Welt zu erfahren. In beiden Systemen geht es nach offizieller Lesart auch um eine Rückkoppelung mit der Medienpolitik, um mögliche negative Wirkungen der Medienentwicklung zu vermeiden, z.B. durch die Bekämpfung von Multimediakonzentration und die Förderung publizistischer Vielfalt. Heute geht die Forschung zu den medialen Wirkungen weder von der Allmacht, noch der Ohnmacht der Medien aus sondern subtiler von eher indirekten Wirkungen. Bei der richtigeren Fragestellung: Was bewirken die Medien? wird differenziert nach Wirkungen auf politische Kenntnisse, Einstellungen und Verhalten. Die Persuasionsforschung geht dabei von einer Hierarchie von Stabilitäten aus: Wissen und Vorstellungen können relativ leicht beeinflusst werden, Einstellungen oder gar Verhalten sind nur langfristig zu verändern. „Langfristige Wirkungen der Medien als wichtige Sozialisationsinstanz – etwa im Rahmen der individuellen „Konstruktion von Realität“ oder bei der Schöpfung, Verstärkung oder Lenkung von Bedürfnissen – sind wie bewusstseinskonstitutive Funktionen der Medien nur durch komplexe Un-
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tersuchungsdesigns zu erfassen und nicht durch Laborexperimente oder Umfragen in ihrer gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Bedeutung zu analysieren“ (Ravenstein, S. 169, S. 171). Derartige Untersuchungen haben die Forschungen zur Glaubwürdigkeit der einzelnen Medien, insbesondere zum Vergleich von Fernsehen und Presse, angestellt. Die Ergebnisse insbesondere von Langzeituntersuchungen zeigen, dass in den letzten Jahren alle Medien Vertrauenseinbußen hinnehmen mussten, am deutlichsten das Fernsehen, am wenigsten die Tageszeitung (vgl. Jäckel, Medienwirkungen, S. 143ff, S. 164). Gleichzeitig aber besteht die Wirkungsmacht der Massenmedien fort: „Wir wehren uns mit einem Manipulationsverdacht, der aber nicht zu nennenswerten Konsequenzen führt, da das den Massenmedien entnommene Wissen sich wie von selbst zu einem selbstverstärkenden Gefüge zusammenschließt. Man wird alles Wissen mit dem Vorzeichen des Bezweifelbaren versehen … und trotzdem darauf aufbauen, daran anschließen müssen“ (Luhmann zitiert ebenda, S. 167). •
Wirkungen der Werbung
Werbung in all ihren Erscheinungsformen und medialen Verbreitungswegen zielt auf Aufmerksamkeit bei den Rezipienten. „Wenn jemand jemanden auf sich konzentrieren kann, wenn jemand es erreicht, dass der andere ihm zuhört, dann hat er schon Macht über ihn“ (Harry Pross, S. 41). „Allgemein versucht die Werbung, durch die Produktion und Distribution von Medienangeboten bei jeweils klar definierten Zielgruppen zwangsfrei und mit wiederholbarem Erfolg Teilnahmebereitschaft in Bezug auf Produkte, Leistungen, Personen und Botschaften zu produzieren. Mit Blick auf die verschiedenen Leistungsbeziehungen bedeutet Teilnahmebereitschaft im Rahmen des Wirtschaftssystems die Bereitschaft zu zahlen, im Rahmen des politischen Systems die Bereitschaft zu wählen, im Mediensystem, die Bereitschaft zu rezipieren, im Religionssystem, die Bereitschaft zu glauben etc.“ (Zurstiege, S. 309f). Werbewirkungsforschung zielt darauf ab, den Erfolg der Werbebotschaften zu messen. Werbebotschaften enthalten nicht nur Informationen – sonst gäbe es keinen Bedarf für Unternehmens unabhängige Verbraucherinformationen –, sondern sie verknüpfen oft mit dem Erwerb eines Gutes emotionales Glück und appellieren damit unterschwellig an Sehnsüchte und Träume. So suggeriert die Produkterbung für Reinigungsmittel im Haushalt oft die Beförderung von ehelicher Harmonie, so kauft man bei Mercedes nicht ein Auto, sondern ein Statussymbol mit Prestige: hervorragende Einzigartigkeit und Luxus – Daimler Chef Dieter Zetsche: „Wir verkaufen auch Gefühle“ (Der Spiegel, 37/2007, S. 120ff) – so kauft man mit der Marlborro nicht nur eine Zigarette sondern die Freiheit des wilden Westens, so kauft man mit NIVEA die Erfüllung von Träumen: „Schönheit ist Glück – NIVEA, Schönheit ist Liebe – NIVEA, Schönheit ist ein Moment – NIVEA“; Werbung für NIVEA in DER SPIEGEL, Nr. 35 vom 27.8.2007). Werbung verknüpft „Haben“ eines Gutes mit geschmeicheltem Sein der sich wohl fühlenden Persönlichkeit. Produktwerbung geht damit normaler Weise weit über Produktinformationen hinaus und zielt oft auf die Hervorbringung und Manipulation von Bedürfnissen – insofern ist das Wort „zwangsfrei“ in dem Zitat von Zurstiege mit einem Fragezeichen zu versehen. Aggressive Werbung mit „kleinen Preisen“ – z.B. im Bereich des Getränkehandels oder beim Elektrofachhandel – führt dazu, dass die Verbraucher in Deutschland die realen Preisrelationen verzerrt wahrnehmen: Mit „kleinen Preisen“ oder als „saubil-
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lig“ beworbene Produkte werden als günstiger als bei der Konkurrenz wahrgenommen, obwohl sie tatsächlich teurer sind (Rhein-Zeitung 3.8.2007: „Verbraucher wissen nicht, was teuer ist“). Auch dies ist ein Beispiel dafür, dass Webung wirkt. „Seit der Zulassung des privat-kommerziellen Fernsehens in Deutschland 1984 hat sich der Werbefernsehmarkt zu einem der bedeutsamsten Medienmärkte entwickelt. Das beruht darauf, dass durch die Kombination von bewegtem farbigen Bild und Ton Fernsehwerbung multisensorisch und aufmerksamkeitsstark wirkt und dass ihr eine hohe Breitenwirkung zugesprochen wird, die das Medium Fernsehen besonders qualifiziert. Der Sektor des Werbefernsehens ist durch drei zusammenhängende Faktoren geprägt: Erstens durch Größen- und Verbundvorteile der Produktion und Distribution; zweitens durch darauf zurückzuführende Formen der Medienkonzentration: der Werbefernsehmarkt ist hoch konzentriert und besteht aus den Senderfamilien Bertelsmann und ProSieben/Sat 1 Media AG. Drittens haben sich mit dem Werbefernsehen spezifische Organisationen der Mediaplanung und der Werbeforschung und -vermarktung etabliert. … Die Abhängigkeit (der Programmveranstalter, der Verf.) von Werbung führt dazu, dass auch das redaktionelle und programmliche Umfeld durch die Werbung beeinflusst wird. Dieser Einfluss betrifft die Form und Gestaltung der Medienangebote, die Veränderung der Struktur der Medieninhalte und die Verengung der Zielgruppen der Medien auf die werberelevanten Gruppen“ (Altmeppen, Werbefernsehen S. 308f). Wirkungen von Wirtschaftswerbung sind daher in zwei Richtungen kritisch zu bewerten: Zum einen in Bezug auf ihre Realitätsverzerrung, ihre illusionären Glücksversprechen, die letztendlich zu Enttäuschungen führen müssen und zum anderen in Bezug auf die Prägung der kommerziellen Fernsehprogramme, die abhängig und unkritisch zumindest der Wirtschaft gegenüber gehalten werden und die eine souveräne, an der Widerspiegelung der Meinungsvielfalt orientierte Programmgestaltung verhindern. •
Wirkungen auf die Bürger
Eine von der Kommunikationswissenschaft formulierte systematische Ordnung der wissenschaftlichen Wirkungsbefunde der Medien in Bezug auf Individuen bzw. Publika geht von folgenden vier Hypothesen aus: 1. Je größer die formale Auffälligkeit der Themendarbietung in den Massenmedien, desto häufiger die Zuwendung des Publikums und desto größer die Wirkung (Agenda-SettingHypothese). 2. Je größer die inhaltliche Konsonanz der Themendarstellung in den Massenmedien, desto häufiger die Zuwendung des Publikums und desto größer die Wirkung (Prägungs-, Kultivations-Hypothese) 3. Je ausgeprägter die kognitive Disposition (Vorwissen, Einstellungen) des Publikums zu einem Thema, desto seltener die Zuwendung zu einer von der Disposition abweichenden Themendarstellung und desto geringer die Wirkung (Hypothese minimaler Medienwirkung) bzw. desto häufiger die Zuwendung zu einer mit der Disposition übereinstimmenden Themendarstellung und desto größer die Medienwirkung (Verstärker-Hypothese). 4. Je ausgeprägter das Bedürfnis nach Information zu einem Thema, desto größer die Zuwendung und desto größer die Wirkung (Motivations-Hypothese)“ (Schulz, 1984, S. 212).
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„Bei den zahlreichen kommunikationswissenschaftlichen Agenda-Setting-Studien geht es vor allem um die Frage, welche Medien den stärksten Einfluss auf die Rezipienten entwickeln. Generell wurde den Printmedien eine größere Fähigkeit zugeschrieben, die Problemwahrnehmung zu beeinflussen. Andererseits ist bei einigen Themen, wie dem Gewalt-Issue, das Fernsehen im Agenda-Setting gegenüber dem Zeitungsjournalismus einflussreicher“ (Ravenstein, S. 173; vgl. auch Jäckel, Medienwirkungen, S. 169ff) Interpretiert man diese Befunde unter dem Blickwinkel von Medienwettbewerb und Konzentration, so folgt aus der ersten Hypothese die besondere Wirkungsmächtigkeit von Boulevardzeitungen einerseits und politischen Zeitschriften andererseits. Die Bild-Zeitung, DER SPIEGEL, Stern und Focus werden von Politikern besonders wahrgenommen wegen ihrer Macht, Themen prononciert, zum Teil reißerisch zu lancieren und zu bewerten und damit bestimmenden Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung zu nehmen. Daraus folgt, dass im Bereich der national verbreiteten Boulevardzeitung(en) die Konzentrationskontrolle besonders wachsam zu sein hat. Insofern ist die seit langem dominante Position des Axel Springer Verlages in diesem Bereich, ohne dass sie ordnungspolitisch angegriffen wurde, ein besonderes Zeichen von Diskrepanz zwischen medialer Realität und verfassungsrechtlichem Anspruch. Aus der zweiten Hypothese lässt sich ein Plädoyer für eine möglichst große Pressevielfalt einerseits und für die Trennung von Presse und kommerziellem Rundfunk in einer Hand andererseits ableiten, um zu verhindern, dass von einer privatwirtschaftlichen Institution aus einseitige Prägungen auf Meinungen und dann entsprechende Verhaltensweisen der Bürger ausgehen. Außerdem lässt sich von dieser Hypothese auch eine Brücke schlagen zur Forderung nach Stärkung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit seinen ausgewogenen Programmen, die gerade einseitige Konsonanz verhindern sollen. Die dritte Hypothese lässt sich in der Richtung deuten, dass es darauf ankommt, das Vorwissen und d.h. die allgemeine Bildung und die Medienkompetenz der Bürger zu stärken, um sie möglichst „auf gleiche Augenhöhe“ mit den möglichst im publizistischen Wettbewerb stehenden Medien zu bringen, um Abhängigkeiten zu vermeiden und Manipulationsmöglichkeiten zu begrenzen. Die vierte Hypothese verweist auf „die Macht der Medien“ bei der Berichterstattung über neue, bisher unbekannte Ereignisse, Probleme oder Personen: dabei können sie die Interpretationsmuster und dementsprechende Einstellungen vorgeben. Auch hieraus folgt die Forderung nach möglichst vielen, von einander unabhängigen Quellen der Information und Berichterstattung gerade auch bei neueren Entwicklungen. Generell gilt: „Die Medien wirken vor allem dort, wo sie ein Monopol auf die Darstellung der Realität haben. Immer dann, wenn die Rezipienten nicht vollständig von den Massenmedien abhängig sind, ist ihre Wirkung eingeschränkt“ (Ravenstein ebenda, S. 174). Diese Aussage verweist besonders auf die nicht hinnehmbare Situation der lokalen und regionalen Monopolzeitungen. Kommunikationswissenschaftlich ist auch der gesellschaftliche Prozess der Veränderung von Normen und Werten durch mediale Berichterstattung analysiert worden. Zur Auseinandersetzung um die RTL-Sendung „Tutti Frutti“ 1990 – erstmalig wurden in einer Fernsehsendung immer wieder blanke Busen gezeigt – heißt es: „Indem die Medien, das Fernsehen in seinen Diskurs stiftenden Sendungen und die Fernsehkritik in ihrer Thematisierung dieser Veränderungen, über solche Veränderungen auch auf unterschiedlichen Ebenen tätig werden, tragen sie zu den Veränderungen selbst bei, indem sie diese normalisieren“ (Hickethier, S. 388).
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„Die Ökonomisierung der Moral hatte dabei schon vorher den neuen Grundsatz etabliert: Was ökonomisch erfolgreich ist und viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist letztlich auch moralisch nicht ganz verwerflich“ (ebenda S. 414). Damit wird der mediale Sozialisationsprozess in der Gesellschaft durch das programmliche immer neue Austesten von normativen Grenzen verdeutlicht. Im Zusammenhang mit der Ausweitung des medialen (nicht notwendiger Weise vielfältigeren) Informationsangebotes und der Zunahme des Vielfernsehens wird kommunikationswissenschaftlich auch die sog. Wissenskluft-Hypothese diskutiert: Wirkungsansätze, die speziell nach der Funktion der Medien bei der politischen Sozialisation der Bürger fragen, konstatieren zunehmende Unterschiede zwischen „informationsreichen“ und „informationsarmen“ Gruppen innerhalb der Gesellschaft auf Grund indirekter Medienwirkungen. Dies sei auch durch das Internet nicht umgekehrt worden, da erfolgreiche Recherche ein Vorwissen und ein systematisches Vorgehen voraussetze, das durch die bloße Informationsflut nicht erlernbar sei (Vgl. Feick, S. 226f; vgl. zur Wissenskluftforschung auch Jäckel, Medienwirkungen, S. 287ff). Zur kommunikationswissenschaftlichen Wirkungsforschung gehört zentral die Auseinandersetzung mit dem Thema Gewalt, die im Fernsehen omnipräsent ist. Gewaltdarstellungen sind aus der Sicht der Programmmacher besonders interessant, weil sie einerseits relativ günstig zu produzieren bzw. einzukaufen sind und weil sie einen hohen Quotennutzen wegen ihrer verstärkten Wahrnehmung durch die Zuschauer versprechen. „In Deutschland und in den meisten anderen europäischen Ländern zählten mehrere unabhängige Studien im Schnitt fünf Gewaltszenen pro Fernsehstunde pro Sender oder rund 3500 aggressive Akte im (deutschen) Fernsehprogramm einer Woche. Wer zwischen mehreren Programmen hin- und herschaltet, wird mit großer Wahrscheinlichkeit einen Mord sehen können – mehr als 70 entsprechende Szenen bieten deutsche Fernsehprogramme täglich. Den Hauptanteil an der Gewalt weisen Spielfilme und Serien auf. … Meist erscheint Gewalt als – angemessenes Mittel zur Konfliktlösung, – etwas, das Spaß macht und Erlebnisse schafft, – Möglichkeit, eine Situation zu kontrollieren, – Element der Identitätsbildung durch aggressive (männliche) Vorbilder, – als Verhalten, das in der Gesellschaft durch (Medien-)Aufmerksamkeit und häufig Anerkennung belohnt wird (Plattformeffekt), – Mittel, um sich materielle Wünsche zu erfüllen, – angemessene Reaktion auf Frustration oder Angriff, – Selbstzweck; als etwas, das neugierig macht“ (Bericht zur Lage des Fernsehens, S. 125f). „Die Vermutung ist nicht von der Hand zu weisen, dass die im Fernsehen gezeigte Gewalt aggressives Verhalten bei Kindern und Jugendlichen fördert. Eine Langzeituntersuchung von Teenagern ergab, dass eine Vorliebe für Gewaltsendungen im Fernsehen eine genauere Vorhersagevariable (Prädikator) aggressiven Verhaltens ist als der sozio-ökonomische Hintergrund, familiäre Beziehungen, der IQ oder irgendein anderer einzelner Faktor“ (Geulen, S. 153). Geht man davon aus, dass das Fernsehen eine besondere Sozialisationsagentur darstellt für diejenigen, die aus zerrütteten Familien kommen, lange Zeit arbeitslos sind und sich ausgegrenzt fühlen, dann sind diese exzessiven Gewaltdarstellungen im Fernsehen wegen der individuellen und gesamtgesellschaftlichen negativen Wirkungen sehr kritisch zu bewerten. Sie sind kontraproduktiv, was die Förderung einer Kultur des friedlichen Neben- und Miteinander
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angeht. Medienpolitische Ansätze zur Eindämmung der Gewaltdarstellungen im Fernsehen sind jedoch nicht vorhanden. Neil Postman hat auf eine weitere negative Wirkung exzessiven Fernsehens hingewiesen: die Sprachentwicklung, insbesondere die damit verbundene begriffliche Strukturierung der Welt und die Fähigkeit zur diskursiven Auseinandersetzung mit anderen könne durch den Konsum der Bilderflut verkümmern (vgl. ebenda). Neuerdings wird in Bezug auf die Wirkungen der extensiven Techniknutzung von der Gefahr „digitaler“ Demenz gesprochen: Alle Telefonnummern, E-mail-Adressen und Faxnummern werden auf dem Handy gespeichert, so dass keine Gedächtnisleistungen mehr abgefordert werden. Die Abhängigkeit von der Technik steigt. Als besonders gravierend sind Auswüchse der Konkurrenz um Einschaltquoten im Fernsehen einzuschätzen, wenn diese Konkurrenz mit der Bedienung rassistischer Vorurteile und von Stereotypen ausgetragen wird. Unter der Überschrift „Hetz-Fernsehen“ heißt es: „Trommelnde Afrikaner, spießige Deutsche: Die Doku-Soap „Willkommen in der Nachbarschaft“ ist noch schlimmer als befürchtet. Die Brandstifter von RTL II erniedrigen Menschen zu Klischees ihrer selbst und versuchen, mit dumpfem Rassismus Quote zu machen.“ (Schultz). In einem (spieß)bürgerlichen Vorort Berlins bewerben sich fünf so genannte Randgruppenfamilien – Schwarzafrikaner, Transsexuelle, Punks und Palästinenser – um ein 250.000 Euro teures Haus. Die Nachbarn entscheiden am Schluss der fünfwöchigen „Bewerbung“ der Familien, wer das Haus bekommt. •
Wirkungen auf Kinder/Jugendliche
Neben der Thematisierung der Wirkungen von Gewaltdarstellungen im Fernsehen auf Jugendliche wird das Thema Fernsehkonsum und Schulleistung schon seit längerer Zeit diskutiert. Aktuelle Studien weisen in ihrer Mehrheit auf negative Zusammenhänge zwischen exzessivem Fernsehkonsum und schulischen Leistungen hin. „Bereits für Kleinkinder zeigen sich sehr bedenkliche Befunde: So gibt eine Längsschnittanalyse, die in den USA mit über 1000 Kleinkindern durchgeführt wurde, Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen frühem Fernsehen (mit ein bis drei Jahren) und späterem Auftreten einer Aufmerksamkeitsstörung (ADHD) im Alter von 7 Jahren. Bei Steigerung der Fernsehzeit im Alter von einem Jahr um zwei Stunden erhöht sich das Risiko von ADHD im Alter von 7 Jahren um 28%“ ( Mößle, S. 196). Kinder unter drei Jahren sehen bereits zwei Stunden täglich fern, während Kinder von drei bis fünf Jahren im Durchschnitt über drei Stunden vor dem Fernseher sitzen. „Es zeigt sich, dass sich jede zusätzliche Stunde, die unter dreijährige Kinder täglich vor dem Fernseher verbringen, negativ auf die Rechen- und Leseleistungen auswirkt, unabhängig vom sozialen Hinterrund des Elternhauses sowie der individuellen Begabung der Kinder“ (ebenda). Dieses Ergebnis ist besonders wichtig, weil bisher angenommen wurde, dass in einem aktiven, bildungsorientiertem Haushalt überdurchschnittlicher Fernsehkonsum der Kinder keine negativen Auswirkungen habe. 8% eines Schülerjahrgangs verlassen in Deutschland die Schule ohne irgendeinen Abschluss. Ob dies wohl auch mit extensivem Fernsehkonsum zu tun hat? Negative Auswirkungen hohen Fernsehkonsums im Kindesalter setzen sich auch später fort: „Erwachsene, die als Kinder mehr als drei Stunden vor dem Fernseher verbrachten, hatten mit
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26 Jahren öfter keinen Schulabschluss; die mit den niedrigsten Fernsehzeiten hatten am häufigsten einen Universitätsabschluss“ (ebenda). Studien aus Deutschland bestätigen diese Befunde: Eine Untersuchung des kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen aus dem Jahre 2005 auf Grund einer bundesweiten Befragung von 23.000 Kindern und Jugendlichen lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Je mehr Zeit die Befragten vor dem Fernseher oder der Spielkonsole verbringen, desto schlechter sind ihre Schulleistungen. Hieraus folgt, dass der eigene Fernseher im Kinderzimmer besonders bedenklich ist; er verführt zu immer mehr Fernsehkonsum. „Die Medienausstattung im Kinderzimmer wirkt sich nicht nur auf die Dauer, sondern auch auf den Inhalt des Konsums aus. So gaben 32,5% der Zehnjährigen, die ein eigenes Fernsehgerät haben, an, innerhalb der letzten sieben Tage verbotene Sendungen oder Filme mit hohem Gewaltanteil, die erst ab 16 oder ab 18 Jahren freigegeben waren, angeschaut zu haben (im Vergleich ohne eigenen Fernseher 15,5%)“ (daselbst, S. 197). Diejenigen 15-Jährigen, die angaben, häufig Kampfspiele zu spielen, zeichnen sich durch eine höhere Gewaltbereitschaft aus und durch Befürwortung männlicher Gewalt. Gewalt vermittelt besonders für diejenigen Jugendlichen, die sich ausgegrenzt fühlen, das Gefühl von Macht (vgl. dazu Veiel). Um Missverständnissen vorzubeugen: es geht hier nicht um monokausale Schuldzuweisungen im Sinne der These: Wer viel Fernsehen guckt wird gewalttätig. Die erwähnten Studien verweisen auf das verstärkte Risikopotential eines exzessiven Fernsehkonsums in Bezug auf negative Schulleistungen und Gewaltbereitschaft. Es müssen andere soziale Faktoren hinzukommen, dass die latenten Risiken auch manifest werden. Was tatsächlich festzustellen ist, ist eine Verrohung im schulischen Alltag. Der Deutsche Philologenverband hat seine Besorgnis über das zunehmende anonyme „Mobbing“ von Lehrern im Internet zum Ausdruck gebracht. „Häufig tauchten im Netz Hinrichtungsvideos auf, in welche die Köpfe von Lehrern montiert würden. Auch das Hineinkopieren von Lehrergesichtern in pornographische Fotos und deren Verbreitung über das Internet seien kein Einzelfall“ (Rhein-Zeitung, 12.6.2007). Hinzu kommen fiktive Kontaktanzeigen und unverhohlene Drohungen. Nach Aussagen des Philologenverbandes nimmt das Phänomen rapide zu. Das Problem sei neben den u. U. dramatischen Folgen für die betroffenen Lehrer wie Krankheit und Berufswechsel, dass die Betroffenen das „Mobbing“ nicht rückgängig machen könnten, da die Internet-Seiten immer wieder runter geladen würden und so „unauslöschlich“ würden. Die Hauptbetroffenen des „Cyberbullying“ aber seien die Mitschüler. Bisher kämen auf einen betroffenen Lehrer 20 betroffene Schüler, aber die Dunkelziffer sei wahrscheinlich viel höher. Das Internet bietet unendlich viele positive Möglichkeiten der schnellen, unkomplizierten Kommunikation, Information und Recherche. Bisher sind aber offenbar die Möglichkeiten und der Wille, energisch gegen derartige negative Wirkungen vorzugehen, wenig ausgeprägt. •
Politische Wirkungen von Fernsehen und Presse
Über die Fragen nach Wirkungen auf Individuen hinaus geht es hier um Einflüsse auf das politische System und die Bildung der öffentlichen Meinung. „Die Grundhypothese lautet dabei, dass die Massenmedien über die Selektion und Akzentuierung von Konfliktaspekten (von Akteuren, Themen, Bewertungen, Lösungsmöglichkeiten usw.) einerseits die Struktur der öffentlichen Diskussion bestimmen, für die sie in der Regel das wichtigste Forum sind; dass sie
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andererseits auch die Wahrnehmung von Politik durch die Bevölkerung – und damit deren Wissen, Meinen, Handeln – determinieren, da es zu den meisten Themen und Ereignissen keine andere Quelle der Information gibt als die Massenmedien. … Bei einem Vergleich zwischen Medienwirkungen des Fernsehens und der tagesaktuellen Presse wird deutlich, dass Zeitungslektüre eher zur Verstärkung als zur Veränderung politischer Einstellungen führt. Der Fernsehkonsum von Individuen ist dagegen eher verbunden mit der Bildung neuer, kurzfristiger politischer Einstellungen und dem Entstehen politischen Interesses an Sachverhalten“ (Ravenstein, S. 177f). Verknüpft man diese Aussagen zu den politischen Wirkungen mit der Agenda-Setting-Hypothese und beides mit der wirtschaftlichen Logik kommerzieller Medien – bad or sad news sell, if it bleeds it leads –, dann ergeben sich Selektionsmechanismen der Informationspräsentation, die zur Verzerrung der Realität führen: Entgegen des medialen Schürens von TerrorAngst – zum Teil besonders in den USA von der Politik unterstützt – können sich die Bürger auf dem Stand der Informationen Anfang 2008 relativ sicher fühlen. Die Opfer durch Terroristen in Europa, so wichtig es auch ist, jedes einzelne zu beklagen, sind zahlenmäßig nur ein kleiner Bruchteil der Zahl der „alltäglichen“ Verkehrsopfer, über die sich die Medien nicht aufregen. Die Aufmerksamkeitskonkurrenz im kommerziellen Wettbewerb von Medien, die über Werbung finanziert werden, hat damit negative, weil die Realität verzerrende Wirkungen. Das Gleiche lässt sich feststellen an der Personalisierung, Skandalisierung und Inszenierung von Politik in den Medien: die Oberflächlichkeit der Berichterstattung nimmt zu und Hintergrundinformationen werden immer seltener geboten; gleichzeitig nimmt die Komplexität von Politik ständig zu – es ist also eine gravierende „publizistische Lücke“ zu konstatieren (Vgl. Bericht zur Lage des Fernsehens, S. 141 ff.). Es wird sogar die Rückkehr der höfischen, vordemokratischen Öffentlichkeit konstatiert. „In der Konkurrenz um die Öffentlichkeit haben Politiker Professionalität in der Plazierung und Inszenierung von Ereignissen wie auch in der Sachinformation entwickelt. Im Verlauf dieser Metamorphose wandelt sich sachbezogene, auf verbindliche Entscheidungen zielende Politik zunehmend in symbolische Politik. Als Indizien für die Inszenierung von Politik werden folgende Phänomene beschrieben: – politische Entscheidungen werden mit Fernsehzeiten abgestimmt, – die Bedingungen der Fernsehdramaturgie werden durch entsprechendes Ereignismanagement beantwortet, – dem fernsehdramaturgischen Prinzip der Personalisierung wird mit Stilisierung der eigenen Person und mit der Darstellung von Politik als ausschließlich von Personen getragenen Prozessen entsprochen, – die Terminierung politischer Entscheidungen wird dem Diktat der Medienaktualität unterworfen, – politische Statements werden dem Wunsch nach Kurzbotschaften angepasst“ (ebenda, S. 146f). Donsbach hat das Verhältnis von Medien und Politik in fünf Thesen zusammengefasst: 1. Mit Ausbreitung der Massenmedien nimmt das politische Interesse zu, gleichzeitig aber steigt die Unfähigkeit der Rezipienten, Themen selbständig zu durchdringen. 2. Es entsteht ein neuer Typ des Politikers. Seine Karriere wird durch den publizistischen und nicht nur durch den politischen Machtgewinn bestimmt. Die Rede ist von dem „öffentlichen Halbdenker“, weil er Politik vorwiegend unter dem Gesichtspunkt publizisti-
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schen Machtgewinns betreibt und betreiben muss und deshalb die Probleme nicht zu Ende denken kann. Damit wird die Gefahr eines durch Medien induzierten zunehmenden Populismus der Politiker angesprochen. 3. Es entstehen neue Formen von Ereignissen, die auf die Herbeiführung medialer Aufmerksamkeit ausgerichtet sind – Inszenierung von „Pseudoevents“. 4. Es wird ein neues politisches Vokabular geschaffen, das von Kommunizierbarkeit, Einprägsamkeit und Allgegenwärtigkeit geprägt ist. 5. „Es entsteht ein neuer Typ und eine neue Rolle des Journalisten in der Mediendemokratie. Es ist ein Journalist, der sich seiner politischen Macht bewusst ist und auch dazu tendiert, diese Macht im eigenen Interesse zu instrumentalisieren“ (Donsbach, S. 21). Aus diesen kommunikationswissenschaftlichen Befunden folgt ganz allgemein, dass bei einzelnen Medientypen, sei es der Presse, sei es des Rundfunks, verhindert werden muss, dass sich den Meinungsmarkt beherrschende Stellungen herausbilden, die besondere publizistische Wirkungsmacht entfalten können. Außerdem müssen die Medien, die nicht der wirtschaftlichen Logik des Aufmerksamkeitswettbewerbs unterliegen, besonders gefördert werden, damit die Verzerrungen in Bezug auf die Darstellung der politischen Kultur nicht dominant werden. „Je größer der Pluralismus der Medien, desto größer ist die Autonomie der Bürger. Worauf es letztlich ankommt, ist Selbstbestimmung versus Fremdbestimmung“(Donsbach, S. 23). •
Gesellschaftliche Auswirkungen
Aus makrotheoretischer Perspektive befasst sich die Publizistik und Kommunikationswissenschaft mit den gesellschaftlichen Funktionen und Leistungen der Medien. „Die Hauptaufgabe der so genannten „funktionalen Analyse“ der Massenkommunikation besteht im Erstellen eines funktionalen Inventars der Leistungen der Massenkommunikation, wobei analytisch zwischen manifesten und latenten Funktionen, andererseits zwischen Funktionen und Dysfunktionen unterschieden wird. Zusätzlich muss jeweils ein entsprechendes Referenzsystem definiert werden: Massenkommunikation erfüllt Funktionen bezüglich der Gesellschaft, des Individuums, spezifischer Subgruppen der Gesellschaft oder der Kultur“ (Ravenstein, S. 179). In Bezug auf die Politikvermittlung durch Massenmedien, die immer weiter an Bedeutung zunimmt wegen der immer stärkeren Ausdifferenzierung der Gesellschaft und der Globalisierung von Wirtschaft und Politik, ist zwar eine Erhöhung der Geschwindigkeit der Übertragung von Informationen und der Menge der verfügbaren Informationen festzustellen, nicht aber, dass dies zu einer politisch informierteren Gesellschaft beiträgt. „Tatsächlich ist mit dem Zuwachs an Informationsquantität eher ein Verlust an Informationsqualität einhergegangen“ (Schulz, 1987 S. 129ff). Wir sind overnewsed und underinformed. „Das Fernsehen fördert die Neigung, politische Überzeugungen und Wahlentscheidungen zu einer Frage der Sympathie oder Antipathie gegenüber den Politikern zu machen. Es steht deshalb im Verdacht, zwar das Interesse der breiten Bevölkerung am politischen Geschehen zu steigern, aber das politische Wissen seines Publikums nicht zu erhöhen“ (Bericht zur Lage des Fernsehens, S. 143). In die gleiche Richtung weist die im Vergleich zur Übertragung von Parlamentsdebatten relative Beliebtheit von Talkshows wie früher mit Sabine Christiansen und heute mit Anne Will als „Ersatz“-Parlamente.
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An diesen Befunden zur Degeneration der politischen Kultur und zur Verzerrung der Politikvermittlung hat sich bis heute nichts geändert, außer dass sich der Trend zur „Mediokratie“ weiter verstärkt hat.
8.6 Wirkungen von Medientechniken auf die Gesellschaft Da Wirkungsdimensionen sich nicht nur auf verbreitete Medieninhalte beziehen, sondern auch der Wandel der Medientechnik gesellschaftliche Wirkungen entfaltet, soll hierauf kurz eingegangen werden. „Auch die Wirkungen von Technik entfalten sich akteurvermittelt. Neue Techniken wirken, ähnlich wie soziale Institutionen und Strukturen auch, als kontingente Ergebnisse Akteur getragener sozialer Prozesse zugleich in Form neuer Handlungsmöglichkeiten oder -zwänge restrukturierend auf soziale Zusammenhänge zurück. Über die Ressourcen, Interessen, Wertvorstellungen und Situationsdefinitionen der im weiteren Sinne Technik erzeugenden, regulierenden und nutzenden individuellen, kollektiven und korporativen Akteure wird Technik gehärtet und entfaltet ihre strukturelle und institutionelle Wirkungsmacht“ (Dolata und Werle, S. 37 unter der Überschrift: Gesellschaft und die Macht der Technik). Je nach der Adaptionsfähigkeit zumindest von Teilen der Gesellschaft wird neue Technik schnell rezipiert und in Alltagsroutinen integriert. „Diese Perspektive auf die Technik ist weder untersozialisiert (technikdeterministisch) noch übersozialisiert (sozialdeterministisch)“ (daselbst, S. 38). Die Frage nach entsprechenden sektoralen Transformationsmustern – hier im Bereich von Kommunikation und Medien – muss sich mit den Trends nach mobiler Kommunikation – Handys nicht nur zum Telefonieren sondern auch zum Empfangen und Versenden von SMS‘s, zum Empfang von Kurzinformationen aus den Bereichen Sport, Politik, Wirtschaft und Kultur im weitesten Sinne in Fernsehqualität – und nach individueller Mediennutzung – Internet – auseinandersetzen. Beide Trends verändern sehr schnell die Kommunikationsgewohnheiten von vielen Jugendlichen weg vom passiven Fernsehkonsum alter Prägung. Diese „Macht der Technik“ kann für sie einen Gewinn an Selbstbestimmung bedeuten, allerdings um den Preis einer gewissen gesellschaftlichen Isolierung und technisch möglicher staatlicher Überwachung. Akteur getragen sind auch die Angebote von speziellen Fernseh- bzw. Internetkanälen wie home-shopping, Gewinnspielen, Sportsendungen und vor allem Pornographie. Auch hier „macht“ die Technik möglich, individuellen Bedürfnissen freien Lauf zu lassen, ohne dass die Sozialisationswirkungen derartiger Angebote schon voll abgeschätzt werden können. Unter dem Stichwort: Technologischer Wandel setzt sich Mittelsraß grundsätzlich mit der Hegemonie der Leonardo-Welt, der Welt die der Mensch selbst durch Anwendungen der Natur- und Ingenieurwissenschaften selbst geschaffen hat, auseinander. „Neben die Expertenwelt als Ausdruck einer Informationswelt tritt die Medienwelt. Auch sie gehört zu den modernen Weltbaumeistern; sie schiebt sich, wie die Informationswelt allgemein, zwischen die Dinge und das Bewusstsein und bestimmt beide, nicht in Expertenform, aber in Deutungsform. Das wiederum bedeutet auch: Nicht nur derjenige, der sich auf Informationen und Experten verlässt, die er selbst (als Wissender) nicht zu kontrollieren vermag, könnte der Dumme sein, sondern auch derjenige, der sich auf die Medien, auf das mediatisierte Wissen verlässt. … Da-
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bei machen auch freie Medien das Individuum noch lange nicht frei. Wo sie es nicht schon voraussetzen – wie es das Ideal einer aufgeklärten Gesellschaft besagt –, setzen sie sich vielmehr an seine Stelle, indem sie Kammern seines Bewusstseins besetzen, seine Wahrnehmungen und seine Erfahrungen lenken, Einfluss auf das Bild der Welt durch ihre Bilder nehmen. An die Stelle der Weltbilder sind in einer Informationswelt die Bilderwelten der Medien getreten. … Wir herrschen mit unseren Bildern über die Dinge, und die Bilder herrschen über uns“ (Mittelstraß, S. 25f). Die Kultur der von Technik geprägten Leonardo-Welt lautet: Konstruktion, Konstruktion der Wirklichkeit ebenso wie des Bewusstseins, das sich im Medium der Information auf diese Realität bezieht. Damit wird deutlich, dass in technisch vermittelter Kommunikation sowohl die Macht der Technik als auch die Macht der Medien zum Ausdruck kommt, die beide auf die Nutzer Einfluss, ja Macht ausüben, bzw. Vielseher sogar beherrschen.
8.7 Evaluation von Medienpolitik vor dem Hintergrund kommunikationswissen schaftlicher Analysen in vergleichender Absicht Für den Pressebereich lässt sich das Fehlen einer Medienpolitik zur Auflösung von lokalen und regionalen Monopolzeitungen feststellen. Gemessen an den verfassungsrechtlichen Vorgaben, dass Pressefreiheit die Auswahlmöglichkeit aus einer Vielfalt von je autonomen Zeitungen garantieren müsse und gemessen an den unbestrittenen wirtschaftswissenschaftlichen Marktabgrenzungskriterien, die in lokalen bzw. regionalen Zeitungsmärkten eigenständige Märkte sehen, liegt hier ein Staatsversagen vor, das aber kaum noch wissenschaftlich oder publizistisch thematisiert wird. Generell ist festzustellen, das es in der Kommunikationswissenschaft bisher keinen für die empirische Forschung bzw. für die Medienpolitik operationalisierbaren Begriff der publizistischen Vielfalt gibt, obwohl die Dimensionen von Vielfalt sehr viel differenzierter und griffiger sind – Berichterstattung über die Vielfalt der Lebensbereiche, der Issues und der Akteure und Vielfalt der journalistischen Stile – als in den Wirtschaftswissenschaften mit ihrer Anknüpfung an die Zahl der Marktakteure. Von daher lässt sich auch schwer beurteilen, ob die Regelungen des Rundfunkstaatsvertrages ausreichend sind, um der Konzentration im Bereich des kommerziellen Rundfunks zu begegnen und um fairen Wettbewerb im dualen System zu fördern. Von einigen Kommunikationswissenschaftlern wird das vorhandene Duopol der kommerziellen Fernsehveranstalter in Deutschland zwar hingenommen aber beklagt, dass das überproportionale interne Wachstum der Multimedia-Konzerne ohne Kontrolle bleibe. Zum Thema der inhaltlichen Konvergenz und des Quotenwettbewerbs werden zwar die Leistungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Bereich der Information und der seriösen Unterhaltung hervorgehoben aber gleichzeitig Tendenzen zur Programmverflachung bei beiden Säulen des dualen Rundfunksystems konstatiert und kritisiert. Hier kommen Fragestellungen ins wissenschaftliche Blickfeld, die in den Wirtschaftswissenschaften mit dem methodologischen Individualismus nicht vorkommen wie z.B. die Sozialisationsfunktion des Fernsehens, die geprägt ist von der ökonomischen Konkurrenz um Aufmerksamkeit bei den Zuschauern.
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Einerseits wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk als „zukunftsfest“ qualifiziert, andererseits wird angesichts von weiterer Kommerzialisierung insbesondere der „neuen“ Medien mahnend gefordert, die normative Orientierung der Medienpolitik an der Gewährleistung der Kommunikationsfreiheiten nicht aus den Augen zu verlieren. Kommunikationswissenschaftlich werden sehr differenziert die Wirkungen der Werbung und der Aufmerksamkeitskonkurrenz kommerzieller Medien untersucht. Das Medium, das am meisten Aufmerksamkeit auf sich konzentriert, übt am meisten Macht über die Rezipienten aus. Außerdem werden die Wirkungen eines „übermäßigen“ Fernsehkonsums bei Jugendlichen und die Überschwemmung kommerzieller Programme mit Gewaltdarstellungen analysiert und das diesbezügliche weitgehende Versagen des Jugendschutzes beklagt. Außerdem werden das Thema der Auswirkungen kommerzieller Programme auf die Politikvermittlung im Rundfunk und damit auf die Funktionsweise der Demokratie thematisiert und die Verzerrungen der Realitätsdarstellungen kritisiert. Damit wird deutlich, dass Kommunikationspolitik nicht nur deskriptiv dargestellt sondern auch in Bezug auf vorgegebene Werte und Normen analysiert und kritisiert wird. Dies gilt insbesondere für die internationale Entwicklung der Medienpolitik, deren miteinander einhergehenden Trends der Deregulierung und Kommerzialisierung vor der Folie des Public-Service-Auftrages des Rundfunks analysiert werden, und die weitgehend nur noch als symbolische Politik qualifiziert wird. Mit diesen kommunikationswissenschaftlichen Analysen der tatsächlichen Medienpolitik gibt es einen Fundus von Erkenntnissen, die bei der juristischen Regulierung von Wettbewerb und Konzentration im Medienbereich und bei der politikwissenschaftlichen Betrachtung der Kommunikations- und Medienpolitik in den folgenden Kapiteln wieder aufgegriffen werden können. Fragt man jedoch nach der Steuerung des technologischen Wandels im Bereich der Infomations- und Kommunikationstechniken, so wird die Eigengesetzlichkeit dieses Wandels weitgehend unabhängig von politischer Einflussnahme konstatiert, obwohl dieser Wandel das Alltagsleben der Bürger strukturiert und die Bilderwelt der Medien deren Weltbilder beherrscht. Zu fragen ist daher bei den politikwissenschaftlichen Analysen auch, ob und wenn ja welche Mittel „Technologiepolitik“ einsetzen kann, um einen „sozialverträglichen“ Wandel zu gestalten.
9. Der juristisch regulierende Ansatz: Rechtsetzung und Rechtsanwendung im Wandel 9.1 Verfassungsrechtlicher Rahmen für Informations-, Meinungs-, Medien- und Kunstfreiheit und das Bundesverfassungsgericht in seiner Wächterfunktion In diesem Kapitel geht es um die Darstellung und Kritik der gesetzlichen Grundlagen zur Sicherung des Medienwettbewerbs in Deutschland und um die Anwendung der deutschen und der EU-Gesetze. Dies soll an einigen Fallbeispielen besonders der Fusionskontrolle erläutert werden. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Kommunikationsfreiheiten des Art. 5 GG ist bereits im Überblick in Kapitel 4 f dargestellt worden. Individuelle Informations-, Meinungs- und Kunstfreiheit einerseits und Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit andererseits sind zusammengehörig und als umfassende Grundrechte für beide Seiten – die Kommunikatoren, die Organisatoren und „Macher“ des Medienangebotes auf der einen Seite und die (passiven oder aktiven) Rezipienten auf der anderen Seite zu verstehen. Presse- und Rundfunkfreiheit sind nicht als Garantien unternehmerischer Betätigungsfreiheit um ihrer selbst willen zu verstehen, sondern sie sind funktional im Zusammenhang mit der freiheitlichen Gesellschaftsordnung zu interpretieren. Das heißt: Die individuellen Kommunikationsgrundrechte und die institutionellen Garantien der Presse- und Rundfunkfreiheit haben einen sehr hohen Rang, sie sind schlechthin für die Demokratie konstituierend und daher nur in einem eng umschriebenen Rahmen begrenzbar. Das Bundesverfassungsgericht hat die Anforderungen an die positive Ordnung zur Wahrung der Presse- und Rundfunkfreiheit ständig präzisiert. Es hat damit dem Gesetzgeber, insbesondere den Ländern, und den die Mediengesetze anwendenden Institutionen – Bundeskartellamt, Landesmedienanstalten und KEK – klar umrissene Vorgaben gemacht. Nach wie vor gilt entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass kommerzieller Rundfunk in Deutschland nur solange legitimiert ist, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Aufgaben der Grundversorgung der gesamten Bevölkerung unverkürzt erfüllen kann (BVerfGE 73/118). Der ˛Grundstandard gleichgewichtiger Vielfalt‘, der für beide Säulen des dualen Rundfunksystems verbindlich ist, umfasst die wesentlichen Voraussetzungen der Meinungsvielfalt, d. h. zum einen die reale Möglichkeit für alle Meinungsrichtungen, auch die von Minderheiten, auch im privaten Rundfunk zum Ausdruck zu gelangen. Zum anderen bedeutet der Grundstandard die Verpflichtung des Staates auf den Ausschluss des in hohem Maße einseitigen Einflusses einzelner Veranstalter oder Programme auf die Bildung der öffentlichen Meinung, namentlich die Verhinderung des Entstehens vorherrschender Meinungsmacht (BVerfGE 73, 118, 159f). Um vorherrschende Meinungsmacht vorbeugend zu verhindern, soll damit auch für den privaten Rundfunk gelten: „Es muss sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Situation gleichgewichtiger Vielfalt einstellen, d.h. im Gesamtangebot der privaten Programme wenigstens ein nennenswerter Teil aller gesellschaftlichen Gruppen und geistigen Richtungen tatsäch-
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lich zu Wort kommen und so ein ˛Meinungsmarkt‘ entstehen, auf dem die Vielfalt der Meinungsrichtungen unverkürzt zum Ausdruck gelangen“ (BVerfGE 57/ 295, 322ff). In diesem Zusammenhang sind nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts die Erfordernisse der Meinungsvielfalt und jene der Ausgewogenheit zu unterscheiden. Ausgewogenheit bezieht sich auf die Berücksichtigung konträrer Meinungen, Vielfalt auf die Breite des Spektrums verschiedener Meinungen. Da ein Gesamtangebot ausgewogen, aber nicht vielfältig sein kann, genauso wie es vielfältig, aber nicht ausgewogen zu sein braucht, muss es, um den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts gerecht zu werden, sowohl ausgewogen als auch vielfältig sein. Denn das ausgewogene und vielfältige Angebot der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten allein genügt nicht, um eventuelle Defizite im privaten Bereich auszugleichen. Vielmehr ist die Vielfalt der Anbieter und damit der Meinungen von Verfassungswegen auch im Bereich der privaten Veranstalter durch den Rundfunkgesetzgeber zu sichern (BVerfGE 83, 238, 296f). Das Bundesverfassungsgericht hat weiter ausgeführt, dass vorherrschende Meinungsmacht dadurch entstehen kann, dass sich die Vielzahl der Rundfunkanbieter auf einen oder wenige große Veranstalter reduziert: „Dies kann der Fall sein, wenn von Beginn an nur wenige Anbieter vorhanden sind, wenn eine anfängliche Vielzahl von Anbietern durch Ausscheiden kleiner Veranstalter auf wenige große Veranstalter zusammenschmilzt, wenn ein und derselbe Veranstalter mehrere im Geltungsbereich eines Rundfunkgesetzes empfangbare Programme anbietet oder wenn ein Zusammenschluss privater Anbieter stattfindet. Dabei kann nicht allein darauf abgestellt werden, wer formell als Veranstalter auftritt. Die gleichen Wirkungen können sich ergeben, wenn ein Unternehmen einen oder mehrere Veranstalter rechtlich oder wirtschaftlich beherrscht oder in anderer Weise erheblichen Einfluss auf die Programmgestaltung ausübt“ (BVerfGE 73, 118,172). In der gleichen Entscheidung behandelt das Bundesverfassungsgericht die Frage, ob sich vorherrschende Meinungsmacht aus einer Kombination von Einflüssen im Rundfunk und in der Presse ergeben kann. „Das Grundgesetz verwehrt Presseunternehmen nicht den Zugang zum Rundfunk; der Satz, solche Unternehmen hätten sich im Sinne einer ˛publizistischen Gewaltenteilung‘ auf die Printmedien zu beschränken, ist kein Verfassungssatz. Über die erörterten Gefahren vorherrschenden Einflusses auf die öffentliche Meinung hinaus sind daher gleiche, möglicherweise größere Gefahren zu befürchten, wenn Meinungsmacht im Bereich des Rundfunks sich mit Meinungsmacht im Bereich der Presse verbindet. Das gilt nicht nur für überregionale Zeitungen und Zeitschriften; auch im Verbreitungsgebiet regionaler und lokaler Zeitungen und Zeitschriften können solche Gefahren entstehen, zumal diese zu einem großen Teil für ihren Bereich eine Monopolstellung innehaben. Demgemäß erfordert die verfassungsrechtliche Gewährleistung freier Meinungsbildung gesetzliche Vorkehrungen auch dagegen, dass vorherrschende Meinungsmacht sich aus der Kombination der Einflüsse in Rundfunk und Presse ergibt“ (BVerfGE 73, 118, 175f). Diese Ausführungen sind besonders wichtig für die Auslegung des Rundfunkstaatsvertrages mit seinen Bestimmungen zur Konzentrationskontrolle. Schließlich kann nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht vorherrschende Meinungsmacht auch daraus resultieren, dass Meinungsmacht im Rundfunk durch andere Faktoren verstärkt wird, insbesondere durch vertikale Verbindungen, z.B. zwischen Fernsehveranstaltern und Netzbetreibern, Inhabern von Programmrechten oder Eigentümern von
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Programmzeitschriften (BVerfGE 95, 163, 173). Auf diese Gefahren wurde auch in der Entscheidung zum Procedere bei der Gebührenfestsetzung vom 11.9.2007 erneut hingewiesen. Durch seine Rechtsprechung hat sich das Bundesverfassungsgericht im weitgehenden Konsens seiner Richter als Wächter der uneingeschränkten Geltung des Art. 5 GG in all seinen Ausprägungen erwiesen. Es hat diese Wächterfunktion immer wieder ausüben müssen, weil es offenbar einerseits zwischen den großen politischen Kräften in Deutschland keinen stabilen Konsens in Bezug auf die Medienordnung gibt und weil andererseits immer wieder wirtschaftlich interessierte Medienkonzerne Druck ausüben, die mediale Ordnungspolitik zu ihren Gunsten zu verändern. Es bleibt zu klären, ob das geltende Medienrecht in seiner Ausprägung in Gesetzen und in Entscheidungen der anwendenden Institutionen den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts genügt. Es bleibt zu klären, ob und in welcher Form es gelingt, die Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts zu übertragen auf die „neuen Medien“ wie Internet und mobile Funkdienste.
9.2 Kartellrecht und seine Anwendung auf nationaler und EU-Ebene
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Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und die Presse- bzw. Rundfunkfusionskontrolle und die Anwendungen im Mediensektor
Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung von 1998 enthält Bestimmungen, die sich auf alle Wirtschaftszweige beziehen, also auch auf die Medienwirtschaft und es enthält besondere Regelungen für die Presse- bzw. Rundfunkfusionskontrolle. Die allgemeinen Bestimmungen lassen sich im Wesentlichen in drei großen Gruppen zusammenfassen: das Kartellverbot und das Verbot aufeinander abgestimmter Verhaltensweisen des § 1 mit vielen Ausnahmen in den folgenden Paragraphen, die Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen des § 19 und die Fusionskontrolle der §§ 35ff. Im Medienbereich ist die Fusionskontrolle von besonderer Bedeutung. § 36 GWB bestimmt, dass das Kartellamt eine Fusion untersagen kann, wenn zu erwarten ist, dass dadurch eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird, es sei denn die beteiligten Unternehmen weisen nach, dass durch den Zusammenschluss auch Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen eintreten und dass diese Verbesserungen die Nachteile der Marktbeherrschung überwiegen. § 19 Abs. 2 legt fest, dass ein Unternehmen marktbeherrschend ist, „wenn es 1. ohne Wettbewerber ist oder keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist oder 2. eine im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern überragende Marktstellung hat, hierbei sind insbesondere sein Marktanteil, seine Finanzkraft, sein Zugang zu den Beschaffungs- und Absatzmärkten, Verflechtungen mit anderen Unternehmen, rechtliche oder tatsächliche Schranken für den Marktzutritt anderer Unternehmen, der tatsächliche oder potentielle Wettbewerb durch innerhalb oder außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes ansässige Unternehmen, die Fähigkeit, seine Angebote oder seine Nachfrage auf andere Waren oder gewerbliche Leistungen umzustellen, sowie die Möglichkeit der Marktgegenseite, auf andere Unternehmen auszuweichen, zu berücksichtigen“.
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Gemäß Abs. 3 des § 19 wird vermutet, dass ein Unternehmen marktbeherrschend ist, wenn es einen Marktanteil von mindestens einem Drittel hat. Für mehrere Unternehmen wird Marktbeherrschung vermutet, wenn drei oder weniger Unternehmen zusammen einen Marktanteil von 50% oder mehr erreichen oder fünf oder weniger Unternehmen zusammen einen Marktanteil von zwei Dritteln oder mehr haben. Gemäß GWB mit seinem wirtschafts- bzw. wettbewerbsrechtlichen Schwerpunkt sind kontrollpflichtige Zusammenschlüsse vor Vollzug zu prüfen, wenn die beteiligten Unternehmen im letzten Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss insgesamt weltweit Umsatzerlöse von mehr als 500 Mio. Euro hatten und mindestens ein beteiligtes Unternehmen im Inland Umsatzerlöse von mehr als 25 Mio. Euro erreichte (§ 35 Abs.1). Nach § 38 Abs. 3 ist bei Unternehmen, deren Geschäftsbetrieb ganz oder teilweise im Verlag, in der Herstellung und im Vertreib von Zeitungen oder Zeitschriften oder deren Bestandteilen sowie in der Herstellung, dem Vertrieb und der Veranstaltung von Rundfunkprogrammen und im Absatz von Rundfunkwerbezeiten besteht, das zwanzigfache der Umsatzerlöse in Ansatz zu bringen. Anders ausgedrückt, es gilt für diese Unternehmen eine auf 25 Mio. Euro abgesenkte Aufgreifschwelle der Fusionskontrolle in Bezug auf die Umsatzerlöse. Diese Klausel soll der besonderen Bedeutung von Presse- und Rundfunkzusammenschlüssen gerecht werden. § 42 GWB legt fest, dass unter bestimmten Voraussetzungen der Bundesminister für Wirtschaft eine vom Bundeskartellamt untersagte Fusion genehmigen kann – eine insgesamt umstrittene Vorschrift, weil damit der politischen Einflussnahme auf nach juristischen Kriterien in einem streng geregelten Verwaltungsverfahren gewonnenen Entscheidungen die Tür geöffnet wurde. •
Die Kontroverse um die Berliner Zeitung und das Bundeskartellamt
Die spezifische Pressefusionskontrolle fand zuletzt im Falle der geplanten Übernahme der Berliner Zeitung durch die Holtzbrink-Gruppe Anwendung. Das Bundeskartellamt stellte 2004 zunächst fest, dass § 36 Abs. 2 sowie § 38 Abs. 3 GWB zur Anwendung komme, da die beteiligten Unternehmen weltweit Umsatzerlöse von mehr als 500 Mio. Euro und in Deutschland von mehr als 25 Mio. Euro aufwiesen. Der bisher selbständige Berliner Verlag gibt die regionale Abonnement-Tageszeitung „Berliner Zeitung“ – Auflage ca. 190000 Exemplare –, die Straßenverkaufszeitung „Berliner Kurier“ – verkaufte Auflage ca. 140000 Exemplare – und das Anzeigenblatt „Berliner Abendzeitung“ – Auflage 1,3 Mio. – heraus. Der Holtzbrink-Konzern erzielte 2002 nach Angaben des Bundeskartellamtes 2,241 Milliarden Euro Umsatz. Er gibt das Handelsblatt und die Wochenzeitung „DIE ZEIT“ heraus und mehrere regionale Abonnementzeitungen wie die Mainpost in Würzburg, den Südkurier Konstanz, die Saarbrücker Zeitung, den Trierischen Volksfreund, die Lausitzer Rundschau, Cottbus, die Potsdamer Neuesten Nachrichten und den Tagesspiegel in Berlin mit einer Auflage von rund 120.000 Exemplaren täglich. Der Axel Springer Verlag bringt in Berlin die Straßenverkaufszeitungen BZ und BZ am Sonntag heraus mit einer Auflage von 240.000 täglich und die regionale Abonnement Zeitung Berliner Morgenpost mit rund 150.000 verkauften Exemplaren.
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Das Bundeskartellamt grenzt in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichts sachlich den Markt für Abonnement Tageszeitungen mit lokaler und regionaler Berichterstattung von dem der Straßenverkaufszeitungen ab: sie unterscheiden sich nach Breite und Tiefe der Berichterstattung und seien allein von daher aus der Sicht der Leser funktional nicht austauschbar. Auf dem eigenständigen Markt für Abonnement Tageszeitungen mit lokaler oder regionaler Berichterstattung für den Raum Berlin kommt die Holtzbrink-Gruppe mit dem Tagesspiegel auf einen Marktanteil von 27%, der Berliner Verlag mit der Berliner Zeitung auf 35,3% und der Axel Springer Verlag mit der Berliner Morgenpost auf 27%. Holtzbrink erlangt durch die geplante Fusion einen Marktanteil von 62,3% und damit nach dem Urteil des Bundeskartellamtes auf dem Lesermarkt für regionale Abonnement Tageszeitungen eine überragende Marktstellung im Sinne des § 19 Abs. 2, Satz 1 Nr. 2 GWB – die Marktanteilsgrenze von 33% wäre bei weitem überschritten. Nachdem das Bundeskartellamt die Fusion bereits 2002 untersagt hatte, stellte Holtzbrink 2003 einen Antrag auf Ministererlaubnis mit dem Vorschlag eines Stiftungsmodells zur Sicherung der publizistischen Unabhängigkeit des Tagesspiegels. Nachdem die Monopolkommission in einem Sondergutachten dem Bundeswirtschaftsminister empfohlen hatte, von einer Ministererlaubnis abzusehen, forderte dieser Holtzbrink auf, den Tagesspiegel zu veräußern, um ihn als eigenständige Abonnement Tageszeitung in Berlin dauerhaft zu erhalten. Unter dieser Voraussetzung würde er eine Ministererlaubnis für die Fusion erteilen. Ende 2003 zog Holtzbrink nach erfolglosen Bemühungen um den entsprechenden Verkauf den Antrag auf Ministererlaubnis zurück und teilte mit, dass Dr. Gerckens, ein früherer langjähriger Mitarbeiter der Holtzbrink Gruppe, den Tagesspiegel erwerben und selbständig führen werde. Das Bundeskartellamt kam zu der Feststellung, dass auf Grund der vertraglichen Vereinbarungen zwischen Holtzbrink und Dr. Gerckens dieser keine eigenständige Leitungsmacht bei dem Tagesspiegel haben werde und daher dessen Anteile voll Holtzbrink zuzurechnen sei, wenn denn die Fusion vollzogen würde. Außerdem würde Holtzbrink durch den Erwerb des Berliner Verlages Strategiemöglichkeiten erlangen, den dann vorhandenen Marktanteilsvorsprung weiter auszubauen. Daher bleibe es bei der Untersagung der Fusion. Bis zu diesem Punkt erscheint die Argumentation des Bundeskartellamtes schlüssig und konsequent. Das Bundeskartellamt analysiert dann weiterhin den Anzeigenmarkt in Berlin und stellt fest, dass hier der Berliner Verlag auf einen Marktanteil von unter 30% komme, der Tagesspiegel auf über 15%, zusammen wären es über 40%. Der Axel Springer Verlag erreiche mit seinen Tageszeitungen auf dem Berliner Anzeigenmarkt über 55%. Die bisherige Struktur des Anzeigenmarktes, die durch die Untersagung der Fusion aufrecht erhalten wurde, sei für den Wettbewerb auf dem Lesermarkt nicht relevant gewesen und werde es infolgedessen auch in Zukunft nicht sein, so das Bundeskartellamt. Hier nun sind Zweifel angebracht: das Bundeskartellamt selbst erwähnt die Anzeigen-Auflagen-Spirale, die den Marktführer auf dem Anzeigenmarkt begünstigt. Damit wird das Dilemma für das Bundeskartellamt deutlich. Einerseits erhält seine Untersagung der Fusion einen selbständigen „Player“ auf dem Berliner Markt für Abonnement Tageszeitungen mit lokaler und regionaler Berichterstattung. Andererseits begünstigt sie die dominante Position des Axel Springer Verlages auf dem Anzeigenmarkt und infolgedessen dessen strategische Möglichkei-
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ten zu weiteren Auflagesteigerungen. Damit wird deutlich, dass das GWB zwar mit der Fusionskontrolle dem Bundeskartellamt ein Instrument an die Hand gibt, Konzentrationsprozesse durch externes Wachstum zu unterbinden, dass es aber wenig tauglich ist, internes überproportionales Wachstum – im Bereich der Tageszeitungen durch die Anzeigen-Auflagen-Spirale begünstigt – zu unterbinden. •
die Fusion des Springer Verlages und der ProSieben/Sat 1-Gruppe und das Bundeskartellamt
Die allgemeine Fusionskontrolle wurde auf die geplante Übernahme der ProSieben/Sat1Gruppe durch den Axel Springer Verlag 2006 durch das Bundeskartellamt angewandt. Anfang August 2005 gaben die Axel Springer AG und die Investorengruppe um Haim Saban bekannt, dass der Springer Konzern die Fernsehveranstaltergruppe mit den Kanälen SAT 1, ProSieben, Kabel 1, N24, Neun Live vollständig übernimmt. Der Springer Konzern wollte 2,47 Milliarden Euro an Sabans Investorengruppe German Media Partners für 50,5% der Aktien an der ProSiebenSat1 Media AG zahlen – der Axel Springer Verlag hielt bereits 12 % der Anteile – und der Springer Verlag wollte den freien Aktionären (Streubesitz 37,5%) ein Übernahmeangebot von insgesamt 1,2 Milliarden Euro machen (vgl. DER SPIEGEL Nr. 32, 2005, S. 149). Der Springer Konzern, dessen bisherige unternehmerische Aktivitäten schwerpunktmäßig in Bereich der Tagespresse und der Publikumszeitschriften lagen – Jahresumsatz 2004 2,402 Milliarden Euro – hätte damit vollständig die aus der früheren Unternehmensgruppe von Leo Kirch nach dessen Konkurs hervorgegangene sog. Free-TV-„Familie“ mit einem Jahresumsatz von 1,83 Milliarden Euro in 2004 übernommen. Das Bundeskartellamt beschreibt Sat 1 als Fernsehsender, der sich schwerpunktmäßig an Zuschauer im Alter von 25 bis 49 Jahren richtet, während die Zielgruppe von ProSieben die 14 bis 49 Jährigen seien. N 24 sei ein Spartensender mit dem Schwerpunkt Informationen aus der Wirtschaft, während NeunLive als Transaktionsfernsehsender sich auf Teleshopping, Gewinnspiele und Quizshows konzentriere. Die ProSieben/Sat 1-Gruppe habe 2004 einen Gesamtumsatz von 1,835 Milliarden Euro erzielt. Die SevenoneMediaGmbH sei eine 100% Tochter der ProSieben/Sat 1 Gruppe, die klassische TV-Werbespots und Sponsoring verkaufe. Das Bundeskartellamt ermittelte nach der Anmeldung der geplanten Fusion zunächst die Aktivitäten des Axel Springer Verlages auf den verschiedenen Märkten. Der weltweite Zeitungsumsatz dieses Verlages betrug 2004 1.398,4 Mio. Euro, davon 678,3 Mio. Euro aus Vertrieb und 684,7 Mio. Euro aus Anzeigen. Die Bild-Zeitung alleine habe eine tägliche Reichweite von 14 Mio. Lesern. 2004 gründete der Axel Springer Verlag gemeinsam mit der Bertelsmann-Gruppe das Tiefdruck-Gemeinschaftsunternehmen Prinovis, in das beide Beteiligte ihre Aktivitäten im Tiefdruck in der Bundesrepublik und in Großbritannien einbrachten. An Prinovis sind Bertelsmann und die Tochter Gruner und Jahr zu je 37,5% und der Axel Springer Verlag mit 25,1%, also einer Sperrminorität, beteiligt. Eine 100% Tochter des Axel Springer Verlages – die AS Interactive GmbH – bietet Mehrwertdienstleistungen für Mobilfunk, Internet, Fernsehen und Audiotext an: Gewinnspiele per Telefon oder SMS, Abstimmungen per Telefon, Produktion interaktiver TV-Formate sowie die Einbindung interaktiver Dienstleistungen in TV- und Radio-Programme. Damit wird deutlich, dass der Axel Springer Verlag weit mehr ist als ein „führender“ Pressekonzern.
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Die materielle Prüfung des geplanten Zusammenschlusses unter der Fragestellung der Entstehung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung erfolgt gemäß dem Bedarfsmarktkonzept, also der Abgrenzung der Märkte nach sachlichen – funktionaler Austauschbarkeit der Produkte aus der Sicht der Käufer – und nach räumlichen Kriterien. Das Bundeskartellamt identifiziert demgemäß den Fernsehwerbemarkt als eigenen sachlich relevanten Markt, der räumlich nach den nationalstaatlichen Grenzen der Bundesrepublik abzugrenzen ist. Auf diesem Markt setzten 2004 die ProSieben/Sat 1-Gruppe einerseits und die Bertelsmann-RTL II-Gruppe andererseits jeweils rund 1,5 Milliarden Euro um, was einem Marktanteil von jeweils 44% entspricht. ARD und ZDF kamen demgegenüber auf 4% bzw. 5% Marktanteil. Die Marktanteile der Marktführer seien über die Jahre praktisch konstant gewesen und die ˛NettoTausenderKontaktPreise‘ hätten sich weitgehend gleichmäßig entwickelt. Zur Feststellung kollektiver Marktbeherrschung auf dem deutschen Fernsehwerbemarkt stellt das Bundeskartellamt eine mehrstufige Prüfung an: – es konstatiert fehlenden Binnenwettbewerb, da beide Gruppen zusammen auf über 80% Marktanteil kommen – Vermutung nach § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr.1 –, die Strukturen des Marktes über die Jahre stabil waren und eine hohe Transparenz der Preise gegeben sei und daher wettbewerbloses Parallelverhalten anzunehmen sei. – es registriert auch fehlenden Außenwettbewerb, da ARD und ZDF in ihren Werbezeiten beschränkt seien und so in der Primetime nach 20 Uhr als potentielle Wettbewerber ausfielen. Hierbei ist interessant, dass nach den Recherchen des Bundeskartellamtes die TausenderKontaktPreise bis 20 Uhr bei den beiden Marktführern bei 19 Euro liegen, danach zwischen 25,7 und 27 Euro. – es wertet das tatsächliche Wettbewerbsgeschehen und stellt ein markt-beherrschendes Duopol gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Satz 1 GWB fest. Dadurch, dass beide Gruppen mit SevenOneMedia (ProSieben/Sat 1-Gruppe) und IP Deutschland (Bertelsmann) eigene Werbezeitenvermittler haben, die sich weitgehend parallel verhalten, seien Strukturen gegeben, die für ein wettbewerbsloses Duopol sprechen. Des Weiteren verweist das Bundeskartellamt auf die hohen Markzutrittschranken, die diese Strukturen und das entsprechende Verhalten begünstigen. Das Kartellamt kommt des Weiteren zu dem Ergebnis, dass der Zusammenschluss auf Grund marktübergreifender Effekte zu einer Verstärkung einer kollektiven Marktbeherrschung auf dem deutschen Fernsehwerbemarkt führen werde. Es begründet dies damit, dass es durch die Fusion zur weiteren Angleichung unternehmensbezogener Strukturmerkmale kommen würde: die Konzerne Springer und Bertelsmann würden hinsichtlich ihrer Geschäftsfelder symmetrischer, da sie beide Zeitschriften herausgeben würden und Hörfunkbeteiligungen hätten. Dies bedeute ein erhöhtes Vergeltungspotential bei aggressiven Wettbewerbsmaßnahmen, was wegen der hohen Reaktionsverbundenheit im Duopol wiederum Parallelverhalten begünstige; die Fusion ermögliche cross mediale Werbekampagnen – der Anteil des Axel Springer Verlages auf dem bundesweiten Anzeigenmarkt für Zeitungen liege bei 50% –, was zur Verstärkung dieser Marktposition führe; die Randsubstitution auf dem bundesweiten Fernsehwerbemarkt durch die Bild Zeitung werde nach der Fusion entfallen; die Verflechtungen auf Drittmärkten, hier insbesondere bei Prinovis im Tiefdruckbereich stütze das wettbewerbsbeschränkende Parallelverhalten. Außerdem konstatiert das Bundeskartellamt in seiner umfassenden auch qualitativen Gesamtwürdigung, dass der Zusammenschluss zur Verstärkung der überragenden
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Marktstellung des Axel Springer Verlages auf dem bundesweiten Lesermarkt für Straßenverkaufzeitungen – ein eigener relevanter Markt – führe. Der Verlag habe hier einen Marktanteil von 81%, bei Berücksichtigung der nur regional erscheinenden Straßenverkaufszeitungen. Der Zusammenschluss würde Cross Promotion in beide Richtungen – Werbung für die Bild Zeitung im Fernsehen der ProSieben/Sat 1-Gruppe und Werbung für die Programme dieser Gruppe in der Bild Zeitung – ermöglichen, da sich die Nutzergruppen beider Medien überschneiden. Das Bundeskartellamt hat folgerichtig aus all diesen Gründen die Fusion untersagt. Vorgeschlagene Abhilfemaßnahmen des Springer Verlages wie Lizenzauflagen gegen Cross Promotion oder Veräußerungsvorschläge – Verkauf der Pronovis Beteiligung – hat das Bundeskartellamt als nicht ausreichend angesehen. Noch während des laufenden Verfahrens vor dem Bundeskartellamt hat der Bundeswirtschaftsminister Glos eine Ministererlaubnis nach §42 GWB – überwiegende gesamtwirtschaftliche Gründe oder ein überragendes Interesse der Allgemeinheit – in Erwägung gezogen Gesamtwirtschaftliche Vorteile der Fusion sind aber nicht erkennbar: die ProSieben/Sat 1Gruppe hat auch während der Zeit des Eigentums durch Saban und andere Finanzinvestoren wirtschaftlich erfolgreich im deutschsprachigen Bereich Fernsehen produziert und gesendet. Ein überragendes Interesse der Allgemeinheit an der Fusion ist ebenfalls nicht erkennbar, es sei denn, man würde dafür plädieren, dass die ProSieben/Sat 1-Gruppe in „deutsche“ Hand gehört, ein nationalstaatliches Argument, das angesichts von EU-weitem gemeinsamen Markt und angesichts der Globalisierung anachronistisch erscheint. Wenn man parallel fordern würde, Hollywood nach Deutschland „zurückzuholen“, würde auf der gleichen Argumentationsschiene agiert – eine absurde Vorstellung. Glos hat dann auch von der Ministererlaubnis abgesehen. Das überragende Interesse der Allgemeinheit muss es sein, Presse- und Rundfunkfreiheit in Deutschland zumindest auf dem heutigen Stand zu erhalten. Das Bundeskartellamt hat im Sinne der vom Bundesverfassungsgericht geforderten vorbeugenden Konzentrationskontrolle seinen Beitrag dazu konsequent geleistet. Eine gerichtliche Entscheidung zur Klage des Axel Springer Verlages gegen die Untersagungen der Fusion steht noch aus. Der Bundesgerichtshof hat im September 2007 lediglich entschieden, dass trotz Aufgabe des Plans der Fusion durch den Axel Springer Verlag dieser ein Interesse an der Klärung der Rechtsfrage habe. Das OLG Düsseldorf muss nun prüfen, ob das Bundeskartellamt die Fusion zu Recht untersagte (vgl. SPIEGE ONLINE 27.9.2007). •
EU Wettbewerbsregulierung und Anwendungen im Mediensektor
Der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft von 1957 in der Fassung durch den Vertrag von Amsterdam von 1997 enthält vier in unserem Zusammenhang wichtige Vorschriften: 1. Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen und Verhaltensweisen (Art. 81) 2. Unvereinbarkeit des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung mit dem Gemeinsamen Markt und damit dessen Verbot (Art. 82) 3. Unzulässigkeit von staatlichen Beihilfen, die den Wettbewerb verfälschen (Art. 87)
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Verordnung 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen in der Fassung von 1998. Art. 2 Abs. 1 a) dieser Verordnung legt fest, dass Zusammenschlüsse zu prüfen seien in der Perspektive der Aufrechterhaltung und Entwicklung wirksamen Wettbewerbs, im Hinblick auf die Struktur aller betroffenen Märkte und den tatsächlichen oder potentiellen Wettbewerb durch innerhalb und außerhalb der Gemeinschaft ansässige Unternehmen. Art. 2 Abs. 1 b) bestimmt, dass bei dieser Prüfung „die Marktstellung sowie die wirtschaftliche Macht und die Finanzkraft der beteiligten Unternehmen, die Wahlmöglichkeiten der Lieferanten und Abnehmer, ihr Zugang zu den Beschaffungs- und Absatzmärkten, rechtliche und tatsächliche Marktzutrittsschranken, die Entwicklung des Angebotes und der Nachfrage bei den jeweiligen Erzeugnissen und Dienstleistungen, die Interessen der Zwischen- und Endverbraucher sowie die Entwicklung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts, sofern diese dem Verbraucher dient und den Wettbewerb nicht behindert“, zu berücksichtigen sind. Art. 3 legt fest, dass auch die Gründung von Gemeinschaftsunternehmen als Zusammenschluss im Sinne dieser Verordnung anzusehen ist. Art. 8 regelt die Entscheidungsbefugnisse der EU Kommission bis hin zur Untersagung des Zusammenschlusses. 1997 meldeten die CLT-UFA, die zur Bertelsmann-Gruppe gehört, und die Taurus Beteiligungs-GmbH , die zur Kirch-Gruppe gehörte, bei der EU Kommission an, dass sie beabsichtigten, die gemeinsame Kontrolle bei den Unternehmen ˛Premiere‘ – Pay-TV Veranstalter auf einer digitalen Plattform –, ˛Beta digital‘- Sendezentrum – und ˛Beta Research‘-Verschlüsselungstechnik, Bereitstellung der d-box – je zur Hälfte zu erwerben. An Beta Research sollten neben CLT-UFA und Taurus auch die deutsche Telekom mit je 33% Prozent beteiligt sein. Schaubild 12: Gemeinschaftsunternehmen von Kirch/Bertelsmann/Telekom zur Einführung des digitalen Pay-TV Bertelsmann Gruppe • CLT-UFA • RTL Zuschauer• RTL2 anteil BRD • SUPER RTL 27,2% • VOX
27,6%
Kirch Gruppe • SAT 1 • DSF • Pro7 (Thomas Kirch) • Kabel1
50%
Premiere Digital (digitale Pay-TV-Programm- und Vermarktungsplattform)
50%
50%
Beta Digital (Ausstrahlung, Verschlüsselung, Multiplexing, Uplink zum Sat)
50%
33,3% deutsche Telekom 33,3%
Beta Research (Verschlüsselungstechnologie auf Basis der D-Box )
33,3%
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Die EU-Kommission stellt zunächst ihre Zuständigkeit fest: „Die Unternehmen Bertelsmann und Kirch haben zusammen einen weltweiten Gesamtumsatz von mehr als 5 Milliarden ECU. Jedes hat einen gemeinschaftsweiten Gesamtumsatz von mehr als 250 Mio. ECU. Lediglich Kirch erzielt mehr als zwei Drittel seines gemeinschaftsweiten Gesamtumsatzes in einem Mitgliedstaat, und zwar in Deutschland. Das Vorhaben hat folglich gemeinschaftsweite Bedeutung …“. (Media-Perspektiven, Dokumentation II, 1998 S. 34ff.) Die EU-Kommission argumentiert sodann, dass das Bezahlfernsehen, also Pay-TV gegenüber dem sog. Free-TV, den werbungsfinanzierten privaten Programmen und den gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Programmen – einen eigenen relevanten Produktmarkt darstellt. Bei Pay-TV gebe es im Unterschied zu werbefinanzierten Programmen ein vertragliches Austauschverhältnis zwischen Programmanbieter und Abonnenten. Die Wettbewerbsverhältnisse seien daher unterschiedlich. Im Übrigen würden Pay-TV Abonnenten von ihrem täglichen „Zeitbudget“ für Fernsehnutzung durchschnittlich 90% für das werbungsfinanzierte sog. Free TV und 10% für das Pay TV verwenden. „Der Umstand, dass Abonnenten trotz vergleichsweise geringer Nutzung bereit sind, erhebliche Kosten für Pay TV aufzubringen, zeigt, dass es sich bei Pay TV um ein klar abgrenzbares Produkt mit einem spezifischen Zusatznutzen handelt“. Räumlich grenzt die EU-Kommission den Markt als nationalen deutschen Markt ab wegen unterschiedlicher nationaler Rechtsvorschriften, bestehender Sprachbarrieren, kultureller Faktoren und sonstiger unterschiedlicher Wettbewerbsbedingungen in den einzelnen Mitgliedsstaaten. Die EU-Kommission konstatiert sodann, dass Premiere als Gemeinschaftsunternehmen praktisch eine Alleinstellung als Veranstalter von Pay TV erlangen würde, da Kirch seinen Pay TV Sender DF 1 einstellen und dessen Vermögenswerte auf Premiere übertragen werde. Premiere werde damit die einzige Programmplattform für digitales Pay TV sein. Diese Stellung werde auch von Dauer sein, weil sie durch potentiellen Wettbewerb kaum angreifbar sei, zumal Bertelsmann und Kirch die Decoderinfrastruktur kontrollieren mit ihrem proprietären System der d-box. Die vertikale Integration von Verschlüsselungstechnik, Sendetechnik und Programmplattform werde sich als Bollwerk gegen Marktzutritt anderer Veranstalter erweisen. Diese Stellung werde noch durch den Zugang zu den attraktivsten und umfassendsten Programmressourcen sowohl von Kirch als auch von Bertelsmann verstärkt. Kirch verfüge über ein Programmvermögen von 15.000 Spielfilmen sämtlicher Genres sowie 50.000 Stunden Fernsehprogramm und umfangreiche Produktionsaktivitäten im Film- und Fernsehbereich. In den Jahren 1995 bis 1997 habe Kirch u. a. mit fast allen Hollywood Major-Studios exklusive Output Deals für Pay TV Rechte abgeschlossen und dadurch eine überragende Position im Programmbereich erlangt. Kirch und CLT-UFA verfügten weiterhin über umfangreiche Sportrechte, die sich in vielen Fällen ergänzten. CLT-UFA habe für Premiere Output Deals mit den Studios Dreamworks und 20th Century Fox über exklusive Pay TV-Rechte abgeschlossen. Des Weiteren verweist die EU-Kommission darauf, dass Kirch und CLT-UFA (Bertelsmann) mit ihren sog. Free-TV-Kanälen mehr als 50% der Zuschauer und rund 90% des Werbemarktes erreichen. Sie könnten diese Position dazu benutzen, Premiere digital massiv zu bewerben. In Würdigung aller dieser Umstände erklärt die EU-Kommission die geplante Bildung der Gemeinschaftsunternehmen als mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar und spricht dementsprechend ein Verbot aus.
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An dieser Entscheidung in Würdigung quantitativer und qualitativer Aspekte der geplanten Fusion ist bemerkenswert: 1. die gut begründete Marktabgrenzung. An ihr hängen die folgenden Feststellungen der Marktbeherrschung. 2. die Berücksichtigung der Bedeutung von technischen Aspekten – Verschlüsselungstechnik und Verteilinfrastruktur – für die Absicherung einer marktbeherrschenden Stellung auf Dauer. 3. die Berücksichtigung der vertikalen Integration – Zugang zu Programmressourcen und Möglichkeit der Bewerbung im sog. Free-TV – als Verstärkung der dominanten monopolartigen Position. 4. die sachorientierte Argumentation. Der damalige Bundeskanzler Kohl hatte versucht, zu Gunsten seines „Männerfreundes“ Kirch in Brüssel politisch zu intervenieren, aber die Kommission ließ sich nicht beeindrucken und fällte ihre Entscheidung einstimmig. Ende der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts wurde Microsoft in den USA angeklagt, durch monopolistische Praktiken in der Vermarktung seiner mit proprietären (Konkurrenten nicht zugänglichen) Standards ausgestatteten Software-Produkte den Sherman-Antitrust-Act von 1890 verletzt zu haben (vgl. Brinkley and Lohr). 2004 verhängte die EU-Kommission gegen Microsoft ein Bußgeld von 497 Millionen Euro. Microsoft habe seine Windows-Programme in unzulässiger Weise mit dem Multimedia-Abspielprogramm Media-Player gekoppelt. Außerdem habe Microsoft in unzulässiger Weise Konkurrenten technische Einzelheiten seiner Software vorenthalten und sie damit im Wettbewerb behindert. Hierin seien ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung und damit ein Verstoß gegen den EU-Vertrag gegeben. Am 17. 9. 2007 hat ein Europäisches Gericht die Entscheidung der EU-Kommission in praktisch allen Punkten bestätigt. Microsoft müsse technische Einzelheiten für Konkurrenten offen legen, damit deren Software für große Betriebsrechner mit dem Betriebssystem Windows vereinbar wird (vgl. DIE WELT vom 18.9.2007, S. 5). Dies ist einer der wenigen Fälle, in denen ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung, gerade auch unter Ausnutzung spezifischer Technik, konkret geahndet wurde. Diese Entscheidung ist auch noch in einem weiteren Aspekt bemerkenswert: Sie begrenzt die Eigentumsrechte an technischen Verfahren und deren kommerzielle Verwertung und öffnet dadurch den Markt für Wettbewerber. Im Februar 2008 hat die EU-Kommission erneut ein Bußgeld in Höhe von 899 Millionen Euro gegen Microsoft verhängt, weil der Software-Gigant u. a. über Jahre von Konkurrenten überhöhte Gebühren für technische Angaben verlangt habe, die diese benötigten, um ihre Software mit dem Betriebssystem Windows kompatibel zu machen (Rhein-Zeitung 28.2.2008, S. 7). Damit belaufen sich die seit 2004 gegen Microsoft verhängten Bußgelder auf 1,68 Milliarden Euro. Microsoft scheint aber bisher wenig beeindruckt zu sein, denn seit Januar 2008 laufen zwei neue Verfahren der EU-Kommission gegen den Software-Monopolisten.
9.3 Telekommunikationsrecht Kompetenzrechtlich hatte das Bundesverfassungsgericht 1961 in seiner Entscheidung zum sog. Adenauer-Fernsehen klargestellt, dass den Ländern die „Rundfunkhoheit“ zusteht, d. h.,
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dass sie die Regelungskompetenz zu Rundfunkfragen im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben haben und dass der Bund für das Fernmeldewesen zuständig ist, also für die technischen Infrastrukturen auch für die Übertragung von Rundfunksendungen. Das Fernmeldewesen habe gegenüber der „Rundfunkhoheit“ der Länder eine dienende Funktion. Zu klären ist, 1. ob sich angesichts der schnellen technischen Entwicklung, insbesondere der Digitalisierung, und der damit einhergehenden Konvergenz von Rundfunk- und Telekommunikationsdiensten diese Kompetenzverteilung aufrechterhalten hat und 2. ob weiterhin von der „dienenden Funktion“ der Telekommunikation im Rundfunkbereich gesprochen werden kann. •
historische Schritte der Deregulierung, Privatisierung und Liberalisierung
Bis zur Postreform I im Jahre 1989 war die Deutsche Bundespost als Ministerium für das Postund Fernmeldewesen quasi ein öffentliches Unternehmen unter politischer Leitung. Unter der Leitidee der Deregulierung legte das Gesetz über die Unternehmensverfassung der Deutschen Bundespost 1989 die Trennung der hoheitlich-politischen von den unternehmerisch-betrieblichen Funktionen fest, bestimmte die Trennung in drei öffentliche Unternehmen DBP Postdienst, DBP Telekom und DBP Postbank und hob die hoheitlichen Alleinstellungsrechte auf dem Markt der Endgeräte und für Telekommunikationsdienste auf. Die Befürworter der Postreform argumentierten, dass die Deutsche Bundespost eine nicht länger zu rechtfertigende Monopolstellung innehätte. Diese Argumentation berücksichtigt bei der Wahl dieses wirtschaftsrechtlichen Begriffes nicht, dass das Alleinstellungsrecht historisch bedingt staatlich gewollt war. Die ungerechtfertigte Anwendung des Monopolbegriffes auf ein staatliches Unternehmen unter Ministerverantwortung ist daher als Mittel in ideologischen Auseinandersetzungen zu verstehen. Durch die Postreform II von 1995 wurden die öffentlichen Unternehmen in Aktiengesellschaften umgewandelt – privatisiert –, allerdings wurde der Bund durch Verfassungsänderung in Form von Art. 87 f GG verpflichtet, im Bereich des Postwesens und der Telekommunikation flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen zu gewährleisten. 1998 ist die Postreform II unter dem Stichwort der Förderung des Wettbewerbs und der asymmetrischen Regulierung durch das Telekommunikationsgesetz umgesetzt worden. Alle drei Schritte wurden mit ausländischen Vorbildern insbesondere in den USA und Japan und mit angeblichen oder tatsächlichen Anforderungen der EU begründet. Sie bedeuten eine weitgehende Abkehr von der staatlichen Infrastrukturverantwortung und öffentlichen Verpflichtung für eine flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Telekommunikationsdienstleistungen (Vgl. dazu im Einzelnen van Haaren). Die Deutsche Telekom galt nach diesen drei Postreformen als ein „früherer Monopolist“, der flächendeckend Netze und Dienste anbot in Konkurrenz zu „Newcomern“, die auf den gleichen Netzen ihre Dienste anbieten wollten. Um diesen Wettbewerb zu „kanalisieren“, wurde mit dem Telekommunikationsgesetz eine Regulierungsinstitution geschaffen, die heutige Netzagentur. Nachdem die deutsche Bundespost ab 1984 begonnen hatte, Kabelnetze zur Verbreitung des Kabelfernsehens aufzubauen, trennte sich die Deutsche Telekom von diesen für sie Verlust
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bringenden Netzen im Jahre 2003 abschließend durch Verkauf. Dies geschah u. a. mit dem ordnungspolitischen Argument, dass durch technischen Fortschritt und Umrüstung in Zukunft auf diesen Netzen auch Telefondienste angeboten werden können und die Deutsche Telekom sich, da sie bereits über Festnetze Telefondienste anbot, nicht selber Konkurrenz machen wolle. •
das Telekommunikationsgesetz in der Fassung von 2007
§ 1 lautet: „Zweck dieses Gesetzes ist es, durch technologieneutrale Regulierung den Wettbewerb im Bereich der Telekommunikation und leistungsfähige Telekommunikationsinfrastrukturen zu fördern und flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen zu gewährleisten“. Diese Bestimmung bedeutet, dass der Wettbewerb auch von Netzen gefördert werden soll – Gewährleistung der Neutralität gegenüber einzelnen Infrastrukturen. Damit wird das Nebeneinander von Telekommunikationsfest- und Mobilfunknetzen und von terrestrischen, Kabel- und Satellitennetzen zur Rundfunkübertragung akzeptiert und der Ausleseprozess dem wirtschaftlichen Wettbewerb unter den Augen der Bundesnetzagentur überlassen. § 2 Abs. 1 bestimmt, dass die Regulierung der Telekommunikation eine hoheitliche Aufgabe ist. Abs. 2 lautet: „Ziel der Regulierung sind 1. Wahrung der Verbraucherinteressen 2. Sicherstellung eines chancengleichen Wettbewerbs und Förderung nachhaltig wettbewerbsorientierter Märkte der Telekommunikation im Bereich der Telekommunikationsdienste und -netze sowie der zugehörigen Einrichtungen und Dienste auch in der Fläche. 3. effiziente Infrastrukturinvestitionen zu fördern und Innovationen zu unterstützen 4. die Entwicklung des Binnenmarktes der Europäischen Union zu fördern 5. die Sicherstellung einer flächendeckenden Grundversorgung mit Telekommunikationsdiensten (Universaldiensten) zu erschwinglichen Preisen ….“ In Abs. 5 ist geregelt, dass die Belange des Rundfunks und vergleichbarer Telemedien zu berücksichtigen sind, d. h., dass die Regulierungsbehörde gehalten ist, mit den Landesmedienanstalten z.B. bei Fragen der Entgeltregulierung (§ 27 Abs.3) oder der Frequenzverteilung (§ 57 Abs.1) zu kooperieren Diese Bestimmungen des § 1 muten zunächst wie eine ausgewogene Vorgabe zur Durchsetzung des Wettbewerbs einerseits und zur Berücksichtigung einer flächendeckenden Grundversorgung andererseits an. Zu den Universaldiensten gemäß Teil 6 des Gesetzes zählen aber nur die Telefondienste über das Festnetz, nicht aber Netze beispielsweise zur Rundfunkversorgung. §9 ff regeln die spezifische Marktregulierung für Märkte ohne wirksamen Wettbewerb – der umstrittene, 2007 eingefügte § 9a lässt neue Märkte grundsätzlich unreguliert. § 11 bestimmt, dass wirksamer Wettbewerb dann nicht gegeben ist, wenn ein Unternehmen allein oder mit anderen eine der Marktbeherrschung gleichkommende Stellung einnimmt, d. h. eine wirtschaftliche Stellung gegeben ist, die es ihm gestattet, sich in beträchtlichen Umfang unabhängig von Wettbewerbern und Endnutzern zu verhalten. Diese Bestimmung zielt auf die Deutsche Telekom, die bisher noch allein über das Telefonfestnetz verfügt.
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Wenn für einen Markt festgestellt ist, dass er ohne wirksamen Wettbewerb ist, dann kann die Regulierungsbehörde dem Unternehmen Verpflichtungen auferlegen, die ein Diskriminierungsverbot (§19), Transparenzverpflichtungen zu Gunsten anderer Unternehmen (§20) und Zugangsverpflichtungen ebenfalls für Wettbewerber (§21) beinhalten können. Gemäß §27 hat die Regulierungsbehörde auch die Möglichkeit der Entgeltregulierung, um missbräuchliche Ausbeutung, Behinderung oder Diskriminierung von Endnutzern oder von Wettbewerbern zu verhindern. Diese Bestimmungen zeigen, dass in Bereichen „natürlicher“ Netzmonopole wirtschaftlicher Wettbewerb nicht funktionsfähig ist. Wenn der Staat sich zur Privatisierung dieser Bereiche entschließt, ist eine gesonderte Regulierung nach Kriterien des „als ob“-Wettbewerbs erforderlich. Eine solche begünstigt im hier vorliegenden Gesetz durch asymmetrische Regulierung die Newcomer und sie fesselt den Netzbetreiber. Damit greift die Regulierungsbehörde unmittelbar in Wettbewerbsprozesse ein, ja sie tritt an die Stelle des Wettbewerbs als Entdeckungsverfahren (vgl. Kapitel 7 a zu Schumpeter und Hoppmann). Ordnungspolitisch ist dies eine höchst problematische Angelegenheit. Dies gilt insbesondere in Bezug auf die Frage, wer und nach welchen Kriterien über Investitionen entscheidet. § 9a ist insofern zu begrüßen, als neue Märkte zumindest auf Zeit von der asymmetrischen Regulierung durch die Bundesnetzagentur ausgenommen sind. Es muss für Telekommunikationsunternehmen Anreize geben, aufwendige und riskante Investitionen vorzunehmen, die sich erst nach längerer Zeit rechnen, zumal wenn sie flächendeckend angelegt sind. Die Deutsche Telekom errichtet derzeit für ungefähr drei Milliarden Euro ein Hochgeschwindigkeitsnetz auf der Basis der VDSL-Technik, das bis Ende 2008 in 50 Städten der Bundesrepublik verlegt sein soll. Diese Technik soll Daten acht Mal so schnell übertragen können wie der heutige DSL-Standard. Die EU Kommission hat gegen die neue Fassung des Telekommunikationsgesetzes Klage vor dem Europäischen Gerichtshof eingereicht. Sie stößt sich daran, dass die Deutsche Telekom ihren Wettbewerbern ohne Regulierung Bedingungen für die Nutzung ihres neuen Glasfasernetzes setzen kann. Sie befürchtet eine Monopolbildung zum Schaden der Verbraucher und anderer Anbieter. Die Telekom, die das neue Netz zunächst selbst nutzen will, bietet über VDSL mit „T-Home“ unter anderem Pay-TV an (Vgl. Rhein-Zeitung vom 28.6.2007: EUKommission klagt gegen Telekom). In historischer Perspektive bleibt anzumerken, dass bereits Ende der 70er Jahre die Verkabelung der Bundesrepublik in zukunftsweisender Glasfasertechnik zur Debatte stand. Nach dem „Umweg“ über die Verlust bringenden Kupferkoaxialkabelnetze, die heute von den neuen Besitzern wie „Kabel Deutschland“ aufwendig modernisiert werden müssen, erfolgt nun mit erheblicher Verzögerung der Einstieg in die Versorgung mit Hochgeschwindigkeitsnetzen. Teil 4 des Gesetzes regelt die Rundfunkübertragung, insbesondere die Interoperabilität von Fernsehgeräten und Übertragungswegen im Übergang zu digitalen Geräten und digitalen 16:9 Bildschirmformaten (§ 48f). Der § 50 regelt Zugangsberechtigungssysteme, also Ver- und Entschlüsselungssysteme für das Pay-TV, um die Durchsetzung proprietärer, nur den Eigentümer begünstigender Systeme und die Ausnutzung exklusiver Rechte zu unterbinden. Diese Bestimmung ist angesichts der Erfahrungen mit der d-box von Kirch sehr zu begrüßen, da es um chancengleichen, diskriminierungsfreien Zugang aller Rundfunkveranstalter zu solchen Systemen geht. Hier wird per
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Gesetz anerkannt, dass Macht auch durch die Verfügung über Technik ausgeübt werden kann und dass es dies zu verhindern gilt. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Rundfunkversorgung über Telekommunikationsnetze nicht mehr zu den Universaldiensten gehört. Damit wird eine Abkehr von öffentlicher Infrastrukturverantwortung im Sinne der staatlichen Daseinsfürsorge für flächendeckenden, diskriminierungsfreien Zugang der Bevölkerung zu Rundfunkdiensten vollzogen. Gegen diese Kritik lässt sich einwenden, dass heute relativ kostengünstige Satellitenempfangsanlagen zur Verfügung stehen, sodass staatliche Regulierung diesbezüglich nicht erforderlich erscheint. Nur: 1. kann nicht an jeden Balkon einer Mietwohnung eine Satelliten-Schüssel montieret werden und 2. ist nicht auf Dauer gesichert, dass Satellitenprogramme unverschlüsselt empfangen werden können. Die Kompetenzen der Netzagentur reichen nicht aus, um zu verhindern, dass Anbieter ihre Programme über Pay-TV hinaus demnächst verschlüsseln, um sich neben der Finnzierung über Werbung eine zusätzliche Einnahmequelle zu erschließen. Positiv ist dagegen festzuhalten, dass die Regulierung der Netzagentur technologieneutral zu erfolgen hat, dass sie auf die Förderung des Übergangs zu digitalem Rundfunk im Sinne der Verbraucher hinwirken soll und dass sie diskriminierungsfreien Zugang sowohl für Rundfunkanbieter als auch für die Rezipienten zu Verschlüsselungssystemen, wenn sie denn zum Einsatz kommen, gewährleisten soll. Von der „dienenden Funktion“ der Rundfunkverteilnetze – früher in staatlicher Hand, jetzt in der Hand privatwirtschaftlicher Unternehmen – ist nicht viel übrig geblieben, denn die Bundesnetzagentur hat sich in Bezug auf Angelegenheiten des Rundfunks nur ins Benehmen mit den Bundesländern zu setzen, nicht etwa sich deren Anforderungen an Rundfunkverteilnetze unterzuordnen.
9.4 Deutscher Rundfunkstaatsvertrag: Geschichtliche Entwicklung und Kontroversen in Bezug auf seine Anwendung Noch vor Abschluss der Pilotprojekte mit Kabelfernsehen haben die Ministerpräsidenten der (alten) Bundesländer im Frühjahr 1987 einen Staatsvertrag zur Neuordnung des Rundfunkwesens für den öffentlich-rechtlichen und den privaten Rundfunk in einem dualen Rundfunksystem geschlossen. In der Präambel heißt es: „Mit der Vermehrung des elektronischen Medienangebots sollen Informationsvielfalt und kulturelles Angebot im deutschsprachigen Raum verstärkt werden. Gleichzeitig müssen beide Rundfunksysteme in der Lage sein, den Anforderungen des künftigen nationalen und internationalen Wettbewerbs zu entsprechen“. … Der Rundfunkstaatsvertrag beginnt mit Vorschriften, die für beide Säulen des dualen Systems gelten. Sie betreffen die Übertragung von Großereignissen (§ 4) – die Sicherung des freien Zugangs der Zuschauer im sog. Free-TV – werbungsfinanzierte und öffentlich-rechtliche Programme – zu „Ereignissen von erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung“, insbesondere zu Sportereignissen wie Fußballeuropa- oder Weltmeisterschaften oder Olympiade – und sie betreffen das Recht auf unentgeltliche Kurzberichterstattung über Ereignisse, die öffentlich zugänglich und von allgemeinem Informationsinteresse sind (§5). Diese Bestimmungen sollen verhindern, dass Übertragungsrechte zu hohen Pay TV-Preisen exklusiv vermarktet werden.
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In § 6 ist vorgeschrieben, dass die Fernsehveranstalter den Hauptteil ihrer insgesamt für Spielfilme, Fernsehspiele, Serien, Dokumentarsendungen etc. vorgesehenen Sendezeit europäischen Werken entsprechend dem europäischen Recht – gemeint ist die Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ – vorbehalten und dass Fernsehvollprogramme einen wesentlichen Anteil an Eigenproduktionen sowie Auftrags- und Gemeinschaftsproduktionen aus dem deutschsprachigen und dem europäischen Raum enthalten. § 7 ist den Inhalten von Werbung und Teleshopping und Kennzeichnungspflichten gewidmet. Abs. 1 verbietet irreführende und den Interessen der Verbraucher schadende Werbung in Rundfunkprogrammen und auch bei Angeboten des Teleshopping. Abs. 2 postuliert, dass Werbung oder Werbetreibende das übrige Programm inhaltlich und redaktionell nicht beeinflussen dürfen. Abs. 3 bezieht sich auf die Kennzeichnungspflicht von Werbung und Teleshopping. Abs.6 bestimmt, dass Schleichwerbung und entsprechende Praktiken unzulässig sind. Abs. 8 legt fest, dass Werbung politischer, weltanschaulicher oder religiöser Art unzulässig ist. § 8 bezieht sich auf das Sponsoring: Abs. 1 regelt die Hinweispflicht zu Beginn und am Ende der gesponsorten Sendung. Abs. 2 lautet:2: „Inhalt und Programmplatz einer gesponsorten Sendung dürfen vom Sponsor nicht in der Weise beeinflusst werden, dass die Verantwortung und die redaktionelle Unabhängigkeit des Rundfunkveranstalters beeinträchtigt werden“. Abs. 6 legt fest, dass Nachrichtensendungen und Sendungen zum politischen Zeitgeschehen nicht gesponsort werden dürfen. § 10 bestimmt ebenfalls sowohl für den öffentlich-rechtlichen wie für den kommerziellen Rundfunk, dass Berichterstattung und Informationssendungen den anerkannten journalistischen Grundsätzen zu entsprechen haben. „Sie müssen unabhängig und sachlich sein“. In Bezug auf die kommerziellen Rundfunkveranstalter heißt es im Rundfunkstaatsvertrag: „Den privaten Veranstaltern sollen der Aufbau und die Fortentwicklung eines privaten Rundfunksystems ermöglicht werden. Dazu sollen ihnen ausreichende Sendekapazitäten zur Verfügung gestellt und angemessene Einnahmequellen erschlossen werden“. Art. 7 behandelt Zulassung des privaten Rundfunks durch landesrechtliche Lizenzierung und seine Finanzierung vorrangig durch Einnahmen aus Werbung und durch Entgelte. Art. 8 behandelt die Sicherung der Meinungsvielfalt im bundesweit verbreiteten privaten Rundfunk: „(1) Im privaten Rundfunk ist inhaltlich die Vielfalt der Meinungen im Wesentlichen zum Ausdruck zu bringen. Die bedeutsamen politischen, weltanschaulichen und gesellschaftlichen Kräfte und Gruppen müssen in den Vollprogrammen angemessen zu Wort kommen; Auffassungen von Minderheiten sind zu berücksichtigen. … (2) Solange nicht mindestens drei im Geltungsbereich des Grundgesetzes veranstaltete private Vollprogramme von verschiedenen Veranstaltern bundesweit veranstaltet werden, ist jedes der Rundfunkprogramme zur Meinungsvielfalt nach Absatz 1 verpflichtet. Wenn mindestens drei derartige Rundfunkprogramme bundesweit verbreitet werden, wird davon ausgegangen, dass das Gesamtangebot dieser Rundfunkprogramme den Anforderungen an die Meinungsvielfalt entspricht“… (5) „Ein Veranstalter darf im Geltungsbereich des Grundgesetzes bundesweit jeweils nur ein Vollprogramm und ein Spartenprogramm im Hörfunk und im Fernsehen verbreiten; …
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(6) Wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 Satz 1 vorliegen, hat der Veranstalter durch geeignete Vorkehrungen – wie einen Programmbeirat mit wirksamem Einfluss auf das Rundfunkprogramm – zu gewährleisten, dass eine vorherrschende Einwirkung auf die Meinungsbildung durch bundesweiten privaten Rundfunk ausgeschlossen ist. Bei einem von einer Veranstaltergemeinschaft veranstalteten Programm bedarf es solcher Vorkehrungen nicht, wenn durch Vertrag oder Satzung ein vorherrschender Einfluss eines der Beteiligten mit mehr als 50 von Hundert der Kapital- und Stimmrechtsanteile ausgeschlossen ist.“ Im August 1987 gab es in der Bundesrepublik 2 privatwirtschaftliche Fernsehvollprogramme, nämlich SAT 1-Satellitenfernsehen und RTL plus. An der SAT 1 GmbH waren derzeit beteiligt: Zu 40% die Programmgesellschaft für Kabel- und Satellitenrundfunk mbH (PKS) – eine Tochter der Deutschen Genossenschaftsbank, die wiederum die Hausbank von Leo Kirch war. An der PKS war der Filmkaufmann Leo Kirch, aus dessen Konzern SAT 1 Filmlieferungen erhielt, mehrheitlich beteiligt; Zu je 15% die Axel Springer-Verlag AG, die Holtzbrinck-Gruppe und die Firma „Aktuell Presse Fernsehen“, zu je 1% der Otto Maier-Verlag und die Neue Mediengesellschaft Ulm. (13% waren derzeit noch offen und wurden treuhänderisch von einzelnen Gesellschaftern verwaltet). An RTL plus waren zu 46,1% CLT Luxemburg, zu 38,9% die Ufa, eine Tochter der C. Bertelsmann AG, zu 10% die WAZ Gruppe, zu 2% die Burda GmbH und zu 1% die FAZ beteiligt (Media Perspektiven, Basisdaten 1987, S. 16f). Im Sommer 1987 gab es also nur zwei Fernsehvollprogramme. Art. 8 Abs. 2 kam aber nicht zur Anwendung, weil es sich jeweils um Veranstaltergemeinschaften handelte, in denen kein Gesellschafter über 50% oder mehr Anteil verfügte – Abs. 6 Satz 2. Die Logik der Sicherung der Meinungsvielfalt im privaten Rundfunk nach diesen Vorschriften lässt sich so zusammenfassen: 1. Mindestens drei Vollprogramme garantieren Außenpluralismus. Würde man hierauf wirtschaftswissenschaftliche und wettbewerbspolitische Erfahrungen anwenden, so müsste man ein enges Oligopol feststellen, das eher auf Parallelverhalten und Wettbewerbsausschluss hindeutet als auf funktionsfähigen Wettbewerb. 2. Ein Veranstalter darf nur ein Vollprogramm und ein Spartenprogramm im Hörfunk und im Fernsehen verbreiten. Durch diese Bestimmung soll laut Begründung der Konzentration entgegengewirkt werden. 3. Die Privilegierung von Veranstaltergemeinschaften – kein Gesellschafter hat mehr als 50% Anteil oder der Beteiligte mit mehr als 50% Anteil kann auf Grund von Begrenzungen seines Einflusses diese Mehrheit nicht nutzen – beruht offenbar auf der Vorstellung, dass eine Art Binnenpluralismus durch mehrere privatwirtschaftlich Beteiligte hergestellt wird. Wie sich im Laufe der Zeit herausgestellt hat, ist dies eine irrige Vorstellung, da alle Gesellschafter gemeinsam an der Erzielung einer möglichst hohen Einschaltquote durch massenattraktive Programme interessiert sind und im Übrigen im engen Oligopol die Beteiligten sowieso zu abgestimmten Verhaltensweisen neigen. 4. Medienübergreifende Verbindungen z.B. zwischen Rundfunkveranstaltern, Filmhändlern oder Presseverlagen spielen bei den zur Sicherung der Meinungsvielfalt einschlägigen Artikeln keine Rolle. Die realen Beteiligungen zeigen denn auch die Dominanz führender Medienhäuser wie Bertelsmann, Kirch und Springer. Damit wurde gleich zu Beginn des kommerziellen Rundfunks
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in Deutschland die Chance vertan, neue Quellen für das Medienangebot zu erschließen; stattdessen erstreckten die bereits dominanten Medienhäuser ihre publizistische Macht in den Bereich des kommerziellen Rundfunks und erhöhten so von Anfang an die auch zu der Zeit schon bedenkliche Medienkonzentration. Es ging den den Staatsvertrag schließenden Bundesländern offenbar weniger um die Sicherung der Meinungsvielfalt sondern eher, wie in der Präambel vermerkt, um die Ermöglichung kommerziellen, gewinnträchtigen Rundfunks für private Veranstalter, die als mächtige Lobby aus den „überkommenen“ Medienbereichen schon lange auf diese staatliche „Ermöglichung“ gedrängt hatten. Bereits 1991 – offiziell zur einheitlichen Regelung des Rundfunks im vereinten Deutschland – wurde der Rundfunkstaatsvertrag in den Bestimmungen zur Sicherung der Meinungsfreiheit geändert. § 21 – Sicherung der Meinungsvielfalt – legt in Abs. 1 fest, dass ein Veranstalter bundesweit im Hörfunk und im Fernsehen jeweils bis zu zwei Programme verbreiten darf, darunter jeweils nur ein Vollprogramm oder ein Spartenprogramm mit Schwerpunkt Information. Abs. 2 legt fest, dass die Zulassung für ein bundesweit verbreitetes Fernsehvollprogramm oder für ein bundesweit verbreitetes Fernsehspartenprogramm mit dem Schwerpunkt Information nur an einen Veranstalter erteilt werden darf, an dem keiner der Beteiligten 50 von Hundert oder mehr der Kapital- oder Stimmrechtsanteile innehat oder sonst einen vergleichbaren vorherrschenden Einfluss ausübt. Durch diese Veränderungen erfolgt 1. der Verzicht auf die Normierung einer Zahl von privatwirtschaftlichen Rundfunkvollprogrammen, die publizistischen Außenpluralismus garantieren soll; 2. die Erweiterung der Programmzahl auf zwei Programme, die ein Veranstalter verbreiten darf und 3. die Vorschrift, dass alle Fernsehvollprogramme und alle Spartenprogramme mit dem Schwerpunkt Information nur in der Form einer Veranstaltergemeinschaft organisiert werden dürfen, d. h. dass kein Beteiligter 50% oder mehr auf sich vereinigen darf. Hieraus folgt, dass bereits bei drei Beteiligten kommerzieller „Binnenpluralismus“ angenommen wird, obwohl es sich in diesem Fall um ein sehr enges Oligopol handelt, das nach wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnissen wettbewerbslos ist. Außerdem enthält der Rundfunkstaatsvertrag von 1991 keine Regelungen für das Problem der Verflechtungen zwischen Rundfunk und Presse (Cross-ownership), obwohl dieses Problem auf Grund der tatsächlichen Beteiligungsverhältnisse im Bereich des kommerziellen Rundfunks evident war und ist. In § 21 Abs. 6 wird stattdessen geregelt, dass die Landesmedienanstalten regelmäßig gemeinsam einen von einem unabhängigen Institut zu erstellenden Bericht über die Entwicklung der Meinungsvielfalt und der Konzentration im privaten Rundfunk unter Berücksichtigung von Verflechtungen zwischen Hörfunk und Fernsehen sowie zwischen Rundfunk und Presse, horizontalen Verflechtungen zwischen Rundfunkveranstaltern in verschiedenen Verbreitungsgebieten und internationaler Verflechtungen im Medienbereich veröffentlichen sollen. Der erste und einzige entsprechende Bericht ist 1994 vom Europäischen Medieninstitut in Düsseldorf vorgelegt worden. Zur Problematik der Berichterstattung heißt es in den Vorbemerkungen: „Da es bisher in der Bundesrepublik keine effizienten Regeln zur Herstellung von
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Transparenz in bezug auf Konzentrationstatbestände im Bereich der Medienwirtschaft gibt und da nur wenige Unternehmen auf freiwilliger Basis zur notwendigen Transparenz beitragen, befindet sich jeder Berichterstatter in einem Dilemma. In vielen Fällen ist er auf Indizien, zum Teil sogar lediglich auf Vermutungen angewiesen, die in den kritischen Bereichen von den betroffenen Unternehmen bzw. Unternehmensfamilien bzw. von einzelnen Vertretern von Landesmedienanstalten, die über Insiderwissen verfügen, als unzutreffend qualifiziert werden, ohne die wahren Verhältnisse aufzudecken. Diese ˛Beweislage‘ ist mehr als unbefriedigend“ (Bericht des Europäischen Medieninstituts, S. 130). Bei den Schlussfolgerungen heißt es infolge dessen bei den Verfahrensaspekten an erster Stelle: „Es sollten daher im Bereich der Konzentrationskontrolle den Landesmedienanstalten Auskunfts- und Untersuchungsrechte gegenüber den Veranstaltern und den an ihnen Beteiligten und gegenüber Dritten in Anlehnung an die Befugnisse der Kartellbehörden eingeräumt werden. Sie müssen u. a. das Recht haben, eidesstattliche Versicherungen abzunehmen. Alle erforderlichen Auskünfte sind in bestimmten Fristen den Landesmedienanstalten zu erteilen. Verweigerungen sind mit Sanktionen zu bedrohen. Es muss die Offenlegung der tatsächlichen ökonomischen und publizistischen Verhältnisse sichergestellt werden, was insbesondere bei der Treuhandproblematik von Bedeutung ist“ (daselbst, S. 207). Zu den Zuständigkeiten heißt es: „Eine effektive Konzentrationskontrolle setzt voraus, dass die Zuständigkeiten zumindest den gleichen geographischen Raum betreffen, auf den sich die unternehmerischen Aktivitäten beziehen. Diesem Maßstab werden die Landesmedienanstalten bzw. ihre gemeinsame Stelle nicht gerecht. Eine stärkere institutionell abgesicherte Koordination der Konzentrationskontrolle für bundesweite Programme scheint dringend geboten“ (daselbst, S. 208). Schließlich wird bei den Verfahrensaspekten die Trennung von Zulassung und Kontrolle vorgeschlagen, um zu stärker sachbezogenen Entscheidungen bei der Konzentrationskontrolle zu gelangen, da die bisherigen Entscheidungen einzelner Landesmedienanstalten stark von standortpolitischen Überlegungen geprägt waren. Besonders dieser Punkt ist nach wie vor aktuell, wie sich an dem Fall der geplanten Übernahme der SAT 1-Gruppe durch den Axel Springer Verlag 2006 demonstrieren lässt. Was nun die materiellen Feststellungen dieses Berichts angeht, so wird der private Fernsehmarkt in Deutschland „als ein Oligopol einer sehr kleinen Gruppe marktführender Unternehmen“ bezeichnet, und zwar was die Fernsehvollprogramme angeht, die Aufteilung auf zwei große „Familien“, nämlich Kirch/Springer einerseits und Ufa/CLT (Bertelsmann) andererseits, wobei die Beteiligungen am Abonnementfernsehen Premiere eine Brücke zwischen den beiden Gruppen schlagen.
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Schaubild 13: „Familien“ im deutschen Privatfernsehen 1994 n-tv CNN 28,80 Time Warner 23,21 Fam. Nixdorf 17,52 EGIT 13,88 Sonstige 17,09
SAT1 Kirch 43 Springer 20 APF 20 AVE 15 Sonstige 2
VIVA Time Warner 10,8 Sony 10,8 Frank Otto 19,8 Polygram 19,8 Thorn EMI 19,8 VOX News International (Murdoch) 49,9 Ufa 24,9 Canal+ 24,8 DCTP 0,3
Pro7 MediMedia (Ackermans) 40,5 Th. Kirch 47,5 G.Kofler 3
Kirch / Springer
DSF Kirch 24,5 Springer 24,9 Berlusconi 33,5 Ringiar 17,1
Ufa / CLT
RTL2 Bauer 33,1 Tele München 33,1 CLT 24 Ufa 7,8 Sonstige 2
RTL CLT 47,9 Ufa 37,1 WAZ 10 Sonstige 6
Kabelkanal Tefi (Beisheim) 45 Pro7 45 G. Kofler 10
Premiere Ufa 50 Kirch 25 Canal+ 25
Quelle: Konzentrationsbericht des Europäischen Medieninstituts, S. 175 Lediglich die Spartenprogramme VIVA und n-tv gehören nicht einer der beiden großen Gruppierungen an. Bei ihnen dominieren dagegen ausländische Unternehmen als Hauptanteilseigner. Da es sich bei allen Fernsehvollprogrammen um Veranstaltergemeinschaften handelt, ist trotz des Duopols den formalen Anforderungen des Rundfunkstaatsvertrages Genüge getan, sodass in diesem Rahmen weitere Überlegungen zur Frage nach der publizistischen Vielfalt im Bereich des kommerziellen Rundfunks nicht anzustellen sind. In dem Konzentrationsbericht des Europäischen Medieninstituts dagegen wird die Pflicht zur Bildung von Veranstaltergemeinschaften nach § 21 kritisiert: „Diese Regelung versucht die Vielfalt sichernde Binnenstruktur öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten auf privatwirtschaftliche Rundfunkunternehmen modifiziert zu übertragen. Die Erwartung, dass die Vielzahl der Gesellschafter bei privaten Veranstaltern zur Vielfalt im Programm beitrage, hat sich jedoch aus gesellschaftsrechtlichen und ökonomischen Gründen als unzutreffend herausgestellt. Der Zwang zur Gründung von Gemeinschaftsunternehmen begünstigt die zu beobachtenden Gruppenbildungen zwischen verschiedenen Unternehmen (Veranstalterfamilien). Die Folge der Pflicht zur Bildung von Veranstaltergemeinschaften ist daher eine oligopolistische Marktstruktur, die das Potential für eine Vielzahl voneinander unabhängiger Quellen der In-
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formation, Bildung und Unterhaltung nicht erhöht. … Veranstaltergemeinschaften verhindern auch, dass publizistische Verantwortung von den Eigentümern wahrgenommen werden kann, weil keine hierarchische Eigentümerstruktur gegeben ist. Wichtiger als die gesellschaftsrechtliche Binnenstruktur privater Veranstalter ist deren Marktstellung und die ihrer Gesellschafter. Dies spricht dafür, auf die Regelung der Gesellschaftsstrukturen von Fernsehveranstaltern zu verzichten und die verfassungsrechtlich gebotene, besondere rundfunkrechtliche Konzentrationskontrolle neu zu gestalten“ (daselbst, S. 211). In dem Bericht werden demgemäß die Vorteile eines (Zuschauer-)Marktanteilsmodells in Anlehnung an die Obergrenzen der Pressefusionskontrolle diskutiert und es wird gefordert, dass Neuüberlegungen Regelungen zur Cross-ownership zwischen Rundfunk und Presse einerseits und zwischen Rundfunkveranstaltern und Produktionsfirmen bzw. Firmen für Rechteerwerb und Rechteverkauf von sendefähiger Software andererseits einbeziehen ( S. 211ff). Abschließend heißt es: „ Eine zukunftsorientierte Konzentrationskontrolle hat neben der ländergrenzenübergreifenden Multimediakonzentration die Trends zur Konvergenz von Telekommunikation, Datenverarbeitung und Medientechnologie zu berücksichtigen“ ( S. 214). Die unterbreiteten grundsätzlichen Vorschläge zur ordnungspolitischen Neuordnung der staatsvertraglichen Sicherung der Meinungsvielfalt fanden auch bei den Landesmedienanstalten eine positive Resonanz. Der Vorsitzende der Gemeinsamen Stelle Vielfaltsicherung der Landesmedienanstalten schreibt in seinem Vorwort zu den Gutachten und Berichten: „ Sie (die Landesmedienanstalten) sind nämlich nicht bereit, weiterhin für einen öffentlichen Eindruck zur Verfügung zu stehen, als hätten sie im Bereich der Medienkonzentrationskontrolle kraft politischer Entscheidung nur Alibifunktionen auszuüben“ (Schriftenreihe der Landesmedienanstalten, S. 8). Der dritte Rundfunkstaatsvertrag vom September 1996 enthält eine erneute Veränderung der materiellen Sicherung der Meinungsvielfalt (§25ff) und spezifische Vorschriften verfahrensrechtlicher Art – Auskunftsrechte und Ermittlungsbefugnisse der Landesmedienanstalten nach § 22 – und institutioneller Art – Bildung der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) und der Konferenz der Direktoren der Landesmedienanstalten (KDLM) gemäß §§35ff. Zur Sicherung der Meinungsvielfalt wird das Zuschauermarktanteilsmodell eingeführt. § 26 Abs. 1 lautet: „Ein Unternehmen … darf in der Bundesrepublik Deutschland selbst oder durch ihm zurechenbare Unternehmen bundesweit im Fernsehen eine unbegrenzte Anzahl von Programmen veranstalten, es sei denn, es erlangt dadurch vorherrschende Meinungsmacht nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen “. Abs. 2 legt fest: „ Erreichen die einem Unternehmen zurechenbaren Programme im Durchschnitt eines Jahres einen Zuschaueranteil von 30 von Hundert, so wird vermutet, dass vorherrschende Meinungsmacht gegeben ist. Gleiches gilt bei einer geringfügigen Unterschreitung des Zuschaueranteils, sofern das Unternehmen auf einem medienrelevanten verwandten Markt eine marktbeherrschende Stellung hat oder eine Gesamtbeurteilung seiner Aktivitäten im Fernsehen und auf medienrelevanten verwandten Märkten ergibt, dass der dadurch erzielte Meinungseinfluss dem eines Unternehmens mit einem Zuschaueranteil von 30 von Hundert im Fernsehen entspricht“. Abs. 3 legt fest, dass für Unternehmen mit vorherrschender Meinungsmacht kein weiteres Programm zugelassen oder im Falle einer Fusion diese nicht genehmigt werden darf.
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Abs. 4 regelt für den Fall des internen Wachstums eines Unternehmen in den Bereich vorherrschender Meinungsmacht, dass ihm folgende Maßnahmen offen stehen: Aufgabe von Beteiligungen, um unter die 30% Grenze zu gelangen, oder im Falle des Abs. 2 Satz 2 Verminderung der Marktstellung auf medienrelevanten verwandten Märkten oder Vielfalt sichernde Maßnahmen im Sinne der §§ 30 bis 32. Abs. 5 lautet: „Erreicht ein Veranstalter mit einem Vollprogramm oder einem Spartenprogramm mit Schwerpunkt Information im Durchschnitt eines Jahres einen Zuschaueranteil von 10 von Hundert, hat er …..Sendezeit für unabhängige Dritte nach Maßgabe von § 31 einzuräumen. …“ § 28 regelt die Zurechnung von Programmen: Abs.1 lautet: „Einem Unternehmen sind sämtliche Programme zuzurechnen, die es selbst veranstaltet oder die von einem anderen Unternehmen veranstaltet werden, an dem es unmittelbar mit 25 von Hundert oder mehr an dem Kapital oder an den Stimmrechten beteiligt ist…“. Abs. 4 legt fest, dass bei der Bewertung vergleichbarer Einflüsse – u. a. regelmäßige Gestaltung eines wesentlichen Teils der Sendezeit mit von dem anderen Unternehmen zugelieferten Programmteilen (Abs. 2) – bestehende Angehörigenverhältnisse einzubeziehen sind. Diese Vorschrift zielte auf den Kirch-Konzern ab, da der Konzernherr Leo Kirch vor dieser Novellierung stets darauf hingewiesen hatte, dass der Sender Pro 7 mehrheitlich seinem Sohn Thomas gehöre und deshalb ihm nicht zugerechnet werden dürfe. Der Übergang im dritten Rundfunkstaatsvertrag zum Zuschaueranteilsmodell beruht auf folgenden Fiktionen: 1. Zuschaueranteile – ermittelt aufgrund repräsentativer Erhebungen bei Zuschauern ab Vollendung des dritten Lebensjahres nach allgemein anerkannten wissenschaftlichen Methoden (§ 27) – simulieren Meinungsmacht in Analogie zu realen Marktanteilen, auch wenn weitgehend unbekannt ist, was diejenigen, die ein Fernsehgerät eingeschaltet haben, in der Zeit alles tun, in der ein bestimmtes Programm läuft. 2. Die 30%-Grenze unterstellt generell, dass bei nur vier Veranstaltern unter Einbeziehung der deutschsprachigen öffentlich-rechtlichen Programme – etwa drei Programme zu jeweils 29,9% und ein Programm zu 10,3% – publizistische Vielfalt gegeben ist. Allerdings wird diese 30%-Grenze abgesenkt in den speziellen Fällen einer marktbeherrschenden Stellung auf einem medienrelevanten verwandten Markt – cross-ownership –. 3. Für Veranstalter mit einem Vollprogramm oder einem Spartenprogramm mit Schwerpunkt Information und einem Zuschaueranteil von 10% oder mehr wird unterstellt, dass die Einräumung von Sendezeit für unabhängige Dritte – wöchentlich mindestens 260 Minuten, davon mindestens 75 Minuten in der Sendezeit von 19 Uhr bis 23.30Uhr (dies entspricht weniger als 3 % der wöchentlichen Sendezeit von 10080 Minuten bei 24stündiger täglicher Sendezeit) – einen zusätzlichen Beitrag zur Vielfalt in dessen Programm, insbesondere in den Bereichen Kultur, Bildung und Information leistet. Zur Organisation der Medienaufsicht regelt § 36, dass die KEK – und in einem speziellen Fall die KDLM – zuständig ist für die abschließende Beurteilung von Fragestellungen der Sicherung von Medienvielfalt im Zusammenhang mit der bundesweiten Veranstaltung von Fernsehprogrammen. Der KEK und der KDLM stehen durch die zuständige Landesmedienanstalt die Verfahrensrechte nach §§ 21 und 22 zu, d. h. sie haben detaillierte Auskunfts- und Ermittlungsrechte bis hin zur Einforderung einer eidesstattlichen Versicherung.
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Damit sind 1. Aufsichtsinstitutionen auf gleicher Augenhöhe – mindestens was die geographische Verbreitung der Programme angeht – geschaffen worden, allerdings in einem bestimmten Spannungsverhältnis zwischen KEK und KDLM – §37 Abs. 2: die KDLM kann mit 75% ihrer gesetzlichen Mitglieder einen Beschluss der KEK kippen ; 2. diese neuen Institutionen mit wesentlichen Untersuchungs- und Auskunftsrechten ausgestattet worden und 3. ihnen auch Sanktionsrechte bis hin zum Lizenzentzug eingeräumt worden. § 26 Rundfunkstaatsvertrag ist erneut geändert worden in Bezug auf die Berücksichtigung von medienrelevanten verwandten Märkten, ohne dass allerdings dies zur weiteren Klarheit beigetragen hat. In der Fassung des Neunten Rundfunkänderungsstaatsvertrages, in Kraft seit dem 1.3.2007, lautet § 26 Abs. 2: „Erreichen die einem Unternehmen zurechenbaren Programme im Durchschnitt eines Jahres einen Zuschaueranteil von 30 von Hundert, so wird vermutet, dass vorherrschende Meinungsmacht gegeben ist. Gleiches gilt bei Erreichen eines Zuschaueranteils von 25 von Hundert, sofern das Unternehmen auf einem medienrelevanten verwandten Markt eine marktbeherrschende Stellung hat oder eine Gesamtbeurteilung seiner Aktivitäten im Fernsehen und auf medienrelevanten verwandten Märkten ergibt, dass der dadurch erzielte Meinungseinfluss dem eines Unternehmen mit einem Zuschaueranteil von 30 von Hundert im Fernsehen entspricht“. In ihrem Jahresbericht 2002 hebt die KEK hervor, dass die verschärften Bestimmungen des Rundfunkstaatsvertrages nichts an der dominanten Position der beiden großen Fernsehveranstalter, der Kirch Gruppe und der RTL-Group (Bertelsmann) geändert haben. Das zentrale Problem im Hinblick auf die Entstehung vorherrschender Meinungsmacht sei das innere Wachstum der großen Medienkonzerne (S. 154). Damit wird deutlich, dass der Rundfunkstaatsvertrag keine strukturellen Vorkehrungen gegen ein Duopol der privatwirtschaftlichen Fernsehveranstalter enthält. Im Jahre 2005 nun hatten die KEK und die KDLM erstmalig die Gelegenheit, die Bestimmungen des Rundfunkstaatsvertrages zur Sicherung der Meinungsvielfalt in einem spektakulären Fall, nämlich der geplanten Übernahme der SAT 1-Gruppe durch die Axel Springer AG, anzuwenden. Die Auslegung des hier einschlägigen § 26 RStV ist von einer fortdauernden Kontroverse begleitet: Zum einen wird die Auffassung vertreten, es gäbe auf Grund der angegebenen Schwellenwerte für kritische Zuschaueranteile nur streng quantitative Beurteilungsmöglichkeiten bei der Überprüfung, ob ein Unternehmen vorherrschende Meinungsmacht erlangt hat. Dies bedeute, dass Fusionen, die nicht einen Zuschaueranteil von 25 % erreichen, nicht medienkonzentrationsrechtlich durch die KEK zu überprüfen wären (So zumindest einige Direktoren von Landesmedienanstalten. Vgl. auch Christoph Engel in einem Gutachten für den Axel Springer Verlag, allerdings mit wenig überzeugenden Argumenten). Da die ProSieben/Sat 1-Gruppe wie von der KEK amtlich ermittelt 2004 auf einen gemeinsamen Zuschaueranteil von 22% kommt, dürfte die KEK überhaupt nicht weiter prüfen – ihre Unbedenklichkeitsbescheinigung für die geplante Fusion wäre nicht erforderlich. Zum anderen geht eine auch von der KEK vertretene Ansicht davon aus, dass § 26 Abs. 1 RStV als eigenständiger Tatbestand unabhängig von den Vermutungstatbeständen des Abs. 2 anzusehen ist. Zwar
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lieferten die Vermutungstatbestände des Abs. 2 erste Anhaltpunkte für die Feststellung vorherrschender Meinungsmacht, aber insgesamt sei eine qualitative Gesamtbeurteilung der fusionierenden Unternehmen – ihrer Aktivitäten im Fernsehen und auf medienrelevanten verwandten Märkten – vonnöten. Diese qualitative Kriterien berücksichtigende Gesamtwürdigung könne sich daher auch auf Unternehmen beziehen, deren Zuschaueranteil auch nach der Fusion unter 25% liege. Die KEK begründet ihre Ansicht aus dem Zusammenhang der Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an eine vorbeugende Konzentrationskontrolle, insbesondere unter Verweis auf BVerfGE 73/ 116ff, 172ff. Außerdem beruft sich die KEK auf den Wortlaut, der neben den Vermutungen in Abs. 2 auf die Gesamtbeurteilung verweise. Diese Interpretation werde auch durch die Entstehungsgeschichte des § 26 RStV, seine Systematik und den Sinn und Zweck dieser Bestimmung gestützt. Die KEK sieht sich also mit Recht legitimiert, die geplante Fusion unabhängig von den Vermutungstatbeständen grundsätzlich zu überprüfen, wobei jedoch die qualitative Gesamtbeurteilung sich anlehnen muss an einen quantitativen Wert – Entsprechung zu einem Zuschaueranteil von 30% – und grundsätzlich zu berücksichtigen ist, dass die Beweise für eine vorherrschende Meinungsmacht umso detaillierter und überzeugender zu erbringen sind, je weiter der Zuschaueranteil nach der Fusion von 25% nach unten abweicht. Offenkundig geht es bei der Auslegung des §26 nicht allein um eine juristische Kontroverse, sondern auch um eine Auseinandersetzung zwischen KEK und KDLM um Zuständigkeiten und Beurteilungsspielräume bzw. um „die Führung“ im Zusammenwirken beider Institutionen. Ginge es nach der ersten Interpretationsvariante, so hätte die KEK lediglich quantitative Zuschaueranteile zu ermitteln und dürfte diesen Fall nicht prüfen. Folgt man demgegenüber der zweiten Interpretationsvariante, so müsste die zuständige Landesmedienanstalt, bei der die verschiedenen Kanäle der ProSieben/Sat 1-Gruppe zugelassen sind, für den Fall, dass die KEK bei ihrer auch qualitativen Gesamtwürdigung zur Feststellung vorherrschender Meinungsmacht gelangt und sie damit nicht einverstanden ist, die KDML anrufen und dort eine Dreiviertelmehrheit mobilisieren, um ihre Sicht der Dinge gegen die KEK durchzusetzen, d.h. die Fusion als unbedenklich passieren zu lassen. Wie verbissen die Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Landesmedienanstalten und der KEK geführt werden, ergibt sich auch daraus, dass der Präsident der Bayerischen Landesmedienanstalt – Sat 1 ist in Bayern lizenziert – gleich nach Bekanntgabe der geplanten Fusion durch die beteiligten Unternehmen und bevor die KEK überhaupt ihre Prüfung aufgenommen hatte, die Fusion begrüßt und als unbedenklich gemäß RStV erklärt hatte, ein Vorgehen, das durchaus auch als Befangenheit wegen offensichtlicher Parteinahme für die fusionierenden Unternehmen gewertet werden könnte. Doch zurück zur Prüfung durch die KEK: In Bezug auf medienrelevante verwandte Märkte untersucht die KEK akribisch die Marktpositionen des Axel Springer Verlages im Bereich der Presse. Bei den Tageszeitungen unterscheidet sie wie kartellrechtlich üblich Lesermärkte für regionale Abonnementzeitungen, für Straßenverkaufszeitungen und für überregionale Abonnementzeitungen. Wörtlich heißt es unter Punkt 7.1.1: „Bei einer bundesweiten Betrachtung der Auflagen der regionalen Abonnement-Tageszeitungen steht die Axel Springer AG mit einem Marktanteil von ca. 6,91% an dritter Stelle hinter der WAZ-Gruppe (9,17%) und der Verlagsgruppe
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Stuttgarter Zeitung/Rheinpfalz/Südwest Presse (8,47%)“. Diese Aussage verwundert, da die regionalen Abonnementzeitungen untereinander nicht im Wettbewerb stehen und daher eine bundesweite Betrachtung von Marktanteilen fehl geht. Richtiger und wichtiger sind daher die Aussagen der KEK zur Marktposition des Axel Springer Verlages in einzelnen Regionen: „In Hamburg erreichte die Axel Springer AG bei den Abonnement Tageszeitungen einen Marktanteil von 90% allein durch das Hamburger Abendblatt. … Für Berlin hat das Bundeskartellamt einen Marktanteil von 32,05% ermittelt“. Die KEK kommt demgegenüber allein für die Berliner Morgenpost auf 34,4%. In Lübeck kommen die Lübecker Nachrichten auf einen Marktanteil von 97,5%, in Rostock kommt der Springer Verlag auf 77,9%. Bei den Straßenverkaufszeitungen kommt die Bild-Zeitung als einzige mit nationaler Verbreitung auf 100% Marktanteil. Bezieht man sämtliche nur regional verbreiteten Straßenverkaufszeitungen in die Marktbetrachtung mit ein, so ermittelt die KEK für die Bild-Zeitung einen Anteil von 77,43%. Für die überregionalen Abonnement-Tageszeitungen ermittelt die KEK für ˛Die Welt‘ einen Marktanteil von 15,23% (Süddeutsche 27,59%, FAZ 23,92%). Bei den Sonntagszeitungen – ebenfalls ein eigener Markt – hat die Axel Springer AG gemäß Ermittlungen der KEK einen Anteil von 88,56%. In einer Gesamtbetrachtung ermittelt die KEK einen Anteil der Axel Springer AG an der durchschnittlichen gewichteten Gesamtauflage von 26,24% (einschließlich Sonntagszeitungen). Bei wöchentlich erscheinenden Programmzeitschriften liegt der Anteil des Axel Springer Verlages nach Ermittlungen der KEK bei 36,93%, bei 14tägig erscheinenden bei 16,5%. Werden beide Erscheinungsweisen zusammengefasst und gewichtet, so liegt der Axel Springer Verlag mit 29,01% an zweiter Stelle nach dem Bauer Verlag mit 48,15%. Die KEK ermittelt außerdem die Markpositionen des Axel Springer Verlages bei den Publikumszeitschriften, den Anzeigenblättern, im Online-Bereich und im Hörfunk. Um nun diese durchaus unterschiedlichen Marktpositionen auf medienrelevanten verwandten Märkten zu bewerten und „umzurechnen“ auf Meinungseinfluss entsprechend demjenigen im Fernsehen, wendet die KEK Gewichtungsfaktoren entsprechend der jeweiligen Suggestivkraft, Breitenwirkung und Aktualität an. Sie geht z.B. davon aus, dass der Meinungseinfluss der Presse 66,66% dem des Fernsehens entspricht. Sie geht von ihrer Gesamtbetrachtung des Marktanteils des Axel Springer Verlages auf dem Gesamtmarkt der Presse von 26% aus und ermittelt so 17% „äquivalent“ Fernsehanteil. Entsprechend verfährt sie bei den Programmzeitschriften des Axel Springer Verlages (4% Meinungseinfluss entsprechend Fernsehen), den Publikumszeitschriften (1%) und dem Online Meinungseinfluss (3%). Zusätzlich zu dem Zuschaueranteil der ProSieben/Sat 1-Gruppe von 22% addiert die KEK damit 25% Punkte als „Presse- bzw. Onlineäquivalente“ und kommt so auf 47% Entsprechung zu einem Zuschaueranteil. Da die KEK eine Bonifizierung durch Regionale Fenster (§26 Abs. 2 Satz 3) als zum Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht gegeben ansieht, liegt der ermittelte Zuschaueranteil 17 Prozentpunkte über der Höchstgrenzen von 30% – selbst bei Greifen der Bonusregel wären es immer noch 12 Prozentpunkte über dem zulässigen Zuschaueranteil. Die KEK kommt daher zu dem Schluss, dass die Fusion zu vorherrschender Meinungsmacht führt und daher abzulehnen ist.
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Die KEK hat mit der „Umrechnung“ von Pressemarktanteilen in Zuschauereinfluss im Fernsehen Neuland betreten. Ihre Argumentation ist nachvollziehbar wenngleich nicht in allen Punkten überzeugend. So ist z.B. die Gesamtbetrachtung der Presseaktivitäten – Anteil an der durchschnittlichen gewichteten täglichen Gesamtauflage in der Bundesrepublik – nicht mehr an einzelne Märkte rückgekoppelt. So lässt sich durchaus über die einzelnen Gewichtungsfaktoren streiten. Geht man stärker bei der medienrechtlichen Überprüfung einer marktbeherrschenden Stellung wie beim Bundeskartellamt vom Bedarfsmarktkonzept aus, so lassen sich abweichende Feststellungen zu den Prüfergebnissen des Bundeskartellamtes vermeiden. Inhaltlich gerechtfertigt ist dieses parallele Vorgehen durch die Verwendung des Begriffs „Marktbeherrschung“ auch in § 26 RStV. Nach GWB wird – wie ausgeführt – eine Marktbeherrschung angenommen, wenn ein Unternehmen einen Marktanteil von mehr als 33% hat bzw. drei oder weniger Unternehmen einen Marktanteil von über 50% haben. Hier ist zunächst zu berücksichtigen, dass die ProSieben/Sat 1-Gruppe eine 100%-Beteiligung an der SevenOne Media GmbH hält, die sowohl Werbezeiten für die Muttergesellschaft vermarktet, als auch eine Werbevermarktungskooperation mit dem Axel Springer Verlag betreibt. Nach eigenen Angaben erreicht die SevenOne-Media GmbH täglich mit den entsprechenden Medienangeboten drei Viertel der deutschen Gesamtbevölkerung. Nun könnte man einwenden, dass die Position des Axel Springer Verlages auf dem Werbemarkt nichts mit vorherrschender Meinungsmacht zu tun hat. Wenn man aber bedenkt, dass die Werbetreibenden, die für die gesendeten kommerziellen, rein am privatwirtschaftlichen Gewinn orientierten Programme bezahlen, deren Inhalte, zumindest aber das Spektrum der Inhalte, bestimmen, so führt eine marktbeherrschende Stellung auf den Medienwerbemärkten zu einem inhaltlichen Einflusspotential, bzw. zu einem Potential der Verhinderung kritischer, der Werbung treibenden Industrie unangenehmer Berichterstattung. Dem inhaltlichen Fernsehgeschäft ist daher der Fernsehwerbemarkt am nächsten verwandt. Wie vom Bundeskartellamt festgestellt, gibt es auf dem Fernsehwerbemarkt ein enges Oligopol mit nur 2 Beteiligten, nämlich der RTL-Gruppe und der ProSieben/Sat 1-Gruppe. Da der Axel Springer Verlag eine dominante Position auf den Pressemärkten und mithin auf den Pressewerbemärkten hat, würde die Fusion zu einer weiteren Konzentration auf den medialen Werbemärkten führen und damit schon über die Werbung den Einfluss dieses Verlages auf die öffentliche Meinungsbildung verstärken. Neben der Marktbeherrschung auf dem Fernsehwerbemarkt und ihrer Verstärkung durch die Marktposition des Axel Springer Verlages auf dem Pressewerbemarkt hat dieser Verlag wie schon erwähnt marktbeherrschende Positionen auf den Märkten der Straßenverkaufszeitungen (100% bzw. 77,43% unter Berücksichtigung der nur regional erscheinenden Straßenverkaufszeitungen), der Sonntagszeitungen (88,56%) und der wöchentlich erscheinenden Programmzeitschriften (36,93%). Wie sind diese Positionen der Marktbeherrschung und damit der Meinungsführerschaft zu bewerten in der Perspektive der Entsprechung zu einem virtuellen 30-prozentigen Zuschaueranteil? Ein erster Anhaltspunkt ergibt sich aus § 26 Abs. 2 Satz 2, 1. Alternative RStV, der bei 25% Zuschaueranteil auf 30 Prozent „hochrechnet“, wenn auf einem medienrelevanten verwandten Markt eine marktbeherrschende Stellung gegeben ist. Eine entsprechende Hochrechnung bei Kumulation von vier marktbeherrschenden Stellungen ergibt: 22 Prozent Zuschauer-
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marktanteil der zu übernehmenden Fernsehgruppe plus 4mal 5 = 20 Prozentpunkte, zusammen 42% virtueller Fernsehzuschaueranteil. Ein derartiges Ergebnis stimmt weitgehend mit den Ergebnissen der KEK überein und führt unabhängig von der Frage der Anwendung der Bonusregeln für regionale Fenster zur Feststellung der Bedenklichkeit der Fusion ebenso wie durch die KEK (Zu weiteren diesbezüglichen Argumentationen vgl. Lange 2005). Wie weit die Argumentationen der KEK mit unterschiedlichen Gewichtungsfaktoren für einzelne Pressemedien je nach Suggestivkraft etc. oder aber die hier favorisierten Begründungen, die einheitlich jede marktbeherrschende Stellung in medienrelevanten verwandten Märkten mit fünf Prozentpunkten äquivalent zu Zuschaueranteilen bewerten, in der Rechtsprechung zu § 26 RStV akzeptiert werden, bleibt abzuwarten. Die bayrische Landesmedienanstalt hat versucht, gegen die Entscheidung der KEK vorzugehen, konnte jedoch keine 3/4 Mehrheit in der KDML mobilisieren. Damit war die Fusion wie schon vom Bundeskartellamt auch von der KEK untersagt worden.
9.5 Öffentlich-rechtlicher Rundfunk Der Rundfunkstaatsvertrag in der aktuellen Fassung von 2007 beschreibt in § 11 den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat durch die Herstellung und Verbreitung von Hörfunk- und Fernsehprogrammen als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken….“(Abs.1). „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat in seinen Angeboten und Programmen einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben. Er soll hierdurch die internationale Verständigung, die europäische Integration und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Bund und Ländern fördern. Sein Programm hat der Information, Bildung, Beratung und Unterhaltung zu dienen. Er hat Beiträge insbesondere zur Kultur anzubieten“ (Abs.2). § 12 regelt die Finanzierung: „Die Finanzausstattung hat den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in die Lage zu versetzen, seine verfassungsmäßigen und gesetzlichen Aufgaben zu erfüllen, sie hat insbesondere den Bestand und die Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu gewährleisten“ (Abs. 1). § 13 bestimmt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk sich vorrangig durch Rundfunkgebühren, durch Einnahmen aus der Werbung und sonstige Einnahmen finanziert. Pay TV-Angebote im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Auftrages sind unzulässig (§ 13 Abs.1 Satz 2) ebenso wie Teleshopping-Angebote (§ 18). § 16 legt fest, dass die Gesamtdauer der Werbung im Ersten Fernsehprogramm der ARD und im Programm ˛Zweites Deutsches Fernsehen‘ jeweils höchstens 20 Minuten werktäglich im Jahresdurchschnitt beträgt Nach 20.00 Uhr und an Sonn- und bundesweiten Feiertagen dürfen Werbesendungen nicht ausgestrahlt werden. Sponsoring im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist dagegen nicht zeitlich limitiert. § 19 bestimmt die Zahl und Art der öffentlich-rechtlichen Rundfunkprogramme. „Die in der ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunkprogramme und das ZDF können ihre Programme auch in digitaler Technik verbreiten; sie sind darüber hinaus berechtigt, aus-
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schließlich in digitaler Technik jeweils bis zu drei weitere Fernsehprogramme mit den Schwerpunkten Kultur, Bildung und Information zu veranstalten. Die Programme können jeweils zu einem Gesamtangebot unter einem elektronischen Programmführer zusammengefasst werden (Programmbouquets); der wechselseitige Zugriff auf die gemeinsamen Pogramme ist sicherzustellen“ (Abs.4). Diese Bestimmung ist unter dem Gesichtspunkt der verfassungsrechtlichen Bestands- und Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, insbesondere was die Nutzung neuer technischer Infrastrukturen angeht, von Bedeutung. Außerdem deutet sie die Perspektiven der weiteren „Verspartung“ auch öffentlich-rechtlicher Programme an. Bisher war festgelegt, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten 0,75% ihrer Einnahmen für Online-Dienste ausgeben dürfen und diese nur im Rahmen einer Programmbegleitung oder -ergänzung zulässig sind. Angesichts der Entwicklung der Verbreitungstechniken und angesichts des Wandels der Kommunikationsgewohnheiten der Bevölkerung würde ein Festhalten an dieser Beschränkung die Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks begrenzen. So haben denn Mitte 2007 sowohl ZDF als auch die ARD ihre Online-Strategien bekannt gegeben. So wird das ZDF den Abruf aus ihren Video-Archiven ermöglichen und die ARD wird beispielsweise eine Kurzform der Tageesschau für die Nutzung auf dem Handy anbieten. Die kommerziellen Rundfunkanbieter protestieren heftig gegen diese Ausweitung der Aktivitäten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanbieter. Explizite Bestimmungen zur juristischen Regulierung des Wettbewerbs zwischen öffentlichrechtlichen und kommerziellen Veranstaltern – level playing field – fehlen im RStV. Durch die genannten Bestimmungen werden einerseits die Betätigungsfelder teilweise gegeneinander abgegrenzt – Verbot von Pay-TV und Teleshopping für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, aber explizite Erwähnung der Unterhaltung in dessen Funktionsauftrag – und andererseits wird die Konkurrenz um Einnahmen begrenzt – Limitierung der Werbung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Gleichzeitig wird die Konkurrenz um den Zugang zu neuen technischen Verbreitungskapazitäten – hier durch Begrenzung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten – geregelt. Neben den allgemeinen Bestimmungen des Rundfunkstaatsvertrages gibt es in den jeweiligen Ländern Rundfunkgesetze bzw. bei länderübergreifenden Sendegebieten wie beim NDR Länderstaatsverträge zu den Landesrundfunkanstalten mit spezifischen Bestimmungen zum dualen System.
9.6 EU-Rundfunkregulierung •
die Richtlinie ˛Fernsehen ohne Grenzen‘
Die Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ wurde 1989 erlassen, 1997 erstmals novelliert und steht 2007 – insbesondere im Blick auf neue technische Übertragungswege und veränderte Werbeformen – erneut zur Revision an. Da die Europäische Kommission ihre Legitimation zum Handeln allgemein aus der Aufgabe zur Gewährleistung des wirtschaftlichen Wettbewerbs auf einheitlichen gemeinsamen Märkten herleitet, ist ihr Hauptziel bei dieser Richtlinie die Harmonisierung des europäischen Fernsehmarktes. Dabei geht es insbesondere um die europaweite Geltung nationalstaatlicher Lizenzierungen, die Festlegung einheitlicher Werberege-
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lungen, die Festlegung von Quoten für europäische Werke und Bestimmungen zum Jugendschutz. Regelungen zur Werbung (Art. 10 – 16, 18) betreffen die Trennung von Werbung und Programm, durch optische beziehungsweise akustische Signale und Begrenzung der Werbezeit, die recht großzügig bemessen ist. Werbung darf nicht mehr als 15% der täglichen Sendezeit ausmachen und 12 Minuten pro Sendestunde nicht überschreiten. Filme, die länger als 45 Minuten dauern, dürfen pro 45 Minuten einmal durch Werbung unterbrochen werden und es müssen mindestens 20 Minuten Sendung zwischen zwei Werbeblöcken liegen. Werbung darf nicht in religiösen Sendungen geschaltet werden, für Tabakprodukte ist sie verboten. Unterschwellige Werbung ist zwar ebenfalls nicht erlaubt, doch man hat nicht präzisiert, was damit gemeint ist. Für Sponsoring wird vorgeschrieben, dass der Sponsor keinen Einfluss auf den Inhalt der gesponserten Sendung haben darf und am Anfang und am Ende der Sendung genannt werden muss (Art.17). Aufgrund dieser Richtlinie haben die Mitgliedstaaten – soweit praktikabel – dafür Sorge zu tragen, dass die Rundfunkanstalten mehr als die Hälfte ihrer Sendezeit – die Zeit für Nachrichten, Sportsendungen und Werbung nicht mitgerechnet – für europäische Werke reservieren (Art. 4 und 6). Des Weiteren wird den Mitgliedstaaten aufgetragen, den Jugendschutz und das Diskriminierungsverbot in Bezug auf Rundfunksendungen zu gewährleisten (Art. 22): Die Quotierung zugunsten europäischer Film- und Fernsehproduktionen ist umstritten, zum einen was das Prinzip angeht – unzulässiger Protektionismus oder notwendiger Schutz europäischer Kultur – zum anderen was die praktische Erfassung „europäischer Werke“ angeht – genügt es etwa, dass der Kameramann in Europa geboren wurde, oder muss ausschließlich in Europa gedreht worden sein. (Zur Richtlinie im Einzelnen vgl. Machet) Die gegenwärtige Novellierung bezieht sich insbesondere auf die Zulässigkeit unterschwelliger Werbung etwa durch Product Placement, wenn wie beim Sponsoring vor und nach der Sendung darauf hingewiesen wird. Damit soll offenbar den Gesetzmäßigkeiten kommerziellen Rundfunks Rechnung getragen werden. Angesichts des weit verbreiteten Zapping, bei dem oft weder Anfang noch Ende der Sendung angeschaut wird, ist die Erwähnung am Anfang oder am Ende der Sendung ein bloßes Feigenblatt, um Kritik an weiterer Kommerzialisierung ruhig zu stellen. „Da es sich bei der europäischen Einigung von Anfang an vornehmlich um eine wirtschaftliche Bewegung handelte, kann es allerdings nicht verwundern, dass die Grundtendenz der EU-Kommission darauf abzielt, den Rundfunk vornehmlich als wirtschaftliche Veranstaltung aufzufassen und auch die Rundfunkordnung insgesamt stark marktwirtschaftlich auszugestalten. Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk besteht daher die Gefahr, dass die Kommission über den Funktionsauftrag der Anstalten maßgeblich befindet und somit ihre Finanzgrundlagen erheblich beschneidet“ (Holznagel, S. 293). •
EU und öffentlich-rechtlicher Rundfunk
Trotz der kritischen Position der EU-Kommission zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Allgemeinen und zu seiner Finanzierung im Besonderen gelang es 1997, in Ergänzung des EG-Vertrages im Amsterdamer Protokoll die Kompetenz der EU-Mitgliedstaaten festzuschreiben, über die Ausgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eigenständig zu verfügen und eine entsprechende Finanzierung festzulegen – insoweit „die Handels- und Wettbewerbs-
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bedingungen in der Gemeinschaft nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt werden, das dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft, wobei den Erfordernissen der Erfüllung des öffentlichrechtlichen Auftrages Rechnung zu tragen ist“. Dies zeigt einerseits, dass es der öffentlichrechtliche Rundfunk in Europa mit tatkräftiger Unterstützung der Regierungschefs erreicht hat, seine Existenzberechtigung festzuschreiben, soweit und solange die Mitgliedstaaten dies für ihr Hoheitsgebiet wollen. Dies war ein wichtiger Erfolg. Andererseits lässt die Formulierung dieses Protokolls mit dem Hinweis auf mögliche Beeinträchtigungen der Handels- und Wettbewerbsbedingungen die Tür für eine erneute Überprüfung zur Organisation und Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu. So hat der frühere Wettbewerbskommissar Karel van Miert versucht, die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks daraufhin zu prüfen, ob es sich um unzulässige staatliche Beihilfen im Sinne des EU-Vertrages handele. Es war sein Ziel, entgegen dem umfassenden Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – zumindest in Deutschland – zur Veranstaltung von Rundfunkvollprogrammen – Information, Bildung und Unterhaltung –, Einnahmen aus der Rundfunkgebühr bzw. staatliche Zuschüsse in anderen europäischen Ländern detailliert auf kulturelle Programme zu begrenzen, die von kommerziellen Sendern in der Konkurrenz nicht veranstaltet werden können. In Konsequenz dieser Argumentation lag eine Definition von „Wettbewerbsgleichheit“ für den öffentlichrechtlichen Rundfunk zugrunde, der nur seine Kulturprogramme im eigentlichen Sinne aus Rundfunkgebühren finanzieren dürfe, sich ansonsten aber dem Wettbewerb auf gleicher Ebene – und das heißt finanziert über Werbung oder als Pay-TV – stellen müsse. Der Wettbewerbskommissar hat sich jedoch nicht durchgesetzt. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass in Europa zwischen staatsfernen Rundfunkgebühren einerseits, wie es sie in Großbritannien und Deutschland gibt, und staatlicher Finanzierung bzw. staatlichen Zuschüssen andererseits, wie in Frankreich und Portugal, zu unterscheiden ist. Die Rundfunkanstalten in Deutschland erhalten die Rundfunkgebühren auf gesetzlicher Basis von den Bürgern und nicht vom Staat. Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk besonders in Deutschland historische Wurzeln hat, die eine rein wirtschaftspolitische Betrachtung seiner Finanzierung verbieten. Auf Drängen der kommerziellen Veranstalter hat die EU-Kommission ein weiteres Verfahren gegen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland durchgeführt, und zwar in Bezug auf deren Verflechtungen mit privatwirtschaftlichen Unternehmen und in Bezug auf deren Internetangebote. Hier hat sie mehr Transparenz gefordert, im Übrigen aber das Verfahren Anfang 2007 eingestellt. •
die gescheiterte Richtlinie zur Medienkonzentration
Trotz hartnäckigen Drängens des Europäischen Parlamentes ist es bisher nicht gelungen, eine „Medienkonzentrationsrichtlinie“ auf den Weg zu bringen. Der Wettbewerbskommissar Monti wollte unter Verweis wiederum auf Harmonisierungsnotwendigkeiten im einheitlichen europäischen Markt – wie gegenwärtig in Deutschland gültig – eine Marktanteilsbegrenzung von 30% für die jeweiligen nationalen Rundfunkmärkte festschreiben. Doch der politische Widerstand von kommerziellen Rundfunkveranstaltern, die bereits in ihrem jeweiligen Land einen höheren Zuschauermarktanteil als 30% hatten – Berlusconis Mediaset in Italien, TF 1 in Frankreich und SIC in Portugal – war zu groß. Diese Rundfunkveranstalter hätten bei Durch-
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setzung der Richtlinie entflochten werden müssen oder aber der unternehmerische Einfluss der Eigentümer hätte beschränkt werden müssen. Dafür gab es weder Vorbilder noch die politische Kraft, zumal in einem Sektor, in dem die Politiker, immer auf eine wohlwollende Presse oder Rundfunkberichterstattung bedacht, die Medien„bosse“, die zum Teil selber einflussreiche Politiker sind, nicht verärgern wollen.
9.7 Kritik und Perspektiven Kritik an der juristischen Regulierung von Medienwettbewerb und -konzentration kann zunächst als immanente Kritik formuliert werden: Da ist zunächst die Problematik unterschiedlicher, sich überschneidender Rechtsgebiete und institutioneller Zuständigkeiten. Dies gilt zunächst horizontal für das Nebeneinander des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen und seiner Fusionskontrolle nach wirtschaftsrechtlichen Kriterien einerseits und dem Rundfunkstaatsvertrag mit zum Teil kommunikationswissenschaftlichen Kriterien andererseits. Entsprechend stehen Bundeskartellamt einerseits und Landesmedienanstalten, KEK und KDLM andererseits nebeneinander. Dies erfordert hohen Koordinationsbedarf und kann zu Konflikten bei unterschiedlichen Entscheidungen im gleichen Fall führen. Dies gilt aber auch vertikal in Bezug auf Bundesländer bezogene, nationale und EU Entscheidungen, wobei die EU rein wettbewerbsrechtlich argumentiert. Des weiteren ist in historischer Perspektive auf die Problematik des parallelen Paradigmenwechsels in Bezug auf staatliche Infrastrukturverantwortung für Telekommunikation hin zur Deregulierung, Privatisierung und Liberalisierung unter der Kontrolle der Bundesnetzagentur und der Einführung des kommerziellen Rundfunks unter der Kontrolle der Landesmedienanstalten und der KEK als Abkehr von der alleinigen Programmhoheit öffentlich-rechtlicher Sender hinzuweisen: die Erfahrungen mit „regulated industries“ in den USA – Industrien, für die auf Grund ihres Netzcharakters bzw. ihrer externen Effekte wirtschaftlicher Wettbewerb nur schwer herzustellen ist und die daher durch „regulatory commissions“ überwacht werden – sind nicht positiv (vgl. die politikwissenschaftliche Analyse). Bezüglich des bundesrepublikanischen Kartellgesetzes und des EU-Wettbewerbsrechts und deren Anwendungen im Mediensektor ist festzustellen, dass nur die Fusionskontrolle wirksam ist, sie aber immer in Deutschland durch das Damoklesschwert der Ministererlaubnis bedroht ist. Außerdem ist die Schwelle der Marktbeherrschung bei 33% sehr hoch angesetzt. „Gewachsene“ Monopole – lokale oder regionale Alleinstellungen auf Pressemärkten oder marktbeherrschende Stellungen auf Rundfunkmärkten – wettbewerbsloses Duopol auf dem Fernsehwerbemarkt auch unabhängig von der Fusion Axel Springer Verlag und ProSieben/Sat 1Gruppe – durch überproportionales internes Wachstum werden nicht angegriffen: Hier herrscht eine Asymmetrie zwischen einer relativ strengen Fusionskontrolle und einer – zumindest in der Bundesrepublik – zahnlosen Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen, die nicht zu rechtfertigen ist, da die Wirkungen die gleichen sind egal ob die marktbeherrschende Stellung durch eine Fusion oder durch überproportionales Wachstum zustande kommt. Es ist ein eklatantes Versäumnis der juristischen Regulierung im Mediensektor bzw. der Medienpolitik, dass die weit verbreiteten lokalen bzw. regionalen Monopolzeitungen in Deutschland ihre Position unangefochten, und d. h. ohne Bedrohung durch potentiellen
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Wettbewerb, ausnutzen können. Dies steht eindeutig im Widerspruch zu den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an die Gewährleistung der Pressefreiheit. Bezüglich des Rundfunkstaatsvertrages ist kritisch anzumerken, dass die impliziten Regelungen zum Neben-/Mit-/Gegeneinander der beiden Säulen im dualen System anmuten wie Begrenzungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und Förderungen des kommerziellen, was den verfassungsrechtlichen Vorgaben widerspricht, denn kommerzieller Rundfunk ist nur solange legitimiert, als der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen Funktionsauftrag uneingeschränkt erfüllen kann. Offenbar gibt es bei den Verfassern des Rundfunkstaatsvertrages wie bei denen des Telekommunikationsgesetzes die Tendenz, dass die „überkommenen“ Institutionen – die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und die Deutsche Telekom – stark zu zügeln und unter wettbewerblichen Druck zu setzen seien, damit sich die Newcomer – die kommerziellen Sender und die neuen Telekommunikationsunternehmen – entfalten können. Dabei wird fälschlicher Weise unterstellt, dass die Newcomer kleine, innovative Unternehmen seien: die kommerziellen Sender wurden von großen Medienunternehmen – Bertelsmann, Kirch und Springer – ins Rennen geschickt und die neuen Telekommunikationsunternehmen gingen auch aus etablierten Großunternehmen – z.B. Vodaphone aus Mannesmann – hervor. Übertagen auf andere kulturelle Bereiche würde diese Argumentation lauten, dass der Gesetzgeber zu bestimmen habe, dass private Schulen den öffentlichen gleichstehen und die privaten Schulen finanziell dann bessere Existenzmöglichkeiten erhalten müssten. Bezüglich der Konzentrationskontrolle im Rundfunkstaatsvertrag ist auf die grundsätzliche Problematik des Rückschlusses von einer Anbieterzahl auf mediale Vielfalt hinzuweisen. Ein Zuschauermarktanteil von 30% ist ökonomisch die Sanktionierung eines wettbewerbslosen Oligopols – vier Unternehmen können den Markt unter sich aufteilen –, die Regelung tut niemandem weh und folgt der realen Konzentrationsentwicklung. Wirksamkeit entfaltet die Regelung – wenn überhaupt – nur bei der Fusionskontrolle. Die Problematik liegt hier ähnlich wie beim GWB. Der schnelle Wandel der Antikonzentrationsbestimmungen im Rundfunkstaatsvertrag verhinderte bisher die Herausbildung einer gesicherten Anwendungspraxis. Dies gilt besonders in Bezug auf die Problematik der beteiligungsgleichen Tatbestände, die eine Hochrechnung auf virtuelle 30% erfordern. Die wirtschaftswissenschaftliche Argumentation des Bundeskartellamtes zu Marktabgrenzungen und zur Marktbeherrschung ist relativ gefestigt, daran lehnt sich der RStV an. Dagegen steht die Erfassung vorherrschender Meinungsmacht, sobald sie sich von der wirtschaftswissenschaftlichen Argumentation entfernt, noch auf schwachen Füssen, auch weil sich die Regelungen im Zeitablauf rasch ändern. Gesucht werden auch zur Anwendung des RStV handfeste juristische Indikatoren für publizistische Einflussgrößen. Grundsätzlich ist zu fragen, ob die Bestimmungen des Rundfunkstaatsvertrages zur Konzentrationskontrolle mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts übereinstimmen. Der RStV erweckt den Anschein, als wollten die Bundesländer „ihren“ Senderfamilien nicht wehtun, sondern sie besonders schützen. Immanente Perspektiven gehen in die Richtung, verstärkt über die vertikale Konzentration hinaus die großen Inhalteproduzenten, Nachrichten- und Bildagenturen und Rechteinhaber zu berücksichtigen, die angesichts der besonderen Bedeutung, die attraktiven Inhalten auf den Medienmärkten zukommt, in ihrer publizistischen Bedeutung und damit ihrem potentiellen Meinungseinfluss zu erfassen sind (vgl. Gutachten des Bredow-Instituts für die KEK, S.46).
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Außerdem gelte es, ein „Gesamtmedienmodell zu erarbeiten, in welches die Aktivitäten eines Medienunternehmens (Zeitungen, Zeitschriften, TV und Internet) gleichberechtigt einbezogen werden. Dabei müsse die Berechnungsgrundlage der jeweiligen vermuteten Meinungsmacht von vorneherein klar sein“. Außerdem sollte eine engere Verzahnung des Medienrechts mit dem Kartellrecht vorgesehen werden (Schulz und Held S. 25: „Wer bildet mir meine Meinung?“) Auf der institutionellen Ebene ist erneut auf das Spannungsverhältnis zwischen KEK und Landesmedienanstalten bzw. KDLM hinzuweisen. Hier sollte die KEK dadurch gestärkt werden, dass ihre Entscheidung nicht mehr durch Landesmedienanstalten aufgehoben werden kann. Die Überprüfung durch Gerichte bliebe unberührt. Nach wie vor gibt es eine mangelnde Transparenz in Bezug auf beteiligungsgleiche Tatbestände und mangelnde Untersuchungsrechte und Sanktionen bei Landesmedienanstalten und KEK trotz wesentlicher Verbesserungen im RStV. Die Bestimmungen für beide Säulen des dualen Systems bezüglich europäischer Werke, Werbung und Berichterstattung enthalten einerseits unbestimmte Begriffe und sind daher weitgehend nur Programmsätze und andererseits, was den kommerziellen Rundfunk angeht, sind sie realitätsfern, denn strukturbedingt beeinflusst die Werbung den Inhalt des „übrigen Programms“. Werbung wird nur dann in kommerziellen Programmen geschaltet, wenn das programmliche Umfeld „passt“, d. h. wenn die Zielgruppen der Werbung – die 14- bis 45 jährigen, die noch nicht „markentreu“ sind und deshalb noch für die beworbenen Marken konditioniert werden können – vor dem Fernsehschirm versammelt sind und die Inhalte des Programms ihre Aufmerksamkeit fesseln, eine Aufmerksamkeit, die „unmerklich“ auf die Werbebotschaften übertragen werden soll. Als die juristische Regulierung übergreifende Kritik lässt sich formulieren, dass sich generell der Anspruch an kommerzielle Programme, dass sie eine „gleichgewichtige Vielfalt“ präsentieren – die Herstellung eines Meinungsmarkt, auf dem die Vielfalt der Meinungsrichtungen unverkürzt zum Ausdruck gelangt (BVerfGE 57) – nicht erfüllen lässt. Der Anspruch und die Realität der vorrangig kommerziellen, über Werbung finanzierten Unterhaltungsprogramme – u. a. zugeschnitten auf die Altersgruppe bis 49 Jahre – klaffen weit auseinander und diese Lücke ist im privatwirtschaftlichen Wettbewerb nicht überbrückbar, da sie strukturbedingt ist: die Zielgruppenselektion des kommerziellen Rundfunks nach betriebswirtschaftlichen Verwertungskriterien ist mit den Anforderungen an einen ˛Meinungsmarkt‘, der alle Bevölkerungskreise umfasst, nicht vereinbar. Generell ist festzustellen, dass das Bundesverfassungsgericht in langjähriger ständiger Rechtsprechung Leitlinien für den Wettbewerb im dualen Rundfunksystem und für die vorbeugende Konzentrationskontrolle beim kommerziellen Rundfunk aufgestellt hat, die aber nur unvollkommen im RStV und in den Landesmediengesetzen konkretisiert worden sind. Medienregulierung durch Recht bietet daher ein ambivalentes Bild: das Bundesverfassungsgericht als Fels in der Brandung der wirtschaftlichen und politischen Interessenauseinandersetzungen einerseits und Rechtsetzung und -anwendung auf Landesebene als schwankendes Rohr im Wind der Lobbyisten. Zur sozialwissenschaftlichen Bewertung des politischen und wirtschaftlichen Einflusses auf die jeweilige Ausgestaltung des RStV und die ihn anwendenden Institutionen sei auf die folgende politikwissenschaftliche Analyse verwiesen.
10. Die politikwissenschaftliche Evaluation: Die historische Entwicklung von Medienwettbewerb und -konzentration vor dem Hintergrund der Kommunikationspolitik 10.1Geschichtliche Erfahrungen: Gemeinsamkeiten des Journalismus in Deutschland und Tabus im Medienwettbewerb •
der unheilvolle Einfluss der Presse des Hugenberg-Konzerns und die Konsequenzen
Die erzkonservative Presse des Hugenbergkonzerns in der Weimarer Republik im Interesse der Montanindustrie hat die Machterteilung an Hitler tatkräftig vorbereitet und unterstützt. Schließlich ist es die marode Stahlindustrie gewesen, die Hitler gegen den Widerstand der exportorientierten Wirtschaft 1933 auf den Schild gehoben hat, da sie von ihm über Rüstungsaufträge einen Aufschwung erwartete. Eine Konsequenz aus diesen leidvollen Erfahrungen nach 1945 war, dass Presseunternehmen unabhängig von speziellen wirtschaftlichen Interessen sein und agieren sollten. Eine weitere politische Konsequenz ist bis heute: nie wieder Unilateralismus in der deutschen Außenpolitik sondern ausdrückliche Einbindung Deutschlands in multilaterale Bündnisse und die europäische Integration. Schließlich ist – und dies ist Konsens aller demokratischen Parteien – aus der Geschichte abgeleitet worden, dass Deutschland sich besonders für das Existenzrecht Israels einzusetzen hat. Bundeskanzlerin Merkel hat die Anerkennung des Existenzrechts Israels in gesicherten Grenzen als Teil der heutigen deutschen Staatsräson bezeichnet. Diese Grundorientierungen deutscher Politik über Parteigrenzen hinweg prägen auch den überwiegenden Teil der deutschen Presse und der Rundfunkprogramme. Axel Cäsar Springer hat frühzeitig zu Beginn der Bundesrepublik Deutschland für die Blätter seines Konzerns in diesem Sinne vier Orientierungen formuliert: Eintreten für die Wiedervereinigung, Eintreten für die soziale Marktwirtschaft, Beistand für Israel und Westintegration. Es gibt aber auch Grundorientierungen, abgeleitet aus den historischen Erfahrungen, die den Blick für die Realitäten verstellen und daher gefährlich sind. Dies trifft z.B. auf Multikulti-Illusionen zu. Es gilt für viele Politiker und Medien immer noch als political correct, ausländische Parallelgesellschaften in Deutschland zu ignorieren bzw. aus missverstandener Toleranz zu akzeptieren, obwohl Integration in weiten Teilen als gescheitert anzusehen ist (vgl. Giordano). •
Anforderungen an journalistische Professionalität und Unabhängigkeit einerseits und Quellenschutz andererseits
Angesichts der leidvollen Erfahrungen mit staatlicher Propaganda unter dem Nationalsozialismus ergaben sich aus der politischen Geschichte besondere Anforderungen an den Journalismus, die auch den Medienwettbewerb prägen sollten. So geht es um Kriterien journalistischer Professionalität wie Trennung von Nachricht und Meinung, wie sorgfältige Recherche und wie Wahrung journalistischer Unabhängigkeit. Letzteres lässt sich auch umgekehrt formulieren:
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10. Die politikwissenschaftliche Evaluation: Die historische Entwicklung von Medienwettbewerb ...
Ein verantwortlicher Journalist darf sich nicht „einkaufen“ lassen im Sinne der Vereinnahmung für spezielle Interessen. Voraussetzung für die Ausübung eines verantwortlichen Journalismus ist dreierlei: eine gute Ausbildung, eine finanzielle und arbeitsrechtliche Absicherung und die Gewährleistung des Schutzes der Quellen, aus denen der Journalist schöpft. Misst man die Realität des alltäglichen Journalismus an diesen Vorgaben, so lassen sich in manchen Bereichen erhebliche Diskrepanzen feststellen: viele Journalisten sind heute „freischaffend“ und damit finanziell in einer prekären Lage; viele Journalisten sind schlecht ausgebildet – oft arbeiten sie „nebenberuflich“; oft verstehen sie sich als „Lehrmeister“ und nicht als „Diener“ der Bürger. Die Lehren der Vergangenheit sind verblasst und der journalistische Berufsstand erscheint vielen Bürgern als einfacher, „billiger“ Job mit wenig Prestige. Manchen erscheint er sogar in einem gewissen Zwielicht. Die Datensammelwut des Staates unter dem Deckmantel der Terrorismusabwehr führt vermutlich dazu, aus Journalisten in Zukunft Geheimnisträger zweiter Klasse zu machen. Ihr Recht auf Zeugnisverweigerung und damit auf Informantenschutz soll offenbar aufgeweicht werden. „Das Vorhaben trifft die Medien ins Mark. Absolute Vertraulichkeit ist die Geschäftsgrundlage von enthüllendem Journalismus. Wer wird sensible Daten weitergeben, zumal aus Behörden, wenn er annehmen muss, dass Polizei und Verfassungsschutz alles mitbekommen? … Damit wird ein investigativer Journalismus schwieriger, gerade dann, wenn es um die Überwachung des Staates geht“ (DER SPIEGEL 44/2007, S. 130ff: Loch in der Pressefreiheit). •
Achtung der Grundrechte und der Persönlichkeitsrechte?
Die Lehren der Vergangenheit führen zu einem verfassungsrechtlich „unbedingten“ Schutz der Grundrechte und insbesondere zum Persönlichkeitsschutz. Menschen dürfen niemals als bloße Objekte sei es staatlichen sei es gesellschaftlichen Handelns angesehen werden. Dies ist zum einen von Bedeutung bei der Berichterstattung in der Boulevardpresse über „Personen der Zeitgeschichte“ und Politiker, zum anderen in Bezug auf Action-Filme und Computerspiele, zum Dritten in Bezug auf die Berichterstattung über die Lebensbedingungen von Ausländern in Deutschland. Immer geht es um das Spannungsverhältnis von Persönlichkeitsschutz und Pressefreiheit. Der Persönlichkeitsschutz im erst genannten Bereich wird durch die Regenbogen-Presse („Klatschpresse“) und durch ihren besonderen Drang nach Auflagensteigerung durch Paparazzi-Berichte immer wieder ausgetestet bzw. ausgehöhlt. Der Persönlichkeitsschutz ist in jüngster Zeit durch die Rechtsprechung wieder verstärkt worden indem der ungenehmigten Veröffentlichung von Bildern aus der reinen Privatsphäre ein Riegel vorgeschoben wurde – sehr zum Leidwesen der betroffenen Verleger. Auch ist das Gegendarstellungsrecht der von falscher oder erfundener Berichterstattung Betroffenen verbessert worden. Diese rechtspolitischen Grenzziehungen in Bezug auf Pressefreiheit einerseits und Persönlichkeitsschutz andererseits sind von besonderer Bedeutung angesichts der ökonomischen Imperative der Boulevardpresse, über sensationelle „Stories“ Auflagen und damit den Gewinn zu steigern – auch wenn diese Grenzziehungen möglicherweise nicht ausreichen. Günter Wallraff, der vor 30 Jahren unter falschem Namen in der Redaktion der Bildzeitung anheuerte, um die teils dubiosen Arbeitsmethoden authentisch kennen zu lernen, wird mit folgenden Worten zitiert: „Die „Bild“ - Zeitung ist das Zentralorgan des Rufmordes in Deutschland und eine publizistische Umweltverschmutzung -
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daran hat sich seit meiner Arbeit als Hans Esser nichts geändert“ (Rhein-Zeitung, 2.8.2007, S. 2). Zur Begründung dieser harten Kritik führt Wallraff aus: „Jeden Tag werden Menschen von dem Blatt mit Dreck beworfen. Prominentes Opfer ist gerade Landwirtschaftsminister Horst Seehofer. Im Herbst 2006 war es EU-Industriekommissar Günter Verheugen. Das Privatleben beider Politiker wurde über regelrechte Kampagnen – auch von der Zeitschrift „Die Bunte“ – an die Öffentlichkeit gezerrt. Menschenjagd nenne ich das. Einfach abscheulich!“ (ebenda). (Nach Aussagen von Wallraff hat der Bundessgerichtshof die von Wallraff angewandte Arbeitsmethode ausdrücklich legalisiert und zwar mit dem Argument, dass die „Bild“-Zeitung eine ˛Fehlentwicklung im deutschen Journalismus‘ sei (ebenda)). Die heutigen engen Grenzen der Pressefreiheit werden an einer Auseinandersetzung um die Definition von Originalen der Bildhauerkunst deutlich. Der ARP-Verein – er betrieb zusammen mit dem Land Rheinland-Pfalz das ARP-Museum in Rolandseck nahe Bad Godesberg qualifiziert auch Güsse nach dem Tod des Künstlers als Originale. Ein Journalist, der dies heftig kritisierte, durfte, nachdem der ARP-Verein mit juristischen Mitteln, mitfinanziert vom Land Rheinland-Pfalz, gedroht hatte, in der FAZ nicht mehr publizieren (vgl. Rhein-Zeitung, 27.9.2007 S. 1). Persönlichkeitsschutz und Kunstfreiheit stehen ebenfalls in einem Spannungsverhältnis. Das Bundesverfassungsgericht hat mit 5 zu 3 Stimmen in einer Entscheidung vom Oktober 2007 zur Wahrung des Persönlichkeitsrechts der Ex-Freundin des Romanautors Biller das Verbot von dessen Roman „Esra“ bestätigt. In dem Buch komme es zu der genausten Schilderung intimster Details einer Frau, die deutlich als tatsächliche Intimpartnerin des Autors erkennbar sei. Die Kunstfreiheit schließe zwar die Verwendung von Vorbildern aus der Lebenswirklichkeit ein. Je stärker aber „Abbild und Urbild“ übereinstimmten, umso schwerer wiege die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts (vgl. Rhein-Zeitung, 13.10. 07) Persönlichkeitsschutz in Bezug auf Computerspiele und Actionfilme stellt sich allerdings anders dar. Bei Spielen wie Counter Strike handelt es sich um virtuelle Menschen. Das Töten dieser virtuellen Menschen erfolgt ohne einen gesellschaftlichen Kontext als reiner Selbstzweck und ist damit als gefährliche Gewaltverherrlichung einzustufen. In Actionfilmen werden reale Menschen gemordet und auch hier werden die Mörder „verherrlicht“, indem sie aus dem Töten Befriedigung ableiten. Die getöteten Menschen sind in beiden Fällen bloße Objekte, aber sie genießen keinen Persönlichkeitsschutz, sonst wären derartige Spiele oder Filme verboten. Solche Medien sind wegen der von ihnen ausgehenden Sozialisationswirkungen gefährlich, da Gewaltanwendung als Triebabfuhr und mit Lustgewinn verbunden dargestellt wird und damit kein Raum für die Entwicklung emphatischer menschlicher Verhaltensweisen gelassen wird (vgl. dazu auch unten Kap. 11). Aus der unterlassenen rechtspolitischen Ahndung derartiger medialer Präsentationen lässt sich auf die Stärke der hinter diesen Angeboten stehenden wirtschaftlichen Interessen zurück schließen wie auf die Schwäche staatlicher Medienpolitik im weitesten Sinne. In Bezug auf die Lebensbedingungen von Ausländern in Deutschland darf es in der Berichterstattung kein Tabu geben. Vielen türkischen Frauen in Deutschland werden in ihren Familien die elementaren Menschenrechte vorenthalten. Dies darf nicht auf Grund von MultikultiIllusionen verharmlost oder gar verschwiegen werden. Hier ist Deutschland bisher weitgehend von einer Kultur des Wegsehens geprägt. Die Auswirkungen auf unsere Gesellschaft und auf unsere Kultur werden bisher kaum beachtet und schon gar nicht umfassend analysiert.
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Die wehrhafte Demokratie: strafrechtliche Verfolgung von Gewaltverherrlichung, Volksverhetzung und Leugnung des Holocaust
Als Konsequenz aus der politischen Verarbeitung spezifisch deutscher geschichtlicher Erfahrungen verbietet § 130 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) die Störung des öffentlichen Friedens durch die Aufstachelung der Bevölkerung zum Hass gegen Teile der Bevölkerung oder die Aufforderung zur Gewalt gegen sie. Außerdem wird strafrechtlich verfolgt, wer den öffentlichen Frieden dadurch stört, dass er die Menschenwürde anderer angreift oder dass er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet. § 130 Abs. 3 StGB verbietet die öffentliche Leugnung, Billigung oder Verharmlosung des Holocaust. § 80 StGB schließlich ahndet die Aufstachelung zum Angriffskrieg und knüpft damit an Art. 26 I GG – Verfassungswidrigkeit von Angriffskriegen – an. Diese Straftatbestände stellen äußere Grenzen auch der journalistischen Arbeit und des medialen Wettbewerbs dar. In Bezug auf die Verharmlosung Billigung oder Leugnung des Holocaust ist teilweise umstritten, ob dieser Straftatbestand als allgemeines Gesetz im Sinne der Schranken des Art. 5 GG einzuordnen ist, da z.B. das Verbot der Verharmlosung sich gegen eine bestimmte Meinung richtet. In Bezug auf die Leugnung kann man mit Fug und Recht argumentieren, dass es sich um eine erwiesenermaßen falsche Tatsachenbehauptung handelt. In Bezug auf die die Verharmlosung bzw. Billigung muss die Argumentation berücksichtigen, dass es sich um eine empfindliche Störung des öffentlichen Friedens handelt, die angesichts des unendlichen Leids, das durch den Holocaust verursacht wurde, in diesem Grenzbereich zu unterbinden ist auch wenn damit der Meinungsfreiheit engere Grenzen gezogen werden. Öffentlich diskutiert wird die Einführung eines neuen Straftatbestandes der „Hasskriminalität“, mit dem rechtsextreme Straftaten härter verfolgt und geahndet werden können. Dagegen wird eingewandt, dass es genügend Straftatbestände gebe, es allerdings an ihrer konsequenten Anwendung mangele.
10.2 Politikwissenschaftliche Analyse von Kommunikationspolitik „Politik assoziieren wir seit alters her mit öffentlichem Handeln, mit dem Erwerb und der Kontrolle von Macht. Das prägt auch das Selbstverständnis von deutschen Politikwissenschaftlern, die – danach befragt – Konflikt, Interesse, Macht und Konsens für die unverzichtbaren Grundbegriffe des Faches halten“ (Kleinsteuber, S. 21). Bei der politikwissenschaftlichen Analyse von Medienpolitik steht daher die Frage nach dem Erkämpfen und Verteidigen von Medienmacht im Vordergrund. Damit fühlt sich die Politikwissenschaft einer eigenen wissenschaftlichen Vorgehensweise verpflichtet, auch wenn sie interdisziplinär z.B. mit den Kommunikationswissenschaften zusammenarbeitet. Politikwissenschaft lässt sich nach drei Schulen unterscheiden: 1. die traditionelle, die sich auf normative und institutionelle Fragen konzentriert. 2. die empirisch-analytische, die politische Einstellungen, Verhalten, Strukturen und Prozesse beschreibt und erklärt und
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die kritische, die besonders die sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen von Politik thematisiert. Alle drei Schulen sind für die Analyse von Kommunikations- und Medienpolitik von Bedeutung: normativ geht es um die Rolle der Medien im Zusammenhang mit der erwünschten Funktionsweise der Demokratie. Empirisch-analytisch muss aufgearbeitet werden, wie weit mediale Inhalte politische Einstellungen prägen und z.B. Wahlentscheidungen beeinflussen. Als kritische Wissenschaft ist zu analysieren, wie weit z.B. Verbände und andere Interessenvertretungen Macht ausüben und damit staatliches politisches Handeln beeinflussen und welche Spielräume es gibt für eine „souveräne“, d. h. am Gemeinwohl orientierte Medienpolitik zur Gestaltung von Medienwettbewerb und -konzentration. •
„neue“ politische Ökonomie als eine politische Theorie
Die politikwissenschaftliche Analyse individueller und kollektiver Entscheidungsprozesse arbeitet unter Verweis auf das Gefangenendilemma heraus, warum unter Marktbedingungen keine Kollektivgüter wie sie zu einer liberalen demokratischen Öffentlichkeit gehören, angeboten werden. Der Zerfall der Öffentlichkeit sei durch Kommerzialisierung der Medien, durch die Nichtrepräsentation der Unorganisierten in der „Verbändedemokratie“, durch die Reduktion der Politik zum Konsumgut und die entsprechende Präsentation von Politik durch die Politiker und die Medien als leicht zu verdauendes Konsumgut zu beschreiben ( vgl. Kirsch. S. 361f). Es gebe wenig Hoffnung auf Wiederherstellung einer bürgerlichen Öffentlichkeit durch das Internet, da dieses durch einen konservativen Bias gekennzeichnet sei – Orientierung an den Interessen der Mehrheit, vgl. die Strategien von Google zur Plazierung der Werbung bei den Seiten, die am meisten angeklickt werden. Außerdem führe das Internet zu einer weiteren Balkanisierung der Öffentlichkeit im Sinne des weiteren Zerfalls der Gesellschaft in Teilbereiche, die sich untereinander nichts zu sagen hätten. Dies führe dementsprechend zur Selbstreferentialität, da die Nutzer nur die Bestätigung ihrer eigenen Meinungen oder Bedürfnisse suchten und diese absolut setzten (ebenda, S. 365f). •
polity, politics und policies
In angelsächsischer politikwissenschaftlicher Tradition bezeichnet polity die politische Ordnung in ihrer Gesamtheit, das zugrunde liegende Normengefüge und die gewählten institutionellen Arrangements. Der Politikwissenschaftler Hans Kleinsteuber kritisiert mit Recht an der Auflistung der Erscheinungsformen der Kommunikationspolitik durch den Kommunikationswissenschaftler Heribert Schatz et. al. (vgl. oben im vorherigen Kapitel), dass diese Beschreibung lediglich die Output-Seite berücksichtige, nicht aber die Input-Seite. Inputs (Konzepte und Interessen als politics) kommen von den verschiedenen Akteuren, die zum Teil in Allianzen zum Teil in Gegnerschaft zu anderen Akteuren in den verschiedenen Arenen der Aushandlung von staatlicher Kommunikationspolitik um Dominanz kämpfen. Der Output dieser Auseinandersetzungen sind dann policies im Sinne der Auflistung von Schatz et. al. Dieser Prozess von politics zu policies findet vor dem Hintergrund von verbindlichen Normen und Werten statt wie der Interpretation der Kommunikationsfreiheiten durch das Bundesverfassungsgericht – polity –;
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er zielt aber oft auch auf den Wertewandel, z.B. den Übergang von einer Public-Service-Orientierung für den Rundfunk hin zu einer deregulierten marktwirtschaftlichen Ausrichtung. Schaubild 14: Vom Input der Akteure zum Output staatlicher Kommunikationspolitik vor dem Hintergrund von Normen • Kommunikationspolitik: polity und politics
Input: politics
Output: policies
Akteure und ihre Ziele und Interessen
Normen + Werte (GG, BVerfGE etc.) polity
• Medienorganisationen • Werbewirtschaft • Wirtschaft + Verbände • pol. Parteien • Gewerkschaften • Kirchen • Staatskanzleien • Ministerien
Arenen der Medien + K = Politik
staatliche Medien + K - Politik
• Bundesländer
• Ordnungspolitik
• Bund
• Infrastrukturpolitik
• EU • int. Organisationen (UNESCO, OECD, WTO ...)
• Ressourcenpol. • Programmstrukturpol.
• EU-Parlament • EU-Kommission
Wertewandel
Theoriegeschichtlich lässt sich in jüngster Vergangenheit ein Paradigmenwechsel im Bereich der polity feststellen bzw. es gibt zumindest Akzentverschiebungen. Bis Ende der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts war aus der Sicht der wirtschaftlichen Interessen der Zeitungs- und Zeitschriftenverleger eine staatliche Medienpolitik überflüssig. Die Verleger sahen sich als Garanten der Pressefreiheit, die von ihnen allerdings rein als Bollwerk gegen staatliche Bevormundung verstanden wurde. Das normative Leitbild zur Organisation der Pressemärkte war demgemäß das der Selbstregulierung durch publizistischen Wettbewerb. In den 70erJahren wurde auf Grund der immer deutlicher werdenden Prozesse der Pressekonzentration dieses gesellschaftliche Paradigma kritisch hinterfragt. Der status quo staatlicher Abstinenz in Bezug auf die Bekämpfung der Pressekonzentration wurde nicht nur von der Studentenbewegung abgelehnt. Das Paradigma dieser politischen und juristischen „Gegenbewegung“ war das der staatlichen Garantie der Funktionsweise der Presse zur Wahrnehmung ihres öffentlichen Auftrages: dem entspricht die Interpretation der Pressefreiheit als institutio-
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nelle Garantie. Dieses Paradigma liegt sowohl der diesbezüglichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde als auch der Pressefusionskontrolle des GWB und ihrer Anwendung durch das Bundeskartellamt. Bis Anfang der 80er Jahre war die allgemeine Norm der Rundfunkpolitik in Deutschland im Gegensatz zu den ideologischen Positionen der Presseverleger die des staatsunabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der allein in der Lage sei, Rundfunkfreiheit zu verwirklichen. Dann folgte der Paradigmawechsel hin zur Legitimation des dualen Systems, des – jedenfalls vom Anspruch her – geregelten Nebeneinanders von öffentlich-rechtlichen und kommerziellen, privatwirtschaftlich agierenden Radio- und Fernsehsendern. Von interessierter Seite wird selbst dieses duale Rundfunksystem als halbwegs geregeltes Nebeneinander von öffentlich-rechtlichem Rundfunk und kommerziellen Sendern grundsätzlich in Frage gestellt durch Propagierung der Abschaffung zumindest aber der Begrenzung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als „Fremdkörper“ in der Marktwirtschaft. Heute nun in Bezug auf die Frage nach staatlicher Politik im Bereich der Internetangebote wird weitgehend affirmativ wieder dem Verzicht auf staatliche Medienpolitik das Wort geredet mit der Begründung, dass das Angebot und die Nachfrage nach Informationen und onlineDiensten über den ungezügelten Wettbewerb am besten zum Ausgleich komme, dass so Innovationen schnell verbreitet würden und dass außerdem auf nationalstaatlicher Basis eine Regulierung des World Wide Webb ohnehin nicht möglich sei. Bei dem Kampf um die gesellschaftliche Durchsetzung von medien- und kommunikationspolitischen Normen geht es um zwei Konfliktlinien: Die eine bezieht sich auf die grundsätzliche Legitimation staatlicher Politik in diesem Bereich und auf den Grad ihres „Eingriffs“ in das freie Spiel der Kräfte: es geht um die Qualifizierung staatlicher Medienordnungs – und Infrastrukturpolitik im Sinne der Anwendung von Wettbewerbs- und Antikonzentrationsgesetzen, von Vorschriften des Jugend- und Datenschutzes und des Urheberrechts. Die andere bezieht sich auf die grundsätzliche Zulässigkeit alternativer Organisations- und Betätigungsformen für Medien im Gegensatz zu privatwirtschaftlichen, gewinnorientierten Unternehmen. Hier geht der Streit um die Frage, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk nur eine temporäre Notlösung in Zeiten von Frequenzknappheit war oder ob seine Funktion originär gesellschaftstheoretisch begründbar ist und damit auch Vorbild für „neue“ Medien sein kann. Vor dem Hintergrund des Kampfes um die Deutungshoheit in Bezug auf policies, hinter dem immer auch ganz manifeste wirtschaftliche und publizistische Interessen stehen, geht es bei den politics um spezifische Taktiken zur Beeinflussung von Medien- und Kommunikationspolitik. 1. Akteure versuchen ihre partikularen Interessen als gesamtgesellschaftliche darzustellen; 2. sie versuchen jene Teilaspekte hervorzuheben, bei denen sie argumentative Sieger bleiben; 3. sie versuchen ein Junktim zwischen verschiedenen Sachfragen herzustellen, um der gegnerischen Seite Kompromisse abzuringen und 4. sie versuchen kommunikationspolitische Fakten zu schaffen und damit die Richtung vorzugeben (Kepplinger, S. 84ff).
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Punkt 2 lässt sich exemplifizieren an der Argumentation der Presseverleger, dass ökonomische Größenvorteile sie zwingen, zu expandieren bis zum Angebot von nur einer Zeitung in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt. Gerade der 4. Punkt lässt sich beispielhaft belegen an der Schaffung von Fakten durch die privatwirtschaftlichen Presseunternehmer bei der Satellitenausstrahlung von Sat 1. Man ging auf Sendung noch bevor die Kabelpilotprojekte und ihre wissenschaftliche Auswertung abgeschlossen waren. Dabei waren die Pilotprojekte ausdrücklich als rückholbar qualifiziert worden. Aus policies, dem Output der Kämpfe in den Arenen auf verschiedenen Ebenen – Bundesländer, Bund, EU –, also aus der realen Kommunikations- und Medienpolitik bzw. deren Unterlassung lassen sich Rückschlüsse auf politics ziehen: Wer hat mit welcher normativen Vorstellung gesiegt? – Dass es bis heute kein Presserechtsrahmengesetz gibt, obwohl dem Bund dazu im Grundgesetz die Kompetenz zugewiesen wurde, lässt sich als übermächtiger „Sieg“ der Presseverleger auch gegen die Organisationen der Journalisten und deren Recht auf gesicherte Arbeitsverhältnisse interpretieren. Inzwischen wirkt sich die Unterlassung der Gesetzgebung dahingehend aus, dass kaum noch Journalisten in festen Arbeitsverhältnissen arbeiten können. Damit wird sich dieser „Sieg“ der Presseverleger schon mittelfristig negativ auf die Pressefreiheit auswirken. – Dass bis heute medienpolitisch die Existenz von lokalen und regionalen Pressemonopolen akzeptiert wird, obwohl aus anderen Ländern durchaus staatliche Regulierungen bekannt sind, die Wettbewerb fördern ohne die Pressefreiheit zu gefährden – vgl. z.B. Schweden, ist ebenfalls als einseitige Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen von Zeitungsverlegern zu analysieren. – Die Versuche der EU-Kommission, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf eine kulturelle Funktion zu reduzieren und ihn damit zu marginalisieren, lassen sich verstehen als Sachwaltung der EU im Interesse kommerzieller Rundfunkveranstalter vor dem Hintergrund des vorherrschenden Paradigmas wirtschaftlichen Wettbewerbs in allen gesellschaftlichen Bereichen. Die mainstream-Wirtschaftswissenschaften mit ihrem methodologischen Individualismus liefern den Verlegern, den kommerziellen Rundfunkveranstaltern und der EU-Kommission Argumente, die sie dann vergröbert als Ideologien in den Arenen der Medien- und Kommunikationspolitik ins Feld führen, um gestalterische Medienpolitik zu verhindern bzw. um immer weitere Lebensbereiche wirtschaftlichen Imperativen zu unterwerfen. Dies gilt für die Einführung des kommerziellen Rundfunks in Deutschland, dies gilt für die Anpassung des Rundfunkstaatsvertrages an die wirtschaftliche Entwicklung im Mediensektor durch Lockerung der Auf- bzw. Eingreifkriterien. Das publizistische Trommelfeuer für kommerziellen Rundfunk und der Missbrauch der Pressefreiheit für verlegerische Eigeninteressen begann in den 50erJahren mit der Propagierung des Verlegerfernsehens. Als dieses nicht durchsetzbar war, wurde die Privatisierung des ZDF propagiert. Heute ist es aus Verlegersicht das Gebot der Stunde, die Rundfunkgebühr zu Fall zu bringen, indem sie als „Zwangsabgabe“ verunglimpft wird. Darüber hinaus wollen die Verleger die Nutzung der Online-Dienste durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verhin-
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dern. Das Paradigma des „souveränen“ Konsumenten wird gegen das des mündigen Bürgers ins Feld geführt, um privatwirtschaftliche Interessen durchzusetzen. Gemessen an diesen Paradigmen und Interessen mutet das Festhalten des Bundesverfassungsgerichts an der Prämisse, dass der privatwirtschaftliche Rundfunk nur so lange zugelassen ist, als öffentlich-rechtlicher Rundfunk funktionsfähig ist, also seine öffentliche Aufgabe erfüllen kann, fast als vergangenheisorientiert an. In Wirklichkeit ist es das unumgänglich notwendige Festhalten an inhaltlichen Anforderungen an demokratische Meinungs- und Willensbildungsprozesse, an Vorstellungen von Kultur ohne Kommerz und an einem Menschenbild des aufgeklärten Bürgers. Dieses Menschenbild, das des staatlichen Schutzes und der staatlichen Förderung bedarf, um Demokratie möglich zu machen und zu erhalten, hat keine wirtschaftliche Lobby. Es wird von einzelnen Medienpolitikern politischer Parteien, von einzelnen Wissenschaftlern, den Kirchen und den Richtern des Bundesverfassungsgerichts hoch gehalten. Daher ist eine Arena der Medienpolitik die, in der um die Ernennung von Bundesverfassungsrichtern gerungen wird, speziell um die Position dessen, der für die medienrechtlichen Verfahren als Berichterstatter zuständig ist. Angesichts publizistischer Macht gepaart mit manifesten wirtschaftlichen Interessen einerseits und der schwer durchdringenden „Macht“ des Wortes andererseits ist der Kampf in den Arenen der Medienpolitik einseitig, weil es Dank publizistischer Vorherrschaft und auf Grund der Abhängigkeit von Politikern von einer „guten Presse“ kein level playing field gibt, um gestalterische Medien- und Kommunikationspolitik durchzusetzen. Denn gerade die kommerziellen Medien wirken als gatekeeper gegen jede Form der Medienkritik. Doch es gilt zu unterscheiden in Bezug auf polity, politics und policies für Medientechnologiepolitik, für Infrastrukturpolitik, für Medienorganisationspolitik im engeren Sinne und für Politik in den Bereichen von Jugend-, Daten- und Verbraucherschutz. Im Bereich der Medientechnologiepolitik setzt sich immer mehr die Norm durch, dass einerseits offene Standards die Basis für funktionsfähigen Wettbewerb sind und dass andererseits energisch gegen die Ausnutzung marktbeherrschender Stellungen vorgegangen werden muss. Nachdem die EU-Kommission 2004 vor allem gegen den Software-Monopolisten Microsoft vorgegangen war und eine Geldstrafe von 497 Millionen Euro wegen unzulässiger Koppellungen des internet explorers an Käufe von microsoft software verhängt hatte, hat die EU-Kommission 2007 nach sechsjährigen Ermittlungen ein Verfahren gegen den Chip-Giganten Intel – Marktanteil rund 80% – eingeleitet. Dem US-Unternehmen wird vorgeworfen, den ebenfalls in Kalifornien ansässigen Mitbewerber AMD mit illegalen Praktiken vom Markt für Computerprozessoren ferngehalten zu haben – u. a. durch Rabattgewährung an Computerhersteller, wenn sie den Prozessorbedarf vorrangig bei Intel decken, durch Zahlungen an Computerhersteller, wenn sie die Einführung von Produkten von AMD verzögern oder ganz auf sie verzichten und durch Dumpingpreise für strategisch wichtige PC-Hersteller. Wenn sich die wettbewerbsfeindliche Strategie von Intel nachweisen lässt, droht der Firma ein Bußgeld der EU von bis zu 10% des Jahresumsatzes, der 2006 35,4 Milliarden US-Dollar betrug, also umgerechnet bis zu 2,6 Milliarden Euro (Vgl. Rhein-Zeitung, 28.7.2007 S. 7). Dieses Vorgehen erstaunt, weil es sich gegen mächtige wirtschaftliche Interessen richtet. Aus diesen policies ist jedoch rückschließbar, dass die EU-Kommission als Akteur auf der internationalen Bühne der Kommunikationspolitik so viel Unterstützung durch die nationalen Regierungen und Wirt-
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schaftsverbände in Europa erfährt, dass sie in diesem Feld den Kampf gegen eine US-amerikanische Dominanz aufnimmt. Für den Bereich der Medieninfrastrukturpolitik gilt es auf der polity-Ebene einen Paradigmenwechsel zu konstatieren: Herrschte früher die Vorstellung von staatlicher Infrastrukturverantwortung vor mit den Verpflichtungen zur gleichmäßigen Versorgung der Gesamtbevölkerung mit Telekommunikationsdienstleistungen und der dienenden Funktion gegenüber der Rundfunkhoheit der Bundesländer, so ist heute die Leitvorstellung, auch im Dienste- und Netzbereich privatwirtschaftlichem Wettbewerb u. a. durch asymmetrische staatliche Regulierung gegenüber dem früheren öffentlichen Netzinhaber zum Durchbruch zu verhelfen. Die entsprechenden policies, z.B. die Pflicht zur Genehmigung von Preisen für die Durchleitung von Diensten auf Netzen der Deutschen Telekom lassen den Rückschluss zu, dass einerseits mächtige potentielle Konkurrenten der staatlichen Telecoms die Oberhand gewonnen haben und dass andererseits die allgemeine Ideologie des Zurückdrängens des Staates und der unumschränkten Vorteilhaftigkeit privatwirtschaftlichen Wettbewerbs Pate gestanden hat. Dies gilt europaweit. Die Konsequenz hieraus ist, dass jetzt auch Telekommunikationsunternehmen inhaltliche Medienangebote an den Markt bringen können und sich damit aus der Verquickung von dominanten Positionen auf den Märkten für Telekommunikationstechnik mit Medienorganisationen weitere Konzentrationsprozesse abzeichnen. Im Bereich der Medienorganisationspolitik scheint es momentan einen vordergründigen Burgfrieden auf der polity-Ebene zu geben: das duale Rundfunksystem wird von den politischen Parteien programmatisch als geregeltes Nebeneinander von zwei unterschiedlichen Medienorganisationen propagiert. Doch auf der Ebene der policies geht der kompromisslose harte Kampf weiter – einerseits um das Ausmaß der Konzentrationskontrolle und andererseits um die zusätzlichen Expansionsmöglichkeiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
10.3 Standortwettbewerb und Wirtschaftsförderung im Spannungsfeld zur normorientierten, staatlichen Regulierung Am Beispiel von NRW, dem Bundesland, das besonders intensiv den Strukturwandel von Kohle und Stahl hin zum Medien- und Kommunikationsland politisch begleitet und gefördert hat, lassen sich die Zwänge und Imperative von Medienpolitik besonders gut zeigen. In NRW ist der Bertelsmann-Konzern beheimatet und so hat die NRW Medienpolitik nach eigenem Selbstverständnis auf dessen Interessen Rücksicht zu nehmen. Die NRW Landespolitik hat daher RTL den Weg nach Köln geebnet und gleichzeitig durch großzügige finanzielle Ausstattung der Film-Stiftung dafür gesorgt, dass mehr und mehr Filme und TV-Serien in NRW produziert werden. Dies ist unter dem Gesichtpunkt der Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor in NRW wirtschaftspolitisch von Bedeutung und daher als Standortpolitik einzuschätzen. Gleichzeitig ist die NRW-Medienpolitik erfolgreich für binnenpluralistische Ansätze auch bei kommerziellen Veranstaltern eingetreten. So wurden RTL und Sat 1 nur lizenziert unter der Auflage, Programmfenster für Dritte zu öffnen, also z.B. für Spiegel TV. Hierin kommt der Anspruch einer eigenständigen sozialdemokratischen Medienpolitik zum Ausdruck, die bei der Einführung des kommerziellen Rundfunks mit Recht davon ausging, dass ein außenpluralistisches Modell der publizistischen Konkurrenz schwer herstellbar
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sein werde. Diese „Fensterprogramme“ haben jedoch einen zeitlich sehr beschränkten Umfang; mehr war offenbar in der Standortkonkurrenz mit anderen Bundesländern nicht durchsetzbar. Darüber hinaus wurde die NRW Medienpolitik auf die Stärkung des WDR ausgerichtet – gesetzliche Verankerung der Bestands- und Entwicklungsgarantie und Eröffnung von Kooperationsmöglichkeiten auch mit privaten Unternehmen. Diese Stärkung des WDR ist auch als die Schaffung eines Gegengewichtes gegen die hochkonzentrierten privaten Medienkonzerne anzusehen. Dies erfolgte in der richtigen Erkenntnis, dass einzelne Bundesländer schwerlich Antikonzentrationsmaßnahmen gegen bundes- bzw. europa- bzw. weltweit agierende Medienkonzerne durchsetzen können. Die Landesanstalt für Medien als Regulierungsbehörde in NRW hat in der Vergangenheit zunehmend Wert auf die Förderung und Erschließung neuer Frequenzen und neuer Übertragungstechniken gelegt und konnte so mehrere neue Veranstalter – z.B. 1988 RTL Plus, Tele 5 und Tele West, 1992 VOX, 1993 VIVA und 1996 QVC – einen home shoping Kanal – zulassen, was wiederum den Interessen der NRW Standortpolitik entsprach. Ähnliche Entwicklungen gelten auch für andere Bundesländer. Auch in Bayern dominiert die Standortpolitik. Die staatlich beeinflusste bayerische Landesbank hat z.B. mit zwei Milliarden Euro Kredit an die in München ansässige Kirch-Gruppe deutlich höhere Kredite als andere Banken gewährt, was ihr eine Sonderprüfung durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen eingetragen hat. In Bayern war die politisch-wirtschaftlich-mediale Verflechtung zwischen der CSU-Landespolitik und der Kirch-Gruppe bis zu deren Zusammenbruch besonders intensiv und fand auf der Bundesebene eine Entsprechung in der „Männerfreundschaft“ zwischen Leo Kirch und Helmut Kohl, der sich noch als Bundeskanzler vehement aber schließlich doch vergeblich in Brüssel gegen das Verbot der Fusion zwischen Kirch und Bertelsmann bezüglich des Pay TV in Deutschland eingesetzt hatte. Entsprechend hat sich der Präsident der Bayerischen Landeszentrale für privaten Rundfunk für die Fusion des Axel Springer Verlages mit der ProSieben/Sat 1 Media AG ausgesprochen, noch bevor die KEK überhaupt geprüft hatte und dann zu dem ablehnenden Bescheid kam. Es zeigt sich damit, dass Medienpolitik auf Landesebene wegen der nicht nur räumlichen Nähe zu den betroffenen Unternehmen und Institutionen nur sehr enge Spielräume hat zur ordnungspolitischen Gestaltung einer freiheitlichen, verfassungskonformen Medienorganisation.
10.4 Kommissionen zu Medienwettbewerb und -konzentration •
Michel-Kommission
Anfang der 60er Jahre – nachdem das sog. Adenauer-Fernsehen vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert war – verlangten die Zeitungsverleger das Verbot des Werbefernsehens bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und forderten, ihnen selbst die Verantwortung eines durch Werbung finanzierten Fernsehprogramms zu übertragen. Sie begründeten dies mit Wettbewerbsverzerrungen zu ihren Lasten im intermedialen Wettbewerb. Daraufhin beschloss der Bundestag am 29. 4. 1964 die Einsetzung einer Kommission zur Untersuchung der Wettbewerbsgleichheit von Presse, Funk/Fernsehen und Film. Die Kom-
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mission bestand aus 7 Mitgliedern, davon 4 Professoren (Arnold Gehlen, Soziologie; Walter Leisner, öffentliches Recht; Ernst Joachim Mestmäcker, Zivilrecht; Karl Schwantag, Betriebswirtschaftslehre) und wurde von Elmar Michel, dem Vorstandsvorsitzenden der Salamander AG, geleitet: daher auch der Name der Kommission. Die Kommission geht davon aus, dass Rundfunkgesetze, die Werbesendungen regeln, als allgemeine Gesetze im Sinne des Art. 5 GG zu qualifizieren seinen und dass die Garantie der Pressefreiheit als institutionelle Garantie aufzufassen ist. In ihrem Abschlußbericht im Jahre 1967 kam die Kommission zu dem Ergebnis, dass auf Grund der Beschränkung der Werbezeiten bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten keine Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der Presse gegeben seien. „Die Feststellung, dass Rundfunk und Presse sich ergänzen, bedeutet nicht, dass vom Rundfunk keine Wirkungen auf die Wettbewerbsbeziehungen innerhalb der Presse ausgehen. Die gegenseitige Ergänzung des Angebots der Medien bewirkt strukturelle Veränderungen, die sich auf den intramediären Wettbewerb der Presse auswirken. Beispiele sind die Entwicklungen auf dem Markt der Unterhaltungszeitschriften, das Vordringen der Sonntagszeitungen infolge veränderter Lesegewohnheiten, das größere Gewicht der Kommentierung gegenüber der Nachricht in den Tageszeitungen“ (Michel-Kommission, S. 182f). Damit folgte die Kommission der gängigen kommunikationswissenschaftlichen These, dass bisher kein „neues“ Medium ein altes verdrängt hat, dass es aber durch das Auftauchen neuer Medien zu strukturellen Anpassungen bei den alten kommt. Politikwissenschaftlich interessant an dieser Kommission und ihren Ergebnissen ist, dass auf Grund ihrer Autorität und ihrer Feststellungen der politische Druck der Verlegerverbände gemildert worden ist und daher der damalige status quo der Medienorganisation vorerst erhalten blieb. Der Bundestag hat sich durch die Einsetzung der Kommission aus der Schusslinie gebracht und von unmittelbarer politischer Verantwortung entlastet. „Mit diesen Zielen – der Erhaltung eines unabhängigen wirtschaftlich selbständigen Rundfunks und einer unabhängigen, wirtschaftlich selbständigen Presse – wäre ein von den Zeitungsverlegern allein betriebenes Fernsehen unvereinbar. Es entfiele nicht nur die intermediäre Kritik, die für die gegenseitige Kontrolle der Medien in der Öffentlichkeit unerlässlich ist; an die Stelle der von den Zeitungsverlegern zu Recht betonten Vielfalt der Meinungen in der Presse würde eine Meinung oder würden einige wenige Meinungen der Zeitungsverleger treten, die sie in einer Rundfunkstation vortragen. … Aus der Vielfalt der Meinungen würde eine technisch erzwungene Einheit“ (ebenda, S. 240). Mit diesen Ausführungen begründet die Kommission die Notwendigkeit einer „publizistischen Gewaltenteilung“ zwischen Presse und Rundfunk, die nur bei je eigener wirtschaftlicher Unabhängigkeit gewährleistet sei. Diese zusätzliche Freiheitsgarantie neben den Garantien von Presse- und Rundfunkfreiheit ist wohl begründbar auch im Sinne der Erhaltung unterschiedlicher Quellen der Information – sie liegt also in der Logik der Systematik des Art. 5 GG –, aber sie ist mit der Einführung des kommerziellen Rundfunks Anfang der 80er Jahre aufgegeben worden. Die Kommission beschäftigte sich nicht nur mit den Folgen einer etwaigen Privatisierung des Rundfunks sondern auch mit dem Einfluss des Werbefernsehens auf die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender. „Das Werbefernsehen verändert die institutionelle Struktur der Rundfunkanstalten, denn deren Unabhängigkeit vom Markt wird teilweise aufgehoben. Die Untersuchungen haben gezeigt, dass mittelbare Wirkungen des Werbefernsehens auf den
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Programmrundfunk unvermeidlich sind“ (daselbst, S. 235). Das ZDF habe vorgetragen, dass es unerlässlich sei, publikumswirksame Abendveranstaltungen vorzusehen, weil dadurch die Einschaltquoten bei den vorhergehenden Werbesendungen erheblich erhöht würden. Die Kommission konstatiert, dass Werbefernsehen innerhalb der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ein Fremdkörper ist. Die Kommission diskutiert deshalb das Verbot des Werbefernsehens und spricht sich stattdessen für die Übertragung der Einnahmen aus dem öffentlichrechtlichen Werbefernsehen auf eine Stiftung aus, deren Zweck die Förderung von Kunst, Wissenschaft und Technik (besonders auf dem Gebiet der meinungsbildenden Medien) sein sollte (daselbst, S. 241). Auch wenn die Arbeit der Michel-Kommission schon lange zurückliegt, so sind doch ihre Feststellungen und Empfehlungen auch heute noch beachtenswert. •
Günther-Kommission
1967 hat die Bundesregierung nach Aufforderung durch den Deutschen Bundestag eine Pressekommission eingesetzt, die die Ursachen der Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz von Presseunternehmen und die Folgen der Konzentration im Pressewesen für die Meinungsfreiheit untersuchen sollte. Die Kommission bestand aus 17 Mitgliedern – Verlegern: u. a. Axel Cäsar Springer, Gerd Bucerius (Die Zeit), Journalisten und Intendanten – und wurde von Eberhard Günther, dem Präsidenten des Bundeskartellamtes, geleitet. In ihrem Abschlußbericht von 1968 heißt es: „Die Sorge der Pressekommission ist, dem Bürger könnten in absehbarer Zeit durch fortschreitende Konzentration nicht mehr genügend unabhängige und über große Breitenwirkung verfügende Publikationsorgane zur Verfügung stehen, aus denen er sich frei seine Meinung bilden kann. Dies ist schon jetzt auf den Teilsektoren des Pressewesens für politische Wochenmagazine, Straßenverkaufszeitungen und für Sonntagszeitungen der Fall. Das gleiche gilt für diejenigen kreisfreien Städte und Landkreise, in denen dem Bürger nur noch eine über Lokalereignisse berichtende Zeitung zur Verfügung steht“ (Günter-Kommission, S. 17). Deshalb schlägt die Kommission vor, Höchstgrenzen der Marktanteile für Presseunternehmen festzulegen: Gefährdung der Pressefreiheit bei 20% der Gesamtauflage eines Marktes, unmittelbare Beeinträchtigung bei 40% Marktanteil von Tages- und Sonntagszeitungen. Gleiche Marktanteilsgrenzen sollen für Publikumszeitschriften gelten. Gibt ein Presseunternehmen gleichzeitig Tages- und Sonntagszeitungen einerseits und Publikumszeitschriften andererseits heraus, und ist auf einem der Märkte die Gefährdungsgrenze von 20% erreicht, so greift sie auf dem anderen Markt schon bei 10%. Liegt auf einem der Märkte die Beeinträchtigung der Pressefreiheit vor, so ist ihre Grenze auf dem anderen Markt bei 15%. (ebenda, S. 18). Die Kommission sieht offenbar neben den Gefahren der Konzentration auf einzelnen Pressemärkten eine besondere Gefahr in der Zusammenballung von publizistischer Macht durch gleichzeitige Beherrschung von Tageszeitungs- und Publikumszeitschriftenmärkten. Sie richtet ihre Vorschläge an den Gesetzgeber, ohne allerdings konkret vorzuschlagen, was bei Überschreitung der Grenzen zu erfolgen hat. Sie begründet die Beschränkungen der Verfügungsmacht über verlegerisches Eigentum durch Begrenzung von deren Expansion mit der aus Art. 5 GG abgeleiteten Verpflichtung des Staates, die Pressefreiheit zu erhalten und zu schützen. Die Kommission schlägt außerdem vor, dass die Publizitätspflichten der Verleger erweitert werden, dass jährlich
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ein Bericht über die Entwicklung der Medien zu erstellen sei und dass der Staat kleineren Verlagen z.B. durch verbilligte Kredite helfen solle. Die Vorschläge der Günther-Kommission, zu denen einzelne Kommissionsmitglieder wie der Verleger Dr. Betz abweichende Meinungen abgegeben haben, haben eine breite öffentliche Diskussion ausgelöst. Sie wurden aber damals, was die Marktanteilsbegrenzungen angeht, in keiner Weise gesetzlich umgesetzt. Die Arbeit auch dieser Kommission des Bundes ist politikwissenschaftlich als Ventil gegen öffentlichen Druck anzusehen: Es wurde von Bundestag und Bundesregierung ein zusätzlicher Akteur, diesmal allerdings unter Einschluss von Vertretern der Betroffenen (!), auf der Ebene der politics geschaffen, der durch seine Arbeit erst einmal zeitlichen Aufschub gewährte. Ungleich zur Michel-Kommission ging es hier jedoch darum, dass die politisch Verantwortlichen unter dem Vorwand verfassungsrechtlicher Bedenken weiter nichts gegen die fortschreitende Pressekonzentration tun mussten. •
Monopolkommission
§ 24b des GWB bestimmt, dass zur regelmäßigen Begutachtung der Entwicklung der Unternehmenskonzentration in der Bundesrepublik eine fünfköpfige Monopolkommission einzurichten ist. Die Mitglieder werden auf Vorschlag der Bundesregierung vom Bundespräsidenten berufen. Es lässt sich zeigen – und dies ist politikwissenschaftlich bedeutsam –, dass die Mitglieder entsprechend der politischen Ausrichtung der jeweiligen Bundesregierung berufen wurden und damit spezifische Akzentsetzungen der Gutachten der Monopolkommission und ihrer Empfehlungen verbunden sind. In dem 2. Hauptgutachten 1976/77 – also in der Zeit der sozialliberalen Koalition unter Bundeskanzler Helmut Schmidt – unter dem Vorsitz von Ernst Joachim Mestmäcker hat die Monopolkommission sich mit der Entwicklung der Pressekonzentration befasst. Sie geht dabei nicht nach einzelnen relevanten Märkten vor, sondern sie bezieht ihre Daten auf einzelne Zeitungstypen. Sie stellt fest, dass der ungewöhnlich hohe Konzentrationsgrad der Straßenverkaufszeitungen auffällig sei, da die drei größten Zeitungen 80% der gesamten Auflage auf sich vereinigen (Randnr. 718). In Bezug auf Publikumszeitschriften ermittelt die Kommission, dass die drei größten Zeitschriften 52,4% der Auflage auf sich vereinigen (Randnr. 722). Die Kommission befasst sich sodann mit den Auswirkungen der neuen Zeitungstechnik auf die Pressekonzentration. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass mit der neuen Photosatztechnik weder ein wirtschaftlicher noch ein technischer Zwang zur Konzentration verbunden sei (Randnr. 745). Vorher hatte die Kommission allerdings von ambivalenten Wirkungen der durch Fotosatztechnik erleichterten Zentralisierung gesprochen (Randnr. 742). Die Ausführungen zur Pressekonzentration sind angesichts des damaligen Standes der Konzentration, bezogen auf relevante Märkte, enttäuschend. Sie sind im Spiegel der gerade Ende der 60er Jahre geführten heftigen politischen Diskussionen um die Gefahren der Pressekonzentration und in Reaktion auf die Vorschläge der Günther-Kommission eher als Beschwichtigung zu verstehen. Empfehlungen zur Regulierung der Pressekonzentration sucht man jedenfalls vergeblich. Das fünfte Hauptgutachten 1982/83 wurde unter dem Vorsitz von Erhard Kantzenbach erstellt und stellt die Pressekonzentration wie vorher vorrangig an Hand von Konzentrationsra-
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ten dar: so vereinigen die drei größten Straßenverkaufszeitungen jetzt 82% der Auflage auf sich, bezogen auf alle Zeitungen sind es 31,9% (Randnr. 540). Allerdings heißt es erklärend und relativierend dazu: „Die Auflagenhöhe lässt sich als Grobindikator für die publizistische Konzentration auffassen, wobei sich in den Konzentrationsraten jedoch nicht die publizistischen Verflechtungen über redaktionelle Zusammenarbeit (Gemeinschaftsredaktionen, Maternlieferungen) niederschlagen“ (Randnr. 541). Die Kommission nimmt sodann zu Wettbewerbsproblemen bei der Verbreitung der „Neuen Medien“ Stellung. Sie erkennt zwar aus betriebswirtschaftlicher Sicht Verbundvorteile für Medienkonglomerate, die sowohl auf Presse- als auch auf Rundfunkmärkten tätig sind, sie sieht darin in wettbewerbs- und medienpolitischer Sicht keine Erweiterung der Meinungsvielfalt und steht deshalb der Entwicklung von Medienkonglomeraten skeptisch gegenüber (Randnr. 582). „Eine Beteiligung der Printmedien, insbesondere der Tageszeitungen am privaten Rundfunk bringt nach Auffassung der Monopolkommission erhebliche Gefahren für den publizistischen Wettbewerb der verschiedenen Medien untereinander und damit für die verfassungsrechtlich geschützte Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt mit sich. … Diese Gefahr entsteht vor allem in Regionen, in denen nur eine Tageszeitung mit örtlicher bzw. regionaler Berichterstattung erscheint. Schon heute ist dies in 46,8% der Kreise der Bundesrepublik der Fall. Es muss damit gerechnet werden, dass sich diese Zahl noch vergrößert, wenn die Konkurrenz von privatem Rundfunk und Bildschirmtext auf dem Werbemarkt die Einnahmen der Zeitungsverleger verringert. Betroffen davon würden, wegen der ausgeprägten Größenvorteile bei Zeitungsverlagen, vor allem die sog. Zweitzeitungen“ (Randnr. 583). Wichtig an diesen Feststellungen ist zweierlei: 1. wird die Problematik der Ein-Zeitungskreise kritisch erwähnt und 2. wird in Anknüpfung an die Ausführungen der Michel-Kommission die „publizistische Gewaltenteilung“ zwischen Presse und Rundfunk zur medienpolitischen Orientierung verwandt. „Die Monopolkommission befürchtet, dass durch die Beteiligung der Zeitungsverlage an den elektronischen Medien nicht nur Chancen zu mehr Wettbewerb im Mediensektor und damit zu einer größeren Meinungsvielfalt vertan werden, sondern darüber hinaus in einzelnen Fällen auch marktbeherrschende Stellungen geschaffen oder verstärkt werden. Von den Landesmediengesetzen werden nach derzeitiger Ausgestaltung keine sichtbaren Hindernisse für die Beschränkung des Wettbewerbs zwischen den Medien infolge der Kapitalverflechtungen ausgehen. Erschwerend kommt hinzu, dass wegen der hohen Programmkosten der Zugang zum Kabelfunk von den Verlegern über Kooperationen gesucht wird. Dadurch werden weitere Konzentrationstendenzen in Form des Gruppeneffekts ausgelöst. … Die Monopolkommission hält es nach wie vor für dringend erforderlich, dass der Zutritt marktbeherrschender Medienunternehmen zu den Neuen Medien einer wettbewerblichen Kontrolle unterzogen wird. Das geeignete Mittel hierzu ist die Behandlung der Vergabe von Rundfunklizenzen als Unternehmenszusammenschlüsse“ (Randnr. 602 und 604): Diese Ausführungen haben sich sowohl was die Beurteilung der Beteiligung der Zeitungsverleger bzw. ihrer stärksten Unternehmen am kommerziellen Rundfunk als auch was die Kritik an dem wettbewerbspolitischen Versagen der Landesmediengesetze angeht, als präzise Vorhersagen erwiesen. Die Monopolkommission ist allerdings mit ihren Vorschlägen nicht durchgedrungen, zumal das Ende de sozialliberalen Koalition bevorstand.
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Nach dem Regierungswechsel 1983/84 von der sozialliberalen Koalition hin zur schwarzgelben Koalition unter Bundeskanzler Kohl, dem es mit der Einführung des kommerziellen Rundfunks in Deutschland um die „Entauthorisierung“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ging, wurde Carl Christian von Weizsäcker von der neuen Regierung zum Vorsitzenden der Monopolkommission berufen. Im 8. Hauptgutachten der Kommission wurde sodann ein völliger Paradigmawechsel in Bezug auf medienpolitische Orientierungen eingeleitet (vgl. oben die Zitate im Kapitel 7. 4 1. Hervorhebung): Nun steht die Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Vordergrund und es wird der reinen und ausschließlichen marktwirtschaftlichen Ausrichtung der Medien das Wort geredet. Dies bedeutet politikwissenschaftlich, dass die jeweiligen Bundesregierungen ihr Recht auf Ernennung von Mitgliedern der Monopolkommission genutzt haben, um ihre entsprechenden medienpolitischen Vorstellungen durch die Kommission „wissenschaftlich begründet“ absichern und legitimieren zu lassen. Im 16. Hauptgutachten der Monopolkommission 2004/05 setzt sich die negative Einstellung zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk fort und es wird dem weitgehend unregulierten privatwirtschaftlichen Wettbewerb im dynamischen Mediensektor das Wort geredet – Schumpeter lässt grüßen. „ Um die Entwicklung einer leistungsfähigen international wettbewerbsfähigen privaten Medienindustrie zu fördern, sollte die Aufgabenzuweisung im dualen Rundfunksystem überdacht werden. Die Monopolkommission empfiehlt, den Auftrag, der dem öffentlich-rechtlichen Sektor übertragen wurde, zu präzisieren und die Empfehlungen der EU-Kommission für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in nationales Recht zu übernehmen. Außerdem sollte die Rundfunkgebühr von der einschlägigen Beurteilung der Programmqualität und der Funktionserfüllung abhängen. Die Monopolkommission hält die öffentlich-rechtlichen Rundfunkgebühren für eine staatliche Beihilfe im Sinne des europäischen Rechts. Demgegenüber besteht die Notwendigkeit, diese Gebühren und ihre Verwendung gegenüber der Europäischen Kommission umfassend zu rechtfertigen. … Um die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle im Mediensektor zu fördern, rät die Monopolkommission, mit regulatorischen Eingriffen zurückhaltend umzugehen. Dirigistische Markteingriffe bergen stets die Gefahr, Wettbewerbsverzerrungen auf dynamischen Märkten erst herbeizuführen oder Investitionsanreize sowie unternehmerisches Engagement zu limitieren“ (Pressemitteilung, Nr. 13 und 14). Mit diesen marktradikalen Positionen hat sich die Monopolkommission ins Abseits gestellt: Die EU-Kommission selbst hat in Bezug auf die deutschen Rundfunkgebühren die Prüfung nach den Beihilfevorschriften eingestellt. Die Infragestellung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verschweigt bewusst die verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Sicherung der Rundfunkfreiheit als institutionelle Garantie. Wenn vor „dirigistischen Markteingriffen“ gewarnt wird, so wird unterstellt, dass Marktprozesse am Besten naturwüchsig ablaufen – eine ideologische Position zur Absicherung der Expansionsbestrebungen großer Multimedia-Konzerne in den Bereich immer neuer Medien. Aus den Wechsel der ordnungspolitischen Positionen der Monopolkommission mit ihren je spezifischen Empfehlungen für policies lässt sich auf Verschiebungen in den Machtpositionen in den medienpolitischen Arenen der politics zurück schließen: Ging es zunächst um die Orientierung an Vorstellungen zur Sicherung von publizistischer Vielfalt so geht es seit Anfang
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der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts um die Delegitimierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und die Propagierung des reinen Marktparadigmas als Richtschnur für die allgemeine Medienorganisation. Ging es anfangs noch um die Überwindung des Status quo bzw. die Warnung vor weiterer Presse- und Multimedia-Konzentration, so wird heute der Verzicht auf staatliche Medienpolitik gepredigt, angeblich um den dynamischen Wettbewerb zu fördern, tatsächlich um privatwirtschaftliche Medienkonzerne vor Regulierung zu schützen – jedenfalls ist dies die unbewusste oder bewusste Konsequenz. Dies wird auch deutlich, wenn die Monopolkommission im gleichen Gutachten in Bezug auf das Verfahren der KEK zur geplanten Fusion des Axel Springer Konzerns und der ProSieben/Sat 1 Media-AG feststellt, dass der Versuch, den über verschiedene Medien ausgeübten Einfluss auf die Meinungsbildung quantitativ zu messen, als gescheitert angesehen werden müsse. Diese Position ist durch die Entscheidungspraxis der KEK im Zeitablauf „überholt“ worden.
10.5 Medienpolitische Positionen der Parteien Parteiprogramme sind politische Werbungen, um Teilnahmebereitschaft bei Wahlen zu erzeugen. Sie sind oft sehr allgemein gehalten, damit nach Wahlen nicht genau überprüft werden kann, ob sich die Partei, wenn in der Regierung, auch an die „Wahlversprechen“ gehalten hat. Parteiprogramme haben deshalb auch in ihren medienpolitischen Teilen keine große Bedeutung für die politikwissenschaftliche Analyse. Deshalb werden sie hier nur kursorisch gestreift. •
zu Medienwettbewerb, auch im dualen System
Im CDU- Programm von 1994 heißt es zum dualen Rundfunksystem mit kritischem Unterton zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk: „Wir treten für die Beibehaltung des dualen Systems von öffentlich-rechtlichem und privaten Rundfunk ein. Unverzichtbare Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist es, seiner besonderen kulturellen, föderalen und gesellschaftspolitischen Verantwortung gerecht zu werden und dadurch einen Beitrag für die Qualität unserer Medienkultur zu leisten. Zur Erfüllung dieses Auftrages ist nicht die Beibehaltung der Vielzahl von öffentlich-rechtlichen Sendern und Programmen notwendig, sondern mehr Wirtschaftlichkeit und die Bereitschaft zur Reform durch effiziente und kostengünstige Organisationsformen“. Im CDU-Grundsatzprogramm vom 3.12.2007 heißt es weniger konkret: „Zur Vielfalt der Medienangebote gehört auch das bewährte duale System von öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk. Medienpolitik muss dafür sorgen, dass zwischen privatem und öffentlich-rechtlichem Rundfunk ein fairer Wettbewerb stattfinden kann, der beiden Seiten angemessene Entfaltungschancen gewährt“. Dagegen enthält das SPD Parteiprogramm von 1998 ein uneingeschränktes Bekenntnis zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk. „Dem öffentlich-rechtlichen Hörfunk und Fernsehen obliegt die unerlässliche Grundversorgung. Sie besteht aus einem umfassenden Angebot an Information, politischer Meinungsbildung, Unterhaltung, Bildung, Beratung und kulturellen Beiträgen. Bestand und Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks müssen daher gewährleistet bleiben.“ Zum dualen System selber nimmt das SPD Programm nicht explizit Stellung. Im Hamburger Programm der SPD vom 28.10.2007 heißt es pauschaler: „Zur demokratischen
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Öffentlichkeit gehört für uns unabdingbar der öffentlich-rechtliche Rundfunk, denn er ist ein wichtiges Korrektiv gegenüber der zunehmende Kommerzialisierung der Medienangebote“. Im FDP Parteiprogramm von 2002 heißt es unter der Überschrift: Fortschreibung des dualen Rundfunksystems: „ Öffentlich-rechtliche und private Sender tragen gemeinsam zu einer Programmvielfalt und Meinungspluralität in Deutschland bei, die es zu erhalten gilt. Dabei hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk die Aufgabe der Grundversorgung zu erfüllen, die es verbietet, Programme lediglich mit Blick auf Einschaltquoten und nach den Gesetzen des wirtschaftlichen Wettbewerbs zu gestalten“. Im Wahlprogramm 2005 Bündnis 90/Die Grünen heißt es: „… benötigen wir eine dauerhafte Absicherung des dualen Rundfunksystems mit einem zukunftsfähigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Bürgermedien wie offenen Kanälen und freien Radios“. •
zu Konzentration in globaler Perspektive
Im CDU Programm von 1994 heißt es: „Private Sender stehen ebenso in der Verantwortung für die Demokratie. Wir sind für ein plurales Angebot und lehnen deshalb jede Form von Übermacht in Druck- und elektronischen Medien ab. Wir wenden uns gegen Medienkonzentration im nationalen und internationalen Bereich, welche die Pluralität der Meinungen und den Erhalt des Wettbewerbs gefährden.“ Was zur Umsetzung dieser schönen Pogrammatik geschehen soll, danach sucht man in dem Programm vergeblich. Im CDU-Grundsatzprogramm vom 3.12.2007 heißt es weniger konkret: „Freie Medien sind ein wesentliches Element unserer demokratischen Ordnung, ein besonders schützenswertes Kulturgut und ein bedeutender Wirtschaftsfaktor mit einer herausragenden Verantwortung. In einer sich schnell wandelnden Medienwelt kommt es vor allem auf die Sicherung der Vielfalt und Qualität der Medieninhalte, aber auch auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Medienanbieter an“. Man beachte das „aber“! Das SPD Programm von 1998 ist ebenso vage: „Wir Sozialdemokraten stehen für kulturelle und publizistische Vielfalt. Wir wollen die Unabhängigkeit der Medien vom Staat, aber auch von mächtigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gruppen sichern und ausbauen“. 2007 heißt es ebenso voluntaristisch: „Wir verteidigen die Unabhängigkeit der Medien vor staatlichen Eingriffen und wirtschaftlichen Machtinteressen“. Im FDP Programm von 2002 findet sich zu diesem Thema lediglich die Forderung nach erweiterten Offenlegungspflichten über Eigentumsverhältnisse im Impressum, um dadurch für mehr Transparenz in den Medien zu sorgen. Im Wahlprogramm der Grünen heißt es immerhin: „Der fortschreitenden Konzentration bei den elektronischen und den Printmedien ist durch eine Weiterentwicklung des Kartellrechts auf nationaler und europäischer Ebene entgegenzuwirken.“ •
zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
Das CDU Grundsatzprogramm vom 3.12.2007 betont die kulturelle Verantwortung. „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss vor allem eine Grundversorgung mit Bildung, Kultur und Information gewährleisten. Er ist damit Kulturförderer und Kulturproduzent zugleich. Ihm kommt ebenso eine besondere Verantwortung für die Integration und Repräsentation von
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Menschen mit Migrationshintergrund zu“. Es fällt auf, dass hier ein Verweis auf öffentlichrechtliche Unterhaltungs- und Serviceprogramme fehlt. Die Betonung der besonderen kulturellen Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kann auch als Eingeständnis der CDU verstanden werden, dass privatwirtschaftliche Rundfunkprogramme keine kulturellen Leistungen hervorbringen können. Sie muss aber gleichzeitig als Forderung nach Reduktion der öffentlich-rechtlichen Programme auf Information, Bildung und Kultur verstanden werden. Im SPD Programm heißt es zusätzlich zu dem Zitat im ersten Hervorhebungspunkt: „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss vor allem gegen parteipolitische Einflussnahmen gesichert und wirtschaftlich unabhängig sein. Wir erwarten vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine Programmkultur, für die nicht allein die Einschaltquote Maßstab ist und in der kritische und provokative Beiträge nicht einer bequemen Ausgewogenheit geopfert werden. In Journalismus und Unterhaltung stützen wir alle, die die Wirklichkeit kritisch durchleuchten wollen und neue Ideen haben“. Dies sind für ein Parteiprogramm bemerkenswert kritische Töne offenbar gegenüber der wahrgenommenen Realität öffentlich-rechtlicher Programme, die in der Konkurrenz zu den privatwirtschaftlichen unter Verflachungsdruck geraten. Zusätzlich zu den Ausführungen im Zitat der FDP im ersten Hervorhebungspunkt fordert das FDP Programm, dass die Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks die Interessen der Allgemeinheit zu vertreten haben und nicht unter einen dominierenden Einfluss von Staat und Parteien geraten dürfen. „Im Internet hat sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk auf programmbezogene Angebote zu beschränken und im Wege der Selbstverpflichtung den finanziellen Aufwand zu begrenzen“. Offenbar möchte die FDP die Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sehr eng auslegen. Die Formulierung der Grünen zu diesem Punkt lautet: „Wir setzen uns für publizistische Vielfalt ein. Unabdingbar dafür ist eine finanziell gesicherte, entwicklungsfähige öffentlichrechtliche Säule des Rundfunksystems als Gegengewicht zu den hochkonzentrierten kommerziellen Medienunternehmen. •
zur Entwicklung neuer Medientechniken
Optimismus verbreitend schreibt die CDU 1994: „Neue technische Entwicklungen werden bei den elektronischen Medien die Programmangebote noch vergrößern. Der Satellitenrundfunk überwindet Ländergrenzen, lässt die Welt enger zusammenkommen und führt zu einem erhöhten Wettbewerb auf internationaler und europäischer Ebene“ – und diese Aussage steht in unmittelbarem Zusammenhang der „Wendung“ gegen Medienkonzentration. Im CDUGrundsatzprogramm vom 3.12.2007 heißt es: „Die moderne Informations- und Kommunikationstechnologie treibt die Entwicklung der Wissensgesellschaft voran. Der Anteil des Wissens an der Wertschöpfung nimmt zu. Damit entstehen völlig neue Wissensbereiche und Beschäftigungsmöglichkeiten“. Bei der SPD findet sich im Programm von 1998 hierzu keine Aussage. 2007 heißt es: „Neben Zeitung, Buch, Rundfunk und Fernsehen treten immer neue Medien, wie Internet und Mobilfunk. Mediensparten wachsen zusammen und prägen immer stärker unseren Alltag. Der Umgang damit will gelernt sein. Wir wollen Medienkompetenz zu einem Bildungsschwerpunkt machen“.
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Zu Telekommunikation und Internet schreibt die FDP: „Telekommunikationslinien sind die Lebensadern der Neuen Medien und der Netz-Ökonomie. Die FDP setzt sich nachhaltig für einen zügigen Ausbau der Netzstrukturen, insbesondere der Breitbandnetze ein, um damit einen funktionierenden Wettbewerb unter den Fernseh-, Internet- und Telekommunikationsanbietern zu ermöglichen. Nur faire Wettbewerbschancen für alle Anbieter und Infrastrukturen ermöglichen Vielfalt und nutzerfreundliche Preise, z.B. auch pauschale Nutzungsentgelte, sog. Flat Rates“. „Wir wollen den Zugang zum Internet für alle Bürgerinnen und Bürger ermöglichen“ schreiben die Grünen. •
zur Regulierung negativer Wirkungen: Jugendschutz etc.
Die CDU fordert 1994 ganz allgemein eine „gesellschaftliche Verständigung über eine Medienethik“. In Bezug auf die Wahrung des Persönlichkeitsschutzes wird sie konkreter: Sie fordert einen gesetzlich geregelten Auskunftsanspruch jeden Bürgers gegen Presseorgane, Rundfunk und Fernsehen über die ihn betreffenden gesammelten Informationen. Sie fordert die Erweiterung des Gegendarstellungsrechts der Betroffenen. Außerdem schreibt sie: „Jeder Bürger muss einen gesetzlich geregelten Schadensersatzanspruch gegen Presseorgane, Rundfunk und Fernsehen für den Fall erhalten, dass über ihn eine Tatsachenbehauptung öffentlich verbreitet worden ist, es sei denn, dass die behauptete Tatsache erweislich wahr ist“. Offenbar zielt diese Forderung gegen Praktiken der Boulevardpresse, mit angeblichen Sensationen im Aufmerksamkeitswettbewerb zu punkten. Nur: Umgesetzt sind diese Forderungen bisher nicht. Im CDU-Grundsatzprogramm vom 3.12.2007 heißt es:„ Medienanbieter und Journalisten sind angesichts ihrer besonderen Einflussmöglichkeiten in hohem Maße mit verantwortlich für das gesellschaftliche und kulturelle Leben. Die Vermittlung einer grundlegenden Medienkompetenz als Orientierungshilfe gehört zum Bildungs- und Erziehungsauftrag von Familie, Kindergarten und Schule. Medienanbieter haben eine Verantwortung vor allem gegenüber jungen Menschen. Dieser müssen sie durch entsprechende Selbstverpflichtungen gerecht werden. Der Jugendschutz muss für die jeweiligen Altersstufen stetig weiterentwickelt, seine Maßstäbe präziser gesetzt und Verstöße spürbar geahndet werden“. Diese Aussage kann so verstanden werden, dass die CDU der Meinung ist, dass der Jugendschutz bisher weitgehend versagt habe. Das SPD Programm von 1998 geht nicht explizit auf dieses Thema ein. 2007 heißt es: „Wir wenden uns gegen Manipulation, politische Einseitigkeit, Jugendgefährdung. Wir bekämpfen sexistische, rassistische, Gewalt verherrlichende Inhalte“. Die FDP widmet den Themen Jugendschutz, Datenschutz und Sicherheit im Netz und Urheberrecht für digitale Medien eigene Absätze in ihrem Programm. Beim Jugendschutz lobt sie die Selbstregulierungsinstanzen, fordert nutzerautonome technische Zugangssperren zum Schutz für Kinder und Jugendliche und setzt sich für den Abbau des Zuständigkeitsgeflechts zwischen Bund und Ländern ein. Beim Datenschutz wendet sie sich zur Wahrung der informationellen Selbstbestimmung vor allem gegen Protokollierungs- und Aufbewahrungspflichten der digitalen Spuren, die jeder Internetnutzer hinterlässt. Zum Urheberrecht für digitale Medien tritt die FDP dafür ein, der individuellen Lizenzierung des Rechts der privaten Vervielfältigung Vorrang vor einer Pauschalabgabe auf Geräte und Speichermedien einzuräumen.
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Bei den Grünen heißt es zum Ausbau des rechtlichen und technischen Datenschutzes: „Die zunehmende Geschwindigkeit des Austauschs von Informationen und die fortschreitenden Entwicklungen führen dazu, dass es immer schwerer zu durchschauen und zu kontrollieren ist, welche Daten ausgetauscht, abgeglichen und von Unbefugten eingesehen werden können“. Es ist hervorhebenswert, dass FDP und Grüne das Thema Datenschutz ausdrücklich ansprechen, während die CDU offenbar in dem Schutz der Persönlichkeitsrechte die vorrangige medienpolitische Aufgabe sieht. Allen Parteiprogrammen ist gemeinsam, dass sie mehr oder weniger allgemein und plakativ formuliert sind und immer nur einzelne Aspekte von Medienentwicklung und -politik aufgreifen. Dennoch lassen sich unterschiedliche Akzente erkennen in der Problemwahrnehmung und bei den Lösungsvorschlägen. Dies gilt zum einen für die Beurteilung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und der kommerziellen Konkurrenz, dies gilt zum anderen für medienpolitische Vorschläge insbesondere zu den rechtlichen Rahmenregelungen. Die detaillierte Synopse der Positionen der politischen Parteien zur Medienpolitik bei Tonnemacher (S. 91ff) lässt die Unterschiede prononcierter als hier dargestellt hervortreten. So tritt danach die CDU/CSU mit Priorität dafür ein, für große Unternehmen den Medienstandort Deutschland zu sichern. Es sei nach CDU/CSU-Meinung ein effektives Netz der Kontrollmöglichkeiten vorhanden, sodass es offenbar hier keinen unmittelbaren Handlungsbedarf gebe. Parteiprogramme gehören zu den „Waffen“ in den Arenen der politics. Sie sagen nichts aus über medienpolitische policies, denn diese werden von weit mehr Akteuren beeinflusst als von politischen Parteien.
10.6 Medienpolitik als eigenständiges Politikfeld? Medien- bzw. Kommunikationspolitik ist bisher kein eigenständiges Politikfeld mit klar abgegrenzten staatlichen Zuständigkeiten. Dies gilt sowohl vertikal im Mehrebenensystem der EU mit den sich überlappenden Zuständigkeiten großer „Medienstädte“ wie Köln, Hamburg, München und Düsseldorf – Ansiedlungspolitik –, der Bundesländer – insbesondere für den Rundfunk und Pressegesetze, Filmförderung –, des Bundes – evtl. Presserechtsrahmengesetz, GWB und seine Anwendung durch das Bundeskartellamt – und der EU-Kommission – Fernsehrichtlinie, Filmförderung, technische Standardisierung, Wettbewerbsentscheidungen – als auch für die Gegenstandsbereiche in horizontaler Richtung: Infrastruktur-, Technologie-, Ordnungs-, Wettbewerbs-, Verbraucher-, Jugend- und Datenschutz-, Bildungs- und Kultur- und letztendlich Gesellschaftspolitik. Medienpolitik ist eine typische Querschnittsaufgabe, die mangels geregelter Koordination immer nur in Teilaspekten und dann auch noch oft widersprüchlich zu anderen Teilaspekten wahrgenommen wird. So sind z.B. die Ansätze der EU-Kommission zur Marginalisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geschildert und es ist außerdem auf die Spannungen zwischen Landesmedienanstalten und KEK in Kapitel 9 hingewiesen worden. Oben unter c. ist das Spannungsverhältnis von Standort- und Ordnungspolitik erläutert worden. Unten unter g. wird die Problematik eines effizienten Jugendmedienschutzes diskutiert.
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In NRW ist auf Landesebene versucht worden, medienpolitische Kompetenzen in der Staatskanzlei zu bündeln und eine bessere Koordination zwischen den verschiedenen Ressorts in medienpolitischen Fragen zu organisieren. Dies ist unter den Ministerpräsidenten Johannes Rau und Wolfgang Clement im ersten Schritt gelungen, hat aber unter ihren Nachfolgern keine Fortsetzung erfahren. Dies ist umso erstaunlicher, als Medien- und Bildungspolitik die einzigen originären Zuständigkeiten auf Landesebene sind. Erklärlich wird dies, wenn man berücksichtigt, dass einerseits einzelne Ressorts eifersüchtig auf die Wahrung „ihrer“ Zuständigkeiten erpicht sind und dass andererseits die von Medienpolitik betroffenen Unternehmen oder Institutionen gar kein Interesse an einer durchgreifenden Politik haben und dementsprechend ihre Interessen in den Arenen der politics im Wege des Lobbying artikulieren.
10.7 Juristische Regulierung als symbolische Politik ? •
Instrumente der Medienpolitik: Recht, Geld, Kommunikation
Medien- bzw. kommunikationspolitische Instrumente des Staates lassen sich systematisch den drei Bereichen der Rechtsetzung, der finanziellen Förderung und der Kommunikation im weitesten Sinne, also auch der Aufklärung und Bildung, zuordnen. Rechtsetzung und Rechtsanwendung haben im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu erfolgen, wobei immer wieder versucht wurde, den Rahmen in die eine Richtung – im Saarland mit der Garnierung von kommerziellen Rundfunkanbietern mit Beiräten – oder die andere Richtung – in NRW bei der Stärkung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch Ermöglichung privatwirtschaftlicher Betätigung – zu erweitern bzw. zu verändern. Finanzielle Förderung kann durch direkte Geldausgaben z.B. in der Filmförderung erfolgen oder in der Unterstützung von Medienansiedlungen z.B. durch Bereitstellung günstiger Kredite, „kostenloser“ Grundstücke oder die kommunale oder landesseitige Übernahme von Erschließungskosten. Kommunikation erfolgt in Regierungserklärungen, in der Erläuterung von medienpolitischen Vorhaben oder in der Kommentierung von juristischen Entscheidungen. Sie dient oft zur medienpolitischen Beruhigung von „Besorgten“ – Eltern oder Intellektuellen –, um Ängste vor unerwünschten Wirkungen neuer Medien zu zerstreuen. •
Zum Konzept der „symbolischen Politik“
Der Begriff symbolischer Politik kann in zweierlei Hinsicht verstanden werden. Zum einen geht es um den Gebrauch von Symbolen und symbolischen Handlungen in der Politik (vgl. Jessen). Zum anderen geht es um die bewusste oder unbewusste Vortäuschung von politischem Handeln gegen Missstände, um das Nichthandeln zu vertuschen. Der symbolische Gebrauch von Politik im zweiten Sinne, also die Absicherung einer realen Entwicklung durch kommunikative und institutionelle „Begleitung“ wird in Bezug auf Regulierungsbehörden allgemein so beschrieben: „Administrative agencies are to be understood as economic and political instruments of the parties they regulate and benefit, not of a reified
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˛society‘ , ˛general will‘, or ˛public interest‘. At the same time they perform this instrumental function, they perform an equally important expressive function for the polity as a whole: to create and sustain an impression that induces acquiescence of the public in the face of private tactics that might otherwise be expected to produce resentment, protest and resistance” (Edelman, S. 56). Diese Definition geht über die kommunikative Funktion des Staates zur „Wahrung des öffentlichen Interesses“ insofern hinaus, als hier das Handeln der Regulierungsinstitutionen als direkt im Interesse der zu überwachenden Industriebereiche liegend verstanden wird; die Regulierungsinstitutionen – in unserem Fall also die Landesmedienanstalten – nehmen nach diesem Verständnis eine Schutzfunktion für die Wahrnehmung der kommerziellen Interessen „ihrer“ Branche wahr. Sie verklären ihr „Aufsichtshandeln“ mit Begriffen aus dem Arsenal der gesamtgesellschaftlichen Gemeinwohlorientierung. Zusätzlich lässt sich auf Grund der Erfahrungen mit „regulated industries“ besonders in den USA festhalten, dass die entsprechenden „regulatory commissions“ sich oft mit den Interessen der zu überwachenden Industrien identifizieren auf Grund von personellen Verflechtungen, auf Grund von einem „tiefgehenden Verständnis“ der besonderen Situation der betreffenden Branche und auf Grund eines „gesunden“ Selbsterhaltungstriebes – würde die Branche fallieren, würde die Kommission ihre Existenzberechtigung verlieren. •
Medien- bzw. Kommunikationspolitik als symbolische Politik?
In Bezug auf die Funktionen der Federal Communication Commission (FCC) in den USA hat Wolfgang Hoffmann-Riem nachgewiesen, dass sie ihre Schutzschildfunktion dadurch besonders wirksam erfüllt, „dass sie durch ihre Regeln überschießende Erwartungen (und Befürchtungen) weckt, durch das Erfordernis bürokratischen Aufwandes den Anschein intensiver Kontrolle weckt – und gleichzeitig nichts unternimmt, was die Entfaltung der kommerziellen Steuerungsfaktoren nachhaltig hemmen würde“ (Kommerzielles Fernsehen, S. 292). Die fairness-Doktrin – die Verpflichtung der amerikanischen Rundfunkveranstalter, bei kontroversen Themen in der Berichterstattung unterschiedliche Positionen zu berücksichtigen – enthalte so viele unbestimmte Rechtsbegriffe, dass die FCC kaum wirkliche Entscheidungskriterien in der Hand habe; gleichzeitig erwecke sie aber den Eindruck effizienter Regulierung. Die EU-Fernsehrichtlinie hantiert in Bezug auf den Jugendschutz ebenfalls mit unbestimmten Rechtsbegriffen wie „Beeinträchtigung in Bezug auf die Entwicklung von Jugendlichen“ durch pornographische oder Gewaltdarstellungen. „Der sich aufgrund von Zwängen der regulativen Politik in einem gestuften System ergebende Minimalkompromiss lässt dem mitgliedstaatlichen Vollzug einen großen Ermessens- und Interpretationsspielraum vor dem Hintergrund des Subsidiaritätsprinzips. Es wird deutlich, dass diese unbestimmten Begriffe zum Schutz von Minderjährigen lediglich symbolischen Wert haben und somit der Verwirklichung eines europaweiten Jugendschutzes nicht dienlich sein können“ (Bundschuh, S. 157, vgl. auch S. 215f). Die vorwiegend symbolische Politik der Landesmedienanstalten lässt sich auch damit belegen, dass z.B. die Bestimmungen des Rundfunkstaatsvertrages relativ oft „angepasst“ wurden, die Aufgreif- und Eingriffskriterien viel zu hoch angesetzt sind und dass die Bestimmungen zur Konzentrationsbekämpfung lückenhaft sind – kaum Kontrollmöglichkeiten bei überpro-
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portionalem internen Wachstum im Gegensatz zur Fusionskontrolle. Außerdem hinken die Antikonzentrationsbestimmungen immer hinter technologischen und wirtschaftlichen Entwicklungen – z.B. immer neue Tatbestände der Herausbildung von Unternehmensnetzwerken – hinterher. Schließlich sind die Landesmedienanstalten aus Standortimperativen als Sachwalter von kommerziellen Interessen einzuschätzen. Am gravierensten ist jedoch, dass die Medienrecht anwendenden Institutionen mit Ausnahme der EU-Kommission nicht auf gleicher Augenhöhe wie die internationalen Medienkonzerne agieren. Auf der einen Seite gibt es in Deutschland 15 Landesmedienanstalten, die stark unterschiedliche Landesgesetze anwenden und auch unterschiedliche Interessen verfolgen, auf der anderen Seite stehen ihnen Weltkonzerne wie Bertelsmann, Murdock, Disney, Sony oder Time/Warner gegenüber.
10.8 Internationale Einflüsse auf Medienwettbewerb und Konzentration in Deutschland Internationale Einflüsse ergeben sich vor allem aus dem Widerspruch zwischen weitgehend unregulierter internationaler Konkurrenz insbesondere durch US-amerikanische Medienkonzerne einerseits und dem Anspruch auf nationaler Ebene, für Leistungswettbewerb durch Anwendung des GWB und für publizistischen Wettbewerb durch Anwendung des Rundfunkstaatsvertrages zu sorgen. Die genannten Gesetze gelten zwar auch für die internationalen Konzerne, wenn sie in Deutschland aktiv sind, aber sie greifen kaum, da diese internationalen Konzerne vorrangig auf anderen als den deutschen Medienmärkten hoch konzentriert sind. Dadurch ergibt sich aus Sicht „deutscher“ Medienkonzerne eine Schieflage in der Konkurrenz zu ihren Lasten. In den Arenen der politics benutzen sie diese „Benachteiligungen“, um für eine Deregulierung der Medienaufsicht und Konzentrationskontrolle in Deutschland zu plädieren. Würde man diesen Argumenten folgen, so würde die Macht des Stärkeren die Konkurrenz auch im Inland bestimmen. Die politische Reaktion auf dieses regulatorische Ungleichgewicht kann in der Perspektive der Förderung der Demokratie nicht in dem Verzicht auf die verfassungsrechtlichen Ansprüche an Medienorganisation und publizistischen Wettbewerb liegen. Ordnungspolitisch kann sich daraus nur die Forderung nach internationaler Regulierung ergeben, so wie die EU wenigstens europaweit die Fusionskontrolle und in einigen Fällen sogar international die Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen ausübt. Bis dahin ist es jedoch – wenn überhaupt – ein weiter Weg, da einerseits die medienpolitischen Kulturen weltweit stark unterschiedlich sind und andererseits die Macht der internationalen Multimediakonzerne dem entgegensteht. Schon innerhalb der EU ist es schwierig, sich auf gemeinsame Mindeststandards zu einigen. Bisher sind alle Bemühungen um eine wirksame Anti-Konzentrationsrichtline im Medienbereich gescheitert. Außerdem: eine Kultur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gibt es nur in den nordeuropäischen Ländern – Skandinavien, Großbritannien, Niederlande und Deutschland, mit Abstrichen in Frankreich –, während Süd- und Osteuropa stärker auf kommerzielle, „staatsfreie“ Medien setzen, weil sie Erfahrungen mit unterschiedlichen Formen von Diktaturen und staatlich kontrollierten Medien gemacht haben.
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Unterschiedliche Lebens- und Eßgewohnheiten verhindern z.B. europaweite Standards bei zeitlichen Limits für Fernsehsendungen mit jugendgefährdenden Inhalten: Die Grenze des Beginns nach 22.30 Uhr mag in Deutschland im Ansatz richtig sein, in südeuropäischen Ländern mit Siesta zur Mittagszeit pulsiert das Familienleben mit Kindern gerade um diese Zeit. Angesichts der Tendenzen zur Globalisierung auch im Medienbereich – sowohl auf dem Gebiet der Infrastrukturen, als auch auf dem Gebiet des Films und des Fernsehens, sowohl auf dem Gebiet der Medientechnik als auch auf dem Gebiet der ökonomischen Konvergenz – und in der Perspektive einer weltweiten Wissensgesellschaft stellen sich die Fragen einer internationalen Kommunikations- und Medienpolitik mit besonderer Schärfe sowohl was ihre Inhalte angeht als auch was ihre institutionelle Umsetzung betrifft.
10.9 Evaluation und Forschungsfragen Die politikwissenschaftliche Analyse von Kommunikations- und Medienpolitik lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: 1. Politikwissenschaft bringt die historischen Bedingungen von Medienorganisation und Medienregulierung ins Blickfeld. Sie kann insbesondere die spezifischen Bedingungen für die Organisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als Reaktion auf den Missbrauch des staatlichen Rundfunks in der Zeit des Nationalsozialismus herausarbeiten. 2. Politikwissenschaft hat es mit Machtauseinandersetzungen zu tun. Von daher kommen die Kämpfe um die Ausgestaltung von Medienpolitik ins Blickfeld. Dabei wird deutlich, dass einerseits das diffuse „Allgemeininteresse“ an Medienpolitik – z.B. in Form eines angemessenen Jugendmedienschutzes – keine organisierte Lobby hat, während manifeste wirtschaftliche und publizistische Medieninteressen wohl organisiert und mit „eigener“ publizistischer Macht ausgestattet sind. In den Arenen der politics, in denen um die Ausgestaltung der Medienpolitik gestritten wird, gibt es daher ein großes Machtungleichgewicht zu Ungunsten der Interessen der Bürger, das auch nicht durch die politischen Parteien ausgeglichen wird. 3. Politikwissenschaftliche Analysen haben die Vielfalt der Akteure im Bereich der Medienpolitik aufgezeigt. Diese Vielfalt hat im Übergang zur Internationalisierung der Medien noch zugenommen (vgl. Wittkämper, S. 9ff). Politische Parteien gehören zu diesen Akteuren. Sie haben jedoch in ihren Parteiprogrammen nur sehr allgemeine medienpolitische Ziele formuliert, die sie, so sie denn an der Regierung beteiligt sind, kaum zu konkreten Handlungen verpflichten. 4. Abgesehen von konkreter stattlicher Standortpolitik ist die Tätigkeit der Landesmedienanstalten weitgehend als symbolische Politik einzuordnen: Absicherung der kommerziellen Interessen der „schutzbefohlenen“ Medienkonzerne einerseits und Beschwichtigung kritischer Bevölkerungskreise andererseits durch Verweis auf die „strengen“ Regulierungsaktivitäten. 5. Politikwissenschaftler haben die Ziele der Kommunikationspolitik systematisch geordnet und dabei herausgearbeitet, dass es sich um eine Querschnittsaufgabe handelt. Wittkämper zählt folgende Hauptziele auf: „a. Vom nationalen bis zum internationalen Bereich gilt es zunächst auf der Basis der Meinungsfreiheit, die Pressefreiheit, Rundfunkfreiheit und andere Kommunikations-
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grundrechte, die zu einer umfassenden Kommunikationsfreiheit zusammenwachsen, vor Bedrohungen und Gefährdungen zu schützen. b. Sodann geht es um die öffentliche Aufgabe der Medien, die über Medienorganisations- und Medienverwaltungsrechte mit einem Garantie- und Ordnungsrahmen zu versehen sind. c. Die Begrenzung der Medienmacht, die Stichworte sind hier Meinungsmanipulation, Individualschutz, auch Datenschutz, markiert einen weiteren Zielbereich der Kommunikationspolitik. Hierzu gehören in einem weiten Sinne auch Schutzziele wie der Schutz des geistigen Eigentums, der Schutz der Ehre und der Schutz der Jugend. d. Angesichts der dynamisch wachsenden wirtschaftlichen Bedeutung von Information und Kommunikation markieren die wirtschaftlichen Ziele, die gerechte Teilhabe an den Kommunikationsmärkten, Sicherung des Wettbewerbs, regionale und sektorale Teilhabe an Informations- und Kommunikationsmärkten, ein weiteres großes Zielfeld der Kommunikationspolitik. e. Die Bereitstellung eines ordnungspolitischen Rahmens im juristischen und technischen Sinne mit seinen vielfältigen Aspekten stellt ein anderes großes Teilfeld der Kommunikationspolitik dar, welches wiederum von der nationalen bis zur globalen Ebene reicht. f. Im Zeitalter von Telematik, Multimedia und Datenautobahnen kommt schließlich der Information über die Strukturen und Prozesse der Informations- und Kommunikationswelt eine immer größere kommunikationspolitische Bedeutung zu“ (S. 12 f.). Wünschenswert wäre eine Analyse von Zielkonflikten und Zielprioritäten. 6. Es könnte mehr ins Detail gehende Politikfeldanalysen geben, die an konkreten medienpolitischen Auseinandersetzungen den Weg von politics zu policies oder deren Unterlassung aufzeigen und die die Dynamik der Veränderungen der politiy im Kontexts von gesellschaftlichen Machtverschiebungen und Ideologien analysieren. Dazu wäre allerdings eine „unabhängige“ politikwissenschaftliche Forschung von Nöten, die sich der kommunikationspolitisch intendierten Intervention staatlicher Forschungsförderung entzieht (vgl. dazu Kleinsteuber, S. 34). Auf einer derartigen Basis ließe sich realistisch abschätzen, welche der Ziele der Kommunikationspolitik unter welchen Machtverhältnissen mit welchen Mitteln umzusetzen wären.
11. Soziologische Ansätze zu Macht und Herrschaft und ihre Bedeutung für Medienwettbewerb und Konzentration 11.1 Soziologische Theorien •
Differenzierungen: Macht, Herrschaft, Legitimation, Autorität, Ressourcen
Soziologische Theorien beziehen sich auf die Analyse sozialer Beziehungen zwischen Individuen in ihren verschiedenen Rollen und zwischen Individuen und Institutionen unter jeweils gegebenen spezifischen gesellschaftlichen Strukturen von Macht und Herrschaft. Die Definition von Macht durch Max Weber wurde eingangs in Kap. 3.1 wiedergegeben, wobei die Formulierung „… gleichviel worauf diese Chance beruht“, auf unterschiedliche Ressourcen verweist. In diesem Zusammenhang ist auch die Unterscheidung zwischen formeller und informeller Macht von Bedeutung, die Frage also nach der wirklichen Verteilung von Macht – dies gilt insbesondere für das Verhältnis von wirtschaftlicher, politischer und medialer Macht. Bertrand Russel hat Macht als das Hervorbringen beabsichtigter Wirkungen definiert. Wirkungen auf Individuen können durch Propaganda im weitesten Sinne, also durch Beeinflussungen der Meinung erzielt werden. Es wird ausgeführt, dass für Max Weber die Ausarbeitung einer Herrschaftssoziologie wichtiger war als die Skizzierung einer Machtsoziologie, da der Herrschaftsbegriff wesentlich präziser sei als der der Macht (Vgl. Jäckel, S. 2o5ff). Der Herrschaftsbegriff – „die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu erhalten“ (ebenda) – bedarf allerdings der Übertragung auf demokratische Verhältnisse, da dort nur noch beim Militär und der Polizei von Befehl und Gehorsam gesprochen werden kann. Es geht also um die Analyse von Über- und Unterordnungsverhältnissen unter heutigen Verhältnissen in Analogie zum überkommenen Herrschaftsbegriff: der Befehl ist durch subtile, wenngleich ebenso wirksame Formen der Herrschaftsausübung ersetzt worden. Macht- und Herrschaftsausübung bedürfen unter demokratischen Verhältnissen der rational nachvollziehbaren Legitimation, d.h. der Begründung auf Grund der verfassungsmäßigen Ordnung des Gemeinwesens. Legitimation kann immer nur konkret im Zusammenhang spezifischer Ziele und der zu ihrer Erreichung eingesetzten Mittel überprüft werden. Im Sinne einer Mediensoziologie lautet also die Frage: Haben „die“ Medien oder einzelne Medienkonzerne Spielräume, um Macht und Herrschaft in ihrem Interesse – mit welchen Zielen und mit welchen Mitteln - zu entfalten und wenn ja, in wieweit sind sie dazu jeweils legitimiert? In diesem Zusammenhang ist auch der Begriff von Autorität von Bedeutung. „Wenn Autorität die Eigenschaft einer Person oder einer Gruppe von Personen sein soll, Herrschaft dagegen die Eigenschaft eines sozialen Systems, so ist die Organisation von Herrschaft ohne die Vernetzung von Autoritäten kaum vorstellbar. Diese Vernetzung aber ist es, die auf der Grundlage von Herrschaft eine Eigendynamik entfalten kann und so genannte Autoritätskartelle hervorbringt“ (daselbst, S. 297). Eine spezifische Mediensoziologie fragt also z.B. danach, ob die Presseverleger bei allem intramediären Wettbewerb ein Autoritätskartell z.B. in dem Sinne darstellen, dass sie einerseits auf eine gemeinsame wirtschaftsfreundliche Grundausrichtung
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ihrer Presseorgane achten und andererseits gemeinsam ihre Interessen gegenüber der Politik vertreten. Ihre Autorität leiten sie dabei aus ihrer Verfügung über Ressourcen zur Herstellung und Verbreitung von Presseerzeugnissen und ihrer Position als Inhaber der Pressefreiheit – so wie sie sie interpretieren – ab. Eine derartige Autorität kann also nur gewonnen werden, wenn die Inhaber der gesellschaftlichen Macht auch über die entsprechenden Ressourcen verfügen: Nur solange die Presseverleger mit einer gewissen Exklusivität über die Redaktionen, die Druckkapazitäten und die Vertriebswege verfügen, können sie ihre Autorität „behaupten“. Der Zugang zu Verbreitungswegen von Meinungen ist eine Machtressource. Das Internet mit seinen Potenzialen der Selbstorganisation und der Information unter Umgehung der Presseerzeugnisse stellt daher eine Infragestellung der Autoritätskartelle der Presseverleger dar – deren Macht schrumpft in dem Maße, in dem das Internet zum Leitmedium der Lesekultur der Massen werden sollte und es den Verlegern nicht gelingt, auch im Internet zu Schleusenwärtern der Information zu werden. •
Herrschaft durch „Organisation“
Max Weber beschreibt unter dieser Überschrift das Beziehungsgeflecht zwischen den „Herren“ und der „beherrschten Masse“, das auf dem Vorteil der kleinen Zahl beruhe, „d. h. auf der für die herrschende Minderheit bestehenden Möglichkeit, sich besonders schnell zu verständigen und jederzeit ein der Erhaltung der Macht dienendes, rational geordnetes Gesellschaftshandeln ins Leben zu rufen und planvoll zu leiten, durch welches ein sie bedrohendes Massenoder Gemeinschaftshandeln solange mühelos niedergeschlagen werden kann, als nicht die Widerstrebenden sich gleich wirksamer Vorkehrungen zur planvollen Leitung eines auf eigene Gewinnung der Herrschaft gerichteten Gesellschaftshandelns geschaffen haben“ (Weber, S. 548). Unter Organisation versteht er in diesem Zusammenhang, „dass ein an Gehorsam gegenüber den Befehlen von Führern gewohnter, durch Beteiligung an der Herrschaft und deren Vorteilen an ihrem Bestehen persönlich mit interessierter Kreis von Personen sich dauernd zur Verfügung hält und sich in die Ausübung derjenigen Befehls- und Zwangsgewalten teilt, welche der Erhaltung der Herrschaft dienen“ (ebenda, S. 549). Übersetzt auf die heutigen Verhältnisse privat-kommerzieller Medien könnte dies bedeuten, die Verleger bzw. Eigentümer von Multimedia-Konzernen als „Herren“ zu verstehen, die sich „ihrer“ Journalisten bedienen, um ihre Interessen gegenüber den „beherrschten Massen“, aber auch gegenüber der Politik durchzusetzen. Dabei können sie sich des Instruments von Medienkampagnen bedienen, die nicht der Information der Bürger dienen, sondern egoistischen Zielen von „Pressezaren“. Guratsch hat dieses soziologische Konstrukt am Beispiel des Hugenbergschen Presseimperiums überzeugend empirisch fundiert: Hugenberg dirigierte mit Hilfe der „Kampfinstrumente“ Presse und Film Industrien, Verbände und Parteien und manipulierte die öffentliche Meinung in Richtung einer national-konservativen Kriegszielpolitik im ersten Weltkrieg. In Weimar nutzt es seine Macht gegen die junge Demokratie. Er übte die gleiche Herrschaft sogar verstärkt zu Beginn der 30er Jahre aus und half so Hitler an die Macht. Derartige Analysen lenken den Blick auf das enge Verhältnis von Medienmacht und gesellschaftlicher Entwicklung und verweisen nachdrücklich auf die ordnungspolitische Aufgabe,
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für einen funktionsfähigen publizistischen Wettbewerb zu sorgen, um katastrophale gesellschaftliche Fehlentwicklungen zu vermeiden. •
Sozialisation und Gewöhnung
Menschen werden von der gesellschaftlichen und kulturellen, sich historisch wandelnden Umwelt geformt und geprägt. Neben der Familie, den peers und der Schule gehören inzwischen die Massenmedien zu den wichtigsten Sozialisationsagenten. Je umfangreicher die Zeit, die im „Konsum“ der Medien, insbesondere vor dem Fernsehschirm verbracht wird, umso größer die Sozialisationswirkungen (vgl. Geulen, S. 153). Auf den in diesem Kontext ermittelten Zusammenhang zwischen der Vorliebe für Gewaltsendungen im Fernsehen und aggressivem Verhalten wurde bereits bei den Wirkungen im Kapitel 8.5 hingewiesen. Sozialisation ist dabei nicht statisch zu verstehen: sie stellt auch einen Gewöhnungsprozess dar, der im Zeitablauf zu gravierenden Einstellungs- und Verhaltensänderungen führen kann. Als das kommerzielle Fernsehen aufkam, galten die Sendungen „Tutti frutti“ als erotische Sensation, heute sind pornographische Sendungen zumindest in den Nachtprogrammen der kommerziellen Sender regelmäßig zu finden, ohne dass darüber überhaupt noch diskutiert wird. Das Abwandern des Interesses von den politischen Magazinen zu den Talkshows, die Probleme eher personalisieren und nur oberflächlich anreißen, lässt sich ebenfalls als ein Gewöhnungsprozess an die Boulevardisierung von Politiksendungen interpretieren. Der Wandel zur sog. Spaßgesellschaft beruht zu einem guten Teil auch auf den vorrangig der Unterhaltung und der Konsumförderung dienenden Sendungen der kommerziellen Sender – möglicher Weise ist dies der Preis für den zunehmenden Wohlstand der Gesellschaft.
11.2 Klassen, Schichten und Milieus Nach marxistischer Analyse der kapitalistischen Verhältnisse in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert standen sich zwei Klassen unversöhnlich gegenüber: die Bourgoisie und das Proletariat. Vereinfacht dargestellt: beide hatten ihre eigenen Medien, die bürgerliche Presse auf der einen Seite und die Partei- und Gewerkschaftszeitungen auf der anderen Seite. Die Herausbildung des Sozialstaates zu Beginn des vorigen Jahrhunderts hat dazu beigetragen, dass Klassenschranken überwunden wurden u. a. durch Bildungsaufstieg. Es folgte eine Unterscheidung nach Schichten: Merkmale waren Einkommen und Bildung, die mindestens gegeneinander durchlässige Schichten von einander abgrenzten: Unter-, mittlere und Oberschicht. Die Partei- und die Gewerkschaftspresse verloren damit immer stärker an Bedeutung und der Pressetyp des „Generalanzeigers“ setzte sich durch als Informationsmedium für praktisch alle Schichten. Heute spricht die Soziologie von „Erlebnisgesellschaft“ und sozialen Milieus: den Schichten werden drei unterschiedliche Grundorientierungen – traditionelle Werte, Modernisierung und Neuorientierung – zugeordnet, und so ergeben sich bei den Sinus-Milieus 10 sich teilweise überlappende Milieus gruppiert um die „bürgerliche Mitte“ (vgl. Berger, Neu, S. 252f). Diesen Milieus lassen sich nur noch bedingt einzelne Medien zuordnen, am ehesten noch die weit ausdifferenzierten Zeitschriften – die Lifestyle Publikationen evtl. den „Hedonisten“ oder das
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Manager Magazin den „Modernen Performern“. Die Ausdifferenzierungen von Milieus und von Zeitschriften bedingen sich wechselseitig. Der Wettbewerb der Zeitschriften kann in diesem Zusammenhang als Kampf um die Schaffung von abgrenzbaren, ökonomisch verwertbaren Zielgruppen verstanden werden. Durch derartige Ausdifferenzierungen besteht die Gefahr, dass die Integrationsfunktion der Medien für die Gesellschaft verloren geht und damit die Herstellung eines weitgehenden Konsenses über die Modalitäten des gesellschaftlichen Zusammenlebens durch einen herrschaftsfreien Diskurs. Da die Bindungskraft von Kirchen, politischen Parteien und Gewerkschaften abnimmt, ist der Verlust gesamtgesellschaftlicher Integration durch Medien umso besorgniserregender.
11.3 Die Macht der Medien •
Modelle und Theorien der Öffentlichkeit
Soziologische Analysen zum Wandel der Öffentlichkeit – und damit zu den Arenen, in denen Medienwettbewerb und Konzentration stattfindet –, lassen sich grob in historischer Perspektive nach Kriterien der medialen Übermittlung und ihrer Eigenlogik und nach dem jeweiligen Adressaten- und Nutzerkreis in drei verschiedene „Modelle“ unterteilen: Da ist zunächst am Ende des 18. Jahrhunderts der Übergang vom Feudalismus zur bürgerlichen Gesellschaft und mit ihr der Übergang zur Herausbildung einer bürgerlichen Öffentlichkeit. Die mediale Übermittlung erfolgt über gedruckte Pressetexte und setzt ein Lesepublikum voraus: Öffentlichkeit entsteht als Kommunikationssphäre – sprachliche Konversation – des gebildeten Bürgertums. In diesem Übergang ist ein erster Schritt der Emanzipation und Demokratisierung angelegt, doch bleibt diese Öffentlichkeit dem gehobenen Bürgertum vorbehalten, so dass man auch von einem Elitemodell für eine durch Bildung ausgezeichnete Minderheit sprechen kann. Sodann finden wir in der Mitte des vorigen Jahrhunderts den Übergang zu audiovisuellen Präsentationsformen in ihrer Orientierung an den „Bedürfnissen“ der breiten Massen. Die Eigenlogik insbesondere des Fernsehens führt zu Aufmerksamkeitsnachteilen für weniger gut visualisierbare gesellschaftliche Problembereiche. Gleichzeitig sind Medienereignisse sozial-integrative Handlungsprojekte mit rituellem, zeremoniellem Charakter. Es handelt sich also um ein demokratisches Modell von Öffentlichkeit, das aber durch die vulgarisierte Massenkommunikation und die Eigenlogik der audiovisuellen Medien Realität verzerrend wirkt. Gegenüber der bürgerlichen Öffentlichkeit ist es ein Fortschritt, als die gesamte Bevölkerung an der Kommunikation teilhaben kann, andererseits ist es ein Rückschritt, als von einem herrschaftsfreien Dialog und der Durchsetzung des besseren Arguments nicht die Rede sein kann. Es ist sogar von Refeudalisierung der Öffentlichkeit die Rede. In der Transformation von Öffentlichkeit innerhalb der modernen Gesellschaft sieht Habermas eine Verfallsgeschichte, in der das Räsonnement durch kulturindustriell erzeugte Stimmungen und Konformität ersetzt wird. Die Kunst der Public-Relations-Fachleute ist „engineering of consent“, sie zielt darauf ab, mit den Mitteln der Werbung und Massenunterhaltung bloß den Anschein von Öffentlichkeit zu erwecken: „Öffentlichkeit wird zu demonstrativen oder gar manipulativen Zwecken
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künstlich hergestellt und nimmt dadurch wieder feudale Züge an: Hergestellte Öffentlichkeit simuliert die Aura, die Distanziertheit und das hohe Prestige von Autoritäten und Führungspersonen, wie sie unter feudalen Verhältnissen, in der repräsentativen Öffentlichkeit des Fürsten, in der prachtvoll entfalteten Macht des Hofes bestanden hat“ (Wenzel, S. 424). Geht man mit Habermas davon aus, dass die Öffentlichkeit nach diesem Modell eine vermachtete Arena ist, so sind die entsprechenden Machtkonstellationen zu klären. Dazu wird aus soziologischer Perspektive die Beantwortung folgender drei Fragen vorgeschlagen: „1. Who owns or controls the mass media, and how much access to them is afforded individuals and groups in society? 2. What do the media present to the public, and who makes decisions regarding that content? 3. To what extent do the mass media shape peoples views of events and personalities in their society and the world, and how do the media transmit ideology?” (Marger, S. 238f.). Diese Fragen rücken einerseits die wirtschaftliche Macht von Medieninstitutionen ins Blickfeld, andererseits verknüpfen sie die Frage nach Machtausübung eng mit der Frage nach Medienwirkungen. Journalisten bzw. die ihnen vom Verleger vorgegebenen Richtlinien ihrer redaktionellen Arbeit bestimmen, ob und wie sie über gesellschaftliche, wirtschaftliche oder politische Vorgänge oder über Personen berichten. Damit üben sie Macht im soziologischen Sinne aus. Paul Sethe hat vor langer Zeit sinngemäß gesagt: Die Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 Verlegern, „ihre“ Meinung zu verbreiten. Inzwischen ist die Zahl dieser Verleger auf Grund der fortgeschrittenen Presse- und Multimediakonzentration sehr viel kleiner. Damit ist die 2. Frage beantwortet. Der Zugang zur Presseveröffentlichung im Sinne der 1. Frage wird für die „breite Masse“ geregelt über die Auswahl der veröffentlichten Leserbriefe und dabei über die daraus ausgewählten Versatzstücke und für die politische und kulturelle Elite über die Gewährung von Raum für „Gastbeiträge oder Gastkommentare“ – alles auf freiwilliger Basis des jeweiligen Presseverlages. Ansonsten gibt es im eng begrenzten Rahmen Zugang zur Veröffentlichung nur über das Gegendarstellungsrecht. Die dritte Frage nach den Wirkungen wird soziologisch in den folgenden Punkten beantwortet. Die dritte Wandlung der Öffentlichkeit tritt ein durch die Digitalisierung aller Medien, ihrer Konvergenz und die dadurch ermöglichte Individualisierung der Mediennutzung. Auf der Ebene der medialen Vermittlung haben wir es mit einem multimedialen, hypertextuellen Modell zu tun, das sich sowohl an ein Lese- als auch an ein audiovisuelles Publikum wendet. Die Individualisierung der Nutzung insbesondere des Internets macht es schwerer, Medienereignisse als sozial-integrative Projekte zu inszenieren. Öffentlichkeit als demokratisches Forum verflüchtigt sich. Gleichzeitig versuchen die etablierten Multimedia-Konzerne ihre Autoritätskartelle auch auf das Internet zu übertragen. Die Frage bleibt also, ob die Refeudalisierung der westlichen Gesellschaften durch die Verbreitung des Internets rückgängig gemacht wird. Hier nun wird einige Hoffnung auf die Etablierung und Verbreitung virtueller Gemeinschaften gesetzt. Als Formen multimediagestützter sozialer Gemeinschaften werden „Spielewelten“, „digitale Dorfbrunnen“ als inoffizielle Kommunikationszentren und „Plauder Portale“ analy-
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siert. Das verbindende Moment dieser drei Formen sei, dass dialogische und rezeptive Formen der Medienkommunikation vermischt würden. „Virtuelle Räume können geographisch, thematisch oder auch demographisch strukturiert sein, sie können selbstorganisiert sein oder von einer gesellschaftlichen Institution oder Einrichtung getragen sein. Angesichts der enormen Potentiale und der zugleich stattfindenden medialen, politischen und ökonomischen Machtkonzentration im Netz ist die Frage angebracht, ob Kinder, Bürgergruppen oder Privatpersonen lediglich dann multimediagestützte soziale Gemeinschaften bilden können, wenn sie auch zugleich als Datenfutter der ökonomischen Netzmacht zur Verfügung stehen“ (KeilSlawik, Hampel, S. 267). Da zur effektiven, und d.h. kommunikativen – dialogischen und rezeptiven – Nutzung des Internets eine gehörige Portion Medienkompetenz gehört, die weit über den gekonnten Umgang mit den Informations- und Kommunikationstechniken hinausgeht, kann man in diesem Fall – was die Nutzungsebene betrifft – von einem schichtspezifischen Modell sprechen. In diesem Wandel befinden sich die westlichen Gesellschaften momentan, so dass diese Klassifizierung mit einiger Vorsicht zu verstehen ist (Zu Modellen und Theorien der Öffentlichkeit Vgl. Wenzel, S. 422ff.). •
symbolischer Interaktionismus und die Funktionen der Massenmedien: Konstruktion von Wirklichkeit, parasoziale Interaktion, framing und Integration
Unter den Bedingungen hoch komplexer, ausdifferenzierter Gesellschaften, noch dazu im Zeitalter einer beschleunigten Globalisierung fehlt es den Bürgern zu den meisten gesellschaftlichen Problembereichen an Erfahrungen aus erster Hand. Bilder der Wirklichkeiten, wie sie unterschiedlich wahrgenommen werden, müssen ihnen erst durch die Medien in Text, Bild und Film vermittelt werden. Diese Bilder sind immer Konstrukte im Sinne eines je spezifischen Ausschnittes und subjektiven Blickwinkels und eines bestimmten Vorverständnisses beim Übermittler. Sie enthalten Vereinfachungen, Stereotypen und fiktive, spekulative Elemente. Massenmediale Kommunikation hat nicht nur mit Darstellung von Wirklichkeiten zu tun, sondern auch mit Emotionen, gefühlter Teilhabe und Zugehörigkeit. Die von den Massenmedien übermittelten Botschaften kommen nur an, wenn sie nicht nur intellektuell verstanden werden. „Die in der Massenkommunikationsforschung des Symbolischen Interaktionimus untersuchte Human Interest Story verkörpert diese Kunst der Kommunikation in besonderer Weise: Sie verkörpert dem Leser die Situation des Anderen nicht bloß als zu begreifende Umstände, sondern auch als nachvollziehbares Gefühl, das ihn mit dem Anderen verbindet. Der Leser muss den rezipierten Text durch seine Gefühlsreaktion erst zu einer Human Interest Story vervollständigen; in dieser aktiven Teilhabe liegt eine Form parasozialer Interaktion vor, die imstande ist, das moralische Gewebe der Gesellschaft zu erneuern und soziale Reformen zu bewirken – wenn sich in solchen Geschichten etwas zeigt, wie bestehende gesellschaftliche Konventionen oder Institutionen Leid über Menschen bringen oder ihre Probleme eher verschärfen als lösen“ (Wenzel, S. 440f). „Parasoziale Interaktion ist die Herstellung einer verwechselbaren Illusion unmittelbarer Interaktion der Zuschauer mit den Protagonisten des Massenmediums“ (daselbst S. 441). Offenbar sind deshalb Talkshows vor ausgewähltem Publi-
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kum im Fernsehen – anders als Bundestagsdebatten – so beliebt, vor einem Studiopublikum, das als Stellvertreter für die Zuschauer agiert und damit eine echte Partizipation suggeriert. Auf der Vorderbühne der öffentlichen Auftritte von Politikern, Wirtschaftsführern oder Prominenten aus dem kulturellen Raum werden Rollenerwartungen präsentiert, während die wirklichen sozialen Auseinandersetzungen im Verborgenen auf der Hinterbühne erfolgen. „Echtzeitmedien haben nun in der modernen Gesellschaft diese Grenze zwischen Vorderund Hinterbühne durchlässig gemacht, sie lassen einen neuen, mittleren Bereich entstehen, in dem zusammen mit der Vorderbühne partiell auch die Hinterbühne einsehbar wird – Echtzeitmedien erzeugen eine Seitenbühne. Lebte der vormoderne politische Führer noch in Distanz zu seinen Untertanen, so sitzen wir heute im Wahlwerbespot mit dem führenden Politiker und seiner Familie zusammen am Frühstückstisch. Öffentliche Personen sind nicht mehr nur in ihrer formalen Funktion von Belang, das Interesse des Publikums richtet sich auch auf ihr Privatleben, auf ihre informellen Rollen und ihre Gefühle – mit der wachsenden Tendenz, auch Teile der Hinterbühne für die Öffentlichkeit zu inszenieren. Über die sachliche Vergegenwärtigung der Rollen- und Funktionserwartungen des Anderen hinaus bestimmen Emotionen und ästhetische Empfindungen sowie private Informationen zu einer Person, zu seinen Wünschen und Gefühlen, eventuell sogar zu seinen intimen Erfahrungen unsere Reaktion. Der Seitenbühnenblick hilft uns (bzw. der Öffentlichkeit) dabei, nicht nur die Authentizität und Glaubwürdigkeit einer politischen Führungsperson, sondern auch die Legitimität ihres Führungsanspruchs zu bewerten“ (Wenzel, S. 441). Hier wird offenbar die Aufhebung der Grenzen zwischen öffentlicher und privater Sphäre in der medialen Berichterstattung generell positiv bewertet ohne zu differenzieren zwischen legitimem Interesse des Publikums an der Glaubwürdigkeit eines Politikers auch im privaten Bereich – stimmen z.B. sein propagiertes Familienbild und seine private Lebensführung überein? – und plumpem Voyeurismus in Bezug auf das Privatleben von „Prominenten“ in der sog. Klatschpresse. Gemäß der Theorie des symbolischen Interaktionismus erfolgt die Realitätskonstruktion im Fernsehen mit einer am human touch orientierten Situationsdefinition – Personalisierung, Skandalisierung von gesellschaftlichen Problemen –, die, wenn vom Publikum akzeptiert, auch „reale“ Folgen auf der gleichen Ebene nach sich zieht – z.B. Rücktritte von Ministern. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an den Rücktritt des Bundesverteidigungsministers Rudolf Scharping, der während des Kosovo-Krieges mit seiner Geliebten im Swimmingpool abgelichtet wurde. „Die Massenmedien liefern nicht nur Botschaften, sie fundieren auch ein Vorverständnis, um diesen Botschaften Bedeutung zu verleihen. Wenn ein Rezipient die dominante Lesart eines Medientextes als Bedeutung wählt, dann tut er dies zumeist auf dem Hintergrund einer vorgängigen und fraglosen Situationsdefinition“ (Wenzel, S. 443). Hier nun kommt die bereits erwähnte Sozialisationsfunktion der Massenmedien ins Spiel. Stereotype der Realitätskonstruktion durch Massenmedien werden durch Eingewöhnung erlernt: Die „Erfahrung“ politischer Ohnmacht des Einzelnen, die in dem Stereotyp des Satzes: ˛Die da oben machen ja doch, was sie wollen!‘ zum Ausdruck kommt, kann auf ständiger negativer Berichterstattung beruhen, die wiederum durch den Drang nach Sensationen und damit Auflagen- bzw. Quotensteigerung im Wettbewerb der Boulevardzeitungen bzw. der kommerziellen Sender hervorgerufen wird. Dieser Gewöhnungsprozess wird mit Framing bezeichnet.
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„Wie werden wir dahin geführt, ein Glas Wasser entweder als halb leer oder halb voll zu sehen? Die Massenmedien prägen unsere Verstehensdispositionen in großem Umfang: ein Rahmen spannt ein Netz von Assoziationen und Imaginationen auf, dem wir uns kaum entziehen können; er zwingt uns, über ein Thema entlang vorgegebener Bahnen zu denken. Schon relativ abstrakte Unterschiede in der Rahmung können große Konsequenzen haben. Eine Reportage über Armut führt z.B. zu unterschiedlichen Deutungen, je nachdem ob sie episodisch, als Bericht über einen Fall oder über ein Ereignis, oder ob sie thematisch, als Element eines größeren Problemkontextes, gerahmt wird. Im ersten Fall meinen die Zuschauer, die Armen seien an ihrem Schicksal selbst schuld, im letzteren Fall sehen sie bestimmte Institutionen bzw. die „Gesellschaft“ als verantwortlich an“ (Wenzel, S. 443). Knüpft man an diese Befunde der Mediensoziologie an, so ist in Bezug auf die Vielfaltsdiskussion zu fragen, wie viele verschiedene Rahmen die Massenmedien bzw. die einzelnen Unterarten wie Presse und Rundfunk je nach gesellschaftsanalytischen Konzepten und Leitbildern „vorgeben“, um die Realität verständlich einzufangen und es ist zu fragen, mit welcher Vielfalt an Stilformen diese „Realität“ präsentiert wird. Die Fragen nach der notwendigen Vielfalt an unabhängigen Quellen der Information erhält so eine qualitative Dimension. Diese Befunde der Mediensoziologie erschließen auch neue Dimensionen der Medienwirkungen: Sie verweisen auf die Denkmuster und Wahrnehmungsverhalten prägenden Strukturen der Massenmedien, denen sich zumindest die Vielnutzer kaum entziehen können. •
Politik und Medien: Gatekeeping, Agenda Setting, Schaffung von Medienereignissen und Themenkarrieren einerseits und spin doctoring und persönliche Inszenierung von Politik andererseits.
Nähert man sich soziologisch der Frage nach dem Verhältnis von Politik und Medien, so muss man ihre Wechselwirkungen analysieren. Die Medien üben Macht aus durch gatekeeping, d.h. durch die Auswahl der zu publizierenden Meldungen und durch die Wahl der Präsentationsart und Einordnung und Kommentierung. Darüber hinaus üben sie Macht aus durch das Agenda setting, also die Bestimmung darüber, welchen Themen und Personen Priorität in der Berichterstattung eingeräumt wird und wie lange die Presse an den spezifischen Themen „dran bleibt“. In einem gewissen Umfang bestimmen einzelne Medien über Themenkarrieren – welche Probleme in welcher Form „hoch geschrieben“ werden bzw. welche Politiker „runter geschrieben“ werden. Sie müssen damit nicht unmittelbar Wirkung erzielen, aber sie können damit einen Zermürbungsfeldzug führen. So wurde behauptet, dass die Presseorgane des Axel Springer Verlages das Ende der Rot-Grünen Bundesregierung 2005 mit herbei geschrieben haben. Politiker wehren sich gegen derartige Kampagnen, indem sie Spin doctoring praktizieren bzw. praktizieren lassen: besonders während Wählkämpfen wird durch gezielte Lancierung von Themen, Gerüchten und angeblichen Skandalen auf der gegnerischen Seite dem Wahlkampf im Sinne des Kampfes um publizistische Vorherrschaft ein erwünschter Dreh gegeben. Dabei spielt auch die persönliche Inszenierung von Politik eine gewisse Rolle, z.B. wenn während des Wahlkampfes der amtierende und auf Wiederwahl zielende Kanzler Großprojekte einweiht, Staatsgäste willkommen heißt etc., um seine „hervorragende“ Kompetenz zu demonstrieren (vgl. zum spin doctoring Jäckel, S. 305ff).
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Die Frage stellt sich nun, ob in dieser „Symbiose“ von Medien und Politik „Waffengleichheit“ herrscht, oder aber die eine oder andere Seite ein Übergewicht hat, oder anders gefragt, ob die Medien im Wettbewerb untereinander ihrer Rolle als „watchdogs“, als „countervailing power“ der Politik gegenüber gerecht werden können oder ob sie ohnmächtig von der Politik „geführt“ werden bzw. konservative Politik und strukturell konservative Medienzaren gemeinsame Sache machen, weil letztere unter konservativer Politik mehr Spielraum für die Entfaltung ihrer eigenen Macht sehen. In den USA ist es offenbar Präsident Bush nach dem 11. Sept. 2001 gelungen, den Zorn der Amerikaner von Bin Laden auf Sadam Hussein im Irak umzulenken und ihn und den Irak für den Terror gegen das World Trade Center verantwortlich zu machen. Die Medien in den USA haben dieses „spin doctoring“ willfährig aus missverstandenem Patriotismus unterstützt und damit als „Frühwarnsystem“ gegenüber gesellschaftlichen Fehlentwicklungen völlig versagt, u. a. wegen der publizistischen Vorherrschaft von Rupert Murdochs Fox News und Zeitungen wie der Washington Times, die beide traditionell auf der Seite der Republikaner stehen (vgl. dazu Jäckel, S. 304). Al Gore, der frühere Vizepräsident unter Clinton und Friedensnobelpreisträger sieht diese Entwicklung auch in der Vorherrschaft des kommerziellen Fernsehens in den USA begründet: Während bei einer Lesekultur, also der gedruckten Presse als Leitmedium, rationale, intellektuelle Überlegungen zur Verarbeitung der Informationen erforderlich sind, spreche das Fernsehen besonders mit den Angst machenden Berichten über Morde, Katastrophen und Unglücksfälle einerseits und den brutalen Krimis, Actionfilmen und Western andererseits Emotionen an, die der rationalen Verarbeitung unzugänglich seien. Es komme so zu einer weitgehenden Entpolitisierung der Vielseher und zu einer verzerrten Wahrnehmung der Realität in den USA. Die Angst vor bestimmten Verbrechen steige, je häufiger diese im Fernsehen gezeigt würden, obwohl diese Verbrechen in der Kriminalitätsstatistik eindeutig rückläufig seien. Gleichzeitig werde die mittelbare Traumatisierung durch derartige Sendungen politisch ausgenutzt: Das politische Schüren von Angst vor der „heraufbeschworenen“ unmittelbaren Gefahr durch den Irak in den USA – wie wir heute wissen, frei erfunden! – habe dazu gedient, die Nation hinter dem Präsidenten zu vereinen und jede Kritik an seinem Feldzug als unpatriotisch zu diskreditieren. Die Demokratie in den USA habe sich dadurch grundlegend verändert und zwar in Abkehr zu dem Leitbild des von Angst freien, rationalen, wohl informierten Räsonnements der Bürger entsprechend den Leitvorstellungen der Verfassungsväter. Al Gore zitiert in diesem Zusammenhang Habermas mit der Metapher der Refeudalisierung der Öffentlichkeit (Gore, S. 37ff).) Es bleibt also festzuhalten, dass selbst in einer Demokratie mit langer Tradition der Pressefreiheit wie den USA es Situationen gibt, in denen die checks and balances versagen und dann ein von seiner persönlichen Mission besessener Präsident freie Fahrt hat – eine angesichts der Tragweite von politischen Fehlentscheidungen bes. im Bereich der Außenpolitik (Kriegsführung) zutiefst Besorgnis erregende Feststellung. Es gibt also offenbar nicht nur Marktversagen (Medien) und ein Staatsversagen (Kongress) sondern auch ein strukturelles Verfassungsversagen (Funktionsweise der checks and balances).. Zu ähnlichen Ergebnissen, allerdings unter Betonung der Macht der Medien, kommen Analysen der „Berichterstattung“ über den Bundestagswahlkampf 2005. Claus Leggewie stellte diesbezüglich fest, dass die Medien sich endgültig von Akteuren der Machtbeobachtung zu
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solchen der Mitwirkung am Machtkampf gewandelt haben (Leggewie, S. 17). Ralf Hohlfeld belegt die These, dass die Selbstthematisierung und Selbstbezüglichkeit der Berichterstattung, die Gestaltung der Themen und ihrer Präsentation nach den Marktgesetzmäßigkeiten und der Selbstgefälligkeit der Journalsisten für das Versagen des politischen Journalismus in Deutschland verantwortlich sei, mit drei empirisch fundierten Indikatoren: 1. Dadurch, dass politische Sachthemen (policies) immer stärker durch Prozessthemen (politics) verdrängt werden, wird die politische Berichterstattung immer unpolitischer. Der Horse-Race-Journalism „rahme“ den Wahlkampf nach dem Vorbild der Sportberichterstattung: „Der politische Wettbewerb der Parteien ist als selbstreferentielles Thema im Vergleich zu Politikinhalten so dominant, weil eine laufende Berichterstattung über Wahlkampfaktivitäten, Umfragen, neue Wahlkampfaktivitäten und Thematisierungsversuche für den politischen Journalisten im Wahlkampftross schnell, preisgünstig und ohne großen Rechercheaufwand neue Nachrichten liefert“ (Hohlfeld, S. 12). Diese Tatbestände waren bei den kommerziellen Fernsehsendern überproportional ausgeprägt. 2. Noch gravierender als diese verzerrende und entpolitisierende „Rahmung“ der Wahlauseinandersetzungen ist die Tatsache, dass prominente Journalisten als politische Akteure auftreten. Sie werden als Experten zu Talkshows eingeladen, nutzen aber diese Foren, um dezidierte Wahlempfehlungen abzugeben (vgl. ebenda, S. 13). 3. „Der vermutlich einschlägigste Indikator für journalistische Selbstkonditionierung, durch die eine zweite, von der politischen Realität entkoppelte Wirklichkeit konstruiert wird, betrifft den Trend zum Wahlumfragejournalismus“ (ebenda, S. 14). Nach diesen Analysen verteilen die Journalisten die Fernsehpräsenz der Parteien entsprechend den aus den Umfragen ermittelten Prozentsätzen: „Rund acht Prozentpunkte Vorsprung für die CDU/CSU gegenüber der SPD, statt einer auf einen Kanzlerbonus hinweisenden Orientierung am parlamentarischen Proporz. Und weitaus gravierender: Sowohl die später stark kritisierten Umfragewerte aller großen Institute als auch die Parteienpräsenz in der Wahlkampfberichterstattung des Fernsehens weichen signifikant vom überraschenden amtlichen Endergebnis 2005 ab, und zwar … im gleichen Maße“ (ebenda, S. 15). Nun könnte eingewandt werden, gerade das „überraschende“ Wahlergebnis bestätige die begrenzte politische Macht der Medien. Dem wäre aber entgegenzuhalten, dass bei „unparteiischer“ Berichterstattung über den Wahlkampf das Wahlergebnis möglicherweise dann die regierende rot-grüne Koalition bestätigt hätte, zumal am Ende die Ergebnisse der beiden politischen Lager sehr eng bei einander lagen. Damit wird zweierlei deutlich: erstens die Medienrealität war von der politischen Realität stark abgekoppelt und zweitens das Fernsehen – besonders die kommerziellen Sender aber in abgeschwächter Form auch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten – hat aktiv im Wahlkampf Partei ergriffen. Aus beiden Feststellungen folgt auch für Deutschland, dass von einer „objektiven Berichterstattung“ in den elektronischen Medien gerade in Wahlkampfzeiten nicht die Rede sein kann. Demgemäß kann nicht mehr von einem Funktionieren der „dritten Gewalt“ ausgegangen werden.
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11.4 Medienwettbewerb und gesellschaftliche Schichten Die Ausdifferenzierung der Medienangebote bes. im Zeitschriftensektor folgt offenbar der Ausdifferenzierung gesellschaftlichen Schichten und Milieus. Boulevardblätter können grob vereinfachend als Medien der Arbeiter und kleinen Angestellten angesehen werden während sich politische Magazine und die seriösen überregionalen Tages- und Wochenzeitungen an die politisch interessierten (Ober)Schichten wenden. Marktdifferenzierungsstrategien des AxelSpringer-Konzerns sind insofern interessant, als seine besondere publizistische Macht darauf beruht, dass seine verschiedenen Publikationen – von der Bild-Zeitung bis zur WELT – einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung erreichen. Der Büchermarkt ist auch weitgehend ein Markt für die gebildeteren bzw. sich bildenden Schichten. Das vordergründig „unpolitische“ kommerzielle Fernsehen präsentiert sich als reine Unterhaltung und Werbung für die untere Schicht und für die untere Mittelschicht – man nehme nur die Nachmittagsprogramme der Sender von RTL und Sat 1, die als „Unterschichten Fernsehen“ primitivste Bedürfnisse befriedigen. Dem stehen gegenüber – zumindest vom Anspruch her – die Programme der öffentlich-rechtlichen Rundfunksender als Medium der Information und kultureller Angebote für die gebildeten Schichten. Freilich ist die Grenzziehung in der Realität nicht so scharf, da die soaps der Nachmittagssendungen der ARD oder des ZDF sich den „Standards“ der kommerziellen Konkurrenz weitgehend angepasst haben. Da der Umgang mit den neuen Informations- und Kommunikationstechniken und mit den inhaltlichen Angeboten des Internet mehr und mehr in praktisch allen Berufen eingeübt wird, lässt sich in Bezug auf die private Internetnutzung wahrscheinlich in Zukunft keine schichtspezifische Nutzung mehr feststellen. Hubert Burda, der Zeitschriftenverleger, zitiert in diesem Zusammenhang eine AllensbachStudie zum Thema der gesellschaftlichen Spaltung auf Grund unterschiedlicher Mediennutzung. Er schreibt: „Wir erleben, wie die Jugend, unsere Zukunft, heute in zwei Gruppen zerfällt. Diejenigen, die intensiv Zeitungen und Zeitschriften, aber auch das Netz nutzen. Und diejenigen, die nur noch Fernsehen konsumieren. Die eine Gruppe, die sämtliche Medien nutzt, … hat alle Bildungs- und Zukunftschancen. Die zweite Gruppe tut sich schwer, und es mangelt ihr an Perspektiven“ (Burda, Was ist Grundversorgung?, DIE ZEIT Nr. 48 2007, S. 39)
11.5 Ergebnisse und Konsequenzen Als Ergebnisse mediensoziologischer Analyse lässt sich zusammenfassen: • Notwendig erscheinen Differenzierungen zu Macht und Herrschaft unter „modernen“ Bedingungen: Ressourcen, Autorität und Legitimation sind die Begriffe, unter denen Medienmacht in vordergründig demokratischen Gesellschaften zu analysieren sind. • Macht durch Organisation ist bezogen auf die heutigen globalisierten Bedingungen multimedialer Konzerne und weltweit agierender Telekommunikationsunternehmen zu analysieren.
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Der Wandel der Öffentlichkeit ist durch die Eigenlogik immer weiterer, auch neuer Medien nach privatkapitalistischen Gesetzmäßigkeiten gekennzeichnet und durch veränderte Nutzungsgewohnheiten, die durch Gewöhnungsprozesse verursacht wurden. Es gibt Anzeichen für eine Refeudalisierung der Öffentlichkeit. Gesellschaftliche Integration erfolgt nach den Gesetzmäßigkeiten des medialen symbolischen Interaktionismus: human touch storys statt professionell recherchierter und präsentierter sozialer Probleme. Damit wird verdeutlicht, dass realer publizistischer Wettbewerb und das „Modell“ bürgerlicher Öffentlichkeit strukturell in einem Spannungsverhältnis stehen. Massenmediale Wirkungen auf gesellschaftliche Prozesse ergeben sich im Rundfunk und in der Presse durch Konstrukte der Realität und durch framing Mittelbare Traumatisierung durch immer wiederholten Fernsehkonsum von gewalthaltigen Sendungen formt die Persönlichkeit der Vielseher als angstbesetzte Individuen. Medien, besonders das Werbefernsehen und sein programmliches „Umfeld“, aber auch die Boulevardpresse, konstruieren eine von der politischen Realität abweichende Realität und sie sind selbst – z.B. in Wahlkämpfen – aktive und einseitige Machtfaktoren. Die Ausdifferenzierung der Gesellschaft nach Milieus ergibt sich auch im Wechselspiel mit den Ausdifferenzierungsprozessen der Medien. Dabei scheint die gesamtgesellschaftliche Integration durch den medialen Diskurs über die Probleme und Perspektiven der Gesellschaft verloren zu gehen. Ob hier virtuelle Gemeinschaften ein Gegengewicht abgeben können, wird erst die Zukunft erweisen. Zum Verhältnis von Medien und Politik: Je nach spezifischen historischen und ordnungspolitischen Bedingungen handelt es sich um ein Machtkartell – vgl. die Weimarer Republik oder die USA zu Beginn dieses Jahrhunderts oder die Verbindung zwischen Bundeskanzler Kohl und dem Kirch-Medienimperium – oder um funktionierende checks and balances – vgl. auf dem nationalen Pressemarkt in der Bundesrepublik den Markt der politischen Magazine und der seriösen Tages- und Wochenzeitungen – oder aber der Macht der Medien steht eine gewisse Ohnmacht der Politik gegenüber – vgl. den Einfluss der Bild-Zeitung.
Als sich aus den mediensoziologischen Analysen ergebende Perspektiven lässt sich diskutieren: • Normativ hat das Grundgesetz das Menschenbild des mündigen Bürgers und das Leitbild der bürgerlichen Öffentlichkeit festgeschrieben. Daran sind die Diskrepanzen der realen Medienentwicklung zu messen. • Forderungen sind daher die Auflösung mächtiger Autoritätskartelle und das Eintreten für viele, voneinander unabhängige Quellen der Information und Berichterstattung. • Kritik richtet sich gegen die Kumpanei von konservativer Politik und Medien und begründet Forderungen nach einer von Einzelinteressen unabhängigen Presse und Rundfunksendern. • Kritik richtet sich gegen die seichte Unterhaltung und die Inszenierung von Politik und begründet in gesamtgesellschaftlichem Interesse Forderungen nach einer seriösen, professionell recherchierten Berichterstattung in allen Medien. • Kritik wendet sich gegen Ideologisierung, Manipulation und framing in den Medien und verlangt die Stärkung von Medienkompetenz für alle Schichten der Gesellschaft.
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Kritik richtet sich gegen die Macht durch Organisation von Multimedia-Konzernen und die Refeudalisierung der Öffentlichkeit und tritt ein für die Gegenmachtbildung durch Rezipientenorganisation. Die weitere Herausbildung virtueller Gemeinschaften darf nicht allein den kommerziellen Kalkülen von Medienkonzernen oder Telekommunikationsunternehmen überlassen werden. Öffentlich-rechtliche und gemeinnützige Organisationsformen sind zu fördern. Kritik wendet sich wider die „Übertragung“ der Rollen-Klischees von Action-Helden und Serienfiguren in Filmen und im Fernsehen und spricht sich aus für das verbreiterte Angebot von die angstfreie, gesellschaftliche Integration fördernden, qualitativ hoch stehenden Medieninhalten. Gesellschaftliche Sozialisation muss sich (wieder) an kulturellen Maßstäben orientieren und die Gewöhnung an den angeblichen Massengeschmack umkehren. Erforderlich erscheint vor der Folie mediensoziologischer Befunde die grundsätzliche Neuordnung des Medienwettbewerbs und der Organisationsformen von Medienanbietern einerseits und eine verbesserte Medienerziehung andererseits als Imperative an eine die politischen Ressorts übergreifende Medien- und Gesellschaftspolitik.
12. Makrotheoretische Ansätze Makrotheoretische Ansätze nehmen explizit die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der Massenmedien, ihrer Produktionsbedingungen, ihrer inhaltlichen Angebote und ihrer Verteilungsmechanismen ins wissenschaftliche Visier. Dabei vereinen sie oft Elemente soziologischer, kommunikationswissenschaftlicher und wirtschaftswissenschaftlicher Analyse.
12.1 Kritische Theorie zum Verhältnis von Kultur und Gesellschaft Die Kritische Theorie der Frankfurter Schule Mitte des vorigen Jahrhunderts versteht die populäre Kultur der Massenkommunikation als hegemoniale Kultur zur Einbindung der Arbeiterklasse in die Gesellschaft. „In ihren Untersuchungen zur Dialektik der Aufklärung weisen Max Horkheimer und Theodor W. Adorno der Kulturindustrie die Rolle zu, den modernen Menschen in einem entmündigten Zustand zu halten, indem sie ihm Vergnügen bereitet, ihn zerstreut und ablenkt, zum Gegenstand einer „kalkulierten Idiotie“ macht… Die ˛Kulturindustrie‘ und in ihrem Auftrag vor allem die mediale Massenkommunikation schließen das Individuum in einen hermetischen ˛Verblendungszusammenhang‘ ein, aus dem es im Alltag kein Entkommen gibt, …“ (Wenzel, S. 434). Die Kritische Theorie knüpft damit an Metaphern römischer Herrschaft durch die Gewährung von Brot und Spielen an. Waren die Fragen zur gesellschaftlichen Funktion der Kulturindustrie zwar richtig gestellt, so sind die Thesen auf heute bezogen mit der Ausdifferenzierung der Gesellschaft in verschiedene Milieus und mit der Ausdifferenzierung in kommerzielle, privatwirtschaftliche Medien einerseits und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk andererseits zu pauschal und zu allgemein kulturpessimistisch. In die gleiche Richtung wie die Analysen der Kritischen Theorie weisen die Untersuchungen zum amerikanischen Kulturimperialismus. „Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Ende des Kolonialismus haben die starke ökonomische Macht und der technische Vorsprung in der Massenkommunikation den Vereinigten Staaten eine dominante Stellung in der globalen, vor allem elektronischen Kommunikation verschafft, und zwar speziell in den Ländern der Dritten Welt. Schlüssel für diese Vormachtstellung war die vollständige Kommerzialisierung der Massenkommunikation. Da die kommerziellen Produktionen amerikanischer Medienanbieter vor allem im Bereich Film und Fernsehen in diesen Ländern zu niedrigen oder sogar zu Dumping Preisen weiterverwertet wurden, wurde dort der Aufbau eigenständiger nationaler Kulturen für Film und Fernsehen zumindest beeinträchtigt. Die Kulturimperialismusthese ist jedoch immer weniger eine These zur globalen kulturellen Dominanz der Vereinigten Staaten; die heutige Situation der Globalisierung der Massenkommunikation kann besser als eine Multipolarität von transnationalen Medienkommunikationskonzernen beschrieben werden, die die Mittel öffentlicher Kommunikation oligopolistisch konzentriert halten“ (ebenda). Diese Konzerne verknüpfen über die Spotwerbung im Fernsehen maximale Zuschaueraufmerksamkeit – Quote – mit ihrem ökonomischen Erfolg, indem sie in den Programmen eine illusionäre „Du-auf-Du-Beziehung“ zu den „Großen der Welt“ aus Film, Politik und Wirtschaft herstellen und so die Zuschauer zu „Kumpanen des Globus“ machen. Dies gelingt aber nur
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soweit, als die Filme und die Fernsehserien dieser Multimediakonzerne weitestgehend von Zusammenhängen zu spezifischen nationalen Kulturen entkleidet sind und damit weltweit verständlich werden. Dies gilt sowohl für ˛star wars‘ und andere sciece fiction Filme, als auch für Kriegsfilme sowie für alle human touch genres. Nach diesem Verständnis prägen die Produktionsbedingungen der „Kulturindustrie“ sowohl in der nationalen wie in der globalen Perspektive die dominanten gesellschaftlichen Entwicklungen zu nivellierten entpolitisierten Unterhaltungsgesellschaften. Freilich sind diese Analysen geprägt von der vollständig kommerzialisierten US-amerikanischen Medienindustrie ohne öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Außerdem gilt, dass Herrschaft nie total ausgeübt wird, und es immer widerständige und eigensinnige Gegenentwicklungen gegeben hat und gibt.
12.2 Cultural studies: Encoding und decoding von Medieninhalten Fragt man in Abgrenzung zur Kritischen Theorie und zur These vom Kulturimperialismus stärker danach, wie gesellschaftliche Konflikte um Vorherrschaft mit Hilfe der Massenmedien ausgetragen werden, so ist das Augenmerk auf die Cultural Studies zu lenken. „Kulturelle Codes bestimmen demnach die Art und Weise, wie Medientexte verstanden werden bzw. welche Haltung die Rezipienten ihnen gegenüber einnehmen. Diese Codes sind Ausdruck von Ideologie, von Machtkämpfen um die Festlegung von Bedeutungen zwischen verschiedenen Gruppen in der Gesellschaft. Die Anwendung der dominanten, hegemonialen Codes im Rezeptionsprozess führt zur dominanten bzw. Vorzugslesart (dominant/preferred reading). Eine weitere Lesart ist die ausgehandelte Lesart (negotiated reading), in die modifizierte Elemente eingehen. Während diese Lesart einzelne Elemente eines oppositionellen Codes zur besseren Anpassung an die Gegebenheiten des Verstehensprozesses einbezieht, basiert die dritte, oppositionelle Lesart vollständig auf einem alternativen Code, der in direkter Opposition zum hegemonialen Code steht“ (daselbst, S.435). Wendet man diese „Lesarten“ auf Aspekte des Medienwettbewerbs an, so lassen sich z.B. in Bezug auf Musikangebote die klassische Musik als hegemonialer Code im Gegensatz zu Rockund Pop-Musik als zunächst oppositionelle Codes entschlüsseln. Gleiches gilt für „klassische“ Literatur einerseits und „Groschenromane“ andererseits. Die unterschiedlichen Codes lassen sich auch als Synonyme für unterschiedliche Wahrnehmungen vom Weltgeschehen interpretieren. Kommerzieller Medienwettbewerb z.B. auf dem Buch- oder Zeitschriftenmarkt wird demgemäß geprägt von der Suche nach der Käuferschaft mit der größten Gemeinsamkeit eines kulturellen Codes, wobei diese wiederum nicht statisch zu verstehen ist. Der Kampf um Hegemonie in Bezug auf kulturelle Codes ist auch ein Kampf um größtmöglichen Einfluss auf mediale Sozialisation. Diese Denkfiguren unterschiedlicher Lesarten lassen sich anwenden auf die medialen Auseinandersetzungen um die Deutungshoheit über geschichtliche Entwicklungen wie beim sog. Historikerstreit oder bei der Auseinandersetzung um die (kritische) Würdigung der „68er-Bewegung“. Kritisch gegenüber den Ansätzen der cultural studies wird mit Recht eingewandt, „oppositionelle Decodierung bedeutet noch keinesfalls (politische) Macht. Die Macht des Lesers, oppositionell zu decodieren, ist keinesfalls gleichzusetzen mit der Macht der Medieninstitutio-
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nen, Texte vorzugeben…. Vielmehr scheint sich auf der Seite der Rezipient/innen eine Form von Nihilismus oder medialer Defätismus breitzumachen: Man weiß sehr wohl, dass die Massenmedien nicht „die Wahrheit“ kommunizieren; die Nichtverfügbarkeit von Alternativen aber führt dazu, die angebotenen Programme sehr wohl zu konsumieren und zugleich das Angebot in seiner Gesamtheit als minderwertig abzutun. Jedenfalls wird man sich dem Problem des Verhältnisses von Macht und (alltags)kulturellen Praktiken immer auf dem Weg der Annahme einer ˛doppelten Bewegung‘ von Dominanz und Widerstand annähern müssen“ (Griesold, S. 204). Auch wenn diese Aussagen zum sich verbreitenden Nihilismus auf Seiten der Rezipienten als zu verallgemeinernd erscheinen, liegt der Verdienst der culural studies freilich darin, das Augenmerk auf eine ganzheitliche Betrachtung der Kommunikationsprozesse gelenkt und damit Ansätze zu einseitigen Wirkungszusammenhängen überwunden zu haben.
12.3 Funktionalistische Analyse der Mediengesellschaft Dieser Theorieansatz fragt danach, welchen Beitrag massenmediale Kommunikation für die Bestandserhaltung und Weiterentwicklung sozialer Systeme, also auch von Nationalstaaten leistet. Dieser Ansatz „schließt … nicht aus, dass diese Kommunikation auch bestandsgefährdend ist bzw. dysfunktional wirkt. So mag der Unterhaltungscharakter von Massenkommunikation die Entspannung und Erholung bieten, die angesichts anspruchsvoller und absorbierender Berufsarbeit für den modernen Menschen notwendig sind, zugleich kann er die Entpolitisierung der Öffentlichkeit begünstigen und Politik zu sachentleertem Politainment und zu vordergründig dramatisierter Inszenierung verkommen lassen“ (Wenzel, S. 437f mit weiteren Verweisen). Gemäß funktionalistischen Ansätzen übernehmen Massenmedien alltäglich Kernaufgaben der sozialen Integration durch eine Enkulturations-, Sozialisations-, Normerzwingungs- und Statuszuweisungsfunktion. Zur Enkulturations- und Sozialisationsfunktion heißt es: „Die moderne Wirtschaft ist von einer Konsumkultur abhängig: Werbung muss heute als eine schon vom Umfang nach herausragende Form der Massenkommunikation gesehen werden, die – nicht zuletzt im Zuge des geplanten Veraltens von Konsumgütern – immer neue Wertemuster vermittelt und neue Bedürfnisse erzeugt. Bei einer Fernsehnutzung von fast vier Stunden pro Tag sind Kinder im Jahr mit bis zu 25.000 Werbespots konfrontiert. Dadurch, dass ihnen die Echtzeitmassenmedien auch noch die Handlungs- und Erfahrungsräume des Erwachsenenlebens einschließlich Sex und Gewalt offen legen, und zwar tendenziell noch bevor sie lesen können, entsteht für Kinder aber auch die Gefahr einer Überforderung und damit der Dysfunktionalität der Massenmedien im Bereich von Sozialisation und Enkulturtion“ (daselbst, S. 438). Normerzwingungsfunktion haben die Massenmedien nach diesen Ansätzen, indem sie durch ihre Programme die geltenden Werte und Normen vor Augen und Ohren führen. „Was als privates Wissen von einer Normverletzung noch tolerierbar sein mag, ist – öffentlich geworden – oft schon ein Skandal, zwingt aber auf jeden Fall zum Handeln, d. h. zur Sanktion der Abweichung, sollen die gemeinsam geltenden Normen und Werte der Gesellschaft nicht preisgegeben werden….Im Zeitalter der Massenmedien übernimmt das Spektakel des Medienskandals
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diese Aufgabe moralischer Erneuerung, indem die Übertretung der öffentlichen Moral enthüllt und gebrandmarkt wird, indem Verantwortliche benannt und ihnen rücksichtsloses Handeln nachgewiesen wird, indem all dies als eine das Publikumsinteresse fesselnde Geschichte dramatisch aufbereitet wird, die nur durch die Sanktionierung des Delinquenten ein positives Ende finden kann“ (daselbst, S. 438f). Diese Ausführungen klingen so, als gebe es einheitliche Normen der Moral, als gingen alle Medien gemeinsam von den gleichen Normen und Standards des moralischen Verhaltens aus. Außerdem muten sie statisch an, als ob Normen und Standards sich nicht – gerade auch im medialen Wettbewerb – verändern. Unter Statuszuweisung wird in diesen Ansätzen die weitere Integrationsfunktion verstanden, indem Medien einen vorhandenen sozialen Status einer Person legitimieren, erhöhen oder aber in Frage stellen. In der Mediengesellschaft hat mediale Aufmerksamkeit meist Prestige erhöhende Wirkung. Es wird von der ˛mutual admiration society‘ der Medienprominenten gesprochen. Diese wiederum können diesen Status in den Dienst von Kampagnen z.B. für wohltätige Zwecke oder von politischen Wahlkämpfen stellen (vgl. daselbst, S. 439). Die Ansätze funktionalistischer Medientheorie finden sich in der Systemtheorie wieder, hier jedoch insofern modifiziert, als Massenmedien als ein autonomes Funktionssystem in der Gesellschaft verstanden werden, das sich nicht direkt mit Problemen der anderen gesellschaftliche Subsysteme befassen kann, da jedes Subsystem nach eigenen Gesetzmäßigkeiten lebt. Ein derartiger Ansatz arbeitet zwar die Eigengesetzmäßigkeiten dieses Funktionssystems heraus, immunisiert sich aber gleichzeitig gegen die Analyse der Beziehungen zwischen den unterschiedlichen gesellschaftlichen Subsystemen. Diese Kritik wird allein schon dadurch verständlich, dass Massenmedien zum großen Teil auch dem Subsystem Ökonomie angehören, gleichzeitig der Kultur im weitesten Sinne zuzuordnen sind und schließlich auch bestimmt werden durch die Subsysteme Recht und Politik bzw. auf diese einwirken.
12.4 Neuere Ansätze der Institutionenökonomie Die wichtigsten Themen der institutionellen Schule, die sich mit den Gleichgewichtstheoremen der neoklassischen Volkswirtschaftslehre nicht zufrieden geben will, lauten: 1. Theorie des sozialen Wandels 2. Theorie der sozialen Kontrolle und des kollektiven Wohlverhaltens 3. Theorie der ökonomischen Rolle des Staates 4. Theorie der Technologie 5. Prinzipielle Annahme, dass die reale Bestimmungsgröße der Ressourcenallokation nicht der Markt, sondern die organisationell-institutionelle Machtstruktur der Gesellschaft ist 6. Facetten der Wertkonzeption, Prozess des Wertewandels (zitiert nach Griesold, S. 91 mit weiteren Verweisen) Dieses Analyseprogramm entspricht dem hier vertretenen sozio-ökonomischen Ansatz, insbesondere, weil es sich auf historische Veränderungen richtet und explizit Machtaspekte berücksichtigt. Dieses Analyseprogramm ist aber bisher nur von Griesold in einigen Aspekten auf den Sektor der Massenmedien angewandt worden.
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Es wird ein sehr weiter Begriff von Institutionen zugrunde gelegt: „… ein Gefüge aus Werten, Normen, Regeln und Strukturen, die das Verhalten ökonomischer Akteure leiten. Oftmals wird die Unterscheidung in institutionelles Umfeld (Normen, Werte, Regeln) und institutionelle Organisationen (konkrete Strukturen wie Firmen, Gewerkschaften etc.) vollzogen…“ (Griesold, S. 94). Die Relevanz des institutionellen Ansatzes für die Analyse des Sektors der Massenmedien ergibt sich daraus, dass kulturelle Werte und Normen durch die Massenmedien geformt, verstärkt oder abgeschwächt werden. Fernsehen stellt nicht nur ein zentrales zeitliches Strukturierungsmuster des Tages dar, sondern der inhaltliche Aufbau von Nachrichten, Serien und Filmen ebenso wie der Aufbau von Zeitungen – z.B. die Gliederung nach Politik (hier wiederum nach Innen- und Außenpolitik) und Wirtschaft und Kultur – und Zeitschriften strukturiert und prägt die Wahrnehmung der Rezipienten inhaltlich. Fernsehen oder die Qualitätspresse als Institutionen sind einerseits konkrete kulturelle und ökonomische Strukturen, andererseits prägen sie Normen und Werte. „Informationen über Alltagsgeschehen, über politische wie kulturelle wie soziale Ereignisse, werden über Massenmedien vermittelt und transportiert; im Fernsehen noch dazu mit der Macht der Bilder, die Realität und Echtzeit suggerieren…. so ist es doch die Macht der Rezeption, die ein gewisses Menschenbild ebenso wie generelle ˛Bilder der Welt‘ verstärkt, Fragmentarisches und Kontingentiertes neu zusammensetzt und somit neu schafft“ (daselbst, S. 107). Auch Ideen oder gesellschaftstheoretische Konstrukte können damit als Institutionen angesehen werden: dazu sind beispielsweise Aussagen über die Unvermeidlichkeit der weiteren Globalisierung und der staatlichen Gestaltungsfähigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung zu zählen. „Habituelles Verhalten, aber auch Präferenzstrukturen werden unterstützt durch Medienmacher, dies ist auch ganz explizit gewünscht, ansonsten wäre ja auch Werbung unnötig“ (ebenda). Symbole oder Stereotype, die von den Massenmedien transportiert und durch ständige Wiederholung befestig werden, sind z.B. mit positiver Konnotation Jugend, Ehe und Familie und individuelle Selbstverwirklichung besonders in der Spaßgesellschaft. Meist negativ besetzt ist die Politik – weil oft von den Sorgen des „kleinen Mannes“ abgehoben und korrupt –, positiv wiederum die Medien, weil aufdeckend und aufklärend „für“ Bürger und Konsumenten. Wandeln sich die Medien, werden z.B. die älteren Generationen als kaufkräftige Konsumenten von der Werbung und den entsprechenden Medien „entdeckt“, so wandeln sich auch die positiven und negativen Konnotationen, die im „Programm“ transportiert werden. Es ist wie mit der Mode: Jährlich wird sie neu kreiert, um neue Absatzfelder zu erschließen und über die Medien neue Leitbilder zu transportieren und sie als vorherrschend zu etablieren. Fernsehen kann allein schon deshalb als Institution bezeichnet werden, weil es Komplexität reduzierend und zuspitzend wirkt und damit „massentauglich“ geworden ist. Medialer Wettbewerb wird damit als Kampf um die Vorherrschaft in Bezug auf die Prägung des Bewusstseins der Bevölkerung entschlüsselt. Medialer Wettbewerb kommerzieller Massenmedien ist daher als Kampf um die Vorherrschaft in Bezug auf die Prägung des Bewusstseins der Konsumenten zu interpretieren. Fernsehen ist aber auch eine Institution, als es unterschiedliche Unternehmenskulturen repräsentiert. Die Eigentumsstrukturen und damit die Produktionsbedingungen und damit
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schließlich die inhaltlichen Angebote differieren erheblich z.B. zwischen privat-kommerziellen Sendern und öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Der spezielle Beitrag der institutionellen Schule zur Analyse des Mediensektors liegt in der Zusammenschau von Medienorganisationen als unterschiedliche Institutionen und den inhaltlichen Strukturierungen der Weltwahrnehmung durch deren Transport von Werten, Normen und Stereotypen.
12.5 Sozialwissenschaftliche Regulationstheorien Regulatorische Makrotheorien fragen nach den Faktoren, die den Wandel marktwirtschaftlicher Systeme auf nationalstaatlicher Basis vorantreiben. Gleichzeitig versuchen sie zu klären, warum diese Systeme sich trotz krisenhafter Entwicklung als insgesamt stabil erweisen. So ist z.B. festzustellen, dass sich in den letzten Jahren auf Grund der weiteren Globalisierung der Wirtschaftsbeziehungen, in ihrem Gefolge der Veränderungen der Arbeitsorganisation und der strukturell hohen Arbeitslosigkeit die soziale Integrationskraft der (Arbeits)gesellschaft nachgelassen hat. Der Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft hat viele neue, prekäre Arbeitsverhältnisse geschaffen. Arbeitsplätze mit lebenslanger Perspektive werden immer seltener, gleichzeitig erweisen sich die staatlichen sozialen Sicherungssysteme als immer unsicherer. Trotzdem wird das bundesrepublikanische Wirtschaftssystem und seine politische Ordnung als sehr stabil eingeschätzt. Die Regulationstheorie geht nun von der Hypothese aus, dass die Effizienz sozialer Organisationen allein in der Stabilität ihrer internen Regeln liegt und dass die institutionellen Kompromisse zwischen unterschiedlichen Interessengruppen nur dann Unsicherheiten reduzieren, wenn eben diese Regeln befolgt werden (vg. Griesold, S. 216). Welches sind nun die Regeln, die die Stabilität der Gesellschaft trotz wirtschaftlicher, politischer und kultureller Dynamik garantieren? In der Bundesrepublik gehören auf der politischen Ebene zu diesen Regeln die Akzeptanz von Wahlergebnissen und ein gewisser Respekt vor dem „politischen Gegner“. Im wirtschaftlichen Bereich gehören zu diesen Regeln die auch vom Staat zu respektierende Tarifautonomie von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, das Streikrecht, die Regeln des wirtschaftlichen Wettbewerbs und die betriebliche Mitbestimmung. Im kulturellen Bereich gehört zu den Regeln das Nebeneinander von öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und kommerziellen Sendern als Kompromiss in Bezug auf unterschiedliche wirtschaftliche und gesellschaftliche Interessen. Generell bestimmt die Verfassung über die Regeln des Rechtsstaates, der wiederum Politik, Wirtschaft und Kultur „überwölbt“. Bei krisenhaften Entwicklungen bedürfen die gesellschaftlichen Konflikte der Mediation. Hier nun kommen neben der staatlichen Mediation die Massenmedien ins Spiel. Hier sind zumindest drei Funktionen zu unterscheiden. 1. Bei nachlassendem Wirtschaftswachstum bedürfen die Unternehmen in ihrem Wettbewerb um Marktanteilserweiterungen der medialen Unerstützung: dem dient die Wirtschaftswerbung in den kommerziellen Medien, auch auf Grund des „redaktionellen Umfeldes“ als Hilfe, neue Bedürfnisse und Bedarfe zu wecken, Moden zu kommunizieren und insgesamt ein wirtschaftsfreundliches Klima zu erzeugen.
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„Das unter der Herrschaft der Einschaltquote stehende Fernsehen trägt dazu bei, den als frei und aufgeklärt unterstellten Konsumenten Marktzwängen auszusetzen, die, anders als zynische Demagogen glauben machen wollen, mit dem demokratischen Ausdruck einer aufgeklärten, vernünftigen öffentlichen Meinung, einer öffentlichen Vernunft, nichts zu tun haben“ (Bourdieu, zitiert nach Griesold, S. 172). 2. Die Massenmedien mit ihrer Definitionsmacht transportieren gesellschaftliche Werte und erwünschte Verhaltensmuster. Dazu gehört der verstärkte Verweis auf die Notwendigkeit, individueller beruflicher Qualifikation, Selbstverwirklichung und Vorsorge. Berufliches Scheitern kann dann schwerer der mangelnden konjunkturellen Entwicklung angelastet werden, sondern ist eher als persönliches Schicksal zu interpretieren. Zu den Ideologien, die derartige, im Prinzip richtige, Verhaltensmuster einrahmen, gehören die neoklassischen Artefakte des autonomen homo oeconomicus, der Gleichgewichtsstabilität der Märkte, des rein quantitativen Wirtschaftswachstums und des prinzipiell positiven technischen Fortschritts. Kommen nun in bestimmten Mediensektoren unternehmerische Marktmacht und damit dominante Definitionsmacht zusammen (vgl. dazu Griesold, S. 257f), so ergeben sich hegemoniale Strukturen einer „beherrschten Öffentlichkeit“, wie wir sie z.B. im Bereich der überregionalen Boulevard-Zeitungen mit der Dominanz der Bild-Zeitung vorfinden. In einer derartigen Öffentlichkeit werden durch populistische, weil der uninformierten Leserschaft anscheinend nach dem Munde und dem Herzen geschriebene Artikel und Kampagnen die Spielräume für eine „vernünftige“, d. h. an Kriterien der Nachhaltigkeit orientierte Politik verengt. Aus Marktmacht und Definitionsmacht kombinierte Herrschaft erweist sich damit als dysfunktional für die stabile Entwicklung der Gesellschaft, selbst wenn es alternative Medienangebote wie die des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gibt. 3. Massenmedien, insbesondere das Fernsehen und die elektronischen Spiele, können für die Verlierer in den gesellschaftlichen Modernisierungsschüben eine Surrogatfunktion erfüllen: Für Arbeitlose, bes. für unqualifizierte Jugendliche, stellt Fernsehen einen Beschäftigungsersatz dar, der mit den unentgeltlichen Angeboten der Spaßgesellschaft über das individuelle „Versagen“ in der Arbeitswelt hinwegtröstet. Die illusionären Gewinnchancen in Quizshows und bei call in‘s suggerieren Gelderwerbsmöglichkeiten und damit Teilhabe an der Konsumgesellschaft (vgl. Grisold, S. 263). Auch derartige Medienfunktionen können einerseits gesellschaftliche Auflehnung gegen Krisenfolgen ruhig stellen, anderseits sind sie – wenn man an die zur gesellschaftlichen Entwicklung unter veränderten Rahmenbedingungen notwendige, qualifizierte Arbeit denkt – dysfunktional. Aus einem anderen Blickwinkel kommen zivilisationstheoretische Überlegungen zu ähnlichen Argumentationsmustern und Ergebnissen. Entsprechend den von Norbert Elias entwickelten Ansätzen lässt sich der Zivilisationsprozess einer Gesellschaft als der dem individuellen Sozialisationsprozess vergleichbare historische und psychodynamische Prozess der Herausbildung von Verhaltensstandards und der Affektmodellierung von Individuen und sozialen Gruppen verstehen, „in dessen Verlauf sich vordem vorhandene äußere Zwänge (˛Fremdzwänge‘) in die Ausbildung von innengeleiteten Kontrollinstanzen (˛Selbstzwänge‘, Gewissen, Scham und Peinlichkeitsschwellen) umsetzen ließen.“ (Brockhaus zu Zivilisation, Band 24, S. 578). Zivilisation bezeichne in diesem Sinne „die im Prinzip unabgeschlossene
12. Makrotheoretische Ansätze
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Ausbildung von Verhaltensstandards, die die Kontrolle von Aggression, zivilere Verkehrsformen und innergesellschaftliche Pazifizierung in Verbindung mit Entwicklungen der materiellen Kultur, gesellschaftlichen Institutionen und technisch-wissenschaftlichem Fortschritt zeitigen können. Elias berücksichtigt dabei im Begriff des ˛Entzivilisierung‘ auch die Umkehr des geschilderten Zivilisationsprozesses, also eines aufbrechenden Gewaltpotentials, das in letzter Konsequenz die Ergebnisse des Vergesellschaftungsprozesses in Frage stellen oder wieder aufheben könnte“ (ebenda). Wendet man diesen Ansatz auf die Entwicklungen der Massenmedien an, so ist zu fragen, was folgt daraus für die Psychogenese von Individuen und von sozialen Gruppen. Die Boulevardpresse und bes. das kommerzielle, werbefinanzierte Fernsehen fördern den Wandel zur „Erlebnisgesellschaft“, der Funktionalisierung der äußeren Umstände für das Innenleben, sie fördern die Konsum-, Moden- und Spaßorientierung. Zu den strukturellen Bedingungen ihrer Dramaturgie des Wettbewerbs um Aufmerksamkeit gehört die Beschleunigung der Bilder, die Angst verbreitenden Sensationen sowohl in der Berichterstattung als auch in Filmen und Serien und die Entpolitisierung ihrer Angebote. Die Psychogenese – zumindest bei den Dauerlesern der Boulevardpresse und den Vielsehern der kommerziellen Fernsehprogramme – wird damit in Richtung eines verstärkten Aggressionspotentials bzw. einer abnehmenden zivilen Konfliktlösungsbereitschaft und einer zunehmenden Desorientierung in der Gesellschaft gepolt. Dies bedeutet, dass für Teile der Gesellschaft durch die Refeudalisierung der Medien Entzivilisierungsschübe einsetzen, die die gesellschaftliche Integration dieser Gruppen gefährden. In diesem Zusammenhang ist zu fragen, ob das kommerzielle Fernsehen als Leitmedium der Massen die Fundamente der bürgerlichen Gesellschaft zerstört bzw. ob der öffentlichrechtliche Rundfunk (noch) genügend prägende Kraft hat, zivile Verhaltenstandards nach innen und nach außen auszubilden.
12.6 Die Bedeutung makrotheoretischer Ansätze für das Verständnis von Medienwettbewerb und Medienkonzentration Die Ansätze und Befunde makrotheoretischer Ansätze lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: • Die kritische Theorie der Frankfurter Schule hat die Bedeutung der Kulturindustrie für die gesellschaftliche Entwicklung ins Blickfeld der Sozialwissenschaften gerückt. In ihrer Fundamentalkritik ist sie freilich nicht über sehr pauschale Aussagen hinausgekommen. • Der besondere Beitrag der cultural studies liegt darin, dass beide Seiten des Kommunikationsprozesses, die Macht der Angebote und die Decodierung auf Seiten der Rezipienten zusammen gesehen werden. Medienwettbewerb kann in diesem Zusammenhang als Kampf um hegemoniale Codes und Deutungsmuster verstanden werden.
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12. Makrotheoretische Ansätze
Die funktionalistische Medientheorie hat den Blick der Analytiker differenziert auf die Funktionen der Medien im Zusammenhang der gesellschaftlichen Integration und Stabilität – Sozialisation, Enkulturation, Normerzwingung und Statuszuweisung – gelenkt. Dabei wird deutlich, dass bei nicht funktionsfähigem Medienwettbewerb Dysfunktionalitäten in Bezug auf die gesellschaftliche Entwicklung auftreten. • Die neueren Untersuchungen im Zusammenhang der Institutionenökonomie verdeutlichen, dass sowohl die Eigentumsstrukturen, die den Medien zugrunde liegen, als Institutionen prägend auf die Gesellschaft wirken als auch die vorherrschenden, von Medien transportierten Verhaltensweisen und Deutungsmuster als Institutionen zu interpretieren sind. So lassen sich gesellschaftliche Widersprüche aus der jeweiligen Medienorganisation und -konzentration erklären: Der Widerspruch zwischen Prägung der Konsumenten durch die kommerziellen Medien über Werbung und deren „redaktionelles Umfeld“ für Konsum und Freizeitspaß einerseits und den gesellschaftlichen Notwendigkeiten der Qualifizierung – lebenslanges Lernen –, des Broterwerbs und des Sparens auch als Altersvorsorge anderseits; Der Widerspruch zwischen dem Medienwettbewerb als auch stark emotional geführter Kampf um Deutungshoheit in Bezug auf grundlegende Werte einerseits und dem publizistischen Wettbewerb um das „bessere“ Argument andererseits – bei den kommerziellen Medien geprägt von der Finanzierungsart über Werbung, d. h. der Integration in das Wirtschaftssystem der Marktwirtschaft bei gleichzeitiger Entpolitisierung in Rivalität zu den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die, geprägt von ihrer Organisationsform und ihrem gesetzlichen Auftrag, gesellschaftliche Integration der Bürger über politische, rational nachvollziehbare Informationen leisten (sollen). • Verschiedene Ausgestaltungen der Organisation von Medienunternehmen prägen auch deren unterschiedliche inhaltliche Angebote an unterschiedliche Adressaten; das duale Rundfunksystem der Bundesrepublik Deutschland ist demgemäß als Kompromiss unterschiedlicher Interessen, aber auch als Ausdruck unterschiedlicher Konzeptionen von Gesellschaft, Kultur und Entwicklung zu verstehen. • Sozialwissenschaftliche Regulationstheorien, auf die Medien angewandt, fragen nach den Stabilitätsfaktoren bei krisenhaften Entwicklungen und verweisen in diesem Zusammenhang auf mediale Mediation zwischen konfligierenden Interessen. Bei zurückgehendem Wirtschaftswachstum unterstützen die kommerziellen Medien die Suche der Unternehmen nach Marktanteilserweiterungen – Werbung – und durch Verbreitung von Deutungsmustern ideologischer Weltwahrnehmung – so z.B. durch die generelle Begründung von Massenarbeitslosigkeit unter Verweis auf die Globalisierung und individuelles Versagen. Außerdem bieten Medien Surrogate für den Verlust gesellschaftlicher Teilhabe in Form von Unterhaltung und Spielen mit illusionären Gewinnmöglichkeiten an. Zivilisationstheoretische Überlegungen in diesem Zusammenhang fragen danach, welche Verhaltensstandards in der Gesellschaft von den Medien in welcher Richtung geprägt werden und ob die Gesellschaft den dramatischen Wandel bes. im Bereich der Wirtschaft „zivil“ im Sinne einer elastischen und integrativen Lernbereitschaft verarbeitet. Analysen funktionalistischer Medientheorie und die Ansätze der Regulationstheorie überschneiden sich teilweise, allerdings verweisen die kritischen Beiträge der Regulationstheorien auf die – gemessen an dem „vorausgesetzten“ Menschenbild – dysfunktionalen gesellschaftlichen Entwicklungen.
12. Makrotheoretische Ansätze
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Nimmt man die verschiedenen Ansätze zusammen, so ergibt sich aus der Kombination von Institutionenökonomie – Eigentum und Verfügungsmacht der kommerziellen Multimediakonzerne – einerseits und ihrer Bewusstseins prägenden medialen Macht andererseits ein realistisches Bild der vorherrschenden, refeudalisierten Mediengesellschaft in der Bundesrepublik. Vor diesem Hintergrund werden die Forderungen nach Wiederherstellung einer demokratischen Öffentlichkeit durch Bekämpfung der multimedialen Unternehmenskonzentration und der Stärkung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks umso dringlicher.
13. Die Zusammenführung der verschiedenen Ansätze in sozio-ökonomischer und medien- bzw. gesellschaftspolitischer Perspektive 13.1 Der interdisziplinäre Ansatz auf dem Prüfstand Nachdem die disziplinären Zugänge zum Thema dargestellt und zum Teil kritisch beleuchtet wurden, geht es in diesem Kapitel darum, einerseits den Beitrag der einzelnen wissenschaftlichen Zugänge zum Thema zusammenzufassen sowohl auf der analytischen Ebene als auch auf der Ebene der gesellschaftspolitischen Konsequenzen und andererseits eine Gesamtschau dieser Ergebnisse zu ermöglichen. Dabei sind diese Ergebnisse zu vergleichen und in ihrer Verbindung mit anderen Disziplinen und ihrem Vorgehen zu analysieren. Es ist nicht möglich, auf alle Details der einzelnen Ansätze einzugehen, sondern die Herausarbeitung der holzschnittartigen Konturen der je spezifischen Ansätze muss im Vordergrund stehen. Die Evaluierung eines solchen interdisziplinären Ansatzes muss sich normativ an dem Grundgesetz und seiner Interpretation durch das Bundesverfassungsgericht orientieren. •
die normativen Vorgaben als Folie zur Beurteilung von Medienwettbewerb und Konzentration
Das Grundgesetz geht beim Menschenbild von der Autonomie des Individuums aus, die durch die unveräußerlichen Grundrechte ermöglicht und abgesichert werden soll. Es ist das Menschenbild der bürgerlichen Gesellschaft, d. h. jedes Mitglied der Gesellschaft ist, was die Chancen der freien Entfaltung der Persönlichkeit und deren Wahrnehmung angeht, gleichberechtigt. Jedes Mitglied der Gesellschaft hat zunächst entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip für sich selbst zu sorgen; erst wenn es dies unverschuldet nicht kann, greift die staatliche Fürsorge unterstützend ein. Diesem Menschenbild entsprechen umfassende Kommunikationsfreiheiten – Informationsund Meinungsäußerungsfreiheiten –, die es den Individuen ermöglichen sollen, sich in Bezug auf alle Lebensbereiche frei zu informieren und an der gesellschaftlichen Kommunikation auch aktiv teilzuhaben. Für den Bereich der Politik heißt dies, dass der Bürger als citoyen wahrgenommen werden muss, als informierter und selbst bestimmter Souverän der politischen Meinungs- und Willensbildung, der vor Manipulation zu schützen ist. Deshalb sind die Presse- und die Rundfunkfreiheit als institutionelle Garantien ausgestaltet worden. Dem Staat obliegt es im Medienbereich, entsprechend den Vorgaben der individuellen Grundrechte für eine positive Ordnung zu sorgen, die publizistischen Wettbewerb sichert und zur langfristigen Gewährleistung dieses Zieles effektive, vorbeugende Maßnahmen gegen die Herausbildung von Medienkonzentration enthält. Presse- und Rundfunkfreiheit haben eine dienende Funktion im Hinblick auf die freiheitliche Funktionsweise der Demokratie – Pressefreiheit ist also nicht als individuelle Verlegerfreiheit zu verstehen. Demokratie wird daher nicht als bloße formale Wahlfreiheit bei Abstimmungen verstanden, sondern als voraussetzungsvolle, qualitative Ordnung, die spezielle Anforderung an die Organisation und die Funktionsweise der Medien stellt.
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Die individuellen Kommunikationsfreiheiten und die mit ihnen eng verknüpften Freiheiten der Presse und des Rundfunks stellen sowohl was die Entfaltung und Selbstbestimmung der Bürger angeht als auch was die Funktionsweise der Demokratie betrifft hohe Güter dar, die nur in Randbereichen eingeschränkt werden dürfen. Das Zensurverbot gilt hingegen absolut. Auch wenn die Realität vom vorgegebenen Menschenbild und den Sicherungen zu seiner Verwirklichung abweicht, kann nicht das Menschenbild aufgegeben werden, sondern es muss alles von staatlicher und zivilgesellschaftlicher Seite getan werden, um den verfassungsrechtlichen Anforderungen zur Sicherung unveräußerlicher Menschenrechte gerecht zu werden, zumal diese nur in der Demokratie Bestand haben können und anders herum: zumal die Demokratie nur durch deren Bestandswahrung funktionsfähig bleiben kann. •
die Reichweite der einzelnen disziplinären Ansätze – Medienentwicklung und Technikforschung
Technikgenese- und Technikwirkungsforschung haben dreierlei herausgearbeitet: zum einen, dass die Technikentwicklung die dominante, treibende Kraft des Wandels der Medien und der Gesellschaft ist; dies gilt insbesondere für die durch die umfassende Digitalisierung ausgelösten Veränderungen. Zum anderen haben diese Forschungen verdeutlicht, dass Medientechnik in ihrer je spezifischen Ausprägung als Struktur und als Institution Macht ausübt über die Bürger. Schließlich wurde verdeutlicht, dass es immer unterschiedliche Pfade der Technikentwicklung gegeben hat und gibt und dann gesellschaftspolitisch je nach der Stärke der widerstreitenden Interessenpositionen bestimmt wird, welche davon zur Anwendung kommen. Medientechnikentwicklung ist an unterschiedlichen Leitbildern orientiert. Hinter diesen Leitbildern stehen ökonomische, aber auch politische Interessen nach Marktbeherrschung bzw. politischer Dominanz. Die Auseinandersetzungen um die Perspektiven der Medientechnikentwicklung finden in unterschiedlichen gesellschaftlichen Arenen des Interessenabgleichs statt. Dieses sind spezifische Foren des Wettbewerbs. Medientechnikentwicklung sowohl was die Auswahl und Herstellung von Inhalten angeht als auch was die Verbreitung über die Netze der Infrastrukturen betrifft prägt die Präsentation und die Nutzung der Medien. Deshalb sind Medientechnikentwicklung und die Entwicklung der Presse, des Rundfunks, des Films und des Internets und anderer Telekommunikationsdienste immer im Zusammenhang zu analysieren. Versuche der Regulierung der Medientechnikentwicklung leiden heute unter vier Handikaps: 1. Die ungeheure Dynamik der Entwicklung steht im Gegensatz zur „Langsamkeit“ juristischer Regulierung und ihrer Anwendung. 2. Die – möglicherweise schädlichen – gesellschaftlichen Wirkungen der Technikentwicklung und Anwendung treten erst auf, wenn die Verbreitung der Technik sich massenhaft durchgesetzt hat und dann die Technikstrukturen nur schwer veränderbar sind. 3. Ingenieure und Sozialwissenschaftler leben nach wie vor in ganz unterschiedlichen Welten, sodass eine Verständigung über eine gemeinsame Strukturierung der Technikgenese nach Vorgaben der Grundrechte – z.B. Einhaltung des Daten- und Verbraucherschutzes, des Urheber- und des Wettbewerbsrechts, Vorgehen gegen proprietäre Systeme, Sicherung
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des diskriminierungsfreien Zugangs für die Bürger – bisher mit Ausnahme in einzelnen Kommissionen kaum möglich war. 4. Vorherrschend ist immer mehr das Leitbild der marktmäßigen Diffusion neuer Medienund Kommunikationstechniken geworden, was sich an der Internetentwicklung demonstrieren lässt. Auf dem Weg in die Wissensgesellschaft ist auf Grund dieser Erfahrungen die Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung im Prozess der Genese neuer Medientechniken zu institutionalisieren, um eine Balance zu finden zwischen notwendiger wirtschaftlicher Dynamik der Medientechnikentwicklung einerseits und der Wahrung verfassungsrechtlicher Grundrechte, der Erhaltung der Wettbewerbsordnung und der Anforderungen an eine sozialverträgliche, nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung andererseits. – Medienökonomie und Wirtschaftswissenschaften Die vorherrschenden Wirtschaftstheorien arbeiten immer noch mit dem Konstrukt des homo oeconomicus, der sich auf Märkten souverän als Nutzen-Maximierer für sich selbst verhält. Dem entsprechend stehen auf der Marktgegenseite die unternehmerischen Gewinn-Maximierer. Es wird unterstellt, dass der homo oeconomicus sich seine Präferenzen autonom bildet. Da gleichzeitig theoretisch „nachgewiesen“ wird, dass Märkte zum Gleichgewicht tendieren, wird die Forderung erhoben, dass der Staat nur durch seine Ordnungspolitik dafür zu sorgen habe, das auf den Märkten Wettbewerb herrscht. Freilich gibt es keinen Konsens über das Leitbild des Wettbewerbs, ob also die statischen oder die dynamischen Funktionen Priorität haben sollen. Übertragen auf den Mediensektor bewirkt dieser neoklassische Ansatz, dass diese Branche wie jede andere behandelt wird, d.h. dass man ihre Entwicklung der marktwirtschaftlichen Dynamik überlassen kann und die Anwendung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen voll und ganz zu ihrer Regulierung ausreicht. Eine Vielzahl ökonomisch selbständiger Medienunternehmen garantiert nach dieser Auffassung eine inhaltliche Vielfalt. Einige Ökonomen mit empirischer Forschungsorientierung verweisen allerdings auf die besonders durch die Werbungsfinanzierung gegebene Tendenz zur Presse- und Multimediakonzentration, der allein durch eine Fusionskontrolle nicht wirksam begegnet werden könne. Bei Vorliegen hoher Konzentrationsraten auf einzelnen Medienmärkten wie z.B. bei den lokalen oder regionalen Einzeitungskreisen oder bei der Duopolsituation des deutschen Marktes für kommerzielles Fernsehen werde der Markzutritt für Newcomer behindert und der Anreiz für Innovationen erlahme. Die Rezipienten werden mangels Alternativen in Abhängigkeit gehalten. Gegenüber dem neoklassischen Ansatz in seiner Anwendung auf den Mediensektor weisen andere Ökonomen mit Recht nach, dass es sich bei Informationen um öffentliche Güter handelt mit erwarteten positiven externen Effekten, dass in Bezug auf ihre Verbreitung Nichtrivalität des Konsums gegeben ist. Sie schlussfolgern, dass demgemäß die reine marktwirtschaftliche Organisation der Medien unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten dysfunktional ist. Sie konstatieren ein strukturelles Marktversagen in Bezug auf privatwirtschaftliche, kommerzielle Medien, die rein oder teilweise über Werbung finanziert werden.
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In der Konsequenz dieser Beweisführung liegt zum einen, dass es sich bei der bruchlosen Übertragung rein marktwirtschaftlicher Organisationsformen auf den Mediensektor um ideologische Positionen handelt, die zur Absicherung von einseitigen wirtschaftlichen Interessen im Mediensektor vertreten werden. Zum anderen ergibt sich daraus, dass der Staat aufgerufen ist, alternativ zu marktwirtschaftlichen Organisationsformen eine andere Medienordnung zu schaffen, die den positiven externen Effekten der Demokratieförderung gerecht wird. Tut er dies nicht, so liegt ein Staatsversagen vor. – Medienwettbewerb und -konzentration und ihre Auswirkungen: Kommunikationswissenschaften Der Begriff der publizistischen Vielfalt in den Kommunikationswissenschaften ist viel differenzierter und adäquater, als die Anknüpfung an die theoretische Vielzahl unabhängiger Anbieter am Markt in den Wirtschaftswissenschaften. Allerdings hat die kommunikationswissenschaftliche Diskussion bisher keine für die Orientierung der praktischen Medienpolitik operationalisierbare publizistische Vielfaltsdefinition hervorgebracht, die über die ökonomische Ordnungspolitik hinausweist. Die Kommunikationswissenschaft hat weitgehend gegenüber den Tatbeständen lokaler bzw. regionaler Zeitungsmonopole resigniert. Zur Evaluation des dualen Rundfunksystems hat die Kommunikationswissenschaft differenzierende Ergebnisse beigetragen: so wird einerseits hervorgehoben, dass sich der öffentlichrechtliche Rundfunk nach wie vor durch gut recherchierte Informationssendungen und durch seriöse Unterhaltung auszeichnet, andererseits werden aber als negative Wirkungen der Konkurrenz im dualen System die verstärkte Orientierung der Programmpolitik auch der öffentlich-rechtlichen Sender an der Einschaltquote, die Überflutung der Programme insgesamt mit Gewaltdarstellungen und der Anstieg der Kosten in beiden Systemen durch die verschärfte Konkurrenz um Senderechte etc. hervorgehoben. In den Kommunikationswissenschaften nimmt die Medienwirkungsforschung einen breiten Raum ein. Die Macht der Medien wird an der Fähigkeit zum agenda setting, an der verzerrten Realitätskonstruktion, an der Konzentration der kommerziellen Medien auf den Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Leser bzw. Zuschauer, an der Entpolitisierung der kommerziellen Programme trotz Informationsüberflutung – Krise des politischen Journalismus – und an der Sozialisation zum einen durch Werbung zum anderen durch Gewaltdarstellungen zum dritten durch Austesten der Grenzen bei Verstößen gegen Werte und Normen festgemacht. Diese Probleme sind besonders für die zunehmende Zahl von Kindern als Vielseher gravierend, denn deren Sozialisation läuft fehl gemessen an den Zielen sowohl der gesellschaftlichen Integration wie auch der individuellen Bildung und der Basis-Qualifikationen, die zur Ausübung eines Berufes unabdingbar sind. Die Kommunikationswissenschaften liefern außerdem ein differenziertes Bild in Bezug auf die Evaluation der Kommunikationspolitik sowohl hinsichtlich ihrer deskriptiven Analyse – z.B. das weitgehende Versagen des Medienjugendschutzes – als auch hinsichtlich der systematischen Auflistung der normativen Anforderungen. Demgegenüber ist die kommunikationswissenschaftliche Analyse der Technologiepolitik, soweit sie die Informations- und Kommunikationstechnologien betrifft, unterbelichtet. Offen-
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bar wird – ähnlich den herrschenden Wirtschaftswissenschaften – Technikentwicklung als exogen gegebener Faktor angesehen. Insgesamt gesehen liefern die Kommunikationswissenschaften einen Fundus auch empirisch begründeter Erkenntnisse zum Thema Medienwettbewerb, seinen Wirkungen und seiner (mangelnden) politischen Regulierung. – Medienentwicklung und Rechtswissenschaften Die juristische Regulierung der Medien und ihrer Entwicklung erfolgt über mehrere Rechtsgebiete, die versuchen, unterschiedliche Zielvorgaben umzusetzen. Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen orientiert sich an den Zielvorgaben des wirtschaftlichen Leistungswettbewerbs, es ist relativ stark in der Fusionskontrolle aber versagt weitgehend in der Kontrolle internem, überproportionalem Wachstums. Demzufolge gibt es gravierende Diskrepanz zwischen den Anforderungen an die Sicherung der Pressefreiheit und den tatsächlichen lokalen und regionalen Monopolen der Tagespresse einerseits und der vorherrschenden überregionalen Pressekonzentration andererseits: Die dominante Position des Axel-Springer-Verlages und die eines engen Oligopols auf dem Markt der Publikumszeitschriften wird nicht angetastet. Gleiches gilt für das enge Duopol des kommerziellen sog. Free-TV zwischen der Bertelsmann-Gruppe einerseits und der Sat 1-Gruppe andererseits. Völlig ausgeblendet bleibt die Multimedia-Konzentration zwischen Presse und Rundfunk, es sei denn, sie wird bei Fusionen thematisiert. Der Rundfunkstaatsvertrag will „vorherrschende Meinungsmacht“ bekämpfen. Er ist jedoch mehrfach geändert und an die vorherrschenden Konzentrationsbestände „angepasst“ worden, sodass er – außer bei spektakulären Fusionen – keine ordnungspolitische Funktion zur Regulierung der Medienkonzentration entfaltet hat. Demzufolge ergeben sich erhebliche Diskrepanzen zwischen den konkreten Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts einerseits und der Ausgestaltung des Rundfunkstaatsvertrages andererseits. Diese Diskrepanzen lassen sich aufzeigen mit der Anwendung ökonomischer Analysen der Oligopoltheorie – nur vier Unternehmen am Markt sprechen nicht für Wettbewerb, sind aber Konsequenz der Marktanteilsgrenze von 30%. Der Rundfunkstaatsvertrag entfaltet eine Wirkung nicht wie vorgegeben in der Bekämpfung vorherrschender Meinungsmacht (außer bei spektakulären Fusionen), sondern im Gegenteil in einer Begrenzung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Konkurrenz im dualen System. Politikwissenschaftlich wird die mangelnde Konzentrationskontrolle und der mangelnde Jugendschutz als weitgehend symbolische Politik charakterisiert: politische Interessen der Bundesländer an Standortpolitik und die Angst der Politiker vor einer negativen Presse – soziologisch erfasst als die Macht der Medien, besonders wenn es um eigene Interessen geht – werden kaschiert mit dem Verweis auf die vorhandene Regulierung. Vergleicht man das GWB und den Rundfunkstaatsvertrag in Bezug auf die Anforderungen an Medienordnungspolitik, so haben beide ihre gravierenden Mängel, das Versagen des Rundfunkstaatsvertrages wiegt aber schwerer, gerade auch in seiner Begünstigung des kommerziellen Rundfunks, z.B. in der Zulassung der Werbung auch an Sonn- und Feiertagen und nach 20 Uhr. Grundsätzlich argumentiert: Gegen die Dynamik ökonomischer Medienentwicklung bei den kommerziellen Medien erscheint eine Antikonzentrationsregulierung mit juristischen
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Mitteln kaum möglich. Der Versuch des Bundesverfassungsgerichts, kommerziellen Rundfunk zu „zähmen“, erscheint aus strukturellen Gründen kaum erfolgreich zu sein. Insgesamt aber hat die ständige Rechtsprechung dieses obersten Gerichts die richtige Richtung eingeschlagen und konsequent in der Verteidigung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks die Interpretation von Art. 5 GG ausdifferenziert. Die Folgerung und Forderung des Bundesverfassungsgerichts, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk Vorrang einzuräumen, ist daher nachdrücklich zu unterstreichen. Das Telekommunikationsrecht hat sich von der Aufgabe der Absicherung lebensnotwendiger Infrastrukturen hin zur Förderung des Wettbewerbs zwischen verschiedenen Netzen und auf Netzen gewandelt. Dabei wurde der Grundsatz der Netzneutralität gegenüber inhaltlichen Angeboten auf diesen Netzen verwässert, wodurch das Tor geöffnet wurde zu ganz neuen Allianzen aus Telekommunikations- und Multimediaunternehmen und damit neuen Konzentrationsschüben. Insgesamt wurde die Zersplitterung der rechtlichen Regelungen und Zuständigkeiten zwischen Bundesländern, Bund und EU-Kommission, zwischen Landesmedienanstalten, KEK und Bundeskartellamt, vergrößert. Eine effektive Regulierung wurde damit weiter erschwert. Es hat den Anschein, dass dies aus der Sicht der Lobbyisten gewollt ist und die Politik dem Raum gegeben hat. – Medienregulierung und Politikwissenschaften Die Analyse politischer Prozesse erfolgt systematisch im Rahmen von Werten und Normen (polity), die nicht statisch zu versehen sind, als Entwicklung des Inputs von Akteuren mit ihren Zielen und Interessen (politics) über die Arenen der gesellschaftlichen Auseinandersetzung bis hin zu der praktizierten Medienpolitik (policies). Aus der Art der Medienpolitik lässt sich auf die Kräfteverhältnisse in den Arenen zurück schließen, bzw. aus den Veränderungen der policies ergeben sich Hinweise, wie sich Kräfteverhältnisse zwischen den Akteuren verschoben haben. So ergibt sich aus der Untätigkeit der Politik gegen lokale bzw. regionale Zeitungsmonopole und gegen Multimediakonzentration im Bereich des kommerziellen Fernsehens, dass die Verleger und Konzernherren eine dominante Durchsetzungsfähigkeit in Bezug auf ihre Interessen erreicht und abgesichert haben. Als mediale gatekeeper der Arenen der medienpolitischen Auseinandersetzungen üben sie eine illegitime Macht aus, die eine Gefahr für die notwendige freie Information und Auseinandersetzung auch über Medienorganisation und Medienwettbewerb in unserer Demokratie bildet. Die Bundesländer als vorrangig zuständig für die Medienpolitik geben im Konflikt zwischen Standortpolitik und an den Grundrechten orientierter Kommunikationspolitik meistens der Standortpolitik den Vorrang. Daher sind sie unter Lobbyverdacht geraten: Der Rundfunkstaatsvertrag und seine Anwendung durch die Landesmedienanstalten erscheint damit als weitgehend symbolische Medienregulierung. Die verschiedenen Kommissionen der Politikberatung haben unterschiedliche Funktionen erfüllt. Die Günther-Kommission hat zwar das politische Bewusstsein bezüglich der Gefahren der Pressekonzentration gestärkt, sie diente der Politik aber eher als Ventil für das Auffangen von Bürgerprotesten denn als Basis für politisches Handeln. Die Monopolkommission hat
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sich zunächst kritisch zu Einzeitungsgebieten und zu den sich damals abzeichnenden Verflechtungen zwischen Presse und kommerziellem Rundfunk geäußert, dann aber unter veränderten politischen Mehrheiten hat sie einen Paradigmenwechsel hin zur vorrangigen Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk eingeleitet. Auch hieran lässt sich auf eine Machtverschiebung in den Arenen der politics zu Gunsten der Verlegerpositionen schließen. Gemessen an den von Politikwissenschaftlern aufgestellten Anforderungen an eine verfassungsrechtlich begründete Kommunikationspolitik erscheint die Realität der Medienregulierung als politisch von Parteien und Regierungen zu verantwortendes Versagen der rechtsstaatlichen Ordnung, zustande gekommen unter privatwirtschaftlichem Druck und dem beherrschenden Einfluss der entsprechenden Medien. – Medienmacht und Herrschaft und Soziologie Die Soziologie hat den Blick gelenkt auf die Frage nach Macht und Herrschaft unter den Bedingungen einer zumindest formal funktionierenden Demokratie. Sie identifiziert Medien als eigenständige Institutionen der Herrschaftsausübung. Es geht nicht um Befehl und Gehorsam, sondern um wirksame mediale Prägung des Bewusstseins der Rezipienten, um dadurch ein entsprechendes Verhalten zu erzeugen; so z.B. durch kommerzielle Fernsehprogramme eine beständige Konsumorientierung der Bürger hervorzurufen und/oder aber eine konservative Grundeinstellung zu vermitteln, die zu entsprechendem Wahlverhalten führen soll. Herrschaftsausübung bedarf der Autorität. Verleger und die Konzernherren der Multimediaunternehmen bilden Autoritätskartelle, die ihre Interessen auch in „ihren“ Publikationen einseitig vertreten. Sie üben Herrschaft durch Organisation aus, indem sie als gatekeeper des Zugangs zur Öffentlichkeit fungieren, d.h. ihnen nicht genehme Meinungen nicht oder nur sehr begrenzt verbreiten. Die Gesellschaft differenziert sich immer stärker nach bestimmten Milieus aus, wobei dieser Prozess von den Medien, insbes. von den Zeitschriften begleitet bzw. aktiv in ihrem Interesse vorangetrieben wird. Durch die dominante Sozialisation der Bevölkerung durch die Boulevardpresse und das kommerzielle Fernsehen ergibt sich ein Gewöhnungsprozess. Die Transformation der Gesellschaft verläuft in Richtung einer weiteren Spaltung: Die seriöse Presse, die politischen Zeitschriften und der öffentlich-rechtliche Rundfunk sind die Leitmedien der Mittel- und Oberschicht, während die Boulevardpresse und das kommerzielle Fernsehen die Unterschichten in ihrem Sinne unkritisch konditionieren, mit seichter Unterhaltung ablenken und damit auf niedrigem, der Demokratie abträglichem Niveau integrieren. Gemäß den Analysen zum symbolischen Interaktionismus erfolgt durch diese Medien ein spezifische, der Aufmerksamkeitskonkurrenz adäquate Realitätskonstruktion und ein Angebot illusionärer Teilhabe. Framing wird als wirkungsmächtige mediale Weltdeutung identifiziert. Bei hoher ökonomischer und publizistischer Medienkonzentration wird das framing uniform und damit für eine pluralistische Gesellschaft gefährlich. Das Verhältnis von Politik und Medien wird soziologisch je nach den spezifischen Kräfteverhältnissen gedeutet: Medien fungieren entweder als souveräne Frühwarnsysteme bei gesellschaftlichen Fehlentwicklungen – dies trifft weitestgehend auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu –, oder es gibt eine Kumpanei zwischen Politik und Medien, die die Erfüllung von deren Aufgaben in der Demokratie verhindert – vgl. die Situation in den USA nach dem
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11. September 2001 und während des Irakkrieges – oder schließlich gibt es die Konstellation, dass kritische Medien ganz oder teilweise zu Opfern des politischen spin doctoring werden. Die soziologischen Analysen zu medialer Herrschaft bestätigen die politikwissenschaftlichen Untersuchungen zur Kommunikationspolitik als weitgehend nur symbolische Politik bzw. als Politik zur Förderung kommerzieller Medien. – Medien und Gesellschaft und Makrotheorien Makrotheorien stellen die bisherigen Befunde in Zusammenhänge gesamtgesellschaftlicher Entwicklung und versuchen Bewertungen nach den Ansätzen von Zivilisationstheorien. Medien werden im doppelten Sinne als Institutionen verstanden: Medien sind mächtige Organisationen und gleichzeitig Institutionen verhaltensprägender Regeln. Funktionalistische Ansätze arbeiten die Sozialisationsfunktion der Medien insbesondere durch die Omnipräsenz der Werbung, die Normerzwingungsfunktion und die Funktion der Statuszuweisung – mediale Präsenz „macht“ gesellschaftliche Anerkennung – heraus. Aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive werden demgemäß drei vorherrschende Trends herausgestellt: Es ist die Funktion der kommerziellen Medien, die Bevölkerung in das marktwirtschaftliche Wirtschaftssystem – Werbung und adäquates inhaltliches Umfeld – zu integrieren, sie von den Problemen und Sorgen des Alltags durch Unterhaltung abzulenken mit der Konsequenz der weitgehenden Entpolitisierung – und für die Verlierer der Modernisierungsschübe Kompensationen durch illusionäre Teilhabe bereitzuhalten. Gemäß den Analysen der neueren Institutionenökonomie prägen die Medien nach den je eigenen Produktionsbedingungen und Eigentumsformen Normen und Werte – die Macht der Bilder, nach den Gesetzmäßigkeiten der Aufmerksamkeitskonkurrenz präsentiert, prägt das Bild der Welt. Diese Funktionen werden nie vollständig erfüllt, zum einen, weil bzw. so lange es immer wieder Widerstände gegeben hat und geben wird, zum anderen, weil alternative Medien und Sozialisationsagenturen vorhanden sind. Sozialwissenschaftliche Regulationstheorien vervollständigen diese Analysen, indem sie darauf hinweisen, dass die Stabilität von Gesellschaften von der Beachtung von Regeln abhängt. Die Dialektik der Entwicklung westlicher Gesellschaften ist nun allerdings zunehmend dadurch geprägt, dass Medienmacht sich in der Propagierung von eigensüchtigen Regeln ausdrückt, die sich nicht mit gesamtgesellschaftlichen Interessen decken. So versuchen z.B. die Verlegerverbände ein Verständnis der Pressefreiheit als reine Verlegerfreiheit als allgemeingültig zu verankern, mit der Konsequenz, dass eine staatliche Regulierung z.B. zur Sicherung innerer Pressefreiheit oder zur Kontrolle von lokalen bzw. regionalen Zeitungsmonopolen bis heute erfolgreich abgewehrt wurde. Zivilisationstheoretische Ansätze versuchen die Medien- und Gesellschaftsentwicklung zu bewerten nach Kriterien „gelungener“ Modernisierung bzw. nach negativ zu bewertenden Entzivilisierungsschüben. Refeudalisierung der Gesellschaft durch von Medienmacht pervertierte Öffentlichkeit ist als ein solcher Entzivilisierungsschub zu verstehen.
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Kohärenz und Widersprüche: die Ansätze im Vergleich
Die verschiedenen wissenschaftlichen Ansätze nähern sich dem Thema von verschiedenen Perspektiven, sie bauen zum Teil aber aufeinander auf – das GWB und zum Teil auch der Rundfunkstaatsvertrag berufen sich auf die Wirtschaftswissenschaften; die kommunikationswissenschaftlichen Analysen der Kommunikationspolitik befruchten die politikwissenschaftlichen Beiträge zur Medienpolitik und umgekehrt; die Wirkungsforschung fundiert die soziologischen und makrotheoretischen Analysen. Zum Teil aber stehen die Ansätze mit ihren Ergebnissen beziehungslos nebeneinander: Die Technikgeneseforschung im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien hat bisher keinen Einfluss auf die Technologiepolitik, obwohl in anderen Bereichen technologischer Entwicklung ein integrativer Ansatz z.B. in der Umweltpolitik sich durchsetzt. Noch gravierender erscheint, dass zunehmend auch die Infrastrukturpolitik in diesem Bereich nach reinen marktwirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten ausgerichtet wird, und damit auf eine sozialverträgliche Technologiepolitik verzichtet wird. Weitere Beispiele für das beziehungslose Nebeneinander sind: die Kommunikationswissenschaften führen eine fruchtbare, allerdings noch nicht abgeschlossene Diskussion über Maßstäbe zur ordnungspolitischen Beschreibung medialer Vielfalt, ohne dass diese Diskussion die Rechtsanwendung bisher in nennenswerter Weise beeinflusst hat; die kommunikationswissenschaftlichen Befunde der Wirkungsforschung haben die Bildungs-, Jugendschutzund Medienpolitik bisher nicht wirklich erreicht; die herrschenden Wirtschaftswissenschaften halten an dem Konstrukt des homo oeconomicus fest und sperren sich gegen die Ergebnisse der Erforschung medialer Sozialisation. Allenfalls verweisen sie auf die wirksame Anwendung des GWB. Damit sei die Marktwirtschaft auch in diesem Wirtschaftssektor funktionsfähig, ohne dass sie die bestehenden Konzentrationstatbestände grundsätzlich kritisieren. Diese „Theorien“ lassen sich deshalb nur als ideologische Positionen einordnen. Demgegenüber arbeiten „realistische“ Ökonomen das Marktversagen im Bereich kommerzieller Medien und die Gesetzmäßigkeiten der fortschreitenden Medienkonzentration heraus. Trotzdem verschließt die Medienpolitik die Augen vor den ordnungspolitisch unhaltbaren Einzeitungs-Kreisen und der Multimedia-Konzentration mit ihren negativen Auswirkungen auf Marktzutritt, publizistischen Wettbewerb und Innovationen. Noch gravierender: Die Medienpolitik und die durch deren Versagen zunehmend betroffene Gesellschaftspolitik verschließen die Augen vor den negativen Auswirkungen der übermäßigen Nutzung der rein kommerziellen Medien in bestimmten Milieus, die in der Gesellschaft schon jetzt gravierende Folgen zeigt. Dieses Staatsversagen lässt sich aus der bisherigen weitgehenden Ohnmacht der Politik gegenüber Verlegermacht und der Macht der Inhaber von Multimediakonzernen erklären. Politikwissenschaftliche Analysen steuern damit Erklärungsmuster dafür bei, wie aus politics in den Arenen der gesellschaftlichen Auseinandersetzung policies bzw. unterlassene policies werden, die die verfassungsrechtlich vorgegebenen Ziele verfehlen. Sie haben auch auf die Vielzahl medienpolitischer Akteure und die großen Diskrepanzen zwischen kommunikationspolitischen Zielen und ihrer Umsetzung auf nationaler und internationaler Ebene verwiesen. Im Bereich des kommerziellen Fernsehens kann von einem souveränen homo oeconomicus keine Rede sein, er ist das Objekt von Marketingstrategien der Sender zur unübersehbaren
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Plazierung der Werbung und zur Fesselung seiner Aufmerksamkeit durch das „Rahmenprogramm“. Dagegen scheinen der Buchmarkt und der Markt der Zeitschriften weitgehend nach den Marktgesetzmäßigkeiten von einem gleichberechtigten Austausch von Angebot und Nachfrage zu funktionieren, auch wenn in diesen Bereichen zunehmend wirtschaftliche Konzentrationstendenzen festzustellen sind. Da aber das Fernsehen neben der Boulevardpresse das Leitmedium unserer heutigen Gesellschaft mit der größten Reichweite ist, sind seine Strukturbedingungen und seine Wirkungen besonders massenwirksam und einflussreich. Die soziologischen und makrotheoretischen Analysen haben die das Bewusstsein der Rezipienten prägende Kraft der medialen „Botschaften“ durch Realitätskonstruktion und Überflutung mit Bilderwelten nach den Gesetzmäßigkeiten der Aufmerksamkeitskonkurrenz herausgearbeitet. Damit sind realistische wirtschaftswissenschaftliche Beschreibungen von Medienwettbewerb und Konzentration und soziologische Analysen von Medienmacht zusammengeführt worden. In gesamtgesellschaftlicher Perspektive ist die Ausübung privatwirtschaftlicher Medienmacht mit den Begriffen Entpolitisierung, Prägung der Bürger als vorrangige Konsumenten und Refeudalisierung der Öffentlichkeit zu kennzeichnen. Diese Entwicklung zu einer von wenigen Konzernherren durch ihre privatwirtschaftlichen Medien beherrschten Öffentlichkeit ist ein klarer Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Leitbild einer bürgerlichen Demokratie. Nur das Zusammentragen der Ergebnisse der verschiedenen Disziplinen zum Thema ermöglicht ein empirisch fundiertes, auch theoretisch konsistentes Bild, ermöglicht hinter den vielfältigen Erscheinungsformen der Medien, ihrer Angebote und ihrer Nutzung die Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung unter dem Einfluss der Medien zu erfassen. Der interdisziplinäre Ansatz hat sich also bewährt. Er entspricht auch den zunehmenden Forderungen nach Kooperation der einzelnen Wissenschaftsdisziplinen. „Wenn wir …auf die Menschheit setzen und hoffen, sie könnte sich durch eine auf das Menschenrecht gegründete Politik selbst disziplinieren, dann unterstellen wir nicht nur den Juristen, Soziologen und Politologen bleibende Aufgaben, sondern erwarten auch von der Ökonomie, dass sie uns die Kenntnisse zur Verfügung stellt, die uns erlauben, mit dem weiterhin erwarteten Wachstum an Menschen und Gütern möglichst berechenbar und möglichst gerecht umzugehen. Die stillschweigende Voraussetzung für das Wachstum aber liegt in der fortgesetzten Produktivität der Grundlagenforschung in jedem Fach, angefangen bei der Mathematik und Physik bis hin zu den Sprach-, Kultur- und Religionswissenschaften. Wir brauchen alle Disziplinen und wir benötigen sie in zunehmender interdisziplinärer Kooperation (Gerhardt, S. 11). •
Gesellschaftspolitische Konsequenzen bei kombiniertem Markt- und Staatsversagen
Handelt es sich wie beim kommerziellen Fernsehen und den lokalen und regionalen Pressemonopolen um sehr wichtige gesellschaftliche Sektoren, so ist das Zusammentreffen von Markt- und Staatsversagen besonders gravierend. Es bedeutet die schleichende Aushöhlung der freiheitlichen Grundordnung und die Transformation der Gesellschaft hin zur Überlassung von Herrschaft an dazu nicht legitimierte private Institutionen. Dem Rechtsstaat wird ein Stück seiner Legitimation entzogen und die Politik verliert an Souveränität. Ein solcher Zustand kann nur überwunden werden durch immanente Gegenkräfte der Zivilgesellschaft, die sich gegenüber dem Lobbyismus der Medien in eigener Sache organisieren
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und stark machen und das politische Eindämmen von medialer Herrschaft fordern. Politische Parteien müssen sensibilisiert werden für die gesellschaftlichen Gefahren der weiteren Kommerzialisierung der Medienangebote und der weiteren Multimediakonzentration. In Schulen und in den Institutionen der Weiterbildung ist Medienkompetenz zu fördern in dem Sinne, die Mechanismen der „Berichterstattung“ zu durchschauen und sich entsprechend zu verhalten. Um es etwas grundsätzlicher und weitreichender auszudrücken: die bundesrepublikanische Gesellschaft steht vor der Herausforderung, sich als bürgerliche Gesellschaft neu zu erfinden und zu justieren, will sie die vom Grundgesetz vorgegebenen Grundrechte und Werte leben. •
transdisziplinäre Zusammenfassung in der Perspektive einer „neuen“, integrativen Politik
Die Diskrepanzen zwischen vorausgesetzter Medienordnung in der bürgerlichen Gesellschaft mit den postulierten Kommunikationsfreiheiten auf der einen Seite und der realen Medienentwicklung auf der anderen Seite sind für die lokalen bzw. regionalen Zeitungsmonopole, für die Konzentration auf einzelnen Zeitungs- und Zeitschriftenmärkten, für das Duopol des kommerziellen Rundfunks, aber auch generell für den kommerziellen, über Werbung finanzierten Rundfunk offensichtlich; diese Diskrepanzen haben strukturelle Ursachen und bedingen ein weit reichendes Marktversagen in den genannten Bereichen. Die Medienordnungspolitik hat in diesen Bereichen weitgehend versagt, indem sie den gesellschaftspolitisch negativen Auswirkungen der Pressekonzentration praktisch gar nicht – mit Ausnahme einiger spektakulärer Fälle der Fusionskontrolle – und den direkten Auswirkungen des kommerziellen Rundfunks auf seine Nutzer wie auch den indirekten Auswirkungen auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk weitgehend nur mit symbolischer Politik begegnet. Die Macht der Verleger und Konzernherren zur Entschärfung der staatlichen Kommunikationspolitik ist politikwissenschaftlich belegbar. Für die genannten Bereiche ist daher auch ein gravierendes Staatsversagen zu konstatieren. Die Technologiepolitik im Bezug auf I+K-Technologien ist noch weitestgehend an dem Diffusionsmodell des marktmäßigen Erfolges orientiert – abschreckende Beispiele für das gleiche Diffusionsmodell in anderen gesellschaftlichen Bereichen sind die Auseinandersetzungen um die zivile Nutzung der Atomkraft, die Verkehrspolitik in ihrem Versagen gegenüber der Automobilindustrie in Bezug auf die Reduktion des Verbrauchs und die Einführung des Internet, wo jetzt erst im Nachhinein gegen weltweite kriminelle Pädophilennetzwerke vorgegangen wird –, obwohl es genügend Ansätze für eine sozialverträgliche und nachhaltige Technologiepolitik gibt, die sich auf die Diffusionsprozesse der Informations- und Kommunikationstechnologien übertragen lassen. Der Strukturwandel der Öffentlichkeit hat in den westlichen Industriegesellschaften kommerzielle Medien hervorgebracht, die selber zu eigensüchtigen Machtfaktoren in der gesellschaftlichen Entwicklung geworden sind. Die gesellschaftlichen Auswirkungen sind gravierend: 1. Die vorrangig über Werbung finanzierten Medien tragen wesentlich dazu bei, die Bürger als Konsumenten zu konditionieren – das wirtschaftliche Haben prägt das Lebensgefühl und weckt permanent neue Wünsche, deren Befriedigung die Tendenz zur Wegwerfgesellschaft verstärkt.
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Diese Medien tragen zu einer umfassenden Entpolitisierung der medialen Politikvermittlung bei – Unterhaltung steht im Vordergrund und allenfalls an Personen orientiertes Politainment bzw. Verpackung der Politik als Konsumgut. Dies gilt nicht für die seriösen Tages- und Wochenzeitungen und die politischen Zeitschriften, die aber nur einen Bruchteil der Bevölkerung erreichen. 3. Kommerzielle Medien prägen durch agenda setting, framing und Realitätskonstruktion nach eigenen Gesetzmäßigkeiten und Interessen die Weltdeutung „ihrer“ Nutzer. Bei hoher Multimediakonzentration wird diese Prägung uniform und weitgehend alternativlos. 4. Diese Medien lenken von wesentlichen gesellschaftlichen Fragen ab in dem sie schließlich durch illusionäre Teilhabeangebote „Unterschichten“ in die Gesellschaft integrieren. Dies gilt jedoch nicht für die ständig an Zahl zunehmenden vielsehenden Kinder und Jugendlichen, die von der Gewalt und Brutalität, die ihnen über das Fernsehen vermittelt wird, beeinflusst werden und und von der sich vieles in ihr späteres Verhalten einschleicht. 5. Die Macht der Verleger und der Inhaber der Multimedia-Konzerne und „ihrer“ Medien bestätigt das staatliche Nichtagieren gegen lokale und regionale Zeitungsmonopole und die weitgehend symbolische Politik gegenüber kommerziellen Fernsehprogrammen. Das Staatsversagen in diesem Bereich ist unmittelbar durch diese nicht legitimierte Macht bedingt. Diese Refeudalisierung der Gesellschaft lässt sich auch als Entzivilisierungsschub interpretieren. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der eine Form der Gegenmacht darstellt, ist bemüht, dieser Entwicklung entgegen zu wirken, hat aber angesichts der relativ hohen Einschaltquoten der kommerziellen Sender einen schweren Stand. Der Kampf um die Deutungshoheit in Bezug auf gesellschaftliche Entwicklungen zwischen kommerziellem Fernsehen einerseits und öffentlich-rechtlichen Programmen andererseits lässt sich als Wettbewerb um verschiedene Pfade der gesellschaftlichen Entwicklung interpretieren. Die Programmleistungen des öffentlichrechtlichen Rundfunks in Deutschland stellen sich in diesem Zusammenhang als weitgehende Entsprechung zu den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an eine freiheitliche Medienordnung dar, auch wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk durch die Konkurrenz mit den kommerziellen Anbietern und eine schleichende politische Kontrolle in Mitleidenschaft gezogen wurde. Aus diesen Analysen vor der Folie des freiheitlichen Menschenbildes, der Kommunikationsfreiheiten und der institutionellen Garantien für Presse und Rundfunk des Grundgesetzes sind folgende Forderungen abzuleiten: 1.) Es bedarf einer neuen integrativen Gesellschaftspolitik, die Medienordnungs-, Technologie-, Wirtschafts-, Bildungs-, Jugend- und Familien-, Kultur- und Wissenschaftspolitik umfasst. 2.) Die rein über Werbung finanzierten Medien sind in ihrem gesellschaftlichen Einfluss zu begrenzen, um eine wohl informierte, herrschaftsfreie Öffentlichkeit wiederherzustellen. 3.) Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist zu stärken und an bestimmten Punkten zu reformieren.
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4.) Um Markt- und Staatsversagen im Bereich der Medienentwicklung zu überwinden, bedarf es starker, nicht privatwirtschaftlicher, gesellschaftlicher Kräfte aus der Zivilgesellschaft, die sich organisiert in die Arenen der Auseinandersetzung um policies begeben und dem vorhandenen Lobbyismus die Stirn bieten.
13.2 Medienwettbewerb und -konzentration im Rahmen einer Zivilisationstheorie Hatten die bisherigen Analysen ihren Ausgangspunkt im Bereich der direkten Entwicklung der Medien, so soll jetzt die Perspektive gewechselt werden. Es geht darum, ausgehend von der allgemeinen zivilisatorischen Entwicklung, die Anforderungen an eine freiheitliche Medienordnung zu präzisieren. Die vorgestellten Reformvorschläge begründen sich aber von den vorhergehenden Analysen her. •
Zivilisationstheorie hat mehrere Dimensionen
Auf einige Ansätze der Zivilisationstheorien ist bereits in Kapitel 12 bei den Makrotheorien eingegangen worden. Unter dem Oberbegriff von Zivilisationstheorien verbergen sich unterschiedliche Konnotationen dessen, was unter zivil verstanden wird. In theoriegeschichtlicher Perspektive werden die Lockesche Funktion der Zivilgesellschaft – Schutz vor staatlicher Willkür –, die Montesquieusche Funktion – Balance zwischen staatlicher Autorität und ziviler Gesellschaft –, die Tocquevillesche Funktion – Schule der Demokratie – und die Habermassche Funktion – Öffentlichkeit und Kritik – unterschieden (Vgl. Wolfgang Meckel, S. 4 ff). Auch sind verschiedene Dimensionen zur Bewertung von Entwicklungsprozessen zu berücksichtigen. – zivilisatorische contra/und kulturelle Entwicklung Herkömmlicher Weise wird in der deutschen philosophischen Tradition streng nach zivilisatorischer und kultureller Entwicklung unterschieden. Die Absetzung der Zivilisation von der Kultur bedeutet, dass mit Zivilisation u. a. die Bereiche des technischen, ökonomischen und wissenschaftlichen Fortschritts gemeint sind in Abgrenzung von den „schöngeistigen“ kulturellen Leistungen in der Literatur, des Theaters, der Musik oder der bildenden Kunst. Demgegenüber werden im angelsächsischen Bereich und zunehmend auch in Deutschland heute zivilisatorische und kulturelle Entwicklung gemeinsam betrachtet: es handele sich um den entwickelten Zusammenhang materiell-technischer und geistig-wissenschaftlicher sowie kultureller, religiöser und politischer Gebilde und der dazugehörigen Verhaltensmuster im Sinne der Kulturanthropologie Taylors. In diesem zweiten Sinne wird hier von zivilisatorischer Entwicklung gesprochen, um zusammenhängend die Entwicklung der Kommunikationstechniken und der über sie verbreiteten Inhalte sowie die Rezeptionsmuster zu analysieren und gesellschaftskritisch zu bewerten.
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– Zivilisation gleich Entwicklungsprozess von Gesellschaften Die zivilisatorische Entwicklung von Gesellschaften kann nach unterschiedlichen Kriterien evaluiert werden. Zu derartigen Kriterien gehören die Nachhaltigkeit des technischen Fortschritts, die Evaluation der Formen der Herrschaftsausübung einerseits und der Verbreitung gesellschaftlicher Teilhabe am Volkseinkommen, an Bildungschancen und kulturellen Leistungen andererseits, der Grad der kontinuierlichen, nachhaltigen Verbesserung der Lebensverhältnisse, die gleichgewichtige Integration der verschiedenen Schichten und Milieus in die Gesellschaft oder ihre Ausgrenzung und die Genese und Verbreitung der Normen der Selbstkontrolle oder der Fremdkontrolle. Kommerzielle Medien befestigen eher bestehende gesellschaftliche Strukturen durch Ablenkung und Entpolitisierung als dass sie das emanzipatorische Potential der gesellschaftlichen Entwicklung fördern. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist dagegen eher herrschaftskritisch, politisch informativ und vom Ansatz her partiell Bildung fördernd. Das folgende Zitat spitzt den Gegensatz zu: „… zeichnet sich auf längere Sicht ein wettbewerblicher Antagonismus zweier Medienstrukturen ab, welcher sich auf einen einfachen Grundgegensatz zurückführen lässt. Im neuen Rundfunkrecht sind zwei der Kategorie nach verschiedene, in ihrer reinen Form gänzlich inkompatible Grundmodelle wirksam: Integrations- und Marktmodell. … Aus dem problematischen Nebeneinander mag sich eines Tages eine Modellkonkurrenz ergeben, die in aller Breite und Erbitterung ausgetragen wird und schließlich geradezu eschatologische Züge annehmen kann: Die beiden Grundrichtungen treten gegeneinander zum Endkampf im Sinne eines ökonomisch-publizistischen Substitutionsund Vernichtungswettbewerbs an, ungefähr nach dem Motto: ˛Dienen‘ vs. ˛verdienen‘“ (Stock, S. 537). Aus diesen kurz nach Einführung des kommerziellen Rundfunks in Deutschland Mitte der 80er Jahre gemachten Äußerungen wird zweierlei deutlich: Es handelt sich nicht um ein geregeltes, auf Dauer angelegtes Nebeneinander zweier Rundfunksysteme. Mit der über kurz oder lang sich herausbildenden Dominanz des einen oder des anderen Systems entscheidet sich nachhaltig die Qualität des Gesellschaftssystems. – zivil contra militärisch Dieses Gegensatzpaar verweist auf Konfliktlösungsmechanismen: holzschnittartig gegenübergestellt: Diplomatie und Völkerrecht und Menschenrechte contra militärische Interventionen bzw. militärisches Eingreifen als ultima ratio (USA-Europa-Vergleich). Das kommerzielle Fernsehen mit seiner Flut von Gewaltdarstellungen in Krimis, (Kriegs-) Filmen und Serien trägt wohl kaum zu einer Sensibilisierung der Zuschauer für eine konsequente Friedenspolitik bei. – zivil contra staatlich Dieses Gegensatzpaar bringt das Verhältnis von Zivilgesellschaft und Staat ins Blickfeld. Es geht um die Abgrenzung der jeweiligen Zuständigkeiten und um die Frage nach der Souveränität und Verlässlichkeit des Rechtsstaates.
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Der heutige Rechtsstaat bietet in Bezug auf die Medienordnung ein ambivalentes Bild: das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung gegen massiven Lobbyismus Maßstäbe für eine demokratiegerechte Medienordnung entwickelt und sie immer wieder der Politik zur Verwirklichung aufgegeben. Demgegenüber hat die Medienpolitik besonders der Bundesländer weitgehend versagt, bzw. nicht stattgefunden. Sie hat sich als schwach und „unterwürfig“ gegenüber geballter Medienmacht erwiesen oder sogar als Erfüllungsgehilfe ihrer Wünsche. Nicht umsonst musste das Bundesverfassungsgericht immer wieder die Einhaltung seiner Maßstäbe zur Verwirklichung der Kommunikationsfreiheiten einfordern. Vor dieser Folie ist die Zivilgesellschaft herausgefordert, staatliche Autorität durch Bildung von Gegenmacht wiederherzustellen und ihren Gebrauch im Sinne der Werte des Grundgesetzes einzufordern. Akteure der Zivilgesellschaft sind damit in die Politik involviert, ohne dass sie selber staatliche Ämter anstreben sollten. – zivil contra autoritär In diesem Zusammenhang wird zivil gleichgesetzt mit offen, dynamisch, integrativ, materiell demokratisch, kulturell pluralistisch, lernfähig und lernbereit. Unter autoritär wird dagegen uniform, statisch, konformistisch und pathologisches Festhalten am status quo (von Privilegien) verstanden. Zivilisatorische Modernisierung ist demgemäß als produktive Wandlungsfähigkeit einer Gesellschaft im Rahmen von „unveräußerlichen“ Werten zu interpretieren. Auch hier leisten die Programme der öffentlich-rechtlichen Sender und die Angebote der seriösen Presse sowie des Buchmarktes einen bedeutenden Beitrag zu einer zivilisatorischen Modernisierung. Dies lässt sich z.B. an der Förderung gesellschaftlicher Integration von Migranten festmachen. •
der Umgang mit neuen Technologien und Innovationen
Hier sind zwei „Modelle“ zu unterscheiden: Technikeuphorie und gesellschaftliche Reparatur im Nachhinein oder intelligente Auswahl und Gestaltung von technischen Innovationen von Vorneherein. Zum letzteren würde eine Einbettung der Technologiepolitik in eine umfassende Gesellschaftspolitik gehören. In Bezug auf die weitgehend allein von Marktgesetzmäßigkeiten, zum Teil unterstützt von staatlicher Technikförderung, gesteuerte Dynamik der Informations- und Kommunikationstechniken ist die bundesrepublikanische Gesellschaft noch weit vom Modell der intelligenten Auswahl und Gestaltung entfernt. •
der gesellschaftliche Umgang mit ökonomischer und medialer Macht und Herrschaft
Zu zivilisatorischem Fortschritt gehört ohne Zweifel der demokratische Umgang mit ökonomischer und medialer Macht. Die zunehmende politische Ohnmacht gegenüber der Macht der Medien bzw. gegenüber Allianzen aus ökonomischer und medialer Macht sind Meilensteine auf dem Weg zur Refeudalisierung der Gesellschaft als Mediokratie. Die Mechanismen zur Herausbildung einer „souveränen“ Medienpolitik und zu einem effektiven Rechtsstaat scheinen sich aufzulösen. Hier hat die bundesrepublikanische Gesellschaft eine große, kon-
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fliktträchtige Wegstrecke zur Wiederbelebung einer bürgerlichen Öffentlichkeit zurückzulegen. Um nicht missverstanden zu werden, sei nochmals betont, dass prinzipiell der Leistungswettbewerb auf Märkten Vorrang vor allen anderen Organisationsformen der Produktion und Verteilung haben sollte. Nur: Märkte sind aus sich heraus blind in Bezug auf gesellschaftliche Werte und sie reagieren immer nur kurzzeitig. Sie sind 1. daher nur funktionsfähig, wenn sie ordnungspolitisch reguliert werden. Im privatwirtschaftlichen Medienbereich hat die Konzentrationskontrolle aber weitgehend versagt. 2. Im kommerziellen Medienbereich wurde darüber hinaus ein grundsätzliches Marktversagen festgestellt, das nach alternativen Organisationsformen der inhaltlichen Produktion und Verteilung ruft. 3. Aktuelle politische und gesellschaftliche Information ist kein privatwirtschaftliches Konsumgut, das allein dem wirtschaftlichen Wettbewerb auszusetzen ist. •
die Mechanismen zur Lösung gesellschaftlicher Konflikte
Darauf bezogen sind die Fragen nach den gesellschaftlichen Mechanismen zur Lösung von Interessenauseinandersetzungen und von Konflikten nach innen und nach außen und darauf bezogen die Fragen nach der Rolle und Ausgestaltung der Medien. Sind „die“ Medien Teil der Lösung von Problemen oder selber Teil der Konflikte? Auf Grund des Markt- und des Staatsversagens in Bezug auf die kommerziellen Medien und ihre Konzentration und auf Grund dessen, dass die Medien gatekeeper der Öffentlichkeit in eigener Sache sind, mangelt es an institutionalisierten Mechanismen z.B. zur Lösung der Konflikte zwischen kommerziellen und öffentlich-rechtlichen Medien oder zur Abwehr schädlicher Wirkungen kommerzieller Fernsehangebote. •
der Stellenwert von Bildung und Kultur und der je spezifische Beitrag der Medien
Nach wie vor gibt es gesellschaftliche Barrieren für die individuelle Entfaltung und Blockaden gegenüber Aufstiegschancen; Die bundesrepublikanische Gesellschaft steht demgegenüber vor der Notwendigkeit der Ausschöpfung aller „Bildungsreserven“. Schon heute fehlen z.B. viele Ingenieure. Dazu ist die Kultur des Förderns und Forderns weiter zu entwickeln. Die einzelnen Medien haben hier unterschiedliche Funktionen: – der Büchermarkt hält ein umfassendes Angebot zum (Selbst)Studium, zur Bildung und zur beruflichen Qualifikation bereit. Wer die Disziplin zum Lesen und Studium aufbringt, für den dürften keine Wünsche offen bleiben. – der Pressemarkt bietet unterschiedliche Angebote. Während die Boulevardpresse den Konsum fördert und durch Sensationalismus zur Entpolitisierung beiträgt, ermöglichen die seriösen (überregionalen) Tages- und Wochenzeitungen, sich relativ umfassend zum Tagesgeschehen und zur Kultur zu informieren. – der Rundfunkmarkt ist gespalten: die kommerziellen Veranstalter haben kulturelle Angebote aus ihren Programmen – abgesehen von der Popkultur – weitgehend ausgeblendet, während die öffentlich-rechtlichen Sender, besonders in ihren Spartenkanälen wie z.B. dem ZDF-Theaterkanal, 3sat und arte Hochkultur pflegen. Die allgemeinen Bildungsprogramme sind dagegen in der Konkurrenz zum privatwirtschaftlichen Fernsehen immer weiter zurückgenommen worden.
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– das Internet und seine Dienste Das Internet enthält ein umfassendes Potential zur Präsentation von Kultur. Nur: Auf Grund seiner „Unordnung“, der zunehmenden Finanzierung seiner Inhalte über Werbung und seiner mangelnden Regulierung wird dieses Potential bisher nicht genutzt. Außerdem steht das Internet bisher nur einer „2/3 Gesellschaft“ zur Verfügung. •
die Verknüpfung von Herkunft und Zukunft
Nur wer sich seiner Herkunft bewusst ist, kann seine Zukunft verantwortlich gestalten. Gleiches gilt für die Gesellschaft als Ganzes: Nur wenn Lehren aus der Vergangenheit gezogen werden, kann es eine friedliche, prosperierende und nachhaltige Entwicklung in die Zukunft geben. Medien haben also immer auch eine geschichtliche Verantwortung, die Kultur des Erinnerns und Gedenkens wach zuhalten und damit auch die historischen Lehren u. a. für die freiheitliche Sicherung der Informations- und Meinungsfreiheit dauerhaft zu beherzigen. Zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft gehört auch die Abwägung zwischen Konsum heute und Investition in die Zukunft. Die Wahrnehmung medialer Verantwortung kann auch daran gemessen werden, wie weit die Medien das Thema „Vorsorge für die Zukunft“ publizieren und diskutieren. Wenn die Grundbedürfnisse in der Gesellschaft für jedermann gedeckt sind, wenn alle die Chance zur beruflichen Arbeit entsprechend ihren Fähigkeiten haben, dann geht es vorrangig um die Hervorbringung und den Genuss kultureller Leistungen. Kultur ist dabei in einem umfassenden Sinne zu verstehen: Elemente der Kultur sind Werte, Normen, Sprache, Symbole, Kunstwerke und Wissen (vgl. Rehberg, S.82ff). Die Forderung an die Funktionsfähigkeit der medialen Kommunikation lautet also: Die Förderung des Konsums hat zumindest auf gleicher Augenhöhe mit der Förderung der Kultur stattzufinden. Es gilt, Nachhaltigkeit in allen Dimensionen zu institutionalisieren und zu sichern, um die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft und ihre Weiterentwicklung zu gewährleisten. Dazu gehören derzeit: Friedenssicherung, Ressourcenschonung, Naturbewahrung, Abbau der nicht legitimierten Staatsverschuldung, Sicherung von Chancengleichheit und Verteilungsgerechtigkeit zwischen den Generationen und zwischen den verschiedenen Schichten der Gesellschaft, Gesundheitsvorsorge – z.B. das Verbot des Rauchens wie des Drogenkonsums bzw. Belastung von „Süchtigen“ mit den gesellschaftlichen Kosten ihrer Pflege etc. – und Regulierung der Werbung, um die Verführung zum Konsum zu begrenzen. Der Gedanke der Selbstverantwortung und der nachhaltigen individuellen Vorsorge gegenüber den Unbillen des Lebens ist verstärkt zu propagieren. Eine nachhaltige Zukunftsentwicklung ist nur gegeben, wenn die ständige Weiterqualifikation im Zusammenhang des technischen und des wirtschaftlichen Wandels umgesetzt wird und wenn der Prozess der Integration aller Bevölkerungsgruppen durch Fördern und Fordern vorangetrieben wird. Es gilt gleichzeitig sicherzustellen, dass die kulturelle Entwicklung nicht dem Primat der „ökonomischen Rechnung“ unterstellt wird. Die Funktionsfähigkeit unseres Mediensystems ist auch an der Begleitung dieser konfliktträchtigen Problemlagen und an der offenen Berichterstattung über weitere Prozesse zu messen.
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Medienwettbewerb und nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung
Unter den Aspekten der Sicherung einer nachhaltigen gesellschaftlichen Entwicklung sind drei Ebenen der Kritik zu unterscheiden: Zum einen geht es um die Dysfunktionalität der Pressekonzentration und der Konzentration im Bereich des kommerziellen Rundfunks im Rahmen der „überkommenen“ ordnungspolitischen Ansprüche an publizistische Vielfalt. Zum anderen geht es vor der Folie der Ansprüche an eine funktionsfähige Demokratie, an gesellschaftliche Integration durch Bildung und Ausbildung und an chancengleiche Teilhabe auch an kulturellen Entwicklungen um die Dysfunktionalität des kommerziellen Rundfunks als Zivilisationsbremse aus strukturellen Gründen. Schließlich und nicht zuletzt muss es auf Grund der aufgezeigten Dysfunktionalitäten um die Stärkung und Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zur Wiederherstellung einer herrschaftsfreien bürgerlichen Öffentlichkeit gehen.
13.3 Demokratische Entwicklung und rechtliche Ordnung auch als medial vermittelter, konfliktträchtiger gesellschaftlicher Lernprozess Hierzu gehört vor allem, Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen und sich der Errungenschaften nach dem 2. Weltkrieg – die Institutionalisierung unveräußerlicher, vom Staat zu achtender und zu schützender Grundrechte im Grundgesetz und die Schaffung eines starken Bundesverfassungsgerichts sowie die Schaffung öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten – zu erinnern und sie zu bewahren und zu pflegen auch unter den Bedingungen der weiteren europäischen Einigung und der zunehmenden Globalisierung. Das Fundament muss der Vorrang für die freie Entfaltung der Persönlichkeit in einer freiheitlichen und solidarischen bürgerlichen Gesellschaft bleiben (vgl. auch Taylor.) Gesellschaften haben im Grunde nur zwei Möglichkeiten, Erfahrungen zu machen und entsprechend zu handeln. Die eine ist, in jeder Generation neue Wege einzuschlagen und dabei unter Umständen katastrophale Entwicklungen nach innen und außen auszulösen – dieser Weg wurde in der leidvollen deutschen Geschichte mehrfach gegangen. Die andere Möglichkeit besteht darin, aus der Vergangenheit grundsätzliche Lehren zu ziehen, um Katastrophen durch intelligente ordnungspolitische Arrangements auf Dauer zu vermeiden. Dazu gehört aber, dass jede Generation sich diese Grundentscheidungen sowohl immer wieder vergegenwärtigt als auch in Interessenkonflikten und ideologischen Auseinandersetzungen verteidigt. Dazu haben die Medien einen verantwortungsvollen Beitrag zu leisten. Sie können dies aber nur, wenn ihnen selber ein ordnungspolitischer Rahmen gesetzt ist, der zur Konstituierung und Erhaltung einer herrschaftsfreien bürgerlichen Öffentlichkeit beiträgt. 1.) Sicherung publizistischer Vielfalt und eines „freien Meinungsmarktes“ Hierbei geht es um den Paradigmenwechsel weg von einem ökonomisch begründeten Vielzahlmodell hin zu einem publizistisch begründeten inhaltlichen Vielfaltmodell und um die entsprechenden kommunikationspolitischen Veränderungen, wobei die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vollinhaltlich umzusetzen sind. Hierzu müssen Ordnungs- und Bildungspolitik ineinander greifen ebenso wie journalistische Ausbildung und zivilgesellschaftliches
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Engagement. Erst wenn die emanzipatorischen und demokratischen Potenziale der bürgerlichen Öffentlichkeit wieder in den Köpfen und Herzen nicht nur der Eliten in Deutschland verankert sind, wird ein solcher Paradigmenwechsel eine Chance haben. 2.) Anforderungen an Medienevolution in technischer und inhaltlicher Hinsicht für eine nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung im kontroversen gesellschaftlichen Diskurs Medienevolutionen werden von technischen Innovationen vorangetrieben. Um die möglichen für die nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung schädlichen Wirkungen möglichst von Beginn an zu vermeiden, ist die „Technikfolgenabschätzung“ im Diskurs zwischen Ingenieuren, Ökonomen und Sozialwissenschaftlern zu institutionalisieren und durch eine kritische mediale Berichterstattung zu begleiten. Dies gilt besonders für die Förderung positiver und die Verhinderung negativer externer Effekte. Die Kontroversen um das Rauchen – auf der einen Seite verdient die Werbung treibende Industrie an der Promotion von Zigaretten und Zigarren, auf der anderen Seite trägt bisher die Gesellschaft die Kosten der Gesundheitsbeeinträchtigungen – sollten ein warnendes Beispiel für die Vergeudung volkswirtschaftlicher Ressourcen sein. Gleiches gilt für die gesellschaftlichen Kosten der „Abzocke“ ahnungsloser Surfer im world wide webb und für die gravierenden Folgen des weitgehend unregulierten Internet mit Netzwerken der Kinderpornographie. Auch hierzu ist ein offener gesellschaftlicher Diskurs erforderlich mit dem Ziel der Etablierung einer integrativen Kommunikations- und Medienpolitik. Interessant ist, dass in der hitzigen politischen Debatte um die Bekämpfung von Jugendkriminalität im Januar 2008 der Baden-Württembergische Ministerpräsiden Günter Oettinger die kommerziellen Fernsehsender unter namentlicher Erwähnung von RTL 2 und Super RTL scharf kritisiert hat. Er sprach von einer schädlichen Entwicklung bei der Qualität. Sowohl im Fernsehen als auch bei den Computerspielen gebe es eine Zunahme von gewaltgeneigten Bildern (vgl. SPIEGEL online vom 8.1.2008). Offenbar dämmert es erst jetzt einigen wertkonservativen Politikern, was sie mit der Zulassung kommerzieller Programme und dem weitgehenden Verzicht auf Regulierung angerichtet haben. „Oettingers Verbalattacke ist typisch für die Stimmung in der Union, die 1982 mit der ˛geistig-moralischen Wende‘ der Bundesregierung von Helmut Kohl das Privat-TV überhaupt erst ermöglicht hat…. Sexy Clips, Dschungelshows, debile Manga-Comics, Menschenthaltungsformate wie Big Brother, bizarre Doku-Filme, Spielfilme mit Action und Trallala, auf der anderen Seite kaum Nachrichten oder anspruchsvolle Informationssendungen – für Wertkonservative ist es eine Mixtur des Grauens, die sie da geschaffen haben“ (sueddeutsche.de vom 10.1.2008). Bleibt zu hoffen, dass Günter Oettinger nicht nur Krokodilstränen vergossen hat, als er vom „Scheiß-Privatfernsehen“ sprach. 3.) Trennung der Mediensysteme im dualen Modell und souveräne Regulierung und institutionelle Sicherung: Erhaltung und Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Es gilt, im dualen Rundfunksystem aus der ruinösen Konkurrenz sich ergebende negative Wirkungen auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk so weit als möglich zu minimieren. Dazu gehört die klare Trennung der jeweiligen Finanzierungssysteme: Das bedeutet, Finanzierung des
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öffentlich-rechtlichen Rundfunks nur und allein aus Gebühren, freilich nur unter der Bedingung, dass es gelingt, das Procedere der Gebührenanpassung weitgehend ohne politischen Einfluss zu regeln. Hierdurch wird die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gestärkt. Außerdem kann er sich dadurch ein Stück weit aus der Quotenkonkurrenz lösen. Dem Marktmodell für den privatwirtschaftlichen Rundfunk entspricht ein reines Pay-TVModell: damit würde eine transparente, vertragliche Austauschbeziehung zwischen Anbietern und Nachfragern ähnlich dem Markt für DVDs oder für Bücher organisiert. Dem Einwand, nur die kaufkräftige Nachfrage entscheide dann über die Teilhabe an der Kommunikation, kann entgegengehalten werden, dass für die chancengleiche Teilhabe der öffentlich-rechtliche Rundfunk gerade auch mit der Gebührenbefreiung aus sozialen Gründen zur Verfügung steht – 2006 sind 8,7% aller angemeldeten Fernsehgeräte gebührenbefreit (ARD Jahrbuch 2007, S. 377). Wenn es kein rein über Werbung finanziertes Fernsehen mehr gäbe, könnten auch die Preise für Konsumgüter zum Nutzen aller Konsumenten gesenkt werden, weil die teure spotWerbung im Rundfunk entfiele. Bleibt es bei dem sog. Free-TV, dann ist wegen der negativen externen Effekte der reinen Werbungsfinanzierung eine Regulierung zu installieren, die die gesellschaftlichen Kosten internalisieren, d. h. den Veranstaltern aufbürden würde (vgl. dazu weiter unter). Im Einzelnen geht es also um: •
die Verbannung der Werbung und des Sponsoring aus den öffentlich-rechtlichen Programmen
So könnte der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Souveränität der Programmgestaltung auch im Vorabendprogramm zurückgewinnen. Die Einnahmeneinbussen wären bei der ARD nicht groß – 2006 machten die Einnahmen (netto) aus dem Werbefernsehen aller ARD-Anstalten lediglich knapp 6% der gesamten Einnahmen aus (vgl. ARD Jahrbuch 2007, S. 376ff). Die Einbussen wären eher beim ZDF schmerzhaft. Es wäre aber medienordnungspolitisch ehrlicher, diese Einbussen durch eine Anpassung der Rundfunkgebühren auszugleichen, als die Verflachung der Sendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zumindest in seinen Vorabendprogrammen durch Teilfinanzierung über Werbung und durch ruinöse Konkurrenz der privatwirtschaftlichen Sender weiter in Kauf zu nehmen. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben die Werbeeinnahmen bisher immer mit dem Hinweis auf die Sicherung ihrer Unabhängigkeit verteidigt. Diesem Argument könnte durch das weitere Zurückdrängen des politischen Einflusses auf die Gebührenanpassungen begegnet werden. (Zur Diskussion der Vor- und Nachteile vgl. auch Lucht, S. 288f.) Durch den Verzicht auf Werbung als Finanzierungsquelle kann auch eine klarere Trennung zwischen Journalismus und Kommerz gezogen werden. Eine Verwischung dieser Grenzen hat sich offenbar besonders im Bereich der Sportberichterstattung breit gemacht (Vgl. „Fehler im System“, DER SPIEGEL 45/2007, S. 136ff zum Fall des Sportjournalisten Emig, der offenbar jahrelang Veranstaltern und Verbänden auf eigene Rechnung Sendezeit verkaufte). •
Indexierung der Gebührenanpassung
Eine Indexierung der Gebührenanpassungen bedürfte der gesetzlichen Grundlage. Sie sollte einen Faktor festlegen, der sich an der Entwicklung des Verbraucherpreisindexes orientiert,
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aber die besondere Kostenentwicklung im Bereich des Rundfunks – gerade auch durch die Konkurrenz im dualen System stark vorangetrieben – berücksichtigt. Es könnte sich also z.B. um das 1,4fache der Inflationsrate handeln. Daneben könnte es eine Komponente zur Finanzierung außergewöhnlichen Bedarfs geben, die weiterhin durch die KEF zu überprüfen wäre. •
diskriminierungsfreier Zugang zu allen technischen Verbreitungsformen
Gerade auch angesichts des schnellen technischen Wandels auf dem Gebiet der Endgeräte und der Verteilinfrastrukturen, gerade auch angesichts der technischen Konvergenz durch Digitalisierung muss den öffentlich-rechtlichen Sendern der diskriminierungsfreie Zugang zu allen technischen Verbreitungswegen offen stehen. Dies muss sowohl für Kabel- und Satellitenkommunikation gelten als auch für terrestrische Sende- und Telekommunikationsnetze einschließlich des Internets. „Das Internet ist in den vergangenen Jahren in Windeseile von einem wortlastigen zu einem zunehmend mehr audiovisuellen Massenmedium mutiert. … denn das Netz ist das Terrain der Zukunft für alle Medien. Umgekehrt formuliert: Wer nicht im Netz ist und sich dort entwickelt, der hat keine Zukunft. … Denn am Ende wird es darum gehen, ob wir die publizistische Qualität unserer Medienlandschaft im Digitalen Zeitalter erhalten können“ (Schächter, S. 42). •
Entpolitisierung der Personalpolitik
Zur dringend notwendigen Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland muss die Entpolitisierung der Personalpolitik nicht nur auf Intendanten- und Chefredakteursebene gehören. Einzig die fachliche Qualifikation muss entscheiden über Einstellungen und Beförderungen und nicht parteipolitische Tableaus, die zwischen den Gremienvertretern der Parteien nach Proporzgesichtspunkten ausgehandelt wurden. •
Evaluierung der Programme nach Qualitätsstandards
Die Programme sind nach dem Vorbild der BBC jährlich einer Selbst- und Fremdevaluation nach Qualitätsstandards zu unterziehen. So könnte ein Beitrag zur Behebung der Krise des politischen Journalismus geleistet werden und eine verstärkte Rückbindung an die Interessen der Bevölkerung – womit nicht eine sklavische Orientierung an der Einschaltquote gemeint ist. (Vgl. dazu auch Lucht, S. 300ff, der sich auch stark an der BBC orientiert). •
Verstärkung der Bildungs- und Qualifikationsangebote
Der Funktionsauftrag an die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist wieder in voller Breite umzusetzen. Dazu gehört insbesondere die Verstärkung der Bildungs- und Qualifizierungsprogramme. Die Schulen und die Eltern sind zu unterstützen in ihrem Bemühen, die Jugendlichen für das Berufsleben und die aktive Mitwirkung in der Gesellschaft zu befähigen. Dazu gehört besonders im Rahmen der Vermittlung der Grundrechte und -pflichten die Erziehung zu gegenseitiger Achtung, zur Toleranz und zur internationalen Verständigung. Die ver-
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stärkten Bemühungen auf diesem Gebiet können auch dazu beitragen, „die Jugend“ als Nutzer öffentlich-rechtlicher Programme zurück zu gewinnen. •
Reanimierung und Verjüngung der Gremienvertreter
Zu klären ist die Frage, ob Vertreter der politischen Parteien überhaupt in die Selbstverwaltungsgremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gehören. Nimmt man den Grundgedanken der Medien als „4. Gewalt“ ernst, so ist diese Frage zu verneinen (Vgl. Lucht, S. 295ff). Die Vertreter der gesellschaftlichen Gruppen in den Gremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten bedürfen der Rückkoppelung zu ihren Gruppen. Als langjähriger Hochschullehrer in Niedersachsen muß der Autor feststellen, dass der Vertreter der Hochschulen in den Gremien des NDR von den Kollegen und ihm weder gewählt wurde noch er oder sie jemals über ihre Arbeit berichtet hat. •
Herausgabe eigener Programmzeitschriften
Es ist von Anfang an ein schwerer Fehler der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gewesen, die Programminformationen kostenlos an kommerzielle Zeitschriftenverlage abzugeben: diese haben durch die Möglichkeit der Plazierung und Kommentierung der Sendungen prägenden Einfluss auf die Rezipienten in deren Auswahl erhalten und die Anstalten haben sich der Möglichkeit begeben, mit „ihren“ Nutzern ins Gespräch zu kommen und ihnen ihre Programmpolitik und ihre Organisationsform zu erläutern. Es ist auch heute noch festzustellen, dass viele Rezipienten die Tagesschau als eine staatliche Veranstaltung ansehen. Eine große Gruppe der Zuhörer bzw. Zuschauer weiß weder, was öffentlich-rechtlicher Rundfunk bedeutet noch gar, dass wir in Deutschland einen spezifischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben. Daher sollte dieser Fehler mit einigem Selbstbewusstsein korrigiert werden. •
Loslösung vom traditionellen Rundfunkbegriff und Etablierung einer eigenständigen, medialen „Marke“ von der Qualität des Journalismus her in Wort, Schrift und Bild
Angesichts der Digitalisierung und der sich abzeichnenden Konvergenz von allen Kommunikationsmitteln in einem „Produkt“ – Schrift, Ton und stehendes bzw. bewegtes Bild z.B. als Informationen auf dem PC oder Handy (iPhone) – und angesichts der zunehmenden Kommerzialisierung aller Medien und deren Multimedia-Konzentration bietet es sich an, den Rundfunkbegriff in seiner traditionellen Form aufzugeben und statt dessen die mediale „Marke“ öffentlich-rechtlichen Journalismus von der Qualität der Berichterstattung, der Bildungsangebote, der Unterhaltung und des Services und deren unabhängiger Bereitstellung her zu definieren und zu propagieren. Angesichts der zunehmenden Unübersichtlichkeit in Bezug auf die Vertrauenswürdigkeit und die Quellen von Informationen und Service- und Unterhaltungsangeboten bedarf es mehr denn je einer gemeinwohlorientierten Institution der unabhängigen und kritischen Information für die Bürger. „An institution such as public service broadcasting with its brief to serve the common good and its rich journalistic heritage is in many ways ideally placed to provide orientation for the general public in this area” (Woldt et.
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al., Perspectives S. 139). Es bedarf in der Perspektive gesellschaftlicher Integration des Festhaltens an Vollprogrammen, ergänzt um spezifische Spartenkanäle, besonders zur Kultur und Bildung. In diesem Sinne ist der Begriff der „Grundversorgung“ weit auszulegen. Das Informations- und Serviceangebot der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sollte daher auch nicht mehr nur auf Programm begleitende und ergänzende Informationen begrenzt werden. Die inhaltlichen Angebote der öffentlich-rechtlichen Sender können darüber hinaus im Internet auch als benchmark, als Qualitätsprofil für andere Anbieter dienen. Der Funktionsauftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sollte auf jeden Fall auch in Zukunft die Unterhaltung umfassen, da auch durch diese Angebote gesellschaftliche Sozialisation erfolgt und es einen großen Unterschied macht, ob in Unterhaltungsangeboten diskriminierende Klischees bedient werden oder gute Beispiele für gelungene gesellschaftliche Integration gezeigt werden. 4.) Internalisierung negativer externer Effekte kommerzieller Medien Ähnlich dem Handel mit Emissionsrechten im Energieerzeugungsbereich zum Schutze der Umwelt ließen sich die Ausgabe von und der Handel mit „kommunikativen Verschmutzungszertifikaten“ an kommerzielle, rein über Werbung finanzierte Rundfunkveranstalter institutionalisieren. Der Gedanke geht davon aus, dass es nicht angängig ist, dass einerseits mit Gewalt verherrlichenden Programmen privatwirtschaftlich Geld verdient wird, die negativen Folgen aber im Bereich der Kriminalität, der mangelnden beruflichen Qualifikation und der mangelnden gesellschaftlichen Integration von Vielsehern vom Staat, und damit letztlich von allen Bürgern zu tragen sind. Die Internalisierung der negativen sozialen Kosten soll einerseits die Veranstaltung derartiger Programme teurer machen und von daher einen Anreiz schaffen zur Programmänderung. Sie soll andererseits für den Staat zusätzliche Quellen zur Finanzierung z.B. der Jugendpolitik erschließen. Nun wird sicherlich eingewandt werden, dass erstens im Unterschied zu Emissionsrechten die negativen Folgen von kommerziellen Programmen nicht objektiv gemessen werden können und zweitens die Verpflichtung zum Kauf von kommunikativen Verschmutzungszertifikaten gegen die Rundfunkfreiheit verstoße. Dem ersten Argument ist entgegen zu halten, dass die Klassifizierung von jugendgefährdenden Programmen und deren „Verbannung“ auf im Tagesverlauf spätere Sendeplätze bereits in diese Richtung weist. Es gibt also sowohl inhaltliche Kriterien als auch Institutionen zu ihrer Anwendung. Außerdem läßt sich das „Verschmutzungszertifikat“ auch generell als hohe, jährlich zu entrichtende Lizenzgebühr für das sog. Free TV des Werbefernsehens ausgestalten. Gegen das zweite Argument ist einzuwenden, dass die Rundfunkfreiheit gerade nicht als unternehmerische Verlegerfreiheit ausgestaltet wurde und dass es hier nicht um die Diskriminierung spezifischer Inhalte geht, sondern um allgemeine Gesetze im Sinne des Art. 5 GG zur Wahrung des sozialen Zusammenhalts der Gesellschaft. Um für kommerzielle Sender Anreize zu schaffen, Bildungsprogramme zu produzieren und auszustrahlen, kann auch daran gedacht werden, „Bildungsprämien“ auszusetzen.
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5.) Stärkung von zivilen „Gegenmächten“ – Fernsehen und Zuschauerinteressen – auch dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk gegenüber In anderen Ländern – z.B. in Großbritannien – spielen unabhängige Institutionen der Medienkritik eine wesentliche Rolle. (Vgl. Europäisches Medieninstitut, Fernsehen und Zuschauerinteressen). In die gleiche Richtung weisen Überlegungen zur Stärkung der Publikumsorganisation (Bericht zur Lage des Fernsehens S. 192) Unter der Überschrift „Fernsehverantwortung als Aufgabe der Öffentlichkeit“ werden im Bericht zur Lage des Fernsehens an den Bundespräsidenten 1995 ein „Rat zur Begutachtung der elektronischen Medien“ und eine „Stiftung Medientest“ vorgeschlagen. (ebenda, S. 190f). Bei dem Rat zur Begutachtung elektronischer Medien geht es um die öffentliche Thematisierung von Wirkungsrisiken von Programmangeboten und um die fachkundige Bewertung von Programmentwicklungen. Der Rat hätte die Kriterien der Unabhängigkeit vom politischen und medialen Machtkalkül und der Unabhängigkeit bei der Ernennung zu erfüllen. Zu den Aufgaben wird im Einzelnen vorgeschlagen: „– Der Rat sollte beobachten, wie in den Fernsehsendern Programmverantwortung wahrgenommen wird, und kritische Tendenzen in den Angeboten der Fernsehsender darstellen. – Er sollte Maßstäbe der Medienverantwortung entwickeln und den Einfluss der Medien auf Politik und Kultur beobachten. – Er sollte strukturelle Entwicklungen in den Fernsehsendern wie im Fernsehmarkt aufgreifen, und er sollte die Institutionen der Fernsehkontrolle kritisch begleiten und mögliche Schwächen diagnostizieren. – Aus diesen Befunden können Empfehlungen zur Selbstkontrolle der Veranstalter erwachsen. – Aus diesen Analysen können ferner Schlussfolgerungen für die Medienpolitik gewonnen und an den Gesetzgeber weitergeleitet werden“ (daselbst, S. 189). Dieser Vorschlag ist bisher in der Öffentlichkeit nicht aufgegriffen werden. Er setzt darauf, durch wissenschaftlich fundierte, institutionalisierte Medienkritik den öffentlichen Diskurs über die Medienentwicklung voran zu treiben. Der Vorschlag einer Stiftung Medientest orientiert sich an dem Vorbild der Stiftung Warentest als Instrument des Verbraucherschutzes. „ Die Stiftung Medientest könnte sich um eine kontinuierliche Programmauswertung bemühen, die an Programmschwerpunkten orientiert ist (etwa Spielfilme nach 23.00 Uhr, Jugendsendungen, Spielshows und problematische Einzelsendungen)“ (daselbst, S. 190f). Die Finanzierung einer solchen Stiftung könnte in etwa durch die Herausgabe einer Programmzeitschrift sichergestellt werden, in der auch die Programmauswertungen veröffentlicht werden könnten. Auch dieser Vorschlag ist bisher nicht aufgegriffen worden. Beide Vorschläge – der Rat zur Begutachtung elektronischer Medien und die Stiftung Medientest – zielen auf die Etablierung eigensinniger Organisationsformen der ständigen Medienkritik und der Herstellung einer „Gegenöffentlichkeit“ zu den kommerziellen aber auch öffentlich-rechtlichen Medien. Die Problematik liegt darin, dass die Öffentlichkeit von den zu begutachtenden Medien bereits besetzt ist, d. h., dass diese „neue“ Medienkritik weitgehend
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nur über die Publikationsorgane der kritisierten Medien zu den Rezipienten gelangen kann. Sollte die Gegenöffentlichkeit trotzdem Zugang zu einigen Nutzern finden, so besteht die Gefahr, dass dieser Gegenöffentlichkeit von interessierter Seite eine Alibifunktion zugesprochen wird, ähnlich der der Landesmedienanstalten. – marktwirtschaftliche Reaktionen Wenn die zivilgesellschaftliche Stärkung der Medienkompetenz und der Medienerziehung Erfolg haben, dann dürfte sich als typische marktwirtschaftliche Reaktion der Rezipienten auch eine verstärkte Verweigerung der Nutzung des kommerziellen Rundfunks durchsetzen. Als mögliche Vorstufe zur disziplinierten Einlage eines oder mehrer fernsehfreier Tage pro Woche in Bezug auf das kommerzielle sog. Free-TV sollten auch Geräte, die gewünschte Programme aufzeichnen, dabei aber die Werbung ausblenden, vermehrt angeboten und dann verstärkt genutzt werden. – Aktivierung der „Vertreter“ gesellschaftlicher Gruppen in den Landesmedienanstalten Ebenso wie bei den Gremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sollte die gesellschaftliche Rückkoppelung der Vertreter der gesellschaftlich relevanten Gruppen in den Gremien der Landesmedienanstalten verstärkt werden. Im Zusammenhang einer institutionalisierten Medienkritik könnte so die weitgehend symbolische Politik dieser Institutionen überwunden werden. Wahrscheinlich lässt sich dies aber nur realisieren, wenn die einzelnen Landesmedienanstalten aus der Rücksichtnahme auf die jeweilige Standortpolitik entlassen werden z.B. durch die Bildung nur einer Landesmedienanstalt in der Bundesrepublik auf der Basis eines Staatsvertrages der Bundesländer – wogegen allerdings erheblicher Widerstand der Verbände der privatwirtschaftlichen Veranstalter zu erwarten ist. 6.) Förderung der individuellen Medienkompetenz im umfassenden Sinne Medienkompetenz hat verschiedene Dimensionen: • Zugang zu Informations- und Kommunikationstechniken und Qualifikation im Umgang mit ihnen • die Fähigkeit, medial angebotene Inhalte zu finden, zu selektieren, sie in ihrem jeweiligen Kontext zu verstehen und in Bezug auf die Vertrauenswürdigkeit der Quelle einzuschätzen • die Qualifikation, selber mit den Medien und über die Netze zu kommunizieren, Inhalte selber neu zu schaffen und anzubieten Die Förderung der Medienkompetenz dient auch der Überwindung der Wissenskluft, der Kluft zwischen „information rich“ und „information poor“. Zur Stärkung der individuellen Medienkompetenz muß Medienkompetenzvermittlung als eigenständiges Schulfach in interdisziplinärer Perspektive in den Schulunterricht aufgenommen werden, denn auf Grund der schnellen Technikentwicklung werden viele Eltern auch in Zukunft überfordert sein, Medienkompetenz zu vermitteln. Die demokratische Gesellschaft aber kann sich nicht eine zunehmende Zahl reiner Medienkonsumenten leisten. (vgl. Gapski; Lange 1999).
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7.) Auf dem Weg in die Wissensgesellschaft Der Begriff der Wissensgesellschaft geht über den der Informationsgesellschaft weit hinaus. Informationsgesellschaft meint schlagwortartig die „Informatisierung“ von industrieller Produktion und von Dienstleistungen durch Telekommunikation und Datenverarbeitung, die Durchdringung aller Lebensbereiche von medizinischen Anwendungen bis zu Bibliotheken, von der Forschung bis zur Verkehrsregelung, von der Logistik der Güterverteilung bis zur Organisation von Reisen durch Anwendungen der sich immer weiter entwickelnden Medien und der Informations- und Kommunikationstechniken. Der Begriff der Wissensgesellschaft umfasst einerseits die Vorstellungen der Informationsgesellschaft, er geht aber darüber hinaus, als er die Fähigkeit, Informationen und weitere mediale Angebote in ihrem Kontext selbständig einzuordnen und zu bewerten, ihre Reichweite abzuschätzen und sie mit anderen Informationen und eigenen Erfahrungen zu verknüpfen, er umfasst also die Dimension des Anwendungswissens. Der Begriff der Wissensgesellschaft umgreift daher Erfahrungswissen – soweit es denn von Individuum zu Individuum übertragbar bzw. lernbar ist. Er umgreift damit individuelle und gesellschaftliche Verantwortung im Umgang mit Informationen und Wissen. Die Wahrnehmung von Verantwortung auf dem Weg in die Wissensgesellschaft bedeutet, die technische, ökonomische und mediale Entwicklung nicht allein den Marktkräften zu überlassen, sondern dort durch Gesetze und ihre Durchsetzung regulierend einzugreifen, wo es zum Verbraucher-, Jugend- und Datenschutz, wo es zur Durchsetzung eines freien publizistischen und fairen wirtschaftlichen Wettbewerbs und zur Abwehr von illegitimer Macht und Herrschaft in der Demokratie notwendig ist und zur Sicherung einer nachhaltigen gesellschaftlichen Entwicklung (Zu den Einzelheiten vgl. etwa Schlussbericht der Enquete-Kommission Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft). Es gilt, die Leonardo-Welt, die Welt der technischen Erfindungen und die Welt des Adam Smith, die Welt der wirtschaftlichen Produktivität und Rationalität mit der Welt von Leibnitz, Goethe, Beethoven, Verdi und Picasso, mit der Welt der Kultur in Wissenschaft, Literatur, Musik und Oper und der bildenden Kunst und mit der Welt von Kant, der Welt der ethischen Verantwortung für Frieden nach innen und außen und für nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung zu versöhnen. (Die einzelnen genannten Namen stehen paradigmatisch für jeweils eine „Zunft“ der Kultur). Dieser Weg in die Wissens- und Erfahrungsgesellschaft kann nur beschritten werden, wenn die unterschiedlichen Konzepte offen und kontrovers in der Gesellschaft diskutiert, wenn die jeweiligen Perspektiven der Gewinner und Verlierer in diesem Modernisierungsprozess offen benannt werden und wenn die notwendigen politischen Schritte auf dem „Meinungsmarkt“ mit ihren jeweiligen Konsequenzen vorgestellt werden. Dazu braucht es freie, unabhängige und pluralistische Medien ohne manifeste Eigeninteressen.
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13.4 Gesellschaftspolitische Perspektiven im Widerstreit •
Soziale und kommunikative, pluralistische Marktwirtschaft unter globalisierten Bedingungen: Alternative Organisationsformen und Anreizsysteme nach nationalstaatlichen Prioritäten oder europäische „Harmonisierung“ ? Zu den Komponenten der sozialen Marktwirtschaft in der Tradition der deutschen Nachkriegsentwicklung gehört auch, dass nicht nur Aktiengesellschaften als unternehmerische Organisationsformen in Frage kommen, sondern auch Genossenschaften – Produktions-, Einkaufs-, Handels-, Wohnungsbau- und Berufsgenossenschaften –, Stiftungen, Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit und öffentlich-rechtliche Unternehmensformen wie bei Banken, Sparkassen und eben auch im Mediensektor. Bei aller interner Unterschiedlichkeit ist ihnen doch gemeinsam, dass nicht – oft anonyme – Aktionäre an der Geschäftstätigkeit verdienen, sondern dass ihre Aktivitäten vorrangig den Interessen ihrer Mitglieder bzw. Kunden dienen. Ihr öffentlicher Auftrag steht im Vordergrund und nicht privatwirtschaftliche Gewinninteressen. Dies ist immer im Zusammenhang mit der Diskussion um die „Fairness“ des Wettbewerbs mit Unternehmen in anderen Unternehmensformen zu berücksichtigen. Gerade auch unter dem Druck der europäischen Harmonisierungsbestrebungen, die oft als Vereinheitlichung und Nivellierung gegenüber historisch gewachsenen und bewährten nationalstaatlichen Strukturen verstanden wird, gilt es, die Vielfalt von Unternehmensformen zu bewahren, um unterschiedlichen gesellschaftlichen Zielen gerecht zu werden. Dies gilt besonders, wenn wie im Bereich des privatwirtschaftlichen, kommerziellen Rundfunks Marktversagen festzustellen ist und sich deshalb die Organisation der Produktion und Verteilung nach alternativen Organisationsformen geradezu aufdrängt. Nur in einer Minderheit der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union gibt es eine gefestigte Tradition des öffentlich-rechtlichen, staatsunabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Deshalb gilt es immer wieder, das öffentliche Bewusstsein sowohl innerhalb Deutschlands als auch auf europäischer Ebene für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu schärfen. In diesem Zusammenhang stellt sich der Kampf um gesellschaftliche Leitbilder, um die Deutungshoheit der Realität und damit der Kampf um die Medienorganisation und gegen Medienkonzentration als eine Form des Medienwettbewerbs dar, in dem beide Säulen des dualen Systems eigeninteressiert sind. Von daher hat die Kommunikationswissenschaft im weitesten Sinne hier eine besondere Aufgabe und Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Es bedarf der umfassenden Aufklärung über die Gefahren der weiteren Kommerzialisierung der Medienangebote, über die Verwischung von kritischem Journalismus und Public Relations, über die Omnipräsens der Werbung und über die verzerrte Realitätskonstruktion in der Boulevardpresse und dem kommerziellen sog. Free-TV. Es bedarf der Schaffung von Anreizsystemen, um hohe Qualitätsstandards des Journalismus durch Medienorganisation durchzusetzen, damit die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in der Interpretation des Art. 5 GG nachhaltig verwirklicht werden.
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Förderung der Bildung und der Wissensgesellschaft an Stelle der entpolitisierten Spaß- und Spiele-Gesellschaft?
Kommerzielle Medien fördern die entpolitisierte, und daher für Manipulationen und verzerrte Realitätskonstruktionen anfällige Spaß- und Spiele-Gesellschaft. Die Grundrechte garantieren aber allen Bürgern die Teilhabe an Bildung und an den Potenzialen der Wissensgesellschaft. Gesellschaftspolitik unter Einschluss der Medien- und Kommunikationspolitik ist also aufgefordert, Bildungschancen für alle Bürger bereitzustellen. Daher gebührt der Verwirklichung des Bildungsauftrages des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eine so hohe Priorität. Das Angebot von Brot und Spielen ist von alters her benutzt worden für die gesellschaftliche Integration der Massen, besonders der „Unterschichten“. Inzwischen jedoch drohen durch die von wirtschaftlichen Interessen beherrschten Massenmedien eine Spaltung der Gesellschaft einerseits und eine Bedrohung der Funktionsfähigkeit der Demokratie andererseits. Deshalb kann es nicht nur darum gehen, für den „gebildeten“ Teil der Gesellschaft eine funktionierende bürgerliche Öffentlichkeit durch die Erhaltung eines funktionierenden Buchmarktes, durch den Wettbewerb der seriösen Presse und durch einen souveränen und zugleich der Gesellschaft dienenden öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu erhalten, sondern Politik und Gesellschaft müssen an grundsätzlichen Korrekturen arbeiten, wie schon beschrieben. •
Die Macht der Interessen und der Kampf um Aufklärung: Schlußbetrachtung
Die so genannte pluralistische Gesellschaft der Bundesrepublik ist gekennzeichnet durch manifeste Herrschaftsstrukturen im Bereich der privatwirtschaftlichen, kommerziellen Medien, gegen die der öffentlich-rechtliche Rundfunk bisher nur ein relativ schwaches Gegengewicht bildet. Das Projekt der Aufklärung und damit die Befreiung des Menschen aus selbst verschuldeter Unmündigkeit, das Projekt der Festigung des Rechtsstaates und der materiellen Verwirklichung der Grundrechte ist daher nicht gewonnen und nicht auf Dauer abgeschlossen. Der gesellschaftliche Kampf gegen einseitige und ideologische Interessenpositionen muss daher von Generation zu Generation immer wieder neu aufgenommen werden. Dieser Kampf ist nur zu gewinnen durch gut informierte und gesellschaftspolitisch engagierte Bürger. Daher benötigt unsere Gesellschaft freie und unabhängige, nur dem Gemeinwohl verpflichtete Medien. Es konnte gezeigt werden, dass sich medialer Wettbewerb heute als Kampf um die Deutungshoheit von gesellschaftlichen Prozessen darstellt und dass er als Interessenwahrnehmung einseitiger publizistischer und ökonomischer Macht von Konzernherren interpretiert werden muss, der in manchen Aspekten verfassungsrechtlich unakzeptabel und gesellschaftspolitisch gefährlich ist. Es konnte gezeigt werden, dass Kommunikationspolitik ihrer Aufgabe in weiten Feldern ihres Zuständigkeitsbereiches nicht gerecht wird und es konnte aufgezeigt werden, welche Pfade zur Reorganisation der bürgerlichen Gesellschaft und der ihr adäquaten Medienorganisationen eingeschlagen werden müssen. Sozialwissenschaften können auch mit interdisziplinären Ansätzen nur einen kritischen Beitrag zur öffentlichen Diskussion über unterschiedliche Zivilisationspfade leisten. Sie haben keinen direkten Einfluss auf die Politik oder die gesellschaftlichen Interessenauseinanderset-
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zungen. Sie können aber als ein Frühwarnsystem funktionieren, um auf gesellschaftliche Fehlentwicklungen rechtzeitig aufmerksam zu machen. Das Projekt der Aufklärung ist gerade auch vor dem Hintergrund der Zivilisationsbrüche des zwei zusammenhängenden Weltkriege von 1914 – 1918 und 1939 – 1945 und der Barbarei der nationalsozialistischen Herrschaft nicht endgültig erfolgreich, auch wenn der bisherige Prozess der europäischen Einigung sehr hoffnungsvoll stimmt. Die Refeudalisierung der USamerikanischen Gesellschaft mit dem weitgehenden Versagen des politischen Journalismus dort ist – wie sich anlässlich des Irakkrieges gezeigt hat – weit fortgeschritten und es besteht die Gefahr, dass die bundesrepublikanische Gesellschaft auf diesem Weg weiter folgt. Victor Hugo hat 1878 kurze Zeit nach dem deutsch-französischem Krieg beschrieben, was Europa seines Erachtens für eine glückliche Zukunft braucht: „Religionen ohne Intoleranz, das heißt die Vernunft, die den Dogmatismus ersetzt, Strafe ohne Tod, Arbeit ohne Ausbeutung, Verkehr ohne Grenzen, das heißt Freiheit, die die Abschnürung ersetzt, Nationalitäten ohne Antagonismen, das heißt den friedlichen Ausgleich, der den Krieg ersetzt. In einem Wort, alle Abrüstung mit Ausnahme der Abrüstung des Geistes“ (zitiert nach Schönhoven, S. 25). Diese Forderungen sind auch mehr als 125 Jahre später aktuell. Hinzuzufügen bleibt nur: Europa braucht funktionsfähige Medien ohne Macht(haber).
14. Die Exemplifizierung an case studies national und international und die jeweilige Regulierung Um die eher theoretischen Ausführungen noch stärker mit Beispielen zu unterlegen bzw. an Hand unternehmerischer Expansions- und Konzentrationsstrategien zu verdeutlichen, sollen hier abschließend einige kurze Fallstudien angefügt werden. Es geht dabei darum, die wesentlichen Trends heraus zu arbeiten.
14.1 Bertelsmann: Vom deutschen Buchclub zum internationalen Mulimedia-Player •
Unternehmensgeschichte
Die Bertelsmann – Chronik (1835 – 2006) beschreibt den Aufstieg von einem Familienunternehmen – Verlag und Druckerei von christlichen Liedern und Gesängen in Gütersloh für die Region Minden-Ravensberg – hin zu einem weit diversifizierten Multimedia Großkonzern mit Aktivitäten weltweit. Bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden andere Verlage hinzugekauft und Zeitungen verlegt. 1921 übernahm Heinrich Mohn in der vierten Generation das Familienunternehmen. Der Verlag hatte 84 Mitarbeiter und erwirtschaftete einen Umsatz von 700 000 Reichsmark. Heinrich Mohn modernisierte das Verlagsgeschäft, konsolidierte das Programm der theologischen Publikationen und startete den Vertrieb von „Erbauungsliteratur“. Der Carl Bertelmann Verlag ist eines der wenigen deutschen Unternehmen, dass sich – wenn auch relativ spät – der Aufarbeitung der Unternehmensgeschichte in der Zeit des Nationalsozialismus gestellt hat. In der Chronik heißt es: „Die zunehmende Orientierung an den Interessen des breiten Lesepublikums führte dazu, dass neben klassischer Literatur und trivialen Romanen zunehmend auch Bücher mit nationalsozialistischem, völkischem und auch antisemitischem Inhalt verlegt wurden. An der Erschließung dieses Marktes hatte der einflussreiche völkische Dichter und nationalsozialistische Schrifttumsfunktionär Will Vesper entscheidenden Anteil; er wurde 1932 als Verlagsautor unter Vertrag genommen…. Kurz vor Kriegsbeginn erreichte die Mitarbeiterzahl mit 440 ihren vorläufigen Höhepunkt. Der C. Bertelmann-Verlag wurde zum größten Bücherlieferanten für die Wehrmacht und druckte an Standorten in ganz Europa“. Nach Kriegsende übernahm mit Reinhard Mohn die 5. Familiengeneration die Leitung des Verlages. Zu seinen großen verlegerischen Innovationen gehört die Schaffung der Buch-Clubs mit der Gründung des Bertelsmann-Leserings 1950 – einem den Buchhandel überspringenden Vertriebsweg. Heute gibt es in 19 Ländern Medienclubs des Hauses Bertelsmann mit mehr als 30 Millionen Mitgliedern. Hinzu kamen in den 50er Jahren der Verlag von Lexika und der Einstieg ins Musikgeschäft mit der Gründung des Schallplattenringes. Außerdem wurden mit der frühen Einführung des Offset-Drucks die Druckkapazitäten des Verlages modernisiert. 1964 kaufte Reinhard Mohn die Ufa-Aktien von der Deutschen Bank und sein Verlag stieg damit in den Bereich von Film und Fernsehen ein.
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14. Die Exemplifizierung an case studies national und international und die jeweilige Regulierung
1969 wurden 25% an dem Zeitschriftenverlag Gruner und Jahr mit seinem Flagschiff „Stern“ erworben. 1973 wurde die Minderheitsbeteiligung zu einer Mehrheitsbeteiligung aufgestockt. In den 80er Jahren gelang der Sprung auf den US-amerikanischen Markt mit dem Erwerb der Verlage Bantam Books (1980) und Doobleday (1986), beides sehr profitable Taschenbuchverlage. 1986 wird das Musiklabel RCA erworben. 1987 wurde das weltweite Musikgeschäft von Bertelsmann zur Bertelsmann Music Group (BMG) mit Sitz in New York zusammengefasst. 1997 fusionierte Bertelsmann die Ufa mit der Luxemburgischen CLT und so entstand CLTUfa mit Hörfunk- und Fernsehprogrammen in Deutschland, Frankreich, Benelux, Großbritannien, Schweden und der Tschechischen Republik. 2000 übernahm diese Gesellschaft auch Pearson TV und kam damit zu diesem Zeitpunkt auf 22 Fernsehsender und 18 Hörfunkstationen in zehn europäischen Ländern. Heute gehören zur RTL-Group Sender wie M6 in Frankreich und Five in Großbritannien. Sie erreichte 2006 in elf Ländern über 200 Millionen Zuschauer täglich. In der Liste der weltweit größten Medienkonzerne nimmt Bertelsmann den fünften Rang ein (vgl. Hachmeister, Rager, S. 71ff). •
Multimediakonzentration
Nach den Feststellungen des Bundeskartellamtes besteht auf dem Fernsehwerbemarkt in Deutschland ein enges Oligopol mit einerseits der RTL-Group und andererseits der Sendergruppe um Sat 1. Von manchen Kritikern wird als der „Sündenfall“ der Konzentrationskontrolle im Rundfunkbereich die kritiklose Akzeptanz des Aufbaus der RTL-Group im Bertelsmann-Konzern angesehen. Horst Röper hat die Beteiligungen des Bertelsmann-Konzerns bei Printmedien, Fernsehen einschließlich Produktionsfirmen, Hörfunk und im Druckbereich systematisch aufgelistet. 2005 wurden demnach 29,7% des Umsatzes in Deutschland,. 43,8% in Europa (außerhalb Deutschlands) und 20,5% in den USA mit hier rückläufiger Tendenz erzielt (Horst Röper, Formation deutscher Medienmultis 2005, S. 182ff, S. 183). Der Druckbereich ist in der Arvato AG zusammengefasst, er trägt 24% zum Umsatz bei. Die Arvato AG hat 250 Tochterunternehmen, u. a. betreibt sie über die Prinovis ein Joint Venture mit dem Axel Springer Verlag. In Bereich der Buchverlage geht es neben dem rückläufigen Buchclubs der Direct Group (Umsatzanteil 13,4%) um die 35 Verlage, die in der Gruppe Random House zusammengefasst sind (Umsatzanteil 9,8%). Dazu gehören in Deutschland u. a. Blanvalet, Blessing, C. Bertelsmann, DVA, Goldmann, Heyne, Knaus, Kösel, Limes, Luchterhand Literaturverlag, Manesse, Riemann und Siedler. Im Bereich der Printmedien in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist der Gruner und Jahr Verlag (Umsatzanteil 14,4%) – u. a. Stern, GEO, Brigitte und Eltern – mit rund 150 Zeitschriften vertreten. Hinzu kommen der Deutsche Supplement Verlag mit 5 Titeln und 3 Zeitungen, die Financial Times Deutschland und drei Tageszeitungen in Sachsen und schließlich die Beteiligung an dem politischen Magazin DER SPIEGEL mit 25,3% (ebenda, S. 185). Gru-
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ner und Jahr geben im Ausland (außer Österreich und Schweiz) über 175 Zeitschriftentitel heraus – u. a. in Italien mit der Firma Gruner und Jahr, Mondadori SPA (50% Beteiligung), d. h. mit Berlusconi zusammen (daselbst, S. 186). Im Bereich des Fernsehens betreibt die RTL-Group (Umsatzanteil 28,3%) 30 eigenständige Kanäle in Deutschland und verstreut über Europa und sie ist an 27 Produktionsunternehmen beteiligt – immer nur die Mehrheitsbeteiligungen gezählt (daselbst, S. 188). Die Beteiligungen der RTLGroup im Hörfunkbereich sind dagegen relativ wenige Mehrheitsbeteiligungen, u. a. 104,6 RTL Berlin, RTL Radio „Die besten Hits“ (bundesweit), RTL Radio und fun radio in Frankreich und rtl fm und yorin fm in den Niederlanden (daselbst, S. 190). Im Bereich der Produktion und Vermarktung von Musik fusionierten 2004 Sony Music und BMG zu einem weltweit führenden Musikunternehmen. Je 50% des neuen Unternehmens werden von der Bertelsmann AG (Umsatzanteil 10,1%) und der Sony Corp. of America gehalten. Zu den Musiklabels dieser Firma gehören Arista, Columbia Records, Epic Records, Ariola, Jive und J Records. Das weit gefächerte Künstlerportfolio liest sich wie das Who is Who der internationalen Superstars. •
Erfolgsfaktoren
2006 betrug der Konzernumsatz 19,297 Milliarden Euro (Umsatzrendite Ende September 2007 7,7%) und der Konzerngewinn 2,424 Milliarden Euro (Geschäftsbericht 2006). Der Umsatz beträgt rund das 7fache des Axel Springer Verlages, des zweitgrößten Medienunternehmens in Deutschland. Die Zahl der Mitarbeiter des Bertelsmann-Konzerns betrug weltweit Ende September 2007 101.572. Der Erfolg dieser Expansion und Diversifikation des Bertelsmann-Konzerns zu einem weltweit agierenden Multimediaunternehmen beruht auf folgenden Punkten: 1. Das Unternehmen wurde von der Familie streng kontrolliert auch nach der Umwandlung in eine Aktiengesellschaft 1971. 2. Die einzelnen Unternehmensbereiche werden dezentral geführt und verantwortet, aber ständig auf ihre Profitabilität überprüft. Nach Phasen der Expansion werden Phasen der Konsolidierung eingelegt. 3. Es gibt keine direkten inhaltlichen Vorgaben für die Ausrichtung des publizistischen Programms. 4. Eine spezifische Unternehmenskultur gewährt den Mitarbeitern eine Gewinnbeteiligung und über die jährlichen Mitarbeiterbefragungen eine gewisse, über den üblichen Rahmen hinausgehende, betriebliche Mitbestimmung. 5. Der Bertelsmann Konzern hat es verstanden, über die Jahre eine enge aber pluralistische Beziehung zur Politik, besonders in Nordrhein-Westfalen, aufzubauen und er hat sich dadurch medienpolitischen Einfluss sichern können. 6. Durch die Gründung der gemeinnützigen Bertelsmann-Stiftung im Jahre 1977 – sie ist die Holding des Konzerns, da sie 57,6% der Anteile hält – und durch deren gesellschaftspolitisches Engagement weit über den Medienbereich hinaus ist es dem Konzern gelungen, ein besonders seriöses unternehmerisches Image mit Betonung gesellschaftlicher Verantwortung und Förderung der Kultur aufzubauen.
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14. Die Exemplifizierung an case studies national und international und die jeweilige Regulierung
Die von Reinhard Mohn geleitete Stiftung hat mit der Vergabe des Carl Bertelsmann Preises 1996 und den dazu veranlassten Untersuchungen, Tagungen und Publikationen – vgl. „Television requieres resposibility“ – den Eindruck erweckt, sie trete auch in Bezug auf die eigenen Fernsehsender für eine gesellschaftlich verantwortbare Programmgestaltung ein. Reinhard Mohn hat sich öfter beklagt über die Pflicht zur Bildung von Veranstaltergemeinschaften nach der ersten Fassung des Rundfunkstaatsvertrages, so dass er als nur teilweiser Eigentümer von RTL nicht durchgreifen könne. Daraufhin ist der Rundfunkstaatsvertrag geändert worden und erlaubt nun die 100%-Beteiligung an einem Fernsehsender. Schaut man sich heute das „Quotemachen“ besonders bei RTL II z.B. mit rassistischen Sendungen etc. an oder erinnert man sich an „Sex and Crime“ – Programmexzesse bzw. Tabubrüche in der Aufmerksamkeitskonkurrenz, so ist allerdings von einem Durchgreifen des Eigentümers und Konzernherren wenig zu verspüren, möglicherweise, weil die RTL-Group den größten Anteil am Umsatz erwirtschaftet und weil die erwartete Umsatzrendite von jährlich 10% nicht gefährdet werden darf (vgl. auch Hachmeister, Rager, S. 71ff, S. 77).
14.2 Aufstieg und Fall des Kirch-Imperiums •
Unternehmensgeschichte
Das Medien-Imperium des Leo Kirch unterschied sich in mehreren Punkten von dem des Bertelsmann-Konzerns mit seiner kontinuierlichen Expansion. Kirch war der Typ des dynamischen Unternehmers nach Schumpeter, der sehr hohe Risiken im Prozess der „schöpferischen Zerstörung“ einging und der in der rastlosen Expansion offensichtlich keine wirklichen Konsolidierungsphasen einlegte. Leo Kirch, geboren 1926, stieg seit Mitte des vorigen Jahrhunderts als Händler mit Filmrechten zu einen einflussreichen Medienunternehmer auf. 1956 kaufte er mit geliehenem Geld die Deutschlandrechte für Frederico Fellinis Film „La Strada“. Seine Firmen Sirus Film und Einkaufs GmbH (1955gegründet), BetaFilm (1959) und TaurusFilm (1963) hatten die Aufgabe, Filmpakete besonders in Hollywood zu erwerben und diese Filme und Fernsehprogramme zu vertreiben. Damit begründete Kirch eine Exklusivstellung, von der beispielsweise das ZDF über mehrere Jahrzehnte abhängig war. Erst 1983 schloss die ARD einen eigenständigen Output-Deal über ein langfristiges Filmpaket mit Metro-Goldwyn-Mayer und United Artists. Dies war für Kirch ein geschäftlicher Rückschlag. 1989 verkaufte Kirch Otto Beisheim ein Filmpaket für 550 Millionen DM, das er später für 1,5 Milliarden DM zurückkauft. Die Staatsanwaltschaft ermittelte später erfolglos wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung (Simon S. 2). Zu dem unübersichtlichen Unternehmensverbund gehörten die Unitel (1966) und die IdunaFilm (1968) als Stätten der Film- und Fernsehproduktionen. Hinzu kam 1975 die Firma Beta Technik als Servicezentrum der KirchGruppe besonders für den Bereich des einzuführenden PayTV. 1985 erwarb Kirch eine 10%tige Beteiligung am Axel-Springer- Verlag, die er 1993 auf 35% aufstockte. Er griff damit weit über den Film- und Fernsehbereich hinaus, in dem er durch die Beteiligung an Sat 1 Ende der 80er Jahre weiter expandiert war. Kirch versuchte ständig, seinen Einfluss beim Axel Springer Verlag zu erhöhen, was aber letztendlich am dorti-
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gen Widerstand scheiterte. In den 90er Jahren kauft sich Kirch beim italienischen Sender Telepiu und in Spanien beim Sender Telecinco ein, einem Sender, an dem auch Berlusconi beteiligt ist. Mitte der 90er Jahre gründete er den PayTV Sender DF 1, später umbenannt in Premiere. Im April 2000 übernimmt Rupert Murdoch 22% an Premiere für 2,9 Milliarden DM unter der Bedingung, dass er im Herbst des Jahres 2002 seine Kapitaleinlage zuzüglich Zinsen zurückerhält oder aber die Mehrheit bei Premiere bekommt, wenn der Sender die anvisierten 4 Millionen Abonnenten bis dahin nicht erreicht hat (Simon S.2). Zur Durchsetzung des Pay TV in Deutschland war Kirch mit der Bertelsmann AG und der deutschen Telekom ein Joint Venture eingegangen, das aber durch die Europäische Kommission in einem rechtsstaatlich ablaufenden Fusionskontrollverfahren trotz persönlicher Intervention durch Bundeskanzler Kohl zu Gunsten seines „Männerfreundes“ Kirch untersagt wurde (vgl. dazu oben Kapitel 9.2). Im Jahre 2002 forderte der Axel-Springer-Verlag für seine Beteiligung an der ProSieben/ Sat 1-Gruppe rund 770 Millionen Euro von der Kirch-Gruppe zurück (Simon S. 3). Im Februar des gleichen Jahres kündigt Murdoch an, dass er im Herbst seine Investitionen in Premiere zurückfordern werde. U. a. durch die hochriskanten Investitionen zur Durchsetzung des PayTV hatte Kirch sich übernommen. Im Jahre 2002 musste die KirchMedia angesichts von über 7 Milliarden Euro Schulden und Verbindlichkeiten trotz Rettungsbemühungen durch die bayrische HypoVereinsbank und weitere Banken Konkurs anmelden. Dieses war das größte Insolvenzverfahren in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Sowohl Murdoch als auch Berlusconi hatten vorher Interesse an der Übernahme der KirchMedia angemeldet, was in der Bundesrepublik kontroverse Diskussionen bezüglich einer „Überfremdung“ der deutschen Medien auslöste. •
Medienkonzentration
Letztmalig für das Jahr 1999/2000 hat Horst Röper die Holdingstruktur und die Beteiligungen im Kirchkonzern systematisch dargestellt (Formation deutscher Medienmultis 1999/2000: Entwicklung und Strategien der größten deutschen Medienunternehmen, S. 2 ff, S. 11ff). Für das Jahr 1999 hat die Kirch Media GmbH& Co KG aA, das kontrollierende Kernunternehmen, einen Umsatz von knapp 4 Milliarden DM gemeldet. Kirchs Vision war die der Schaffung eines vertikal integrierten Unternehmens. Er hatte begonnen, im Filmrechtehandel durch Arbitrage, die Ausnutzung von Preisdifferenzen, Gewinne zu erzielen. Als sich mit Einführung des privatwirtschaftlichen Fernsehens, u. a. durch seinen Einfluss auf die Politik von CDU/CSU befördert, die Chance bot, den öffentlichrechtlichen Filmabnehmern Konkurrenz zu machen, ergriff Kirch sie und beteiligte sich an Sat 1, dem Deutschen Sportfernsehen, Kabel 1 und Pro 7. Der nächste große mediale Umbruch sollte mit der exklusiven Einführung des PayTV aktiv und gewinnbringend befördert werden. Dazu sollten im Sinne der vollständigen vertikalen Integration auch die notwendigen Decoder vermarktet werden (Zur systematischen Analyse des Konzernaufbaus in zeitlicher und inhaltlicher Perspektive vgl. Marie-Luise Kiefer, Kirch-Insolvenz: S. 491ff). Die Vision der vertikalen Integration beruhte auf der Erzielung von Synergien auf vier Ebenen:
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14. Die Exemplifizierung an case studies national und international und die jeweilige Regulierung
1. Verknüpfung von Inhalten in der Verbreitung über verschiedene Medien – z.B. Filme in der Vermarktung über Kinos und das Fernsehen, 2. Synergien zwischen hard- und software, 3. Synergien zwischen ehemals gegeneinander abgegrenzte hardware-Komponenten – z.B. durch die durchgehende Digitalisierung der Videoproduktionen und ihrer Verteilung die Beförderung der Entstehung einer Mediamatikindustrie und 4. Synergien durch die Konvergenz ehemals getrennter Distributionswege wie Kabel, Satelliten und terrestrischer Übertragung (vgl. dazu ebenda, S. 495). Kiefer sieht in der Insolvenz des Kirch`schen Medienimperiums eine Bestätigung dafür, dass die Vision eines vertikal integrierten Unternehmens heute auf den Fernsehsektor nicht (mehr) passt: Der schnelle Wandel im Mediensektor lasse sich nicht mehr durch fordistische, nach dem Fließbandsystem ausgerichtete, hierarchisch organisierte Produktionsabläufe auffangen, er verlange eher flexible Netzwerke der unternehmerischen Beziehungen (vgl. daselbst, S. 496f). Dies bedeutet, dass Kirch zwar ein schöpferischer Unternehmer war, dass er aber selbst unwillentlich seinen verschachtelten und inflexiblen Konzern zerstört hat. Aus der Konkursmasse übernahm die Investorengruppe um Haim Saban die Pro 7/Sat 1Gruppe der Fernsehsender, die inzwischen an US-amerikanische private equity-Firmen verkauft wurde. Kirch hat durch den Konkurs nicht alles verloren und er gibt das Mediengeschäft nicht auf. So hat er ein neues Unternehmen – Sirius – gegründet, das ab 2009 die Medienrechte an der Fußball-Bundesliga vermarkten wird. Diese kassiert dafür in sechs Jahren drei Milliarden Euro von Sirius. Sirius wird, so die Hoffnung von Kirch, diese Summe mit Gewinn von den die Bundesliga Spiele übertragenden Fernsehsendern wieder einspielen. Diese Summe wird zunächst von einer Bank garantiert (Rhein-Zeitung vom 10.10.2007, S. 27). Außerdem hat Kirch die Deutsche Bank auf Schadensersatz in Höhe von 1,2 Milliarden Euro verklagt, da deren damaliger Vorstandsvorsitzender Rolf Breuer durch eine kritische Äußerung über die Kreditwürdigkeit von Kirch angeblich den Konkurs verursacht habe. Ende 2007 hat Kirch in einer weiteren Klage gegen die Deutsche Bank im selben Zusammenhang zusätzlich 2,1 Milliarden Euro Schadensersatz gefordert (Rhein-Zeitung 14.1.2008). •
Leo Kirch und die Politik
Kirch mit dem Sitz seiner Firmen in München war mit der bayrischen Landesregierung bzw. der bayrischen HypoVereinsbank eng verbunden. Sat 1, als der Sender noch Kirch unterstand, setzte sich im Bundestagswahlkampf offen für Helmut Kohl ein. Die „Männerfreundschaft“ mit Helmut Kohl ging so weit, dass Kirch, als Kohl wegen seiner CDU-Spendenaffaire in Not war, ihm mit 1 Mio. DM aushalf. Auch für Kirch und sein Medienimperium gilt, dass große Medienhäuser die Nähe zur Politik suchen und auf sie Einfluss nehmen. Außerdem gilt, dass das Geld verdienen mit Medien im Vordergrund ihrer Aktivitäten steht, nicht aber der public service der unparteiischen Information im weitesten Sinne.
14. Die Exemplifizierung an case studies national und international und die jeweilige Regulierung.
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14.3 Der Axel-Springer-Verlag •
Firmengeschichte
Gegründet 1946 auf der Basis von Presselizenzen, von den Alliierten gewährt, investierte Axel Cäsar Springer zunächst in die Herausgabe von Zeitungen und Zeitschriften. Er startete in seinem Hamburger Verlag mit den Nordwestdeutschen Heften, dem Hamburger Abendblatt und der Programmzeitschrift – damals noch nur für den Hörfunk – Hör zu. Es kamen dann Bild und Die Welt hinzu. 1959 erwarb er die Mehrheit am Berliner Ullstein Verlag, und damit die BZ und die Berliner Morgenpost. 1966 wurde das Verlagshaus direkt an der Berliner Mauer erbaut. Die verlegerischen Grundsätze, die für alle Zeitungen kraft Direktionsrecht des Eigentümers (Tendenzschutz) verbindlich sind – 1967 von Axel Springer formuliert, nach der Wiedervereinigung geändert und 2001 ergänzt –, lauten: 1. Unbedingtes Eintreten für den freiheitlichen Rechtsstaat. Deutschland als Mitglied der westlichen Staatengemeinschaft und die Förderung der Einigungsbemühungen der Völker Europas. 2. Das Herbeiführen einer Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen, hierzu gehört auch die Unterstützung der Lebensrechte des israelischen Volkes. 3. Die Unterstützung des transatlantischen Bündnisses und die Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den USA. 4. Die Ablehnung jeglicher Art von politischem Totalitarismus. 5. Die Verteidigung der freien sozialen Marktwirtschaft. Diese Grundsätze sind sehr allgemein gehalten. So ist nicht die Rede von dem Eintreten für das Lebensrecht des Staates Israel sondern nur von der Unterstützung der Lebensrechte des israelischen Volkes – aber immerhin ist dies eine engagierte Selbstverpflichtung, die ernst genommen wird. Das unbedingte Eintreten für den freiheitlichen Rechtsstaat wird nicht immer ernst genommen, wenn z.B. die Bild-Zeitung Bilder manipuliert und selbst Rügen des deutschen Presserates missachtet. Außerdem bleibt festzuhalten, dass derartige Grundsätze vom Mehrheitseigentümer jederzeit geändert werden können. Wegen der in der Mitte der 60er Jahre schon erreichten hohen Pressekonzentration besonders auf den Zeitungsmärkten in Berlin und Hamburg und auf dem überregionalen Markt der Boulevardblätter wurde von Teilen der 68er Bewegung gegen die „Springerpresse“ demonstriert mit der Kampagne „Enteignet Springer“. Der Bildzeitung wurde eine reaktionäre Berichterstattung vorgeworfen. „Die Proteste verschärften sich nach dem Attentat auf Rudi Dutschke am 11. April 1968 durch den vermutlich rechtsextremen Josef Bachmann. Zuvor wurde Rudi Dutschke von der Bild als „Staatsfeind Nr. 1“ bezeichnet und zum „Ergreifen“ der „Rädelsführer“ aufgerufen. Bei den folgenden Kundgebungen kam es zu den schwersten Ausschreitungen in der Geschichte der Bundesrepublik“ (Wikipedia unter Axel Springer AG). Die Kritik an dem Stil und dem Inhalt des Journalismus besonders der Bild-Zeitung ist auch in den Folgejahren nicht abgerissen.
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14. Die Exemplifizierung an case studies national und international und die jeweilige Regulierung
Zur aggressiven Durchsetzung eigener Positionen vgl. auch den Boykottaufruf gegen die kleine Zeitschrift Blinkfuer, der vom Bundesverfassungsgericht grundsätzlich kritisiert wurde. Axel Cäsar Springer starb 1985. Danach übernahm seine Witwe Friede die Konzernleitung. In den 90er Jahren wurde die Geschäftstätigkeit ins europäische Ausland ausgeweitet. Neben dem Kerngeschäft besitzt der Konzern auch Druckereien – zum Teil gemeinsam mit Bertelsmann – und er ist am Pressegroßhandel beteiligt. 2005 versuchte der Konzern, der bereits mit 12% an der Sat1/ProSieben-Gruppe beteiligt war, von der Investoren-Gemeinschaft um Haim Saban die Mehrheit an dieser Gruppe für angeblich 2,5 Milliarden Euro zu übernehmen. Dieses Vorhaben scheiterte allerdings an den Übernahmeverboten sowohl des Bundeskartellamtes als auch der KEK (vgl. dazu ausführlich oben Kap. 9). Obwohl die Entscheidung des Bundeskartellamtes juristisch von Springer angefochten wurde – die Entscheidung stand Ende 2007 noch aus –, gab dieser im Herbst 2007 bekannt, dass er seinen Anteil an der Gruppe an die Erwerber KKR und Permira für 509 Mio. Euro verkaufe (boerse.ARD.de vom 11.12.2007: Springer beendet TV-Engagement). Die strategische Ausrichtung des Konzerns besteht momentan in der Forcierung des Auslandsgeschäftes und in der Erschließung des Internets – Digitalisierung des Printangebots. Die Option des TV-Geschäftes wird aber weiterhin offen gehalten. •
Konzentration
50% (plus 10 Aktien) des Kapitals des Verlages werden von der Axel Springer Gesellschaft für Publizistik GmbH & Co. gehalten, an der Friede Springer zu 90% und Ariane und Axel Sven Springer zu je 5% beteiligt sind. Friede Springer hält außerdem direkt 5% des Kapitals, sodass sie eindeutig Mehrheitseigentümerin ist. Heute ist der Verlag Deutschlands größter Zeitungsverlag mit den Boulevardblättern Bild (verkaufte Exemplare 4. Quartal 2007 3,328 Mio. nach 5,4 Mio. im Jahre 1982) und mit Bild am Sonntag (verkaufte Auflage 4. Quartal 2007 1,7 Mio. Exemplare nach 2,419 Mio. im 4. Quartal 2000, vgl. DER SPIEGEL 6/2008, Noch einmal mit Gefühl, S. 72ff) und den ebenfalls überregionalen Zeitungen „Die Welt“ und „Welt am Sonntag“. Insgesamt gibt der Verlag nach eigenen Angaben mehr als 170 Zeitungen und Zeitschriften in 33 Ländern heraus. Betrachtet man den deutschen Zeitungsmarkt als einen einheitlichen Markt, so hat der Axel Springer Verlag im Jahre 2006 einen Anteil von 22,5% – tatsächlich muss man regionale Märkte und die Märkte von Abonnements- und Straßenverkaufszeitungen unterscheiden und dann kommt man zu wesentlich höheren Marktanteilen dieses Konzerns. Auf dem Zeitschriftenmarkt hat der Springer Verlag im Jahre 2006 einen Marktanteil von 16,1 % (Media-Perspektiven, Basisdaten 2007, S. 52 und S. 58). Der Konzernumsatz betrug 2005 knapp 2,4 Milliarden Euro, davon wurden 2 Milliarden im Inland erzielt. 1,179 Milliarden wurden aus dem Vertrieb, 0,986 aus dem Verkauf von Anzeigen erlöst. Der – relativ gesehen – schwache Gewinn wird mit 231 Mio. Euro und die Zahl der Mitarbeiter mit 9733 angegeben (Vgl. Horst Röper, Formation deutscher Medienmultis 2005: ProSiebenSat 1 und Axel Springer, S. 114ff, S. 117). Ende 2006 gründete die Axel Springer AG die Axel Springer Digital TV GmbH, die zu Beginn des Jahres mit der Produktion von IPTV-Formaten begann und damit den Einstieg ins Internet-TV startete.
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In der Liste der größten Medienkonzerne weltweit steht der Axel-Springer-Verlag auf Platz 44 (vg. Hachmeister, Rager, S. 296ff). •
publizistische Wirkungen
Die Bedeutung der Programmzeitschriften geht weit über ihre Marktposition hinaus. Diese Zeitschriften „rahmen“ für die Leser das Hörfunk- und Fernsehprogramm, indem sie es „vorsortieren“ und auch kommentieren. Dies ist gerade auch wegen der Beteiligung des Verlages an der privatwirtschaftlichen Pro 7/Sat 1-Fernsehveranstalter-Gruppe nicht unproblematisch. Die Bild-Zeitung – sie erreicht täglich rund 10 Millionen Leser – gibt oft die agenda auf der politischen Bühne vor. Der Medienkanzler Gerhard Schröder soll das Blatt immer sehr intensiv studiert haben. Generell wird von Kritikern behauptet, dass die Blätter des Springer- Konzerns sich vorgenommen hatten, die Rot-Grüne Bundesregierung „runter zu schreiben“, also aktiv im permanenten Wahlkampf Partei zu ergreifen. Dies hat mit verantwortlichem, unparteiischem Journalismus nichts zu tun, sondern ist Kampagnenjournalismus. Obwohl die Bild-Zeitung auf ihren bundesweiten Markt der Boulevardzeitungen eine überragende Position innehat – es handelt sich faktisch um eine weitgehende Monopolstellung – hat bisher keine juristische Antikonzentrationsregulierung stattgefunden, weil diese Position durch überproportionales internes Wachstum erreicht wurde und dieses nur bei Missbrauch angegriffen wird. Zum Missbrauch im Sinne des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen gehört aber bisher nicht der Missbrauch publizistischer Macht und schon gar nicht eine weitgehend verzerrte Darstellung der Wirklichkeit in der Boulevardpresse.
14.4 Time-Warner TimeWarner Inc. Ist ein breit gefächertes internationales Medienunternehmen mit Hauptsitz in New York. •
Firmengeschichte
Time Inc. wurde 1922 als Zeitschriftenverlag – „Time“, später zusätzlich „Fortune“ und „Life“ – gegründet. Ende der 60er Jahre wurden Buchclubs übernommen. 1972 begann mit dem PayTV-Sender Home Box Office der Einstieg in das Kabel-TV-Geschäft. 1989 erfolgte die Fusion mit dem Filmstudio-Unternehmen Warner Communications (gegründet von den Warner Brothers), dessen eines Standbein die Produktion von HollywoodFilmen war. Das andere war der 1976 erworbene Video-Spiel- und Computerhersteller Atari. In den 90er Jahren scheiterte das Unternehmen mit dem Prestigeprojekt „Full Service Network“, in dem auf über 500 Kanälen interaktives Fernsehen (Video on Demand), Bildschirmtelefon und Homeshopping angeboten werden sollte. Dieses Projekt bescherte dem Unternehmen 3 – 5 Milliarden Dollar Verluste.
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14. Die Exemplifizierung an case studies national und international und die jeweilige Regulierung
1996 fusionierte Time Warner mit Ted Turners Broadcasting System, zu dem u. a. die Kabelsender CNN und TNT, Turner Entertainment in Atlanta gehörten. 2001 erfolgte die großartig mit dem Slogan der Vereinigung von alten und neuen Medien angepriesene Fusion mit dem Internet Provider AOL. Das Unternehmen hieß fortan AOL Time Warner. Doch die Träume eines integrierten, Synergien ausnutzenden Multimedia-Unternehmens zerplatzten schnell und nach Abschreibungen und Wertberichtigungen bei AOL meldete der Konzern für das Geschäftsjahr 2002 einen Verlust von 99 Milliarden Dollar. Daraufhin wurde 2003 AOL wieder aus dem Firmennamen gestrichen und es wurden eine Reihe von Unternehmensteilen wie die Warner Music Group und die Basketball-Mannschaft Atlanta Hawks verkauft. Seit Ende 2004 steigen bei AOL die Werbeeinnahmen wieder. In der Liste der größten Medienkonzerne weltweit nimmt Time/Warner nach wie vor den 1. Platz ein vgl. Hachmeister, Rager, S. 35ff). •
Unternehmenskonzentration
Im Geschäftsjahr 2006 erzielte das Unternehmen einen Umsatz von 44,2 Milliarden Dollar. Es beschäftigte 92.700 Angestellte. Es ist in 5 Bereiche aufgeteilt: 1. AOL, wobei der Geschäftsbericht ausweist, dass die Teilnehmerentgelte zurückgegangen sind, während die Einnahmen aus der Werbung zunahmen. Hierin kommt die veränderte Strategie gegenüber dem Internet zum Ausdruck. 2. Das Angebot von Kabeldiensten auf Netzen, die so aufgerüstet werden, dass Videosendungen, schnelle Datendienste und Telefondienste angeboten werden können. 3. Filmproduktion und Vertrieb. Dieser Bereich macht den größten Teil des Umsatzes aus. 4. Das Betreiben von Kabelnetzen 5. Herstellung und Vertrieb von Druckwerken, hauptsächlich Zeitschriften. Das Unternehmen befindet sich zur Zeit noch in der Konsolidierungsphase, muss sich aber gleichzeitig dem schnellen technischen Wandel stellen und besonders im hardware-Bereich investieren. Das Unternehmen ist ein gutes Beispiel für den neuen technologisch-publizistischen Komplex der Superintegration fast aller Mediensparten.
14.5 Walt Disney Co. •
Firmengeschichte
1923 wurde die Firma Disney Brothers Cartoon Studio und 1930 die Firma Walt Disney Productions von den Brüdern Walt und Roy Disney in Kalifornien gegründet. 1928 brachte Disney seinen ersten Mickey Mouse-Cartoon „Steamboat Willie“, auch als einen der ersten Tonfilme, heraus. Weitere folgten. So begann auch das Merchandising. Durch die Filme wurden Figuren wie Donald Duck, Bambi und Pinocchio populär, die dann auch in den Themenparks vermarktet wurden. Disneyland wurde 1955 als erster Vergnügungspark für Jung und Alt in Kalifornien eröffnet. 1971 wurde Disney World in Orlando, Florida und dort 1992 auch das
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Epcot Center eröffnet. Heute gibt es auch in Japan, Honkong und in Europa, in der Nähe von Paris einen Disney-Themenpark mit angeschlossener Hotelanlage. Geplant werden auch Disney-Themenparks in China, hier aber in einem an die chinesische Kultur angepassten outfit. 1954 wurde die Buena Vista Distribution Inc. gegründet zur Vermarktung der Filme. Seit 1983 ist der Disney Channel auf Sendung. 1984 erfolgt die Gründung der Firma Touchstone Pictures. In den 80er Jahren geriet das Unternehmen in eine schwere Krise. Mit einem neuen Management unter Michael Eisner und frischem Geld von einem Investor aus der Immobilienbranche gelang der Modernisierungsprozess. 1997 wurde für 19 Milliarden Dollar die Capital Cities/ABC Gruppe mit zahlreichen Fernsehsendern wie ABC und dem Sport-Kabelsender ESPN übernommen. 1993 wurde Miramax Films, auch ein sehr erfolgreiches Filmstudio, übernommen. 2003 wird die Zeichentrickfilm-Abteilung, das ursprüngliche Herz der Firma, geschlossen nach dem Flop mit „Der Schatzplanet“. 2006 hat Disney die Firma Pixar – Animation Studios – im Wert von 7,4 Milliarden Dollar übernommen, eine Firma, mit der in den Jahren zuvor eine enge Kooperation bestanden hatte. In der Liste der weltweit größten Medienkonzerne nimmt Disney den 2. Rang ein (vgl. Hachmeister, Rager, S. 44FF). •
Firmenportfolio
2005 wird der Umsatz mit 31,944 Milliarden Dollar angegeben. Insbesondere im Filmbereich beherrscht der Disney Konzern die Wertschöpfungskette von der Produktion von Filmen und Fernsehserien – Walt Disney Studios – über die Distribution – ABC, einem der drei größten US-amerikanischen kommerziellen sog. Free-TV-Sender, und die 3 Spartenkanäle Disney Channel, Toom Channel und Playhouse Disney bis hin zur „Mehrfachverwertung“ in seinen Themenparks weltweit. Hinzu kommen der amerikanische Sportkanal ESPN und die 50% Beteiligung an dem Sender Super RTL, der ansonsten zu Bertelsmann gehört. •
Konzentrationskontrolle in den USA
Zuständig ist die Federal Communications Commission (FCC). Im Telecommunications Act von 1996 wird sie verpflichtet, alle zwei Jahre die von ihr erlassenen Anti-Konzentrationsregeln zu überprüfen. 2003 hat sie bei einer dieser Überprüfungen die Regeln liberalisiert, indem die Crossownership von Presse, TV und Radio im jeweils gleichen Verbreitungsgebiet deutlich weniger eingeschränkt wird. Außerdem werden überregionale Konzentrationsbeschränkungen im Medienbereich weiter gelockert. Es wird ein „Diversity Index“ zur qualitativen Messung der Vielfalt eingeführt, der jedoch nach Meinung von Kritikern zu geringeren Anforderungen als das Kartellrecht führt, in dem z.B. unterschiedliche Meinungsmacht der Beteiligten nicht erfasst wird (vgl. Baker und Kübler). An diesem Beispiel der Deregulierung der Konzentrationskontrolle in den USA wird deutlich, dass den Expansionsprozessen der führenden Multimediakonzerne dort keine wirklichen
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Grenzen gesetzt werden. Insofern betreibt die FCC nur eine symbolische Politik. „Medienfreiheit wird so zum Recht der Medienunternehmer auf uneingeschränkte Expansion“ heißt es ebenda.
14.6 Sony Der Name Sony ist eine Kombination aus dem Wort „Klang“ (lat. Sonus) und sonny – von sonny boy aus dem Englischen. •
Firmengeschichte
1946 wurde das Unternehmen von Akio Morita gegründet und konzentrierte sich auf die Herstellung von Geräten der Unterhaltungselektronik. Nachdem von den amerikanischen Bell Laboratories die Lizenz zur Herstellung von Transistoren erworben worden war, wurden von Sony in den 5oer Jahren die ersten Transistorenradios – Sony TR-63 – auf den Markt gebracht. 1979 kam der Walkman, ein kleiner tragbarer Kassettenspieler, hinzu. Weltweit, mit Ausnahme von Österreich hat Sony bis heute das Markenrecht an dem Begriff „Walkman“. 1983 brachte Sony zusammen mit Phillips die Compact Disc (CD) heraus und Sony produziert bis heute CD-Spieler und Discman – in Anlehnung an Walkman. Sony produziert des Weiteren auch Videokameras und Mini Discs als digitale Nachfolger der Musikkassetten. 1994 kamen die ersten Playstations auf den Markt. Sony produziert des Weiteren über die Tochtergesellschaft Sony Computer Entertainment PlayStation Spielekonsolen, den künstlichen Hund Aibo und den humanoiden Roboter Qrio. 2002 übernahm Sony den Konkurrenten Aiwa. 2006 erfolgte die Übernahme des Kamerageschäfts von Komica Minolta. Sony versucht immer wieder, proprietäre Standards zu etablieren. Das Unternehmen ist sehr innovativ – in den 90er Jahren wurden jährlich rund 599 neue Produkte auf den Markt gebracht –, hat aber auch oft mit Rückschlägen zu kämpfen. So verlieren die von Sony entwickelten Trinitron-Farbbildröhren für Fernseher gegenüber den Plasma- und LCD-Fernsehern der Konkurrenz an Bedeutung. 2001 gründete Sony gemeinsam mit Eriksson das Mobilfunkunternehmen Sony Eriksson mit Sitz in London. Zusätzlich zu den Märkten der Unterhaltungselektronik ist Sony in jüngerer Zeit auch im Film- und Musikgeschäft aktiv. So kaufte Sony 1988 für 2 Milliarden britische Pfund die Plattenfirma CBS Records und die dazu gehörigen Rechte. Aus dieser Transaktion entstand das Unternehmen Sony Music Entertainment als Tochter der Sony Corporation of America. Dieses Unternehmen fusionierte 2004 mit der Bertelsmann Music Group – 50% Beteiligung. 1989 kaufte Sony von Coca Cola das Filmstudio Columbia Pictures. Seit 1991 bildet dieses erfolgreichste Hollywood-Studio den Kern des Tochterunternehmens Sony Pictures Entertainment. 2005 erwarb ein Konsortium aus vier Investmentgesellschaften unter Führung von Sony und dem Kabelnetzkonzern Comcast die berühmten Filmstudios Metro-Goldwyn-Mayer und United Artists.
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Firmenportfolio
Sony hat seinen Hauptsitz in Tokio. Die Europa-Zentrale ist in Berlin am Potsdamer Platz. 2006 betrug der Umsatz weltweit 63,98 Milliarden US-Dollar. 2007 wurden 63000 Mitarbeiter beschäftigt. Sony ist ein typisches Beispiel für einen vertikal integrierten Medienkonzern, der sowohl Filme, Fernsehserien und Musik weltweit produziert, als auch die dazu gehörige hardware – Abspielgeräte – vertreibt und schließlich an Verteilinfrastrukturen – Kabelnetze und Mobilfunk – beteiligt ist. Das Unternehmen ist in vielen Bereichen ein Pionier und es sucht jeweils Marktführerschaft. In der Liste der weltweit größten Medienkonzerne nimmt Sony den 7. Rang ein (vgl. Hachmeister, Rager, S. 88ff).
14.7 Murdoch: News Corporation und das weltumspannende Medien-Netzwerk •
Der Aufstieg zum Medienmogul
Rupert Murdoch, 1931 in Australien geboren, übernahm 1952 die Führung des väterlichen Medienkonzerns, der damals aus zwei Zeitungen in Adelaide und einem Radiosender bestand. Später folgten zahlreiche Übernahmen, Beteiligungen und Neugründungen von Medienunternehmungen in Australien, Großbritannien und den USA. Seine News Corporation umfasst etwa 175 Zeitungen mit den Schwerpunkten auf den genannten drei Kontinenten, das Hollywood Filmstudio 20th Century Fox und im Fernsehen in den USA die FOX Broadcasting Co., den SPEED Channel und das Direct TV; in Großbritannien BSkyB, in Italien Sky Italia und in Asien Star TV mit mehr als 100 Mio. Zuschauern täglich. Im Oktober 2007 startete Murdoch in New York seinen Wirtschaftssender Business News mit zunächst einer Reichweite von 30 Millionen Zuschauern (Vgl. Wirtschaftswoche vom 15.10.07 S. 18). Im Internet betreibt Murdock die Plattform My Space. Am 7. 1. 2008 wird gemeldet, dass Rupert Murdoch mit dem Kauf von 14,58% der Aktien des deutschen Pay-TV-Senders Premiere vom Kabelnetzbetreiber Unitymedia NRW GmbH auf dem deutschen Fernsehmarkt Fuß fasse. Die Aktie von Premiere schoss daraufhin um 25% in die Höhe. Es wird vermutet, dass dies der erste Schritt zur vollständigen Übernahme von Premiere durch Murdoch sei (boerse.ARD.de) Murdoch hatte 2002 bei der Insolvenz von Kirch den größten Teil seiner Investition in die Beteiligung an Premiere verloren. Offenbar geht es jetzt auch darum, diese Scharte wieder aus zu wetzen und endlich auf dem bundsrepublikanischen Medienmarkt Fuß zu fassen (vgl. DER SPIEGEL 3/2008: Operation Nachtangriff, S. 80ff; vgl. auch Marohn). Der Umsatz des Medienimperiums von Murdoch betrug 2006 28 Milliarden US-Dollar und der Gewinn belief sich jährlich auf 3,5 Milliarden (ebenda, S. 80). In der Liste der weltweit größten Medienkonzerne nimmt Murdochs Imperium den 4. Rang ein (vgl. Hachmeister, Rager, S. 62ff).
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Rupert Murdoch und die Politik
Rupert Murdoch nutzt „seine“ Medien nicht nur, um sehr erfolgreich Geld zu verdienen, sondern auch, um streng konservative Weltanschauungen zu propagieren. Seine Zeitungen – weit über 30% Marktanteil auf dem überregionalen Zeitungsmarkt in Großbritannien –, insbesondere das Boulevard Blatt „The Sun“ sind für ihre offen antieuropäische und insbesondere antideutsche Grundhaltung – German Bashing – bekannt. In Großbritannien haben die Zeitungen aus dem Medienimperium Rupert Murdochs über Jahre hinweg die konservative Regierung unterstützt bis zum ersten Wahlkampf von Tony Blair für die Labour Party, als die Zeitungen plötzlich umschwenkten. Vermutungen gehen dahin, dass Blair Murdoch als Gegenleistung für die publizistische Unterstützung die Lockerung der Antikonzentrationsregeln zusagte, die dann auch massiv erfolgt sind. FOX-News in den USA wird von Kritikern eine einseitige Parteinahme für die Regierung Bush und die Propagierung eines überzogenen Patriotismus, gerade auch im Zusammenhang der Berichterstattung über den Irakkrieg vorgeworfen. In der Sendung „O`Reilly Factor“ auf FOX-News wurden 2007 systematisch mit Lügen US-amerikanische Kriegsverbrechen im Irak verharmlost bzw. gerechtfertigt: Kriegsverbrechen der SS in Malmedy Ende des 2. Weltkrieges wurden toten amerikanischen Soldaten – damals Opfer – in die Schuhe geschoben nach dem Motto: Wo gehobelt wird, da fallen Spähne und das war schon immer so! Und dann sind Vergehen im Irak doch verständlich. FOX News unterstützt damit auch die illusionäre Teilhabe für junge Männer aus den Unterschichten an der amerikanischen Gesellschaft: der Staat in den USA verspricht Rekruten, die sich freiwillig zum Militärdienst melden, die Bezahlung des Studiums, falls sie heil zurückkommen. Besonders Murdochs Medien propagieren dies als „patriotisch“ und als Verwirklichung des amerikanischen Traums. In Wirklichkeit handelt es sich um die zynische Aufrechterhaltung einer feudalen Gesellschaft, da die Kinder reicher Eltern sich das Studium nicht so „verdienen“ müssen. Aber nicht nur FOX hat in Bezug auf die Berichterstattung über den Irakkrieg versagt … In Asien hat sich Murdoch mit ganz anderen politischen Strukturen arrangiert, um das Recht zu erhalten, STAR TV als Satellitenprogramm auch den Chinesen der kommunistischen Volksrepublik China nahe zu bringen. •
Deregulierung der Medienmärkte in Großbritannien
Unter Blair`s New Labour wurden mit der Verabschiedung des Communications Act von 2003 5 Regulierungsinstitutionen im Office of Communications (Ofcom) zusammengefasst und die Regulierung vorrangig am wirtschaftlichen Wettbewerb ausgerichtet. Wesentliche Teile der bisher geltenden Antikonzentrationsregeln im Medienbereich wurden zu Gunsten des allgemeinen Wettbewerbsrechts und der Selbstkontrolle abgeschafft. Damit wurde der Markt für das nationale Fernsehen und für Radios großen Presseunternehmen geöffnet. Kritiker sehen darin ein Zugeständnis an Murdoch (vgl. Vick, Doyle, S. 38ff). „In Wirklichkeit stand das Interesse der Hörer und Zuschauer an qualitativ hochwertigen Programmen und einer vielfältigen Medienlandschaft nie wirklich an erster Stelle der Regierungsagenda, der zentrale Ansatz dieser Reform war es, den privaten Medienunternehmen in Großbritannien Freiraum zu
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schaffen, um ihre Programme und Marktstrategien noch besser an kommerziellen Imperativen ausrichten zu können“ (daselbst, S, 46). Als Lehre für Deutschland folgt aus dem Beispiel der Medienmacht Rupert Murdochs dreierlei: • Je stärker ein Medienmogul seine wirtschaftliche Medienmacht nutzt, um eigene inhaltliche Vorstellungen und Werte einseitig zu propagieren, umso aufmerksamer muss die Konzentrationskontrolle und die Medienpolitik sein. • Werden Anzeichen für eine Kollision zwischen Regierung und mächtigen Medienunternehmen zur Verwässerung der Regulierung sichtbar, so sind Kommunikationswissenschaftler, alle öffentlich-rechtlichen Medien und die Zivilgesellschaft aufgerufen, publizistisch Widerstand zu artikulieren. • Dem weltweit agierenden Medienimperium des Rupert Murdoch kann mit einer nationalstaatlichen Regulierung nicht beigekommen werden. Die Bundesrepublik Deutschland täte gut daran, sich für eine wenigstens europaweite Medienkonzentrationskontrolle stark zu machen, wie sie das europäische Parlament seit langem fordert.
14.8 Berlusconi: Mit Media-Set zur Medienmarkt- und Politikbeherrschung in Italien mit europäischer Perspektive •
Aufstieg als Unternehmer
Geboren 1936 in Mailand hat Silvio Berlusconi dort Jura studiert und seine unternehmerische Karriere nach dem Start als Entertainer auf Kreuzfahrtschiffen zuerst als Bauunternehmer mit wechselnden Unternehmensformen begonnen. 1978 übernimmt er den lokalen Privatfernsehsender Telemilano – landesweite Fernsehsendungen waren damals in Italien für kommerzielle Sender noch nicht möglich. Der Nachfolgersender von Telemilano Canale 5 erhält jedoch 1980 von der staatlichen Fernsehgesellschaft RAI die Möglichkeit, ein internationales Fußballturnier landesweit über Satelliten auszustrahlen, nachdem es in der Presse zu Protesten gekommen war, weil die RAI diese Übertragung abgelehnt hatte. 1982 beginnt Berlusconi über alle seine inzwischen erworbenen regionalen Sendestationen das gleiche Programm auszustrahlen, sodass in einer rechtlichen Grauzone faktisch ein landesweiter privatwirtschaftlicher Fernsehsender entsteht. Im gleichen Jahr erwirbt Berlusconi von einem Verleger den Fernsehsender Italia I und 1984 von der Verlagsgruppe Mondadori den Sender Rete 4. Er schließt diese Kanäle in dem Unternehmen Mediaset zusammen, das zum einzigen wirklichen kommerziellen Wettbewerber der RAI heranwächst. Ab Ende der 80er Jahre expandiert das Fernsehimperium Berlusconis auf den europäischen Medienmarkt, in dem 1986 der französische Sender La Cinq, 1987 in Deutschland Tele 5 (bis 1992) und 1989 in Spanien der Sender Telecinco erworben wird. Im Zusammenhang der Pleite des Kirch-Konzerns hat Berlusconi Interesse gezeigt, Teile der Konkursmasse zu übernehmen und dadurch auf dem deutschen Fernsehmarkt Fuß zu fassen – vgl. dazu oben unter Kirch.
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14. Die Exemplifizierung an case studies national und international und die jeweilige Regulierung
Berlusconi ist als Mehrheitsaktionär Herr über zwei der bedeutendsten Verlagshäuser Italiens, Mondadori – Verlag auch des meistverkauften Nachrichtenmagazins „Panorama“ – und Enaudi und über zahlreiche kleinere Verlage. Damit gehören über 30% des italienischen Buchmarktes und 38% des Zeitungsmarkte zu seinem Medienimperium (vgl. Hausmann, S.12). Berlusconi ist außerdem Inhaber der Kinokette Medusa Cinema mit mehr als 200 Vorführsälen. Berlusconi ist seit 1986 im Besitz des Fußballclubs AC Milan, einem der national wie international erfolgreichsten Fußballvereine. Insgesamt kontrolliert er ein großes Wirtschaftsimperium von über 150 Firmen, auch mit Bank- und Versicherungsbeteiligungen. In der Liste der weltweit größten Medienkonzerne befindet sich Berlusconi auf Platz 29 (vgl. Hachmeister, Rager, S. 213ff). Die Herkunft der Finanzmittel für Berlusconis Aufstieg zum reichsten Mann Italiens – laut Forbes beträgt sein Vermögen 11,8 Milliarden US-Dollar – liegen im Dunkeln. 1984 werden auf Veranlassung der Prätoren der Provinzen Rom, Mailand und Pescara die Sendestationen von Canale 5 beschlagnahmt wegen des Verstoßes gegen das Verbot landesweiter Fernsehsender. Nach 4 Tagen erlässt die Regierung Craxi eine Verfügung, die den Sendebetrieb wieder zulässt, das italienische Parlament weigert sich jedoch, der Verfügung Gesetzeskraft beizumessen. Ministerpräsident Craxi verbindet die Entscheidung über das Gesetz mit der Vertrauensabstimmung und gewinnt. (Craxi ist ein enger Freund Berlusconis, er war Trauzeuge bei dessen zweiter Heirat und Taufpate bei Barbara Berlusconi, Craxi selbst entzieht sich später der gerichtlichen Verfolgung wegen Korruptionsvorwürfen durch die Flucht ins Exil). 1990 wird Berlusconis privatwirtschaftliches Medienimperium durch die legge Mammi legalisiert. 1994 stellt der italienische Verfassungsgerichtshof jedoch fest, dass die legge Mammi keine ausreichenden Beschränkungen gegen die Konzentration von Medienmacht enthält, eine Feststellung, die folgenlos blieb. •
Konzentrationskontrolle
Die legge Mammi enthielt in § 4 des Art. 15 ein Verbot für einen Unternehmer, mehr als 3 nationale Fernsehsender und mehr als 25% der Frequenzen in Händen zu halten. Der Verfassungsgerichtshof hielt dieses Verbot für nicht ausreichend, um den Pluralismus der Medien zu garantieren. Er verlangt schärfere Gesetze, damit Oligopole im Medienbereich vermieden werden (vgl. Robbillard; Regulatory Bodies, S. 119ff). Da nach dieser Entscheidung auf Grund der absichtsvollen Untätigkeit des Gesetzgebers keine effektiven Bestimmungen zur Beschränkung von Medienmacht in Italien in Kraft waren, gab es keine Hindernisse für die weitere Expansion von Berlusconis Medienimperium. Hinzu kommt, dass es in Italien keine klare Aufgabenbeschreibung und Organisation und keine Sanktionsmöglichkeiten der Regulierungsbehörden gibt und die vorhandenen auch nicht unabhängig sind, da ihre Mitglieder von der Regierung ernannt werden (vgl. daselbst, S. 123ff; vgl. auch Mazzoleni, S. 528f.) Die Ineffizienz der italienischen Konzentrationskontrolle ergibt sich allein schon aus dem Weiterbestehen des engen Duopols aus privatwirtschaftlicher Mediaset und staatlicher RAI.
14. Die Exemplifizierung an case studies national und international und die jeweilige Regulierung.
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Aufstieg als Politiker
1994 erscheint Berlusconi persönlich auf der politischen Bühne Italiens mit der Partei Forza Italia. In der Wahlkampagne setzt Berlusconi seine ganze Medienmacht zu seinen Gunsten ein – erst später wird durch das par condicio-Gesetz geregelt, dass die Fernsehsender verpflichtet sind, allen führenden Politikern und Parteien etwa gleiche Sendezeiten einzuräumen – und gewinnt die Wahlen. Er wird zum Regierungschef einer Mitte-Rechts-Regierung gewählt (zur mangelnden Regulierung der medialen Berichterstattung in Wahlkämpfen in Italien vgl. Perruci und Villa). Die Gründe für Berlusconis Eintritt in die Politik werden kontrovers diskutiert. Am häufigsten werden ökonomische Probleme seines Unternehmensimperiums – hohe Schulden – und die vielen juristischen Verfahren gegen ihn selber genannt – vermutete Schmiergeldzahlungen, gefälschte Bilanzen, Richterbestechung etc. (Berlusconi war bereits 1990 u. a. wegen Meineids rechtskräftig verurteilt, aber auf Grund einer Amnestie auf freiem Fuß). Er soll selber gesagt haben: „Wenn ich nicht in die Politik gehe, schicken sie mich ins Gefängnis und bringen mich zum Scheitern“. Während Berlusconis Amtszeit wurden mehrere Gesetze erlassen, die auf Verfahren gegen ihn gemünzt waren wie die Verkürzung von Verjährungsfristen und die Herabstufung des Straftatbestandes der Bilanzfälschung zum „Kavaliersdelikt“ – die Pointe liegt darin, dass Berlusconi sich gerne als „Cavaliere“ bezeichnen ließ. Die Legge Tremonti, benannt nach seinem Wirtschaftsminister, führt für jeweils zwei Jahre die vollkommene Befreiung von Steuern auf Unternehmensgewinne ein, wenn diese wieder reinvestiert werden, ein Steuergeschenk, das direkt seinem Unternehmensimperium Fininvest zu Gute kommt (daselbst, S. 14). Mit seiner Mehrheit im Parlament hat Berlusconi außerdem ein Gesetz verabschieden lassen, dass den fünf höchsten Repräsentanten des Staates Immunität für die Dauer ihrer Amtszeit garantiert (vgl. die Titelgeschichte von DER SPIEGEL Nr. 27/2003, „Die Akte Berlusconi“ S. 112ff). Dort wird auch Andrea Camilleri, ein italienischer Krimi-Bestsellerautor zitiert: „Ja, die Machtkonzentration bei Berlusconi ist eine demokratische Anomalie, gefährlich für Italien und für Europa. Ja, er setzt seine politische Macht für persönliche Belange ein. Nein, die „politisierten“ Richter gibt es nicht, sie sind eine Berlusconi-Erfindung. Die Prozesse werden nicht durch die Justiz politisiert, sondern durch die Politiker auf der Anklagebank. Täglich wird die Justiz attackiert, übers öffentliche und private Fernsehen etwa, das Ministerpräsident Berlusconi zu 90 Prozent kontrolliert. Eine Regierung, die derart die Justiz angreift, landet automatisch bei einer Politik, die Steuerhinterzieher, Bilanzfälscher und Kapitalflüchtlinge prämiert. Man sieht es an den neuen Gesetzen“ (daselbst, S. 114). Berlusconis Mediaset und die staatliche RAI beherrschen wie gesagt etwa 90% des italienischen Fernsehmarktes. Kritisch ist immer wieder auf den Interessenkonflikt zwischen privater Medienmacht einerseits und politischen Einfluss auf die RAI als Ministerpräsident andererseits hingewiesen worden. Berlusconi hat mehrfach geäußert, dass die RAI die politische Linie der mehrheitlich gewählten Regierung zu vertreten hat. Außerdem nimmt der Ministerpräsident maßgeblichen Einfluss auf Personalentscheidungen bei der RAI. Diese Kritik wird z.B. von „Reporter ohne Grenzen“ vorgetragen, die auf die Gefahr einer extrem parteiischen Berichterstattung auf allen italienischen Kanälen verweisen.
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1995 zerbricht die erste Koalition Berlusconis und es folgt eine Mitte-Links Regierung. 2001 wiederum nach einem Wahlkampf mit riesigem Werbeaufwand gewinnt Berlusconi erneut die Wahlen und er bleibt bis 2006 Ministerpräsident. Den folgenden Wahlkampf bestritt er erneut mit dem Schüren von Ängsten vor Kommunisten und mit der absurden Behauptung, „die Linken“ würden 90% der Medien in Italien kontrollieren. Dennoch unterliegt er äußerst knapp dem Regenbogenbündnis von Romano Prodi. Umberto Eco hatte einen Appell an die Wähler gerichtet: „Gegen die Errichtung eines De-facto-Regimes (in Italien wird mit Regime meistens auf die Herrschaft Mussolinis angespielt), gegen die Ideologie des Spektakels und für die Bewahrung der Informationsvielfalt in unserem Land, betrachten wir die anstehenden Wahlen als ein moralisches Referendum, dem sich niemand entziehen darf “ (Umberto Eco, Wem schlägt die Stunde?, zitiert daselbst, S.43ff, S. 48). Ende 2007 wird gemeldet, dass Berlusconi, inzwischen 71 Jahre alt, an die direkten Schalthebel der Politik zurückkehren wolle: nach seinen Angaben habe sein Partei Forza Italia 7 Millionen Unterschriften gesammelt, um den Staatspräsidenten aufzufordern, die Parlamentswahlen vorzuziehen. Außerdem will er eine neue Partei gründen, die „Partei des Volkes der Freiheiten“ (Rhein-Zeitung vom 20.11.2007). Anfang April 2008 gewinnt er die Wahlen souverän und wird erneut Ministerpräsident. •
Schlussfolgerungen
Das Beispiel Italiens mit den ungelösten Problemen der Bekämpfung der Mafia und der Korruption und einem instabilen System politischer Parteien unter der medialen und politischen Herrschaft Berlusconis verdeutlicht, dass: 1. Medienimperien nicht immer mit rein legalen Mitteln aufgebaut werden. 2. die Verquickung medialer und politischer Macht in einer Person die Kautelen der Presse und des Rundfunks als 4. Gewalt völlig außer Kraft setzt, 3. rechtsstaatliche Mittel zur Verhinderung einer derartigen Verquickung und zur Bekämpfung der Multimedia-Konzentration vollkommen versagt haben, 4. der italienische staatliche (öffentlich-rechtliche) Rundfunk von seiner Struktur her zu schwach war, um der kommerziellen Medienkonzentration wirkungsvoll zu begegnen und danach die politische Inpflichtnahme abzuwehren, 5. geballte publizistische Macht Wahlausgänge direkt beeinflussen kann und 6. es durchaus auch unter geballter Medien- und politischer Macht in Berlusconis Händen Gegenkräfte gibt, die zu einem politischen Wechsel 2006 geführt haben, ohne dass dieser Wechsel zu demokratischen Verhältnissen in Italien von Dauer sein muss. Als Lehren für Deutschland gilt es einerseits an einem durchsetzungsfähigen Bundesverfassungsgericht festzuhalten und den Rechtsstaat wirkungsvoll gegen Medienkonzentration in Position zu bringen und andererseits den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in seiner Unabhängigkeit und Funktionserfüllung zu stärken und im öffentlichen Bewusstsein viel stärker zu verankern.
14. Die Exemplifizierung an case studies national und international und die jeweilige Regulierung.
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14.9 Vivendi in Frankreich und ihre internationalen Verbindungen Vivendi ist ein französisches Multimedia-Unternehmen, das in den Bereichen des Verlagswesens, der Musik, des Films und des Fernsehens, der Telekommunikation und des Internets weit über die Grenzen Frankreichs hinaus aktiv ist. •
Firmengeschichte
1853 wurde in Paris per Dekret die Wasserversorgungsgesellschaft Compagnie Générale des Eaux (CGT) gegründet zur Versorgung von zunächst Lyon, dann auch Paris. Ab 1976 änderte sich die Strategie des Unternehmens und es wurde auch in den Bereichen der Abwasserentsorgung, der Energieversorgung, des Transportes, im Bauwesen und im Immobilienhandel tätig. 1983 beteiligte sich die CGT an der Gründung von Canal+, dem ersten Pay-TV Sender in Frankreich. 1996 startete mit der Gründung des Tochterunternehmens Cegetel das Geschäft mit der Telekommunikation und den Massenmedien. 1998 wurde der Name in Vivendi geändert. 1999 fusionierte Vivendi mit der Firma Pathé und erhielt so deren Anteile an BSkyB, dem Satellitenfernsehen von Murdoch für Großbritannien, und die Anteile an CanalSatellite. 2000 wurden die Sparten der Umwelttechnologien und der Ver- und Entsorgung einerseits und der Telekommunikation und der Medien andererseits getrennt. Der letztere Teil wurde im gleichen Jahr mit der Canal+-Gruppe und der kanadischen Seagram Gruppe, der Eigentümerin der Universal Music Group (UMG) – hervorgegangen aus der Music Corporation of America (MCA) und der PolyGram – und der Universal Studios in den USA, fusioniert. So entstand Vivendi Universal. Die geschilderten Reorganisationen führten zu massiven, auch finanziellen Problemen. Für das Geschäftsjahr 2002 wurde ein Verlust von 23,3 Milliarden Euro gemeldet bei Nettoschulden in Höhe von 12,3 Milliarden Euro. Daraufhin wurde Vivendi Universal Entertainment mit den Universal Studios an General Electric, dem Mutterkonzern von NBC, eins der 4 Fernseh- Networks der USA, verkauft. So entstand NBC Universal. Vivendi wurde mit 20% Mitgesellschafter von NBC Universal. 2006 wurde der Name wieder in Vivendi geändert. Im gleichen Jahr kaufte Vivendi von Bertelsmann BMG Music Publishing für 1,63 Milliarden Euro, wodurch Vivendi zum größten Musikverlag der Welt wurde. •
Unternehmensportfolio und Beteiligungen
2005 meldete Vivendi einen Umsatz von 19,484 Milliarden Euro. Es wurden 34.031 Mitarbeiter beschäftigt. Das unternehmerische Portfolio umfasst im internationalen Maßstab den Verlag von Musik, Herstellung und Vertrieb von Video- und Computerspielen, Pay-TV und Telekommunikation. Die UMG als weltgrößtes Unternehmen im Musikgeschäft hielt 2005 einen Marktanteil von 25,6%. Zur UMG gehören u. a. die Plattenfirmen Polydor und Deutsche Grammophon. Vivendi Games als führendes Unternehmen der Entwicklung und des Vertriebs von Computer- und Video-Spielen – „World of Warcraft“ als populärstes elektronisches Spiel mit weltweit 9,3 Millionen Abonnenten – übernahm Ende 2007 den kalifornischen Spielehersteller
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Activision – Actionspiele wie „Spiderman“ und „Call of Duty“ – für rund 12,8 Milliarden Euro. Nach dieser Fusion wird in Paris eine Umsatzrendite von 25% (!) erwartet (vgl. RheinZeitung vom 4.12.2007). Die Canal+Group ist mit rund 5 Millionen Abonnenten in Bereich Pay-TV Marktführer in Frankreich. Zur Gruppe gehören 230 Fernsehkanäle und Teledienste, außerdem StudioCanal mit dem unternehmerischen Schwerpunk Filmproduktion –, distribution und -rechtehandel. SFR ist der zweitgrößte Mobilfunkanbieter in Frankreich – Marktanteil 2005 von 35,8%. Vivendi beherrscht ihn mit einem Aktienanteil von 56%. Vivendi ist darüber hinaus mit 51% an Maroc Telecom beteiligt, dem führenden marokanischen Anbieter in den Bereichen Festnetz, Mobiltelefon und Internet. In der Liste der weltweit größten Medienkonzerne nimmt Vivendi den 9. Rrsng ein (vgl. Hachmeister, Rager, S. 102ff). •
Regulierung in Frankreich
Der größte kommerzielle Fernsehsender in Frankreich TF 1 hat einen Zuschaueranteil von über 30%. TF 1 wird von dem Großunternehmen Bouygues kontrolliert, das ebenso den Infokanal LCI beherrscht. Die Rüstungsschmiede Dassault kontrolliert landesweit rund 70 Zeitungsredaktionen. Damit ist die Medienkonzentration in Frankreich, besonders in der Form der Verflechtung mit anderen Industrieberechen, weit umfassender als in Deutschland. Die Regulierung des Fernsehens in Frankreich durch die CSA versucht, über bei der Lizenzierung vereinbarte Standards die Programmqualität und die Pluralität der Berichterstattung innerhalb eines Programms sicher zu stellen. Sie zielt aber nicht darauf ab, wie in Deutschland Grenzen der Zuschauermarktanteile für einzelne Medienunternehmen festzulegen und durchzusetzen (vgl. Robillard, Regulatory Bodies, S.61ff). Wegen dieser mangelnden Konzentrationskontrolle haben sowohl Vivendi, als auch die Lagadère-Gruppe – Luft- und Raumfahrt mit umfangreichen Interessen im Bereich der Buchund Zeitschriftenverlage – als auch TF 1 unbeschränkt expandieren können. Zusammenfassend zu den case studies lässt sich festhalten: 1. Praktisch alle großen Medienunternehmen sind in mehreren Sparten tätig – Produktion und Vermarktung von Büchern, Zeitungen, Zeitschriften, Filmen, Radiosendungen, Fernsehsendungen und Internetdienstleistungen. Sie bemühen sich mehr oder minder erfolgreich, Synergien zwischen den verschiedenen Sparten auszuschöpfen auch über crossmediale Werbung. Die Betrachtung der Position lediglich auf einzelnen Märkten wird der Erfassung der Medienmacht dieser Multimedia-Unternehmen nicht gerecht. 2. Alle Multimedia-Unternehmen sind schneller gewachsen als der Rest der Branche. „Das gesamte Umsatzvolumen der 50 weltweit größten Medienkonzerne beträgt 323 Milliarden Euro (Geschäftsjahr 2004), dies ist eine Steigerung von 208% gegenüber der ersten Ausgabe von „Wer beherrscht die Medien?“ (1997). Noch signifikanter ist der Umsatzsprung bei den ersten 10 Unternehmen der Rangliste von 68,8 auf 170 Milliarden Euro (plus 247%) – und das, obwohl in der aktuellen Ausgabe der Microsoft-Konzern nicht mehr mitgezählt wird (da sich das erwartete Engagement bei den Inhalten nicht eingestellt hat)“ (Hachmeister, Rager, S. 30). Die Konzentration hat also zugenommen.
14. Die Exemplifizierung an case studies national und international und die jeweilige Regulierung.
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Zunehmend wird auf eine Expansion über den Medienbereich hinaus – besonders in den USA, Frankreich und Japan – in den Bereich der technischen Infrastrukturen: Telekommunikationsnetze und dazu gehörige hardware – gesetzt. Hinzu kommen auch Aktivitäten außerhalb der Bereiche Medien und Telekommunikation. Der Springer-Konzern ist mit der Übernahme von PIN in den Bereich der Briefzustellung vorgedrungen, aber bisher wenig erfolgreich. Die Gruppe Lagadère in Frankreich ist gleichermaßen im Verlagswesen – Hachette und Time Warner Book Group (Übernahme 2006) – und in der Luft- und Raumfahrt engagiert. Sony verbindet ein weltweites Engagement im Bereich der Unterhaltungselektronik mit der Ausbeute mehrerer Hollywood-Filmstudios und einem Engagement im Bereich des Mobilfunks und bei Kabelnetzen. Alle Unternehmen setzen nach Erreichen einer hohen Medienkonzentration im Inland auf die Expansion im Ausland. Mehrere dieser führenden Unternehmen sind bzw. waren untereinander verflochten: Kirch war an Springer beteiligt, Bertelsmann und Springer betreiben ein gemeinsames Druckunternehmen, Murdoch war an Kirchs Premiere beteiligt und Bertelsmann betreibt gemeinsam mit Sony das weltweite Musikgeschäft. Diese Beispiele rufen geradezu nach einer umfassenden, weltweit agierenden Medienregulierung. Alle Unternehmen sind von herausragenden Persönlichkeiten geprägt: das gilt für Reinhard Mohn ebenso wie für Axel Springer und Leo Kirch, das gilt für Rupert Murdoch und Silvio Berlusconi ebenso wie für die Warner Brothers, Ted Turner, Gerald Levin und Steve Case, die die Geschichte von Time Warner geprägt haben, und das gilt für Jean-Marie Messier und Jean-Bernard Lévy, die Vivendi immer wieder umstrukturiert haben und das gilt für Sir Howard Stringer, den momentanen Chef von Sony. Diese Persönlichkeiten unterscheiden sich in ihrer Risikobereitschaft und Skrupellosigkeit. Gemeinsam sind ihnen eine sehr konservative Grundhaltung und ein diesbezügliches Sendungsbewusstsein. Alle Unternehmer versuchen die Medien- und Gesellschaftspolitik in ihrem Sinne zu beeinflussen bzw. sie suchen die Nähe zur Politik oder wie im Falle Berlusconi gehen selber in die Politik, vorrangig um ihre Interessen zu wahren. Aus Frankreich wird jüngst berichtet, dass es ein Triumvirat aus den mächtigen Medienmännern, die gleichzeitig Bau-, Telefon- und Rüstungskonzerne beherrschen, und dem neuen Präsidenten gebe, zu dem sie beste, oft familiäre Kontakte pflegen. „Die Beziehungen, die Sarkozy mit Bouygues, Lagadère und Dessault unterhält, sind Ausdruck einer potentiellen Medienmacht, die zu äußerster Wachsamkeit verpflichtet“ (Jean-Marie Colombani, Herausgeber von Le Monde, zitiert nach: Mönninger). Mehrere Multimedia-Unternehmen sind durch schwere Krisen gegangen. Das Kirch-Imperium ist zusammengebrochen, Time Warner, das schon durch das Prestigeprojekt Full Service Network große Verluste wegstecken musste, geriet durch die Fusion mit AOL erneut in schwere finanzielle Turbulenzen. Vivendi konnte sich nur durch schmerzhafte Verkäufe retten. Auch Sony hatte mehrfach mit schweren Rückschlägen zu kämpfen. Auch wenn Medienimperien aufsteigen und wieder zerfallen, kann man sich nicht auf derartige Zyklen verlassen. Es kommt auf dauerhafte Medienstrukturen an, die der Demokratie dienen und sie nicht gefährden. Mehrere der weltweit führenden Multimedia-Unternehmen setzen ihre publizistische Macht ein, um die politische und gesellschaftliche Entwicklung in ihrem Sinne zu be-
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stimmen. Dies gilt besonders für Murdoch und Berlusconi, aber auch für Springer. Dabei verletzen einige ihrer Publikationsorgane die Regeln des verantwortungsvollen Journalismus nicht nur in Ausnahmefällen. 8. Die juristische Regulierung in den jeweiligen Nationen hat den ökonomischen und publizistischen Konzentrationsprozess außer in Fällen spektakulärer Fusionen nicht beeinflussen können. Die Fallbeispiele belegen gleichermaßen das Markt- und das Staatsversagen. Besonders in den USA muß bei der Medienkonzentrationskontrolle von einer weitgehend symbolischen Politik gesprochen werden. Eine „Weltregulierung“ zur Wahrung publizistischer Pluralität in nationaler und in globaler Perspektive gegen die Weltkonzernherren ist nicht in Sicht, obwohl „... es die Qualität der Medienpolitik ist, die zukünftig den Kern des Politischen ausmacht“ (Hachmeister, Rager, S. 30). 9. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk kann in den hier erwähnten Ländern nur in Großbritannien und der Bundesrepublik Deutschland als ein gewisses Gegengewicht gegen die privatwirtschaftliche Multimedia-Konzentration angesehen werden. In der EU-Bürokratie und in konservativen politischen Kreisen ist er in die Defensive geraten. Dies erschwert die notwendigen Strukturreformen. 10. Die Konkurrenzkämpfe der Gegenwart und Zukunft werden um die Vorherrschaft im Internet ausgetragen, das sich zunehmend sowohl als Text- und Lese- und Spiele-, als auch als Musik-, Fernseh- und Filmmedium entwickelt und das auch zur Telekommunikation genutzt werden kann. Die Regulierung des Internet hat aber bisher kaum stattgefunden und dort, wo sie versucht wurde, weitgehend versagt.
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Liste der Schaubilder und Tabellen Schaubild 1: Schaubild 2: Schaubild 3: Schaubild 4: Schaubild 5: Schaubild 6: Schaubild 7: Schaubild 8: Schaubild 9: Schaubild 10: Schaubild 11: Schaubild 12:
Die Ausdifferenzierung der Medien im Zeitablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Lebenszyklen von Produkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Interdisziplinärer und transdisziplinärer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Organisation eines Presseunternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Funktionale Stufen eines Unternehmens der audiovisuellen Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Die Lorenzkurve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Vertikale Integration im Film- und Fernsehbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Doppelt geknickte Nachfragekurve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Marktgleichgewicht nach dem Cobbweb-Theorem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Organisationsformen ökonomischer Aktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Formen von Unternehmensverbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Gemeinschaftsunternehmen von Kirch/Bertelsmann/Telekom zur Einführung des digitalen Pay-TV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 Schaubild 13: „Familien“ im deutschen Privatfernsehen 1994 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Schaubild 14: Vom Input der Akteure zum Output staatlicher Kommunikationspolitik vor dem Hintergrund von Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244