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Heidrun Kämper Opfer ⫺ Täter ⫺ Nichttäter
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Heidrun Kämper Opfer ⫺ Täter ⫺ Nichttäter
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Heidrun Kämper
Opfer ⫺ Täter ⫺ Nichttäter Ein Wörterbuch zum Schulddiskurs 1945⫺1955
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Claudia Wild: De Gruyter/Kämper 8.12.2006/Seite 6
앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, 앪
das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN 978-3-11-019134-9 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
쑔 Copyright 2007 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandabbildung: AP Photo (Nürnberger Prozess: Hermann Göring) Einbandgestaltung: Christopher Schneider, Berlin
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Vorwort Dieses Wörterbuch ist das Nachschlagewerk zu der am Institut für Deutsche Sprache erarbeiteten und im Jahr 2005 erschienenen Untersuchung zum Schulddiskurs in der frühen Nachkriegszeit.1 Es fasst die lexikalisch-semantischen Ergebnisse dieser Untersuchung in Form von Wortartikeln zusammen. Diese Wortartikel beschreiben diejenigen Wörter nach lexikographischen Prinzipien, die gleichsam das lexikalische Gerüst des Schulddiskurses darstellen. Der Schulddiskurs der ersten Nachkriegsdekade ist als sprachliches Umbruchphänomen zu bewerten. Die Schlüsselwörter, in deren Bedeutung sich dieser Diskurs verdichtet, sind demnach die lexikalischen Erscheinungen des Umbruchs nach 1945. Das bedeutet nicht, dass der hier verzeichnete Wortschatz, von Angst bis Zebrakleidung, von Befehl bis treu, von Abendland bis Zukunft ein neues, erst nach 1945 im deutschen Wortschatz aufgekommenes Vokabular darstellt. Vielmehr handelt es sich um denjenigen Wortschatzbereich, der hinsichtlich Frequenz oder Funktion den Schulddiskurs der frühen Nachkriegszeit repräsentiert. In diesem Wortschatzbereich manifestieren sich die Dokumentation der Gewalt, mit der die Opfer Zeugnis ablegen, die Strategien der Schuldabwehr und Rechtfertigung, die die Täter zu ihrer persönlichen Entlastung anwenden, und die Konstruktion und Demontage der Identität, mit denen die Nichttäter das Phänomen Nationalsozialismus analysieren und die Rehabilitation der Deutschen versuchen. Das Wörterbuch soll von einem vielschichtigen Leserkreis benutzt werden: von Linguisten, besonders Lexikographen und Sprachhistorikern, von Zeithistorikern, von Lehrern, Schülern und Schülerinnen, von Studierenden, und nicht zuletzt von allen Interessierten, die Auskunft darüber suchen, wie sich Zeitgeschichte sprachlich niederschlägt. Mannheim, im Oktober 2006
1
Heidrun Kämper
Heidrun Kämper (2005): Der Schulddiskurs in der frühen Nachkriegszeit. Ein Beitrag zur Geschichte des sprachlichen Umbruchs nach 1945. Berlin, New York: de Gruyter.
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Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Was ist ein Diskurswörterbuch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Die Diskursbeteiligten und die Quellentexte . . . . . . . . . . . . . 2.1 Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Nichttäter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Der Wortschatz des Schulddiskurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Artikelaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Sammlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Primärquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Primärquellen alphabetisch geordnet . . . . . . . . . 5.2.2 Primärquellen nach Beteiligungsrollen geordnet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Sekundärquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Lemmalisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Gesamtlemmaliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Lemmaliste Opferdiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Lemmaliste Täterdiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Lemmaliste Nichttäterdiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Wörterbuchteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V IX XI XII XIII XIV XVII XX XXIII XXIII XXIV XXIV XLVII XLIX LI LVI LVI LVIII LIX LX 1
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1 Was ist ein Diskurswörterbuch? Die Aufgabe eines Diskurswörterbuchs ist, das relevante, einen Diskurs konstituierende und realisierende Vokabular nach spezifischen lexikographischen Prinzipien darzustellen und zu beschreiben. Der Beschreibungsgegenstand eines diskursorientierten Wörterbuchs ist abhängig von dem Diskursbegriff, der seinem Konzept zugrunde liegt. Das Wörterbuch zum Schulddiskurs basiert auf einem Verständnis von Diskurs als themenkohärenter, kollektiver kommunikativer Akt, der von einer oder mehreren Gruppen von Diskursbeteiligten realisiert wird, der textuell (also hinsichtlich der Veröffentlichungsbzw. Öffentlichkeitsformen) vielfältig und heterogen repräsentiert ist, der sich über einen bestimmten Zeitraum erstreckt und der eine oder mehrere Funktionen erfüllt, die von einem diskurstypischen bzw. diskursrelevanten Vokabular realisiert werden. Dieser Diskurswortschatz, der den Diskurs und seine Komplexität auf der lexikalischen Ebene reflektiert, wird in dem vorliegenden Wörterbuch dargestellt. Ein Diskurswörterbuch unterscheidet sich deshalb von einem allgemeinsprachlichen, weil es die Gebundenheit des Wortschatzes in thematischen, sprecherbezogenen, textlichen, zeitlichen und funktionalen Hinsichten darstellt, die einerseits die Komplexität des Diskurses repräsentieren, und andererseits seine, durch die begrifflichsemantischen Beziehungsrelationen erzeugte Geschlossenheit und Dichte repräsentiert. Die lexikalischen Elemente eines Diskurses stehen zueinander in Bedeutungsbeziehungen. Insofern sind Diskurse semantische Netze, die diese Bedeutungsbeziehungen ihres lexikalischen Inventars konstitiuieren. Das Netz des Diskursvokabulars gibt dem Diskurs eine begrifflich-semantische Ordnungsstruktur, die in Relation steht zum Diskursthema, zu den Diskursbeteiligten, zu den Texten, zu dem Zeitraum, über den sich ein Diskurs erstreckt, zu der Funktion bzw. den Funktionen des Diskurses. Die Struktur dieses Diskurswortschatzes besteht aus der Summe des begrifflich-semantischen Potenzials der lexikalischen Diskurselemente und der Summe der regelmäßigen Beziehungen, die die lexikalischen Diskurselemente untereinander eingehen. Damit wird die onomasiologische Beschreibungsperspektive in das semasiologische Darstellungsprinzip dieses Wörterbuchs integriert.
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1 Was ist ein Diskurswörterbuch?
Insofern macht ein Diskurswörterbuch, das die lexikalisch-semantischen Diskursrepräsentanten und ihre Relationen zueinander lexikographisch beschreibt, die thematische, begriffliche und semantische Ordnung des Diskurses (die seine Kohärenz erzeugt) auf der Wortebene sowohl semasiologisch als auch onomasiologisch sichtbar. Dargestellt wird dieser Wortschatz als begrifflich-semantisches Netz, dessen Knoten die lexikalischen Einheiten eines Diskurses bilden, auf die verwiesen wird. Damit bildet das Diskurswörterbuch die Struktur eines Diskurses auf lexikalisch-semantischer Ebene mit einem Verweissystem ab. Das Verweissystem ist die Darstellung eines durch die lexikologisch-semantische Analyse eines Diskurses erlangten Ergebnisses.
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2 Die Diskursbeteiligten und die Quellentexte Das Korpus eines Diskurswörterbuchs ist ein solches, das auf der Grundlage historischer und gesellschaftlicher Kenntnisse, also mit einem gebührenden Hintergrundwissen, ausgewählt ist. Eine solche Textbasis setzt Diskursgeschichte und die historischen politischgesellschaftlichen Bedingungen in einen Zusammenhang. Aus einem solchen Diskurszusammenhang rekonstruierte Semantik geht über die traditionelle lexikalische Semantik hinaus, denn sie erhält durch die diskursive Darstellung insofern eine neue Dimension, als begriffliche bzw. semantische Einheiten im kommunikativen Kontext, d. h. in Bezug auf Funktionen und Absichten von Sprechergruppen rekonstruiert werden. Das vorliegende Wörterbuch basiert – anders als andere zeitgeschichtlich angelegte Wörterbücher – auf Texten, die nach einem thematischen Kriterium zu einem Diskurskorpus zusammengestellt wurden: Die Texte repräsentieren den Schulddiskurs in der ersten Nachkriegsdekade (1945–1955). Inhaltlich-thematisch beziehen sich alle diese Texte mehr oder weniger explizit auf den gemeinsamen Gegenstand Schuld. Die ausgewählten Texte sind deutschsprachig und in der ersten Nachkriegsdekade entstanden bzw. veröffentlicht. Die Jahre 1945 bis 1955 sind von diskontinuierlichen Publikationsphasen und von unterschiedlicher Schreibfreude bzw. von unterschiedlichen Publikationsmöglichkeiten gekennzeichnet. Auf die gesamte Bearbeitungszeit gesehen, ist die Publikationsfreude bis 1949 größer als danach, während der ersten Nachkriegsjahre wiederum ist sie am größten in den Jahren 1946/47. Die Autorinnen und Autoren der Texte haben die Nazizeit (zumindest phasenweise) in Deutschland erlebt bzw. sind frühzeitig aus der Emigration zurückgekehrt, um in Deutschland zu wirken, wie z. B. Bertolt Brecht oder Wilhelm Röpke. Ihre Texte zählen zum Quellenkorpus. Ein nicht zurück gekehrter Emigrant, wie z. B. Thomas Mann hingegen, fehlt als Autor im Quellenkorpus, seine Texte haben aber den Status von Sekundärquellen. Die Diskursgemeinschaft der Jahre 1945 bis 1955, wie sie die Korpustexte repräsentieren, besteht aus heterogenen Teil-Gemeinschaften und -Kollektiven mit unterschiedlichen Erfahrungs- und Wahrnehmungshorizonten und einem je spezifischen Selbstverständnis, mit dem sie sich sprachlich äußern. Als Kriterium für dieses
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XII
2 Die Diskursbeteiligten und die Quellentexte
Selbstverständnis gilt die Beteiligungsrolle, welche die Autoren der untersuchten Texte während der Zeit des Nationalsozialismus innehatten, nämlich Opfer, Täter oder Nichttäter.
2.1 Opfer Opfer sind diejenigen, die vom Nationalsozialismus diskriminiert, verfolgt, eingesperrt wurden, die mit diesem Selbstverständnis nach 1945 schreiben und die in ihren Texten auf diese persönlichen Erfahrungen, die sie zu Opfern machten, referieren. Es sind diejenigen, die der Nationalsozialismus sich zu Feinden erklärt hat: Juden, Widerständler jeglicher Provenienz (vom Kommunisten bis zum Militär), Kirchenmänner, intellektuelle Kritiker. Der Opferbegriff, der hier vorausgesetzt wird, wird aus den Texten, in denen sich die Opfer selbst als solche identifizieren, abgeleitet. Diese Eingrenzung ist der Abgrenzungsschärfe geschuldet, dem Anliegen, die Typik dieses Diskurses deutlich zu machen. Diese Typik tritt am eindrücklichsten dort zu Tage, wo diejenigen über den Nationalsozialismus reden, die seinem Zerstörungs- und Vernichtungswillen persönlich ausgesetzt waren: Juden • Victor Frankl, Bernard Klieger, Lucie Adelsberger, Hans Günther Adler, Victor Klemperer, Antifaschisten • Franz Dahlem, Hans Eiden, Werner Eggerath, Friedrich Schlotterbeck, Günther Weisenborn, Alfred Andersch, Ernst Niekisch, Udo Dietmar, Manfred Schifko-Pungartnik, Benedikt Kautsky, Hermann Brill, Paul Löbe, Ernst Müller-Meiningen jr., Bürgertum und Militär • Isa Vermehren, Fabian von Schlabrendorff, Geistliche und bekennende Christen • Leonhard Steinwender, Martin Niemöller, Heinrich Grüber, Ernst Wiechert, Eugen Kogon. Opfer gleich welcher Provenienz liefern mit ihren Texten zum Schulddiskurs Berichte. In ihren Reportagen dokumentieren und referieren, bezeugen und verbürgen sie, was ihnen widerfuhr, was sie zu Opfern machte also. Das dominierende Handlungsmuster des
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2.2 Täter
XIII
Schulddiskurses der Opfer ist berichten, daher erfüllen Opfer mit ihren Berichten die Funktion von Zeugen.
2.2 Täter Täter sind die Funktionsträger der NSDAP und die Handlungsbeteiligten der nationalsozialistischen Herrschaft. Vor Gericht oder retrospektiv, in forensischem oder biographischem Kontext also reflektieren sie über Schuld, weil sie sich dem direkten Vorwurf einer persönlichen kriminellen Schuld gegenüber sehen und aus diesem justiziären Kontext heraus argumentieren, oder, weil sie durch retrospektive Analyse ihr Gewissen zu entlasten suchen. Der Schulddiskurs der Täter setzt sich zusammen aus Texten folgender Repräsentanten der nationalsozialistischen Herrschaft: Regierung • Hans Frank, Alfred Rosenberg, Albert Speer, Franz von Papen, Hjalmar Schacht, Otto Meißner, Karl Dönitz, Wilhelm Frick, Walter Funk, Hermann Göring, Rudolf Heß, Ernst Kaltenbrunner, Constantin von Neurath, Joachim von Ribbentrop, Fritz Sauckel, Baldur von Schirach, Arthur Seyss-Inquart, Julius Streicher, Planer • Oswald Pohl (Chef des SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamts), Exekutor • Rudolph Höß (Kommandant des KZ Auschwitz), Schrittmacher • Rudolf Diels (erster Gestapochef), Legitimator • Carl Schmitt (NS-Rechtstheoretiker), Distributor • Otto Dietrich (Reichspressechef), Hans Fritzsche (Chefkommentator des Rundfunks), Militär • Wilhelm Keitel, Erich Raeder, Albert Kesselring, Wilhelm List, Stellvertreter • Werner Best (Reichsbevollmächtigter in Dänemark). Während Opfer berichten, tragen Täter in Erzählungen ihre Versionen argumentativ vor. Im Sinn eines sprachgeschichtlichen Beitrags
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XIV
2 Die Diskursbeteiligten und die Quellentexte
wurde der Schulddiskurs der Täter im Hinblick auf dasjenige Phänomen hin analysiert, das von ihnen als argumentatives Muster etabliert wurde, nämlich rechtfertigen und begründen. Rechtfertigen und Begründen sind die Handlungsmuster der Täter, die die grundlegenden kommunikativen Strategien der Angeklagten realisieren und die auch den Schulddiskurs der Täter konstituieren.
2.3 Nichttäter Nichttäter sind diejenigen Politiker und Gesellschaftskritiker, Theologen und Juristen, Wissenschaftler und Künstler, die weder verfolgt haben noch verfolgt wurden. Der Schulddiskurs der Nichttäter wird charakterisiert von einer diagnostisch angelegten Auseinandersetzung mit der Schuld der Deutschen. Diese Diagnose, die Anamnese und Therapie umfasst, repräsentieren Handlungsmuster, deren Widersprüchlichkeit in der typischen Nachkriegskonstellation, bestehend aus schuldbewusster Befindlichkeit und gleichzeitiger Rehabilitationsabsicht, angelegt ist. Während das dominierende Handlungsmuster der Opfer der Bericht ist in Korrespondenz mit ihrer Funktion als Zeugen, das der Täter die argumentierende Erzählung in Korrespondenz mit ihrer Funktion als Angeklagte, ist das Handlungsmuster der Nichttäter komplex. Die diagnostischen Texte der Nichttäter sind verfasst unter den Bedingungen des Kollektivschuldvorwurfs der Welt, dem sie sich gegenüber sehen. Insofern entspricht ihr Sprachhandeln demjenigen von Angeklagten und insofern ist zu erwarten, dass Nichttäter, indem sie unter diesen Voraussetzungen des Angeklagtseins über die Schuld der Deutschen sprechen, entsprechende Strategien anwenden (Ausweichen, Leugnen, Gestehen). Was ihren Diskurs darüber hinaus kennzeichnet, ist der Wunsch, die Deutschen mögen in die Reihen der Völker reintegriert werden. Insofern sprechen sie über die Schuld der Deutschen unter der Voraussetzung gleichsam des Anwalts und entsprechend argumentierend. Schließlich sprechen sie auch über die Schuld der Deutschen in einer Rolle, die derjenigen von Richtern nahe kommt – sie bewerten, ordnen ein, messen an einer Norm. Indem sie also auch unter den Voraussetzungen dieses Selbstbildes ‚Richter‘ über die Schuld der Deutschen sprechen, wenden sie entsprechende Strategien an (Bewerten, Richten, Urteilen).
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2.3 Nichttäter
XV
Texte aus folgenden Bereichen und folgende Autoren wurden untersucht: Politik/Gesellschaftskritik • für die westlichen Besatzungszonen bzw. die Bundesrepublik: Konrad Adenauer, Kurt Schumacher, Theodor Heuss, die Gründungsaufrufe von KPD, SPD, CDU, LDPD, NDPD, die Ministerpräsidenten Reinhold Maier von Württemberg-Baden, Karl Geiler von Hessen und Hans Ehard von Bayern, die Oberbürgermeister Wilhelm Kaisen von Bremen, Ernst Reuter von Berlin, Max Brauer von Hamburg, Justizminister Thomas Dehler, der Präsident des Wirtschaftsrats Erich Köhler, Wilhelm Keil, der Generalsekretär des Länderrates der Bizone Heinrich Troeger, der CDU-Politiker, Justiziar der gesamtdeutschen evangelischen Synode und Bundestagspräsident Hermann Ehlers, der Wirtschaftsminister Ludwig Erhard, das Gründungsprotokoll des DGB mit einem Beitrag von Hans Böckler, programmatische Schriften, wie ‚Das Demokratische Deutschland‘, der Kanzlerberater Wilhelm Röpke, der niedersächsische Kultusminister Adolf Grimme, der CDU-Politiker und Gewerkschafter Jakob Kaiser sowie der Innenminister Gustav Heinemann, das Grundgesetz mit den Grundrechtsartikeln und einem Kommentar von 1949; für die SBZ/DDR: Wilhelm Pieck, Otto Grotewohl, Franz Dahlem, Anton Ackermann, Alexander Abusch, Hilde Benjamin, Protokolle des ersten Parlaments der FDJ mit einer Rede Erich Honeckers, Walter Ulbricht, Wolfgang Leonhard; Theologie • Martin Niemöller, Romano Guardini, Hans-Christian Asmussen, Otto Dibelius, Heinrich Grüber, der katholische Bischof Konrad Graf von Preysing, Max Pribilla, Paul Althaus, Karl Heim, Günter Jacob, Walter Künneth, Heinrich Vogel, Günther Dehn, Helmut Gollwitzer, das Stuttgarter Bekenntnis und Texte der Konferenz von Treysa sowie synodale Erklärungen; Rechtswesen • Siegfried J. Bader, Gustav Radbruch; Wissenschaft/Philosophie • Gertrud Bäumer, Alfred Weber, Viktor von Weizsäcker, Gerd Tellenbach, Friedrich Meinecke, Hans Rothfels, Hans-Joachim Schoeps, Gerhard Ritter, Julius Ebbinghaus, Theodor Litt, Karl
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XVI
2 Die Diskursbeteiligten und die Quellentexte
Jaspers, Eduard Spranger, Heinrich Deiters, Rudolf Smend, Alfred Müller-Armack, Alexander Mitscherlich, Fred Mielke; Kunst/Dichtung • Reinhold Schneider, Ernst Nossack, Ruth Andreas-Friedrich, Carl Zuckmayer, Hans Hellmut Kirst, Wolfgang Borchert, Walter Kolbenhoff, Günter Weisenborn, Alfred Andersch, Wolfgang Koeppen, Bertolt Brecht, Oda Schäfer, Erich Kästner, Walter Dirks, Marie Luise Kaschnitz, Wolfgang Weyrauch, Ernst Jünger, die Protokolle des ersten deutschen Schriftstellerkongresses, programmatische Texte des ‚Kulturbunds zur demokratischen Erneuerung Deutschlands‘. Dieses Teilkorpus von Texten der Nichttäter umfasst ein Mehrfaches des Anteils von Opfer- und von Tätertexten. Insofern stellt sich der Diskurs der Nichttäter ungleich komplexer und aspektreicher dar, was sich wiederum in der ungleich größeren Differenziertheit der analytischen Befunde und ihrer Darstellung widerspiegelt und in der lexikalisch-semantischen Struktur dieses Schulddiskurses. Diese drei Subdiskurse der Opfer, Täter und Nichttäter dokumentieren das nachkriegsdeutsche Reden über die Schuld der Deutschen aus den drei Perspektiven der Beteiligungen. Sie zeigen, dass jede Perspektive ihre je spezifischen Referenzen und Argumentationsziele fokussiert und jeder Teildiskurs ein eigenes System darstellt, ohne Rekurrenzen auf die anderen Teildiskurse.
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3 Der Wortschatz des Schulddiskurses Das Wörterbuch zum Schulddiskurs der frühen Nachkriegszeit enthält Informationen zum Wortschatz auf drei Ebenen. Es stellt den, den Schulddiskurs strukturierenden Wortschatz dar 1. in der alphabetisch von A bis Z angeordneten Lemmaliste des Gesamtwortschatzes, 2. perspektivisch durch die Kennzeichnung der die jeweiligen Teilwortschätze benutzenden Sprechergruppen, 3. in den Wörterbuchartikeln, die die semantischen Strukturen des Wortschatzes darstellen. Diese semantischen Strukturen werden semasiologisch, in Bezug auf die Wortbedeutungen, und onomasiologisch, in Bezug auf die Netzstrukturen der Teilwortschätze, erkennbar gemacht. 1. Gesamtwortschatz Das Wörterbuch besteht aus dem den Schulddiskurs repräsentierenden Wortschatz. Es umfasst eine Auswahl der 85 für besonders relevant gehaltenen Hauptlemmata und weit über 200 Sublemmata. Diese werden nicht immer im Artikelkopf dargestellt, sind jedoch stets im Dokumentationsteil belegt. Der Wortschatz entspricht auf dieser Ebene der Makrostruktur der alphabetischen Liste der Hauptlemmata von Abendland bis Zukunft, der abgeleiteten Sublemmata, sowie, vereinzelt, der in einer Bedeutungsbeziehung zu den Hauptlemmata stehenden, aber nicht zur Wortfamilie gehörenden Sublemmata. Diese Lemmaliste gibt Auskunft über die Bezeichnungsstruktur des in dem Wörterbuch dargestellten Wortschatzes zum nachkriegsdeutschen Schulddiskurs (s. u. 7.1 Gesamtlemmaliste). 2. Teilwortschätze Das Wörterbuch besteht auf dieser Ebene aus den drei von den Sprecherperspektiven Opfer, Täter und Nichttäter abhängigen Wortschatzbereichen. Der Informationswert auf dieser Ebene besteht darin, dass Beziehungen sichtbar werden zwischen der Sprechergruppe und dem von ihr jeweils zur Realisierung des Schulddiskurses gebrauchten Wortschatzbereich. Innerhalb der jeweiligen Sprechergruppe ist der Wortschatz auch auf dieser Ebene alphabetisch geordnet. Insofern gibt diese Ebene Auskunft über die perspektivenspezifische Bezeichnungsstruktur des jeweiligen Teilwortschatzes zum nachkriegsdeutschen Schulddiskurs.
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XVIII
3 Der Wortschatz des Schulddiskurses
Kennzeichnend für die Opferperspektive ist z. B., dass, korrespondierend mit der berichtenden, dokumentierenden, darstellenden Funktion des Opferdiskurses, das Vokabular unterscheidbar ist nach – die spezifischen Örtlichkeiten eines KZ bezeichnenden Ausdrücken (Appellplatz, Baracke, Block, Bunker, Draht, Gas, Krematorium, Revier, Steinbruch), – Ausdrücken zur Bezeichnung seelischer Befindlichkeiten (Angst, Apathie), – Zustände bezeichnenden Ausdrücken (Muselman(n), Transport), – für die Existenz als KZ-Häftling typische Sachverhalte bezeichnenden Ausdrücken (Nummer, Selektion, Tod), – denjenigen Bezeichnungen, die die Täter, denen die Opfer ausgesetzt sind, erfassen (Sadist, SS), – auf die Situation nach der Befreiung bezogenen Ausdrücken (Antifaschist, frei, Kämpfer, Leben, Pflicht) (s. u. 7.2 Lemmaliste Opferdiskurs). Die Täterperspektive ist lexikalisch charakterisiert durch einen Wortschatzbereich, der im Zuge der argumentativen Handlungen der Täter insgesamt eine rechtfertigende Funktion hat. Diese Funktion kann weiterhin präzisiert werden mit den Wortgebrauch kennzeichnenden Merkmalen – ‚marginalisierend‘ (Irrtum) und – ‚idealisierend‘ (Dienst, Gehorsam, Glaube, Hoffnung, Liebe, Pflicht, treu) (s. u. 7.3 Lemmaliste Täterdiskurs). Das Vokabular der Nichttäter bildet ein komplexes Lexikon, bestehend aus denjenigen lexikalischen Diskursrepräsentanten, die die unterschiedlichen Funktionen des Nichttäterdiskurses (s. o.) repräsentieren und strukturieren. Dementsprechend besteht das Vokabular der Nichttäter z. B. aus lexikalischen Elementen, die – die Funktion des Geständnisses realisieren, das sind z. B. diejenigen Ausdrücke, die Eigenschaften der Deutschen bezeichnen, von denen die Nichttäter annehmen, dass sie den Nationalsozialismus befördert haben (Gehorsam, Idealismus, Militarismus, politische Unreife), – die Funktion des Rechtfertigens von Ansprüchen realisieren, das sind z. B. diejenigen Ausdrücke, die Eigenschaften und Einstellungen der Deutschen bezeichnen, von denen die Nichttäter annehmen, dass sie die Berechtigung ihres Anspruchs auf Rehabilitierung belegen (Abendland, Christentum, deutsch, Geist, Humanismus, Kultur, verschüttet),
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3 Der Wortschatz des Schulddiskurses
–
–
XIX
die Funktion des Richtens realisieren, das sind z. B. diejenigen Ausdrücke, mit denen die Nichttäter die Folgen des Anteils der Deutschen am Nationalsozialismus gleichsam im Sinn von Verpflichtungen bezeichnen (Aufgabe, Gesundung, Haftung, Katharsis, Reinigung, Revision, Strafe, Sühne, Verantwortung, Wiedergutmachung). Signifikant für den Wortschatz der Nichttäter sind außerdem z. B. gegenwartsbezeichnende Ausdrücke (apokalyptisch, Finsternis, Gegenwart, heute, neu, Stunde, Wende, Zeit) (s. u. 7.4 Lemmaliste Nichttäterdiskurs).
3. Wörterbuchartikel Das Wörterbuch besteht auf der Ebene der Wortartikel aus den begrifflich-semantischen Beschreibungen derjenigen Lemmata, die den Schulddiskurs repräsentieren. Diese Beschreibungen bestehen zum einen in Angaben zu den Gebrauchsbedingungen, die die Verwendung des jeweiligen Lemmas durch die jeweilige Diskursgemeinschaft kennzeichnet, zum andern in Angaben zu den semantischen Vernetzungen des Diskurswortschatzes. Die Bedeutungsstruktur der Lemmata wird demnach semasiologisch und onomasiologisch dargestellt. Außerdem werden die Verwendungsweisen der Lemmata in dem Belegteil des Wörterbuchartikels ausführlich dokumentiert.
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4 Artikelaufbau Der Aufbau der Artikel ist maßvoll standardisiert nach vier Abschnitten: • Angesetzt ist das Hauptlemma, darunter werden gegebenenfalls die Ableitungen und Zusammensetzungen verzeichnet (z. B. frei/Freiheit/Befreiung/Selbstbefreiung). In einigen Fällen werden hier auch bedeutungsverwandte, in einer begrifflichen Beziehung zum Hauptlemma stehende Lemmata angeführt, die keinen eigenen Artikel haben, sondern in dem Artikel zu dem Hauptlemma mit dargestellt sind (z. B. apokalyptisch/eschatologisch, Finsternis/Verfinsterung/dunkel/Nacht, Krematorium/Krematoriumskamin/Krematoriumsofen/Kamin/Ofen/Schornstein, nominell/ Mitläufer). • Im Anschluss an diese Angaben des Hauptlemmas, der Wortfamilie und des Wortfeldes folgt der Hinweis auf die Sprecherperspektive Opfer, Täter oder Nichttäter. Gegebenenfalls wird die Sprecherperspektive der Nichttäter weiter ergänzt durch die Angabe des politischen Systems mit Ost bzw. West. • Es folgt der Artikelkopf, der die semantischen, enzyklopädischen und Gebrauchs-Informationen enthält. Diese Informationen werden in narrativem Stil mitgeteilt, denn das Wörterbuch soll auch ein Lese-Buch sein. Die Informationen werden in der Regel gestützt mit Beispielen, die aus dem Belegteil stammen, also authentisch sind, die jedoch für die Verwendung im Artikelkopf u. U. gekürzt bzw. vereinfacht wurden. Im Anschluss wird durch die Angabe von Autor bzw. Text (z. B.: „Adenauer“ bzw.: „Stuttgarter Schulderklärung“), Erscheinungsjahr und Seitenzahl mit „s.“ auf die Belege im Dokumentationsteil verwiesen. Es wird nicht die gesamte Bedeutungsgeschichte eines Lemmas dargestellt und beschrieben, sondern nur der in den Jahren 1945 bis 1955 belegte und aus den Diskurstexten rekonstruierte Gebrauch. Am Ende des Artikelkopfs wird gegebenenfalls auf Sekundärliteratur verwiesen. Ein wesentlicher Bestandteil jeden Artikelkopfes ist die onomasiologische Vernetzung des Diskurswortschatzes durch Verweise mit dem Verweispfeil „Õ“. Diese Vernetzung bezieht sich auf begriffliche Bedeutungsrelationen, so wird z. B. im Artikel Abendland auf Kultur, Humanismus und Christentum verwiesen. Außerdem werden antonymische und hyperonymische
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4 Artikelaufbau
•
XXI
Bedeutungsrelationen durch Verweise kenntlich gemacht. Im Artikel Angst wird z. B. auf Glück, im Artikel Antifaschist wird auf Kämpfer und Opfer verwiesen. Vernetzt werden darüber hinaus argumentativ relevante Lexemkomplexe. Im Artikel Befehl wird z. B. auf treu und auf Gehorsam verwiesen, weil diese Lemmata in denselben argumentativen Kontexten gebraucht werden. Synonymische Bedeutungsbeziehungen werden darüber hinaus auch ohne Verweise hergestellt, und zwar dann, wenn es sich um (Mehrwort-)Lexeme handelt, die keinen eigenen Artikel haben, die aber dennoch, wegen ihrer semantischen Serialität im Sinn von Ausdrucksalternativen, relevante Diskurselemente sind. So wird z. B. im Artikel Apathie die aus dem Korpus belegte Synonymik inneres Absterben, Abstumpfung des Gemüts, innere Wurstigkeit, Gleichgültigwerden, Lethargie, primitive Stufe dargestellt. Sie geht auch über die Wortartengrenze hinaus mit seelisch abriegeln, stumpf geworden, primitiviert. Wenn ein Lemma von Angehörigen verschiedener Sprecherperspektiven bzw. politischen Systemen gebraucht wird, besteht der Artikel wo nötig aus einem allgemeinen, einführenden Teil, dem sich dann der perspektiven- und systemgebundene Darstellungsteil anschließt (siehe z. B. den Artikel Demokratie). Ein dokumentierender Belegteil (auf den im Artikelkopf durch Quellenangabe verwiesen wird) schließt den Artikel ab. Die Belege weisen den jeweiligen Wortgebrauch im Kontext nach. Sie sind nach den drei Sprecherperspektiven unterschieden und chronologisch angeordnet. Eine Anordnung der Belege nach dem Kriterium „Ost“ bzw. „West“ wurde nicht vorgenommen. Die Quellenangabe besteht aus dem Namen des Autors bzw. der Bezeichnung des Textes (z. B. „Adenauer“ bzw. „Stuttgarter Schulderklärung“), einer Jahresangabe sowie der Angabe der Seitenzahl. Mit dem Quellenverzeichnis sind sie erschließbar. Die Belegung des Wortgebrauchs ist z. T. sehr ausführlich, sowohl hinsichtlich der Anzahl als auch der Länge der Belege. Die z. T. hohe Zahl von Belegen resultiert aus dem Typ des vorliegenden Wörterbuchs, das einen komplexen Diskurs reflektiert. Das bedeutet, dass kollektive, also serielle Verwendungsweisen zu belegen und damit zu dokumentieren sind. Die Länge der Belege hängt ebenfalls mit dem Wörterbuchtyp zusammen, der auch die Rekonstruktion argumentativer Zusammenhänge zur Aufgabe hat, die häufig nur in größeren Textausschnitten sichtbar werden.
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XXII
4 Artikelaufbau
Das begrifflich-semantisch komplexeste Zentrum des Schulddiskurses ist der Artikel zu dem Lemma Schuld. Er bildet den Zentralartikel des Wörterbuchs zum Schulddiskurs, denn dieser Artikel ist gleichsam dessen semantisches Kondensat, in dem die Linien des thematischen Netzes des Schulddiskurses zusammenlaufen. Umgekehrt wird von diesem Zentralartikel aus auf die lexikalischen Repräsentanten des Diskurses, unterschieden nach den drei Sprecherperspektiven, verwiesen. M.a.W.: In diesem Artikel ist die Ordnungsstruktur des Wortschatzes abgebildet, der den Schulddiskurs insgesamt realisiert, und zwar pragmatisch unterschieden nach den drei Sprecherperspektiven und onomasiologisch durch die Vernetzung des lexikalischen Bestands des Schulddiskurses. Die zentrale Stellung des Lemmas Schuld im Diskurs spiegelt sich auf allen Darstellungsebenen wider: • Es ist das in wortbildnerischer Hinsicht produktivste Lemma mit 27 Zusammensetzungen und Ableitungen. • In Bezug auf die Diskursgemeinschaft ist es (neben Pflicht) das einzige diskursrelevante Lemma, dessen Gebrauch für alle drei Perspektiven signifikant belegt ist. • Hinsichtlich der drei Diskursfunktionen ist Schuld dasjenige Lemma, in dessen Bedeutungsbeschreibung die Funktionen aller drei Subdiskurse einbezogen werden können. • Hinsichtlich der semantischen Strukturen des Schulddiskurses ist Schuld dasjenige Lemma, in dessen Bedeutungsstruktur die semantische Struktur des Wortschatzes zum Schulddiskurs kondensiert. • Vom Artikel Schuld aus wird auf alle Lemmata des Schulddiskurses verwiesen.
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5 Quellenverzeichnis 5.1 Sammlungen Becker, Felix (Hg.) (1998): Konrad Adenauer. ‚Die Demokratie ist für uns eine Weltanschauung‘. Reden und Gespräche (1946–1967). Im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. herausgegeben von Felix Becker. Köln, Weimar, Wien: Böhlau. Benz, Wolfgang (1986): Die Gründung der Bundesrepublik. Von der Bizone zum souveränen Staat, München: Deutscher Taschenbuch Verlag. Bucher, Peter (Hg.) (1990): Nachkriegsdeutschland 1945–1949. (Quellen zum politischen Denken der Deutschen im 19. und 20. Jahrhundert. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe.) Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Flechtheim, Ossip (Hg.) (1963): Dokumente zur parteipolitischen Entwicklung in Deutschland seit 1945. Berlin: Dokumenten Verlag. Kleßmann, Christoph (1991): Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945–1955. 5., überarbeitete und erweiterte Auflage. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht. Kleßmann, Christoph/Georg Wagner (Hgg.) (1993): Das gespaltene Land. Leben in Deutschland 1945–1990. Texte und Dokumente zur Sozialgeschichte. München: Beck. Mahler, Karl (Hg.) (1945): Die Programme der politischen Parteien im neuen Deutschland und ihre Stellungnahme zu den wichtigsten Tagesfragen. Berlin: Aufbau. Mayer, Hans (Hg.) (1978): Deutsche Literaturkritik. Band 4: Vom Dritten Reich bis zur Gegenwart. Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuch Verlag. Münch, Ingo von (1973): Regierungserklärungen 1949–1973. Berlin: de Gruyter. Reinhold, Ursula/Dieter Schlenstedt/Horst Tanneberger (Hgg.) (1997): Erster Deutscher Schriftstellerkongreß, 4.-8. Oktober 1947, Protokoll und Dokumente. Berlin: Aufbau. Schubbe, Elimar (Hg.) (1972): Dokumente zur Kunst-, Literatur- und Kulturpolitik der SED. Stuttgart: Seewald Verlag. Schwarz, Hans Peter (Hg.) (1975): Konrad Adenauer. Reden 1917–1967. Eine Auswahl. Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt. Selbach, Josef (Hg.) (1967): Konrad Adenauer. Bundestagsreden. Bonn: AZ Studio Bonn. Söhlmann, Fritz (Hg.) (1946): Treysa 1945. Die Konferenz der evangelischen Kirchenführer 27. – 31. August 1945. Mit einem Bericht über die Synode der Bekennenden Kirche in Berlin-Spandau 29. – 31. Juli 1945 und über die unmittelbar vorausgegangenen Tagungen des Reichsbruderrates und des Lutherischen Rates. Lüneburg: Heliand-Verlag.
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5.2 Primärquellen 5.2.1 Primärquellen alphabetisch geordnet Abusch, Alexander (1946): Der Irrweg einer Nation. Ein Beitrag zum Verständnis deutscher Geschichte. Berlin: Aufbau. Ackermann, Anton (1946): Gibt es einen besonderen deutschen Weg zum Sozialismus? In: Flechtheim (Hg.), S. 336–355. Adelsberger, Lucie (1956): Auschwitz. Ein Tatsachenbericht. Ein Vermächtnis der Opfer für uns Juden und für alle Menschen. Neu herausgegeben, ergänzt und mit einem Anhang versehen von Eduard Seidler. Bonn: Bouvier 2001. Adenauer, Konrad (1945): Ansprache des Oberbürgermeisters Adenauer vor der von der britischen Militärregierung ernannten Kölner Stadtverordneten-Versammlung, 1. Oktober 1945. In: Schwarz (Hg.), S. 79–81. Adenauer, Konrad (1946): Rede vom 24.3.1946. In: Bucher (Hg.), S. 138–165. Adenauer, Konrad (1949a): Regierungserklärung vom 20. September 1949. In: Schwarz (Hg.), S. 173–175. Adenauer, Konrad (1949b): Wiedergutmachung des vom NS-Regime gegenüber Juden begangenen Unrechts. Interview des Bundeskanzlers, 25. November 1949. In: Benz (Hg.), S. 169. Adenauer, Konrad (1949c): „Die Demokratie ist für uns eine Weltanschauung“. In: Becker (Hg.), S. 52 f. Adenauer, Konrad (1950): Regierungserklärung ‚Verteidigungsbeitrag‘, 8.11.1950. In: Selbach (Hg.), S. 69–78. Adenauer, Konrad (1951a): „Deutschland und der Friede in Europa“. Ansprache vor den Nouvelles Equipes Internationales in Bad Ems, 14. September 1951. In: Schwarz (Hg.), S. 224–231. Adenauer, Konrad (1951b): Regierungserklärung vom 27. September 1951. In: Vogel (Hg.), S. 46 ff. Adenauer, Konrad (1952a): „Verständigung, Frieden und Freiheit“. Ansprache in der Frankfurter Universität, 30. Juni 1952. In: Schwarz (Hg.), S. 254–258. Adenauer, Konrad (1952b): Bericht zur politischen Lage auf der Sitzung des Bundesparteiausschusses der CDU in Bonn, 14. Juni 1952. In: Schwarz (Hg.), S. 237–253. Adenauer, Konrad (1952c): Rede beim Parteitag der CDU in Berlin, 18. Oktober 1952. In: Schwarz (Hg.), S. 281–287.
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5.2 Primärquellen
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XXXI
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XL
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XLI
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5.2.2 Primärquellen nach Beteilungsrollen geordnet Opfer Adelsberger 1956, Adler 1955, Andersch 1946, 1952, Bock 1947, Brill 1946, Dahlem 1945, 1947, Dietmar 1946, Eberle 1946, Eggerath 1947, Eiden 1946, Frankl 1945, Geschke 1945, 1946, Grüber 1948, Hartmann 1946, Kautsky 1948, Keim 1946, Klemperer 1947, 1945–1959, Klieger 1958, Kogon 1946a, Kupfer-Koberwitz 1956, Löbe 1949a, Müller-Meiningen 1946, Niekisch 1953, Niemöller 1945, 1946, Raddatz 1947, Schifko-Pungartnik 1946, Schlabrendorff 1946, Schlotterbeck 1945a/b, Steinwender 1946, Thape 1945, Vermehren 1946, Weisenborn 1946, Wiechert 1948.
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XLVIII
5 Quellenverzeichnis
Täter Best 1949, Diels 1950, Dietrich 1955, Dönitz 1945, 1946, Frank 1945/46, 1946, Frick 1946, Fritzsche 1946, Funk 1946, Göring 1946, Heß 1946, Höß 1947, Jodl 1946, Kaltenbrunner 1946, Keitel 1946, Kesselring 1950, 1953, Leeb 1950, List 1950, Meißner 1950, Neurath 1946, Papen 1946, 1952, Pohl 1950, Raeder 1946, Ribbentrop 1946, Rosenberg 1945/46, 1946, Sauckel 1946, Schacht 1946, 1948, 1953, Schirach 1946, Schmitt 1945–1947, Seyss-Inquart 1946, Speer 1945–1955, Streicher 1946. Nichttäter Abusch 1946, Ackermann 1946, Adenauer 1945, 1946, 1949a/b/c, 1950, 1951a/b, 1952a/b/c, 1953a/b, 1955, Adorno 1945, 1950, Aich 1947, Althaus 1945a/b/c/d, 1946, Andreas-Friedrich 1938–1945, Arendt-Jaspers 1926–1969, Asmussen 1946, 1947, Bächler 1950, Bader 1946, 1949, Bäumer 1946, Becher 1947, 1951, 1953, Benjamin 1953, Benz 1945, Böckler 1945, Böhm 1945, Bolz 1948, Borchert 1947, Brandt 1949, Brauer 1946, Brecht 1945, 1947, 1955, Bredel 1947, Dehler 1951, Deiters 1945, Dehn 1946, Dibelius 1945, 1947, Diem 1947, Dirks 1946a/b, Döblin 1946, Dönhoff 1945, Ebbinghaus 1945a/b/c/d/e, 1946, Eckert 1946, Ehard 1949, 1950, Ehlers 1954, Erhard 1945, Färber 1947, Fechner 1953, Freund 1954, Friedensburg 1947, Friedlaender 1947, Fuchs 1948, Gablentz 1949, Gebhardt 1947, Geiler 1946a/b/c, 1947a/b, 1948, Gollwitzer 1951, Grimme 1945a/b, 1946a/b/c/d/e/f, 1947, Grotewohl 1947, 1949a/b, 1950a/b, 1951a/b, 1952a/b, Grüber 1947, Guardini 1946, Hagelstange 1947, Hammelsbeck 1946, 1950, Harbsmeier 1946, Harich 1947, Harm 1946, Heim 1946, 1949, Heinemann 1945/46, 1949a/b, Hermlin 1947, Heuss 1946a/b, 1948, 1949a/b, 1953, 1954, Holtum 1947, Honecker 1946, Huch 1947, Jacob 1947, 1950, Jansen 1945, Jaspers 1945a/b, 1946, Jünger 1950, 1951, Kaisen 1945, 1946, Kaiser 1945, 1946a/b/c/d, 1947, 1950, Kantorowicz 1947, Kaschnitz 1945, Kästner 1945, Keil 1948, 1953, Kerckhoff 1947, Kirschweng 1946, Kirst 1954, Koeppen 1951, 1953, 1954, Kogon 1946b/c, 1947a/b/c, Köhler 1947, 1948, Kolbenhoff 1949, Kuhn 1954, Künneth 1947, Kupisch 1949, Langhoff 1947, Laun 1950, Lehmann 1950, Leonhard 1955, Litt 1947, 1948, Löbe 1949b, Löwenthal 1948, Maier 1948, Meinecke 1946, Milan 1952, Mitscherlich/
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5.3. Sekundärquellen
XLIX
Mielke 1947, Moras 1954, Müller-Armack 1948, 1949, Naumann 1946, Niemöller 1945b, 1946, Nigg 1949, Noack 1946, Nossack 1943–1977, Osterloh 1950, Paeschke 1954, Pechel 1947, Pieck 1945a/b, 1946a/b, 1947, 1948, 1949, 1952, Plank 1946, Preysing 1945a/b/c, Pribilla 1947, Radbruch 1946, Reger 1945, Remarque 1954, Reuter 1947, 1950, Rilla 1948, Rinser 1946, Ritter 1946, 1948, 1954, Röpke 1948, Rothfels 1949, 1954, 1955, Salomon 1953, Schaefer 1946, Schmid 1948, Schmidt 1948, Schneider 1945, Schoeps 1953, Schumacher 1945a/b/c, 1946a/b, 1949, 1952, Smend 1945, 1946, Spranger 1947, 1951, Stegerwald 1945, Steinbüchel 1946/47, 1947, 1949, Steinhoff 1947, Steltzer 1945, 1946a/b, 1947, Sternberger 1946, Süskind 1954, Thielicke/Diem 1948, Tellenbach 1946a/b, Troeger 1947–1949, Ulbricht 1945a/b, Vaubel 1945–1949, Viertel 1947, Vogel 1946, Voßler 1946, Weber 1945, 1946, Weimann 1946, Weinert 1947, Weisenborn 1947, Weizsäcker 1949, Weyrauch 1949, Wiechert 1945, 1946, Windisch 1946, Wittram 1949, Wolf 1947, Wunderle 1946, Wurm 1945, Zinn 1951, Zuckmayer 1946.
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7 Lemmalisten 7.1 Gesamtlemmaliste Abendland abendländisch Angst Todesangst Transportangst Antifaschist antifaschistisch antifaschistisch-demokratisch Apathie apokalyptisch eschatologisch Appellplatz Aufgabe Rehabilitierungsaufgabe Auschwitz auserwählt Baracke Judenbaracke Barackenfenster Befehl Führerbefehl befehlsgemäß befehlen Block Armenblock Krankenblock Zugangsblock Blockälteste Blockführer Blockschreiber Bunker Bunkermeister Christentum christlich christlich-abendländisch Dämon dämonisch Dämonie Demokratie Volksdemokratie demokratisch antifaschistisch-demokratisch freiheitlich-demokratisch undemokratisch volksdemokratisch Demokrat Demokratisierung deutsch neudeutsch Deutschland Deutschsein Deutschtum Deutsche Dienst dienen Draht Stacheldrahtzaun Zaun Stacheldraht(umzäunung) Faschismus Hitlerfaschismus Nazifaschismus Finsternis Verfinsterung dunkel Nacht frei Freiheit Befreiung Selbstbefreiung Freiheit freiheitlich freiheitlich-demokratisch frei Frieden friedlich friedliebend Gas Gaskammer vergasen Bad Brause Duschraum Sauna Gegenwart gegenwärtig Gegenwärtige geheim geheim halten Geheimhaltung insgeheim Geheimnis Geheimnissorgfalt Gehorsam Kadavergehorsam Gehorsamsbegriff Gehorsamsdrang Gehorsamspflicht gehorsam gehorchen Geist Geistesleben Geistesumbruch geistig durchgeistigen Geschichte Geschichtsbild Geschichtsurteil geschichtlich Gesundung gesunden Genesung genesen Glaube Glaubensverfolgung glauben Glück glückhaft Haftung Erbenhaftung Gesamthaftung haftbar gesamthaftbar haften Haltung hart
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7.1 Gesamtlemmaliste
LVII
heute Heute heutig Heutige Hitler Hitlerismus Hoffnung hoffen Humanismus humanistisch Idealismus Idealvorstellungen Irrtum Irrtümer irren irrig Kämpfer Freiheitskämpfer Mitkämpfer Katharsis Kollektivschuld Kollektivschuldthese Kollektivbeschuldigung Kollektivschuldiger Kollektivanklage Kollektivjustiz Kollektivscham Kollektivstrafe Kollektivurteile Kollektivverantwortung Kollektivvorstellungen krank Krankheit Krankheitsgeschichte Krankheitsherd Krankheitskeim Krematorium Krematoriumskamin Krematoriumsofen Kamin Ofen Schornstein Kultur kulturgestaltend kulturtragend Kulturauffassung Kulturbund Kulturerbe Kulturgemeinschaft Kulturgut Kulturkrise Kulturvolk Kulturwerte kulturell Leben lebend überleben Überlebende Liebe lieben Masse Volksmassen Massenbewegungen Massengesellschaft Massenhypnose Massenleidenschaften Massewerden Militarismus Militär militärisch Muselman(n) Nationalsozialismus Nazismus nazistisch Nationalsozialist Nazi Nazineu Neuanfang Neuaufbau Neubau Neugestaltung Neuordnung Neues Erneuerung erneuert nie wie noch nie, wie nie, noch nie, nie so .. als, wie noch nie zuvor, wie niemals, niemals .. als, niemals vorher nominell Mitläufer Nummer Opfer Pflicht Ehrenpflicht Gehorsamspflicht Soldatenpflicht Pflichtbegriff Pflichtbewusstsein Pflichteifer Pflichterfüllung Pflichtgefühl Pflichtenmensch pflichttreu verpflichten verpflichtet Verpflichtung politische Unreife politisch einfältig politische Indifferenz politisch unmündig apolitisch unpolitisch Reinigung Selbstreinigung Reinigungsaktion reinigen reinigend reinwaschen Revier Revision Sadist Sadismus Scham Kollektivscham schämen Schuld Blutschuld Einzelschuld Gesamtschuld Hauptschuld Kollektivschuld Kulturschuld Mitschuld Riesenschuld Willensschuld Schuldbegriff Schuldbekenntnis Schuldfrage Schuldgefühle schuldhaft Schuldkonto Schuldpro-
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LVIII
7 Lemmalisten
blem schuldig mitschuldig unschuldig Schuldigerklärungen Schuldige Mitschuldige beschuldigen entschuldigen Beschuldigte Verschulden selbstverschuldet Selektion SS Lager-SS SSler SS-Bande SS-Bonzen SS-Führung SS-Hauptsturmführer SSLeute SS-Mann SS-Oberscharführer SS-Obersturmbannführer SS-Obersturmführer SS-Scharführer SS-Standartenführer SS-Sturmbannführer SSTotenkopf-Verband SS-Vergnügen SS-Weiber Steinbruch Strafe bestrafen Bestrafter Bestrafung Stunde Gerichtsstunde Gnadenstunde Gottesstunde Schicksalsstunde Weltstunde Sühne Sühnefähige Sühnemaßnahmen sühnen Mitsühnende Tod Todesangst Todesarten Todeskandidat Todeslager Todesurteil Todgeweihte Transport Alterstransport Krankentransport Massentransport Todestransport Vergasungstransport Transportabteilung Transportarzt Transportaviso Transportevidenz Transportfähigkeit Transporthilfe Transporthundertschaft Transportkommission Transportleiter Transportleitung Transportliste Transportnummer Transportpost Transportschutz Transportteilnehmer Transportunfähigkeit Transportverständigung treu pflichttreu Treue Treueid Verantwortung Gesamtverantwortung Hauptverantwortung Mitverantwortung verantwortlich mitverantwortlich Verantwortlichkeit Mitverantwortlichkeit verschüttet Volk Volksdemokratie volksfeindlich Volksherrschaft Volksmassen Volksrechte Volksregierung Volksschichten Volksteile Wende Schicksalswende Weltwende Zeitenwende Wendepunkt Wendezeit Wiedergutmachung wiedergutmachen Winkel Zebrakleidung Zeit Entscheidungszeit Schicksalszeit Weltzeit Wendezeit Zeitabschnitt Zeitalter Zeitgraben Zeit(en)wende Zukunft Zukunftsperspektiven zukünftig
7.2 Lemmaliste Opferdiskurs Angst Todesangst Transportangst Antifaschist antifaschistisch Apathie Appellplatz Auschwitz Baracke Judenbaracke Barackenfenster
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7.3 Lemmaliste Täterdiskurs
LIX
Block Armenblock Krankenblock Zugangsblock Blockälteste Blockführer Blockschreiber Bunker Bunkermeister Draht Stacheldrahtzaun Zaun Stacheldraht(umzäunung) frei Freiheit Befreiung Selbstbefreiung Gas Gaskammer vergasen Bad Brause Duschraum Sauna Glück glückhaft Kämpfer Freiheitskämpfer Mitkämpfer Krematorium Krematoriumskamin Krematoriumsofen Kamin Ofen Schornstein Leben lebend überleben Überlebende Muselman(n) Nummer Opfer Pflicht Pflichtbewusstsein verpflichtet Verpflichtung Revier Sadist Sadismus Schuld unschuldig Schuldige Selektion SS Lager-SS SSler SS-Bande SS-Bonzen SS-Führung SS-Hauptsturmführer SSLeute SS-Mann SS-Oberscharführer SS-Obersturmbannführer SS-Obersturmführer SS-Scharführer SS-Standartenführer SS-Sturmbannführer SSTotenkopf-Verband SS-Vergnügen SS-Weiber Steinbruch Tod Todesangst Todesarten Todeskandidat Todeslager Todesurteil Todgeweihte Transport Alterstransport Krankentransport Massentransport Todestransport Vergasungstransport Transportabteilung Transportarzt Transportaviso Transportevidenz Transportfähigkeit Transporthilfe Transporthundertschaft Transportkommission Transportleiter Transportleitung Transportliste Transportnummer Transportpost Transportschutz Transportteilnehmer Transportunfähigkeit Transportverständigung Winkel Zebrakleidung
7.3 Lemmaliste Täterdiskurs Befehl Führerbefehl befehlsgemäß befehlen Dämon dämonisch Dämonie Dienst dienen geheim geheim halten Geheimhaltung insgeheim Geheimnis Geheimnissorgfalt Gehorsam Gehorsamsbegriff Gehorsamspflicht gehorchen Glaube Glaubensverfolgung glauben hart heute heutig
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LX
7 Lemmalisten
Hitler Hoffnung hoffen Irrtum Irrtümer irren irrig Liebe lieben Pflicht Ehrenpflicht Gehorsamspflicht Soldatenpflicht Pflichtbewusstsein Pflichterfüllung pflichttreu Schuld Blutschuld Schuldbewusstsein schuldlos schuldig beschuldigen entschuldigen verschulden treu pflichttreu Treue Treueid
7.4 Lemmaliste Nichttäterdiskurs Abendland abendländisch Antifaschist antifaschistisch antifaschistisch-demokratisch apokalyptisch eschatologisch Aufgabe Rehabilitierungsaufgabe auserwählt Christentum christlich christlich-abendländisch Dämon dämonisch Dämonie Demokratie Volksdemokratie demokratisch antifaschistisch-demokratisch freiheitlich-demokratisch undemokratisch volksdemokratisch Demokrat Demokratisierung deutsch neudeutsch Deutschland Deutschsein Deutschtum Deutsche Faschismus Hitlerfaschismus Nazifaschismus Finsternis Verfinsterung dunkel Nacht Freiheit freiheitlich freiheitlich-demokratisch frei Frieden friedlich friedliebend Gegenwart gegenwärtig Gegenwärtige Gehorsam Kadavergehorsam Gehorsamsdrang gehorsam gehorchen Geist Geistesleben Geistesumbruch geistig durchgeistigen Geschichte Geschichtsbild Geschichtsurteil geschichtlich Gesundung gesunden Genesung genesen Haftung Erbenhaftung Gesamthaftung haftbar gesamthaftbar haften Haltung heute Heute heutig Heutige Hitlerismus Humanismus humanistisch Idealismus Idealvorstellungen Katharsis Kollektivschuld Kollektivschuldthese Kollektivbeschuldigung Kollektivschuldiger Kollektivanklage Kollektivjustiz Kollektivscham Kollektivstrafe Kollektivurteile Kollektivverantwortung Kollektivvorstellungen krank Krankheit Krankheitsgeschichte Krankheitsherd Krankheitskeim
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7.4 Lemmaliste Nichttäterdiskurs
LXI
Kultur kulturgestaltend kulturtragend Kulturauffassung Kulturbund Kulturerbe Kulturgemeinschaft Kulturgut Kulturkrise Kulturvolk Kulturwerte kulturell Masse Volksmassen Massenbewegungen Massengesellschaft Massenhypnose Massenleidenschaften Massewerden Militarismus Militär militärisch Nationalsozialismus Nazismus nazistisch Nationalsozialist Nazi Nazineu Neuanfang Neuaufbau Neubau Neugestaltung Neuordnung Neues Erneuerung erneuert nie wie noch nie, wie nie, noch nie, nie so .. als, wie noch nie zuvor, wie niemals, niemals .. als, niemals vorher nominell Mitläufer Pflicht Pflichtbegriff Pflichteifer Pflichtgefühl Pflichtenmensch verpflichten Verpflichtung politische Unreife politisch einfältig politische Indifferenz politisch unmündig apolitisch unpolitisch Reinigung Selbstreinigung Reinigungsaktion reinigen reinigend reinwaschen Revision Scham Kollektivscham schämen Schuld Einzelschuld Gesamtschuld Hauptschuld Kollektivschuld Kulturschuld Mitschuld Riesenschuld Willensschuld Schuldbegriff Schuldbekenntnis Schuldfrage Schuldgefühle schuldhaft Schuldkonto Schuldproblem schuldig mitschuldig unschuldig Schuldigerklärungen Schuldige Mitschuldige Beschuldigte Verschulden selbstverschuldet Strafe bestrafen Bestrafter Bestrafung Stunde Gerichtsstunde Gnadenstunde Gottesstunde Schicksalsstunde Weltstunde Sühne Sühnefähige Sühnemaßnahmen sühnen Mitsühnende Verantwortung Gesamtverantwortung Hauptverantwortung Mitverantwortung verantwortlich mitverantwortlich Verantwortlichkeit Mitverantwortlichkeit verschüttet Volk Volksdemokratie volksfeindlich Volksherrschaft Volksmassen Volksrechte Volksregierung Volksschichten Volksteile Wende Schicksalswende Weltwende Zeitenwende Wendepunkt Wendezeit Wiedergutmachung wiedergutmachen Zeit Entscheidungszeit Schicksalszeit Weltzeit Wendezeit Zeitabschnitt Zeitalter Zeitgraben Zeit(en)wende Zukunft Zukunftsperspektiven zukünftig
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Wörterbuchteil
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Abendland
Abendland abendländisch Nichttäter West Abendland/abendländisch zur Bezeichnung der durch griechische und römische Klassik und durch das Christentum geprägten Wertorientierung sind im Westen viel gebrauchte Leitwörter der frühen Nachkriegszeit, denen im Osten Kulturerbe (ÕKultur), ÕHumanismus und antifaschistisch (ÕAntifaschist) entspricht. Häufige Kontextpartner sind ÕChristentum und christlich, in Wendungen wie christliches Abendland, Abendland und Christentum, sowie Antike. Mit diesem „vierten Humanismus“ wird „nach 1945 das Bemühen um den Nachweis spürbar, daß die Antike der Gegenwart viel näher stehe als das Mittelalter.“ (Overesch 1989, S. 44) Insofern komprimiert Abendland die Verbindung Antike und Christentum, die sich historisch auf die Teilung des römischen Imperiums bezieht „in einen weströmischen und einen byzantinischen Bereich und auf [die] daraus resultierende[…] Spaltung der Kirche in eine abendländisch-lateinische und eine morgenländisch-griechische. Das auf diesem Boden gedeihende Sonderbewußtsein des Abendlandes wurde noch gefördert durch den Aufstieg des mittelalterlichen deutschen Reiches und des römischen Papsttums und erfuhr eine weitere entscheidende Stärkung durch die Kreuzzüge, die Ausbreitung des Islam im Mittelmeerraum und die Eroberung von Byzanz durch die Türken (1453).“ (Winzer 1982, s.v. Abendland) Mit Abendland/abendländisch wird innerhalb des westlichen Diskurses einerseits der Schuldanteil der Deutschen am Nationalsozialismus relativiert (s. Wiechert 1949, S. 280; Ehlers 1954, S. 354). Andererseits wird der Anschluss an die deutsche Bildungstradition bezeichnet (s. Kirschweng 1946, Heuss 1946b, S. 197, Schmid 1946, S. 11). Mit dieser eine neue Identität konstruierenden Berufung auf die geistesgeschichtliche Tradition des Abendlandes versuchen die Nichttäter, die ungewollte Isolation Nachkriegsdeutschlands aufzuheben. Die Deutschen beanspruchen damit, sich wieder den Verwaltern der geistigen Güter der Welt zu assoziieren und schließen sich der westlichen Wertegemeinschaft an. Die Überzeugung, dieser Wertegemeinschaft immer schon angehört zu haben, drückt sich aus in Formulierungen wie ein Zurückführen zum Fühlen und Denken im abendländischen Geiste, das dem Abendlande gemeinsame Fundament, auf dem wir stehen, die weltbürgerliche Kulturgemeinschaft
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Abendland
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des christlichen Abendlandes, wie sie jetzt wieder aufblühen sollte (Õverschüttet; s. Schmid 1946, S. 11; Heuss 1946b, S. 197; Meinecke 1946, S. 173). Gleichzeitig dient Abendland/abendländisch in dieser Funktion als „Kampfbegriff gegen den ‚Bolschewismus‘“ (Schildt 1999, S. 34). So ist Abendland/abendländisch (wie ÕChristentum) Kategorie politischen Denkens und politischer Legitimation, und darüber hinaus beherrschendes Identifikationskonzept der geistigen Elite des Westens überhaupt, insbesondere der konservativen. Vgl. Stötzel/Wengeler 1995, S. 96 f.; Felbick 2003, s.v. Abendland Wir wollen, daß unsere alte Kultur zurückfindet zu ihrer Grundlage, zur christlichabendländischen Kultur, deren Kern die hohe Auffassung von der Würde der Person und dem Wert jedes einzelnen Menschen ist (Adenauer 1946, S. 148). In einer apokalyptischen Gegenwart gilt es nun, aus Schutt und Trümmern eine neue, bessere Welt aufzubauen. .. Dazu braucht es Ehrfurcht, Liebe, Gemeinschaft, Freiheit und Bindung, einen weltüberwindenden Glauben und eine neue Verbindung mit den ewigen Kräften, kurz, ein Zurückführen zum Fühlen und Denken im abendländischen Geiste. (Schmid 1946, S. 11) Der Begriff Abendland hat in der Abwandlung seiner geschichtlichen Bedeutung als einer einheitlichen Kulturauffassung des westlichen und mittleren Europas nur eine Ausdeutung ermöglicht und erfahren: die christliche. .. eine geistige Haltung gab ihm den wesentlichen Sinn. Antike und Christentum, Juno und Ecclesia, humanitas und caritas prägten ihn. (Naumann 1946, S. 1) Wir müssen uns mit dem, was draußen wuchs, innerlich auseinandersetzen. Wir brauchen wieder Weltluft .. Das Bewußtsein ist das dem Abendlande gemeinsame Fundament, auf dem wir stehen, das will heißen: Antike und Christentum .. die neue deutsche Form. (Heuss 1946b, S. 197) die weltbürgerliche Kulturgemeinschaft des christlichen Abendlandes, wie sie tatsächlich bestanden hat und nach unseren heißesten Wünschen jetzt wieder aufblühen sollte. (Meinecke 1946, S. 173) Das Abendland wird sozialistisch sein, oder es wird nicht sein. (Dirks 1946a, S. 201) so müßten wir dazu kommen, endlich, endlich! uns selber zu erkennen, damit wir dann auch endlich uns selber leben können, das Leben einer Provinz des Abendlandes, die gesegnet ist vom schattenlosen, durch Blut und Schmach hindurchgeretteten Genius des deutschen Volkes wie von dem edlen und großmütigen des französischen, und die langsam zu dem verschütteten Schatz ihrer eigenen Tiefen zurückfindet (Kirschweng 1946, S. 44). Und da jedes Volk des Abendlandes Helfer zum deutschen Verbrechen gestellt hat, und mochten es auch nur zwei oder drei gewesen sein, so läßt der erschreckende Schluß sich mit Sicherheit ziehen, daß weder der reine Geist noch das große Erbe der abendländischen Kultur und des Christentums imstande gewesen sind, das Einzelwesen oder gar die Masse vor dem Rückfall in die Barbarei zu bewahren. (Wiechert 1949, S. 280) Sollen wir bestehen, dann muß das Wort vom christlichen Abendland, von Menschenfreiheit und Menschenwürde, von menschlicher Bruderliebe und sozialer
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Angst
Gerechtigkeit zur Idee erglühen! Das kann nur geschehen, wenn sich das Wort von der Lüge befreit, von dieser Wortlüge, die mit ihrem Schwall alles zersetzt, wenn nicht das Wort wieder seinen echten, harten Wirklichkeitsklang erhält! (Ehard 1950, S. 94) Das christliche Abendland verträgt kein lautes Reden und keine selbstgefällige Darstellung. Die Schuld an seinem Versinken liegt auf allen Seiten. (Ehlers 1954, S. 354)
Angst Todesangst · Transportangst Opfer Im Sinn von ‚höchster Grad von Sorge und Furcht‘ und Gegensatz von ÕGlück bezeichnen die Opfer mit Angst die für sie beherrschende Seelenlage, seien sie politische Widerständler (s. Weisenborn 1946, S. 42; Adelsberger 1956, S. 13 f.), Juden, die mit dem Deportierungsbescheid rechnen mussten (s. Adler 1955, S. 663; Adelsberger 1956, S. 13 f.), oder KZ-Häftlinge, die fürchteten krank zu werden (ÕRevier), die die ÕSelektion, die Gaskammer (ÕGas), das ÕKrematorium oder den ÕTransport in ein Vernichtungslager (ÕAuschwitz) erwarteten: Angst vor Deportation, Krankheit, Strafe, Schmerz (s. Vermehren 1946, S. 104). Eine Kolonne von Juden und Polen verrichtet unter persönlicher Aufsicht des SSBauführers Erdarbeiten auf steinigem Grund. .. für abgemagerte ausgehungerte Wracks beinahe unmöglich. Nur die Angst treibt zur äußersten Kraftanstrengung. Und die Angst ist mehr als berechtigt. (Kogon 1946a, S. 115) Und dann die Angst. Du wirst ein Jahr lang Angst haben und jeden Morgen das Klopfen an deiner Tür hören .. . Du wirst .. zitternd und schwitzend durch die Straßen rennen vor Angst. (Weisenborn 1946, S. 42) Angst war das bestimmende psychologische Moment im Lager. Physische Angst vor Kälte und Hunger, Angst vor Strafe und Schmerz, Angst vor Krankheit und Sterben; und psychische Angst vor dem Verkannt-, Verachtet-, Verratenwerden, vor der Auswegslosigkeit der eigenen Situation, Angst vor der eigenen und vor der fremden Not; Angst vor der Verzweiflung, Angst vor dem Bösen in mir und rund um mich herum; Angst vor dem leiblichen und vor dem seelischen Tode; Angst, wie sie sich nur bilden kann in der Ausgeliefertheit an die Hemmungslosigkeit eines nihilistischen Radikalismus. (Vermehren 1946, S. 104) die Angst vor den täglich und nächtlich sich wiederholenden körperlichen Quälereien (Löbe 1949a, S. 228 f.). Die zielbewußte Erzeugung von Angst und Schrecken war das verruchte Mittel des Dritten Reiches, um sich blinden Gehorsam zu verschaffen. In Furcht und Zittern sollte das deutsche Volk die Diktatur erdulden .. . Das moderne Gegenstück der
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Antifaschist
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absoluten religiösen Angst ist die absolute politische Angst. Man fürchtet sich nicht mehr vor dem Jenseits, sondern man zittert schon vor dem Diesseits. (Niekisch 1953, S. 294) Das Leben in Theresienstadt wurde von der Angst vor Deportation bestimmt, die der normalen Todesangst an die Seite trat oder sie sogar ersetzte. Reaktionen und Handlungen im „Ghetto“ müssen in hohem Maße von diesem Angelpunkt aus begriffen werden. Die Transportangst wurde selten kompensiert, wirklich zu überwinden war sie wohl schwerlich, hingegen wurde sie oft mit allen erdenklichen Mitteln verhüllt, .. je länger man in Theresienstadt war, desto größer wurde auch die Transportangst. (Adler 1955, S. 663) Angst ist, was in Deinem Kämmerchen an der Wand hängt, am Fußboden kriecht und von der Decke herunterrieselt, und wenn Du den Fuß über die Schwelle setzt, Dich an der Türe umfängt und in ein unentrinnbares Netz einkapselt und lauernd hinter den Häusern lungert, um Dich anzufallen, sobald Du Dich auf die Straße wagst. Sie ist überall um Dich herum, in allen Aggregatzuständen, fest, flüssig, luftförmig, sie preßt Dich von außen und sickert in Dich hinein .. Sie dauert, in der Nacht und wischt den Schlaf von Deinen müden Lidern, und am Tag, an allen folgenden Tagen, in allen Wochen und allen Monaten, pausenlos, lückenlos. Sie hat einen Anfang und kein Ende, sie kumuliert sich und hat doch keine Gewöhnung. Ihre zermürbende Wirkung steigert sich nicht nach algebraischen Additionen, sondern in geometrischen Potenzen .. . Angst war das Leben der „politisch nicht zuverlässigen Elemente“ und der Juden überall da, wo Hitler seinen Fuß hinsetzte. .. Angst ist der Vorraum zur Hölle. (Adelsberger 1956, S. 13 f.) wir [lebten] mit der Angst vor dem Morgen, und heiss erhofften wir den Tag, an dem es uns vergönnt sein würde, lebend herauszukommen aus der Hölle von Auschwitz. (Klieger 1958, S. 52)
Antifaschist Antifaschistisch · antifaschistisch-demokratisch Opfer / Nichttäter Ost
Opfer Von politischen Opfern wird Antifaschist als Selbstbezeichnung gebraucht in der Bedeutung ‚Angehöriger des politischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus‘, vor allem auf Kommunisten, seltener auch auf Sozialdemokraten bezogen. Als Kontrahenten des Nationalsozialismus ist das Selbstbild der Antifaschisten von dem des Kämpfers (ÕKämpfer) bestimmt, mit dem sie sich explizit von den von ihnen als ÕOpfer bezeichneten nichtpolitischen Gegnern des Nationalsozialismus abgrenzen (s. Eiden 1946, S. 213). Die Bezeichnung hat eine starke gruppenkonstituierende Funktion, vgl. Hunderttausende aktive Antifaschisten, wir
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Antifaschist
Antifaschisten, wir deutsche Kommunisten und Antifaschisten, Solidarität der Antifaschisten. Als Angehörige derjenigen politischen Gruppierung, die in den Konzentrationslagern ihren Widerstand und Kampf gegen den Nationalsozialismus fortsetzen, organisieren sie innerhalb der Lagerselbstverwaltungen die Bildung illegaler Einheiten. Diesen fortgesetzten Widerstand deuten sie als charakterliche Stärke und Standhaftigkeit, vgl. die Verbindung aufrechter Antifaschist, und leiten daraus nach 1945 Ansprüche an der Beteiligung am politischen und gesellschaftlichen Aufbau ab: Wer durch die Hölle der deutschen Konzentrationslager als aufrechter Antifaschist gegangen ist, aus dem ist ein Kämpfer geworden, dem man getrost verantwortungsvolle Aufgaben im Neuaufbau des Lebens anvertrauen kann (s. Dahlem 1945, S. 265). Die adjektivische Ableitung antifaschistisch wird (häufig aus der Selbstsicht) verwendet als Eigenschaftsbezeichnung für Angehörige des politischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus, besonders auf Kommunisten, seltener auch auf Sozialdemokraten bezogen, vgl. antifaschistische Häftlinge aus allen Ländern (s. Eiden 1946, S. 258 f.). Wie Antifaschist wird auch antifaschistisch gleichsam als Legitimationsvokabel gebraucht, die, gedeutet im Sinn von ‚charakterlich stark und zuverlässig‘, nach 1945 zum Nachweis von Ansprüchen an der Beteiligung am politischen und gesellschaftlichen Aufbau dient. Antifaschistisch ist Identifikationsadjektiv der Kommunisten und Sozialisten beim Aufbau des sozialistischen Staates, abgeleitet aus den Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus als dessen radikales und konsequentes Gegenkonzept gedeutet, vgl. die Formulierung erprobte antifaschistische Kämpfer (s. Dahlem 1945, S. 252). Antifaschistisch ist darüber hinaus Bezeichnung für die gegen den Nationalsozialismus gerichtete politische Haltung, vgl. aus antifaschistischer Überzeugung, und für entsprechende Institutionen und Organisationen: antifaschistische Kampforganisation, antifaschistische Einheit (s. KPD 1945, S. 16; Eiden 1946, S. 258 f.; Bock 1947, S. 19 f.). Nichttäter Ost Als Kennzeichnung von Abstrakta wie Partei, Republik bezeichnet antifaschistisch (wie humanistisch, ÕHumanismus) eine zentrale Leitidee des sozialistischen Selbstverständnisses in der SBZ/DDR. Die westliche Entsprechung ist abendländisch (ÕAbendland) und christlich (ÕChristentum).
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Antifaschist
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Die Verbindung antifaschistisch-demokratisch (ÕDemokratie) entspricht der westlichen Fügung freiheitlich-demokratisch (ÕFreiheit) und verweist nach der Staatsgründung von 1949 im sozialistischen Selbstverständnis auf die DDR als erstem demokratischem Staat auf dem Weg in den Sozialismus, vgl. die Wendungen antifaschistisch-demokratische Republik, antifaschistisch-demokratische Parteien, antifaschistisch-demokratische Ordnung. Vgl. Felbick 2003, s.v. Faschismus/antifaschistisch; Brisante Wörter 1989, s.v. Faschismus; KpWb 1983, s.v. Antifaschismus Opfer Wir deutschen Kommunisten erklären, daß auch wir uns schuldig fühlen, indem wir es trotz der Blutopfer unserer besten Kämpfer .. nicht vermocht haben, die antifaschistische Einheit .. entgegen allen Widersachern zu schmieden. (KPD 1945, S. 16) Wir Kommunisten [bringen] aus den Konzentrationslagern ein Kapital an Zuversicht in die eigene Kraft und an allgemeinem Vertrauen mit, das uns befähigt und berechtigt, zusammen mit den erprobten antifaschistischen Kämpfern im Lande .. an die Arbeit zu gehen. (Dahlem 1945, S. 252) An die Führung und Verantwortung müssen die erprobtesten antifaschistischen Kämpfer, die im illegalen, unterirdischen Kampf, in den Gefängnissen und Konzentrationslagern, als politische Emigranten und als Kämpfer und Partisanen in den Widerstandsbewegungen anderer Länder die Probe für ihre Standhaftigkeit abgelegt haben. (Dahlem 1945, S. 265) Wer durch die Hölle der deutschen Konzentrationslager als aufrechter Antifaschist gegangen ist, dort illegale Massenarbeit leistete, mit den mannigfaltigen Problemen des Kampfes und des Lebens fertig wurde, aus dem ist ein Kämpfer mit politischer Erfahrung und taktischer Geschicklichkeit geworden, dem man getrost verantwortungsvolle und schwierige Aufgaben im Neuaufbau des Lebens anvertrauen kann. (Dahlem 1945, S. 265) Diese deutschen Antifaschisten und ihr erfolgreicher Kampf in Buchenwald gegen den Hitlerfaschismus (Eiden 1946, S. 213). [es] ging .. zunächst um die Entfernung der Berufsverbrecher aus allen Stellungen in der inneren Verwaltung und ihre Ersetzung durch Antifaschisten. Das war ein schwerer, opferreicher Kampf. Er ist von Erfolg gekrönt worden. (Eiden 1946, S. 244) Die Gewalt der SS im Lager Buchenwald war durch die kühne Tat antifaschistischer Kämpfer aller Nationalitäten gebrochen. Die 21.000 Insassen des Lagers waren gerettet, waren frei .. . In der Nacht zum 12. April erschien ein amerikanischer Offizier im Lager. Er begab sich zur Leitung der antifaschistischen Kampforganisation und informierte sie über die militärische Lage an der Front (Eiden 1946, S. 258 f.). Was gab diesen Kämpfern den Mut und die Kraft zum Durchhalten? Es war der Glaube an die Solidarität der Antifaschisten, die sich unter dem Zwang der Notwendigkeit über alle früheren Gegensätze der Weltanschauung hinwegsetzte (zit. in Hauff 1946, S. 4). Fälle des ideellen Landesverrates .. [um] aus antifaschistischer Überzeugung die militärische Niederlage Hitlers zu beschleunigen. (Bock 1947, S. 19 f.)
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Antifaschist
Das Lager wahrte im allgemeinen Disziplin und ordnete sich freiwillig den deutschen Politischen unter, die in diesen letzten Tagen in meisterhafter Weise, Mut und Klugheit richtig mischend, das Lager geführt und 21.000 Häftlingen das Leben gerettet haben. Ich als Sozialdemokrat lege auf diese Feststellung um so größeren Wert, als es sich in den verantwortlichen Stellen fast ausschließlich um Kommunisten handelte, die in vorbildlicher internationaler Solidarität allen Antifaschisten ohne Unterschied der Partei, Nation oder Konfession halfen. (Kautsky 1948, S. 340) Nichttäter Ost Aufrichtung eines antifaschistisch-demokratischen Regimes, einer parlamentarischdemokratischen Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk (Pieck 1945b, S. 59). Eine demokratische Ordnung .. ist der Boden, auf dem sich ein fester Block der antifaschistischen demokratischen Parteien bilden kann .. . Eine demokratische Ordnung gab die Möglichkeit, alle antifaschistisch-demokratischen Kräfte in allen Teilen des Reiches zu entwickeln, und trägt dazu bei, die nationale Einheit zu erhalten und zu sichern (Ulbricht 1945a, S. 40 f.). Die sozialistische Einheitspartei Deutschlands will .. bei dem Aufbau einer antifaschistisch-demokratischen Republik nicht stehenbleiben. Ihr Ziel ist die sozialistische Gesellschaftsordnung, die alle Ausbeutung des Menschen durch den Menschen aufhebt, den Klassengegensatz zwischen Armut und Reichtum beseitigt, den Frieden endgültig sichert und eine voll entfaltete Demokratie herbeiführt. (SED Manifest 1946, S. 28) Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands ist die Partei des Aufbaus einer antifaschistisch-demokratischen parlamentarischen Republik, die dem Volk alle Rechte der Meinungsfreiheit und Mitbestimmung sichert, volle Glaubens- und Gewissensfreiheit gewährt, .. den Religionsgemeinschaften gegenüber weitgehende Toleranz übt (SED Manifest 1946, S. 26). Die antifaschistisch-demokratische Republik und die Politik der Völkerverständigung sind .. unerläßliche Voraussetzungen für die Existenz und Zukunft Deutschlands (SED 1946a, S. 25). Wiederaufbau Deutschlands im Geiste der Demokratie, die durch das Volk für das Volk erkämpft werden wird, einer Demokratie, in der Antifaschisten regieren werden und regieren sollen (FDJ 1946, S. 14). Es ist uns gelungen, auf der Basis der antifaschistisch-demokratischen Ordnung ein enges Freundschaftsverhältnis mit den volksdemokratischen Ländern zu schaffen, vor allem aber mit der großen Sowjetunion, der wir heißen Dank dafür schulden, daß sie es war, die eine demokratische Entwicklung und die Bildung des ersten wirklich demokratischen Staates in der deutschen Geschichte ermöglichte (Grotewohl 1950b, S. 122). In der Deutschen Demokratischen Republik ist eine antifaschistisch-demokratische Ordnung errichtet, in der die Gesellschaft, die uns zweimal in einen Weltkrieg führte, entmachtet ist (Grotewohl 1951b, S. 206).
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Apathie
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Apathie Opfer Apathie ist die Bezeichnung der Opfer, die eine für KZ-Häftlinge typische Bewusstseinslage ausdrückt für ‚gefühlsmäßige Gleichgültigkeit, emotionales Absterben‘, die sie als psychische Deformation empfinden. Zu dem Wortfeld zählen darüber hinaus Bezeichnungsalternativen wie inneres Absterben (s. Frankl 1945, S. 41), Abstumpfung des Gemüts (s. Frankl 1945, S. 45), innere Wurstigkeit (s. Frankl 1945, S. 45), Gleichgültigwerden (s. Frankl 1945, S. 45), Lethargie (s. Dietmar 1946, S. 41), primitive Stufe (s. Frankl 1945, S. 52), seelisch abriegeln (zit. in Hauff 1946, S. 7), stumpf geworden (s. Vermehren 1946, S. 54), primitiviert (s. Kogon 1946a, S. 389), Hemmungen fielen (s. Kautsky 1948, S. 203). Diese Bewusstseinslage thematisieren vor allem diejenigen ehemaligen KZ-Häftlinge, deren Selbstbild von Geistigkeit und Humanität bestimmt ist. Sie können diese Deformation nicht mit ihrem Selbstverständnis vereinbaren, und Merkmal für diese Selbstentfremdung ist die reflektierende Analyse. Die rationale Begründetheit dieser überlebensnotwendigen Distanzierung wird zwar anerkannt, denn „ohne eine Art Hornhaut, welche die Gefühle überdeckte, konnte man in Auschwitz nicht existieren“ (Langbein 1972, S. 90). Dennoch ist es ein Problem vor allem des „geistigen Menschen“ im Lager (Améry 1977, S. 19), der diese Verfassung nicht mit seinem Ethos überein zu bringen vermag. Es bringt ihn in Gewissensnot, „daß man unbeweglich zusehen konnte, wie ein Kamerad niedergeknüppelt wurde und daß man, so groß auch das Verlangen sein mag, dem Schläger das Gesicht, die Zähne, die Nase zu zertreten, stumm und ganz tief drinnen das Glück des Körpers spüren würde: ‚Ich bin es nicht, den es trifft.‘“ (Antelme 1957/1990, S. 26) Aus dieser Selbstsicht begründen sich die problematisierenden Gebrauchsweisen der diesen Seelenzustand des inneren Absterbens bezeichnenden Ausdrücke. das Stadium der relativen Apathie. Es kommt allmählich zu einem inneren Absterben (Frankl 1945, S. 41). Die Apathie, die Abstumpfung des Gemüts, die innere Wurstigkeit und das Gleichgültigwerden (Frankl 1945, S. 45). Es ist wohl allzu begreiflich, wenn in dieser seelischen Zwangslage und unter dem Druck der Notwendigkeit, sich auf die unmittelbare Lebenserhaltung zu konzentrie-
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apokalyptisch
ren, das ganze Seelenleben auf eine gewisse primitive Stufe hinuntergeschraubt erscheint (Frankl 1945, S. 52). Lethargie und Apathie waren bei den meisten von uns .. ständige Begleiter (Dietmar 1946, S. 41). Anders war das Massensterben auch nicht zu ertragen, als daß man sich seelisch gleichsam abriegelte von all dem Elend, daß die Augen es wohl sahen, aber bis zum Herzen konnte und durfte es nicht dringen, wollte man nicht Gefahr laufen, darunter zusammenzubrechen (zit. in Hauff 1946, S. 7). dem Zuviel an Leid, das jeder Tag im Lager den Seelen auflastete, waren nur die stärksten Herzen gewachsen. Die meisten brachen unter ihm zusammen und klammerten sich nur noch an den einen Spruch: jeder ist sich selbst der Nächste – aber damit wird, ja damit ist man schon stumpf geworden gegen alle fremde Not. (Vermehren 1946, S. 54) Primitiviert mußten Sie in jedem Fall sein, wenn Sie bestehen wollten (Kogon 1946a, S. 389). An diesen äußersten Rändern des Daseins versank also der Mensch in ein tierisches Dasein, ja, er sank noch darunter. Alle Hemmungen fielen (Kautsky 1948, S. 203). In dem Bestreben, unter allen Umständen leben zu bleiben, taten wir alles, einfach alles. Wir setzten uns souverän über die primitivsten Rechte unserer Kameraden hinweg, wir überlieferten sie auch dem Tode, wenn wir damit unser Leben noch verlängern konnten. Die Begriffe Anstand, Moral, Ethik oder Kameradschaft existierten nicht mehr für uns. Erbarmungslos wie wilde Tiere waren wir geworden. Wozu es beschönigen? Wir haben uns schandbar, wir haben uns unsagbar dreckig benommen (Klieger 1958, S. 203 f.).
apokalyptisch eschatologisch Nichttäter In den religiös motivierten Endzeit-Bildern apokalyptisch und eschatologisch drücken besonders Theologen das Bedürfnis aus, die Nachkriegsgegenwart als Konsequenz und Abschluss einer historischen Entwicklung hin zum Nationalsozialismus zu interpretieren. Apokalypse, die spekulative Deutung des Weltlaufs und die Enthüllung des Weltendes, ist – wie Eschatologie, die Lehre von den letzten Dingen – religiöses Deutungsmuster, wenn es Katastrophen greifbar zu machen, Krisenzeiten zu überwinden gilt. Sie entsprechen einer „Geschichtstheologie mit einer linearen und begrenzten Zeitvorstellung“ (RGG 1957 I, S. 469). Man interpretiert Geschichte als gerichtete Bewegung auf ein Ende, ein Ziel zu. Apokalyptisches Bewusstsein, das Gefühl, dem Ende der Zeit nahe zu sein, die Erwartung des Weltuntergangs, der unter schweren Strafgerichten anbricht
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Appellplatz
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(s. Dibelius 1945, S. 117), dient zur Erklärung des Unerklärlichen, des Jetzt (ÕGegenwart, Õheute, ÕStunde) im Sinn von ‚in die Katastrophe mündendes Ende von Nationalsozialismus und Krieg‘. Die „eschatologische Zeit ist nicht nur eine Not- und Krisenzeit, sondern auch eine Heilszeit: der Erlöser, der Messias ist da. .. Schöpfung-Neuschöpfung, Urzeit-Endzeit gehören zusammen“. (RGG 1958 II, S. 651) Zeit ist nicht nur Endzeit, sondern auch „end-gültig entscheidende Zeit (Kairos)“ (RGG 1957 III, S. 651), und der „Christ weiß nicht nur um den entscheidenden Kairos vor sich, sondern auch um den hinter sich: die Entscheidung ist gefallen“ (ebd., S. 681). Umformuliert auf die nachkriegsdeutsche Gegenwart bezogen bedeutet diese Vorstellung, dass der Deutsche nicht nur um den Untergang des Nationalsozialismus weiß, sondern auch um die Notwendigkeit der Richtunggebung (ÕWende). Er hat ein Bewusstsein über die Reichweite dieser Richtunggebung, über die Größe dieser (in die ÕZukunft gerichteten) ÕZeit. Entsprechende Leitwörter zur Bezeichnung dieser apokalyptischeschatologischen Vorstellung im Zeitbewusstsein sind außerdem Abgrund und ÕFinsternis. Unabhängig davon aber ist vor allem ÕWende das Schlüsselwort, das die dominante, auf die ÕZukunft gerichtete Befindlichkeit der Nachkriegsdeutschen bezeichnet. Brüder und Schwestern, es sind apokalyptische Zeiten! Der Herr kommt in mächtigen Gerichten. (Dibelius 1945, S. 117) In einer apokalyptischen Gegenwart gilt es nun, aus Schutt und Trümmern eine neue, bessere Welt aufzubauen .. . Dazu braucht es Ehrfurcht, Liebe, Gemeinschaft, Freiheit und Bindung, einen weltüberwindenden Glauben und eine neue Verbindung mit den ewigen Kräften, kurz, ein Zurückführen zum Fühlen und Denken im abendländischen Geiste. (Schmid 1946, S. 11) Die gegenwärtige Geschichte ist nur apokalyptisch zu begreifen, und nur mit einem eschatologischen Worte kann man ihrer Herr werden. (Asmussen 1946, S. 4) de[r] eschatologische[..] Charakter dieses Ereignisses (Künneth 1947, S. 314). die heutige Weltsituation unter apokalyptischen Vorzeichen (Künneth 1947, S. 314).
Appellplatz Opfer Im Sinn von ‚zentral gelegener Platz auf dem Gelände eines Konzentrationslagers, auf dem vor allem der Appell, die Aufstellung oder das Antreten der KZ-Häftlinge stattfanden‘ ist Appellplatz häufig
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Appellplatz
belegter Ausdruck für die Hauptbühne des KZ-Szenarios (s. Kogon 1946a, S. 104; Dietmar 1946, S. 147). Wie andere Bezeichnungen für Orte, die Häftlinge als Orte größter Qual und Bedrohung erfahren haben, z. B. ÕDraht(zaun), ÕSteinbruch oder ÕBunker, fehlt die Bezeichnung in keinem Bericht von Opfern. Der Appellplatz ist zum einen der Ort, an dem die Anzahl der Häftlinge überprüft wurde (Zählappell), wobei auch kranke und tote Häftlinge zum Appell zu bringen waren (s. Frankl 1945, S. 77). Zum andern ist der Appellplatz für viele KZ-Häftlinge Toponym für Schikane und Leiden: die Opfer werden mit Püffen und Brüllen über den Appellplatz gejagt, bloßfüßig auf den verschneiten Appellplatz hinauslaufen, An einem Abend wurden jüdische Kameraden auf dem Appellplatz aneinandergekettet (s. Frankl 1945, S. 49; Frankl 1945, S. 57; Kogon 1946a, S. 254; Eiden 1946, S. 236). Hoch frequente Kontextpartner und damit Begriffskonstituenten sind daher diejenigen Bezeichnungen, die ein Ausgeliefertsein in Bezug auf extreme zeitliche Dimensionen (stundenlang, tagelang), auf elende körperliche Zustände (nackt, stehen) oder auf klimatische Gegebenheiten (eisige Kälte) bezeichnen: Wir mussten im Regen und kalten Wind auf dem Appellplatz stehen, im Februar mussten alle Häftlinge drei Stunden lang nackt auf dem Appellplatz stehen (s. Frankl 1945, S. 77; Kogon 1946a, S. 253; Kogon 1946a, S. 105; Dietmar 1946, S. 72; zit. in Hauff 1946, S. 20). Was als Zentrum des KZ-Universums die Kulisse für Schikane, Qual und Leiden ist, gerät zur Bühne des Widerstands in dem Augenblick, da sich die Herrschaftsverhältnisse umkehren, auf der schließlich auch die Szene der Befreiung spielt: ein prächtiges Auto rollte langsam auf den Appellplatz (s. Frankl 1945, S. 99; Kogon 1946a, S. 356). [da] öffnet sich weit das Lagertor, und ein prächtiges aluminiumfarbenes Auto mit großen roten Kreuzen rollt langsam auf den Appellplatz: der Delegierte vom Internationalen Roten Kreuz in Genf ist erschienen und nimmt das Lager und dessen letzte Insassen unter seinen Schutz. (Frankl 1945, S. 99) die Opfer .. werden mit Püffen und Brüllen über den Appellplatz gejagt (Frankl 1945, S. 49). bloßfüßig auf den verschneiten Appellplatz hinauslaufen (Frankl 1945, S. 57). Und wenn wir dann draußen die düster glühenden Wolken im Westen sahen und den ganzen Horizont belebt von den vielgestaltigen und stets sich wandelnden Wolken mit ihren phantastischen Formen und überirdischen Farben vom Stahlblau bis zum blutig glühenden Rot und darunter, kontrastierend, die öden grauen Erdhütten des Lagers und den sumpfigen Appellplatz, in dessen Pfützen noch sich die Glut des Himmels spiegelte (Frankl 1945, S. 68 f.).
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Appellplatz
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Beim .. Abzählen der .. Häftlinge fehlte einer. Wir mußten nun so lange im Regen und kalten Wind auf dem Appellplatz stehen, bis dieser Mann gefunden war .. die ganze Nacht, bis in den nächsten Vormittag, mußten wir .. durchnäßt und durchfroren auf dem Appellplatz stehen bleiben. (Frankl 1945, S. 77) Einen besonderen Spaß bereitete es Hauptscharführer Hinkelmann, einen mit Suppe halb gefüllten Kessel auf dem Appellplatz stehenzulassen, zu beobachten, wenn sich die Hungrigen hindrängten, um etwas Suppe zu bekommen, und dann mit einem dicken Knüppel über die ganze Gruppe herzufallen und ihnen die Köpfe blutig zu schlagen. (Kogon 1946a, S. 254) An einem Abend wurden 20 .. jüdische[..] Kameraden auf dem Appellplatz derart aneinandergekettet, daß sie einen Kreis bildeten. In der Mitte stand ein Baum. Die ganze Nacht hindurch wurden die Gefesselten um den Baum herumgehetzt, und zwar von mehreren SS-Blockführern, die sich für diesen Zweck bissiger Hunde bedienten. (Eiden 1946, S. 236) Planck ließ die Häftlinge ‚strafweise‘, ohne daß jemand wußte, wofür, .. auf dem Appellplatz stehen. (Kogon 1946a, S. 253) Nach harter Arbeit .. mußte man stundenlang auf dem Appellplatz stehen, oft bei stürmischem Wetter, in Regen oder eisiger Kälte (Kogon 1946a, S. 103). Trotz der Kälte von minus 15 Grad und der ungenügenden Kleidung standen die Häftlinge 19 Stunden hindurch auf dem Appellplatz (Kogon 1946a, S. 104). Eines Sonntags im Februar (!) 1939 mußten .. alle Häftlinge drei Stunden lang nackt auf dem Appellplatz stehen .. . Die Frau des damaligen Kommandanten Koch .. weidete sich am Anblick der nackten Gestalten (Kogon 1946a, S. 105). das stundenlange Stehen auf dem Appellplatz (Dietmar 1946, S. 72). Dieser Appellplatz, auf dem wir die ganzen Jahre hindurch Tag für Tag unter der Knute der SS antreten und manche Nacht hindurch stehen mußten, wenn es einem der sadistischen SS-Banditen so gefiel, ganz gleich, ob dabei mehr oder weniger Kameraden zusammenbrachen, sah uns heute als befreite Menschen sich für eine Freiheitskundgebung formieren .. . Und hier standen wir nun heute am Morgen des 1. Mai, dem Tage der Freiheit, als Angehörige aus mehr denn achtzehn Nationen, ergriffen von der Bedeutung dieses Tages, der uns entschlossen fand, ihn als Zeichen internationaler Solidarität vor aller Welt zu bekennen und würdig und schlicht zu begehen als Auftakt einer neuen Zeit. (Dietmar 1946, S. 147) Ergriff ein Häftling die Flucht, so mußte das ganze Lager manchmal tagelang auf dem Appellplatz stehen, gleich ob es Sommer oder Winter war (zit. in Hauff 1946, S. 20). Die Appellplätze aller KL haben viele und schreckliche Tragödien gesehen (Kogon 1946a, S. 104). [Könnten Appellplätze] reden, würde[n sie] allein ein Buch füllen über das unermeßliche Leid, das hier im Laufe der vielen Jahre über Hunderttausende von Menschen hereingebrochen war (Dietmar 1946, S. 147). Am 4. April nachmittags wurden plötzlich die Juden des Lagers aufgerufen. Niemand erschien auf dem Appellplatz! (Kogon 1946a, S. 356)
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Aufgabe
Aufgabe Rehabilitierungsaufgabe Nichttäter Mit dem Leitwort Aufgabe konstruiert die Diskursgemeinschaft der Nichttäter eine Soll-Identität der Deutschen. Damit mahnen die Diskursbeteiligten an die Pflicht, einen Auftrag zu erfüllen, der sich in der Schlüsselformulierung von Karl Jaspers, deutsch werden (s. Jaspers 1946, S. 178), verdichtet (Õdeutsch). Dieses Diskurssegment stellt sich insofern als Identitätskonservierung dar, als die Diskursbeteiligten von der Kontinuität dieser Identität bzw. ihrer Konstituenten überzeugt sind. Diese Überzeugung drückt sich aus in der häufig belegten Verwendung von Schlüsselwörtern, die unveränderbare Stabilität bezeichnen, die, zukunftsorientiert, auf Rehabilitationsfähigkeit rekurrieren (ÕReinigung, ÕKatharsis, ÕGesundung, Selbstwiederfindung, Õverschüttet), auf die kulturell gefestigte Tradition (christliches ÕAbendland, nationales Kulturerbe (ÕKultur)), sowie auf zukunftsbezogene gesellschaftspolitische Projekte (ÕWiedergutmachung, ÕFrieden, ÕFreiheit, ÕDemokratie). Die Nichttäter sind von einer ÕSchuld der Deutschen überzeugt. Aus diesem Bewusstsein resultiert die Vorstellung einer besonderen Verpflichtung, der das deutsche Volk nachzukommen habe. In diesem Sinn heißt der kategorische Imperativ der Nachkriegszeit deshalb: ‚Es ist unsere sittliche, ethische, moralische und politische Pflicht, uns der Zukunft zuzuwenden!‘ Die Tiefe dieser Überzeugung drückt sich aus in Wendungen wie uns und unsere Aufgabe wiedererkennen; mit nüchternem Sinn an die uns erwachsenden Aufgaben herangehen; unsere heutige Aufgabe; Aufgabe in Angriff nehmen; die Aufgabe, die vor dem deutschen Volke liegt; alle Aufgaben anfassen, die uns vor die Füße gelegt sind; ungeheure Aufgaben kommen auf uns zu; eine sehr schwere erzieherische und erlebnismäßige Aufgabe. Die Handlungsdimension dieses Projekts drückt sich aus in apodiktischen Aussagesätzen, wie wir stehen vor der großen Aufgabe, ein neues Nationalgefühl zu bilden; Unsere Aufgabe besteht darin, .. daß, sowie in deontischen Formulierungen wie wir müssen an die uns erwachsenden Aufgaben herangehen, die Aufgabe, die wir zu erfüllen haben, Diese Aufgabe kann nur sein. Die Referenzobjekte von Aufgabe lassen sich unterscheiden nach politischer Restituierung (s. Smend 1945, S. 363; SPD 1945, S. 29; Reuter 1947, S. 200; Harich 1947, S. 350; Kaiser 1947, 340; Grotewohl 1950b, S. 123) und nach
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Aufgabe
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nationaler Rehabilitierung (s. Steltzer 1945, S. 36; Jaspers 1946, S. 178; Heuss 1949b, S. 9 f.; Adenauer 1953a, S. 210; Rothfels 1954, S. 152). Staat und Politik [ist] für uns eine Schwierigkeit – und eine gerade im Sinn dieser Schwierigkeit und ihrer Überwindung gestellte Aufgabe (Smend 1945, S. 363). Darum ist dieses das Entscheidende: daß wir das entstellte deutsche Gesicht in seiner Reinheit wiederherstellen, damit wir uns selbst und unsere Aufgabe wiedererkennen und auch dem Ausland unsere eigentlichen Züge wieder sichtbar werden (Steltzer 1945, S. 36). die Aufgabe, die vor dem deutschen Volke liegt .. Die Aufgabe der Wissenschaft (Ebbinghaus 1945c, S. 19). In dieser entscheidenden Stunde ist es wiederum die geschichtliche Aufgabe der deutschen Arbeiterklasse, Trägerin des Staatsgedankens zu sein: einer neuen, antifaschistisch-demokratischen Republik! (SPD 1945, S. 29) die großen Aufgaben, die unser Volk zu erfüllen hat (Ulbricht 1945b, S. 438). die gemeinsame beschwingende Aufgabe, nicht deutsch zu sein, wie man es nun einmal ist, sondern deutsch zu werden, wie man es noch nicht ist, aber sein soll, und wie man es hört aus dem Anruf unserer hohen Ahnen (Jaspers 1946, S. 178). Wir nennen uns christliche Demokraten, weil wir der tiefen Überzeugung sind, daß nur eine Demokratie, die in der christlich-abendländischen Weltanschauung, in dem christlichen Naturrecht, in den Grundsätzen der christlichen Ethik wurzelt, die große erzieherische Aufgabe am deutschen Volke erfüllen und seinen Wiederaufstieg herbeiführen kann. (Adenauer 1946, S. 143 f.) Mit nüchternem Sinn müssen wir an die uns erwachsenden Aufgaben herangehen (Brauer 1946, S. 18). Die Aufgabe, in diesem Sinne zu wirken (Smend 1946, S. 380). In diesem [geistigen und politischen] Kampf soll vielmehr um die Forderung der Stunde an uns, um die Deutung unserer heutigen Aufgabe gerungen werden (Smend 1946, S. 389). Welches sind nun heute die Aufgaben dieser Hochschulen? (Plank 1946, S. 11) Einer demokratischen deutschen Literatur der Gegenwart wird die große nationale Aufgabe gestellt sein, zu helfen: die deutsche Realität endlich den deutschen Köpfen bewußt zu machen, das deutsche Gefühl humanistisch zu lenken – im Glauben an die unerschöpfliche, sich auch aus der schwersten Krankheit regenerierende Kraft des Volkes. (Abusch 1946, S. 269) Nur unter aktivster Anteilnahme der Volksmassen, nur unter unmittelbarer Führung der stärksten deutschen Partei .. können diese Aufgaben erfüllt werden (Pieck 1946b, S. 615). Wir wissen, wie der Fluch der hinter uns liegenden grausigen Vergangenheit uns die Aufgabe stellt, viel mehr als jemals früher den Kampf um die Freiheit, den täglichen, nicht ablassenden Kampf um eine wirklich freiheitliche Gestaltung all unserer äußeren und inneren Lebensformen zum beherrschenden Mittelpunkt unserer Arbeit zu machen (Reuter 1947, S. 200). Unsere Aufgabe besteht darin, .. daß wir selbst die Demokratie in unserem Lande sichern können, auch mit der Literatur (Harich 1947, S. 350).
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Auschwitz
eine deutsche Aufgabe zwischen Ost und West .. Eine solche Aufgabe läßt sich nur in geistiger und politischer Freiheit erfüllen. (Kaiser 1947, S. 340) Wohl zu keiner Zeit unserer Geschichte ist die Aufgabe [der Dichter, die Probleme der Zeit zu erfassen und ihren Gefahren zu begegnen] so schwer gewesen wie jetzt (Huch 1947a, S. 102). diese Aufgabe in Angriff [nehmen] (Litt 1947, S. 5). dann werden wir vielleicht einen Teil unserer Aufgabe erfüllt haben. Diese Aufgabe kann immer nur sein (Steinhoff 1947, S. 164). alle die Aufgaben anzufassen, die uns vor die Füße gelegt sind .. Frage: „ .. was machen wir aus dieser Aufgabe?“ .. Ungeheure Aufgaben kommen .. auf uns zu (Heinemann 1949b, S. 48 ff.). die Aufgabe, die wir zu erfüllen haben (Müller-Armack 1949, S. 67). Wir stehen vor der großen Aufgabe, ein neues Nationalgefühl zu bilden. Eine sehr schwere erzieherische und erlebnismäßige Aufgabe .. Wir haben die Aufgabe .., .. unsere Würde neu zu bilden, die wir im Innern der Seele nie verloren (Heuss 1949b, S. 9 f.). Vor uns steht die große Aufgabe, eine neue demokratische Kultur zu schaffen, die auf dem großen deutschen Kulturerbe aufbaut. (Grotewohl 1950b, S. 123) Nach der Katastrophe des Jahres 1945 mußte es für jede deutsche Regierung die erste Aufgabe sein, Deutschland wieder einen angesehenen Platz in der Gemeinschaft der Völker zu erringen (Adenauer 1953a, S. 210). Ihre Zeit zu erfassen ist eine der unabweisbaren Aufgaben philosophischer Besinnung. Diese Besinnung im Jahre 1945 auf sich nehmen, hieß die Frage der Schuld stellen (Kuhn 1954, S. 211). Wer sich den Blick auf die offenbarste Wirklichkeit dessen, was im Dritten Reich geschehen ist, nicht durch Ressentiments und enge Selbstgerechtigkeit oder durch die Gegenbilanzen .. verstellen läßt, wird anerkennen müssen, daß im internationalen Zusammenhang zunächst eine deutsche Rehabilitierungsaufgabe bestand und besteht, so wie die Männer und Frauen des deutschen Widerstands sie sahen (Rothfels 1954, S. 152).
Auschwitz Opfer Das semantische Potenzial der KZ-Szenarien verdichtet sich in der Bezeichnung Auschwitz. Auschwitz ist als Erinnerungsort der Opfer begriffliches Destillat dessen, was ihnen im Nationalsozialismus widerfuhr und Zentrum eines semantischen Feldes, dessen Bezeichnungen den Begriff Auschwitz in einzelne semantische Komponenten auflöst: Auschwitz war der Inbegriff von Vorstellungen von Gaskammern, Krematorien und Massentötung, Auschwitz, das berüchtigte Massenmordlager, in welchem Menschen durch Gas vergiftet und ins Krematorium befördert wurden, Auschwitz stand im Zeichen der
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Selektion (s. Frankl 1945, S. 25; Dietmar 1946, S. 81; Adelsberger 1956, S. 52; ÕSelektion, ÕGas, ÕAppellplatz, ÕBunker, ÕBaracke, ÕKrematorium, ÕTransport). Winterfeldt weist auf eine Reihe von KZ-Namen hin, die Begriffe wurden und an deren chronologischem (?) Ende Auschwitz steht: „die Namen einiger berüchtigter Konzentrationslager [sind] als Synonyme und gleichzeitige Metonyme für Menschenschinderei oder Mord in den deutschen – wenn nicht internationalen – Sprachgebrauch aufgenommen worden (Dachau, Buchenwald, Sachsenhausen, Ravensbrück, Mauthausen und schließlich Auschwitz).“ (Winterfeldt 1968, S. 128) Auschwitz, die „wirklichkeitgewordene Ausgeburt kranker Hirne und pervertierter Emotionalorganismen“ (Améry 1977, S. 37), ist seit 1945 nicht mehr deutsches Toponym für eine Stadt, die in der Sprache desjenigen Landes, in dem sie sich befindet, Oswieçim heißt: „Keine Brücke verbindet die vorangegangenen sieben Jahrhunderte normaler Geschichte mit den darauffolgenden fünf Jahren außerordentlichen Leidens, die Stadt Oswieçim auf der einen Seite mit dem Konzentrationslager Auschwitz auf der anderen“ (van Pelt/Dwork 1998, S. 19). Aus der Opferperspektive ist Auschwitz Bezeichnung für individuell wahrgenommenes Leiden, denn jeder „trägt seine sehr persönlich gefärbte Erinnerung mit sich, jeder hat ‚sein‘ Auschwitz erlebt. Die Perspektive des ewig Hungrigen unterschied sich stark von der eines Funktionshäftlings; das Auschwitz des Jahres 1942 war ein wesentlich anderes als das des Jahres 1944. Jedes einzelne Lager des großen Komplexes war eine Welt für sich.“ (Langbein 1972, S. 18) Unabhängig davon jedoch ist das Toponym Auschwitz von Anfang an umfassende Bezeichnung für Nichtsein, denn „die Aussicht, Auschwitz anders als durch den Kamin zu verlassen, mußte vom Verstand verneint werden“ (Langbein 1972, S. 109). Auschwitz ist in dieser Bedeutung ‚Vernichtungslager‘ ein Begriff der Opfer bereits zur Zeit seines Betriebs. Ein Tagebucheintrag aus dem Jahr 1942 von Victor Klemperer bestätigt frühzeitig vorhandenes Wissen über Auschwitz, welches ja der Anlass für den Chiffrierungsprozess ist: „Heute zum ersten Mal die Todesnachricht zweier Frauen aus dem KZ. Bisher starben dort nur die Männer .. . Beide wurden .. nach Auschwitz transportiert, das ein schnell arbeitendes Schlachthaus zu sein scheint.“ (Klemperer 14.10.1942, Tagebücher 1933–1945 II, S. 259) Auschwitz ist also frühzeitig Teil des Opfergedächtnisses, des Gedächtnisses derer, die den Ort selbst als Auschwitz
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erfahren haben: „Die Erinnerung an Auschwitz begann am Ort des Verbrechens, aufbewahrt in den Tagebüchern von ermordeten jüdischen Häftlingen der ‚Sonderkommandos‘, aufbewahrt in den berühmten Auschwitz-Protokollen entkommener Juden, aufbewahrt in den Aufzeichnungen von Auschwitz-Überlebenden.“ (Reichel 2001b, S. 601) Für Deutsche dagegen ist Auschwitz Identitätsbegriff erst etwa seit Beginn der sechziger Jahre: „als die Gewaltverbrechen über mehrere Jahre hinweg Gegenstand und Anlaß von Strafprozessen, Parlamentsdebatten und Theaterskandalen sind, findet Auschwitz Eingang in die deutsche Umgangssprache, wird der Name zur Metapher für die Menschheitskatastrophe der jüngeren Geschichte.“ (Reichel 2001b, S. 601) Der Frankfurter Auschwitz-Prozess von 1963 bis 1965 insbesondere ist dasjenige Impuls gebende diskursive Ereignis, welches die Begriffsbildung im Deutschen befördert. Seither umfasst der Name Auschwitz nicht nur „alle Stätten des nationalsozialistischen Massenmordes“ (Kramer 1999, S. 84), sondern ist Bezeichnung für Zivilisationsbruch schlechthin. Das Opfergedächtnis repräsentiert insbesondere die Wendung Gaskammer(n) von Auschwitz (ÕGas). Sie ist seit 1945 belegt im Zusammenhang mit der Schilderung eines Akts, mit dem die Befreiten von Buchenwald bereits im April 1945 die erste Gedenkstunde, die Gedenkstunde der Befreiung, ausstatteten: Auf dem Transparent waren die Gaskammern von Auschwitz abgebildet (s. Dietmar 1946, S. 147). Seither ist Gaskammer(n) von Auschwitz feste Verbindung und semantisch der Inbegriff des Zivilisationsbruchs des 20. Jahrhunderts. Gaskammern von Auschwitz ist seither Synonym der Opfer im Sinn von „Anachronismus in höchster Modernität“ (Klemperer 1947, S. 142) und komplexer Identitätsbegriff, vor allem für Juden: wer heute der Judenmorde gedenkt, denkt an die Gaskammern von Auschwitz (s. Klemperer 1947, S. 142). Die Chiffrierung von Auschwitz durch die Opfer läuft über die nationale und die politische Identifizierung. Als nationaler Begriff ist Auschwitz Inbegriff von deutsch und Deutschland: Auschwitz, das deutsche Konzentrationslager, Auschwitz war dieses Deutschland im kleinen (s. zit. in Hauff 1946, S. 16; Klieger 1958, S. 14). Als politisches Signum ist Auschwitz Synonym für ÕNationalsozialismus: Von der Symbolik des Sonnenrades führte der Hakenkreuzweg geradlinig zu den glühenden Öfen von Auschwitz (s. Kogon 1946a, S. 43). Und da Nationalsozialismus und ÕSchuld gleichsam Synonyme sind, ist Auschwitz moralisch-ethisch zu identifizieren – Ausch-
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witz ist der Inbegriff von Schuld. Nicht nur die Opfer, die Auschwitz selbst erfahren haben, befördern diese Begriffsbildung, sondern als Impulsgeber gilt darüber hinaus Theodor W. Adorno, der „1947 begann .., der weltgeschichtlichen Katastrophe, die im Universum der Konzentrations- und Vernichtungslager kulminiert, den Namen Auschwitz zu geben“ (Claussen 1988, S. 55). Auschwitz ist also ein Begriff zunächst der Opfer in der deutschen Nachkriegszeit. Er ist als sprachlich manifester Erinnerungsort begriffliches Destillat für die Summe der Erinnerungsorte, deren Bezeichnungen den Schulddiskurs der Opfer tragen. Der Zug hält .. anscheinend auf offener Strecke .. Unheimlich klingt das schrille Pfeifen der Lokomotive, .., während der Zug, nunmehr sichtlich vor einer größeren Station, zu rangieren beginnt. Plötzlich ein Aufschrei aus der ängstlich wartenden Menge der Leute im Waggon: »Hier eine Tafel – Auschwitz!« Wohl jeder muß in diesem Augenblick fühlen, wie das Herz stockt. Auschwitz war ein Begriff, war der Inbegriff von undeutlichen, aber dadurch nur um so schreckhafteren Vorstellungen von Gaskammern, Krematoriumsöfen und Massentötung! Der Zug rollt langsam weiter, wie zögernd, so, als ob er die unselige Menschenfracht, die er führt, nur allmählich und gleichsam schonend vor die Tatsache stellen wollte: »Auschwitz!« (Frankl 1945, S. 25). Wer unsere Gesichter gesehen hätte, strahlend vor Entzücken, als wir durch die vergitterten Luken eines Gefangenentransportwaggons auf der Bahnfahrt von Auschwitz in ein bayerisches Lager auf die Salzburger Berge hinaussahen, deren Gipfel gerade im Abendrot erstrahlten, der hätte es nie glauben können, daß es die Gesichter von Menschen waren, die praktisch mit ihrem Leben abgeschlossen hatten; trotzdem – oder gerade deshalb? – waren sie hingerissen vom jahrelang entbehrten Anblick der Naturschönheit. (Frankl 1945, S. 68) Besonders schlimm waren die Transporte nach Auschwitz, dem berüchtigten Massenmordlager, in welchem Menschen auf einmal zu je tausend und mehr in dem sogenannten ‚Baderaum‘ durch Gas vergiftet und automatisch ins Krematorium befördert wurden. Von Auschwitz weiß die Welt heute, daß dort Millionen Juden durch Gas umgebracht wurden. Ihre Leichen wurden in den vier Riesen-Krematorien und auf Scheiterhaufen verbrannt. (Dietmar 1946, S. 81) Auf dem Transparent .. waren die Gaskammern von Auschwitz, über denen der Tod die Sense schwang, abgebildet, worunter die Worte standen: „Vergeßt die Gaskammern, die Millionen Toten von Auschwitz nicht!“ (Dietmar 1946, S. 147) Auschwitz .. Was wissen wir darüber? Alles und nichts. .. der Zug hält, wird auf ein anderes Gleis geschoben und bleibt stehen. Die Fünftausend sehen hinaus: Stacheldraht mit den weißen Isolierköpfen. Für die, welche schon im Lager waren, das bekannte Bild: das deutsche Konzentrationslager! (zit. in Hauff 1946, S. 16) Von der Symbolik des Sonnenrades führte der Hakenkreuzweg geradlinig zu den glühenden Öfen von Auschwitz. (Kogon 1946a, S. 43) wer heute der Judenmorde gedenkt, denkt an die Gaskammern von Auschwitz (Klemperer 1947, S. 142).
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auserwählt
das Konzentrationslager Auschwitz stand im Zeichen der Selektion. Gemeint ist damit die Auswahl zur Vergasung mit nachfolgender Verbrennung. (Adelsberger 1956, S. 52) Nazi-Deutschland bestand aus Blut, Mord, Terror und Korruption. Auschwitz war dieses Deutschland im kleinen und gab ein genaues Spiegelbild des grösseren Deutschland. (Klieger 1958, S. 14)
auserwählt Nichttäter Gelegentlich von den Nichttätern verwendet im Zusammenhang mit der Klärung der deutschen ÕSchuld wird auserwählt gebraucht im Sinn von ‚zu etwas Besonderem‘ bestimmt. Die mit auserwählt ausgedrückte Haltung zur Schuld der Deutschen entspricht der theologischen Argumentation, welche die Prüfung der Deutschen als Beweis für ihre Gottauserwähltheit wertet. Dieses Denken erlaubt es Theologen und Kirchenmännern, diese Gerichtsstunde für Volk und Kirche auch als eine Gnadenstunde zu bewerten, als eine Möglichkeit, das Wohlgefallen des heiligen Gottes zu erwerben. (Wurm 1945, S. 22) Auch Adolf Grimme reflektiert in diesem Sinn: wer will sagen, ob darin, daß wir neu beginnen dürfen, nicht auch, wenn wir nur wollen, die Möglichkeit der Größe dieser dunklen Tage beschlossen liegt, so daß es schließlich vor dem Forum der Geschichte nachträglich einen Sinn erhielte, daß wir in dieses Nichts geführt sind (Grimme 1945a, S. 16). Ja, am Ende kommen wir dahin, dankbar zu werden gegen ein Schicksal, das uns die Möglichkeit bietet, schuldig zu werden und damit denen gegenüber, denen nur ein Weg offensteht, auserwählt zu sein, einen neuen Weg zu versuchen. (Nossack 1945, Tagebücher 1943–1977, S. 66) Epochen, die so gesättigt sind mit geschichtlichem Gehalt, bilden seltene Ausnahmen. An ihnen als Mitlebender teilhaben, durch sie als Mitleidender lernen zu dürfen, das ist – man erschrecke nicht vor dem, so scheint es blasphemischen Wort – eine Auszeichnung. Sind wir so auserwählt – wie würden wir in den Augen der Nachwelt dastehen, wenn wir uns nachsagen lassen müßten, wir seien mit fahrlässig getrübtem oder vorsätzlich verdunkeltem Bewußtsein dabei gewesen? Wir, die wir uns auf unseren „historischen Sinn“ soviel zugute zu tun gewohnt waren! Nein, da es nun einmal unser Schicksal ist, in eine Lehrzeit hineingeworfen zu sein, wie sie der Menschheit nur alle tausend Jahre beschieden zu sein pflegt, so wollen wir unsere Ehre daran setzen, diesen Kursus mit jenem Höchstmaß von Entschlossenheit, Aufnahmebereitschaft und Hingabe zu absolvieren, das erforderlich ist, damit von dem Gehalt dieser unausschöpfbaren Zeit soviel wie möglich in den Besitz unseres Geschlechts überge-
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Baracke
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he. Das eben ist die Mission, die der Geist der Geschichte uns, den Überlebenden der Katastrophe, auferlegt hat, daß wir in die Helligkeit des Gedankens und in die Wachheit des Gewissens emporheben, was das Drama dieser Weltstunde dem Wissensbereiten an blendenden Aufschlüssen zur Verfügung stellt. (Litt 1948, S. 130 ff.)
Baracke Judenbaracke · Barackenfenster Opfer In der Bedeutung ‚Unterbringungsort für Häftlinge eines Konzentrationslagers‘ von Opfern z. T. gleichbedeutend wie ÕBlock und ÕBunker gebraucht. Im Sprachgebrauch von KZ-Häftlingen ist Baracke Symbol für die Erscheinung eines Konzentrationslagers und als solches Bezeichnung für den Begriff von Enge und Unwürdigkeit. Das KL Buchenwald, die stinkende Stätte elend- und leidstarrender Baracken (Kogon 1946a, S. 362). Jede Baracke war 40 m lang und 10 m breit. Bis zu 1800 Mann mußten in solch einer Baracke hausen. Die Zustände in den Baracken .. waren furchtbar. (Eiden 1946, S. 219) es war bereits menschenleer, still und alles in einer merkwürdigen Verzauberung, Eisblumen an den Barackenfenstern, Rauhreif über den Dächern (Kogon 1946a, S. 153). die .. Judenbaracken [wiesen] die weitaus höchste Belegschaft auf: bis zu 300 pro Stube (also 600 pro Block) gegen 150 bis 200 pro Stube bei den Ariern. (Kautsky, 1948, S. 248)
Befehl Führerbefehl · befehlsgemäß · befehlen Täter Von den Tätern im Zuge ihrer Verteidigung häufig benutzte Entlastungsvokabel für ‚Auftrag, unbedingt zu befolgende Anweisung einer höheren Instanz‘, in Formeln wie Befehle loyal ausführen, Befehle erhalten und gehorchen, unbedingter Befehl, einen Befehl durchführen (s. Göring 1945/46, zit. nach Gilbert 1995, S. 242; Keitel 1945/46, zit. nach Gilbert 1995, S. 32; Nürnberger Prozess XI, S. 444; Höß 1947, S. 120 f.). Unter Berufung auf das nationalsozialistische „Führer-“ und „Treueprinzip“ (Õtreu, ÕGehorsam) beson-
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Befehl
ders im Sinn eines hochbewerteten militärischen Grundsatzes zur Entlastung argumentativ verwendet, insbesondere in den Formulierungen Befehl des Führers, Befehl des Staatsführers, und in der Zusammensetzung Geheimer Führerbefehl (s. Frank 1945/46, S. 391 f.; Streicher 1946, S. 439; Leeb 1950, S. 338). Im Sinn von ‚einen unbedingt auszuführenden Auftrag erteilen, eine unter allen Umständen zu befolgende Anweisung geben‘ wird befehlen von Tätern in entlastender Funktion gebraucht, indem auf Hitler als Handlungsträger Bezug genommen wird, vgl. die Formulierungen was der Führer befahl, war immer richtig, von Hitler befohlen, das Staatsoberhaupt hatte befohlen, der Führer hatte befohlen, Hitler befahl und setzte durch (s. Höß 1947, S. 120 f.; Best 1949, S. 104; Leeb 1950, S. 337 f.; Dietrich 1955, S. 28 f.). Bei all diesen Zweifeln, die mir kamen, war immer wieder einzig ausschlaggebend der unbedingte Befehl und die dazugehörige Begründung des Reichsführers Himmler (Höß 1945, Nürnberger Prozess XI, S. 444). Sie brauchen doch nicht so verdammt direkt zu antworten! Sie hätten sagen sollen, Sie waren ein guter Soldat und führten Befehle loyal aus! Sie brauchten die Frage, ob es verbrecherisch war oder nicht, gar nicht zu beantworten. Auf die Frage selbst kommt es gar nicht so an wie darauf, wie Sie sie beantworten. Sie können solche gefährlichen Fragen umgehen und auf eine Frage warten, die Sie gut beantworten können, und dann lassen Sie sich ausführlich darüber aus! (Göring 1945/46, zit. nach Gilbert 1995, S. 242) ein Offizier [kann] sich nicht vor seinem Führer, dem Oberbefehlshaber, aufbauen und widersprechen! Wir können nur Befehle erhalten und gehorchen (Keitel 1945/46, zit. nach Gilbert 1995, S. 32). dieses gigantische[..] Massenverbrechen[..] an den Juden, zu denen die Reihe furchtbarster anderer Untaten, die auf Befehl des Führers oder mit seiner Duldung während dieses Krieges an anderen Völkern geschehen sind (Frank 1945/46, S. 391 f.). Gegenüber dem Befehl der Judenvertilgung bestand rigoroseste, technisch-methodisch diffizilste Geheimnissorgfalt, so daß tatsächlich über das ganze grauenvolle Geschehen ein hermetisch geschlossener Ring gezogen werden konnte. (Frank 1945/46, S. 393 f.) Die Massentötungen sind ausschließlich und ohne Beeinflussung auf Befehl des Staatsführers Adolf Hitler erfolgt (Streicher 1946, S. 439). [ich] mußte .. befehlsgemäß .. dieses Kommando antreten (Kaltenbrunner 1946, S. 431). So im Eickeschen Geist erzogen und ausgebildet hatte ich meinen Dienst im Schutzhaftlager zu verrichten. .. durch mein Verbleiben im KL machte ich mir die dort geltenden Anschauungen, Befehle und Anordnungen zu eigen. (Höß 1947, S. 66 f.) Ich mußte mich, um die Beteiligten zum psychischen Durchhalten zu zwingen, felsenfest von der Notwendigkeit der Durchführung dieses grausam-harten Befehls überzeugt zeigen. (Höß 1947, S. 127 f.)
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Block
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[Himmler erteilte] mir .. persönlich den Befehl .., in Auschwitz einen Platz zur Massenvernichtung vorzubereiten und diese Vernichtung durchzuführen .. dieser Befehl [war] etwas Ungewöhnliches, etwas Ungeheuerliches .. die Begründung ließ mich [!] diesen Vernichtungsvorgang richtig erscheinen. Ich stellte damals keine Überlegungen an – ich hatte den Befehl bekommen – und ich hatte ihn durchzuführen. Ob diese Massenvernichtung der Juden notwendig war oder nicht, darüber konnte ich mir kein Urteil erlauben .. . Wenn der Führer selbst die „Endlösung der Judenfrage“ befohlen hatte, gab es für einen alten Nationalsozialisten keine Überlegungen, noch weniger für einen SS-Führer .. Was der Führer befahl bzw. für uns sein ihm Nächststehender, der RFSS – war immer richtig (Höß 1947, S. 120 f.). Nach der von Hitler befohlenen Auflösung und teilweisen Internierung der dänischen Polizei .. versuchte der Höhere SS- und Polizeiführer vergeblich, .. die Wahrnehmung der .. Polizeiaufgaben zu ermöglichen. (Best 1949, S. 104) Was über den rein kriegerischen Zweck des Krieges hinaus auf russischem Boden geschehen ist, fällt der Wehrmacht nicht zur Last. Es ist ohne unser Wissen und Zutun geschehen. Keiner der Angeklagten hat etwas von dem Geheimen Führerbefehl und dem organisierten Massenmord durch die Einsatzgruppen, die uns nicht unterstellt waren, gewusst. (Leeb 1950, S. 338) Auch als Soldaten haben wir nicht zum Kriege getrieben .. . Wir haben im Gegenteil alles mögliche getan, um Hitler von seinen Kriegsplänen abzubringen. Hatte aber das Staatsoberhaupt, dem allein das uneingeschränkte Entscheidungsrecht über Krieg und Frieden übertragen worden war, den Beginn von Kriegshandlungen gegen den Willen und gegen den Rat der Generale befohlen, dann hatten wir unsere Soldatenpflicht zu erfüllen wie jeder andere Deutsche auch (Leeb 1950, S. 337 f.). Beschlüsse wurden von Hitler nur allein gefaßt und Staat und Partei als vollendete Tatsachen lediglich mitgeteilt. Gegen diese Entschlüsse duldete Hitler keinen Widerspruch, er befahl sie und setzte sie unter Berufung auf das „Wohl der Nation“ mit despotischen Mitteln durch. (Dietrich 1955, S. 28 f.)
Block Armenblock · Krankenblock · Zugangsblock Blockälteste · Blockführer · Blockschreiber Opfer Ursprünglich ein Wort der Organisationssprache des Nationalsozialismus ist Block auch Wort der Opfer und bezeichnet den aus Baracken (ÕBaracke) bestehenden Gebäudekomplex, in dem die Häftlinge im KZ untergebracht waren. Als Bestimmungswort markiert Block- die ausdifferenzierte Organisationsstruktur des KZ-Systems, vgl. Blockälteste, Blockführer, Blockschreiber. Die Zusammensetzungen mit -block als Grundwort bezeichnen die Funktion oder die Art der Belegung des Gebäudekomplexes, vgl. Armenblock, SlumsBlock, Zugangsblock, Krankenblock (ÕRevier).
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Bunker
Vgl. Winterfeldt 1968, S. 133 f. Dort waren Blockführer, deren Sprache und Gebärden die von Zuhältern waren. Dort war ein Lagerführer, der Schlossergeselle gewesen war und der im Delirium mit der Peitsche durch die Bunker ging. Da waren zwei Welten. (Wiechert 1939/1964, S. 73) Block .. die Wohnung des Häftlings (Eiden 1946, S. 214). Die nächste Station war dann die Einweisung in einen Block, d. h. in eine Baracke, auch noch Zugangsblock genannt. (Vermehren 1946, S. 82) Die Häftlinge im Block 61 wurden „abgespritzt“, d. h. durch Injektion eines starken Giftes getötet .. . Der Mann, der sich im Block 61 besonders hervorgetan hat, war SS-Hauptscharführer Wilhelm. (Eiden 1946, S. 220) Ich hatte mich mit meiner Blockältesten in ihrem Dienstzimmer unterhalten .., als plötzlich unsere Blockleiterin mit einer Freundin in die Türe trat. Vorschriftsmäßig sprangen wir auf, machten Meldung, halfen den beiden unförmigen Gestalten aus dem Mantel und auf die Stühle, und schwerfällig niedersackend sagte die dicke Freundin in breitem Mecklenburgisch: „Du, Frieda, weiß du, was ich jetzt möchte? Grießbrei! ..“, .. Da sind sie und bilden sich ein, das berufene Volk der Welt zu sein, reden von der Verpflichtung, als „Herrenrasse“ die Welt beherrschen zu müssen, und träumen von Grießbrei! (Vermehren 1946, S. 66) Armenblock, Slums-Block .. Massengrab der Lebendigen (Vermehren 1946, S. 85). Wurde ein Häftling wirklich so krank, daß er ins Revier mußte, so war damit auch sein Leben in besonderer Weise aufs Spiel gesetzt; denn tatsächlich waren die Zustände im Revier schlechthin mörderisch .. so daß die Krankenblocks sich eigentlich in nichts anderem von den Gesundenblocks unterschieden als nur darin, daß hier die Kranken in der Mehrzahl waren. (Vermehren 1946, S. 87 f.) mehrere SS-Männer [stürzten sich] auf ihn, und eine Serie von Fausthieben fiel auf das Gesicht des Blockschreibers. Unter den Schlägen sackte er zusammen und sank zu Boden. Mit den Stiefeln trampelte die SS auf ihm herum .. . Drei, vier, fünf SSMänner prügelten auf ihm herum .. . Das waren keine Menschen mehr, die da prügelten. Tiere, entfesselte Bestien waren es. (Klieger 1958, S. 103–105)
Bunker Bunkermeister Opfer Gelegentlich wie ÕBaracke und ÕBlock Bezeichnung für ‚Gebäude zur Unterbringung von KZ-Häftlingen‘. Vor allem, als Ort, den die Häftlinge als Ort größter Qual und Bedrohung erfahren haben (ÕDraht(zaun), ÕAppellplatz, ÕSteinbruch), im Sinn von ‚Gefängnis eines Konzentrationslagers‘ gebraucht. Die dazu gebildete Zusammensetzung Bunkermeister bedeutet ‚Aufsichtsperson eines Bunkers‘ (s. Kautsky 1948, S. 107)
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Christentum
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Vgl. Winterfeldt 1968, S. 146 f. Kamen nicht allzu große Transporte abends zu spät oder dauerte das Warten bis über Arbeitsschluß hinaus, so wurden die Zugänge nicht in das Stacheldrahtlager eingeliefert, sondern zu 10 bis 22 Mann die Nacht über in Bunkerzellen eingesperrt, die 1,20 x 2 m groß waren. Mit Fußtritten und Knüppelschlägen erreichte die SS es schließlich, daß die Türen zugemacht werden konnten. (Kogon 1946a, S. 95) Für die Mädchen aus dem KZ hatte der Zellenbau weiß Gott ein ganz anderes Gesicht; sie nannten ihn „Bunker“ (Vermehren 1946, S. 48). Das Arrestlokal hieß in der Lagersprache Bunker. .. der schwarze Bunker. Wer dazu verurteilt war, dort zu sitzen, bekam täglich 25 Stockhiebe .. an jedem dritten Tag was zu essen (Eiden 1946, S. 230). es blieb dem Bunkermeister überlassen, die Strafen auszugestalten und Geständnisse zu erpressen, wie es ihm beliebte. (Kautsky 1948, S. 107)
Christentum christlich · christlich-abendländisch Nichttäter West Während der östliche Identitäts- und Wertediskurs mit den Leitvokabeln antifaschistisch (ÕAntifaschist), ÕHumanismus und nationales Kulturerbe (ÕKultur) geführt wird, ist im Westen Christentum, wie ÕAbendland, Schlüsselwort der Nichttäter zur Begründung einer neuen deutschen Identität (Õdeutsch). Es ist vor allem im konservativen Diskurs Werte und Tugenden bündelnde Bezeichnung einer Leitidee, die religiös und humanistisch begründet wird, vgl. den Gebrauch von Kontextpartnern wie kulturgestaltend, sittlich, geistig, Ehrfurcht vor Gott, Sittlichkeit, Menschlichkeit, Nächstenliebe, Toleranz, Gemeinschaft, Würde der Person, Wert jedes einzelnen Menschen (s. CDU 1945, S. 11; Steltzer 1946b, S. 85). Christentum/christlich wird häufig gebraucht in den festen Verbindungen Antike und Christentum (s. Naumann 1946, S. 1; Heuss 1946b, S. 197) und christlichabendländisch (s. Adenauer 1946, S. 143 f.). Wie mit Abendland/abendländisch bezeichnet man auch mit Christentum/christlich die Integrierung in die deutsche Bildungstradition, in der man steht. Die Deutschen beanspruchen damit, sich wieder den Verwaltern der geistigen Güter der Welt zu assoziieren und schließen sich der westlichen Wertegemeinschaft an. Durch den Gebrauch von wieder und Fundament (s. Steltzer 1946b, S. 85; Heuss 1946b, S. 197) verweist man auf diese Tradition und übergeht
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Christentum
so die zwölf Jahre Nationalsozialismus. Die zeitliche Perspektive verweist so gleichzeitig auf die Vergangenheit vor 1933 und, da Christentum/christlich gleichzeitig in der Funktion eines Zielbegriffs gebraucht wird, auf die ÕZukunft. Auf den religiösen Begriff des Christentums stellt vor allem die christliche Partei ab. Der CDU bringt diese Aneignung, die sich im Parteinamen manifestiert, eine Namensdebatte ein, an der sich seitens des politischen Gegners vor allem Kurt Schumacher beteiligte. Er leitete aus der Beanspruchung des Epithetons christlich eine Okkupation, die Behauptung eines Alleinanspruchs dieser Denkweise für die CDU ab (s. Schumacher 1946a, S. 109). Adenauer weist diesen Vorwurf in seiner Rede vom 24. März 1946 strikt zurück (s. Adenauer 1946, S. 143 f.). Vgl. Felbick 2003, s.v. Christentum die kulturgestaltenden sittlichen und geistigen Kräfte des Christentums (CDU 1945, S. 11). Es gilt den Geist der Ehrfurcht vor Gott und den Geboten der Sittlichkeit und Menschlichkeit auf der Grundlage unserer christlichen Kultur wieder zu wecken und zu pflegen. Es geht darum, im Geist der Nächstenliebe und der echten Toleranz dem so sehr mißbrauchten Wort der „Gemeinschaft“ seinen alten echten Klang wiederzugeben (Steltzer 1946b, S. 85). heute stehen wir vor der Gefahr des Mißbrauchs der christlichen Idee .. . Ich bin der Meinung, daß wir alle wohl verstehen können, wenn ein positiver Christ aus dem Geiste der Bergpredigt die Dinge der Politik im Sinne der Menschenliebe und der Hilfsbereitschaft gestalten will, aber ich bin nicht dafür, daß eine Partei für sich das Monopol des Christentums in Anspruch nimmt und damit gewissermaßen allen anderen Parteien imputiert, weniger christlich oder christentumsfeindlich zu sein. Das könnte nur dazu führen, daß hier das Christentum für Zwecke der Besitzverteilung mißbraucht werden soll. (Schumacher 1946a, S. 109) Wir nennen uns christliche Demokraten, weil wir der tiefen Überzeugung sind, daß nur eine Demokratie, die in der christlich-abendländischen Weltanschauung, in dem christlichen Naturrecht, in den Grundsätzen der christlichen Ethik wurzelt, die große erzieherische Aufgabe am deutschen Volke erfüllen und seinen Wiederaufstieg herbeiführen kann .. . Es gibt auch deutsche Kreise [neben solchen in der britischen Militärregierung], die meinen, es sei nicht nötig, in unserem Namen das Wort ‚christlich‘ zu führen. Es sind das Kreise der Freien Demokraten und .. des Zentrums. Ja, die Sozialdemokratie empfindet es nach Herrn Dr. Schumacher fast als beleidigend für die anderen Parteien, daß wir uns christlich nennen; wir unterstellten damit anderen Parteien, sie seien weniger christlich oder gar christentumsfeindlich. Nun, .. wir alle würden uns von Herzen freuen, wenn die Sozialdemokratie erklären würde, sie sei ebenso christlich ihrer Gesinnung nach wie wir (Adenauer 1946, S. 143 f.). Wo anders .. träte dieses Humanum uns einfacher und plastischer entgegen als in Hellas und in der Welt des neuen Testaments! .. Wir brauchen .. eine Schule, in der
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Christentum
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das Griechentum und die Gesinnung des Christentums .. das Fundament des Neubaus der Erziehung abgibt (Grimme 1946c, S. 222). Der Begriff Abendland hat in der Abwandlung seiner geschichtlichen Bedeutung als einer einheitlichen Kulturauffassung des westlichen und mittleren Europas nur eine Ausdeutung ermöglicht und erfahren: die christliche. .. eine geistige Haltung gab ihm den wesentlichen Sinn. Antike und Christentum, Juno und Ecclesia, humanitas und caritas prägten ihn (Naumann 1946, S. 1). Wir müssen uns mit dem, was draußen wuchs, innerlich auseinandersetzen Wir brauchen wieder Weltluft .. Das Bewußtsein ist das dem Abendlande gemeinsame Fundament, auf dem wir stehen, das will heißen: Antike und Christentum .. die neue deutsche Form. (Heuss 1946b, S. 197) die hohen Werttafeln des Christentums .. seine Ewigkeitswerte (Geiler 1946c, S. 177 f.). Das deutsche Volk ist in einem Zustand ganz ungewöhnlicher geistiger und namentlich religiöser Gewecktheit aus dem Kriege hervorgegangen. Zahlreich waren allein schon diejenigen, die in der Katastrophe ein Strafgericht Gottes erblickten, und auch wer zu solcher individuellen, religiös akzentuierten Schuldauffassung nicht imstande war, schaute doch mit einem neuen Respekt auf die Ordnungs- und Widerstandskräfte, die sich während des Dritten Reichs im Christentum und ganz praktisch in der Katholischen wie in der Bekennenden Evangelischen Kirche bewährt hatten. Wenn schon – wie es in jenem Geleitwort der ‚Wandlung‘ hieß – beim Einzelnen die staatliche Ordnung begann, wieviel zuverlässiger durfte man in der Familie und bei der Kirche die vornehmste Ordnungszelle suchen. Bei der christlichen Familie und bei der christlichen Kirche – die konfessionelle Denomination spielte noch eine denkbar geringe Rolle in einem Augenblick, da man Geistliche beider Bekenntnisse zusammen mit dem Rabbiner aus den Konzentrationslagern zurückkehren sah. Ein Bekenntnis zum Christentum erschien als ein erstes Unterpfand auch einer heilsamen praktischen Politik, wobei dahingestellt blieb, ob man tatsächlich an die Errichtung eines ‚christlichen Staates‘ oder nur an die historisch wie ideengeschichtlich gleich legitime Identifizierung von Demokratie und christlicher, christlich-sozialer Gesinnung dachte. Aus dieser Stimmung ergab es sich spontan, daß das Wort ‚Christlich‘ in den Begriffsschatz und in die Namensgebung politischer Parteien eindrang und namentlich für die größte bürgerliche Sammelpartei das Namensschild abgab. Der Vorgang hatte seine Parallelen in Italien und Frankreich. Gemeint war in jedem Fall eine Erneuerung der Politik aus christlicher Überzeugung: mit starker Betonung der sozialen Komponente (siehe das CSU im Firmenschild der bayrischen Parteivariante; siehe das Ahlener Programm der CDU), hingegen unter prononcierter Zurücksetzung der Konfessionalität. (Süskind, 1954, S. 24 f.)
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Dämon
Dämon dämonisch · Dämonie Täter / Nichttäter
Die Bewertung des Nationalsozialismus in metaphorischen Kategorien von Entwirklichung und Mythos ist ein diskursives Muster in Texten der frühen Nachkriegszeit bei Tätern und Nichttätern. Damit zeigt sich die kulturelle Geprägtheit von Metaphern, die sich kollektiv, d. h. im Diskurs manifestiert. Die Erfahrung mit dem Nationalsozialismus hat sich in das numinose Bildfeld des Bösen eingeprägt, zu dem vor allem die metaphorische Wortfamilie Dämon/dämonisch/ Dämonie, aber auch andere entsprechende Metaphern (Hölle, Satan, unheimlich, ÕFinsternis, Teufel u. ä.) gehört. Seit dem Ahd. i.S.v. ‚Teufel‘ gebraucht, ist die Bedeutungsgeschichte von Dämon stets begleitet von dem, aus dem Griechischen übernommenen Merkmal ‚überirdische höhere Macht‘ (griech. daimon ‚Schutz oder Verderben bringendes göttliches bzw. zwischen Göttern und Menschen stehendes Wesen, Schicksal, Verhängnis‘). Diese Lesart bestimmt auch seinen seit Mitte des 18. Jahrhunderts belegten personifizierenden Gebrauch im Sinn von ‚geheimnisvolle Macht, die im Menschen wirkt‘ bzw. ‚dem Menschen innewohnende, sich seinem Einfluß entziehende verhängnisvolle Macht‘. Seit dem frühen 19. Jahrhundert ist diejenige Gebrauchsweise belegt, die für die Verwendung in der frühen Nachkriegszeit das Muster vorgibt: ‚jmd./etwas, von dem eine magische, unheimliche, unerklärliche, unwiderstehliche, zerstörerische Wirkung, Faszination oder eine sich verselbständigende, nicht mehr beherrschbare Wirkung bzw. Gefahr ausgeht‘, ‚der/das Böse in Person‘ (zur Bedeutungsgeschichte von Dämon vgl. FWb 1999 IV, s.v. Dämon). Insofern ist Dämonisierung eine kulturgeschichtlich tradierte Strategie, mit deren lexikalischen Repräsentationen man Unerklärliches, Außergewöhnliches, Abgründiges bezeichnet. Die Gebrauchsweisen der Täter und der Nichttäter sind hinsichtlich ihrer Funktionen zu unterscheiden. Täter Täter gebrauchen die Bezeichnungen Dämon, dämonisch, Dämonie, sowie die zum selben Wortfeld zählenden diabolisch (s. Schacht 1953, S. 33), verführen (s. Dietrich 1955, S. 280), bestrickend, verführerisch, unwiderstehlich, suggestiv (alle Dietrich 1955, S. 281), in
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Dämon
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Bezug auf ÕHitler: Hitler war ein dämonisches Genie, der dämonische Sendling des Teufels, die Dämonie seiner Persönlichkeit (s. Frank 1945/46, S. 430; Schacht 1953, S. 33; Dietrich 1955, S. 13). Mit dessen Charakterisierung als Dämon, dämonisch stellen sie ihre Beteiligung am Nationalsozialismus im Sinn eines unfreiwilligen Zwangs dar. Die Belege zeigen, dass die Täter die Bezeichnungen in der Funktion eines entlastenden Deutungsmusters gebrauchen, um sich ihrer persönlichen Verantwortung zu entziehen. Sie kalkulieren, dass, wer einem Dämon, einer dunklen Macht ausgeliefert war, nicht verantwortlich zu machen ist für Verbrechen, die unter diesem dämonischen Einfluss verübt wurden. Möglicherweise nahm dieses dann in allgemeinen Gebrauch gekommene Stereotyp vom Dämon/dämonischen Hitler seinen Ausgang in Nürnberg (vgl. Reichel 2001a, S. 52). Nichttäter Nichttäter setzen der in der Kategorie wirklich Schuldige (ÕSchuld) repräsentierten juristisch rationalisierenden Bezeichnung der schuldigen Täter die emotionalisierende und emotionalisierte Metapher Dämon, dämonisch, Dämonie (und andere numinose Metaphern) entgegen. Zwar ist dieser Gebrauch auch von Kritik begleitet (s. Arendt-Jaspers-Briefwechsel 1946, S. 98 f.; Heuss 1954, S. 47). Es scheint jedoch, dass man dieser Kategorien bedurfte, um Hitler zu entmenschlichen und damit sein Handeln ebenso zu erklären wie das Phänomen Nationalsozialismus. Dämonen, jene Vorstellung von numinosen Zwischenwesen, die Macht über die Menschen haben, die als Besessenheit in Erscheinung tritt, repräsentieren das bedrohend Unheimliche der Welt, und nach 1945 – nach zwei Weltkriegen und Nationalsozialismus – scheint ‚die Besessenheit als Phänomen des Einzel- und Gesamtdaseins‘ nicht mehr nur Bestandteil des symbolischen, sondern auch des realistischen Weltwissens zu sein (RGG 1958 II, S. 4). Mit der Dämonisierung sucht man indes nicht nur Grausamkeit sichtbar zu machen, Unbeschreibliches zu beschreiben. Gleichzeitig entpersönlicht man in dieser Metapher Nazis, insbesondere Hitler, und Nationalsozialismus und stellt damit zu den wirklich Schuldigen eine sie aus der Gemeinschaft isolierende Ferne her: Flügelschlag dunkel dämonischer Mächte, dämonische Persönlichkeit, dämonischer Mensch, den nackten Füßen der Dämonie, Reich der niederen Dämonen, Dämonie der nationalsozialistischen Bewegung (s. Weber 1945,
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S. 74 f.; Meinecke 1946, S. 141; Künneth 1947, S. 84; Künneth 1947, S. 85; Wiechert 1949, S. 286; Niekisch 1953 [Titel]; Heuss 1954, S. 47; Ritter 1954, S. 61). Eine Wirklichkeit mit numinosen Metaphern zu konstituieren, kann Erklärungs- und Entlastungsfunktion haben (s. o. den Gebrauch bei den Tätern). Denn man benennt mit numinosen Sprachbildern wie auch Verfinsterung, unheimlich, dunkel, Mächte (alle s. Weber 1945, S. 74 f.), das Böse (s. Ebbinghaus 1945a, S. 158), Finsternis, satanisiert (beide s. Das Demokratische Deutschland 1945, S. 13 f.), Hexentanz (s. ebd., S. 19 f.), Zauberwirkung (s. Meinecke 1946, S. 141), Gorgonenhaupt, Medusa (beide s. Friedensburg 1947, S. 90), das Satanische, das Diabolische (beide s. Heuss 1954, S. 47), gleichzeitig die Machtlosigkeit derjenigen, die solchen dunklen Mächten ausgesetzt waren. Fester begrifflicher Bestandteil der Vorstellung von Dämon, Satan, Teufel ist die Verführung. Einem Dämon Ausgelieferte sind damit frei von Schuld. Insofern ist die Dämonisierung des Nationalsozialismus und seiner Exponenten also nicht nur Ausdruck von Wahrnehmung, sondern auch auf Wirkung setzende Verarbeitungstaktik zum Zweck der Entlastung. Solche Entschuldungsabsichten allein können jedoch den Gebrauch dieser Metaphorik nicht erklären, der auch bei Emigranten nachweisbar ist. 1945 rechtfertigt Thomas Mann in seinem berühmten ‚Offenen Brief‘ an Walther von Molo, der ihn zur Rückkehr nach Deutschland bewegen wollte, seine Weigerung: „ich fürchte, daß die Verständigung zwischen einem, der den Hexensabbat von außen erlebte, und Euch, die Ihr mitgetanzt und Herrn Urian aufgewartet habt immerhin schwierig wäre.“ (Mann 1945a, S. 443) Hermann Hesse war, wie er in einem Brief vom 1. März 1946 schreibt, „Hitler schon manche Jahre vor seiner Machtergreifung kein Rätsel mehr, und leider auch das deutsche Volk nicht mehr, das den Satan dann wählte und anbetete“ (Hesse 1946a, S. 223). In einem Brief vom April 1946 wirft er den Deutschen vor: „Ihr [habt] die Welt als Räuber überfallen und mit satanischen Mitteln zur Hölle gemacht“ (Hesse 1946b, S. 226). Der Schweizer Max Picard malt in seiner viel gelesenen Zeitkritik ‚Hitler in uns selbst‘ das Bild des „Nazitums“ als „ein dämonisches Phänomen.“ (Picard 1946, S. 23 f.) Karl Barth schreibt 1948 in einem Brief an Emil Brunner, den Nationalsozialismus habe „christlich interessant“ gemacht, „daß er ein Zauber war, der unsere Seelen zu übermannen, uns für den Glauben an seinen Lügen und für das Mittun bei seinem Unrecht zu gewinnen notorisch
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die Macht bewies“ (Barth 1948, S. 162). Da also Metaphern aus dem Bereich des Numinosen auch im Sprachgebrauch von Thomas Mann, Hermann Hesse, Max Picard und Karl Barth nachweisbar ist, deren Denken und Reden nicht von Rechtfertigungs- und Entlastungsabsichten geprägt war, ist der Gebrauch dieses Wortfeldbereichs durch die Nichttäter wohl auch zu erklären mit dem Bedürfnis, den Schrecken und den Terror, die Inhumanität und die Grausamkeit der letztvergangenen zwölf Jahre zu bezeichnen, ohne entlastende Absichten zu verfolgen also. Zur Reflexion des Nationalsozialismus gehört diese Sicht, die bis heute bestimmend ist für Erklärungsversuche der Zeitgeschichte und der Psychologie, der Zeitgenossen und der Nachgeborenen und der Opfer: Die Verbrechen des Nationalsozialismus sind nicht zu erklären. Die Macht, die der Nazismus über die Deutschen hatte, ist ein Rätsel. Im metaphorischen Konzept des Dämons und des Numinosen überhaupt (s. Das Demokratische Deutschland 1945, S. 13 f., S. 19 f.; Meinecke 1946, S. 141; Friedrichsburg 1947, S. 90; Künneth 1947, S. 69, S. 86) ist dieses Eingeständnis aufgehoben: Das Unfassbare und Erschütternde scheint in dieser Überhöhung fassbar zu werden und vermittelbar zu sein. Insofern dient die Metaphorisierung des Nationalsozialismus den Nichttätern zur Erschließung und zur Interpretation des Nationalsozialismus als das schlechthin Böse (s. Ebbinghaus 1945a, S. 158). Täter [das] überdimensional-dämonische[..] Wirken[..] eines einzigen Mannes (Frank 1945/46, S. 190). ein dämonisches Wesen (Frank 1945/46, S. 430). der dämonische Sendling des Teufels (Frank 1945/46, S. 430). Wir waren durch unseren Eid und die Gehorsamspflicht gebunden; und wir lebten unter dem Zwang einer sich mehr und mehr dämonisch wie chaotisch gestaltenden Diktatur (List 1950, S. 240). Hitler war ein dämonisches, diabolisches Genie. (Schacht 1953, S. 33) ein von völkischen Wahnvorstellungen besessener Dämon (Dietrich 1955, S. 23). Nur über die Dämonie seiner Persönlichkeit führt der Weg zur Erkenntnis der Wahrheit, zur Erkenntnis von Schuld und Schicksal. (Dietrich 1955, S. 13) War es Schuld oder Schicksal, die das deutsche Volk in seine Lage gebracht haben und sein Dasein heute so erdrückend belasten? .. Nicht schlechter oder gar verbrecherischer Wille haben dieses Volk in seine heutige Situation und den niederziehenden Ruf politischer Amoralität gebracht. Hitler hat dieses Volk .. nicht nur geführt, er hat es durch die Dämonie seines Wesens auch verführt! (Dietrich 1955, S. 280) Hitlers Dämonie [ist erklärbar] mit der unseligen Verkettung seiner widersprechenden Wesenszüge, mit der bestrickenden Kraft seiner Ideen und seiner verführerischen Worte, mit der unwiderstehlichen suggestiven Macht seines Willens, mit der
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krankhaften Verblendung seines Geistes und den untergründigen Auswüchsen seiner unmenschlichen politischen Moral (Dietrich 1955, S. 281). Nichttäter Der mit Blut und Gemeinheit in die Geschichte eingegangene Rassegedanke mit seinem Vererbungs-Einmaleins .. ist nur der demagogisch breit gewalzte, ödeste und flachste Gipfel, die glücklich vom Abendland nach allen Absagen an Tiefe erstiegene Höhe, auf der in Wahrheit nur noch Fratzen tanzen .. – ein Kehraus, weiter nichts .. Es war wie eine plötzliche Verfinsterung, die eintrat, in der man den unheimlichen Flügelschlag der Mächte spürte .. . Der Flügelschlag dunkel dämonischer Mächte (Weber 1945, S. 74 f.). ihr [habt] euch mit der Verantwortung für dieses Böse beladen. (Ebbinghaus 1945a, S. 158) Hunderttausende unserer Freunde sind in Deutschland Opfer der Macht der Finsternis geworden. .. Der Auswurf der Hölle [fand] in unserer Mitte Eingang in die entsittlichte Welt. .. die nationalsozialistische Hysterie [ist] eine Erscheinungsform der satanisierten Welt (Das Demokratische Deutschland 1945, S. 13 f.). der verhängnisvolle lasterhafte Hexentanz der nationalsozialistischen Gangster .. Dann läutete die Totenglocke jeder politischen Freiheit (Das Demokratische Deutschland 1945, S. 19 f.). seine [Hitlers] Zauberwirkung .. schlechthin dämonische Persönlichkeit (Meinecke 1946, S. 141). weil die Schuld, die alle kriminelle Schuld übersteigt, unvermeidlich einen Zug von ‚Größe‘ – satanischer Größe – bekommt, die meinem Gefühl angesichts der Nazis so fern ist, wie das Reden vom ‚Dämonischen‘ in Hitler und dergleichen. Mir scheint, man muß, weil es wirklich so war, die Dinge in ihrer ganzen Banalität nehmen, ihrer ganz nüchternen Nichtigkeit .. Ich sehe jeden Ansatz von Mythos und Legende mit Schrecken, und jedes Unbestimmte ist schon solcher Ansatz (Arendt-Jaspers-Briefwechsel 1946, S. 98 f.). Inkarnation des Bösen (Künneth 1947, S. 69). dämonischer Mensch (Künneth 1947, S. 84). Knechtung unter einen dämonischen Fremdwillen (Künneth 1947, S. 85). Hitler hat ‚seine Seele dem Teufel verkauft‘ (Künneth 1947, S. 86). Gorgonenhaupt des Faschismus und Nationalismus .. die giftige Medusa (Friedensburg 1947, S. 90). Es war wohl nicht so, daß der Wahnsinn aus der Wolke herniederfuhr und ein einziges Volk ergriff und nur dieses. Es war wohl so, daß er umging auf der ganzen Welt, mit den lautlosen nackten Füßen der Dämonen, und daß er ausbrach bei dem bereitwilligsten und gefährdetsten der Völker, ehe die andern vor eine Entscheidung gestellt wurden (Wiechert 1949, S. 286). Reich der niederen Dämonen (Niekisch, Titel 1953). In der Literatur, zumal auch der theologischen, wird das Phänomen Hitler und seiner Wirkung mit den Begriffen des Satanischen, des Diabolischen, zumal auch des Dämonischen behandelt. Ich will nichts dagegen sagen, aber es wird vom Pathos eines Volksleides auch dessen Vollzieher einiges geliehen. .. ich möchte glauben, daß wir mit den Worten niedrig und gemein auskommen (Heuss 1954, S. 47). Dämonie der nationalsozialistischen Bewegung (Ritter 1954, S. 61).
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Demokratie Volksdemokratie demokratisch · antifaschistisch-demokratisch · freiheitlich-demokratisch · undemokratisch · volksdemokratisch Demokrat Demokratisierung Nichttäter Ost/Nichttäter West
Das Potsdamer Abkommen gibt dem deutschen Volk auf, „sein Leben auf einer demokratischen und friedlichen Grundlage von neuem wieder aufzubauen.“ (Potsdamer Abkommen 1945, S. 480) Dementsprechend gehört Demokratie, wie ÕFrieden und ÕFreiheit, zu den zentralen zukunftsbezogenen Schlüsselwörtern, die in der frühen Nachkriegszeit den politischen Diskurs in Ost wie in West tragen. Sie werden seit 1945, verstärkt seit den Staatsgründungen, unter den Bedingungen des Kalten Krieges zur eigenen Positionsbestimmung und zur Denunzierung des jeweils anderen Systems gebraucht (s. Schumacher 1946b, S. 394). Insofern kommt hinsichtlich dieser besonderen deutschen Verhältnisse ein Aspekt der Demokratie-Geschichte zum Tragen: Seit 1798 hat Demokratie/demokratisch Anziehungskraft auf „moderne[..] bzw. sich als modern anpassende[..] Bewegungen oder Ideologien“ (Brunner/Conze/Koselleck I, S. 874) und wird jeweils mit Alleinanspruch behauptet. Dieser wird formuliert und emphatisiert vorzugsweise in Verbindungen wie wahre, wirkliche, echte, wahrhafte Demokratie, wahrhaft, wirklich demokratisch (s. KPD-Aufruf September 1945; Grotewohl 1947, S. 283; Kogon 1947b, S. 254; Ministerkonferenz 1947, S. 583; Bredel 1947, S. 238; Müller-Armack 1949, S. 139; Grotewohl 1950b, S. 122; Grotewohl 1952a, S. 269 f.; Becher 1953, S. 317), um sich vom Demokratie-Begriff des Gegenstaats abzugrenzen, dem damit implizit ein unwahrer, falscher Demokratiebegriff unterstellt wird. Diese Haltung erlaubt es in letzter Konsequenz, dem politischen Antipoden gänzlich abzusprechen, was man unter Demokratie versteht (s. Deutscher Volksrat 1948, S. 100). Träger des Demokratie-Diskurses sind die deutschen politischen und intellektuellen Eliten, die die Idee der Demokratie vehement vertreten. Die Bekenntniskategorie Demokratie ist „in allen Teilen Deutschlands das Hochwertwort schlechthin“ (Felbick 2003, S. 182), denn sie bietet ihnen (trotz alliierter Kontrolle) die Vorstellung freier Selbstbestimmung einerseits, die Gewähr, ihr Rehabilita-
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tionsprojekt überzeugend zu vermitteln anderseits. Trotz der verhängnisvollen Erfahrungen mit dem demokratischen System der Weimarer Republik war der nachkriegsdeutschen Funktions- und Interpretationselite Demokratie alles andere als suspekt. Die Produktivität der Wortfamilie ist daher erklärbar. Die Gesamtbevölkerung dagegen war bestenfalls gleichgültig (s. Kogon 1947b, S. 237; Kolbenhoff 1949, S. 116; Koeppen 1953, S. 36). Thomas Mann beschreibt die „verstockten, zu einem dreisten Nationalismus längst zurückgekehrten Massen, bei denen die Parole gilt: ‚Unter Hitler war es doch besser!‘, und die, triumphierend, die Demokratie für widerlegt erklären durch die Erfahrung, die sie mit ihr gemacht haben wollen.“ (Mann 1949, S. 122) Erst zehn Jahre später meint Adorno zu erkennen, dass „vieles .. dafür [spricht], daß Demokratie samt allem, was mit ihr gesetzt ist, die Menschen tiefer ergreift als in der Weimarer Zeit.“ (Adorno 1959, S. 140) Die Nachkriegsgeschichte des Demokratiebegriffs setzt ein mit dessen Idealisierung. Folie ist der eben überstandene totalitäre Staat, dessen Bestimmungsstücke als negative Entsprechung diejenigen von Demokratie abgeben, und die Diskurse in beiden Systemen kennzeichnet dieser Bezug zum Nationalsozialismus. Merkmale des Demokratiebegriffs sind wesentlich die Elemente des humanistischen Menschenbildes und der Grundwerte, was auf ein Bedingungsverhältnis zwischen Demokratisierung und Ethisierung schließen lässt. Es gilt als das Verdienst und die Leistung vor allem der politischen Elite „von Regierung und Opposition, diese politische Ordnungsform im Laufe der Jahre im Bewußtsein der Bevölkerung“ verankert zu haben (Rausch 1983, S. 126). Jedoch lassen unterschiedliche Bezüge und Argumentationsweisen auch systembedingte Interpretationsdifferenzen erwarten. Wiewohl die begriffliche Grundsubstanz von Demokratie unausdeutbar ist, und obwohl die Gebrauchsweisen in beiden Systemen kennzeichnet, dass ihnen der „soziale[..] und geistige[..] Demokratiebegriff“ (Brunner/Conze/Koselleck I, S. 867) unterliegt, der seit dem früheren 19. Jahrhundert lexikalisch in den Formeln demokratisches Prinzip (1814), demokratische Gesinnung (1816), demokratischer Geist (1819) fixiert ist, sind diejenigen ideologisch bedingten begrifflichen Unterschiede evident, die zwischen Parteien und Systemen immer bestehen, und die sich manifestieren in den Formulierungen der beiden demokratischen Grundideen: antifaschistisch-demokratisch (Ost) (ÕAntifaschist) und freiheitlich-demokratisch (West) (ÕFreiheit). Während Demokratie im Westen
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eine in den Kontext der Schuldanalyse gestellte Bekenntnisvokabel und damit ein wesentliches lexikalisches Element des westdeutschen Schulddiskurses ist, besteht ein solcher vergangenheitsbezogener moralisierender Bezug im materialistisch argumentierenden sozialistisch-kommunistischen Diskurs nicht – wie überhaupt die Differenziertheit des zukunftsbezogenen Schulddiskurses eher westlichen Argumentationsweisen und Deutungsmustern geschuldet ist. Eine referenzielle Ligatur von Demokratie und Schuld (s. Grimme 1946d, S. 93) sucht man in Texten sozialistisch-kommunistischer Provenienz vergeblich. Vgl. Brunner/Conze/Koselleck I, s.v. Demokratie; KpWb 1983, s.v. Demokratie; Zeitgesch. Wb 2002, s.v. Demokratie/Demokratisierung; Felbick 2003, s.v. Demokratie Nichttäter Ost Im Osten sucht man mit den Bekenntnisvokabeln ÕFrieden, ÕFreiheit und Demokratie den neuen sozialistischen Staat zu etablieren und zu konsolidieren, mit Hilfe von Werten, die zur Tradition des politischen Diskurses spätestens seit 1789 zählen. Man bedient sich der Namen dieser Werte gleichsam als Vehikel, indem man ihr assoziatives Potenzial als Hochwertwörter benutzt, um die neue Staatsund Gesellschaftstheorie umzusetzen (s. Klemperer 1945, Tagebücher 1945–1949, S. 107; Leonhard 1955, S. 440). In der Auslegung des historischen Materialismus, der den Nationalsozialismus als eine gesellschafts- und wirtschaftsgeschichtlich konsequent auf Feudalismus und Kapitalismus folgende Phase versteht, setzt die Errichtung von Demokratie die Vernichtung des Nationalsozialismus voraus (s. KPD 1945, S. 17 f.; Ulbricht 1945a, S. 40; Einheit 1946, S. 2). Den Naziverbrechern keinen Raum zu lassen, ist – rhetorisch – Politikprinzip, und Vernichtung des Hitlerismus und Demokratisierung Deutschlands bilden ein Junktim (s. KPD 1945, S. 20; Grotewohl 1947, S. 284). Jedoch hat dieser Gründungsmythos des konsequenten Antifaschismus in der Realität des politischen Alltags keinen Platz und die Toleranzschwelle sinkt in Bezug auf diejenigen „Millionenmassen, die auf den Nazischwindel hineinfielen und Mitglieder der Nazipartei wurden“, weil sie „im guten Glauben an die Versprechungen der Hitlerbande gefolgt sind“ (Pieck 1947, 124 f.) (Õnominell). Der sozialistische Weg ist der Weg des Kampfes (ÕKämpfer), auch hinsichtlich der Errichtung der Demokratie. Kämpferische
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Demokratie und kämpferisch demokratisch sind deshalb Leitformeln (s. Pieck 1945b, S. 55; SED 1946a, S. 25; Grotewohl 1947, S. 283; Grotewohl 1952a, S. 269 f.). Eine der spezifischen Gebrauchsweisen kommunistischer Prägung sind daher Wendungen, in denen die Grundhaltung sozialistisch-kommunistischen Seins, kämpferisch, mit der Staatsform in Zusammenhang gebracht wird. Und da das Ziel von kämpferisch ‚wider Nationalsozialismus und Militarismus‘ geht, gründet darauf die Leitidee des sozialistischen Demokratieverständnisses, das ihr Selbstverständnis ist: Geist einer kämpferischen, aufbauenden Demokratie; Aufbau einer lebendigen und kämpferischen Demokratie; Wiederaufbau Deutschlands im Geiste der Demokratie, die durch das Volk für das Volk erkämpft werden wird; unser Kampf für die Erhaltung der Einheit Deutschlands eine Notwendigkeit für den Sieg der Demokratie, für den Frieden und für den Fortschritt; ohne politischen Kampf ist keine Demokratie möglich; kämpferische demokratische Weltanschauung (s. Pieck 1945b, S. 55; SED 1946a, S. 25; FDJ 1946, S. 14; Honecker 1946, S. 33; Grotewohl 1947, S. 283; Grotewohl 1952a, S. 269 f.). Dieses Selbstverständnis manifestiert sich in der Grundformel antifaschistisch-demokratische Ordnung (s. Ulbricht 1945a, S. 40 f.). In dieser Zusammenfügung von antifaschistisch und demokratisch gerinnt das sozialistische Grundprinzip nach 1945, zunächst formuliert als Zielkonzeption (s. Pieck 1945b, S. 59; SED 1946a, S. 25; FDJ 1946, S. 14). Nach 1949 dann verweist die Formel auf den ersten wirklich demokratischen Staat auf dem Weg in den Sozialismus (s. Grotewohl 1950b, S. 122; Grotewohl 1951b, S. 206). Antifaschistisch (ÕAntifaschist) ist radikales und konsequentes Gegenkonzept zum Nationalsozialismus und gehört zum kommunistischen Register bereits vor 1933, demokratisch ist Bekenntnis zu einer Volksherrschaft, antifaschistisch-demokratisch aber bezeichnet das als Gegenentwurf zur westlichen Version zu fassende Konzept. So verstand sich die „Gründungsverfassung der DDR von 1949 .. als antifaschistisch-demokratische ‚Gegenverfassung‘ gegen das Bonner Grundgesetz, dem man vorwarf, nur ungenügende Lehren aus Weimar gezogen zu haben“ (KpWb, S. 129) und hat die Funktion einer „bewußten ideologischen Deutung der Gegenwart und Zukunft“ (Schlosser 1990, S. 31). Da die Etablierung eines neuen politischen Systems das Motiv für die Erneuerung abgibt, wird Demokratie/demokratisch häufig in Verbindung mit neu gebraucht bzw. als eine ‚Umbruch‘ annoncie-
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rende Kategorie. Partnerwörter sind etwa neu, Neu-, Umgestaltung, neue Verhältnisse (s. KPD 1945, S. 19; Abusch 1946, S. 270; Grotewohl 1947, S. 283; Grotewohl 1949b, S. 124). Drei wesentliche Begriffselemente von Demokratie im sozialistisch-kommunistischen Diskurs sind also kämpferisch, antifaschistisch und neu. Weitere Kategorie zur Ausdeutung von Demokratie im sozialistisch-kommunistischen Kontext ist ÕVolk. Volksdemokratie (ÕVolk) ist die überspannende neue Bezeichnung für die sozialistisch-kommunistische Demokratie-Version, anknüpfend an die kommunistischen Einheitsfrontvorstellungen der Weimarer Zeit. Was zunächst tabu war (s. Klemperer 1952, Tagebücher 1950–1959, S. 299), ist dann politisch gebotene Sprachregelung (s. Leonhard 1955, S. 593 f.). Der Prozess der Theoriebildung setzt allerdings früher ein (s. Pieck 1945b, S. 55). Es ist die dominierende, im politischen Reden in der SBZ bzw. DDR ausgedrückte Leitidee, welcher „der terminologische Abschied der ‚Diktatur des Proletariats‘ [vorausgeht]“. Die Substituierung durch Volksdemokratie erweitert den Begriffsumfang von Demokratie so, „daß nun auch das Gegenteil der bisherigen Bedeutung darunter verstanden werden kann“ (Bergsdorf 1983, S. 77 f.) (s. Pieck 1946b, S. 615; Grotewohl 1947, S. 284 f.). Neben Volk ist ÕMasse im sozialistisch-kommunistischen Kontext hochwertiges Begriffselement von Demokratie, z. B. das Wesen der Demokratie ist Verankerung der Staatsgewalt in den Massen (s. Grotewohl 1947, S. 283). In beiden Begriffselementen, Volk und Masse, drückt sich die ideologische Parallelisierung von Demokratie und Diktatur als „nur zwei Seiten ein und derselben Sache“ (Klaus/Buhr 1971 I, S. 224) aus sowie die Gleichsetzung von sozialistische Demokratie und Diktatur des Proletariats als Kennzeichen der Übergangsphase vom Kapitalismus, resp. Faschismus als dessen letzter Konsequenz, zum Sozialismus. Das abgeleitete Adjektiv demokratisch referiert als Selbstbezeichnung auf das nach 1945 entwickelte politische Gemeinwesen in Wendungen wie demokratische Ordnung, wahrhaft antifaschistisches, demokratisches Regime, demokratisches Deutschland, (wahrhaft) demokratischer Staat, unser demokratisches Staatswesen, der demokratische Charakter der Deutschen Demokratischen Republik, Deutschland ist eine unteilbare demokratische Republik, der erste wirklich demokratische Staat (s. Ulbricht 1945a, S. 40 f.; KPD-Aufruf September 1945; KPD 1945, S. 20; Einheit 1946, S. 2; Grotewohl
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1947, S. 283; Grotewohl 1947, S. 284; Grotewohl 1949b, S. 124; Artikel 1 der Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949; Grotewohl 1950b, S. 122; Becher 1953, S. 317), auf unterschiedliche Handlungsbereiche in Formulierungen wie demokratische Rechte und Freiheiten des Volkes, neue demokratische Lebensformen, demokratisch durchgeführte Wahlen, demokratische Volksrechte, demokratische deutsche Literatur, demokratische Freiheit, wahrhaft demokratische Politik, demokratische Reformen, demokratische Boden- und Schulreform (s. KPD 1945, S. 19; Abusch 1946, S. 269; Abusch 1946, S. 271; Pieck 1946b, S. 615; Grotewohl 1947, S. 283; Grotewohl 1949b, S. 124), auf Handlungsformen in Wendungen wie bürgerlich-demokratische Umbildung, demokratische Neugestaltung, demokratische Entwicklung, wahrhaft demokratische Erziehung (s. KPD 1945, S. 17 f.; Grotewohl 1947, S. 283; Grotewohl 1950b, S. 122; Grotewohl 1952a, S. 269 f.). Nichttäter West ÕFrieden, ÕFreiheit und Demokratie sind im Westen diejenigen lexikalischen Träger des Schulddiskurses, die dessen politische Dimension realisieren. Die Funktion des Schulddiskurses ist die ethisch-moralische Restituierung der westdeutschen Gesellschaft. Als Teil dieses Vorhabens ist das Diskurssegment der politischen Kultivierung zu sehen, zu dessen Realisierung die Leitvokabeln ÕFrieden, ÕFreiheit und Demokratie dienen. Ihr hoher Kookkurrenzgrad ist Manifestation eines begrifflichen Bedingungsverhältnisses, welches durch die Relation semantischer Teilsynonymie von ÕFreiheit, ÕFrieden und Demokratie verursacht wird (s. SPD 1945, S. 29; Kaisen 1945, S. 16; Stegerwald 1945, S. 23 f.; Sternberger 1946, S. 44; Grimme 1946d, S. 107; CDU 1946, S. 50; Spranger 1947, S. 39; Litt 1947, S. 31 f.; Ministerkonferenz 1947, S. 583; Verfassungsausschuß 1948, S. 508; Bader 1949, S. 114). Demokratie westlicher Prägung ist ein zunächst überpolitisch ausgedeuteter Begriff. ‚Was ist Demokratie?‘ fragen die nachkriegsdeutschen Zeitgenossen, und die Antwort wird von den Diskursbeteiligten mit Formeln wie Demokratie ist nicht (nur) …, oder Demokratie ist mehr als … gegeben in Formulierungen wie Die Demokratie darf sich nicht auf das Politische beschränken, Demokratie ist keine bloße Angelegenheit von Staat zu Staat, Demokratie heißt nicht nur Wählerstatistik, Die Demokratie erschöpft sich nicht nur in der parlamentarischen Regierungsform, Demokratie ist mehr
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als ein politisches Geschäft (s. Schumacher 1945b, S. 253; Stegerwald 1945, S. 23 f.; Heuss 1946b, S. 206 f.; Adenauer 1946, S. 143; Grimme 1946d, S. 109 f.; Müller-Armack 1949, S. 139; Zinn 1951, S. 46). Die Haltung, welche die westdeutschen Diskursteilnehmer zur Demokratie in diesen Formulierungen ausdrücken, zeugt über die Parteien hinweg wenn nicht von Politikfeindlichkeit, so doch von Politikskepsis in spezifischem Sinn. Man spricht mit der Erfahrung eines Weimarer Demokratiebegriffs, mit der Überzeugung, dass Demokratie zur Zeit der Weimarer Republik nicht fest im Denken und Fühlen der Deutschen eingelassen war. Insofern ist in Gebrauchsweisen wie Demokratie ist eine Weltanschauung, eine Lebensform usw. nicht nur ein überparteiliches, sondern ein überpolitisches Demokratieverständnis aufgehoben, welches die Bedeutung, die Demokratie für die Diskursteilnehmer des westlichen Systems als geistige Haltung hat, spiegelt. Ihr Anliegen im Zuge des nachkriegsdeutschen Demokratisierungsprozesses ist es, ihre Zeitgenossen davon zu überzeugen, dass sich Demokratie nicht auf Formalien und auf vereinzelte Akte demokratischen Handelns beschränkt. Damit wäre kaum eine Nachkriegsdemokratie auf den Weg zu bringen, die Stabilität und Nachhaltigkeit verspricht. Das aber ist Voraussetzung für eine deutsche Zukunft: eine stabile Demokratie zu sein. Die ist gewährleistet, wenn jeder Deutsche seine Existenz auf demokratische Füße stellt, wenn sie, in der Formulierung Schumachers, „die große Selbstverständlichkeit im Leben unseres Volkes“ (s. Schumacher 1945b, S. 253) ist. Wer sein Dasein demokratisch gestaltet, wer von Demokratie durchdrungen ist, hat das demokratische Prinzip als existenzielle Sinnkategorie angenommen. Das ist die, den westlichen Demokratiediskurs voraussetzende Grundüberzeugung der Diskursteilnehmer und ihr argumentatives Ziel. Die angemessene Haltung zur Erreichung dieses Ziels einer umfassenden nachhaltigen Demokratisierung, die im Osten kämpferisch (ÕKämpfer) heißt, heißt im Westen gläubig (s. Grimme 1946d, S. 109 f.). Der Weg in die Demokratie soll eingeschlagen werden, und als Gegenstand der gleichsam religiösen Verehrung erfährt das Bekenntniswort Demokratie diese Ausdeutung als eine ethisch-moralische Instanz. Vielleicht wichtigste Strategie bei der Vermittlung eines nachkriegsdeutschen Demokratieverständnisses westlicher Prägung ist diese Ethisierung des Begriffs. Demokratie ist ethisch-moralische Kategorie in Wendungen wie: Demokratie ist die Bejahung jedes Menschen und jeden Volkes in seinem Wert und seiner Würde,
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Demokratie ist ein ethisch-geistiges Verhalten, Die schönste Demokratie nützt nichts, wenn die Menschen nicht aus ihrem Gewissen heraus leben (s. Grimme 1946d, S. 107 f.; Grimme 1946d, S. 109; Spranger 1947, S. 39). Die Differenz der westdeutschen gegenüber der ostdeutschen Demokratieauffassung manifestiert sich in dem individualistischen Menschenbild des ethisierten Demokratiebegriffs. Das individualistische Menschenbild ist Konstituente des westlichen Demokratiebegriffs, wie das kollektivistische Menschenbild den sozialistischkommunistischen Demokratiebegriff konstituiert, woraus sich die Gegenüberstellung Mensch und ÕMasse (s. Grimme 1946d, S. 107) ergibt. Masse dient als Negativkonzept zur Konstituierung des westlichen Demokratiekonzepts, das durch die an Demokratie gebundenen Gegenbegriffe Individualität und Würde des einzelnen Menschen bestimmt ist. Diesem individualisierenden Denken angemessene Partnerwörter sind daher auch Anerkennung des Menschtums, Achtung vor dem Menschen, Partner, Vertrauen, Verständigung, Freiheit der Person, Würde, Wert eines jeden einzelnen Menschen, Achtung der Person, Persönlichkeit: Demokratie ist eine Weltanschauung, die wurzelt in der Auffassung von der Würde, dem Werte und den unveräußerlichen Rechten eines jeden Menschen, Würde und Freiheit der Person und damit wahre und echte Demokratie, Demokratie ist die politische Form, in der die Achtung der Person Grundsatz geworden ist, Demokratie heißt die Anerkennung eines reinen Menschentums (s. Adenauer 1946, S. 143; CDU 1946, S. 50; Grimme 1946d, S. 107; Grimme 1946d, S. 107 f.; Heuss 1946b, S. 206 f.; Litt 1947, S. 31 f.; Zinn 1951, S. 46). Ein weiteres Individualitätsprinzip, auf dem der westliche Demokratiebegriff gründet, heißt ÕFreiheit. So ist es folgerichtig, wenn Freiheit und Demokratie in einem mutuellen und bisweilen synonymen Bedingungsverhältnis zueinander stehen (s. SPD 1945, S. 29; Kaisen 1945, S. 16; Grimme 1946d, S. 99; Spranger 1947, S. 39; Litt 1947, S. 31 f.; Ministerkonferenz 1947, S. 583; Verfassungsausschuß 1948, S. 508). In der Formel Demokratie ist praktizierte Freiheit können sich wie in der von Demokratie als Lebensform die Zeitgenossen jeglicher Orientierung westlicher Provenienz wiederfinden. Bei allem Grundkonsens, der hinsichtlich der begrifflichen Ausstattung des Bekenntnisses zur Demokratie herrschte, gehört zum Wesen des westlichen politischen Diskurses jedoch auch, dass wegen fehlender staatlich autoritärer Deutungshoheit parteilich bzw. welt-
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anschaulich festgelegte Zeitgenossen absolute Ansprüche erheben. Im Zuge des nachkriegsdeutschen Demokratiediskurses vereinnahmt man Demokratie insofern für die jeweilige eigene Position und spricht damit gleichzeitig implizit anderen Richtungen jeglichen Anteil an demokratischen Prinzipien ab. So wird Demokratie mit weltanschaulich bedingten Kontextpartnern versehen, die sozialdemokratisch-sozialistischen Programmen entsprechen, in Formeln wie Die Demokratie ist untrennbar von Begriff und Ethik des Sozialismus, Wehe der Arbeiterschaft, die die Demokratie mißachtet, heute ist in Deutschland die Demokratie noch nicht sehr viel stärker als die Sozialdemokratische Partei, Demokratie ist nichts anderes als der Sozialismus (s. Schumacher 1945a, S. 256; Kaisen 1945, S. 16; SPD 1945, S. 29; Schumacher 1946b, S. 394; Grimme 1946d, S. 109). Christdemokratisch-konservative Programme repräsentieren Wendungen wie Demokratie hat viel mit den Fundamentalgrundsätzen des Christentums zu tun, Demokratie ist eine Weltanschauung, die das Christentum entwickelt hat, Die christliche Weltauffassung allein gewährleistet eine wahre und echte Demokratie, Letztlich kann die Demokratie ihren Sinn nur aus dem Christentum empfangen (s. Stegerwald 1945, S. 23 f.; Adenauer 1946, S. 143; CDU 1946, S. 50; Müller-Armack 1949, S. 139). Insofern kann bestätigt werden, dass Demokratie seit 1945 „zu einem All-Begriff und damit potenziell zu einer ‚Leerformel‘ (Topitsch) geworden [ist], die jeweils verschieden und gegensätzlich gefüllt werden kann“ (Brunner/Conze/Koselleck I, S. 898). Andererseits aber waren die politischen bzw. gesellschaftlichen Funktionsträger diejenigen, die das westdeutsche Demokratisierungsprojekt umgesetzt haben. Sie sind als Demokraten in dem Sinn zu verstehen, dass sie aus dem Negativvorbild des Nationalsozialismus und aus dem Demokratieprozess seit Mitte des 19. Jahrhunderts einen auf den Werten der Menschenrechte basierten Demokratiebegriff entwickelt haben, so dass das in der Verfassung fixierte Junktim von Grundwerten und Demokratie ethische und politische Verbindlichkeit geschaffen hat. Das abgeleitete Adjektiv demokratisch referiert auf konkret politische Sachverhalte, wie demokratische Verfassung, rechtsstaatliche Ordnung auf demokratischer Grundlage, ein Staat im vollen demokratischen Sinne, die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat (s. Verfassungskonvent 1948, S. 56; Geiler 1948, S. 9 f.; Verfassungsausschuß 1948, S. 508; Grundgesetz
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1949, Artikel 20). Hierher gehören auch Wendungen, die die Beanspruchung durch eine politische Partei ausdrücken, wie Der Sozialismus ist in sich demokratisch, die Arbeiterschaft muß demokratisch sein (s. Schumacher 1945a, S. 256; Kaisen 1945, S. 16). Der Gebrauch entspricht darüber hinaus der Entpolitisierung des Substantivs, da das Adjektiv häufig in Verbindungen vorkommt, in denen demokratisch auf allgemeinere Sachverhalte referiert, z. B. demokratische Freiheiten, wirklich demokratisch denken, der demokratische Gedanke, demokratische Sitte (s. SPD 1945, S. 29; Adenauer 1946, S. 143; Grimme 1946d, S. 107; Sternberger 1946, S. 44). Solange Faschismus und Militarismus in Deutschland nicht restlos vernichtet sind, wird es keine Ruhe und keinen Frieden bei uns und in der Welt geben. Unsere ersten Anstrengungen müssen darauf gerichtet sein, alle gesellschaftlichen Erscheinungen dieser blutigen Unterdrückung des Lebens für immer zu beseitigen .. . [Wir] erstreben .. einen neuen Typ der Demokratie, die sich nicht in einem leeren, formelhaften Parlamentarismus erschöpft, sondern der breiten Masse in Stadt und Land eine effektive Betätigung in Politik und Verwaltung ermöglicht (Schwur von Buchenwald 1945; zit. nach Overesch 1995, S. 94 f.). In einer antifaschistisch-demokratischen Republik können demokratische Freiheiten nur denen gewährt werden, die sie vorbehaltlos anerkennen. Demokratische Freiheiten sind aber denen zu versagen, die sie nur nutzen wollen, um die Demokratie zu schmähen und zu zerschlagen. (SPD 1945, S. 29) In dieser entscheidenden Stunde ist es wiederum die geschichtliche Aufgabe der deutschen Arbeiterklasse, Trägerin des Staatsgedankens zu sein: einer neuen, antifaschistisch-demokratischen Republik! (SPD 1945, S. 29) Die Demokratie ist untrennbar von Begriff und Ethik des Sozialismus. Der Sozialismus ist in sich demokratisch, ist als Kampf um die geistige, politische und ökonomische Befreiung der arbeitenden Massen ein Kampf um das Recht und die Freiheit gegen Vergewaltigung und Knechtung (Schumacher 1945a, S. 256). Toleranz in Sachen der Demokratie bedeutet den sicheren Sieg der intoleranten Feinde der Demokratie .. Wer die Demokratie verneint, kann nicht Vollbürger in der Demokratie sein (Schumacher 1945a, S. 261 f.). Die Demokratie im neuen Deutschland darf sich nicht auf das Politische beschränken, sie muß das ganze gesellschaftliche und kulturelle Leben durchdringen, muß bis zur letzten Konsequenz die große Selbstverständlichkeit im Leben unseres Volkes werden (Schumacher 1945b, S. 253). einige Sätze über das Wesen der Demokratie .. Das Wort ‚Demokratie‘ ist in diesen Zeiten so oft gebraucht worden, daß es droht, zu einer abgegriffenen Münze zu werden. Das darf nicht sein. Man soll nicht immer und überall von Demokratie nur sprechen. Man soll immer und überall nach den Grundsätzen der Demokratie handeln. (Adenauer 1945, S. 80 f.) „ich bin Demokrat – aber jetzt heißt es Ausmisten“ (Klemperer 1945, Tagebücher 1945–1949, S. 44). Ich betete meinen alten Spruch her: Ihr [die Kommunisten] geht nicht schroff genug in Amts- und Schulbesetzungen vor! Darauf er, u. dies gab mir doch einen Stoß in die
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Herzgegend: „Wir müssen ja vorläufig am demokratischen Staat mitmachen; später …“ bedeutungsvolles Aufhören. (Klemperer 1945, Tagebücher 1945–1949, S. 107) Wenn andere demokratisch sein dürfen; die Arbeiterschaft muß demokratisch sein. Warum? Weil es seine [sic!] Kräfte nur auf dem Boden der Demokratie entfalten kann und nur auf dieser Grundlage die Kraft und Reife entwickeln kann, seine gesellschaftliche, soziale und kulturelle Lage zu bessern. Wehe der Arbeiterschaft, die die Demokratie mißachtet. Die deutsche Arbeiterschaft hat wahrlich gelernt, wie leicht es ist, zu einem Diktator zu kommen, sie hat gelernt, wie unendlich schwer es ist, ihn wieder los zu werden. Vergessen wir es nie, prägen wir es unseren Kindern und Enkeln ein! Die Freiheit und die Demokratie sind wie Licht und Sonne, man muß sie entbehrt haben, um zu wissen, daß man ohne sie nicht leben kann (Kaisen 1945, S. 16). Demokratie ist .. keine bloße Angelegenheit von Staat zu Staat, keine bloße Angelegenheit des Verkehrs der Behörden mit dem Publikum .. Einfachen Menschen scheint mir am besten das Wesen der Demokratie vermittelt werden zu können mit der alten christlichen Formel: „Was du nicht willst, das man dir tu’, das füg’ auch keinem andern zu!“ .. Demokratie ist kameradschaftlicher Verkehr von Mensch zu Mensch. Demokratie ist Bekämpfung der Ichsucht, Demokratie ist Bekämpfung des Einzelegoismus und des Gruppenegoismus, Demokratie ist, individuelle Freiheit und Gemeinschaftsbewußtsein glücklich miteinander zu vermählen. Demokratie ist, aus unanständigen anständige Menschen zu machen, alles Unanständige im menschlichen Zusammenleben zu bekämpfen und alles Anständige zu unterstützen und zu fördern. In diesem Sinne hat Demokratie viel gemeinsam mit den Fundamentalgrundsätzen des Christentums, die m.E. vielfach zu abstrakt gelehrt worden sind .. Kurz: Demokratie ist das gleiche, wie wenn zwei alte Geschäftsfreunde miteinander verkehren und beide bestrebt sind, daß bei einem Geschäft jeder zu seinem Rechte kommt (Stegerwald 1945, S. 23 f.). Ausrottung und Vernichtung unserer Gegner, Zerstörung jeder Lebensbasis für sie, das würde die Demokratie belasten. So zu verfahren, das überlassen wir den Diktatoren. Wir aber wollen Demokraten sein! Das heißt: Wir achten jede andere Meinung, doch das heißt nicht, daß wir auch die frei wachsen lassen dürfen, die diese Achtung untergräbt. Wir dürfen dessen Meinung sich nicht frei entfalten lassen, der nur versteckt auf einen Zeitpunkt wartet, wo er die jede Gemeinschaft untergrabende Intoleranz der anderen Meinung gegenüber erneut ausbrechen lassen kann. Dem wird der neue Staat hart zu begegnen wissen. Großmut nur da, wo sie am Platze ist! Nie wieder wird der neue Staat wie die gutmütigste von allen Republiken, wie der Staat von Weimar, das Gebot vergessen: Sei tolerant nur gegenüber dem selber Toleranten, sei duldsam nur dem gegenüber, der selber duldsam ist; denn alle Toleranz hat ihre Grenze an der Intoleranz. Wir haben schwer dafür gebüßt, daß diese Grenze der freien Meinungsäußerung der Staat von Weimar nicht gesehen hat. Es gibt keine unbedingte Freiheit. Freiheit nur dem, der selbst die Freiheit respektiert! Wer heute anders als dem Feind der Freiheit gegenüber unerbittlich handeln wollte, verginge sich an unseren Toten; denn was sie wollten, war die Freiheit der menschlichen Person. Wir fordern Wiedergutmachung, wir wollen aber nicht Vergeltung. Wir fordern, wo es sein muß, die Bestrafung, wir wollen aber nicht die Rache (Grimme 1945c, S. 54 f.).
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Mit der Vernichtung des Hitlerismus gilt es gleichzeitig, die Sache der Demokratisierung Deutschlands, die Sache der bürgerlich-demokratischen Umbildung .. zu Ende zu führen (KPD 1945, S. 17 f.). wahrhaft antifaschistisches, demokratisches Regime (KPD-Aufruf September 1945). Herstellung der demokratischen Rechte und Freiheiten des Volkes .. neue[..] demokratische[..] Lebensformen des Volkes (KPD 1945, S. 19). Notwendig ist die Schaffung einer festen Einheit der Demokratie für die endgültige Liquidierung des Nazismus und zum Aufbau eines neuen demokratischen Deutschlands! (KPD 1945, S. 20) Eine solche demokratisch-parlamentarische Ordnung gibt der Arbeiterschaft die Möglichkeit, sich nach langer Zersplitterung zu einigen und damit die Garantie zu schaffen für die künftige Einigung unseres Volkes (Ulbricht 1945a, S. 40). Eine demokratische Ordnung ermöglicht die völlige Vernichtung des Nazismus und das Wachsen der fortschrittlichen Kräfte .. ist der Boden, auf dem sich ein fester Block der antifaschistischen demokratischen Parteien bilden kann .. . Eine demokratische Ordnung gab die Möglichkeit, alle antifaschistisch-demokratischen Kräfte in allen Teilen des Reiches zu entwickeln, und trägt dazu bei, die nationale Einheit zu erhalten und zu sichern (Ulbricht 1945a, S. 40 f.). alles daransetzen, die Herzen und Hirne unseres Volkes .. mit dem Geiste einer kämpferischen, aufbauenden Demokratie [zu erfüllen] (Pieck 1945b, S. 55). Das soll nicht die impotente Demokratie sein, die wir in der Weimar-Republik kennenlernten, die nicht die Rechte des deutschen Volkes stärkte, sondern wo diese Demokratie von allen reaktionären Elementen für ihre volksfeindlichen Ziele ausgenutzt wurde und an deren Ende die Hitlerherrschaft stand. Wir wollen eine Demokratie, in der die Rechte des werktätigen Volkes ständig erweitert und ihm der entscheidende Einfluß auf die Innen- und Außenpolitik des Landes gesichert ist (Pieck 1945b, S. 55). Aufrichtung eines antifaschistisch-demokratischen Regimes, einer parlamentarischdemokratischen Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk (Pieck 1945b, S. 59). die im 19. Jahrhundert aufgekommene Sozialdemokratie .., neben der die kommunistische Partei steht. Inwieweit die letztere eine echte demokratische Linie gewinnen und durchhalten wird, bleibt abzuwarten. Die christliche Demokratie findet ihre Anknüpfung in der alten Zentrumspartei sowie im Christlichen Volksdienst. Sie hat sich in der neuen Christlich Demokratischen Union formiert und wird aus den ehemaligen Rechtsparteien diejenigen christlichen Kräfte aufnehmen, die aus der nun zerbrochenen Gebundenheit dieser Gruppen an einen reaktionären Konservatismus für eine demokratische Ordnung unseres öffentlichen Lebens freigeworden sind. Der Unterschied zwischen diesen beiden wesentlichen Kräften des demokratischen Aufbaues ist klar. (Heinemann 1945/46, S. 19 f.). Demokratische Neugestaltung Deutschlands (Ackermann 1946, S. 351). wir müssen .. neu aufbauen .. Ausbau der Selbstverwaltung auf der Grundlage demokratisch durchgeführter Wahlen .. Sicherung der demokratischen Volksrechte (Pieck 1946b, S. 615). Die Kommunisten haben nur eine Stärke. Das ist ihre Disziplin. Aber Disziplin haben ja auch die preußischen Unteroffiziere gehabt. Für die neue Meisterung und für die neue Erkenntnis der Verhältnisse liefern sie eigentlich nichts mehr als ein Übermaß von schmückenden Vokabeln für das Wort Demokratie. Aber es ist eine
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Demokratie, die sie falsch aussprechen und mit falscher Orthographie schreiben .. . Nicht, was in den öffentlichen Kundgebungen an Demokratie propagiert wird, ist entscheidend für den demokratischen Charakter einer Partei, sondern das, was diese Partei auch wirklich praktiziert (Schumacher 1946b, S. 394). ich [muß] mit Schmerz feststellen, daß heute in Deutschland die Demokratie noch nicht sehr viel stärker ist als die Sozialdemokratische Partei. Alle anderen haben erst das Kriegspotential und die Suprematie der angelsächsischen Waffen gebraucht, um ihr Herz für die Demokratie zu entdecken. Wir haben das nicht nötig gehabt. Wir würden Demokraten sein, auch wenn die Engländer und Amerikaner Faschisten wären (Schumacher 1946b, S. 394). Eine Demokratie mit Einheitspartei oder Einheitslisten ist keine Demokratie, sondern ist das Gegenteil: Diktatur (Schumacher 1946b, S. 411). Es ist die geschichtliche Aufgabe der SED, aus dem Trümmerhaufen, in den die Hitlerbande unser Vaterland verwandelt hat, wieder ein gewöhnliches Haus für unser Volk zu machen und Deutschland in einen demokratischen Staat umzuwandeln, der fähig und bereit ist, mit allen Völkern in Frieden und Freundschaft zu leben (Einheit 1946, S. 2). Die christliche Weltauffassung allein gewährleistet Recht, Ordnung und Maß, Würde und Freiheit der Person und damit eine wahre und echte Demokratie (CDU 1946, S. 50). Wer wirklich demokratisch denkt, muß sich immer leiten lassen von der Achtung vor dem anderen, vor seinem ehrlichen Wollen und Streben (Adenauer 1946, S. 143). Die Demokratie erschöpft sich für uns nicht in der parlamentarischen Regierungsform oder gar in der Herrschaft einer Mehrheit über eine Minderheit .. . Demokratie ist mehr als parlamentarische Regierungsform; sie ist eine Weltanschauung, die .. wurzelt in der Auffassung von der Würde, dem Werte und den unveräußerlichen Rechten eines jeden einzelnen Menschen, die das Christentum entwickelt hat. Demokratie muß diese unveräußerlichen Rechte und den Wert eines jeden einzelnen Menschen achten im staatlichen, im wirtschaftlichen und kulturellen Leben (Adenauer 1946, S. 143). Wir nennen uns christliche Demokraten, weil wir der tiefen Überzeugung sind, daß nur eine Demokratie, die in der christlich-abendländischen Weltanschauung, in dem christlichen Naturrecht, in den Grundsätzen der christlichen Ethik wurzelt, die große erzieherische Aufgabe am deutschen Volke erfüllen und seinen Wiederaufstieg herbeiführen kann. (Adenauer 1946, S. 143 f.). Wir werden froh sein, .. wenn wir nur einmal wieder den festen Boden eines freien Lebens bekommen. Dies sollen wir bekommen im Zeichen der Demokratie .. . Die Deutschen müssen bei dem Wort Demokratie ganz von vorn anfangen im Buchstabieren, auch wenn sie sich heute Demokraten nennen .. Demokratie heißt .. nicht nur Wählerstatistik und ist nicht nur ein Rechenverfahren .. Demokratie heißt .. im Elementaren die Anerkennung eines reinen Menschentums, das auch im Gegner den Partner sieht, den Mitspieler .. . Wir brauchen für diesen Weg den Geist der Duldung, Duldung ist nicht ein schwächliches Gesäusel, sondern ein männliches Verstehen des anderen (Heuss 1946b, S. 206 f.). Aufbau einer lebendigen und kämpferischen Demokratie [ist Voraussetzung für die Rückkehr des deutschen Volkes] in die Gemeinschaft der friedliebenden Nationen (SED 1946a, S. 25).
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Die antifaschistisch-demokratische Republik und die Politik der Völkerverständigung sind .. unerläßliche Voraussetzungen für die Existenz und Zukunft Deutschlands (SED 1946a, S. 25). Die sozialistische Einheitspartei Deutschlands will .. bei dem Aufbau einer antifaschistisch-demokratischen Republik nicht stehenbleiben. Ihr Ziel ist die sozialistische Gesellschaftsordnung, die alle Ausbeutung des Menschen durch den Menschen aufhebt, den Klassengegensatz zwischen Armut und Reichtum beseitigt, den Frieden endgültig sichert und eine voll entfaltete Demokratie herbeiführt. (SED Manifest 1946, S. 28) Wiederaufbau Deutschlands im Geiste der Demokratie, die durch das Volk für das Volk erkämpft werden wird, einer Demokratie, in der Antifaschisten regieren werden und regieren sollen (FDJ 1946, S. 14). Einer demokratischen deutschen Literatur der Gegenwart wird die große nationale Aufgabe gestellt sein, zu helfen: die deutsche Realität endlich den deutschen Köpfen bewußt zu machen, das deutsche Gefühl humanistisch zu lenken – im Glauben an die unerschöpfliche, sich auch aus der schwersten Krankheit regenerierende Kraft des Volkes. (Abusch 1946, S. 269) Die neue deutsche Demokratie wird antiimperialistisch sein (Abusch 1946, S. 270). In unserem „Jahrhundert des gemeinen Mannes“ weiß man genau – besonders seit der Wirtschaftskrise von 1930/33, aus der Hitlers Aufstieg erwuchs – daß eine Freiheit ohne Brot von keinem Volke als eine wahre Freiheit empfunden werden kann. Die Möglichkeit zum Leben auch einer deutschen Demokratie zu sichern, gehört deshalb zur überlegten Stärkung des Friedens und der demokratischen Freiheit der Welt (Abusch 1946, S. 271). unser Kampf für die Erhaltung der Einheit Deutschlands [ist] geradezu eine Notwendigkeit für den Sieg der Demokratie, für den Frieden und für den Fortschritt. Als FDJ haben wir deshalb als ersten Grundsatz die Erhaltung der Einheit Deutschlands (Honecker 1946, S. 33). Demokratie und Mitschuld .. sind zwei Begriffe, in denen sich die Zukunft und die Vergangenheit wie in einem Brennpunkt auffangen (Grimme 1946d, S. 93). Demokratie will Menschen, die darauf aus sind, sich selber eine Meinung zu erwerben, um sich dann hierfür oder dafür in voller Freiheit zu entscheiden (Grimme 1946d, S. 99). Demokratie bedeutet gleiches Anrecht dazu für jedermann, aus welcher Schicht er stammt. In ihr entscheidet nicht Besitz und nicht Geburt, nichts vielmehr als die Leistung und das Können. Regieren soll der Beste, wo immer seine Wiege stand .. . ‚Ich bin ein Mann des Volkes‘, dieses Wort stahl Hitler der demokratischen Verfassung; denn waren die Ebert, Brüning, Severing es etwa weniger? Stand deren Wiege etwa in deutschen Schlössern? Sie bauten sich nicht einmal welche, als sie die Macht in Händen hielten, wie jene Görings, Goebbels und wie sie alle hießen, und sie ließen sich auch nicht von der Klosterkammer in Hannover ganze Wälder und große Morgen Land zusprechen, wie jener Generalfeldmarschall, der Eure Väter, Eure Brüder, Eure Kameraden ohne eine Spur von eigener Verantwortung mit einem sittlich stupiden ‚Zu Befehl Führer‘ in Tod und Elend kommandierte – wie jener Keitel. Und hätten sie auf Kosten des Volkes sich bereichert, sie wären bei einer demokratischen Verfassung im Nu hinweggefegt. Die Diktatur, Ihr jungen Kameraden, war eben eine Staatsform der verschlossenen Türen. In ihr erfuhr kein Mensch, was hinter ihnen
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auf Kosten des Vermögens und des Blutes des deutschen Volkes verbrecherisch geplant und angeordnet wurde (Grimme 1946d, S. 100 f.). Jetzt freilich jammert mancher: Ich habe das ja alles nicht gewußt! Dem wollen wir nun doch zwei Worte noch ins Stammbuch schreiben .. . Wer davon wirklich keine Ahnung hatte und das beklagt, der sei sich dessen klar, daß er damit den Stab bricht über das Prinzip der Führer-Diktatur. In einem demokratischen Regime, da hätte man’s gewußt. Demokratie verlangt die öffentliche Rechnungslegung und ist somit zugleich ein Mittel der Kontrolle alles dessen, was im Staat geschieht (Grimme 1946d, S. 101 f.). Der demokratische Gedanke erkennt den Menschen als Menschen an, d. h. als freies Selbstentscheidungswesen. Demokratie ist deshalb die politische Form, in der die Achtung der Person Grundsatz geworden ist. Und umgekehrt, Ihr habt es selbst erlebt, bedeutete der Staat der NSDAP die Staatsform der totalen Mensch- und Volksverachtung. Die Staatsform der NSDAP kannte nur eine Herrenschicht, und alles andere war ihr Masse (Grimme 1946d, S. 107). der demokratische Gedanke wird überall da angefressen und verhöhnt, wo es an Achtung vor dem Menschen fehlt –, wo man nicht an den Menschen glaubt (Grimme 1946d, S. 107). Demokratie bedeutet die Erlösung des Menschen aus der Masse zu seinem Menschtum, zur Persönlichkeit. Sie will nicht herrschen, sondern dienen. Für die Diktatur bedeutete der Mensch als Masse nichts als ein austauschbares Stück Natur. Der Demokrat weiß, daß der Mensch mehr ist als solch ein Stück Natur; er sieht in ihm den Geistesträger und weiß, daß man den einen nicht beliebig ersetzen kann durch einen anderen. Der Demokrat bejaht den Geist im Menschen, die Diktatoren möchten den, der ihn trägt, vergasen .. . Ein Demokrat sein heißt nichts anderes, als in jedem Menschen seinen Wert und seine Würde als menschliche Person bejahen .. Demokratie .. ist die Bejahung jedes Menschen und jedes Volkes in seinem Wert und seiner Würde .. Der Zweifel an dem Wert des Menschen macht überall die Bahn frei für die Diktatoren (Grimme 1946d, S. 107 f.). Demokratie .. liegt im Vorpolitischen, im Menschlichen, sie ist ein ethisch-geistiges Verhalten zu Mensch und Volk und Völkern dieser Erde. Sie setzt den Menschen wieder ein in seine Würde (Grimme 1946d, S. 109). Demokratie [ist] die Renaissance des Menschen und ist im Grunde gar nichts anderes als Humanismus. Nichts anderes auch ist sie als der Sozialismus. Daß sie dem Sozialismus verschwistert ist, begreift man, wenn man sich überlegt, daß der Sozialismus nichts anderes will, als die Voraussetzung im Wirtschaftsleben dafür schaffen, daß jeder Mensch zur Würde seiner selbst als geistiger Person, von äußeren Bedingungen nicht mehr gehemmt, aufsteigen kann in freier Selbstentscheidung (Grimme 1946d, S. 109). das, was wir brauchen, Kameraden, ist ein neuer Glaube an uns selbst und an die anderen, wenn diese neue Staatsform lebendig werden soll .. . Demokratie .. ist nämlich mehr als ein politisches Geschäft und mehr als eine Staatsform .. Demokratie .. wurzelt letztlich im Religiösen. Entweder nämlich ist es Glaubensüberzeugung für mich, daß jeder Mensch und jedes Volk mit gleichem Anrecht von einer Macht, die nie ein Mensch begreift, in diese Welt gesandt ist, oder aber ich aberkenne allen anderen dieses Anrecht und halte niemand als mich selbst für auserwählt und für allein berechtigt, über Mensch und Volk und Völker zu entscheiden. So setzt im letz-
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ten unser demokratischer Gedanke eine Glaubensbruderschaft voraus .. . Es geht um einen neuen Glauben an den Menschen (Grimme 1946d, S. 109 f.). der Mensch muß zur Freiheit gebildet werden. Soll Freiheit herrschen, so muß der entschlossenen Wachsamkeit die intensive Bildung zur freien Sitte .. zum freien Anstand entsprechen .. zwischen der Freiheit des Einzelnen und dem Gesetz des Staates .. verbindet und vermittelt die demokratische Sitte, der gesellige Anstand. (Sternberger 1946, S. 44) Der Neuaufbau unseres staatlichen Lebens kann .. nur auf dem Wege echter Demokratie verwirklicht werden, in der alle Grundrechte menschlicher Freiheit gewährleistet sind (Ministerkonferenz 1947, S. 583). „Seitdem uns die demokratische Sonne bescheint, werden wir immer brauner“ (Kogon 1947b, S. 237). in ihr [der Demokratie] glaubt man, daß niemals ein Einzelner oder eine Gruppe, Schicht oder Klasse die ganze Wahrheit gepachtet hat; nur in Teilen und Splittern ist sie vorhanden, so daß sie durch Argumente und friedlichen Wettbewerb allmählich zu einer verhältnismäßig vollkommenen Wirklichkeit gebracht werden muß. Behauptung wie Praxis, schuldig sei, wer geirrt hat, ist undemokratisch, totalitär und überdies pharisäisch; man erschüttert auf solche Weise von vornherein jede Politik der Umerziehung in den Grundlagen (Kogon 1947b, S. 248). [Man soll den Mitläufern] eine geregelte, geordnete und überwachte Möglichkeit geben, – konkret, nicht bloß in Phrasen. Ich würde sie mit aufklärenden, Leben und Gesinnung ändernden Tatsachen füttern, nicht bloß mit der einen: Weg mit euch! (Was dann gar nicht radikal geschieht und geschehen kann.) Wer zeigt, daß er gelernt hat – in selbstverständlicher, nüchterner, unpathetischer Bewährung – der gehört zu uns: zur kämpfenden Gemeinschaft der weiter irrenden, aber um ein System bemühten Menschen, in dem das Recht auf politischen Irrtum nicht mit Schuld verknüpft zu sein braucht. Nur wirkliche Demokratie ist positive Befreiung (Kogon 1947b, S. 254). Das Problem, um das wir leiden und kämpfen und das unser Schicksal ist, ist das Problem einer wahrhaften Demokratie (Hagelstange 1947, S. 248). [Der] ungeheure[..] Aufwand der Besatzungsmacht [ist] eine üble Belastung für die werdende deutsche Demokratie (Troeger 1947, S. 28). Ohne politischen Kampf ist keine Demokratie möglich (Grotewohl 1947, S. 283). Wir Sozialisten sind konsequente Demokraten, indem wir für die allseitige Entfaltung dieses Verantwortungsbewußtseins des Volkes in den staatlichen Angelegenheiten eintreten. (Grotewohl 1947, S. 283) Das Wesen der Demokratie besteht nicht in dieser oder jener Rechtsinstitution, sondern in der Verankerung der Staatsgewalt in den Massen selbst (Grotewohl 1947, S. 283). zu einem wahrhaft demokratischen Staat gehört vor allem eine wahrhaft demokratische Politik (Grotewohl 1947, S. 283). die wirklich entscheidenden Momente einer demokratischen Neugestaltung, die Herausarbeitung der Prinzipien einer wahrhaft demokratischen, deutschen Politik, die das unabdingbare Fundament des neu sich gründenden deutschen Staatswesens ist (Grotewohl 1947, S. 283). die volle Volksherrschaft als Grundprinzip der Demokratie, ist für uns unabdingbar, und damit erst werden auch die Freiheitsrechte des Volkes für uns unabdingbar (Grotewohl 1947, S. 284 f.).
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Demokratisierung unseres Volkes [ist] nur möglich .. durch seine allseitige politische Aktivierung (Grotewohl 1947, S. 287). Faschismus und Militarismus, Monopole und Großgrundbesitz [sollen] keine „Opposition“ in unserem demokratischen Staatswesen sein, die nach gewissen verfassungsrechtlich fixierten „demokratischen“ Spielregeln ihr dunkles Spiel treiben darf (Grotewohl 1947, S. 284). Die schönste Demokratie nützt nichts, wenn die Menschen nicht aus ihrem Gewissen heraus leben, vielleicht gar kein Gewissen haben. Mit einer noch so verfeinerten Technik der Machtbildung ist der um sich greifenden Krankheit des politischen Lebens nicht abzuhelfen. Es muß zum gewissenhaften Leben, zu einer sittlich fundierten Politik erzogen werden (Spranger 1947, S. 39). Man kann nicht die Demokratie erziehen. Diese setzt vielmehr freie und ihrem Gewissen folgende Menschen schon voraus. Die Gefahr, daß die sittliche Freiheit vom Parteigetriebe wieder verschlungen werde, liegt nicht fern. Auch die Parteien müssen aus ernster Verantwortung für das Ganze handeln. Verantwortlichkeit ist etwas anderes und Höheres als Machtinstinkte, die sich mit politischen Ideologien umhüllen (Spranger 1947, S. 39). Der Neuaufbau unseres staatlichen Lebens kann .. nur auf dem Wege echter Demokratie verwirklicht werden, in der alle Grundrechte menschlicher Freiheit gewährleistet sind (Ministerkonferenz 1947, S. 583). Diese Losung [‚demokratische Erneuerung‘] wird nur dann mehr sein als eine wohlklingende Floskel, wenn sie als Bekenntnis verstanden wird zu der Freiheit des inneren Menschen, die nicht mit einer bestimmten Verfassung geschenkt werden kann, sondern in jedem Gliede der staatlichen Gemeinschaft von neuem geboren sein will. Es ist die Freiheit, die keiner für sich selbst in Anspruch nehmen kann, es sei denn, daß er sie auch dem andern zugestehe, der gleich ihm Menschenantlitz trägt. Bringen wir es zu einer Form des politischen Zusammenlebens, die von dem Geist dieser Freiheit durchseelt ist, dann, aber auch nur dann werden wir das Versprechen eingelöst haben, das in der Formel ‚demokratische Erneuerung‘ liegt. Bringen wir es nicht so weit, dann wird das Wort ‚Demokratie‘ nicht mehr sein als ein neuer Name für die alte Unfreiheit. Gehen wir darum ans Werk und bauen wir dem deutschen Volke ein Haus, in dem der Geist dieser Freiheit eine Wohnstatt findet! (Litt 1947, S. 31 f.) der Begriff der Demokratie, dessen unterschiedliche Auslegung als westliche oder östliche, freie oder autoritär gelenkte Demokratie [stiftet] gerade dort heillose Verwirrung .., wo die wahre eindeutige Demokratie das einzige Mittel zur Gesundung sein würde (Pechel 1947, S. 248). Unsere Aufgabe besteht darin, .. daß wir selbst die Demokratie in unserem Lande sichern können, auch mit der Literatur (Harich 1947, S. 350). Frühling wurds in deutschem Land./Über Asch’ und Trümmerwand/flog ein erstes Birkengrün/probweis, delikat und kühn,/als von Süden, aus den Tälern,/herbewegte sich von Wählern/pomphaft ein zerlumpter Zug,/der zwei alte Tafeln trug.//Mürbe war das Holz von Stichen/und die Inschrift sehr verblichen,/und es war so etwas wie/ Freiheit und Democracy .. . Freiheit und Democracy: Für die Rüstungsindustrie/Freiheit und Democracy .. auch für die Chemie/Freiheit und Democracy .. . Die SS .. Freiheit braucht auch sie, Freiheit und Democracy (Brecht 1947, S. 943–949). eine unserer vornehmsten Aufgaben .. als Schriftsteller liegt darin, daß wir .. unsere Stimme klar und deutlich erheben .. für die Herstellung der deutschen Einheit auf
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der Grundlage einer echten deutschen Demokratie zur Wahrung unseres großen deutschen Kulturgutes, das es zu verteidigen gilt (Bredel 1947, S. 238). Die Verfassung muß sein demokratisch, sie muß sein föderalistisch, indem sie die Rechte der beteiligten Länder schützt, sie muß aber gleichzeitig auch eine angemessene Zentralinstanz schaffen, und sie muß vor allem eine Garantie bieten für die Rechte und Freiheiten des Einzelmenschen (Verfassungskonvent 1948, S. 56). Infolge der Gewaltenteilung, in der wir zurzeit leben, dieses völkerrechtlichen Zustandes einer kriegerischen Besetzung Deutschlands durch die vier großen Siegermächte, verbunden mit einer politischen Intervention, die die Regierungssouveränität über unser Staatsgebiet zwar nicht endgültig, aber doch für einige Zeit auf die Siegermächte hat übergehen lassen, fehlt uns ja weitgehend die Freiheit des Willens, die Demokratie bei uns so zu gestalten, wie wir es selbst für richtig finden .. Zwar ist der ausdrückliche Zweck dieser Autoritätsübernahme durch die Siegermächte, wie er insbesondere in der Berliner Deklaration und dem Potsdamer Protokoll ausgesprochen ist, die Schaffung einer rechtsstaatlichen Ordnung in Deutschland auf demokratischer Grundlage. Allein die auch sonst so unheilvolle Zonenaufteilung Deutschlands mit ihrer weitgehenden Selbständigkeit jeder der vier Siegermächte in der von ihnen besetzten Zone führt ja dazu, daß diese Etablierung der Demokratie in jeder Zone in anderer, zum Teil so abweichender Form erfolgt, daß z. B. die politische Gestaltung in der russischen Zone sich erheblich von den demokratischen Vorstellungen der anderen Siegermächte entfernt. Es fehlt uns also einmal zur Zeit noch die Möglichkeit, die Demokratie in Deutschland einheitlich und allein nach unserem Willen zu konstituieren (Geiler 1948, S. 9 f.). die Art und Weise, wie die Denazifizierung zurzeit gehandhabt wird, [ist] keine gute Geburtshelferin für die neue Demokratie. (Geiler 1948, S. 11) Ein Staat im vollen demokratischen Sinne des Wortes .. kann nur entstehen, wenn ein Volk in voller Freiheit der Willensbestimmung die Formen und Inhalte seiner politischen Existenz gestalten kann (Verfassungsausschuß 1948, S. 508). Wo ist die Demokratie heute? Ich glaube nicht an ihren Bestand (Klemperer 1948, Tagebücher 1945–1949, S. 572). die Verhandlungen des sogenannten Parlamentarischen Rates in Bonn [zeigen], daß hier nicht nur die Einheit der deutschen Nation, sondern auch die Demokratie preisgegeben werden (Deutscher Volksrat 1948, S. 100). „Was sie Kultur nennen, haben sie den anderen gestohlen. Sogar die Musik haben sie den Negern gestohlen. Und das nennen sie dann Demokratie!“ „Solange ich diesen Kohl fressen muß, glaube ich nicht an Demokratie“, sagte der Mann. „Hier sitzt man und wartet, daß sie die Demokratie verkünden, und dann muß man eine Mark und vierzig für diesen Fraß bezahlen .. . Man kann über die Nazis denken, wie man will, aber Ordnung haben sie gehalten.“ (Kolbenhoff 1949, S. 116) Der Schaden liegt in der durch den Nationalsozialismus verursachten Vergiftung der Gesinnung begründet. Die aus der Besatzung als solcher sich ergebenden politischen Überwachungsmaßnahmen halten das Übel wach. Erst eine freie Entwicklung zur vollen Demokratie, die auf der Freiheit der politischen Haltung beruht, wird Besserung bringen (Bader 1949, S. 114). Die Provisorische Regierung der Deutschen Demokratischen Republik .. wird .. die im Jahre 1945 begonnenen demokratischen Reformen des Bildungswesens weiterführen .. Dies entspricht dem demokratischen Charakter der Deutschen Demokratischen Republik .. Es entspricht den neuen Verhältnissen, die mit der Durchführung
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der demokratischen Boden- und Schulreform .. entstanden sind (Grotewohl 1949b, S. 124). Deutschland ist eine unteilbare demokratische Republik. (Artikel 1 der Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949) Letztlich kann die Demokratie – auch diese ein Idol unserer Zeit – nicht in ihren absoluten Werten formal bestimmt werden, sondern ihren Sinn nur aus dem Christentum empfangen. Es ist grundfalsch, wenn man unlängst behauptete, das Christentum beruhe auf der Demokratie. Wer die Genesis demokratischer Einrichtungen in Europa auch nur einigermaßen überblickt, wird umgekehrt feststellen müssen, daß die Demokratie auf dem Christentum beruht (Müller-Armack 1949, S. 139). Wahre Demokratie kann nicht bei bloß formalem Mehrheitsprinzip existieren, sofern man nicht den Willen auch der Minderheit sinnvoll in den eigenen aufnimmt. (Müller-Armack 1949, S. 139) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (Grundgesetz 1949, Artikel 20) Es ist uns gelungen, auf der Basis der antifaschistisch-demokratischen Ordnung ein enges Freundschaftsverhältnis mit den volksdemokratischen Ländern zu schaffen, vor allem aber mit der großen Sowjetunion, der wir heißen Dank dafür schulden, daß sie es war, die eine demokratische Entwicklung und die Bildung des ersten wirklich demokratischen Staates in der deutschen Geschichte ermöglichte (Grotewohl 1950b, S. 122). In der Deutschen Demokratischen Republik ist eine antifaschistisch-demokratische Ordnung errichtet, in der die Gesellschaft, die uns zweimal in einen Weltkrieg führte, entmachtet ist (Grotewohl 1951b, S. 206). Die Demokratie .. erfordert, was wir Deutsche sehr leicht übersehen, eine bestimmte Lebenshaltung: die menschliche Achtung vor der abweichenden Meinung, auch im gesellschaftlichen und gerade im politischen Leben (Zinn 1951, S. 46). Die Demokratie ist nicht nur eine Staatsform, in der eine bestimmte institutionelle Gliederung die Handhabung der staatlichen Macht regeln oder vor ihrem Mißbrauch schützen soll. Sie ist vor allem eine Lebensform (Zinn 1951, S. 46). Eine wahrhaft demokratische Erziehung aber ist nur möglich auf der Grundlage eines wissenschaftlichen Unterrichts. Unerschütterliche Überzeugungen, die sich bei der Entwicklung der Persönlichkeit zu einer kämpferischen, demokratischen Weltanschauung zusammenschließen (Grotewohl 1952a, S. 269 f.). Borges sagte: Gestern noch war es absolut verboten, vom sozialistischen Aufbau unserer Republik zu reden. Wir waren eine ‚antifaschistisch demokratische Republik‘, keine, ausdrücklich keine ‚Volksdemokratie‘ (Klemperer 1952, Tagebücher 1950–1959, S. 299). ein[en] wahrhaft demokratische[n] Staat (Becher 1953, S. 317). Das Volk war nicht so artig wie das Volk im Schullesebuch. Es faßte den Abschnitt Staatsbürgerkunde anders als die Verfasser auf. Das Volk war neidisch. Es neidete den Abgeordneten den Titel, den Sitz, die Immunität, die Diäten, den Freifahrschein. Würde des Parlaments? Gelächter in den Schenken, Gelächter auf den Gassen. Die Lautsprecher hatten das Parlament in den Stuben des Volkes entwürdigt, zu lange, zu willig war die Volksvertretung ein Gesangverein gewesen, ein einfältiger Chor zum Solo des Diktators. Das Ansehen der Demokratie war gering. Sie begeisterte nicht. Und das Ansehen der Diktatur? Das Volk schwieg. (Koeppen 1953, S. 36)
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Im klassischen Sächsisch gab er [Ulbricht im Mai 1945] uns die.. Direktive: „Es ist doch ganz klar: Es muß demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“ (Leonhard 1955, S. 440) Der Beginn der von Ulbricht angekündigten ‚neuen Phase‘ brachte die Frage der ‚Volksdemokratie‘ auf die Tagesordnung – jenes System, das sich in den Ostblockstaaten herausgebildet hatte. Bis zum Frühjahr 1948 war die Definition von Inhalt und Wesen des Begriffes ‚Volksdemokratie‘ eines der wenigen ‚ungelösten‘ Probleme, für die es noch keine offiziellen Richtlinien gab. (Leonhard 1955, S. 593 f.)
deutsch neudeutsch Deutschland · Deutschsein · Deutschtum Deutsche Nichttäter Im Zusammenhang mit der Analyse deutscher Schuld dienen Bezeichnungen der Wortfamilie deutsch zum einen zur Charakterisierung negativ bzw. positiv bewerteter nationaler Eigenschaften, zum andern bezeichnet das Adjektiv einen hoch bewerteten Zielbegriff. Deutsche der frühen Nachkriegszeit reflektieren über die Deutschen und damit über nationale Identität. Auch die entschiedensten Gegner der These von einer ÕKollektivschuld argumentieren mit Nationalstereotypen, wenn sie der deutschen Schuld auf der Spur sind und stehen mit der Thematisierung der deutschen Identität in einer langen Tradition – Hölderlin und Goethe, Heine und Nietzsche haben sie begründet bzw. fortgeführt. Dieser „Zweifel an der ausreichenden Gewißheit einer Identität der Deutschen gehört zu den Konstanten der politischen Kultur“ (Weidenfeld 1983, S. 15). Das Ganze der deutschen Identität nennt man zusammenfassend Deutschtum (s. Steltzer 1945, S. 31), echtes Deutschsein (s. Steltzer 1945, S. 31), deutscher Charakter (s. Röpke 1948, S. 71 f.), Charakter des Neudeutschen (s. Kogon 1946b, S. 109), deutsches Denken (s. Jaspers 1946, S. 177), deutscher Geist (s. Das Demokratische Deutschland 1945, S. 17 f.; Schneider 1945 S. 218; Friedensburg 1947, S. 90), Genius des deutschen Volkes (s. Kirschweng 1946, S. 44), deutsche Seele (s. Jaspers 1946, S. 172; Röpke 1948, S. 64), Seele des deutschen Volkes (s. Abusch 1946, S. 265), deutsche Gedankenwelt (s. Jaspers 1946, S. 177), innere Kräfte des deutschen Volkes (s. Abusch 1946, S. 266), deutscher Hang (s. Aich 1947, S. 156), deutsche Nei-
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gung (s. Aich 1947, S. 7), das wahre Deutschland (s. Eggerath 1947, S. 187 f.), deutsches Wesen (s. Litt 1948, S. 149 ff.; Müller-Armack 1949, S. 72), deutsches Werden (s. Freund 1954, S. 319). Identitätsanalysen dienen in der frühen Nachkriegszeit dazu die Frage zu beantworten, was die Deutschen als Deutsche zum Nationalsozialismus disponierte, um sie von den wirklich Schuldigen (ÕSchuld) abzugrenzen (s. Röpke 1948, S. 71). Dabei denkt man über geistige Dispositionen nach und sucht den Nationalsozialismus und seine Entstehung u. a. in bestimmten Grunddispositionen des deutschen Wesens zu verorten, von denen die Diskursgemeinschaft der Nichttäter annimmt, sie seien wesentlich beteiligt am Entstehen und am zwölf Jahre währenden Bestand des Nationalsozialismus. Züge des deutschen Volksgeists erweisen sich im Zuge dieser Analysen als Ursachen und werden als Schuldkategorien gedeutet. Es sind unterschiedliche Aspekte deutschen Wesens, unterschiedliche Ansichten und also ein Cluster unterschiedlicher, ja bisweilen heterogener Nationalstereotype, die zur Beschreibung dieses der Harmonie und Heiterkeit entbehrende[n] Volk[es] (Kaschnitz 1945, S. 107) dienen, die zum Aufweis von dem Nationalsozialismus förderlichen Eigenschaften dienen. Man stellt fest, die Deutschen, dieses so leicht zu mißleitende[..] Volk (Müller-Meiningen 1946, S. 11), seien anfällig, z. B. sich allzuleicht von tönenden Worten, Zusicherungen, Versprechungen und Vorspiegelungen der Marktschreier betören [zu] lassen (Kantorowicz 1947a, S. 6). Ihr Mangel[..] an gesundem Instinkt (Windisch 1946, S. 49) mache sie zugänglich jeder Art von Pathos, sie seien deshalb auch für das Pathos der Masse besonders prädisponiert (Windisch 1946, S. 281). Es gäbe eine überentwickelte Sehnsucht des Deutschen nach Gemeinschaft und Bindung (Aich 1947, S. 205). Im Zuge dieser Analyse erscheinen die Nationalstereotype ÕIdealismus, ÕMilitarismus, Õpolitische Unreife als immer wiederkehrende hochfrequente Diskurskonstituenten in erklärender Funktion. In diesem zeittypischen Ringen nach Erklärungen werden negative Dispositionen (s. Ebbinghaus 1945d, S. 42 f.; Kogon 1946b, S. 109 f.; Meinecke 1946, S. 28; Meinecke 1946, S. 55; Heuss 1946b, S. 195; Windisch 1947, S. 71 f.; Aich 1947, S. 156) positiven mentalen Zügen der Deutschen gegenübergestellt (s. Eggerath 1947, S. 80 f., S. 187 f.) und in der Erkenntnis ‚Zwei Seelen‘, als Bezeichnung einer deutschen Grundeigenschaft (s. Abusch 1946, S. 266, Aich 1947, S. 7), verdichtet. Man ist überzeugt, dass es eine nationale Eigentümlichkeit der Deutschen darstellt, wenn sie im Verlauf ihrer
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Geschichte widersprüchliche Typen hervorbrachten (s. Abusch 1946, S. 266), wobei man einen Unterschied macht zwischen ‚wahr‘ und ‚falsch‘, ‚echt‘ und ‚unecht‘, ‚eigentlich‘ und ‚akzidentell‘. Es ist dies die Unterscheidung zwischen historisch gewachsener und dann auf Dauer gültiger Identität der Deutschen, und den vorübergehenden, an die historischen Bedingungen des Nationalsozialismus gebundenen Affinitäten (s. Litt 1948, 149 ff.; Pribilla 1947, S. 52; Abusch 1946, S. 265). Durch die Auszeichnung zweier Seinsweisen mit je wertenden Einstellungssignalen wird deutlich: Das Bild der Deutschen, das die nachkriegsdeutschen Nichttäter im Zuge der Schuldreflexion zeichnen, ist, trotz aller Bereitschaft zum Bekenntnis, das Gegenkonzept wenn nicht zu der vertierten KZ-Bestie, dann doch zu dem völkisch-rassistischen NS-Fanatiker, denn man ist überzeugt, dass Deutschtum und Nationalsozialismus Gegensätze bilden (s. Steltzer 1945, S. 31; Abusch 1946, S. 265; Röpke 1948, S. 71 f.; Freund 1954, S. 319 f.). Wenn man diese Existenz eines historisch gewachsenen wahren Deutschtums absolut setzt, versteigt man sich zu der Vorstellung von Gesetzmäßigkeit, in der Formulierung Walter Dirks’: ‚Wir sind den Gesetzen unseres Werdens untreu geworden‘ (Dirks 1946a, S. 193). Die notwendige Begründung für die Frage ‚Wie konnte es sein, dass ein Kulturvolk mit solch hohen Qualitäten wie das deutsche den Nationalsozialismus zuließ, wie war es möglich, dass dieser im deutschen Volk verwurzelte?‘ bezeichnet man mit Õverschüttet. Identität stiftet die mächtige Geschichte, der Nationalsozialismus ist da flüchtige, nichtige Episode. Mit Formeln wie wahre deutsche Kulturwerte, echtes Deutschtum zeichnet man ein anschlussfähiges Selbstbild mit der Funktion der Anpassung, Integration und Gleichwertung. Nicht primus, sondern einfach inter pares zu sein, sind diese Diskursteilnehmer bestrebt. Denn für die Deutschen nach 1945 heißt inter pares sein: nicht stigmatisiert, nicht angeklagt, nicht verurteilt, nicht verachtet, nicht isoliert aus der Gemeinschaft der Völker, sondern integriert und damit rehabilitiert. Im Zusammenhang mit der Formulierung zukunftsbezogener Projekte wird als Auftrag formuliert deutsch werden (s. Jaspers 1946, S. 178). Aus den Deutungsmustern Õverschüttet und wir sind den Gesetzen unseres Werdens untreu geworden folgt in schlüssiger Konsequenz, dass man nach dem Aufbaustoffe für die deutsche Seele sucht, dazu aufruft, den echten Deutschen [zu] erziehen, die Tradition der deutschen Bildung beschwört (s. Steltzer 1945, S. 36; Jaspers 1946, S. 178). Derart als Zielbegriff gebraucht zeigt sich die „emo-
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tionale Strahlkraft“ eines Wortsymbols wie deutsch. Solche Symbole „verleihen dem Kollektiv, das sie repräsentieren, die numinosen Qualitäten .. Zumeist werden die Namen der Nationalstaaten selbst, mit ihren Derivaten, von den zugehörigen Menschen bei passender Gelegenheit in solcher Weise benutzt, und zwar mit Obertönen der Heiligkeit und Ehrfurcht.“ Sie sind Ausdruck „einer kollektiven Wesenheit mit numinosen Qualitäten“ (Elias 1990, S. 191). Damit trachtet man einen neuen humanistischen Abschnitt der Geschichte zu beginnen, und man ist überzeugt, dass der deutsche Geist .., nachdem er zu sich selbst zurückgefunden hat, seine besondere und unersetzliche Mission innerhalb der abendländischen Gemeinschaft zu erfüllen habe (Meinecke 1946, S. 173). Man greift damit auf eine traditionsreiche Strategie zurück, denn nicht erst seit 1945 ist deutsch werden ein Zielbegriff. Robert Prutz ruft den Deutschen zu: „Sei deutsch, mein Volk! Verlern den krummen Rücken, an den du selbst unwürdig dich gewöhnt!“ – da war deutsch sein „kein Ist-Zustand, sondern ein Sollen, eine ethische Bestimmung, an die in erster Linie die Deutschen selbst erinnert werden mußten“ (Loewenstein 2001, S. 291). In den ersten Nachkriegsjahren war das nicht anders. Bezeichnungen der Wortfamilie deutsch sind jedoch nicht nur deontische Kategorien, sondern haben ontologisches Potenzial (s. Kogon 1946a, S. 408, 1946c, S. 284; Pechel 1947, S. 248 f.). Man weist Gewissheiten nach und wählt aus dem Archiv des kulturellen Gedächtnisses denjenigen begrifflichen Bestand aus, der zum einen ein deutliches Gegenkonzept zu dem von Nationalsozialismus und Nazis repräsentierten Deutschtum bildet, der zum andern die Welt von der Existenz des anderen Deutschland überzeugt. Im Nachkriegsdeutschland, in der Phase der Ablösung einer Diktatur durch eine Demokratie also, findet eine Revision des Reservoirs statt, die einer Umkehr des Wertesystems gleichkommt. Den Nachweis dieser Selbstwiederfindung konkretisiert man mit der Vorstellung von ÕReinigung und ÕGesundung (s. Das Demokratische Deutschland 1945, S. 17 f.; Steltzer 1945, S. 36; Gebhardt 1947, S. 377), deren Modus man mit ÕHaltung bezeichnet. Wichtiger Identifikationsbegriff dieser gesellschaftlichen Neugestaltung ist im Osten große deutsche Kultur (ÕKultur; s. SED Manifest 1946, S. 27; Grotewohl 1950b, S. 123), im Westen ÕAbendland (s. Jaspers 1945a, S. 5; Kirschweng 1946, S. 44) und ÕChristentum.
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Hitlers Lehre und Handeln war die völlige Verleugnung des Deutschtums, der schlimmste Abfall eines Volkes von sich selbst. Denn im Nationalsozialismus hatte der Mensch seine Menschlichkeit verloren. Wir können uns aber ein echtes Deutschsein nicht vorstellen ohne Menschlichkeit (Steltzer 1945, S. 31). Darum ist dieses das Entscheidende: daß wir das entstellte deutsche Gesicht in seiner Reinheit wiederherstellen, damit wir uns selbst und unsere Aufgabe wiedererkennen und auch dem Ausland unsere eigentlichen Züge wieder sichtbar werden (Steltzer 1945, S. 36). Der Zug ins Große ist einmal das Gepräge des deutschen Geistes gewesen, aber es war ein Zug ins Unbestimmte; der Zug zum fest bestimmten Großen könnte sein neues Gepräge sein. (Schneider 1945, S. 218) Man lasse .. die geistige und sittliche Katharsis des deutschen Volkes die Sache des deutschen Geistes selbst sein (Das Demokratische Deutschland 1945, S. 17 f.). [Der ‚Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands‘ will] die große deutsche Kultur, den Stolz unseres Vaterlandes, wiedererwecken und ein neues Geistesleben begründen (Kulturbund 1945, S. 83). Wir haben keineswegs alles verloren, wenn wir nicht, in Verzweiflung wütend, auch noch das vergeuden, was uns unverlierbar sein kann: den Grund der Geschichte, für uns zunächst in dem Jahrtausend deutscher Geschichte, dann der abendländischen Geschichte, schließlich aber der Menschheitsgeschichte im Ganzen. (Jaspers 1945a, S. 5) wozu die Deutschen wirklich einen Hang haben, das ist die Verwechslung der Pflicht gegen die Gemeinschaft mit der Verpflichtung, sich die Sache der jeweils bestehenden Staatsmacht als die Sache des Vaterlandes zu eigen zu machen. (Ebbinghaus 1945d, S. 42 f.) so müßten wir dazu kommen, endlich, endlich! uns selber zu erkennen, damit wir dann auch endlich uns selber leben können, das Leben einer Provinz des Abendlandes, die gesegnet ist vom schattenlosen, durch Blut und Schmach hindurchgeretteten Genius des deutschen Volkes (Kirschweng 1946, S. 44). Die Schuldfrage ist mehr noch als eine Frage seitens der andern an uns eine Frage von uns an uns selbst. Wie wir ihr in unserem Innersten antworten, das begründet unser gegenwärtiges Seins- und Selbstbewußtsein. Sie ist eine Lebensfrage der deutschen Seele. Nur über sie kann eine Umkehrung stattfinden, die uns zu der Erneuerung aus dem Ursprung unseres Wesens bringt. Die Schulderklärungen seitens der Sieger haben zwar die größten Folgen für unser Dasein, sie haben politischen Charakter, aber sie helfen uns nicht im Entscheidenden: der inneren Umkehrung. Hier haben wir es allein mit uns selbst zu tun. (Jaspers 1946, S. 134) was in Zukunft deutsche Seele sein wird [kann] niemand fordern und niemand vorwegnehmen, [sondern] ist Sache der Einsamkeit des einzelnen (Jaspers 1946, S. 172). Daß in den geistigen Bedingungen des deutschen Lebens die Möglichkeit gegeben war für ein solches Regime, dafür tragen wir alle eine Mitschuld. Das bedeutet zwar keineswegs, daß wir anerkennen müßten, ‚die deutsche Gedankenwelt‘, ‚das deutsche Denken der Vergangenheit‘ schlechthin sei der Ursprung der bösen Taten des Nationalsozialismus. Aber es bedeutet, daß in unserer Überlieferung als Volk etwas steckt, mächtig und drohend, das unser sittliches Verderben ist (Jaspers 1946, S. 177). gemeinsame beschwingende Aufgabe deutsch zu werden, wie man es noch nicht ist, aber sein soll, und wie man es hört aus dem Anruf unserer hohen Ahnen (Jaspers 1946, S. 178).
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Entartung deutschen Menschentums (Meinecke 1946, S. 28). neudeutsch entartetes Hitlermenschentum (Meinecke 1946, S. 55). ist es nicht besser, die größte Niederlage seiner Geschichte zum Anlaß zu nehmen, um in die eigenen verschütteten Tiefen hinabzusteigen, wo das Gold der hohen deutschen Qualitäten – jawohl: das Gold! begraben liegt ..? (Kogon 1946a, S. 408) Bestimmte Züge im Charakter des Neudeutschen fühlten sich eben durch die Art der NSDAP angesprochen. Betriebsam, Minderwertigkeitsgefühl durch Überhebung kompensierend, romantisch und materialistisch zugleich, politisch ohne fundierte Kritik, autoritätsergeben, disziplinsüchtig, nach oben gerne kuschend, nach unten gerne tretend, und voll von Bewunderung für alles, was mit Militär zusammenhing, – waren sie das nicht? (Kogon 1946b, S. 109 f.) Revolution des freien selbstbewußten Mannes, der freien selbstbewußten Frau, die um ihr Recht und um ihre Bedeutung wissen, die ihre Gemeinschaftspflichten kennen, die ein Herz für den andern haben und das Argument gelten lassen, groß auch im Kleinen sind, real, verständnisvoll, weltoffen, Menschen, Sozialisten, Europäer – also Deutsche. (Kogon 1946c, S. 284) Dieser deutsche Mensch begann sich selber zu erhöhen und ließ es sich gefallen, als der von der Schöpfungsordnung so gestaltete Mensch zu gelten, bis in ihm schließlich Herrschaftsanspruch, Herrschaftsrecht, Herrschaftspflicht gegenüber den anderen Völkern zum ‚nordischen‘ Selbstbewußtsein wuchs. Deutsch, deutscher, am deutschesten! Der nordische Mensch, Piefke aus Moabit, als Herrenmensch und Held! Das tat ihm wohl, wenn er sich so dargestellt sah (Heuss 1946b, S. 195). Das deutsche Volk hat so wenig die Aggression seit Tacitus’ und der alten Germanen Zeiten „im Blute“ wie irgendein anderes Volk. Die Seele des deutschen Volkes wird nicht durch die Trustherren und Junker repräsentiert – und auch nicht durch die entmenschten Verbrecher, die sie sich dingen konnten. So wissen wir, daß die Verwirrung des Denkens und der Gefühle im deutschen Volke überwunden werden kann, nachdem „die Hitlers“ ihr verdientes Ende gefunden haben (Abusch 1946, S. 265). Die Frauen und Männer [des Widerstands] kamen aus dem deutschen Volke, dem auch der despotische Fridericus, der „eiserne“ Bismarck, der verstiegene Kaiser Wilhelm II. und zu unserer Zeit solche Ausgeburten des Menschengeschlechts wie Hitler, Himmler, Göring, Goebbels und ihre Banden entstammten. Alle Fragen, die die deutsche Geschichte aufwirft, resultierten aus dem ungelösten Widerspruch dieser inneren Kräfte des deutschen Volkes. (Abusch 1946, S. 266) Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands ist die Partei der Erneuerung der deutschen Kultur. (SED Manifest 1946, S. 27) Etwas so Entsetzliches ist über sie hereingebrochen, daß es ihnen die Sprache verschlagen hat. Sie suchen ihm zu entrinnen, indem sie den Blick davon abwenden und sich in die vielen drängenden Sorgen des Alltags verlieren. Vielleicht finden sie dort Schutz .. vor der bangen Befürchtung, daß etwas bei dem deutschen Volke nicht stimmt, und zwar in den Grundlagen seines ganzen Daseins. (Pribilla 1947, S. 45) Nicht der metaphysische, überzeitliche oder gar ewige Deutsche, in dem sich alle Ideale des Deutschen (Wahrhaftigkeit, Treue, Pflichteifer, Unbestechlichkeit, Mut, Kameradschaft usw.) erfüllen, steht zur Frage, sondern der physische, zeitbedingte Deutsche, so wie er uns auf dem Wege zum Dritten Reich und unter dem Dritten Reich durchgängig begegnet (Pribilla 1947, S. 52). Hat denn Goethe in Deutschland keine Bedeutung mehr? Haben ein Beethoven und ein Mozart umsonst gelebt? Wo blieb der Geist des Humanismus, und wo blieb die
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Wirkung der Schulen und der Kirchen, daß in unserem Deutschland unwidersprochen das Menschentum vergewaltigt werden konnte? (Eggerath 1947, S. 80 f.) War das Deutschland, was mit Nagelstiefeln durch die Straßen stampfte und das Menschentum schändete? War das Deutschland, was die Blüte unseres Volkes auf die Schlachtfelder der halben Welt zerstreute und vermodern ließ? War das Deutschland? .. Nein das war nicht Deutschland. Das war das hektische Fieber einer kranken Welt, das waren Zuckungen des Vergehenden. .. das wahre Deutschland, das hier verraten wurde, das Land des Friedens und des menschlichen Fortschritts zwischen brüderlichen Völkern ist im Geist längst geboren in den unsterblichen Werken eines Lessing, Herder, Goethe und Schiller, [es] lebt in der Musik Mozarts und Beethovens, tönt aus der großen Symphonie „An die Freude“: „Seid umschlungen, Millionen!“ – „Alle Menschen werden Brüder“ –. (Eggerath 1947, S. 187 f.) zum ‚andern Deutschland‘ gehören nur die Deutschen, die den deutschen Beitrag zur Menschheit verkörpern. Die sich zu der stillen Gemeinschaft der in allen Völkern vorhandenen Menschen zählen, die sich bedingungslos den Gesetzen verpflichtet fühlen, die nicht von Menschen gemacht sind. Die dem Ruf des Geistes folgen und dem Gebot der ewigen Liebe. Denen der Dienst an den hohen Begriffen des Rechts, der Humanität, der Menschenwürde, der Freiheit, des Friedens, der brüderlichen Nächstenliebe auch zu den elendesten der Menschen, der echten Demut vor dem, was über allen Menschen ist, der Güte, der reifsten Frucht echter Menschlichkeit, selbstverständliche Pflicht ist. (Pechel 1947, S. 248 f.) Wir alle wollen das unselige, beschmutzte, in den Dreck getretene und stinkend gewordene Wort, das man kaum mehr auszusprechen wagt, das Wort Deutschland wieder aus der Schmutzumkrustung, in der es drinsteckt, lösen und es saubermachen, nicht es wieder blank polieren wie einen Uniformknopf, da sei Gott vor, wohl aber es – alle zusammen, wir, die wir uns um die deutsche Kultur mühen – reinwaschen mit dem reinen Wasser des Geistes (Gebhardt 1947, S. 377). Wer könnte besser als Sie die ewigen, aber so böse verschütteten Quellen deutschen Geistes wieder aufspüren und uns zugänglich machen, die neuen Formen den veränderten Verhältnissen entsprechend zur Geltung bringen? (Friedensburg 1947, S. 90) Sicherlich ist das deutsche Volk eines der gehorsamsten, folgsamsten, diszipliniertesten der Erde. Seit Friedrich Wilhelm I., dem Erfinder des „Gamaschendienstes“, geht es in Reih und Glied und je schnarrender das Kommando gegeben wird, umso präziser gehorcht dieses folgsame Volk dem, der befiehlt. Ein böses Erbe, diese Gabe, sich zum Objekt, zum Instrument anzubieten, die Persönlichkeit preiszugeben, Masse zu bilden. (Windisch 1947, S. 71 f.) die einzigartige Eignung des Deutschen zum Soldaten (Aich 1947, S. 156). deutscher Hang, eine Pflicht blind um ihrer selbst willen zu erfüllen (Aich 1947, S. 156). deutsche[..] Neigung, von einem Extrem zum anderen zu wechseln (Aich 1947, S. 7). Recht, in einer Gegenwart hoffnungsarmer Mühsal von dem Sinn hoffnungsreicher Mühseligkeiten einer deutschen Vergangenheit zu sprechen (Heuss 1948, S. 17). auf die ‚Höhen der Menschheit‘ im Sinn früherer Jahrhunderte zu gelangen, ist heute für uns weder Hoffnung noch Ziel. Es wird schon sehr viel sein, wenn wir ein leidlich gesichertes Dasein als Kulturvolk retten können. Aber auch dazu bedarf es des Selbstvertrauens an Stelle mutloser Selbstverzweiflung. Und die Betrachtung unserer
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deutschen Vergangenheit gibt uns dazu – trotz allem – das Recht (Ritter 1948, S. 200). wie es denn gekommen ist, daß Deutschland so viele Untermenschen als Instrumente des Nationalsozialismus hat hervorbringen können. (Röpke 1948, S. 71) die Deutschen [sind] am Dritten Reiche mitschuldig geworden .., obwohl sie es ursprünglich in ihrer Mehrzahl nicht gewünscht haben, aber von hier bis zu der Behauptung, daß der Nationalsozialismus der deutschen Seele gemäß sei, ist doch ein sehr weiter Weg (Röpke 1948, S. 64). Gewiß gibt es einen deutschen Charakter .. und gewiß hat dieser Charakter viele dunkle Seiten. Keiner aber, der nach der objektiven Erkenntnis strebt, kann sich mit der Theorie zufrieden geben, daß die Deutschen eine Rasse von Mördern, Dieben, Folterknechten und bestialischen Zwingherren sind (Röpke 1948, S. 71 f.). Unter all denen, die wirklich zu wissen glaubten, was unser Volk an Anlagen, Neigungen, Begabungen und Versuchungen in sich trage, ist, wie ich zu behaupten wage, nicht ein einziger gewesen, der nicht von dem, was zwölf Jahre lang durch deutsche Menschen geschehen ist, in einer wahrhaft vernichtenden Weise überrascht worden wäre. Wenn ein prophetischer Geist uns vorausgesagt hätte, durch welche Taten das „Dritte Reich“ den deutschen Namen schänden würde, wir würden ihn für einen Lügengeist erklärt und ihm erwidert haben: „Daß unser Volk, dieses uns so tief vertraute Wesen, dergleichen Dinge begehen oder auch nur dulden würde, ist nach seiner ganzen inneren Artung vollkommen ausgeschlossen. Es würde diejenigen, die es zu solchen Taten zu verführen versuchten, mit Empörung abschütteln. Es würde alle guten Geister seiner Vergangenheit beschwören, um sich einer solchen Verfälschung seines Wesens zu erwehren.“ .. niemand in der Welt hat durch das, was bei uns geschah, mehr überwältigt, mehr entsetzt werden können als die innerdeutschen Beurteiler, die ihre Kenntnis vom deutschen Wesen zu der Annahme berechtigte, daß sie über das „Möglich“ und „Unmöglich“ einigermaßen Bescheid wüßten. (Litt 1948, S. 149 ff.) Zunächst einmal ist festzustellen, daß in der deutschen Entwicklung nichts nur spezifisch Deutsches liegt, soweit es sich um die entscheidenden Kräfte handelt, die die gegenwärtige Lage heraufführten .. . Es dürfte schwer sein, in den Elementen des deutschen Wesens selbst schon jene dem Verhängnis dienende Besonderheit zu finden, die selbst nicht wieder in einem gesamteuropäischen Bezug stünde. Daß solche Herleitung die persönliche Schuld dort, wo sie tatsächlich vorliegt, nicht im geringsten mindert, sei ausdrücklich betont. Entschieden jedoch müssen wir jener gegenwärtig verbreiteten Auffassung entgegentreten, sie sei schon im Ansatz der deutschen Entwicklung beschlossen. In diesem Ansatz sind, wie gesagt, allgemeine Elemente des Europäischen enthalten. Diese Einsicht sollte uns weniger veranlassen, die Schuld dort zu suchen, wo kein aktives Tun mehr vorliegt, als vielmehr wachsam zu sein gegen das erneute Hervortreten von Möglichkeiten, die nach unserer Überzeugung in der Lebenssäkularisierung allgemein liegen. In einer Hinsicht nimmt freilich Deutschland in dieser europäischen Lage eine Sonderstellung ein. (Müller-Armack 1949, S. 72 f.) Vor uns steht die große Aufgabe, eine neue demokratische Kultur zu schaffen, die auf dem großen deutschen Kulturerbe aufbaut. (Grotewohl 1950b, S. 123) Das Dritte Reich selbst stand in mannigfacher Hinsicht jenseits der Geschichte, jenseits der faßbaren historischen Überlieferung und außerhalb des sichtbar ausgeprägten Strombettes des deutschen Werdens. (Freund 1954, S. 319 f.)
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Dienst dienen Täter Die Deutungen der Täter, mit denen sie ihre Vergangenheit zum Zweck der Selbstentlastung interpretieren, verdichten sich lexikalisch zum einen in solchen Bezeichnungen, die ihr Denken und Wollen aufwerten (neben Dienst ÕGlaube, ÕHoffnung, ÕLiebe, ÕPflicht), zum andern in dem Deutungsmuster ÕIrrtum, mit dem sie ihr Handeln verharmlosen. „Edelsubstantive“ (Adorno 1964/1980, S. 9) wie Dienst und ÕPflicht dienen den Tätern im Rahmen ihrer Schuldbekenntnisse der selbstüberhöhenden Schuldabwehr. Sie rekurrieren auf den Anspruch, Handeln und Wollen, Denken und Fühlen an einem ethisch-moralischen Wertesystem orientiert zu haben. Diese idealisierende Selbstcharakterisierung entspricht einem Leugnen von ÕSchuld. Dienst bzw. dienen in der Bedeutung ‚hingebungsvolle und ohne nach Recht und Unrecht fragende Erfüllung (beruflicher) Pflichten‘ bzw. ‚(berufliche) Pflichten hingebungsvoll und ohne nach Recht und Unrecht zu fragen erfüllen‘ wird (wie ÕPflicht) im Nationalsozialismus zu einem hypertrophierten soldatischen Kodex pervertiert. Dieser Lesart folgend gebrauchen Täter diese Bezeichnungen zu Entlastungszwecken. Sie beziehen sich damit auf Nationalsozialismus und Hitler, in einer Formulierung wie ich wollte Hitler dienen (s. Frank 1945/46, S. 194; Rosenberg 1946, S. 436), und vor allem auf Vaterland und Volk: dem Vaterland habe ich gedient, Dienst am deutschen Volk, sie haben nicht der Hölle gedient, sondern ihrem Volke und ihrem Vaterlande (s. Papen 1946, S. 456; Frank 1945/46, S. 431; Neurath 1946, S. 463; Dönitz 1946, S. 444; Jodl 1946, S. 454) Ich wollte Hitler auch dienen (Frank 1945/46, S. 194). Und in Ewigkeit diene ich dir, Vaterland (Frank 1945/46, S. 431). Der Nationalsozialismus vertrat den Gedanken einer Überwindung des volkszersetzenden Klassenkampfes und der Einheit aller Stände in einer großen Volksgemeinschaft .. . Dem allen diente auch ich. (Rosenberg 1946, S. 436) Nicht dem Nazi-Regime, sondern dem Vaterland habe ich gedient (Papen 1946, S. 456). [meinem Volk] zu dienen [war] der Inhalt und der Sinn meines Daseins (Neurath 1946, S. 463). Mein Leben galt meinem Beruf und damit dem Dienst am deutschen Volk. (Dönitz 1946, S. 444)
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Draht
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Sie [die hohen militärischen Führer und ihre Gehilfen] haben nicht der Hölle gedient und nicht einem Verbrecher, sondern ihrem Volke und ihrem Vaterlande. (Jodl 1946, S. 454)
Draht Stacheldrahtzaun · Zaun · Stacheldraht(umzäunung) Opfer Kurzform für ‚rings um ein Konzentrationslager gespannter, elektrisch geladener Stacheldraht‘. Der Stacheldrahtzaun ist ein obligatorisches Requisit der KZ-Welt und, wie ÕAppellplatz, Funktionseinheit eines jeden Konzentrationslagers, der ihm sein typisches Aussehen gab: Stacheldrahtumzäunungen, Wachttürme, Scheinwerfer (s. Frankl 1945, S. 25; Adelsberger 1956, S. 86 f.). Draht, Stacheldraht oder Zaun ist, wie ÕAppellplatz, ÕBunker oder ÕSteinbruch Bezeichnung für einen Ort, den die Häftlinge als Ort größter Qual und Bedrohung erfahren haben. Die Wendung in den Draht/Zaun prügeln/jagen bedeutet ‚von einem SS-Mann gezwungen werden, den elektrisch geladenen Stacheldrahtzaun zu berühren‘: Vergnügen, Häftlinge in den elektrischen Zaun hinein zu prügeln (s. Eiden 1946, S. 224). Die Wendung in/an den Draht gehen/laufen ist wohl nach dem Muster ins Wasser gehen gebildetes Synonym für ‚Selbstmord‘: ich habe mir das Versprechen abgenommen, nicht ‚in den Draht zu laufen‘, Die Häftlinge liefen aus Verzweiflung in den elektrisch geladenen Stacheldraht, ‚Ich gehe an den Draht‘, war keine bloße Redensart (s. Frankl 1945, S. 38; Eiden 1946, S. 224; Adelsberger 1956, S. 88): Die Wendung bezeichnet „eine Form des Selbstmordes .., die am sichersten war und die geringste Energie erforderte: Das ‚In-denDraht-Gehen‘“ (Langbein 1972, S. 145). Endlose mehrfache Stacheldrahtumzäunungen, Wachttürme, Scheinwerfer (Frankl 1945, S. 25). ich [habe] .. am ersten Abend in Auschwitz sozusagen von einer Hand in die andere mir das Versprechen abgenommen, nicht „in den Draht zu laufen“. Mit diesem lagerüblichen Ausdruck wird die lagerübliche Methode der Selbsttötung bezeichnet: Berühren des mit elektrischer Hochspannung geladenen Stacheldrahts. (Frankl 1945, S. 38) Dombeck sowohl wie Krautwurst machten sich .. das Vergnügen, Häftlinge ohne sichtbaren Grund in den elektrischen Zaun hinein zu prügeln (Eiden 1946, S. 224).
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Faschismus
Die Häftlinge .. waren so unerhörten Quälereien ausgesetzt, daß manche aus Verzweiflung in den elektrisch geladenen Stacheldraht liefen und durch Starkstrom getötet wurden. (Eiden 1946, S. 224) der mit mehreren tausend Volt geladene[..] Stacheldrahtzaun (Dietmar 1946, S. 140). Nur ein Versöhnendes hatte der Draht. Wenn es nicht weiterging, er würde erlösen. Das geflügelte Wort im Lager: „Ich gehe an den Draht“, war keine bloße Redensart. (Adelsberger 1956, S. 88) Die engsten Familienbande durchsägt der Draht. Geschwister, Eheleute hausen in anstoßenden Baracken und dürfen sich nicht sprechen; junge, lebensgierige Menschen, die ihren Pakt mit dem Tode schon unterzeichnet haben, sind nebeneinander geschachtelt und dürfen sich nicht lieben. Alles trennt der mit Hochspannung geladene Draht. Starkstromverletzungen mit kleinen Wunden und leichten Schocks, Zerreißungen und ausgedehnte Verbrennungen waren an der Tagesordnung .. . Männer und ihre Frauen verhandelten über den Draht, Bruder und Schwester, Freunde und Freundinnen. Über den Draht flogen im unbewachten Bruchteil einer Sekunde .. eine wollene Decke, ein Paar Schuhe, ein Stück Speck. Dort wurden Weißbrot und Medikamente aus dem Krankenbau an die Arbeitskommandos verschachert gegen das, was sie von ihrem Arbeitsplatz zurückgebracht hatten, ein Fetzen Stoff, ein unreifer Apfel vom Feld. Durch den Draht wurden Liebesbriefe hindurchgeschmuggelt. (Adelsberger 1956, S. 87 f.) Durch die elektrischen Drähte .. zeigte sich bei jedem Atemzug die Freiheit. Dort grünten die Wiesen, dort lockte der Wald, hundert Schritte entfernt und doch unerreichbar wie der Himmel. Im Süden winkten die Berge; .. Alle Sehnsucht prallte ab am unerbittlichen Draht. Er zerschneidet jedes Bild mit harten horizontalen Linien. Jeder Baum, den wir sehen, trägt die eisernen Kerben um seinen Stamm, und selbst der Sonnenball, der unten am Horizont verschwindet, ist zerfetzt von den Stacheln des Drahtes. (Adelsberger 1956, S. 86f)
Faschismus Hitlerfaschismus · Nazifaschismus Nichttäter Von Sozialisten und Kommunisten gebrauchte Bezeichnung für das System der NSDAP einschließlich ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Förderer der Jahre 1919 bis 1945, speziell für die nationalsozialistische Gewaltherrschaft der Jahre 1933 bis 1945. Besonders für die sich als Antifachisten (ÕAntifaschist) verstehende Kommunisten belegt ist die Wendung Kampf gegen den Faschismus/Hitlerfaschismus (s. Eiden 1946, S. 213; Raddatz 1947, S. 68). Faschismus und die Zusammensetzungen Nazi-, Hitlerfaschismus (ÕHitlerismus) werden häufig wie das von Sozialisten und Kommunisten nicht verwendete ÕNationalsozialismus personifizierend
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Faschismus
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gebraucht: Der Nazifaschismus hat das deutsche Volk in tiefster Qual zurückgelassen, Herrschaft des Faschismus, die vom Faschismus Verfolgten, Opfer des Faschismus (ÕOpfer) (s. SPD 1945, S. 28; Schumacher 1945a, S. 280; Klemperer 1945, Tagebücher 1945–1949, S. 80; Bock 1947, S. 18). Der Nazifaschismus .. hat das deutsche Volk in tiefster seelischer Qual, in einer unvorstellbaren Not zurückgelassen! Das Gefühl für Rechtlichkeit ist gelähmt! Die nackte Not grinst dem Volke aus den Ruinen vernichteter Wohnungen und geborstener Fabriken entgegen. (SPD 1945, S. 28) Der neue Staat muß wiedergutmachen, was an den Opfern des Faschismus gesündigt wurde, er muß wiedergutmachen, was faschistische Raubgier an den Völkern Europas verbrochen hat (SPD 1945, S. 29). Das echte Schuldbekenntnis der Kommunisten könnte nur darin liegen, daß sie ihre große Schuld am Aufkommen des Faschismus in ihrer Bekämpfung der Demokratie, in ihrem Gerede von den „Sozialfaschisten“, in ihrer Erklärung der Sozialdemokratie zum Hauptfeind, in ihrer Lehrmeinung, daß in Deutschland erst durch die Herrschaft des Faschismus eine „objektiv revolutionäre Situation“ entstehen könne, vor der deutschen Öffentlichkeit eingestehen würden. Aber davon ist mit keiner Silbe die Rede. (Schumacher 1945a, S. 280) Wir müssen uns eingestehen, daß weit über die Anhängerschaft des Faschismus hinaus in unserem Volke eine große Verwirrung und Trübung des politischen Urteils und des sittlichen Gewissens geherrscht haben. (Deiters 1945, S. 8 f.) Solange Faschismus und Militarismus in Deutschland nicht restlos vernichtet sind, wird es keine Ruhe und keinen Frieden bei uns und in der Welt geben. Unsere ersten Anstrengungen müssen darauf gerichtet sein, alle gesellschaftlichen Erscheinungen dieser blutigen Unterdrückung des Lebens für immer zu beseitigen. .. [Wir] erstreben .. einen neuen Typ der Demokratie, die sich nicht in einem leeren, formelhaften Parlamentarismus erschöpft, sondern der breiten Masse in Stadt und Land eine effektive Betätigung in Politik und Verwaltung ermöglicht (Schwur von Buchenwald, 1945; zit. nach Overesch 1995, S. 94 f.). In jeder Versammlung sollen sich 1 bis 3 Opfer des Faschismus fragen lassen. (Klemperer 1945, Tagebücher 1945–1949, S. 80) Diese deutschen Antifaschisten und ihr erfolgreicher Kampf in Buchenwald gegen den Hitlerfaschismus (Eiden 1946, S. 213). Das ganze deutsche Volk muß teilnehmen am Kampfe gegen den Hitlerfaschismus und wie es im Schwur von Buchenwald heißt, bis auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht. Die Vernichtung des Faschismus mit seinen Wurzeln, die Wiedergutmachung der von ihm verursachten Schäden sei unser aller Losung. Und unser aller Ziel sei der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit, eines wirklich demokratischen Deutschlands! (Eiden 1946, S. 264) Die Kämpfer aus der Illegalität, aus den Widerstandsbewegungen, aus den Konzentrationslagern, Gefängnissen und Zuchthäusern, die den Faschismus aus eigener Erfahrung am besten kennen, sind die Berufensten, dem deutschen Volk die Wahrheit zu sagen und beim Aufbau eines neuen Lebens entscheidend mitzuwirken (zit. in Hauff 1946, S. 4).
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Faschismus
Wer anders als Sie kann dem Gorgonenhaupt des Faschismus und Nationalismus den Spiegelschild vorhalten, bei dessen Anblick die giftige Medusa auf ewig zu Stein erstarrt? (Friedensburg 1947, S. 90) wenn dieses Pseudo-Plebejertum des Faschismus für den geistigen Menschen so unerträglich war, so deshalb, weil der geistige Mensch eben zu wenig dafür getan hatte, daß das Volk – die Masse – energisch genug für seine Ideale, für die Ideale der Humanität und der Freiheit und des Friedens kämpfte. Das ist ein gegenseitiges Bedingungsverhältnis. Es steckt viel Schuld auch sowohl in jedem einzelnen des deutschen Volkes, aber es steckt auch viel Schuld und mehr Schuld bei der Intelligenz, die den Menschen des deutschen Volkes nicht die Waffen in die Hand gab, sich gegen den Faschismus energisch genug zu verteidigen (Harich 1947, S. 161). Wir Gefangenen aus den Konzentrationslagern und Zuchthäusern werden nie vergessen, daß der Sieg der alliierten Armeen über das nazistische Deutschland auch uns die Stunde der Befreiung brachte .. Wir können aber auch von uns behaupten, daß wir mit unserem Kampf gegen den Faschismus die Anstrengungen der vereinten Nationen unterstützt haben. (Raddatz 1947, S. 68) Richtlinien für die Ausgabe der Ausweise .. [für die] vom Faschismus in Deutschland aus politischen, religiösen und rassischen Gründen Verfolgten und Gemaßregelten .. Opfer des Faschismus [sind] Opfer der Nürnberger Gesetzgebung, politische Gelegenheitstäter, aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen Verfolgte und bestimmte Fälle der Militär-Straftat. Sie erhalten den Ausweis „Opfer des Faschismus“ ohne den Aufdruck „Kämpfer“. (Bock 1947, S. 18) politische Menschen, und das sind ja alle Opfer des Faschismus (Bock 1947, S. 34). Faschismus und Militarismus, Monopole und Großgrundbesitz [sollen] keine „Opposition“ in unserem demokratischen Staatswesen sein, die nach gewissen verfassungsrechtlich fixierten „demokratischen“ Spielregeln ihr dunkles Spiel treiben darf (Grotewohl 1947, S. 284). Die Aufdeckung der in den deutschen Konzentrationslagern vollbrachten Scheußlichkeiten [rief] in der Welt vielfach eine falsche Deutung des Wesens der Konzentrationslager und damit auch des Naziterrors überhaupt hervor[..]. Die begangenen Schandtaten erschienen als die sadistischen Grausamkeiten der SS, und da es massenhafte Grausamkeiten waren, schrieb man sie einer besonderen sadistischen Veranlagung des gesamten deutschen Volkes zu. Gegen diese Geschichtsfälschung glaubte ich mich wenden zu müssen, nicht etwa aus dem Grund, um eine Rechtfertigung des deutschen Volkes zu liefern, sondern um die Welt darauf aufmerksam zu machen, welche Lehren man aus den Erfahrungen mit dem Faschismus über das Wesen der modernen Massendiktaturen zu ziehen habe. (Kautsky 1948, S. 7)
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Finsternis
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Finsternis Verfinsterung dunkel · Nacht Nichttäter Das Wortfeld Finsternis bildet eine begriffliche Verbindung zu der auf die ÕGegenwart referierende und Endzeit-Vorstellungen bezeichnende Metapher Õapokalyptisch. Auf die Vergangenheit bezogen gebrauchen die Nichttäter die Dunkelheit-Metaphorik des numinosen Bildbereichs (ÕDämon) zur Entwirklichung des Nationalsozialismus: plötzliche Verfinsterung, dunkel dämonische Mächte, Nacht der Tyrannis, Bann der Finsternis, Nacht des Bösen (s. Weber 1945, S. 74 f.; Ebbinghaus 1945c, S. 18; Künneth 1947, S. 88). Gegenwartsbezogen referieren Nichttäter (insbesondere in den ersten Nachkriegsjahren) mit Bezeichnungen der Dunkelheit-Metaphorik auf die desaströse Nachkriegswirklichkeit. Vor allem Theologen drücken damit (wie mit Õapokalyptisch) ihr Gegenwartsempfinden aus: Stockfinsternis des unbarmherzigen Geschehens, diese dunkle unbarmherzige Welt, Finsternis der Zeit, das heutige Düster, Dunkel über unserem Vaterlande, in dieser bösen und dunklen Stunde, dunkelster Abschnitt deutscher Geschichte, in dieser Stunde der großen Weltverdüsterung (s. Althaus 1945c, S. 282 f.; Althaus 1945c, S. 288; Preysing 1945b, S. 56; Kirschweng 1946, S. 5; Pribilla 1947, S. 50; Jacob 1947, S. 8). Es war wie eine plötzliche Verfinsterung, die eintrat, in der man den unheimlichen Flügelschlag der Mächte spürte .. . Der Flügelschlag dunkel dämonischer Mächte (Weber 1945, S. 74 f.). Diese Ehrfurcht wieder zu erwecken, ist das Gebot der Stunde. Das Licht, das nur noch wenigen leuchtete, muß wieder scheinen in der Finsternis, ob es das Ganze auch noch nicht durchleuchtet und durchglutet (Benz 1945, S. 39). Stockfinsternis des unbarmherzigen Geschehens .. in dieser dunklen, unbarmherzigen Welt (Althaus 1945c, S. 282 f.). in der übergroßen Finsternis der Zeit (Althaus 1945c, S. 288). das heutige Düster .. Dunkel, das über unserem Vaterlande liegt (Preysing 1945b, S. 56). Die deutschen Universitäten haben sich nicht mit der Macht, die sie vielleicht hätten entfalten können, als es noch Zeit war, dem Verderben der Wissenschaft und des Staates öffentlich entgegengeworfen, und kein in der ganzen Welt sichtbares Fanal der Freiheit und des Rechtes ist von ihren Türmen in die Nacht der Tyrannis emporgelodert (Ebbinghaus 1945c, S. 18). in dieser bösen und dunklen Stunde (Kirschweng 1946, S. 5).
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Bann der Finsternis (Künneth 1947, S. 88). in der Nacht des Bösen versunken (Künneth 1947, S. 88). den dunkelsten Abschnitt deutscher Geschichte (Pribilla 1947, S. 50). in dieser Stunde der großen Weltverdüsterung (Jacob 1947, S. 8).
frei Freiheit Befreiung · Selbstbefreiung Opfer Frei und Freiheit sind gegenwartsbezogene Schlüsselwörter der Opfer zur Bezeichnung ihres Zustands nach ihrer Rettung durch die Alliierten. Sie sprechen vom Ende des Krieges und des Nationalsozialismus, vom Tag ihrer Befreiung als vom Tag der Freiheit, vom wiedererlangten Freisein. Dieses Augenblicks- und Momentbewusstsein ist eines im persönlichen Sinn von ‚Ich bin frei, habe überlebt‘. Die befreiten Opfer haben entsprechend ihrer unterschiedlichen Wahrnehmungen des Augenblicks der Befreiung unterschiedliche Sichtweisen ihrer selbst. Zwar eint sie das Bewusstsein, befreit zu sein, aber die Bewertungen dieses Befreitseins sind auf der Folie je verschiedener Selbstbilder disparat und hängen von der Wirklichkeit ab, die bis zu ihrer Befreiung bestimmend war, sowie von ihrem biographischen Hintergrund. Außerdem lassen sich Wahrnehmungsphasen unterscheiden. Nicht-politische, vor allem jüdische, Opfer referieren selten auf frei und Freiheit, indem sie euphorisch gesteigerte Freude des Befreitseins als Ende ihrer Gefangenschaft ausdrücken (s. Tagebucheintrag vom 15. April 1945, Steinwender 1946, Vermehren 1946). Dominant ist dagegen der Ausdruck von Ungläubigkeit und Fassungslosigkeit: „Überschwenglichkeiten habe ich kaum gesehen; die meisten begrüßten sich etwa mit Worten wie: ‚Jetzt haben wir’s also doch geschafft!‘“ (Kautsky 1948, S. 340) Diese Verhaltenheit beschreibt auch Primo Levi: „Die Nachricht [über die bevorstehende Befreiung] rief in mir keine unmittelbare Bewegung hervor. Seit vielen Monaten kannte ich keinen Schmerz, keine Freude und keine Angst mehr“ (Levi 1958/2002, S. 182), vgl. die Formulierungen ‚In die Freiheit‘ sagt man sich vor .. man kann es einfach nicht fassen, Man erwartet, daß die Befreiung das schönste Kapitel in der Geschichte des Konzentrationslagers ist. Ich weiß, daß es das nicht ohne Einschränkung ist,
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Du bis da, Freiheit! .. warum bin ich nun so traurig (s. Frankl 1945, S. 140 f.; Frankl 1945, S. 143; Adelsberger 1956, S. 100; Adelsberger 1956, S. 103; zit. nach Langbein 1972, S. 527). Die Befreiungsdarstellungen der politischen Häftlinge dagegen sind gekennzeichnet von Pathos, Euphorie und Emphase: Freiheit!!! Gibt es etwas Schöneres, Herrlicheres, Erhabeneres?, der Tag der Freiheit war gekommen (s. Dietmar 1946, S. 139 f.; Eiden 1946, S. 263; Eggerath 1947, S. 182). Vor allem aber sind ihre Darstellungen geprägt von einer politisierenden Ausdeutung. Obwohl mit Befreiung und Ende der Naziherrschaft die KZ-Insassen allererst auf die Erlangung ihrer persönlichen existenziellen Freiheit referieren, auf die Restitution eines Grundzustands also, dessen Gegenteil mit Gefangenschaft, Folter und Todesgefahr bezeichnet ist, gebrauchen politische Befreite Freiheit auch in diesem Zusammenhang gleichsam als „Grundwort der Revolution“ (Brunner/Conze/Koselleck II, S. 536). Ihre Freiheitseuphorie ist die Euphorie derjenigen, die nicht die Erlangung eines universalen, und damit eigentlich überpolitischen Prinzips, sondern die eines politischen Ziels feiern: nach erlangter eigener Freiheit und nach Erkämpfung der Freiheit unserer Nationen (s. aus der Abschiedserklärung der Mauthausener, zit. in Hauff 1946, S. 5; Raddatz 1947, S. 68). Dementsprechend ist Freiheit ein in die Kontinuität ihres politischen Kampfes eingelassener Begriff. So, wie politische Häftlinge ihre Existenz im KZ als Kontinuum ihres Kampfes gegen den Faschismus zu deuten vermögen, gelingt es ihnen auch, nach ihrer Befreiung ein Kontinuum zur Gegenwart herzustellen. Diese ist die Konsequenz ihres Kampfes der Vergangenheit, dessen Resultat und der Beginn der neuen Zeit. Gegenwart als Schaltstelle zwischen Vergangenheit und Zukunft ist für die befreiten politischen Häftlinge nicht das Ende der Vergangenheit, sondern der Beginn der Zukunft: Tag der Befreiung als Zeichen internationaler Solidarität vor aller Welt bekennen und begehen als Auftakt einer neuen Zeit (s. Dietmar 1946, S. 147). Mit der Bezeichnung Selbstbefreiung legitimieren kommunistische bzw. sozialistische Buchenwald-Häftlinge ihre von Überlebensstolz geprägte Selbstsicht und schaffen sich den Geltungsanspruch ihrer Identität als antifaschistische (ÕAntifaschist) ÕKämpfer. Kommunistische befreite Häftlinge instrumentalisieren die Darstellung des Moments der Befreiung zu einem Akt revolutionären Widerstands. Typisch für sie ist die Selbst-Disziplinierung des politischen Kämpfers, wie sie der Mythos von der Selbstbefreiung des KZ
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Buchenwald, des „roten Olymp“ (Reichel 1995, S. 129), ausdrückt: Buchenwald das einzige Konzentrationslager, dessen Insassen sich selbst befreit hatten, wir hatten uns beim Herannahen der alliierten Truppen selbst befreit (s. Eiden 1946, S. 255; Eiden 1946, S. 258 f.; Dietmar 1946, S. 139 f.). Die kommunistischen Buchenwald-Gefangenen befestigen diese Version von der Selbstbefreiung der Lagerhäftlinge vor Eintreffen der Amerikaner zu einem der Gründungsmythen der DDR. Die Forschung hat inzwischen nachgewiesen, dass die Befreiung Buchenwalds ohne die Koinzidenz von sehr nahe gerückter Front der Amerikaner, fliehender SS und daraufhin entschlossener werdender antifaschistischer Befreiungsaktion nicht zu denken ist: „Am 11. April 1945 waren die meisten SS-Männer bereits aus dem Lager geflohen. Der Untergrund wartete nicht auf die heranrückenden amerikanischen Streitkräfte, sondern übernahm selbst die Kontrolle, zusammen mit bewaffneten Gruppen von Gefangenen; dabei wurden mehrere Dutzend SS-Männer gefangengenommen, die im Lager zurückgeblieben waren. An jenem Tag .. wurden etwa 21000 Gefangene in Buchenwald befreit, darunter 4000 Juden, davon etwa 1000 Kinder und Jugendliche.“ (Enzyklopädie des Holocaust I, S. 251) Overesch (1995) legt dar, dass es eine „Selbstbefreiung .. nicht gegeben [hat], das ist eine Legende .. . Ihre [der Häftlinge] Leistung lag vornehmlich in der sofortigen und äußerst straffen Organisation des inneren Lagerlebens gleich nach der Befreiung.“ (S. 33) So ist bezeichnend, dass Eugen Kogon, der sechs Jahre im KZ Buchenwald gefangen war, die Befreiung Buchenwalds nicht im Sinn einer Selbstbefreiung darstellt: „Als .. durch die Lautsprecher bekanntgegeben wurde, daß sämtliche SS-Angehörigen sofort zu ihren Dienststellen außerhalb des Lagers zu kommen hätten, stieg die kritische Erwartung auf das äußerste. Kurz darauf begann die SS abzuziehen. Die Würfel waren gefallen. Zurück blieben die Posten auf den Wachtürmen, die sich beim näher und näher kommenden Schlachtenlärm .. in den umliegenden Wald zurückzogen, worauf die Kameraden des Lagerschutzes .. sofort den Stacheldraht durchschnitten, die Türme ihrerseits besetzten, das Tor am Lagereingang nahmen und die weiße Fahne auf Turm 1 hißten. So fanden die ersten amerikanischen Panzer .. das befreite Buchenwald vor.“ (Kogon 1946a, S. 362) Aufschluss gibt auch die Formulierung des sozialdemokratischen BuchenwaldHäftlings Benedikt Kautsky: „Ich habe die Kriegszeit bis Oktober 1942 in Buchenwald, dann in Auschwitz-Buna verbracht und bin mit einem Transport im Jänner 1945 nach Buchenwald zurückgebracht
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worden, wo ich am 11. April 1945 die Befreiung des Lagers durch amerikanische Truppen erlebte.“ (Kautsky 1948, S. 38) Gestern bin ich in langem Spaziergang ums Lager herumgegangen. Es war ein beglückendes Gefühl, den singenden Lerchen zuhören zu dürfen, ohne Angst zu haben vor den schimpfenden Posten, die mit dem schußbereiten Karabiner drohten. In der weiten Ebene gehen .. zwei Bauern hinter ihren Zugtieren her und schreiten gemächlich über das weite Feld. Die Finken fliegen herum und zwitschern, die Sträucher haben einen zarten grünen Schleier übergehängt, und im Gras blühen überall die Blumen. Auf allen Wegen spazieren die Lagerinsassen in Gruppen und einzeln und genießen mit Jubel oder still in sich gekehrt, das unglaubliche Glück, noch am Leben zu sein und dazu auch noch in der Freiheit und im schönsten Frühling, den manche – wie ich zum Beispiel, seit sechs Jahren zum ersten Mal wieder erleben. (Tagebucheintrag vom 15. April 1945, zit. nach Überlebensmittel 2003, S. 68) Mit müden Schritten schleppen sich die Kameraden zum Lagertor .. man will die Umgebung des Lagers erstmalig sehen – oder besser: sie erstmalig als freier Mensch sehen. So tritt man in die Natur hinaus und in die Freiheit. „In die Freiheit“, sagt man sich vor .. man kann es einfach nicht fassen. Das Wort Freiheit war in den jahrelangen Sehnsuchtsträumen schon zu sehr abgegriffen und der Begriff zu sehr verblaßt; mit der Wirklichkeit konfrontiert, zerfließt er. Die Wirklichkeit dringt noch nicht recht ins Bewußtsein ein: man kann es eben einfach noch nicht fassen. (Frankl 1945, S. 140 f.) Tage vergehen, viele Tage, bis sich nicht bloß die Zunge löst, sondern irgend etwas im Innern gelöst wird .. dann sinkst du in die Knie. Du weißt in diesem Augenblick nicht viel von dir und nicht viel von der Welt, du hörst in dir nur einen Satz ..: „Aus der Enge rief ich den Herrn, und er antwortete mir im freien Raum.“ .. an diesem Tag, zu jener Stunde begann dein neues Leben .. [du] wirst .. wieder Mensch. (Frankl 1945, S. 143) Wenn so ein Mensch heimkehrt und feststellen muß, daß man ihm hier oder da mit nichts besserem als Achselzucken oder billigen Phrasen gegenübertritt, dann bemächtigt sich seiner nicht selten eine Verbitterung, die ihm die Frage aufdrängt, wozu er eigentlich alles erduldet hat .. . im Erlebnis der Enttäuschung ist es das Schicksal, dem gegenüber der Mensch sich ausgeliefert fühlt; der Mensch nämlich, der nun durch Jahre geglaubt hat, den Tiefpunkt möglichen Leidens erreicht zu haben, jetzt aber feststellen muß, daß das Leid irgendwie bodenlos ist .. Diese Enttäuschung [war] nicht wenigen von den Befreiten in der neuen Freiheit vom Schicksal beschieden. (Frankl 1945, S. 146 f.) Unvorbereitet traf mich die Stunde der Freiheit. Fast betäubt von der Nachricht, wurde ich von den Kameraden umringt, umarmt, ein Abschiednehmen, von den meisten wohl für das ganze Leben, das mir unvergeßlich bleiben wird. (Steinwender 1946, S. 132) geblendet .. und berauscht von dem plötzlichen Durchbruch so strahlender Helligkeit und beginnender Freiheit. (Vermehren 1946, S. 180) Alle Stunden standen .. unter dem Obertitel Befreiung – befreit fühlten wir uns von Angst und Schrecken, von Terror und Unterdrückung, von Mord und Krieg, befreit von der bitteren Notwendigkeit, sich schützen und verteidigen zu müssen .. wir schwammen in einem Meer von Seligkeit, wir flogen durch einen Himmel durch-
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sonnter Freude, wolkenlosen Glückes, vollkommenen Friedens. (Vermehren 1946, S. 215 f.) Freiheit!!! Gibt es eigentlich in der ganzen Welt etwas Schöneres, etwas Herrlicheres, etwas Erhabeneres als die Freiheit? (Dietmar 1946, S. 139 f.) Alles war bis ins kleinste organisiert .. . Gut getarnte Verstecke wurden aufgerissen und Waffen, Maschinengewehre, Karabiner, Pistolen, Handgranaten, Panzerfäuste gingen von Hand zu Hand .. . Die SS, die nicht mehr flüchten konnte und sich uns ergab, wurde gefangengenommen. Einzelne andere.. wurden im Kampf niedergemacht .. . Der erste Trupp von achtundfünfzig gefangener SS stand da mit erhobenen Händen und wurde entwaffnet .. Am Eingangstor .. zog eine Abteilung ehemaliger Häftlinge als Wache auf .. . Wir waren frei! – – – Eine Stunde danach rollte der erste amerikanische Panzer ins Lager Buchenwald. Der Offizier war überrascht, uns völlig befreit zu finden und erstaunte noch mehr, als er vernahm, daß wir uns beim Herannahen der alliierten Truppen selbst befreit hatten .. dankte für die hier angetroffene Disziplin. (Dietmar 1946, S. 139 f.) Dieser Appellplatz, auf dem wir die ganzen Jahre hindurch Tag für Tag unter der Knute der SS antreten und manche Nacht hindurch stehen mußten, wenn es einem der sadistischen SS-Banditen so gefiel, ganz gleich, ob dabei mehr oder weniger Kameraden zusammenbrachen, sah uns heute als befreite Menschen sich für eine Freiheitskundgebung formieren .. . Und hier standen wir nun heute am Morgen des 1. Mai, dem Tage der Freiheit, als Angehörige aus mehr denn achtzehn Nationen, ergriffen von der Bedeutung dieses Tages, der uns entschlossen fand, ihn als Zeichen internationaler Solidarität vor aller Welt zu bekennen und würdig und schlicht zu begehen als Auftakt einer neuen Zeit. (Dietmar 1946, S. 147) Buchenwald war das einzige deutsche Konzentrationslager, dessen Insassen sich selbst befreit hatten. (Eiden 1946, S. 255) Die Gewalt der SS im Lager Buchenwald war durch die kühne Tat antifaschistischer Kämpfer aller Nationalitäten gebrochen. Die 21.000 Insassen des Lagers waren gerettet, waren frei .. . In der Nacht zum 12. April erschien ein amerikanischer Offizier im Lager. Er begab sich zur Leitung der antifaschistischen Kampforganisation und informierte sie über die militärische Lage an der Front. (Eiden 1946, S. 258 f.) Wir lebend Gebliebenen, wir Zeugen der nazistischen Bestialitäten .. Heute sind wir frei! (Eiden 1946, S. 263) Wir wollen nach erlangter eigener Freiheit und nach Erkämpfung der Freiheit unserer Nationen: die internationale Solidarität des Lagers in unserem Gedächtnis bewahren und daraus die Lehre ziehen! Wir werden einen gemeinsamen Weg beschreiten, den Weg der Zusammenarbeit am großen Werk des Aufbaues einer neuen, für alle gerechten, freien Welt. Wir wenden uns an die ganze Welt mit dem Ruf: helft uns bei dieser Arbeit! Es lebe die internationale Solidarität! Es lebe die Freiheit! (aus der Abschiedserklärung der Mauthausener, zit. in Hauff 1946, S. 5) Wir Gefangenen aus den Konzentrationslagern und Zuchthäusern werden nie vergessen, daß der Sieg der alliierten Armeen über das nazistische Deutschland auch uns die Stunde der Befreiung brachte .. Wir können aber auch von uns behaupten, daß wir mit unserem Kampf gegen den Faschismus die Anstrengungen der vereinten Nationen unterstützt haben. (Raddatz 1947, S. 68) Der Morgen graut. Die Tore [des Zuchthauses] werden aufgeschlossen .. der Tag der Freiheit war gekommen. (Eggerath 1947, S. 182)
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Man erwartet, daß die Befreiung das schönste Kapitel in der Geschichte des Konzentrationslagers ist. Ich weiß, daß es das nicht ohne Einschränkung ist. (Adelsberger 1956, S. 100) Die Sehnsucht unserer Jahre, eine kaum im Traum gewiegte Hoffnung hatte sich erfüllt, etwas, was wir mit all unserer Phantasie uns nie hatten ausmalen können. In der Stunde, da dieses unbegreifliche, unfaßbare Glück über uns hereinbrach, konnten wir es kaum begreifen. Es war übermächtig und zerschmetterte uns. Ebensowenig wie unser ausgehungerter Körper das Essen sofort verdauen wollte, vermochten wir die Freiheit im ersten Moment voll in uns aufzunehmen. Wir mußten uns erst gewöhnen und tapsten mit ungeschickten zaghaften Schritten in das neugewonnene Leben hinein. (Adelsberger 1956, S. 103) Du bist da, Freiheit! .. jetzt, wo ich dich besitze, dich erobert habe, warum bin ich nun so traurig? (zit. nach Langbein 1972, S. 527)
Freiheit freiheitlich · freiheitlich-demokratisch frei Nichttäter Ost/Nichttäter West
Das Potsdamer Abkommen gibt dem deutschen Volk auf, „sein Leben auf einer demokratischen und friedlichen Grundlage von neuem wieder aufzubauen.“ (Potsdamer Abkommen 1945, S. 480) Dementsprechend gehört Freiheit, wie ÕDemokratie und ÕFrieden, zu den zentralen zukunftsbezogenen Schlüsselwörtern, die in der frühen Nachkriegszeit den politischen Diskurs in Ost wie in West tragen. Sie werden seit 1945, verstärkt seit den Staatsgründungen, unter den Bedingungen des Kalten Krieges zur eigenen Positionsbestimmung und zur Denunzierung des jeweils anderen Systems gebraucht (s. Grotewohl 1951a, S. 352 f.; Dehler 1952, S. 5). Freiheit ist wie ÕFrieden ein ideologisch je verfügbar zu machendes Bekenntniswort, denn „wie alle anderen Begriffe mit altüberliefertem Wertgehalt ist ‚Freiheit‘ im politischen Kampf seit dem 19. Jahrhundert immer von neuem ideologisiert .. worden“ (Brunner/ Conze/Koselleck II, S. 539), und damit ideologisch polysem. Der Gebrauch von Freiheit ist Nachweis dafür, dass in der Nachkriegszeit „viele Akademiker .. sich .. in [der] historischen Tradition“ des Bürgertums sahen und deshalb häufiger Begriffe gebrauchten (wie auch Selbständigkeit, Individuum, Verantwortung), „deren Bedeutungsfeld sich mit dem von ‚Bürgertum‘ und ‚Bürgerlichkeit‘ teilweise überschnitt“ (Siegrist 1994, S. 291).
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Wenn ÕFrieden als Bekenntniswort des Sozialismus zu gelten hat, kann als entsprechende Bekenntnisvokabel des Westens Freiheit gelten – die das westliche Verständnis ausdrückende Formel Frieden und Freiheit und das Selbstverständnis, das in der Formel freiheitlichdemokratische Grundordnung aufgehoben ist, dokumentieren diesen Vorrang. In dieser Weise konstitutiv ist der Freiheitsbegriff im Marxismus-Sozialismus nicht. Dennoch gilt natürlich auch für den marxistisch-sozialistischen Gebrauch dieser Hochwertuniversalie: Seit Verkündung der Menschenrechte und der Französischen Revolution ist Freiheit unumgängliches Bekenntniswort jeglichen politischen, als demokratisch sich verstehenden, auf den Humanismus sich berufenden und sich in die kulturelle Tradition der geistigen Befreiung stellenden Emanzipationsbewegungen. Der angewandte historische Materialismus macht da keine Ausnahme, und er ist somit dem ‚Ideal der Freiheit‘ ebenso verpflichtet, wie der Westen. Im Westen wie im Osten „stand der politische Wiederbeginn .. im Zeichen der Hoffnung auf Freiheit. Sie war elementarer denn je aufgrund der gemachten Erfahrungen.“ (Brunner/Conze/Koselleck II, S. 540) Vgl. Freyer 1958; Klaus/Buhr 1972 II s.v. Freiheit; Steinvorth 1987; Brunner/Conze/Koselleck Band II s.v. Freiheit; Felbick 2003, s.v. Freiheit; Geppert 2003, S. 238–252. Nichttäter Ost Im Osten sucht man mit den Bekenntnisvokabeln ÕFrieden, Freiheit und ÕDemokratie den neuen sozialistischen Staat zu etablieren und zu konsolidieren, mit Hilfe von Werten, die zur Tradition des politischen Diskurses spätestens seit 1789 zählen. Man bedient sich der Namen dieser Werte gleichsam als Vehikel, indem man ihr assoziatives Potenzial als Hochwertwörter benutzt, um die neue Staats- und Gesellschaftstheorie umzusetzen. In einem allgemeinen universalen Sinn erscheint der Gebrauch von Freiheit, freiheitlich, frei östlicher Provenienz weniger als gesellschaftstheoretischer Grundbegriff, denn als obligatorisches Element politischer Rede, in Verbindungen wie Ideale der Freiheit, Ideen der Freiheit. In dieser Tradition steht zudem eine Verwendung, die Freiheit auch als Aspekt der Menschenwürde deutet. Würde und würdig sind daher Kontextpartner, und in solchen Gebrauchsweisen treffen sich Ost und West (s. Pieck 1945a, S. 7; KPD 1945, S. 20). Im Hinblick auf solche Gebrauchsweisen, in denen Mitglieder der Wortfamilie Freiheit weniger auf ein entsprechendes politisches
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Handeln abzielende Kategorien, nicht konkret verpflichtende Signalwörter, sondern vielmehr unverzichtbares Requisit sind, welches zur rhetorischen Grundausstattung jeglichen öffentlichen, politischen bekennenden Redens gehört, wird der Freiheitsbegriff kritisch reflektiert und es wird Konkretheit eingefordert, zumal in Bezug auf die Dichter und Schriftsteller, die ihr Reden nicht in verbindliche Handlungskonzepte umsetzen müssen (s. Langhoff 1947, S. 353). Verbindlichkeit erhält und als politisches Schibboleth zuzuordnen ist der Freiheitsbegriff, wenn sein Gebrauch hinsichtlich der zwei grundlegenden Aspekte individuelle Freiheit bzw. kollektive Freiheit geprüft wird. In der Präambel und in Artikel 8 der Verfassung der DDR zwar sind Gebrauchsweisen belegt, welche die Bedeutung von individuelle Freiheit festschreiben: die Freiheit und die Rechte des Menschen, persönliche Freiheit (s. Verfassung der DDR 1949, Präambel; Art. 8 Verfassung der DDR 1949). Jedoch ist Freiheit in der Verfassung der DDR eine Legitimationskategorie. Denn in der Aufbauphase des Sozialismus in der ersten Nachkriegszeit war der Gebrauch von Signalwörtern wie Freiheit und ÕDemokratie Kalkül. Man bedient sich der Bezeichnung aus politischer Berechnung, auf den attraktiven Hochwert des begrifflichen Potenzials von individuelle Freiheit setzend, und befestigt damit das eigentliche politische Projekt. Der „marxistische Freiheitsbegriff lehnt die verschiedenen Aspekte der Kategorie Freiheit“ ab, wie ökonomische, politische, moralische, künstlerische u. a. Freiheit, die in der philosophischen Definition zusammengefasst wird, „und .. jede inhaltliche Aufspaltung des Freiheitsbegriffs in verschiedene getrennte Bereiche“ (Klaus/ Buhr 1971 I, S. 376). Daher kann es eine Unterscheidung zwischen individueller und kollektiver Freiheit nicht geben. Daraus erklären sich Gebrauchsweisen wie die im Gründungsaufruf der KPD vom 11. Juni 1945 und im Manifest der SED vom April 1946 (s. KPD 1945, S. 19; SED Manifest 1946, S. 26) als Lockrufe: Herstellung der demokratischen Rechte und Freiheiten des Volkes, dem Volk alle Rechte der Meinungsfreiheit, volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Ebenso gehört persönliche Freiheit zum Inventar politischen Redens der DDR unmittelbar nach der Erfahrung des 17. Juni 1953: stärker als bisher steht die Entfaltung der persönlichen Freiheit im Mittelpunkt der ganzen Politik (s. Benjamin 1953, S. 12). Wenn daher Freiheit in Texten sozialistischer bzw. kommunistischer Provenienz auf das individuelle persönliche Grundrecht referiert, dann wird das Wort in legitimierender Funktion gebraucht. Als
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eine, ein politisches Programm bezeichnende Bekenntnisvokabel gehört Freiheit in der Bedeutung individuelle Freiheit jedoch nicht zum Werteindex der KPD bzw. SED. Außerhalb des Verfassungstextes fehlt diese (etwa bei Politikerreden zu erwartende) Deutung von Freiheit als Bedingung individueller Menschenwürde und als Voraussetzung persönlicher Entfaltungsmöglichkeiten. Der Marxismus ist nicht auf die individuelle Freiheit des Menschen, sondern auf die kollektive Freiheit der Menschheit ausgerichtet. Interpretament von Freiheit in marxistischem Sinn ist die Hegelsche Vorgabe ‚Einsicht in die Notwendigkeit‘. Die orthodoxe Definition von individuelle Freiheit lautet daher: „Die Freiheit besteht in der Einsicht in die objektive Notwendigkeit und in der darauf beruhenden Fähigkeit, die Gesetzmäßigkeiten mit Sachkenntnis bewußt anzuwenden und auszunutzen; sie schließt auch die ökonomischen, politischen, rechtlichen und ideologischen Bedingungen ein, die hierzu erforderlich sind.“ (Klaus/ Buhr 1971 I, S. 374) Entsprechend lautet die marxistisch-leninistische philosophische Definition: „Freiheit ist die auf wissenschaftlicher Erkenntnis der Gesetzmäßigkeiten der Natur und der Gesellschaft beruhende Herrschaft der Menschen über die Natur und über die gesellschaftlichen Verhältnisse. Sie ist die Fähigkeit der Menschen zu einer auf sachkundiger Entscheidung beruhenden Gestaltung ihrer Lebensverhältnisse entsprechend der Erkenntnis der objektiven Gesetzmäßigkeiten“ (Freiheit und Gesellschaft 1973, S. 89). Einsicht in die Notwendigkeit ist im orthodoxen Sozialismus stets und selbstverständlich die Einsicht, dass der Einzelne zum Wohle des Ganzen, welches Klasse heißt, zurückzustehen hat. „Die persönliche Freiheit hat ihre Grundlage in der Freiheit der Klasse und kann nur in unlöslicher Verbindung mit ihr effektiv wahrgenommen werden“ (Freiheit und Gesellschaft 1973, S. 7). Unter der Voraussetzung des dialektischen Materialismus geschieht zum Wohle des Einzelnen, was zum Wohle des Ganzen, der Klasse, geschieht. Das „gesellschaftliche Wesen der Freiheit im Sozialismus“ ist Bedingung (Freiheit und Gesellschaft 1973, S. 7). So erklären sich Gebrauchsweisen wie: parlamentarisch-demokratische Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk, mit dem Sozialismus tritt die Menschheit in das Reich der Freiheit, Freiheitsrechte des Volkes (s. KPD 1945, S. 18; SED 1946b, S. 195; Grotewohl 1947, S. 284 f.). Ein Spannungsverhältnis zwischen dem Handlungsspielraum persönlicher Selbstverwirklichung und kollektiver Freiheit entsteht so nicht. Kollektive und persönliche Freiheit bilden im Sozialis-
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mus bzw. Kommunismus keine unterscheidbaren Konzepte. Im Sozialismus „befindet sich die gesellschaftliche Notwendigkeit in wachsendem Maße in Übereinstimmung mit dem Einzelwillen der Werktätigen, und der gesellschaftliche Gesamtwille ist eine Zusammenfassung des Einzelwillens sozialistischer Menschen, welcher der gesellschaftlichen Notwendigkeit entspricht. Die gesellschaftliche Notwendigkeit ist hier eine erkannte, bewußt gewordene Macht und kann sich daher in gesellschaftliche Freiheit verwandeln.“ (Klaus/ Buhr 1971 I, S. 377) Kollektive Freiheit ist in marxistischem Verständnis das höhere Gut, Freiheit des Volkes ist Orientierungsformel und nur in diesem Sinn ist Freiheit Bezeichnung für ein politisches Handlungsziel. Freiheit ist also eine gesellschaftliche Kategorie, denn die „persönliche Freiheit im Sozialismus ist .. eine gesellschaftliche Errungenschaft, ein Ergebnis des Kampfes der ganzen Klasse. Als gesellschaftliche Erscheinung ist sie objektiv begründet und materiell gesichert“ (Freiheit und Gesellschaft 1973, S. 232) und schließt „das Problem der individuellen Freiheit in sich ein“ (Klaus/Buhr 1971 I, 376). Denn: „Die Freiheit von Ausbeutung ist die größte aller Freiheiten, die der Mensch in der ganzen bisherigen Geschichte errungen hat“ (Freiheit und Gesellschaft 1973, S. 171). Mit dieser materialistischen Setzung ist die Abwehr des Prinzips individueller Freiheit als höchstem Wert vollzogen. Wer persönliche Freiheit und Kommunismus zu vereinbaren sucht, gerät unter diesen Voraussetzungen in Konflikt (s. Klemperer 1945, Tagebücher 1945–1949, S. 68). Jedoch steht auch in der Bedeutung kollektive Freiheit die Vorstellung nicht derart im Zentrum marxistischer Zielkonzeptionen wie ÕFrieden oder ÕDemokratie. Zwar scheint Freiheit politisches Grundanliegen. Der Freiheitsbegriff dieser Prägung ist jedoch an die herrschenden ökonomischen Bedingungen gebunden (s. Abusch 1946, S. 271). Dieses Bedingungsverhältnis zwischen Ökonomie und Freiheit, diese Grundidee der Französischen Revolution (vgl. Brunner/Conze/ Koselleck II, S. 519 ff.), und das auf die Schaffung dieser ökonomischen Voraussetzungen bezogene Basisvokabular lässt die Wortfamilie Freiheit verblassen. Dies ist zwar kein Grund, diese Hochwertvokabeln zur Positionsbestimmung im Kalten Krieg gänzlich zu meiden, vgl. die erstarrte Formel Einheit Deutschlands in Freiheit und Frieden (s. Grotewohl 1952b, S. 40), der die westdeutsche Version Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit (s. Adenauer 1952c, S. 281 f.) entspricht. Die Tatsache aber, dass im Gegensatz zu ÕFrieden und ÕDemokratie der Begriff Freiheit schwerer im sozia-
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listischen bzw. kommunistischen Sinn umzudeuten und der Sicht des Marxismus-Leninismus und des historischen Materialismus anzupassen war, begründet die Zurückhaltung des Gebrauchs in Texten östlicher Provenienz. Nichttäter West Im Westen ist Freiheit wie ÕFrieden und ÕDemokratie lexikalischer Träger des Schulddiskurses (ÕSchuld), der dessen politische Dimension repräsentiert. Die Funktion des Schulddiskurses ist die ethischmoralische Restituierung der westdeutschen Gesellschaft. Als Teil dieses Vorhabens ist das Diskurssegment der politischen Kultivierung zu sehen, zu dessen Realisierung die Leitvokabeln ÕFrieden, Freiheit und ÕDemokratie dienen (s. Jaspers 1946, S. 211 f.). Ihr hoher Kookkurrenzgrad ist Manifestation eines begrifflichen Bedingungsverhältnisses, welches durch die Relation semantischer Teilsynonymie von Freiheit, ÕFrieden und ÕDemokratie verursacht wird: demokratische Freiheiten, Die Freiheit und die Demokratie sind wie Licht und Sonne, zwischen der Freiheit des Einzelnen und dem Gesetz des Staates vermittelt die demokratische Sitte, Würde und Freiheit der Person und damit eine wahre und echte Demokratie, ‚demokratische Erneuerung‘ als Bekenntnis verstanden zu der Freiheit des inneren Menschen, echte Demokratie, in der alle Grundrechte menschlicher Freiheit gewährleistet sind, neue Zukunft der Freiheit und des Friedens unseres Volkes, Ein Staat im vollen demokratischen Sinne nur, wenn ein Volk in voller Freiheit der Willensbestimmung gestalten kann, den Frieden und die Freiheit sichern, volle Demokratie, die auf der Freiheit der politischen Haltung beruht (s. SPD 1945, S. 29; Kaisen 1945, S. 16; Stegerwald 1945, S. 23 f.; Sternberger 1946, S. 44; Grimme 1946d, S. 107; CDU 1946, S. 50; Spranger 1947, S. 39; Litt 1947, S. 31 f.; Ministerkonferenz 1947, S. 583; Köhler 1948, S. 85 f.; Verfassungsausschuß 1948, S. 508; DGB 1949, S. 202; Bader 1949, S. 114). Im Westen wie im Osten gehört Freiheit zum unveräußerlichen Bekenntnisvokabular öffentlichen deklamatorischen Redens und ist ideeller und mehrdeutiger Platzhalter in Kontexten, die Zukunftsvorstellungen formulieren. Wenn in politischen Deklarationen Freiheit obligatorisches Element in Serien von Hochwertwörtern wie Wahrheit und Freiheit, Menschenwürde, Freiheit und Gerechtigkeit ist, offenbart sich diese Platzhalterfunktion (s. Schumacher 1945b, S. 255; Jansen 1945, S. 12; Schmid 1946, S. 11; Schmid 1948, S. 348). Daher ist auch aus westlicher Perspektive diese unbestimmte
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Mehrdeutigkeit, die ideologische Polysemie, die sich in solchen Gebrauchsweisen dokumentiert, Anlass für sprachkritische Analysen (s. Windisch 1946, S. 213). Hervorstechendes Kennzeichen des westlichen Gebrauchs von Freiheit sind gleichsam überpolitische Beziehungsrelationen, etwa im Kontext von idealisierenden Zukunftsentwürfen (s. Kaisen 1945, S. 16). Diese Gebrauchsweisen sind in der geistigen Nähe zu Immanuel Kant und seiner Vorstellung persönlicher Freiheit begründet, welche in den Kontext seiner auf das Individuum gehenden Philosophie zu stellen ist. Kant nennt persönliche Freiheit auch praktische Freiheit, für die der Mensch selbst verantwortlich ist und definiert sie als „Vermögen der reinen Vernunft für sich selbst praktisch zu sein“ (Kant 1797, S. 213 f.; vgl. HWbPh 1972 II, Sp. 1091 f.). Diese individualisierende Idee verdichtet sich in den prototypischen Wendungen des politischen Redens formelhaft: freie Entfaltung der Persönlichkeit, Freiheit und Selbständigkeit, freier Mensch, innere, persönliche, individuelle Freiheit (s. Stegerwald 1945, S. 23 f.; FDP 1946, S. 272; Adenauer 1946, S. 142 f.; Geiler 1946c, S. 178 f.; Grimme 1946d, S. 107; CDU 1946, S. 50; Pechel 1947, S. 248 f.; Litt 1947, S. 31 f.; Verfassungskonvent 1948, S. 56). Eng mit dieser Maxime persönlicher Freiheit ist die von Immanuel Kant begründete Vorstellung von der Freiheit des andern verbunden. Der kategorische Imperativ der Sittenlehre „handle nach einer Maxime, die zugleich als allgemeines Gesetz gelten kann“ (Kant 1797, S. 226), der von Kant als Rechtspflicht formuliert lautet „Eine jede Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann“ (ebd., S. 230) ist Grundbestandteil des freiheitlichen Denkens (s. Grimme 1945a, S. 25 f.; Windisch 1946, S. 216). Der Einzelne ist eine in der Gemeinschaft stehende und dieser Gemeinschaft verpflichtete Person. In der Umkehr bedeutet diese Abgrenzung konsequente Einschränkung von Freiheit bei denen, die sie gefährden. Zum Begriff der Freiheit zählt dialektisch daher auch das Konzept der Unfreiheit, weil die Gemeinschaftsgebundenheit des Individuums als Grundgegebenheit des Prinzips sozialen Zusammenlebens gewertet wird (s. SPD 1945, S. 29; Geiler 1946a, S. 118). Die aufklärerische Tradition manifestiert sich darüber hinaus in Kontextpartnern von Freiheit wie Vernunft, Sitte, Anstand, dienen, menschliche Würde (s. Kölner Leitsätze 1945, S. 31; Windisch 1946, S. 217; Sternberger 1946, S. 44; Dirks 1946a, S. 199). Diese ethisie-
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rende Fundierung des Freiheitsbegriffs kulminiert in affekthaltigem Gebrauch von Freiheit in Wendungen wie Fanatismus für das Recht auf Freiheit, Kampf gegen die Feinde der Freiheit, Kampf um Freiheit (s. Andersch 1946, S. 447; Reuter 1947, S. 200). Sie sind die westlichen Versionen des östlichen Kampf für den Frieden (ÕFrieden). Dieser hohe Grad der Emotionalisierung (vgl. auch Ehard 1950, S. 94) kommt gelegentlich einer Sakralisierung gleich (s. Grimme 1945a, S. 24). Die faschistische Diktatur im Rücken und die sozialistische Diktatur vor Augen gebraucht man Freiheit auch, um in diesem Doppelsinn abzugrenzen. Das Gegenkonzept zu der marxistischen Vorstellung kollektiver Freiheit manifestiert sich in westlichen Texten daher in den Formeln politische Freiheit und persönliche Freiheit, welche die personhaften, individualistischen Züge des westlichen Menschenbildes aufnehmen. Mit der Wendung politische Freiheit bezieht man sich nicht nur auf die Tyrannis der Vergangenheit, sondern auch auf das feindliche System der Gegenwart. In diesem Sinn wird Freiheit explizit also nicht nur als Kategorie zur Abgrenzung von der nazistischen Diktatur der Vergangenheit verwendet, sondern die Gebrauchsspezifik westlicher Kontexte besteht darin, dass dieses Bekenntniswort auch zur Abgrenzung vom marxistischen Freiheitskonzept der Gegenwart dient: Wer das Prinzip des Klassenkampfes vertritt, ist ein Feind der Freiheit der Einzelperson, Vermassung bringt Verlust der persönlichen Freiheit (s. Adenauer 1946, S. 141; Adenauer 1952a, S. 257). In der Deutung politische Freiheit und als Abgrenzung von der kollektiven Freiheit des Sozialismus ist dann der Freiheitsbegriff auch appellatives, an das ganze deutsche Volk gerichtetes, in der Präambel bestimmtes Element des bundesdeutschen Grundgesetzes (s. Giese 1949, S. 6). Die bundesrepublikanische Losung Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit erhält von dieser Voraussetzung der Gleichsetzung des Sozialismus bzw. Kommunismus mit ‚Unfreiheit‘ her ihre Bedeutung, und die heißt ‚Wiedervereinigung nach westlichen Freiheitsvorstellungen‘: die deutsche Einheit ist nur möglich auf der Grundlage der persönlichen und staatsbürgerlichen Freiheit und Gleichheit (s. Schumacher 1949, S. 695; Adenauer 1952c, S. 281 f.). Diese Vorstellung ist parteiübergreifender Konsens, in der Bundesrepublik galt insgesamt die Maxime ‚Freiheit vor Einheit‘. Während ÕFrieden die Zentralkategorie des Sozialismus ist, ist Freiheit die entsprechende Bekenntnisvokabel der westlichen Demo-
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kratie. ÕFrieden ist daher Zielbegriff in der Nationalhymne der DDR. In der Nationalhymne der Bundesrepublik ist entsprechend Freiheit einer der drei verpflichtenden Hochwertausdrücke: „Einigkeit und Recht und Freiheit/für das deutsche Vaterland./Danach lasst uns alle streben,/brüderlich mit Herz und Hand!/Einigkeit und Recht und Freiheit/sind des Glückes Unterpfand –/blüh im Glanze dieses Glückes,/blühe, deutsches Vaterland!“ (August Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Das Lied der Deutschen (1841), seit 1952 Nationalhymne der Bundesrepublik; zur Geschichte vgl. Landesbildstelle Berlin 1990, zuletzt Jeismann 2002.) In einer antifaschistisch-demokratischen Republik können demokratische Freiheiten nur denen gewährt werden, die sie vorbehaltlos anerkennen. Demokratische Freiheiten sind aber denen zu versagen, die sie nur nutzen wollen, um die Demokratie zu schmähen und zu zerschlagen. (SPD 1945, S. 29) Die Freiheit und die Demokratie sind wie Licht und Sonne, man muß sie entbehrt haben, um zu wissen, daß man ohne sie nicht leben kann (Kaisen 1945, S. 16). Erziehung der Jugend .. im Geiste des Friedens und der Freiheit, der Achtung vor der menschlichen Persönlichkeit, der Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit (Schumacher 1945b, S. 255). Ein freies Volk .., dessen Grundgesetz die Achtung menschlicher Würde ist. (Kölner Leitsätze 1945, S. 31) Demokratie ist, individuelle Freiheit und Gemeinschaftsbewußtsein glücklich miteinander zu vermählen. (Stegerwald 1945, S. 23 f.) Geist kann allein in Freiheit wachsen. Sie ist für jede Geistentfaltung die Voraussetzung, und niemals darf dies Heiligtum der Neuzeit verlorengehen wie in der Zeit der geistigen Tyrannis (Grimme 1945a, S. 24). Es ist das wichtigste Politikon der Gegenwart, zu sehen, daß sich die Freiheit auch selbst eine Grenze setzen muß; denn sie hat ihre Grenze zu wahren gegenüber jedem, der die ihm gewährte Freiheit dazu nutzen möchte, die Freiheit aller andern zu vernichten und so das Prinzip der Freiheit selbst aufzuheben (Grimme 1945a, S. 25 f.). Ausrottung und Vernichtung unserer Gegner, Zerstörung jeder Lebensbasis für sie, das würde die Demokratie belasten. So zu verfahren, das überlassen wir den Diktatoren. Wir aber wollen Demokraten sein! Das heißt: Wir achten jede andere Meinung, doch das heißt nicht, daß wir auch die frei wachsen lassen dürfen, die diese Achtung untergräbt. Wir dürfen dessen Meinung sich nicht frei entfalten lassen, der nur versteckt auf einen Zeitpunkt wartet, wo er die jede Gemeinschaft untergrabende Intoleranz der anderen Meinung gegenüber erneut ausbrechen lassen kann. Dem wird der neue Staat hart zu begegnen wissen. Großmut nur da, wo sie am Platze ist! Nie wieder wird der neue Staat wie die gutmütigste von allen Republiken, wie der Staat von Weimar, das Gebot vergessen: Sei tolerant nur gegenüber dem selber Toleranten, sei duldsam nur dem gegenüber, der selber duldsam ist; denn alle Toleranz hat ihre Grenze an der Intoleranz. Wir haben schwer dafür gebüßt, daß diese Grenze der freien Meinungsäußerung der Staat von Weimar nicht gesehen hat. Es gibt keine unbedingte Freiheit. Freiheit nur dem, der selbst die Freiheit respektiert! Wer heute anders als dem Feind der Freiheit gegenüber unerbittlich handeln
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wollte, verginge sich an unseren Toten; denn was sie wollten, war die Freiheit der menschlichen Person. Wir fordern Wiedergutmachung, wir wollen aber nicht Vergeltung. Wir fordern, wo es sein muß, die Bestrafung, wir wollen aber nicht die Rache (Grimme 1945c, S. 54 f.). Aufrichtung eines antifaschistischen, demokratischen Regimes, einer parlamentarisch-demokratischen Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk (KPD 1945, S. 18). Herstellung der demokratischen Rechte und Freiheiten des Volkes, völlig ungehinderte Entfaltung des freien Handels und der privaten Unternehmerinitiative, Pflege eines wahrhaft demokratischen, fortschrittlichen und freiheitlichen Geistes in allen Schulen und Lehranstalten, freie demokratische Wahlen der Betriebsvertretungen usw. (KPD 1945, S. 19) Fester den Tritt gefaßt! Höher das Haupt erhoben! Mit aller Kraft ans Werk! Dann wird aus Not und Tod, Ruinen und Schmach die Freiheit des Volkes und ein neues würdiges Leben erstehen. (KPD 1945, S. 20) Ein neues Deutschland .. schaffen, neue Wege .. beschreiten, damit das deutsche Volk wieder ein würdiges Leben gewinnen [kann]. Das kostbare Gut der inneren Freiheit gesichert (Pieck 1945a, S. 7). Wir müssen alles daransetzen, die Herzen und Hirne unseres Volkes mit freiheitlichem, demokratischem Geist zu erfüllen. (Pieck 1945b, S. 59) Aufrichtung eines antifaschistisch-demokratischen Regimes, einer parlamentarischdemokratischen Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk. (Pieck 1945b, S. 59) ich [bin] in stetigem Dilemma. Ich möchte an den linkesten Flügel der KPD, ich möchte für Rußland sein. Und andererseits: Freiheit, die ich meine! (Klemperer 1945, Tagebücher 1945–1949, S. 68) Nur in einer .. Atmosphäre der Wahrheit und Freiheit kann die Wissenschaft gedeihen. (Jansen 1945, S. 12) Freiheit ist einer jener vieldeutigen, maskenhaften Begriffe .., eines jener „magischen“ Worte, mit denen Massen um die Besinnung gebracht werden können. Es ist der typische Fall eines Begriffes mit zwei Gesichtern, eines Begriffes mit doppeltem Boden .. Denn was ist jeweils gemeint: die persönliche Freiheit, die des Individuums – oder die völkische, nationale, kollektive Freiheit und somit also die persönliche Unfreiheit .. Das demokratische Prinzip meint die persönliche Freiheit, das diktatorische die kollektive. .. kommentarlos ist der Begriff Freiheit ein pathetisches, leeres Nichts aus zwei Bedeutungen, die sich gegenseitig ausschließen. .. im doppelten Boden dieser dialektischen Falle ist schon manche Freiheit für alle Zeiten verschwunden. (Windisch 1946, S. 213) die innere Freiheit .. ist die größere. Und sie ist genau das, was wir zwölf Jahre keine Stunde besessen haben: die Freiheit des Denkens, die Freiheit der Mitteilung, die Freiheit, das eigene Schicksal selbst zu bestimmen (Windisch 1946, S. 215). Alle Freiheit hat ihre Grenzen dort, wo die Freiheit des Nachbarn beginnt. Freiheit soll die Freiheit der Andersdenkenden sein. Und unfrei ist, wer seine Seele verkauft (Windisch 1946, S. 216). Unsere nirgends in der Welt strittige Form der Freiheit und Gerechtigkeit wäre letzten Endes das einfache Ergebnis eines Experiments, das wir – vielleicht als erste mit dieser Intensität – durchführen könnten: eines Experimentes mit der Vernunft (Windisch 1946, S. 217).
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der Mensch muß zur Freiheit gebildet werden. Soll Freiheit herrschen, so muß der entschlossenen Wachsamkeit die intensive Bildung zur freien Sitte .. zum freien Anstand entsprechen .. zwischen der Freiheit des Einzelnen und dem Gesetz des Staates .. verbindet und vermittelt die demokratische Sitte, der gesellige Anstand. (Sternberger 1946, S. 44) Die neue Ordnung .. muß aus der leidenschaftlichen Kraft der besten europäischen Tradition heraus so gerecht sein, daß sie .. allen ernstlich zugemutet werden kann. Das sittliche Ja zu den Bindungen, die eine solche Ordnung uns auferlegen wird, ist der Ort der Freiheit. In Freiheit zu dienen: das ist die neue europäische Formel, nachdem wir seit Beginn der kapitalistischen Anarchie vergeblich im Zwang frei zu sein versucht haben, und nur in den besten Jahrzehnten einige wenige bevorzugte Millionen in Freiheit frei waren (Dirks 1946a, S. 199). freie Entfaltung der Persönlichkeit .. Vermenschlichung des Staates. Frei sei der Mensch im freien Staat und frei der deutsche Volksstaat im freien Bund der Völker und Staaten der Erde! (FDP 1946, S. 272) wer .. das Prinzip des Klassenkampfes vertritt, ist ein Feind der Freiheit der Einzelperson, er bereitet zwangsläufig den Weg der Diktatur im Fühlen und Denken seiner Anhänger vor (Adenauer 1946, S. 141). An ihrer [der Person] Freiheit und Selbständigkeit findet die Macht des Staates sowohl ihre Grenzen als ihre Orientierung. Freiheit der Person ist nicht Schrankenlosigkeit und Willkür, sie verpflichtet jeden beim Gebrauche seiner Freiheit, immer eingedenk zu sein der Verantwortung, die jeder einzelne für seine Mitmenschen und für das ganze Volk trägt .. . Staat .. Wirtschaft .. Kultur .. haben eine dienende Funktion .. Der Staat soll sein eine auf Recht und Freiheit ruhende Schicksalsgemeinschaft verantwortlicher Personen .. Wir wollen Erziehung .. zu dem Willen und der Fähigkeit, sich als freier Mensch verantwortungsbewußt in das Ganze einzuordnen. .. Recht auf politische und religiöse Freiheit. (Adenauer 1946, S. 142 f.) lebensformende Grundmaximen, .. vor allem der Wert der Freiheit. Die Würde des Menschen kann sich nur in der Freiheit, und zwar in der inneren Freiheit entfalten. In Freiheit unter eigener Verantwortung sein Leben zu gestalten, seine lebenswichtigen Entscheidungen unabhängig von der Zwangsgewalt eines Dritten oder eines Systems zu treffen, ist das Fundament, das jede Menschenwürde voraussetzt (Geiler 1946c, S. 178 f.). Der demokratische Gedanke erkennt den Menschen als Menschen an, d. h. als freies Selbstentscheidungswesen. Demokratie ist deshalb die politische Form, in der die Achtung der Person Grundsatz geworden ist. (Grimme 1946d, S. 107) Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands ist die Partei des Aufbaus einer antifaschistisch-demokratischen parlamentarischen Republik, die dem Volk alle Rechte der Meinungsfreiheit und Mitbestimmung sichert, volle Glaubens- und Gewissensfreiheit gewährt, .. den Religionsgemeinschaften gegenüber weitgehende Toleranz übt (SED Manifest 1946, S. 26). Nur der Sozialismus .. kann alle Lebensfragen unseres Volkes endgültig lösen, alle Quellen des gesellschaftlichen Reichtums erschließen und ein Reich wahrer Freiheit und Menschlichkeit schaffen. (SED Manifest 1946, S. 28) Erst mit dem Sozialismus tritt die Menschheit in das Reich der Freiheit und des allgemeinen Wohlergehens (SED 1946b, S. 195). Die FDJ will die Jugend gewinnen für die Ideale der Freiheit, der Menschlichkeit, des Völkerfriedens und der Freundschaft unter den Völkern. (FDJ 1946, S. 14)
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ein freies, ein glückliches, ein friedliches und ein einiges Deutschland, das mit allen friedliebenden Völkern in Eintracht lebt. (FDJ 1946, S. 154) in unserem „Jahrhundert des gemeinen Mannes“ weiß man genau – besonders seit der Wirtschaftskrise von 1930/33, aus der Hitlers Aufstieg erwuchs – daß eine Freiheit ohne Brot von keinem Volke als eine wahre Freiheit empfunden werden kann. Die Möglichkeit zum Leben auch einer deutschen Demokratie zu sichern, gehört deshalb zur überlegten Stärkung des Friedens und der demokratischen Freiheit der Welt (Abusch 1946, S. 271). Fanatismus für das Recht des Menschen auf seine Freiheit .. Die Jugend Europas .. wird den Kampf gegen alle Feinde der Freiheit fanatisch führen. (Andersch 1946, S. 447) In einer apokalyptischen Gegenwart gilt es nun, aus Schutt und Trümmern eine neue, bessere Welt aufzubauen .. . Dazu braucht es Ehrfurcht, Liebe, Gemeinschaft, Freiheit und Bindung, einen weltüberwindenden Glauben und eine neue Verbindung mit den ewigen Kräften, kurz, ein Zurückführen zum Fühlen und Denken im abendländischen Geiste. (Schmid 1946, S. 11) so muß auch der Freiheitsgedanke im Innern sich gegen Bedrohung schützen und damit die Freiheit zur wirklichen Herrschaft bringen. Also keine Freiheit für die Feinde der Freiheit .. Die Herrschaft und der Schutz der Freiheit müssen vom Volk als dem Träger des Freiheitsgedankens ausgehen (Geiler 1946a, S. 118). Reinigung ist der Weg des Menschen als Menschen. Die Reinigung über die Entfaltung des Schuldgedankens ist darin nur ein Moment. Reinigung geschieht nicht zuerst durch äußere Handlungen, nicht durch ein äußerliches Abmachen, nicht durch Magie. Reinigung ist vielmehr ein innerlicher Vorgang, der nie erledigt, sondern anhaltendes Selbstwerden ist. Reinigung ist Sache unserer Freiheit .. . Reinigung ist die Bedingung auch unserer politischen Freiheit. (Jaspers 1946, S. 211 f.) Die christliche Weltauffassung allein gewährleistet Recht, Ordnung und Maß, Würde und Freiheit der Person und damit eine wahre und echte Demokratie. (CDU 1946, S. 50) Man kann nicht die Demokratie erziehen. Diese setzt vielmehr freie und ihrem Gewissen folgende Menschen schon voraus. Die Gefahr, daß die sittliche Freiheit vom Parteigetriebe wieder verschlungen werde, liegt nicht fern. Auch die Parteien müssen aus ernster Verantwortung für das Ganze handeln. Verantwortlichkeit ist etwas anderes und Höheres als Machtinstinkte, die sich mit politischen Ideologien umhüllen (Spranger 1947, S. 39). zum ‚andern Deutschland‘ gehören nur die Deutschen, die den deutschen Beitrag zur Menschheit verkörpern. Die sich zu der stillen Gemeinschaft der in allen Völkern vorhandenen Menschen zählen, die sich bedingungslos den Gesetzen verpflichtet fühlen, die nicht von Menschen gemacht sind. Die dem Ruf des Geistes folgen und dem Gebot der ewigen Liebe. Denen der Dienst an den hohen Begriffen des Rechts, der Humanität, der Menschenwürde, der Freiheit, des Friedens, der brüderlichen Nächstenliebe auch zu den elendesten der Menschen, der echten Demut vor dem, was über allen Menschen ist, der Güte, der reifsten Frucht echter Menschlichkeit, selbstverständliche Pflicht ist. (Pechel 1947, S. 248 f.) eine deutsche Aufgabe zwischen Ost und West .. Eine solche Aufgabe läßt sich nur in geistiger und politischer Freiheit erfüllen. Wenn überhaupt die großen Sätze der Atlantik-Charta einen Sinn haben .., dann hat vor allem das Gesetz der politischen Freiheit einen Sinn (Kaiser 1947, S. 340).
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der Fisch lebt .. nicht vom Wasser, aber er lebt im Wasser. Der Mensch lebt nicht von der Freiheit, aber er kann nur in der Freiheit leben .. . Ohne Freiheit erstickt der Mensch in der Seelenlosigkeit der technologischen Maschinerie, wird er zur Ameise in der Ameisenarmee .. Kein Volk kann so sehr nach Freiheit dürsten, wie unser Volk, .. das durch die furchtbare Tyrannei der Hitlerei hindurchgegangen ist. Hunderttausende von uns haben in den Kerkern und Konzentrationslagern geschmachtet und ihr Leben gelassen. In der tiefsten Not schrecklicher Tage waren uns die Worte Goethes ein unvergänglicher Trost: »Komm, wir wollen dir versprechen/Rettung aus dem tiefsten Schmerz,/Pfeiler, Säulen kann man brechen,/Aber nicht ein freies Herz.« Das Bekenntnis zur Freiheit, das uneingeschränkte Bekenntnis ohne jeden Hintergedanken, entspringt der grundlegenden Einsicht, daß die menschliche Gesellschaft nur Wert haben kann, wenn sie auf menschlichen Werten aufgebaut ist (Reuter 1947, S. 197 f.). Wir wissen, wie der Fluch der hinter uns liegenden grausigen Vergangenheit uns die Aufgabe stellt, viel mehr als jemals früher den Kampf um die Freiheit, den täglichen, nicht ablassenden Kampf um eine wirklich freiheitliche Gestaltung all unserer äußeren und inneren Lebensformen zum beherrschenden Mittelpunkt unserer Arbeit zu machen (Reuter 1947, S. 200). den Kampf um die Freiheit .. unbedingt und ohne Kompromiß zu führen (Reuter 1947, S. 200). Diese Losung [„demokratische Erneuerung“] wird nur dann mehr sein als eine wohlklingende Floskel, wenn sie als Bekenntnis verstanden wird zu der Freiheit des inneren Menschen, die nicht mit einer bestimmten Verfassung geschenkt werden kann, sondern in jedem Gliede der staatlichen Gemeinschaft von neuem geboren sein will. Es ist die Freiheit, die keiner für sich selbst in Anspruch nehmen kann, es sei denn, daß er sie auch dem andern zugestehe, der gleich ihm Menschenantlitz trägt. Bringen wir es zu einer Form des politischen Zusammenlebens, die von dem Geist dieser Freiheit durchseelt ist, dann, aber auch nur dann werden wir das Versprechen eingelöst haben, das in der Formel ‚demokratische Erneuerung‘ liegt. Bringen wir es nicht so weit, dann wird das Wort ‚Demokratie‘ nicht mehr sein als ein neuer Name für die alte Unfreiheit. Gehen wir darum ans Werk und bauen wir dem deutschen Volke ein Haus, in dem der Geist dieser Freiheit eine Wohnstatt findet! (Litt 1947, S. 31 f.) Der Neuaufbau unseres staatlichen Lebens kann .. nur auf dem Wege echter Demokratie verwirklicht werden, in der alle Grundrechte menschlicher Freiheit gewährleistet sind (Ministerkonferenz 1947, S. 583). die volle Volksherrschaft als Grundprinzip der Demokratie, ist für uns unabdingbar, und damit erst werden auch die Freiheitsrechte des Volkes für uns unabdingbar (Grotewohl 1947, S. 284 f.). ein solcher Ruf nach dem starken Staat [ging] immer von denen aus .., die die Emanzipation des Volkes scheuten und das Freiheitsstreben des Volkes zu unterdrücken bemüht waren (Grotewohl 1947, S. 286). Kampf um Recht und Freiheit (Weinert 1947, S. 314). Freiheit und Democracy: Für die Rüstungsindustrie/Freiheit und Democracy .. auch für die Chemie/Freiheit und Democracy .. . Die SS .. Freiheit braucht auch sie, Freiheit und Democracy (Brecht 1947, S. 943–949). Mit der Freiheit schlechthin, mit der kann ich gar nichts anfangen. Die Freiheit als solche ist ein Begriff, in den sich die Schriftsteller, vor allen Dingen die Künstler und
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die Dichter gern verflüchtigen, und dann sehr zum Vorteil derjenigen reaktionären Gruppen, denen es nur angenehm ist, wenn von Menschlichkeit, Freiheit, Unmenschlichkeit, kurz von Worten schlechthin gesprochen wird und nicht von den konkreten Bedingungen und den konkreten Situationen, unter denen eine solche Freiheit zu erkämpfen und eine Unmenschlichkeit zu bekämpfen ist (Langhoff 1947, S. 353). die unveränderlichen Ideen der Menschenwürde, der Freiheit und Gerechtigkeit (Schmid 1948, S. 348). Geist des Friedens .. Geist der Nächstenliebe .. Geist der wahren Freiheit des Menschen .. neue Zukunft der Freiheit und des Friedens unseres Volkes (Köhler 1948, S. 85 f.). Ein Staat im vollen demokratischen Sinne des Wortes .. kann nur entstehen, wenn ein Volk in voller Freiheit der Willensbestimmung die Formen und Inhalte seiner politischen Existenz gestalten kann (Verfassungsausschuß 1948, S. 508). Die Verfassung muß .. vor allem eine Garantie bieten für die Rechte und Freiheiten des Einzelmenschen (Verfassungskonvent 1948, S. 56). Das ganze Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden (Giese 1949, S. 6). die deutsche Einheit ist nur möglich auf der Grundlage der persönlichen und staatsbürgerlichen Freiheit und Gleichheit und der gleichen Wertung und Würdigung der Menschenrechte in allen Besatzungszonen .. . Aber die deutsche Einheit ist nicht möglich in der Form einer russischen Provinz oder eines sowjetischen Satellitenstaates (Schumacher 1949, S. 695). Bei den fünf Millionen deutschen Arbeitnehmern, die sich jetzt in einem Bunde vereinigen, steht jedenfalls der Vorsatz unverrückbar fest, durch starke Einflußnahme auf die wichtigsten Bezirke in der Wirtschaft des Landes den Frieden und die Freiheit für sich selbst, für das deutsche Volk und für die Welt zu sichern (DGB 1949, S. 202). Erst eine freie Entwicklung zur vollen Demokratie, die auf der Freiheit der politischen Haltung beruht, wird Besserung bringen (Bader 1949, S. 114). Der Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands als geistige Erneuerungsbewegung stützt sich auf alle freiheitlichen, humanistischen, wahrhaft nationalen Traditionen unserer Kultur .. . Der Kulturbund ist in allen geistigen Bereichen Vorkämpfer für objektive Wahrheit, für humanistische Maße und Werte, für ein unverfälschtes Geschichtsbild, für die Ideen des Fortschritts und der Freiheit (Kulturbund 1949, S. 121). Von dem Willen erfüllt, die Freiheit und die Rechte des Menschen zu verbürgen .. hat sich das deutsche Volk diese Verfassung gegeben (Verfassung der DDR 1949, Präambel). Persönliche Freiheit, Unverletzlichkeit der Wohnung, Postgeheimnis und das Recht, sich an einem beliebigen Ort niederzulassen, sind gewährleistet. Die Staatsgewalt kann diese Freiheiten nur auf Grund der für alle Bürger geltenden Gesetze einschränken oder entziehen (Art. 8 Verfassung der DDR 1949). Sollen wir bestehen, dann muß das Wort vom christlichen Abendland, von Menschenfreiheit und Menschenwürde, von menschlicher Bruderliebe und sozialer Gerechtigkeit zur Idee erglühen! (Ehard 1950, S. 94) Wir wehren uns entschieden dagegen, daß der Begriff der Freiheit von denen genutzt und mißbraucht wird, die ein Regime der Unfreiheit errichtet haben, die jeden Gegner ihrer Politik rücksichtslos unterdrücken, einsperren oder nach der Manier
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faschistischer Schlägerkolonnen niederschlagen zu können glauben .. sie fordern in verlogener Weise Freiheit in der Deutschen Demokratischen Republik. Aber die Freiheit, die sie meinen, das ist die Freiheit der Remilitarisierung in ganz Deutschland, die Wiederkehr und die Freiheit der Monopolbesitzer, der Hitlerbankiers, der Großgrundbesitzer und die unbeschränkte Freiheit für die Kriegshetzer. (Grotewohl 1951a, S. 352 f.) Ich vollziehe die Tradition der Grundsteinlegung mit folgenden drei Hammerschlägen: Der erste Hammerschlag für die Freundschaft des friedliebenden deutschen Volkes mit den Völkern der Sowjetunion. Der zweite Hammerschlag für den Aufbau der Hauptstadt Deutschlands Berlin und die glückliche Zukunft seiner Bevölkerung. Der dritte Hammerschlag für die Einheit Deutschlands in Freiheit und Frieden. (Grotewohl 1952b, S. 40) Absperrung der Persönlichkeit bringt Vermassung, Vermassung bringt Verlust der persönlichen Freiheit, bringt Verlust der politischen Freiheit und die Diktatur. Ich glaube, das ist absolut unabänderlich. Verlust der persönlichen Freiheit ist das Schlimmste, das dem Menschen widerfahren kann. Verlust der Freiheit des Einzelnen ist auch das Schlimmste, was der Menschheit widerfahren kann, denn der Verlust bringt Abstieg und Niedergang auf allen Gebieten menschlichen Seins (Adenauer 1952a, S. 257). Die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit hängt ab .. von den vier Mächten .. Durch den Deutschland-Vertrag .. haben sich von den vier Mächten drei verpflichtet, mit uns zusammen für die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit einzutreten .. . Die Vorgänge der letzten Wochen .. sind eine eklatante Rechtfertigung der Ansicht, daß Sowjet-Rußland z. Zt. nicht gesonnen ist, eine Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit zuzulassen. (Adenauer 1952c, S. 281 f.) In einem Teil Deutschlands, in dem Deutschland von Weimar und Jena, von Leipzig, Wittenberg und Rostock ächzen 18 Millionen deutsche Menschen unter dem Druck der Rechtlosigkeit, unter einem System der Willkür und der Gewalt, einem System, das in der Form des Rechts Unrecht schafft und das von Tag zu Tag die Härte seines Druckes steigert. Was Arthur Köstler auf Grund seiner Erfahrungen und seiner Enttäuschung dargestellt hat, was Orwell in schauerlicher Folgerichtigkeit sich entwickeln sieht, das droht dort drüben im Herzen Deutschlands fürchterliche Wirklichkeit zu werden. Erbarmungslos wird die persönliche Freiheit vernichtet. Es wird mißachtet, was für uns die Würde des Menschen ausmacht. Er, der Mensch, ist nichts als ein Mittel für die unheimliche Macht. Im Hintergrund stehen Staat und Recht; sie sind zu einer Apparatur des Bösen geworden (Dehler 1952, S. 5). stärker als bisher [steht] die Sorge um den Menschen, die Sicherung seines materiellen Wohles, die Entfaltung der persönlichen Freiheit im Mittelpunkt der ganzen Politik (Benjamin 1953, S. 12). Wir stehen als Freie unter Freien, den bisherigen Besatzungsmächten in echter Partnerschaft verbunden .. Es gibt für uns in dieser Welt nur einen Platz: an der Seite der freien Völker. (Adenauer 1955, S. 176)
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Frieden friedlich · friedliebend Nichttäter Ost/Nichttäter West
Das Potsdamer Abkommen gibt dem deutschen Volk auf, „sein Leben auf einer demokratischen und friedlichen Grundlage von neuem wieder aufzubauen.“ (Potsdamer Abkommen 1945, S. 480) Dementsprechend gehört Frieden, wie ÕDemokratie und ÕFreiheit, zu den zentralen zukunftsbezogenen Schlüsselwörtern, die in der frühen Nachkriegszeit den politischen Diskurs in Ost wie in West tragen. Frieden ist, als eines der fundamentalen Menschheitsthemen, immer schon existenziell auf soziale Sachverhalte gerichtet und Kategorie zunächst religiösen Denkens (vgl. HWbPh, s.v. Friede, RGG 2000 III, s.v. Frieden, außerdem Sternberger 1984; Elias 1985). Von der religiösen zur profanen Heilsbotschaft verallgemeinert, erfährt der Begriff diejenigen Impulse, die ihn zu einem politischen Bekenntniswort eignen. Frieden ist eine Konstante jeglichen menschlichen Wollens und insofern als Menschheitsprinzip universell. Von der Erfahrung zweier Weltkriege befördert, ist Frieden dann endgültig zu dem geworden, was das Wort schon seit dem frühen 20. Jahrhundert war, „zu einer Art Zauberwort .., mit dem man eine Welt der Harmonie, der Freiheit, Gerechtigkeit und des allgemeinen Glücks zu beschwören hofft und das sich mit beliebigen Vorstellungen assoziieren läßt.“ (Brunner/Conze/Koselleck II, S. 590) Eben diese Unbestimmtheit ist es, die die Besetzung des Begriffs durch beide Weltanschauungen ermöglicht. Frieden ist in West (s. Neue Politik 1945, S. 14; Schumacher 1945b, S. 255; Ministerkonferenz 1947, S. 583; Nauheimer Kreis 1949, S. 15; Giese 1949, S. 6) wie Ost (s. Deiters 1945, S. 21; Bolz 1948, S. 23) als „Kurzformel einer innerweltlichen Heilserwartung“ (Brunner/Conze/Koselleck II, S. 590) umfassendes, und damit unspezifisches Konzept, auf das politisches Handeln gerichtet ist. Frieden in allgemein-politischem Sinn ist Abwesenheit von Krieg und Freundschaft der Völker. Grundlegend für diese Gebrauchsweise ist, dass Frieden die zwischenstaatliche Relation meint, den pax civilis, als Zustand ruhender Gewaltlosigkeit. Dokumentiert ist diese Vorstellung auf beiden Seiten mit dem Partnerwort Freundschaft: ein demokratisches, selbständiges Deutschland, das in Frieden und Freundschaft mit allen Völkern der Welt lebt, wir müssen mit den anderen Völkern zusammenleben in Frieden und Freundschaft (s. Pieck 1949, S. 302; Adenauer 1952a,
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S. 256). Die Tatsache, dass es sich bei Frieden um eine Universalie handelt, erklärt den Gebrauch dieser Kategorie als Identifikationsmerkmal beider Systeme: Wandlung der Deutschen zu einem Volk des Friedens, das deutsche Volk, das den Frieden liebt, das Hauptmerkmal unserer kulturellen Entwicklung ist die leidenschaftliche Sehnsucht nach Frieden, die Deutsche Demokratische Republik ein Staat des Friedens (s. Schumacher 1945a, S. 256; Adenauer 1950, S. 76; Becher 1951, S. 197; Becher 1953, S. 317). Als nationale Bekenntnisvokabel im Westen wie im Osten wird die Leitvokabel im Sinn einer auf das jeweils andere System referierenden Bezugskategorie im Kalten Krieg funktionalisiert. Indem beide Systeme sich selbstidentifizierend auf Frieden berufen und indem sich die beiden Systeme als Gegensätze begreifen, sprechen sie dem jeweils anderen System implizit den Willen zum Frieden ab. Es entspricht der politischen Konstellation im Nachkriegsdeutschland, dass die politische Einheit des Landes und Frieden in ein Bedingungsverhältnis zueinander gebracht werden: ohne Einheit kein Frieden ist die Leitidee in Ost (s. Pieck 1948, S. 147) wie in West (s. Adenauer 1949a, S. 167 f.; Litfaßsäulenanschlag 1952). Abgesehen von diesen Gebrauchsparallelen sind in den Manifestationen des Friedensverständnisses auch systembedingte Differenzen zu beschreiben. Jedes System hat auch eine eigene Friedenssemantik, vor dem Hintergrund der jeweiligen politischen Weltanschauung, Konzeption und vor allem Zielsetzung. Als Universalie ist der Friedensbegriff daher Platzhalter je spezifischer konkreter politischer Programmatik und damit ein je spezifisch ausgedeutetes politisches Handlungskonzept. Vgl. Brunner/Conze/Koselleck II, s.v. Frieden; Felbick 2003, s.v. Frieden; KpWb 1983, s.v. Frieden. Nichttäter Ost Im Osten sucht man mit den Bekenntnisvokabeln Frieden, ÕFreiheit und ÕDemokratie den neuen sozialistischen Staat zu etablieren und zu konsolidieren, mit Hilfe von Werten, die zur Tradition des politischen Diskurses spätestens seit 1789 zählen. Man bedient sich der Namen dieser Werte gleichsam als Vehikel, indem man ihr assoziatives Potenzial als Hochwertwörter benutzt, um die neue Staats- und Gesellschaftstheorie umzusetzen. Frieden ist im Osten eine politisch-konzeptionelle Kategorie zur Bezeichnung eines historischen Anspruchs: Der historische Materia-
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lismus bindet den bestehenden oder nicht bestehenden Zustand des Friedens an Gesellschaftssysteme, um aus dieser Dependenz Ansprüche abzuleiten. Vor allem aber ist Frieden in der Gesetzmäßigkeit des Kommunismus angelegt (vgl. Klaus/Buhr 1971 I, S. 380). Aus dieser Deutung erklärt sich die Politisierung des Friedensbegriffs aus sozialistisch-kommunistischer Perspektive, die auf die Gleichung Frieden = Sozialismus/Kommunismus hinausläuft (s. Grotewohl 1952b, S. 40; Leonhard 1955, S. 537). Frieden wird also als politisch-konkrete Kategorie gedeutet: „Durch das geschichtlich selbständige Auftreten der Arbeiterklasse sowie durch den Marxismus-Leninismus wurde der Frieden zu einer realen gesellschaftlichen Kraft und Macht, erhielt er erstmals in der Geschichte eine wissenschaftliche Orientierung und reale Perspektive seiner Verwirklichung. Aus der historischen Stellung und Rolle der Arbeiterklasse ergibt sich ihr konsequenter Kampf für den Frieden in der Welt. Er ist eine Hauptbedingung für die Errichtung der sozialistisch-kommunistischen Gesellschaft.“ (Klaus/Buhr 1971 I, S. 383) Das Leitwort erfüllt im Osten die Funktion, die im Westen ÕFreiheit erfüllt: als Bezeichnung des zentralen gesellschaftspolitischen Orientierungsbegriffs, dessen Semantik den Horizont idealistischer politischer Programmatik öffnet und der den unveräußerlichen Hochwert des politischen Systems darstellt. Frieden ist mithin östliche wie ÕFreiheit westliche Bekenntnisvokabel ist (s. SED Grundsätze 1946b, S. 195; SED 1947, S. 260; Grotewohl 1949a, S. 112). Ausdruck dieser Funktion eines zentralen Orientierungs- und Bekenntnisbegriffs sind nicht zuletzt Neuprägungen der DDR wie Friedensfahrt, -grenze, -kampf, -kämpfer, -lager, -macht, -staat, -rat, -schicht, -wacht (vgl. WdG), sowie der Gebrauch in der Nationalhymne der DDR: Glück und Friede sei beschieden Deutschland unserm Vaterland, alle Welt sehnt sich nach Frieden .. Laßt das Licht des Friedens scheinen (s. Becher 1946, S. 165). Eine typische Kontextualisierung ist die Verbindung von Frieden und Einheit. Zwar sind in der SBZ/DDR wie im Westen Einheit/Wiedervereinigung – in der Ausdrucksvariante (demokratische) Einheit Deutschlands/unseres Vaterlandes – und Frieden Kontextpartner. Die Ost-Variante zeichnet jedoch ein Fehlen der hier als Bedingungsvokabel gebrauchten Kategorie ÕFreiheit aus, denn Freiheit ist im realen Sozialismus nicht Bezeichnung eines politischen Wertes im westlichen Verständnis. So setzt die östliche Version Frieden und Einheit in ein Gleichheitsverhältnis: Für den Frieden sein heißt, den Willen zur Einheit Deutschlands bekunden (s. Becher 1947, S. 363). Die,
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Frieden und Freiheit nicht inhaltlich, aber funktional im Sinn einer die weltanschauliche Grundüberzeugung und Zugehörigkeit bezeichnende und mit der Westvariante Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit korrespondierende Friedens-Formel des Ostens heißt Kampf für den Frieden und die Einheit (s. Honecker 1946, S. 33; Pieck 1949, S. 300; Formalismus 1951, S. 440; Grotewohl 1952a, S. 267 f.) Wortbildnerisch typisch für den Ostgebrauch ist die Zusammensetzung friedliebend, die in der Wendung friedliebende Völker auf sozialistisch bzw. kommunistisch regierte Länder verweist, in der Formel friedliebendes Deutschland als Selbstbezeichnung auf die DDR (s. SED Grundsätze 1946b, S. 195; FDJ 1946, S. 154; Pieck 1949, S. 301; Grotewohl 1952a, S. 267 f.; Grotewohl 1952b, S. 40). Nichttäter West Frieden ist wie ÕFreiheit und ÕDemokratie im Westen lexikalischer Träger des Schulddiskurses, der dessen politische Dimension realisiert. Die Funktion des Schulddiskurses ist die ethisch-moralische Restituierung der westdeutschen Gesellschaft (ÕSchuld). Als Teil dieses Vorhabens ist das Diskurssegment der politischen Kultivierung zu sehen, zu dessen Realisierung die Leitvokabeln Frieden, Freiheit und Demokratie dienen. Ihr hoher Kookkurrenzgrad ist Manifestation eines begrifflichen Bedingungsverhältnisses, welches durch die Relation semantischer Teilsynonymie von Freiheit, Frieden und Demokratie verursacht wird (s. Abusch 1946, S. 271; Köhler 1948, S. 85 f.; DGB 1949, S. 202). Bei aller Oblikatorik dieser Universalie gesellschaftlichen Denkens und öffentlichen politischen Redens ist die Gründung des östlichen Systems auf der Friedenskonzeption die Ursache dafür, dass Frieden im westlichen System als politischer Alltags- und Kampfbegriff eine geringere Rolle spielt, ja späterhin als Identifikationskategorie des politischen Gegners betrachtet und daher gemieden, zumindest nicht herausgestellt wird. Das westliche Friedensbekenntnis beruht auf der Gleichung Frieden = Nichtkommunismus, und damit im westlichen Verständnis auf der Gleichung Frieden = Freiheit. Frieden ist in westlichen Kontexten dennoch nicht in der Weise politisch-konzeptionelle Bekenntnisvokabel, eher unpolitische, besser überpolitische Universalie. Die Bindung des östlichen Systems an diese Bekenntnisvokabel bewirkt, dass sich bereits seit 1945 abzeichnet, was erst für Ende der 50er Jahre als Indiz beschrieben wurde, nämlich die Interpretation des Gebrauchs von Frieden als Ausdruck
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„für kommunistische oder prokommunistische Einstellungen“ (KpWb S. 223) und damit Anlass für zurückhaltende Verwendung. Bemerkenswert für westlichen Gebrauch ist jedoch, dass die westliche Formel Frieden und Freiheit vor allem seit 1949 zunehmend Kontextpartner von Wiedervereinigung ist. In Frieden und Freiheit ist eine Bedingungsklausel und die Unerfüllbarkeit der Bedingung ist antizipiert, nicht wegen der begrifflichen Vagheit von Frieden, sondern der von ÕFreiheit (s. Adenauer 1952c, S. 281 f.). die völlige innere Wandlung der Deutschen zu einem Volk des Friedens! (Schumacher 1945a, S. 256) Erziehung der Jugend .. im Geiste des Friedens und der Freiheit, der Achtung vor der menschlichen Persönlichkeit, der Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit (Schumacher 1945b, S. 255). Wir hoffen zu Gott, daß .. der Geist des Friedens und der Liebe zur Herrschaft komme, in dem allein die gequälte Menschheit Genesung finden kann. (Stuttgarter Schulderklärung 18.10.1945) Ein freies Volk .., dessen Grundgesetz die Achtung menschlicher Würde ist. Ein neues Deutschland .., das auf Recht und Frieden gegründet ist .. Wahrheit, Ehrlichkeit und Treue .. Soziale Gerechtigkeit und soziale Liebe .. eine soziale Ordnung .. die der demokratischen Überlieferung der deutschen Vergangenheit ebenso entspricht wie der Weite und dem Geiste des christlichen Naturrechts (Kölner Leitsätze 1945, S. 31). Das erneuerte Deutschland bekennt sich bedingungslos zum Frieden und zum Recht (Neue Politik 1945, S. 14). Der tiefste Sinn des Rechts .. enthüllt sich in dem Bestreben, Frieden unter den streitenden Menschen zu stiften, und so ist es vor allem der Friedensgedanke, den wir mit aller Hingabe in unserer Jugend, wie in unserem Volke überhaupt, pflegen müssen (Deiters 1945, S. 21). Das, worauf es hier ankommt, ist das, was jeder von sich selbst weiß und was sein Gewissen ihm sagt – und wenn wir Deutsche zugeben, daß vermutlich jeder von uns sich schwacher Stunden anklagen muß – und die Welt dafür zugibt, daß die ethische Schuld, die der einzelne Deutsche an der Kampffront für das Recht auf sich geladen haben mag, nicht in eine Klasse mit der der eigentlichen Verbrecher und ihrer Werkzeuge gehört und .. nicht eine juridische Frage ist und keine solche, über die in Bausch und Bogen abgeurteilt werden kann, so denke ich, daß bei solcher Beurteilung niemand über Ungerechtigkeit klagen kann und damit eine Grundlage für neuen Frieden zwischen den Völkern gelegt ist (Ebbinghaus 1946, S. 80). Wir .. entscheiden uns für die Haltung ..: So wertvoll zu sein wie möglich und andere in Frieden zu lassen (Windisch 1946, S. 217). Es ist die geschichtliche Aufgabe der SED, aus dem Trümmerhaufen, in den die Hitlerbande unser Vaterland verwandelt hat, wieder ein gewöhnliches Haus für unser Volk zu machen und Deutschland in einen demokratischen Staat umzuwandeln, der fähig und bereit ist, mit allen Völkern in Frieden und Freundschaft zu leben (Einheit 1946, S. 2).
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Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands .. fühlt sich solidarisch mit den friedliebenden und demokratischen Völkern der ganzen Welt (SED Grundsätze 1946b, S. 195). Es ist selbstverständlich, daß die SED die Herstellung friedlicher Beziehungen zu den anderen Völkern mit der vollen Anerkennung der Pflicht zur Wiedergutmachung der durch das Hitlerregime den anderen Völkern zugefügten Schäden als ihre Forderung aufstellt. (Pieck 1946b, S. 617) Die FDJ will die Jugend gewinnen für die Ideale der Freiheit, der Menschlichkeit, des Völkerfriedens und der Freundschaft unter den Völkern (FDJ 1946, S. 14). ein freies, ein glückliches, ein friedliches und ein einiges Deutschland, das mit allen friedliebenden Völkern in Eintracht lebt (FDJ 1946, S. 154). in unserem „Jahrhundert des gemeinen Mannes“ weiß man genau – besonders seit der Wirtschaftskrise von 1930/33, aus der Hitlers Aufstieg erwuchs – daß eine Freiheit ohne Brot von keinem Volke als eine wahre Freiheit empfunden werden kann. Die Möglichkeit zum Leben auch einer deutschen Demokratie zu sichern, gehört deshalb zur überlegten Stärkung des Friedens und der demokratischen Freiheit der Welt (Abusch 1946, S. 271). Die sozialistische Einheitspartei Deutschlands will .. bei dem Aufbau einer antifaschistisch-demokratischen Republik nicht stehenbleiben. Ihr Ziel ist die sozialistische Gesellschaftsordnung, die alle Ausbeutung des Menschen durch den Menschen aufhebt, den Klassengegensatz zwischen Armut und Reichtum beseitigt, den Frieden endgültig sichert und eine voll entfaltete Demokratie herbeiführt. (SED Manifest 1946, S. 28) Glück und Friede sei beschieden/Deutschland unserm Vaterland,/alle Welt sehnt sich nach Frieden,/reicht den Völkern eure Hand./Wenn wir brüderlich uns einen,/schlagen wir des Volkes Feind./Laßt das Licht des Friedens scheinen,/daß nie eine Mutter mehr/ihren Sohn beweint (Becher 1946, S. 165). unser Kampf für die Erhaltung der Einheit Deutschlands [ist] geradezu eine Notwendigkeit für den Sieg der Demokratie, für den Frieden und für den Fortschritt. Als FDJ haben wir deshalb als ersten Grundsatz die Erhaltung der Einheit Deutschlands (Honecker 1946, S. 33). zum ‚andern Deutschland‘ gehören nur die Deutschen, die den deutschen Beitrag zur Menschheit verkörpern. Die sich zu der stillen Gemeinschaft der in allen Völkern vorhandenen Menschen zählen, die sich bedingungslos den Gesetzen verpflichtet fühlen, die nicht von Menschen gemacht sind. Die dem Ruf des Geistes folgen und dem Gebot der ewigen Liebe. Denen der Dienst an den hohen Begriffen des Rechts, der Humanität, der Menschenwürde, der Freiheit, des Friedens, der brüderlichen Nächstenliebe auch zu den elendesten der Menschen, der echten Demut vor dem, was über allen Menschen ist, der Güte, der reifsten Frucht echter Menschlichkeit, selbstverständliche Pflicht ist. (Pechel 1947, S. 248 f.) das hohe Ziel der friedlichen Völkergemeinschaft (Ministerkonferenz 1947, S. 583). Für den Frieden sein heißt, den Willen zur Einheit Deutschlands auch bekunden innerhalb unserer Literatur. .. der Wille zum Frieden und zu einem friedlichen Aufbau eines einheitlichen Deutschlands [ist] das uns allen Gemeinsame und uns alle Einende (Becher 1947, S. 363). Wir laden ein zu einem Deutschen Volkskongreß für Einheit und gerechten Frieden (SED 1947, S. 260).
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Frieden
eine Frage „Krieg oder Frieden“ .. gibt [es nicht für uns]. Es gibt für uns nur die Frage, wie der Friede endlich zu schaffen, zu festigen, zu verlängern ist, wie der Krieg unmöglich gemacht werden kann heute und immerdar. (Bolz 1948, S. 23) es geht um die Einheit Deutschlands, um die Entfaltung einer Volksdemokratie, um die Hebung des Wohlstandes des deutschen Volkes und um die Sicherung des Friedens. .. unsere Partei ist diejenige, welche die Sicherung des Friedens garantieren kann. (Pieck 1948, S. 147) Geist des Friedens .. Geist der Nächstenliebe .. Geist der wahren Freiheit des Menschen .. neue Zukunft der Freiheit und des Friedens unseres Volkes (Köhler 1948, S. 85 f.). Bei den fünf Millionen deutschen Arbeitnehmern, die sich jetzt in einem Bunde vereinigen, steht jedenfalls der Vorsatz unverrückbar fest, durch starke Einflußnahme auf die wichtigsten Bezirke in der Wirtschaft des Landes den Frieden und die Freiheit für sich selbst, für das deutsche Volk und für die Welt zu sichern (DGB 1949, S. 202). Wir sind durchaus bereit, mit unseren östlichen Nachbarn, insbesondere mit SowjetRußland und mit Polen, in Frieden zu leben. Wir haben den dringendsten Wunsch, daß die gegenwärtig bestehenden Spannungen zwischen Sowjet-Rußland und den Westalliierten ihre Lösung im Laufe der Zeit auf friedlichem Wege finden .. . Wenn ich vom Frieden in der Welt und in Europa spreche, dann .. muß ich auf die Teilung Deutschlands zurückkommen. Die Teilung Deutschlands wird eines Tages .. wieder verschwinden (Adenauer 1949a, S. 167 f.). Wir haben zweimal in 50 Jahren der Welt den Krieg erklärt, erklären wir ihr nun zu Beginn der zweiten Jahrhunderthälfte den Frieden! (Nauheimer Kreis 1949, S. 15) Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat das deutsche Volk .. dieses Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beschlossen. (Giese 1949, S. 6) den Kampf um den Frieden, um die nationale Einheit Deutschlands und die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Ost und West auf einer höheren Ebene fortsetzen (Pieck 1949, S. 300). Wir sind uns der großen Verantwortung wohl bewußt, die dem deutschen Volke durch die Duldung und Unterstützung des barbarischen Hitlerkrieges aufgeladen wurde, und wir sind uns auch der Verpflichtungen bewußt, die wir zur Wiedergutmachung gegenüber den vom Hitlerkrieg betroffenen Ländern haben. Wir werden gewissenhaft die Verpflichtungen erfüllen, die uns das Potsdamer Abkommen auferlegt, wodurch wir uns wieder das Vertrauen der Welt erobern und uns in die Gemeinschaft der friedliebenden demokratischen Völker einreihen wollen (Pieck 1949, S. 301). Wir wollen ein demokratisches, national und wirtschaftlich selbstständiges Deutschland, das in Frieden und Freundschaft mit allen Völkern der Welt lebt (Pieck 1949, S. 302). Frieden und Freundschaft mit der Sowjetunion sind Voraussetzung für ein Aufblühen, ja für die nationale Existenz des deutschen Volkes und Staates (Grotewohl 1949a, S. 112). Die Oder-Neiße-Grenze ist für uns eine Friedensgrenze (Grotewohl 1949a, S. 112). das deutsche Volk, das den Frieden liebt, .. wird darum auch jede Anstrengung machen, um den Frieden zu bewahren (Adenauer 1950, S. 76).
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Frieden
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Immer das Doppelgesicht dieses Parteitags: KP u. ganz Deutschland, Frieden u. Krieg. Man kann nicht einmal behaupten, daß sie das eine sagen u. das andere meinen; sie sagen beides, ganz offen u. im gleichen Atemzug. Sind sie naiv genug zu glauben, daß man ihnen glaube? Ich glaube, sie sind es wirklich. (Klemperer 1950, Tagebücher 1950–1959, S. 65) Es kommt vor allem darauf an, die gewaltige Bedeutung des klassischen Erbes zu erkennen, dieses zu studieren und unter neuen Bedingungen, das heißt vom Standpunkt des Kampfes für den Frieden und die demokratische Einheit Deutschlands .. weiterzuentwickeln (Formalismus 1951, S. 440). das Hauptmerkmal unserer kulturellen Entwicklung ist und bleibt der Wille zum Leben, das Bekenntnis zu einem menschlichen Leben, die Machtwerdung des Geistes, die leidenschaftliche Sehnsucht nach Frieden. (Becher 1951, S. 197) Wir müssen mit den anderen Völkern zusammenleben in Frieden und Freundschaft (Adenauer 1952a, S. 256). Ich möchte wirklich einmal gern wissen, wie sich die sozialdemokratische Opposition die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit denkt .. Die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit hängt ab .. von den vier Mächten .. Durch den Deutschland-Vertrag .. haben sich von den vier Mächten drei verpflichtet, mit uns zusammen für die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit einzutreten .. . Die Vorgänge der letzten Wochen .. sind eine eklatante Rechtfertigung der Ansicht, daß Sowjet-Rußland z. Zt. nicht gesonnen ist, eine Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit zuzulassen. (Adenauer 1952c, S. 281 f.) Freiheit Friede Einheit Deutschlands Forderungen zur Viermächtekonferenz (Litfaßsäulenanschlag 1952). die Menschen im Geist des Kampfes für ein einheitliches, demokratisches, friedliebendes und unabhängiges Deutschland .. erziehen .. Kampf für den Frieden und die Einheit unseres Vaterlandes (Grotewohl 1952a, S. 267 f.). Ich vollziehe die Tradition der Grundsteinlegung mit folgenden drei Hammerschlägen: Der erste Hammerschlag für die Freundschaft des friedliebenden deutschen Volkes mit den Völkern der Sowjetunion. Der zweite Hammerschlag für den Aufbau der Hauptstadt Deutschlands Berlin und die glückliche Zukunft seiner Bevölkerung. Der dritte Hammerschlag für die Einheit Deutschlands in Freiheit und Frieden. (Grotewohl 1952b, S. 40) Ein Staat wie der unsere, die Deutsche Demokratische Republik, ein wahrhaft demokratischer Staat, ein Staat des Friedens. (Becher 1953, S. 317) Statt der alten Formulierungen aus der Zeit vor 1933 von der Partei des revolutionären Proletariats wurde jetzt die Parole von der nationalen Partei des Friedens ausgegeben. (Leonhard 1955, S. 494) Die Tribüne prangte in leuchtendem Rot, an der Hauptwand standen in riesigen Lettern die Worte: Friede, Aufbau, Fortschritt (Leonhard 1955, S. 537).
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Gas
Gas Gaskammer · vergasen Bad · Brause · Duschraum · Sauna Opfer In der Bedeutung ‚todbringendes luftförmiges Gemisch, mit dem in Form von Kohlenmonoxyd oder Zyklon-B KZ-Häftlinge ermordet wurden‘ ist Gas (zusammen mit ÕKrematorium) der Inbegriff für den nationalsozialistischen Vernichtungswillen. Gas ist außerdem Kurzform für Gaskammer‚ Bezeichnung für den wie ein Duschraum eingerichteten Ort, in den die KZ-Häftlinge eingesperrt wurden und in den durch die Düsen der Brauseköpfe Zyklon B eingeleitet wurde, mit dem die Menschen erstickt wurden. In Aufzählungen nationalsozialistischer Verbrechen sind Mitglieder der Wortfamilie Gas obligatorische Elemente des Begriffs >NSVerbrechen<, >Nationalsozialismus<, >industriell umgesetzter Vernichtungswahn<, z. B. in Formulierungen wie zu Tode gehungert, gepeitscht, gefoltert, vergast, vergiftet, erhängt, geköpft und erschossen; zu Tode geschunden, gehenkt, erschossen, vergast; Millionen endeten auf dem Schafott, am Galgen, durch Erschießen, in den Gaskammern und Verbrennungsöfen; Die Gefangenen wurden mißhandelt, dem Hunger ausgesetzt, in Steinbrüchen in den Tod getrieben, niedergeschossen, aufgehängt, vergiftet, vergast (s. Schlotterbeck 1945b, S. 20; Kogon 1946a, S. 56; VVN/Programm 1947, S. 589; Niekisch 1953, S. 293). Seitdem die überlebenden Opfer von ihren KZ-Erlebnissen berichten, gehören in den semantischen Kontext von Gaskammer die Bezeichnungen Bad, Brause, Sauna und Duschraum als Synonyme für Gaskammer. Denn zur Euphemisierung des Gasszenarios bedienen sich die Nazis, wenn sie es nicht Endlösung nennen (s. Klemperer 1946, Tagebücher 1945–1949, S. 173), der Bezeichnungen der Hygieneräume und der seit dem 19. Jh. etablierten Hygienemetaphorik. Sie nutzen damit eine „diskursive[..] Tradition .., die unter anderem bis in die Reinigungs- und Gesundheitsdiskurse der (Sozial-) Hygiene des späten 19. Jahrhunderts zurückreicht .. Teile dieser hygienischen und bakteriologischen Diskurse haben solange Denkweisen geformt, bis auch Unaussprechliches, diese Taten konkreter Täter, an den Rand des Denkbaren gerieten: Die schaurigste interdiskursive Metaphorik des 20. Jahrhunderts ist schließlich jene des ‚desinfizierenden‘ Gases, das aus einer ‚Dusche‘ strömt.“ (Sarasin 1996,
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Gas
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S. 158) Die Opfer müssen sich dieses Wortfelds auch bedienen, es gehört auch zu ihrem Register. Die lexikalischen Diskursrepräsentanten Bad, Brause, Sauna, Duschraum, die seit 1945 zum Begriffsnetz von Gas zählen, sind seither als äußersten Zynismus ausdrückende Euphemismen des Großverbrechens Nationalsozialismus Teil der deutschen Sprachgeschichte: Die Brust zerspringt. Gas. Gas!, die Hähne zu den Duschen werden aufgedreht, anstatt des Wassers strömt Stickstoff in den Raum, Leider kam kein Wasser aus den Düsen, sondern Gas, Cyclon B, Blausäuregas (s. zit. in Hauff 1946, S. 16; Schifko-Pungartnik 1946, S. 29; Klieger 1958, S. 22). Diese neue Bedeutung ist nicht zuletzt aus solchen Kontexten abzuleiten, in denen Bad tatsächlich ‚Bad‘ und Brause wirklich ‚Brause‘ bedeutet: es kommt wirklich Wasser aus dem Brausetrichter, Bad war für sie Mord, Gas (s. Frankl 1945, S. 35; Adler 1955, S. 208). Vgl. Winterfeldt 1968, S. 143–145 man vermutet .., daß „es ins Gas geht“ (Frankl 1945, S. 17). Wir wissen, wir haben nichts mehr zu verlieren außer diesem so lächerlich nackten Leben. Während schon die Brause fließt, rufen wir einander mehr oder weniger witzige .. Bemerkungen zu und bemühen uns krampfhaft, vor allem über uns selbst .. uns lustig zu machen. Denn ..: es kommt wirklich Wasser aus dem Brausetrichter! (Frankl 1945, S. 35) Was .. ist der Mensch? Er ist das Wesen, das immer entscheidet, was es ist. Er ist das Wesen, das die Gaskammern erfunden hat; aber zugleich ist er auch das Wesen, das in die Gaskammern gegangen ist, aufrecht und ein Gebet auf den Lippen. (Frankl 1945, S. 139) Millionen Menschen .. zu Tode gehungert, gepeitscht, gefoltert, vergast, vergiftet, erhängt, geköpft und erschossen! (Schlotterbeck 1945b, S. 20) Gegner .. auf hundertfache Weise zu Tode geschunden, gehenkt, erschossen, vergast. (Kogon 1946a, S. 56) Plötzliche Kommandos. „Ausziehen! Nackt!“ Nichts darf mitgenommen werden. Willenlos werfen sie alles hin .. . Jetzt gehen sie in den Baderaum. Sie trippeln herum, warten auf Wasser. Ein Gesicht erscheint am gut abgedichteten Fenster. „Fertig?“ „Jawohl!“ Die Türen schließen sich. Eng wird es im Raum. Die da drinnen schauen auf die Brausen. Immer noch kein Wasser. Die Luft ist schlecht, es drückt so. Luft! Luft! Die Augen quellen hervor. Sie wollen schreien. Können nicht schreien! Die Brust zerspringt. Gas, Gas! (zit. in Hauff 1946, S. 16) Erst bringt man sie ins Bad. Das wäre an und für sich eine humane Regung der Führung, die uns fast in Staunen versetzt hätte, wenn dieses Bad eben ein Bad gewesen wäre .. . Die Wände sind gekachelt, von der Decke hängen zirka 40 schön verchromte Brausen. Alles hier ist spiegelblank. Dieser wohleingerichtete Duschraum ist nach außen hin hermetisch abgeschlossen .. . Man führt die Neuangekommenen zum Brausen. Kaum haben sie den Raum betreten, werden von außen die Hähne zu den Duschen aufgedreht .. . Anstatt des Wassers strömt Stickstoff in den Raum. (Schifko-Pungartnik 1946, S. 29)
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Gegenwart
Ein Aussager in Nürnberg spricht immer wieder von der ENDLÖSUNG .. u. meint damit den Gasofen (Klemperer 1946, Tagebücher 1945–1949, S. 173). Millionen endeten auf dem Schafott, am Galgen, durch Erschießen, in den Gaskammern und Verbrennungsöfen. (VVN/Programm 1947, S. 589) Die Gefangenen wurden mißhandelt, dem Hunger ausgesetzt, in Steinbrüchen in den Tod getrieben, niedergeschossen, aufgehängt, vergiftet, vergast. (Niekisch 1953, S. 293) schwer war es, sie [die von Auschwitz nach Theresienstadt Verbrachten] zum Eintritt in das Bad und in die Desinfektionsanstalt zu bewegen. Bad war für sie Mord – sie weigerten sich und riefen: „Gas!“ (Adler 1955, S. 208) Man gab ihnen ein Stück Seife und ein Handtuch und führte sie in einen bunkerähnlichen Raum, der als Bad eingerichtet war, Kleiderhaken zum Aufhängen der Kleider enthielt und Brausedüsen an der Decke hatte. Leider kam aber kein Wasser aus den Düsen, sondern Gas, Cyclon B, Blausäuregas. Die Vernichtung der Juden Europas hatte begonnen. (Klieger 1958, S. 22)
Gegenwart gegenwärtig · Gegenwärtige Nichttäter Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, Kontinuität der persönlichen Existenz und vollständiger Wandel ihrer Bedingungen prägen die Bewusstseinslagen, die das Lebensgefühl derjenigen bestimmen, die das Jahr 1945 als Bruch wahrnehmen, als „Zeitpunkt des Jetzt‘, der ‚die Grenze [ist] zwischen Noch-nicht und Nicht-mehr“ (RGG 2003 VI, S. 1881). Zwar ist Zeitreflexion, das Beziehen der Zeiten und ihrer Erscheinungen aufeinander, die Kausalisierung der Gegenwart aus der Vergangenheit und die Motivierung der ÕZukunft aus der Gegenwart ein genuin historiographisches Denkmuster (s. Tellenbach 1946a, S. 226, S. 228). In der frühen Nachkriegszeit ist es jedoch, wie stets in Umbruchzeiten, ein Reflexionsmodus der Intelligenz überhaupt. Gegenwart ist ‚der Ort, wo die Vergangenheit zur Sprache gebracht wird: Sprechen kann nämlich die Vergangenheit nur, wenn sie infrage steht; und die Frage, die sie zum Sprechen bringt, entspringt dem Orientierungsbedürfnis der aktuellen Lebenspraxis im Hinblick auf dort virulente Zeiterfahrungen“ (Rüsen 1983, S. 54). In der Gegenwart nach 1945 spricht die Vergangenheit sozusagen besonders laut. Diese Gegenwart mit ihren Zerstörungen hat eine besonders evidente kausale Verbindung zur Vergangenheit der NS-
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Gegenwart
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Herrschaft und zum Krieg. Die Diskursbeteiligten realisieren mit diesem Schlüsselwort also ein ausgeprägtes Gegenwartsbewusstsein. Sie deuten Gegenwart als verpflichtende Instanz. Gegenwart ist nicht unbedeutender Übergang von Vergangenheit zu Zukunft, sondern hat eigenständigen Wert als Folge von Vergangenheit und als Voraussetzung für Zukunft (s. Ebbinghaus 1945, S. 46; Tellenbach 1946a, S. 228; Steinbüchel 1946/47, S. 20 f.; Müller-Armack 1949, S. 26 f.). Diese auf das Jetzt als Bewusstseinskategorie referierende Haltung drückt sich darüber hinaus aus in dem häufigen Gebrauch der Zeitdeiktika Õheute, ÕStunde, ÕWende, ÕZeit, in den Bewertungen der Gegenwart mit Õapokalyptisch und ÕFinsternis, sowie in den mit nie (zuvor) und niemals (zuvor) gebildeten Wendungen (Õnie). Das Schlüsselwort Gegenwart referiert im Diskurs der Nichttäter weniger auf persönliche Befindlichkeiten, als vielmehr auf gesellschaftlich-politische Erscheinungen: chaotische Schlickwirbel der Gegenwart, die Gegenwart befindet sich in einer Kulturkrise, Gegenwart hoffnungsarmer Mühsal (s. Weisenborn 1947, S. 108; Pribilla 1947, S. 119; Heuss 1948, S. 17) und vor allem Notwendigkeiten: der zukünftige Geist der deutschen Politik abhängig von der Kraft, die wir in der Gegenwart entfalten, in einer apokalyptischen Gegenwart gilt es, eine neue bessere Welt aufzubauen, aus einem solchen Welterleben hat sich unsere innere substantielle Haltung der Gegenwart gegenüber zu ergeben (s. Ebbinghaus 1945, S. 46; Schmid 1946, S. 11; Geiler 1947, S. 172 f.; Müller-Armack 1949, S. 21; Müller-Armack 1949, S. 32 f.). Die Kontexte der in diesem Sinn hergestellten Referenzen lassen erkennen, dass ihre Funktion die Schaffung einer zuversichtlichen Haltung ist. Daher steht das Schlüsselwort Gegenwart häufig in semantischer Beziehung zu Bezeichnungen, die auf Anschluss an ÕZukunft und auf Zuversicht referieren, wie z. B. Kraft, neue, bessere Welt, aufbauen, neu beginnen, Schwingen entfalten (s. Schmid 1946, S. 11; Pribilla 1947, S. 119; Geiler 1947, S. 172 f.; Heuss 1948, S. 17). Gelegentlich referieren die Nichttäter mit Gegenwart nicht nur auf das Ende der Naziherrschaft, vgl. Sturmseen, Schlickwirbel der Gegenwart, sondern auch auf einen epochalen Umbruch (s. Tellenbach 1946a, S. 226; Müller-Armack 1949, S. 149; Nigg 1949, S. 12). So scheint mir der zukünftige Geist der deutschen Politik abhängig zu sein von der Kraft, die wir in der Gegenwart entfalten, um unsere Vergangenheit zu überwinden. (Ebbinghaus 1945, S. 46)
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Gegenwart
In einer apokalyptischen Gegenwart gilt es nun, aus Schutt und Trümmern eine neue, bessere Welt aufzubauen .. . Dazu braucht es Ehrfurcht, Liebe, Gemeinschaft, Freiheit und Bindung, einen weltüberwindenden Glauben und eine neue Verbindung mit den ewigen Kräften, kurz, ein Zurückführen zum Fühlen und Denken im abendländischen Geiste. (Schmid 1946, S. 11) die Perspektiven der Entstehungsgeschichte des deutschen Reiches, ja der gesamten deutschen Geschichte verschieben sich stark in den erschütternden Umwälzungen der Gegenwart. .. der tatsächliche Geschehensverlauf ist noch nicht Geschichte. (Tellenbach 1946a, S. 226) Und so ist die Bildung des geschichtlichen Bewußtseins immer auf die kritische Vergangenheitserforschung und auf die Erfassung der gegenwärtigen Situation wie der Zukunftsperspektiven zugleich angewiesen, d. h. auf die Deutung des Ganzen der Geschichte (Tellenbach 1946a, S. 228). Das Gegenwärtige lebt aus dem Vergangenen, und das Vergangene lebt selbst im Gegenwärtigen. Wir entfliehen der Gegenwart nie durch Versenken in das Vergangene, das immer noch da ist, immer noch Gegenwart baut und in der Krisis der Gegenwart zerstörerisch fortwirkt. Was soll uns .. die Frage .. nach den geistesgeschichtlichen Hintergründen der gegenwärtigen Krisis ..? Die historische Besinnung holt das Historische nicht um seiner selbst willen herauf, sie betrachtet es als gegenwärtige Wirkmacht .. Sie lehrt uns einmal die Gegenwart und ihre geistigen Wirkmächte wirklich kennen; sie lehrt uns zugleich, die Menschen unserer Zeit verstehen, ihre geistige Verfassung, ihre Motive und Ziele, so wie sie ihnen aus der geschichtlichen Entwicklung überkommen sind, in der ja alle Menschen als geschichtlich von Vergangenheit durch Gegenwart in Zukunft wandernde Menschen stehen. (Steinbüchel 1946/47, S. 20 f.) Nachdem die Springflut des Krieges sich verlaufen hat, .. chaotische[..] Schlickwirbel[..] der Gegenwart, .. Sturm dieser Zeit, .. erregte[..] Sturmseen der Gegenwart (Weisenborn 1947, S. 108). Wir stehen .. vor der Tatsache, daß die Krisis der Gegenwart durch die zersetzenden Kräfte desselben Abfalls bestimmt ist, der die Weltanschauung des Nationalsozialismus charakterisierte (Künneth 1947, S. 307). Nun kann es wohl keinem Zweifel unterliegen, daß die Gegenwart sich in einer Kulturkrise von unerhörter Tiefe und Härte befindet .. . Die Menschheit ist an einem kritischen Punkt ihrer Geschichte angelangt .. nichts anderes [scheint] übrig zu bleiben .., als das Werk der menschlichen Kultur von neuem zu beginnen .. . Deutlich zeichnet sich .. das Heraufziehen einer Zeitenwende ab. (Pribilla 1947, S. 119) Dieses Heutige, Diesseitige, .., ist ja nur ein Teil unseres Gesamtdaseins, das auch die geistig-seelische Welt und damit sowohl das Vergangene wie in gewissem Sinne auch das Künftige mit umfaßt. Je mehr wir uns der Ganzheit unseres Daseins in diesem Sinne bewußt sind, desto weniger kann das Heutige, Niederdrückende Gewalt über uns gewinnen, desto freier vermögen Geist und Seele in uns ihre Schwingen zu entfalten .. Aus einem solchen Welterleben .. hat sich .. unsere innere substantielle Haltung der Gegenwart gegenüber zu ergeben. Um sie näher zu bestimmen, ist es nötig, sich darüber klar zu werden, wo wir zeit- und geistesgeschichtlich heute stehen. (Geiler 1947, S. 172 f.) Recht, in einer Gegenwart hoffnungsarmer Mühsal von dem Sinn hoffnungsreicher Mühseligkeiten einer deutschen Vergangenheit zu sprechen (Heuss 1948, S. 17).
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Gegenwart
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Diesen durch alle schmerzvollen und verzerrten Züge der Zeit hindurchschimmernden Geist in unserer Gegenwart heraufzurufen (Müller-Armack 1949, S. 21). [Gewisse Richtungen der christlichen Theologie, die sozialistische Entwicklungstheorie und die liberale Fortschrittsidee] entwerten alle .. die Gegenwart zugunsten eines Vergangenen oder Künftigen. Es ist doch nicht einzusehen, weshalb, da die Vergangenheit aus einer Folge früherer Gegenwarten sich zusammensetzt und die Zukunft aus einer Folge künftiger Gegenwarten besteht, die heutige Gegenwart einen grundsätzlich geringeren Akzent erhalten soll. .. der Mensch [blickt] aus der Gegenwart in die Vergangenheit und Zukunft .., nur aus dieser Perspektive kann das geschichtliche Leben richtig begriffen werden. (Müller-Armack 1949, S. 26 f.) Eben weil wir nicht Marionetten in der Hand von Entwicklungstendenzen sind, die gedankenlos folgen müssen, können wir unsere Gegenwart nur bestehen in radikalster Reflexion auf das in ihr zu Tuende. Diese Reflexion gehört geradezu zum Lebensvollzuge der Gegenwart. Alle lebendige Existenz vollzieht sich im Positionsnehmen, das eine bewußte Abgrenzung gegenüber der Vergangenheit voraussetzt. Erst aus dem lebendig gewordenen Wissen, welche Kräfte der Vergangenheit man als innerlich verwandt bejaht, gegen welche Kräfte der Vergangenheit man sich ablehnend verhält, erwächst einer Zeit das Wissen um ihre eigenste Aufgabe. .. wir, die wir das Problem unserer Zeit tiefer empfinden und kein so ungebrochenes Zutrauen zur Geschichte haben, glauben, unserer Zeit gegenüber auf diese Selbstbesinnung nicht verzichten zu dürfen. (Müller-Armack 1949, S. 32 f.) Unsere Zeit .. wurde .. in eine Lage versetzt, die .. das Zuendesein jenes Schwebezustands, jener Unentschiedenheit .. ist, in die das neunzehnte Jahrhundert seine Schöpfungen hüllte .. . Die geistige Lage unserer Gegenwart wird dadurch bestimmt, daß ein .. katastrophales .. Geschehen gleichsam einen Schlußstrich unter eine geistige Entwicklung setzt. Was sich heute vollzieht, ist .. das echte Zuendesein einer Epoche. (Müller-Armack 1949, S. 149) Eine Zeit, welche einen Geistesumbruch von solchem Ausmaß erlebt wie die Gegenwart, ist direkt aufgefordert, an diese überfällige Revision vieler Geschichtsurteile zu gehen. (Nigg 1949, S. 12) Was ist das für eine Glaswand, die die Zeiten scheidet, die sich doch jetzt in mir berühren, da ich dies beides, das Damals und das Jetzt doch selbst bin, das Damals nicht weniger als das Jetzt? Was ist die Zeit? Was ist Vergangenheit und Gegenwart? Was ist unsere Existenz in der Zeit? .. Wieso war ich das eine damals und bin ich das andere heute? Was ist denn eigentlich dieses ‚war‘ und ‚bin‘? Für andere, die mir ans Herz gewachsen sind .., ist das Heute noch ihr Jetzt, was für mich heute mein Damals ist, und weil es für sie jetzt noch Gegenwart ist, darum kann es auch für mich nie ganz zur Vergangenheit werden, – und wenn es auch für sie einmal, wie wir hoffen, vergangen sein wird, dann wird es für viele andere noch Gegenwart sein. Und was wissen wir, was für uns noch zur Gegenwart werden wird und ob wir nicht wieder einmal aus Gittern und Stacheldraht in die unerreichbare, vergangene Freiheit starren werden, wenn das heutige Jetzt zum Damals geworden sein wird! (Gollwitzer 1951, S. 339 f.) Die Vergangenheit ist noch nicht Vergangenheit. Sie ist .. auch nicht mehr Gegenwart; die ist jäh und plötzlich zu Ende gegangen. Ein Abgrund liegt zwischen ihr und dem Heute (Freund 1954, S. 316).
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geheim
geheim geheim halten · Geheimhaltung insgeheim Geheimnis · Geheimnissorgfalt Täter Mit Bezeichnungen der Wortfamilie geheim drücken Täter im Zusammenhang mit ihren Selbstfreisprechungen aus, dass sie keine Möglichkeit hatten, auf Verbrechen Einfluss zu nehmen und sie zu verhindern. Geheim im Sinn von ‚(vor mir) (absichtlich) verborgen gehalten, (mir) (absichtlich) nicht bekannt gegeben‘ hat also rechtfertigende, Schuld abweisende Funktion: diese Sachen wurden vor mir geheimgehalten (s. Göring 1945, Nürnberger Prozess IX, S. 674 f.; Dietrich 1955, S. 28). Gleichzeitig nehmen die Täter (explizit) Bezug auf verantwortliche Handlungsbeteiligte, wie ÕHitler, Himmler, kleiner Kreis (von Helfershelfern), von denen sie sich selbst damit ausdrücklich ausschließen: Himmler hat diese Sachen außerordentlich geheimgehalten, dieses Geheimnis trug Hitler allein in seiner Brust (s. Göring 1945, Nürnberger Prozess IX, S. 674 f.; Frank 1945/46, S. 410; Fritzsche 1946, S. 463). gerade deshalb, weil das so war, wurden diese Sachen [Vorgänge in den Konzentrationslagern] vor mir geheimgehalten .. . Das spricht auch dafür, daß Himmler diese Sachen außerordentlich geheimgehalten hat. Es sind uns niemals Zahlen oder irgend etwas in dieser Richtung zugestellt worden (Göring 1945, Nürnberger Prozess IX, S. 674 f.). Gegenüber dem Befehl der Judenvertilgung bestand rigoroseste, technisch-methodisch diffizilste Geheimnissorgfalt, so daß tatsächlich über das ganze grauenvolle Geschehen ein hermetisch geschlossener Ring gezogen werden konnte .. . Hitler und Himmler haben niemals, auch vertraulich nicht, mit irgendeinem von uns Nichteingeweihten darüber gesprochen. (Frank 1945/46, S. 393 f.) ich [wurde] als Generalgouverneur von Hitler in grausamster Weise, meinen vierzehn Rücktrittsgesuchen zum Trotz, selbst dann auszuharren gezwungen .., als ich 1942 aus meinen sämtlichen Ämtern in Reich und Partei cum infamia entlassen wurde. Hitler wußte, warum er mir das antat. Das Amt in Krakau war seine Verfluchung, seine Rache gegen mich. Er wußte ja, was in Treblinka und an anderen Orten vor sich ging. Und wußte, was er mir und meinem Namen damit allein insgeheim aufbürdete. (Frank 1945/46, S. 404) Den Plan der Ausrottung des jüdischen Volkes .. dieses Geheimnis [trug Hitler] allein in seiner Brust (Frank 1945/46, S. 410). das Unglück liegt ja gerade in der Tatsache, daß ich alle diese Thesen nicht vertrat, nach denen Hitler mit einem kleinen Kreis von Helfershelfern insgeheim handelte (Fritzsche 1946, S. 463).
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Gehorsam
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Was über den rein kriegerischen Zweck des Krieges hinaus auf russischem Boden geschehen ist, fällt der Wehrmacht nicht zur Last. Es ist ohne unser Wissen und Zutun geschehen. Keiner der Angeklagten hat etwas von dem Geheimen Führerbefehl und dem organisierten Massenmord durch die Einsatzgruppen, die uns nicht unterstellt waren, gewusst. (Leeb 1950, S. 338) Das war der Gang der Dinge, den ich bei weniger wichtigen Entscheidungen oft mit anhörte, bei den wichtigen und geheimen wird es wohl nicht anders gewesen sein (Dietrich 1955, S. 28).
Gehorsam Kadavergehorsam Gehorsamsbegriff · Gehorsamsdrang · Gehorsamspflicht gehorsam gehorchen Täter / Nichttäter
Gehorsam ist ein Wort der Nachkriegszeit, insofern es auf die autoritäre Struktur des Nationalsozialismus verweist und auf die nazistische Bewertung von Gehorsam im Sinn einer Tugend (in dem Beleg von Kogon 1946a, S. 124 wird deutlich, dass Gehorsam Teil des nationalsozialistischen Tugendkanons ist). Kritisch reflektiert bezeichnet Gehorsam eine Eigenschaft, die wesentlich zum Erhalt des Nationalsozialismus beitrug. In diesem Sinn korrigiert Hannah Arendt die positiv besetzte Semantik von gehorchen: „diejenigen, die mitmachten und Befehlen gehorchten, [sollten] nie gefragt werden: ‚Warum hast Du gehorcht?‘, sondern: ‚Warum hast Du Unterstützung geleistet?‘ .. Es wäre viel gewonnen, wenn wir das bösartige Wort ‚Gehorsam‘ aus dem Vokabular unseres moralischen und politischen Denkens streichen könnten“ (Arendt 1964, S. 97). Norbert Elias zeichnet den Prozess der Kanonentwicklung von Befehlen und Gehorchen nach, der „weithin in deutschen Staaten die Persönlichkeitsstruktur der Menschen auf eine strikt autokratische und hierarchische Gesellschaftsordnung eingestellt“ hat. „Die Verankerung einer autokratischen Herrschaftsform im Habitus der einzelnen Menschen schuf dann immer von neuem ein starkes Verlangen nach einer Gesellschaftsstruktur, die dieser Persönlichkeitsstruktur korrespondierte, also nach einer festgefügten Hierarchie der Über- und Unterordnung, die sich nicht zuletzt in streng formalisierten Ritualen der sozialen Distanzierung kundtat.“ Diese
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Formalisierung „bot .. dem einzelnen Menschen durch Zuständigkeitsvorgaben bei den eigenen Entscheidungen einen festen Halt.“ (Elias 1990, S. 95 f.) Gehorsam in der Bedeutung ‚Anerkennung des Willens einer Autorität‘ hat als Repräsentation einer Argumentation je nach der Sprecherperspektive der Täter und der Nichttäter unterschiedliche Funktionen. Täter Täter gebrauchen Gehorsam in entlastender Funktion, um damit Schuld auf eine ihnen übergeordnete Instanz abzuleiten. Mit der Referenz auf Gehorsam/gehorchen, ebenso wie auf Õtreu, ÕBefehl und Führer (ÕHitler), dokumentieren Täter den hohen Grad von jegliche moralisch-ethische Werte verabschiedende Folgsamkeit nazistischer Befehlsempfänger (in diesem Sinn s. den Kommentar von Jaspers 1946, S. 165). Vor allem Militärs werten Gehorsam im Zuge ihrer Schuldabwehr positiv, zumindest aber als unabdingbare, von ihnen geforderte Eigenschaft: Befehle erhalten und gehorchen, Irrtümer aus falschem Gehorsamsbegriff, Gehorsam und Treue, durch die Gehorsamspflicht gebunden (s. Keitel 1945, zit. nach Gilbert 1995, S. 32; Keitel 1946, S. 431; List 1950, S. 240). Nichttäter Im Zuge der Vergangenheitsanalysen, die Nichttäter anstellen um die Frage beantworten zu können, wie es zum Nationalsozialismus kommen konnte, machen sie nationale mentale Eigenschaften der Deutschen geltend. Das in diesem Kontext am häufigsten benutzte deutsche Nationalstereotyp heißt ÕMilitarismus (daneben ÕIdealismus und Õpolitische Unreife). Gehorsam (mit Kadavergehorsam) ist semantisch ein Element des Wortfelds ÕMilitarismus, mit dem die Nichttäter die Frage mentalitätsgeschichtlich beantworten, warum der Nationalsozialismus bei den Deutschen Erfolg hatte. Die Nichttäter verweisen mit Gehorsam, den sie im Gegensatz zu den Tätern negativ bewerten, z. T. mit explizitem Bezug auf diese Täterargumentation (s. Smend 1945, S. 373), auf eine mentale Disposition, die es den Nationalsozialisten ermöglichte, die Deutschen ihrem Willen zu unterwerfen und sie zur Begehung von Verbrechen zu veranlassen: die Deutschen ein Volk von gehorsamen Untertanen und treufleißigen Beamten, in keinem Land wird ein so bedingungsloser Kadaver-Gehorsam verlangt, das
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deutsche Volk eines der gehorsamsten, folgsamsten, diszipliniertesten der Erde, den großen Gehorsam der eigenen Entscheidung vorziehen (s. Smend 1945, S. 373; Ebbinghaus 1945a, S. 160 f.; Plank 1946, S. 7; Windisch 1947, S. 71 f.; Aich 1947, S. 205). Vor allem die stigmatisierten Bezeichnungen der Leitideen Preußen, Pflicht und (Staats-)Macht, die ebenfalls Elemente des Wortfelds Militarismus sind, sind mit Gehorsam die dominanten semantisch aufeinander bezogenen Begriffselemente, die z. T. in eine Kausalbeziehung zueinander gesetzt werden: die kleinen Preußen leisten Kadavergehorsam und verlangen Kadavergehorsam, in diesem mißleiteten Pflichtgefühl, der preußische Geist der Untertänigkeit und des Kadavergehorsams beherrschte die großen Massen, die preußisch überspitzte Auffassung vom Staat, seinem Wesen, seiner Macht, den ihm geschuldeten unbedingten Kadavergehorsam (s. Steltzer 1945, S. 32; Ulbricht 1945b, S. 428 f.; Adenauer 1946, S. 140 f.). Auf das militaristische Element wird darüber hinaus mit denjenigen Epitheta verwiesen, welche die Nationalsozialisten ihrerseits als deutsche Haltung zum Nationalsozialismus einforderten, in Formulierungen wie blinder, unbedingter, bedingungsloser Gehorsam (s. Adenauer 1946, S. 140 f.; Plank 1946, S. 7; Rothfels 1949, S. 21). Täter ein Offizier [kann] sich nicht vor seinem Führer, dem Oberbefehlshaber, aufbauen und widersprechen! Wir können nur Befehle erhalten und gehorchen (Keitel 1945, zit. nach Gilbert 1995, S. 32). Wenn ich in meinem Wirken Irrtümer aus falschem Gehorsamsbegriff begangen habe .. so liegen sie in einem mich mitreißenden mächtigeren Schicksal beschlossen (Kaltenbrunner 1946, S. 434). das beste, was ich als Soldat zu geben hatte, Gehorsam und Treue, [wurde] für nicht erkennbare Absichten ausgenutzt (Keitel 1946, S. 431). inneren Verhältnisse .., unter denen zu dienen wir gezwungen waren. Wir waren durch unseren Eid und die Gehorsamspflicht gebunden; und wir lebten unter dem Zwang einer sich mehr und mehr dämonisch wie chaotisch gestaltenden Diktatur (List 1950, S. 240). Nichttäter Hauptargument [der Hauptkriegsverbrecher von Nürnberg] war, daß sie gehorchende und ausführende Beamte und Offiziere, aber ganz und gar nicht mit oder für eine eigene Lebensaufgabe stehende und fallende politische Charaktere gewesen seien. Wenn dies .. richtig war und ist, dann ist es allerdings ein starker Beleg dafür, daß wir Deutsche kein politisches Volk sind, sondern eins von gehorsamen Untertanen und treufleißigen Beamten (Smend 1945, S. 373).
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Ich darf wiederholen, daß jedermann die Pflicht hatte, solchen Befehlen, die eine unmittelbare Pflichtverletzung enthielten oder gar selber gegen das Strafgesetzbuch verstießen, den Gehorsam zu verweigern, und es ist mir ebensowenig zweifelhaft, daß die Greuel in den Konzentrationslagern und die Greuel der Judenverfolgung sich gar nicht hätten ereignen können, wenn jedermann dieser Pflicht nachgekommen wäre. (Ebbinghaus 1945a, S. 160 f.) da müssen wir bei aller Achtung vor der Selbstzucht, mit der die großen Preußen sich im Dienst verzehrt haben, aussprechen, daß diese Selbstzucht zu einem Krampf wurde, der die Menschlichkeit zerstörte .. Und bei den kleinen Preußen wird aus dem Vorbild der Selbstzucht der Verzicht auf das eigene Wollen und Denken. Sie führen Befehle aus .. Sie leisten Kadavergehorsam und verlangen Kadavergehorsam .. In diesem mißleiteten Pflichtgefühl ist das .. auf sittlicher Grundlage aufgebaute deutsche Soldatentum zum Militarismus entartet. Das hat unseren Untergang mitverschuldet (Steltzer 1945, S. 32). Die Mitverantwortung unseres Volkes besteht darin, daß es sich leichtgläubig betrügen ließ, daß der alte preußische Geist der Untertänigkeit und des Kadavergehorsams große Massen beherrschte, so daß diese Massen den Befehlen einer Bande von Kriegsverbrechern gehorchten (Ulbricht 1945b, S. 428 f.). deutscher Untertan, [zu dessen] Welt .. der Kasernenhof mit dem „Kadavergehorsam“, die leuteschinderische Allmacht des Feldwebels [gehörten] (Abusch 1946, S. 188). In einem Volk, das so erst durch die preußische überspitzte und übertriebene Auffassung vom Staat, seinem Wesen, seiner Macht, den ihm geschuldeten unbedingten Gehorsam, dann durch die materialistische Weltanschauung geistig und seelisch vorbereitet war, konnte sich .. verhältnismäßig schnell eine Lehre durchsetzen, die nur den totalen Staat und die willenlos geführte Masse kannte (Adenauer 1946, S. 140 f.). leidenschaftlicher Hang zum Militarismus und das überspitzte und mißleitete Nationalgefühl .. [in keinem anderen Land wird] ein so bedingungsloser Kadaver-Gehorsam und eine so vollständige Ausschaltung jeder eigenen Denkfunktion verlangt (Plank 1946, S. 7). Überall in den KL .. waren .. große Tafeln mit der Aufschrift angebracht: ‚Es gibt einen Weg zur Freiheit. Seine Meilensteine heißen Gehorsam, Fleiß, Ehrlichkeit, Nüchternheit, Sauberkeit, Opfersinn, Ordnung, Disziplin und Liebe zum Vaterland.‘ Die Meilensteine des wirklichen Weges, nämlich zum Krematorium, waren: der Bock und der Bunker, Erhängen, Erschießen, Erfrieren, Verhungern, Erschlagenwerden und Foltern jeglicher Art. (Kogon 1946a, S. 124) „Es ist Befehl“, das klang und klingt noch vielen pathetisch so, daß es die höchste Pflicht ausspricht .. . Gehorsamsdrang, diese[s] triebhafte[..], sich als gewissenhaft fühlende[..] und in der Tat alles Gewissen preisgebende[..] Verhalten (Jaspers 1946, S. 165). Die .. überentwickelte Sehnsucht des Deutschen nach Gemeinschaft und Bindung, sein Wunsch, das eigene Denken auszuschalten und mit der Meinung ‚aller‘ übereinzustimmen, läßt ihn den großen Gehorsam der eigenen Entscheidung vorziehen .. Aus dem Verzicht auf das Ich konnte ein Wir entstehen, das mit dem Heroischen den Rückfall ins Barbarische, ja Bestialische verband (Aich 1947, S. 205). Sicherlich ist das deutsche Volk eines der gehorsamsten, folgsamsten, diszipliniertesten der Erde. Seit Friedrich Wilhelm I., dem Erfinder des „Gamaschendienstes“, geht es in Reih und Glied und je schnarrender das Kommando gegeben wird, umso
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präziser gehorcht dieses folgsame Volk dem, der befiehlt. Ein böses Erbe, diese Gabe, sich zum Objekt, zum Instrument anzubieten, die Persönlichkeit preiszugeben, Masse zu bilden. (Windisch 1947, S. 71 f.) ich hatte genug über diese preußische Pflicht nachgedacht, die ja in diesem Kriege nicht nur eine preußische war, und die dem Verbrecher zu folgen und gehorsam zu sein, ebenso befahl, wie sie einmal dem König zu folgen befohlen hatte. Und von der Verdunkelung, ja von der Verstörung des sittlichen Geistes haben wenige Erscheinungen so gezeugt, wie gerade die Aussagen der obersten Heerführer in Nürnberg. .. daß diejenigen, die nach Geburt und Stand die Grenzlinien zwischen Gebotenem und Verwerflichem ohne Mühe zu erkennen haben, nun in Gesellschaft dieser Verworfenen stehen und diese Gesellschaft verteidigen, sei es aus Angst um das nackte Leben, sei es aus Ueberzeugung, ja daß sie es wagen, im Namen der Ehre des deutschen Soldaten zu sprechen: dies ist für jeden sittlichen Menschen jedes Volkes nicht nur etwas Erschreckendes, sondern etwas Abscheuliches. (Wiechert 1948, S. 358) Man hegte die Überzeugung, daß die Deutschen als politische Nation vor allen anderen Völkern verschieden seien. Hatten sie sich doch, wie man glaubte, infolge eingeborener Verruchtheit oder einer anerzogenen Gewohnheit blinden Gehorsams oder unter der Einwirkung einer spezifisch verderblichen Philosophie, der tyrannischen Herrschaft von Verbrechern freiwillig angeschlossen oder feige unterworfen. (Rothfels 1949, S. 21)
Geist Geistesleben · Geistesumbruch geistig durchgeistigen Nichttäter Geist in der Bedeutung ‚Verstand, Gesinnung‘ (entspr. geistig) ist zentrale Vokabel im vergangenheits-, gegenwarts- und zukunftsorientierten Nachkriegsdiskurs der Nichttäter. Mit Geist/geistig sowohl als Identität bewahrenden als auch als Identität konstituierenden Leitwörtern bezieht man sich in der frühen Nachkriegszeit auf den gesamten Komplex dessen, was man unter Kultur, Geistigkeit, Bildung versteht und drückt damit aus, dass man in der Tradition des (christlichen) ÕAbendlandes bzw. ÕHumanismus stand, steht und stehen wird. Vergangenheitsbezogen dienen Formulierungen wie geistiger Zusammenbruch, Ruin, Krise des Geistes, vom Geist verlassen, der Geist hat nicht ausgereicht zur Erklärung für den Nationalsozialismus, dessen Existenz man mit dem Zusammenfall des abendländischen Wertesystems begründet (s. Plank 1946, S. 10; Jaspers 1946, S. 185; Steinbüchel 1946/47, S. 20 f.; Eggerath 1947, S. 80 f.; Fuchs
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1948, S. 37; Löbe 1949a, S. 228 f.; Wiechert 1949, S. 280). Der zwölf Jahre währende nationalsozialistische Ungeist und die Höhe der deutschen Kunst und Kultur fügen sich nicht, der deutsche Geist scheint durch die nationalsozialistische Barbarei kompromittiert. Um unter dieser Voraussetzung Anschlussfähigkeit zu gewährleisten, verweist man mit Õverschüttet auf die Fortexistenz der geistigen Tradition (s. Geiler 1946b, S. 148; Döblin 1946, S. 234; Friedensburg 1947, S. 90). Insofern sind Geist/geistig häufig belegte Kontextpartner, in Formulierungen wie geistig-seelische Kraftquellen, seelische und geistige Kraft, mit denen man unkonkret auf das kollektive Gedächtnis der Deutschen referiert. ÕKultur und Geist bilden die Grundelemente deutschen Seins, mit denen man das unveränderte Kontinuum deutscher Identität konstituiert. Gegenwartsbezogen besteht im Diskurs der Nichttäter der Gebrauch von Geist/geistig in Verweisen auf die Katastrophe der Gegenwart, die einerseits durch Verlust gekennzeichnet ist: es gibt keine geschichtliche politische Form, die wir als einen Ausdruck unserer geistigen Einheit lebendig machen können, Schlußstrich unter eine geistige Entwicklung (s. Steltzer 1946a, S. 93; Müller-Armack 1949, S. 149), andererseits durch die Möglichkeit der geistigen Erneuerung: sein Geist darf sich unbeschwert entfalten, den Geist bejahen und mobilisieren, desto freier vermögen Geist und Seele in uns ihre Schwingen zu entfalten (s. Reger 1945, S. 40; Grimme 1945a, S. 16; Geiler 1947, S. 172 f.). Der zukunftsgerichtete Teil des nachkriegsdeutschen Rehabilitationsprojekts, mit dem man einen neuen humanistischen Abschnitt der Geschichte zu beginnen trachtet, besteht in der Etablierung einer neuen kollektiven Identität. Entsprechend der Vorstellung, dass die geistige Tradition nicht verloren ist, sondern während der Zeit des Nationalsozialismus nur Õverschüttet war, formuliert man im Sinn einer Selbstwiederfindung Handlungsziele. In diesen Formulierungen bilden ÕAbendland, ÕChristentum, ÕFreiheit, ÕKultur, ÕHumanismus Kontextpartner von Geist/geistig: sittliche und geistige Kräfte des Christentums, Geist kann allein in Freiheit wachsen, die große deutsche Kultur wiedererwecken und ein neues Geistesleben begründen, der deutsche Geist hat seine unersetzliche Mission innerhalb der abendländischen Gemeinschaft zu erfüllen, Zurückführen zum Fühlen und Denken im abendländischen Geiste (s. CDU 1945, S. 11; Grimme 1945a, S. 24; Kulturbund 1945, S. 83; Meinecke 1946, S. 173; Schmid 1946, S. 11).
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Die vergangenheits- und zukunftsbezogenen Belege drücken aus, dass Geist ein wesentliches Element der deutschen Identität bezeichnet, insbesondere in der Verbindung deutscher Geist (s. Schneider 1945, S. 218; Das Demokratische Deutschland 1945, S. 17 f.; Geiler 1946b, S. 148; Meinecke 1946, S. 173; Friedensburg 1947, S. 90; Eggerath 1947, S. 80 f., 187 f.; Steltzer 1947, S. 77; Pechel 1947, S. 248 f.; Gebhardt 1947, S. 377). Adorno, der diese allgemeine Berufung auf Geist „angespannte Vergeistigung“ (Adorno 1950, S. 470) nennt, beschreibt den Gebrauch des „Begriffs“, der von der „Vorstellung, daß er ein sich selbst genügendes Leben in sich habe, daß er absolut in sich ruhe, ja die Wirklichkeit gewissermaßen erst stifte“ gekennzeichnet sei: „Diese Auffassung von Geist gehört zum deutschen Idealismus. Es entbehrt nicht der Paradoxie, daß sie weiterwirkt, ja daß sie bis zum Aberwitz losgelassen ist in einem Augenblick, da gerade die Repräsentanten des Geistes unablässig auf das Ende des Idealismus verweisen.“ (Adorno 1950, S. 475). Dieser Umgang mit Kultur habe „etwas von dem gefährlichen und zweideutigen Trost der Geborgenheit im Provinziellen“ (ebd., S. 471). Angesichts der Verwüstungen, die der Nationalsozialismus hinterlassen hat, sei es verhängnisvoll, diese durch kulturelle Renaissance zuzudecken. Die „geistige Leidenschaft“ der Nachkriegszeit, mit der man auf das unabweisliche Gebot der „geistige[n] Neu-Orientierung“ antworte, habe „nur wenig mit den eigentlichen Fragen zu tun, an denen eine Neuorientierung sich bewähren könnte“ (ebd.). Adorno wertet es als Zeichen fehlenden, im „geistigen Bann“ von „Unfreiheit und Autoritätsglaube“ stehenden Mutes, „das Drängende, Brennende“ zu bearbeiten, „von dem in Wahrheit doch alle wissen“. Statt dessen ‚hält [man] sich lieber an den verfügbaren Vorrat, diskutiert, was einem zufällig in den Weg kommt, als wäre es gottgewollt, und freut sich im übrigen der Schärfe und Beweglichkeit des eigenen Geistes, ohne Rücksicht darauf, woran er sich wendet‘ (ebd., S. 472). den Geist bejahen und mobilisieren, damit er dieses Nichts ins Positive umschafft (Grimme 1945a, S. 16). Geist kann allein in Freiheit wachsen. Sie ist für jede Geistentfaltung die Voraussetzung, und niemals darf dies Heiligtum der Neuzeit verlorengehen wie in der Zeit der geistigen Tyrannis (Grimme 1945a, S. 24). Niemals ist .. die Situation für jeden einzelnen Deutschen so günstig gewesen –: er steht wie Gottvater am Anbeginn der Schöpfung, die Erde ist für ihn wüst und leer, aber sein Geist darf sich unbeschwert entfalten. (Reger 1945, S. 40)
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Der Zug ins Große ist einmal das Gepräge des deutschen Geistes gewesen, aber es war ein Zug ins Unbestimmte; der Zug zum fest bestimmten Großen könnte sein neues Gepräge sein. (Schneider 1945, S. 218) [Der ‚Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands‘] will die große deutsche Kultur, den Stolz unseres Vaterlandes, wiedererwecken und ein neues Geistesleben begründen (Kulturbund 1945, S. 83). Man wird sich .. mit der Säuberung der Universitäten nicht Zeit lassen dürfen .. . Man lasse .. die geistige und sittliche Katharsis des deutschen Volkes die Sache des deutschen Geistes selbst sein (Das Demokratische Deutschland 1945, S. 17 f.). die kulturgestaltenden sittlichen und geistigen Kräfte des Christentums (CDU 1945, S. 11). unser Volk [zurückführen] zu den geistig-seelischen Kraftquellen, die zu seiner eigentlichen Substanz gehören und nur durch die Mittel der Blendung, der Verführung und des Terrors verschüttet worden sind (Geiler 1946b, S. 148). [Den Niedergang hat bewirkt, dass der] Geist .. nicht fähig [war], die Welt .. zu durchgeistigen und dem Menschen den Sinn des Lebens zu erschließen (Grimme 1946b, S. 44). Wir stehen vor der Tatsache, daß wir eine einheitliche Vorstellung verloren haben, die unserem politischen Bewußtsein einen festen Standort geben könnte. Es gibt keine geschichtliche politische Form, die wir als einen Ausdruck unserer geistigen Einheit und unseres politischen Einheitswillens in dem Bewußtsein unseres Volkes lebendig machen könnten (Steltzer 1946a, S. 93). Es gilt den Geist der Ehrfurcht vor Gott und den Geboten der Sittlichkeit und Menschlichkeit auf der Grundlage unserer christlichen Kultur wieder zu wecken und zu pflegen. Es geht darum, im Geist der Nächstenliebe und der echten Toleranz dem so sehr mißbrauchten Wort der „Gemeinschaft“ seinen alten echten Klang wiederzugeben (Steltzer 1946b, S. 85). noch nie dagewesenen materiellen, geistigen und seelischen Ruin (Plank 1946, S. 10). Daß in den geistigen Bedingungen des deutschen Lebens die Möglichkeit gegeben war für ein solches Regime, dafür tragen wir alle eine Mitschuld. Das bedeutet zwar keineswegs, daß wir anerkennen müßten, ‚die deutsche Gedankenwelt‘, ‚das deutsche Denken der Vergangenheit‘ schlechthin sei der Ursprung der bösen Taten des Nationalsozialismus. Aber es bedeutet, daß in unserer Überlieferung als Volk etwas steckt, mächtig und drohend, das unser sittliches Verderben ist (Jaspers 1946, S. 177). In Deutschland kam zum Ausbruch, was in der gesamten abendländischen Welt als die Krise des Geistes, des Glaubens im Gange war. Das mindert die Schuld nicht. Denn hier in Deutschland und nicht anderswo kam es zum Ausbruch. Aber es befreit aus der absoluten Isolierung. .. Absinken der Wirksamkeit christlichen und biblischen Glaubens .. die Glaubenslosigkeit, die nach Ersatz greift; die durch Technik und Arbeitsweise hervorgerufene gesellschaftliche Wandlung .. In einem Prozeß, der die Welt ergriffen hat, hat Deutschland eine solche schwindelhafte Extratour in seinen Abgrund getanzt. (Jaspers 1946, S. 185) der deutsche Geist hat, nachdem er zu sich selbst zurückgefunden hat, seine besondere und unersetzliche Mission innerhalb der abendländischen Gemeinschaft zu erfüllen (Meinecke 1946, S. 173). Verschüttet war über ein Jahrzehnt eine ungeheure Masse von seelischer und geistiger Kraft im Lande (Döblin 1946, S. 234).
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In einer apokalyptischen Gegenwart gilt es nun, aus Schutt und Trümmern eine neue, bessere Welt aufzubauen .. . Dazu braucht es Ehrfurcht, Liebe, Gemeinschaft, Freiheit und Bindung, einen weltüberwindenden Glauben und eine neue Verbindung mit den ewigen Kräften, kurz, ein Zurückführen zum Fühlen und Denken im abendländischen Geiste. (Schmid 1946, S. 11) Das Gegenwärtige lebt aus dem Vergangenen, und das Vergangene lebt selbst im Gegenwärtigen. Wir entfliehen der Gegenwart nie durch Versenken in das Vergangene, das immer noch da ist, immer noch Gegenwart baut und in der Krisis der Gegenwart zerstörerisch fortwirkt. Was soll uns .. die Frage .. nach den geistesgeschichtlichen Hintergründen der gegenwärtigen Krisis ..? Die historische Besinnung holt das Historische nicht um seiner selbst willen herauf, sie betrachtet es als gegenwärtige Wirkmacht .. Sie lehrt uns einmal die Gegenwart und ihre geistigen Wirkmächte wirklich kennen; sie lehrt uns zugleich, die Menschen unserer Zeit verstehen, ihre geistige Verfassung, ihre Motive und Ziele, so wie sie ihnen aus der geschichtlichen Entwicklung überkommen sind, in der ja alle Menschen als geschichtlich von Vergangenheit durch Gegenwart in Zukunft wandernde Menschen stehen. (Steinbüchel 1946/47, S. 20 f.) Wer könnte besser als Sie die ewigen, aber so böse verschütteten Quellen deutschen Geistes wieder aufspüren und uns zugänglich machen, die neuen Formen den veränderten Verhältnissen entsprechend zur Geltung bringen? (Friedensburg 1947, S. 90) Dieses Heutige, Diesseitige, .., ist ja nur ein Teil unseres Gesamtdaseins, das auch die geistig-seelische Welt und damit sowohl das Vergangene wie in gewissem Sinne auch das Künftige mit umfaßt. Je mehr wir uns der Ganzheit unseres Daseins in diesem Sinne bewußt sind, desto weniger kann das Heutige, Niederdrückende Gewalt über uns gewinnen, desto freier vermögen Geist und Seele in uns ihre Schwingen zu entfalten, .. Aus einem solchen Welterleben .. hat sich .. unsere innere substantielle Haltung der Gegenwart gegenüber zu ergeben. Um sie näher zu bestimmen, ist es nötig, sich darüber klar zu werden, wo wir zeit- und geistesgeschichtlich heute stehen. (Geiler 1947, S. 172 f.) Wie ist es nur möglich, daß es Menschen gibt, lebende Menschen, die zu Hause eine Mutter oder vielleicht Weib und Kind haben, die mit lachendem Gesicht einen Menschen auspeitschen können, von dem sie wissen, daß er nichts anderes auf dem Gewissen hat, als für seine Überzeugung seinen Mann zu stehen? Wo blieb die Stimme Wielands und Herders? Hat denn Goethe in Deutschland keine Bedeutung mehr? Haben ein Beethoven und ein Mozart umsonst gelebt? Wo blieb der Geist des Humanismus, und wo blieb die Wirkung der Schulen und der Kirchen, daß in unserem Deutschland unwidersprochen das Menschentum vergewaltigt werden konnte? (Eggerath 1947, S. 80 f.) das wahre Deutschland, das hier verraten wurde, das Land des Friedens und des menschlichen Fortschritts zwischen brüderlichen Völkern .. im Geist längst geboren in den unsterblichen Werken eines Lessing, Herder, Goethe und Schiller, [es] lebt in der Musik Mozarts und Beethovens, tönt aus der großen Symphonie „An die Freude“: „Seid umschlungen, Millionen!“ – „Alle Menschen werden Brüder“ (Eggerath 1947, S. 187 f.). wir [hatten] nach unserer geistigen Tradition auch eine besondere Verantwortung (Steltzer 1947, S. 77).
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zum ‚andern Deutschland‘ gehören nur die Deutschen, die den deutschen Beitrag zur Menschheit verkörpern. Die sich zu der stillen Gemeinschaft der in allen Völkern vorhandenen Menschen zählen, die sich bedingungslos den Gesetzen verpflichtet fühlen, die nicht von Menschen gemacht sind. Die dem Ruf des Geistes folgen und dem Gebot der ewigen Liebe. Denen der Dienst an den hohen Begriffen des Rechts, der Humanität, der Menschenwürde, der Freiheit, des Friedens, der brüderlichen Nächstenliebe auch zu den elendesten der Menschen, der echten Demut vor dem, was über allen Menschen ist, der Güte, der reifsten Frucht echter Menschlichkeit, selbstverständliche Pflicht ist. (Pechel 1947, S. 248 f.) Wir alle wollen das unselige, beschmutzte, in den Dreck getretene und stinkend gewordene Wort, das man kaum mehr auszusprechen wagt, das Wort Deutschland wieder aus der Schmutzumkrustung, in der es drinsteckt, lösen und es saubermachen, nicht es wieder blank polieren wie einen Uniformknopf, da sei Gott vor, wohl aber es – alle zusammen, wir, die wir uns um die deutsche Kultur mühen – reinwaschen mit dem reinen Wasser des Geistes (Gebhardt 1947, S. 377). [Die Kirchen] waren von dem Geist verlassen .., der die Jünger Jesu zur Klarheit und Sicherheit führt (Fuchs 1948, S. 37). der Geist an sich, oder der Geist des Abendlandes, oder doch der Geist des deutschen Volkes [hat] nicht ausgereicht .., die sittliche Natur vor Schaden, ja vor Verderben zu bewahren. Und da jedes Volk des Abendlandes Helfer zum deutschen Verbrechen gestellt hat, und mochten es auch nur zwei oder drei gewesen sein, so läßt der erschreckende Schluß sich mit Sicherheit ziehen, daß weder der reine Geist noch das große Erbe der abendländischen Kultur und des Christentums imstande gewesen sind, das Einzelwesen oder gar die Masse vor dem Rückfall in die Barbarei zu bewahren. (Wiechert 1949, S. 280) der neuen geistigen Fundierung sozialen und politischen Geschehens (Heinemann 1949b, S. 51). Diesen durch alle schmerzvollen und verzerrten Züge der Zeit hindurchschimmernden Geist in unserer Gegenwart heraufzurufen (Müller-Armack 1949, S. 21). Die geistige Lage unserer Gegenwart wird dadurch bestimmt, daß ein .. katastrophales .. Geschehen gleichsam einen Schlußstrich unter eine geistige Entwicklung setzt. Was sich heute vollzieht, ist .. das echte Zuendesein einer Epoche (Müller-Armack 1949, S. 149). Eine Zeit, welche einen Geistesumbruch von solchem Ausmaß erlebt wie die Gegenwart, ist direkt aufgefordert, an diese überfällige Revision vieler Geschichtsurteile zu gehen. (Nigg 1949, S. 12)
Geschichte Geschichtsbild · Geschichtsurteil geschichtlich Nichttäter Zeitreflexion, das Beziehen der Zeiten und ihrer Erscheinungen aufeinander, die Kausalisierung der Gegenwart (ÕGegenwart, ÕZeit)
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aus der Vergangenheit und die Motivierung der ÕZukunft aus der Gegenwart, ist ein zentraler Reflexionsmodus der nachkriegsdeutschen Nichttäter (s. Kirschweng 1946, S. 5; Meinecke 1946, S. 156; Müller-Armack 1949, S. 32 f.). Die nachkriegsdeutsche Funktionsund Interpretationselite ist eminent geschichtsbewusst und ihre Geschichtsreflexionen sind beherrscht von dem Bestreben, die Gegenwart als Ergebnis eines Geschichtsverlaufs einzuordnen, der die Zerstörungen der jüngsten Vergangenheit zur Folge hat. Zwar ist Gegenwartserfahrung immer das Motiv für Geschichtsbetrachtung und anders kann „Geschichtsbewußtsein auch gar nicht gedacht werden, da es der Ort ist, wo die Vergangenheit zur Sprache gebracht wird: Sprechen kann .. die Vergangenheit nur, wenn sie infrage steht; und die Frage, die sie zum Sprechen bringt, entspringt dem Orientierungsbedürfnis der aktuellen Lebenspraxis im Hinblick auf dort virulente Zeiterfahrungen“ (Rüsen 1983, S. 54). In der Gegenwart nach 1945 spricht jedoch die Vergangenheit sozusagen besonders laut. Diese Gegenwart mit ihren Zerstörungen hat eine besonders offensichtliche kausale Verbindung zur Vergangenheit der NS-Herrschaft und zum Krieg. Geschichtsdenken ist daher nach 1945 von besonderer Evidenz: Keine Vergangenheit war fragwürdiger geworden als die eben erlebte nationalsozialistische, keine Gegenwartserfahrung war unmittelbarer mit der gerade beendeten Vergangenheit in ein Konsekutivverhältnis zu bringen wie die Gegenwart nach 1945: die Perspektiven der deutschen Geschichte verschieben sich stark in den erschütternden Umwälzungen der Gegenwart, Frage nach den geistesgeschichtlichen Hintergründen der gegenwärtigen Krise (s. Tellenbach 1946a, S. 228; Steinbüchel 1946/47, S. 20 f.; Adenauer 1951a, S. 225). Geschichte, geschichtlich und Geschichtsbild sind zentrale Schlüsselwörter, die im Kontext einerseits mit dem Ausdruck von Geschichtspessimismus, andererseits mit der Formulierung von Vorstellungen von der Beschaffenheit einer historisch begründeten Neuorientierung stehen. Denn diese Intention, den Nationalsozialismus und die deutsche Geschichte zueinander in Beziehung zu setzen, manifestiert sich in zwei (scheinbar) gegensätzlichen Haltungen: einerseits in der Vorstellung von der Unmöglichkeit, an deutsche Geschichte anzuschließen, anderseits in der von einem Neubeginn, von der Möglichkeit einer neuen Ordnung. Diese ambivalente Haltung zur deutschen Geschichte ist zunächst Ausdruck einer tief gehenden Skepsis gegenüber dem bisher gültigen Geschichtsbild, von dem man annimmt, dass es in einem Kausal-
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zusammenhang mit dem Nationalsozialismus steht. Diese Skepsis repräsentiert das Schlüsselwort ÕRevision, das auf Geschichtsbild bzw. Geschichtsurteil referiert (s. Meinecke 1946, S. 156 f.; Litt 1948, S. 111 ff.; Nigg 1949, S. 12). Revision des Geschichtsbildes wird gebraucht in der Bedeutung ‚Überprüfung des Geschichtsbildes, Neubewertung von Geschichtsverläufen‘, auf der Grundlage der neuen Erfahrungen Nationalsozialismus und Krieg und neuer Erkenntnisse von der deutschen ÕSchuld: die geschichtliche Wirklichkeit wandelt im Sturm umwälzender Ereignisse jäh ihr Antlitz, die Geschichte muß umgeschrieben werden und heute ist so ein Augenblick gekommen (s. Tellenbach 1946a, S. 226; Litt 1948, S. 111; Kupisch 1949, S. 46). Ein zweiter Verwendungskomplex bezieht sich auf diejenige Haltung, die eine Anschlussfähigkeit deutscher Geschichte verneint. Diese Haltung verdichtet sich in Formeln wie Ende der Geschichte, zerstörtes Geschichtsbild, überkommenes Geschichtsbild, der Weg zu unserer Geschichte abgeschnitten, die Linie der tausendjährigen Geschichte bricht ab, gesamte deutsche Geschichte in Frage, die Tafeln der Geschichte zerbrochen, Erschütterung aller bisherigen Grundlagen, Ende aller bisherigen geschichtlichen Wege (s. Windisch 1946, S. 12; Steltzer 1946a, S. 92 f.; Ritter 1946, S. 7; Vogel 1946, S. 18; Heuss 1946a, S. 165 f.; Kupisch 1949, S. 7 f., Jacob 1950, S. 86). Die Möglichkeit, in der Gegenwart aus der Vergangenheit eine Zukunft zu entwerfen, scheint genommen, der Traditionsbruch scheint vollkommen, keine Erinnerung scheint anschlussfähig zu sein (als religiös inspirierte Version dieser Gegenwartsdeutung stellt sich die Vorstellung von Apokalypse und Eschatologie dar, Õapokalyptisch). Mit Formeln wie Ende der Geschichte stellt man den Nationalsozialismus der Entwicklung der deutschen Geschichte in den Weg. Er erscheint als unüberwindbare Barriere, womit die Möglichkeit von Geschichte als kausal konsekutive Teleologie in Frage gestellt wird. Der Bruch von 1933 korrespondiert in dieser Lesart mit dem von 1945, und der Nationalsozialismus wird geschichtslos: Frage, ob das Reich Adolf Hitlers überhaupt Ereignis einer geschichtlichen Zeit oder nicht vielmehr ein Sprung aus der Geschichte in das historische Nichts gewesen sei (s. Freund 1954, S. 319 f.). Aus der Außenperspektive deutet der Schweizer Max Picard in diesem Sinn den Nationalsozialismus als ahistorisches Phänomen: „Der Nationalsozialismus ist kein Teil der Geschichte, keine Episode in ihr, der Nationalsozialismus ist ein Einbruch in die
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Geschichte, er ist geschichtslos. Denn Geschichte hat wesentlich zu tun mit dem geschaffenen Menschen, der Nationalsozialismus hingegen produziert den Menschen erst, dann steckt er ihn in eine historische Verkleidung, – das alles ist keine Geschichte. Die Geschichte wurde unterbrochen durch den Nazismus.“ (Picard 1946, S. 204) Diese Konstruktion einer Geschichtslosigkeit des Nationalsozialismus schafft die Bedingung für die Geschichtslosigkeit der Gegenwart, auf die die Nichttäter verweisen mit Bezeichnungen, die das Bewusstsein von einer historisch einmaligen Zeit ausdrücken (Õnie), etwa in Formulierungen wie schwerste/größte Notzeit der Geschichte, in seiner ganzen Geschichte noch nicht, nie zuvor in der Geschichte (s. Dahlem 1945, S. 255; LDPD 1945, S. 7; Grimme 1945b, S. 79 f.; Wunderle 1946, S. 4; Sternberger 1946, S. 17; Kaiser 1946d, S. 207; Bäumer 1946, S. 35; Huch 1947a, S. 102; Pribilla 1947, S. 50; Kolbenhoff 1949, S. 91). Diese im Sinn von ‚einzigartig‘ bewertende Herausstellung der Gegenwart belegt die Vorstellung von Diskontinuität, von der das Gegenwartsbewusstsein der Nichttäter in der frühen Nachkriegszeit geprägt ist. Der dritte Gebrauchskomplex dokumentiert, dass das Deutungsmuster Ende der Geschichte nicht den Inhalt der Hauptaussage des Schulddiskurses repräsentiert und dass die Formel, obwohl hoch frequentes Diskurselement, die Bewertung der Gegenwart nicht im Wesentlichen bzw. Eigentlichen erfasst. Geschichte wird gebraucht in Kontexten, in denen eine auf die Zukunft gerichtete positive Haltung zum Ausdruck kommt: daß es vor dem Forum der Geschichte einen Sinn erhielte, daß wir in dieses Nichts geführt sind, nicht vergeuden, was uns unverlierbar sein kann: den Grund der Geschichte, Mission, die der Geist der Geschichte uns auferlegt hat, inmitten der gewaltigsten Revolution unserer Geschichte (s. Grimme 1945a, S. 16; Jaspers 1945a, S. 5; Litt 1948, S. 130 ff.; Kolbenhoff 1949, S. 91). Insofern das Ziel der Diskursteilnehmer darin besteht, einen Beitrag zur Wiederaufrichtung der deutschen Gesellschaft zu leisten, konzedieren sie zwar die Möglichkeit vom Ende der Geschichte, um dann jedoch umso nachdrücklicher auf die unverlierbare Geschichte zu verweisen: „auf die ‚Höhen der Menschheit‘ im Sinn früherer Jahrhunderte zu gelangen, ist heute für uns weder Hoffnung noch Ziel. Es wird schon sehr viel sein, wenn wir ein leidlich gesichertes Dasein als Kulturvolk retten können. Aber auch dazu bedarf es des Selbstvertrauens an Stelle mutloser Selbstverzweiflung. Und die Betrachtung unserer deutschen Vergangenheit gibt uns dazu – trotz allem – das
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Recht“ (Ritter 1948, S. 200). Insofern wird mit Ende der Geschichte nicht die ÕGegenwart bewertet, sondern die Formel dient vielmehr zur Motivation einer in die ÕZukunft gerichteten positiven Geschichtswertung, die mit dem hoch frequenten Deutungsmuster ÕWende korrespondiert. Vor dem Hintergrund dieses Befundes lassen sich die Diskurselemente Ende der Geschichte und Revision des Geschichtsbildes nicht als Ergebnis „eine[r] nationale[n] Identitätskrise und eine[r] Desorientierung in der historisch-politischen Verortung“ (Wolfrum 1999, S. 56) beschreiben, sondern als Ausdruck von zielgerichteter Zukunftsorientierung und Neubeginn. Fast will es manchem sogar scheinen, als stünden wir am Ende der Geschichte des ganzen deutschen Volkes (Grimme 1945a, S. 13). Wer vor dem Nichts steht, kann vermeinen, alles sei am Ende, er kann jedoch auch das Bewußtsein haben, daß Neues werden will. Er kann sich statt am Ende auch vor dem Anfang stehend fühlen. Und wer will sagen, ob darin, daß wir neu beginnen dürfen, nicht auch, wenn wir nur wollen, die Möglichkeit der Größe dieser dunklen Tage beschlossen liegt, so daß es schließlich vor dem Forum der Geschichte nachträglich einen Sinn erhielte, daß wir in dieses Nichts geführt sind (Grimme 1945a, S. 16). Wir haben keineswegs alles verloren, wenn wir nicht, in Verzweiflung wütend, auch noch das vergeuden, was uns unverlierbar sein kann: den Grund der Geschichte, für uns zunächst in dem Jahrtausend deutscher Geschichte, dann der abendländischen Geschichte, schließlich aber der Menschheitsgeschichte im Ganzen. (Jaspers 1945a, S. 5) diese schwerste Notzeit der deutschen Geschichte .. Not, der größten der gesamten Geschichte unseres Volkes (Grimme 1945b, S. 79 f.). Das deutsche Volk ist durch die Verluste des Krieges ausgeblutet, physisch und moralisch in eine Tiefe hinabgedrückt, wie noch nie in seiner Geschichte (Dahlem 1945, S. 255). dem geschichtlich beispiellosen Zusammenbruch seiner [des Volkes] körperlichen, geistigen, seelischen und moralischen Kräfte (LDPD 1945, S. 7). die Perspektiven der Entstehungsgeschichte des deutschen Reiches, ja der gesamten deutschen Geschichte verschieben sich stark in den erschütternden Umwälzungen der Gegenwart. .. der tatsächliche Geschehensverlauf ist noch nicht Geschichte. (Tellenbach 1946a, S. 226) Und so ist die Bildung des geschichtlichen Bewußtseins immer auf die kritische Vergangenheitserforschung und auf die Erfassung der gegenwärtigen Situation wie der Zukunftsperspektiven zugleich angewiesen, d. h. auf die Deutung des Ganzen der Geschichte (Tellenbach 1946a, S. 228). unser Geschichtsbild [ist] ins Wanken geraten. Oder was stünde noch fest von historisch-politischen Überzeugungen, von überlieferten Werten deutscher Geschichte nach dem schändlichen Mißbrauch, den man mit ihren schönsten Idealen, ihren ehrwürdigen Traditionen, mit dem Glauben der Nation an sich selbst und ihre Zukunft getrieben hat? In einer Verwirrung und Ratlosigkeit ohnegleichen stehen heute die Deutschen am Grabe ihrer Vergangenheit. (Ritter 1946, S. 7)
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Das überkommene deutsche Geschichtsbild liegt zerbröckelt und zerbröselt in unserer Hand. (Heuss 1946a, S. 165 f.) Die Frage des deutschen Geschichtsbildes steht als schwerste Aufgabe im Geistigen und Politischen vor uns. Sie ist nicht dadurch zu lösen, daß man eine Reinigungsanstalt herbeiholt und die braune Farbe abputzen läßt, um eine andere Farbe aus bereitgestellten Kübeln aufzuschmieren, sondern die Forderung ist die, daß wir in den Raum der Wissenschaft wieder die zweckentbundene Wahrheit hineinführen und uns dazu bekennen, daß die wissenschaftlichen Fragen frei sein müssen. (Heuss 1946b, S. 200) Jetzt ist unendlich vieles fragwürdig geworden, wovon wir nie gedacht hätten, daß es uns fragwürdig werden könnte. Die Zugehörigkeit zu einem deutschen Nationalund Machtstaat, die uns ganz natürlich schien, .. erweist sich uns mehr und mehr als eine Verfälschung unseres politischen Schicksals, das uns auf Grund unserer Herkunft, unserer Tradition und unserer wirtschaftlichen Situation eher auf eine freie Eingliederung in ein abendländisches Ganzes und auf eine Vermittlung zwischen Kulturen hinweist, von denen wir im Laufe unserer tausendjährigen Geschichte gleichermaßen befruchtet wurden. Was sollen wir jetzt tun? (Kirschweng 1946, S. 5) Die Forderungen, die heute an unser Denken und Leben gestellt werden, sind unendlich viel größer und schwerer als in irgendeiner Phase unserer Geschichte. Und dabei gebricht es uns .. mehr denn jemals an äußeren wie an inneren Mitteln (Wunderle 1946, S. 4). In seiner ganzen Geschichte hat das deutsche Volk noch nicht eine solche Last der Leiden getragen (Bäumer 1946, S. 35). Uns ist der Weg zu unserer Geschichte abgeschnitten. Wir haben die Erinnerung verloren; denn wir können uns an die großen leuchtenden Namen unserer Dichter und Denker nur mit einem unbegreiflichen Schmerz erinnern .. Wir haben keine Möglichkeit, da wieder anzuknüpfen, wo der Irrweg, der uns ins Verderben führte, begann. (Vogel 1946, S. 18) Es ist nicht nur ein Krieg verloren worden, sondern die Linie der tausendjährigen Geschichte bricht unvermittelt ab. Das bedeutet, daß eine Lebensform aus irgendwelchen Gründen gescheitert ist. (Windisch 1946, S. 12) Die Katastrophe unseres Volkes .. stellt die gesamte deutsche Geschichte der Neuzeit in Frage .. . Wir stehen vor der Tatsache, daß wir eine einheitliche Vorstellung verloren haben, die unserem politischen Bewußtsein einen festen Standort geben könnte. Es gibt keine geschichtliche politische Form, die wir als einen Ausdruck unserer geistigen Einheit und unseres politischen Einheitswillens in dem Bewußtsein unseres Volkes lebendig machen könnten (Steltzer 1946a, S. 92 f.). Die Lektion dieses Krieges ist so gründlich, wie noch nie in der deutschen Geschichte eine Lektion gründlich war (Sternberger 1946, S. 17). beispiellosesten Zusammenbruch .., den unser Volk jemals in seiner Geschichte erlebt hat (Kaiser 1946d, S. 207). Der radikale Bruch mit unserer militaristischen Vergangenheit .. führt uns .. vor die Frage, was aus unseren geschichtlichen Traditionen überhaupt nun werden wird (Meinecke 1946, S. 156). unser herkömmliches Geschichtsbild .. bedarf jetzt allerdings einer gründlichen Revision, um die Werte und Unwerte unserer Geschichte klar voneinander zu unterscheiden (Meinecke 1946, S. 156 f.).
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Das Gegenwärtige lebt aus dem Vergangenen, und das Vergangene lebt selbst im Gegenwärtigen. Wir entfliehen der Gegenwart nie durch Versenken in das Vergangene, das immer noch da ist, immer noch Gegenwart baut und in der Krisis der Gegenwart zerstörerisch fortwirkt. Was soll uns .. die Frage .. nach den geistesgeschichtlichen Hintergründen der gegenwärtigen Krisis ..? Die historische Besinnung holt das Historische nicht um seiner selbst willen herauf, sie betrachtet es als gegenwärtige Wirkmacht .. Sie lehrt uns einmal die Gegenwart und ihre geistigen Wirkmächte wirklich kennen; sie lehrt uns zugleich, die Menschen unserer Zeit verstehen, ihre geistige Verfassung, ihre Motive und Ziele, so wie sie ihnen aus der geschichtlichen Entwicklung überkommen sind, in der ja alle Menschen als geschichtlich von Vergangenheit durch Gegenwart in Zukunft wandernde Menschen stehen. (Steinbüchel 1946/47, S. 20 f.) den dunkelsten Abschnitt deutscher Geschichte (Pribilla 1947, S. 50). Wohl zu keiner Zeit unserer Geschichte ist die Aufgabe [der Dichter, die Probleme der Zeit zu erfassen und ihren Gefahren zu begegnen] so schwer gewesen wie jetzt (Huch 1947a, S. 102). [es] kann nicht ausbleiben, daß, sobald die Dinge von Grund her aufgewühlt werden und die geschichtliche Wirklichkeit im Sturm umwälzender Ereignisse jäh ihr Antlitz wandelt, auch die Vergangenheit plötzlich in Bewegung gerät und sich vor den Augen des Betrachters zu einer neuen Ordnung umgliedert. (Litt 1948, S. 111) So kann es nicht anders sein, als daß der Größe und Gewalt, die an und durch uns geschehen ist, das Maß der Eingriffe entspricht, die an unserem Geschichtsbild vorgenommen werden müssen, damit es sich mit der gewandelten Lage im Einklang halte. .. was der uns obliegenden Revision des Geschichtsbildes eine erhöhte Wichtigkeit verleiht [ist die Aufgabe], den historischen Horizont von den Entstellungen zu säubern, die ihm durch die nationalsozialistische Pseudohistorie zugefügt worden sind. (Litt 1948, S. 111 ff.) das letzte Zerwürfnis mit unserer Vergangenheit .. Verfeindung mit der eigenen Geschichte (Litt 1948, S. 122 f.). Sind wir so auserwählt – wie würden wir in den Augen der Nachwelt dastehen, wenn wir uns nachsagen lassen müßten, wir seien mit fahrlässig getrübtem oder vorsätzlich verdunkeltem Bewußtsein dabei gewesen? Wir, die wir uns auf unseren „historischen Sinn“ soviel zugute zu tun gewohnt waren! Nein, da es nun einmal unser Schicksal ist, in eine Lehrzeit hineingeworfen zu sein, wie sie der Menschheit nur alle tausend Jahre beschieden zu sein pflegt, so wollen wir unsere Ehre daran setzen, diesen Kursus mit jenem Höchstmaß von Entschlossenheit, Aufnahmebereitschaft und Hingabe zu absolvieren, das erforderlich ist, damit von dem Gehalt dieser unausschöpfbaren Zeit soviel wie möglich in den Besitz unseres Geschlechts übergehe. Das eben ist die Mission, die der Geist der Geschichte uns, den Überlebenden der Katastrophe, auferlegt hat, daß wir in die Helligkeit des Gedankens und in die Wachheit des Gewissens emporheben, was das Drama dieser Weltstunde dem Wissensbereiten an blendenden Aufschlüssen zur Verfügung stellt. (Litt 1948, S. 130 ff.) Wir fordern die Lebendigmachung der demokratischen Tradition des deutschen Volkes bei der Entwicklung eines neuen Geschichtsbildes für die gesamte Erziehung unseres Volkes (NDPD 1948, S. 650). Ich fühle, daß wir inmitten der gewaltigsten Revolution unserer Geschichte stehen .. Unsere Zeit hat Verzweiflung und Untergangsstimmung und Optimismus und Glück wie keine Zeit zuvor. Ich werde schon durchkommen, ich werde sie schon
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überstehen, .. wir stehen vor einem Anfang, der so versprechend ist in seiner Gewalt, daß man nicht anders sein kann als stark und optimistisch .. Das Unheil liegt hinter uns, jetzt nur noch hindurch durch den Schutt. (Kolbenhoff 1949, S. 91) Eben weil wir nicht Marionetten in der Hand von Entwicklungstendenzen sind, die gedankenlos folgen müssen, können wir unsere Gegenwart nur bestehen in radikalster Reflexion auf das in ihr zu Tuende. Diese Reflexion gehört geradezu zum Lebensvollzuge der Gegenwart. Alle lebendige Existenz vollzieht sich im Positionsnehmen, das eine bewußte Abgrenzung gegenüber der Vergangenheit voraussetzt. Erst aus dem lebendig gewordenen Wissen, welche Kräfte der Vergangenheit man als innerlich verwandt bejaht, gegen welche Kräfte der Vergangenheit man sich ablehnend verhält, erwächst einer Zeit das Wissen um ihre eigenste Aufgabe. .. wir, die wir das Problem unserer Zeit tiefer empfinden und kein so ungebrochenes Zutrauen zur Geschichte haben, glauben, unserer Zeit gegenüber auf diese Selbstbesinnung nicht verzichten zu dürfen. (Müller-Armack 1949, S. 32 f.) Eine Zeit, welche einen Geistesumbruch von solchem Ausmaß erlebt wie die Gegenwart, ist direkt aufgefordert, an diese überfällige Revision vieler Geschichtsurteile zu gehen. (Nigg 1949, S. 12) Heute, da unter den Trümmern der Katastrophe des letzten Krieges auch die Tafeln der Geschichte zerbrochen liegen und zahllose Menschen fragen, was denn überhaupt noch von der deutschen Vergangenheit Geltung beanspruchen darf, ist die Frage nach der Wahrheit jener Idee, die das geschichtliche Denken der Deutschen doch weithin geleitet hat von grundlegender Bedeutung. .. aus .. tiefe[n] und grundsätzliche[n] Einsichten kommende Urteile richten sich kritisch gegen das mit jener Ideenlinie zusammenhängende Geschichtsbild. Es ist geradezu als eine offene Frage angesehen worden, ob mit der Gestalt des dritten Reiches auch seine Idee überwunden sei, eben jene Idee, die ihre Nahrung aus dem traditionellen deutsch-nationalen Geschichtsbild gezogen habe (Kupisch 1949, S. 7 f.). Muß doch die Geschichte, wie Ranke sagt, von Zeit zu Zeit immer wieder umgeschrieben werden, und gewiß ist heute so ein Augenblick gekommen. (Kupisch 1949, S. 46) Erschütterung aller bisherigen Grundlagen und das Ende aller bisherigen geschichtlichen Wege in einem Chaos, das sein weltgeschichtliches Vorbild in der Zerstörung Karthagos haben könnte. (Jacob 1950, S. 86) Nur dann kann man .. eine gute Politik machen, wenn man sich darüber klar wird, wie sehr doch auch in den stürmischen Zeiten, in denen wir leben, das Eine, das, was kommt, eine Folge dessen ist, was vorangegangen ist, und wenn man sich .. darüber klar wird, wie stark schließlich doch der Strom ist, in dem die ganze Geschichte fließt. (Adenauer 1951a, S. 225) Das Dritte Reich selbst stand in mannigfacher Hinsicht jenseits der Geschichte, jenseits der faßbaren historischen Überlieferung und außerhalb des sichtbar ausgeprägten Strombettes des deutschen Werdens. Schon die Tatsache, daß das Reich den Nationalsozialisten sich als ein tausendjähriges Reich gab .., erlaubt die Frage, ob das Reich Adolf Hitlers überhaupt Ereignis einer geschichtlichen Zeit oder nicht vielmehr ein Sprung aus der Geschichte in das historische Nichts gewesen sei. (Freund 1954, S. 319 f.) Spekulationen über den Endzeit-Charakter unserer Geschichte .. tiefe[r] Bruch im Kontinuitätsbewußtsein unseres Geistes (Paeschke 1954, S. 461 f.).
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Gesundung
Gesundung gesunden Genesung · genesen Nichttäter Zur Konzeption der Selbstwahrnehmung gehört die Vorstellung einer Vergangenheit, die man schnell überwinden, und einer Zukunft, die man rasch erreichen möchte. Unter dieser Voraussetzung gebrauchen die Nichttäter das metaphorische Feld ÕReinigung, ÕKatharsis und Gesundung. Darüber hinaus steht die Gesundungs- und ReinigungsMetaphorik sowohl mit dem Konzept der verschütteten deutschen Werte (Õverschüttet), als auch mit dem der Selbstwiederfindung (Õdeutsch) in semantischer Beziehung. Die Bezeichnungen dieses Feldes stellen einen Vergangenheitsbezug her: ÕReinigung und ÕKatharsis implizieren Verunreinigung und Schmutz, verschüttet bezeichnet vorübergehendes Vergrabensein, ÕGesundung bezieht sich auf vergangenes Kranksein (Õkrank). Insofern haben die Bezeichnungen dieses metaphorischen Feldes die Funktion der Abgrenzung von der eigenen Vergangenheit. Vor allem aber bezeichnen diese metaphorischen Konzepte einen Zustand, der in die ÕZukunft verweist und auf die Rehabilitierung der Deutschen. Im Bedeutungsnetz des Schuldbegriffs stellen außerdem ÕVerantwortung, ÕHaftung und ÕWiedergutmachung eine semantische Beziehung zu ÕReinigung und Gesundung her, jene werden gleichsam als Nachweis und Voraussetzung vollzogener Reinigung und Gesundung verstanden. Sie sind insofern zudem begriffliche Konstituenten von ÕSühne. Vergangenheitsbezogen korrespondiert die Gesundungs-Metaphorik mit dem Konzept der krank gewordenen Deutschen, zu dem sie in einem semantisch kohärenten Verhältnis steht (s. Grimme 1946e, S. 146 f.; Litt 1947, S. 7 f.). Zukunftsbezogen bezieht sie sich, wie Katharsis und Reinigung, auf die Wiederherstellung eines Wertesystems, moralische, seelische Gesundung, innere Genesung (s. Schumacher 1945b, S. 252; Meinecke 1946, S. 154; Litt 1947, S. 7 f.; Rothfels 1954, S. 156) sowie auf die Deutschen als Gemeinschaft, nationale Gesundung, Gesundung unseres Volkes, der deutschen Seele (s. Grimme 1946e, S. 146 f.; Bolz 1948, S. 15). Zur moralischen Gesundung unseres Volkes ist es nötig, ihm zu beweisen, daß jedem Frevel die Sühne folgt (Schumacher 1945b, S. 252).
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Glaube
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Wir hoffen zu Gott, daß .. der Geist des Friedens und der Liebe zur Herrschaft komme, in dem allein die gequälte Menschheit Genesung finden kann (Stuttgarter Schulderklärung 18.10.1945). Das deutsche Volk ist zur Zeit in einem derartigen geistigen und seelischen Zustand, es ist derartig alles, schlechthin alles bei ihm zusammengebrochen .., daß man schon die tiefsten Kräfte, die in jedes Menschen Seele schlummern, erwecken muß: das sind die religiösen, um es wieder der Gesundung entgegenzuführen (Adenauer 1946, S. 145). Ein Körper, der krank ist, gesundet nicht allein dadurch, daß man ihm diese oder jene Kost entzieht, er braucht die ihm gemäßen Aufbaustoffe. Und das sind für die deutsche Seele jene echten, verlacht gewesenen Werte, an deren Schau sie wieder blank und gerade wird (Grimme 1946e, S. 146 f.). innere Genesung (Meinecke 1946, S. 154). Es wäre wahrlich besser, wir könnten die Akten dieser Krankheitsgeschichte unentrollt lassen. Mit der uns gestellten Aufgabe werden wir nur fertig werden, wenn wir seelisch gesunden, und seelische Gesundung wird es für uns nicht geben ohne eine nichts beschönigende oder unterdrückende Rechenschaftsablage über das Geschehene (Litt 1947, S. 7 f.). der Begriff der Demokratie, dessen unterschiedliche Auslegung als westliche oder östliche, freie oder autoritär gelenkte Demokratie [stiftet] gerade dort heillose Verwirrung .., wo die wahre eindeutige Demokratie das einzige Mittel zur Gesundung sein würde (Pechel 1947, S. 248). Entnazifizierung und Entmilitarisierung waren eine Notwendigkeit. Sie haben im Osten dazu beigetragen (und müssen auch im Westen dazu beitragen), den Weg zu nationaler Gesundung .. freizumachen (Bolz 1948, S. 15). eine Voraussetzung seelischer Gesundung ist, sich auch peinlichen Wahrheiten zu stellen (Rothfels 1954, S. 156).
Glaube Glaubensverfolgung glauben Täter Die Deutungen der Täter, mit denen sie ihre Vergangenheit zum Zweck der Selbstentlastung interpretieren, verdichten sich lexikalisch zum einen in solchen Bezeichnungen, die ihr Denken und Wollen aufwerten (neben Glaube ÕDienst, ÕHoffnung, ÕLiebe, ÕPflicht), zum andern in dem Deutungsmuster ÕIrrtum, mit dem sie ihr Handeln verharmlosen. Glaube bildet zusammen mit ÕLiebe und ÕHoffnung ein semantisches Netz von Leitwörtern, die im nachkriegsdeutschen Täterdiskurs im Kontext von Schuldbekenntnissen gebraucht werden. Natürlich gebrauchen Täter die Ausdrücke Glaube, Liebe und Hoffnung
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Glaube
nicht, wie die christliche Tugendlehre, im Sinn eines wechselseitigen Bedingungskomplexes (zu Glaube vgl. RGG 2000 III, S. 940–983; zu Liebe RGG 1960 IV, S. 361–370; zu Hoffnung RGG 2000 III, S. 1822–1828.). Sie setzen vielmehr auf den ethischen Hochwert jeder einzelnen dieser geistesgeschichtlich tradierten, tief verwurzelten Maximen. Diese „Edelsubstantive“ (Adorno 1964/1980, S. 9) dienen den Tätern im Rahmen ihrer Schuldbekenntnisse der selbstüberhöhenden Schuldabwehr. Denn diese Bekenntnisse rekurrieren auf den Anspruch, Handeln und Wollen, Denken und Fühlen an einem ethisch-moralischen Wertesystem orientiert zu haben. Diese idealisierende Selbstcharakterisierung entspricht einem Leugnen von ÕSchuld. Glaube im Sinn von ‚unbedingtes, nicht auf rationales Wissen zurückgehendes, sondern gefühlsmäßiges Überzeugtsein‘ ist eine Universalie der nationalsozialistischen Deontologie (vgl. SchmitzBerning 1998, s.v. Glaube). Sie wurde von Hitler bereits in der sog. ‚Kampfzeit‘ beschworen: „Das ist das gewaltigste, das unsere Bewegung schaffen soll: für diese breiten suchenden und irrenden Massen einen neuen Glauben“ (Rede vom 18.4.1922, zit. nach Schmitz-Berning 1998, a. a. O.), und war dann Verpflichtung eines jeden: „Der Glaube an den Führer und sein Werk bestimmen das Ausmaß der Verantwortung jedes einzelnen.“ (Völkischer Beobachter, 23.11.1938, zit. nach Schmitz-Berning 1998, a. a. O.) In diesem Sinn konsequent interpretiert Rosenberg die Entnazifizierungsmaßnahmen der Nachkriegszeit als größte Glaubensverfolgung (s. Rosenberg 1945/46, S. 298). Nach dem 8. Mai 1945 berufen sich die Täter auf diesen von ihnen geforderten Glauben, mit dem sie, dem nationalsozialistischen Anspruch entsprechend, vor allem (wie mit ÕHoffnung) auf Hitler und den Nationalsozialismus referieren, während sie sich mit ÕLiebe auf ‚Vaterland‘ beziehen: in meinem Glauben an Adolf Hitler, mit meinem Glauben verstärkte ich den Glauben des deutschen Volkes (s. Kaltenbrunner 1946, S. 434; Fritzsche 1946, S. 463). Vgl. Schmitz-Berning 1998, s.v. Glaube Die heutige Verfolgung aller Nationalsozialisten [die] größte Glaubensverfolgung (Rosenberg 1945/46, S. 298). Ich weiß nur, daß ich meine ganze Kraft meinem Volk in meinem Glauben an Adolf Hitler zur Verfügung stellte (Kaltenbrunner 1946, S. 434). Ich glaubte an die amtlichen deutschen Dementis gegen alle ausländischen Meldungen über deutsche Greueltaten. Mit meinem Glauben verstärkte ich den Glauben
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Glück
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des deutschen Volkes an die Sauberkeit der deutschen Staatsführung. Das ist meine Schuld, nicht mehr – nicht weniger. (Fritzsche 1946, S. 463) Ich habe geglaubt, ich habe geirrt und war nicht imstande zu verhindern, was hätte verhindert werden müssen. Das ist meine Schuld (Keitel 1946, S. 431). Die Gerechtigkeit erfordert .., daß uns der gute Glaube ebenso zugebilligt wird, wie denjenigen Kommandanten der alliierten Streitkräfte, deren militärische Maßnahmen schwerste Verluste Unschuldiger und größtes Elend verursacht und unersetzliche, der ganzen Menschheit gehörende Kulturwerte vernichtet haben. (List 1950, S. 240) Leitstern .. Fahneneid ohne jede Konzession nach rechts und links .. auf den „Führer“ vereidigt .. vorbehaltlos an den Eid gebunden .. [Wir glaubten] kritiklos (Kesselring 1953, S. 28).
Glück glückhaft Opfer Im Sinn von ‚hochgestimmter Zustand vollkommener Zufriedenheit‘ und Gegensatz von ÕAngst ist diese Bezeichnung Ausdruck für das Bemühen der Opfer, in ihren Darstellungen von Seelenlagen im KZ Extreme zu vereinbaren, indem die Berichterstatter nicht nur ihr Leiden erinnern, sondern z. B. auch Glücksempfinden beschreiben als eigentlich mit der Wirklichkeit des Lageralltags unvereinbare Gegensätzlichkeit. Unter der Voraussetzung dieser von Sterben und ÕTod gekennzeichneten Wirklichkeit kann Glück gleichbedeutend sein mit Leben und auch ÕAuschwitz ist unter Umständen mit Glück in einen semantischen Einklang zu bringen (s. Kautsky 1948, S. 316). Solche eigentlich vollkommen inkongruenten, mit dem KZ-Universum unvereinbaren Beschreibungskategorien sind kompensatorische Idyllisierungen, lebenserhaltende Entwirklichungen seelischer Zustände, die wie alle lexikalischen Elemente des Schulddiskurses der Opfer die Inhumanität und den Vernichtungswillen der Täter implizieren. Glück ist, was einem erspart bleibt (Frankl 1945, S. 79). Natürlich stellen alle diese armseligen „Freuden“ des Lagerlebens so recht ein Glück im negativen Sinne Schopenhauers dar, nämlich ein Freisein vom Leid (Frankl 1945, S. 79). eine unvermutete Einreihung in einen kleinen Transport zu einem Sonderkommando mit besonders günstigen Arbeitsbedingungen .. Dinge, wie sie nun einmal die Sehnsucht und das höchste „Glück“ eines Lagerhäftlings ausmachen. (Frankl 1945, S. 132)
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Haftung
Ich war ganz berauscht von diesem Publikum, das so empfänglich war für die leisesten Töne, die zartesten Andeutungen, die innigsten Exklamationen .. Ich liebte die Häftlinge in diesem Augenblick und wollte, daß sie mit mir liebten. Langsam wich das Starre, Verkrampfte in den Zügen, die stumpfen Augen belebten sich und ließen den Blick nach innen aufgehen, die allgemeine Gespanntheit löste sich, und ein Hauch von Wärme, Weichheit, Menschlichkeit wehte über die Herzen. Solche glückhaften Sekunden dauern nicht lange, können nicht lange dauern .. dieser Zustand .. bleibt so lange eine Täuschung, als diese erahnten Möglichkeiten des Herzens nur in konjunktiver Form anerkannt werden – „ach, wenn es doch so wäre!“ (Vermehren 1946, S. 116 f.) Man kann sich unsere Stimmung vorstellen, als wir im Oktober 1942 auf Transport nach Auschwitz geschickt wurden; aber wir hatten Glück: Wir kamen nicht nach Birkenau in die Gaskammern, sondern nach Buna zur Arbeit. (Kautsky 1948, S. 316)
Haftung Erbenhaftung · Gesamthaftung haftbar · gesamthaftbar haften Nichttäter Die Diskursgemeinschaft der Nichttäter ist besorgt um die Belegung der deutschen Zeitgenossen mit dem Kollektivschuldvorwurf der Welt, den sie zurück weist (ÕKollektivschuld). Gleichzeitig erkennt sie eine kollektive Verantwortung der Deutschen an, woraus sie die Verpflichtung zur Haftung aller Staatsbürger für die Folgen staatlicher Handlungen und zur ÕWiedergutmachung ableitet. Die Wortfamilien Haftung (s. Ebbinghaus 1945a, S. 155 f.) und Wiedergutmachung (s. Deiters 1945, S. 9) bezeichnen die Bereitschaft der Diskursgemeinschaft, die Konsequenzen aus der Übernahme von ÕVerantwortung zu tragen. Um Einsicht in eine moralische Schuld der Deutschen auszudrücken, manifestiert also die Diskursgemeinschaft unter dem Zeichen der Leitvokabeln ÕVerantwortung, Haftung und ÕWiedergutmachung ihre Erkenntnis über die moralisch schuldigen und damit verantwortlichen Deutschen, und Verantwortung, Haftung und Wiedergutmachung bilden so ein semantisches Bedingungsgefüge. Im Bedeutungsnetz des Schuldbegriffs stellen Verantwortung, Haftung, Wiedergutmachung darüber hinaus eine semantische Beziehung zu ÕReinigung, ÕKatharsis und ÕGesundung her insofern, als
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Haftung
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Verantwortung, Haftung und Wiedergutmachung gleichsam als Nachweis vollzogener Reinigung, Katharsis und Gesundung im Sinn von innerer Umkehr verstanden werden (s. Röpke 1948, S. 114). Sie sind zudem begriffliche Konstituenten von ÕSühne. Die Wortfamilie Haftung schließt begrifflich „an ältere, vormoderne gesellschaftliche und Rechtsverhältnisse [an], wie sie in der germanischen Rechtstradition bestanden“. Die „Sippe“ als „Haftungsverband“, dieser „Gedanke einer kollektiven materiellen Haftung und moralischen Verantwortung“ (Reichel 2001a, S. 28) motiviert das Bedürfnis der Diskursteilnehmer, für nationalsozialistisches Unrecht einzustehen (s. Ebbinghaus 1945a, S. 155 f.). Mit ebenso großer Bereitwilligkeit, wie die Nichttäter die deutsche Schuld in der ethisch-moralischen Kategorie Verantwortung fassen, gebrauchen sie die Wortfamilie Haftung, um ihre Bereitschaft auszudrücken, für die Folgen der nationalsozialistischen Taten einzustehen: kollektiv haften, politische Haftung, wir sind gesamthaftbar, gemeinsame Haftung, moralischjuristische Kollektivschuld im Sinne der öffentlichrechtlichen Haftung (s. Jaspers 1946, S. 145; Jaspers 1946, S. 161; Heuss 1946b, S. 204; Keil 1948, S. 701; Röpke 1948, S. 114). Verantwortung und Haftung für die Verbrechen des nationalsozialistischen Rassismus und Antisemitismus, auf diese bezogene Wiedergutmachung und in diesem Sinn eine Handlungsverpflichtung bezeichnende Ausdrücke der Politik sind ÕVerantwortung, Haftung und ÕWiedergutmachung vor allem im Westen (während man sich in der SBZ/DDR auf die nationalsozialistischen Kriegsverbrechen bezieht). „Man kann sagen, der Nationalsozialismus ist in der Bundesrepublik normativ internalisiert worden“, was bedeutet: „die Anerkennung der Haftung der Bundesrepublik für die Folgen des ‚Dritten Reiches‘ und die Akzeptanz einer auf den Nationalsozialismus und seine Verbrechen bezogenen normativen Orientierung in der politischen Kultur der Bundesrepublik“. (Lepsius 1989, S. 233) Es war Deutschland selbst, das durch seine Regierung die Welt ins Unglück gestürzt hat, und deshalb muß jeder Deutsche für dieses Unrecht und die damit verbundene Schande mit einstehen. [Die] Pflicht zu solchem aus der Staatsgemeinschaft selber folgendem Einstehen aller für das Ganze [ist] die staatsbürgerliche oder politische Verantwortung der Deutschen .. wenn mit der Verkündigung der allgemeinen Verantwortung aller Deutschen nur diese Gesamthaftung gemeint sein soll, so kann darüber, wie ich denke, kein Zweifel bestehen. (Ebbinghaus 1945a, S. 155 f.) Daß wir für die Politik, die zwölf Jahre in unserem Namen geführt worden ist, politisch und juristisch verantwortlich sind, ist eine Selbstverständlichkeit. Diese Haf-
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Haltung
tung ergibt sich einfach aus dem Fortbestand des deutschen Volkes als einer geschlossenen Masse auf dem größten Teil ihres alten Bodens .. wir [müssen] solidarisch die Verantwortung auf uns nehmen für das, was in unserem Namen an unerhörten Freveln verübt worden ist. Wir müssen aus eigenem Entschluß versuchen wiedergutzumachen, was möglich ist, und unsere ganze Kraft dafür einsetzen, daß durch Menschen unserer Sprache und unseres Blutes nie wieder dergleichen geschieht (Deiters 1945, S. 9). [Kollektivschuld kann] es außer der politischen Haftung nicht geben (Jaspers 1946, S. 145). Wir haften kollektiv (Jaspers 1946, S. 161). Jeder Deutsche, ausnahmslos, hat teil an der politischen Haftung. Er muß mitwirken an den in Rechtsform zu bringenden Wiedergutmachungen. (Jaspers 1946, S. 171) Es gibt kein Entrinnen aus dem deutschen Gesamtschicksal. Wir sind und bleiben gesamthaftbar für das, was wir erlebt haben (Heuss 1946b, S. 204). Wir Deutschen befinden uns .. in einer ähnlichen Lage wie die Kinder eines nach betrügerischem Bankrott verstorbenen Vaters, die die Erbschaft nicht ausgeschlagen haben. Sie sind dann zwar nicht schuldig, wie der Verstorbene, aber sie haften; und diese Erbenhaftung verpflichtet uns zur Wiedergutmachung (Harm 1946, S. 30 f.). Heute sind wir Deutschen alle in der gleichen Verdammnis. .. wir zählen alle zum deutschen Volke und werden ohne Unterschied haftbar gemacht für die Folgen der wahnwitzigen Politik, die in seinem Namen getrieben worden ist. Aus dieser gemeinsamen Haftung kann sich keiner befreien (Keil 1948, S. 701). So .. wie die Gesamtheit eines Volkes die Haftung für die Schulden einer Regierung auch dann übernehmen muß, wenn es sie durch eine Revolution desavouiert hat, muß sie auch den Schaden grundsätzlich wiedergutmachen, den seine Regierung anrichtet. Es ist dies nicht eine Schuld des einzelnen, sondern der durch den Staat vertretenen Gesamtheit .. unterschiedslose[..] moralisch-juristische[..] Kollektivschuld, im Sinne .. der öffentlichrechtlichen Haftung (Röpke 1948, S. 114).
Haltung Nichttäter Haltung in der Bedeutung ‚entschiedene Einstellung, Position, feste Grundeinstellung‘ ist eine von den Nichttätern gebrauchte zukunftsbezogene Bezeichnung einer Wunsch-Identität, eines künftigen Fühlens, Denkens, Wollens und Sollens. Haltung referiert auf das Konzept ‚künftiges deutsches Wesen‘ (Õdeutsch). Insofern bezeichnet Haltung eine von Entschlossenheit und Bestimmtheit geprägte, dem nach 1945 gültigen Wertesystem und dem politischen Weg der Demokratie angeschlossene Befindlichkeit. daß wir auch im Unglück Haltung und Würde zeigen und unser Deutschtum nicht aus Selbstsucht oder Feigheit verraten (Steltzer 1945, S. 36).
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in dem „auch“ ist keine Haltung, und auf sie kommt es an. Sühne ist die Haltung dessen, der sich seiner Würde, ob sie auch verletzt ist, bewußt bleibt und sie wiedergewinnen will .. . Ein Volk, das sich zu einer einheitlichen Haltung entschlossen hat, ist eine Persönlichkeit in der Geschichte; ein Volk ohne Haltung ist nichts. (Schneider 1945, S. 214) Wir .. entscheiden uns für die Haltung ..: So wertvoll zu sein wie möglich und andere in Frieden zu lassen (Windisch 1946, S. 217). neue[..] innere[..] Haltung .. aus einer neuen Gotterfülltheit (Geiler 1946c, S. 177). eine würdige Haltung ist die des aufrechten, maßvollen und gerechtdenkenden freien Mannes! (Brauer 1946, S. 26) Fassen wir .. Mut zu .. einer Haltung, in der man weiß, daß das Recht des Irdischen .. nicht am Tage liegt, sondern im .. Gott und seiner Offenbarung geglaubt wird .. Wenn wir den Mut zu einer solchen Haltung gewinnen, dann werden wir eine der Lebensmächte zurückerobern (Asmussen 1947, S. 18). Die Geduld bleibt die uns Deutschen auferlegte von nicht allen begriffene Tugend oder Haltung (Heuss 1953, S. 242).
hart Täter Hart und grausam bilden im Nachkriegsdiskurs der Täter eine semantische Opposition. Die Grenzziehung zwischen moralisch zu billigender Härte und ethisch verwerflicher Grausamkeit beruht auf dem der nationalsozialistischen Weltordnung zugeschnittenen >Wertesystem<. Zur Vorgeschichte des nationalsozialistischen Gebrauchs gehört die im Deutschen geläufige Wortverbindung hart, aber gerecht und Nietzsches in dem Zarathustra-Diktum überlieferte Formel Gelobt sei, was hart macht. Theodor Haecker notiert dazu am 31. März 1940 in seinem Tagebuch eine Hörbegegnung mit Goebbels: „Wie erschrak ich, als die ausgestorbenste Stimme des Reiches seine Rede endete: ‚Gelobt sei …‘ Er machte sogar eine Pause – sollte er sich vergessen haben, in Kindererinnerungen gefallen sein? Aber er fuhr fort: ‚was hart macht‘. Ja, das ist wieder in der Reihe. Die Religion des deutschen Herrgotts ist die Religion des steinernen Herzens.“ (Haecker, Tag- und Nachtbücher 1939–1945, S. 43) Hart bezeichnet eine Leittugend des Nationalsozialismus und ist Gütesiegel der SS. Bekannt ist die als Lob gedachte Interpretation Heinrich Himmlers, die er anlässlich einer Rede auf der SS-Gruppenführertagung in Posen am 4. Oktober 1943 liefert: „Von euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammen lie-
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hart
gen, wenn 500 da liegen oder wenn 1000 da liegen. Dies durchgehalten zu haben und dabei – abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwäche – anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht“ (zit. nach Nürnberger Prozess XXIX, S. 145). Insofern erklärt sich Eichmanns Unverständnis als er „im Polizeiverhör gefragt wurde, ob die Direktive, ‚unnötige Härten zu vermeiden‘, nicht einen ironischen Klang habe, angesichts der Tatsache, daß die Bestimmung dieser Menschen sowieso der sichere Tod war“, denn „die Überzeugung, daß nicht Mord, sondern einzig die Zufügung unnötiger Schmerzen eine unverzeihliche Sünde sei“, war bei ihm, der „während des Prozesses unverkennbare Anzeichen aufrichtiger Empörung [zeigte], wenn Zeugen über Grausamkeiten und Greueltaten der SS berichteten“, fest verankert. „In echte Erregung versetzte ihn nicht die Beschuldigung, Millionen von Menschen in den Tod geschickt zu haben, sondern allein die (vom Gericht zurückgewiesene) Beschuldigung eines Zeugen, er habe einen jüdischen Jungen zu Tode geprügelt.“ (Arendt 1964a, S. 198 f.) In dieser Logik nationalsozialistischen Denkens begründet ist der Gebrauch von hart bei den Tätern nach 1945. Das Wort hat bei ihnen die Funktion, Schuld abzuwehren und zu entlasten. Dazu konstruieren sie außerdem eine semantische Opposition zu grausam, die durch die adversativen Konnektoren aber und doch ausgedrückt wird. Vgl. Schmitz-Berning 1998, s.v. hart, Härte Sie können es glauben oder nicht – aber ich sage es in tödlichem Ernst: Grausam bin ich nie gewesen! Ich gebe zu, ich war hart, ich leugne nicht, daß ich nicht gerade schüchtern war, wenn es sich darum handelte, 1000 Mann erschießen zu lassen, zur Vergeltung, als Geiseln oder was Sie wollen. Aber Grausamkeit – Frauen und Kinder foltern – du lieber Gott! Das lag meiner Natur fern. (Göring 1945, zit. nach Gilbert 1995, S. 185) ich [wollte] meine Weichheit nicht eingestehen .. Ich wollte als hart verschrien sein, um nicht als weich zu gelten (Höß 1947, S. 67). Ja, ich war hart und streng – wie ich es heute sehe – oft zu hart und zu streng. Wohl habe ich in der Verärgerung über angetroffene Missstände oder Nachlässigkeiten manch böses Wort gesagt, manche Äußerung herausgestoßen, die ich nie hätte tun dürfen. Doch niemals war ich grausam – nie habe ich mich zu Misshandlungen hinreißen lassen. (Höß 1947, S. 150)
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heute
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heute Heute heutig · Heutige Täter/Nichttäter
Der in der Nachkriegszeit im Diskurs der Täter und der Nichttäter häufige Gebrauch des zeitdeiktischen heute im Sinn von ‚jetzt, nachdem der Krieg und die nationalsozialistische Herrschaft beendet sind‘ dokumentiert die Wahrnehmung einer Zäsur im Sinn eines deutlichen Bruchs zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Das Bewusstsein von dieser Zäsur ist dominantes Merkmal, so dass das Gegenwartsbewusstsein der Täter und der Nichttäter in der frühen Nachkriegszeit vor allem von der Vorstellung von Diskontinuität geprägt ist. Täter Täter gebrauchen heute in die Gegenwart abwertenden Kontexten (s. Schmitt 1945–1947, S. 77; Rosenberg 1945/46, S. 340). Sie verwenden heute im Zusammenhang mit eigenen Bewertungen des Nationalsozialismus unter den Bedingungen der neuen Herrschaftsverhältnisse, z. B. Antisemitismus, wie wir ihn heute feststellen, Verbrechen, die heute bekannt geworden sind, heute sehe ich ein, dass die Judenvernichtung grundfalsch war, ich schreibe, wie ich es heute sehe (s. Kaltenbrunner 1946, S. 432; Göring 1946, S. 420; Höß 1947, S. 147 f.; Speer 1953, S. 345; Kesselring 1953, S. 9). Mit der festen Verbindung heute noch bewerten sie von ihnen für unzeitgemäß gehaltene Sachverhalte. Diese Sachverhalte beziehen sich auf Entnazifizierungsmaßnahmen der neuen Herrscher: Umfang, in dem heute noch Anhänger Hitlers verfolgt werden, Beamte und Angestellte, die heute noch festgehalten werden (s. Frank 1945/46, S. 430; Frick 1946, S. 438). Nichttäter Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, Kontinuität der persönlichen Existenz und vollständiger Wandel ihrer Bedingungen sind die Bewusstseinslagen, die das Lebensgefühl derjenigen bestimmen, die das Jahr 1945 als Bruch wahrnehmen als „Zeitpunkt des Jetzt‘, der ‚die Grenze [ist] zwischen Noch-nicht und Nicht-mehr“ (RGG VI 1962, S. 1881). Zwar ist Zeitreflexion, das Beziehen der Zeiten und ihrer Erscheinungen aufeinander, die Kausalisierung der ÕGegen-
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heute
wart aus der Vergangenheit und die Motivierung der ÕZukunft aus der Gegenwart ein genuin historiographisches Denkmuster. In der frühen Nachkriegszeit ist es jedoch ein allgemeiner Reflexionsmodus. Diese auf das Jetzt als Bewusstseinskategorie referierende Haltung drückt sich aus in dem häufigen Gebrauch der Zeitdeiktika heute, ÕGegenwart, ÕStunde, ÕWende, ÕZeit, in den Bewertungen der Gegenwart mit Õapokalyptisch und ÕFinsternis, sowie in den mit nie und niemals gebildeten Wendungen (Õnie). Die mit heute ausgedrückte Gegenwartswahrnehmung der Nichttäter dokumentiert vor allem einen überindividuellen, abstrakten Zeitbezug. Sie deuten und bewerten ihre Gegenwart weniger in Bezug auf ihre persönliche Befindlichkeit, sondern referieren wertend auf die Gegenwart im Sinn von ‚Zeit, in der wir leben‘. Mit den stets wiederkehrenden Zeitdeiktika heute, das/unser Heute, heutig beziehen sich die Nichttäter auf negativ und auf positiv bewertete Sachverhalte. Negativ bewertet werden die vielfältigen Nachkriegszerstörungen und ihre Folgen: das heutige Düster/Dunkel, heute stehen wir vor einer furchtbaren Erbschaft, Welt, die sich für uns heute mit blutigem Ernst als das erwiesen hat, was sie ist, wer kann heute von etwas Sicherem sprechen, heute sind wir alle in der gleichen Verdammnis (s. Preysing 1945b, S. 56; CDU 1945, S. 11; Harbsmeier 1946, S. 50; Meinecke 1946, S. 5; Wunderle 1946, S. 4; Nossack 21.3.1946, Tagebücher 1943–1977 I, S. 75; Künneth 1947, S. 314; Steinbüchel 1947, S. 16; Keil 1948, S. 701; Keil 1948, S. 708). Gelegentlich erhält diese negative Bewertung des Heute eine positive, in die Zukunft verweisende Perspektive: dieses Heutige, Diesseitige ist nur ein Teil unseres Gesamtdaseins (s. Geiler 1947, S. 172 f.; Ritter 1948, S. 200). Daneben drückt heute auch einen positiv bewerteten Gegenwartsbezug aus, auch im Sinn einer Konzession: wir kommen heute bei offenen Türen zusammen (s. Dibelius 1945, S. 112; Jaspers 1946, S. 160; Nossack 1946, Tagebücher 1943–1977 I, S. 89). Darüber hinaus repräsentiert sich in heute, und besonders in der Verbindung gerade heute, das historische Denken der Nichttäter in der frühen Nachkriegszeit. Insofern der Nationalsozialismus Bezugsgröße für jegliches vergangenheits-, gegenwarts- und zukunftsorientierte Denken ist, drückt heute, gerade heute als bewertende Herausstellung der Gegenwart die Einsicht aus, dass die Gegenwart eine Konsequenz einer historischen Entwicklung ist, die mit dem Ende des Nationalsozialismus abschließt: es ist gerade heute größter Aufmerksamkeit wert (s. Wunderle 1946, S. 4; Tellenbach 1946a, S. 237; Gei-
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ler 1947, S. 172 f.; Müller-Armack 1949, S. 26 f.; Freund 1954, S. 316). Täter wir [haben] heute genug uns selber betreffende Fragen zu beantworten, die uns von den verschiedenartigsten Stellen her gestellt werden. Das Motiv der Fragestellung ist meistens, uns selbst in unserer Existenz in Frage zu stellen. (Schmitt 1945–1947, S. 77) die Lautsprecher von heute [sind] für mich ebensowenig eine Instanz .., wie die Lautsprecher von gestern (Schmitt 1945–1947, S. 23). Wie weit scheint mir das alles zurückzuliegen: 12 Jahre sind es erst – mich aber dünken es Jahrhunderte. Hitler, Gürtner, Siebert tot, das Reich zerstört, unser Recht dahin, Trümmer und Elend überall. – Auch heute gilt: es war 1945 ein Ausklang, aber ein rechter Neuanfang ist nicht festzustellen. (Frank 1945/46, S. 162) Zeigen wollte ich vor allem den Irrweg vieler jetzt üblichen Betrachtungen Hitlers, die seine Person in ihrer wirklichen Bedeutung zurückzudrängen trachten, um dafür seine Ideologie und deren Mitträger in ausschließlichen Verantwortungsbann zu ziehen. Das ist in dem geradezu riesigen Umfang, in dem heute noch Anhänger Hitlers zu Millionen als mitschuldig verfolgt werden, eine der größten Ungerechtigkeiten der Weltgeschichte. (Frank 1945/46, S. 430) die heutige Verfolgung aller Nationalsozialisten (Rosenberg 1945/46, S. 298) Jedes Urteil über diese dramatisch große und heute so furchtbare Epoche ist verfrüht. Die Geschichte hat mit dem 8. Mai 1945 nicht aufgehört, die Probleme, die unseren Kampf bestimmten, stehen heute in noch viel größerem Umfange vor der Welt. (Rosenberg 1945/46, S. 316) Die Fahne dieses Reiches wehte an den Pyrenäen, am Nordkap, an der Wolga, in Libyen siegreich wie nie zuvor. Diese Fahne liegt heute zerfetzt unter Trümmern. (Rosenberg 1945/46, S. 340) Der Antisemitismus Hitlers, wie wir ihn heute feststellen, war Barbarei (Kaltenbrunner 1946, S. 432). die schweren Verbrechen, die heute bekanntgeworden sind (Göring 1946, S. 420). Ich vermag nicht heute „Kreuziget ihn!“ zu rufen, da ich gestern „Hosianna“ gerufen habe (Seyß-Inquart 1946, S. 460). Zehntausende pflichttreuer deutscher Beamter und Angestellter des öffentlichen Dienstes, die heute noch .. nur wegen Erfüllung ihrer Pflicht in Lagern festgehalten werden (Frick 1946, S. 438). Wie sehe ich nun heute das Dritte Reich? .. Falsch war .. auf jeden Fall die Ausrottung weiter gegnerischer Volksteile .. . Heute sehe ich auch ein, daß die Judenvernichtung falsch, grundfalsch war (Höß 1947, S. 147 f.). Leute, die heute ihren Widerstand betonen, der damals nur in vorsichtigen Überlegungen bestand, die nie ein anderes Ohr erreichten. (Papen 1952, S. 312) Aber daran ist kein Vorbeikommen. Entweder schreibe ich, wie ich es heute sehe, oder ich lasse es. (Speer 1953, S. 345) Jahre verbrachte ich in Lagern, Gefängnissen – ein Weg, den ich gehen mußte, um hinter die Geheimnisse dieses Lebens zu schauen, so dünkt es mich heute, nachdem mir in diesen Jahren reichlich Gelegenheit zum Nachdenken gegeben ward! (Kesselring 1953, S. 9)
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War es Schuld oder Schicksal, die das deutsche Volk in seine Lage gebracht haben und sein Dasein heute so erdrückend belasten? .. Nicht schlechter oder gar verbrecherischer Wille haben dieses Volk in seine heutige Situation und den niederziehenden Ruf politischer Amoralität gebracht. (Dietrich 1955, S. 280) Nichttäter Advent heißt nicht nur: es wird besser werden, unsere Füße werden auf den Weg irdischen Friedens treten. Sondern: heute, heute ist das Licht da, unser dunkler Weg in Finsternis und Schatten des Todes .. ist durch Jesus heute schon ein Weg des Friedens geworden. (Althaus 1945c, S. 285) das heutige Düster .. Dunkel, das über unserem Vaterlande liegt (Preysing 1945b, S. 56). Heute aber stehen wir vor einer furchtbaren Erbschaft, vor einem Trümmerhaufen sittlicher und materieller Werte .. . Hitler ließ das Land in Schutt und Verödung zurück (CDU 1945, S. 11). wir kommen heute doch bei offenen Türen zusammen; .. Ein Stück Weges sind wir jedenfalls in die Freiheit geführt. .. herausgeführt aus der alten Not. (Dibelius 1945, S. 112) es [ist] gerade heute höchster Aufmerksamkeit wert, daß schon im zehnten Jahrhundert keiner der im ostfränkischen Reich vereinigten Stämme eine staatliche Existenz für sich allein erstrebt! (Tellenbach 1946a, S. 237) angesichts solchen Zusammenbruchs, der uns bis ins Herz hinein betrifft, ist es Gott selber, der durch den Mund der Kirche die Fessel der Schuld löst und zur Tat ruft und ein Neues pflügen will. Angesichts dieser Welt, die sich für uns heute nur mit blutigem Ernst als das erwiesen hat, was sie ist, nämlich eine verlorene Welt, ruft Gott selbst jetzt in die Verantwortung der Tat der Liebe .. Unsere Hoffnung auf die Zukunft, die Gott uns gibt, ist doch nicht zerschlagen, sie ist das, was uns geblieben ist (Harbsmeier 1946, S. 50). Was heute – d. h. in dieser Minute, denn morgen kann es schon anders sein – zum Ausdruck gebracht werden müßte, ist, daß alles in Trümmern liegt, aber der Mensch noch da ist. Also ein gewisses Staunen, das Staunen eines Kindes, das ein Spielzeug zerbrach und den Mechanismus sieht. (Nossack 1946, Tagebücher 1943–1977 I, S. 89) Was in Nürnberg geschieht, mag es noch so vielen Einwänden ausgesetzt sein, ist ein schwacher, zweideutiger Vorbote der der Menschheit heute als notwendig fühlbar werdenden Weltordnung. .. sie ist der denkenden Menschheit als möglich erschienen, am Horizont als kaum erkennbare Morgenröte aufgetaucht .. Unser eigenes Heil in der Welt ist bedingt durch die Weltordnung, die in Nürnberg noch nicht konstituiert wird, auf die aber Nürnberg hindeutet. (Jaspers 1946, S. 160) dies uns heute gestellte Rätsel und die von uns heute erlebte Katastrophe übersteigt für unser Empfinden alle früheren Schicksale dieser Art (Meinecke 1946, S. 5). Die Forderungen, die heute an unser Denken und Leben gestellt werden, sind unendlich viel größer und schwerer als in irgendeiner Phase unserer Geschichte. Und dabei gebricht es uns .. mehr denn jemals an äußeren wie an inneren Mitteln (Wunderle 1946, S. 4). wer kann heute von etwas Sicherem in dieser Hinsicht [der äußeren Existenz] sprechen (Nossack 1946, Tagebücher 1943–1977 I, S. 75).
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wer heute der Judenmorde gedenkt, denkt an die Gaskammern von Auschwitz (Klemperer 1947, S. 142). Niemals haben mehr Denksysteme, Schlagwortfronten und Begriffsschwärme ihre Sprachschlachten geschlagen als heute, und alle hinterließen Begriffstrümmer, Schlagwortrelikte, verkrüppelte oder verblasene Terminationen, die in den Dialogen unserer Tage spuken .. . Es ist die Zeit für die Dichter gekommen, .. die aufgestörte Sprache zu bändigen, das Gelichter der Raub- und Hordenwörter zu verjagen, den Trabantenwirrwarr der geschwollenen Metaphern zu verbannen und zwischen Rausch und Zucht die Sprache [ihrer] Zeit zu finden. (Weisenborn 1947, S. 106) Dieses Heutige, Diesseitige, .., ist ja nur ein Teil unseres Gesamtdaseins, das auch die geistig-seelische Welt und damit sowohl das Vergangene wie in gewissem Sinne auch das Künftige mit umfaßt. Je mehr wir uns der Ganzheit unseres Daseins in diesem Sinne bewußt sind, desto weniger kann das Heutige, Niederdrückende Gewalt über uns gewinnen, desto freier vermögen Geist und Seele in uns ihre Schwingen zu entfalten, .. Aus einem solchen Welterleben .. hat sich .. unsere innere substantielle Haltung der Gegenwart gegenüber zu ergeben. Um sie näher zu bestimmen, ist es nötig, sich darüber klar zu werden, wo wir zeit- und geistesgeschichtlich heute stehen. (Geiler 1947, S. 172 f.) die heutige Weltsituation unter apokalyptischen Vorzeichen (Künneth 1947, S. 314). Daß Studieren heute mehr denn je Arbeit bedeutet, weiß eine Studentenschaft, die durch die Not des Krieges hindurchgegangen ist und die Folgen der Nachkriegszeit .. zu tragen hat (Steinbüchel 1947, S. 16). Wir Deutschen sind von diesem Zustand [menschlichen Glücks] nie so weit entfernt gewesen als heute (Keil 1948, S. 708). Heute sind wir Deutschen alle in der gleichen Verdammnis. .. wir zählen alle zum deutschen Volke und werden ohne Unterschied haftbar gemacht für die Folgen der wahnwitzigen Politik, die in seinem Namen getrieben worden ist. Aus dieser gemeinsamen Haftung kann sich keiner befreien (Keil 1948, S. 701). auf die ‚Höhen der Menschheit‘ im Sinn früherer Jahrhunderte zu gelangen, ist heute für uns weder Hoffnung noch Ziel. Es wird schon sehr viel sein, wenn wir ein leidlich gesichertes Dasein als Kulturvolk retten können. Aber auch dazu bedarf es des Selbstvertrauens an Stelle mutloser Selbstverzweiflung. Und die Betrachtung unserer deutschen Vergangenheit gibt uns dazu – trotz allem – das Recht (Ritter 1948, S. 200). [Gewisse Richtungen der christlichen Theologie, die sozialistische Entwicklungstheorie und die liberale Fortschrittsidee] entwerten alle .. die Gegenwart zugunsten eines Vergangenen oder Künftigen. Es ist doch nicht einzusehen, weshalb, da die Vergangenheit aus einer Folge früherer Gegenwarten sich zusammensetzt und die Zukunft aus einer Folge künftiger Gegenwarten besteht, die heutige Gegenwart einen grundsätzlich geringeren Akzent erhalten soll. (Müller-Armack 1949, S. 26 f.) Was ist das für eine Glaswand, die die Zeiten scheidet, die sich doch jetzt in mir berühren, da ich dies beides, das Damals und das Jetzt doch selbst bin, das Damals nicht weniger als das Jetzt? Was ist die Zeit? Was ist Vergangenheit und Gegenwart? Was ist unsere Existenz in der Zeit? .. Wieso war ich das eine damals und bin ich das andere heute? Was ist denn eigentlich dieses ‚war‘ und ‚bin‘? Für andere, die mir ans Herz gewachsen sind .., ist das Heute noch ihr Jetzt, was für mich heute mein Damals ist, und weil es für sie jetzt noch Gegenwart ist, darum kann es auch für mich nie ganz zur Vergangenheit werden, – und wenn es auch für sie einmal, wie wir
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hoffen, vergangen sein wird, dann wird es für viele andere noch Gegenwart sein. Und was wissen wir, was für uns noch zur Gegenwart werden wird und ob wir nicht wieder einmal aus Gittern und Stacheldraht in die unerreichbare, vergangene Freiheit starren werden, wenn das heutige Jetzt zum Damals geworden sein wird! (Gollwitzer 1951, S. 339 f.) Die Vergangenheit ist noch nicht Vergangenheit. Sie ist .. auch nicht mehr Gegenwart; die ist jäh und plötzlich zu Ende gegangen. Ein Abgrund liegt zwischen ihr und dem Heute (Freund 1954, S. 316).
Hitler Täter Zum Zweck ihrer persönlichen Ausschließung von Schuld inkriminieren die Täter Personen der früheren Führungselite und deren Geheimhaltungsstrategien, vorzugsweise Himmler und vor allem Hitler. Den Namen Hitler versehen sie im Zuge ihrer Schuldabwehr mit begrifflichen Merkmalen. Hitler gerät daher zu einem Entlastungszwecken dienenden Deutungsmuster. Täter argumentieren mit denjenigen Eigenschaften, die die eigene Bindung an Hitler erklären, verständlich machen und entschuldigen sollen. Die Suggestion historischen Gewissens und Verantwortungsgefühls schlägt sich dabei sprachlich insofern nieder, als Täter ihrer Stereotypisierung den Schein von Objektivität und Distanz geben (s. Frank 1945/46, S. 430 f.). Mit der Vorgabe, die historische Wahrheit über Hitler an den Tag befördern zu wollen, stellen die Täter persönliche Erfahrungen als Wahrheiten scheinobjektivierend in den Dienst der sie entlastenden Argumentation (s. Speer 1947, S. 63; Meißner 1950, S. 616). Zwar ist der dabei erzeugte Begriff Hitler komplex. Grundlegend und einheitlich jedoch ist das Stereotyp vom Ausnahmemenschen Hitler. Täter zerstören einerseits angesichts seiner offensichtlichen Verbrechen Hitlers Gloriole, so dass sie ihr Verhältnis zu ihm marginalisierend als ÕIrrtum bezeichnen (s. Sauckel 1946, S. 451; Schacht 1946, S. 443). Andererseits überhöhen sie Hitler, um so ihr eigenes Tun und Denken, ihren Wunsch zu dienen (ÕDienst) (s. Frank 1945/46, S. 194), ihren ÕGlauben an ihn (s. Kaltenbrunner 1946, S. 434) und die ÕHoffnung, die sie ihn setzten (s. Frank 1945/46 S. 194; Schacht 1953, S. 379) verständlich zu machen. Zu diesem Zweck werden positiv bewertete Stereotype geltend gemacht wie gütig, menschlich, gewinnend, Charme, bezwingend (s.
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Sauckel 1946, S. 451; Speer 1947, S. 63; Best 1949, S. 125; Schacht 1953, S. 31). Andererseits wird Hitler als im Geheimen (Õgeheim, ÕBefehl, ÕGehorsam, ÕPflicht) agierender Alleinherrscher gekennzeichnet (s. Frank 1945/46, S. 145; Frank 1945/46, S. 191; Frank 1945/46, S. 393 f.; Frank 1945/46, S. 410; Fritzsche 1946, S. 463; Streicher 1946, S. 439; Meißner 1950, S. 594; Leeb 1950, S. 337 f.; Papen 1952, S. 654; Dietrich 1955, S. 28 f.), als Willensmensch (s. Frank 1945/46, S. 429; Papen 1952, S. 294; Schacht 1953, S. 32; Dietrich 1955, S. 34), als brutaler gefühl- und gewissenloser Diktator (s. Frank 1945/46, S. 194; Frank 1945/46, S. 429), als Faszinosum (s. Frank 1945/46, S. 193; Frank 1945/46, S. 429; Frank 1945/46, S. 430; Dietrich 1955, S. 30 f.): Hitlers Regime/Politik/Gewaltregiment/Sieg/Niederlage, Hitler war ein Mann von großer Begabung und ungewöhnlicher Willensstärke, Hitler, der Gewaltbesessene, Hitler besaß suggestive Kraft und lähmende Gewalt. Meistgebrauchtes Stereotyp ist das von Hitler als dämonisch (ÕDämon) Besessenem (s. Frank 1945/46, S. 430; Frank 1945/46, S. 194; Frank 1945/46, S. 393; Frank 1945/46, S. 430; Schacht 1953, S. 33; Dietrich 1955, S. 13; Dietrich 1955, S. 281; Dietrich 1955, S. 23; Dietrich 1955, S. 280). Vermutlich nahm dieses dann in allgemeinen Gebrauch gekommene Stereotyp vom Dämon Hitler seinen Ausgang in Nürnberg: „Spätestens im Nürnberger Gerichtssaal begann die nachhaltige Dämonisierung Hitlers. Er ‚war der Teufel‘, erklärte Hans Frank dem Gerichtspsychologen, er ‚verführte uns alle‘.“ (Reichel 2001a, S. 52). Die entlastende Funktion dieser Formel besteht in der von ihr implizierten Aussage: ‚wer einem Dämon, einer dunklen Macht ausgeliefert war, ist nicht verantwortlich zu machen‘. Da die Täter sich darum bemühen, ihrer Argumentation den Anschein von Differenziertheit und Sachlichkeit, von Distanz und Wahrheitstreue zu geben, fügen sie die Deutungen zu einem widersprüchlichen Hitler-Bild zusammen, zu dem des janusköpfigen, Genie und Wahnsinn in sich vereinigenden Hitler, dessen Verworfenheit zunächst nicht erkennbar war, der sich im Verlauf seiner Herrschaft änderte, der kalkulierten Verrat übte, indem er seine eigentlichen Ziele im Gewand des Ehrenmannes tarnte, der zunächst das Bild eines friedlichen, idealistischen, ernsthaft um Demokratie bemühten Politikers abgab: im ersten Jahr seiner Amtsführung ließ nichts darauf schließen, dass Hitler danach strebte, die bürgerlichen Partner seiner Regierung irrezuführen, Hitler stand nicht als fertiges
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Produkt am Beginn seiner Tätigkeit da, Hitlers Entwicklung und sein Wandel, Hitler war ein Zwitterwesen (s. Frank 1945/46, S. 430; Meißner 1950, S. 310 f.; Meißner 1950, S. 615 f.; Papen 1952, S. 293; Dietrich 1955, S. 17; Dietrich 1955, S. 24; Dietrich 1955, S. 24–27; Dietrich 1955, S. 281). Diese Stereotypisierungen Hitlers haben insofern Folgen für die Diskurs- und Wortschatzgeschichte des Deutschen, als seit der Einführung dieser Entlastungsstrategie durch die Täter 1945 diese Deutungen Hitlers, die ihn aus der Gesamtgesellschaft isolieren und also seine Mittäter entlasten, zum nationalen Exkulpierungsschema wurden. Ich habe niemals ein Judenvernichtungslager eingerichtet oder ihr Bestehen gefordert; aber wenn Adolf Hitler persönlich diese furchtbare Verantwortung auf sein Volk gewälzt hat, dann trifft sie auch mich, denn wir haben den Kampf gegen das Judentum jahrelang geführt, und wir haben uns in Äußerungen ergangen – und mein Tagebuch ist mir selbst als Zeuge gegenübergetreten –, die furchtbar sind. (Frank 1945, Nürnberger Prozess XII, S. 19) Es war Hitlers Regime .. Politik .. Gewaltregiment .. Sieg .. Niederlage .. seit August 1934 (Frank 1945/46, S. 145). die Herrschaft Hitlers .. eine reine überinstitutionelle Persönlichkeitsmonokratie (Frank 1945/46, S. 191). Damals dabeistehen, ihn sehen an der Spitze seiner braunen und grauen Kolonnen der Partei und der Wehrmacht, die mit den sonnenglitzernden Standarten, die er entworfen und geweiht hatte, mit den ernsten neuen Feldzeichen, die er erdacht und übergeben hatte, durch die Straßen marschierten, die mit Flaggen, die er für sein Reich entworfen hatte, über und über geschmückt einherzogen, während der Jubel des grüßenden, rufenden und singenden Millionenvolkes, das die Straßen säumte wie ein lebentobendes Frühlingsfarbenband, nicht endete: ja, wer das sah, der weiß eben, wer Adolf Hitler war, wie er wirkte, was er bedeutete. (Frank 1945/46, S. 193) Hier beschuldige ich mich vor Gott und den Menschen, daß ich zwar ehrlich ein reines Ideal vertrat, daß mir aber die Macht Hitlers als Schicksal erschien. .. Meine überaus große Schuld sehe ich darin, daß ich nicht meiner ehrlichen inneren Stimme folgte und Hitler bekämpfte, sondern ihm diente in der doch so vagen Hoffnung, daß er sich einmal zu meinem Ideal bekennen würde. .. Ich wollte Hitler auch dienen. .. den offenbar Gewaltbessenen (Frank 1945/46, S. 194). Hitler in ein satanisches Licht gerückt .. der dämonische Sendling des Teufels (Frank 1945/46, S. 393). Gegenüber dem Befehl der Judenvertilgung bestand rigoroseste, technisch-methodisch diffizilste Geheimnissorgfalt, so daß tatsächlich über das ganze grauenvolle Geschehen ein hermetisch geschlossener Ring gezogen werden konnte. .. Hitler und Himmler haben niemals, auch vertraulich nicht, mit irgendeinem von uns Nichteingeweihten darüber gesprochen. (Frank 1945/46, S. 393 f.) ich [wurde] als Generalgouverneur von Hitler in grausamster Weise, meinen vierzehn Rücktrittsgesuchen zum Trotz, selbst dann auszuharren gezwungen .., als ich
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1942 aus meinen sämtlichen Ämtern in Reich und Partei cum infamia entlassen wurde. Hitler wußte, warum er mir das antat. Das Amt in Krakau war seine Verfluchung, seine Rache gegen mich. Er wußte ja, was in Treblinka und an anderen Orten vor sich ging. Und wußte, was er mir und meinem Namen damit allein insgeheim aufbürdete. (Frank 1945/46, S. 404) Den Plan der Ausrottung des jüdischen Volkes .. dieses Geheimnis [trug Hitler] allein in seiner Brust (Frank 1945/46, S. 410). einer der größten Energietitanen aller Zeiten .. intellektuell zweifellos ein überragender Mensch .. [seine] Initiative und Tatkraft machten ihn zum geborenen Führer .. Herrengestalt .. [Hitler] trug mit härtestem .. einmaligem Willensvermögen seine Idee durch die Welt .. geballter konzentrierter Wille .. [Hitler war] gewissenlos, herzund gemütlos (Frank 1945/46, S. 429). Zeigen wollte ich vor allem den Irrweg vieler jetzt üblichen Betrachtungen Hitlers, die seine Person in ihrer wirklichen Bedeutung zurückzudrängen trachten, um dafür seine Ideologie und deren Mitträger in ausschließlichen Verantwortungsbann zu ziehen. Das ist in dem geradezu riesigen Umfang, in dem heute noch Anhänger Hitlers zu Millionen als mitschuldig verfolgt werden, eine der größten Ungerechtigkeiten der Weltgeschichte. .. ein dämonisches Wesen .. Haltung .. die eines selbstsicher-besessenen Fanatikers .. Mensch .. Übermensch .. Untermensch (Frank 1945/46, S. 430). Eine Ekstase des Hasses [ist] für die möglichst wirklichkeitsnahe Erkenntnis eines so gewaltigen Phänomens, wie es Hitler nun einmal war .. ebenso wenig geeignet, wie etwa eine Ekstase der Verehrung (Frank 1945/46, S. 430 f.). das Unglück liegt ja gerade in der Tatsache, daß ich alle diese Thesen nicht vertrat, nach denen Hitler mit einem kleinen Kreis von Helfershelfern insgeheim handelte (Fritzsche 1946, S. 463). Mein Irrtum war vielleicht der Überschwang meines Gefühls und meines Vertrauens, sowie meine große Verehrung für Hitler. Ihn kannte ich nur als den Anwalt der Lebensrechte des deutschen Volkes und sah in ihm den gütigen Menschen gegen Arbeiter, Frauen und Kinder und den Förderer der Lebensinteressen Deutschlands. Den Hitler dieses Prozesses konnte ich nicht erkennen. (Sauckel 1946, S. 451) Mein politischer Irrtum war, dass ich das Ausmaß der Verbrechernatur Hitlers nicht früh genug erkannt habe. Aber ich habe meine Hände nicht befleckt mit einer einzigen ungesetzlichen oder unsittlichen Handlung. (Schacht 1946, S. 443) Bei der Möglichkeit, auf Hitler, Himmler und andere Personen immer wieder einzuwirken, konnte ich es meiner Ansicht nach mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, diese Position aufzugeben. Ich habe es für meine Pflicht gehalten, persönlich gegen Unrecht aufzutreten. (Kaltenbrunner 1946, Nürnberger Prozess XVIII, S. 78) Der Antisemitismus Hitlers, wie wir ihn heute feststellen, war Barbarei (Kaltenbrunner 1946, S. 432). Die Massentötungen sind ausschließlich und ohne Beeinflussung auf Befehl des Staatsführers Adolf Hitler erfolgt (Streicher 1946, S. 439). Ich weiß nur, daß ich meine ganze Kraft meinem Volk in meinem Glauben an Adolf Hitler zur Verfügung stellte (Kaltenbrunner 1946, S. 434). die Tendenz wächst, Hitler als einen teppichbeißenden, selbst bei geringen Anlässen unkontrolliert wütenden Diktator darzustellen. .. Wenn in dem Bild Hitlers die menschlichen Züge fehlen, wenn man seine Überredungskraft, die gewinnenden Eigenschaften, ja sogar den österreichischen Charme außer acht läßt, den er entwickeln konnte, wird man der Erscheinung nicht gerecht. Gerade die Generale sind
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ja ein Jahrzehnt lang nicht einer wüterischen Kraft gewichen, sondern einer oft bezwingenden, mit Gründen argumentierenden Persönlichkeit gefolgt. (Speer 1947, S. 63) Hitler hat mich nicht von mir selbst abgebracht. Mein Widerwille gegen die Großstadt, den Menschentypus, den sie hervorbrachte, .. meine Leidenschaft für das Rudern, Wandern und Bergsteigen: das alles waren ja schon romantische Protesthaltungen gegen die Zivilisation. In Hitler sah ich vor allem anderen den Bewahrer der Welt des neunzehnten Jahrhunderts .. So gesehen, muß ich auf Hitler geradezu gewartet haben. .. Also wäre das Gegenteil richtig: durch ihn erst habe ich eine gesteigerte Identität gefunden. Man könnte noch weiter fragen, ob Hitler – merkwürdiger Gedanke! – nicht die Ursache dafür ist, dass ich jetzt im Gefängnis noch einmal eine neue Identität wiederfinde: Hätte ich ohne die Erfahrungen und Einsichten, die ich durch jene Jahre gewonnen habe, je gelernt, dass alle historische Größe weniger ist als eine bescheidene Geste der Menschlichkeit, alle nationale Ehre, von der wir träumten, nichtiger als schlichte Hilfsbereitschaft? Wie sonderbar sich mir die Perspektiven verschieben! (Speer 1949, S. 219) der von Hitler befohlenen Auflösung und teilweisen Internierung der dänischen Polizei (Best 1949, S. 104). [Hitler hatte einen] persönliche[n] Charme, dem sich kaum jemand entziehen konnte .. Als werbender Prophet war er in seinem eigensten Element und deshalb auch als Mensch am vollkommensten .. Die tiefe Unzufriedenheit mit allem, was ihn umgab, und schließlich auch mit sich selbst .. hatte aus dem werbenden Propheten der „Kampfzeit“ den grollenden Propheten der „Regierungszeit“ (von der Machtergreifung bis zum Kriege) werden lassen (Best 1949, S. 125). Die Geschichte des Dritten Reiches nach dem 30. Juni 1934 ist daher die Geschichte eines Einzelnen. Jede geschichtliche Darstellung kann sich von da ab auf die Darstellung Hitlers und seiner Wandlungen beschränken (Diels 1950, S. 29). Den Deutschen .., die nicht erkennen wollen, daß der Gegenstand ihrer Verehrung an sich nicht gut war, möchte ich .. zu der Einsicht verhelfen, daß Hitler eine Sache, die ihnen gut erschien, verraten hat, daß er verraten hat, was er ihnen 1932 und 1933 als ein hohes politisches Evangelium verkündete, und daß er sie verraten mußte nach dem Gesetz, nach dem er angetreten. (Diels 1950, S. 32 f.) Auch als Soldaten haben wir nicht zum Kriege getrieben. .. Wir haben im Gegenteil alles mögliche getan, um Hitler von seinen Kriegsplänen abzubringen. Hatte aber das Staatsoberhaupt, dem allein das uneingeschränkte Entscheidungsrecht über Krieg und Frieden übertragen worden war, den Beginn von Kriegshandlungen gegen den Willen und gegen den Rat der Generale befohlen, dann hatten wir unsere Soldatenpflicht zu erfüllen wie jeder andere Deutsche auch (Leeb 1950, S. 337 f.). [Hitler] verfolgte .. ursprünglich das Ziel, innerpolitisch die ihm widerstrebenden Parteien und Kräfte ohne Gewaltanwendung, lediglich durch die Macht seiner Idee zu überwinden, das deutsche Volk zu einer national und sozial empfindenden Gemeinschaft zusammenzuschließen und außenpolitisch dem Reiche mit friedlichen Mitteln eine achtunggebietende Stellung und dadurch eine Revision des Versailler Vertrages zu ermöglichen. .. Er hatte .. ernsthaft die Absicht, durch eine vom Reichstag als konstituierende Versammlung zu beschließende Reichs- und Verfassungsreform die Übersteigerung und Übertreibung des Parlamentarismus zu beseitigen und mit einer bereinigten Reichsverfassung unter Kontrolle einer Volksvertretung und unter Zulassung einer sachlichen Opposition zu regieren. Jedenfalls ließ im ers-
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ten Jahre seiner Amtsführung nichts darauf schließen, daß Hitler danach strebte, die bürgerlichen Partner seiner Regierung, den Reichspräsidenten und die Öffentlichkeit irrezuführen, die Volksvertretung völlig auszuschalten und mit Mitteln der Gewalt und des Betrugs eine Diktatur zu errichten. Erst nachträglich ist die innere Politik Hitlers als ein bewußtes und wohlberechnetes Vorstadium zur Errichtung der Diktatur und als Vorspiel seiner Kriegspolitik gedeutet worden. In den ersten Jahren nach der Machtergreifung ließ sich von solchen Zielen nichts erkennen. (Meißner 1950, S. 310 f.) nur ein sehr kleiner Kreis um Hitler, Himmler und Heydrich wußte um diesen Plan der „Endlösung“ der Judenfrage; allen anderen, auch den hohen Regierungsbeamten und den militärischen Führern, selbst den leitenden Parteifunktionären und Kommandeuren der Waffen-SS ist dieses Verbrechen erst nach dem Krieg zur Kenntnis gekommen (Meißner 1950, S. 594). weder .. Genie noch .. Wahnsinnige[r] .. Elemente von beidem [kamen] in seinem Wesen zum Ausdruck .. [Hitlers Genie] überdurchschnittliche[..] Begabung .. Bewußtsein einer höheren Sendung .. Gefühl einer übernatürlichen Kraft. .. Mann von ungewöhnlicher Intelligenz .. rasche[r] Auffassungsgabe .. wortgewandter Schlagfertigkeit .. vorzügliche[m], stets präsenten Gedächtnis .. [traf] Entschlüsse und Entscheidungen .. aus dem Gefühlsmäßigen, .. rege Phantasie .. die Besessenheit durch Ideen .. fanatische[r] Wille[..] .. innere Unruhe .. brutale Unduldsamkeit .. rücksichtslose Machtgier .. Erhebung seines Ichs zum Mittelpunkt Deutschlands .. Cäsarenwahn .. fühlte sich .. als Gestalter des deutschen Schicksals aus eigener Kraft .. argwöhnisch bis zum Verfolgungswahn .. rachsüchtig bis zur Blutgier .. von Natur kein Psychopath .. [kam sein Zustand gegen Ende] dem eines Wahnsinnigen .. sehr nahe .. [entfernte sich] von dem Wirklichen und dem Erreichbaren .. [folgte] Visionen .. [jagte] starrsinnig uferlosen oder gefährlichen Zielen nach (Meißner 1950, S. 615 f.). das vielverbreitete Gerücht, Hitler habe epileptische Anfälle oder krampfhafte Wutausbrüche gehabt, in deren Verlauf er sich auf dem Boden wälzte und in den Teppich biß, ist eine Erfindung. (Meißner 1950, S. 616) Wir übersahen .., daß Hitler nach uneingeschränkter Macht strebte .. [wir] glaubten .. – törichterweise vielleicht –, daß bei Hitler wie bei der Partei eine Entwicklung zu staatsmännischer Verantwortung eintreten werde (Papen 1952, S. 291). Hitler [stand] .. nicht als fertiges Produkt am Beginn seiner Tätigkeit da .., sondern [hat] .. sich im Laufe der Jahre entscheidend entwickelt und verändert .. dieser nach außen hin fast unscheinbaren Persönlichkeit .. unbestreitbar, daß er ganz besonders starke Einflußmöglichkeiten hatte und daß etwas von ihm ausstrahlte, das sich sowohl Einzelpersönlichkeiten als besonders der großen Masse mitteilte .. Wie viele andere bin ich ein Opfer dieses Einflusses geworden (Papen 1952, S. 293). [Hitler war ein] Mann von .. großer Begabung und ungewöhnlicher Willensstärke (Papen 1952, S. 294). Siebzehn Monate lang hatte ich an dem Glauben festgehalten, Hitler auf den richtigen Weg bringen zu können. Es war ein Irrtum, und man mag mich der politischen Instinktlosigkeit zeihen. Nicht jedoch kann man mir, wie in Nürnberg, vorwerfen, ich hätte mein Land und mein Volk einer Gewaltherrschaft ausliefern wollen, die Deutschland später in das Chaos gestürzt hat. (Papen 1952, S. 366) die oberste Gewalt in Deutschland [..]übte [Hitler aus] und .. alle Hauptentscheidungen [wurden] durch ihn getroffen (Papen 1952, S. 654).
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[der] außergewöhnliche Charme, den er [Hitler] entwickeln konnte (Schacht 1953, S. 31). Hitler war ein Genie an Willenskraft (Schacht 1953, S. 32). Hitler war ein dämonisches, diabolisches Genie. (Schacht 1953, S. 33) Was ich da [bei der ersten Rede Hitlers] an innerer Erschütterung vor mir sah, das konnte keine bloße Schauspielerei sein, das war echt. Es bestärkte sich bei mir die Hoffnung, daß dieser Mann auf den rechten Weg zu bringen sei. (Schacht 1953, S. 379) Nur über die Dämonie seiner [Hitlers] Persönlichkeit führt der Weg zur Erkenntnis der Wahrheit, zur Erkenntnis von Schuld und Schicksal. (Dietrich 1955, S. 13) Er ist im Besitze der Macht im Laufe der Jahre anders geworden, als er sich vorher zeigte und als das Volk ihn sah. .. Seine großen sozialen Erfolge und nationalen Leistungen hatten dieses Volk geblendet. Seine nach außen hervortretenden menschlichsympathischen Züge hatten es getäuscht über seine großen aber verderblichen politischen Veranlagungen. Hitlers Entwicklung und sein Wandel vom großen sozialen Volksführer zum machtpolitischen Herostraten hat sich im Lauf vieler Jahre vollzogen, unmerklich wie eine Metamorphose (Dietrich 1955, S. 17). [Hitler war] ein von völkischen Wahnvorstellungen besessener Dämon (Dietrich 1955, S. 23). [Hitler war] ein Zwitterwesen an Geist und Seele .. doppeltes Gesicht .. innere Widersprüchlichkeit .. innere[..] Doppelnatur .. fundamentale Zweiseitigkeit (Dietrich 1955, S. 24). [Hitlers] geistige Abnormität, wie sie in der Weltgeschichte auf der breiten Schwelle zwischen Genie und Wahnsinn nicht zum ersten Male hervorgetreten ist .. Blick für das Wesentliche .. erstaunliches Gedächtnis .. ausgeprägte Phantasie .. enorme Vorstellungskraft .. Kühnheit des Entschlusses .. viel Fingerspitzengefühl .. [er wusste] logisch zu handeln .. Intelligenz und Kühnheit .. Schöpferische Intelligenz .. aufrichtige Empfindungen .. Liebe zur Kreatur .. gütige[r] Mensch[..] .. anspruchslos und bescheiden .. Erscheinung einfach und dem Volke nahe .. geistige Primitivität und Verbohrtheit .. [verfügte] im entscheidenden Moment nicht [über] Verstand und .. Umsicht .. blinde Unfähigkeit .. abnorme Spaltung seiner geistigen Veranlagung .. eiskalte Herzlosigkeit .. grausame Härte .. Triebkräfte der Unmenschlichkeit .. Entschlüsse von erbarmungsloser Härte .. abstoßende[..] Gefühllosigkeit .. besondere Art menschlicher Ichsucht .. Machthunger (Dietrich 1955, S. 24–27). [Hitler faßte] die großen Entscheidungen und Entschlüsse .. allein und zurückgezogen als intuitive Eingebungen .. Beschlüsse wurden von Hitler nur allein gefaßt und Staat und Partei als vollendete Tatsachen lediglich mitgeteilt. Gegen diese Entschlüsse duldete Hitler keinen Widerspruch, er befahl sie und setzte sie unter Berufung auf das „Wohl der Nation“ mit despotischen Mitteln durch. (Dietrich 1955, S. 28 f.) Hitler besaß zugleich suggestive Kraft und lähmende Gewalt .. [seine Zuhörer] wurden .. unmittelbar von der suggestiven Kraft seines Willens erfaßt und mitgerissen .. von der Macht seiner Persönlichkeit gebannt .. Einfluß, der auf einer Ebene lag, die dem Intellekt nicht mehr unmittelbar zugänglich war .. Die Ausstrahlung seiner Persönlichkeit auf die Gefühle der Massen lähmte ihre Verstandesfunktionen (Dietrich 1955, S. 30 f.). [Hitler] von solcher Stärke des Willens beseelt (Dietrich 1955, S. 34)
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kein inneres Organ für die Notwendigkeit des moralischen Gesetzes im heutigen Zusammenleben der Menschen .. [Hitler] fehlte .. jedes Gefühl für die Unterscheidung von Gut und Böse, für den sittlichen Imperativ (Dietrich 1955, S. 275). War es Schuld oder Schicksal, die das deutsche Volk in seine Lage gebracht haben und sein Dasein heute so erdrückend belasten? .. Nicht schlechter oder gar verbrecherischer Wille haben dieses Volk in seine heutige Situation und den niederziehenden Ruf politischer Amoralität gebracht. Hitler hat dieses Volk .. nicht nur geführt, er hat es durch die Dämonie seines Wesens auch verführt! (Dietrich 1955, S. 280) [Hitler war dem deutschen Volk] von dunklen Mächten als Vollstrecker eines unbekannten Schicksals gesandt .. Hitlers Dämonie [zu erklären] mit der unseligen Verkettung seiner widersprechenden Wesenszüge, mit der bestrickenden Kraft seiner Ideen und seiner verführerischen Worte, mit der unwiderstehlichen suggestiven Macht seines Willens, mit der krankhaften Verblendung seines Geistes und den untergründigen Auswüchsen seiner unmenschlichen politischen Moral (Dietrich 1955, S. 281). manchmal schreckt mich der Gedanke, Hitler selber, wie sehr ich ihn und seine ganze Welt vor Gericht desavouierte, hätte seine helle Freude an dem Angeklagten Albert Speer gehabt. Denn die Gefühlswelt, aus der meine Selbstbezichtigungen kamen, war ganz nazistisch – ich hatte meine Lektion gut gelernt. Nur die Inhalte waren andere. Du bist nichts, deine Schuld ist alles. (Speer 1955, S. 431 f.)
Hitlerismus Nichttäter Ost Von Kommunisten gebrauchte Ersatzbezeichnung für Nazismus (ÕNationalsozialismus) oder ÕFaschismus in der Bedeutung ‚nationalsozialistische Gewaltherrschaft Hitlers in den Jahren 1933 bis 1945‘. Die Bezeichnung Hitlerismus ist eine Personalisierung des Nationalsozialismus und ihr entspricht die Konstituierung einer für klein gehaltenen Gruppe von echten und nicht umerziehbaren Nationalsozialisten und wirklich Schuldigen (ÕSchuld). Dieser steht die große Gruppe der zwar nicht unschuldigen, aber rehabilitierbaren Deutschen gegenüber (Õnominell), vgl. erst wenn unser Volk von tiefer Scham erfaßt ist über die Verbrechen des Hitlerismus, innerhalb der deutschen Volkes tragen die Hauptschuld am Hitlerismus die Monopolherren (s. KPD 1945, S. 17 f.; Ulbricht 1945, S. 35). Mit der Vernichtung des Hitlerismus gilt es gleichzeitig, die Sache der Demokratisierung Deutschlands, die Sache der bürgerlich-demokratischen Umbildung .. zu Ende zu führen (KPD 1945, S. 17 f.). Erst wenn unser Volk von tiefer Scham erfaßt ist über die Verbrechen des Hitlerismus, erst wenn es von tiefer Scham erfaßt ist darüber, daß es diese barbarischen Ver-
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brechen zugelassen hat, erst dann wird es die innere Kraft aufbringen, einen neuen, einen demokratischen, einen fortschrittlichen Weg zu gehen (Ulbricht 1945, S. 35). innerhalb des deutschen Volkes [tragen] die Hauptschuld am Hitlerismus die Monopolherren und die Junker als seine Auftraggeber – und dann jene Bürger, die sich seit Bismarcks und Wilhelms Zeiten von jeder Hurrapolitik mißleiten ließen. (Abusch 1946, S. 256 f.)
Hoffnung hoffen Täter Die Deutungen der Täter, mit denen sie ihre Vergangenheit zum Zweck der Selbstentlastung interpretieren, verdichten sich lexikalisch zum einen in solchen Bezeichnungen, die ihr Denken und Wollen aufwerten (neben Hoffnung ÕDienst, ÕGlaube, ÕLiebe, ÕPflicht), zum andern in dem Deutungsmuster ÕIrrtum, mit dem sie ihr Handeln verharmlosen. Hoffnung bildet zusammen mit ÕLiebe und ÕGlaube ein semantisches Netz von Leitwörtern, die im nachkriegsdeutschen Täterdiskurs im Kontext von Schuldbekenntnissen gebraucht werden. Natürlich gebrauchen Täter die Ausdrücke Glaube, Liebe und Hoffnung nicht, wie die christliche Tugendlehre, im Sinn eines wechselseitigen Bedingungskomplexes (zu Glaube vgl. RGG 2000 III, S. 940–983; zu Liebe RGG 1960 IV, S. 361–370; zu Hoffnung RGG 2000 III, S. 1822–1828.). Sie setzen vielmehr auf den ethischen Hochwert jeder einzelnen dieser geistesgeschichtlich tradierten, tief verwurzelten Maximen. Diese „Edelsubstantive“ (Adorno 1964/1980, S. 9) dienen den Tätern im Rahmen ihrer Schuldbekenntnisse der selbstüberhöhenden Schuldabwehr. Denn diese Bekenntnisse rekurrieren auf den Anspruch, Handeln und Wollen, Denken und Fühlen an einem ethisch-moralischen Wertesystem orientiert zu haben. Diese idealisierende Selbstcharakterisierung entspricht einem Leugnen von Schuld. Hoffnung ist im Zuge der Schuldbekenntnisse Leitwort des Arguments ‚ich wollte Hitler bekehren‘. Ablesbar an diesem Gebrauch von Hoffnung lassen die Täter keinen Zweifel, dass sie nicht verblendet waren, sondern Hitler realistisch einschätzten: Hoffnung, daß er sich zu meinem Ideal bekennen würde, Hoffnung, daß dieser Mann auf den rechten Weg zu bringen sei (s. Frank 1945/46, S. 194; Schacht 1953, S. 379).
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Meine überaus große Schuld sehe ich darin, daß ich nicht meiner ehrlichen inneren Stimme folgte und Hitler bekämpfte, sondern ihm diente in der doch so vagen Hoffnung, daß er sich einmal zu meinem Ideal bekennen würde. (Frank 1945/46, S. 194) ich hoffte, daß die Aufrechterhaltung christlicher Grundsätze das beste Gegengewicht gegen ideologischen und politischen Radikalismus sein und eine friedliche innere und äußere Entwicklung gewährleisten werde. (Papen 1946, S. 455) Was ich da [bei der ersten Rede Hitlers] an innerer Erschütterung vor mir sah, das konnte keine bloße Schauspielerei sein, das war echt. Es bestärkte sich bei mir die Hoffnung, daß dieser Mann auf den rechten Weg zu bringen sei. (Schacht 1953, S. 379)
Humanismus humanistisch Nichttäter Ost Während ÕAbendland und ÕChristentum die Identifikationsbegriffe des Westens sind, die zur Stützung der nachkriegsdeutschen Identitätsfindung und Wertorientierung dienen, leistet diese Aufgabe vor allem im Osten der Identifikationsbegriff Humanismus (mit der Wortfamilie humanistisch, Humanist), der in einer Bedeutungsbeziehung zu der Hochwertvokabel Kulturerbe (ÕKultur) steht und wie antifaschistisch (ÕAntifaschist) zu den das gesellschaftlich-politische Selbstverständnis der SBZ/DDR begründenden Bezeichnungen zählt. Kulturerbe und Humanismus bezeichnen wie ÕAbendland und ÕChristentum ein Kollektivum und dienen dazu, die deutsche Isolierung aufzuheben. Die Deutschen beanspruchen, sich wieder den Verwaltern der geistigen Güter der Welt zu assoziieren, und legitimieren diesen Anspruch unter anderem mit ihrem Bekenntnis zum christlichen Abendland und zum Humanismus. Zwar sind die Vertreter der Wortfamilie Humanismus allgemein Hochwertwörter in West wie Ost. In der Ostzone/DDR jedoch ist ein inflationärer Gebrauch zu verzeichnen, vgl. den Kommentar von Klemperer (s. Klemperer 1953, Tagebücher 1950–1959, S. 358). Die spezifische sozialistisch-kommunistische Deutung verdichtet sich dann in der späteren Formel sozialistischer Humanismus. ‚Offen parteilich‘, ‚Bekenntnis zur Arbeiterklasse‘, ‚der Mensch das höchste Wesen für den Menschen‘, ‚Kampf gegen die imperialistischen Kräfte‘ sind seine Merkmale (vgl. Klaus/Buhr 1971 I, S 489). Dem ‚Kulturbund zur demokratischen Erneuerung‘ kam in diesem Zusammenhang der Umdeutung des Humanismus-Begriffs im sozialistischen
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Humanismus
Sinn die Aufgabe zu, „um Verständnis für die politischen und ideologischen Ziele der Sowjetunion und der ‚DDR‘ zu werben“ (W. Mohro, in: Deutsche Fragen 1961 Nr. 4, S. 71 f.; zit. nach Kleßmann/ Wagner (Hgg.) (1993) S. 425) (s. Kulturbund 1949, S. 121). Kennzeichnend für den Gebrauch ist, wenn, dem sozialistischen bzw. kommunistischen Denken entsprechend, Humanismus nicht – wie (christliches) Abendland – im Sinn einer rückwärts gerichteten Traditionsvokabel gebraucht wird: Die Appelle, wieder zum Humanismus zurückzufinden, sich wieder der alten Ideen des Humanismus zu besinnen, haben eine sozialistisch gewendete Bedeutung, denn Humanismus als Bestimmungsstück von Sozialismus und Kommunismus hat keine gefestigte Tradition. Sie muss erst geschaffen werden. Humanismus und seine „großen .. Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit aller Menschen“ (Klaus/Buhr 1971 I, S. 488) ist in der Ausdeutung des historischen Materialismus Sammelkategorie für die Werte des Sozialismus/Kommunismus und wird für das eigene Wollen in Anspruch genommen, welches die Realisation eines neuen politischen Konzepts ist. Humanismus wird kodifiziert als „das bewegende und kämpferische, dem Fortschritt, der Höherentwicklung des Menschen und der Menschheit zugewandte, aktivtätige Moment und damit das entscheidende, praktische Kriterium humanistischer Gesinnung und Haltung“, als „das Moment der Tätigkeit im Dienste des Menschen“ und als „das unablässige Streben nach Wissen und Bildung“. Die geschichtliche Entwicklung des Humanismus wird zwar in den Zusammenhang „mit der Geschichte der Arbeit und der Klassenkämpfe der werktätigen Massen“ (ebd., S. 483) gestellt, aber immer verstanden als historisch höchste Entwicklungsstufe, die erst mit dem Sozialismus erreicht wird. Damit wird Humanismus mit solchen Merkmalen versehen, die gleichzeitig die Bekenntnisvokabeln der antifaschistisch-demokratischen Grundordnung sind und im Sinn einer Zukunftskategorie gedeutet: Nicht den Humanismus wiedererwecken, sondern Humanismus erkämpfen heißt der sozialistische Imperativ des neuen Seins (s. Eggerath 1947, S. 187 f.), und so erklären sich die Verwendungsweisen fortschrittlicher Humanismus, Humanismus und Fortschritt, neuer humanistischer Abschnitt (s. Pieck 1946a, S. 52; Weimann 1946, S. 66; NDPD 1948, S. 644). Vgl. Felbick 2003, s.v. Humanismus/Humanität
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Idealismus
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daß der Geist eines wahrhaft fortschrittlichen Humanismus .. auch in den Hochschulen Einzug halten muß (Pieck 1946a, S. 52). Der Geist des Humanismus und des Fortschritts .. muß unser gesamtes Leben .. durchdringen (Weimann 1946, S. 66). War das Deutschland, was wir in diesen zwölf Jahren durchlebten? War das Deutschland, was mit Nagelstiefeln durch die Straßen stampfte und das Menschentum schändete? War das Deutschland, was die Blüte unseres Volkes auf die Schlachtfelder der halben Welt zerstreute und vermodern ließ? War das Deutschland? Nein das war nicht Deutschland. Das war das hektische Fieber einer kranken Welt, das waren Zuckungen des Vergehenden. Das wahre Deutschland, das hier verraten wurde, das Land des Friedens und des menschlichen Fortschritts zwischen brüderlichen Völkern ist im Geist längst geboren in den unsterblichen Werken eines Lessing, Herder, Goethe und Schiller, [es] lebt in der Musik Mozarts und Beethovens, tönt aus der großen Symphonie „An die Freude“: „Seid umschlungen, Millionen!“ – „Alle Menschen werden Brüder“ –. Wir sind berufen, es zu erkämpfen .. Der große Gedanke des Humanismus trägt in sich die Liebe zu allem, was Menschenantlitz trägt, die Achtung vor dem anderen Menschen und der Wille, eine neue Ordnung zu schaffen, in der der Mensch sich frei entfalten kann und alle Menschen als Menschen leben können. (Eggerath 1947, S. 187 f.) Einen neuen humanistischen Abschnitt der Geschichte zu beginnen, ist .. die Sehnsucht aller anständigen Deutschen (NDPD 1948, S. 644). [Der Kulturbund zur demokratischen Erneuerung stützt] sich auf alle freiheitlichen, humanistischen, wahrhaft nationalen Traditionen unserer Kultur. .. Der Kulturbund ist in allen geistigen Bereichen Vorkämpfer für objektive Wahrheit, für humanistische Maße und Werte, für ein unverfälschtes Geschichtsbild, für die Ideen des Fortschritts und der Freiheit. (Kulturbund 1949, S. 121) Der klassischen Kunst ist Wahrhaftigkeit und Realismus eigen, sie besaß die Fähigkeit, eine Einheit von tiefem Gefühl und glänzender künstlerischer Form zu erreichen. Alle großen Künstler des klassischen Kulturerbes waren Freunde des Friedens, Realisten und Humanisten. (Formalismus 1951, S. 440) LQI – Zerfließen des Begriffes ‚humanistisch‘. Grotewohl sagte neulich in der Kammer, aus Stalins Angebot einer friedlichen Zusammenkunft mit Eisenhower könnte Gutes kommen, wenn man in USA nur ‚humanistisch‘ [sein?] dürfte. Er meinte natürlich human. (Klemperer 1953, Tagebücher 1950–1959, S. 358)
Idealismus Idealvorstellungen Nichttäter Im Zuge der Konstruktion eines Schuldbegriffs fragt die Diskursgemeinschaft der Nichttäter, was die Deutschen als Deutsche, die Zuschauer, Mitläufer, Wähler, was die Masse zum Nationalsozialismus disponierte. Die Diskursbeteiligten suchen den Nationalsozialismus und seine Entstehung u. a. in bestimmten Grunddispositionen
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Idealismus
des deutschen Wesens zu verorten, von denen sie annehmen, sie seien wesentlich beteiligt am Entstehen und am zwölf Jahre währenden Bestand des Nationalsozialismus. Die am häufigsten genannten Nationalstereotype sind – neben Idealismus – ÕMilitarismus und Õpolitische Unreife. Auch die entschiedensten Gegner der These von einer deutschen ÕKollektivschuld argumentieren mit diesen das Kollektiv bezeichnenden deutschen Nationalstereotypen, wenn sie der deutschen Schuld auf der Spur sind. Erscheinungen des deutschen Volksgeistes eignen sich zur Zuweisung einer unmittelbaren Verantwortlichkeit und Schuld aller Deutschen. Das „Versagen des Deutschen Idealismus“ (Kittsteiner 2001, S. 171), dessen aufklärerischen Ursprung und nationalistischen Missbrauch man herausstellt (s. Ebbinghaus 1946, S. 82), ist mit der Bezeichnungsalternative Idealvorstellung individualisierbar mit wirklich Schuldigen (ÕSchuld; s. Kogon 1946a, S. 56). Darüber hinaus stellen die Diskursbeteiligten das Prinzip als ein allgemein deutsches dar, welches die Deutschen als geistiges Kollektiv insgesamt kennzeichnet. Hegel, dieser, neben Nietzsche, verdächtigste der deutschen Philosophen in der frühen Nachkriegszeit, Begründer des übersteigerten Staatsverständnisses, das im Prussianismus seine gefährlichste Ausprägung hatte, wird als Kulminationspunkt gesehen. Als Ausdruck dieser Disposition des deutschen Geistes zum Idealismus erkennt z. B. Friedrich Meinecke einen Hang „rasch emporzusteigen zum Unbedingten, zu einer metaphysischen Welt, die ihn erlösen sollte“ (Meinecke 1946, S. 83). Idealismus ist eine problematische Kategorie, denn die gut bewertete Bedeutung dieser Bezeichnung ist mit den nationalsozialistischen Verbrechen nicht zu vereinbaren. „Klänge es nicht wie abscheuliche Beschönigung, so möchte man sagen, sie hätten ihre Verbrechen aus weltfremdem Idealismus begangen“ lautet Thomas Manns distanzierter Kommentar zu diesem Argument (Mann 1945b, S. 274). Diese Unvereinbarkeit zwischen Bezeichnung (Idealismus) und Bezeichnetem (die nationalsozialistische Herrschaft) ist bis heute ein Problem und lässt Norbert Elias die Kategorie ‚schwarzer Idealismus‘ einführen: Ein idealistisches Moment sei unbedingt in Rechnung zu stellen, ohne das weder Sieg noch Scheitern der nationalsozialistischen Bewegung zu verstehen seien, „das stark idealistische Moment in ihrem Glauben .., das Führer und Gefolgsleute häufig für alle Erwägungen außer denen, die ihnen ihr Credo vorschrieb, blind machte“. Andererseits zeige dieser Idealismus „in fast exemplari-
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Irrtum
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scher Weise die Merkmale eines ‚schwarzen Idealismus‘: die konstruktive Seite ihres Glaubens wurde bei weitem von der destruktiven und barbarischen überwogen. Es war dieser Grundzug der nationalsozialistischen Herrschaft, neben anderen, ähnlichen Faktoren, die eine wesentliche Rolle bei dem Zusammenbruch der Zivilisation in Deutschland spielte, gipfelnd in Ereignissen wie der grausamen Behandlung von Kriegsgefangenen, der Einrichtung und Betreibung von Konzentrationslagern und Gaskammern.“ (Elias 1990, S. 428f) Idealismus, der unvergängliche deutsche Idealismus (Kaschnitz 1945, S. 107). es [ist] der deutsche Philosoph gewesen .., der diesen Gedanken die letzte grundsätzliche Vollkommenheit gab, die ihnen noch fehlte – und es ist ein wahres Verhängnis, daß sich über seine Philosophie gerade, als er damit fertig war, die Nebel der Metaphysik eines ihn mißverstehenden Idealismus legten. (Ebbinghaus 1946, S. 82) [Die] leitenden Hirne des SD .. Heydrich und Best .. entsprachen durchaus einer im Deutschtum vorhandenen allgemeinen Neigung, von gewissen Idealvorstellungen auszugehen und mit ihnen jede Barbarei zu rechtfertigen (Kogon 1946a, S. 56). immer hat es in Deutschland einen Idealismus gegeben, der mit dem Kopf durch die Wand will (Spranger 1951, S. 52).
Irrtum Irrtümer irren · irrig Täter Die Deutungen der Täter, mit denen sie ihre Vergangenheit zum Zweck der Selbstentlastung interpretieren, verdichten sich lexikalisch zum einen in solchen Bezeichnungen, die ihr Denken und Wollen aufwerten (ÕDienst, ÕGlaube, ÕHoffnung, ÕLiebe, ÕPflicht), zum andern in dem Deutungsmuster Irrtum, mit dem sie ihr Handeln verharmlosen. Der Ausdruck Irrtum bezeichnet kein Schuldmerkmal, sondern im Gegenteil einen Schuldausschließungsgrund und damit eine Kategorie, die dem kriminalisierenden Schuldbegriff widerspricht. Der in zahlreichen Varianten (von Senecas „humanum est errare“ bis zu Goethes „Es irrt der Mensch, solang er strebt“) überlieferte Grundsatz der abendländischen Kulturgeschichte (vgl. HWbPh IV, s.v. Irrtum) schlägt sich in dieser Bezeichnung insofern nieder, als die Geistesgeschichte Irrtum im Sinn von ‚Fehler, Versehen‘ auf ein unabsichtlich, nicht willentlich etwas für wahr Gehaltenes bezieht,
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Irrtum
im Gegensatz zur voluntaristischen Schuldauffassung. Im Gegensatz zu ÕSchuld ist Irrtum nicht nur keine ethisch-moralische Kategorie (vielmehr eher eine anthropologische), sondern die Bedeutung von Irrtum ist bestimmt von der Lesart ‚Ethik, Sitte und Moral nicht entgegengesetzt‘. Indem darüber hinaus zur Bedeutungsstruktur dieser Entlastungskategorie die Vorstellung von nachträglicher Einsicht gehört, schließt die mit dieser Wortfamilie bezeichnete Schuldauffassung zudem die Erkenntnis von Verfehlung ein. Die daraus abzuleitenden Merkmale ‚unabsichtlich‘, ‚mit Ethik und Moral nicht im Widerspruch‘ und ‚Einsicht‘ bilden für die Täter ein ideales Arsenal der Entschuldung. Die Verwendungsweisen von Irrtum durch die Täter entsprechen zwar formal einem Bekenntnis, drücken aber inhaltlich aus, dass die Täter damit nur scheinbar eine persönliche Schuld eingestehen. Juristisch vorwerfbar ist diese Schuld nicht, vgl. Wendungen wie Irrtümer und menschliche Unzulänglichkeiten, Irrtum und Schuld, ich habe geglaubt, ich habe geirrt, mein Irrtum war vielleicht der Überschwang meines Gefühls, Irrtümer aus falschem Gehorsamsbegriff, ich habe politisch geirrt, aus irriger Überzeugung einer falschen Sache gedient, meinen Irrtum nicht rechtzeitig erkannt (s. Rosenberg 1945, S. 272; Funk 1946, S. 441; Keitel 1946, S. 431; Sauckel 1946, S. 451; Kaltenbrunner 1946, S. 434; Schacht 1946, S. 443; Dietrich 1955, S. 143; Pohl 1950, S. 45 f.). die edelste Idee, für die ein Deutscher die ihm gegebenen Kräfte einzusetzen vermochte. Der Nationalsozialismus war der Inhalt meines tätigen Lebens, ihm habe ich treu gedient trotz aller Irrtümer und menschlicher Unzulänglichkeiten. Ihm bleibe ich auch treu, solange ich noch lebe. (Rosenberg 1945, S. 272) Das menschliche Leben besteht aus Irrtum und Schuld. Auch ich habe in vielem geirrt, auch ich habe mich in vielem täuschen lassen .. Darin ersehe ich meine Schuld. (Funk 1946, S. 441) Ich habe geglaubt, ich habe geirrt und war nicht imstande zu verhindern, was hätte verhindert werden müssen. Das ist meine Schuld (Keitel 1946, S. 431). Mein Irrtum war vielleicht der Überschwang meines Gefühls und meines Vertrauens, sowie meine große Verehrung für Hitler. Ihn kannte ich nur als den Anwalt der Lebensrechte des deutschen Volkes und sah in ihm den gütigen Menschen gegen Arbeiter, Frauen und Kinder und den Förderer der Lebensinteressen Deutschlands. Den Hitler dieses Prozesses konnte ich nicht erkennen. (Sauckel 1946, S. 451) Wenn ich in meinem Wirken Irrtümer aus falschem Gehorsamsbegriff begangen habe .. so liegen sie in einem mich mitreißenden mächtigeren Schicksal beschlossen (Kaltenbrunner 1946, S. 434). Gewiß, ich habe politisch geirrt. Ich habe nie beansprucht, ein Politiker zu sein, aber meine Wirtschafts- und Finanzpolitik der Arbeitsbeschaffung durch Kredithilfe
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Kämpfer
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hatte sich glänzend bewährt. .. Mein politischer Irrtum war, dass ich das Ausmaß der Verbrechernatur Hitlers nicht früh genug erkannt habe. Aber ich habe meine Hände nicht befleckt mit einer einzigen ungesetzlichen oder unsittlichen Handlung. (Schacht 1946, S. 443) Was mich betrifft, so war mein fundamentaler Irrtum die Unterschätzung der dynamischen Stoßkraft der „Neuen Idee“ (Papen 1952, S. 290). Siebzehn Monate lang hatte ich an dem Glauben festgehalten, Hitler auf den richtigen Weg bringen zu können. Es war ein Irrtum, und man mag mich der politischen Instinktlosigkeit zeihen. Nicht jedoch kann man mir, wie in Nürnberg, vorwerfen, ich hätte mein Land und mein Volk einer Gewaltherrschaft ausliefern wollen, die Deutschland später in das Chaos gestürzt hat. (Papen 1952, S. 366) Die Chronistenpflicht gestattete es mir für meine Person, offen zu bekennen, dass ich aus irriger Überzeugung einer falschen Sache gedient habe (Dietrich 1955, S. 143). Zu dieser Entwicklung [Abkehr von Bindungen, die in der seelischen Tiefenschicht wurzeln und ins Transzendente streben] habe ich durch Unterstützung des Nationalsozialismus beigetragen. Dies zum mindesten ist meine Mitverantwortung, also „Schuld“. Daß ich meinen Irrtum nicht rechtzeitig erkannt habe, macht mich nicht weniger „schuldig“ oder gar schuldlos (Pohl 1950, S. 45 f.).
Kämpfer Freiheitskämpfer · Mitkämpfer Opfer Vor allem als Selbstbezeichnung gebrauchter Ausdruck der politischen, insbesondere kommunistischen, seltener auch sozialdemokratischen, gelegentlich auch konfessionellen Gegner des Nationalsozialismus. Nach 1945 ist Kämpfer Oppositionsbezeichnung zu ÕOpfer zur Betonung des politischen, gesellschaftlichen und auch charakterlichen Werts der damit bezeichneten Person und dient (wie ÕAntifaschist) auch als Legitimationsvokabel, um Ansprüche an der Beteiligung am gesellschaftlichen und politischen Aufbau nachzuweisen: die erprobtesten antifaschistischen Kämpfer, Kämpfer mit politischer Erfahrung und taktischer Geschicklichkeit, die illegalen Kämpfer der antifaschistischen Parteien (s. Dahlem 1945, S. 265; Bock 1947, S. 19 f.). Forum dieses Abgrenzungsprozesses ist die ‚Vereinigung der Verfolgten des Nationalsozialismus‘ VVN. Er ist Erscheinung der Opferpolitik der SED zum Zweck einer zunehmenden Instrumentalisierung der politischen Erinnerung in den Jahren 1947/48, indem man eine „Ansehenshierarchie von Kämpfern und Opfern herausbildete“ (Herf 1998, S. 105), „eine klare moralische Hierarchie der
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Kämpfer
Überlebenden der nationalsozialistischen Verfolgung. Kommunistische ‚Kämpfer‘ rangierten ab dann vor jüdischen ‚Opfern‘“ (ebd., S. 100) Die Ideologisierung dieser Kategorien Kämpfer und Opfer wird alltagspraktisch manifest in einem Ausweis, dessen Besitz bestimmte Rechte einräumte. In den „Richtlinien für die Ausgabe der Ausweise .. [für die] vom Faschismus in Deutschland aus politischen, religiösen und rassischen Gründen Verfolgten und Gemaßregelten“ (Bock 1947, S. 18) wurde diese Unterscheidung zwischen Kämpfern und Opfern festgelegt, und die als Kämpfer anerkannten Widerständler erhalten einen Ausweis mit dem Aufdruck „Kämpfer“, der Ausweis der übrigen Verfolgten hat diesen Aufdruck nicht. Was gab diesen Kämpfern den Mut und die Kraft zum Durchhalten? (zit. in Hauff 1946, S. 4) Wir deutschen Kommunisten erklären, daß auch wir uns schuldig fühlen, indem wir es trotz der Blutopfer unserer besten Kämpfer .. nicht vermocht haben, die antifaschistische Einheit .. entgegen allen Widersachern zu schmieden. (KPD 1945, S. 16) Die Gewalt der SS im Lager Buchenwald war durch die kühne Tat antifaschistischer Kämpfer aller Nationalitäten gebrochen. Die 21.000 Insassen des Lagers waren gerettet, waren frei. (Eiden 1946, S. 258 f.) eine Folter gibt es, die weit schlimmer ist als die Folterung durch die Erzeugung von körperlichem Schmerz. .. Das ist die Folter des quälenden Bewußtseins, des nagenden Gedankens: Du hast deine Pflicht deinen Mitkämpfern gegenüber nicht erfüllt. Deine Haltung in schweren Stunden war nicht die Haltung eines Freiheitskämpfers, dem sein Leben weniger wert ist als die Sicherheit seiner Genossen oder der Partei. (Eggerath 1947, S. 88) die Politischen aller Parteien [sahen es] als selbstverständlich an[..], daß sie als Kämpfer für ihre Sache das Lager mit all seinen Konsequenzen auf sich zu nehmen und daß sie sich dieser Verpflichtung anständig und würdig zu unterziehen hätten .. Der Gedanke, daß die Haft einen politischen Zweck erfülle, daß sie also einen positiven Sinn habe, verlieh den Häftlingen, die sich zu ihm durchringen konnten, eine starke moralische Kraft (Kautsky 1948, S. 183). An die Führung und Verantwortung müssen die erprobtesten antifaschistischen Kämpfer, die im illegalen, unterirdischen Kampf, in den Gefängnissen und Konzentrationslagern, als politische Emigranten und als Kämpfer und Partisanen in den Widerstandsbewegungen anderer Länder die Probe für ihre Standhaftigkeit abgelegt haben. .. Wer durch die Hölle der deutschen Konzentrationslager als aufrechter Antifaschist gegangen ist, dort illegale Massenarbeit leistete, mit den mannigfaltigen Problemen des Kampfes und des Lebens fertig wurde, aus dem ist ein Kämpfer mit politischer Erfahrung und taktischer Geschicklichkeit geworden, dem man getrost verantwortungsvolle und schwierige Aufgaben im Neuaufbau des Lebens anvertrauen kann. (Dahlem 1945, S. 265) Wir Kommunisten [bringen] aus den Konzentrationslagern ein Kapital an Zuversicht in die eigene Kraft und an allgemeinem Vertrauen mit, das uns befähigt und
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Katharsis
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berechtigt, zusammen mit den erprobten antifaschistischen Kämpfern im Lande .. an die Arbeit zu gehen. (Dahlem 1945, S. 252) die illegalen Kämpfer der antifaschistischen Parteien .. Antifaschisten, die während ihres kurzen Aufenthaltes in den ersten Konzentrationslagern 1933 infolge schwerer Mißhandlungen starke gesundheitliche Schäden erlitten haben. .. Die Kämpfer der kirchlichen Widerstandsbewegungen .. Illegale Kämpfer, die nachweislich ununterbrochen am illegalen Kampf gegen das Hitlerregime teilgenommen haben, ohne verhaftet gewesen zu sein. (Bock 1947, S. 19 f.)
Katharsis Nichttäter Zur Konzeption der Selbstwahrnehmung gehört die Vorstellung einer Vergangenheit, die man schnell überwinden, und einer Zukunft, die man rasch erreichen möchte. Unter dieser Voraussetzung gebrauchen die Nichttäter das metaphorische Feld ÕReinigung, Katharsis und ÕGesundung. Darüber hinaus steht die Gesundung- und Reinigungs-Metaphorik sowohl mit dem Konzept der verschütteten deutschen Werte (Õverschüttet), als auch mit dem der Selbstwiederfindung (Õdeutsch) in semantischer Beziehung. Die Bezeichnungen dieses Feldes stellen einen Vergangenheitsbezug her: Reinigung und Katharsis implizieren Verunreinigung und Schmutz, verschüttet bezeichnet vorübergehendes Vergrabensein, Gesundung bezieht sich auf vergangenes Kranksein (Õkrank). Insofern haben die Bezeichnungen dieses metaphorischen Feldes die Funktion der Abgrenzung von der eigenen Vergangenheit. Vor allem aber bezeichnen sie einen Zustand, der in die ÕZukunft verweist und auf die Rehabilitierung der Deutschen. Im Bedeutungsnetz des Schuldbegriffs stellen außerdem ÕVerantwortung, ÕHaftung und ÕWiedergutmachung eine semantische Beziehung zu Reinigung, Katharsis und Gesundung her, jene werden gleichsam als Nachweis und Voraussetzung vollzogener Reinigung, Katharsis und Gesundung verstanden. Sie sind insofern zudem begriffliche Konstituenten von ÕSühne. Im Gegensatz zu Reinigung, das eine religiös motivierte Metapher ist, steht Katharsis im Sinn von ‚Läuterung‘ in der Tradition der klassischen Antike. In der aristotelischen Poetik lösen Mitleid mit dem tragischen Helden und Furcht vor dem waltenden Schicksal die Katharsis, die Reinigung aus (s. Reger, 1945, S. 40; Kaschnitz 1945,
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Kollektivschuld
S. 70 f.). Wie Gesundung und Reinigung bezieht sich Katharsis auf die Wiederherstellung eines Wertesystems. Man wird sich .. mit der Säuberung der Universitäten nicht Zeit lassen dürfen. .. Man lasse .. die geistige und sittliche Katharsis des deutschen Volkes die Sache des deutschen Geistes selbst sein (Das Demokratische Deutschland 1945, S. 17 f.). Was das deutsche Volk bis hierher durchlebte, hat sich wie ein antikes Drama abgerollt. Dort schließt sich an die Krisis der Schuld die Katharsis der seelischen und geistigen Reinigung (Reger 1945, S. 40). Der dramatische Höhepunkt ist überschritten, aber die Katharsis hat noch nicht begonnen, und wie jede gewaltsame Reinigung wird sie groß und schrecklich, herrlich und ungerecht sein. (Kaschnitz 1945, S. 70 f.)
Kollektivschuld Kollektivschuldthese Kollektivbeschuldigung · Kollektivschuldiger Kollektivanklage · Kollektivjustiz · Kollektivscham · Kollektivstrafe · Kollektivurteile · Kollektivverantwortung · Kollektivvorstellungen Nichttäter Die Diskursgemeinschaft der Nichttäter konstruiert (vor allem in der frühesten Nachkriegszeit) einen alliierten Kollektivschuld-Vorwurf als Tatsache, der außer von Kommunisten (s. Dahlem 1945, S. 257 und den Kommentar von Schumacher 1945a, S. 279 f.) vehement zurückgewiesen wird. Obwohl der Nürnberger Prozess und vor allem sein Urteilsspruch (1946) deutlich machen, dass die Alliierten einen Kollektivschuldvorwurf nicht erheben und obwohl dies auch erkannt wird (s. Jaspers 1946, S. 159; Eckert 1946, S. 63 ff.; Geiler 1947, S. 210; Laun 1950, S. 70 ff.), ist der Diskurs über eine deutsche Kollektivschuld eine kommunikative Erscheinung der frühen Nachkriegszeit. Typische Wendungen sind Genitivkonstruktionen wie Kollektivschuld Deutschlands, des deutschen Staatsvolkes, des ganzen deutschen Volkes, eines Volkes oder einer Gruppe; oft auch in kategoriellen Verbindungen wie Anwurf, Bejahung, These, Behauptung, Feststellung, Theorie der/einer (allgemeinen/deutschen) Kollektivschuld, die unglückliche Theorie von der unterschiedslosen deutschen Kollektivschuld, These von der unterschiedslosen moralisch-juristischen Kollektivschuld, Mythus der deutschen Kollektivschuld, Konstruktion von der Kollektivschuld eines ganzen besiegten Volkes, Begriff, Wort von der Kollektivschuld, das undurchdachte
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Kollektivschuld
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Wort von einer deutschen Kollektivschuld, Verwerfung des Wortes „Kollektivschuld“; vgl. auch Adjektivverbindungen wie anscheinend schwerste Kollektivschuld, juristische Kollektivschuld, grobe Kollektivschuldthese und Verbgefüge wie einem Volk die Kollektivschuld geben, von der Kollektivschuld freisprechen. Die Bezeichnung Kollektivschuld wird begrifflich in kriminellem Sinn ausgedeutet (s. Kogon 1946a, S. 409; Grimme 1946a, S. 60 f.; Friedlaender 1947, S. 50; Geiler 1947, S. 210; Wiechert 1948, S. 382; Keil 1948, S. 701 ff.; Röpke 1948, S. 113 ff.), der sich ausdrückt in Paraphrasen und Begriffselementen wie konkrete strafbare Handlungen, tatsächliche Mittäterschaft, gemeinsame Willensschuld, in wirklicher Freiheit und gewolltem Entschluß, Wissen der Vorgänge. Die Diskursbeteiligten unterstellen den Alliierten die Absicht, alle Deutschen zu Verbrechern zu stempeln, sie geben vor, die ganze Welt bestrafe die Deutschen, sie würden wie Verbrecher betrachtet, an denen man ein Exempel statuieren muß, sie behaupten, der Vorwurf besage, daß wir alle ohne Unterschied den Nationalsozialisten zur Macht verholfen hätten. Damit drücken die Diskursbeteiligten aus, dass Kollektivschuld als nach juristisch-kriminologischen Kriterien festgelegter Begriff verstanden werden soll, den man in dieser Deutung abwehrt, vgl. Wendungen wie eine Kollektivschuld nur unter einem religiösen Aspekt, das grobe und wenig treffsichere Geschütz der Kollektivschuld, nur von einer europäischen Kollektivschuld an der Welt sprechen (s. Grimme 1946c, S. 225 f.; Friedlaender 1947, S. 50 f.; Steltzer 1947, S. 177). So kann die Diskursgemeinschaft eine Interpretation, wie sie Jean Améry liefert, nicht akzeptieren: „Kollektivschuld. Das ist natürlich blanker Unsinn, sofern es impliziert, die Gemeinschaft der Deutschen habe ein gemeinsames Bewußtsein, einen gemeinsamen Willen, eine gemeinsame Handlungsinitiative besessen und sei darin schuldhaft geworden. Es ist aber eine brauchbare Hypothese, wenn man nichts anderes darunter versteht als die objektiv manifest gewordene Summe individuellen Schuldverhaltens. Dann wird aus der Schuld jeweils einzelner Deutscher – Tatschuld, Unterlassungsschuld, Redeschuld, Schweigeschuld – die Gesamtschuld eines Volkes. Der Begriff der Kollektivschuld ist vor seiner Anwendung zu entmythisieren und zu entmystifizieren. So verliert er den dunklen, schicksalhaften Klang und wird zu dem, als das er allein zu etwas nütze ist: zu einer vagen statistischen Aussage.“ (Améry 1977, S. 117) Kollektivschuld sollte gerade keine „brauchbare Hypothese“ sein, sollte gerade diesen
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Kollektivschuld
„dunklen schicksalhaften Klang“ behalten, sollte gerade nicht „zu einer vagen statistischen Aussage“ taugen – jedenfalls nicht für Festlegungen deutscher Schuld aus der Heteroperspektive, als Gegenstand des Vorwurfs von außen. Eine andere als die juristische kriminalisierende Deutung, etwa eine moralisierende oder die von Améry vorgeschlagene Fragmentierung in Schuldarten, und die Einbeziehung der Schuldaspekte ‚Passivität‘, ‚Zulassen‘, ‚Schweigen‘ kommt für die Diskursbeteiligten dann nicht in Betracht, wenn sie sich auf den aus der Außensicht gemachten Vorwurf beziehen. Sie machen dazu Argumente geltend, die an die Verpflichtung zur historischen Wahrheit appellieren (s. Windisch 1946, S. 22) und die Ungerechtigkeit des Urteils herausstellen. Das heißt jedoch nicht, dass die genannten Schuldaspekte ‚Passivität‘, ‚Zulassen‘, ‚Schweigen‘ generell zurückgewiesen würden (ÕSchuld). Als Elemente zur semantischen Ausdeutung des Schlüsselworts Kollektivschuld aber werden sie abgelehnt. Als Alternativbezeichnung prägt Theodor Heuss 1949 deshalb Kollektivscham (ÕScham) (s. Heuss 1949a, S. 100 f.). Die so argumentierenden Nichttäter, berufen sich auf Gerechtigkeit und entwerfen im Namen dieser Gerechtigkeit eine sorgfältig differenzierte Soziologie der deutschen Gesellschaft zur Zeit des Nationalsozialismus, die sich in einem komplexen, kaum eine gesellschaftliche Schicht auslassenden Schuldbegriff niederschlägt (ÕSchuld). Das Problem, dass die Diskursgemeinschaft eine Gesamtschuld der Deutschen nicht leugnen kann und gleichzeitig den Kollektivschuldvorwurf, von dem sie voraussetzt, dass er die Deutschen allesamt zu Verbrechern mache, abwehren muss, löst sie, indem sie die Vorstellung von den insgesamt schuldigen Deutschen in entsprechende Ausdrucksvarianten fasst und Kollektiv ersetzt durch das/ mein/unser (deutsches/ganzes) Volk, Masse des Volkes/der Deutschen/dieser Menschen, Deutschland, der Deutsche, alle deutschen Stämme, alle Deutschen, Großteil des deutschen Volkes, Millionen Deutsche/Einzelner, Vielzahl, die breiten Schichten, Millionenmasse von kleineren und kleinen ‚Hitlers‘, jeder (einzelne), die vielen einzelnen, Mann und Frau, wir alle, Gesamtheit, Staat. Das Grundwort Schuld wird andererseits spezifiziert mit Ersatzausdrücken wie massenhaftes Verfallen, Schicksalsverstrickung, Weg des geringeren Widerstands, Armut an Werten, Gewissensbetrug, Erniedrigung, einen falschen Weg gegangen, zugelassen, mit der großen Hure Baby-
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Kollektivschuld
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lon gelebt, teilhaben an der Wirklichkeit, Passivität, schmutzig geworden. Dass die Diskursgemeinschaft Kollektivschuld ersetzt etwa durch Schuld aller Deutschen, Gesamtschuld, wir alle und über eine Schuld des gesamten deutschen Volkes nachdenkt, zeigt also, dass sie den Begriff einer Kollektivschuld durchaus anerkennt, denn ihr ist etwas wie eine allgemeine Schuld der Deutschen durchaus bewusst. Dies ist auch der Grund dafür, dass die Diskursbeteiligten die moralische Dimension des Schuldbegriffs, die durch die Bezeichnungen ÕVerantwortung, ÕHaftung, ÕWiedergutmachung repräsentiert wird, in Bezug auf das Kollektiv der Deutschen gelten lassen (s. Eckert 1946, S. 63 ff.; Geiler 1947, S. 210; Keil 1948, S. 701 ff.; Röpke 1948, S. 113 ff.). Das lässt den Schluss zu, dass der Grund für die kriminalisierende Deutung von Kollektivschuld darin besteht, dass die Diskursgemeinschaft sie benutzt, um den Kollektivschuldvorwurf umso nachdrücklicher zurückweisen und ihm einen differenzierten und komplexen eigenen Schuldbegriff entgegen setzen zu können, der im Zusammenhang mit der Schaffung einer neuen deutschen Identität steht. Kollektivschuld wird daher verneint, nicht weil die Diskursgemeinschaft die Deutschen für unschuldig hält, sondern im Gegenteil für schuldig (s. Röpke 1948, S. 113 ff.). Denn in ihrer „Abwehr wird .. die vielfältige – nach überkommenen moralischen und politischen Kriterien kaum deutbare – Verstrickung zahlloser Deutscher in die historisch beispiellosen Verbrechen ihres Staates indirekt eingestanden.“ (Dubiel 1999, S. 71) Vgl. Stötzel/Wengeler 1995, S. 19–25; Felbick 2003, s.v. Kollektivschuld diese Kollektivschuld Deutschlands (Dahlem 1945, S. 257). Die Kollektivschuldthese ist eine durchaus reaktionäre Formel, die den politischen Aufstieg eines neuen, gesäuberten deutschen Volkes hindert. Sie ist eigentlich das primitive Ergebnis einer naiven Zerknirschungspropaganda. .. Das Bekenntnis zu ihr ist nur Ausdruck des Willens, die weitgehenden Reparationsansprüche Rußlands politisch und moralisch zu rechtfertigen. Mit den deutschen Tatsachen und Notwendigkeiten hat diese Formel nichts mehr zu tun. (Schumacher 1945a, S. 279 f.) unheimliche[..] Verstrickung in eine kollektive, weit über Deutschland hinausreichende Schuld (Kogon 1946a, S. 6). Die >Schock<-Politik hat nicht die Kräfte des deutschen Gewissens geweckt, sondern die Kräfte der Abwehr gegen die Beschuldigung, für die nationalsozialistischen Schandtaten in Bausch und Bogen mitverantwortlich zu sein. Das Ergebnis ist ein Fiasko. .. Die grauenhaften Tatsachen [der Konzentrationslager] durften nicht in
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Kollektivschuld
Zusammenhang mit dem Anwurf der Kollektivschuld, sie mußten unmittelbar auf das deutsche Gewissen wirken. .. Ein berechtigtes Gefühl von Millionen wehrte sich gegen die Kollektivanklage, die einen gleichmacherischen Anschein hatte. (Kogon 1946a, S. 409) Als ob die Verwerfung des Wortes >Kollektivschuld<, das der moraltheoretischen Kritik nicht standhält, die Schuld selbst aufheben könnte, die eben die Anteilnahme jedes einzelnen des nationalen >Kollektivs< gewesen wäre! (Kogon 1946a, S. 410) Die Weltmeinung .., die einem Volke die Kollektivschuld gibt, ist eine Tatsache von derselben Art, wie die, daß in Jahrtausenden gedacht und gesagt wurde: die Juden sind Schuld, daß Jesus gekreuzigt wurde. Wer sind die Juden? (Jaspers 1946, S. 145) Kollektivschuld eines Volkes oder einer Gruppe innerhalb der Völker .. kann es außer der politischen Haftung nicht geben, weder als verbrecherische, noch als moralische, noch als metaphysische Schuld. (Jaspers 1946, S. 145) Für uns Deutsche hat der Prozeß den Vorteil, daß er unterscheidet zwischen den bestimmten Verbrechen der Führer, und daß er gerade nicht kollektiv das Volk verurteilt .. Nicht das deutsche Volk, sondern einzelne als Verbrecher angeklagte Deutsche – aber grundsätzlich alle Führer des Naziregimes – stehen hier vor Gericht. (Jaspers 1946, S. 159) Alle wurden zunächst in einen Topf geworfen. Eigentum und Wohnungen wurden beschlagnahmt ganz ohne Ansehen der Person. Statt des goldenen Zeitalters, das man ironisch „das vierte Reich“ genannt hatte, begann die Epoche der Kollektivschuld und der Fragebogen. (Sternberger 1946, S. 12) [Dieser Widerspruch zwischen] anscheinend schwerster Kollektivschuld und vergleichsweise viel geringerer Einzelschuld einer Vielzahl [lässt sich] erklären [mit] einer gewissermaßen optischen Täuschung: Die Millionen Einzelner wurden durch die zwar unsäglich inferiore, aber massenwirksame Beredsamkeit Hitlers und die Methode seiner Propaganda getäuscht und gewonnen. Für sich gesehen sehr häufig nur harmlose Mitläufer, gaben sie durch ihre Vielzahl Hitler ein Machtinstrument ungeheuren Ausmaßes in die Hand, das dieser freventlich mißbrauchte. Es wird also wohl .. die Kollektivschuld überschätzt (Müller-Meiningen 1946, S. 20). Es ist ruhiger geworden mit dem Verlangen nach der Kollektivschuld des Deutschen Volkes. Allmählich gewinnt die ruhige und sachliche Betrachtung der Wirklichkeiten des deutschen Lebens in den vergangenen zwölf Jahren auch bei den übrigen Völkern den vernünftigen Einfluß, wird auch dort anerkannt, daß breite Massen des Deutschen Volkes zu einer freien Entfaltung ihrer Entschließungen und Meinungen selbst nicht mehr in der Lage waren, Deutschland selbst als ein einziges Konzentrationslager, sinnbildlich betrachtet, in der Hand einer zum Letzten entschlossenen Gewalt war. Wir sind dem Schicksale dankbar, daß die Völker der Welt nicht zu einer überstürzten Aburteilung der die Rechte der Menschheit und Völker so tiefst verletzenden Geschehnisse der Zeit gedrängt haben. Mit einer Bejahung der Kollektivschuld wären Generationen des Deutschen Volkes auf eine nicht absehbare Zeit mit einem Schuldspruch belastet worden, der die fortgesetzte Quelle neuer Ungerechtigkeiten, neuer Unruhen geworden wäre. Man kann nicht für die Geschehnisse der Vergangenheit Kinder und Jugendliche, nicht die verbrauchten alten und müden Menschen, nicht die Insassen von Heil- und Pflegeanstalten, nicht die Strafgefangenen, nicht alle im Ausland gewesenen Deutschen, nicht die Bewohner der Klöster, nicht die politisch Abgeurteilten, im allgemeinen auch nicht die vielen Schwerkranken und Schwerbeschädigten, auch nicht die politisch wirklich völlig Unbeteiligten,
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man kann nicht Millionen von Rentnern und Pensionisten, man kann auch im allgemeinen wenigstens nicht die Idealisten, deren Sinn und Hände rein geblieben, mit einer von ihnen nicht begangenen Schuld und einer von ihnen oft schon physisch nicht tragbaren Verantwortung belasten! Zu leicht und zu schnell ist die öffentliche Meinung bei der Hand, jemandem die Schuld zuzuschieben. Und wie so außerordentlich schwierig sind die Verfahren, nach richterlichem Gewissen und nach den Grundsätzen wahrhafter Gerechtigkeit einen Schuldspruch zu fällen! Wie unendlich schwieriger wird der gerechte Urteilsspruch, wenn eine Gesamtheit von Vorgängen oder Menschen zu beurteilen ist, wie bei den Geschehnissen der letzten zwölf Jahre! Es ist die Hoffnung des Deutschen Volkes geworden, daß durch das Nürnberger Gerichtsverfahren und durch den Spruch des Internationalen Militärtribunals das Deutsche Volk als Ganzes von der Kollektivschuld freigesprochen ist, daß in diesem für seine Ehre und sein Fortleben unentbehrlichen Punkte seine Reinwaschung erfolgt ist. Das in Nürnberg geschaffene Recht soll nach dem Willen der Völker der Welt als ein mindestens moralisch wirkendes Völkerrecht vor allem für die Zukunft wirken. Den zugleich darin liegenden Schutz darf man auf die Dauer auch dem Deutschen Volke und seinen Massen nicht versagen. Man kann von ganzem Herzen nur wünschen, daß die Völker der Erde, ihre Staatsmänner, ihre Regierungen von den Erkenntnissen der Gerechtigkeit des Nürnberger Gerichtshofes ausgehen, sobald sie sich mit Angelegenheiten zu beschäftigen haben, die die Lebensfragen des Deutschen Volkes berühren. Wir werden dabei sehr genau unterscheiden zwischen der Schuld des einzelnen und gewisser Teile des Deutschen Volkes und der Verantwortung und Wiedergutmachung moralischer und materieller Werte, die vom ganzen Volke zu tragen sind und getragen werden. (Eckert 1946, S. 63 ff.) Diese Dichter und Gelehrten haben durch ihr Werk bezeugt, daß sie an dem, was über Deutschland und die Welt heraufzog, keine Mitschuld tragen. Sie selber fühlen sich dabei gewiß vor Gott nicht frei von Schuld; denn welcher Mensch vermöchte das! Allein, dann ist es nicht die Schuld, von der man heute spricht, wenn man an so etwas wie Kollektivschuld denkt. Es ist dann die religiöse Schuld, die metaphysische, an der die ganze Menschheit trägt und nicht nur irgendeine Gruppe. (Grimme 1946a, S. 60 f.) Ich habe hier in London, in Oxford, in Cambridge, wo immer sonst ich war, ein geradezu beglückendes Verständnis dafür gefunden, daß es zwei Gruppen von Menschen in Deutschland gibt, auf die das undurchdachte Wort von einer deutschen Kollektivschuld in keiner Weise zutrifft. Es ist die Jugend, die in ihrem Alter noch gar nicht ahnen konnte, zu welchem schauerlichen Zweck man sie mißbrauchte und die nur deshalb hinter Hitler herlief, weil seine Propaganda geradezu dämonisch-diabolisch das Wort der Ebner-Eschenbach wahr machte: „Es würde viel weniger Schlechtes in der Welt geschehen, wenn es nicht im Namen des Guten getan würde.“ Und wenn ich schon in Deutschland für diese Jugend bat, man möge ihr politisch eine Chance geben, indem man unter ihre politische Vergangenheit großzügig einen Strich zieht, dann habe ich hier immer wieder ein Verständnis für ihre besondere Not gefunden. Und die zweite Gruppe sind die Millionen, die dem verrottetsten System der Weltgeschichte, unbekümmert um ihr Leben oder unter Aufopferung ihrer Heimat, mit der sie sich auch aus der Ferne verbunden fühlen, Widerstand geleistet haben. Ich bin hier niemandem begegnet, der nicht bereit ist, auch politisch die Konsequenz daraus zu ziehen, daß eine Kollektivschuld nur unter einem religiösen
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Aspekt behauptet werden kann, daß aber diese Schuld sich dann nicht auf ein Volk allein erstreckt. (Grimme 1946c, S. 225 f.) Kollektivurteile sind die einfachste und gleichzeitig gefährlichste Form der Geschichtsfälschung (Windisch 1946, S. 22). Die fremden und die einheimischen Umerzieher haben sofort nach dem Zusammenbruch emsig begonnen, jede Enthüllung über den Nazismus als Material für die These von der deutschen Kollektivschuld zu verwerten. Die krassen Untaten schienen hierfür am geeignetsten zu sein. Jede Scheußlichkeit, die der Deutsche zu hören bekam, über Belsen und Buchenwald, über Lidice und Auschwitz, war mit einer Anklage verbunden: ‚Deine Schuld – tua culpa!‘ Der mit moralischer Propaganda längst überfütterte Deutsche wurde durch die chronische Verknüpfung von Greuelbericht und Kollektivbeschuldigung nicht etwa in eine reuige, sondern in eine widerspenstige Gemütsverfassung versetzt. Der Anklagezustand ist dem Verteidigungszustand eng benachbart. (Friedlaender 1947, S. 50) Die einsichtigen unter den Umerziehern haben inzwischen bemerkt, welch elementare psychologische Fehler gemacht worden sind. Das grobe und wenig treffsichere Geschütz der Kollektivschuld ist allmählich außer Gebrauch gekommen. Aber die Gelegenheit, den Schock des Zusammenbruchs mit einem Schock der aufgedeckten Naziuntaten zusammenkommen und zusammenwirken zu lassen, ist nun einmal verpaßt. Aus diesen beiden Schocks hätte ganz von selbst in den einzelnen Deutschen die Frage nach dem „mea culpa“ hervorgehen können. Das dick aufgetragene „tua culpa“ hat das verhindert. (Friedlaender 1947, S. 50 f.) Die grundsätzlichen Erklärungen der Atlantic-Charta oder der UNO-Organisation stehen auf dem Papier, weil man vor ihrer generellen Anwendung, nämlich auch uns gegenüber, zurückscheut. Man verdeckt diese Situation durch Berufung auf die deutsche Kollektivschuld und durch die Notwendigkeit einer deutschen Re-education, die der Eingliederung von Deutschland in die Vereinten Nationen vorausgehen soll. Aber es folgt aus meinen Ausführungen, daß diese Einstellung an der geistigen Wirklichkeit völlig vorbei geht. Denn bei aller Anerkennung unserer besonderen deutschen Schuld, die ich durchaus zugeben möchte, weil wir nach unserer geistigen Tradition auch eine besondere Verantwortung hatten, so kann man bei einer Kollektivschuld nur von einer europäischen Kollektivschuld an der Welt sprechen. Und wenn von „Rückerziehung“ die Rede ist, so kann es sich nur um die Rückführung des europäischen Menschen zu den geistigen Fundamenten handeln, auf denen das Abendland ursprünglich aufgebaut war. Eine Begründung für ihr jetziges Verhalten können die Siegermächte nur in der Tatsache finden, daß auch wir nicht anders gehandelt haben. Das können wir nicht entkräften. Aber diese Begründung führt nicht weiter. (Steltzer 1947, S. 177) Wir haben völkerrechtlich die Verantwortung des deutschen Volkes für die von dem Nazisystem begangenen Verbrechen anzuerkennen. Dabei ist diese völkerrechtliche Verantwortung aber keineswegs gleichbedeutend mit einer Kollektivschuld des deutschen Volkes oder gar mit einer kriminellen Schuld jedes einzelnen Deutschen. Indem das Militärtribunal in Nürnberg sogar Männer wie Papen und Schacht, die in den Augen des deutschen Volkes schuldig sind, freigesprochen hat, ist die Sinnlosigkeit des Versuches, alle Deutschen zu Verbrechern zu stempeln, vor aller Welt dargetan. (Geiler 1947, S. 210) Und wenn auch in unserem Land dem Begriff der Kollektivschuld heute die spontanste Abwehr gilt, so sollte man ihn doch angesichts dieses massenhaften Verfallens
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an die Scheinautorität des absoluten Staates aufmerksamer beachten, ehe man ihn verstimmt oder entrüstet ablehnt. Wer das Wort von der Kollektivschuld freilich heute noch allein in der Hoffnung auf unterschiedlose Strafe gebraucht, verharrt in verwerflicher Befangenheit. Für unsere Selbsterkenntnis in einer schier unlösbar gewordenen Schicksalsverstrickung andererseits scheint das Wort nicht ungeeignet. Denn das plumpe und unerbittliche Verfahren der Diktatur besteht darin, einer immer wachsenden Zahl von Entscheidungen der einfachen Lebensführung die extreme Drohung von Sein oder Nichtsein beizumengen. Ist die menschliche Freiheit erst einmal soweit eingekreist, dann ist es kaum verwunderlich, wenn Unzählige den Weg des geringeren Widerstandes gehen. Es zeigt nur besonders auf den höheren sozialen Ebenen die Armut an Werten an, daß man sich um jeden Preis des Gewissensbetruges und der Erniedrigung – die oft wie eine Erhöhung aussieht – der Nächste bleibt. (Mitscherlich/Mielke 1947, S. 172 f.) Wenige hatten den Mut oder die Fähigkeit zur letzten Wahrheit, weil hinter ihr die Riesenschuld stand, die wir alle trugen. Nicht die „Kollektivschuld“, mit der soviel Mißbrauch getrieben worden ist, aber doch eine viel größere, als selbst die Besten unter uns sie zugeben möchten. (Wiechert 1948, S. 382) Heute sind wir Deutschen alle in der gleichen Verdammnis. Ob wir von jeher nach Bekenntnis und Handeln Demokraten, ob wir verbissene Feinde jeden demokratischen Fortschritts oder ob wir autoritätsgläubige Nationalisten waren, wir zählen alle zum deutschen Volke und werden ohne Unterschied haftbar gemacht für die Folgen der wahnwitzigen Politik, die in seinem Namen getrieben worden ist. Aus dieser gemeinsamen Haftung kann sich keiner befreien. Denn es ist uralte Praxis im Völkerleben – von ‚Recht‘ möchte ich hier nicht sprechen –, daß ein im Krieg geschlagenes Volk gemein-schuldnerisch für den dem Sieger zugefügten Schaden haftet. Eine Kollektivschuld in dem anderen Sinne jedoch, daß wir alle ohne Unterschied den Nationalsozialisten zur Macht verholfen hätten und aus diesem Grunde für ihre Verbrechen büßen müßten, erkenne ich nicht an. Wie soll derjenige, der dem Nationalsozialismus von der ersten Stunde an Feindschaft geschworen und ihn mit allen Kräften bekämpft hat, für seine Machterschleichung mitverantwortlich sein? Wie derjenige, der um seiner Gesinnung willen von den Nationalsozialisten in den Kerker geworfen wurde? Viel begründeter ist die Auffassung, daß die Politik der Großmächte, die 1919 Deutschland den Frieden diktierten, den Nationalsozialismus hochgezüchtet und daß die Haltung dieser Mächte gegenüber dem im Besitz der Macht befindlichen Nationalsozialismus ihn befestigt hat. Wir deutschen Gegner dieser Gewaltherrschaft waren vom Tag ihrer Errichtung an wehr- und machtlos. Die auswärtigen Mächte waren stark. Sie scheuten einen neuen Krieg. Es bedurfte aber keines Krieges, um Hitler in die Schranken zu weisen. Die Weimarer Republik hatte unter dem Druck der Reparationen um ihr Leben ringen müssen. Kurz vor ihrem Untergang hatte sie die Befreiung von diesen Lasten erreicht. Nun wurde Hitler gestattet, die gesamte deutsche Produktionskapazität für seine Hochrüstung einzusetzen. Ein Bruchteil der Kontrollmaßnahmen, die unter der Weimarer Republik der deutschen Abrüstung dienten, hätte genügt, den Aufrüstungswahnwitz zu unterbinden. Zum Erstaunen der friedlich gesinnten deutschen Demokraten war aber festzustellen, daß zu der gleichen Zeit, da der nazistische Rüstungsapparat auf höchsten Touren lief, die Siegermächte von 1918 mit der Hitlerregierung freundschaftliche Beziehungen pflegten. Der Weimarer Republik war die militärische Souveränität beharrlich verweigert worden, der Hitlerdiktatur wurde sie nach der
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vertragswidrig wiederhergestellten allgemeinen Wehrpflicht stillschweigend zugestanden. Dabei gab es in der Weimarer Zeit starke Kräfte in Deutschland, die nur aus Gründen der nationalen Selbstachtung die Rückgabe des Selbstbestimmungsrechts im militärischen Bereich verlangten, einer Ausnützung dieses Rechts für eine uferlose Rüstung und für die Vorbereitung eines Eroberungskrieges sich aber schärfstens widersetzten. Im Hitlerreich fehlte jede Bremse dieser Art. Die Gerechtigkeit fordert meines Erachtens erstens eine Differenzierung zwischen den Deutschen hinsichtlich der Schuld am Entstehen der Hitlertyrannei, zweitens eine Abwägung des Maßes der Verantwortung des Auslands für das Unheil, das diese Tyrannei heraufbeschworen hat. Erschwerend wird Deutschland zur Last gelegt, daß sich hier keine Widerstandsbewegung in der Art gebildet hat, wie sie in den von Hitler überfallenen Ländern entstanden und wirksam gewesen ist. Es kann nicht bestritten werden, daß es eine solche Widerstandsbewegung in Deutschland nicht gegeben hat. Die kleinen sogenannten Widerstandsgruppen, die sich zeitweilig da und dort zusammengefunden haben, und selbst die tatentschlossene geheime Verbindung, die am 20. Juli 1944 aktiv wurde, sind mit den Bewegungen in jenen Ländern nicht vergleichbar. Man soll aber den großen Unterschied zwischen der Situation hier und dort nicht übersehen. Für die von Hitler besetzten Länder bedeutete der Widerstand Kampf gegen einen fremden Usurpator und der Erfolg bedeutete Sieg des eigenen Landes. In Deutschland bedeutete der Widerstand Kampf gegen einen Führer, den eine monopolisierte Propaganda den hypnotisierten Volksmassen als das „Werkzeug der Vorsehung“ vorführte, und der Erfolg bedeutete zugleich eine Kriegsniederlage des eigenen Volkes von unabsehbaren Ausmaßen. In den überfallenen Ländern herrschte der blutige Terror der Besatzung und Gestapo. In Deutschland herrschte dazu noch der bis ins kleinste verästelte Staats- und Parteiapparat. Nicht nur die hunderttausend Parteifunktionäre bis zum letzten Zellen- und Blockleiter, sondern jeder Parteigenosse und mit ihnen nicht wenige Menschen ohne Parteiabzeichen wachten darüber, daß ‚Landesverräter‘ ‚vernichtet‘ wurden, wie die Instruktion lautete. In den besetzten Ländern fanden die Alliierten Möglichkeiten, die Widerstandsbewegungen mit Waffen zu versorgen. In Deutschland war an eine solche Möglichkeit nicht entfernt zu denken. Die Erfahrung hat gelehrt, daß jeder Widerstandsversuch mit der Ausmerzung der Beteiligten raschestens erstickt wurde. Überlebende, die an solchen Versuchen beteiligt waren, können, auch wenn sie nachträglich sich zur ‚Widerstandsbewegung‘ zählen, die es in diesem Sinne nicht gegeben hat, von keinem Erfolg berichten. Hätte sich selbst ihre Zahl verzehnfacht oder verhundertfacht, so würde sich in gleichem Maße die Zahl der nutzlosen Opfer vermehrt haben. Man muß selbst in Deutschland gelebt haben, um sich in die Lage der deutschen Gegner des Gewaltregimes versetzen zu können. Von außen kann man sich kein zutreffendes Urteil bilden. (Keil 1948, S. 701 ff.) Die größte Gefahr für eine solche Umkehr aber bedeutet die unglückliche Theorie von der unterschiedslosen deutschen Kollektivschuld, eine Theorie, die selbst dann, wenn sie auch nur zum Teil begründet wäre, nicht zur Richtlinie einer vernünftigen, d. h. auf eine wirkliche politische Klimaänderung gerichteten Politik gemacht werden sollte, die aber obendrein noch unhaltbar ist. Noch mehr: Es ist eine Theorie, die beweist, in welch erschreckendem Maße die Welt, ohne es recht zu wissen, bereit ist, den von den Nationalsozialisten begonnenen Rückschritt zu barbarischen Kollektivvorstellungen derselben mystischen Art mitzumachen, wie sie uns in der abstoßenden Theorie von ‚Blut und Boden‘ oder vom ‚Herrenvolk‘ und in der nichtswür-
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digen Praxis der ‚Sippenhaftung‘ oder der Geiselerschießungen entgegengetreten sind. Es wird allerhöchste Zeit, dieser Verwirrung mit den notwendigen Klärungen entgegenzutreten. (Röpke 1948, S. 113) Zu allererst erscheint es notwendig, drei Dinge auseinanderzuhalten. Das eine ist das den Deutschen im Durchschnitt zu wünschende Bewußtsein, zu irgendeinem Teile moralischpsychologisch verantwortlicher Mitträger einer verhängnisvollen politischen Entwicklung zu sein, und die Erkenntnis, daß dies die letzte, furchtbarste Phase jener mit Bismarck beginnenden Periode ist, in der Deutschland seiner Verantwortung und seinem besseren Selbst untreu geworden war. Sie sollten den Weg bitter bereuen, den sie von 1866 bis 1933 und dann bis 1945 gegangen sind, und sich nunmehr entschlossen wieder Europa zuwenden, dessen geographisches Zentrum sie sind und gegen das sie sich aufgelehnt hatten. Das ist die innere Umkehr, von der wir gesprochen haben. Natürlich ist sie nicht möglich ohne das Bewußtsein jedes einzelnen Deutschen, zu irgendeinem Teile wirklich mitverantwortlich zu sein. In dieser Hinsicht gibt es nur eines, was von allen Deutschen erwartet werden müßte: daß jeder sich rücksichtslos und ehrlich prüfe, wie es mit seinem persönlichen Konto beschaffen ist. Wahrscheinlich werden alle, die überhaupt der Einsicht in den Höllencharakter des Dritten Reiches fähig sind, in irgendeinem Grade jenes ganz allgemeine und nicht leicht zu bestimmende Gefühl der Schändung spüren, das für die Mitglieder einer durch Frevel befleckten Menschengruppe natürlich ist. Wenn es sich jedoch um die konkrete individuelle Verantwortung handelt, so wird sich ergeben, daß die Anteile der einzelnen Deutschen sehr verschieden sind, leider aber auch oft im umgekehrten Verhältnis zu der Bereitschaft stehen, sie sich oder gar anderen einzugestehen. Manche Deutsche werden vollkommen freizusprechen sein und viele Ausländer in verdienstvoller Abwehr übertreffen, andere werden das Durchschnittsmaß zu tragen und noch andere eine wirkliche schwere Schuld zu bekennen haben. In allen Fällen handelt es sich jedoch um etwas, was die Deutschen einzeln mit sich selber abzumachen haben und wozu man ihnen vielleicht mehr Zeit lassen muß, als das Ausland, das ungeduldig und nicht ohne Selbstgefälligkeit das Schauspiel eines sich vor der Welt in den Staub werfenden Volkes erwartet, zugestehen möchte, – mehr Zeit nicht nur, weil Hungernde dazu nicht sehr disponiert sind, sondern vor allem deshalb, weil dem ersten günstigen Augenblick der völligen Betäubung erst in längerem Abstand der noch günstigere der vollen Unterrichtung und klaren historischen Erfassung folgen kann. Liegt diese ‚Schuld‘, im Sinne einer historischen Verantwortung, ganz im Innern des Moralischen, Intelligiblen und Psychologischen, so eine Schuld im zweiten Sinne ganz im Äußeren, nämlich im Bereiche der öffentlichrechtlichen Haftpflicht. So nämlich wie die Gesamtheit eines Volkes die Haftung für die Schulden einer Regierung auch dann übernehmen muß, wenn es sie durch eine Revolution desavouiert hat, muß sie auch den Schaden grundsätzlich wiedergutmachen, den seine Regierung anrichtet. Es ist dies nicht eine Schuld des einzelnen, sondern der durch den Staat vertretenen Gesamtheit, eine Schuld, an der der einzelne nur indirekt als steuerpflichtiger Staatsbürger, nicht nach Maßgabe seines individuellen Verschuldens, sondern nach den Kriterien teilnimmt, die seine Steuerpflicht bestimmen. Es ist dies eine Kollektivschuld, die sich aus dem Charakter des Staates und seines Verhältnisses zu seinen Staatsangehörigen ergibt, soweit sie gleich den in seinem Gebiete wohnenden Ausländern seiner Steuergewalt unterworfen sind. Im Falle Deutschlands, wo es den Schaden wiedergutzumachen gilt, den eine usurpierte Regierung von Kriminellen angerichtet hat, wäre es nun durchaus billig, diejenigen, denen sich
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ein hoher individueller Schuldanteil nachweisen läßt, auch in entsprechendem Maße zur Wiedergutmachung heranzuziehen. Um so unbilliger aber ist es, eine Individualisierung dieser juristischen Kollektivschuld in der Weise vorzunehmen, daß man einzelne nach Merkmalen herausgreift, die, wie der Besitz eines schweizerischen Guthabens, schwerlich etwas mit dem Maß der Schuld zu tun haben. Zu einer solchen Verwirrung des Rechtsdenkens gelangt man jedoch nur allzu leicht, wenn man sich eine dritte Auffassung der deutschen Kollektivschuld zu eigen macht, eben jene These von der unterschiedslosen moralisch-juristischen Kollektivschuld, im Sinne nicht der öffentlichrechtlichen Haftung, sondern der tatsächlichen Mittäterschaft an allem, was im Namen Deutschlands geschehen ist. Es scheint nicht leicht, diese grobe Kollektivschuldthese von den bisher genannten Thesen scharf zu trennen. Es sollte aber einleuchten, daß es sehr verschiedene Dinge sind, ob ich als Deutscher sage: Seit 1866 hat das deutsche Volk sich immer tiefer in Schuld und Irrtum verstrickt. Oder ob ich sage: Wir Deutsche müssen, schuldig oder nicht, für den Schaden aufkommen wie die Eisenbahn für die Folgen eines Zugunfalls, der durch einen verrückt gewordenen Lokomotivführer verursacht worden ist. Oder ob ich schließlich sage: Wir Deutsche, was wir auch getan oder nicht getan haben mögen, sind qua Deutsche als Menschen gebrandmarkt, die als unterschiedslos Schuldige ohne Ausnahme Verbrechen zu sühnen haben, als ob sie sie wirklich begangen hätten. Das letzte aber ist eine Ungeheuerlichkeit. Wir müssen uns darüber klar sein, daß wir damit einen Hauptgrundsatz unserer Zivilisation, nämlich den der persönlichen Verantwortung, preisgeben und zu der barbarischen Stufe der Gruppenhaftung zurückkehren. Wir müßten in den ältesten Urkunden der Menschheit blättern, in denen von der Sippenrache, vom jus talionis und von der Familienhaftung die Rede ist, um auf ähnliche Vorstellungen zu stoßen, und wir müßten jenes ganze Reformwerk der Zivilisation, von der Decretio Childeberti (595) bis zum Ausgang des Mittelalters wieder rückgängig machen, wenn wir diesen Weg ernstlich gehen wollten. Dabei tun wir jenen barbarischen Zeiten durch einen solchen Vergleich noch Unrecht. Denn die Familie ist immerhin noch eine echte und natürliche Gemeinschaft, der Staat aber auch dann nicht, wenn wir statt dessen das gefühlvollere Wort ‚Volk‘ setzen. Man kann in der auf die Familie beschränkten Gruppenverantwortung der Frühzeit eine der Natur entsprechende und einigermaßen entschuldbare Roheit erblicken; die moderne Kollektivverantwortung der anonymen Inhaber eines bestimmten Passes ist Ausdruck mechanischer Sinnlosigkeit. Das eine ist Barbarei der Unreife, das andere solche der Fäulnis. Es ist kein Zufall, daß es die totalitären Staaten gewesen sind, die das Beispiel für die neue barbarische Kollektivjustiz gegeben haben: sie entspricht genau so dem Prinzip des Totalitarismus wie der von ihm gepflegte Kollektivstolz. Der Mythus der deutschen Kollektivschuld ist um kein Haar besser als seine Umkehrung, der Mythus vom ‚Herrenvolk‘. Mit Recht können die deutschen Nationalsozialisten und Nationalisten auch diese Umkehrung noch als einen posthumen Sieg feiern: Sie hatten ja immer gesagt, daß alle Deutschen mit ihnen im selben Boot säßen, und die Sieger bestätigen dem ‚Herrenvolk‘ auch noch in seiner Niederlage, daß es nicht nur auf Gedeih, sondern auch auf Verderb jene kompakte Masse darstellt, die der Totalitarismus voraussetzt. Zugleich konnten sich diese wirklich mit ungeheurer Schuld belasteten Deutschen nichts Besseres als die These von der deutschen Kollektivschuld wünschen, um sich ein bequemes Alibi zu verschaffen und der gerechten Sühne zu entgehen. Durch die Verteilung von Schuld und Sühne auf siebzig Millionen Schultern werden sie beide
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so verdünnt, daß sie für die wirklich Schuldigen leicht werden, während sie für die übrigen erbitternd ungerecht und schwer sind. (Röpke 1948, S. 113 ff.) Augenblicklich sind wir abermals durch unsere völlige Entwaffnung in einer bevorzugten moralischen Situation: es hängt nicht im leisesten von uns Deutschen ab, ob in der „Welt“ Friede oder neuer, noch entsetzlicherer Krieg wird; was immer geschehen möge, wir werden daran mit keiner Kollektivschuld belastet werden können. Diesmal tragen alle andern außer uns die (verschiedengradig gestufte) Verantwortung. Und es ist gar keine Frage: alle andern rüsten, wiederum verschieden gestuft, aber auch die Länder „ewiger Neutralität“ halten es gerade um der Wahrung dieser ihrer Neutralität willen für erforderlich, ihre Abwehrrüstung zu vervollkommnen, um jeder gefährlichen Eventualität gewachsen zu sein. (Hellpach 1949, S. 234) Es hat keinen Sinn, um die Dinge herumzureden. Das scheußliche Unrecht, das sich am jüdischen Volke vollzogen hat, muß zur Sprache gebracht werden in dem Sinne: Sind wir, bin ich, bist du schuld, weil wir in Deutschland lebten, sind wir mitschuldig an diesem teuflischen Verbrechen? Das hat vor vier Jahren die Menschen im Inland und Ausland bewegt. Man hat von einer »Kollektivschuld« des deutschen Volkes gesprochen. Das Wort Kollektivschuld und was dahinter steht, ist aber eine simple Vereinfachung, es ist eine Umdrehung, nämlich der Art, wie die Nazis es gewohnt waren, die Juden anzusehen: daß die Tatsache, Jude zu sein, bereits das Schuldphänomen in sich eingeschlossen habe. Aber etwas wie eine Kollektivscham ist aus dieser Zeit gewachsen und geblieben. Das Schlimmste, was Hitler uns angetan hat – und er hat uns viel angetan –, ist doch dies gewesen, daß er uns in die Scham gezwungen hat, mit ihm und seinen Gesellen gemeinsam den Namen Deutsche zu tragen. (Heuss 1949a, S. 100 f.) Jedenfalls hat erst das zwanzigste Jahrhundert die Reste naturrechtlicher Ideen dadurch beseitigt, daß es den juristischen Positivismus konsequent zu Ende gedacht hat. Wenn man nämlich mit diesem Positivismus annimmt, daß einzig und allein die organisierte physische Zwangsgewalt des Staates Recht erzeugt, so folgt daraus, daß der souveräne Machtstaat weder durch religiöses noch durch rationales Naturrecht noch durch die Menschenrechte der liberalen Staatsverfassungen gehindert sein könne, den Besiegten zu behandeln wie ihm beliebt, und daß nur das positive, von den souveränen Staaten selbst geschaffene Völkerrecht ihm Schranken setzen könnte. Nun gibt es aber keine allgemeinen Verträge, welche dem Sieger Vorschriften machen, wie weit er im Friedensvertrag oder Friedensdiktat seinen Sieg ausnutzen dürfe. So nähert man sich wieder dem antiken vorchristlichen Gedanken des totalen Sieges. Dabei fühlt man aber doch, anders als die oft sehr grausamen Sieger des Altertums, das Bedürfnis, weitgehende Maßregeln gegen den Besiegten irgendwie vor der zivilisierten Welt moralisch zu rechtfertigen. So gewinnt die Konstruktion von der Kollektivschuld eines ganzen besiegten Volkes ein neues Anwendungsgebiet. Allein von der moralischen Motivierung irgendwelcher Macht und Interessenpolitik eines Siegers wäre doch noch ein ungeheurer Schritt bis zur Verhängung einer Kollektivstrafe größten Stils gegen ein ganzes besiegtes Volk oder große Teile eines solchen. Er würde ja die ganze Entwicklung des Völkerrechtes seit seinen Anfängen bei Victoria, Gentilis und Grotius, ja die Entwicklung unserer Moral seit der Christianisierung Europas rückgängig machen. (Laun 1950, S. 66) Aber ebenso wie 1918/19 ist auch 1945 und in den folgenden Jahren die Behauptung einer Kollektivschuld zur Motivierung der diktierten Maßregeln herangezogen worden. Die Einleitungen zu den Friedensverträgen mit Italien, Ungarn, Bulgarien,
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Rumänien und Finnland lassen dies klar erkennen, denn sie enthalten moralische Vorwürfe wegen des Kampfes auf Seite Deutschlands gegen die besiegten Länder, „Italy“, „Hungary“, „Bulgaria“, „Rumania“, „Finland“, ohne daß alle diese Kriegshandlungen unter Strafe gestellt würden. Da aber moralische Vorwürfe ein Abstraktum nicht treffen können, bezeichnen auch hier die zitierten Ländernamen nicht den Staat, sondern das Volk als Kollektivum. Da in allen diesen Verträgen das Bündnis mit „Deutschland“ („Germany“ oder „Hitlerite Germany“) den Grund des moralischen Vorwurfs bildet, ist damit nach dem Zusammenhang auch eine Kollektivschuld des deutschen Staatsvolkes mitbehauptet, sonst wäre der Gegenstand des Tadels ein Bündnis mit der Regierung Hitler und nicht ein Bündnis mit dem Lande Deutschland. Kollektivbeschuldigungen gegen das deutsche Volk sind aber auch sonst verschiedentlich von maßgebenden Stellen vorgebracht worden. So rügt zum Beispiel die Proklamation General Eisenhowers, die nach dem Einmarsch der Alliierten Truppen durch Anschlag kundgemacht wurde, im Punkt I unter anderem den „deutschen Militarismus, der so oft den Frieden der Welt gestört hat“. Aber unter dem deutschen Militarismus verstand bekanntlich die Propaganda der westlichen Völker schon seit 1914 in erster Linie nicht so sehr besondere Eigenschaften des deutschen Militärs im Gegensatz zum Militär anderer Staaten als vielmehr eine besondere militärfreundliche Gesinnung des ganzen deutschen Volkes im Gegensatz zur Gesinnung anderer Völker. Wie weit solche Vorstellungen richtig oder falsch waren, ist hier nicht zu prüfen. Jedenfalls aber richtete sich der Vorwurf des deutschen Militarismus, der so oft den Frieden der Welt gestört habe, in dem gegebenen geschichtlichen Zusammenhang weder bloß gegen die deutschen Generale noch etwa bloß gegen die Regierung Hitler, sondern offensichtlich gegen das deutsche Volk. Beispiele von Kollektivbeschuldigungen finden sich ferner in den unter der Autorität der Militärregierung veröffentlichten Zeitungen, welche in der ersten Zeit nach der Besetzung die einzigen Zeitungen waren, welche in Deutschland verbreitet werden durften. Aber auch in der bloßen Tatsache der Strafprozesse gegen einzelne Individuen und Gruppen ist, obwohl diese Prozesse, wie erwähnt, die Strafbarkeit aller nicht Verurteilten ausschließen, doch vielfach eine Kollektivbeschuldigung des deutschen Volkes, wenn auch vielleicht unbeabsichtigt, immerhin implicite mit ausgesprochen. Jedenfalls haben diese Verfahren, wenigstens in der ersten Zeit, auf das deutsche Volk im allgemeinen einen solchen Eindruck gemacht. Auf die Literatur über diese Prozesse kann hier unmöglich eingegangen werden. Nach den angewendeten Prozeßregeln konnte und mußte das belastende Tatsachenmaterial sehr viel vollständiger und gründlicher herangezogen werden, als solche Tatsachen, welche geeignet waren, wenn auch nicht die Angeklagten, so doch das deutsche Volk zu entlasten. .. Insbesondere waren die öffentlichen Ankläger, trotzdem sie doch im Namen von Staaten sprachen, die als Richter fungieren wollten, nicht verpflichtet, im Interesse der Ermittlung objektiver Wahrheit auch alles Entlastende vorzubringen. Ihnen standen alle deutschen Archive und bekannt gewordenen Dokumente offen. Sie hatten die Möglichkeit, mit Hilfe eines riesigen Stabes von Beamten alles Belastende zu sammeln und dieses allein geltend zu machen, während es den Verteidigern nicht ermöglicht wurde, selbst in den Archiven nach Entlastungsmaterial zu suchen. Die ausländischen Archive waren überhaupt nicht zugänglich. Den ungeheuren Umfang der Publikation des Urteils des Internationalen Militärgerichtshofes in Nürnberg hat die deutsche öffentliche Meinung im allgemeinen so gedeutet, daß er nur aus einer bei den alliierten Völkern weit verbreiteten Meinung, nämlich dem Schluß aus der Indivi-
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dualschuld der Angeklagten auf eine Kollektivschuld des ganzen deutschen Volkes, zu erklären sei. Die Verhandlungen und sonstigen Materialien des Prozesses sind nach den Weisungen des Internationalen Militärgerichtshofes vom Sekretariat des Gerichtshofes unter der Autorität des Obersten Kontrollrates für Deutschland in vier Sprachen, französisch, englisch, russisch und deutsch, veröffentlicht worden. Die deutsche Ausgabe .. umfaßt zweiundvierzig Bände. Abgesehen von einem RegisterDoppelband von sechshundertsiebenunddreißig Seiten umfaßt das Werk vierzig Bände mit zusammen über 26000 Seiten. Man nimmt nun in Deutschland im allgemeinen an, eine Publikation von so riesigem Umfang wäre nicht erforderlich gewesen, um ein Urteil über zweiundzwanzig Angeklagte zu begründen, wenn nicht hätte zum Ausdruck gebracht werden sollen, daß die den Angeklagten zur Last gelegten Taten zum Teil auf eine Kollektivschuld des deutschen Volkes gegründet gewesen seien. Wahrscheinlich ist auch heute noch eine solche Überzeugung bei einem großen Teil der zivilisierten Menschheit verbreitet. Man darf ja nicht vergessen, daß zum Beispiel die raffinierte Art und Weise, wie das Régime Hitler es verstand, Massenverbrechen dem Volk zu verheimlichen und ihm Völkerrechtswidrigkeiten aller Art durch Verleumdung der Gegner als Repressalien hinzustellen, im allgemeinen der außerdeutschen Welt unbekannt und kaum erklärlich war und es der großen Mehrheit wohl noch immer ist. Jedenfalls gehen jene vierzig wuchtigen Bände und noch andere umfangreiche Publikationen mit sorgfältig aus allen Ecken und Enden zusammengetragenen Belastungsmaterialien in die Weltgeschichte ein. Aber ihnen stehen nicht ebenso sorgfältig zusammengetragene Materialien gegenüber, aus denen sich die Entlastung von Millionen und Millionen Unterdrückter und Belogener ergeben müßte, wenn man .. nach der Willensschuld jedes Individuums fragen und forschen könnte. Dazu kommt, daß gerade nur die Vorgänge in Deutschland und in den deutschen Besetzungsheeren so gründlich untersucht und der Nachwelt überliefert worden sind, nicht auch die Vorgänge anderswo, sodaß die kommenden Generationen nur ein einseitig beleuchtetes Bild von den Ereignissen erhalten. Um so höher darf man es daher schätzen, daß die Richter des Internationalen Militärgerichtes und anderer Militärgerichte sich nicht auf eine Feststellung einer allgemeinen deutschen Kollektivschuld eingelassen haben. Sie haben damit grundsätzlich das Erfordernis der Willensschuld anerkannt und die Idee einer vom bösen Vorsatz der einzelnen Individuen unabhängigen Kollektivschuld verworfen. Damit aber haben sie der Entwicklung des allgemeinen Völkerrechtes einen großen Dienst erwiesen. Denn was 1918/19 und seit 1945 dem deutschen Volk geschehen ist, droht im Zeitalter der auf die Spitze getriebenen Souveränität des Siegerstaates, der Staatsallmacht, des totalen Krieges und des totalen Sieges möglicherweise jedem künftigen besiegten Volk. Der bisherige Rückblick lehrt uns: die seit dem liberalen Zeitalter durchlaufene Entwicklung führt nicht so weit zurück, daß die unbeschränkte Befugnis des Siegers zur Kollektivbestrafung des Besiegten, wie sie im vorchristlichen Altertum selbstverständlich war und auch in der christlichen Welt erst nach und nach überwunden worden ist, wieder Anerkennung gefunden hätte. Wenn wir von der Kollektivstrafe – im Gegensatz zur Kollektivschuld – sprechen, müssen wir vielmehr feststellen: die Schranke, welche Art. 50 der Haager Landkriegsordnung und das entsprechende Gewohnheitsrecht der Verhängung einer Kollektivstrafe ziehen, ist bis jetzt unerschüttert. (Laun 1950, S. 70 ff.) Da wir im staatlichen Recht die wissentliche Beschuldigung Unschuldiger verbieten, weil wir sie für unsittlich halten, müssen wir annehmen, daß eine solche Beschuldigung auch über die Staatsgrenzen hinaus unserem sittlichen Empfinden nicht ent-
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spricht und damit auch dem Geiste des allgemeinen Völkerrechtes zuwiderläuft. Bei der Kollektivbeschuldigung ganzer Völker oder größerer Volksteile aber weiß man immer, daß Kinder, Jugendliche und irgend ein Prozentsatz der Erwachsenen unschuldig getroffen werden. (Laun 1950, S. 75) es gibt nur zweierlei Schuld, eine im juristischen und eine im moralischen Sinn. Die juristische Schuld kann Strafbarkeit oder Haftung begründen, die moralische Schuld begründet einen Vorwurf, in schweren Fällen eine Entehrung. Von den strafbaren Tatbeständen können wir die leichteren .. beiseite lassen. Von den schwereren, die man „Verbrechen“ zu nennen pflegt, müssen wieder die sogenannten ‚politischen‘ Verbrechen, wie zum Beispiel Hochverrat oder das Attentat Wilhelm Tells auf Geßler oder des Grafen Stauffenberg auf Hitler beiseitegelassen werden, denn diese Taten sind nur in den Augen der einen Verbrechen, in denen der anderen aber löbliche Heldentaten. Es bleiben also die sogenannten „gemeinen“ Verbrechen. Diese und nicht die gegen die eigene Regierung gerichteten „politischen“ Verbrechen sind es ja auch im allgemeinen, welche die Völker einander vorwerfen, wenn eines das andere kollektiv beschuldigt. Diese gemeinen Verbrechen aber gelten zugleich als unmoralisch, sodaß wir im Folgenden so weit die juristische Schuld mit der moralischen zusammenfassen können und nicht besonders zu erwähnen brauchen. Die Haftung als solche muß .. hier außer Betracht bleiben, wenn man von „Schuld“ spricht. Denn soweit die Haftung auf moralischen Tadel gestützt wird, wird bereits moralische Schuld behauptet. Auch ein verlorener Krieg oder eine bedrückende militärische Besetzung entehren als solche die einzelnen Bürger oder Bewohner des besiegten oder besetzten Staates nicht im Geringsten, denn es ist keine Schande, der Schwächere zu sein, und wenn moralisch Schuldige da sind, so sind es wenige oder viele einzelne, aber kein Kollektivum. Es bleibt also im Ganzen überhaupt kein Raum für eine Kollektivschuld. Man mag einen Tatbestand, der eine Kollektivstrafe im Sinne des Art. 50 der Haager Landkriegsordnung zulässig macht, in einem uneigentlichen Sinn eine Kollektiv-„Schuld“ nennen, weil nun einmal das positive Recht ohne Rücksicht auf die Willensschuld der einzelnen die Rechtsfolge „Strafe“ nennt. .. sobald wir von schwereren Taten und schwereren Vorwürfen sprechen, gibt es im Grunde nur eine Schuld, die moralische Schuld, und da ein Kollektivum nicht moralisch schuldig sein kann, keine Kollektivschuld. Jaspers hat vollkommen recht, wenn er S. 39 sagt: „Die Weltmeinung aber, die einem Volke die Kollektivschuld gibt, ist eine Tatsache von derselben Art, wie die, daß in Jahrtausenden gedacht und gesagt wurde: die Juden sind schuld, daß Jesus gekreuzigt wurde.“ Ob man die jüdische Rasse als Ganzes wegen irgendwelcher Taten irgendwelcher Juden beschuldigt wie der radikalere Antisemitismus, oder das deutsche Volk als Ganzes wegen der Taten des Régimes Hitler und seiner Helfershelfer, oder das polnische und das tschechische Volk als Ganzheiten wegen der örtlich zum Teil mit Massenausrottung (genocide ..) verbundenen gewaltsamen Ausweisung von mindestens etwa zwölf Millionen Deutschen aus ihrer vielhundertjährigen Heimat 1945, immer wird, wie verschieden sonst die Tatsachen liegen mögen, grundsätzlich der gleiche Fehler begangen: Millionen absolut in jeder Hinsicht Unschuldiger werden mitbeschuldigt. Daß ganze Völker noch heute in solchen Kollektivbeschuldigungen denken können, ist ein atavistisches Überbleibsel aus der Zeit der Blutrache und der Erlaubtheit der Massenausrottung gegenüber dem Besiegten. Ganz besonders gilt dies von den schwersten und allgemeinsten Beschuldigungen, welche die Völker immer wieder gegeneinander erheben, so von der Behauptung der Schuld eines Volkes an einem Krieg, oder auch
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zum Beispiel von den in Deutschland so verbreiteten Beschuldigungen der alliierten Völker im Ganzen wegen verschiedener Ereignisse seit 1945 oder der Polen und Tschechen im Ganzen wegen der Massenausweisungen und ihren Begleiterscheinungen im Osten. (Laun 1950, S. 79–82) Die Kollektivbeschuldigung richtet sich nicht nur gegen die Räuberbande, sondern auch gegen deren Opfer, Kinder, Jugendliche, Unterdrückte, Belogene. Alle diese Opfer würde die conscience publique bei Kenntnis der entscheidenden wahren Tatsachen und Zusammenhänge niemals verurteilen. Zweitens wird übersehen, daß die lois et coutumes de la guerre zwingendes Recht sind und daß sich von zwingendem Recht niemand ausschließen kann, auch nicht durch Verbrechen. Selbst wenn das deutsche Volk 1933 bis 1945 kollektiv schuldig gewesen wäre, hätte es doch dieses zwingende Recht zu befolgen gehabt und weiterhin zu befolgen. Daher muß dieses für und gegen alle gelten. Es wird immer wieder übersehen, daß dieses Recht Individuen schützt, ohne Rücksicht darauf, ob und wie viele ihrer Mitbürger Verbrecher sind, und daß es selbst dem Verbrecher .. Rechte zubilligt. (Laun 1950, S. 112) In Deutschland ist oder wenigstens war ein offener Widerstand gegen die Obrigkeit besonders schwierig, weil sich noch aus den Zeiten der legitimen Monarchie dem Staat gegenüber eine Ehrfurcht erhalten hat, die neben ihren Schattenseiten auch Vorzüge besitzt. Es fiel dem Einzelnen daher schwer, zu begreifen, daß er nach dem Einzug der siegreichen Mächte für seinen mangelnden Widerstand nicht nur generell, als Kollektivschuldiger, sondern auch individuell belangt wurde – etwa dafür, daß er als Beamter oder als Kapellmeister auch weiterhin seinen Beruf besorgt hatte. Wir dürfen diesen Vorwurf, obwohl er groteske Blüten trieb, nicht als Kuriosum auffassen. Es handelt sich vielmehr um einen neuen Zug unserer Welt, und es kann nur empfohlen werden, ihn immer im Auge zu behalten in Zeiten, wo an öffentlichem Unrecht nie Mangel herrscht. Hier kann man durch Okkupanten in den Geruch des Kollaborateurs geraten, dort durch Parteien in den des Mitläufers. Auf diese Weise entstehen Lagen, in denen der Einzelne zwischen Scylla und Charybdis gerät; es droht ihm Liquidierung sowohl wegen Beteiligung als auch wegen Nichtbeteiligung. (Jünger 1951, S. 350 f.) Wir wollen annehmen, daß in einer Stadt, in einem Staate noch eine gewisse, wenn auch geringe Anzahl von wirklich freien Männern lebt. In diesem Falle würde der Verfassungsbruch von einem starken Risiko begleitet sein. Insofern ließe sich die Theorie der Kollektivschuld stützen: die Möglichkeit der Rechtsverletzung steht im genauen Verhältnis zur Freiheit, auf die sie stößt. Ein Angriff gegen die Unverletzbarkeit, ja Heiligkeit der Wohnung zum Beispiel wäre im alten Island unmöglich gewesen in jenen Formen, wie er im Berlin von 1933 inmitten einer Millionenbevölkerung als reine Verwaltungsmaßnahme möglich war. Als rühmliche Ausnahme verdient ein junger Sozialdemokrat Erwähnung, der im Hausflur seiner Mietwohnung ein halbes Dutzend sogenannter Hilfspolizisten erschoß. Der war noch der substantiellen, der altgermanischen Freiheit teilhaftig, die seine Gegner theoretisch feierten. Das hatte er natürlich auch nicht aus seinem Parteiprogramm gelernt. Jedenfalls gehörte er nicht zu jenen, von denen Léon Bloy sagt, daß sie zum Rechtsanwalt laufen, während ihre Mutter vergewaltigt wird. Wenn wir nun ferner annehmen wollen, daß in jeder Berliner Straße auch nur mit einem solchen Falle zu rechnen gewesen wäre, dann hätten die Dinge anders ausgesehen. Lange Zeiten der Ruhe begünstigen gewisse optische Täuschungen. Zu ihnen gehört die Annahme, daß sich die Unverletzbarkeit der Wohnung auf die Verfassung gründe, durch sie gesichert sei. In Wirk-
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lichkeit gründet sie sich auf den Familienvater, der, von seinen Söhnen begleitet, mit der Axt in der Tür erscheint. Nur wird diese Wahrheit nicht immer sichtbar und soll auch keinen Einwand gegen Verfassungen abgeben. Es gilt das alte Wort: »Der Mann steht für den Eid, nicht aber der Eid für den Mann.« Hier liegt einer der Gründe, aus denen die neue Legislatur im Volke auf so geringe Anteilnahme stößt. Das mit der Wohnung liest sich nicht übel, nur leben wir in Zeiten, in denen ein Beamter dem anderen die Klinke in die Hand drückt. Man hat dem Deutschen den Vorwurf gemacht, der amtlichen Gewalttat nicht genügend Widerstand entgegengesetzt zu haben, vielleicht mit Recht. Er kannte die Spielregeln noch nicht und fühlte sich auch von anderen Zonen her bedroht, in denen weder jetzt noch jemals vorher von Grundrechten die Rede war. Die Mittellage kennt immer zwei Bedrohungen: Sie hat den Vorteil, aber auch den Nachteil des Sowohl-Als-auch. Noch werden jene, die inzwischen in aussichtsloser Lage, ja unbewaffnet, bei der Verteidigung ihrer Frauen und Kinder fielen, kaum gesehen. Auch ihr einsamer Untergang wird bekannt werden. Er ist ein Gewicht in der Waagschale. Wir haben darauf zu sinnen, daß sich das Schauspiel des Zwanges, der keine Antwort findet, nicht wiederholt. (Jünger 1951, S. 351 f.) Die Infektion bestätigte sich u. a. in einer Übernahme kollektiven Denkens, also in jener Gleichsetzung von Deutschen und Nationalsozialisten, auf der die Kollektivschuldthese beruhte. Sie prägte sich ebenso in dem Urteil nach formalen Kategorien aus, das der Nationalsozialismus mit seinen biologischen Abstempelungsmethoden vorgebildet hatte. (Rothfels 1955, S. 82)
krank Krankheit · Krankheitsgeschichte · Krankheitsherd · Krankheitskeim Nichttäter Zur Konzeption der Selbstwahrnehmung gehört die Vorstellung einer Vergangenheit, die man schnell überwinden, und einer ÕZukunft, die man rasch erreichen möchte. Unter dieser Voraussetzung gebrauchen die Nichttäter das metaphorische Feld ÕReinigung, ÕKatharsis und ÕGesundung. Darüber hinaus steht die Gesundungs- und Reinigungs-Metaphorik sowohl mit dem Konzept der verschütteten deutschen Werte (Õverschüttet), als auch mit dem der Selbstwiederfindung (Õdeutsch) in semantischer Beziehung. Die Bezeichnungen dieses Feldes stellen einen Vergangenheitsbezug her: Reinigung und Katharsis implizieren Verunreinigung und Schmutz, verschüttet bezeichnet vorübergehendes Vergrabensein, Gesundung bezieht sich auf vergangenes Kranksein. Insofern haben die Bezeichnungen dieses metaphorischen Feldes die Funktion der Abgrenzung von der eigenen Vergangenheit. Vor allem aber bezeichnen diese metaphorischen Konzepte einen Zustand, der in die
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Zukunft verweist und auf die Rehabilitierung der Deutschen. Im Bedeutungsnetz des Schuldbegriffs stellen außerdem ÕVerantwortung, ÕHaftung und ÕWiedergutmachung eine semantische Beziehung zu Reinigung und Gesundung her, jene werden gleichsam als Nachweis und Voraussetzung vollzogener Reinigung und Gesundung verstanden. Sie sind insofern zudem begriffliche Konstituenten von ÕSühne. Vergangenheitsbezogen korrespondiert die Gesundungs-Metaphorik mit dem Konzept der krank gewordenen Deutschen, zu dem sie in einem semantisch kohärenten Verhältnis steht (s. Grimme 1946e, S. 146 f.; Litt 1947, S. 7 f.). Die Krankheits-Metapher bezeichnet im Kontext des Schulddiskurses vergangenheitsbezogen den Befund der Analyse (s. Grimme 1946a, S. 59 f.; Eggerath 1947, S. 187 f.). Zukunftsbezogen drückt sich die Grundüberzeugung einer vollkommenen Restituierung aus, vgl. die Formulierungen Krankheit überwinden, Krankheitsherd entfernen, sich aus der schwersten Krankheit regenerierende Kraft (s. Nossack 1945, Tagebücher 1943–1977, S. 66; Dahlem 1945, S. 258; Abusch 1946, S. 269). welche Freude erfüllt uns, wenn wir einen Baum trotz unglücklicher Lebensbedingungen, die ihn nur verkrüppelt groß werden ließen, dennoch groß werden sehen, so daß wir seine Verkrüppelung vergessen und das zuerst als entartet Empfundene nun als Schönheit empfinden. Oder bei Menschen, die Krankheit und Schwäche überwinden und gerade durch dieses Trotzdem groß werden. (Nossack 1945, Tagebücher 1943–1977, S. 66) ohne offene Sezierung des vergifteten Volkskörpers [kann] der Krankheitsherd nicht entdeckt und entfernt werden (Dahlem 1945, S. 258). Ein Körper, der krank ist, gesundet nicht allein dadurch, daß man ihm diese oder jene Kost entzieht, er braucht die ihm gemäßen Aufbaustoffe. Und das sind für die deutsche Seele jene echten, verlacht gewesenen Werte, an deren Schau sie wieder blank und gerade wird (Grimme 1946e, S. 146 f.). Einer demokratischen deutschen Literatur der Gegenwart wird die große nationale Aufgabe gestellt sein, zu helfen: die deutsche Realität endlich den deutschen Köpfen bewußt zu machen, das deutsche Gefühl humanistisch zu lenken – im Glauben an die unerschöpfliche, sich auch aus der schwersten Krankheit regenerierende Kraft des Volkes. (Abusch 1946, S. 269) Es war das Verhältnis vom Mensch zum Staat so pervertiert, daß dieser Staat nicht mehr im Dienst des Menschen, sondern der Mensch nur noch im Dienst des Staates stand. Und es wurde so zu einer Krankheit unserer Nation, daß der Mensch und mit ihm alle seine Wertgebiete wie Justiz und Wissenschaft und Kirche, daß alle Werte wie Gerechtigkeit und Wahrheit und Religiosität nur noch als Mittel angesprochen wurden, als Mittel für die Festigung der Macht des Staates. (Grimme 1946a, S. 59 f.)
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Nein das war nicht Deutschland. Das war das hektische Fieber einer kranken Welt, das waren Zuckungen des Vergehenden. (Eggerath 1947, S. 187 f.) Wir alle sind uns bewußt, daß es eine langwierige, schwierige, gefährliche Operation sein wird, das bösartige Geschwür Nazismus aus dem Körper unseres Volkes herauszuschneiden. Aber wir sollten auch wissen, daß die Umwelt, die durch den Nazibazillus mit Vernichtung bedroht war, auf der Überwachung des Infektionsherdes Deutschland beharren wird, solange die Rekonvaleszenz währt. .. Gerade die unter uns, die sich als vollkommen immun gegen den Krankheitskeim erwiesen haben, geben sich Rechenschaft davon, daß wir alle gemeinsam durch eine Quarantäneperiode hindurchzugehen haben (Kantorowicz 1947b, S. 96). Es wäre wahrlich besser, wir könnten die Akten dieser Krankheitsgeschichte unentrollt lassen. Mit der uns gestellten Aufgabe werden wir nur fertig werden, wenn wir seelisch gesunden, und seelische Gesundung wird es für uns nicht geben ohne eine nichts beschönigende oder unterdrückende Rechenschaftsablage über das Geschehene (Litt 1947, S. 7 f.).
Krematorium Krematoriumskamin · Krematoriumsofen Kamin · Ofen · Schornstein Opfer In der Bedeutung ‚Anlage zur Verbrennung der Leichen ermordeter KZ-Insassen‘ ist Krematorium kongruenter Kontextpartner von Gaskammer (ÕGas). Gaskammer und Krematorium sind in den Kontexten der Opferberichte häufig Partnerwörter und referieren beide auf Vernichtung: kein Krematorium, also auch keine Gaskammern (s. Frankl 1945, S. 76). Wenn die Vernichter auf dieselbe Art vernichtet werden, erhält der Ort willkommene Symbolik (s. Eiden 1946, S. 216). Jargonal synonym gebraucht werden Kamin, Ofen (auch in der Zusammensetzung Krematoriumsofen) und Schornstein. Es scheint, dass, statt die neutrale Bezeichnung für den Ort des endgültigen Endes zu gebrauchen, Opfer versuchen, mit Ersatzwörtern, die an Tabuwörter erinnern und die ihrerseits zu Begriffen der KZ-Welt wurden, dem Ort Schrecken zu nehmen. Als Kamin, Ofen, Schornstein bezeichnet, wird dem Krematorium gleichsam harmlose und vertraute Häuslichkeit zugeschrieben, die den sprachlichen Umgang mit den unerträglichen Hypertrophien der KZ-Welt erleichtern. Allerdings sind Kamin, Ofen und Schornstein nicht nur Opfer-, sondern auch Täterwörter. Elie Wiesel zitiert einen SS-Offizier: „‚Ausch-
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witz ist kein Erholungsheim, sondern ein Konzentrationslager. Hier wird gearbeitet. Sonst geht ihr in den Schornstein. In die Gaskammer.‘“ Diese „dürren Worte ließen uns erschauern. Das Wort ‚Schornstein‘ war kein leerer Wahn: er schwebte rauchumwölkt in der Luft. Vielleicht war das das einzige Wort, das hier Sinn hatte“. (Wiesel 1958/1996, S. 62) Sinn meint hier die unausweichliche Realität der Vernichtung, deren Schrecken man durch saloppe Redewendungen wie durch den Schornstein gejagt, in den Kamin (s. Bock 1947, S. 66; Klieger 1958, S. 27 f.) versuchte zu kompensieren. Vgl. Winterfeldt 1968, S. 145 f. der buchstäbliche Freudentanz, den die Häftlinge im Gefangenenwaggon aufführten, als sie merkten, der Transport gehe – „nur“ nach Dachau. .. keinen „Ofen“ .. kein Krematorium, also auch keine Gaskammern .. keinen „Kamin“ (Frankl 1945, S. 76). Am 21. Oktober [1943] sind 43500 Frauen, um den Lagerausdruck zu gebrauchen, „durch den Schornstein gejagt“ worden. (Bock 1947, S. 66) nach Birkenau in die Gaskammern .. „.. in den Kamin“, wie wir kurz dafür sagten. (Klieger 1958, S. 27 f.) Koch [der Buchenwald-Kommandant] wurde .. von einem SS-Sondergericht zum Tode verurteilt, sofort erschossen und in einem derselben Krematoriumsöfen verbrannt, in denen einst Zehntausende von ihm und in seinem Geheiß ermordete Menschen in Staub und Asche verwandelt wurden. (Eiden 1946, S. 216) Vernichtung in einem mit Gaskammern und Krematorium ausgestatteten Lager (Frankl 1945, S. 17). Wahrscheinlich haben Sie noch nie eine Gaskammer von innen gesehen, haben niemals vor dem Krematorium in Dachau gestanden, in dem über eine Viertelmillion Menschen verbrannt worden sind: wenn man das sieht, dann vergehen einem die Sinne (Niemöller 1945a, S. 16). Was machte denn die SS mit den Leichen der Erschlagenen, Erschossenen, Erhängten und sonstwie Ermordeten, die es bald nach Eröffnung des Lagers Buchenwald gab? .. Das Krematorium in Jena wies sich den neuen Aufgaben nicht gewachsen. Deshalb begann die SS im Jahre 1940 mit der Errichtung eines Krematoriums im Lager selbst .. Zunächst .. drei Öfen, später kamen drei weitere Öfen hinzu. .. Das Krematorium war aber nicht nur Leichenverbrennungs-, sondern auch Hinrichtungsstätte. (Eiden 1946, S. 222) Anfangs wurden die Särge mit den Leichen oder auch die Leichen ohne Sarg aufgestapelt, bis ein Lastauto voll war, das sie zum nächsten Krematorium fuhr. In der echt buchenwaldischen Formlosigkeit hatte man eines Tages in den Straßen der Goethestadt Weimar die nackte Leiche eines jüdischen Häftlings verloren, die nur 37 Kilogramm wog. Derartige „Betriebsunfälle“, die doch unliebsames Aufsehen erregten, waren wohl eine Ursache dafür, daß das Lager ein eigenes Krematorium bekam, dessen düstere Rauchwolken bald ständig über die Kuppe des Ettersberges zogen. (Steinwender 1946, S. 70 f.) Im ersten Stock .. öffnete sich hinter den Stacheldrähten und dem Krematoriumskamin eine weite Landschaft, durchsetzt von Kiefern, Knicks und Wäldern. Etwas rechts unten lag der See, der erste See der hier beginnenden mecklenburgischen Seen-
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platte. Um ihn herum lagen herrliche Laubwälder und an seinem gegenüberliegenden Ufer die friedliche kleine Stadtsilhouette von Fürstenberg. Links herüber hatte die Landschaft mehr brandenburgisch-märkische Reize, zerzauste Kiefern, sehr viel Sand und abends oftmals zauberhafte, pastellfarbene Himmel. In gerader Richtung vor uns lag hinter Bäumen eine jener Fabriken, in denen die Häftlinge arbeiten mußten, die abends mit lautem Gesang von dort ins Lager zurückmarschierten. (Vermehren 1946, S. 37 f.) Überall in den KL .. waren .. große Tafeln mit der Aufschrift angebracht: ‚Es gibt einen Weg zur Freiheit. Seine Meilensteine heißen Gehorsam, Fleiß, Ehrlichkeit, Nüchternheit, Sauberkeit, Opfersinn, Ordnung, Disziplin und Liebe zum Vaterland.‘ Die Meilensteine des wirklichen Weges, nämlich zum Krematorium, waren: der Bock und der Bunker, Erhängen, Erschießen, Erfrieren, Verhungern, Erschlagenwerden und Foltern jeglicher Art. (Kogon 1946a, S. 124) Was wurden nicht auf dem Appellplatz für Witze über das Krematorium gemacht! .. ‚Du gehst auch noch über den Rost!‘ oder ‚Du wanderst demnächst durch den Kamin!‘ waren ständige Redensarten im Lager. (Kogon 1946a, S. 182) Wir lebten nicht nur räumlich, sondern auch geistig im Schatten der Kamine. Der Kamin war das Alpha und Omega aller Gespräche. Er wurde schon beim Frühstück aufs trockne Brot geschmiert und bei jeder Mahlzeit als Dessert aufgetischt. (Adelsberger 1956, S. 54)
Kultur Kulturauffassung · Kulturbund · Kulturerbe · Kulturgemeinschaft · Kulturgut · Kulturkrise · Kulturvolk · Kulturwerte kulturgestaltend · kulturtragend kulturell Nichttäter Ost/Nichttäter West
Nichttäter Ost Der gesellschaftlich-politische Aufbau der SBZ bzw. DDR geschieht im Zeichen von Sozialismus und Antifaschismus (ÕAntifaschist). Wichtiger Identifikationsbegriff dieser gesellschaftlichen Neugestaltung ist, neben ÕHumanismus, Kultur als Bezeichnung für ‚Gesamtheit geistiger und künstlerischer Manifestationen‘. Kultur hat in der östlichen Lesart eine vergangenheits- und eine zukunftsbezogene Dimension, die sich in den Gebrauchsweisen widerspiegelt und die im Zusammenhang mit der Kulturpolitik der DDR zu interpretieren ist. Diese „versucht einerseits das kulturelle Erbe nach ‚fortschrittlichen‘ und ‚reaktionären‘ Elementen zu sortieren und aus den als ‚fortschrittlich‘ bezeichneten ein spezifisches kulturelles Erbe zu formieren, das in der DDR seine Erfüllung, oder doch seinen Träger fin-
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den soll. Andererseits ist die aktuelle Kulturpolitik auf die Förderung einer sozialistischen Kultur der Gegenwart gerichtet.“ (Lepsius 1981, S. 202) Diese Traditionsselektion ist ein Phänomen der Anfangszeit, im weiteren Verlauf hat sich „eine immer weiter greifende Aufnahme deutschen kulturellen Erbes in der DDR eingestellt“ (ebd.). Der Aneignungsprozess verläuft derart, dass der Marxismus-Leninismus „Elemente der bildungsbürgerlichen Kunstsemantik auf[nimmt]. Das meint die emphatische Vorstellung einer Nationalkultur, die drei aus dem 19. Jahrhundert stammende Argumentationsfiguren aufweist. Demnach stammt Kunst aus dem Volk, garantiert, indem sie volkstümlich ist, die Einheit der Nation und bleibt der Schönheit verpflichtet. Im Gegensatz zum Nationalsozialismus beruft sie sich in ihren kulturpolitischen Verlautbarungen auf den ‚Humanismuskanon‘“ (Bollenbeck 2001, S. 29). In den Verwendungsweisen von Kultur manifestiert sich diese Umdeutung des Kulturbegriffs zum einen, indem der Aspekt der Anverwandlung mitbezeichnet wird, z. B. die große deutsche Kultur wiedererwecken und ein neues Geistesleben begründen, eine neue Kultur schaffen, die auf dem Kulturerbe aufbaut, Pflege unserer Traditionen und Aneignung unseres Kulturerbes (s. Kulturbund 1945, S. 83; Grotewohl 1950b, S. 123; Grotewohl 1952, S. 271). Zum andern ist die semantische Festlegung, insbesondere in der Zusammensetzung Kulturerbe, Ausdruck eines neuen Kulturbegriffs. Der Identifikationsbegriff wird derart ausgedeutet, dass er mit den Leitideen des sozialistischen Programms vereinbar ist. So wird er mit solchen Merkmalen versehen, die gleichzeitig die Bekenntnisvokabeln der antifaschistisch-demokratischen Grundordnung sind, wie Realismus, ÕFrieden, Humanist (ÕHumanismus) (s. Formalismus 1951, S. 440). Dieses Projekt der kulturellen Anpassung hat mit dem ‚Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands‘ eine institutionelle Manifestierung (s. Kulturbund 1945, S. 83). Nichttäter West Der westliche Gebrauch ist gekennzeichnet von Lesarten von Kultur (als Simplex und in Zusammensetzungen) und kulturell zur Bezeichnung einer hohen Stufe menschlicher Entwicklung und Zivilisation in der allgemeinen Bedeutung eines Hochwertwortes, z. B. menschenwürdige Kultur, menschliche Kultur, Kulturvolk, bzw. mit speziellerem Bezug auf künstlerische und geistige Hervorbringungen, z. B. Staat, Wirtschaft, Kultur, im wirtschaftlichen und kulturellen
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Leben, kulturtragender Staat, gelegentlich auch mit nationalem Bezug, etwa deutsche Kultur, Leistung des deutschen Volkes in Wirtschaft und Kultur (s. SPD 1945, S. 30 f.; Adenauer 1946, S. 142 f.; Adenauer 1946, S. 143; Gebhardt 1947, S. 377; Spranger 1947, S. 39; Pribilla 1947, S. 119; Ritter 1948, S. 200; Adenauer 1953b, S. 199 f.). Daneben sind, vor allem in Quellen konservativer Provenienz, Bezugnahmen von Kultur auf die christliche Tradition häufig (ÕAbendland, ÕChristentum), z. B. kulturgestaltende Kräfte des Christentums, unsere christliche Kultur, christlich-abendländische Kultur, weltbürgerliche Kulturgemeinschaft des christlichen Abendlandes, Erbe der abendländischen Kultur und des Christentums (s. CDU 1945, S. 11; Steltzer 1946b, S. 85; Adenauer 1946, S. 148; Naumann 1946, S. 1; Meinecke 1946, S. 173; Wiechert 1949, S. 280). Vgl. KpWb 1983, s.v. Kulturpolitik der Nachkriegszeit; KpWb 1983, s.v. Tradition und kulturelles Erbe; s.v. Kulturpolitik der Deutschen Demokratischen Republik; Felbick 2003, s.v. Kultur Wenn andere demokratisch sein dürfen; die Arbeiterschaft muß demokratisch sein. Warum? Weil es seine [sic!] Kräfte nur auf dem Boden der Demokratie entfalten kann und nur auf dieser Grundlage die Kraft und Reife entwickeln kann, seine gesellschaftliche, soziale und kulturelle Lage zu bessern. Wehe der Arbeiterschaft, die die Demokratie mißachtet. Die deutsche Arbeiterschaft hat wahrlich gelernt, wie leicht es ist, zu einem Diktator zu kommen, sie hat gelernt, wie unendlich schwer es ist, ihn wieder los zu werden. Vergessen wir es nie, prägen wir es unseren Kindern und Enkeln ein! Die Freiheit und die Demokratie sind wie Licht und Sonne, man muß sie entbehrt haben, um zu wissen, daß man ohne sie nicht leben kann (Kaisen 1945, S. 16). zu den Höhen einer menschenwürdigen Kultur, zu der Freundschaft mit allen Völkern der Welt (SPD 1945, S. 30 f.). die kulturgestaltenden sittlichen und geistigen Kräfte des Christentums (CDU 1945, S. 11). politische[..], wirtschaftliche[..], soziale[..] und kulturelle[..] Gerechtigkeit (LDPD 1945, S. 8). Der Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands will die große deutsche Kultur, den Stolz unseres Vaterlandes, wiedererwecken und ein neues Geistesleben begründen (Kulturbund 1945, S. 83). Der Nazismus hat die wahren deutschen Kulturwerte, wie sie mit den Namen von Goethe, Schiller, Lessing und zahlreicher Philosophen, Künstler und Wissenschaftler verbunden sind, verschüttet (Kulturbund 1945, S. 84). Wir werden uns mit allen Kräften dafür einsetzen, daß die bisherige Fernhaltung der breiten Massen unseres Volkes von der kulturellen Betätigung .. beseitigt wird (Pieck 1946a, S. 48). Diese Leute triefen von schönen Worten: Freiheit, Ehrfurcht, Schönheit, deutsche Kultur .. Man macht in deutschem Idealismus (Rinser 1946, S. 444).
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Es gilt den Geist der Ehrfurcht vor Gott und den Geboten der Sittlichkeit und Menschlichkeit auf der Grundlage unserer christlichen Kultur wieder zu wecken und zu pflegen. Es geht darum, im Geist der Nächstenliebe und der echten Toleranz dem so sehr mißbrauchten Wort der „Gemeinschaft“ seinen alten echten Klang wiederzugeben (Steltzer 1946b, S. 85). Freiheit und Selbständigkeit .. Wert jedes einzelnen Menschen .. Staat, Wirtschaft .. Kultur .. haben eine dienende Funktion (Adenauer 1946, S. 142 f.). Demokratie .. ist eine Weltanschauung, die .. wurzelt in der Auffassung von der Würde, dem Werte und den unveräußerlichen Rechten eines jeden einzelnen Menschen, die das Christentum entwickelt hat. Demokratie muß diese unveräußerlichen Rechte und den Wert eines jeden einzelnen Menschen achten im staatlichen, im wirtschaftlichen und kulturellen Leben (Adenauer 1946, S. 143). Wir wollen, daß unsere alte Kultur zurückfindet zu ihrer Grundlage, zur christlichabendländischen Kultur, deren Kern die hohe Auffassung von der Würde der Person und dem Wert jedes einzelnen Menschen ist (Adenauer 1946, S. 148). Der Begriff Abendland hat in der Abwandlung seiner geschichtlichen Bedeutung als einer einheitlichen Kulturauffassung des westlichen und mittleren Europas nur eine Ausdeutung ermöglicht und erfahren: die christliche. .. eine geistige Haltung gab ihm den wesentlichen Sinn. Antike und Christentum, Juno und Ecclesia, humanitas und caritas prägten ihn (Naumann 1946, S. 1). die weltbürgerliche Kulturgemeinschaft des christlichen Abendlandes, wie sie tatsächlich bestanden hat und nach unseren heißesten Wünschen jetzt wieder aufblühen sollte. (Meinecke 1946, S. 173) Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands ist die Partei der Erneuerung der deutschen Kultur. (SED Manifest 1946, S. 27) Wir alle wollen das unselige, beschmutzte, in den Dreck getretene und stinkend gewordene Wort, das man kaum mehr auszusprechen wagt, das Wort Deutschland wieder aus der Schmutzumkrustung, in der es drinsteckt, lösen und es saubermachen, nicht es wieder blank polieren wie einen Uniformknopf, da sei Gott vor, wohl aber es – alle zusammen, wir, die wir uns um die deutsche Kultur mühen – reinwaschen mit dem reinen Wasser des Geistes (Gebhardt 1947, S. 377). Die größte Gefahr für einen kulturtragenden Staat ist das Massewerden der Menschen. Gleichviel, ob gleichgeschaltete Masse oder sich als Werkzeug blinder Schicksalsmächte setzende Masse: die Masse ist immer gewissenlos (Spranger 1947, S. 39). Nun kann es wohl keinem Zweifel unterliegen, daß die Gegenwart sich in einer Kulturkrise von unerhörter Tiefe und Härte befindet. .. Die Menschheit ist an einem kritischen Punkt ihrer Geschichte angelangt .. nichts anderes [scheint] übrig zu bleiben .., als das Werk der menschlichen Kultur von neuem zu beginnen. .. Deutlich zeichnet sich .. das Heraufziehen einer Zeitenwende ab. (Pribilla 1947, S. 119) eine unserer vornehmsten Aufgaben .. als Schriftsteller liegt darin, daß wir .. unsere Stimme klar und deutlich erheben .. für die Herstellung der deutschen Einheit auf der Grundlage einer echten deutschen Demokratie zur Wahrung unseres großen deutschen Kulturgutes, das es zu verteidigen gilt (Bredel 1947, S. 238). auf die ‚Höhen der Menschheit‘ im Sinn früherer Jahrhunderte zu gelangen, ist heute für uns weder Hoffnung noch Ziel. Es wird schon sehr viel sein, wenn wir ein leidlich gesichertes Dasein als Kulturvolk retten können. Aber auch dazu bedarf es des Selbstvertrauens an Stelle mutloser Selbstverzweiflung. Und die Betrachtung unserer deutschen Vergangenheit gibt uns dazu – trotz allem – das Recht (Ritter 1948, S. 200).
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Deutschland, das trotz seiner .. großen kulturellen Leistungen der Verachtung der Welt ausgesetzt ist (Keil 1948, S. 704). Und da jedes Volk des Abendlandes Helfer zum deutschen Verbrechen gestellt hat, und mochten es auch nur zwei oder drei gewesen sein, so läßt der erschreckende Schluß sich mit Sicherheit ziehen, daß weder der reine Geist noch das große Erbe der abendländischen Kultur und des Christentums imstande gewesen sind, das Einzelwesen oder gar die Masse vor dem Rückfall in die Barbarei zu bewahren. (Wiechert 1949, S. 280) Der Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands als geistige Erneuerungsbewegung stützt sich auf alle freiheitlichen, humanistischen, wahrhaft nationalen Traditionen unserer Kultur. .. Der Kulturbund ist in allen geistigen Bereichen Vorkämpfer für objektive Wahrheit, für humanistische Maße und Werte, für ein unverfälschtes Geschichtsbild, für die Ideen des Fortschritts und der Freiheit (Kulturbund 1949, S. 121). Vor uns steht die große Aufgabe, eine neue demokratische Kultur zu schaffen, die auf dem großen deutschen Kulturerbe aufbaut. (Grotewohl 1950b, S. 123) Der klassischen Kunst ist Wahrhaftigkeit und Realismus eigen, sie besaß die Fähigkeit, eine Einheit von tiefem Gefühl und glänzender künstlerischer Form zu erreichen. Alle großen Künstler des klassischen Kulturerbes waren Freunde des Friedens, Realisten und Humanisten. (Formalismus 1951, S. 440) das Hauptmerkmal unserer kulturellen Entwicklung ist und bleibt der Wille zum Leben, das Bekenntnis zu einem menschlichen Leben, die Machtwerdung des Geistes, die leidenschaftliche Sehnsucht nach Frieden. (Becher 1951, S. 197) die Pflege unserer großen patriotischen Traditionen und die sorgfältige Aneignung unseres nationalen Kulturerbes (Grotewohl 1952, S. 271). Der Name unseres Vaterlandes muß wieder die Geltung bekommen, die der geschichtlichen Leistung des deutschen Volkes in Kultur und Wirtschaft entspricht. (Adenauer 1953b, S. 199 f.)
Leben lebend · überleben · Überlebende Opfer Von den Opfern nach ihrer Befreiung im Sinn von ‚wiedererlangte Existenz‘ gebraucht zur Bezeichnung ihres neuen Status, z. B. in Verbindungen wie an unser neues Leben herangehen, mit dem Leben davon gekommen, das neugewonnene Leben, das neue Leben, noch am Leben sein (s. Tagebucheintrag vom 15. April 1945, zit. nach Überlebensmittel 2003, S. 68; Dahlem 1945, S. 251; Frankl 1945, S. 19; Adelsberger 1956, S. 103). Jean Améry reflektiert kritisch das Überlebthaben im Zusammenhang mit der Befreiungssituation: „Wir Auferstandenen sahen alle ungefähr so aus, wie die in Archiven aufbewahrten Fotos aus den April- und Maitagen von 1945 uns zeigen:
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Leben
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Skelette, die man belebt hatte mit angloamerikanischen Cornedbeef-Konserven, kahlgeschorene, zahnlose Gespenster, gerade noch brauchbar, geschwind Zeugnis abzulegen und sich dann dorthin davonzumachen, wohin sie eigentlich gehörten. Aber wir waren ‚Helden‘, sofern wir nämlich den über unsere Straßen gespannten Spruchbändern glauben durften, auf denen zu lesen stand: Gloire aux Prisonniers Politiques! .. Ich war, als der ich war – überlebender Widerstandskämpfer, Jude, Verfolgter eines den Völkern verhaßten Regimes –, im wechselseitigen Einverständnis mit der Welt.“ (Améry 1977, S. 105) Wie hinsichtlich des Gebrauchs von Õfrei lassen sich Verwendungsunterschiede bei nicht-politischen (meist jüdischen) und politischen (kommunistischen und sozialdemokratischen) Überlebenden feststellen. Mit der Wortfamilie Leben beziehen sich nicht-politische ÕOpfer häufig emphatisch auf den Ausnahmefall, die Nazizeit bzw. das KZ lebend überstanden zu haben. Diese Wahrnehmung drückt sich psychisch in dem Syndrom der sog. ‚Überlebensschuld‘ aus, die sich in Formeln wie „die Besten sind nicht zurückgekommen“ (Frankl 1945, S. 19) verdichtet, vgl. eine Formulierung wie ein Wunder und eine Gnade, daß wir Auschwitz überlebt haben (s. Adelsberger 1956, S. 105). Damit fügt sich für diese Opfer die Vergangenheit in die Gegenwart und in die Zukunft, und sie „bildet das Leitmotiv des Überlebens. Das Leben nach Deportation und Massaker ist Überleben, ein andauernder Versuch, dem Tod zu entrinnen“ (Abels 1995, S. 337). Im Gegensatz dazu ist die Seelenlage überlebender politischer Opfer nicht von Überlebensschuld, sondern im Gegenteil von Überlebensstolz gekennzeichnet. Mit der Wortfamilie Leben referieren diese ÕKämpfer auf den politischen und gesellschaftlichen Aufbau nach 1945: an die neue Arbeit und an unser neues Leben herangehen, verantwortungsvolle und schwierige Aufgaben im Neuaufbau des Lebens (s. Dahlem 1945, S. 251; Dahlem 1945, S. 265) Auf allen Wegen spazieren die Lagerinsassen in Gruppen und einzeln und genießen mit Jubel oder still in sich gekehrt, das unglaubliche Glück, noch am Leben zu sein und dazu auch noch in der Freiheit und im schönsten Frühling (Tagebucheintrag vom 15. April 1945, zit. nach Überlebensmittel 2003, S. 68). Wer durch die Hölle der deutschen Konzentrationslager als aufrechter Antifaschist gegangen ist, dort illegale Massenarbeit leistete, mit den mannigfaltigen Problemen des Kampfes und des Lebens fertig wurde, aus dem ist ein Kämpfer mit politischer Erfahrung und taktischer Geschicklichkeit geworden, dem man getrost verantwor-
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Leben
tungsvolle und schwierige Aufgaben im Neuaufbau des Lebens anvertrauen kann. (Dahlem 1945, S. 265) Mit dieser Perspektive [Schaffung eines freiheitlichen, fortschrittlichen und in der Welt sich Achtung erringenden neuen Deutschlands] wollen wir an die neue Arbeit und an unser neues Leben herangehen. (Dahlem 1945, S. 251) Wir alle, die wir durch tausend und abertausend glückliche Zufälle und Gotteswunder .. mit dem Leben davongekommen sind (Frankl 1945, S. 19). Tage vergehen, viele Tage, bis sich nicht bloß die Zunge löst, sondern irgend etwas im Innern gelöst wird .. dann sinkst du in die Knie. Du weißt in diesem Augenblick nicht viel von dir und nicht viel von der Welt, du hörst in dir nur einen Satz ..: „Aus der Enge rief ich den Herrn, und er antwortete mir im freien Raum.“ .. an diesem Tag, zu jener Stunde begann dein neues Leben .. [du] wirst .. wieder Mensch. (Frankl 1945, S. 143) Wir lebend Gebliebenen, wir Zeugen der nazistischen Bestialitäten .. Heute sind wir frei! (Eiden 1946, S. 263) wir, die wir lebend aus den K.Z. entronnen sind (zit. in Hauff 1946, S. 8). Wir, der kümmerliche Rest von 6.000.000 Juden .. Das Grauen hat uns gezeichnet, wir wissen um Leben und Tod. Wir sprechen nur noch selten darüber und das Wort ‚Familie‘ ist uns nur ein Schein aus einer fernen, fernen Zeit geworden. Wir lächeln wieder, weil wir leben! Wir sehen die Sonne, den Frühling, doch einsam bleiben wir. Wir sehen die Menschen an, die über uns staunen und mit uns Reklame machen, ohne uns zu begreifen. Sie verstehen uns nicht. Einsam bleiben wir! (zit. in Hauff 1946, S. 16 f.) Den Toten zu Ehren, den Lebenden zur Pflicht (Motto der zweiten großen Kundgebung zum Gedenken an die Opfer des Faschismus am 22. September 1946, zit. in Bock 1947, S. 83). wir haben es überlebt, jetzt wollen wir zusammenstehen. (Eggerath 1947, S. 187) Die Verfolgten des Naziregimes sind die überlebenden Mitglieder einer deutschen Widerstandsbewegung, die vom Tage der Machtergreifung des Nazismus an bis zum Zusammenbruch des Naziregimes gegen dieses Regime niemals aufgehört haben zu kämpfen. (VVN-Hauptresolution 1947, S. 597) Ganz frei von Schuld ist wohl keiner von uns Überlebenden! (Kautsky 1948, S. 206) Wir mußten uns erst gewöhnen und tapsten mit ungeschickten zaghaften Schritten in das neugewonnene Leben hinein. (Adelsberger 1956, S. 103) Es ist ein Wunder und eine Gnade, daß wir Auschwitz überlebt haben; und es ist eine Verpflichtung. Wir halten das Vermächtnis der Toten in Händen. Uns obliegt es, von ihnen zu sprechen. (Adelsberger 1956, S. 105) Das Grauen hat uns gezeichnet, wir wissen um Leben und Tod. Wir sprechen nur noch selten darüber und das Wort ‚Familie‘ ist uns nur ein Schein aus einer fernen, fernen Zeit geworden. Wir lächeln wieder, weil wir leben! Wir sehen die Sonne, den Frühling, doch einsam bleiben wir. Wir sehen die Menschen an, die über uns staunen und mit uns Reklame machen, ohne uns zu begreifen. Sie verstehen uns nicht. Einsam bleiben wir! (zit. in Hauff 1946, S. 16 f.)
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Liebe
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Liebe lieben Täter Die Deutungen der Täter, mit denen sie ihre Vergangenheit zum Zweck der Selbstentlastung interpretieren, verdichten sich lexikalisch zum einen in solchen Bezeichnung, die ihr Denken und Wollen aufwerten (neben Liebe ÕDienst, ÕGlaube, ÕHoffnung, ÕPflicht), zum andern in dem Deutungsmuster ÕIrrtum, mit dem sie ihr Handeln verharmlosen. Liebe bildet zusammen mit ÕGlaube und ÕHoffnung ein semantisches Netz von Leitwörtern, die im nachkriegsdeutschen Täterdiskurs im Kontext von Schuldbekenntnissen gebraucht werden. Natürlich gebrauchen Täter die Ausdrücke Glaube, Liebe und Hoffnung nicht, wie die christliche Tugendlehre, im Sinn eines wechselseitigen Bedingungskomplexes (zu Glaube vgl. RGG 2000 III, S. 940–983; zu Liebe RGG 1960 IV, S. 361–370; zu Hoffnung RGG 2000 III, S. 1822–1828.). Sie setzen vielmehr auf den ethischen Hochwert jeder einzelnen dieser geistesgeschichtlich tradierten, tief verwurzelten Maximen. Diese „Edelsubstantive“ (Adorno 1964/1980, S. 9) dienen den Tätern im Rahmen ihrer Schuldbekenntnisse der selbstüberhöhenden Schuldabwehr. Denn diese Bekenntnisse rekurrieren auf den Anspruch, Handeln und Wollen, Denken und Fühlen an einem ethisch-moralischen Wertesystem orientiert zu haben. Diese idealisierende Selbstcharakterisierung entspricht einem Leugnen von ÕSchuld. Während Täter mit Glaube und Hoffnung vor allem auf Hitler bzw. den Nationalsozialismus referieren, nehmen sie mit Liebe im nationalistischen, emphatisch überhöhenden Sinn vorzugsweise Bezug auf Volk und Vaterland: Vaterland, ich habe dich geliebt, Liebe zu Heimat und Volk. Vaterland, „bei deinen Feiertagen,/Germania, wo du Priesterin bist/und wehrlos Rat gibst rings/den Königen und den Völkern.“ Denn ich habe Dich geliebt über alles in der Welt. (Frank 1945/46, S. 431) Liebe zu Heimat und Volk waren allein entscheidend für alle meine Handlungen. (Papen 1946, S. 456) Das einzigste Motiv, das mich leitete, war heiße Liebe zu meinem Volk, sein Glück, seine Freiheit und sein Leben. (Göring 1946, S. 420)
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Masse
Masse Volksmassen Massenbewegungen · Massengesellschaft · Massenhypnose · Massenleidenschaften · Massewerden Nichttäter Ost/Nichttäter West
In der Bedeutung ‚großer Teil der Bevölkerung‘ ist Masse in der frühen Nachkriegszeit eine in die Vergangenheit und, als Zielbegriff, in die Zukunft verweisende Leitvokabel. Von diesen beiden Zeitdimensionen abhängig ist gleichzeitig eine Bewertung und die systembedingte Ausdeutung. Nichttäter Ost Zwar bewertet auch die ostdeutsche sozialistische Position das Phänomen der vom Nationalsozialismus aufgepeitschten Masse gelegentlich negativ (s. Ulbricht 1945b, S. 428 f.). Dominant ist aber der nicht abwertende Gebrauch. Masse ist vor allem Synonym für im Sozialismus bzw. Kommunismus ebenfalls hoch bewertetes ÕVolk und hochwertiges Interpretament von ÕDemokratie (s. Pieck 1946a, S. 48; Pieck 1946b, S. 615; Grotewohl 1947, S. 283). Die orthodoxe Definition von 1845 heißt: „Demokratie, das ist heutzutage der Kommunismus .. Die Demokratie ist proletarisches Prinzip, Prinzip der Masse geworden.“ (Engels 1845, S. 613) Aus dieser Maxime erklären sich Formulierungen wie aktivste Teilnahme der Volksmassen, Verankerung der Staatsgewalt in den Massen. Nichttäter West Masse ist im Westen eines der zentralen, vergangenheitsorientierten, den Nazismus erklärenden Stigmawörter der Nachkriegszeit, mit dem die Diskursgemeinschaft argumentiert, um die Verabschiedung von Vernunft, Ethik und Moral in der und durch die Masse zu erklären. Die westlichen Diskursteilnehmer verstehen Masse als Bezeichnung unkontrollierter, entfesselter Kräfte und damit als Gegenteil von vernunftgeleitetem Menschentum, vgl. Rausch der Masse, willenlos geführte Masse, Pathos der Masse, verheerende Massenpsychose, die Masse ist immer gewissenlos, Stürme der Massenleidenschaften (s. Wiechert 1945, S. 15; Adenauer 1946, S. 140 f.; Windisch 1946, S. 281; Wunderle 1946, S. 5; Spranger 1947, S. 39; Röpke 1948, S. 49 f.). Dunkel, Wahnsinn, fremder Faktor, unbekanntes X, unheimliches Etwas, diese Sphinx, totale Mensch- und
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Volksverachtung, aus der Tiefe der Zeit auftauchend, destruktives Prinzip (s. Windisch 1946, S. 16 f.; Grimme 1946d, S. 107 f.) sind die z. T. metaphorischen Bewertungen, mit welchen die Stigmatisierung von Masse ausgedrückt wird und welche die Abgrenzung zu der Gegenvorstellung leisten. Dieses Gegenkonzept zu der nazistischen Ideologie der Masse ist das grundrechtlich festgeschriebene Individualitätsprinzip der Demokratie. Durch die an Demokratie gebundenen Gegenbegriffe von Masse, die sich manifestieren z. B. in den Bezeichnungen freies Selbstentscheidungswesen, Achtung der Person, Menschtum, Persönlichkeit, Wert des Menschen, persönliche Freiheit des Individuums (s. Grimme 1946d, S. 107 f.; Windisch 1946, S. 71 f.; Windisch 1946, S. 213) dient Masse daher im negativen Sinn zur Konstituierung des westlichen Demokratiekonzepts. „Im Gegensatz zur DDR hatte das Wort Masse nach 1945 in Westdeutschland nur noch wenig Chancen, öffentlich so oft gebraucht zu werden. Hierzu haben die Nachkriegskritik am NSMassenkult und die philosophisch-pädagogische Wendung gegen die Vermassung beigetragen.“ (Schlosser 1990, S. 41) Vielmehr war Masse ein wesentliches Diskursfragment, um den Bedeutungsumfang dieser Bezeichnung stigmatisierend festzulegen, als Erklärung im Zuge der Analyse des Nationalsozialismus und als antinomisches Begriffselement von ÕDemokratie. Die Mitverantwortung unseres Volkes besteht darin, daß es sich leichtgläubig betrügen ließ, daß der alte preußische Geist der Untertänigkeit und des Kadavergehorsams große Massen beherrschte, so daß diese Massen den Befehlen einer Bande von Kriegsverbrechern gehorchten (Ulbricht 1945b, S. 428 f.). Und die Pauken und Trompeten dröhnten, die Arme hoben sich wie Arme von Automaten, und der Rausch der Masse ergriff die Gesunden und Kranken (Wiechert 1945, S. 15). In einem Volk, das so erst durch die preußische überspitzte und übertriebene Auffassung vom Staat, seinem Wesen, seiner Macht, den ihm geschuldeten unbedingten Gehorsam, dann durch die materialistische Weltanschauung geistig und seelisch vorbereitet war, konnte sich .. verhältnismäßig schnell eine Lehre durchsetzen, die nur den totalen Staat und die willenlos geführte Masse kannte (Adenauer 1946, S. 140 f.). Der demokratische Gedanke erkennt den Menschen als Menschen an, d. h. als freies Selbstentscheidungswesen. Demokratie ist deshalb die politische Form, in der die Achtung der Person Grundsatz geworden ist. Und umgekehrt, Ihr habt es selbst erlebt, bedeutete der Staat der NSDAP die Staatsform der totalen Mensch- und Volksverachtung. Die Staatsform der NSDAP kannte nur eine Herrenschicht, und alles andere war ihr Masse .. Demokratie bedeutet die Erlösung des Menschen aus der Masse zu seinem Menschtum, zur Persönlichkeit. Sie will nicht herrschen, son-
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dern dienen. Für die Diktatur bedeutete der Mensch als Masse nichts als ein austauschbares Stück Natur. Der Demokrat weiß, daß der Mensch mehr ist als solch ein Stück Natur; er sieht in ihm den Geistesträger und weiß, daß man den einen nicht beliebig ersetzen kann durch einen anderen. Der Demokrat bejaht den Geist im Menschen, die Diktatoren möchten den, der ihn trägt, vergasen. .. Der Zweifel an dem Wert des Menschen macht überall die Bahn frei für die Diktatoren (Grimme 1946d, S. 107 f.). Dunkel spüren wir es alle seit langem: es muß in dem Wahnsinn, der hinter uns liegt, ein fremder Faktor, ein unbekanntes X wirksam gewesen sein, ein unheimliches Etwas, das neu in die Geschichte eingetreten ist und das blind über alle menschlichen Werte hinwegstampft, das alle Beziehungen zwischen Menschen und Völkern wegfegt und umwertet, – ein überpersönliches und außermenschliches Prinzip. Es ist das Prinzip der Masse und der Massenbewegungen. Es ist volksgebunden, nicht ichgebunden, und ohne ein Wissen um dieses Über-Ich der Masse ist es zwecklos über das Geschehene zu rätseln. Hier kauert diese Sphinx. Im Prinzip der Masse und der Massenbewegungen haben wir das überpersönliche, geschichtsformende Prinzip der weißen Kultur der Neuzeit zu sehen und zwar als ein aus der Tiefe der Zeit auftauchendes destruktives Prinzip, als die Gefahr für alle (Windisch 1946, S. 16 f.). Sicherlich ist das deutsche Volk eines der gehorsamsten, folgsamsten, diszipliniertesten der Erde. Seit Friedrich Wilhelm I., dem Erfinder des „Gamaschendienstes“, geht es in Reih und Glied und je schnarrender das Kommando gegeben wird, umso präziser gehorcht dieses folgsame Volk dem, der befiehlt. Ein böses Erbe, diese Gabe, sich zum Objekt, zum Instrument anzubieten, die Persönlichkeit preiszugeben, Masse zu bilden. (Windisch 1946, S. 71 f.) einer jener vieldeutigen, maskenhaften Begriffe .., eines jener „magischen“ Worte, mit denen Massen um die Besinnung gebracht werden können. Es ist der typische Fall eines Begriffes mit zwei Gesichtern, eines Begriffes mit doppeltem Boden .. Denn was ist jeweils gemeint: die persönliche Freiheit, die des Individuums – oder die völkische, nationale, kollektive Freiheit und somit also die persönliche Unfreiheit .. Das demokratische Prinzip meint die persönliche Freiheit, das diktatorische die kollektive. (Windisch 1946, S. 213) [die Deutschen sind] für das Pathos der Masse besonders prädisponiert (Windisch 1946, S. 281). Und auch innerhalb der christlichen Bekenntnisse selbst hat es nicht selten an Mut und Tapferkeit gefehlt. Sonst wäre der geradezu dämonische Erfolg der nationalsozialistischen Propaganda nicht eingetreten. Die gesamte Weltgeschichte kennt wohl kein zweites Beispiel einer solch verheerenden Massenhypnose (Wunderle 1946, S. 5). Wir werden uns mit allen Kräften dafür einsetzen, daß die bisherige Fernhaltung der breiten Massen unseres Volkes von der kulturellen Betätigung .. beseitigt wird (Pieck 1946a, S. 48). Nur unter aktivster Anteilnahme der Volksmassen, nur unter unmittelbarer Führung der stärksten deutschen Partei .. können diese Aufgaben erfüllt werden (Pieck 1946b, S. 615). Das Wesen der Demokratie besteht nicht in dieser oder jener Rechtsinstitution, sondern in der Verankerung der Staatsgewalt in den Massen selbst (Grotewohl 1947, S. 283).
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Die größte Gefahr für einen kulturtragenden Staat ist das Massewerden der Menschen. Gleichviel, ob gleichgeschaltete Masse oder sich als Werkzeug blinder Schicksalsmächte setzende Masse: die Masse ist immer gewissenlos (Spranger 1947, S. 39). In diesem Zusammenbruch der Gesellschaft, den wir Totalitarismus nennen, erreichen wir die tiefste Stufe der im 19. Jahrhundert begonnenen Entwicklung, nachdem die Reserven aufgezehrt sind; er ist das Ende der Massengesellschaft. Was sich dann mit der Gesellschaft begibt, mag mit dem ‚Dust-Bowl‘ (den halbtrockenen Gebieten des Mittleren Westens der Vereinigten Staaten) verglichen werden, jener landwirtschaftlichen Einöde, die durch Raubbau, Vergewaltigung der Natur und fortschrittsfreudige Zerstörung der Bodenreserven entstanden und zu einem schauerlichen Symbol unserer Massengesellschaft geworden ist. Gleich dem Boden des ‚DustBowls‘ ist die geheimnisvolle Struktur der Gesellschaft zu Staub zerrieben und der ‚soziale‘ Humus durch ‚Erosion‘ zerstört worden. Die Gesellschaft ist in einen formlosen Haufen von Sandkörnern verwandelt worden, die wie die Erde des ‚DustBowls‘ unter den Stürmen der Massenleidenschaften hochaufwirbeln und alles unter sich begraben können. Schließlich starrt uns nur noch der nackte Fels entgegen. So ist es Deutschland ergangen: Es ist zu einem sozialen ‚Dust-Bowl‘ geworden, und nun handelt es sich darum, mit unendlicher Geduld und feinstem Verständnis für die Gesetze der Gesellschaft auf dem Fels einen neuen Humus organischen Gesellschaftslebens zu bilden (Röpke 1948, S. 49 f.). Immerhin ist es außer einigen Soldaten wohl nur der Kirche zu verdanken, daß es nicht unter dem Jubel der Massen zum offenen Kannibalismus und zur begeisterten Anbetung des Tieres gekommen ist. Zuweilen stand es ganz dicht davor (Jünger 1950, S. 267).
Militarismus Militär · militärisch Nichttäter Im Zuge der Konstruktion eines Schuldbegriffs fragt die Diskursgemeinschaft der Nichttäter, was die Deutschen als Deutsche, die Zuschauer, Mitläufer, Wähler, was die Masse zum Nationalsozialismus disponierte. Die Diskursbeteiligten suchen den Nationalsozialismus und seine Entstehung u. a. in bestimmten Grunddispositionen des deutschen Wesens zu verorten, von denen sie annehmen, sie seien wesentlich beteiligt am Entstehen und am zwölf Jahre währenden Bestand des Nationalsozialismus. Die am häufigsten genannten Nationalstereotype sind – neben Militarismus – ÕIdealismus und Õpolitische Unreife. Auch die entschiedensten Gegner der These von einer deutschen ÕKollektivschuld argumentieren mit diesen das Kollektiv bezeichnenden deutschen Nationalstereotypen, wenn sie der deutschen Schuld auf der Spur sind. Erscheinungen des deutschen
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Militarismus
Volksgeistes eignen sich zur Zuweisung einer unmittelbaren Verantwortlichkeit und Schuld aller Deutschen. Das am häufigsten explikativ benutzte deutsche Nationalstereotyp heißt Militarismus. Damit nimmt die Diskursgemeinschaft einen Vorwurf der Alliierten auf, der bereits in der ersten Proklamation, die General Eisenhower 1945 als Chef der alliierten Streitkräfte erlässt, in der Formulierung „deutsche[r] Militarismus, der so oft den Frieden der Welt gestört hat“ erscheint, der dann die Texte der alliierten Deutschlandpolitik systematisch durchzieht und der auch Gegenstand eines von den Alliierten am 5. März 1946 erlassenen Gesetzes ist: Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus. Der deutsche Militarismus ist aus alliierter Sicht ein Hauptmotiv für die Entwicklung der jüngsten deutschen Geschichte, und die Diskursgemeinschaft der Nichttäter eignet sich diese Bewertung an, indem sie mit dem Stereotyp des Militarismus quer durch die politischen Weltsichten und quer durch die Gesellschaft den Nationalsozialismus erklärt. Die Nichttäter gebrauchen Militarismus zur Bezeichnung einer derjenigen Eigenschaften, die den Nationalsozialismus befördert haben, vgl. die Formulierungen Faschismus und Militarismus, reaktionärer/wilder/brutaler Militarismus, deutscher Militarismus, das deutsche Soldatentum zum Militarismus entartet, der Militarismus wurde zum beherrschenden Faktor im Denken und Fühlen breitester Volksschichten, leidenschaftlicher Hang zum Militarismus, der Militarismus war unser Unglück (s. Buchenwalder Manifest für Frieden, Freiheit, Sozialismus‘ vom 13. April 1945, zit. nach Overesch 1995, S. 94 f.; KPD 1945, S. 14; KPD 1945, S. 15 f.; Steltzer 1945, S. 32; Abusch 1946, S. 30; Adenauer 1946, S. 140 f.; Plank 1946, S. 7; Kolbenhoff 1949, S. 105; Laun 1950, S. 71). Die Bezeichnungen ÕGehorsam, Kadavergehorsam (oder Bezeichnungsalternativen wie autoritätsergeben, disziplinsüchtig, nach oben kuschend, Verzicht auf das eigene Wollen und Denken, Befehle ausführen, sich blindlings unterwerfen) werden als Erscheinungsformen von Militarismus als dessen dominante Begriffselemente verwendet und z. T. in eine Kausalbeziehung zueinander gesetzt (s. Steltzer 1945, S. 32; Kogon 1946b, S. 109 f.; Adenauer 1946, S. 140 f.). Die Antipreußen unter den Diskursteilnehmern argumentieren mit einer Gleichsetzung von Militarismus und Preußengeist. Folgerichtig sind aus kommunistischer und christdemokratischer Sicht brutaler Militarismus und Preußengeist Synonyme (s. Abusch 1946, S. 30), werden große Preußen und kleine Preußen, Soldatentum und
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Militarismus als komplementäre Erscheinungsformen einander gegenüber gestellt, die eine die pervertierte Version der andern (s. Steltzer 1945, S. 32) oder wird Militarismus in einen Zusammenhang von Staat – Macht – Heer (s. Adenauer 1946, S. 140 f.) gebracht. Norbert Elias zeichnet den Prozess der Kanonentwicklung von Befehlen und Gehorchen nach, der „weithin in deutschen Staaten die Persönlichkeitsstruktur der Menschen auf eine strikt autokratische und hierarchische Gesellschaftsordnung eingestellt“ hat und damit eine Erklärung für das Phänomen des deutschen Militarismus bietet: „Die Verankerung einer autokratischen Herrschaftsform im Habitus der einzelnen Menschen schuf dann immer von neuem ein starkes Verlangen nach einer Gesellschaftsstruktur, die dieser Persönlichkeitsstruktur korrespondierte, also nach einer festgefügten Hierarchie der Über- und Unterordnung, die sich nicht zuletzt in streng formalisierten Ritualen der sozialen Distanzierung kundtat.“ Diese Formalisierung „bot .. dem einzelnen Menschen durch Zuständigkeitsvorgaben bei den eigenen Entscheidungen einen festen Halt.“ (Elias 1990, S. 95 f.) Vgl. Felbick 2003, s.v. Militarismus; Brisante Wörter 1989, s.v. Militarismus Solange Faschismus und Militarismus in Deutschland nicht restlos vernichtet sind, wird es keine Ruhe und keinen Frieden bei uns und in der Welt geben. Unsere ersten Anstrengungen müssen darauf gerichtet sein, alle gesellschaftlichen Erscheinungen dieser blutigen Unterdrückung des Lebens für immer zu beseitigen. (‚Buchenwalder Manifest für Frieden, Freiheit, Sozialismus‘ vom 13. April 1945, zit. nach Overesch 1995, S. 94 f.) die gewissenlosen Abenteurer und Verbrecher, .. die Hitler und Göring, Himmler und Goebbels, die aktiven Anhänger und Helfer der Nazipartei .. die Träger des reaktionären Militarismus, die Keitel, Jodl und Konsorten .. die imperialistischen Auftraggeber der Nazipartei, die Herren der Großbanken und Konzerne, die Krupp und Röchling, Poensgen und Siemens. Eindeutig ist diese Schuld (KPD 1945, S. 14). Schuld tragen alle jene Deutschen, die in der Aufrüstung die „Größe Deutschlands“ sahen und im wilden Militarismus, im Marschieren und Exerzieren das allein seligmachende Heil der Nation erblickten. (KPD 1945, S. 15 f.) da müssen wir bei aller Achtung vor der Selbstzucht, mit der die großen Preußen sich im Dienst verzehrt haben, aussprechen, daß diese Selbstzucht zu einem Krampf wurde, der die Menschlichkeit zerstörte .. Und bei den kleinen Preußen wird aus dem Vorbild der Selbstzucht der Verzicht auf das eigene Wollen und Denken. Sie führen Befehle aus .. Sie leisten Kadavergehorsam und verlangen Kadavergehorsam .. In diesem mißleiteten Pflichtgefühl ist das .. auf sittlicher Grundlage aufgebaute deutsche Soldatentum zum Militarismus entartet. Das hat unseren Untergang mitverschuldet (Steltzer 1945, S. 32).
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Bestimmte Züge im Charakter des Neudeutschen fühlten sich eben durch die Art der NSDAP angesprochen. Betriebsam, Minderwertigkeitsgefühl durch Überhebung kompensierend, romantisch und materialistisch zugleich, politisch ohne fundierte Kritik, autoritätsergeben, disziplinsüchtig, nach oben gerne kuschend, nach unten gerne tretend, und voll von Bewunderung für alles, was mit Militär zusammenhing, – waren sie das nicht? (Kogon 1946b, S. 109 f.) Das 17. Jahrhundert brachte die Geburt des preußischen Staates und mit ihm die Entwicklung jenes preußischen Geistes, den man heute mit dem Geist des brutalen Militarismus und oftmals mit dem Geist Deutschlands überhaupt identifiziert. In der Tat war der ‚Preußengeist‘ eine entscheidende – wenn auch nicht die einzige – reaktionäre Quelle des Nazigeistes. (Abusch 1946, S. 30) Das deutsche Volk krankt seit vielen Jahrzehnten in allen seinen Schichten an einer falschen Auffassung vom Staat, von der Macht, von der Stellung der Einzelperson. Es hat den Staat zum Götzen gemacht und auf den Altar erhoben. Die Einzelperson, ihre Würde und ihren Wert hat es diesem Götzen geopfert. .. Macht ist mit dem Wesen des Staates untrennbar verbunden. Die Einrichtung, in der sich staatliche Macht am sinnfälligsten und eindrucksvollsten äußert, ist das Heer. So wurde der Militarismus zum beherrschenden Faktor im Denken und Fühlen breitester Volksschichten. .. In einem Volk, das so erst durch die preußische überspitzte und übertriebene Auffassung vom Staat, seinem Wesen, seiner Macht, den ihm geschuldeten unbedingten Gehorsam, dann durch die materialistische Weltanschauung geistig und seelisch vorbereitet war, konnte sich .. verhältnismäßig schnell eine Lehre durchsetzen, die nur den totalen Staat und die willenlos geführte Masse kannte (Adenauer 1946, S. 140 f.). leidenschaftliche[r] Hang zum Militarismus und das überspitzte und mißleitete Nationalgefühl (Plank 1946, S. 7). das militärische Element [ist verantwortlich für] die deutsche Bereitschaft .., sich einem autoritären Regiment blindlings zu unterwerfen (Ritter 1948, S. 40). „Mich interessieren nicht die guten und schlechten Menschen“, sagte ich. „Aber warum läßt der Italiener lieber die Beine ins Wasser hängen, als daß er einen freiwilligen Gepäckmarsch macht? Warum ißt der Däne lieber Schweinebraten mit Rotkohl, als daß er sich eine Uniform anzieht?“ „Ich weiß genau, was du willst“, sagte sie. „Jeder Mensch weiß, daß der Militarismus unser Unglück war.“ (Kolbenhoff 1949, S. 105) Jahrhundertelange[..] falsche[..] politische[..] Erziehung .. planmäßige Züchtung des Grundsatzes ‚Macht geht vor Recht! Dem Mächtigen ist alles erlaubt!‘ .. Untertanen .. Soldatenstand .. militärische Uniform (Löbe 1949a, S. 270 f.). unter dem deutschen Militarismus verstand bekanntlich die Propaganda der westlichen Völker schon seit 1914 in erster Linie nicht so sehr besondere Eigenschaften des deutschen Militärs im Gegensatz zum Militär anderer Staaten als vielmehr eine besondere militärfreundliche Gesinnung des ganzen deutschen Volkes im Gegensatz zur Gesinnung anderer Völker. .. der Vorwurf des deutschen Militarismus, der so oft den Frieden der Welt gestört habe, [richtete sich] in dem gegebenen geschichtlichen Zusammenhang weder bloß gegen die deutschen Generale noch etwa bloß gegen die Regierung Hitler, sondern offensichtlich gegen das deutsche Volk. (Laun 1950, S. 71)
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Muselman(n) Opfer Der am häufigsten gebrauchte und gleichsam lexikalisierte Ausdruck der Opfer für einen noch lebenden aber „zerstörten Menschen“ (Langbein 1972, S. 113) im Konzentrationslager Muselman(n) bedeutet ‚entkräfteter, kaum noch arbeitsfähiger Häftling, der für die Nazis als Arbeitstier keinen Wert mehr hat und daher aus ihrer Sicht zu vernichten ist‘. Diese Bezeichnung ist in keinem KZ-Bericht fehlendes Autostereotyp der Opfer. Die Bezeichnung ist in Auschwitz aufgekommen und „wurde später auch in anderen Lagern gebraucht.“ (Langbein 1972, S. 113) Jean Améry beschreibt die Abhängigkeit des Häftlings von seinem körperlichen Zustand am Beispiel des Muselmanns: „Jeder Lagerhäftling stand .. unter dem Gesetz seiner mehr oder minder großen körperlichen Widerstandskraft. Klar ist jedenfalls, daß die ganze Frage der Wirkung des Geistes dort nicht mehr gestellt werden kann, wo das Subjekt unmittelbar vor dem Hunger- und Erschöpfungstod stehend, nicht nur entgeistet, sondern im eigentlichen Wortsinn entmenscht ist. Der sogenannte ‚Muselmann‘, wie die Lagersprache den sich aufgebenden und von den Kameraden aufgegebenen Häftling nannte, hatte keinen Bewußtseinsraum mehr, in dem Gut oder Böse, Edel oder Gemein, Geistig oder Ungeistig sich gegenüberstehen konnten. Es war ein wankender Leichnam, ein Bündel physischer Funktionen in den letzten Zuckungen.“ (Améry 1977, S. 28 f.) Vgl. Winterfeldt 1986, S. 136; Oschlies 1986, S. 104; zur movierten Form Keiler 1996, S. 43. Wollt ihr am Leben bleiben, dann gibt es nur ein Mittel: den Eindruck der Arbeitsfähigkeit erwecken. Es genügt hier, daß ihr wegen einer kleinen, banalen Verletzung, wegen einer Schuhdruckstelle, hinkt. Sieht so einen die SS, winkt sie ihn herbei und am nächsten Tag geht er garantiert ins Gas. Wißt ihr schon, was man bei uns einen Muselman nennt? Eine Jammergestalt, einen Herabgekommenen, der kränklich aussieht, abgemagert ist und körperlich nicht mehr schwer arbeiten kann. Über kurz oder lang, meist über kurz, wandert jeder Muselman ins Gas! Daher nochmals: rasiert euch, steht und geht immer stramm! Dann braucht ihr keine Angst vor dem Gas zu haben. (Frankl 1946, S. 39 f.) Die erste wichtige Information seitens älterer Lagerinsassen ging jedoch dahin, daß es in diesem verhältnismäßig kleinen Lager (die höchste erreichte Belagzahl war 2500 Mann) keinen »Ofen« gab, das heißt: dort gab es kein Krematorium, also auch keine Gaskammern. Und dies bedeutete, daß einer, der zum »Muselman« geworden war, nicht schnurstracks ins Gas gebracht werden konnte, sondern erst, wenn ein
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sogenannter Krankentransport nach Auschwitz zusammengestellt wurde. (Frankl 1946, S. 76 f.) Der Capo .. erklärte: ‚Also, hört zu. Jede Gruppe trägt einen Sarg. Aber geht vorsichtig, es ist glatt, und die Särge sind schwer. In jedem liegen zwei Mann, und die da drinliegen, sind keine ‚Muselmänner‘, sondern Leute von draußen. (Muselmann war der bekannte Lagerausdruck für den bis zum Skelett abgemagerten Häftling.) ..‘ (Dietmar 1946, S. 60). Der Muselmann war die unterste Stufe, auf die der Häftling sinken konnte. Grauenhaft war der Anblick des täglichen Ein- und Ausmarsches in Auschwitz, wo sich Tausende solcher Elendsgestalten schon am Morgen mühselig zur Arbeit schleppten, um am Abend vielfach nach Hause geschleppt zu werden. Müde, hungrig, verdrossen, zerlumpt und dreckig (Kautsky 1948, S. 197 f.). Die Kommission liess die aufgestellten Juden Revue passieren und sortierte. Wer irgendwie nach ‚Muselmann‘ aussah, wurde auf die Seite gestellt. (‚Muselman‘ war ein Lagerausdruck, mit dem man körperlich heruntergekommene Häftlinge bezeichnete.) Die ‚Muselmänner‘ wurden dann notiert und .. ‚auf Transport‘ geschickt. (Klieger 1958, S. 27 f.)
Nationalsozialismus Nazismus · nazistisch Nationalsozialist Nazi · Nazi- · -nazi Nichttäter In der Bedeutung ‚faschistische Herrschaft der Jahre 1933 bis 1945 in Deutschland, die von Hitler und Funktionären der NSDAP ausgeübte Macht‘ von den Nichttätern gebrauchtes (seit 1887 belegtes, vgl. Schmitz-Berning 1998, s.v. Nationalsozialismus) Schlüsselwort der frühen Nachkriegszeit, mit dem sie entweder eine Abgrenzung zwischen den Deutschen und dem von ihnen für wesensfremd gehaltenen Nationalsozialismus vollziehen (Õdeutsch) (s. Steltzer 1945, S. 31; Steltzer 1945, S. 35; Röpke 1948, S. 60; Röpke 1948, S. 64; Rothfels 1955, S. 82), oder, im Gegenteil, eine (geistige, politische) Verbindung zwischen Nationalsozialismus und Deutschtum herstellen (s. Deiters 1945, S. 8 f.; Adenauer 1946, S. 140; Jaspers 1946, S. 177; Kogon 1946b, S. 113). Nationalsozialismus wird selten unmarkiert gebraucht, z. B. temporal, wie in der Verbindung in der Zeit des Nationalsozialismus (s. Adenauer 1951b, S. 46 f.). Gelegentlich wird die Bezeichnung in metaphorischen Genitivverbindungen verwendet, Fahne des Nationalsozialismus, Banner des Nationalsozialismus, Siegeszug des Na-
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tionalsozialismus (s. Deiters 1945, S. 8 f.; Adenauer 1946, S. 140; Schoeps 1953, S. 30). Zumeist gebrauchen die Diskursteilnehmer Nationalsozialismus personifizierend in Konstruktionen, die das Abstraktum in der Funktion eines Handlungsträgers erscheinen lassen, z. B. der Nationalsozialismus hat uns in die Katastrophe hineingeführt, böse Taten des Nationalsozialismus, der Nationalsozialismus hat viele mitschuldig und mitverantwortlich zu machen gewußt, der Nationalsozialismus, der Deutschland beherrschte und den Krieg entfesselte, was der Nationalsozialismus uns antat, der Nationalsozialismus zwang uns, uns schämen zu müssen, Untaten, die der Nationalsozialismus an den Deutschen begangen hatte, Schäden, die der Nationalsozialismus den Verfolgten zugefügt hat (s. Adenauer 1946, S. 140; Jaspers 1946, S. 177; Kogon 1946a, S. 152; Kuhn 1946, S. 7; Heuss 1946b, S. 189; Röpke 1948, S. 60; Adenauer 1953b, S. 199 f.). Kennzeichnend ist außerdem, dass wegen der ausdrucksseitigen partiellen Identität von Nationalsozialismus und Sozialismus der Gebrauch bei sozialistischen und kommunistischen Sprechern nicht nachweisbar ist, während er bei konservativen Sprechern häufig belegt ist. So analysiert etwa Adenauer die Bezeichnung Nationalsozialismus und nimmt sie zum Anlass, ihre Übersummativität durch Zerlegung zu remotivieren und damit die Isolierung und Exponierung der Bezeichnung Sozialismus zu erwirken: diese Militaristen .. erkannten die propagandistische Zugkraft der Worte „national“ und „Sozialismus“. Sie verbanden sie zu einem Wort und schufen eine neue Art von Sozialismus, den Nationalsozialismus. (Adenauer 1946, S. 157), vgl. auch die verführerische Doppelparole des „nationalen Sozialismus“ (Rothfels 1954, S. 148). (vgl. Herf 1998, S. 260 f.; Haug 1977, S. 24 ff.). Die von Sozialisten und Kommunisten gebrauchte, das Grundwort -sozialismus vermeidende Bezeichnungsalternative ist Nazismus, in Wendungen wie Schuld am Nazismus, Feinde des Nazismus, mitschuldig am deutschen Nazismus, Liquidierung/Vernichtung des Nazismus (s. Schumacher 1945a, S. 257; Schumacher 1945a, S. 280; Schumacher 1945a, S. 283 f.; KPD 1945, S. 20; Ulbricht 1945a, S. 40). Wie Nationalsozialismus und ÕHitlerismus wird Nazismus auch personifizierend gebraucht, vgl. der Nazismus hat die Kulturwerte verschüttet, Machtergreifung des Nazismus (s. Kulturbund 1945, S. 84; VVN-Hauptresolution 1947, S. 597), sowie metaphorisch, das bösartige Geschwür des Nazismus (s. Kantorowicz 1947b, S. 96).
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Die Verwendung der Personenbezeichnung Nationalsozialist (zumeist im Plural gebraucht) entspricht häufig den personifizierenden Verwendungen von Nationalsozialismus, z. B. Zeugen des Terrors, die die Nationalsozialisten hinterlassen haben, teuflische Methode der Nationalsozialisten, Triumph der Nationalsozialisten (s. Röpke 1948, S. 59; Röpke 1948, S. 62; Röpke 1948, S. 113). Die zu Nazismus (und nach dem Vorbild Sozi, vgl. Paul s.v. Nation) gebildete Bezeichnungsalternative Nazi wird zumeist von Sozialisten und Kommunisten verwendet, öfters in der Unterscheidung zwischen echter/aktiver Nazi und nomineller Nazi (Õnominell) zur Legitimierung integrationspolitischer Maßnahmen (s. Schumacher 1945c, S. 212; Kaisen 1945, S. 16; Leonhard 1955, S. 552). Als Wortbildungselement wird Nazi selten als Grundwort gebraucht, Überzeugungsnazis, Anti-Nazi-Stimmung (s. Schumacher 1945c, S. 216 f.; Leonhard 1955, S. 552), während es als Bestimmungswort ausgesprochen produktiv ist. Nazi- als Bestimmungswort wird häufig verwendet in der Zusammensetzung Nazipartei, als Bezeichnungsalternative zu ‚NSDAP‘ (s. KPD 1945, S. 14; Dahlem 1945, S. 260; Pieck 1947, S. 124 f.; Dahlem 1947, S. 60), gleichbedeutend mit Nazibewegung (s. MüllerMeiningen 1946, S. 16), Naziregime, für ‚nationalsozialistische Herrschaft‘ (s. Dahlem 1945, S. 257 ff.; Jaspers 1946, S. 159; VVNHauptresolution 1947, S. 597), gleichbedeutend Nazifaschismus, Nazireich, Nazidiktatur, Nazideutschland, Nazisystem (s. SPD 1945, S. 28; Kaisen 1945, S. 16; Abusch 1946, S. 252 f.; Dahlem 1947, S. 59; Geiler 1947, S. 210; Klieger 1958, S. 14); zur abwertenden Bezeichnung von Aspekten der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in den Zusammensetzungen Nazidemagogie, Nazipropaganda, Naziterror (s. KPD 1945, S. 15 f.; Vermehren 1946, S. 5; Eckert 1946, S. 134; Kautsky 1948, S. 7); metaphorisch bzw. personifizierend in Zusammensetzungen wie Nazigift, Nazigefahr, Nazischwindel, Nazibazillus (s. Abusch 1946, S. 256 f.; Pieck 1947, S. 124 f.; Kantorowicz 1947b, S. 96); zur abwertenden Personenbezeichnung in Naziverbrecher, Nazinutznießer, Naziaktivisten (s. Dahlem 1945, S. 251; Abusch 1946, S. 268; Eckert 1946, S. 76 ff.; Pieck 1947, S. 124 f.; Dahlem 1947, S. 60). Aus Nazismus abgeleitet ist außerdem nazistisch, als abwertende Kurzform für ‚nationalsozialistisch‘ gebraucht, vgl. nazistischer Unrat, nazistischer Rüstungsapparat, nazistisches Deutschland (s.
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Pieck 1945b, S. 54; Raddatz 1947, S. 68; Keil 1948, S. 701 f.; Ehard 1949, S. 53). Vgl. Schmitz-Berning 1998, s.v. Nationalsozialismus Nationalsozialismus Hitlers Lehre und Handeln war die völlige Verleugnung des Deutschtums, der schlimmste Abfall eines Volkes von sich selbst. Denn im Nationalsozialismus hatte der Mensch seine Menschlichkeit verloren. Wir können uns aber ein echtes Deutschsein nicht vorstellen ohne Menschlichkeit (Steltzer 1945, S. 31). [es] gibt .. manche, die ein höheres Maß von Schuld tragen .. die dem Nationalsozialismus in den Sattel geholfen .. haben .. Weite Kreise von Besitz und Bildung .. deutsche Richter .. Generäle (Steltzer 1945, S. 33). Vor allem müssen wir alle Versuche in ruhiger Weise ablehnen, die unser deutsches Volk für zweitklassig erklären und zu einem Pariavolk herabwürdigen wollen. Denn als Volk brauchen wir uns nicht schlechter zu fühlen als andere Völker .. eine unfähige Führungsschicht hat .. alle Schlüsselstellungen dem Nationalsozialismus ausgeliefert. (Steltzer 1945, S. 35) Ein politisches Gebilde wie der Nationalsozialismus muß einen Boden im Volke gefunden haben, um sich aus kleinen Anfängen zu entwickeln und auszuwachsen, bis es zuletzt den ganzen Baum umschlang und fast erstickte. Wohl kann das deutsche Volk nicht zugeben, daß es in seiner Gesamtheit schuldig ist. Große Volksteile haben sich innerlich von der moralischen Zersetzung freigehalten, die das Wesen des Nationalsozialismus ausmacht, und zahlreich sind die Opfer, die im Kampf gegen ihn gefallen sind. Aber sehr große Teile des Volkes sind der Fahne des Nationalsozialismus gefolgt, und zwar in einer Zeit, wo von Zwang noch gar keine Rede sein konnte. Andere haben, wenn auch mit bedrücktem Herzen, geschehen lassen, was im Anfang so leicht zu ändern gewesen wäre. Wir müssen uns eingestehen, daß weit über die Anhängerschaft des Faschismus hinaus in unserem Volke eine große Verwirrung und Trübung des politischen Urteils und des sittlichen Gewissens geherrscht haben. (Deiters 1945, S. 8 f.) Der Nationalsozialismus hat uns unmittelbar in die Katastrophe hineingeführt. Das ist richtig. Aber der Nationalsozialismus hätte in Deutschland nicht zur Macht kommen können, wenn er nicht in breiten Schichten der Bevölkerung vorbereitetes Land für seine Giftsaat gefunden hätte. Ich betone, in breiten Schichten der Bevölkerung. Es ist nicht richtig, jetzt zu sagen, die Bonzen, die hohen Militärs oder die Großindustriellen tragen allein die Schuld. Gewiß, sie tragen ein volles Maß an Schuld, und ihre persönliche Schuld, deretwegen sie vom deutschen Volk vor deutschen Gerichten zur Rechenschaft gezogen werden müssen, ist um so größer, je größer ihre Macht und ihr Einfluß waren. Aber breite Schichten des Volkes, der Bauern, des Mittelstandes, der Arbeiter, der Intellektuellen, hatten nicht die richtige Geisteshaltung, sonst wäre der Siegeszug des Nationalsozialismus in den Jahren 1933 und folgende im deutschen Volk nicht möglich gewesen. (Adenauer 1946, S. 140) Daß in den geistigen Bedingungen des deutschen Lebens die Möglichkeit gegeben war für ein solches Regime, dafür tragen wir alle eine Mitschuld. Das bedeutet zwar keineswegs, daß wir anerkennen müßten, ‚die deutsche Gedankenwelt‘, ‚das deutsche Denken der Vergangenheit‘ schlechthin sei der Ursprung der bösen Taten des Natio-
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nalsozialismus. Aber es bedeutet, daß in unserer Überlieferung als Volk etwas steckt, mächtig und drohend, das unser sittliches Verderben ist (Jaspers 1946, S. 177). Der Nationalsozialismus hat .. viele mitschuldig und mitverantwortlich zu machen gewußt! (Kogon 1946a, S. 152) Was hätte geschehen müssen, um Deutschland und den Nationalsozialismus rechtzeitig wieder voneinander zu trennen? Sie waren nicht voneinander zu trennen! (Kogon 1946b, S. 113) uns alle klagt schon die Tatsache des Nationalsozialismus an, die Tatsache, daß er möglich war, daß er Deutschland beherrschte und den Krieg entfesselte (Kuhn 1946, S. 7). Die Mitverantwortung und Schuld des deutschen Bürgertums an allem, was die Katastrophen und insbesondere das Emporkommen des Nationalsozialismus vorbereitet hat, ist nicht gering. (Meinecke 1946, S. 36) [Der Nationalsozialismus war] ein wohlarrangiertes Schaufenster .., das dem Betrachter einige recht gute und preiswerte Waren anbietet, ihm aber nicht die Bürgschaft gibt, sie im Laden auch wirklich zu erhalten .. innen ist es dunkel .. ein finsterer Abgrund gähnt in die Tiefe, in die der harmlose Käufer unversehens stürzen kann (Meinecke 1946, S. 112). Und das war das Scheußlichste und Schrecklichste, das uns der Nationalsozialismus antat, daß er uns zwang, uns schämen zu müssen, Deutsche zu sein. (Heuss 1946b, S. 189) Daß schließlich ein ganzes Volk in diesen rauschhaften Zustand geriet und die gesetzten Ordnungen sprengen wollte, deutet auf die universale Potenzierung Nietzsches in der Weltanschauung des Nationalsozialismus. (Künneth 1947, S. 50 f.) Wir stehen .. vor der Tatsache, daß die Krisis der Gegenwart durch die zersetzenden Kräfte desselben Abfalls bestimmt ist, der die Weltanschauung des Nationalsozialismus charakterisierte (Künneth 1947, S. 307). [unschuldig] derjenige, der dem Nationalsozialismus von der ersten Stunde an Feindschaft geschworen und ihn mit allen Kräften bekämpft hat, [unschuldig] derjenige, der um seiner Gesinnung willen von den Nationalsozialisten in den Kerker geworfen wurde .. Viel begründeter ist die Auffassung, daß die Politik der Großmächte, die 1919 Deutschland den Frieden diktierten, den Nationalsozialismus hochgezüchtet und daß die Haltung dieser Mächte gegenüber dem im Besitz der Macht befindlichen Nationalsozialismus ihn befestigt hat. .. Zum Erstaunen der friedlich gesinnten deutschen Demokraten war aber festzustellen, daß zu der gleichen Zeit, da der nazistische Rüstungsapparat auf höchsten Touren lief, die Siegermächte von 1918 mit der Hitlerregierung freundschaftliche Beziehungen pflegten. (Keil 1948, S. 701 f.) Es ist die schwere Schuld der Welt, daß sie so lange von den Untaten, die der Nationalsozialismus an den Deutschen selbst begangen hatte, nur allzu geringe Notiz genommen hatte. (Röpke 1948, S. 60) die Deutschen [sind] am Dritten Reiche mitschuldig geworden .., obwohl sie es ursprünglich in ihrer Mehrzahl nicht gewünscht haben, aber von hier bis zu der Behauptung, daß der Nationalsozialismus der deutschen Seele gemäß sei, ist doch ein sehr weiter Weg (Röpke 1948, S. 64). Der Schaden liegt in der durch den Nationalsozialismus verursachten Vergiftung der Gesinnung begründet. Die aus der Besatzung als solcher sich ergebenden politischen Überwachungsmaßnahmen halten das Übel wach. Erst eine freie Entwicklung zur
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vollen Demokratie, die auf der Freiheit der politischen Haltung beruht, wird Besserung bringen (Bader 1949, S. 114). Das deutsche Volk hat in seiner überwiegenden Mehrheit die an den Juden begangenen Verbrechen verabscheut und hat sich an ihnen nicht beteiligt. Es hat in der Zeit des Nationalsozialismus im deutschen Volk viele gegeben, die mit eigener Gefährdung aus religiösen Gründen, aus Gewissensnot, aus Scham über die Schändung des deutschen Namens ihren jüdischen Mitbürgern Hilfsbereitschaft gezeigt haben. Im Namen des deutschen Volkes sind aber unsagbare Verbrechen begangen worden, die zur moralischen und materiellen Wiedergutmachung verpflichten, sowohl hinsichtlich der individuellen Schäden, die Juden erlitten haben, als auch des jüdischen Eigentums, für das heute individuell Berechtigte nicht mehr vorhanden sind (Adenauer 1951b, S. 46 f.). Soweit überhaupt durch unsere Kraft etwas für die Beseitigung der Folgen geschehen kann – ich denke hier an die entstandenen materiellen Schäden, die der Nationalsozialismus den von ihm Verfolgten zugefügt hat –, hat das deutsche Volk die ernste und heilige Pflicht zu helfen, auch wenn dabei von uns, die wir uns persönlich nicht schuldig fühlen, Opfer verlangt werden, vielleicht schwere Opfer. .. Die Juden, nicht nur in Deutschland, sondern überall, wohin der Arm des Nationalsozialismus reichte – und das war lange Zeit während des Krieges der größte Teil von Europa –, haben die grausamste Verfolgung über sich ergehen lassen müsse. Das Ausmaß dieser Verfolgung, die Opfer an Menschen und materiellen Werten, die sie zur Folge hatte, rechtfertigt nicht nur, sondern verlangt eine Sonderbehandlung der Wiedergutmachung an den jüdischen Verfolgten. (Adenauer 1953b, 199 f.) der gründliche Wandel in der Bewußtseinsstellung, daß die einstige enthusiastische Glaubenssehnsucht der mittleren Generation in Deutschland, die einmal hinter dem Banner des Nationalsozialismus marschierte, sich in dumpfe Lethargie verwandelt hat, die immer noch anhält. (Schoeps 1953, S. 30) Die Infektion bestätigte sich u. a. in einer Übernahme kollektiven Denkens, also in jener Gleichsetzung von Deutschen und Nationalsozialisten, auf der die Kollektivschuldthese beruhte. Sie prägte sich ebenso in dem Urteil nach formalen Kategorien aus, das der Nationalsozialismus mit seinen biologischen Abstempelungsmethoden vorgebildet hatte. (Rothfels 1955, S. 82) Nazismus Schließlich sind die Kommunisten die einzige Partei in Deutschland, die sich zu der Schuld des gesamten deutschen Volkes am Nazismus und damit am Kriege bekennt. Wir können diese These, die jeden Nazi und Kapitalisten mitschuldig spricht, um ihn mit zu entschuldigen, nicht akzeptieren. (Schumacher 1945a, S. 257) Die deutschen Arbeiter [sind] am Nazismus am wenigsten schuldig (Schumacher 1945a, S. 277). echtes Schuldbekenntnis, von dem aus sich alle anderen Feinde des Nazismus zu einer Überprüfung der eigenen Politik in diesem selbstkritischen Sinne veranlaßt sehen könnten (Schumacher 1945a, S. 280). Nachdrücklich abzulehnen ist der sogenannte „Vansittartismus“, der die deutsche Arbeiterklasse als völlig unrevolutionär und unkämpferisch mitschuldig am deutschen Nazismus und seiner weltzerstörenden Barbarei sprechen möchte. (Schumacher 1945a, S. 283 f.)
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Der Nazismus hat die wahren deutschen Kulturwerte, wie sie mit den Namen von Goethe, Schiller, Lessing und zahlreicher Philosophen, Künstler und Wissenschaftler verbunden sind, verschüttet (Kulturbund 1945, S. 84). Notwendig ist die Schaffung einer festen Einheit der Demokratie für die endgültige Liquidierung des Nazismus und zum Aufbau eines neuen demokratischen Deutschlands! (KPD 1945, S. 20) Eine demokratische Ordnung ermöglicht die völlige Vernichtung des Nazismus und das Wachsen der fortschrittlichen Kräfte (Ulbricht 1945a, S. 40). Es ist nicht nur unsere Pflicht, die toten Kameraden zu ehren, sondern es ist auch unsere Pflicht, ihr Vermächtnis zu verwalten und zu erfüllen. Wir müssen an die erste Stelle treten im Kampf gegen die Überreste des Nazismus (zit. in Hauff 1946, S. 4). Die Verfolgten des Naziregimes sind die überlebenden Mitglieder einer deutschen Widerstandsbewegung, die vom Tage der Machtergreifung des Nazismus an bis zum Zusammenbruch des Naziregimes gegen dieses Regime niemals aufgehört haben zu kämpfen. Sie haben in diesem Kampf unendliche und unvergeßliche Opfer gebracht, wenn es ihnen auch nicht gelang, ihr Ziel, nämlich die Befreiung des deutschen Volkes, aus eigener Kraft zu erreichen. (VVN-Hauptresolution 1947, S. 597) Die fremden und die einheimischen Umerzieher haben sofort nach dem Zusammenbruch emsig begonnen, jede Enthüllung über den Nazismus als Material für die These von der deutschen Kollektivschuld zu verwerten. Die krassen Untaten schienen hierfür am geeignetsten zu sein. Jede Scheußlichkeit, die der Deutsche zu hören bekam, über Belsen und Buchenwald, über Lidice und Auschwitz, war mit einer Anklage verbunden: ‚Deine Schuld – tua culpa!‘ (Friedlaender 1947, S. 50) Es gibt einen großen Bereich von „Schuld“, der der verfeinerten Gewissensforschung jedes einzelnen überlassen bleiben muß. Wer von außen mit massiven Vorwürfen in diesen Bereich eindringt, zerstört die Möglichkeit eines läuternden Selbstvorwurfs. Hierdurch und durch ihre anderen Nachkriegserlebnisse sind die Deutschen dazu gekommen, eher nach „guten Seiten“ des Nazismus zu suchen. Das Unliebsame dagegen wird ferngehalten, vergessen, verdrängt. Es wird gar nichts gebessert, wenn die weniger einsichtigen unter den Umerziehern das als Verstocktheit deuten (Friedlaender 1947, S. 51). Wir alle sind uns bewußt, daß es eine langwierige, schwierige, gefährliche Operation sein wird, das bösartige Geschwür Nazismus aus dem Körper unseres Volkes herauszuschneiden. Aber wir sollten auch wissen, daß die Umwelt, die durch den Nazibazillus mit Vernichtung bedroht war, auf der Überwachung des Infektionsherdes Deutschland beharren wird, solange die Rekonvaleszenz währt. .. Gerade die unter uns, die sich als vollkommen immun gegen den Krankheitskeim erwiesen haben, geben sich Rechenschaft davon, daß wir alle gemeinsam durch eine Quarantäneperiode hindurchzugehen haben (Kantorowicz 1947b, S. 96). Man kann nicht gegen den Nazismus sein, ohne der Opfer des Nazismus zu gedenken. (Schumacher 1949, S. 699) Nationalsozialist die den Nationalsozialisten einst in den Sattel geholfen haben und die darum im tiefsten Grunde fast noch schuldiger sind als ihre Werkzeuge (Schumacher 1945a, S. 279 f.).
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sie [trauten] auf keine bestehende Wahrheit .., sondern [‚machten‘] die Wahrheit selbst .. – darum sind die Nationalsozialisten schuldig! (Kuhn 1946, S. 45) die neunundvierzig Prozent der deutschen Bevölkerung [‚ die 1933] gegen die Nationalsozialisten gestimmt haben (Holtum 1947, S. 236). Mit Entsetzen und grenzenloser Empörung steht die Welt heute vor den Zeugen des Terrors, die die Nationalsozialisten in den Schädelstätten ihrer Konzentrationslager hinterlassen haben. (Röpke 1948, S. 59) schließlich war es gerade die teuflische Methode der Nationalsozialisten, möglichst viele durch erpreßte Eingliederung in den Apparat zu korrumpieren. (Röpke 1948, S. 62) einzelne[..] wichtige[..] Gruppen, die entscheidend zum Triumph der Nationalsozialisten beigetragen haben, und diese Schuld wiegt um so schwerer, als es sich um führende Schichten handelte. (Röpke 1948, S. 76 ff.) eine Theorie, die beweist, in welch erschreckendem Maße die Welt .. bereit ist, den von den Nationalsozialisten begonnenen Rückschritt zu barbarischen Kollektivvorstellungen .. mitzumachen (Röpke 1948, S. 113). Die Bereinigung des öffentlichen Lebens von Nationalsozialisten, Militaristen und Nutznießern des ‚Dritten Reiches‘ hat unzweifelhaft zu einer neuen, kaum weniger schädlichen und verbreiteten Welle politischer und sonstiger Denunziationen geführt. (Bader 1949, S. 113) Schon die Tatsache, daß das Reich der Nationalsozialisten sich als ein tausendjähriges Reich gab .., erlaubt die Frage, ob das Reich Adolf Hitlers überhaupt Ereignis einer geschichtlichen Zeit oder nicht vielmehr ein Sprung aus der Geschichte in das historische Nichts gewesen sei. (Freund 1954, S. 319 f.) Die Infektion bestätigte sich u. a. in einer Übernahme kollektiven Denkens, also in jener Gleichsetzung von Deutschen und Nationalsozialisten, auf der die Kollektivschuldthese beruhte. Sie prägte sich ebenso in dem Urteil nach formalen Kategorien aus, das der Nationalsozialismus mit seinen biologischen Abstempelungsmethoden vorgebildet hatte. (Rothfels 1955, S. 82) Nazi Schließlich sind die Kommunisten die einzige Partei in Deutschland, die sich zu der Schuld des gesamten deutschen Volkes am Nazismus und damit am Kriege bekennt. Wir können diese These, die jeden Nazi und Kapitalisten mitschuldig spricht, um ihn mit zu entschuldigen, nicht akzeptieren. (Schumacher 1945a, S. 257) Die Bankrotteure .. [beteuern] mit beispielloser Feigheit und Gesinnungslosigkeit .., niemals Nazis gewesen zu sein. (Schumacher 1945b, S. 252) Sie haben das Recht auf Raub und Beute streng hierarchisch in ihrem Räuberstaat abgestuft. .. Die Ausübung der politischen Macht hatte für den einzelnen echten Nazi in erster Linie den Sinn, ihn außerhalb der Strafgesetze zu stellen. .. So haben die Nazis eine Überführung von Vermögen aus fremden in die eigenen Taschen erreicht, die nur verglichen werden kann mit der Umschichtung einer ganzen sozialen Revolution. (Schumacher 1945c, S. 212) Die Mitschuld großer Volksteile an der Blutherrschaft der Nazis liegt in ihrem Diktatur- und Gewaltglauben! (Schumacher 1945c, S. 216 f.)
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wir werden zu unterscheiden verstehen zwischen jenen nominellen Nazis, die aus Zwang sich beugten und jenen Nutznießern dieses Systems des organisierten Raubes. (Kaisen 1945, S. 16) Die Nazis haben aus Deutschland einen Trümmerhaufen gemacht und das Chaos, das sie der Welt so oft androhten, es ist für unser Land zu grausigster Wirklichkeit geworden. Volk und Reich liegen im Abgrund. (Böckler 1945, S. 402) wir [haben] kein Recht, alle Schuld auf die bösen Nazis zu schieben (Niemöller 1945a, S. 16). Sehr lange Debatte über Einzelpunkte, z. B. darf ein OdF [Opfer des Faschismus] für Nazis gutsagen? (Klemperer 1945, Tagebücher 1945–1949, S. 345) wir verdanken das allein den Nazis, wenn wir heute in der ganzen Welt isoliert sind. (Kaisen 1946, S. 42) Bemerkung an die Adresse der tatsächlich und nachweislich von den Nazis Verfolgten und Geschädigten, zu denen .. auch der Verfasser gehört .. Ihnen, die nicht durch Zugehörigkeit zur Nazibewegung kompromittiert sind, fallen beim Wiederaufbau von Staat und Wirtschaft führende Aufgaben zu (Müller-Meiningen 1946, S. 16). weil die Schuld, die alle kriminelle Schuld übersteigt, unvermeidlich einen Zug von „Größe“ – satanischer Größe – bekommt, die meinem Gefühl angesichts der Nazis so fern ist, wie das Reden vom ‚Dämonischen‘ in Hitler und dergleichen. (Jaspers 1946, Arendt-Jaspers-Briefwechsel 1929–1969, S. 98 f.). des jungen Funktionärs, der im Bürgerkrieg [vor 1933] eine Rolle als unerschrockener Gegner der Nazi gespielt hatte (Kautsky 1948, S. 154). Man hat von einer „Kollektivschuld“ des deutschen Volkes gesprochen. Das Wort Kollektivschuld und was dahinter steht, ist aber eine simple Vereinfachung, es ist eine Umdrehung, nämlich der Art, wie die Nazis es gewohnt waren, die Juden anzusehen: daß die Tatsache, Jude zu sein, bereits das Schuldphänomen in sich eingeschlossen habe. (Heuss 1949a, S. 100 f.) „Solange ich diesen Kohl fressen muß, glaube ich nicht an Demokratie“, sagte der Mann. „Hier sitzt man und wartet, daß sie die Demokratie verkünden, und dann muß man eine Mark und vierzig für diesen Fraß bezahlen. .. Man kann über die Nazis denken, wie man will, aber Ordnung haben sie gehalten.“ (Kolbenhoff 1949, S. 116) „Klare entschiedene Differenzierung, nicht nach Äußerlichkeiten, sondern nach der Verhaltensweise, schnelle, strenge Aburteilung der Kriegsverbrecher für die von ihnen begangenen Verbrechen, Sühnemaßnahmen gegen die aktiven Nazis, die sich als Träger der Politik und der verbrecherischen Bestrebungen der NSDAP betätigten und heute den Wiederaufbau zu stören versuchen; aber keinerlei Sühnemaßnahmen gegen die vielen Millionen früherer nomineller Mitglieder der NSDAP, die ehrlich einen neuen Weg gehen wollen. So, und nur so kann die Frage der Behandlung der Nazis richtig gelöst werden“, beendete ich den Artikel. Das entsprach meiner Überzeugung, war aber nicht leicht, sie beim nächsten Schulungsabend – alle führenden Funktionäre wurden dafür eingesetzt – vor den Genossen zu vertreten. Die Anti-Nazi-Stimmung, die zwischen wirklichen Schuldigen und nominellen Mitgliedern keinen Unterschied machte, war so stark, daß sich klare Unterscheidungen nur sehr schwer durchsetzen konnten. (Leonhard 1955, S. 552)
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Nazi-/-nazi Vielzuviele[..], die, ohne eigentliche Überzeugungsnazis zu sein und ohne einen Verfolgungswillen gegen die Nazifeinde zu zeigen, zum Teil schon vor, zum Teil nach 1933 sich als stupide Nachläufer der Hitlerei und bloße Macht- und [Erfolgsanbeter] erwiesen haben. (Schumacher 1945c, S. 216 f.) Der Nazifaschismus .. hat das deutsche Volk in tiefster seelischer Qual, in einer unvorstellbaren Not zurückgelassen! Das Gefühl für Rechtlichkeit ist gelähmt! Die nackte Not grinst dem Volke aus den Ruinen vernichteter Wohnungen und geborstener Fabriken entgegen. (SPD 1945, S. 28) wir werden zu unterscheiden wissen zwischen denen, die als junge Menschen das Nazireich nicht verschuldet haben, sondern es vorfanden und darin aufgewachsen sind, und jenen älteren Generationen, die mit schwerer Schuld beladen, völlige Handlanger Hitlers waren (Kaisen 1945, S. 16). die gewissenlosen Abenteurer und Verbrecher, .. die Hitler und Göring, Himmler und Goebbels, die aktiven Anhänger und Helfer der Nazipartei .. die Träger des reaktionären Militarismus, die Keitel, Jodl und Konsorten .. die imperialistischen Auftraggeber der Nazipartei, die Herren der Großbanken und Konzerne, die Krupp und Röchling, Poensgen und Siemens. Eindeutig ist diese Schuld (KPD 1945, S. 14). Unser Unglück war, daß Millionen und aber Millionen Deutsche der Nazidemagogie verfielen, daß das Gift der tierischen Rassenlehre, des „Kampfes um Lebensraum“ den Organismus des Volkes verseuchen konnte. Unser Unglück war, daß breite Bevölkerungsschichten das elementare Gefühl für Anstand und Gerechtigkeit verloren und Hitler folgten, als er ihnen einen gutgedeckten Mittags- und Abendbrottisch auf Kosten anderer Völker durch Krieg und Raub versprach. (KPD 1945, S. 15 f.) Das Terror- und Mordregime der Naziverbrecher hatte zur Folge, daß Deutschland das verhaßteste Land auf der Welt wurde, daß der deutsche Name verachtet und geächtet ist. Eine Welle des Mißtrauens wird lange Zeit das deutsche Volk auf seinem neuen Wege begleiten (Dahlem 1945, S. 251). Schuld an den Verbrechen des Naziregimes .. an Unrecht und Schaden .. an den Untaten des Hitlerregimes .. an seinen Verbrechen (Dahlem 1945, S. 257 ff.). Die einfachen, unbelasteten Nazimitglieder sollen durch ihre Arbeit und ihr Handeln beweisen, daß sie mit dem Geist der Nazipartei endgültig gebrochen haben, dann erst können sie als Gleichberechtigte behandelt werden. (Dahlem 1945, S. 260) Das 17. Jahrhundert brachte die Geburt des preußischen Staates und mit ihm die Entwicklung jenes preußischen Geistes, den man heute mit dem Geist des brutalen Militarismus und oftmals mit dem Geist Deutschlands überhaupt identifiziert. In der Tat war der ‚Preußengeist‘ eine entscheidende – wenn auch nicht die einzige – reaktionäre Quelle des Nazigeistes. (Abusch 1946, S. 30) Wenn die Deutschen von der Nazidiktatur auch selbst mörderisch unterdrückt wurden, so waren sie im Jahre 1933 doch nicht mitten im Schlaf überfallene Opfer. (Abusch 1946, S. 252 f.) Schwerer wiegt die Schuld der Führer der rechten Sozialdemokraten, der Zentrumspartei und der Deutschen Demokratischen Partei, die selbst „gemäßigten“ nationalistischen und imperialistischen Ideen anhingen und dadurch den Widerstand gegen das Vordringen des Nazigiftes paralysierten. Geringer ist die politische Schuld des linken Flügels der deutschen Arbeiterbewegung, der, trotz seiner sektiererischen Feh-
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ler, jederzeit aufrichtig als Rufer zum Kampf auf Leben und Tod gegen die nahende Nazigefahr auftrat. (Abusch 1946, S. 256 f.) die Vernichtung der Naziverbrecher ist nur ein Teil der deutschen Selbstreinigung. (Abusch 1946, S. 268) es [gibt] noch immer in so erschreckend hohem Maße Menschen .., die nicht glauben können und wollen, daß hinter den glorreichen Kulissen der Nazipropaganda wirklich Ströme von unschuldig vergossenem Blut geflossen sind. In dem drängenden Anliegen, diese Ungläubigen endlich zu widerlegen und zu überzeugen, mag auch ein Versuch wie der vorliegende seinen gerechtfertigten Platz finden können. (Vermehren 1946, S. 5) Bemerkung an die Adresse der tatsächlich und nachweislich von den Nazis Verfolgten und Geschädigten, zu denen .. auch der Verfasser gehört .. Ihnen, die nicht durch Zugehörigkeit zur Nazibewegung kompromittiert sind, fallen beim Wiederaufbau von Staat und Wirtschaft führende Aufgaben zu (Müller-Meiningen 1946, S. 16). Nicht das deutsche Volk, sondern einzelne als Verbrecher angeklagte Deutsche – aber grundsätzlich alle Führer des Naziregimes – stehen hier vor Gericht. (Jaspers 1946, S. 159) Parteibonzen, .. üble[..] Nazinutznießer (Eckert 1946, S. 76 ff.). die ihre Stimme zu häufig im Äther für Nazipropaganda ertönen ließen (Eckert 1946, S. 134). Wer die Seelen unserer jungen Studenten im nazi-ideologischen Sinne zu vergiften verstanden und damit gegen die heiligen Grundsätze der freien Wissenschaften gesündigt [hat] (Eckert 1946, S. 139). Die Verfolgten des Naziregimes sind die überlebenden Mitglieder einer deutschen Widerstandsbewegung, die vom Tage der Machtergreifung des Nazismus an bis zum Zusammenbruch des Naziregimes gegen dieses Regime niemals aufgehört haben zu kämpfen. Sie haben in diesem Kampf unendliche und unvergeßliche Opfer gebracht, wenn es ihnen auch nicht gelang, ihr Ziel, nämlich die Befreiung des deutschen Volkes, aus eigener Kraft zu erreichen. (VVN-Hauptresolution 1947, S. 597) Wesentlich anders steht die Frage der Entnazifizierung gegenüber den Millionenmassen, die auf den Nazischwindel hineinfielen und Mitglieder der Nazipartei wurden. Die Mehrheit von ihnen besteht aus Angehörigen des werktätigen Volkes. Sie sind im guten Glauben an die Versprechungen der Hitlerbande gefolgt und haben angefangen, zu begreifen, wie sehr sie betrogen worden sind. Ihnen gegenüber muß selbstverständlich in der Beurteilung ihres Verhaltens ein anderer Maßstab angelegt werden als gegenüber den Kriegsverbrechern und Naziaktivisten. Wenn diese Massen auch nicht frei von jeglicher Schuld zu sprechen sind, so muß doch alles getan werden, ihnen verständlich zu machen, daß ein neuer Weg gegangen werden muß, um Deutschland aus dem Unglück herauszuführen und seinen Wiederaufstieg zu ermöglichen. (Pieck 1947, S. 124 f.) Wir alle sind uns bewußt, daß es eine langwierige, schwierige, gefährliche Operation sein wird, das bösartige Geschwür Nazismus aus dem Körper unseres Volkes herauszuschneiden. Aber wir sollten auch wissen, daß die Umwelt, die durch den Nazibazillus mit Vernichtung bedroht war, auf der Überwachung des Infektionsherdes Deutschland beharren wird, solange die Rekonvaleszenz währt. .. Gerade die unter uns, die sich als vollkommen immun gegen den Krankheitskeim erwiesen haben, geben sich Rechenschaft davon, daß wir alle gemeinsam durch eine Quarantäneperiode hindurchzugehen haben (Kantorowicz 1947b, S. 96).
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Schuld an den Verbrechen, die Nazideutschland an den anderen Völkern verübte (Dahlem 1947, S. 59). Wir müssen bei all unserem Handeln sorgfältig unterscheiden lernen. Rücksichtslos müssen wir gegen Kriegsverbrecher, Naziaktivisten, Gestapoleute schlagen, aber entgegenkommend und versöhnend müssen wir den einfachen nominellen Pgs entgegentreten, die lediglich Mitläufer waren, nicht durch Verbrechen belastet sind und die am demokratischen Neuaufbau unseres Landes aktiv mitarbeiten. Wir müssen differenzieren zwischen den verbrecherischen Elementen der Nazipartei und den vielen einfachen Menschen, die oft durch Zwang, aus kleinlichen egoistischen Gründen, um Ruhe zu haben usw. – ich denke da besonders an die Bauern, an breite Mittelstandsschichten, untere Beamten usw. – der Nazipartei beigetreten waren (Dahlem 1947, S. 60). Wir haben völkerrechtlich die Verantwortung des deutschen Volkes für die von dem Nazisystem begangenen Verbrechen anzuerkennen. (Geiler 1947, S. 210) Die Aufdeckung der in den deutschen Konzentrationslagern vollbrachten Scheußlichkeiten [rief] in der Welt vielfach eine falsche Deutung des Wesens der Konzentrationslager und damit auch des Naziterrors überhaupt hervor[..]. Die begangenen Schandtaten erschienen als die sadistischen Grausamkeiten der SS, und da es massenhafte Grausamkeiten waren, schrieb man sie einer besonderen sadistischen Veranlagung des gesamten deutschen Volkes zu. (Kautsky 1948, S. 7) „Klare entschiedene Differenzierung, nicht nach Äußerlichkeiten, sondern nach der Verhaltensweise, schnelle, strenge Aburteilung der Kriegsverbrecher für die von ihnen begangenen Verbrechen, Sühnemaßnahmen gegen die aktiven Nazis, die sich als Träger der Politik und der verbrecherischen Bestrebungen der NSDAP betätigten und heute den Wiederaufbau zu stören versuchen; aber keinerlei Sühnemaßnahmen gegen die vielen Millionen früherer nomineller Mitglieder der NSDAP, die ehrlich einen neuen Weg gehen wollen. So, und nur so kann die Frage der Behandlung der Nazis richtig gelöst werden“, beendete ich den Artikel. Das entsprach meiner Überzeugung, war aber nicht leicht, sie beim nächsten Schulungsabend – alle führenden Funktionäre wurden dafür eingesetzt – vor den Genossen zu vertreten. Die Anti-Nazi-Stimmung, die zwischen wirklichen Schuldigen und nominellen Mitgliedern keinen Unterschied machte, war so stark, daß sich klare Unterscheidungen nur sehr schwer durchsetzen konnten. (Leonhard 1955, S. 552) Nazi-Deutschland bestand aus Blut, Mord, Terror und Korruption. Auschwitz war dieses Deutschland im kleinen und gab ein genaues Spiegelbild des grösseren Deutschland. (Klieger 1958, S. 14) nazistisch Wir werden unser deutsches Haus sehr gründlich von diesem nazistischen Unrat und Ungeziefer säubern (Pieck 1945b, S. 54). Wir lebend Gebliebenen, wir Zeugen der nazistischen Bestialitäten .. Heute sind wir frei! (Eiden 1946, S. 263) Wir Gefangenen aus den Konzentrationslagern und Zuchthäusern werden nie vergessen, daß der Sieg der alliierten Armeen über das nazistische Deutschland auch uns die Stunde der Befreiung brachte .. Wir können aber auch von uns behaupten, daß wir mit unserem Kampf gegen den Faschismus die Anstrengungen der vereinten Nationen unterstützt haben. (Raddatz 1947, S. 68)
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Zum Erstaunen der friedlich gesinnten deutschen Demokraten war .. festzustellen, daß zu der gleichen Zeit, da der nazistische Rüstungsapparat auf höchsten Touren lief, die Siegermächte von 1918 mit der Hitlerregierung freundschaftliche Beziehungen pflegten. (Keil 1948, S. 701 f.) Die Hoffnung, daß die Welt zu einem glücklichen Zeitalter erwachen werde, wenn nur das durch Hitler heraufbeschworene Unglück gebannt sei, hat sich nicht erfüllt! Die Dosis zur Vernichtung des nazistischen Deutschlands wurde zu stark genommen! (Ehard 1949, S. 53)
neu Neuanfang · Neuaufbau · Neubau · Neugestaltung · Neuordnung Neues · Erneuerung · erneuert Nichttäter Mit der häufig belegten Wortfamilie neu beziehen sich die Nichttäter auf die ÕGegenwart, die sie als Zeit eines bereits begonnenen umfassenden gesellschaftlichen und politischen Umbruchs deuten und als ÕWende bezeichnen (s. Böhm 1945, S. 125; Kaisen 1946, S. 41; Grotewohl 1949b, S. 124; FDP 1949, S. 284), vgl. dazu das Partizip erneuert (s. Neue Politik 1945, S. 14; Steltzer 1946a, S. 92). Daneben verweist neu in die ÕZukunft auf etwas noch nicht Existierendes (s. Deiters 1945, S. 19, Pieck 1945a, S. 7; KPD 1945, S. 20; Grotewohl 1950b, S. 123), auf das man sich gelegentlich im Modus des Imperativs bzw. deontisch bezieht (s. Pieck 1946b, S. 615; Ministerkonferenz 1947, S. 583), vgl. dazu die substantivische Ableitung Erneuerung (s. Jaspers 1946, S. 134; Abusch 1946, S. 268). Die Wortfamilie neu verweist also in die beiden Zeitdimensionen der ÕGegenwart und der ÕZukunft. Referenzobjekte der Wortfamilie neu sind allgemeine Veränderungen: neuer Zeitabschnitt, Neuordnung der deutschen Dinge, Neuanfang, vor dem wir stehen, neues Zeitalter .. Geburtswehen einer neuen Zeit (s. Preysing 1945c, S. 25; Grimme 1945a, S. 16; Grimme 1945a, S. 32; KPD 1945, S. 20; Kaiser 1946b, S. 203; Geiler 1946a, S. 113; Färber 1947, S. 423; Fuchs 1948, S. 7). Insbesondere referiert neu auf Veränderungen in Politik und Gesellschaft: neues Deutschland, der neue Staat, unser politisches Leben neu begründen, Neuaufbau unseres staatlichen Lebens, neue Zukunft der Freiheit und des Friedens (s. Schumacher 1945b, S. 253; SPD 1945, S. 29; Pieck 1945a, S. 7; Adenauer 1945, S. 80; Kölner Leitsätze 1945,
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S. 31; Grimme 1946d, S. 109 f.; Kaisen 1946, S. 41; Steltzer 1946a, S. 92; Pieck 1946b, S. 615; Sternberger 1946, S. 27; Ministerkonferenz 1947, S. 583; Köhler 1948, S. 85 f.). Häufig belegt sind darüber hinaus Gebrauchsweisen, in denen neu sich auf einen geistigen Wandel bezieht: neues Gepräge (des deutschen Geistes), ein neues Geistesleben begründen, neue deutsche Form, neuer Glaube an den Menschen, aus einer neuen Besinnung einen neuen Anfang suchen, eine neue Verbindung mit den ewigen Kräften, neue innere Haltung aus einer neuen Gotterfülltheit, das Werk der menschlichen Kultur von neuem beginnen, ein neues Nationalgefühl bilden, unsere Würde neu bilden, neue geistige Fundierung (s. Böhm 1945, S. 125; Pieck 1945a, S. 7; Schneider 1945, S. 218; Dahlem 1945, S. 251; Kulturbund 1945, S. 83; Heuss 1946b, S. 197; Grimme 1946d, S. 109 f.; Bäumer 1946, S. 26; Dirks 1946a, S. 199; Schmid 1946, S. 11; Jaspers 1946, S. 186; Jaspers 1946, S. 209 f.; Harbsmeier 1946, S. 50; Geiler 1946c, S. 17; Pribilla 1947, S. 119; Eggerath 1947, S. 187 f.; Röpke 1948, S. 49 f.; NDPD 1948, S. 650; Heuss 1949b, S. 9 f.; Heinemann 1949b, S. 51; Leonhard 1955, S. 552). Konkret verweist neu auf die politischen Verhältnisse der ÕDemokratie: neue antifaschistisch-demokratische Republik, neue demokratische Lebensformen, neues demokratisches Deutschland, demokratische Neugestaltung Deutschlands, neue (deutsche) Demokratie, demokratischer Neuaufbau, neuer demokratischer Staat, neue demokratische Kultur (s. SPD 1945, S. 29; KPD 1945, S. 19; KPD 1945, S. 20; Ulbricht 1945, S. 35; Ackermann 1946, S. 351; Abusch 1946, S. 270; Grotewohl 1947, S. 283; Dahlem 1947, S. 60; Geiler 1948, S. 11; FDP 1949, S. 284; Grotewohl 1950b, S. 123). Vgl. Felbick 2003, s.v. neu/NeuDie Demokratie im neuen Deutschland darf sich nicht auf das Politische beschränken, sie muß das ganze gesellschaftliche und kulturelle Leben durchdringen, muß bis zur letzten Konsequenz die große Selbstverständlichkeit im Leben unseres Volkes werden (Schumacher 1945b, S. 253). Es liegt ein neuer Zeitabschnitt vor uns (Preysing 1945c, S. 25). In diesen vergangenen Wochen und Monaten ist nun ein neues Kapitel in der Geschichte unseres Volkes und unserer Kirche aufgeschlagen (Böhm 1945, S. 125). wir .. nähern uns der Paßhöhe, auf der uns die Aussicht in ein neues Land erwartet. .. Und frei liegt der Weg nun vor dem deutschen Erzieher (Deiters 1945, S. 19). Wer vor dem Nichts steht, kann vermeinen, alles sei am Ende, er kann jedoch auch das Bewußtsein haben, daß Neues werden will. Er kann sich statt am Ende auch vor dem Anfang stehend fühlen. Und wer will sagen, ob darin, daß wir neu beginnen dürfen, nicht auch, wenn wir nur wollen, die Möglichkeit der Größe dieser dunklen Tage
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beschlossen liegt, so daß es schließlich vor dem Forum der Geschichte nachträglich einen Sinn erhielte, daß wir in dieses Nichts geführt sind (Grimme 1945a, S. 16). Schicksalsstunde .. Entscheidungszeit .. Kairos .. die Größe dieser Zeit .., die uns erlaubt, die Welt von allen Vorurteilen frei neu aufwachsen zu lassen aus der Wurzel, .. Aufbau aus dem Nichts, .. creatio e nihilo! (Grimme 1945a, S. 32) In dieser entscheidenden Stunde ist es wiederum die geschichtliche Aufgabe der deutschen Arbeiterklasse, Trägerin des Staatsgedankens zu sein: einer neuen, antifaschistisch-demokratischen Republik! (SPD 1945, S. 29) Der neue Staat muß wiedergutmachen, was an den Opfern des Faschismus gesündigt wurde, er muß wiedergutmachen, was faschistische Raubgier an den Völkern Europas verbrochen hat (SPD 1945, S. 29). Ein neues Deutschland .. schaffen, neue Wege .. beschreiten, damit das deutsche Volk wieder ein würdiges Leben gewinnen [kann]. Das kostbare Gut der inneren Freiheit gesichert (Pieck 1945a, S. 7). Der Zug ins Große ist einmal das Gepräge des deutschen Geistes gewesen, aber es war ein Zug ins Unbestimmte; der Zug zum fest bestimmten Großen könnte sein neues Gepräge sein. (Schneider 1945, S. 218) [Bürger], die, nachdem sie sich von der ersten Erschütterung erholt haben, mit Mut und Vertrauen darangegangen sind, sich eine neue Existenz zu schaffen (Adenauer 1945, S. 80). Das Terror- und Mordregime der Naziverbrecher hatte zur Folge, daß Deutschland das verhaßteste Land auf der Welt wurde, daß der deutsche Name verachtet und geächtet ist. Eine Welle des Mißtrauens wird lange Zeit das deutsche Volk auf seinem neuen Wege begleiten (Dahlem 1945, S. 251). Die Wiedergutmachung der Schäden ist die grundlegende Voraussetzung für jeden Neuaufbau in Deutschland. (Dahlem 1945, S. 257) Herstellung der demokratischen Rechte und Freiheiten des Volkes .. neue[..] demokratische[..] Lebensformen des Volkes (KPD 1945, S. 19). Notwendig ist die Schaffung einer festen Einheit der Demokratie für die endgültige Liquidierung des Nazismus und zum Aufbau eines neuen demokratischen Deutschlands! (KPD 1945, S. 20) Fester den Tritt gefaßt! Höher das Haupt erhoben! Mit aller Kraft ans Werk! Dann wird aus Not und Tod, Ruinen und Schmach die Freiheit des Volkes und ein neues würdiges Leben erstehen (KPD 1945, S. 20). [Der ‚Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands‘ will] die große deutsche Kultur, den Stolz unseres Vaterlandes, wiedererwecken und ein neues Geistesleben begründen (Kulturbund 1945, S. 83). Das erneuerte Deutschland bekennt sich bedingungslos zum Frieden und zum Recht (Neue Politik 1945, S. 14). Erst wenn unser Volk von tiefer Scham erfaßt ist über die Verbrechen des Hitlerismus, erst wenn es von tiefer Scham erfaßt ist darüber, daß es diese barbarischen Verbrechen zugelassen hat, erst dann wird es die innere Kraft aufbringen, einen neuen, einen demokratischen, einen fortschrittlichen Weg zu gehen (Ulbricht 1945, S. 35). Ein freies Volk .., dessen Grundgesetz die Achtung menschlicher Würde ist. Ein neues Deutschland .., das auf Recht und Frieden gegründet ist .. Wahrheit, Ehrlichkeit und Treue .. Soziale Gerechtigkeit und soziale Liebe .. eine soziale Ordnung .. die der demokratischen Überlieferung der deutschen Vergangenheit ebenso entspricht wie
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der Weite und dem Geiste des christlichen Naturrechts (Kölner Leitsätze 1945, S. 31). Wir müssen uns mit dem, was draußen wuchs, innerlich auseinandersetzen. Wir brauchen wieder Weltluft .. Das Bewußtsein ist das dem Abendlande gemeinsame Fundament, auf dem wir stehen, das will heißen: Antike und Christentum .. die neue deutsche Form. (Heuss 1946b, S. 197) Einesteils sind wir selbst andere geworden. Andernteils hat die Zeit mit ihrem Denken, mit ihren Wissens- und Lebensbedürfnissen ein neues Gesicht erhalten (Wunderle 1946, S. 4). Wir brauchen .. eine Schule, in der das Griechentum und die Gesinnung des Christentums .. das Fundament des Neubaus der Erziehung abgibt (Grimme 1946c, S. 222). das, was wir brauchen, Kameraden, ist ein neuer Glaube an uns selbst und an die anderen, wenn diese neue Staatsform lebendig werden soll. .. Demokratie .. wurzelt letztlich im Religiösen. Entweder nämlich ist es Glaubensüberzeugung für mich, daß jeder Mensch und jedes Volk mit gleichem Anrecht von einer Macht, die nie ein Mensch begreift, in diese Welt gesandt ist, oder aber ich aberkenne allen anderen dieses Anrecht und halte niemand als mich selbst für auserwählt und für allein berechtigt, über Mensch und Volk und Völker zu entscheiden. So setzt im letzten unser demokratischer Gedanke eine Glaubensbruderschaft voraus. .. Es geht um einen neuen Glauben an den Menschen (Grimme 1946d, S. 109 f.). an der Wiege der Neuordnung der deutschen Dinge (Kaiser 1946b, S. 203). Zum ersten Mal nach zwölf Jahren versammelt sich wieder die Bürgerschaft. Es ist ein neuer Anfang nach so lange erzwungener Ruhepause (Kaisen 1946, S. 41). Es ist uns .. in Aussicht gestellt, daß ein innerlich erneuertes Deutschland einmal wieder in die Gemeinschaft der Völker aufgenommen werden soll. (Steltzer 1946a, S. 92) nun hat eine neue Stunde der Entscheidung geschlagen (Bäumer 1946, S. 25). aus einer neuen Besinnung .. einen neuen Anfang suchen (Bäumer 1946, S. 26). Die neue Ordnung .. muß aus der leidenschaftlichen Kraft der besten europäischen Tradition heraus so gerecht sein, daß sie .. allen ernstlich zugemutet werden kann. Das sittliche Ja zu den Bindungen, die eine solche Ordnung uns auferlegen wird, ist der Ort der Freiheit. In Freiheit zu dienen: das ist die neue europäische Formel, nachdem wir seit Beginn der kapitalistischen Anarchie vergeblich im Zwang frei zu sein versucht haben, und nur in den besten Jahrzehnten einige wenige bevorzugte Millionen in Freiheit frei waren (Dirks 1946a, S. 199). In einer apokalyptischen Gegenwart gilt es nun, aus Schutt und Trümmern eine neue, bessere Welt aufzubauen. .. Dazu braucht es Ehrfurcht, Liebe, Gemeinschaft, Freiheit und Bindung, einen weltüberwindenden Glauben und eine neue Verbindung mit den ewigen Kräften, kurz, ein Zurückführen zum Fühlen und Denken im abendländischen Geiste. (Schmid 1946, S. 11) Die Schuldfrage ist mehr noch als eine Frage seitens der andern an uns eine Frage von uns an uns selbst. Wie wir ihr in unserem Innersten antworten, das begründet unser gegenwärtiges Seins- und Selbstbewußtsein. Sie ist eine Lebensfrage der deutschen Seele. Nur über sie kann eine Umkehrung stattfinden, die uns zu der Erneuerung aus dem Ursprung unseres Wesens bringt. Die Schulderklärungen seitens der Sieger haben zwar die größten Folgen für unser Dasein, sie haben politischen Cha-
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rakter, aber sie helfen uns nicht im Entscheidenden: der inneren Umkehrung. Hier haben wir es allein mit uns selbst zu tun. (Jaspers 1946, S. 134) in der Katastrophe ist das erste Interesse eines jeden von uns die Klarheit über sich selbst. Die Grundlegung unseres neuen Lebens aus dem Ursprung unseres Wesens kann nur erreicht werden in restloser Selbstdurchleuchtung. (Jaspers 1946, S. 186) Reinigung bedeutet im Handeln zunächst Wiedergutmachung. Politisch heißt das, aus innerem Jasagen die Leistungen zu erfüllen, die in Rechtsform gebracht unter eigenen Entbehrungen den von Hitlerdeutschland angegriffenen Völkern einen Teil des Zerstörten wiederherstellen. .. Auch die Wiedergutmachung wird ernstlich nur gewollt, und sie erfüllt ihren ethischen Sinn nur als Folge unserer reinigenden Umschmelzung. Klärung der Schuld ist zugleich Klärung unseres neuen Lebens und seiner Möglichkeiten. Aus ihr entspringt der Ernst und der Entschluß. (Jaspers 1946, S. 209 f.) angesichts solchen Zusammenbruchs, der uns bis ins Herz hinein betrifft, ist es Gott selber, der durch den Mund der Kirche die Fessel der Schuld löst und zur Tat ruft und ein Neues pflügen will. Angesichts dieser Welt, die sich für uns heute nur mit blutigem Ernst als das erwiesen hat, was sie ist, nämlich eine verlorene Welt, ruft Gott selbst jetzt in die Verantwortung der Tat der Liebe .. Unsere Hoffnung auf die Zukunft, die Gott uns gibt, ist doch nicht zerschlagen, sie ist das, was uns geblieben ist (Harbsmeier 1946, S. 50). Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands ist die Partei der Erneuerung der deutschen Kultur. (SED Manifest 1946, S. 27) demokratische Neugestaltung Deutschlands (Ackermann 1946, S. 351). Die Deutschen müssen wiedergutmachen, was deutsche Hände verbrachen. Ohne diesen ersten und ehernen Grundsatz kann es keine moralische Erneuerung des deutschen Volkes geben. Es handelt sich nicht um Rache, nicht um biblische Schuld und Sühne, sondern – neben der materiellen Hilfe für die ausgeplünderten Völker Europas – um die Hinführung der Deutschen zu ihrem besseren Selbst, um die Voraussetzung aller Umerziehung. Denn die Vernichtung der Naziverbrecher ist nur ein Teil der deutschen Selbstreinigung. (Abusch 1946, S. 268) Die neue deutsche Demokratie wird antiimperialistisch sein (Abusch 1946, S. 270). wir müssen .. neu aufbauen .. Ausbau der Selbstverwaltung auf der Grundlage demokratisch durchgeführter Wahlen .. Sicherung der demokratischen Volksrechte (Pieck 1946b, S. 615). hat diese Erneuerung nicht schon angefangen mit der Auferstehung des Herrn? .. wir stehen doch im Scheine der Hoffnung Gottes, die er selber auf diese Welt gesetzt hat. .. Es ist hier eigentlich nur Raum gegeben zur Freude. Predigten, die erfüllt sind von Freude, sollten in dieser Zeit gehalten werden. Wir haben ja inmitten der allgemeinen Hoffnungslosigkeit eine lebendige Hoffnung, nämlich die Hoffnung auf den Gott (Dehn 1946, S. 32). wenn wir heute darangehen, unser politisches Leben neu zu begründen (Sternberger 1946, S. 27). an den Neuanfang, vor dem wir stehen, als Wissende herangehen (Geiler 1946a, S. 113). neue[..] innere[..] Haltung .. aus einer neuen Gotterfülltheit (Geiler 1946c, S. 17). Nun kann es wohl keinem Zweifel unterliegen, daß die Gegenwart sich in einer Kulturkrise von unerhörter Tiefe und Härte befindet. .. Die Menschheit ist an einem kritischen Punkt ihrer Geschichte angelangt .. nichts anderes [scheint] übrig zu bleiben
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.., als das Werk der menschlichen Kultur von neuem zu beginnen. .. Deutlich zeichnet sich .. das Heraufziehen einer Zeitenwende ab. (Pribilla 1947, S. 119) Der Neuaufbau unseres staatlichen Lebens kann .. nur auf dem Wege echter Demokratie verwirklicht werden, in der alle Grundrechte menschlicher Freiheit gewährleistet sind (Ministerkonferenz 1947, S. 583). Auf der Fahne unseres Bundes liest man die Worte „demokratische Erneuerung“. Diese Losung wird nur dann mehr sein als eine wohlklingende Floskel, wenn sie als Bekenntnis verstanden wird zu der Freiheit des inneren Menschen, die nicht mit einer bestimmten Verfassung geschenkt werden kann, sondern in jedem Gliede der staatlichen Gemeinschaft von neuem geboren sein will. Es ist die Freiheit, die keiner für sich selbst in Anspruch nehmen kann, es sei denn, daß er sie auch dem andern zugestehe, der gleich ihm Menschenantlitz trägt. Bringen wir es zu einer Form des politischen Zusammenlebens, die von dem Geist dieser Freiheit durchseelt ist, dann, aber auch nur dann werden wir das Versprechen eingelöst haben, das in der Formel „demokratische Erneuerung“ liegt. Bringen wir es nicht so weit, dann wird das Wort „Demokratie“ nicht mehr sein als ein neuer Name für die alte Unfreiheit. Gehen wir darum ans Werk und bauen wir dem deutschen Volke ein Haus, in dem der Geist dieser Freiheit eine Wohnstatt findet! (Litt 1947, S. 31 f.) In einer demokratischen Ordnung können auch die nominellen Mitglieder der Hitlerpartei in ein normales Leben eingegliedert werden, wenn sie aktiv am Neuaufbau teilgenommen haben und ehrlich bestrebt sind, mit ihrer Vergangenheit zu brechen. (Aufruf Parteivorstand 1947, S. 438) die wirklich entscheidenden Momente einer demokratischen Neugestaltung, die Herausarbeitung der Prinzipien einer wahrhaft demokratischen, deutschen Politik, die das unabdingbare Fundament des neu sich gründenden deutschen Staatswesens ist (Grotewohl 1947, S. 283). Wesentlich anders steht die Frage der Entnazifizierung gegenüber den Millionenmassen, die auf den Nazischwindel hineinfielen und Mitglieder der Nazipartei wurden. Die Mehrheit von ihnen besteht aus Angehörigen des werktätigen Volkes. Sie sind im guten Glauben an die Versprechungen der Hitlerbande gefolgt und haben angefangen, zu begreifen, wie sehr sie betrogen worden sind. Ihnen gegenüber muß selbstverständlich in der Beurteilung ihres Verhaltens ein anderer Maßstab angelegt werden als gegenüber den Kriegsverbrechern und Naziaktivisten. Wenn diese Massen auch nicht frei von jeglicher Schuld zu sprechen sind, so muß doch alles getan werden, ihnen verständlich zu machen, daß ein neuer Weg gegangen werden muß, um Deutschland aus dem Unglück herauszuführen und seinen Wiederaufstieg zu ermöglichen. (Pieck 1947, 124 f.) entgegenkommend und versöhnend müssen wir den einfachen nominellen Pgs entgegentreten, die lediglich Mitläufer waren, nicht durch Verbrechen belastet sind und die am demokratischen Neuaufbau unseres Landes aktiv mitarbeiten. (Dahlem 1947, S. 60) Wer könnte besser als Sie die ewigen, aber so böse verschütteten Quellen deutschen Geistes wieder aufspüren und uns zugänglich machen, die neuen Formen den veränderten Verhältnissen entsprechend zur Geltung bringen? (Friedensburg 1947, S. 90) Der große Gedanke des Humanismus trägt in sich die Liebe zu allem, was Menschenantlitz trägt, die Achtung vor dem anderen Menschen und der Wille, eine neue
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Ordnung zu schaffen, in der der Mensch sich frei entfalten kann und alle Menschen als Menschen leben können. (Eggerath 1947, S. 187 f.) der größte Umbruch seit vielen, vielen Zeiten. .. Es bricht ein neues Zeitalter an. Der Übergang ist unbequem, vielleicht sogar schmerzhaft. Das sind .. die Geburtswehen der neuen Zeit. (Färber 1947, S. 423) Für uns, die wir an einem radikalen Ende stehen und den Untergang erlebt haben, ist es notwendig, uns immer bewußt zu sein, daß auf ein Ende etwas Neues folgt. (Huch 1947b, S. 441) Ein Zeitalter geht zu Ende, ein neuer Menschheitstag steigt unter Geburtswehen über den Völkern auf. .. Schwer drücken die Sterbensnöte einer untergehenden Welt und die Geburtswehen der neuen (Fuchs 1948, S. 7). die Art und Weise, wie die Denazifizierung zurzeit gehandhabt wird, ist keine gute Geburtshelferin für die neue Demokratie. (Geiler 1948, S. 11) Geist des Friedens .. Geist der Nächstenliebe .. Geist der wahren Freiheit des Menschen .. neue Zukunft der Freiheit und des Friedens unseres Volkes (Köhler 1948, S. 85 f.). nun handelt es sich darum, mit unendlicher Geduld und feinstem Verständnis für die Gesetze der Gesellschaft auf dem Fels einen neuen Humus organischen Gesellschaftslebens zu bilden (Röpke 1948, S. 49 f.). Wir fordern die Lebendigmachung der demokratischen Tradition des deutschen Volkes bei der Entwicklung eines neuen Geschichtsbildes für die gesamte Erziehung unseres Volkes (NDPD 1948, S. 650). Wir stehen vor der großen Aufgabe, ein neues Nationalgefühl zu bilden. Eine sehr schwere erzieherische und erlebnismäßige Aufgabe .. Wir haben die Aufgabe .., .. unsere Würde neu zu bilden, die wir im Innern der Seele nie verloren (Heuss 1949b, S. 9 f.). der neuen geistigen Fundierung sozialen und politischen Geschehens (Heinemann 1949b, S. 51). Die Provisorische Regierung der Deutschen Demokratischen Republik .. wird .. die im Jahre 1945 begonnenen demokratischen Reformen des Bildungswesens weiterführen .. Dies entspricht dem demokratischen Charakter der Deutschen Demokratischen Republik .. Es entspricht den neuen Verhältnissen, die mit der Durchführung der demokratischen Boden- und Schulreform .. entstanden sind (Grotewohl 1949b, S. 124). Die sogenannte Entnazifizierung hat .. Millionen Menschen guten Willens dem neuen demokratischen Staat entfremdet, weil sie nicht darauf beschränkt war, die wirklich Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen. (FDP 1949, S. 284) Vor uns steht die große Aufgabe, eine neue demokratische Kultur zu schaffen, die auf dem großen deutschen Kulturerbe aufbaut. (Grotewohl 1950b, S. 123) keinerlei Sühnemaßnahmen gegen die vielen Millionen früherer nomineller Mitglieder der NSDAP, die ehrlich einen neuen Weg gehen wollen (Leonhard 1955, S. 552).
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nie wie noch nie · wie nie · noch nie · nie so .. als · wie noch nie zuvor · wie niemals · niemals .. als · niemals vorher Nichttäter Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, Kontinuität der persönlichen Existenz und vollständiger Wandel ihrer Bedingungen sind die Bewusstseinslagen, die das Lebensgefühl derjenigen bestimmen, die das Jahr 1945 als Bruch wahrnehmen, als „Zeitpunkt des Jetzt‘, der ‚die Grenze [ist] zwischen Noch-nicht und Nicht-mehr“ (RGG 2003 VI, S. 1881). Zwar ist Zeitreflexion, das Beziehen der Zeiten und ihrer Erscheinungen aufeinander, die Kausalisierung der Gegenwart aus der Vergangenheit und die Motivierung der Zukunft aus der Gegenwart ein genuin historiographisches Denkmuster. In der frühen Nachkriegszeit ist es jedoch ein Reflexionsmodus der Intelligenz überhaupt. Diese auf das Jetzt als Bewusstseinskategorie referierende Haltung drückt sich aus in dem häufigen Gebrauch der Zeitdeiktika ÕGegenwart, Õheute, ÕStunde, ÕWende, ÕZeit, den Bewertungen der Gegenwart mit Õapokalyptisch und ÕFinsternis, sowie in den mit nie und niemals gebildeten Wendungen. Diese Wendungen beziehen sich auf Folgen des Großverbrechens ÕNationalsozialismus. Mit dem durch diese Formeln ausgedrückten Superlativ bewerten die Nichttäter ihre Gegenwart als historisch beispiellos und referieren auf die Einmaligkeit der materiellen, geistigen und seelischen Nachkriegsnot (s. Althaus 1945d, S. 234; Dahlem 1945, S. 255; Plank 1946, S. 10; Spranger 1951, S. 54), auf den verlorenen Krieg (s. Sternberger 1946, S. 17; Keil 1948, S. 708) sowie auf die Stigmatisierung der Deutschen durch die Welt als Folge der von den Nationalsozialisten begangenen Verbrechen (s. Wiechert 1945, S. 31 f.; Kolbenhoff 1949, S. 106). Niemals ist .. die Situation für jeden einzelnen Deutschen so günstig gewesen –: er steht wie Gottvater am Anbeginn der Schöpfung, die Erde ist für ihn wüst und leer, aber sein Geist darf sich unbeschwert entfalten. (Reger 1945, S. 40) Die Menschheit ist wohl zu allen Zeiten sündig. Aber sieht man auf die Entladungen der Sünde, so gibt es doch große Unterschiede zwischen den Zeiten. Heute ist die Sünde sündig geworden wie noch nie. (Althaus 1945d, S. 234) Da stehen wir nun .. So allein, wie niemals ein Volk allein war auf dieser Erde. So gebrandmarkt, wie nie ein Volk gebrandmarkt war (Wiechert 1945, S. 31 f.). Das deutsche Volk ist durch die Verluste des Krieges ausgeblutet, physisch und moralisch in eine Tiefe hinabgedrückt, wie noch nie in seiner Geschichte (Dahlem 1945, S. 255).
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nominell
Die Lektion dieses Krieges ist so gründlich, wie noch nie in der deutschen Geschichte eine Lektion gründlich war (Sternberger 1946, S. 17). noch nie dagewesenen materiellen, geistigen und seelischen Ruin (Plank 1946, S. 10). jetzt .. wird politische und menschliche Mündigkeit vom deutschen Volke verlangt – niemals vorher, seit Jahrhunderten nicht (Windisch 1946, S. 181). Niemals haben mehr Denksysteme, Schlagwortfronten und Begriffsschwärme ihre Sprachschlachten geschlagen als heute, und alle hinterließen Begriffstrümmer, Schlagwortrelikte, verkrüppelte oder verblasene Terminationen, die in den Dialogen unserer Tage spuken. (Weisenborn 1947, S. 106) Wir Deutschen sind von diesem Zustand [menschlichen Glücks] nie so weit entfernt gewesen als heute (Keil 1948, S. 708). sie hassen uns, wie noch nie zuvor eine Nation gehaßt wurde (Kolbenhoff 1949, S. 106). Niemals hat eine Generation unter tragischeren Umständen studiert, als die von 1946 bis 1949 (Spranger 1951, S. 54).
nominell Mitläufer Nichttäter Die Bezeichnung nominell ist Ausdruck politischen Handelns und steht im Kontext mit der zur Integration Belasteter bereiten Vergangenheitspolitik. Die politischen Funktionsträger waren frühzeitig bereit, nicht nur die Schuldgrade der Belasteten zu differenzieren, sondern auch die gesellschaftliche Ausgrenzung nur auf die im engeren Sinn als Täter zu bezeichnenden Nazis zu beziehen, auf die wirklich Schuldigen (ÕSchuld). Diese Bereitschaft zur Integration drückt sich aus im Gebrauch von nominell in der Bedeutung ‚nur dem Namen nach, nicht wirklich‘, womit die Mitgliedschaft in der NSDAP marginalisiert und der Wille zu verzeihen ausgedrückt wird, vgl. Wendungen wie nominelle Mitglieder, einfache nominelle Pgs. Dieses ‚Verzeihen‘ ausdrückende Begriffselement von nominell wird mit Wendungen wie in Ruhe lassen, entgegenkommend, versöhnend, keinerlei Sühnemaßnahmen geltend gemacht, wodurch nominell zum Legitimator nachkriegsdeutscher Gesellschaftspolitik gerät. In den westlichen Besatzungszonen bzw. der Bundesrepublik und in der SBZ bzw. DDR ist die Schuld der Nationalsozialisten Anlass, gleichsam administrativ über Integration und Ausgrenzung nachzudenken. Adenauer legt von Beginn an seine Integrationspolitik dar (s. Adenauer 1946, S. 150).
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Obwohl im Osten der konsequente Antifaschismus einen der Gründungsmythen der DDR abgibt, ist Vergangenheitspolitik auch hier Integrationspolitik. Im Zuge zunehmender politischer Pragmatisierung zeigt man sich zur Integrierung bereit, zunächst noch mit Vorbehalten: Die einfachen, unbelasteten Nazimitglieder sollen durch ihre Arbeit und ihr Handeln beweisen, daß sie mit dem Geist der Nazipartei endgültig gebrochen haben, dann erst können sie als Gleichberechtigte behandelt werden. (Dahlem 1945, S. 260). Dann aber macht sich eine sich senkende Toleranzschwelle bemerkbar (s. Aufruf Parteivorstand 1947, S. 438; Dahlem 1947, S. 60). Eine begriffliche Entsprechung zu nominell zur Bezeichnung einer dem Nationalsozialismus zwar angehörenden, mit ihm aber nicht eng verbundenen und von ihm nicht überzeugten Person ist das entlastende Nachkriegswort Mitläufer (vgl. Schwan 2001, S. 654–669; s. Adenauer 1946, S. 150; Dahlem 1947, S. 60). Mitläufer ist eine der vom Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946 nach Schuldgraden unterscheidenden Kategorien (Hauptschuldige, Belastete, Minderbelastete, Mitläufer, Entlastete), die die Integration der mit dieser Bezeichnung belegten Personen erlaubt, vgl. Formulierungen wie Mitläufer, die nicht andere unterdrückten, einfache, nominelle Pgs, die lediglich Mitläufer waren (s. Adenauer 1946, S. 150; Dahlem 1947, S. 60). wir werden zu unterscheiden wissen zwischen denen, die als junge Menschen das Nazireich nicht verschuldet haben, sondern es vorfanden und darin aufgewachsen sind, und jenen älteren Generationen, die mit schwerer Schuld beladen, völlige Handlanger Hitlers waren; wir werden zu unterscheiden verstehen zwischen jenen nominellen Nazis, die aus Zwang sich beugten und jenen Nutznießern dieses Systems des organisierten Raubes. (Kaisen 1945, S. 16) Irregeleitete und Mitläufer sind Menschen, denen gegenüber das Wort zur Geltung kommen muß, daß wahre Gerechtigkeit nur mit Liebe bestehen kann. (Steltzer 1945, S. 34) wir wollen nur den treffen, der wirklich schuldig ist; die Mitläufer, diejenigen, die nicht andere unterdrückten, die sich nicht bereicherten, keine strafbaren Handlungen begangen haben, soll man endlich in Ruhe lassen. (Adenauer 1946, S. 150) Es ist .. notwendig, einen klaren Strich zu ziehen zwischen dem Aktivisten und dem Mitläufer, der zwar seine Beiträge zahlte, vielleicht auch ein geringes Amt innehatte, dem Regime selbst aber ablehnend oder zumindest interessenlos gegenüberstand. (Steltzer 1946, S. 1439 In einer demokratischen Ordnung können auch die nominellen Mitglieder der Hitlerpartei in ein normales Leben eingegliedert werden, wenn sie aktiv am Neuaufbau teilgenommen haben und ehrlich bestrebt sind, mit ihrer Vergangenheit zu brechen.
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nominell
Es darf nicht sein, daß man die Kleinen hängt und die Großen laufen lässt. (Aufruf Parteivorstand 1947, S. 438) Wir müssen bei all unserem Handeln sorgfältig unterscheiden lernen. Rücksichtslos müssen wir gegen Kriegsverbrecher, Naziaktivisten, Gestapoleute schlagen, aber entgegenkommend und versöhnend müssen wir den einfachen nominellen Pgs entgegentreten, die lediglich Mitläufer waren, nicht durch Verbrechen belastet sind und die am demokratischen Neuaufbau unseres Landes aktiv mitarbeiten. Wir müssen differenzieren zwischen den verbrecherischen Elementen der Nazipartei und den vielen einfachen Menschen, die oft durch Zwang, aus kleinlichen egoistischen Gründen, um Ruhe zu haben usw. – ich denke da besonders an die Bauern, an breite Mittelstandsschichten, untere Beamten usw. – der Nazipartei beigetreten waren. (Dahlem 1947, S. 60) Es ist heute sehr viel fruchtbarer, die am deutschen Horizont schon wieder auftauchenden massenbetörenden ‚Führer‘ von morgen .. nicht hochkommen zu lassen, als die einmal betört gewesenen ‚Mitläufer‘ von gestern kaltzustellen. (Friedlaender 1947, S. 38) [Man soll den Mitläufern] eine geregelte, geordnete und überwachte Möglichkeit geben, – konkret, nicht bloß in Phrasen. Ich würde sie mit aufklärenden, Leben und Gesinnung ändernden Tatsachen füttern, nicht bloß mit der einen: Weg mit euch! (Was dann gar nicht radikal geschieht und geschehen kann.) Wer zeigt, daß er gelernt hat – in selbstverständlicher, nüchterner, unpathetischer Bewährung – der gehört zu uns: zur kämpfenden Gemeinschaft der weiter irrenden, aber um ein System bemühten Menschen, in dem das Recht auf politischen Irrtum nicht mit Schuld verknüpft zu sein braucht. Nur wirkliche Demokratie ist positive Befreiung (Kogon 1947b, S. 254). Solche Zurücksetzungen betreffen heute noch Kreise von beträchtlicher Zahl. Wir brauchen nur an die sogenannten nominellen Pgs zu erinnern oder auch an jene Pgs, die zwar mehr als nominell waren, sich aber keines Verbrechens schuldig gemacht haben, oder an die aus der Haft Entlassenen. Ihnen stehen oft Hindernisse entgegen, die einmal berechtigt gewesen sein mögen, heute aber nicht mehr berechtigt sind und beseitigt werden müssen, um einer großen Zahl von heute nicht mehr belasteten Menschen die Rückkehr in den Schoß der Nation und das ehrliche Bekenntnis zur Demokratie durch die Tat zu ermöglichen. (Bolz 1948, S. 18 f.) „Klare entschiedene Differenzierung, nicht nach Äußerlichkeiten, sondern nach der Verhaltensweise, schnelle, strenge Aburteilung der Kriegsverbrecher für die von ihnen begangenen Verbrechen, Sühnemaßnahmen gegen die aktiven Nazis, die sich als Träger der Politik und der verbrecherischen Bestrebungen der NSDAP betätigten und heute den Wiederaufbau zu stören versuchen; aber keinerlei Sühnemaßnahmen gegen die vielen Millionen früherer nomineller Mitglieder der NSDAP, die ehrlich einen neuen Weg gehen wollen. So, und nur so kann die Frage der Behandlung der Nazis richtig gelöst werden“, beendete ich den Artikel. Das entsprach meiner Überzeugung, war aber nicht leicht, sie beim nächsten Schulungsabend – alle führenden Funktionäre wurden dafür eingesetzt – vor den Genossen zu vertreten. Die Anti-Nazi-Stimmung, die zwischen wirklichen Schuldigen und nominellen Mitgliedern keinen Unterschied machte, war so stark, daß sich klare Unterscheidungen nur sehr schwer durchsetzen konnten. (Leonhard 1955, S. 552)
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Nummer
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Nummer Opfer Im Sinn von ‚an der Kleidung angebrachte oder in den Unterarm eintätowierte Kennzahl eines KZ-Häftlings‘ repräsentiert Nummer gleichsam das Gegenteil von Name und Person. Die entpersönlichende Nummerierung ist eine der Stationen im „Prozeß tiefster persönlicher Erniedrigung und Entwürdigung“ (Kogon 1946a, S. 385), dem die KZ-Häftlinge ausgesetzt waren. Den entindividualisierten, entpersönlichten und namenlos gemachten Häftling ordnet die Zahl ein in eine unterschiedslose Masse. Adler erklärt die Nummer als Symbol nationalsozialistischen materialistischen Denkens und schleift dieses Denken durch die Kontextualisierung mit den beinahe relativierenden Erklärungskategorien abendländische Kulturkrise und Verwaltung moderner Staaten ein (s. Adler 1955, S. 628). Jean Améry beschreibt die Nummer als den Wandel jüdischer Identität nach Auschwitz, der zuvor durch Pentateuch und Talmud, die religiösen Grundtexte des Judentums, repräsentiert wurde, von der religiösen zur Leidensidentität: „Ich trage auf meinem linken Arm die Auschwitz-Nummer; die liest sich kürzer als der Pentateuch oder der Talmud und gibt doch gründlicher Auskunft. Sie ist auch verbindlicher als Grundformel der jüdischen Existenz. Wenn ich mir und der Welt einschließlich der religiösen und nationalgesinnten Juden, die mich nicht als einen der Ihren ansehen, sage: ich bin Jude, dann meine ich damit die in der Auschwitznummer zusammengefaßten Wirklichkeiten und Möglichkeiten.“ (Améry 1977, S. 146) Ähnlich deutet Primo Levi die Nummer als Teil jüdischer Identität nach Auschwitz: „Mein Name ist 174517; wir wurden getauft, und unser Leben lang werden wir das tätowierte Mal auf dem linken Arm tragen.“ (Levi 1958/2002, S. 29) Auch Levi stellt der Auschwitz-Identität die religiöse Identität gegenüber: Er verliert sie beim Akt der Taufe, der ihm den NummernNamen verleiht – ein getaufter Juden ist kein Jude mehr. Die Gegenstrategie zu der Entindividualisierung der Opfer durch die Nationalsozialisten, die sich in ihrer Identifizierung mit einer Nummer ausdrückt, ist die Individualisierung der Täter durch die Opfer mit der Nennung ihrer Namen (Õ SS). Gegen die Kleidung .. bekam man eine Nummer. Von da ab war man für die SS-Lagerführung und jeden einzelnen SS-Mann nur noch Nummer. (Eiden 1946, S. 214)
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Opfer
Was allein feststeht (in den meisten Fällen in Form einer Tätowierung) .. ist die Häftlingsnummer. Keinem Wachtposten oder Aufseher würde es einfallen, wenn er einen Häftling „zur Meldung bringen“ will .. seinen Namen abzuverlangen (Frankl 1945, S. 17 f.). Bald werden .. wir aufgehört haben, Menschen zu sein .. Dann sind wir Nummer X oder Schwein Y. (Schifko-Pungartnik 1946, S. 10) nie werde ich meine wilde Empörung vergessen können beim Anblick der tätowierten Nummer auf dem Unterarm eines Auschwitzer Häftlings. In ihr enthüllte sich wirklich mit beißender Schamlosigkeit die ganze satanische Frechheit dieser bis zum Wahnsinn gesteigerten Macht- und Besitzgier, die über die Arbeitskraft des Menschen hinaus auch seinen Leib mit Beschlag belegt, mit seinem Brandzeichen versieht, das den ganzen Menschen als Staatseigentum deklariert. (Vermehren 1946, S. 89) Die Macht selbst wurde materiell aufgefaßt und jedes organische Gefüge mit dem Instrument eines technischen Verwaltungsapparates ergriffen. So wurde das als „vorhanden“ doch nicht wegzuleugnende Leben als zu „erfassende Masse“ zum Objekt der Verwaltung, das man einmal „einsetzt“, dann „betreut“ und auf jeden Fall durch „Maßnahmen behandelt“. Gewiß entsprach das dem Denken in der allgemeinen abendländischen Kulturkrise .. Die Konsequenz, jeden Menschen zu einer Nummer zu machen, die ein „Stück“ bezeichnet, ist naheliegend, wenn das Leben zu einer Sache wird, wie es in der Verwaltung moderner Staaten zur fast unwidersprochenen Praxis geworden ist. (Adler 1955, S. 628) Dann bekamen wir Nummern, eingebrannt in den linken Unterarm und angenäht an die Kleider, mit einem dreieckigen Winkel, dessen Farbe den Häftling charakterisierte. Wir waren ausgeschieden aus der Welt dort draußen, entwurzelt aus unserem Land, losgerissen von unserer Familie, eine bloße Nummer, einzig von Bedeutung für die Schreibstube. (Adelsberger 1956, S. 27)
Opfer Opfer Bezeichnung für diejenigen, die vom Nationalsozialismus diskriminiert, verfolgt, eingesperrt wurden, die der Nationalsozialismus sich zu Feinden erklärt hat: Juden, Widerständler jeglicher Provenienz (Kommunisten, Militär, bürgerliche Konservative, Kirchenmänner, intellektuelle Kritiker), Homosexuelle, Sinti und Roma. Opfer ist insofern keine Selbstbezeichnung, als kennzeichnend für den Gebrauch ist, dass der Ausdruck kaum in der Formel wir Opfer, also in der ersten Person, verwendet wird. Außerdem ist die Grenzziehung problematisch. Volkmar von Zühlsdorff z. B. möchte Emigranten zumindest für die Zeit seit dem Kriegsende nicht mehr als Opfer bezeichnen. Er schreibt an Hermann Broch: „was heißt
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denn ‚Opfer‘? Vor dem Kriege – ja, vielleicht; denn Jahre in der Fremde sind ja bitter. Aber heute? Heute, nachdem Europa und vor allem Deutschland gelitten hat wie wohl noch kein Volk vorher in der Geschichte; preisgegeben einem unedlen Sieger, von Hunger und Seuchen bedroht, eines Landes jenseits der Oder beraubt; heute, wo 9 Millionen Deutsche vom Osten vertrieben auf den Landstraßen herumziehen, ausgewiesen mit 20 Pfund Habe – heute wollen Sie, daß diese Menschen uns, die wir den Krieg physisch nicht gespürt haben, die wir uns der Härte des nationalsozialistischen Régimes entzogen haben und während dieser Jahre in verhältnismäßiger Freiheit lebten und noch leben, daß sie in uns Opfer sehen? Ich kann es mir nicht denken“ (2.8.1945, Broch-Zühlsdorff S. 23). Die „Verfolgten des Naziregimes“ legen besonders in der SBZ/ DDR bald nach ihrer Befreiung die Selbstbezeichnung ÕKämpfer fest, zu der Opfer das Komplement bildet. Eine institutionalisierte Grundlage wird mit der Organisation Opfer des Faschismus (OdF) geschaffen (s. Klemperer 1947, Tagebücher 1945–1949, S. 345). Forum der semantischen Abgrenzung von Opfer und Kämpfer ist vor allem die ‚Vereinigung der Verfolgten des Nationalsozialismus‘ VVN. In dieser Organisation ist zwar zunächst die Bezeichnung Opfer gebräuchlich (Opfer des Naziregimes, deutsche Opfer des Faschismus). Diese anfangs noch mögliche Selbstsicht (s. Bock 1947, S. 34) wurde dann aber vor allem im Zuge der Opferpolitik der SED und einer zunehmenden Instrumentalisierung der politischen Erinnerung in den Jahren 1947/48 unmöglich, indem man eine „Ansehenshierarchie von Kämpfern und Opfern herausbildete“ (Herf 1998, S. 105), „eine klare moralische Hierarchie der Überlebenden der nationalsozialistischen Verfolgung. Kommunistische ‚Kämpfer‘ rangierten ab dann vor jüdischen ‚Opfern‘“ (ebd., S. 100). Die Ideologisierung dieser Kategorien Kämpfer und Opfer wird alltagspraktisch manifest in dem Ausweis, dessen Besitz bestimmte Rechte einräumte. In den „Richtlinien für die Ausgabe der Ausweise .. [für die] vom Faschismus in Deutschland aus politischen, religiösen und rassischen Gründen Verfolgten und Gemaßregelten“ (Bock 1947, S. 18) wurde diese Unterscheidung zwischen Kämpfern und Opfern festgelegt, und die als Kämpfer anerkannten Widerständler erhalten einen Ausweis mit dem Aufdruck „Kämpfer“, der Ausweis der übrigen Verfolgten hat diesen Aufdruck nicht (s. Bock 1947, S. 18–23).
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Und unsere Feinde sollen an uns denken nicht wie an Opfer,/sie sollten keine Angst haben vor unseren Schatten,/Sie sollen lieber ihren Wahn vergessen, und aufhören, toll zu sein./Das ist alles, was man von ihnen erwartet,/Und dann wollen wir, Menschen unter Menschen, zusammen leben. (Gebet einer Jüdin, die Auschwitz überlebte, vom 12. April 1944; Frankfurter Hefte 1/1950, S. 31.) Sehr lange Debatte über Einzelpunkte, z. B. darf ein OdF [Opfer des Faschismus] für Nazis gutsagen? Vor allem: haben wir eine Widerstandsbewegung gehabt? Die einen: Nein, bloß Widerstandsgruppen. Zur Bewegung hätte Wirkung gehört, Aktion größerer Massen, Herausbrechen von Divisionen, nicht bloß Abtrünnigmachen Einzelner. Die andern: Wir hatten Widerstandsbewegung, hatten eine ‚Schafottfront‘. (Klemperer 1947, Tagebücher 1945–1949, S. 345) Wir .., die wir für die unabsehbaren Reihen gemarterter Opfer stehen, die alle nur die eine Frage haben: Wofür sind wir gestorben! (Kogon 1947b, S. 240) politische Menschen, und das sind ja alle Opfer des Faschismus (Bock 1947, S. 34). Opfer des Faschismus [sind] Opfer der Nürnberger Gesetzgebung, politische Gelegenheitstäter, aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen Verfolgte und bestimmte Fälle der Militär-Straftat. Sie erhalten den Ausweis „Opfer des Faschismus“ ohne den Aufdruck „Kämpfer“. .. Opfer der Nürnberger Gesetzgebung [sind] Juden, Mischlinge, Zigeuner .. Die Hinterbliebenen der Ermordeten oder im KZ Verstorbenen .. Alle ehemaligen KZ-Häftlinge .. Die Illegalen .. Die Sternträger .. Mischlinge 1. Grades .. Privilegierte Ehen (Bock 1947, S. 18–23). diese neue deutsche Ausgabe meines Buches möge ein weiterer grosser Schritt sein über die Brücke zur Versöhnung zwischen uns: den ehemaligen Opfern und dem heutigen deutschen Volke (Klieger 1958, S. 9).
Pflicht Ehrenpflicht · Gehorsamspflicht · Soldatenpflicht Pflichtbegriff · Pflichtbewusstsein · Pflichteifer · Pflichterfüllung · Pflichtgefühl · Pflichtenmensch pflichttreu verpflichten · verpflichtet · Verpflichtung Opfer / Täter / Nichttäter
Pflicht ist die Bezeichnung eines Hochwerts, an dem sich Bewusstseinslagen unterschiedlichster, ja gegensätzlicher Provenienz abgelagert haben. Opfer In der Nachkriegszeit wird Pflicht und Verpflichtung von den überlebenden Opfern des Nationalsozialismus häufig appellativ gebraucht, um auf eine spezifische Aufgabe zu verweisen, die sie als Überlebende und im Sinn eines Vermächtnisses der toten Opfer erfül-
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len müssen (s. zit. in Hauff 1946, S. 4; Adelsberger 1956, S. 105). In diesem Sinn lautet das Motto der zweiten großen Kundgebung zum Gedenken an die Opfer des Faschismus am 22. September 1946: Den Toten zu Ehren, den Lebenden zur Pflicht (Bock 1947, S. 83). Besonders von politischen Häftlingen wird Pflicht als Legitimierung für ihren Anspruch auf eine Beteiligung am gesellschaftlichen und politischen Wiederaufbau gebraucht: Wir haben gegenüber unseren Toten die Verpflichtung, in den ersten Reihen zu stehen (s. Keim 1946, S. 28 f.; zit. nach Overesch 1995, S. 93). Täter Die Deutungen der Täter, mit denen sie ihre Vergangenheit zum Zweck der Selbstentlastung interpretieren, verdichten sich lexikalisch zum einen in solchen Bezeichnungen, die ihr Denken und Wollen aufwerten (neben Pflicht ÕDienst, ÕGlaube, ÕHoffnung, ÕLiebe), zum andern in dem Deutungsmuster ÕIrrtum, mit dem sie ihr Handeln verharmlosen. Solche „Edelsubstantive“ (Adorno 1964/1980, S. 9) dienen den Tätern im Rahmen ihrer Schuldbekenntnisse der selbstüberhöhenden Schuldabwehr. Sie rekurrieren auf den Anspruch, Handeln und Wollen, Denken und Fühlen an einem ethisch-moralischen Wertesystem orientiert zu haben. Diese idealisierende Selbstcharakterisierung entspricht einem Leugnen von ÕSchuld. Pflicht wird (wie ÕDienst und ÕBefehl) im Nationalsozialismus zu einem hypertrophierten soldatischen Kodex pervertiert. Dieser Lesart folgend gebrauchen Täter diese Bezeichnungen zu Entlastungszwecken (in diesem Sinn von Speer scheinbar kritisch reflektiert, s. Speer 1952, S. 284). Hoch frequente referenzielle Bezüge sind die Kategorien Volk und Vaterland, vor allem hinsichtlich des Verhaltens von Soldaten und Beamten im Nationalsozialismus, vgl. Wendungen wie Pflicht gegen Volk und Vaterland, Pflicht für unser Vaterland, soldatische Pflicht, ich habe als Soldat meine Pflicht getan, selbstlose/treue Pflichterfüllung, Soldaten-, Gehorsamspflicht, pflichttreue deutsche Beamte (s. Frick 1946, S. 438; Sauckel 1946, S. 451 f.; Jodl 1946, S. 455; Raeder 1946, S. 446; Best 1949, S. 162 f.; List 1950, S. 239; Leeb 1950, S. 337 f., S. 339). Der Dichter Ernst Wiechert kommentiert diese pervertierte Dienst- und Pflichtmoral der nationalsozialistischen Funktionselite und das nationalistisch durchgefärbte Ethos dieser als ‚typisch deutsch‘ geltenden Haltung der Täter: „ich hatte
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genug über diese preußische Pflicht nachgedacht, die ja in diesem Kriege nicht nur eine preußische war, und die dem Verbrecher zu folgen und gehorsam zu sein, ebenso befahl, wie sie einmal dem König zu folgen befohlen hatte. Und von der Verdunkelung, ja von der Verstörung des sittlichen Geistes haben wenige Erscheinungen so gezeugt, wie gerade die Aussagen der obersten Heerführer in Nürnberg. .. daß diejenigen, die nach Geburt und Stand die Grenzlinien zwischen Gebotenem und Verwerflichem ohne Mühe zu erkennen haben, nun in Gesellschaft dieser Verworfenen stehen und diese Gesellschaft verteidigen, sei es aus Angst um das nackte Leben, sei es aus Ueberzeugung, ja daß sie es wagen, im Namen der Ehre des deutschen Soldaten zu sprechen: dies ist für jeden sittlichen Menschen jedes Volkes nicht nur etwas Erschreckendes, sondern etwas Abscheuliches.“ (Wiechert 1948, S. 358) Das Argument es war meine Pflicht ist, wie der Versuch, Befehlsnotstand geltend zu machen (ÕBefehl), Entlastungsargument seit 1945 und besteht in der Berufung auf eine notwendig zu erfüllende, aus ethisch-moralischen Gründen bestehende Anforderung. Es wird von denjenigen „Pflicht-Tätern“ (Frevert 2003, S. 281) hervorgebracht, die an einem zwischen 1933 und 1945 gültigen, strikt an den „Führerwillen“ gebundenen Pflichtbegriff festhalten: ich habe meine Pflicht getan als Nationalsozialist, als treuer Gefolgsmann meines Führers, Pflichtbewusstsein gegenüber dem Treugelöbnis zum Führer (s. Hess 1946, S. 425; Höß 1947, S. 66 f.) Dass diese Täter glauben, mit dem Deutungsmuster Pflicht ihre exkulpativen Ziele erreichen zu können, zeigt ihr Verharren in dem Wertesystem, das während der vergangenen zwölf Jahre die Voraussetzung für Denken und Handeln schuf, zeigt daher auch die fatale Macht dieses Pflichtethos: Eine „verkürzte Rezeption von Kants Pflichtethos, insbesondere seiner scharfen Weigerung, das sittliche Handeln bloß auf Neigung zu gründen“ (Schwan 2001, S. 97) („Pflicht ist die Notwendigkeit einer Handlung aus Achtung fürs Gesetz“ [Kant 1785, S. 400]), von dem von den Nazis verehrten Friedrich II. auf die höchste politische Handlungsebene gehoben – „Ich bin der erste Diener meines Staates“ und „Die erste Bürgerpflicht ist, seinem Vaterlande zu dienen“ –, von den deutschen Schulen zur bürgerlichen Kardinaltugend erhoben, die sich vor allem in den Leitideen Pflichttreue, Pflichtbewusstsein, Pflichterfüllung in der Beamtensphäre fortentwickelte, wurde zur Zeit blühenden Nationalismus im späten 19. Jahrhundert pervertiert und für nazistischen Gebrauch präpariert. Die Macht dieses mit Pflicht
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bezeichneten Denkens machen sich die Nationalsozialisten besonders da zu Diensten, wo die Zerstörung individueller Wertesysteme und ihr Sieg über die Ethik und die Moral des Einzelnen vonnöten waren, wo staatlich sanktionierte Verbrechen zu begehen angeordnet war. Davon sind selten belegte Gebrauchsweisen zu unterscheiden, die zeigen, dass die Täter den begrifflichen Wandel nach 1945 zwar erkannt haben, dass ihnen aber das Pflicht-Argument dennoch weiterhin als ausreichend legitimiertes Entlastungsargument erscheint. Eine typische Formel zum Ausdruck dieser Haltung ist ich hielt es für meine Pflicht (s. Papen 1946, S. 455). Pflicht wird außerdem von Tätern auch dann argumentativ benutzt, wenn sie eine kritische Haltung zum Nationalsozialismus prätendieren und mit Pflicht den Topos ‚ich blieb, um Schlimmeres zu verhüten‘ als Entlastungsargument zu stützen versuchen (s. Kaltenbrunner 1945, Nürnberger Prozess XVIII, S. 78; Meißner 1950, S. 388). Nichttäter Nichttäter gebrauchen Bezeichnungen der Wortfamilie Pflicht zum einen erklärend im Zuge ihrer Analysen des Nationalsozialismus. Sie schließen damit an die von den Tätern zu exkulpativen Zwecken gebrauchte Bedeutung an und bezeichnen mit Pflicht, Pflichtbewusstsein, blinder Pflichteifer, mißleitetes Pflichtgefühl, spezifisch deutscher perverser Pflichtbegriff, vereinzelt auch Verpflichtung, abwertend diejenige Eigenschaft der Deutschen, die (neben ÕMilitarismus, ÕGehorsam, ÕIdealismus) u. a. dazu geführt hat, dass der Nationalsozialismus möglich war (s. Steltzer 1945, S. 32; Ebbinghaus 1945d, S. 42 f.; Aich 1947, S. 156; Röpke 1948, S. 63). Daneben wird Pflicht weiterhin als Bezeichnung einer positiv gedeuteten Eigenschaft gebraucht (s. Troeger 1947, S. 52 f.; Pribilla 1947, S. 52). Daher wird Pflicht, Verpflichtung, verpflichtet im Nachkriegsdiskurs häufig im Zusammenhang mit dem Thema ÕWiedergutmachung verwendet (s. Harm 1946, S. 30 f.), speziell um, im Westen, vor allem die Bereitschaft zu bezeichnen, durch Entschädigung die ÕVerantwortung für die Folgen der antisemitischen nationalsozialistischen Rassenpolitik zu übernehmen und zu haften (ÕHaftung): diese Wiedergutmachung betrachten wir als unsere Pflicht, Verbrechen, die uns zur moralischen und materiellen Wiedergutmachung verpflichten, das deutsche Volk hat die ernste und heilige Pflicht zu helfen (s. Adenauer 1949c, S. 52 f.; 1951b, S. 46 f.; 1953b, S. 199 f.). In der SBZ/DDR wird die Wortfamilie gebraucht in
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Bezug auf die Wiedergutmachung der Schäden des Zweiten Weltkriegs: Pflicht zur Wiedergutmachung der Schäden, Verpflichtung zur Wiedergutmachung gegenüber den vom Hitlerkrieg betroffenen Ländern (s. Pieck 1946b, S. 617; 1949, S. 301). Vgl. Frevert 2003, S. 269–285; zur Ablösung der besonders im 19. Jahrhundert gebräuchlichen Begriffsalternative Pflicht durch Verantwortung seit dem Ersten Weltkrieg HWbPh 2001 XI, S. 569. Opfer In Zuchthaus und Konzentrationslager setzten wir trotz täglicher Bedrohung mit einem elenden Tode unsere konspirative Tätigkeit fort. Durch diesen Kampf ist es uns vergönnt gewesen, menschliche, moralische und geistige Erfahrungen zu sammeln, wie sie in normalen Lebensformen unmöglich sind. .. [wir] halten .. uns deshalb für berechtigt und verpflichtet, dem deutschen Volke zu sagen, welche Maßnahmen notwendig sind, um wieder Achtung und Vertrauen im Rate der Nationen zu verschaffen (‚Buchenwalder Manifest für Frieden, Freiheit, Sozialismus‘, 13. April 1945; zit. nach Overesch 1995, S. 93). Es ist nicht nur unsere Pflicht, die toten Kameraden zu ehren, sondern es ist auch unsere Pflicht, ihr Vermächtnis zu verwalten und zu erfüllen. Wir müssen an die erste Stelle treten im Kampf gegen die Überreste des Nazismus (zit. in Hauff 1946, S. 4). Wir haben gegenüber unseren Toten die Verpflichtung, als ein Teil des deutschen Volkes mit in den ersten Reihen zu stehen, wenn es darum geht, die Not zu lindern und den Wiederaufbau unserer Heimat zu fördern. .. Nicht Sonderinteressen sollen uns leiten, sondern das Pflichtbewußtsein gegenüber unserem Volk, mit dem Willen, das Vermächtnis unserer Toten zu erfüllen (Keim 1946, S. 28 f.). Es ist ein Wunder und eine Gnade, daß wir Auschwitz überlebt haben; und es ist eine Verpflichtung. Wir halten das Vermächtnis der Toten in Händen. Uns obliegt es, von ihnen zu sprechen. (Adelsberger 1956, S. 105) Täter Bei der Möglichkeit, auf Hitler, Himmler und andere Personen immer wieder einzuwirken, konnte ich es meiner Ansicht nach mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, diese Position aufzugeben. Ich habe es für meine Pflicht gehalten, persönlich gegen Unrecht aufzutreten. (Kaltenbrunner 1945, Nürnberger Prozess XVIII, S. 78) Ich habe keinen Anteil an irgendeiner Verschwörung gegen den Frieden oder die Menschlichkeit, noch habe ich Morde und Misshandlungen geduldet. Im Krieg selbst mußte ich meine Pflicht erfüllen. (Sauckel 1946, S. 451 f.) ich glaube und bekenne: die Pflicht gegen Volk und Vaterland steht über jeder anderen (Jodl 1946, S. 455). Ich habe als Soldat meine Pflicht getan, weil ich der Überzeugung war, dem deutschen Volk und Vaterland, für das ich gelebt habe und für das zu sterben ich jederzeit bereit bin, damit am besten zu dienen (Raeder 1946, S. 446). Ich bin glücklich zu wissen, dass ich meine Pflicht getan habe meinem Volk gegenüber, meine Pflicht als Deutscher, als Nationalsozialist, als treuer Gefolgsmann meines Führers. (Hess 1946, S. 425)
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wenn ich mit ungezählten anderen Deutschen in der Zwangslage von 1933 mich an hervorragender Stelle zur Mitarbeit entschlossen habe, dann, weil ich es für meine Pflicht hielt. (Papen 1946, S. 455) Mein ganzes Leben .. Dienst an Volk und Vaterland .. Ihnen habe ich meine beste Kraft in treuester Pflichterfüllung gewidmet. .. Für die Erfüllung meiner gesetzlichen und moralischen Pflicht glaube ich, ebenso wenig Strafe verdient zu haben, wie die zehntausende pflichttreuer deutscher Beamter und Angestellter des öffentlichen Dienstes, die heute noch wie schon seit Jahr und Tag nur wegen Erfüllung ihrer Pflicht in Lagern festgehalten werden. Ihrer hier in Treue zu gedenken, ist mir als ehemaligem langjährigen Beamtenminister des Reiches eine besondere Ehrenpflicht. (Frick 1946, S. 438) hier beginnt eigentlich meine Schuld. .. Lange habe ich so gerungen zwischen innerer Überzeugung und Pflichtbewußtsein gegenüber dem Treu-Eid der SS, dem Treugelöbnis zum Führer. (Höß 1947, S. 66 f.) [Die Geheime Staatspolizei war ein] Behördenapparat, der mit gut ausgebildeten, leistungsfähigen, pflichttreuen und moralisch einwandfreien Fachbeamten besetzt war (Best 1949, S. 162 f.). Da bei meinem Ausscheiden der Posten des Chefs der Präsidialkanzlei zweifellos einem zuverlässigen Nationalsozialisten übertragen worden wäre, schien es mir als eine Pflicht, mein bisheriges, wenn auch stark geschmälertes Amt zu behalten, in dem ich in gewissen Grenzen gesetzwidrige Maßnahmen verhindern, Unrecht abwenden und für Maß und Vernunft eintreten zu können glaubte. (Meißner 1950, S. 388) Wir dienten nicht der Partei. Wir taten unsere soldatische Pflicht für unser Vaterland, für Deutschland, so, wie wir sie seit Jahrzehnten hindurch getan hatten. (List 1950, S. 239) Wir waren durch unseren Eid und die Gehorsamspflicht gebunden; und wir lebten unter dem Zwang einer sich mehr und mehr dämonisch wie chaotisch gestaltenden Diktatur (List 1950, S. 240). Auch als Soldaten haben wir nicht zum Kriege getrieben. .. Wir haben im Gegenteil alles mögliche getan, um Hitler von seinen Kriegsplänen abzubringen. Hatte aber das Staatsoberhaupt, dem allein das uneingeschränkte Entscheidungsrecht über Krieg und Frieden übertragen worden war, den Beginn von Kriegshandlungen gegen den Willen und gegen den Rat der Generale befohlen, dann hatten wir unsere Soldatenpflicht zu erfüllen wie jeder andere Deutsche auch (Leeb 1950, S. 337 f.). Wir sind nicht von verbrecherischen Instinkten geleitet gewesen, wie die Anklage glauben machen will, sondern wir haben ein Leben entsagungsvollen Dienstes und selbstloser Pflichterfüllung unserem Vaterland und unseren Soldaten gegenüber hinter uns. (Leeb 1950, S. 339) jetzt frage ich mich doch, ob Loyalität nicht nur der Fetzen war, mit dem wir unsere moralische Blöße bedeckten: unsere Entschlußlosigkeit, Verantwortungsscheu, Feigheit, all das, was wir hochtrabend als unsere Pflicht ausgaben. Jetzt plötzlich kann ich das Wort nicht mehr hören (Speer 1952, S. 284). Nichttäter da müssen wir bei aller Achtung vor der Selbstzucht, mit der die großen Preußen sich im Dienst verzehrt haben, aussprechen, daß diese Selbstzucht zu einem Krampf wurde, der die Menschlichkeit zerstörte .. Und bei den kleinen Preußen wird aus
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dem Vorbild der Selbstzucht der Verzicht auf das eigene Wollen und Denken. Sie führen Befehle aus .. Sie leisten Kadavergehorsam und verlangen Kadavergehorsam .. In diesem mißleiteten Pflichtgefühl ist das .. auf sittlicher Grundlage aufgebaute deutsche Soldatentum zum Militarismus entartet. Das hat unseren Untergang mitverschuldet (Steltzer 1945, S. 32). wozu die Deutschen wirklich einen Hang haben, das ist die Verwechslung der Pflicht gegen die Gemeinschaft mit der Verpflichtung, sich die Sache der jeweils bestehenden Staatsmacht als die Sache des Vaterlandes zu eigen zu machen. (Ebbinghaus 1945d, S. 42 f.) deutsche Hang, eine Pflicht blind um ihrer selbst willen zu erfüllen (Aich 1947, S. 156). gerade in Deutschland Unzählige, die sich an einen spezifisch deutschen perversen Pflichtbegriff klammerten, der im Grunde nur ein beschönigender Ausdruck für den Mangel an Zivilcourage war. (Röpke 1948, S. 63) Ein Prachtkerl, dieser Harras – ein Pflichtenmensch – ein gerader Charakter – ein Kamerad und Soldat; .. Die Tragödie ist ein Loblied auf den preußischen Offizier – wie „Der Prinz von Homburg“ –, denn sie zeigt seine menschlich sympathische und überzeugende Haltung aus dem Bewußtsein der Pflicht und der Kameradschaft. Sie zeigt aber auch die Grenze aller menschlichen Kraft des Einzelnen und die Verstrickung in das Schicksal der Gesellschaft; schuldig-unschuldig – so steht Harras da. (Troeger 1947, S. 52 f.) Wir Deutschen befinden uns .. in einer ähnlichen Lage wie die Kinder eines nach betrügerischem Bankrott verstorbenen Vaters, die die Erbschaft nicht ausgeschlagen haben. Sie sind dann zwar nicht schuldig, wie der Verstorbene, aber sie haften; und diese Erbenhaftung verpflichtet uns zur Wiedergutmachung (Harm 1946, S. 30 f.). Es ist selbstverständlich, daß die SED die Herstellung friedlicher Beziehungen zu den anderen Völkern mit der vollen Anerkennung der Pflicht zur Wiedergutmachung der durch das Hitlerregime den anderen Völkern zugefügten Schäden als ihre Forderung aufstellt. (Pieck 1946b, S. 617) der metaphysische, überzeitliche .. ewige Deutsche, in dem sich alle Ideale des Deutschen (Wahrhaftigkeit, Treue, Pflichteifer, Unbestechlichkeit, Mut, Kameradschaft usw.) erfüllen (Pribilla 1947, S. 52). Das deutsche Volk ist gewillt, das Unrecht, das in seinem Namen durch ein verbrecherisches Regime an den Juden verübt wurde, soweit wiedergutzumachen, wie dies nur möglich ist, nachdem Millionen Leben unwiederbringlich vernichtet sind. Diese Wiedergutmachung betrachten wir als unsere Pflicht. (Adenauer 1949c, S. 52 f.) Wir sind uns der großen Verantwortung wohl bewußt, die dem deutschen Volke durch die Duldung und Unterstützung des barbarischen Hitlerkrieges aufgeladen wurde, und wir sind uns auch der Verpflichtungen bewußt, die wir zur Wiedergutmachung gegenüber den vom Hitlerkrieg betroffenen Ländern haben. (Pieck 1949, S. 301) Im Namen des deutschen Volkes sind .. unsagbare Verbrechen begangen worden, die zur moralischen und materiellen Wiedergutmachung verpflichten, sowohl hinsichtlich der individuellen Schäden, die Juden erlitten haben, als auch des jüdischen Eigentums, für das heute individuell Berechtigte nicht mehr vorhanden sind (Adenauer 1951b, S. 46 f.). Soweit überhaupt durch unsere Kraft etwas für die Beseitigung der Folgen geschehen kann – ich denke hier an die entstandenen materiellen Schäden, die der Nationalso-
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zialismus den von ihm Verfolgten zugefügt hat –, hat das deutsche Volk die ernste und heilige Pflicht zu helfen, auch wenn dabei von uns, die wir uns persönlich nicht schuldig fühlen, Opfer verlangt werden, vielleicht schwere Opfer. Die Bundesregierung hat seit ihrem Bestehen diese Pflicht immer anerkannt. Durch ihre Erfüllung wollen wir die Schäden wiedergutmachen, soweit das möglich ist, soweit das in unserer Kraft steht. (Adenauer 1953b, 199 f.)
politische Unreife politisch einfältig · politische Indifferenz · politisch unmündig apolitisch · unpolitisch Nichttäter Im Zuge der Konstruktion eines Schuldbegriffs fragt die Diskursgemeinschaft der Nichttäter, was die Deutschen als Deutsche, die Zuschauer, Mitläufer, Wähler, was die Masse zum Nationalsozialismus disponierte. Die Diskursbeteiligten suchen den Nationalsozialismus und seine Entstehung u. a. in bestimmten Grunddispositionen des deutschen Wesens zu verorten, von denen sie annehmen, sie seien wesentlich beteiligt am Entstehen und am zwölf Jahre währenden Bestand des Nationalsozialismus. Die am häufigsten genannten Nationalstereotype sind – neben politische Unreife/Unmündigkeit – ÕIdealismus und ÕMilitarismus. Auch die entschiedensten Gegner der These von einer deutschen ÕKollektivschuld argumentieren mit diesen das Kollektiv bezeichnenden deutschen Nationalstereotypen, wenn sie der deutschen Schuld auf der Spur sind. Erscheinungen des deutschen Volksgeistes eignen sich zur Zuweisung einer unmittelbaren Verantwortlichkeit und Schuld aller Deutschen. Politische Unreife (s. Abusch 1946, S. 253; Pribilla 1947, S. 97), resp. politisch unmündig (s. Fechner 1953, S. 238) und Alternativbzw. Ersatzbezeichnungen wie politisch einfältig, kritiklos, stumpf und autoritätshörig, politisch ein Nichts, apolitisch, mangelhaft politisch, ohne sicheren Instinkt, politische Indifferenz (s. Müller-Meiningen 1946, S. 20; Kogon 1946a, S. 416; Kogon 1946b, S. 113; Schmidt 1948, S. 108), sind Nationalstereotype zur Konstituierung des Schuldbegriffs. Die Ausdrücke benennen als erklärende Bezeichnungen für eine nationale Eigenschaft der Deutschen eine der Ursachen des Nationalsozialismus. Nur Theodor Heuss (s. Heuss 1949b, S. 7) weist das Vorhandensein dieses von ihm mit unpolitisch bezeichneten Wesenszugs zurück.
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politische Unreife
Politische Unreife ist ein Argument, mit dem bis heute (u. a.) die Entstehung des Nationalsozialismus begründet wird: „es [waren] vor allem Unzulänglichkeiten der deutschen politischen Kultur .., die es ermöglicht haben, daß ein charismatischer Demagoge wie Adolf Hitler 1933 freies Spiel erhielt.“ (Mommsen 1997, S. 385) Norbert Elias rekonstruiert die im 18. Jh. einsetzende Genese dieses apolitischSeins, welches sich in den als Oppositionsbegriffen verstandenen Bezeichnungen ÕKultur und Politik manifestiert. In der „besonderen Situation der Mittelklassen in Deutschland“ begründet sich dieser „Trennungsstrich, der zwischen ‚Kultur‘ und ‚Politik‘ gezogen wurde. .. Der deutsche Begriff ‚Kultur‘ .. hatte im Kern eine apolitische oder vielleicht sogar antipolitische Stoßrichtung, die symptomatisch war für das wiederkehrende Gefühl deutscher Mittelklasse-Eliten, daß Politik und Staat den Bereich ihrer Unfreiheit und Demütigung, die Kultur den Bereich ihrer Freiheit und ihres Stolzes repräsentierte.“ (Elias 1990, S. 165) Dieser unpolitische Habitus wirkte sich einerseits in der Haltung der Deutschen zur Weimarer Republik aus, „gegen die Parlamentspolitik eines demokratischen Staates“ (ebd.), anderseits in ihrem Handeln und vor allem Nichthandeln zur Zeit des Nationalsozialismus. Ihre politische Unreife und Beschränktheit trugen die größte Schuld daran, daß die deutsche Nation zum zweitenmal in einem halben Jahrhundert von ihren imperialistischen Machthabern zur Angreifer- und Unterdrückernation gemacht werden konnte. (Abusch 1946, S. 253) Die Masse .. [war] politisch einfältig, kritiklos, stumpf und autoritätshörig .. Die Masse des Volkes .. erscheint wirklicher Schuld in ihrer trüben Einfalt kaum fähig. (Müller-Meiningen 1946, S. 20) Als Mensch individuell, ist er [der Deutsche] politisch ein Nichts (Kogon 1946a, S. 416). Was hätte geschehen müssen, um Deutschland und den Nationalsozialismus rechtzeitig wieder voneinander zu trennen? Sie waren nicht voneinander zu trennen! Wenn etwas dieses Ereignis von unabsehbarer geschichtlicher Bedeutung hätte herbeizwingen können, so nur ein elementares Aufbäumen der ganzen Nation gegen die Knechtschaft einer Partei und eines Mannes .. Aber das ist ein Wahn .. das deutsche Volk war im Grunde apolitisch, mangelhaft politisch, ohne sicheren Instinkt. (Kogon 1946b, S. 113) Es gehört zu der politischen Unreife des deutschen Volkes, daß nach der Zerschlagung des Dritten Reiches viele Deutsche in allem Ernst glaubten, die Alliierten würden nun – nach einem solchen Kriege! – als Befreier in Deutschland einziehen und sich gleich daran machen, das Glück und die Wohlfahrt des deutschen Volkes zu fördern. Als in der Folge diese schöne Hoffnung an der Härte der politischen Tatsachen zerschellte, da geschah ihnen, was ihnen so oft geschieht, daß sie aus allen Wolken fielen. (Pribilla 1947, S. 97)
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Das Kleinbürgertum Deutschlands ist in den letzten Generationen geradezu eine Heimstatt politischer Indifferenz und deswegen ein ständiges Reservoir von Mitläufern, aus dem je nach augenblicklicher Lage dieser oder jener politischen Richtung Unterstützung zufließt. (Schmidt 1948, S. 108) Die Legende von dem unpolitischen Volk der Deutschen [ist] falsch, wenn wir etwas davon wissen, was die Selbstverwaltung in Deutschland, seitdem sie der Freiherr vom Stein geschaffen hat, aus diesem deutschen Volk in den konkreten Aufgaben gemacht hat. (Heuss 1949b, S. 7) [Die] Entschuldigung so vieler »politisch Belasteter«, nicht übersehen zu haben, was gespielt wurde, ist begründeter, als mancher mit den deutschen Verhältnissen nicht vertraute Ausländer damals gemeint hat. Die meisten von uns waren politisch unmündig trotz ihrer dreißig oder vierzig Jahre. (Fechner 1953, S. 238)
Reinigung Selbstreinigung · Reinigungsaktion reinigen · reinigend reinwaschen Nichttäter Zur Konzeption der Selbstwahrnehmung gehört die Vorstellung einer Vergangenheit, die man schnell überwinden, und einer ÕZukunft, die man rasch erreichen möchte. Unter dieser Voraussetzung gebrauchen die Nichttäter das metaphorische Feld Reinigung, ÕKatharsis und ÕGesundung. Darüber hinaus steht die Gesundungs- und Reinigungs-Metaphorik sowohl mit dem Konzept der verschütteten deutschen Werte (Õverschüttet), als auch mit dem der Selbstwiederfindung (Õdeutsch) in semantischer Beziehung. Die Bezeichnungen dieses Feldes stellen einen Vergangenheitsbezug her: Reinigung und Katharsis implizieren Verunreinigung und Schmutz, verschüttet bezeichnet vorübergehendes Vergrabensein, Gesundung bezieht sich auf vergangenes Kranksein (Õkrank). Insofern haben die Bezeichnungen dieses metaphorischen Feldes die Funktion der Abgrenzung von der eigenen Vergangenheit. Vor allem aber bezeichnen diese metaphorischen Konzepte einen Zustand, der in die ÕZukunft verweist und auf die Rehabilitierung der Deutschen. Im Bedeutungsnetz des Schuldbegriffs stellen außerdem ÕVerantwortung, ÕHaftung und ÕWiedergutmachung eine semantische Beziehung zu Reinigung und Gesundung her, jene werden gleichsam als Nachweis und Voraussetzung vollzogener Reinigung und Gesundung verstanden. Sie sind insofern zudem begriffliche Konstituenten
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Reinigung
von ÕSühne: der feste Wille zu sühnen, zu reinigen (s. Schneider 1945, S. 214). Die Reinigungsmetaphorik wird seit dem Frühneuhochdeutschen in der ursprünglich religiösen Vorstellung der seelischen, inneren Läuterung verwendet: „von allen ewrn sünden werdet jr gereinigt fur dem herrn“ (3. Buch Moses 16, 30). Dieser Läuterungsgedanke bestimmt auch den Gebrauch in der Nachkriegszeit, z. B. in der Formel reinigende Umschmelzung (s. Jaspers 1946, S. 209 f.). Reinigung setzt voraus, dass man unrein geworden war. Reinigung/reinigen, mit verbalen Ausdrucksalternativen wie säubern (s. Pieck 1945b, S. 54), reinwaschen (s. Gebhardt 1947, S. 377), kehren (s. Rothfels 1949, S. 35), ist demnach Korrelat zur Schmutz-Metaphorik. Die Vorstellung künftiger Reinigung schließt die einstiger Verunreinigung ein, was sich in der auf den Nationalsozialismus referierenden Metaphorik wie Unrat/Ungeziefer (s. Pieck 1945b, S. 54) oder beschmutzt (s. Gebhardt 1947, S. 377) ausdrückt. Damit wird außerdem eine semantische Verbindung zu ÕSchuld hergestellt (s. Jaspers 1946, S. 209 f.; Jaspers 1946, S. 211 f.). Wesentliches Bestimmungsstück des Reinigungskonzepts ist außerdem innere Umkehr und Einsicht: Reinigung und Verinnerlichung, Reinigung ist ein innerlicher Vorgang. Wie Gesundung und Katharsis bezieht sich Reinigung daher auf die Wiederherstellung eines Wertesystems. In der Zusammensetzung Selbstreinigung und in der Wendung sich selber reinigen (s. Abusch 1946, S. 268; Meinecke 1946, S. 142) ist ein Aspekt der Selbstverpflichtung mitbezeichnet. Dieses Moment der Selbstverpflichtung drückt sich auch aus, wenn Wiedergutmachung im Sinn einer Konsequenz auf Reinigung bezogen wird, z. B. Reinigung bedeutet Wiedergutmachung, Reinigung durch Wiedergutmachung (s. Abusch 1946, S. 268; Jaspers 1946, S. 209 f.). Sühne ist die Haltung dessen, der sich seiner Würde, ob sie auch verletzt ist, bewußt bleibt und sie wiedergewinnen will .. Das rechtliche Geständnis der Schuld und Mitschuld, der feste Wille zu sühnen, zu reinigen (Schneider 1945, S. 214). Wir werden unser deutsches Haus sehr gründlich von diesem nazistischen Unrat und Ungeziefer säubern (Pieck 1945b, S. 54). im Zeichen der Humanität an der Reinigung und Verinnerlichung [des] seelischen Daseins [zu] arbeiten (Meinecke 1946, S. 164). Das deutsche Volk hat die beruhigende Möglichkeit und die Pflicht, sich selber nunmehr zu reinigen (Meinecke 1946, S. 142). Die Deutschen müssen wiedergutmachen, was deutsche Hände verbrachen. Ohne diesen ersten und ehernen Grundsatz kann es keine moralische Erneuerung des deutschen Volkes geben. Es handelt sich nicht um Rache, nicht um biblische Schuld und
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Revier
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Sühne, sondern – neben der materiellen Hilfe für die ausgeplünderten Völker Europas – um die Hinführung der Deutschen zu ihrem besseren Selbst, um die Voraussetzung aller Umerziehung. Denn die Vernichtung der Naziverbrecher ist nur ein Teil der deutschen Selbstreinigung. (Abusch 1946, S. 268) Reinigung bedeutet im Handeln zunächst Wiedergutmachung. Politisch heißt das, aus innerem Jasagen die Leistungen zu erfüllen, die in Rechtsform gebracht unter eigenen Entbehrungen den von Hitlerdeutschland angegriffenen Völkern einen Teil des Zerstörten wiederherstellen. Wiedergutmachung ist jedoch noch mehr. Wer von der Schuld, an der er Teil hat, innerlich ergriffen ist, will helfen jedem, dem Unrecht geschah durch die Willkür des rechtlosen Regimes. .. Dieser Weg der Reinigung durch Wiedergutmachung ist unausweichlich. Aber Reinigung ist viel mehr. Auch die Wiedergutmachung wird ernstlich nur gewollt, und sie erfüllt ihren ethischen Sinn nur als Folge unserer reinigenden Umschmelzung. Klärung der Schuld ist zugleich Klärung unseres neuen Lebens und seiner Möglichkeiten. Aus ihr entspringt der Ernst und der Entschluß. (Jaspers 1946, S. 209 f.) Reinigung ist der Weg des Menschen als Menschen. Die Reinigung über die Entfaltung des Schuldgedankens ist darin nur ein Moment. Reinigung geschieht nicht zuerst durch äußere Handlungen, nicht durch ein äußerliches Abmachen, nicht durch Magie. Reinigung ist vielmehr ein innerlicher Vorgang, der nie erledigt, sondern anhaltendes Selbstwerden ist. Reinigung ist Sache unserer Freiheit. .. Reinigung ist die Bedingung auch unserer politischen Freiheit. (Jaspers 1946, S. 211 f.) Wir alle wollen das unselige, beschmutzte, in den Dreck getretene und stinkend gewordene Wort, das man kaum mehr auszusprechen wagt, das Wort Deutschland wieder aus der Schmutzumkrustung, in der es drinsteckt, lösen und es saubermachen, nicht es wieder blank polieren wie einen Uniformknopf, da sei Gott vor, wohl aber es – alle zusammen, wir, die wir uns um die deutsche Kultur mühen – reinwaschen mit dem reinen Wasser des Geistes (Gebhardt 1947, S. 377). Der persönlichen Verantwortung in Begehung oder Unterlassung bewußt zu sein und vor der eigenen Haustür zu kehren, ist in der Tat ein notwendiger Bestandteil jeder gründlichen Reinigungsaktion (Rothfels 1949, S. 35).
Revier Opfer Von den Opfern in der Bedeutung ‚Krankenstation, Krankenabteilung, Gebäude in einem Konzentrationslager zur Unterbringung kranker Häftlinge‘ gebraucht. Als Versuchsstation so genannter medizinischer Experimente war das Revier vor allem ein Ort äußerster Lebensgefahr. Das Revier war nicht nur die Stätte, wo die Kranken gepflegt und wieder gesund gemacht werden sollten, sondern auch ein Experimentierfeld für die SS-Ärzte. In den meisten KL betrieben sie Vivisektionen an kranken – oder auch an gesunden – Häftlingen. War man einmal in die Behandlungsmaschinerie der Reviere geraten, so
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Revision
konnte man jederzeit ein Opfer ehrgeiziger „Forschungs“vorhaben werden. .. Die bewußte Tötung der Patienten im Revier war bei der SS überall noch weit gebräuchlicher als das Experimentieren. (Kogon 1946a, S. 165) Wurde ein Häftling wirklich so krank, daß er ins Revier mußte, so war damit auch sein Leben in besonderer Weise aufs Spiel gesetzt; denn tatsächlich waren die Zustände im Revier schlechthin mörderisch (Vermehren 1946, S. 87). Das Krankenhaus (Revier) diente ja nicht der Heilung und Betreuung, sondern gerade dort wütete der Tod .. eine Versuchsstation für neue Todesarten (Steinwender 1946, S. 55).
Revision Nichttäter Die nachkriegsdeutschen Nichttäter haben ein starkes Bedürfnis nach der Überprüfung überkommener Bewertungen von historischen Geschehnissen. In diesem Bedürfnis manifestiert sich ihr Zukunftsglaube, und sie nennen diese Überprüfung Revision. Revision ist daher ein die ÕGegenwart interpretierendes Schlüsselwort der nachkriegsdeutschen Nichttäter: „kaum eine Forderung, außer der nach Besinnung und Umkehr, [wurde] so häufig erhoben wie die nach einer grundlegenden Revision des deutschen Geschichtsbildes“ (Eberan 1983, S. 48). In Revision manifestiert sich nicht nur die analytische und zugleich zukunftsgerichtete Gestimmtheit der Zeitgenossen, sondern auch konditionales Potenzial. Sie verstehen Revision als Voraussetzung für Rehabilitierung, Revision ist damit Bedingungsvokabel. Der Revisionsaufruf referiert auf Geschichtsbild und ÕGeschichte: unser Geschichtsbild bedarf einer gründlichen Revision, Revision des Geschichtsbildes (s. Meinecke 1946, S. 156 f.; Litt 1948, S. 111 f.). Revision heißt nicht nur ‚Überprüfung des Geschichtsbildes‘, sondern auch ‚Neubewertung von Geschichtsverläufen‘, auf der Grundlage neuer Erlebnisse (Nationalsozialismus und Krieg) und neuer Erkenntnisse (von der deutschen ÕSchuld). Die Belege zeigen, dass man das Misstrauen in die bisherige nationalistische Deutung und Einordnung von Geschichtsverläufen unter das Zeichen Revision stellt. unser herkömmliches Geschichtsbild .. bedarf jetzt allerdings einer gründlichen Revision, um die Werte und Unwerte unserer Geschichte klar voneinander zu unterscheiden (Meinecke 1946, S. 156 f.).
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Sadist
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Die Revision des Geschichtsbildes .. So kann es nicht anders sein, als daß der Größe und Gewalt, die an und durch uns geschehen ist, das Maß der Eingriffe entspricht, die an unserem Geschichtsbild vorgenommen werden müssen, damit es sich mit der gewandelten Lage im Einklang halte. .. was der uns obliegenden Revision des Geschichtsbildes eine erhöhte Wichtigkeit verleiht [ist die Aufgabe], den historischen Horizont von den Entstellungen zu säubern, die ihm durch die nationalsozialistische Pseudohistorie zugefügt worden sind. (Litt 1948, S. 111 f.) Eine Zeit, welche einen Geistesumbruch von solchem Ausmaß erlebt wie die Gegenwart, ist direkt aufgefordert, an diese überfällige Revision vieler Geschichtsurteile zu gehen. (Nigg 1949, S. 12)
Sadist Sadismus Opfer In der Bedeutung ‚grausamer, brutaler Mensch, der aus Freude am Quälen Menschen Schmerzen zufügt‘ wird Sadist zwar gebraucht (s. Dahlem 1945, S. 254; Kogon 1946a, S. 61). Daneben wird aber kritisch reflektiert, inwiefern die Bezeichnung zutreffend ist vor dem Hintergrund der Tatsache, dass das systematische Quälen im Konzentrationslager nicht triebbedingt, sondern befohlen war. Jean Améry überprüft in diesem Sinn die Angemessenheit der Kategorie und plädiert für ihren Gebrauch in der umgangssprachlichen, nichtwissenschaftlichen Bedeutung: „Handelte es sich .. um Sadisten? Im engen sexualpathologischen Sinne waren sie es .. nicht, so wie ich überhaupt glaube, daß ich während zweijähriger Gestapo- und Konzentrationslagerhaft nicht einem einzigen echten Sadisten dieser Sorte begegnet bin. Sie waren es aber wahrscheinlich, wenn wir die Sexualpathologie beiseite lassen und versuchen, die Folterknechte nach den Kategorien der – nun ja, der Philosophie des Marquis de Sade zu beurteilen. Sadismus als die im eigentlichen Wortverstande ver-rückte Weltbetrachtung ist etwas anderes als der Sadismus der gängigen psychologischen Handbücher“ (Améry 1977, S. 65): Nichts wäre falscher, als zu glauben, die SS wäre eine Horde von Sadisten (s. Kautsky 1948, S. 100). Jeder, der dort war, tat auch einmal etwas Gutes. Das war ja das Schlimmste. Hätten die SS-Männer in Auschwitz immer nur Böses getan, so hätte ich mir gesagt, sie können nicht anders; es sind krankhafte Sadisten. Diese Menschen aber konnten zwi-
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Scham
schen Gut und Böse unterscheiden und entschieden sich einmal für Gut und neunhundertneunundneunzigmal für Böse (zit. nach Langbein 1972, S. 371). Bande degenerierter, asozialer, vertierter Verbrecher und Abenteurer und gemeiner Sadisten (Dahlem 1945, S. 254). es [gab] kaum eine Form des pervertiertesten Sadismus .., die .. nicht praktiziert worden wäre (Kogon 1946a, S. 61). Nichts wäre falscher, als zu glauben, die SS wäre eine Horde von Sadisten, die aus eigenem Antrieb, aus Leidenschaft und Gier nach Lustbefriedigung Tausende von Menschen gequält und mißhandelt haben. Die einzelnen, die so handelten, waren durchaus in der Minderheit; ihr Bild prägt sich nur deutlicher ein, weil es schärfer profiliert ist, als das des farbloseren Rohlings, der sein Pensum an Brutalitäten vorschriftsmäßig, sozusagen bürokratisch erledigt, ohne je seine Mittagspause zu versäumen. (Kautsky 1948, S. 100)
Scham Kollektivscham · schämen Nichttäter Das Schlüsselwort Scham zur Bezeichnung einer nachkriegsdeutschen Befindlichkeit ist von Beginn an eingeführtes Element des deutschen Schulddiskurses. In der Bedeutung ‚Bewusstsein, (moralisch) versagt zu haben‘ ist es das Gegenwort zu ÕSchuld insofern, als mit Scham solche Verfehlungen bezeichnet werden, die eine Rehabilitierung erlauben, vgl. Wendungen wie Scham, daß das deutsche Volk einen bedeutenden Teil Mitschuld trägt, Scham, daß es diese Verbrechen zugelassen hat, nicht das richtige Wort gefunden zu haben, Scham, mit ihm gemeinsam den Namen Deutsche zu tragen (s. KPD 1945, S. 15; Ulbricht 1945, S. 35; Kerckhoff 1947b, S. 172; Heuss 1949a, S. 100 f.). Im Jahr 1949 führt Theodor Heuss bei einer vor der in der Gründungsphase befindlichen Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit gehaltenen Rede die Bezeichnung Kollektivscham ein, um ÕKollektivschuld zu ersetzen (s. Heuss 1949a, S. 100 f.). Kollektivscham ist eine der „folgenreichsten Wortprägungen“ Heuss‘ (Baumgärtner 2001, S. 184), und die Historiographie bewertet sie als wesentlichen Beitrag zur deutschen Erinnerungskultur. In dieser Bezeichnung Kollektivscham sei die Begründung einer „Tradition der öffentlichen Erinnerung, durch die der Holocaust auf Dauer einen Platz in den maßgeblichen Darstellungen der NS-Zeit erhielt“ (Herf 1998, S. 457), aufgehoben. Ein Opfer wie Ralph Giordano
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Scham
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lehnt dagegen das „schlimme, tief unwahrhaftige Wort von der ‚Kollektivscham‘“ rigoros ab (Giordano 1990, S. 269). Denn es sei „eine Unterthese von der deutschen Kollektivunschuld unter Hitler. Die in demselben Kontext eingefügte Wendung ‚Das Schlimmste, was Hitler uns angetan hat …‘ bestätigt die Absicht, egal, ob sie bewußt oder unbewußt erfolgte: ein Täter – und sechzig Millionen Gehilfen … die A-Historie schlechthin“ (ebd.). Zeitgenossen bestätigen, dass Kollektivscham als akzeptable, ja erlösende Kategorie empfunden wurde, und Giordano erklärt dies damit, dass Scham im Gegensatz zu Schuld keine „ursächliche Beziehung zum Tatgeschehen“ habe, sondern „eine moralische“. Das sei „von den Massen, die sich entgegen ihrer ganzen äußeren Haltung tief schuldig fühlten, sehr genau gespürt worden. Deshalb ist der diskriminierte Begriff kollektiv in Zusammenhang mit Scham viel gnädiger aufgenommen worden.“ (Giordano 1990, S. 271) in jedem deutschen Menschen [muß] das Bewußtsein und die Scham brennen, daß das deutsche Volk einen bedeutenden Teil Mitschuld .. trägt. (KPD 1945, S. 15) Erst wenn unser Volk von tiefer Scham erfaßt ist über die Verbrechen des Hitlerismus, erst wenn es von tiefer Scham erfaßt ist darüber, daß es diese barbarischen Verbrechen zugelassen hat, erst dann wird es die innere Kraft aufbringen, einen neuen, einen demokratischen, einen fortschrittlichen Weg zu gehen. (Ulbricht 1945, S. 35) Und das war das Scheußlichste und Schrecklichste, das uns der Nationalsozialismus antat, daß er uns zwang, uns schämen zu müssen, Deutsche zu sein. (Heuss 1946b, S. 189) wir sind uns doch eigentlich alle im wesentlichen darüber klar, wie wir leiden darunter, daß wir nicht das Wort gefunden haben .. diese Scham, die so furchtbar ist und uns zu einer Verzweiflung führt. (Kerckhoff 1947b, S. 172) Nicht die Gefahr war das Entscheidende dieser Jahre, .. sondern die immer wachsende Scham über das Ungeheuerliche, das geschah .. unter dem Jubel von Millionen geschehen konnte. (Wiechert 1949, S. 352) Es hat keinen Sinn, um die Dinge herumzureden. Das scheußliche Unrecht, das sich am jüdischen Volke vollzogen hat, muß zur Sprache gebracht werden in dem Sinne: Sind wir, bin ich, bist du schuld, weil wir in Deutschland lebten, sind wir mitschuldig an diesem teuflischen Verbrechen? Das hat vor vier Jahren die Menschen im Inland und Ausland bewegt. Man hat von einer »Kollektivschuld« des deutschen Volkes gesprochen. Das Wort Kollektivschuld und was dahinter steht, ist aber eine simple Vereinfachung, es ist eine Umdrehung, nämlich der Art, wie die Nazis es gewohnt waren, die Juden anzusehen: daß die Tatsache, Jude zu sein, bereits das Schuldphänomen in sich eingeschlossen habe. Aber etwas wie eine Kollektivscham ist aus dieser Zeit gewachsen und geblieben. Das Schlimmste, was Hitler uns angetan hat – und er hat uns viel angetan –, ist doch dies gewesen, daß er uns in die Scham gezwungen hat, mit ihm und seinen Gesellen gemeinsam den Namen Deutsche zu tragen. (Heuss 1949a, S. 100 f.)
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Schuld
Schuld Blutschuld · Einzelschuld · Gesamtschuld · Hauptschuld Kollektivschuld · Kulturschuld · Mitschuld · Riesenschuld Willensschuld Schuldbegriff · Schuldbekenntnis · Schuldfrage · Schuldgefühle schuldhaft · Schuldkonto · Schuldproblem schuldig · mitschuldig · unschuldig · Schuldigerklärungen Schuldige · Mitschuldige beschuldigen · entschuldigen · Beschuldigte Verschulden · selbstverschuldet
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Opfer / Täter / Nichttäter
Der Gebrauch der Bezeichnung Schuld in der frühen Nachkriegszeit erklärt sich aus der religiösen, ethisch-philosophischen und juristischen Vorgeschichte des Begriffs. Schuld im religiösen Sinn bedeutet ‚Verantwortlichkeit für den Verstoß gegen ein religiöses Gesetz‘. Als Urerfahrung steht der Sündenfall im Sinn einer Verfehlung gegen Gott am Beginn der Schuldgeschichte, wie sie die jüdisch-christliche Tradition ausgebildet hat. Der nachkriegsdeutsche Schuldbegriff ist ohne diesen religiösen Vorlauf nicht zu erklären und bestimmt das Reden über Schuld in der frühen Nachkriegszeit. Der philosophisch-ethische Schuldbegriff versteht Schuld als Verstoß gegen eine moralisch-ethische Norm. Der juristische Schuldbegriff definiert Schuld als bewussten oder fahrlässigen Verstoß gegen die Gesetze des geltenden Rechts. Zum Konzept dieser Schuldvorstellungen gehören die Kategorien Gewissen, Einkehr, Reue, Umkehr, (öffentliches) Bekenntnis, ÕWiedergutmachung, Vergebung, ÕSühne, Verzeihen, ÕStrafe. Über Schuld reden heißt: den, menschliches Zusammenleben sichernden moralischen Grundsatz von Gut und Böse feststellen, und damit sich über Werte vergewissern. Schuld ist ein Gegenstand moralischer Bewertung, wenn er die freie Selbstbestimmung des Menschen voraussetzt. Das öffentliche Reden über Schuld in der frühen Nachkriegszeit lässt sich beschreiben als Schulddiskurs, zu dem die Angehörigen der drei Beteiligungsgruppen beitragen: Die Opfer des Nationalsozialismus reden als Verfolgte des Nationalsozialismus, als überlebende KZGefangene über die Schuld. Die Täter reden über Schuld als Funktionsträger in den Jahren 1933 bis 1945, denen u. a. diese Schuld, von der die Opfer erzählen, als Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen wird. Die Nichttäter fühlen sich als Angehörige der geisti-
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Schuld
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gen Elite (Politiker, Theologen, Juristen, Literaten, Wissenschaftler, Philosophen) berufen, sich intellektuell mit der Schuld der Jahre 1933 bis 1945 zu beschäftigen. Diese Diskursbeteiligten formieren je unterschiedliche Schuldbegriffe, indem sie in Abhängigkeit von ihrer jeweiligen Erfahrung und ihrem Ziel den kommunikativen und semantischen Horizont von Schuld ausleuchten. Opfer Bezeichnungen der Wortfamilie Schuld sind in den Berichten der Opfer über die Zeit ihrer Haft und Verfolgung selten belegt. Wenn sie die Wortfamilie gebrauchen, dann nur in den nicht-narrativen Passagen ihrer Berichte, etwa im nicht berichtenden, als Brief gestalteten bzw. begründenden Vorwort einer Darstellung (s. Schlotterbeck 1945a, S. 254; Schlotterbeck 1945b, S. 3 f.), zitierend (s. Eiden 1946, S. 263) oder im Zuge von Analysen (s. Eggerath 1947, S. 26 f., S. 33). Schuld (Vertreter der Wortfamilie sind immer mitgemeint) ist eine Bezeichnung der retrospektiven Abstraktion und Bewertung. Die Frage nach Schuld lautet ‚Wie ist zu bewerten, was geschah?‘ Diese Frage stellen Opfer in ihren KZ-Berichten und in ihren Schilderungen über ihre Verfolgung und Haft nicht. Denn sie verstehen sich als Zeugen. Zeugen bestätigen ein als normwidrig und damit als schuldhaft zu erkennendes Handeln von Tätern (oder bestätigen dieses nicht). Der Beitrag von Zeugen besteht also nicht in der Beurteilung und Bewertung eines bestimmten Handelns, sondern in der Wiedergabe von selbst Erlebtem. Taten und Täter werden im Zuge dieser Wiedergabe situationsbezogen beschrieben, aber nicht mit dem Abstraktum Schuld und Schuldige qualifiziert. Opfer wollen es „andern überlassen, das .. Vorgebrachte nochmals und gleichsam bis zur Unpersönlichkeit zu destillieren und so aus dem hier dargebotenen Extrakt subjektiver Erlebnisse objektive Theorien herauskristallisieren zu lassen“ (Frankl 1945, S. 22). Diese Erklärung Victor Frankls begründet den Verzicht auf das Wort Schuld. Schuld ist ein Wort der Unpersönlichkeit und der objektiven Theorien. Das Wort ist Ergebnis und Zusammenfassung von Analyse und Bewertung, von denen sich Opfer fernhalten. Ihnen wurde „eine Wunde .. geschlagen“. Der Auschwitz-Überlebende Jean Améry z. B. gibt sich auf, „sie zu desinfizieren und zu verbinden, nicht nachzudenken, warum der Schläger die Keule hob, und im entschlossenen Darum ihn schließlich halb und halb zu diskulpieren.“ So begründet sich der Titel, den er seinen ‚Bewältigungsversuchen eines Überwältigten‘ (Untertitel) gegeben
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hat. Er nennt seine Schrift ‚Jenseits von Schuld und Sühne‘, in der er sich nicht um „explikative Darstellung“ (Améry 1977, S. 9) bemüht habe. „Es ist in diesen Blättern .. sehr viel von Schuld die Rede und auch von Sühne .. Dennoch glaube ich, daß diese Arbeit als ein Befund jenseits der Frage von Schuld und Sühne steht. Es wurde beschrieben, wie es bestellt ist um einen Überwältigten, das ist alles.“ (Améry 1977, Vorwort zur 1. Auflage 1966, S. 17) Mit dieser Haltung schreiben die Opfer und ihr Anliegen ist also nicht, mit ihren Berichten anzuklagen und zu beschuldigen, sondern Zeugnis abzulegen von dem, was geschah. Aus diesem Grund gibt es daher wenig Belege, die den Gebrauch der Bezeichnung Schuld in Texten von Opfern dokumentieren. Dagegen besteht der Beitrag der Opfer zum Schulddiskurs darin, dass sie den Begriff ‚Schuld‘ ausdeuten. Denn der Schuldbegriff der Opfer manifestiert sich in ihren Berichten über KZ und Haft deshalb, weil diese Berichte das übermitteln, was den Schuldbegriff inhaltlich bestimmt, m.a.W. was das Wort Schuld bezeichnet. Wovon die Opfer reden, ist Gegenstand dessen, was die Formel deutsche Schuld bedeutet: staatlich befohlene Diskriminierung, Verfolgung, Völkermord, also Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der Schuldbegriff der Opfer besteht insofern aus dem Wörterbuch von Haft, Konzentrationslager und Verfolgung: ÕAngst, ÕApathie, ÕAppellplatz, ÕAuschwitz, ÕBaracke, ÕBlock, ÕBunker, ÕDraht, ÕGas, ÕKrematorium, ÕMuselman(n), ÕNummer, ÕOpfer, ÕRevier, ÕSadist, ÕSelektion, ÕSS, ÕSteinbruch, ÕTod, ÕTransport, ÕWinkel, ÕZebrakleidung. Täter Vor dem Hintergrund eines ausgeprägten Gegenwartsbewusstseins (Õheute) reflektieren Täter über ihre Schuld, weil sie sich im Gericht dem direkten Vorwurf einer persönlichen kriminellen Schuld stellen müssen oder, weil sie durch retrospektive Analyse, z. B. in ihren Autobiographien, ihr Gewissen zu entlasten suchen. Gelegentlich gebrauchen Täter Schuld in Formulierungen, die eine scheinbare Bereitschaft zur ehrlichen Analyse und Einsicht ausdrücken: ich sagte, daß ich die Schuld bekenne, ich fühle mich insgesamt schuldig, ich trage schwere Schuld, hier beginnt meine Schuld, deine Schuld ist alles (s. Frank 1945/46, S. 391 f.; Frank 1945/46, S. 393; Frank 1945/46, S. 404; Frank 1945/46, S. 411; Frank 1946, S. 437 f.; Ribbentrop 1946, S. 428; Höß 1947, S. 66 f.; Pohl 1950,
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S. 40; Speer 1955, S. 431 f.). Dennoch antworten sämtliche Angeklagte im Nürnberger Prozess auf die Frage des Vorsitzenden zu Beginn der Verhandlungen, ob sie sich für schuldig oder nicht schuldig erklären: Nicht schuldig (Nürnberger Prozess II, S. 113–115). Diese Selbsteinschätzung bestimmt ihr Reden über ihre Schuld und damit die Gebrauchsbedingung von Schuld (s. Streicher 1946, S. 439), z. B. in Formulierungen wie mein Gewissen ist rein, frei von Schuld (s. Rosenberg 1946, S. 435). Dieses Reden dient den Tätern zu ihrer Entlastung, zu deren Zweck sie das Regime, dem sie dienten, so darstellen, dass dieser Zweck erfüllt wird. Die suggerierte oder tatsächliche Überzeugung ihrer Unschuld ist die Voraussetzung für ihr Reden über ihre Schuld. Das bedeutet nicht, dass sie nicht gestehend über ihre Schuld sprechen. Sie bekennen ihre Schuld in abstrakten, nicht justiziablen Kategorien (s. v. Papen 1946, S. 456; v. Papen 1952, S. 300). Vor allem gestehen sie Schuld marginalisierend (ÕIrrtum), idealisierend (ÕDienst, ÕGlaube, ÕHoffnung, ÕLiebe, ÕPflicht, Õtreu) und egalisierend. Marginalisierend bekennen Täter ihre Schuld in Formulierungen, die den Schuldgegenstand abwerten, mit dem sie ihr Tun zur Zeit ihrer Macht versehen (s. Raeder 1946, S. 446). Diese Abwertung ihres schuldhaften Handelns wird lexikalisch ausgedrückt mit ÕIrrtum, mit dem sie ihre persönliche Schuld scheinbar bekennen. Es ist jedoch nicht ein Geständnis, sondern vielmehr die Deutungsanweisung, mit dem Bekenntnis eines Irrtums von Schuld freizusprechen: ich habe in vielem geirrt, darin ersehe ich meine Schuld, ich habe geirrt, das ist meine Schuld, daß ich meinen Irrtum nicht rechtzeitig erkannt habe, macht mich nicht weniger ‚schuldig‘ (s. Funk 1946, S. 441; Keitel 1946, S. 431; Pohl 1950, S. 45 f.). Wenn die Täter dagegen idealisierend Schuld bekennen, dann bezieht sich dieses Bekenntnis nicht auf ihr Handeln, sondern auf ihr Denken und Wollen, auf den Anspruch, Handeln und Wollen, Denken und Fühlen an einem ethisch-moralischen Wertesystem orientiert zu haben (s. Frank 1945/46, S. 194; Schirach 1946, S. 477). Bezeichnungen, die auf dieses Wertesystem referieren, sind Hochwertwörter wie ehrliches Wollen, Verantwortungsgefühl, reines Ideal, Wahrhaftigkeit etc. Mit diesen Ausdrücken bekennen die Täter Schuld derart, dass sie sie auf der Ebene des Ausdrucks mit Schuld gleichsetzen. Da diese Ausdrücke inhaltlich jedoch keine Sachverhalte bezeichnen, die mit Schuld gleichzusetzen sind, entsprechen diese Aussagen tatsächlich einer Leugnung von Schuld. Denn Schuld bekennen in Katego-
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rien, die Unschuld bedeuten, heißt: Schuld leugnen. Es sind die approbierten Werte der zivilisierten Welt, auf die Täter zum Zweck der Selbstüberhöhung referieren, und sie haben exkulpierende Funktion. Diese Strategie manifestiert sich vor allem, wenn die nationalsozialistischen Haupttäter ihren entleerten Schuldbegriff entlastend mit durch ÕGlaube, ÕLiebe,ÕHoffnung bezeichneten christlichen Werten gleichsetzen, oder mit durch ÕDienst, ÕPflicht und Õtreu bezeichneten militaristisch-nationalistischen Tugenden fassen: Meine Schuld sehe ich darin, daß ich ihm diente, Mit meinem Glauben verstärkte ich den Glauben des deutschen Volkes, das ist meine Schuld (s. Frank 1945/46, S. 194; Fritzsche 1946, S. 463; Höß 1947, S. 66 f.). Es sind nicht normwidrige, sittliche Verstöße gegen Werte, es ist nicht begangenes Unrecht und ethisches Versagen, welches sie bekennen, sondern das Gegenteil. Wenn also Täter Schuld bekennen, wenn sie einen auf sich referierenden positiven Schuldbegriff konstituieren, wenn sie ein idealisiertes Denken und Wollen zum Gegenstand eines Schuldbekenntnisses machen, dann stellen sie Schuld in einen Kontext, der der semantischen Struktur der Bezeichnung widerspricht. Egalisierend gestehen Täter Schuld, weil der Gegenstand der Egalisierung – also die Schuld der anderen – mit dem Gegenstand der eigenen Schuld in relativierende Beziehung gesetzt wird. Dieses in Beziehung Setzen hat die Form einer Konzession. Die häufig implizit bleibende Nennform lautet: ‚Zwar bin ich schuldig, die anderen aber sind auch schuldig.‘ Egalisieren bedeutet Schuld bekennen in Kategorien, die den Gegenstand der eigenen Schuld und den Gegenstand der Schuld der anderen in eine Gleichheits- bzw. Ähnlichkeitsbeziehung setzen, um so die moralische Verwerflichkeit der eigenen Schuld abzuschwächen und gleichzeitig den Ankläger zu delegitimieren: die Massenverbrechen in Ostpreußen haben jede Schuld unseres Volkes getilgt, Sowjetrußland war ebenso schuldig wie Deutschland (s. Frank 1946, S. 438; v. Papen 1952, S. 654 f.). Der Entwertung des Schuldbegriffs dient Tätern außerdem die Berufung auf einen ÕBefehl und auf Gehorsamspflicht (ÕGehorsam), die entlastende Unterscheidung zwischen grausam und Õhart, sowie die Gegenklage (Õgeheim). Diese richtet sich gegen die nationalsozialistische Funktionselite, insbesondere gegen ihre toten Repräsentanten wie Himmler, Heydrich, Bormann. Vor allem aber wird ÕHitler hinsichtlich seines Charakters und Handelns so gezeichnet, dass dieses Bild der eigenen Entlastung dient (s. Frank
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1945/1946, S. 37; Frank 1946, S. 437 f.; Meißner 1950, S. 635) (ÕDämon). Nichttäter Schuld ist ein Schlüsselwort der Nachkriegszeit: das Wort [Schuld] ist da und bestimmt die gegenwärtige Wirklichkeit (s. Schneider 1945, S. 213). Vor allem die Nichttäter reflektieren, vor dem Hintergrund eines ausgeprägten Zeitbewusstseins (Õapokalyptisch, ÕFinsternis, ÕGegenwart, Õheute, Õneu, Õnie, ÕStunde, ÕWende, ÕZeit, ÕZukunft) öffentlich über Schuld in einer Intensität und Komplexität, die auch Anlass zur Kritik gibt (s. Wiechert 1946, S. 198 f.). Das Ergebnis der mit diesem Bewusstsein durchgeführten Analysen lauten: ÕRevision der ÕGeschichte/des Geschichtsbilds. Der Schuldbegriff der Diskursgemeinschaft der Nichttäter hat zur Voraussetzung den vermeintlichen Kollektivschuldvorwurf, den die Welt an die Deutschen richtet (ÕKollektivschuld) und gegen den sie widersprechen (s. Ebbinghaus 1945a, S. 160 f.; Steltzer 1945, S. 35; Jaspers 1946, S. 145; Windisch 1946, S. 91 f.; Windisch 1946, S. 118 f.; Friedlaender 1947, S. 37 f.; Keil 1948, S. 703–705; Heuss 1949a, S. 100 f.; Schoeps 1950, S. 32 f.). Aus einem tief sitzenden Nationalbewusstsein heraus (Õdeutsch) weisen sie die vermeintlichen Vorwürfe zurück (s. Windisch 1946, S. 32 f.; Pechel 1947, S. 13; Keil 1948, S. 703–705), um so einen eigenen Schuldbegriff zu konstituieren. Der Abwehr des Kollektivschuldvorwurfs dienen Verweise auf einen westlichen Kulturzerfall, an dem nicht Deutschland allein, sondern ganz Europa teilgehabt hätte (s. Dönhoff 1945), auf die Haltung des Auslands zum Hitlerregime (s. Eckert 1946, S. 34; Röpke 1948, S. 35; Röpke 1948, S. 59–62; Ehlers 1954, S. 354), auf das Unwissen des deutschen Volks (s. Eckert 1946, S. 163), auf diejenigen Deutschen, die Hitler ihre Stimme versagt haben (s. v. Holtum 1947, S. 236 f.), darauf, dass die europäische Geschichte vergleichbare Beispiele von Terror und Massenmord aufweise (s. Röpke 1948, S. 59–62), darauf, dass ein Kollektiv nicht vollständig aus mündigen und damit schuldfähigen Mitgliedern bestehe (s. Laun 1950, S. 57). Daneben werden aber auch Mahnungen formuliert, zunächst die eigene Schuld zu analysieren (s. Wiechert 1945, S. 30 f.; Schneider 1945, S. 213; Schneider 1945, S. 213 f.; Schneider 1945, S. 214; Jaspers 1946, S. 134). Was die Diskursgemeinschaft eint, ist der Wunsch, die Deutschen mögen wieder in die Reihen der Völker integriert werden: für die
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Aussöhnung der Welt mit den Deutschen ist die Schuldfrage von größter Bedeutung, Deutschland muß durch die Sühne seiner Schuld zur Mater occidentalis zurückfinden (s. Schumacher 1945c, S. 215; Eckert 1946, S. 3; Naumann 1946, S. 2; Pieck 1947, S. 123–125). Unter dieser Bedingung weisen die Nichttäter nicht, wie die Täter, Schuld einfach zurück, sondern konstituieren einen, um Gerechtigkeit bemühten differenzierten und weit ausgefächerten Schuldbegriff, der unterschiedliche Verbrechensarten analysiert, z. B. NS-Morde (s. Eckert 1946, S. 66 f.), Kriegsschuld (s. Eckert 1946, S. 60–63), unrechtmäßige Bereicherungen an rechtswidrig beschlagnahmten bzw. enteigneten Gütern und Unterschlagungen (s. Eckert 1946, S. 52 ff.), wissenschaftliche NS-Propaganda (s. Eckert 1946, S. 138 f.), die vielfältigen Schuldarten aus der KZ-Welt (s. Eckert 1946, S. 69–71; Milan 1952, S. 24). Kennzeichnend ist der Versuch, die Grenze zwischen Schuld und Nichtschuld genau festzulegen (s. Kuhn 1946, S. 42–46). Die am Diskurs Beteiligten schaffen unterschiedliche Schuldkategorien, denn in der Nazizeit sind Schulderscheinungen aufgetreten, die die Festlegung eines neuen Schuldbegriffs erfordern. Am konsequentesten durchgearbeitet ist die Schuldanalyse von Karl Jaspers, der im Wintersemester 1945/46 eine Vorlesung über die Schuldfrage hält. Er ist – wie die große Mehrheit der Angehörigen der Diskursgemeinschaft – besorgt um die Belegung seiner deutschen Zeitgenossen mit dem Kollektivschuldvorwurf der Welt (s. Jaspers 1946, S. 145). Um den Deutschen Erkenntnisse über ihre jeweilige individuelle Schuld zu verschaffen, unterscheidet Jaspers zwischen krimineller Schuld (s. Jaspers 1946, S. 136), politischer Schuld (s. Jaspers 1946, S. 136; Jaspers 1946, S. 179–181), moralischer Schuld (s. Jaspers 1946, S. 163–169) und metaphysischer Schuld (s. Jaspers 1946, S. 170 f.). Kategoriell und klassifizierend nach krimineller Schuld, politischer Schuld, moralischer (bzw. religiöser bzw. metaphysischer) Schuld denken Mitglieder der Diskursgemeinschaft überhaupt: Die eigentliche Schuld dieser Menschen ist eine politische, die religiöse Schuld, die metaphysische, an der die ganze Menschheit trägt, moralisch, religiös sind wir alle schuldig, es gibt nur zweierlei Schuld, eine im juristischen und eine im moralischen Sinn (s. Schumacher 1945c, S. 216 f.; Grimme 1946a, S. 60 f.; Kuhn 1946, S. 42–46; Laun 1950, S. 79–82). Diese Unterscheidungen sind möglicherweise „zuerst bei den exilierten Autoren“ zu finden, und zwar „im Zusammenhang mit
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der Aufforderung an die Deutschen, sich der kollektiven Haftung für den Nationalsozialismus nicht zu entziehen.“ (Koebner 1987, S. 309) Jaspers’ und der Diskursgemeinschaft Anliegen ist (innere) Umkehr der Deutschen (s. Jaspers 1946, S. 134; Bäumer 1946, S. 46; Röpke 1948, S. 113–117; Ehlers 1954, S. 349 f.), Anerkennung kollektiver Verantwortung und daher „Haftung aller Staatsbürger für die Folgen staatlicher Handlungen“ (Jaspers 1946, S. 134), sowie die Freisprechung der Deutschen von einer kriminellen Schuld „jedes einzelnen Staatsbürgers in bezug auf Verbrechen, die im Namen des Staates begangen wurden.“ (Jaspers 1946, S. 137) (s. Ebbinghaus 1945a, S. 160 f.; Müller-Meiningen 1946, S. 20; Laun 1950, S. 57) Die Grundunterscheidung zwischen individueller verbrecherischer, krimineller Schuld einerseits und kollektiver moralischer Schuld andererseits bildet die Voraussetzung für die Schuldanalysen der Nichttäter. Diese Analysen finden statt auf der Grundlage einer gesellschaftlichen Unterscheidung der Schuldigen. Die Nichttäter stellen die Frage nach der Schuld der Täter als den wirklich Schuldigen, nach der eigenen Schuld als Angehörige derjenigen Formation, die als Elite gesellschaftliche Verantwortung hatte, nach der Schuld der breiten Masse der Deutschen überhaupt schließlich. In diesem Sinn unterscheiden sie die kriminelle Schuld der wirklichen Täter von der moralischen und politischen Schuld der eigenen Wir-Gruppe und der Masse der Deutschen. Diese Schuldanalysen, die Verbrecher von anderswie Schuldigen trennen, suchen einerseits eine scharfe Grenze zwischen juristischer und moralischer Schuld zu ziehen. Andererseits suchen die Nichttäter terminologisch der Einsicht zu entsprechen, dass es kaum einen Deutschen gibt, der vollkommen frei von Schuld ist. So schaffen sie zur Feststellung der Schuldanteile Verantwortungskategorien quer durch die deutsche Gesellschaft, atomisieren den Schuldbegriff, einerseits, um Gerechtigkeit zu wahren gegenüber den deutschen Zeitgenossen; andererseits aber auch, um den Deutschen den Umfang, das Ausmaß, die Dimension der deutschen Schuld vorzuführen und ihnen all die Möglichkeiten, im Nazireich schuldig zu werden, bewusst zu machen. Die Bezeichnung wirklich Schuldige wird eingegrenzt auf solche Verstöße gegen Gesetz, Ethik und Moral, welche die Verwerflichkeit Schuldiger von dem geringeren Schuldanteil der großen Masse abzugrenzen erlauben. Die Schuld Hitlers (ÕDämon) und seines Regimes (ÕFaschismus, ÕHitlerismus, ÕNationalsozialismus), die persönliche Schuld der Verbrecher, Hauptschuldigen, der wahren/wirklich/
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wahrhaft/kriminell Schuldigen wird als eindeutig aufgefasst: die gewissenlosen Abenteurer und Verbrecher, die Hitler und Göring, Himmler und Goebbels, eindeutig ist diese Schuld, Der Nürnberger Spruch verurteilt wirklich Schuldige, Schuld eines würgenden Tyrannen und einer kleinen Schar vor nichts mehr zurückschreckender, unmenschlicher Henker, Hauptsache, wir erfassen wirklich Schuldige und säubern uns von diesen, Nach seinem [des deutschen Volkes] Rechtsempfinden dürfen nur wirklich Schuldige bestraft werden, die besondere Schuld einzelner Gruppen, die zum Triumph der Nationalsozialisten beigetragen haben, die wirklich Schuldigen an den Verbrechen, die wahrhaft Schuldigen und die wahrhaft Verantwortlichen jener Zeit (s. KPD 1945, S. 14; Steltzer 1945, S. 33; Eckert 1946, S. 3; Eckert 1946, S. 50; Eckert 1946, S. 69–71; Eckert 1946, S. 76 ff.; Eckert 1946, S. 181; Kuhn 1946, S. 42–46; Röpke 1948, S. 76–78; Röpke 1948, S. 113–117; Adenauer 1949a, S. 21; Adenauer 1949b, S. 169; Kaiser 1950, S. 494 f.; Adenauer 1952a, S. 255). Wirklich Schuldige (alternativ u. a. Verbrecher, Kriminelle, Militaristen, Kriegsverlängerer, Denunzianten, s. Ulbricht 1945b, S. 428 f.; Eckert 1946, S. 76 ff.) ist ein Begriffselement von Schuld und eine Entlastungskategorie zur Abwehr des Kollektivschuldvorwurfs. Diese Formel entlastet die Gemeinschaft der Deutschen, denn aus der Existenz von wenigen wirklich Schuldigen folgert schlüssig die Existenz von vielen nicht wirklich Schuldigen. Die Bezeichnung wirklich Schuldige bezieht sich auf diejenigen, die „außerhalb des menschlichen Sittengesetzes“ stehen, auf diejenigen, denen man daher „zuviel Ehre“ täte, den „moralischen Maßstab der Schuld“ anzulegen (Röpke 1948, S. 35). Da sie sich krimineller Vergehen zu verantworten haben, bezieht man sich auf den juristischen Maßstab (s. Jaspers 1946, Arendt-Jaspers-Briefwechsel S. 99) und auf die entsprechende, Vergeltung bezeichnende Kategorie ÕStrafe: Es gilt, alle wirklich Schuldigen ausfindig zu machen und ihre Verbrechen festzustellen, damit sie ihre gerechte Strafe erhalten, Die weltliche Schuld erfordert eine Strafe, Die juristische Schuld kann Strafbarkeit begründen (s. Ulbricht 1945b, S. 435 f.; Grimme 1945c, S. 54 f.; Jaspers 1946, S. 171–173; Eckert 1946, S. 68 f.; Pieck 1947, S. 123–125; Weizsäcker 1949, S. 156 f.; Laun 1950, S. 48 f.; Laun 1950, S. 79–82). Insofern stellt ÕStrafe einen Gegenbegriff zu ÕSühne dar, denn das „Schuldprinzip, die Forderung, daß die Strafe der Schuld zu entsprechen habe, daß aber auch grundsätzlich Schuld Strafe fordert .., ist ein Grundsatz der sittlichen Welt, eine lex natura-
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lis, und hat daher absolute Geltungskraft.“ (Kaufmann 1976, S. 208) Der referenziellen Logik dieser Identifizierung wirklich Schuldige entsprechend bilden Ausdrücke wie Bestrafung, zur Verantwortung, zur Rechenschaft ziehen, verantwortlich machen, unerbittlich, gerecht, mit aller Strenge feste Kontextpartner von wirklich Schuldige (s. CDU 1945, S. 12; Maier 1945, S. 261 f.; Müller-Meiningen 1946, S. 67 f.; Adenauer 1946, S. 150; Geiler 1947, S. 89; Adenauer 1949a, S. 21; Adenauer 1949b, S. 169; Milan 1952, S. 24). In diesem Zusammenhang mit der Forderung einer gerechten Strafe erhält die Kollektivschuldabwehr ein stützendes Argument. Eine deutsche Kollektivschuld anzunehmen hieße nicht nur, die Kategorien der Schuldigen und Grade ihrer Schuld, sondern auch der gerechten Sühne einzuebnen (s. Röpke 1948, S. 113–117). Vor allem die politischen Funktionsträger waren sich bezüglich des Begriffs wirklich schuldig frühzeitig einig darin, dass gesellschaftliche Ausgrenzung sich nur auf die im engeren Sinn als Täter zu bezeichnenden Nazis beziehen sollte. Verzeihen, dieses notwendige Begriffselement von Schuld, wird hier geltend gemacht und gerät zum Legitimator nachkriegsdeutscher Gesellschaftspolitik im Westen, denn bei der politischen Elite ist die Schuld der Nazis Anlass, gleichsam administrativ über Integration und Ausgrenzung nachzudenken. Insofern bilden in solchen Kontexten die Gruppenbezeichnungen aktive Nationalsozialisten (ÕNationalsozialismus), aktive Militaristen, Nazis (ÕNationalsozialismus) usw. einerseits, einfache/ nominelle Nazis/Pgs/Parteigenossen, Mitläufer, Irregeleitete (Õnominell) andererseits Gegensatzpaare (s. Kaisen 1945, S. 16; Steltzer 1945, S. 34 f.; Adenauer 1946, S. 150; Adenauer 1949a, S. 21; Adenauer 1949b, S. 169). Auch im Osten ist, obwohl der konsequente Antifaschismus einen der Gründungsmythen der DDR abgibt, Vergangenheitspolitik Integrationspolitik. Im Zuge zunehmender politischer Pragmatisierung zeigt man sich zur Integrierung bereit, zunächst noch mit Vorbehalten, insofern die „einfachen, unbelasteten Nazimitglieder .. durch ihre Arbeit und ihr Handeln beweisen [sollen], daß sie mit dem Geist der Nazipartei endgültig gebrochen haben, dann erst können sie als Gleichberechtigte behandelt werden“ (Dahlem 1945, S. 260). Im weiteren Verlauf aber macht sich eine sich senkende Toleranzschwelle bemerkbar (s. Pieck 1947, S. 126; Bolz 1948, S. 18 f.). Sprachlicher Ausdruck dieser Haltung sind ebenfalls Formulierungen wie einfache/unbelastete Nazimitglieder, ehemalige einfache Mitglieder, nicht an den Verbrechen der Nazis beteiligt.
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Der Schuldbegriff als selbstbezogene Kategorie der am Schulddiskurs beteiligten geistigen Elite ist das Resultat einer Selbstprüfung und bezieht sich auf die Erkenntnis, versagt zu haben. Die Diskursbeteiligten sind von ihrer eigenen moralischen Schuld überzeugt (s. Harich 1947, S. 161). Dulden, Schweigen, Wegsehen, Nichtstun, auch das Versäumnis, die Jugend ausreichend gegen Einflüsse des Nationalsozialismus geschützt zu haben (s. Steltzer 1945, S. 29 f.) sind Erscheinungsformen dieser als Versagen bezeichneten moralischen Schuld, zu denen sich die Nichttäter aus der Wir-Perspektive bekennen (s. Zuckmayer 1946, S. 98 f.). Die politische Linke (ÕAntifaschist) ist zu dieser Selbstprüfung bereit (s. KPD 1945, S. 16 und dazu den Kommentar Schumacher 1945a, S. 280; Abusch 1946, S. 256 f.), ebenso prüfen sich z. B. Dichter (s. Steinhoff 1947, S. 162 f.; Kerckhoff 1947a) sowie Angehörige der evangelischen Kirche und (protestantische) Christenmenschen. Deren Bekenntnis lautet in der Formulierung des Mitglieds der Bekennenden Kirche Gustav Heinemann: „Es ist nicht zuletzt unser Versagen, dass es so werden konnte“ (Heinemann 1949, S. 42). Man wirft sich vor, die „brutale Ernsthaftigkeit“ des Totalitätsanspruchs dieses Staates „unterschätzt“ zu haben: „Hier ist die Kirche doch einfach wie blind gewesen .. wir haben die Dinge immer verharmlost“ (Dehn 1946, S. 37), und man hält der eigenen Institution vor, „wie wenig sie das Widergöttliche und das Widerchristliche dieser Bewegung erkannt und wie wenig Widerstand sie ihm bis zu diesem Zeitpunkt geleistet“ habe (Fuchs 1948, S. 37). Verkannt zu haben, was vor sich ging, ist zentrales Schuldargument: Es ist die Schuld der Kirche, daß sie nicht das rechte Wort zur rechten Zeit gesagt hat, Sofern der Rassenhaß unter uns gehegt oder doch ohne ernstlichen Widerstand geduldet worden ist, sind wir mitschuldig geworden (s. Harbsmeier 1946, S. 43 f.; Synode 1948, S. 544). Im Gefolge des Barmer Bekenntnisses von 1934 gibt die Stuttgarter Erklärung den Impuls für die kirchlichen Selbstbezichtigungen (s. Stuttgarter Erklärung 1945, S. 72). Die EKD hat sich damit einerseits Respekt verschafft, bei denen jedenfalls, für die ein öffentliches Bekenntnis eine Befreiung darstellte, andererseits war das Bekenntnis auch heftig umstritten, wiederum einerseits, weil man darin ein Zugeständnis an die Kollektivschuldthese zu erkennen vermeinte, andererseits, weil „ein Schuld bekennendes Wort zur Ermordung der europäischen Juden fehlte“ (Reichel 2001a, S. 70; vgl. außerdem Besier/Sauter 1985; Greschat 1985; Conzemius/Greschat/Kocher 1988). Das Ergebnis der selbstbezoge-
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nen Schuldanalyse der Stuttgarter Erklärung nicht mutiger .., nicht treuer .., nicht fröhlicher .., nicht brennender .. drückt sich auch aus in den gleichbedeutenden Formeln nicht genug (s. Tellenbach 1946, S. 18) und zu wenig (s. Harich 1947, S. 161). Der dritte Aspekt des Schuldbegriffs bezieht sich auf das deutsche Volk und beantwortet die Frage, worin die Schuld der Deutschen als Masse (ÕMasse) besteht: das Bewußtsein und die Scham, daß das deutsche Volk einen bedeutenden Teil Mitschuld und Mitverantwortung für den Krieg und seine Folgen trägt, Der Nationalsozialismus würde die Deutschen endgültig überwunden haben, wenn sie nicht die ungeheure Schuld erkennen, die sie auf sich geladen haben (s. KPD 1945, S. 15 f.; Röpke 1948, S. 67 f.). Man konstituiert einen Begriff, der die Mitschuld der Deutschen bezeichnet und der von den mit wirklicher Schuld beladenen Verbrechern abgrenzt: wir müssen die Schuldfrage vom ganzen Volk stellen, die Schuld in der Masse, die Mitverantwortung und Schuld des deutschen Bürgertums, Die Schuld der Deutschen ist eine andere als diejenige der Nationalsozialisten (s. Steltzer 1945, S. 32; Windisch 1946, S. 14 f.; Plank 1946, S. 5 f.; Meinecke 1946, S. 36; Röpke 1948, S. 67 f.). Zu dieser Grenzziehung konstituiert die Diskursgemeinschaft mit Bezeichnungen wie (politischer) Irrtum (s. Steltzer 1945, S. 34 f.; Kogon 1947b, S. 247 f.; Kogon 1947b, S. 254), Verirrung (s. Kaiser 1945, S. 193 f.), Irren (s. Kaiser 1946c, S. 185), Irrweg (s. Gablentz 1949, S. 155) einen Schuldbegriff, der eine deutsche Schuld nicht leugnet und der gleichzeitig den Deutschen eine Zukunft erlaubt. Die Konstruktion der mitschuldigen Deutschen schafft die Notwendigkeit zu differenzieren und nachzuweisen, worin diese Schuld und Verantwortung beim Einzelnen besteht und womit sich ein Reden in dieser Kategorie überhaupt rechtfertigen lässt. Die Parteien führen dazu einen Diskurs, um Quantum und Qualität dieser Masse zu umgrenzen. Die parteiliche Diagnose dient zur Positionsbestimmung und zur Entlastung derjenigen, denen man sich aus Gründen des Parteiprogramms jeweils verpflichtet fühlt. Während Schumacher bei seiner Analyse unerbittlich darauf beharrt, Schuld bei der Funktionselite und vor allem bei einer großen Gruppierung festzumachen, die dumpf-unpolitische ebenso wie vom Nationalsozialismus begeisterte Deutsche umfasst und die Arbeiterschaft ausdrücklich auszunehmen (s. Schumacher 1945c, S. 216 f.), lenkt hingegen sein politischer Antipode, der Pragmatiker Adenauer, in seiner programmatischen Rede vom 26. März 1946 im Gegenteil den Fokus ausdrücklich auf die breiten Schichten der
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Bevölkerung (s. Adenauer 1946, S. 140; vgl. zu dieser Rede auch Herf 1998, S. 253 ff., Baumgärtner 2001, S. 119 ff.). Im Gründungsaufruf der KPD (s. KPD 1945, S. 15 f.) gebrauchen Kommunisten die Formulierungsalternative breite Bevölkerungsschichten und ebenso wie Schumacher und Adenauer beziehen auch Kommunisten die militaristische geistige Disposition in ihren Schuldbegriff mit ein (militaristischer Geist, Militarismus) (ÕMilitarismus). Die Analysen machen deutlich, dass die Nichttäter überzeugt sind von einer moralischen und politischen Schuld, von der sich kaum ein Deutscher freisprechen kann: Die Mitschuld großer Volksteile an der Blutherrschaft der Nazis, Groß war die Zahl jener Deutschen, die willenlos der Hitlerpolitik folgten und sich damit mitschuldig gemacht haben, daß jeder Deutsche in irgendeiner Weise schuldig ist, daran kann kein Zweifel sein, Schuld aller Deutschen? Wir sind alle schmutzig geworden, Gesamtschuld, von der sich nur eine Minderheit des deutschen Volkes freisprechen kann, das deutsche Volk steht in einer tiefen Schuld gegen andere Völker (s. Schumacher 1945c, S. 216 f.; Kommuniqué 1945, S. 92; Ulbricht 1945b, S. 428 f.; Deiters 1945, S. 8 f.; Kaschnitz 1945, S. 98 f.; Jaspers 1946, S. 171–173; Heuss 1946b, S. 189; Kuhn 1946, S. 6 f.; Kuhn 1946, S. 42–46; Röpke 1948, S. 76–78; Röpke 1948, S. 113–117; Weizsäcker 1949, S. 155 f.; Schoeps 1950, S. 32). Auch in diesem Zusammenhang zeigt sich, dass die Schuldanalyse der Diskursbeteiligten die Auseinandersetzung mit dem vermeintlichen Vorwurf einer deutschen Kollektivschuld ist (s. Heuss 1949a, S. 100 f., ÕScham). Während sie diesen Vorwurf zurückweisen und dabei das Wort Kollektivschuld stigmatisieren, gebrauchen sie zur Erfassung ihres Analysebefundes Bezeichnungen wie Schuld aller Deutschen, unsere Schuld, Schuld der Masse, selbst verschuldet, Gesamtschuld, Riesenschuld, die wir alle trugen (s. Steltzer 1945, S. 32; Jaspers 1946, S. 171–173; Jaspers 1946, S. 177; Heuss 1946b, S. 189; Kuhn 1946, S. 42–46; Ritter 1946, S. 44 f.; Windisch 1946, S. 14 f.; Schneider 1947, S. 13 f.; Wiechert 1948, S. 382; Kolbenhoff 1949, S. 91 f.; Ritter 1954, S. 402 f.). Den Diskursbeteiligten ist also eine allgemeine Schuld der Deutschen bewusst und sie geben eine Schuld der Masse zu, vermeiden aber gleichzeitig den Gebrauch des Ausdrucks Kollektivschuld (s. Röpke 1948, S. 64; Gablentz 1949, S. 38 f.). Die Verantwortlichkeit für diese Schuld belassen sie jedoch nicht nur beim Volk der Deutschen, sondern lenken sie auch ab, z. B. mit Formulierungen, die die schuldhaften Handlungsanteile der Nazi-
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Führung zuschreiben: Schuld, die ein verbrecherisches Regime dem deutschen Volk aufgebürdet hat, durch die Schuld Hitlers, Hitler hat unser Volk mit schwerer Schuld beladen, Man ließ Hunderttausende schuldig werden, Schuld, die ein verbrecherisches System auf die Schultern unseres Volkes geladen hat (s. SPD 1945, S. 28; KPD 1945, S. 14; Steltzer 1945, S. 33; Dahlem 1945, S. 254; Eckert 1946, S. 143; Kaiser 1946c, S. 185; Köhler 1947, S. 31 f.; Löbe 1949b, S. 2). Einen weiteren Schuldaspekt stellen kollektive mentale Dispositionen dar: Daß in den geistigen Bedingungen des deutschen Lebens die Möglichkeit gegeben war für ein solches Regime, dafür tragen wir alle eine Mitschuld (s. Ulbricht 1945b, S. 428 f.; Ulbricht 1945b, S. 435 f.; Deiters 1945, S. 8 f.; Jaspers 1946, S. 177; Müller-Armack 1949, S. 72 f.). Diese kollektiven mentalen Dispositionen drücken die Nationalstereotype ÕMilitarismus (ÕGehorsam), ÕIdealismus, Õpolitische Unreife aus, die aus der Sicht der Nichttäter der Entstehung des Nationalsozialismus förderlich waren und die dessen Bestand im deutschen Volk erklären. Diese Nationalstereotype dienen also zur Beantwortung der Frage, was die Deutschen als Deutsche, die Zuschauer, Mitläufer, Wähler, was die Masse zum Nationalsozialismus disponierte. In diesem entkriminalisierten Kontext des Schuldbegriffs gilt das Schuldprinzip, nämlich das Prinzip der einer Schuld entsprechenden ÕStrafe nicht. Auf der Ebene dieser Schuld heißt die Entsprechung ÕSühne: Jede Schuld verlangt Sühne, Gewiß verlangt jede Schuld Sühne. Sühne ist aber etwas anderes als Rache, Moralisch schuldig sind die Sühnefähigen, Deutschland muß durch die Sühne seiner Schuld zur Mater occidentalis zurückfinden, Für solche Typen kann es den Begriff echter Schuld und folglich Sühne gar nicht geben, das nüchterne Wissen, daß Schuld auch Sühne fordere (s. CDU 1945, S. 12; Steltzer 1945, S. 34 f.; Jaspers 1946, S. 163–169; Naumann 1946, S. 2; Kogon 1947a, S. 292; Heuss 1954, S. 13 f.). Im Zuge dieser Analyse verweist man gleichzeitig auf diejenigen Nationaleigentümlichkeiten der Deutschen, die ihre Rehabilitierung erlauben (Õdeutsch, ÕVolk) und deren Erneuerung im Sinn einer Selbstwiederfindung (s. NDPD 1948, S. 644) als ÕAufgabe der Deutschen bezeichnet wird (ÕHaltung). Außerdem stellt man sich in die Tradition der kulturellen bzw. religiösen Werte des ÕAbendlands (s. Naumann 1946, S. 2; Dirks 1946, S. 193), ÕChristentums (s. CDU 1945, S. 11; Dirks 1946, S. 193; Süskind 1954, S. 24 f.) und ÕHuma-
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nismus (s. NDPD 1948, S. 644), die Wiederanschluss verheißen. ÕGeist und ÕKultur sind weitere Leitwörter dieses Diskurssegments. Eine Erklärung für die Tatsache, dass sich das wahre Deutschtum, das eigentliche Wesen der Deutschen (s. Dirks 1946, S. 193) zur Zeit des Nationalsozialismus nicht durchsetzen konnte, dass die Deutschen von ihrem eigentlichen Wesen abgefallen seien (s. Steltzer 1945, S. 34 f.), verdichtet sich in der Vorstellung von einer Missachtung des gesetzmäßigen Wesens des wahren Deutschen (s. Nossack 1945, Tagebücher 1943–1977, S. 64–66) und in der Metapher Õverschüttet. Im Bedeutungs- und Begriffsnetz des Schuldbegriffs bezeichnen weiterhin ÕReinigung (s. Schneider 1945, S. 214; Reger 1945, S. 40; Jaspers 1946, S. 209 f.; Eckert 1946, S. 3; Steltzer 1946, S. 143; Spranger 1947, S. 18), ÕKatharsis (s. Reger 1945, S. 40) und ÕGesundung (mit dem Gegenkonzept Õkrank, s. Spranger 1947, S. 35; Weizsäcker 1949, S. 218) die Voraussetzungen für die innere Umkehr der Deutschen und damit für ihre Rehabilitierung und Reintegration in die Völkergemeinschaft. Die Selbstverpflichtungen (ÕPflicht) auf ÕVerantwortung, ÕHaftung und ÕWiedergutmachung (s. Deiters 1945, S. 9; Jaspers 1946, S. 171–173; Jaspers 1946, S. 209 f.; Hagelstange 1947, S. 251; Röpke 1948, S. 113–117) sollen diese Umkehr belegen: die Folgen der Schuld: Jeder Deutsche hat teil an der politischen Haftung. Er muß mitwirken an den Wiedergutmachungen, Schuld im Bereiche der öffentlichrechtlichen Haftpflicht. Auf der politischen Ebene stellen die Nichttäter eine argumentative Verbindung her zwischen Schuld und ÕFrieden, ÕFreiheit und ÕDemokratie, indem sie die künftige Entwicklung Deutschlands zu einem demokratisch-freiheitlichen bzw. antifaschistisch-demokratischen (ÕAntifaschist) und friedlichen Staat von der Klärung und Aufarbeitung der Schuld der Deutschen abhängig machen (s. CDU 1945, S. 11; Grimme 1945c, S. 54 f.; Schumacher 1945b, S. 253 f.; Eckert 1946, S. 181; Grimme 1946d, 93; Pieck 1947, S. 123–125; NDPD 1948, S. 644; FDP 1949, S. 284): Aus dem Chaos von Schuld und Schande kann eine Ordnung in demokratischer Freiheit nur entstehen, wenn wir uns auf die Kräfte des Christentums besinnen, Demokratie und Mitschuld sind zwei Begriffe, in denen sich die Zukunft und die Vergangenheit wie in einem Brennpunkt auffangen. Opfer Ach, Anni, nun ist das Schlimmste doch wahr geworden. – Alle die kleinen Geschenke, die ich meinen Lieben bringen wollte, bleiben mir nun. Es gibt kein Grab. Nichts,
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nichts. So schwer ist es mir noch nie gefallen, zu leben. Aber das Kind … und die Schuldigen! Ich werde sie suchen! Und finden! Und treffen! Verstehst Du, daß ich Dir in dieser Stunde nichts weiter schreiben kann? – Vier Kakteenstöcke meiner Mutter haben das Jahr überlebt. Sonst ist alles tot. Frieder. (Schlotterbeck 1945a, S. 254) Ich erzähle sie [meine Geschichte] jenen, die immer noch fassungslos sind und hoffen, alles Geschehene sei nur ein wüster Traum; jenen, in deren Köpfen die Ahnung einer großen Schuld dämmert: – die Schuld der Gleichgültigkeit und der Tatenlosigkeit. Ich erzähle sie allen, die guten Willens sind und nach dem Weg der Wiedergeburt des deutschen Volkes suchen, einer Wiedergeburt, die das Ende der Herren sein muß, damit das Volk leben kann. Und das ist die Mahnung der Toten an uns, die Überlebenden, an die in einem blutigen, opfervollen Kampf mündig Gewordenen: Es soll ein Gericht sein und Recht gesprochen werden!/Doch das Volk muß dabei sein, denn ohne das Volk sind die/Schuldigen weder zu finden noch zu überführen, und das/Urteil wird nicht gerecht sein. (Schlotterbeck 1945b, S. 3 f.) Zwölf Jahre lang schrien die Nazis vom Untermenschentum, das sie in den K.Z.’s gefangen hielten und ausrotten würden – und Millionen plapperten es gedankenlos nach. Zwölf Jahre lang predigten die Nazis den Rassenhaß und das Recht der Ausrottung von Rassen und Nationen – und mancher Deutsche hat sich unschuldig mit vergossenem Blut besudelt. Zwölf Jahre lang rechtfertigten die Nazis jedes Verbrechen mit dem Kommunistenschreck – und Millionen beugten willig ihren Nacken unter das schlimmste Joch. (Schlotterbeck 1945b, S. 21) Wir schwören deshalb vor aller Welt auf diesem Appellplatz, an dieser Stätte des faschistischen Grauens:/Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht. (Eiden 1946, S. 263) an diesen Trümmern tragen nicht nur diejenigen die Schuld, die aktiv mithalfen, um unser Volk in die Katastrophe zu führen, sondern auch alle diejenigen, die passiv beiseitestanden und nicht erkannten, dass auch sie die Verantwortung für die Gestaltung des gemeinsamen Schicksals trugen. Diese „politisch Neutralen“, diese Kleinbürger, die sich damit begnügen, die Lokalzeitung zu lesen und am Stammtisch zu politisieren, die sich darauf beschränkten, bei den Wahlen ihre Stimme für diejenigen abzugeben, die ihnen versprachen, was sie am liebsten hörten, und dann glaubten, ihre Verpflichtungen dem Volke gegenüber erfüllt zu haben. .. diese biederen Bürger .. Wenn ich als Laufjunge durch die Straßen rannte, um den satten Bürgern ihre Zeitschriften zu bringen, wenn ich angeknurrt wurde, weil diese einen Tag verspätet eintrafen, oder weil meine Schuhe nicht sauber waren, wenn ich zu ihnen in ihre spießbürgerlichen Wohnungen trat, wenn sie sich am Telefon beschwerten, weil ihre Zeitschrift auf dem Wege durch den Regen feucht geworden war, dann lernte ich sie alle kennen – den Studienrat, der schulmeisterlich seinen Zeigefinger erhob und fragte: „Wofür bezahle ich mein Geld?“ –, die Geschäftsfrau, die bösartig wurde, wenn ich nicht schnell genug wechseln konnte, und all diese kleinen Bürger, die später mit fliegenden Fahnen Hitler-Anhänger wurden, weil er ihnen die Sicherheit ihrer kleinen Existenz versprach und nichts von ihnen verlangte, als ja zu sagen. Das sind diejenigen, die einen Führer brauchen, weil sie vor der Wirklichkeit den Blick verschließen und nur ihren eigenen Frühstückstisch sehen. Heute sehen sie, wohin sie geführt wurden von ihrem „Führer“. (Eggerath 1947, S. 26 f.) „Walter Prinz, du trägst eine schwere Schuld mit dir herum und bist dir dessen noch nicht einmal bewußt. Ich übersehe die ganzen Folgen dieser Schuld, die du mitträgst, und so lange, wie du und deinesgleichen noch eine Rolle spielen, werden wir nicht
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wieder aus dem Dunkel unserer Zeit herauskommen. Walter Prinz, ich sehe trotz der Beweise, die die Geschichte uns gegeben hat, trotz der bitteren Erfahrungen, die wir machen mussten, führen unsere Wege noch nicht zusammen. Wir werden weiterhin kämpfen müssen, wir auf der einen Seite, und ihr, die ewig Gestrigen, die Schuldigen an unserem Unglück auf der anderen Seite.“ (Eggerath 1947, S. 33) Täter In Nacht und Grauen führte der Mann [Hitler] Deutsche und Juden! In furchtbare Verstrickung von Elend, Not, Schuld, Verbrechen. (Frank 1945/46, S. 37) Meine überaus große Schuld sehe ich darin, daß ich nicht meiner ehrlichen inneren Stimme folgte und Hitler bekämpfte, sondern ihm diente in der doch so vagen Hoffnung, daß er sich einmal zu meinem Ideal bekennen würde. (Frank 1945/46, S. 194) Hier beschuldige ich mich vor Gott und den Menschen, daß ich zwar ehrlich ein reines Ideal vertrat, daß mir aber die Macht Hitlers als Schicksal erschien (Frank 1945/46, S. 194). Der kollektive Massenmord gegen ganze Völker ist aber doch das allergrauenvollste: und Hitler ist dessen schuldig, und zwar gegen die Juden. Mir bleibt als Mitkämpfer des Führers nur eines: nun, da er in entsetzlichstem Schuldbewußtsein sein Testament geschrieben hatte, beging er Selbstmord und floh vor der irdischen Gerechtigkeit. So trat ich in Nürnberg an seiner Statt vor die Richter und sagte, daß ich die Schuld bekenne. Hier gab es kein Feilschen ums Recht, um Zuständigkeit, um Legitimation des Gerichts. Hier gab es nur die demütige Bekennung einer Schuld am Mord von einigen Millionen unschuldiger Menschen, die auf Grund eines gräßlichen Kollektivurteils getötet worden sind. Ich handelte dabei vor allem auch deshalb so, weil man nicht die Handlanger Hitlers bestrafen, seine Mitführer aber sich entschuldigen lassen kann. Und gerade wegen dieses gigantischen Massenverbrechens an den Juden, zu denen die Reihe furchtbarster anderer Untaten, die auf Befehl des Führers oder mit seiner Duldung während dieses Krieges an anderen Völkern geschehen sind, noch dazu kommen, muß die Menschheit um ihrer selbst willen die abschreckendste Bestrafung betreiben. (Frank 1945/1946, S. 391 f.) es gibt eine Pflicht, die lautet: wer die Ehren eines Regimes teilte, hat auch die Schuld dieses Regimes zu teilen (Frank 1945/46, S. 393). Aber abgesehen von alledem habe ich über meine „Schuld“ mit einem Gremium von Siegern nicht zu feilschen und zu handeln. Außerdem fühle ich mich insgesamt schuldig als Teilnehmer an dem Gesamtunternehmen Hitlers, und halte es daher vor meinem, deshalb vor Gott, den Menschen und mir selbst schwer belasteten Gewissen für meine Pflicht, jene Schuld auch für alles dort in Polen Geschehene zu übernehmen, weil ich, überhaupt verstrickt in Hitlers Totalwerk, vielfach in Wort und Werk gefehlt habe. (Frank 1945/1946, S. 404) Auch ich war Antisemit. Auch ich habe mitgeredet. Auch ich trage daher im weiteren intellektuellen Zusammenhang schwere Schuld. Und diese habe ich klar übernommen (Frank 1945/46, S. 411). Wir – und wenn ich nun per »wir« spreche, dann meine ich mich und jene Nationalsozialisten, die mit mir in diesem Bekenntnis einig sind, nicht die Mitangeklagten, für die zu sprechen ich nicht befugt bin – wir wollen nicht in gleicher Weise [wie Hitler durch seinen Selbstmord] das deutsche Volk seinem Schicksal wortlos überlassen. Wir wollen nicht einfach sagen: »Nun seht zu, wie ihr mit dem Zusammenbruch fer-
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tig werden könnt, den wir euch hinterlassen haben!« Wir tragen auch jetzt noch – vielleicht wie nie zuvor – eine große geistige Verantwortung. Wir haben am Anfang unseres Weges nicht geahnt, daß die Abwendung von Gott solche verderblichen, tödlichen Folgen haben könnte und daß wir zwangsläufig immer tiefer in Schuld verstrickt werden könnten. Wir haben es damals nicht wissen können, daß soviel Treue und Opfersinn des deutschen Volkes von uns so schlecht verwaltet werden könnte. So sind wir in der Abwendung von Gott zuschanden geworden und mußten untergehen. Es waren nicht technische Mängel und unglückliche Umstände vor allem, wodurch wir den Krieg verloren haben. Es war auch nicht Unheil und Verrat. Gott vor allem hat das Urteil über Hitler gesprochen und vollzogen über ihn und das System, dem wir in gottferner Geisteshaltung dienten. Darum möge auch unser Volk von dem Weg zurückgerufen sein, auf dem Hitler und wir mit ihm es geführt haben. .. Wir rufen das deutsche Volk, dessen Machtträger wir mit waren, von diesem Weg zurück, auf dem wir und unser System nach Gottes Recht und Gerechtigkeit scheitern mußten und auf dem jeder scheitern wird, der ihn zu gehen versucht oder fortsetzt, allüberall in der Welt! .. Ich habe das Kriegstagebuch über meine Erklärungen und Handlungen in der Stunde abgegeben, die mir die Freiheit nahm. Wenn ich wirklich einmal hart war, dann war ich es in diesem Augenblick der Offenlegung meines Handelns im Kriege, vor allem mir selbst gegenüber. Ich will auf der Welt keine versteckte Schuld unerledigt zurücklassen. Im Zeugenstand habe ich die Verantwortung für das übernommen, für was ich einzustehen habe. Ich habe auch jenes Maß von Schuld anerkannt, das auf mich als Vorkämpfer Adolf Hitlers, seiner Bewegung und seines Reiches trifft. (Frank 1946, S. 437 f.) die riesigen Massenverbrechen entsetzlichster Art, die .. vor allem in Ostpreußen, Schlesien, Pommern und im Sudetenland von Russen, Polen und Tschechen an Deutschen verübt wurden und noch verübt werden, haben jede nur mögliche Schuld unseres Volkes schon heute restlos getilgt. (Frank 1946, S. 438) [Mein] Gewissen [ist] völlig frei von einer solchen Schuld, von einer Beihilfe zum Völkermord .. Der Gedanke an eine physische Vernichtung von Slawen und Juden, also der eigentliche Völkermord, ist mir nie in den Sinn gekommen. (Rosenberg 1946, S. 435) Wenn ich auf mein Tun und Wollen zurückblicke, so kann ich nur schließen: Das einzige, dessen ich mich vor meinem Volke, und nicht vor diesem Gericht, schuldig fühle, ist, daß mein außenpolitisches Wollen ohne Erfolg geblieben ist. (Ribbentrop 1946, S. 428) Hätte ich in diesem Zeitpunkte unter Vortäuschung einer Krankheit mich in die Verantwortungslosigkeit zurückziehen sollen, oder hatte ich die Pflicht, alles aufzubieten und darum zu ringen, daß einer Barbarei ohnegleichen Einhalt geboten werde? Das allein steht hier als meine Schuld zur Entscheidung. (Kaltenbrunner 1946, S. 433) Wenn ich mich irgendwie schuldig gemacht haben sollte, so höchstens in der Richtung, daß ich trotz meiner rein militärischen Stellung vielleicht nicht nur Soldat, sondern doch bis zu einem gewissen Grade auch Politiker hätte sein sollen, was mir aber nach meinem ganzen Werdegang und der Tradition der deutschen Wehrmacht widerstrebte. Dies wäre dann aber eine moralische Schuld gegenüber dem deutschen Volk und kann mich nie und nimmer zum Kriegsverbrecher stempeln; es wäre keine Schuld vor einem Strafgericht der Menschen, sondern eine Schuld vor Gott. (Raeder 1946, S. 446)
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Wenn ich mein Gewissen prüfe, so finde ich keine Schuld da, wo die Anklage sie sucht und behauptet, aber, wo wäre ein Mensch ohne Schuld oder Fehl? Historisch gesehen mag diese Schuld an jenem tragischen 2. Dezember 1932 liegen, als ich nicht versuchte, den Reichspräsidenten mit allen Mitteln zu bewegen, seinen Entschluß vom Vorabende aufrechtzuerhalten trotz Verfassungsbruchs und trotz der Drohung General von Schleichers mit dem Bürgerkrieg. (v. Papen 1946, S. 456) Das menschliche Leben besteht aus Irrtum und Schuld. Auch ich habe in vielem geirrt, auch ich habe mich in vielem täuschen lassen .. Darin ersehe ich meine Schuld. (Funk 1946, S. 441) Es ist meine Schuld, daß ich die Jugend erzogen habe für einen Mann, der ein millionenfacher Mörder gewesen ist (v. Schirach 1946, S. 477). Ich glaubte an die amtlichen deutschen Dementis gegen alle ausländischen Meldungen über deutsche Greueltaten. Mit meinem Glauben verstärkte ich den Glauben des deutschen Volkes an die Sauberkeit der deutschen Staatsführung. Das ist meine Schuld, nicht mehr – nicht weniger. (Fritzsche 1946, S. 463) Ich habe geglaubt, ich habe geirrt und war nicht imstande zu verhindern, was hätte verhindert werden müssen. Das ist meine Schuld (Keitel 1946, S. 431). Meine Herren Richter! Zu Beginn dieses Prozesses bin ich vom Herrn Präsidenten gefragt worden, ob ich mich im Sinne der Anklage schuldig bekenne. Ich habe diese Frage verneint. Das durchgeführte Verfahren und die Beweisaufnahme haben die Richtigkeit meiner damals abgegebenen Erklärung bestätigt. (Streicher 1946, S. 439) hier beginnt eigentlich meine Schuld. Ich war mir klar geworden, daß ich für den Dienst nicht geeignet war, weil ich innerlich mit dem Leben und Treiben im KL, wie es Eicke verlangte, nicht einverstanden war. .. Lange habe ich so gerungen zwischen innerer Überzeugung und Pflichtbewußtsein gegenüber dem Treu-Eid der SS, dem Treugelöbnis zum Führer. (Höß 1947, S. 66 f.) Wie steht es um deine wirkliche Schuld? Wie sieht es mit deinen Sünden aus? Ich bin diesen harten Fragen nicht ausgewichen, die mich in trostlosen Tag- und Nachtstunden immer wieder vor das Tribunal des eigenen Gewissens stellten. Gewissen! Wo war mein Gewissen eigentlich in den letzten Jahren, als es dem Ende zuging, und die Methoden der nationalsozialistischen Staatsgewalt apokalyptische Formen annahmen? Vieles blieb mir nicht verborgen, auch wenn ich persönlich nicht daran beteiligt war. Vieles, gegen das sich das gesunde Empfinden in normalen Zeiten zweifellos aufgelehnt hätte (Pohl 1950, S. 40). Zu dieser Entwicklung [Abkehr von Bindungen, die in der seelischen Tiefenschicht wurzeln und ins Transzendente streben] habe ich durch Unterstützung des Nationalsozialismus beigetragen. Dies zum mindesten ist meine Mitverantwortung, also „Schuld“. Daß ich meinen Irrtum nicht rechtzeitig erkannt habe, macht mich nicht weniger „schuldig“ oder gar schuldlos (Pohl 1950, S. 45 f.). Die in Nürnberg verhandelten Fälle waren politische Prozesse ungewöhnlichen Umfangs und komplizierten Tatbestandes, die trotz der Gründlichkeit und der formellen Korrektheit ihrer Durchführung nicht geeignet sind, in allen Fällen von einer kriminellen Schuld der Angeklagten und einer Berechtigung der vom Gericht verhängten Strafen zu überzeugen. Dies gilt besonders für die überwiegend politischen Prozesse gegen Generale, Industrielle, Diplomaten und Beamte. (Meißner 1950, S. 628) Der Name Hitler ist zu stark mit Blutschuld und Verbrechen belastet, die Zeit seiner Herrschaft zu eng mit der Vernichtung von Millionen von Menschenleben und Exis-
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tenzen, der Zerstörung der deutschen Kultur und der Schändung des deutschen Namens verknüpft, als daß es einer dichterischen Verklärung oder einer phantasievollen Legendenbildung gelingen könnte, diese Erinnerung auszulöschen. Hitler wird immer der Staatsmann bleiben, der das Schicksal und die Zukunft seines Volkes leichtfertig aufs Spiel gesetzt und die größte Katastrophe der Geschichte Europas verschuldet hat. Da aber Hitler und der Nationalsozialismus eine untrennbare Einheit sind, ist auch das Wiederaufleben einer stärkeren nationalsozialistischen Bewegung in Deutschland nicht wahrscheinlich. (Meißner 1950, S. 635) Heute könnte ich mit noch größerer Berechtigung wiederholen, was ich damals den Studenten zurief: „In den großen geschichtlichen Zusammenhängen gibt es keine moralische, sondern nur eine geschichtliche Schuld.“ (v. Papen, 1952, S. 300) Eine der im Richterkollegium vertretenen Nationen, Sowjetrußland, unterhält nicht nur Konzentrationslager, sondern war ebenso schuldig wie Deutschland, Angriffskriege geführt zu haben. (v. Papen 1952, S. 654) manchmal schreckt mich der Gedanke, Hitler selber, wie sehr ich ihn und seine ganze Welt vor Gericht desavouierte, hätte seine helle Freude an dem Angeklagten Albert Speer gehabt. Denn die Gefühlswelt, aus der meine Selbstbezichtigungen kamen, war ganz nazistisch – ich hatte meine Lektion gut gelernt. Nur die Inhalte waren andere. Du bist nichts, deine Schuld ist alles. (Speer 1955, S. 431 f.) Nichttäter Wir sahen zu. Wir wußten von allem. Wir zitterten vor Empörung und Grauen, aber wir sahen zu. Die Schuld ging durch das sterbende Land und rührte jeden einzelnen von uns an. Jeden einzelnen, außer denen, die auf dem Schafott oder am Galgen oder im Lager den Tod statt der Schuld wählten. Wir können zu leugnen versuchen wie es einem feigen Volk zukommt, aber es ist nicht gut, zu leugnen und die Schuld damit zu verdoppeln. (Wiechert 1945, S. 30 f.) Wir, Sie und ich, sind nicht die Schuldigen an diesem Elend (Adenauer 1945, S. 80). Aus dem Chaos von Schuld und Schande, in das uns die Vergottung eines verbrecherischen Abenteurers gestürzt hat, kann eine Ordnung in demokratischer Freiheit nur erstehen, wenn wir uns auf die kulturgestaltenden sittlichen und geistigen Kräfte des Christentums besinnen und diese Kraftquelle unserem Volke immer mehr erschließen. (CDU 1945, S. 11) Groß ist die Schuld weiter Kreise unseres Volkes, die sich nur allzu bereitwillig zu Handlangern und Steigbügelhaltern für Hitler erniedrigten. Jede Schuld verlangt Sühne. Mit den Schuldbeladenen leidet auch die große Zahl der Deutschen, die ihren Schild reinhielten. Sie vermochten sich gegen Gewalt und Terror nicht durchzusetzen. Kämpfer echter demokratischer Gesinnung, evangelische und katholische Christen, zahllose jüdische Mitbürger, Männer und Frauen aus allen Schichten des Volkes litten und starben unter diesem Terror. Im Geiste ihres Vermächtnisses, geeint durch die gleiche Liebe zu unserem Volke erkennen wir unsere Pflicht, mit diesem Volke den Weg der Sühne, den Weg der Wiedergeburt zu gehen. (CDU 1945, S. 12) Das furchtbare Ausmaß von Unrecht, das die Hitlerzeit gebracht hat, verpflichtet die Schuldigen und ihre Helfershelfer unnachsichtig, in strenger Gerechtigkeit, jedoch ohne Rachsucht, zur Rechenschaft zu ziehen. (CDU 1945, S. 12) Dieses Schuldbekenntnis [der Kommunisten] ist vor dem Richterstuhl der Geschichte überhaupt kein Schuldbekenntnis, denn es beklagt nur, daß die Methoden
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der spezifischen kommunistischen Politik vor 1933 nicht erfolgreicher gewesen sind. .. Das echte Schuldbekenntnis der Kommunisten könnte nur darin liegen, daß sie ihre große Schuld am Aufkommen des Faschismus in ihrer Bekämpfung der Demokratie, in ihrem Gerede von den „Sozialfaschisten“, in ihrer Erklärung der Sozialdemokratie zum Hauptfeind, in ihrer Lehrmeinung, daß in Deutschland erst durch die Herrschaft des Faschismus eine „objektiv revolutionäre Situation“ entstehen könne, vor der deutschen Öffentlichkeit eingestehen würden. Aber davon ist mit keiner Silbe die Rede. (Schumacher 1945a, S. 280) Unübersehbar ist das Trümmerfeld, unvorstellbar das Elend, unheilbar das Leid. Der deutsche Name ist besudelt durch die Konzentrationslager, die Judenverfolgungen, die Barbarei der Kriegführung, die Plünderungen und Sklavenjagden in den besetzten Gebieten. Das eigene Volk ist ausgeblutet. Die Wirtschaft ist zerstört, ihre Substanz geschwunden. Das Land ist krank bis ins Mark. Die einfachsten und selbstverständlichsten Anforderungen des täglichen Lebens sind schier unlösbare Probleme geworden. Die Stunde der großen Umkehr ist da! Aber an den Trümmern des von ihnen selbst zerstörten Vaterlandes stehen die vielen Unbelehrbaren und klagen an. Wie nach 1918 sehen sie nicht die Größe ihrer eigenen Schuld, belügen sich selbst und vergiften das Volk und vor allem die Jugend mit neuen Dolchstoßlügen. Die Bankrotteure möchten jetzt wieder die Verwalter des Konkurses haftbar machen. Viel zu viele haben in dem großen Räuberstaat, in dem das Recht zu plündern, zu stehlen und ungestraft Verbrechen zu begehen, streng nach Rang und Geltung abgestuft war, ihr gewissenloses Schmarotzerdasein geführt. Darauf können und wollen sie nicht verzichten. Mit beispielloser Feigheit und Gesinnungslosigkeit beteuern sie, niemals Nazis gewesen zu sein. Aber jeder Wille zur Einkehr und zu einer neuen Ordnung fehlt ihnen. Sie hoffen nur für ihre Person auf die Toleranz und Menschlichkeit derjenigen, denen sie selbst in den letzten zwölf Jahren niemals Menschlichkeit gezeigt haben. (Schumacher 1945b, S. 252) Für uns demokratische Sozialisten ist die Demokratie ein unverrückbares und unverzichtbares Prinzip. Sie ist uns nicht und kann uns nicht sein eine Frage der taktischen Schlauheit oder der opportunistischen Angleichung. Weil die Gegner der Demokratie die Volkssouveränität mißachteten, weil sie eine Regierung zuließen, die sie nicht kontrolliert haben, wird Deutschland jetzt von anderen Mächten kontrolliert. Die Demokratie im neuen Deutschland darf sich nicht auf das Politische beschränken, sie muß das ganze gesellschaftliche und kulturelle Leben durchdringen, muß bis zur letzten Konsequenz die große Selbstverständlichkeit im Leben unseres Volkes werden. Das Deutsche Reich muß als staatliches und nationales Ganzes erhalten bleiben! Wir können und wollen nicht verzichten auf das fundamentale Grundrecht, das die Welt jedem Volke zubilligt. Wir Sozialdemokraten sind die Todfeinde aller Ablösungsbestrebungen, die um angeblicher Tagesvorteile willen und wegen des Eigennutzes und der Ehrsucht bankrotter Reaktionäre betrieben werden. Das demokratische Reich kann nur eine Republik sein. Die deutschen Fürsten und ihre Hausmachtpolitik sind vor der Geschichte die Schuldigen an all dem Unheil, das ein zu spät geeintes Deutsches Reich durch Militarismus, Angriffslust und Imperialismus über die Welt gebracht hat. Mit den Fürsten können in Deutschland weder Demokratie noch Reichseinheit erhalten werden. (Schumacher 1945b, S. 253 f.) Man empfindet einen geradezu körperlichen Ekel, wenn man sieht, wie Vertreter dieser Kreise die von dem Gefühl ihrer historischen Schuld einfach zerquetscht sein müßten, sich für ihre armselige Person von der Verantwortung zu drücken ver-
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suchen. Was soll man z. B. dazu sagen, wenn der amerikanische Rundfunk berichtet, daß ein Generaldirektor der Krupp-Werke jede Verantwortung für sich und sein Unternehmen ablehnte. Oder wenn der neben Hitler unheilvollste Deutsche, der Herr von Papen, bei seiner Verhaftung fragte: „Was wollen Sie von mir altem Mann?“ Als ich davon hörte, habe ich von ganzem Herzen bedauert, daß ich nicht in der Presse einen Artikel schreiben konnte, der mit den Worten hätte enden müssen: ‚Wir verlangen den Kopf dieses Mannes!‘ (Schumacher 1945c, S. 212 f.) Für die innere Aufbauarbeit, wie auch für die Aussöhnung der Welt mit den Deutschen, ist die Schuldfrage von größter Bedeutung. Es handelt sich um die Ausrottung und Unschädlichmachung aller materiellen und ideellen Kräfte, welche die Katastrophe heraufbeschworen haben. In dem Chor der zahlreichen Stimmen, die jetzt plötzlich von dem Verschulden des deutschen Volkes sprechen, machen sich auch solche bemerkbar, die früheren Vertretern der Gewaltpolitik und des Militarismus gehören. Das ist soweit begrüßenswert, nur mögen sie für sich und ihre Kreise sprechen und nicht die Schuld auf Menschen und Richtungen ausdehnen, die stets in Todfeindschaft zu den Nazis gestanden haben. Wenn diese Exmilitaristen nämlich vom Verschulden des ganzen deutschen Volkes sprechen, dann beginnt damit bereits die große Lüge und das unehrliche Verstecken hinter einem breiteren Rücken. (Schumacher 1945c, S. 215) Dieser bequeme Egoismus wäre Schuld genug. Aber die eigentliche Schuld dieser Menschen ist eine politische. Sie haben zugelassen und gefördert, daß eine in Fähigkeiten und Charakter ungeprüfte Horde von Abenteurern die Macht an sich gerissen hat, und sie haben diese Horde unkontrolliert wirtschaften lassen. Die Mitschuld großer Volksteile an der Blutherrschaft der Nazis liegt in ihrem Diktatur- und Gewaltglauben! (Schumacher 1945c, S. 216 f.) Unser armes gequältes Volk muß durch die Schuld Hitlers durch unsägliches Elend und ein tiefes Tal des Leides gehen (SPD 1945, S. 28). wir [haben] kein Recht, alle Schuld auf die bösen Nazis zu schieben (Niemöller 1945a, S. 16). Die entscheidend Schuldigen verantwortlich machen? Ja. Rache an weniger Verantwortlichen, an deren Familien, Frauen, Kindern nehmen? Nein. Bestrafung durch ebenfalls unmenschliche Mittel? Nein, ein entschiedenes Nein. Verantwortlich machen bedeutet für die zur Verantwortung Gezogenen, daß sie sich verantworten dürfen. (Maier 1945, S. 261 f.) statt zu sagen: Es prüfe sich jeder Deutsche, ob er immer so gewissenhaft und so stark gewesen ist, wie er hätte sein können und sein sollen, und ob er also nicht moralisch mitverantwortlich ist für die Existenz und die Beharrlichkeit des Systems, sagt sie [Ihre Propaganda] einfach kategorisch: Ihr alle seid mitschuldig, und wenn gefragt wird wieso? – so lautet die Antwort: Weil ihr die Herrschaft Adolf Hitlers „zugelassen“ habt. Aber soll das denn heißen, jeder einzelne hätte die Pflicht gehabt, Verschwörungen anzuzetteln – Aufstände hervorzurufen – Attentate zu begehen und weder sein noch seiner Mitbürger Leben zu schonen, bis das Regime gestürzt war? (Ebbinghaus 1945a, S. 160 f.) was die Schuld betrifft, [sollten wir uns] vorerst auf uns selbst .. beschränken und nicht etwa .. sagen, daß auch andere schuldig seien. (Schneider 1945, S. 213 f.) die gewissenlosen Abenteurer und Verbrecher, .. die Hitler und Göring, Himmler und Goebbels, die aktiven Anhänger und Helfer der Nazipartei .. die Träger des reaktionären Militarismus, die Keitel, Jodl und Konsorten .. die imperialistischen
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Auftraggeber der Nazipartei, die Herren der Großbanken und Konzerne, die Krupp und Röchling, Poensgen und Siemens. Eindeutig ist diese Schuld (KPD 1945, S. 14). Das Hitlerregime hat sich als Verderben für Deutschland erwiesen; denn durch seine Politik der Aggression und der Gewalt, des Raubes und des Krieges, der Völkervernichtung hat Hitler unser eigenes Volk ins Unglück gestürzt und es vor der gesamten gesitteten Menschheit mit schwerer Schuld und Verantwortung beladen (KPD 1945, S. 14). in jedem deutschen Menschen [muß] das Bewußtsein und die Scham brennen, daß das deutsche Volk einen bedeutenden Teil Mitschuld und Mitverantwortung für den Krieg und seine Folgen trägt. Nicht nur Hitler ist schuld an den Verbrechen, die an der Menschheit begangen wurden! Ihr Teil Schuld tragen auch die zehn Millionen Deutsche, die 1932 bei freien Wahlen für Hitler stimmten, obwohl wir Kommunisten warnten: ‚Wer Hitler wählt, der wählt den Krieg!‘ Ihr Teil Schuld tragen alle jene deutschen Männer und Frauen, die willenlos und widerstandslos zusahen, wie Hitler die Macht an sich riß, wie er alle demokratischen Organisationen, vor allem die Arbeiterorganisationen, zerschlug und die besten Deutschen einsperren, martern und köpfen ließ. Schuld tragen alle jene Deutschen, die in der Aufrüstung die „Größe Deutschlands“ sahen und im wilden Militarismus, im Marschieren und Exerzieren das allein seligmachende Heil der Nation erblickten. Unser Unglück war, daß Millionen und aber Millionen Deutsche der Nazidemagogie verfielen, daß das Gift der tierischen Rassenlehre, des ‚Kampfes um Lebensraum‘ den Organismus des Volkes verseuchen konnte. Unser Unglück war, daß breite Bevölkerungsschichten das elementare Gefühl für Anstand und Gerechtigkeit verloren und Hitler folgten, als er ihnen einen gutgedeckten Mittags- und Abendbrottisch auf Kosten anderer Völker durch Krieg und Raub versprach. (KPD 1945, S. 15 f.) Wir deutschen Kommunisten erklären, daß auch wir uns schuldig fühlen, indem wir es trotz der Blutopfer unserer besten Kämpfer .. nicht vermocht haben, die antifaschistische Einheit .. entgegen allen Widersachern zu schmieden. (KPD 1945, S. 16) Jetzt gilt es, gründlich und für immer die Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. Ein ganz neuer Weg muß beschritten werden! Werde sich jeder Deutsche bewußt, daß der Weg, den unser Volk bisher ging, ein falscher Weg, ein Irrweg war, der in Schuld und Schande, Krieg und Verderben führte! (KPD 1945, S. 17) Vollständige Liquidierung der Überreste des Hitlerregimes und der Hitlerpartei. Mithilfe aller ehrlichen Deutschen bei der Aufspürung versteckter Naziführer, Gestapoagenten und SS-Banditen. Restlose Säuberung aller öffentlichen Ämter von den aktiven Nazisten. Außer der Bestrafung der großen Kriegsverbrecher, die vor den Gerichten der Vereinten Nationen stehen werden, strengste Bestrafung durch deutsche Gerichte aller jener Nazis, die sich krimineller Verbrechen und der Teilnahme an Hitlers Volksverrat schuldig gemacht haben. Schnellste und härteste Maßnahmen gegen alle Versuche, die verbrecherische nazistische Tätigkeit illegal fortzusetzen, gegen alle Versuche, die Herstellung der Ruhe und Ordnung und eines normalen Lebens der Bevölkerung zu stören. (KPD 1945, S. 18) Hitler hat Deutschland in die tiefste Katastrophe seiner Geschichte gestürzt. Die Kriegsschuld Hitlerdeutschlands ist offenkundig. Weite Kreise des deutschen Volkes waren dem Hitlerismus und seiner Ideologie verfallen und haben seinen Eroberungskrieg bis zum furchtbaren Ende unterstützt. Groß war die Zahl jener Deutschen, die willenlos der Hitlerpolitik folgten und sich damit mitschuldig gemacht haben. So
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hat Hitler unser ganzes Volk in ein Chaos von Schuld und Schande gestürzt. (Kommuniqué 1945, S. 92) Die Tragödie des deutschen Volkes besteht darin, daß es einer Bande von Verbrechern gehorcht hat. Das ist das Furchtbarste! Die Erkenntnis dieser Schuld ist die Voraussetzung dafür, daß unser Volk endgültig mit dem reaktionären Vergangenen bricht und entschlossen einen neuen Weg geht. Die Mitverantwortung unseres Volkes besteht darin, daß es zugelassen hat, daß die eroberungssüchtigsten, raubgierigsten Kräfte in Deutschland, die Nazibürokratie und die großen Rüstungsindustriellen, die volle Staatsmacht in ihre Hände nehmen konnten. Die Mitverantwortung unseres Volkes besteht darin, daß es die Haßpropaganda gegen das französische, polnische, russische und englische Volk zugelassen und der Hitler-Clique erlaubt hat, alle Verträge zu brechen und auch den sowjetisch-deutschen Vertrag zu zerreißen. Die Mitverantwortung unseres Volkes besteht darin, daß es sich leichtgläubig betrügen ließ, daß der alte preußische Geist der Untertänigkeit und des Kadavergehorsams große Massen beherrschte, so daß diese Massen den Befehlen einer Bande von Kriegsverbrechern gehorchten. Die Mitverantwortung besteht darin, daß die Mehrheit unseres Volkes während der zeitweiligen Siege Hitlers der Hitler-Regierung Beifall zollte und sich einbildete, den anderen Völkern überlegen zu sein. (Ulbricht 1945b, S. 428 f.) die Junker, Fürsten und Großgrundbesitzer sollen enteignet und Deutschland von der Ideologie des preußischen Militarismus gereinigt werden. Die aktiven Nazis, die Deutschland in ein Militärzuchthaus verwandelt, die die Tradition des deutschen Militarismus zum barbarischsten Vernichtungsfeldzug gegen die anderen Völker gesteigert hatten, müssen von den deutschen Gerichten hart abgeurteilt werden. Die großindustriellen Kriegsverbrecher aber werden von den Gerichten der alliierten Mächte für ihre politische, moralische und materielle Schuld am Kriege und für ihre Verbrechen ihre Strafe erhalten. (Ulbricht 1945b, S. 435 f.) Kein Mensch soll diese unsere Jugend zu schmähen wagen, die im guten Glauben gehandelt hat. Und es ist die Schuld von uns Älteren, wo sie nicht genügend bewahrt wurde. (Steltzer 1945, S. 29 f.) [wir] können .. nicht nur die Schuld bei Einzelnen suchen und pharisäerhaft mit dem Zeigefinger auf den anderen zeigen, [wir] müssen mit Unerbittlichkeit und Wahrhaftigkeit die Schuldfrage vom ganzen Volk stellen .. ein ganzes Volk [ist] einen falschen Weg gegangen (Steltzer 1945, S. 32). [es] gibt .. manche, die ein höheres Maß von Schuld tragen .. die dem Nationalsozialismus in den Sattel geholfen .. haben .. Weite Kreise von Besitz und Bildung .. deutsche Richter .. Generäle (Steltzer 1945, S. 33). große[..] Schuld .., die ein verbrecherisches Regime vor der Welt dem deutschen Volk aufgebürdet hat (Steltzer 1945, S. 33). So ist das Gericht über das deutsche Volk hereingebrochen. Und es ist unser aller Aufgabe, den Sinn dieses Gerichtes zu erkennen. Noch sträuben sich manche, wenn sie von den schweren Worten Schuld und Sühne hören. Und doch müssen wir um der Gerechtigkeit willen nach ihnen fragen. (Steltzer 1945, S. 33) Um der Opfer willen, deren wir heute gedenken, muß solche Schuld auch gesühnt werden. Wir wissen, daß diejenigen, die sich schwerer Untaten an fremden Völkern schuldig gemacht haben, von jenen Völkern selbst zur Rechenschaft gezogen werden. Mit erwiesenen Verbrechern haben wir nichts gemein. Darüber hinaus sind auch wir verpflichtet, mit allem Ernst an die Bestrafung aller derjenigen heranzuge-
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hen, die schwere Untaten gegen das eigene Volk begangen haben. Es wäre unwürdig und unklug, darauf zu warten, daß auch sie vor ein fremdes Tribunal gezogen werden. An uns selbst liegt es, dieses Richteramt auszuüben. Aber eines muß dabei ausgesprochen werden: nicht kleinliche Rachsucht soll und darf das große Werk der Selbstreinigung beflecken. Wir wollen kein Denunziantentum und keine Willkür unverantwortlicher Stellen. So sehr es nötig ist, die wahren Schuldigen zur unerbittlichen Verantwortung zu ziehen, so sehr müssen wir es auch abweisen, jenen ihre wirtschaftliche Existenz zu vernichten oder sie in unverdiente schwere Not zu stürzen, die vielleicht aus Irrtum oder unter bitterem Zwang und Terror der Nazipartei zugehört haben, sich aber aktivistischer Handlungen enthalten und ihren Schild persönlicher Ehrenhaftigkeit rein gehalten haben. Gewiß verlangt jede Schuld Sühne. Sühne ist aber etwas anderes als Rache. Irregeleitete und Mitläufer sind Menschen, denen gegenüber das Wort zur Geltung kommen muß, daß wahre Gerechtigkeit nur mit Liebe bestehen kann. .. Wir wollen nicht alte Methoden unter neuen Vorzeichen anwenden. Denn wir haben nicht gegen Ungerechtigkeit und grausamen Zwang gekämpft, um uns statt der ersehnten Freiheit einen neuen Zwang aufzuerlegen. Darum müssen wir alle wilden Selbsthilfe-Maßnahmen und jeden Versuch irgendwelchen neuen Terrors im Keime ersticken und uns alle zu dem Grundsatz bekennen, daß dem Volke nur nütze, was recht ist. Eines aber ist vor allem nötig, daß wir Einsicht zeigen gegenüber dem Geschehenen und Trauer gegenüber unserem Abfall von dem eigentlichen deutschen Wesen. Das gilt nicht nur für die früheren Nationalsozialisten, sondern für unser ganzes Volk. Wer nicht einsehen will, daß wir als Volk einen falschen Weg gegangen sind und unsere geschichtliche Aufgabe gegenüber uns selbst und den anderen Völkern verleugnet haben, dem ist vorerst nicht zu helfen. Wer kann aber bestreiten, daß die alten sittlichen Maßstäbe ins Wanken geraten waren, daß Selbstsucht und Unrecht sich unter uns breitmachten und daß wir die Ehrfurcht verloren hatten: vor den Dingen, vor den Menschen und auch vor dem, was über uns ist. Wir können nicht sagen, daß wir nicht gewarnt wurden. Viele unserer besten Geister haben ihre Stimme erhoben. Aber sie wurden überhört. .. Das Gericht ist da. Es ist ein Gericht über uns alle, und wir wollen uns im Hinblick auf die gebrachten Opfer geloben, daß wir aus dieser Erkenntnis einen neuen Anfang suchen. (Steltzer 1945, S. 34 f.) Vor allem müssen wir alle Versuche in ruhiger Weise ablehnen, die unser deutsches Volk für zweitklassig erklären und zu einem Pariavolk herabwürdigen wollen. Denn als Volk brauchen wir uns nicht schlechter zu fühlen als andere Völker. Die erdrückende Mehrheit der deutschen Menschen hat die Verbrechen und Grausamkeiten und auch den Krieg nicht gewollt. Aber unser Volk war ja unfrei gemacht durch eine Regierungsform, die es nicht verstanden hat, an die lebendigen Volkskräfte anzuknüpfen. Und eine unfähige Führungsschicht hat dann alle Schlüsselstellungen dem Nationalsozialismus ausgeliefert. Wie rechtlos und versklavt wir waren, davon kann sich das Ausland auch jetzt noch keine rechte Vorstellung machen. Gewiß sind Passivität und Geschehenlassen eine Schuld. Aber auch wir, die wir die Gefahren klarer sahen und bereit zum Handeln waren, haben keinen Weg gefunden, auf dem sich das Unglück hätte vermeiden lassen. (Steltzer 1945, S. 35) wir werden zu unterscheiden wissen zwischen denen, die als junge Menschen das Nazireich nicht verschuldet haben, sondern es vorfanden und darin aufgewachsen sind, und jenen älteren Generationen, die mit schwerer Schuld beladen, völlige Handlanger Hitlers waren; wir werden zu unterscheiden verstehen zwischen jenen
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nominellen Nazis, die aus Zwang sich beugten und jenen Nutznießern dieses Systems des organisierten Raubes. (Kaisen 1945, S. 16) wir [wissen] uns mit unserem Volk .. in einer Solidarität der Schuld .. wir klagen uns an, daß wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben. (Stuttgarter Erklärung 1945, S. 72) Das redliche Geständnis der Schuld und Mitschuld, der feste Wille zu sühnen, zu reinigen bleiben gewiß nicht allein, solange noch Menschen guten Willens auf Erden sind. (Schneider 1945, S. 214) so furchtbar ist die Erde, überdeckt von Gräbern und Trümmern, von Schuld, die zu verschweigen Feigheit wäre. Ein männlicher Sinn stellt sich der Schuld, sucht sie zu ergründen und zu verstehen. .. das Wort [Schuld] ist da und bestimmt die gegenwärtige Wirklichkeit (Schneider 1945, S. 213). Was das deutsche Volk bis hierher durchlebte, hat sich wie ein antikes Drama abgerollt. Dort schließt sich an die Krisis der Schuld die Katharsis der seelischen und geistigen Reinigung (Reger 1945, S. 40). Die Frage ist heute gestellt worden und wird immer wieder aufgeworfen werden, ob es denn nicht nur unsere Regierenden waren, die daran schuld tragen, und mit ihnen ihre Anhänger, und ob es nicht genügen wäre, sie zur Rechenschaft zu ziehen. Es ist aber von vornherein unwahrscheinlich, daß eine solche reinliche Trennung der Verantwortung zwischen einer Regierung und dem Volk, aus dem sie hervorgegangen ist und das ihr jahrelang gefolgt ist, durchgeführt werden kann. Ein politisches Gebilde wie der Nationalsozialismus muß einen Boden im Volke gefunden haben, um sich aus kleinen Anfängen zu entwickeln und auszuwachsen, bis es zuletzt den ganzen Baum umschlang und fast erstickte. Wohl kann das deutsche Volk nicht zugeben, daß es in seiner Gesamtheit schuldig ist. Große Volksteile haben sich innerlich von der moralischen Zersetzung freigehalten, die das Wesen des Nationalsozialismus ausmacht, und zahlreich sind die Opfer, die im Kampf gegen ihn gefallen sind. Aber sehr große Teile des Volkes sind der Fahne des Nationalsozialismus gefolgt, und zwar in einer Zeit, wo von Zwang noch gar keine Rede sein konnte. Andere haben, wenn auch mit bedrücktem Herzen, geschehen lassen, was im Anfang so leicht zu ändern gewesen wäre. Wir müssen uns eingestehen, daß weit über die Anhängerschaft des Faschismus hinaus in unserem Volke eine große Verwirrung und Trübung des politischen Urteils und des sittlichen Gewissens geherrscht haben. (Deiters 1945, S. 8 f.) Aber gerade weil wir ein Volk bleiben wollen, müssen wir auch die moralische Verantwortlichkeit auf uns nehmen. Wir könnten uns zerstreuen, wie solche, die ihr Heimatland für immer verlassen wollen, und damit uns als Einzelne von der Gesamtschuld lösen, jeder nach seinem persönlichen Bewußtsein und Maß. Aber gerade weil wir das nicht wollen, sondern ein Ganzes bleiben, ein Volk, darum müssen wir solidarisch die Verantwortung auf uns nehmen für das, was in unserem Namen an unerhörten Freveln verübt worden ist. Wir müssen aus eigenem Entschluß versuchen wiedergutzumachen, was möglich ist, und unsere ganze Kraft dafür einsetzen, daß durch Menschen unserer Sprache und unseres Blutes nie wieder dergleichen geschieht. Wir müssen uns vor allem, denn das ist für uns als Erzieher das Entscheidende, in völliger innerer Bereitschaft mit der Gewissensfrage auseinandersetzen, die hier gestellt wird und die lautet: Wie weit ist das deutsche Volk mitschuldig? (Deiters 1945, S. 9) ein verzweifeltes und schuldiges Volk (Kaschnitz 1945, S. 70).
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unermesslich das Schuldkonto, welches sie [die Nazidiktatur] zu Lasten des deutschen Volkes hinterließ (Dahlem 1945, S. 254). Es ist eine vermessene Bescheidenheit, von Schuld zu sprechen. Nur der Mensch tut es. Dieser Erklärungsversuch eines Unglücks zeugt eher für seine Lakaiennatur. Die Ameisen, in deren Haufen ein Mensch mit einem Stock hineinschlägt, werden nicht rufen: Wir haben Schuld! Wir haben Gott beleidigt. Vielleicht, wenn es öfters geschieht, werden sie auswandern und ihren Bau woanders aufrichten. Aber von Gott zu reden, demgegenüber man schuldig wäre, heißt Gott die Schuld zuschieben und Ihm rachsüchtige Motive beilegen. Diese Art Konstruktion eines Gottes blieb nur dem Sklavensinn des Menschen vorbehalten. Wo kein Widerstand ist, weht auch kein Wind. Ich, der ich mit dem Stock in den Ameisenhaufen schlage, empfinde mich nicht als Gott. Ich tue es vielleicht aus Neugier. Aber die Neugier setzt einen Reiz voraus. So eng hängen Tat und Anregung zur Tat zusammen. Vielleicht tue ich es auch aus Zerstörungstrieb. Unbewußt hasse ich die fremde, allzu sichere Ordnung außer mir, mit andern Worten die Vereinzelung des Ameisenstaates. Man muß sich hüten, die Zerstörung und den Zerstörungstrieb im moralischen Sinne mit positiv oder negativ zu werten. Er ist Entladung, Entspannung. Ein Gegenpol muß da sein, damit es dazu kommt. Man kann mit gleichem Recht dem Blitz, der einschlägt, und dem Gegenstand, der da sein muß, damit der Blitz in ihn einschlägt, die Schuld für die Katastrophe zuschieben, und damit wird der Begriff Schuld hinfällig. Das Wort Schuld dürfte man nur im nachträglichen Sinne des Verschuldetseins gebrauchen für etwas Geliehenes, mit dem man vielleicht schlecht umging. Aber besser auch das nicht. Denn was wir einzig klar erkennen können, ist dies: Allem Leben ist der Trieb zur Individualisation eigen – zur Blüte, wenn man so will –, und jede Individualisation bedeutet Abtrennung und Selbstzerstörung oder Selbstverbrauch, die das Leben nicht dulden kann. Es ist eine Schuld, in die wir hineingetrieben wurden und die wir bezahlen müssen. Nur wer nicht damit rechnet – mit dieser Tragik, wenn man so will –, macht sich eigentlich schuldig, obwohl dies Schuldigsein mehr Dummheit ist. Will man also von Gott reden, so darf es nur im Sinne dieser Einheit sein. Einer Einheit wie ein Meer, mit einzelnen Wogen und Schaumköpfen als Blüten, die immer wieder zurückfallen oder vom Meer zurückgenommen werden. Doch wo eine Untiefe ist oder eine Klippe, da entsteht die Katastrophe. – Man muß dies alles nicht als etwas Logisch-Einwandfreies nehmen, sondern als ein [sic] Versuch, mich vorzutasten. Überhaupt, Logik ist immer etwas Posthumes, eine nachträgliche Konstruktion, nie der lebendige Weg. (Nossack 1945, Tagebücher 1943–1977, S. 49 f.) von Schuld [ist] überhaupt nur zu reden, wo ein Bewußtsein der Möglichkeit vorhanden ist. Es kann einer handeln, wie er will, wo das Bewußtsein einer anderen Möglichkeit fehlt, handelt er unschuldig – und wirksam, um es gleich zu sagen, weil er seine einzige Möglichkeit erfüllt. Erst an dem Punkt, wo er scheitert, beginnt auch für ihn der Begriff Schuld oder die Erkenntnis, daß er hätte anders handeln müssen. .. das Bewußtsein unserer Möglichkeit steht außer Zweifel. .. Wir treten mit einem Gesetz an, wir wissen darum und wir werden schuldig, wenn wir davon abbiegen – schuldig gegen uns, d. h. gegen unser Gesetz. (Dies ist übrigens eine typisch deutsche und auch zeitgemäße Betrachtung.) .. Was jedoch selten bedacht wird, ist, daß die Möglichkeit, dies Gesetz nicht zu erfüllen, davon abzuweichen und schuldig zu werden, mit einem Wort das Gesetz der Entartung oder besser die Möglichkeit dazu, auch in dem Gesetz enthalten und uns gegeben sein muß. Religiös gesprochen haben wir die Wahl zwischen verschiedenen Wegen, aber daraus [auf] eine Freiheit des Wil-
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lens zu schließen wäre grundfalsch; denn es befiehlt uns etwas, ebensogut den richtigen wie den falschen Weg zu nehmen. Jeder, der anderes behauptet, tut dies von einem späteren moralischen Standpunkt aus und rechnet nach Erfolg und Ergebnis. Dies darf nie vergessen werden. Man muß annehmen, daß die Natur Versuche macht, ihr Gesetz auch auf anderem Wege zu erfüllen, und daß das, was wir Entartung nennen, nur ein mißlungener Versuch ist. .. Ja, am Ende kommen wir dahin, dankbar zu werden gegen ein Schicksal, das uns die Möglichkeit bietet, schuldig zu werden und damit denen gegenüber, denen nur ein Weg offensteht, auserwählt zu sein, einen neuen Weg zu versuchen. .. Wer jedoch mit dieser Einsicht beginnt, statt mit ihr aufzuhören, der vergeht sich überheblich an der Norm. Denn solange nicht der gegenteilige Beweis geliefert ist, bleibt die schlichte Norm das Maßgebende und das bisher Beste, was die Natur mit ihren Versuchen erreichte. Darum schweige der Mensch, solange er schuldig ist. (Nossack 1945, Tagebücher 1943–1977, S. 64–66) Über alle Maßen groß ist die Schuld hoher Generäle, die in unbegreiflicher Verblendung jenem gewissenlosen Abenteurer Gefolgschaft leisteten und pflichtvergessen auch dann noch bei seiner Fahne blieben, als sie über die sichere Niederlage nicht mehr im Zweifel sein konnten. So haben sie, die berufenen Hüter sauberer soldatischer Tradition, in Wahrheit ihre Soldatenpflicht und Ehre vergessen und mitgewirkt, das deutsche Volk in den tiefen Abgrund zu stürzen. In ihrer Hand hätte es gelegen, als aufrechte Männer mutig dem Massenmörder die beschmutzte Waffe aus der Hand zu schlagen. Sie allein hatten die Macht dazu. Stattdessen sahen sie untätig zu, wie Millionen der besten deutschen Jugend sinnlos auf den Schlachtfeldern verbluteten und ließen sich noch die Brust mit Orden behängen. (Hermes 1945, S. 37) Von Ihnen haben mich besonders entzückt die Aufsätze über das Deutsche Problem (in der »Partisan Review«) und über die Deutsche Schuld. Es war mir, als ob ich die Luft atme, nach der ich mich sehne: Unbefangenheit und Gerechtigkeit und die verborgene, sich selbst fast nicht Sprache gestattende Liebe. Nur so kann man von solchen Dingen reden. (Jaspers 1945, Arendt-Jaspers-Briefwechsel 1926–1969, S. 62 f.) Der Abfall der Welt von Gott, so geistvoll in den Salons der französischen Aristokratie vor 1789 und im Bann der philosophischen Erkenntnisse von Empiristen und Positivisten in England und Frankreich begonnen, hat seine letzten platten Orgien unter der Herrschaft Adolf Hitlers gefeiert. In dieser Zeit sind viele Götzen über die Bühne gezogen: Die Göttin Vernunft hat den Reigen eröffnet, und die Dämonen Macht und Gewalt haben ihn beschlossen. Jeder trägt sein gerüttelt Maß an „Schuld“, auch die Völker, die auf der politischen Bühne der Weltgeschichte nur Statisten waren; jeder Stand, auch die Kirche, jede Disziplin, auch die exakte Naturwissenschaft, die nur der Forschung zu dienen meinte. (Dönhoff 1945, o.S.) Diese Ineinssetzung des Reichs von Staat und Politik mit dem des Sittlichen ist uns nicht mehr gegeben, und der Zusammenbruch des deutschen Reichs in so viel Schmutz und Schuld steigert in vielen der Besten unter uns jene skeptische Zurückhaltung von Burckhardt und Weber zu einer beinahe nihilistischen Ablehnung und Ungläubigkeit gegenüber aller Beteiligung an einem politischen Neuanfang. (Smend 1945, S. 375) Wie weit geht nun die besondere Mitverantwortung und Mitschuld der deutschen Schule und ihrer Lehrerschaft? Von vornherein darf bei der Prüfung dieser Frage nicht angenommen werden, daß sie völlig abseits von der Entwicklung der öffentlichen Meinung in Deutschland lebte. .. Die Lehrerschaft der höheren Schulen war
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nach ihrem ganzen Bildungsgange besonders eng mit dem nationalen Gedanken verbunden und niemand kann ihr verdenken, daß sie an ihm festhielt. Aber verhängnisvoll wurde die Starrheit, mit der sie sich in ihrer großen Mehrzahl gegen die Erfahrungen des ersten Weltkrieges verhärtete. Sie wollte nicht einsehen, daß der Charakter des modernen Krieges zu einer gründlichen Auseinandersetzung mit dem Krieg als Mittel der auswärtigen Politik überhaupt herausforderte und daß es in einer veränderten Welt höchste Zeit war, neue Sicherungen für den Weltfrieden zu schaffen. .. Eine bewußte und konsequente Abwehr des Nationalsozialismus durch die Lehrerschaft, die bei ihrem großen sozialen Einfluß dazu wohl imstande gewesen wäre, hätte vielleicht schon damals das Schicksal Deutschlands wenden können. Sie ist aber im entscheidenden Augenblick nicht erfolgt, bis der Terror der neuen Machthaber das Werk der Unterdrückung und Demoralisierung auch hier zu Ende führte. (Deiters 1945, S. 11–13) keine wirtschaftliche Situation [kann] so trostlos sein .., als daß nicht der entschlossene Wille und die ehrliche Arbeit eines ganzen Volkes einen Ausweg, ja mehr noch, einen Weg zur sozialen Wohlfahrt verhießen. Aus diesem Grunde habe ich das Recht, und wir alle haben die Pflicht, heute Bilanz zu ziehen und dessen eingedenk zu sein, daß, so unermeßlich groß auch die Schuld der Gestrigen gewesen ist, wir uns auch in der Gegenwart nicht von Sünden und Fehlern freisprechen können, die in besonderem Maße dazu angetan sind, den Aufbau und die Stabilisierung einer neuen, festgefügten wirtschaftlichen Ordnung zu erschweren und zu stören. (Erhard 1945, S. 55 f.) Durch den Fortgang des Krieges kam es, wie jeder Einsichtige immer vorausgesehen, zu dem furchtbaren Zusammenbruch, in dem wir jetzt stehen. Deutschland ist bis auf weiteres kein souveräner Staat mehr. Unser Volk – die Schuldigen und die Unschuldigen – muß nun auskosten, was ihm seine Verirrung eingebracht hat. (Kaiser 1945, S. 193 f.) Von diesem Wege gibt es kein Abweichen mehr. Es hätte des richterlichen Spruches der Sieger nicht bedurft, um uns das zu sagen und um auch die abseits Lebenden zu Mitschuldigen und Mitsühnenden zu machen. Wohl aber besteht die Gefahr, daß wir angesichts ihres kalten Nichtverstehens zurücktreten in die graue, finstere und schweigende Menge, deren Augen sich so erwartungsvoll erhoben und so bitter enttäuscht niedergeschlagen haben. (Kaschnitz 1945, S. 98 f.) Denkt an die Leidenszeit und an die Trümmer unserer Städte! Da gilt der Satz: Ihr Nichtfaschisten, seid denen, die euch euer Liebstes nahmen, gegenüber hart! Wir fragen deshalb: Strafe? Und unsere Antwort lautet: Ja! Wir fragen: Rache? Und wir erwidern: Nein! Ein Sieger ist nur dann groß, wenn er dem Gegner, der geschlagen ist, die Hand reicht, wenn er besitzt, was dem System der Nazis fehlte: Großmut, Großmut dem Gegner gegenüber, von dem man sieht, daß er sich seiner Schuld bewußt ist, und daß er sie, von Hinterhältigkeit und Tarnung frei, beklagt. Das klingt vielleicht sehr unpolitisch, ist aber einfach menschlich und ist im letzten das weiseste Gebot der Staatsraison. Ausrottung und Vernichtung unserer Gegner, Zerstörung jeder Lebensbasis für sie, das würde die Demokratie belasten. So zu verfahren, das überlassen wir den Diktatoren. Wir aber wollen Demokraten sein! Das heißt: Wir achten jede andere Meinung, doch das heißt nicht, daß wir auch die frei wachsen lassen dürfen, die diese Achtung untergräbt. Wir dürfen dessen Meinung sich nicht frei entfalten lassen, der nur versteckt auf einen Zeitpunkt wartet, wo er die jede Gemeinschaft untergrabende Intoleranz der anderen Meinung gegenüber
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erneut ausbrechen lassen kann. Dem wird der neue Staat hart zu begegnen wissen. Großmut nur da, wo sie am Platze ist! Nie wieder wird der neue Staat wie die gutmütigste von allen Republiken, wie der Staat von Weimar, das Gebot vergessen: Sei tolerant nur gegenüber dem selber Toleranten, sei duldsam nur dem gegenüber, der selber duldsam ist; denn alle Toleranz hat ihre Grenze an der Intoleranz. Wir haben schwer dafür gebüßt, daß diese Grenze der freien Meinungsäußerung der Staat von Weimar nicht gesehen hat. Es gibt keine unbedingte Freiheit. Freiheit nur dem, der selbst die Freiheit respektiert! Wer heute anders als dem Feind der Freiheit gegenüber unerbittlich handeln wollte, verginge sich an unseren Toten; denn was sie wollten, war die Freiheit der menschlichen Person. Wir fordern Wiedergutmachung, wir wollen aber nicht Vergeltung. Wir fordern, wo es sein muß, die Bestrafung, wir wollen aber nicht die Rache (Grimme 1945c, S. 54 f.). am Ende liegt der Ursprung dessen, was wir Schuld nennen, in einem einzigen Umfassenden .. dies kann klar nur werden durch das, was auf dem Wege über die Unterscheidungen gewonnen ist (Jaspers 1946, S. 133). Es liegt nahe, der Frage sich zu entziehen. Wir leben in Not, ein großer Teil unserer Bevölkerung in so großer, in so unmittelbarer Not, daß er unempfindlich geworden zu sein scheint für solche Erörterungen. Ihn interessiert, was der Not steuert, was Arbeit und Brot, Wohnung und Wärme bringt. Der Horizont ist eng geworden. Man mag nicht hören von Schuld, von Vergangenheit, man ist nicht betroffen von der Weltgeschichte. Man will einfach aufhören zu leiden, will heraus aus dem Elend, will leben, aber nicht nachdenken. Es ist eher eine Stimmung, als ob man nach so furchtbarem Leid gleichsam belohnt, jedenfalls getröstet werden müßte, aber nicht noch mit Schuld beladen werden dürfte (Jaspers 1946, S. 133). Die Schuldfrage ist mehr noch als eine Frage seitens der andern an uns eine Frage von uns an uns selbst. Wie wir ihr in unserem Innersten antworten, das begründet unser gegenwärtiges Seins- und Selbstbewußtsein. Sie ist eine Lebensfrage der deutschen Seele. Nur über sie kann eine Umkehrung stattfinden, die uns zu der Erneuerung aus dem Ursprung unseres Wesens bringt. Die Schulderklärungen seitens der Sieger haben zwar die größten Folgen für unser Dasein, sie haben politischen Charakter, aber sie helfen uns nicht im Entscheidenden: der inneren Umkehrung. Hier haben wir es allein mit uns selbst zu tun. Philosophie und Theologie sind berufen, die Tiefe der Schuldfrage zu erhellen. (Jaspers 1946, S. 134) Kriminelle Schuld: Verbrechen bestehen in objektiv nachweisbaren Handlungen, die gegen eindeutige Gesetze verstoßen. Instanz ist das Gericht, das in formellem Verfahren die Tatbestände zuverlässig festlegt und auf diese die Gesetze anwendet. (Jaspers 1946, S. 136) Politische Schuld: Sie besteht in den Handlungen der Staatsmänner und in der Staatsbürgerschaft eines Staates, infolge derer ich die Folgen der Handlungen dieses Staates tragen muß, dessen Gewalt ich unterstellt bin, und durch dessen Ordnung ich mein Dasein habe. Es ist jedes Menschen Mitverantwortung, wie er regiert wird. (Jaspers 1946, S. 136) Die Weltmeinung .., die einem Volke die Kollektivschuld gibt, ist eine Tatsache von derselben Art, wie die, daß in Jahrtausenden gedacht und gesagt wurde: die Juden sind Schuld, daß Jesus gekreuzigt wurde. Wer sind die Juden? (Jaspers 1946, S. 145) Als im Sommer 1945 die Plakate in den Städten und Dörfern hingen mit den Bildern und Berichten aus Belsen und dem entscheidenden Satz: Das ist eure Schuld!, da bemächtigte sich eine Unruhe der Gewissen .. da bäumte sich etwas auf: wer klagt
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mich da an? Keine Unterschrift, keine Behörde, das Plakat kam wie aus dem leeren Raum. Es ist allgemein menschlich, daß der Beschuldigte, ob er nun mit Recht oder Unrecht beschuldigt wird, sich zu verteidigen sucht. (Jaspers 1946, S. 149) Die moralische Schuld aber besteht bei allen, die dem Gewissen und der Reue Raum geben. Moralisch schuldig sind die Sühnefähigen, die, die wußten oder wissen konnten, und die doch Wege gingen, die sie in der Selbstdurchhellung als ein schuldiges Irren verstehen, – sei es, daß sie sich bequem verschleierten, was geschah, oder daß sie sich betäuben und verführen ließen, oder sich kaufen ließen durch persönliche Vorteile, oder daß sie aus Angst gehorchten. Vergegenwärtigen wir einige dieser Möglichkeiten: a) Das Leben in der Maske – unausweichlich für den, der überleben wollte – brachte moralische Schuld. Lügenhafte Loyalitätserklärungen gegenüber drohenden Instanzen, wie der Gestapo, – Gebärden wie der Hitlergruß, Teilnahme an Versammlungen und vieles andere, was den Schein des Dabeiseins brachte –, wer von uns hätte in Deutschland nicht irgendwann solche Schuld? Nur der Vergeßliche kann sich darüber täuschen, weil er sich täuschen will. Die Tarnung gehörte zum Grundzug unseres Daseins. Sie belastet unser moralisches Gewissen. b) Aufwühlender ist für den Augenblick der Erkenntnis die Schuld durch ein falsches Gewissen. Mancher junge Mensch erwacht mit dem schaurigen Bewußtsein: mein Gewissen hat mich getäuscht, – worauf kann ich mich noch verlassen? Ich glaubte, im Idealismus zu leben, mich für das edelste Ziel zu opfern und das Beste zu wollen. Jeder so Erwachende wird sich prüfen, wo Schuld lag durch Unklarheit, durch Nichtsehenwollen, durch bewußten Abschluß in der Isolierung des eigenen Lebens auf eine »anständige« Sphäre. Hier ist zunächst zu unterscheiden zwischen der soldatischen Ehre und dem politischen Sinn. Denn das Bewußtsein soldatischer Ehre bleibt unbetroffen von allen Schulderörterungen. Wer in Kameradschaftlichkeit treu war, in Gefahr unbeirrbar, durch Mut und Sachlichkeit sich bewährt hat, der darf etwas Unantastbares in seinem Selbstbewußtsein bewahren. Dies rein Soldatische und zugleich Menschliche ist allen Völkern gemeinsam. Hier ist Bewährung nicht nur keine Schuld, sondern, wo sie unbefleckt durch böse Handlungen oder Ausführung offenbar böser Befehle wirklich war, ein Fundament des Lebenssinnes. Aber die soldatische Bewährung darf nicht identifiziert werden mit der Sache, für die gekämpft wurde. Soldatische Bewährung macht nicht schuldfrei für alles andere. Die bedingungslose Identifizierung des faktischen Staates mit der deutschen Nation und der Armee ist eine Schuld falschen Gewissens. Wer als Soldat tadellos war, kann der Gewissensverfälschung erlegen sein. Dadurch wurde es möglich, daß aus nationaler Gesinnung getan und ertragen wurde, was offenbar böse war. Daher das gute Gewissen im bösen Tun. Doch die Pflicht gegen das Vaterland geht viel tiefer als ein blinder Gehorsam gegen jeweilige Herrschaft reicht. Das Vaterland ist nicht mehr Vaterland, wenn seine Seele zerstört wird. Die Macht des Staates ist kein Ziel an sich, sondern vielmehr verderblich, wenn dieser Staat das deutsche Wesen vernichtet. Daher führte die Pflicht gegen das Vaterland keineswegs konsequent zum Gehorsam gegen Hitler und zu der Selbstverständlichkeit, auch als Hitlerstaat müsse Deutschland unbedingt den Krieg gewinnen. Hier liegt das falsche Gewissen. Es ist nicht eine einfache Schuld. Es ist zugleich die tragische Verwirrung, zumal eines großen Teils der ahnungslosen Jugend. Pflicht gegen das Vaterland ist der Einsatz des ganzen Menschen für die höchsten Ansprüche, die zu uns sprechen aus den Besten unserer Ahnen und nicht aus den Idolen einer falschen Überlieferung. Daher war das Erstaunliche, wie trotz alles Bösen die Selbstidentifizierung mit der Armee und
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dem Staat vollzogen wurde. Denn diese Unbedingtheit einer blinden nationalen Anschauung – begreiflich nur als der letzte morsche Boden in einer glaubenslos werdenden Welt – war in gutem Gewissen zugleich moralische Schuld. Diese Schuld hatte weiter ihre Ermöglichung durch das mißverstandene Bibelwort: Sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über dich hat, – aber sie war vollends entartet in der wunderlichen Heiligkeit des Befehls aus der militärischen Überlieferung. .. Vollends schuldig im moralischen Sinne wurde dieses Verhalten im Gehorsamsdrang, diesem triebhaften, sich als gewissenhaft fühlenden und in der Tat alles Gewissen preisgebenden Verhalten. .. c) Die teilweise Billigung des Nationalsozialismus, die Halbheit und gelegentliche innere Angleichung und Abfindung war eine moralische Schuld ohne jeden Zug von Tragik, die den vorhergehenden Weisen der Schuld eignet. Diese Argumentation: es ist jedoch auch Gutes daran, diese Bereitschaft zur vermeintlich gerechten Anerkennung – war bei uns verbreitet. .. d) Manche gaben sich der bequemen Selbsttäuschung hin: Sie würden diesen bösen Staat schon ändern, die Partei werde wieder verschwinden, spätestens mit dem Tod des Führers. Jetzt müsse man dabei sein, um von innen heraus die Sache zum Guten zu wenden. .. Es gab all die Jahre eine Ideologie dieser intellektuellen Nazis: Sie sprächen in geistigen Dingen unbefangen die Wahrheit aus, – sie bewahrten die Überlieferung des deutschen Geistes, sie verhüteten Zerstörungen, – sie bewirkten im einzelnen Förderndes. Unter diesen finden sich vielleicht Manche, die schuldig sind durch eine Unveränderlichkeit ihrer Denkungsart, welche, ohne identisch zu sein mit Parteidoktrinen, doch die innere Haltung des Nationalsozialismus in der Tat festhält im Scheine einer Wandlung und Gegnerschaft, ohne sich selber zu klären. .. e) Es ist ein Unterschied zwischen den Aktiven und Passiven. Die politisch Handelnden und Ausführenden, die Leitenden und die Propagandisten sind schuldig. Wenn sie nicht kriminell wurden, so haben sie doch durch Aktivität eine positiv bestimmbare Schuld. Jedoch jeder von uns hat Schuld, sofern er untätig blieb. Die Schuld der Passivität ist anders. Die Ohnmacht entschuldigt; der wirkungslose Tod wird moralisch nicht verlangt. Schon Platon hielt es für selbstverständlich, in Unheilzeiten verzweifelter Zustände sich zu verbergen und zu überleben. Aber die Passivität weiß ihre moralische Schuld für jedes Versagen, das in der Nachlässigkeit liegt, nicht jede irgend mögliche Aktivität zum Schutz Bedrohter, zur Erleichterung des Unrechts, zur Gegenwirkung ergriffen zu haben: Im Sichfügen der Ohnmacht blieb immer ein Spielraum zwar nicht gefahrloser, aber mit Vorsicht doch wirksamer Aktivität. Ihn ängstlich versäumt zu haben, wird der einzelne als seine moralische Schuld anerkennen. Die Blindheit für das Unheil der anderen, diese Phantasielosigkeit des Herzens, und die innere Unbetroffenheit von dem gesehenen Unheil, das ist die moralische Schuld. f) Die moralische Schuld im äußeren Mitgehen, das Mitläufertum, ist in irgendeinem Maße sehr vielen von uns gemeinsam. Um sein Dasein zu behaupten, seine Stellung nicht zu verlieren, seine Chancen nicht zu vernichten, wurde man Parteimitglied und vollzog andere nominelle Zugehörigkeiten. Niemand wird dafür eine restlose Entschuldigung finden, zumal angesichts der vielen Deutschen, die solche Anpassung in der Tat nicht vollzogen und die Nachteile auf sich genommen haben. (Jaspers 1946, S. 163–169) Metaphysische Schuld ist der Mangel an der absoluten Solidarität mit dem Menschen als Menschen. Sie bleibt noch ein unauslöschlicher Anspruch, wo die moralisch sinnvolle Forderung schon aufgehört hat. Diese Solidarität ist verletzt, wenn ich dabei bin, wo Unrecht und Verbrechen geschehen. Es genügt nicht, daß ich mein Leben mit Vorsicht wage, um es zu verhindern. Wenn es geschieht, und wenn ich
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dabei war, und wenn ich überlebe, wo der andere getötet wird, so ist in mir eine Stimme, durch die ich weiß: daß ich noch lebe, ist meine Schuld. .. Als im November 1938 die Synagogen brannten und zum erstenmal Juden deportiert wurden, war zwar vor allem moralische und politische Schuld. Beide Weisen der Schuld lagen bei denen, die noch Macht hatten. Die Generale standen dabei. In jeder Stadt konnte der Kommandant eingreifen, wenn Verbrechen geschahen. Denn der Soldat ist zum Schutze aller da, wenn Verbrechen in einem Umfang geschehen, daß die Polizei sie nicht verhindern kann oder versagt. Sie taten nichts. .. Unter unserer Bevölkerung waren wohl viele empört, viele tief ergriffen von einem Entsetzen, in dem die Ahnung kommenden Unheils lag. Aber noch mehr setzten ohne Störung ihre Tätigkeit fort, ihre Geselligkeit und ihre Vergnügungen, als ob nichts geschehen sei. Das ist moralische Schuld. Diejenigen aber, die in völliger Ohnmacht, empört, verzweifelt es nicht hindern konnten, taten wiederum einen Schritt in ihrer Verwandlung durch das Bewußtwerden der metaphysischen Schuld. (Jaspers 1946, S. 170 f.) Daß wir Deutschen, daß jeder Deutsche, in irgendeiner Weise schuldig ist, daran kann, wenn unsere Ausführungen nicht völlig grundlos waren, kein Zweifel sein. Daher treten auch die Folgen der Schuld ein: I) Jeder Deutsche, ausnahmslos, hat teil an der politischen Haftung. Er muß mitwirken an den in Rechtsform zu bringenden Wiedergutmachungen. Er muß mitleiden an den Wirkungen der Handlungen der Sieger, ihrer Willensentschlüsse, ihrer Uneinigkeit. Wir sind nicht imstande, als Machtfaktor hier einen Einfluß zu haben. Nur ständige Bemühung um vernünftige Darlegung der Tatsachen, der Chancen und Gefahren kann, soweit nicht jedermann das Gesagte weiß, an den Voraussetzungen der Entschlüsse mitarbeiten. Man darf sich in angemessenen Formen mit Gründen an die Sieger wenden. 2) Nicht jeder Deutsche, sogar nur eine sehr kleine Minderheit von Deutschen, hat Strafe zu leiden für Verbrechen, eine andere Minderheit hat zu büßen für nationalsozialistische Aktivität. Man darf sich verteidigen. Die Gerichte der Sieger oder die von ihnen eingerichteten deutschen Instanzen urteilen. 3) Wohl jeder Deutsche – wenn auch auf sehr verschiedene Weise – hat Anlaß zur Selbstprüfung aus moralischer Einsicht. Hier aber braucht er keine Instanz anzuerkennen als nur das eigene Gewissen. 4) Und wohl jeder Deutsche, der versteht, verwandelt in den metaphysischen Erfahrungen solchen Unheils sein Seinsbewußtsein und sein Selbstbewußtsein. Wie das geschieht, das kann niemand fordern und niemand vorwegnehmen. Es ist Sache der Einsamkeit des einzelnen. Was daraus erwächst, das muß die wesentliche Grundlage dessen schaffen, was in Zukunft deutsche Seele sein wird. Solche Unterscheidungen lassen sich sophistisch benutzen, um sich von der ganzen Schuldfrage zu befreien, etwa so: Politische Haftung – gut, aber sie schränkt nur meine materiellen Mittel ein, ich selbst in meinem Innern werde davon ja gar nicht betroffen. Kriminelle Schuld – sie trifft ja nur wenige, nicht mich, es geht mich nichts an. Moralische Schuld – ich höre, daß nur das eigene Gewissen Instanz ist, andere dürfen mir keine Vorwürfe machen. Mein Gewissen wird schon freundlich mit mir umgehen. Es ist nicht allzu schlimm – Strich drunter, und ein neues Leben. Metaphysische Schuld – die hat vollends – wie ja gesagt wurde – niemand vom andern zu behaupten. Die soll ich in einer Verwandlung wahrnehmen. Das ist irgendein spleeniger Gedanke eines Philosophen. So etwas gibt es nicht. Und wenn es das gibt, ich merke ja nichts davon. Das darf ich auf sich beruhen lassen. Unser Zerfasern der Schuldbegriffe kann zum Trick werden, mit dem man sich von Schuld befreit. Unterscheidungen liegen im Vordergrund. Sie
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können den Ursprung und das Eine verdecken. Mit Unterscheidungen kann man gleichsam wegeskamotieren, was einem nicht paßt. (Jaspers 1946, S. 171–173) Daß in den geistigen Bedingungen des deutschen Lebens die Möglichkeit gegeben war für ein solches Regime, dafür tragen wir alle eine Mitschuld. Das bedeutet zwar keineswegs, daß wir anerkennen müßten, ‚die deutsche Gedankenwelt‘, ‚das deutsche Denken der Vergangenheit‘ schlechthin sei der Ursprung der bösen Taten des Nationalsozialismus. Aber es bedeutet, daß in unserer Überlieferung als Volk etwas steckt, mächtig und drohend, das unser sittliches Verderben ist (Jaspers 1946, S. 177). Deutschland unter dem Naziregime war ein Zuchthaus. Die Schuld, in dieses Zuchthaus zu geraten, ist politische Schuld. Sind die Türen des Zuchthauses aber einmal zugeschlagen, so kann das Zuchthaus von innen nicht aufgebrochen werden. Die Verantwortlichkeit und die Schuld der Eingesperrten, die nun noch bleibt und entsteht, ist immer unter der Frage zu erörtern, was dann zu tun überhaupt möglich ist. Im Zuchthaus die Zuchthausinsassen insgesamt verantwortlich zu machen für die Schandtaten der Zuchthausaufseher ist offenbar ungerecht. Man sagte, die Millionen, die Millionen Arbeiter und die Millionen Soldaten hätten Widerstand leisten sollen. Sie haben es nicht getan, sie haben für den Krieg gearbeitet und haben gekämpft, also sind sie schuldig. Dagegen ist zu sagen: Die 15 Millionen Fremdarbeiter haben so gut für den Krieg gearbeitet wie die deutschen Arbeiter. .. Es gibt in der Tat Stimmen gerechter Menschen, die gerade den Terrorapparat und seine Folgen durchschauen. So Dwight Macdonald in der Zeitschrift Politics vom März 1945: Der Gipfel des Terrors und der erzwungenen Schuld unter dem Terror wird erreicht mit der Alternative: Töten oder getötet werden. Manche der Kommandanten, die zum Erschießen und Ermorden bestimmt waren, sagt er, weigerten sich, an den Grausamkeiten teilzunehmen, und wurden erschossen. So Hannah Arendt: Der Terror brachte das erstaunliche Phänomen hervor, daß an den Verbrechen der Führer das deutsche Volk beteiligt wurde. Aus Unterworfenen wurden Komplizen. Allerdings nur in beschränktem Umfang, aber doch so, daß Menschen, von denen man es niemals für möglich gehalten hätte, Familienväter, fleißige Bürger, die pflichtgemäß jeden Beruf ausüben, so auch pflichtgemäß mordeten und auf Befehl die andern Untaten in den KZs vollzogen. (Jaspers 1946, S. 179–181) In Deutschland kam zum Ausbruch, was in der gesamten abendländischen Welt als die Krise des Geistes, des Glaubens im Gange war. Das mindert die Schuld nicht. Denn hier in Deutschland und nicht anderswo kam es zum Ausbruch. Aber es befreit aus der absoluten Isolierung. .. Absinken der Wirksamkeit christlichen und biblischen Glaubens .. die Glaubenslosigkeit, die nach Ersatz greift; die durch Technik und Arbeitsweise hervorgerufene gesellschaftliche Wandlung .. In einem Prozeß, der die Welt ergriffen hat, hat Deutschland eine solche schwindelhafte Extratour in seinen Abgrund getanzt. (Jaspers 1946, S. 185) Sollen wir anerkennen, daß wir allein schuldig sind? Ja, sofern es sich handelt darum, wer den Krieg angefangen hat, – wer zuerst die terroristische Organisation aller Kräfte auf den einen Zweck des Krieges hin durchgeführt hat, – wer als Volk in seinem Staat das eigene Wesen verraten und preisgegeben hat, – mehr noch: wer eigentümliche, alle anderen übertreffende Greuel getan hat. Dwight Macdonald sagt, daß viele Kriegsgreuel auf allen Seiten stattfanden, aber einiges den Deutschen eigentümlich sei: ein paranoischer Haß ohne politischen Sinn, – eine mit allen modernen technischen Mitteln rational vollzogene Grausamkeit der Qualen, hinaus
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über alle mittelalterlichen Folterwerkzeuge. – Jedoch waren das einige Deutsche, eine kleine Gruppe (mit einer unbestimmten Grenze derer, die auf Befehl imstande waren mitzuwirken). Der deutsche Antisemitismus war in keinem Augenblick eine Volksaktion. Bei den deutschen Pogromen fehlte die Mitwirkung der Bevölkerung, es fanden keine spontanen Grausamkeiten gegen Juden statt. Die Volksmenge schwieg und zog sich zurück, soweit sie nicht ihren Unwillen zu schwachem Ausdruck brachte. Sollen wir anerkennen, daß wir allein schuldig sind? Nein, sofern wir als Ganzes, als Volk, als dauernde Artung zu dem bösen Volk schlechthin gemacht werden, zu dem schuldigen Volk an sich. Gegen diese Weltmeinung können wir hinweisen auf Tatsachen. Solche Erörterungen sind aber für unsere innere Haltung nur dann nicht gefährlich, wenn wir nie vergessen, was noch einmal wiederholt sei: 1. Alle Schuld, die man den anderen geben kann, und die sie sich selbst geben, war nicht die Schuld der Verbrechen, die Hitlerdeutschland begangen hat. Es war bei ihnen damals ein Gehenlassen und eine Halbheit, ein politisches Irren. Daß in der Folge des Krieges die Gegner auch Gefangenenlager als Konzentrationslager hatten und Kriegshandlungen vollzogen, die zuerst Deutschland vollzog, das ist sekundär. Von den Ereignissen seit dem Waffenstillstand ist hier nicht die Rede, nicht von dem, was Deutschland erlitten hat und nach der Kapitulation weiter erleidet. 2. Unsere Schulderörterungen dienen der Aufgabe, den Sinn unserer eigenen Schuld zu durchdringen, auch dann, wenn wir von einer Schuld der anderen reden. 3. Das Wort: die anderen sind nicht besser als wir, gilt wohl. Aber es wird falsch angewandt in diesem Augenblick. Denn jetzt, in diesen vergangenen zwölf Jahren, waren alles in allem genommen die anderen in der Tat besser als wir. Die allgemeine Wahrheit darf nicht dazu dienen, die besondere gegenwärtige Wahrheit der eigenen Schuld zu nivellieren. (Jaspers 1946, S. 190 f.) Wer reizbar gegen Vorwürfe ist, kann nun merkwürdigerweise leicht umschlagen in einen Drang, seine Schuld zu bekennen. Solche Schuldbekenntnisse – falsch, weil selber noch triebhaft und lusterfüllt – haben in ihrer Erscheinung einen unverkennbaren Zug: Da sie wie ihr Gegenteil beim selben Menschen aus dem gleichen Machtwillen genährt sind, spürt man, wie der Bekennende sich durch das Bekenntnis einen Wert geben, sich vor anderen hervortun will. Sein Schuldbekenntnis will andere zum Bekennen zwingen. Es ist ein Zug von Aggressivität in solchem Bekennen. Der Moralismus als Erscheinung des Machtwillens nährt sowohl die Reizbarkeit gegen Vorwürfe wie die Schuldbekenntnisse, die Vorwürfe gegen andere wie gegen sich selbst und läßt psychologisch alles dies ineinander umschlagen. (Jaspers 1946, S. 200) Im Ganzen bleibt bestehen, daß wir Deutschen, so sehr wir jetzt in die größte Not unter den Völkern geraten sind, auch für den Gang der Dinge bis 1945 die größte Verantwortung tragen. Daher gilt für uns, für den einzelnen: wir wollen nicht so leicht uns unschuldig fühlen, uns nicht bemitleiden als Opfer eines Verhängnisses, wollen nicht Belobigung erwarten für Leiden, sondern uns selbst fragen, uns unerbittlich durchleuchten: wo habe ich falsch gefühlt, falsch gedacht, falsch gehandelt – wollen die Schuld möglichst weitgehend bei uns suchen und nicht in den Dingen und nicht bei den andern, wollen nicht ausweichen in die Not. Das folgt aus dem Entschluß zur Umkehr, zum täglichen Besserwerden. Dort stehen wir als einzelne vor Gott, nicht mehr als Deutsche, nicht als Kollektiv. (Jaspers 1946, S. 206 f.) Reinigung bedeutet im Handeln zunächst Wiedergutmachung. Politisch heißt das, aus innerem Jasagen die Leistungen zu erfüllen, die in Rechtsform gebracht unter eigenen Entbehrungen den von Hitlerdeutschland angegriffenen Völkern einen Teil
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des Zerstörten wiederherstellen. .. Auch die Wiedergutmachung wird ernstlich nur gewollt, und sie erfüllt ihren ethischen Sinn nur als Folge unserer reinigenden Umschmelzung. Klärung der Schuld ist zugleich Klärung unseres neuen Lebens und seiner Möglichkeiten. Aus ihr entspringt der Ernst und der Entschluß. Wer von der Schuld, an der er Teil hat, innerlich ergriffen ist, will helfen jedem, dem Unrecht geschah durch die Willkür des rechtlosen Regimes. .. Dieser Weg der Reinigung durch Wiedergutmachung ist unausweichlich. Aber Reinigung ist viel mehr. Auch die Wiedergutmachung wird ernstlich nur gewollt, und sie erfüllt ihren ethischen Sinn nur als Folge unserer reinigenden Umschmelzung. (Jaspers 1946, S. 209 f.) die Schuld, die alle kriminelle Schuld übersteigt, [bekommt] unvermeidlich einen Zug von ‚Größe‘ – satanischer Größe – .., die meinem Gefühl angesichts der Nazis so fern ist, wie das Reden vom ‚Dämonischen‘ in Hitler und dergleichen. Mir scheint, man muß, weil es wirklich so war, die Dinge in ihrer ganzen Banalität nehmen, ihrer ganz nüchternen Nichtigkeit .. Ich sehe jeden Ansatz von Mythos und Legende mit Schrecken, und jedes Unbestimmte ist schon solcher Ansatz (Jaspers 1946, Arendt-Jaspers-Briefwechsel 1929–1969, S. 99). Der Nürnberger Spruch hat die Fundamente des Rechtes und der Gerechtigkeit auch für das Deutsche Volk wieder hergestellt. Er verurteilt wirklich Schuldige, nicht aber das Volk schlechthin. Dieser Urteilsspruch eröffnet dem Deutschen Volke den Weg der Selbstbesinnung und ist mehr als ein Akt versöhnlichen Geistes. Die Gebote der Gerechtigkeit sind göttliche Gebote. Deutsches Volk, hüte diese heiligen Flammen! (Eckert 1946, S. 3) Vieles muß erst noch geschehen bis zum Bau der Brücke, die den Abgrund zwischen uns und den anderen Völkern füllt. Wir werden in diesem heißen Bemühen und diesem harten Streben nicht erlahmen. Wir fordern von uns selbst die letzte Klarheit über das Geschehen der Vergangenheit, die erbarmungslose Feststellung des letzten wirklich Schuldigen oder Verantwortlichen und seiner verdienten Bestrafung. Wir fordern dies zur Reinigung unseres eigenen Lebens, zu unserer eigenen Sicherheit, nicht nur als die notwendige Voraussetzung einer ehrlichen und dauernden Zusammenarbeit mit den anderen Völkern. (Eckert 1946, S. 3.) Bei der Erforschung des Geschehenen, der Schuldigen und der Verantwortlichen darf nur die unbestechliche richterliche Objektivität walten. Wir lehnen es ab, mit Haß, Rachsucht oder Eigennutz an diese Aufgabe zu treten. Wir erwarten sogar die natürliche staatspolitische Grenze, die den politischen Gegner der Vergangenheit so zu behandeln weiß, daß er den Weg zu einem vollwertigen Staatsbürger wieder aus Eigenem findet. Deutschland darf nicht innerlich daran zugrunde gehen, daß es in Pg.s und Nichtpg.s zerrissen wird. Zuviel steht auf dem Spiele und zu groß sind unsere nur gemeinsam zu lösenden Nöte. Wir wollen auch nicht in einem Wirrwarr und Wust politischer Prozesse oder in unproduktiver staatlicher Verwaltungsarbeit ersticken. Millionen Deutsche warten auf Arbeit, Brot, Unterkunft und Heim, Millionen Flüchtlinge wollen betreut werden, Millionen noch kriegsgefangene Kameraden warten auf die erlösende Hilfe der Heimat; auch die Wiedergutmachung wird von uns gemeinsam erwartet. .. Die Welt beginnt uns zu glauben, daß auch ein starker Widerstandsgeist während der Nazijahre im Deutschen Volke gelebt hat. Wer also ist schuldig, wer entlastet? (Eckert 1946, S. 3 f.) Man wundert sich bei den anderen Völkern, daß das Deutsche Volk nicht einmal im Augenblick des Zusammenbruchs des Regimes sich selbst spontan zu der natürlichen und notwendigen Reinigung aufgerafft hat und kurzerhand die bekannten
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wirklichen Schuldigen in schneller Lynchjustiz auslöschte. Hielt sich das Volk selbst für so mitschuldig? – Das ist die stumme Frage an uns. (Eckert 1946, S. 13) Unbestritten erscheint, daß nur wenige Naziwähler damals die eigentlichen Absichten der Partei, die sich erst später zu verbrecherischen Massentaten auswuchsen, erkennen – richtiger gesagt voraussehen – konnten; sie haben auch in der Regel kein objektives Urteil darüber haben können, daß sich die Durchführung der verkündeten Parteiprogramme nicht auf normalem Wege erreichen ließ. Deshalb kann man auch schwerlich von einer subjektiven Schuld der breiten Massen der Wähler für die damalige Zeit sprechen. Nur wenige Eingeweihte konnten damals schon wissen, daß die Führer der Partei gesonnen waren, ihr Programm auch mit Gewalt und gegebenenfalls gegen den Willen des Deutschen Volkes durchzuführen. Würde man nachträglich die Frage stellen, ob die Partei auch ohne ihre Legalisierung durch die großen Wählermassen zur Herrschaft gekommen wäre, so müßte man sie wahrscheinlich bejahen. (Eckert 1946, S. 25) Bei der Abwägung von Schuld oder Entlastung des Deutschen Volkes interessiert der Einfluß der Haltung des Auslandes auf die breite Masse des Volkes. Was hat der einfache Mann des Volkes gehört und erlebt, wie haben diese Umstände auf seinen politischen Verstand, auf seine politische Haltung sich ausgewirkt? Dabei werden nicht Entschuldigungen gesucht; erforscht wird die nüchterne Wahrheit! .. Einem Hitler wurde die mehr oder minder zwangsweise Einverleibung Österreichs in Großdeutschland zunächst jedenfalls von den gleichen Mächten nicht verwehrt! .. die Verkündung der Wehrpflicht durch Hitler fand keine entsprechende Ablehnung. Vergeblich warteten oppositionelle Kreise in Deutschland auf ein sichtbares Zeichen der Unterstützung durch französische oder englische Politiker und Parlamentarier gegen die Unterdrückung der politischen Freiheiten in Deutschland; selbst das englische Unterhaus, sonst als Hort demokratischer Freiheiten der Welt bekannt, schwieg. (Eckert 1946, S. 34) Die Schuldigen haben nicht nur an dem einzelnen und dessen Angehörigen ein Verbrechen begangen; sie haben zugleich das Gewissen des Volkes mit Füßen getreten. Jeder, der einen anderen durch eine gemeine Anzeige politisch stumm gemacht hat, trägt die Schuld, daß ein konkreter Fall Hunderte zum Schweigen brachte; er trägt die Mitschuld an der Einkerkerung des Gewissens des Volkes. (Eckert 1946, S. 39) Alles, was in den Jahren der Nazigewalt gegen das Gewissen des Volkes gesündigt wurde, muß erkannt und festgestellt werden, es müssen die Verantwortlichen und die Schuldigen ermittelt werden! Diese Aufgabe ist vom ganzen Volke zu lösen. Sie geht jeden Deutschen an; jeder muß sein Gewissen zur Klarstellung der Schuld und der Schuldigen erforschen. Das Schweigen des Volkes muß gebrochen werden! (Eckert 1946, S. 40 f.) Wir wissen, daß Teile des Deutschen Volkes, namentlich viele nationalsozialistisch erzogene Jugendlichen auch heute noch nicht bereit sind, die Schuld Hitlers am Kriege, an den geschehenen Verbrechen und an dem Unglück Deutschlands anzuerkennen, trotz der Ergebnisse vor dem Nürnberger Gerichtshof. Es bleiben immer Unbelehrbare; solange sie dem Deutschen Volke nicht erneut schaden, läßt ihnen die demokratische Freiheit ihre Meinung; sie interessiert auch nicht weiter. Wichtig für die Zukunft ist die Meinung der Jugend; wir müssen sie überzeugen und gewinnen; Geduld und Mühe ist nötig. Der Jugend müssen wir die Überzeugung beibringen können, daß die nazistische Erziehung eine Verletzung der elementaren Grundrechte war! (Eckert 1946, S. 43 f.)
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An das dem ganzen Deutschen Volke in der letzten Phase des verlorenen Krieges zugedachte Schicksal – das Leichentuch über Deutschland sei erinnert. Überall die Todesängste und die Todesfurcht, Schuld eines würgenden Tyrannen und einer kleinen Schar vor nichts mehr zurückschreckender, unmenschlicher Henker. Aus dem Übermaß solcher Gewalttaten und Verbrechen heraus und der Wut, den Krieg verloren zu haben, erteilten die Nazityrannen im letzten Stadium des Krieges die Befehle an das Deutsche Volk, notlandende feindliche Flieger zu töten, ergingen die Befehle, deutsche Soldaten, die den aussichtslosen Kampf aufgaben, am nächsten Baum oder Laternenpfahl aufzuhängen und auch jeden Zivilisten mit ‚weißer Fahne‘ auszutilgen. (Eckert 1946, S. 50) Die Stimme des Deutschen Volkes, die Stimme des Gewissens des Volkes wird nicht ruhen, bis jede Gewalttat und jedes Verbrechen gesühnt ist. Die Opfer werden nicht ruhen; ihre nach Vergeltung ausgestreckten Hände reichen über ganz Deutschland und über alle Gebiete, wo sich noch Schuldige und Verantwortliche befinden. Wer Schuldige weiß und schweigt, handelt ebenfalls gegen die Gesetze seines Volkes und seines Landes, wird mitschuldig und mitverantwortlich! Es kann keine Reinheit des Rechtes geben, bevor nicht die alten Schulden getilgt sind. Es geht um das Leben Deutschlands und seines Volkes, es geht um das Vertrauen der Welt. Deutsches Volk, sühne die Verbrechen an der Menschheit an den Schuldigen! (Eckert 1946, S. 50 f.) Neben den Verbrechen am Leben sind die politischen Verbrechen an der Freiheit zu sühnen. Im großen, soweit sie durch allgemeine Anordnungen oder durch Polizeioder Parteiaktionen ohne eine durch Gesetz gegebene oder erlaubte Ermächtigung erfolgten oder soweit für solche politische Aktionen gesetzliche Ermächtigungen geschaffen wurden, die Grundrechte des Volkes verletzten. Zwischen den eigentlichen Urhebern und Verantwortlichen für solche Gesetze und denen, die Befehle nur auszuführen hatten, wird die Beurteilung der Schuld zu unterscheiden haben. Vorher müssen erst noch die Teilnehmer an den wilden und selbständigen Aktionen ermittelt werden. (Eckert 1946, S. 52) Mit Hilfe von Zwangssammlungen, wie Winterhilfe, NSV. und anderer, sind dem Deutschen Volke in den vergangenen Jahren Milliardenbeträge abgenommen worden und in die Hände der Partei gelangt. Niemals hat man eine klare Rechenschaft über die Verwendung dieser Riesensummen gesehen. Wer hat sich bereichert, wer hat Unterschlagungen begangen, wer war Nutznießer, welche Zwecke wurden finanziert; .. Wir erwarten für die Schuldfragen Erstaunliches nach jeder Richtung! Die nationalsozialistische Denkweise als eine rein äußerliche und materialistische trat bei der Behandlung der Eigentums- und Besitzrechte besonders kraß in Erscheinung. Hier zeigt sich das wahre Gesicht des Nazismus und seine innere Verlogenheit. Die Sucht zum äußeren Prunk, zu einer blendenden äußeren Machtentfaltung paßte zu gut zu der Verleugnung der inneren Wahrheiten und Güter, die jedes anständige Volk besitzen muß, um vor sich selbst, den Mitvölkern und vor Gott zu bestehen. .. Wie kamen Partei und Gliederungen, weniger wohl die angeschlossenen Verbände, in den Besitz wertvollster Häuser, großer Heime und Ländereien? Woher stammen die Großbetriebe der SS.? Wer und auf wessen Kosten hat die oft kostspieligen Inneneinrichtungen der Parteihäuser oder ihrer Gliederungen geliefert? Was ist an Besitz des Volkes, der öffentlichen Sammlungen oder in öffentlichem Verwahr stand, unrechtmäßig der Partei, den Gliederungen oder deren führenden Männern übertragen worden? Wer sind hierfür die Verantwortlichen? Stimmen die Gerüchte, daß das Büro eines Hermann Göring den Unternehmern und Inhabern bedeutender Firmen
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vorzuschreiben pflegte, was sie, natürlich nur freiwillig, zum Geburtstage oder zur Prunkhochzeit des hohen Herrn zu stiften hatten, nicht nur in Waren? Wer hat die großen Feste der Partei und einiger ihrer Führer arrangiert, finanziert oder ausgestattet? Alles Fragen, auf die das Volk eine Antwort erwartet. Dem Nazismus fiel es nicht schwer, die Eigentums- und die Besitzrechte seiner politischen Gegner oder von ihm Verfolgter zu rauben. Wo sind die geraubten Güter geblieben? Wer hat die den Kirchen, den Klöstern, den Gewerkschaften und den vielen verbotenen Vereinen, Gesellschaften, Studentenbünden, den alten Parteien, den Juden, den politisch Verfolgten gehörenden Häuser, Ländereien, geschäftlichen Betriebe, die Inneneinrichtungen, die Waren und sonstigen Besitz erworben, wer sich unrechtmäßig fremden Besitz angeeignet, wer sich unrechtmäßig bereichert, im großen oder im kleinen? Auch über alle diese Ehre und Grundrechte des Volkes schwerst verletzende Geschehen verlangt das Volk restlose Aufklärung, die gebotene Sühne, die Bestrafung aller Schuldigen, verlangt das Volk die volle Zurückgabe alles geraubten Gutes an die rechtmäßigen Besitzer oder ihre berechtigten Nachfolger und die volle Wiedergutmachung. Wer ist verantwortlich für die Unterlassung oder Unterdrückung der Strafverfolgung der an den Plünderungen am 8. November 1938 Beteiligten? (Eckert 1946, S. 52 ff.) Es erscheint selbstverständlich, daß keinem Soldaten, der seine militärischen Pflichten streng im Rahmen der im internationalen Kriegsrecht anerkannten Gesetze und Regeln erfüllt hat, daraus jetzt ein Vorwurf gemacht wird. Was aber so brennend interessiert, ist, ob und gegebenenfalls welche deutschen Militärs Hitler in seinem wahnsinnigen Krieg gegen die ganze Welt bestärkten oder gar anregten, und wie die verantwortlichen militärischen Männer in Deutschland einen modernen technischen Krieg, einen Krieg der Wissenschaften glaubten auf die Dauer gewinnen zu können? Wie verteilen sich die Verantwortungen für die im Nürnberger Prozeß festgestellten Verbrechen gegen anerkannte Regeln der Kriegsführung auf die militärischen Stellen und Männer? Wer sind die Verantwortlichen, wer die Schuldigen? Wie haben die verantwortlichen Männer des Heeresersatzwesens die Lage beurteilt? .. Wurden alle großen Kampfhandlungen nach beiden Seiten so geführt, daß sie unnötige Opfer an Blut und Leben vermieden? Welche sinnlosen Hinopferungen wurden begangen? Wie wurden Strafabteilungen, die oft auch politisch Verfolgte enthielten, wie wurden Arbeitskolonnen vor unnötigen Kampfgefahren geschützt? Zu welchem Zeitpunkt haben die militärisch verantwortlichen Männer die technische Unmöglichkeit, den Krieg für Deutschland in einem erträglichen Ausmaße noch zu beenden, erkannt? Welche Folgerungen haben sie gezogen, welche konkreten Schritte unternommen? Haben deutsche Generäle bei den Beratungen im Hauptquartier, bei Beratungen über die Regeln der Kriegsführung stets die Kriegsgesetze vertreten? Wer ist verantwortlich für die internationalem Recht und den Geboten der Menschlichkeit entsprechende Behandlung der Kriegsgefangenen, wer war dagegen? Wer ist für die sinnlos gewordene Fortführung des Krieges eingetreten und verantwortlich? .. Auf alle diese und weitere Fragen will das Deutsche Volk Antwort erhalten, will einen Rechenschaftsbericht auch im Interesse aller anständigen deutschen Soldaten, namentlich unserer jugendlichen Kämpfer, die im Glauben und in Liebe zu ihrem Vaterland, aus Idealismus in den Kampf gezogen und faire Kämpfer geblieben sind. .. Wer hat sich bei der Ausübung seiner militärischen Dienste oder Macht unrechtmäßig bereichert, wer Gewalttaten an Zivilisten, an Frauen und Mädchen begangen? (Eckert 1946, S. 60–63)
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Das Urteil berührt das Schicksal hunderttausender Männer und Frauen, die diesen Organisationen angehört haben, es berührt aber auch das Schicksal ihrer Angehörigen empfindlich mit; es sind also Massen des Volkes, die vor einer Ungewißheit ihrer nächsten Zukunft stehen. All dies und die notwendige Klärung der wirklichen Schuld für Geschehenes geht wieder das ganze Deutsche Volk und seine Regierungen an. Man wird alles versuchen müssen, die zahlreichen Verfahren zu einer raschen Erledigung zu bringen. Nicht nur das Deutsche Volk, auch Europa sucht eine Ruhepause, von der aus der notwendige wirtschaftliche Aufbau vonstatten gehen kann. (Eckert 1946, S. 65 f.) Gerechterweise muß das Deutsche Volk über den Kreis der in Nürnberg Verurteilten oder Beschuldigten hinaus gehen. Die Rechnungen müssen beglichen werden, die sich aus der Verletzung seiner Grund- und Lebensrechte ergeben haben. Dabei wird es selbstverständlich, den Kreis der von dem Nürnberger Urteil Erfaßten und den nach deutschem Recht in Frage Kommenden abzugrenzen. Die Tatbestände, wegen deren das Volk Rechenschaft zu verlangen hat, müssen im einzelnen und einwandfrei feststehen; man kann nicht auf die Dauer mit allgemeinen Tatbestandsbegriffen auskommen; inzwischen weiß man ja auch, welche Arten von Handlungen oder Unterlassungen als Verletzungen der Grundrechte des Volkes anzusprechen sind; man kann sie Punkt für Punkt bis in die kleinsten Bestandteile aufteilen. Man hat auch den Kreis der Personen im großen und im kleinen kennengelernt, der als schuldig oder verantwortlich in Frage kommt. Dem Empfinden des Volkes entspricht im allgemeinen nicht eine Gruppenschuld; ihm erscheint die individuelle Verantwortlichkeit und Schuld in der Regel gerechter; anders ausgedrückt, das Volk hält nicht jeden, der der Partei oder einer Gliederung, auch nicht einer als verbrecherisch erklärten Organisation angehört hat, nur wegen der Tatsache dieser Zugehörigkeit allein schon für schuldig oder verantwortlich. Zu verschieden liegen die Umstände, die eine solche Zugehörigkeit verursacht haben, zu stark waren die Einflüsse und Umstände, die eine freie Entschließung nicht aufkommen ließen. Noch wichtige Vorfragen sind zu klären. .. Streng muß man sein beim gemeinen Mord, beim Vergreifen an wehrlosen Menschen und dort, wo der Charakter der Gewalttat offenkundig war oder wo menschlich vermeidbare Härten und Grausamkeiten begangen wurden. Wo der Mensch Tier geworden war, wehrt sich der gesunde Sinn sogar gegen Gnade. Bei jugendlichen Tätern wird die Schuld vielfach größer sein als die Verantwortung, die wegen der Jugend oft noch gar nicht erkannt werden konnte. Hier trifft die Männer der höheren Verantwortung auch die größere Schuld. Es ist sicher, daß es dem Empfinden des Volkes am nächsten kommt, die Schuld aller Beteiligten zu sühnen. Nicht aber kann man beispielsweise den Waffenfabrikanten, den Waffenarbeiter als solchen schuldig sprechen, nur weil er wissen mußte, daß aus der Waffe geschossen wurde, es sei denn, sie hätten gewußt, daß die konkret gelieferte Waffe zu einem Verbrechen bestimmt war. Das gleiche Verhältnis würde man gegen die Arbeiter und Arbeiterinnen der Munitionsfabriken oder überhaupt der Rüstungsindustrie dann anwenden müssen und sie alle als schuldig zu erklären haben. Eine Utopie, die wir nicht weiter zu vertiefen brauchen. Andere Fragen ergeben sich aus dem Verfahren und dem Strafvollzug. Wieweit ist der Polizeibeamte, der Verhaftungsbefehle oder Akte des Strafvollzuges durchzuführen hatte, der Anstaltsbeamte, der nicht mit sadistischer Freude seine Amtspflichten, diese vielmehr gewissenhaft erfüllte, der Henker, der das Fallbeil oder den Strick führte, verantwortlich oder schuldig? Der richterliche Beamte, der im Rahmen des Gesetzes Urteile fällen muß-
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te, der Staatsanwalt, der die Anklage zu erheben hatte, die Schreibkraft, die das Todesurteil zu schreiben hatte? Bis in welches Glied geht die Verantwortung und Schuld? Bis zum Lieferanten des Fallbeils oder Stranges, bis zu dem, der die Gerichteten zu bestatten hatte? Oder man nehme den Gnadentod an den Geisteskranken. Wer hat die Anordnungen getroffen von den obersten Behörden, wer hat die Anregung dazu gegeben, wer einen solchen Befehl formuliert, wer ihn ausgefertigt und überbracht, wer ihn vollzogen? (Eckert 1946, S. 66 f.) Zu einer strafbaren Tat, zu einer Schuld gehört im allgemeinen ein Wissen, ein Erkennen, ein freier Entschluß, eine Handlung, die nach allgemeinem rechtlichem Empfinden des Volkes mindestens nach den Rechtsvorschriften des Staates unter Strafe steht. Mit nur allgemeinen Vorwürfen wird man leicht ungerecht, beschuldigt Falsche und Unschuldige, begeht neues Unrecht, das leicht in Generationen, in ganze Familien gehen kann. Davor wollen wir uns hüten; das Deutsche Volk hat genug zu tun, mit der Vergangenheit aufzuräumen. (Eckert 1946, S. 68 f.) Bei der Aufklärung der für die Geschehnisse in den Konzentrationslagern Verantwortlichen und Schuldigen wird man noch exakter vorgehen müssen. Abgeschlossen von der Welt, nach außen völlig dicht gemacht, ohne öffentlichen Verkehr, mit schärfster Zensur, abgeschlossener ärztlicher Versorgung, mit eigenem Standesamt, eigenen Krematorien, war an das Kleinste und Totalste gedacht, wußte die Umwelt nichts, was in den Lagern alles vor sich ging, wußten die Insassen selbst oft nichts von den Geschehnissen in den Straf- und Vollzugsabteilungen. .. Hier interessieren auch die Techniker und Firmen, die die Pläne für solche Lager entwarfen, die Lager und ihre Inneneinrichtungen geschaffen haben, die Lieferanten und Hersteller solch großer Mengen von Gasen oder Giften, daß sie sich nicht mehr auf Unkenntnis zu berufen vermögen. Wer im besonderen hat für den Mord an Menschen bestimmte Gaskammern errichtet, die – man müßte es annehmen – doch technisch eigens konstruiert sein mußten, wer Verbrennungsanlagen in einem Ausmaße geliefert, das mit natürlichen Abgängen nicht mehr begründet werden konnte, also im höchsten Grade Verdacht aufkommen lassen mußte? .. Welche Verbindungen zu Wachmannschaften, zu üblen Charakteren bestanden im örtlichen Umkreise? Wer waren die Freunde und Freundinnen solcher Männer, die im Lager die einfachsten Gebote der Menschlichkeit nicht anerkannten und sich draußen noch als die Herren aufspielten? Was ging in den Räumen der Herren der Lagerleitungen ‚gesellschaftlich‘ vor? Was waren ihre perversen sexuellen ‚Spielereien‘ mit Lagerinsassen oder ihren von draußen mitgebrachten ‚ehrenwerten‘ Damen? Auch hier sind Schuldige zu suchen! .. Hauptsache aber, wir erfassen auf diese Weise wirklich Schuldige und säubern uns von diesen, bevor sie uns in der Zukunft wieder neuen Schaden anzurichten vermögen. (Eckert 1946, S. 69–71) Bei allen solchen Prüfungen und Überlegungen spielt die Frage der sogenannten „höheren Verantwortlichkeit“ oder „höheren Schuld“ eine besondere Rolle. Dazu eine Bemerkung. Wer sich anmaßte, einen verantwortlichen Posten zu bekleiden, oder sich auf einen solchen Posten berufen ließ, kann sich nicht nachträglich auf seine Unfähigkeit, auf seine Unwissenheit berufen oder die verantwortlich machen, die ihn berufen oder geduldet haben. Eine alte Erfahrung lehrt, daß Menschen, die ihrem Posten sachlich oder fachlich nicht gewachsen sind, das Bestreben zeigen, ihre Mängel durch minderwertige Haltungen auszugleichen. Mit Bezug auf die verbrecherischen Vorkommnisse des Nazismus muß man dies so ausdrücken: Überall dort, wo fachlich nicht oder nicht vollbefähigte Männer an verantwortungsvollen Posten
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saßen, war menschlichen Gemeinheiten die Türe um so leichter geöffnet, je größer die Unfähigkeit des Betreffenden war. Zum größten Teile hätten diese Gefahren rechtzeitig, jedenfalls bevor größerer Schaden entstanden war, beseitigt werden können, wenn die für die Beaufsichtigung verantwortlichen höheren Männer und Stellen ihrer Pflicht genügt hätten. Insofern trifft die höhere Verantwortlichkeit auch die höhere Schuld. (Eckert 1946, S. 71 f.) Die Mehrheit des Deutschen Volkes erkennt die Notwendigkeit der politischen Reinigung an und tritt für die Bestrafung der Schuldigen und Verantwortlichen ein. Nach seinem Rechtsempfinden dürfen aber nur wirkliche Schuldige bestraft werden, grob ausgedrückt alle die, die sich als ‚politische Schweine‘ benommen oder Verbrechen begangen haben. Das Volk hat dazu drastische Vorstellungen. Nicht der einfache Arbeiter, der kleine Angestellte oder Beamte, die oft nach dem jahrelangen Gespenst der Arbeitslosigkeit und in der erbärmlichen Not ihrer Familie zur Partei oder einer Gliederung gingen, um Arbeit oder Stellung zu bekommen, zwar an kommandierten Veranstaltungen und Aufmärschen teilgenommen, sich aber sonst den Teufel um die Partei und ihre politischen Ziele gekümmert haben – nicht derjenige, der nach 1933 aus berechtigter Sorge, seine wirtschaftliche Existenz zu sichern oder zu retten, oder wegen der teuflisch ausgedachten politischen Anstellungs- und Beförderungsvorschriften, oder um sein Studium fortsetzen zu können, der Partei oder einer Gliederung beitreten mußte, dort vielleicht sogar in ein kleines Amt gedrängt wurde, wird in den Augen des Volkes als schuldig angesehen; seine Bestrafung allein nur wegen seiner Zugehörigkeit zur Partei oder der Gliederung wird vom Volke nicht verlangt. Hier fehlt der innere Zusammenhang zwischen der Beteiligung an der Gewaltpolitik und den Gewalttaten der Partei und dem Entschluß des einzelnen, aus berechtigten wirtschaftlichen Erwägungen der Partei oder Gliederung beizutreten. .. Das Deutsche Volk verurteilt den Parteibonzen, den üblen Nazinutznießer, den Stellenjäger, den Gewaltmenschen, den parteipolitischen Schinder und Aufpasser, den Denunzianten, den despotischen und fanatischen Anhänger, den üblen Militaristen, den Kriegswütigen und Scharfmacher, dem alles noch nicht rücksichtslos genug erschien, den Judenhasser und Judenverfolger, den das Volk terrorisierenden und einschüchternden Propagandisten, den Blindwütigen, den eigentlichen Verbrecher, den verantwortungslosen Führer, den Kriegsverlängerer, den Volkssturmwütigen, den Ausbeuter. Immer wieder Feinde echter Menschlichkeit und wahrer und ehrlicher Gemeinschaft des Volkes, die charakterlich und politisch Minderwertigen. (Eckert 1946, S. 76 ff.) In weiten Kreisen des Deutschen Volkes besteht .. der dringende Wunsch, bei der politischen Reinigung und den politischen Sühnen einen befreienden und großzügigen Weg zu beschreiten. Es hält den Zeitpunkt für erreicht, daß das Gesetz zur Befreiung des Deutschen Volkes vom Militarismus und Nationalsozialismus daraufhin nachgeprüft und aufgelockert wird. Das deutsche Volk will auch seine große Hoffnung nicht aufgeben, daß der Spruch des Nürnberger Gerichtshofes insoweit eine politisch neu zu wertende Lage geschaffen hat und daß über den Kreis der in dem Nürnberger Urteil Angeschuldigten hinaus nur mehr der zur politischen und strafrechtlichen Verantwortlichkeit gezogen werden soll, der sich einer konkreten Verletzung der Grundrechte des Volkes oder Staates schuldig gemacht hat. Die Wurzel des heutigen Übels in Deutschland ist die geistige Not, ist die Sünde, die viele Deutsche begangen haben. Aber es ist nicht christlich, das Wort der Vergebung zu
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unterlassen, sagte kürzlich der englische Bischof Dr. Bell von Chichester auf einer ökumenischen Tagung in der Berliner Marienkirche. (Eckert 1946, S. 79) Zu den Grundrechten des Volkes gehört der publizistische Anstand. Die internationalen Rechtssätze verurteilen aber im allgemeinen niemanden gleich zum Tode, der gegen publizistische Gesetze verstoßen hat. Der Nürnberger Freispruch des Rundfunksprechers Hans Fritsche fußt auf solchen Erwägungen. .. Wer ist überhaupt beim Rundfunk schuldig geworden, wer verantwortlich? Es gibt keine internationalen Gesetze, die während eines Krieges das Verhalten der Streitgegner in diesem Punkte regeln. .. Das Deutsche Volk interessiert sich für diejenigen, die für den Erlaß des Verbotes des Abhörens der Auslandsender im eigenen Lande verantwortlich sind und für den Ausbruch der Todesstrafe bei festgestellten Verstößen. Wie viele Männer und Frauen sind wegen solcher Vergehen bestraft worden, wie viele haben ihr Leben nur wegen einer solchen Handlung verloren? Das wollen wir wissen. Die Schuldigen und Verantwortlichen dieser barbarischen ‚Erfindung‘ werden gesucht; mit ihnen die Lumpen von Denunzianten, die an den Wänden horchten, um bei ihren Nachbarn die ‚Auslandsgeräusche‘ zu erlusen, und die, die in den dunkeln Abend- und Nachtstunden die Häuser entlang schlichen, in die Gärten einbrachen, um Funksünder zu ertappen, die besonders ‚hellsichtigen‘ Parteispione, deren erster Blick in den Wohnungen auf die Einstellung des Radiogerätes ging, um gleiche Feststellungen zu treffen alle die, die dann zur Anzeige schritten! Die suchen wir bis zum letzten Mann und bis zur letzten Frau! (Eckert 1946, S. 133 f.) Politisch interessiert das Deutsche Volk noch das politische Verhalten der die Wissenschaften verkörpernden Lehrer und Professoren oder anderer Lehrkräfte, auch soweit sie weniger gefährlich für die Menschheit sich auswirken konnten. Wer hat sich etwa schuldig gemacht durch die Verbreitung falscher Lehren der Rassen- und der Völkerkunde, der Geschichte, der Staatskunde, des internationalen Rechts und der für das friedliche Zusammenleben der Völker geltenden Grundsätze? .. So kommen wir bei der politischen Untersuchung der Wissenschaften von der Sache auf die Personen, auf Schuld oder Verantwortungen, aber auch auf die Nichtbelasteten und auf die unantastbaren Persönlichkeiten, die trotz Nationalsozialismus nur wieder ihre Pflicht getan haben! (Eckert 1946, S. 138 f.) Welch eine verderbliche Wandlung in den sittlichen und christlichen Anschauungen über Ehe und Familie hat der Nationalsozialismus damit verschuldet? Man ließ bedenkenlos Hunderttausende schuldig werden; man hat eine Erbschaft hinterlassen, die Deutschland noch Jahrzehnte belasten muß. (Eckert 1946, S. 143) Schließlich sei noch ein Wort zur Bekennung der Schuld des ganzen Deutschen Volkes gestattet. Wir haben bereits die Gründe aufgeführt, die die Anerkennung der Kollektivschuld des Deutschen Volkes schon aus physischen Gründen als unmöglich erscheinen läßt. Die deutsche Gesamtschuld wäre klar und eindeutig, wenn das Volk in wirklicher Freiheit und gewolltem Entschluß sich an den Verbrechen und Gewalttaten der Nazis beteiligt, wenn es ein klares Wissen der Vorgänge gehabt hätte. Das trifft nach den Wirklichkeiten der Zeit und der Geschehnisse nicht zu. Wenn man bei der gerechten Abwägung der Schuld einmal das Gegengewicht des Widerstandsgeistes und der Widerstandstaten auf die gleiche Waage legen könnte, wohin würde die Waage sich neigen? (Eckert 1946, S. 163) Geht man den Weg der Feststellung und Bestrafung der wirklich Schuldigen und der wirklich Verantwortlichen nach den aufgezeigten Grundsätzen, so wird sich ergeben, daß die Zahl der wirklich schuldig und wirklich verantwortlich Gewordenen
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wesentlich kleiner sein wird, als nach den augenblicklichen Methoden der Beurteilung nach oft nur äußeren Gesichtspunkten angenommen wird. Darin würde nicht nur eine wesentliche staatspolitische innere Bedeutung für Deutschland liegen; es würde zugleich den Völkern und Mächten, deren Grundrechte die Nazigewalt so schwer verletzt hat, ihre innere Bereitwilligkeit zu einer Versöhnung mit einem Deutschen Volke von wahrhafter Demokratie und ehrlichem Friedenswillen auch wesentlich erleichtern. (Eckert 1946, S. 181) Kein Schuldbekenntnis, aber eine Gewissenserforschung tut not .. Der Nationalsozialismus hat uns unmittelbar in die Katastrophe hineingeführt. Das ist richtig. Aber der Nationalsozialismus hätte in Deutschland nicht zur Macht kommen können, wenn er nicht in breiten Schichten der Bevölkerung vorbereitetes Land für seine Giftsaat gefunden hätte. Ich betone, in breiten Schichten der Bevölkerung. Es ist nicht richtig, jetzt zu sagen, die Bonzen, die hohen Militärs oder die Großindustriellen tragen allein die Schuld. Gewiß, sie tragen ein volles Maß an Schuld, und ihre persönliche Schuld, deretwegen sie vom deutschen Volk vor deutschen Gerichten zur Rechenschaft gezogen werden müssen, ist um so größer, je größer ihre Macht und ihr Einfluß waren. Aber breite Schichten des Volkes, der Bauern, des Mittelstandes, der Arbeiter, der Intellektuellen, hatten nicht die richtige Geisteshaltung, sonst wäre der Siegeszug des Nationalsozialismus in den Jahren 1933 und folgende im deutschen Volk nicht möglich gewesen. (Adenauer 1946, S. 140) Die größte Aufmerksamkeit werden wir der Ausmerzung des nationalsozialistischen und militaristischen Geistes in Deutschland widmen müssen. Die aktiven Nationalsozialisten und die aktiven Militaristen, die für den Krieg und seine Verlängerung Verantwortlichen, dazu gehören insbesondere auch gewisse Wirtschaftsführer, müssen aus ihren Stellungen entfernt werden. Sie müssen je nach Lage des Falles von deutschen Gerichten bestraft, ihr Vermögen muß ganz oder teilweise beschlagnahmt werden. Das Elend, das sie über Deutschland, über die ganze Welt gebracht haben, schreit zum Himmel. Deutsche Gerichte sollen ihnen das Urteil sprechen. Die nationalsozialistischen Konjunkturgewinne und die Kriegsgewinne müssen eingezogen werden. Aber wir wollen nur den treffen, der wirklich schuldig ist; die Mitläufer, diejenigen, die nicht andere unterdrückten, die sich nicht bereicherten, keine strafbaren Handlungen begangen haben, soll man endlich in Ruhe lassen. Sie selbst sollen Zurückhaltung üben, weil sie, wenn auch nur zu einem manchmal sehr kleinen Teil, mit Schuld tragen an dieser entsetzlichen Entwicklung. Sie können in unsere Partei eintreten, wenn sie zunächst auch keine Funktion darin ausüben sollen. Aktiver Militarist ist nicht der Soldat, gleichgültig welchen Ranges, ob Offizier oder nicht, der in anständiger Weise seine Pflicht erfüllt und nichts anderes getan hat. Er darf deswegen keine Zurücksetzung erfahren. Wenn man harmlose Mitläufer und Soldaten, die glaubten, ihre Pflicht zu erfüllen, deswegen zurückstößt, so züchtet man geradezu einen verstiegenen und extremen Nationalismus. (Adenauer 1946, S. 150) Das Geld, das nötig war, um eine solche ungeheure Organisation wie die nationalsozialistische Partei aufzubauen, kam zuerst aus den Schwarzen Fonds der Reichswehr, der Reichswehr, die von sozialdemokratischen Ministern und auch von dem mir hochverehrten Reichspräsidenten Ebert immer mit größter Zartheit und Rücksicht behandelt wurde. Die Wirtschaftskreise sind erst der nationalsozialistischen Partei mit finanziellen Mitteln zur Hilfe gekommen, als diese Partei die stille Approbation und Unterstützung der Reichswehr gefunden hatte. Ich verurteile scharf diese
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militärischen und die wirtschaftlichen Kreise; sie tragen große Schuld und müssen deshalb zur Rechenschaft gezogen werden. (Adenauer 1946, S. 157) Schuld, Schuld aller Deutschen? Schuld der Passivität? Wir sind alle in dieser Zeit und durch diese Zeit schmutzig geworden (Heuss 1946b, S. 189). überraschendes Ergebnis, daß – abgesehen von einer Anzahl krasser, mehr oder minder offensichtlicher Fälle – die Masse dieser Menschen zwar politisch einfältig, kritiklos, stumpf und autoritätshörig war, die subjektive Schuld des Einzelnen jedoch, wenn man sich um Sachlichkeit bemüht, meist gering ist (Müller-Meiningen 1946, S. 20). Unerbittliche Strenge gegen die Schuldigen .. Gerechte Gesetze! Gerechte Maßnahmen! Individuelle Prüfung und Behandlung! (Müller-Meiningen 1946, S. 67 f.) Wie ist es möglich gewesen? Wer ist schuldig? Es wird uns von außen täglich vorgehalten: Keiner will jetzt mehr ein Nationalsozialist gewesen sein – aber schuldig sind alle Deutschen! Denn sie haben das alles mindestens zugelassen, so lange, bis die übrige Welt den Krieg entschied. Wir möchten den Vorwurf der allgemeinen Schuld wegen seiner Naivität, wegen seiner Unkenntnis unserer Verhältnisse abwehren. Beweist nicht ringsum jeder sein Alibi? .. Wer ist also schuldig? Nur die Winkelgruppe fanatischer Schwärmer, in der die Partei ausgebrütet wurde? Aber sind nicht schuldiger die Marodeure und Pseudo-‚Idealisten‘, durch die sie erst stark werden konnte? Und mehr noch die ‚Köpfe‘, die sich mit ihr verrieten? Und am schuldigsten diejenigen, die sich mit ihrer Hilfe zu sichern glaubten, später in den Zeiten ihrer Macht? Und schließlich, die es besser wußten: Gab es keinen Weg zwischen der Emigration, die der Heimat Stützen des Widerstands entzog, und dem Schweigen, das es den Machthabern leicht machte, die positive Arbeit der Besserwissenden mit für ihr ‚Reich‘ einzuspannen – keinen Weg außer dem ins Konzentrationslager: in ein tieferes, ins Todesschweigen? Alibis, Entschuldigungen sind für jeden bei der Hand. Es bedarf der Konstruktionen, sogar um die Hauptverantwortlichen zu treffen. Aber uns alle klagt schon die Tatsache des Nationalsozialismus an, die Tatsache, daß er möglich war, daß er Deutschland beherrschte und den Krieg entfesselte. Hier liegt die Ursache der Verwirrung, die unsere Situation kennzeichnet. Wer ist schuldig? Ohne klare Antwort darauf, Antwort, die wir selbst uns selbst zuerst geben, bleibt jeder Versuch zum Neuanfang belastet mit dem Ungenügend vor der Welt, vor der Geschichte, vor uns selbst – ganz abgesehen von der Schuld an Blut und Verbrechen. Nicht nur unsere physische, moralische und geistige Existenz, sondern jeder Gedanke auch der neutralsten Forschung steht unter dem Verdikt. Denn unsere Berechtigung, ja unsere moralische Eignung auch dafür wird ja gerade bezweifelt. Daß dies tief in die Grundlagen Europas, der abendländischen Geschichte, der ganzen heutigen Welt eingreift, braucht hier nicht bedacht zu werden. Der Beweis unserer Legitimation ist uns zugeschoben. Solange wir selbst keine Antwort finden, ist die neue Situation – ein Loch, in dem jeder Versuch zum Neuanfang untergeht, so lange gibt es für uns keine Diskussion, keinen Weg, keine Zukunft. (Kuhn 1946, S. 6 f.) Die erste Frage betraf nicht die sachliche, sie betraf die persönliche Möglichkeit des Nationalsozialismus. Sie hieß: wer ist schuldig? Ist auch darauf die Antwort schon gegeben? Kann überhaupt eine Antwort darauf gegeben werden? Wenn man die Erkenntnis der nationalsozialistischen manieristischen Wirklichkeit ernst nimmt, dann muß man sagen, daß die Schuldfrage in dem Sinn, in dem sie üblicherweise gestellt wird, nicht beantwortet werden kann: als Schuld an der nationalsozialistischen Idee, Schuld an den Greueln selbst. Das ist hart zu hören. Aber es muß
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verstanden werden! Nicht aus den Inhalten seiner Idee und seiner Macht war der Nationalsozialismus sachlich abzuleiten. So ist er auch nicht aus den Inhalten zu verurteilen. Gewiß ist Lüge Lüge, Verbrechen ist Verbrechen, Blut ist Blut, und es sind Millionen derer, die zum Himmel schreien dürfen um ein gerechtes Urteil! Aber faßt man den einzelnen Schuldigen an, dann zerfasert sich seine Schuld ohne Ende. Da ist Grausamkeit bloß Feigheit, Feigheit ist bloß Gehorsam, Gehorsam ist bloß Loyalität, und so geht es fort. Da gibt es überall nur Halbes: Teilverantwortlichkeit, teilweisen ‚guten Glauben‘. Da ist vor allem das Gesetz der manieristischen Wirklichkeit auch nach rückwärts, auch entschuldigend wirksam: Was jetzt, ‚von außen‘ gesehen, Betrug und Verbrechen ist, war es ‚von innen‘ nicht auch Idealismus und Pflicht? Das sind gewiß keine brauchbaren Verteidigungsgründe. Wer sich so entschuldigt, der klagt sich am meisten an. Aber es soll klar machen, daß von den Inhalten aus die Schuld so wenig wie die Ursache des Nationalsozialismus zu verstehen ist. Sie dehnt sich so in der Tat über das ganze Volk aus. ‚Von außen‘ gesehen, moralisch, religiös sind wir alle schuldig – in unzähligen Abstufungen, aber unter dem gleichen Urteil. Denn wir alle haben mindestens ‚mit der großen Hure Babylon gelebt‘, freiwillig oder unfreiwillig. Wohl gab es Gegenstreiter, außerhalb Deutschlands und in Deutschland. Aber wer von ihnen darf sagen, sein Widerspruch habe das Ganze erfaßt? Er habe nicht nur ‚Übergriffen‘ gegolten? Und: er sei nicht zu spät gekommen? (Diese Schuld trifft sogar die Sieger.) .. Teilhaben .. mußten alle an dieser Wirklichkeit. Schon mit ihrer bloßen Existenz, deren sich der Nationalsozialismus ohne ihr Zutun bemächtigte – am entschiedensten zuletzt im Kriege, den die Wissenden zumeist mit ihrem Leben bezahlt haben. Das ist die Schuld, wenn man sie von außen faßt, wie es jetzt ja die Katastrophe mit sich bringt. Sie trifft alle. Aber gerade darum ist nicht viel damit anzufangen. Wenn es um den Einzelnen geht, so sind immer nur relative Unterschiede zu fassen, es gibt keine absolute Grenze zwischen Schuld und Nichtschuld, die doch praktisch nötig ist – ganz abgesehen von der Gerechtigkeit! Und welche Hilfe, welcher Maßstab für die neue Situation steckt denn noch in dieser Allgemeinheit der Schuld? Welche Hilfe in einer Moral, einer Religion, die uns brüderlichpharisäisch das Schuldbekenntnis abfordert? Und die gleiche manieristische Wirklichkeit muß man doch auch von innen sehen, wenn ein Urteil gerecht sein will. Alle – außer den Führern, die das System erfunden haben – sind in der Tat nur ‚teilweise‘ Nationalsozialisten gewesen oder inkompetente Ausführungsorgane. Auch in dem, was dem einzelnen befohlen wurde, ist, vom Winterhilfsopfer bis zum Konzentrationslager, ein ganz kontinuierlicher Übergang – wo liegt die Grenze zwischen Schuld und Nichtschuld? Und läßt sich Dummheit bestrafen – wenn dazu noch die manieristische Ausschließung des Sinns eine Erkenntnis unmöglich machte? Den Führern selbst aber ist schwer der ‚gute Glaube‘ ganz abzusprechen, wenn man sich überhaupt mit ihnen auf den Boden der existentiellen nationalen Begründung stellt. Zivile Verbrechen vieler von ihnen stehen in zahllosen Fällen fest, aber auch hier verwirrt der kontinuierliche Übergang von kaum-einerSchuld bis zum abscheulichsten Massenverbrechen. Wo ist die Grenze, bei der die Waagschale zwischen dem ‚guten Glauben‘ an ihre Aufgabe und der Verwerflichkeit der Machtmittel nach einer Seite zu sinken beginnt? Das soll nicht heißen, daß es keine gibt! Es gibt sie. Aber es ist schließlich immerhin die Raskolnikoff-Frage. Nicht eine ‚zersetzende Dialektik‘, die jede Schuld in nichts auflöst, kann hier beabsichtigt sein – die ganze Betrachtung wird, so hoffen wir zuversichtlich, von vornherein diesen Vorwurf ausschließen. Sondern, was sie uns unbedingt einzusehen
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zwingen soll, ist die Tatsache, daß auch für die Schuldfrage aus den Inhalten der nationalsozialistischen Idee und Macht nichts zu gewinnen ist. Auch hier muß man den Schritt von den Inhalten zu ihrem Zusammenhang, zur Einsicht der manieristischen Wirklichkeit finden. Nicht im Betrug und nicht in den Greueln selbst läßt sich dem nationalsozialistischen Manierismus gegenüber eine Schuld mit ganzem Recht begründen. So stützt immer die Idee die Macht, die Macht die Idee: daß zwar Extreme auf beiden Seiten festzustehen scheinen, hier höchste Schuld – da Schuldlosigkeit, alles Dazwischenliegende aber zeigt so kontinuierliche Übergänge, daß man dabei auch an den Extremen irre wird. Gibt es überhaupt noch Nichtschuld? Gibt es überhaupt noch Schuld? Genau das sind die Bahnen, in denen sich die Verwirrung der jetzigen Situation bewegt. Aber auch die Schuld liegt schon im Zusammenhang von Idee und Macht. Er enthält den entscheidenden Schritt, auf dem alles Weitere nur beruht. Wenn es überhaupt Schuld gibt, dann ist es die, den Zusammenhang von Idee und Macht restlos in die eigene Hand genommen zu haben. Weil sie auf keine bestehende Wahrheit trauten, sondern die Wahrheit selbst ‚machten‘– darum sind die Nationalsozialisten schuldig! Superbia, Überhebung heißt ihre Sünde. Es ist die Sünde Luzifers, des Teufels selbst! Ihre Schuld ist intellektuelle Schuld – oder sie ist keine. Auch das scheint, faßt man den Einzelnen ins Auge, keinen eindeutigen Maßstab zu geben, keine scharfe Grenze. Denn nimmt man die intellektuelle Sünde passiv, als Sünde der fehlenden Erkenntnis – wer hat sich dann nicht ihrer in irgendeiner Hinsicht schuldig gemacht? Trotzdem, es gibt eine haarscharfe Grenze, auf der objektive juristische Schuld und moralische Schuld zusammenfallen. Der eigentliche Sinn der intellektuellen Schuld, der superbia, ist ja die aktive Überhebung. Sie ist die Schuld Luzifers. Und sie ist ganz eindeutig zu beweisen und zu verfolgen: Jeder, der selbst ein Stück der Macht in der Hand hielt, vom größten bis zum kleinsten, ist auch persönlich schuldig. Praktisch gesprochen: Jeder, der einen Menschen nach seiner ‚politischen Zuverlässigkeit‘ beurteilte oder beurteilen durfte. Denn damit ist er von der Teilhabe hinübergeschritten zur Aktion. Auch der kleinste Obmann hat in jedem Fall gewußt, daß er damit den ‚Menschen‘ vernichtet, ihn zum ‚Material‘ der absoluten Macht stempelt. Das aber ist aktive Beihilfe zu jedem der nationalsozialistischen Verbrechen. Diese Grenze ist für die Politik des Augenblicks vielleicht zu subtil. In unserem Bewußtsein aber sollten wir uns daran halten. Es dürfte niemand in der nächsten Zukunft Verantwortung übertragen werden, der unter diese Rubrik fällt. Aber es müßte dafür auch die ganze übrige Verwirrung wenigstens in unserem Bewußtsein aufhören. (Kuhn 1946, S. 42–46) innerhalb des deutschen Volkes [tragen] die Hauptschuld am Hitlerismus die Monopolherren und die Junker als seine Auftraggeber – und dann jene Bürger, die sich seit Bismarcks und Wilhelms Zeiten von jeder Hurrapolitik mißleiten ließen. .. dennoch [fällt] auch den deutschen Hitlergegnern ihr Teil der Verantwortung zu für die Kapitulation ihres Volkes vor Hitler im Jahre 1933. Gerade weil die Hitlergegner damals so stark waren, ist ihre Mitverantwortung so groß und so bedeutsam mit ihren Lehren für die Zukunft .. Schwerer wiegt die Schuld der Führer der rechten Sozialdemokraten, der Zentrumspartei und der Deutschen Demokratischen Partei, die selbst „gemäßigten“ nationalistischen und imperialistischen Ideen anhingen und dadurch den Widerstand gegen das Vordringen des Nazigiftes paralysierten. .. Geringer ist die politische Schuld des linken Flügels der deutschen Arbeiterbewegung, der, trotz seiner sektiererischen Fehler, jederzeit aufrichtig als Rufer zum Kampf auf Leben und Tod gegen die nahende Nazigefahr auftrat. (Abusch 1946, S. 256 f.)
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Es gehört aber mit zu der Schuld der Deutschen, daß sie wohl mit keiner Sache so sehr gespielt haben wie mit der Verantwortung. Der eine schiebt sie dem anderen zu, bis sie schließlich keiner mehr hat, sondern nur noch der Ismus, das System, das dann nicht mehr weiter schieben kann, und bei dem sich dann die Berge aller Schuld häufen. „Ich habe keine Verantwortung dafür. Ich bin nicht zuständig dafür. Es ist eben das System.“ Wie oft konnten wir täglich solche Reden wohl hören. Es ist die Schuld der Kirche, daß sie hier nicht das rechte Wort zur rechten Zeit hörbar gesagt hat. .. Die Kirche .. muß auch heute noch mit sehr gutem Grunde aus sehr konkretem Anlaß wieder sagen, daß es kein Ismus war, der uns in das Verderben stürzte. Es waren Menschen, die keine Verantwortung vor Gott kannten oder kennen wollten. (Harbsmeier 1946, S. 43 f.) angesichts solchen Zusammenbruchs, der uns bis ins Herz hinein betrifft, ist es Gott selber, der durch den Mund der Kirche die Fessel der Schuld löst und zur Tat ruft und ein Neues pflügen will. Angesichts dieser Welt, die sich für uns heute nur mit blutigem Ernst als das erwiesen hat, was sie ist, nämlich eine verlorene Welt, ruft Gott selbst jetzt in die Verantwortung der Tat der Liebe .. Unsere Hoffnung auf die Zukunft, die Gott uns gibt, ist doch nicht zerschlagen, sie ist das, was uns geblieben ist (Harbsmeier 1946, S. 50). Wer so wie Reinhold Schneider geschrieben hat, der hat mit Hitler nicht paktiert .. Diese Dichter und Gelehrten haben durch ihr Werk bezeugt, daß sie an dem, was über Deutschland und die Welt heraufzog, keine Mitschuld tragen. Sie selber fühlen sich dabei gewiß vor Gott nicht frei von Schuld; denn welcher Mensch vermöchte das! Allein, dann ist es nicht die Schuld, von der man heute spricht, wenn man an so etwas wie Kollektivschuld denkt. Es ist dann die religiöse Schuld, die metaphysische, an der die ganze Menschheit trägt und nicht nur irgendeine Gruppe. (Grimme 1946a, S. 60 f.) Demokratie und Mitschuld .. sind zwei Begriffe, in denen sich die Zukunft und die Vergangenheit wie in einem Brennpunkt auffangen (Grimme 1946d, S. 93). Wir rechnen keinem es als Schuld an, daß er es nicht gewußt hat. Es ist nicht das Schuld, deutsches Volk, daß du dies oder das nicht wußtest. Schuld ist, so paradox es klingt, daß du es überhaupt nicht wissen konntest. Auch ist nicht das die größte Schuld, daß du, wenn du es wußtest, nichts sagtest und dagegen nichts unternahmst. Die tiefste Schuld ist, daß du nichts sagen und nichts unternehmen konntest, aus eigenem Verschulden heraus nichts unternehmen konntest, weil du die Möglichkeit, um diese Schändlichkeit zu wissen und dann dagegen anzugehen, leichtsinnig einst und unbedacht, dich selbst entmannend, preisgegeben hattest. In einem Staat der demokratischen Verfassung, da hättest du es wissen können und hättest alle Freiheit besessen, nun auch dagegen aufzustehen. Die tiefste Schuld des deutschen Volkes ist, daß es die Chance des vorigen verlorenen Krieges nicht genutzt hat, daß es die ihm vom Schicksal zugeworfene Freiheit jener Weimarer Verfassung frivol verschleudert hat. (Grimme 1946d, S. 102) Das, worauf es hier ankommt, ist das, was jeder von sich selbst weiß und was sein Gewissen ihm sagt – und wenn wir Deutsche zugeben, daß vermutlich jeder von uns sich schwacher Stunden anklagen muß – und die Welt dafür zugibt, daß die ethische Schuld, die der einzelne Deutsche an der Kampffront für das Recht auf sich geladen haben mag, nicht in eine Klasse mit der der eigentlichen Verbrecher und ihrer Werkzeuge gehört und .. nicht eine juridische Frage ist und keine solche, über die in Bausch und Bogen abgeurteilt werden kann, so denke ich, daß bei solcher Beurtei-
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lung niemand über Ungerechtigkeit klagen kann und damit eine Grundlage für neuen Frieden zwischen den Völkern gelegt ist (Ebbinghaus 1946, S. 80). Die Mitverantwortung und Schuld des deutschen Bürgertums an allem, was die Katastrophen und insbesondere das Emporkommen des Nationalsozialismus vorbereitet hat, ist nicht gering. (Meinecke 1946, S. 36) und räumen wir ein, daß der Aufstieg Hitlers zur Macht mit Erfolg hätte verhindert werden können, so wird damit auch der Anteil des deutschen Volkes an der Schuld, Hitler zur Macht gebracht zu haben, geringer. (Meinecke 1946, S. 96) Voran aber hat heute der Zorn über unsere Demütigung denen zu gelten, die sie verschuldet haben, der Hybris derer, die uns in diesen Abgrund führten, und der Urteilslosigkeit derer, die sich dieser Führung ohne inneren Protest unterwarfen. (Meinecke 1946, S. 156) Es ist nicht meine Absicht, das Schuldproblem aufzurollen und die Frage zu erörtern, ob jeder Deutsche sich schuldig fühlen muß. Wir haben in den verflossenen Jahren selbst zu viel gelitten, um das Verständnis für eine generelle Verurteilung des Deutschen Volkes aufbringen zu können. Am wenigsten sind wir aber geneigt, die Schuld unserer Jugend zuzuschieben, die im bildsamen Alter einer hemmungslosen Propaganda fanatischer Gewalthaber ausgeliefert war. Aber es ist unsere Pflicht zu prüfen, wie es möglich gewesen ist, daß so viele deutsche Menschen der Stimme gewisssenloser Aufpeitscher gefolgt sind, und daß sie erst nach Einbruch der Katastrophe den tiefen Abgrund, vor den sie gestellt waren, erkannt haben. Und haben es heute wirklich alle erkannt? (Plank 1946, S. 5 f.) der deutsche Mensch zusammengeschmiedet durch .. gleiche tragische Schuld (Kaiser 1946b, S. 203). Ich erkannte .., wie angesichts dieser Stimmen [aus dem Äther] das meiste unseres vergangenen Jahres vertan worden war wie ein Geschwätz. Wie wir versucht hatten, das Furchtbare dieser leisen Stimmen, und hinter ihnen das Furchtbare von Millionen anderer leiser Stimmen zu übertönen mit dem Wort. Nicht mit der Tat, der letzten Kraft unserer Hände und Herzen, sondern nur mit dem Wort. Mit Anklage und Verteidigung, mit Analyse und Theorie, mit der Begutachtung der Schuld, einer logischen, einer juristischen, einer psychologischen, einer metaphysischen Begutachtung. .. Aber nicht mit der Tat. Der geschändete Leichnam der Menschlichkeit lag vor unseren Füßen, aber wir begruben ihn nicht. Wir häuften nicht Erde auf ihn und gingen nicht davon, um mit blutenden Händen zu arbeiten. Wir trieben Philosophie mit dem Leichnam, eine gründliche, tiefsinnige Philosophie, wie sie uns entspricht, und inzwischen wurden wir selbst zu Leichnamen des Gedankens, zu denkenden Schatten, die in einem Reich der Trümmer lebten und nichts anderes erstrebten als die Lösung der Fragen: „Wer ist schuld?“ „Wer ist ohne Schuld?“ „Sind wir alle schuld?“ „Sind nicht alle schuld?“ Die Zeitungen schrieben es, die Theater spielten es, die Regierungen und Parteien verkündeten es. Aber niemand deckte die barmherzige Erde über den Toten, und er lag inmitten des zerstörten Abendlandes, die starren Augen aufgeschlagen, und wartete, daß die Münder verstummten und eine Hand sich seiner erbarmte, eine einzige Hand, die Gutes tun würde, um einen winzigen Teil des Bösen auszutilgen aus dem Gedächtnis der Menschheit. (Wiechert 1946, S. 198 f.) Deutschland kann sich nicht vom Abendland trennen. Es muß wieder einmal eingegliedert werden in die Gemeinschaft der Völker. Es hat sich aus ihr schuldhaft selbst
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gelöst und wird und muß wieder durch christliche Selbstbesinnung und durch die Sühne seiner Schuld zur Mater occidentalis zurückfinden. (Naumann 1946, S. 2) Der Verlust unserer Werften und Schiffe, der Verlust unserer Fabriken und unserer halben Stadt, der Verlust von 25000 unserer besten Söhne ist schwer, ist unendlich schwer und ist verschuldet durch menschliche Dummheit und sittliche Verworrenheit, die nur ein paar Jahre ihr Regiment auszuüben brauchte, um solche Ergebnisse zu erzielen. (Kaisen 1946, S. 42) Diese göttliche Freiheit ist zugleich Gefahr und Versuchung; denn der Mensch kann sie als Empörer im luziferischen Trotz oder in lächerlicher Anmaßung selbstherrlich nehmen. Dann gewinnt das Dämonische Raum in seiner Seele. Auch die Völker, die ja Gedanken Gottes sind, können ihre Sendung verleugnen und ihre Fähigkeiten zur Zerstörung mißbrauchen. Wir haben es mit Schaudern erlebt, wie der einzelne und ganze Gemeinschaften das Gesetz des Lebens zum Gesetze des Todes machten. Schuld war letzten Endes der Mangel an Ehrfurcht vor dem Schöpfer und seiner Schöpfung, die es zu vollenden gilt. (Steltzer 1946, S. 140) Die Bereinigung unseres politischen Lebens ist z. Zt. zweifellos eines unserer schwierigsten Probleme. Sie muß beschleunigt durchgeführt werden, um das Moment ständiger Beunruhigung aus den Herzen und Hirnen vieler unserer Mitbürger verschwinden zu lassen. Voraussetzung für einen erfolgreichen Abschluß der Entnazifizierung in nicht allzu ferner Zeit ist, daß sie sich bewußt darauf konzentriert, diejenigen ihres politischen oder sonstigen Einflusses zu berauben, die durch aktive Unterstützung der zwölfjährigen Gewaltherrschaft eines größenwahnsinnigen Fanatikers schuldig geworden sind an dem unendlichen Unglück, das über uns alle hereingebrochen ist. Jedes Abweichen von diesem Ziele würde eine Verlängerung des Reinigungsprozesses, vielleicht auf Jahre hinaus, bedeuten und damit nicht nur zu psychologisch höchst unerwünschten Folgen führen. Es ist somit notwendig, einen klaren Strich zu ziehen zwischen dem Aktivisten und dem Mitläufer, der zwar seine Beiträge zahlte, vielleicht auch ein geringes Amt innehatte, dem Regime selbst aber ablehnend oder zumindest interessenlos gegenüberstand. (Steltzer 1946, S. 143) wir wissen, daß wir die Chance, eine deutsche Großmacht zu bilden, für die Gegenwart nach allem, was nun einmal geschehen ist, verspielt haben – Gott allein weiß, ob nur für unsere Generation oder ob für alle Zukunft. Die Welt, wie sie jetzt aussieht, im wesentlichen durch unsere Schuld, wird keine deutsche Großmacht mehr dulden. Damit haben wir als mit einer unabänderlichen Wirklichkeit zu rechnen. Wollen wir weiterleben, so müssen wir zusehen, wie sich ein deutsches Staats- und Wirtschaftsleben auf dieser neuen Basis überhaupt aufrichten und so gestalten läßt, daß wir in der Enge unseres stark verkleinerten Lebensraumes nicht ersticken. (Ritter 1946, S. 44 f.) Nein, an der Wiege der Neuordnung der deutschen Dinge steht nicht der deutsche Einzelstaat von ehedem, sondern der deutsche Mensch zusammengeschmiedet durch gleiche Not, durch gleiche Prüfungen, durch gleiche tragische Schuld. Wir haben die Not des Krieges zusammen getragen und wollen und müssen nun auch die Bürde des Wiederaufbaues gemeinsam leisten. Kein Wort der Verachtung ist stark genug gegenüber dem, der sich jetzt still und heimlich aus dem Staube machen und die Lasten unserer Zeit den anderen überlassen will. (Kaiser 1946b, S. 203 f.) Wir sind ja alle Männer des gleichen, durch Schuld eines Verbrechers und durch schweres Irren geschlagenen Volkes. Wir sind geeint in der Union eines gleichen Willens für dieses Volk. Viele von Ihnen haben mit mir in der Zeit der Tyrannei des
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Bösen gegen das Verhängnis gekämpft. .. Wir konnten die Katastrophe nicht aufhalten. (Kaiser 1946c, S. 185) Die Schuld hierfür [Deutschland und die Welt in das gegenwärtige Unglück gestürzt zu haben] lastet auf Hitler und seinem Regime. Mit ihrem Namen haben diese vergangenen Machthaber die Ehre des deutschen Volkes geschändet. Der Geist der Verneinung und Vernichtung, des Hochmuts und des Hasses, wie er sich im Nationalsozialismus bekundete, muß bis in seine letzte Konsequenz erkannt und überwunden werden, damit das andere geistige Deutschland, das wir kennen und lieben, sich um so segensreicher entfalten kann. Noch leben einige Mitbürger in dem Wahn, daß die Verelendung, die wir jetzt durchmachen, nicht eingetreten wäre, wenn Hitler und seine Trabanten gesiegt hätten. Sprechen wir dagegen in Klarheit und Deutlichkeit aus: Hitlers Sieg würde die Vernichtung der Humanität und jeder echten Gesittung bedeutet haben! Und erkennen wir auch dieses andere: Wir allein haben das Übel des Nationalsozialismus nicht zu überwinden vermocht! Wir haben der Sieger harren müssen, die uns von unserem schlimmsten Feind befreiten. (Brauer 1946, S. 16) Diese Frage ist wohl ganz einfach die elementare Frage unserer Zeit: wie sind wir dahin gekommen, wo wir jetzt stehen? Wie erklärt sich die fürchterliche Verkehrung des Lebens, deren Zeugen, Opfer und Mitschuldige wir waren? Wo sitzt die Wurzel des Unheils und der Unordnung? Und wenn wir das zu wissen glauben: wie kommen wir wieder heraus, zurück zu einer echten Ordnung, zu Sinn und Wert. Die Antwort aber, die von der Idee des Abendlandes aus gegeben wird, ist etwa diese: wir sind dem Grundgesetz unseres Werdens untreu geworden, wir sind von unserem eigentlichen Wesen und damit von unserer Aufgabe abgefallen; dieses Grundgesetz heißt: Abendland, Einheit der Romanen, Germanen und Slawen, vor allem aber der Romanen und Germanen im Zeichen von Antike und Christentum, heißt eine hierarchische Ordnung der Werte, heißt ein Menschentum, das aus der geschichtlichen Vermählung der germanischen Völker mit der getauften, heiligen Antike, mit Rom und Griechenland, entsprossen ist; in einem langen Prozeß der Auflösung oder des Abfalls, als deren Stufen der Nominalismus, die Reformation, der Absolutismus, die Aufklärung, der Nationalstaat, der Liberalismus, der Kapitalismus und Materialismus, Imperialismus und Bolschewismus, schließlich die vollendete Säkularisierung genannt werden, sind wir zur Anarchie und zu der Entmenschung des Menschen gelangt, die sich im Nationalsozialismus nun endlich nackt und gräßlich manifestiert hat. (Dirks 1946, S. 193) Die Frauen werden es nicht leicht haben, sich den aufbauenden Kräften wieder einzuschalten. In doppelter Weise werden sie gehemmt sein. Einmal durch das Jahrzehnt eines Regimes, das sie von einem schon errungenen Einfluß auf die Gestaltung des Volkslebens weit zurückgeworfen hat. Und dazu – eine Tragikomödie –, daß man ihnen nun gleichzeitig die Zugehörigkeit zum Nationalsozialismus, in dem sie nichts bedeuteten, als Schuld anrechnet. (Bäumer 1946, S. 28) Der Jugend kann die volle Erkenntnis der Schuld, mit der wir belastet sind, nicht erspart bleiben .. Aber sie muß ihr erwachsen aus der Wiederentdeckung des göttlichen Gesetzes, das über unserem Leben waltet. Nicht menschliche Verzweiflung, sondern ‚göttliche Traurigkeit‘ muß diese Wiederentdeckung in den Seelen bewirken, jene Reue, aus der die neue Liebe quillt. Die Gefahr, in der die Welt steht, gibt dem allen ein unermeßliches Gewicht. Es ist so, wie die Verse sagen: ‚Sieh, eine Welt sinkt in Trümmer.‘ Es kann geschehen, daß die in Bewegung gesetzten Gewalten die Mächte der Erhaltung überbieten. Es kann sein, daß diese Welt einen echten Frieden
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nicht mehr zustande bringt. Bloße ‚Diplomatie‘ reicht für diese Aufgabe nicht aus. Nur die Ahnung von der Macht der entbundenen Dämonieen, nur das Verständnis für den Geisterkampf, der unsichtbar in den Lüften tobt, nur eine geniale Gottesschau, nur der fromme und heldische Entschluß zur Umkehr und Erneuerung kann die Rettung bringen. (Bäumer 1946, S. 46) Jetzt wollen wir mal in den Spiegel gucken und über uns selbst gerührt sein. Was wir für edle Menschen sind. So schaun wir aus. Jeder hat seinen Gewissensjuden, oder mehrere, damit er nachts schlafen kann. Aber damit kauft man sich nicht frei. Das ist Selbstbetrug. An dem, was den tausend anderen geschieht, die wir nicht kennen und denen wir nicht helfen, sind wir deshalb doch schuldig. Schuldig und verdammt, in alle Ewigkeit. Das Gemeine zulassen ist schlimmer, als es tun. (Zuckmayer 1946, S. 98 f.) Es war wohl immer schwer – für jeden, der gefragt hat. Für euch ist es am schwersten. Wir hatten es kinderleicht dagegen, in unserer Jugend. Ihr seid in den Tag geboren, mit dem das Recht zerbrach. Aber glauben Sie mir – es gibt ein Recht. Es gibt einen Ausgleich. Vielleicht nicht für den einzelnen. Vielleicht nicht an der Oberfläche des Lebens– jedoch im Kern. Die Welt nimmt ihren Lauf, das Bestimmte erfüllt sich. Es wird keine Schuld erlassen. Es schlüpft kein Aal durchs Netz. Und auf den großen Fischfang folgt das große Fest. Glauben Sie, Hartmann – glauben Sie getrost an das göttliche Recht! Es wird Sie nicht betrügen. (Zuckmayer 1946, S. 141) Harras: Haben Sie bedacht, was Niederlage heißt? Fremdherrschaft? Neue Gewalt – und neue Unterjochung? Oderbruch: Das dauert nicht. Es wachsen Kinder heran, neue Geschlechter, die werden frei sein. Was aber uns unterjocht, jetzt, hier und heute – was uns alle zu Knechten macht, und schlimmer: zu Gehilfen, zu Mithelfern des Verbrechens, das täglich unter unseren Augen geschieht, auch wenn wir sie schließen, das, Harras – das wird dauern, über unser Leben und unser Grab hinaus – es sei denn, wir tilgen die Schuld, mit unsrer eigenen Hand. Harras: Die Schuld tilgen – durch neue Schuld? .. Durch Blutschuld? Mord? Brudermord?! .. Glaubt ihr, daß Kain die Welt besser machte, als er den Abel erschlug? (Zuckmayer 1946, S. 149 f.) Aber wir werden auch zu zeigen haben: die Schuld in der Masse befreit nicht von der persönlichen Schuld. Jeder Einzelne, der dem Geist der Masse huldigte, huldigte in Wahrheit dem triebhaft primitiven Teil des eigenen Ich, – im Schutze der Masse. (Windisch 1946, S. 14 f.) Nicht der Schacher um Schuld baut die Zukunft, sondern die Erkenntnis, verschwiegen und in aller Stille. Die Vergangenheit überwinden, heißt die Zukunft besitzen. Von diesem Augenblick an beginnt dann die Zukunft. Jeder hat ja nur sich selbst zu beichten. Mehr wert als jedes Schuldbekenntnis ist heute der gute Wille aller. Damit der Tag kommt, an dem es keine Schuldigen, keine Halbschuldigen und keine Unschuldigen mehr gibt, sondern nur noch Gläubige, nämlich daran, daß wir uns durchschlagen werden und daß wir keine Parias sind, sondern Menschen wie alle, voller Irrtümer und Schwächen wie alle, unsrer selbst würdig allein durch den guten Willen. Und sicher ist: jetzt erst fällt die Entscheidung, für jeden Einzelnen von uns. Jetzt kann noch der Todesstoß kommen, endgültig und aus uns selbst. Freilich: wer zu hören bereit ist, wird sein Herz festhalten müssen. Erkenntnisse können eisig sein. (Windisch 1946, S. 31) Diese Welt sagt: Ihr alle tragt Verantwortung, jeder einzelne. Ihr habt zum mindesten geduldet, daß die brutale Gewalt sich austoben konnte. Und ihr hättet sie gerufen, leichtfertig oder bewußt. Also tragt ihr in eurer Gesamtheit die Verantwortung.
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Ist das richtig? Jeder hat mit sich selbst auszumachen, inwieweit er für die Drachensaat, die daraus wuchs, mitschuldig ist. Mitschuldig ist vor allem jeder, der wußte oder auch nur ahnte, welcher Geist der nackten Gewalt über Europa hinstampfte und der ihm Beifall schrie und seinen Siegen zujubelte. Dieser Teil des deutschen Volkes trägt volle Verantwortung. Es war vielleicht der kleinere Teil, der größere wartete bang auf das Ende mit Schrecken. Man sagt, diese alle hätten sich ermannen müssen. Aber wer es sagt, sieht auf den Bildern aus den Konzentrationslagern die Leichenberge derer, die sich ermannten. .. Es werden vielleicht ganze Sippen darunter sein, die für den Einen büßten, der sich ermannte. Man kann von einem Volke verlangen, daß es guten Willens ist, man kann jedoch nicht verlangen, daß es aus 70 Millionen Helden und Märtyrern besteht. (Windisch 1946, S. 32 f.) Jedes summierende Kollektivurteil über kollektive Vorgänge (‚ihr alle seid‘, ‚Ihr alle habt‘) ist von vornherein objektiv falsch. .. Unterscheiden wir also zwischen zwei gänzlich verschiedenen Tatbeständen: der objektiven, juristischen Schuld (und sei es aus Fahrlässigkeit) und der soziologischen Mitverantwortlichkeit aus Disposition oder dank der bloßen Zugehörigkeit zu einem Kollektivum. .. Der Begriff der Schuld hat keine mathematische Grenzlinie und zuletzt entscheidet – das Gewissen. Nur das Gewissen, kein irdischer Richter mehr. (Windisch 1946, S. 91 f.) Eine Zeitlang war eine Formel aufgetaucht, nach der jeder einzelne Deutsche schuldig oder nichtschuldig befunden werden konnte. Man sagte: freizusprechen von der Anhängerschaft sind lediglich drei Kategorien: Geistliche, Insassen von Konzentrationslagern und alle 1933 Gemaßregelten. Im übrigen haben alle damaligen Wahlund Abstimmungsergebnisse als korrekt und als der Ausdruck des Volkswillens zu gelten. Somit: 98 Prozent des deutschen Volkes haben als mehr oder weniger verantwortliche Anhänger des Regimes zu gelten. Nun, jeder, der das deutsche Elend an Ort und Stelle miterlebt hat, weiß, daß dieses Kollektivurteil – wie jedes Kollektivurteil – völlig schief und daß es eine Legende ist. (Windisch 1946, S. 118 f.) Die Universität ist nicht unschuldig an ihrer Machtlosigkeit, deren reines Faktum bereits eine Schuld, ein Schuldigbleiben, bedeutet. Die Schuld in diesem Sinne fällt aber nicht so sehr in die Krisenzeit selbst als in eine viel längere Periode vorher. Die deutschen Universitäten waren nicht genug sie selbst, sie hatten ähnlich wie andere geistig-seelische Mächte – unter ihnen die Kirchen – nicht genug eigene Klarheit und Geistesmacht, nicht genug Trotz, um Gegengewicht gegen die ungeheuer angestiegenen Gefahren der modernen Welt zu bilden, sie waren durch Positivismus und Spezialistengeist zu sehr geschwächt, um gegen Mechanisierung, Entseelung, sittliche Subalternität und Entgottung aufzukommen. So ist die Katastrophe infolge unberechenbarer Verknüpfung von Schuld und unglücklichem Schicksal über uns hereingebrochen. (Tellenbach 1946, S. 18) Die Schuldigen an dem furchtbaren Zusammenbruch und an den vollbrachten Greueltaten müssen zur Rechenschaft gezogen werden, und dies wird in dem neuen Gesetz über die politische Befreiung, das am 5. März in München für die amerikanische Zone erlassen wird und dann auch für die übrigen Zonen ergehen dürfte, mit aller Strenge, aber auch gerecht unter individueller Prüfung jedes einzelnen Falles geschehen. Darüber hinaus bedarf es aber einer geistigen Auseinandersetzung, die nicht von Haß, denn von Menschlichkeit getragen sein muß. (Geiler 1947, S. 89) Voran steht, wie ich glaube, die Notwendigkeit der Erkenntnis, daß dieses bedrückende äußere Geschehen, das sicher nicht ohne unser eigenes Verschulden über uns
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hereingebrochen ist, und diese so schwere Lage, in die wir dadurch hineingeraten sind, nicht das Ganze unseres Lebens ist. (Geiler 1947, S. 172) Für solche Typen, ob Faschisten oder Bolschewisten, kann es .. den Begriff echter Schuld – und folglich Sühne – in einem sittlichen Sinne gar nicht geben. (Kogon 1947a, S. 292) Der Mitläufer ist im Sinn einer höheren Gerechtigkeit nicht schuldig, denn er folgte nur dem, der für den politischen Irrtum verantwortlich ist; folglich gehört zuerst der Verantwortliche auf die Anklagebank! – Mitnichten, antworten wir; keiner von beiden gehört dorthin, wenn es sich nicht um Verbrechen, sondern um politischen Irrtum gehandelt hat .. Es ist nicht Schuld, sich politisch geirrt zu haben. Verbrechen zu verüben oder an ihnen teilzunehmen, wäre es auch nur durch Duldung, ist Schuld. Und Fahrlässigkeit ist ebenfalls Schuld, wenn auch eine von anderer und von geringerer Art als Verbrechen und Verbrechensteilnahme. Aber politischer Irrtum – in allen Schattierungen – samt dem echten Fehlentschluß, gehört weder vor Gerichte noch vor Spruchkammern. Irren ist menschlich (Kogon 1947b, S. 247 f.). Wer zeigt, daß er gelernt hat – in selbstverständlicher, nüchterner, unpathetischer Bewährung – der gehört zu uns: zur kämpfenden Gemeinschaft der weiter irrenden, aber um ein System bemühten Menschen, in dem das Recht auf politischen Irrtum nicht mit Schuld verknüpft zu sein braucht. Nur wirkliche Demokratie ist positive Befreiung (Kogon 1947b, S. 254). Dieses Buch will in keiner Weise eine Gesamtverantwortung des deutschen Volkes für die Untaten des Hitler-Regimes ablehnen, wendet sich aber mit Schärfe gegen die Behauptung der Gesamtschuld des deutschen Volkes (Pechel 1947, S. 13). Und wenn dieser Herr Jaspers jetzt nach dem Kriege eine Broschüre über die Schuldfrage geschrieben hat, in der er das sehr richtige moralische Problem der allgemeinen Verantwortung für den Faschismus dahin gehend zu verschieben versucht, indem er von einer allgemeinen Schuld der menschlichen Existenz schlechthin spricht, so möchte ich im Namen der jungen antifaschistischen Intelligenz Deutschlands, die sich trotz der Einflüsse des Faschismus von dem Gift frei gehalten hat, nur antworten: Wir verzichten auf eine Philosophie, die 1933 den Rückzug auf das Private durch die Maschen des Apparats predigte und heute mit einer Tartufferie die Schuldfrage abtun will. (Harich 1947, S. 160 f.) wenn dieses Pseudo-Plebejertum des Faschismus für den geistigen Menschen so unerträglich war, so deshalb, weil der geistige Mensch eben zu wenig dafür getan hatte, daß das Volk – die Masse – energisch genug für seine Ideale, für die Ideale der Humanität und der Freiheit und des Friedens kämpfte. Das ist ein gegenseitiges Bedingungsverhältnis. Es steckt viel Schuld auch sowohl in jedem einzelnen des deutschen Volkes, aber es steckt auch viel Schuld und mehr Schuld bei der Intelligenz, die den Menschen des deutschen Volkes nicht die Waffen in die Hand gab, sich gegen den Faschismus energisch genug zu verteidigen. (Harich 1947, S. 161) Ich glaube, daß das Schuldbekenntnis eines einzelnen, das andere wahrscheinlich ähnlich abzulegen hätten, hier repräsentativ abgelegt werden muß. Ich glaube, daß wir schon in jenem Stadium hätten erkennen müssen, daß das Mittel des Wortes nur noch Selbstverständigungsmittel in einem Kreise von Auguren sein konnte, der völlig unerheblich war für die Gestaltung des öffentlichen Lebens, daß wir im übrigen allenfalls der Toleranzfassade in der Tat gedient haben, daß wir in jenen Streik der Intelligenz unter allen Umständen spätestens hätten eintreten müssen und darüber hinaus die Flucht ins Äußere hätten antreten müssen, den unmittelbaren Kampf in
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der Realität, mit allen Mitteln und auf alle Risiken. [Beifall] Ja, ich muß Ihnen gestehen, Ihr Klatschen beschämt mich, denn das, was ich hier ablege, ist ein privates und zugleich ein öffentliches Geständnis, das keinen Beifall verdient. .. lassen Sie mich .. das Wort aussprechen: Ich klage mich an. .. Ich glaube, wir dürfen hier nicht anfangen und wir dürfen hier nicht auseinandergehen, ohne uns selber zuzurufen: Heben wir die Isolierung auf, die uns von unserem Volk trennt. [Beifall, Bravo-Rufe] Dies nur kann die Strafe, die Sühne und die Wiederherstellung unserer Persönlichkeit vor unserem Volke sein, die wir dem Schuldbekenntnis, das an sich müßig wäre, anhängen müssen. Wir wollen uns zu einer echten, wirklichen Arbeitsstrafe verurteilen, dann werden wir auch den Impulsen genügen, die in den beiden gestrigen Begrüßungsworten, die mir besonders eindrucksvoll waren, zum Ausdruck kamen, in denen des Vertreters der Französischen Militärregierung und des Vertreters der Sowjetischen Militärregierung, die uns in so großer, menschlicher Übereinstimmung entgegenklangen und in denen uns gesagt wurde: Denkt daran, daß ihr Aufgaben habt, denkt daran, daß ihr nicht für die Heutigen, daß ihr für die von morgen zu schreiben habt! (Steinhoff 1947, S. 162 f.) Über die Schuldfrage wird ja wahrscheinlich morgen auch noch gesprochen werden. Auch diese Dinge sind nicht so einfach zu lösen Auch das ist außerordentlich schwierig. Im wesentlichen kann man aber festhalten, daß 1933 neunundvierzig Prozent der deutschen Bevölkerung gegen die Nationalsozialisten gestimmt haben und nur einundfünfzig Prozent damals mit den Deutschnationalen und mit den Anhängern für diese autoritäre Regierung. (v. Holtum 1947, S. 236 f.) Es gibt nur eine Gattung von Leuten, die keinerlei Toleranz verdient. Das sind diejenigen, die Georg Büchner als die »Feinde der Menschheit« bezeichnet. Sie sind öffentlich zu richten, denn sie tragen öffentliche Schuld. Ich glaube nicht, daß sie einer Schicht angehören. Die eben Abgeurteilten trugen Präsidentenhüte, Marschallstäbe und Soutanen, sie waren Ärzte und Wissenschaftler, und die willigen Folterknechte stellten Mietskasernen, Bauernhöfe und die Landsknechtsvereine des ersten Weltkrieges. Die Analyse Grillparzers scheint auch für die Rückkehr von der Bestialitat zur Humanität zuzutreffen, indem auch diese über Nationalität führt. Der Überfall Hitlers auf die Völker Europas hat an den elementaren Selbstbehauptungswillen der Nationen appelliert. Und die Methoden dieser dunkelsten Gestalt unserer Geschichte haben den Haß der ganzen Welt auf uns gezogen. Dadurch sind längst ruhende Regungen völkischer Charaktere in ein weltpolitisch anachronistisches Stadium zurückgeführt .. keine noch so freundliche Atmosphäre nimmt uns von der Unerbittlichkeit des Haftbarseins für alles und jedes aus, was geschieht und was geschehen könnte. (Hagelstange 1947, S. 251) Groß ist das Interesse des Auslandes, wie Deutschland diese Aufgabe löst. Wir sind müde, wir sind mürbe und geneigt, uns einer Skepsis zu ergeben. Aber dieses Gespenst des Nihilismus besteht. Überall ist die Krisis der Welt, und es kann auch die Situation eintreten, daß der, der am meisten leiden mußte – mit Schuld leiden mußte –, zuerst an die Probleme herangedrängt wird und daß er, der der Letzte war, weil er solange abgeschlossen war von der Welt, nun durch das Dulden, durch die Heiligkeit des Schmerzes, den er erlitt, plötzlich vorangeht und der Menschheit etwas Neues zu sagen hat. (Redslob 1947, S. 360 f.) Wir haben sie nicht gemieden,/wir haben sie nicht gewusst .. Wir ließen sie im Lauen,/wir wollten keinen Bund./Jetzt zieht sie unsre Brauen/und zeichnet uns zu Grund,//hat uns mit Blut verkettet/in Schand und Schmach und Leid! .. Hat jeder
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nicht die Schranken/des kleinen Glücks gesucht?/Hat jeder nicht sein Wanken/im Herzen matt gebucht?//Wir können sie nicht erschlagen/die Schuld, die uns zu schwer. .. Sie schmiedet uns in Ketten/der Furcht, die uns umgibt,/zertrümmert uns die Stätten,/die wir zumeist geliebt. .. In unserer Kinder Schmerzen/blickt sie uns bitter an! .. O Gott, laß uns nicht weichen,/vergeuden Stund um Stund!/Gib uns die Flammenzeichen/der schweren Sühne kund, .. aus unserer Schuld der Segen/erneuter Menschheit dringt! (Kerckhoff 1947a) In der Beurteilung der Schuld des vergangenen Systems und damit in der Beurteilung unseres Verhältnisses zu den Besatzungsmächten wird nur zu leicht übersehen und vergessen die Schuld derer, die uns durch Terror, durch Herabsetzung und Verachtung der Menschenwürde, durch Bedrohung unseres Lebens dazu gezwungen haben, den Tag herbeizusehnen, an dem die „Anderen“ unser Land besetzen würden. So ist diese nachgerade paradoxe Situation für uns Deutsche entstanden, diese Aufspaltung unseres Volkes, die Schicht derer, die sich nach dieser Besatzung sehnten, weil sie sich danach sehnen mußten, nicht allein um ihres Lebens, um ihrer Freiheit willen, sondern auch um eines besseren Deutschlands willen. Und die andere Partei ist die, die niemals diese Besatzung wollte, weil für sie System und Krieg bis an das Ende ihres Lebens hätten dauern können. Wenn es eine unlöschbare geistige geschichtliche Schuld gibt – von jeder anderen Schuld abgesehen – dann ist es diese, die das Nazisystem in der Welt einzigartig gerade unserem Volk hinterlassen hat. Wir wollen auch ein anderes nicht vergessen, daß die Ursachen des Elends, in dem wir leben, doch auch in dieser selben Vergangenheit wurzeln. (Köhler 1947, S. 31 f.) Das andere Deutschland, zu dem uns zu rechnen wir stolz sind, spürt jetzt, daß es die Schuld der Schuldigen mitbezahlen muß. Ich habe vorhin schon darauf hingewiesen: wenn der Gürtel im Dritten Reich nicht so eng um den Magen gespannt werden brauchte, so geschah das auf Kosten des übrigen Europa. Was aber sonst noch aus diesem übrigen Europa zusammengeraubt, geplündert, gestohlen und weggeholt worden ist, davon machen sich die meisten von uns überhaupt keine Vorstellung, vielleicht nur diejenigen, die noch heute in ihren Haushaltungen manches Paar Schuhe, so manchen Stoffballen aus der früheren militärischen Tätigkeit ihres Haushaltungsvorstandes haben. (Köhler 1947, S. 39) Wir alle stehen und standen in der Gefangenschaft der Schuld. In einer solchen Welt ist die Bereitschaft zum Opfer für die Freiheit der Brüder – eine Bereitschaft um den Preis der Schuld – vielleicht die beste Tat. (Schneider 1947, S. 13 f.) Meine »Schuldfrage« hat wirklich auch eine wesentliche persönliche Wurzel – um so mehr, als ich weiß, daß ich es wiederum genauso machen würde wie in der Vergangenheit. Man hat Grund, sehr bescheiden zu sein. (Jaspers 1947, Arendt-JaspersBriefwechsel 1926–1969, S. 130) Die innere politische Beruhigung, der Wiederaufbau der Wirtschaft und Gründe der Menschlichkeit erfordern eine möglichst rasche Beendigung der politischen Säuberung. Dazu ist rascheste und summarische Bereinigung der Mitläuferfälle in einem vereinfachten Verfahren unter Aufhebung gesetzlicher Schuldvermutungen und automatischer Beschäftigungsverbote unumgänglich notwendig. (Ministerkonferenz 1947, S. 582) Wir müssen uns der Gewalt fügen, die über uns herrscht. Und wir müssen ja sagen zu diesem Schicksal und uns gerade durch unser Unglück den Blick schärfen lassen für die Voraussetzungen einer echten Neuordnung. Durch eine solche Haltung können wir unserem Schicksal eine positive Seite abgewinnen, weil wir durch sie den
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großen Anteil unserer Schuld an der Entwicklung abtragen und wieder legitimiert werden, einen eigenen Beitrag zur Rettung der Welt zu leisten. (Steltzer 1947, S. 177) Im übrigen wird es hier immer unlustvoller; unsre »têtes carrées« sind unverbesserlich … so voll innerer Verlogenheit und mangelndem Gerechtigkeitssinn; ich gerate immer wieder in Wut, wenn ich sehe, wie diese Volksgenossen sich auch heute noch um jeden Preis aus ihrer Schuld herausschwindeln wollen und wie es bereits heute als unpatriotisch gilt, von den Schweinereien der SS und auch der guten »kleinen PGs« zu sprechen, weil ja »die andern im Grund nicht besser waren«. Das, was Gollancz in seinem Pseudohumanismus (oder in seiner Wichtigtuerei) treibt, ist für das deutsche Volk jedenfalls das reinste Gift! Er unterstützt – wollend oder nicht – die neue Dolchstoßlegende! Gollancz ist in Deutschland herumgereist und hat gepredigt, nicht bloß Hitlerdeutschland sei an dem Krieg und dem heutigen Elend schuld, sondern mehr oder weniger alle Regierungen Europas …, eine halbe Wahrheit, die alle Nazis und halbe Nazis wie Honig einsaugen. »Die andern« haben Hitler ja hochgepäppelt, indem sie Verträge mit ihm schlossen; »die andern« sind im Grunde genau so schuldig wie wir! Das ist hier das Echo auf die Christentümelei von Mr. Gollancz. Wir haben es jetzt furchtbar schwer; wenn man dem deutschen Volk bereits heute seine Schweinereien erläßt, dann wird man ihm nie seine Verpflichtungen klarmachen können. (Wolf 1947, S. 162 f.) Das Wort »Kulturschuld“ ist aus der Theologie in das allgemeine Bewußtsein übergegangen. Leider haben wir Deutschen nicht nur mit dem Begriff, sondern auch mit der Realität, die ihm entspricht, am schwersten zu ringen. Die ernste Zwiesprache mit uns selbst darüber ist noch nicht abgeschlossen, und unser Wollen unterliegt der Selbstreinigung. Aber es gilt vom Menschen überhaupt, wenn der Dichter sagt: »Er wälzt die größ’re Hälfte seiner Schuld den unglückseligen Gestirnen zu.« Schon in der kleinen Welt des Alltäglichen hören wir oft die Rede, der Übeltäter sei eigentlich krank gewesen; deshalb müsse man ihm mildernde Umstände zubilligen. War unsere Kultur vielleicht tief in der Wurzel krank? War die Schuld etwa die Folge ungesunder Gesamtverhältnisse, die keine normale Aufwärtsentwicklung mehr gestatteten? (Spranger 1947, S. 18) Aber gehen wir in die Ursprünge zurück, so finden wir da Krankheit und Verfehlung, Schicksal und Schuld meist unlösbar verflochten, es sei denn, daß die Schädigung der Kultur ausschließlich durch den Einbruch äußerer zerstörender Kräfte verursacht worden sei, etwa in der Form von Überflutung durch primitive Reiterhorden. Beim Einzelmenschen ist es nicht anders. Zu einem Teil trägt er die sittliche Verantwortung dafür, daß er nicht krank wird: er hat die Pflicht, gesund zu leben. Aber das behütet ihn noch nicht vor dem Schicksal der Erkrankung. Es kann aus seiner Erbmasse hervorbrechen und mit einer Schuld der Vorfahren zusammenhängen: es kann aber auch als Trauma oder Infektion von außen auf ihn treffen. Das Leben ist aus vielen Fäden gewebt. So lange die objektiven Verhältnisse sich steuern lassen und so weit sie sich steuern lassen, sind mindestens die führenden, ausreichend gebildeten Menschen sittlich verantwortlich für die Kultur, die sie überkommen haben und an der sie mitbauen. Sie haben vor allem dafür zu sorgen, daß die Regulationssysteme, die selbst nach beiden Seiten hin ausschlagen können, gesund funktionieren, also Sitte, Moral, Rechtsordnung und Politik. In ihnen liegen die Abwehrstoffe gegen Schädigungen des Kulturorganismus. Es ist ein Streitpunkt der unmittelbaren Gegenwart, wie weit die Gutgesinnten in Deutschland nach 1934 noch in der Lage waren, die Weiterent-
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wicklung zu beeinflussen und das Verhängnis aufzuhalten, Wer nur von fern her zugesehen hat, denkt darüber anders als diejenigen, die das raffiniert aufgebaute System der Seelenknechtung unmittelbar umklammerte. (Spranger 1947, S. 35) Mit dem Schwinden der Ehrfurcht vor den letzten Dingen griff jene seelische Stumpfheit Platz, die dem Terrorsystem immer neue Einbruchstellen eröffnete. Nur allzu gut wußte im übrigen das Regime um die Angst des durch Fügsamkeit mitschuldig Gewordenen, und indem es untergründig das Gefühl gemeinsamer Schuld nährte, kettete es Menschen an sich, die aus eigenem Antrieb schwerlich zu ihm gestoßen wären. Die Himmlersche Terrorapparatur fand auch deshalb ein so williges Hilfspersonal, weil der Prozeß von der Isolierung bis zur Liquidation des Opfers in zahlreiche voneinander getrennte Einzelvorgänge zerlegt war. Nach dem Muster des Großbetriebes des Massenzeitalters bearbeitete jeder der damit Befaßten in scheinbar harmloser Büroarbeit ein abgesondertes Teilgebiet ohne im einzelnen zu wissen, was in der nächsten und übernächsten Abteilung geschah. Der Durchschnittsfunktionär erfüllte in dieser Riesenorganisation nur seinen abgezirkelten Pflichtenkreis. So besaß beispielsweise der Gestapobeamte in den seltensten Fällen einen unmittelbaren Einblick in die Verhältnisse in den Lagern, also in die Art des Vollzugs der von ihm bearbeiteten ‚Fälle‘. (Aich 1947, S. 202 f.) Bei aller Schärfe der Kampfansage gegen den Nationalismus muß man sich davor hüten, ihn an falscher Stelle zu wittern. Ein ungerecht erhobener Vorwurf ist eher geeignet, das neu zu züchten, was man beseitigen will. Der junge Deutsche, der im Jahre 1939 willig in den Krieg zog, weil er glaubte, es gälte Deutschland zu verteidigen, war kein Nationalist. Er war ein Betrogener, der die verbrecherischen Absichten der politischen „Führung“ nicht erkannte. Und es war auch nicht jeder aktive Offizier ohne weiteres ein Nationalist. Er mag es gewesen sein, aber er muß es nicht gewesen sein. Alle Schablonenurteile sind vom übel. „Jeder Offizier ein Nationalist“, darin steckt genau so viel und so wenig Wahrheit wie in „jeder KZler ein Held“ oder in „jeder Deutsche ein Schuldiger“. Bis in die Entnazifizierungsverfahren hinein wirken die Kollektivwertungen nach Schema weit eher vergiftend als heilend. Es ist heute sehr viel fruchtbarer, die am deutschen Horizont schon wieder auftauchenden massenbetörenden ‚Führer‘ von morgen – ganz gleich welcher Parole – nicht hochkommen zu lassen, als die einmal betört gewesenen ‚Mitläufer‘ von gestern kaltzustellen. (Friedlaender 1947, S. 37 f.) Der Durchschnittsdeutsche, der bis dahin noch nie etwas von Lidice gehört hatte, kam vor lauter Abwehr der ihm vorgeworfenen Mitschuld gar nicht dazu, sich über den Tatbestand Lidice wirklich zu empören. Er drängte vielmehr diesen Tatbestand ab, zusammen mit der eigenen Schuld. Er trennte nun auch nicht mehr, was die Ankläger zusammengeworfen hatten. So wurden die Nazigreuel schnell zu einem unliebsamen Thema in Deutschland. Und darüber hinaus wurde jede kritische Auseinandersetzung mit der Nazizeit zu einem unliebsamen Thema. Halb unbewußt kapselt sich der Durchschnittsdeutsche schon gegen Fragen wie die oben gestellten ab. Halb unbewußt wittert er dahinter gegen ihn selbst gerichtete Anschuldigungen. (Friedlaender 1947, S. 50) Es gibt einen großen Bereich von ‚Schuld‘, der der verfeinerten Gewissensforschung jedes einzelnen überlassen bleiben muß. Wer von außen mit massiven Vorwürfen in diesen Bereich eindringt, zerstört die Möglichkeit eines läuternden Selbstvorwurfs. Hierdurch und durch ihre anderen Nachkriegserlebnisse sind die Deutschen dazu gekommen, eher nach ‚guten Seiten‘ des Nazismus zu suchen. Das Unliebsame dage-
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gen wird ferngehalten, vergessen, verdrängt. Es wird gar nichts gebessert, wenn die weniger einsichtigen unter den Umerziehern das als Verstocktheit deuten. Wir haben uns an dieser Stelle schon einmal mit der Frage der Renazifizierung beschäftigt und vor voreiligen Urteilen gewarnt. Die Warnung vor den Gefahren einer ‚Geschichtsverdrängung‘ großen Stils kann gar nicht nachdrücklich genug sein. Die Psychopathologen wissen, wie gefährdet ein Mensch ist, der gewisse seelische Erlebnisse und Regungen nicht abreagiert, sondern verdrängt, und daß dies zu krankhaften Erscheinungen führt, die nur zu beseitigen sind, wenn das Verdrängte ins klare Bewußtsein heraufgeholt wird. Ganz in diesem Sinne hat das deutsche Volk den Nazismus nicht abreagiert, sondern verdrängt. Und wie einem Kranken muß ihm geholfen werden, das Ungewußte und Unbewußte bewußt zu machen und sich von Zwangsvorstellungen zu befreien. (Friedlaender 1947, S. 51) Von den Gerichten ist erst eine sehr kleine Zahl der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten verurteilt und für ihre auch am deutschen Volke begangenen Verbrechen mit dem Tode bestraft worden. Viele andere werden noch vor Gericht gestellt und zur Verantwortung gezogen werden. Trotzdem ist es nur eine verhältnismäßig kleine Zahl der wahren Schuldigen an dem großen Unglück unseres Volkes. Soll unser Volk und damit auch die Welt vor diesen Ungeheuern sicher sein, so müssen noch sehr energische Strafmaßnahmen gegen sie unternommen werden. Hierzu muß unser Volk durch seine demokratischen Organe selber die Initiative ergreifen. Es gilt alle wirklich Schuldigen ausfindig zu machen und ihre Verbrechen festzustellen, damit sie von den deutschen Gerichten ihre gerechte Strafe erhalten. Darauf sollte die ganze Aufmerksamkeit der antifaschistisch-demokratischen Parteien und Massenorganisationen, der Entnazifizierungskommissionen und -ausschüsse gerichtet sein. Es kommt auf eine gründliche Säuberung Deutschlands vom Nazigeist und von seinen Vertretern an. Diese Säuberung ist für die Zukunft unseres Volkes von größter Bedeutung. Ohne sie wird das deutsche Volk keinerlei Sicherheit haben, nicht wieder zum Spielball militaristischer und imperialistischer Machtgelüste deutscher Reaktionäre zu werden. Ohne diese Säuberung wird es sich nicht das Vertrauen bei den anderen Völkern erwerben, daß sie von deutscher Seite keinen Überfall mehr zu fürchten haben. Das aber ist gerade in dieser Zeit, in der über den deutschen Friedensvertrag beraten wird, von besonderer Bedeutung. Darin liegt auch der wahre Sinn der Entnazifizierung. Weiter ist eine breite ideologische Umerziehungsarbeit im Geiste der Demokratie und der Völkerverständigung notwendig. Die Hirne des deutschen Volkes müssen restlos befreit werden von dem verhängnisvollen Nazigeist der Welteroberungssucht und der Rassenüberheblichkeit, der im Hitlerstaate zur Grundlage der Volkserziehung gemacht wurde. In den höheren Lehranstalten und in den Volksschulen ist eine sehr gründliche Arbeit zu leisten, um die Jugend von diesem Geist zu befreien und sie für das neue demokratische Deutschland zu gewinnen. Die Säuberung der Lehrkörper dieser Lehranstalten von den aktiven Vertretern dieses Nazigeistes ist eine ebenso dringende wie notwendige Aufgabe der Entnazifizierung Deutschlands. Mit dieser Aufgabe schließt sich der Kreis der Verpflichtungen unseres Volkes, Deutschland für immer von den Kriegsverbrechern und Naziaktivisten zu befreien und unserem Volke wieder seinen Platz in der Gemeinschaft der demokratisch gesinnten und friedliebenden Völker zu verschaffen. Wesentlich anders steht die Frage der Entnazifizierung gegenüber den Millionenmassen, die auf den Nazischwindel hineinfielen und Mitglieder der Nazipartei wurden. Die Mehrheit von ihnen besteht aus Angehörigen des werktätigen Volkes. Sie sind im guten
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Glauben an die Versprechungen der Hitlerbande gefolgt und haben angefangen, zu begreifen, wie sehr sie betrogen worden sind. Ihnen gegenüber muß selbstverständlich in der Beurteilung ihres Verhaltens ein anderer Maßstab angelegt werden als gegenüber den Kriegsverbrechern und Naziaktivisten. Wenn diese Massen auch nicht frei von jeglicher Schuld zu sprechen sind, so muß doch alles getan werden, ihnen verständlich zu machen, daß ein neuer Weg gegangen werden muß, um Deutschland aus dem Unglück herauszuführen und seinen Wiederaufstieg zu ermöglichen. (Pieck 1947, S. 123–125) Der Parteivorstand der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands hat in seiner Tagung am 14. Februar 1947 seine frühere prinzipielle Stellungnahme in dieser Frage erneut bekräftigt, die dahin geht, daß die Hauptschuldigen an dem nationalen Unglück unseres Volkes unnachsichtlich [sic!] mit aller Strenge bestraft werden müssen, daß aber die ehemaligen einfachen Mitglieder der Nazipartei, die nicht an den Verbrechen der Nazis beteiligt waren, nicht mehr behelligt werden. Es muß ihnen Gelegenheit gegeben werden, sich aktiv am Wiederaufbau zu beteiligen und sich als gleichberechtigte Staatsbürger am politischen Leben zu beteiligen. (Pieck 1947, S. 126) Die führenden Nationalsozialisten stehen so sehr außerhalb des menschlichen Sittengesetzes, daß wir ihnen zuviel Ehre erwiesen, wenn wir an sie den moralischen Maßstab der Schuld anlegen würden. Von Schuld, die zugleich den Begriff der Reue, Sühne und Wiedergeburt einschließt, müssen wir sprechen im Falle aller derjenigen, die, in ihrer geistigen Verblendung und moralischen Verwirrung, durch Handeln oder Unterlassen jenen menschlichen Zerrbildern den Weg gebahnt haben, statt ihn ihnen rechtzeitig zu verlegen. Das aber ist eine Schuld, in die sich die Welt mit den Deutschen selbst zu teilen hat. Auf dieses selbe Schuldkonto gehört es auch, daß sich während des Krieges die Alliierten nicht dazu haben bewegen lassen, der inneren deutschen Opposition wirksame Hilfe zu leisten und in ihr ihre natürlichen Bundesgenossen zu sehen, die es zu fördern und zu ermutigen galt. Nachdem sie sich im Gegenteil unter der unseligen Führung Roosevelts, auf die ebenso grimmige wie hilflose Formel der ‚bedingungslosen Unterwerfung‘ Deutschlands festgelegt hatten, hatte sie sogar alles getan, um die deutsche Opposition zu lähmen. (Röpke 1948, S. 35) Mit Entsetzen und grenzenloser Empörung steht die Welt heute vor den Zeugen des Terrors, die die Nationalsozialisten in den Schädelstätten ihrer Konzentrationslager hinterlassen haben. Nur allzuviele sind geneigt, deswegen nur um so härter über das deutsche Volk zu urteilen, das, wie man sagt, diese Untaten geduldet hätte. .. Ist es fair, die Deutschen entgelten zu lassen, daß man nicht aus eigener Erfahrung weiß, was dieses lähmende Grauen im Nacken bedeutet, das zu erzeugen eines der Hauptgeheimnisse des Totalitarismus ist? Es ist die schwere Schuld der Welt, daß sie so lange von den Untaten, die der Nationalsozialismus an den Deutschen selbst begangen hatte, nur allzu geringe Notiz genommen hatte. Jetzt, da man vor der vollen grausigen Wahrheit steht, will man es allein dem deutschen Volke als Schuld anrechnen, daß es untätig geblieben ist, nachdem man es in eine Lage hat geraten lassen, in der diejenigen, die sich rührten, unweigerlich den Weg nach Buchenwald und den anderen Schädelstätten fanden? Sind also diese Konzentrationslager nicht vielmehr die erschütterndsten Zeugen dafür, daß es selbst unter dem furchtbarsten Terror noch genügend Deutsche gab, die sich gerührt haben? .. Die Grausamkeiten der Nationalsozialisten sind fürchterlich, aber es ist nicht das erste Mal in der Geschichte, daß Terror und Massenmord über ein zivilisiertes Volk hereinbrechen. Von den
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bekannteren Beispielen ganz zu schweigen: selbst in England sind unter Heinrich VIII. siebzigtausend Menschen hingerichtet worden, ohne daß diese – bei Macaulay nachzulesende – Tatsache einen englischen Filmregisseur des 20. Jahrhunderts gehindert hätte, aus jenem Massenschlächter – dem ‚gekrönten Lümmel‘ Jacob Burckhardts – eine komische Figur zu machen. Wer spricht noch von den Millionen kaltblütig „liquidierter“ russischer Bauern, wer von dem Millionenmassaker der Armenier? Selbst die Mechanisierung der Massentötung – man denke an die Französische Revolution mit der Erfindung des Monsieur Guillotin, die in Geist und Wirkung durchaus mit den Gaskammern Himmlers zu vergleichen ist, und mit den stumpfsinnig-kaltblütigen Massenertränkungen in der Loire – ist nichts Neues. Nun hat es viele Ausländer erbittert, daß Deutsche behauptet haben, von den Greueln der Konzentrationslager nichts gewußt zu haben. Dafür aber gibt es viele Erklärungen, ohne daß man deshalb sofort auf Verstocktheit schließen müßte: 1. Es ist möglich, daß die betreffenden Deutschen in gewissem Sinne recht haben, wenn sie sagen, sie hätten von diesen Greueln nichts gewußt. Natürlich haben die meisten immer eine unbestimmte und gerade deshalb besonders furchterregende Vorstellung davon gehabt, was in den Konzentrationslagern vorging, ja es war wesentlich für das nationalsozialistische – wie für das kommunistische – Terrorsystem, eine solche Vorstellung zu verbreiten. Einzelheiten aber zu wissen oder gar zu verbreiten war lebensgefährlich. Im Falle des besonders berüchtigten Lagers Belsen bei Celle habe ich mich an Ort und Stelle selbst davon überzeugt, daß die Vorgänge dieses Lagers sogar für die in der Nähe Wohnenden ein Geheimnis geblieben waren, während sie von den in der gleichen Gegend liegenden entsetzlichen Hungerlagern der russischen Kriegsgefangenen schaudernd erfahren hatten. 2. Es ist möglich und menschlich, daß man seine Scham vor den Siegern verbergen will. 3. Es ist möglich, daß die Wendung ‚Davon weiß ich nichts‘ die natürliche Reaktion von Menschen ist, die zwölf Jahre gelernt haben, möglichst nur ausweichende Antworten zu geben, weil dies das Sicherste war, um gerade jenen Konzentrationslagern zu entgehen. (Röpke 1948, S. 59–62) Die Deutschen möchten wir fragen: Erkennt ihr euch nicht in diesem Bilde? Habt ihr euch nicht allzu willig über die wahren Ursachen und Ziele dieses Krieges täuschen lassen? Wart ihr nicht bereits so tief gesunken, daß ihr noch stolz wart auf die so erfolgreiche Vergewaltigung Dänemarks, Norwegens, Hollands, Belgiens und anderer friedlicher und liebenswürdiger Nationen und daß ihr den heldenhaften Widerstand, den sie euch dann leisteten, nur für Verstocktheit hieltet? Ließt ihr euch nicht alle, Nationalsozialisten oder nicht, vom Siegestaumel hinreißen, als eure Heere Frankreich überschwemmten? Habt ihr euch nicht Herz und Hirn so weit verwirren lassen, daß ihr den Verbrechern, die euch führten, Recht gabt, als sie die Tschechoslowakei überfielen? Habt ihr nicht mit stumpfer Gleichgültigkeit, ja vielleicht mit Genugtuung, die Nachrichten von den ersten grauenvollen Bombardierungen Warschaus, Rotterdams, Belgrads, Londons und Coventrys aufgenommen? Ihr beteuert jetzt, daß ihr niemals Anhänger des nationalsozialistischen Regimes gewesen wäret. Hättet ihr, wenn ihr euch ehrlich prüft, diese Versicherung auch abgegeben, als euren Herren Europa in den Schoß zu fallen schien, und würdet ihr heute diese Versicherung abgeben, wenn nicht alles zusammengebrochen wäre? Halte jeder tiefe Einkehr bei sich selbst, und gebe sich jeder ehrlich und rückhaltlos Rechenschaft, wie wenn er seinem Herrgott gegenüberstünde! Wer aber bekennen muß, daß er unsere Fragen ehrlicherweise nicht bejahen kann, sollte sich schuldig
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bekennen. Der Nationalsozialismus würde die Deutschen endgültig überwunden haben, wenn sie nicht die ungeheure Schuld erkennen, die sie auf sich geladen haben, und die bittere Notwendigkeit, sie zu sühnen und sich so von ihr zu reinigen. Den anderen Völkern aber müßten wir sagen: Die Schuld der Deutschen ist eine andere als diejenige der Nationalsozialisten; sie ist die Schuld der Verführten, nicht der Verführer, die Entehrung der Vergewaltigten, nicht die Ehrlosigkeit der Vergewaltiger. Sie besagt, daß ein Volk, an dem die Tyrannis das Verbrechen der Seelenverderbnis verübt hat, noch gesund genug war, um verdorben werden zu können, und möglicherweise noch gesund genug geblieben ist, um das verderbliche Gift wieder auszuscheiden, sofern man es nicht zusammen mit seinen Verführern verdammt. .. Es wäre verhängnisvoll, wenn sich die Deutschen einreden wollten, ihre Schuld sei unabwendbares Schicksal gewesen, und so den Weg der Schuldbefreiung durch Reue und Umkehr verfehlen würden. Aber es wäre kein geringeres Unglück, wenn die übrige Welt nicht verstehen wollte, daß man unter einem totalitären Regime mitschuldig werden kann, ohne dieselbe Verantwortung wie seine Führer zu tragen, und so den Weg verständnisvollen Helfens und christlicher Barmherzigkeit verfehlen würde. (Röpke 1948, S. 67 f.) Die Deutschen [sind] am Dritten Reich mitschuldig geworden .., obwohl sie es ursprünglich in ihrer Mehrzahl nicht gewünscht haben, aber von hier bis zu der Behauptung, dass der Nationalsozialismus der deutschen Seele gemäß sei, ist doch ein sehr weiter Weg. (Röpke 1948, S. 64) Es war in der Tat wie eine schreckliche Massenepidemie, die rasend schnell um sich griff und jeden Tag neue Opfer forderte, auch in Kreisen, die man bisher für immun gehalten hatte. Und gegen diese braune Pest schien kein Kraut gewachsen, weder das vernünftige Argument noch der moralische Appell, aber dafür wurde sie noch durch alle möglichen Umstände und Zufälle in einer Weise gefördert, die an ein wahres Verhängnis glauben ließ. Allen Schichten wurde das Gift in der jeweils wirksamsten Dosierung und Mischung gereicht und überall mit Erfolg, bei den Angestellten und Arbeitern so gut wie im Mittelstande, unter den Bauern so gut wie unter dem Adel, den Professoren, den Offizieren, den Industriellen, Bankiers oder Beamten. Der Freund von gestern verwandelte sich heute plötzlich in einen Besessenen, mit dem nicht mehr zu reden war, und je erfolgreicher die Bewegung wurde, um so mehr mischten sich die Ängstlichen, die Zynischen und die Ehrgeizigen unter die ehrlich überzeugten Fanatiker, Verrückten und sittlich Verwirrten, um so mehr erlahmte der Wille der für die Staatsautorität Verantwortlichen. Was aber das spätere Verhalten der Deutschen zu jener Zeit anlangt, da der Totalitarismus triumphierte, so haben wir darüber bereits das Nötige gesagt. Das alles ist die Gesamtschuld, von der sich nur eine Minderheit des deutschen Volkes mit gutem Gewissen freisprechen kann, eine Minderheit, vor der wir uns um so tiefer zu verneigen haben, je bequemer wir es im sicheren Port des Auslandes hatten. Mögen diejenigen, die an dieser Gesamtschuld zu tragen haben, niemals vergessen, daß es sich um Mitschuld an den entsetzlichsten und viehischsten Grausamkeiten handelt, die Menschen ersinnen und begehen können, Mitschuld an dem qualvollen Tode von Millionen, an den höllischen Untaten von Oradour-sur-Glane, Vercors, Lidice, Auschwitz, Maidanek und ungezählten Dörfern und Städten fast aller von den Deutschen besetzten Länder, Mitschuld an den Massakern von Warschau, der vandalischen Zerstörung unersetzlicher Bibliotheken und an tausend anderen Ruchlosigkeiten, die die Feder kaum noch beschreiben kann! Und möge kein Deutscher die Erbitterung der Welt noch bis zur
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Sinnlosigkeit steigern, indem er Geschehnisse bestreitet, die dokumentarisch belegt sind und von denen er im Grunde ganz genau weiß, daß sie wahr sind, da sie dem ihm nur zu gut bekannten Charakter der Nationalsozialisten entsprechen! Viel größer noch aber ist die besondere Schuld einzelner wichtiger Gruppen, die entscheidend zum Triumph der Nationalsozialisten beigetragen haben, und diese Schuld wiegt um so schwerer, als es sich um führende Schichten handelte, die auf die den Massen allenfalls noch zuzubilligenden mildernden Umstände keinen Anspruch mehr haben. Hier sind vor allem folgende Gruppen zu nennen: 1. diejenigen, die die zum 30. Januar 1933 führende Intrige eingefädelt haben (der bereits genannte v. Papen und seine Helfershelfer, die vom Osthilfeskandal bedrohten preußischen Junker, die im Komplott steckenden Generäle, die Industriekapitäne wie Fritz Thyssen), 2. die Kreise der Wehrmacht, die, wie wir feststellten, dem erfolgreichen und ihre Berufswünsche erfüllenden Hitler durch dick und dünn gefolgt sind und die Gelegenheit zum Staatsstreich versäumten, 3. die Wirtschaftsführer, die wie Schacht ihre ordinären Talente dem Regime aus Zynismus, Ehrgeiz oder Verblendung zur Verfügung gestellt haben, 4. die Reichstagsmitglieder, die im März 1933 dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt haben, 5. die führenden Beamten und Diplomaten, die sich in den Dienst der neuen Herren gestellt haben, und 6. die große Gruppe der Intellektuellen (Professoren, Journalisten, Künstler und Schriftsteller). Es ist diese letzte Gruppe, von der wir im folgenden ausführlicher zu reden haben, da ihre Schuld wahrscheinlich am größten und unverzeihlichsten ist. Die deutsche Schuld darf nicht dadurch verdunkelt werden, daß man den Mangel an Widerstand zu Beginn des Dritten Reiches mit der Unmöglichkeit, die weitere Entwicklung vorauszusehen, entschuldigt, die spätere Tatenlosigkeit aber mit der Unmöglichkeit, gegen die unüberwindlich gewordene Maschinerie des Totalitarismus noch etwas auszurichten. Wollte man diese Entschuldigung durchlassen, so käme man zu der absurden Folgerung, daß der Totalitarismus niemals und unter keinen Umständen zu verhindern wäre. Wenn es richtig ist, daß es im späteren Stadium der Entwicklung kaum noch möglich war, den Riesenbrand des Nationalsozialismus zu löschen, so wäre es um so mehr darauf angekommen, den anfänglichen Teppichbrand entschlossen auszutreten. In der – teils vorsätzlichen, teils fahrlässigen – Brandstiftung der einen und in der Blindheit oder Schwäche der anderen während jener ersten Phase ist die eigentliche Schuld zu suchen. (Röpke 1948, S. 76–78) Zu allererst erscheint es notwendig, drei Dinge auseinanderzuhalten. Das eine ist das den Deutschen im Durchschnitt zu wünschende Bewußtsein, zu irgendeinem Teile moralischpsychologisch verantwortlicher Mitträger einer verhängnisvollen politischen Entwicklung zu sein, und die Erkenntnis, daß dies die letzte, furchtbarste Phase jener mit Bismarck beginnenden Periode ist, in der Deutschland seiner Verantwortung und seinem besseren Selbst untreu geworden war. Sie sollten den Weg bitter bereuen, den sie von 1866 bis 1933 und dann bis 1945 gegangen sind, und sich nunmehr entschlossen wieder Europa zuwenden, dessen geographisches Zentrum sie sind und gegen das sie sich aufgelehnt hatten. Das ist die innere Umkehr, von der wir gesprochen haben. Natürlich ist sie nicht möglich ohne das Bewußtsein jedes einzelnen Deutschen, zu irgendeinem Teile wirklich mitverantwortlich zu sein. In dieser Hinsicht gibt es nur eines, was von allen Deutschen erwartet werden müßte: daß jeder sich rücksichtslos und ehrlich prüfe, wie es mit seinem persönlichen Konto beschaffen ist. Wahrscheinlich werden alle, die überhaupt der Einsicht in den Höllencharakter des Dritten Reiches fähig sind, in irgendeinem Grade jenes ganz allgemeine und nicht
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leicht zu bestimmende Gefühl der Schändung spüren, das für die Mitglieder einer durch Frevel befleckten Menschengruppe natürlich ist. Wenn es sich jedoch um die konkrete individuelle Verantwortung handelt, so wird sich ergeben, daß die Anteile der einzelnen Deutschen sehr verschieden sind, leider aber auch oft im umgekehrten Verhältnis zu der Bereitschaft stehen, sie sich oder gar anderen einzugestehen. Manche Deutsche werden vollkommen freizusprechen sein und viele Ausländer in verdienstvoller Abwehr übertreffen, andere werden das Durchschnittsmaß zu tragen und noch andere eine wirkliche schwere Schuld zu bekennen haben. .. Liegt diese ‚Schuld‘, im Sinne einer historischen Verantwortung, ganz im Innern des Moralischen, Intelligiblen und Psychologischen, so eine Schuld im zweiten Sinne ganz im Äußeren, nämlich im Bereiche der öffentlichrechtlichen Haftpflicht. So nämlich wie die Gesamtheit eines Volkes die Haftung für die Schulden einer Regierung auch dann übernehmen muß, wenn es sie durch eine Revolution desavouiert hat, muß sie auch den Schaden grundsätzlich wiedergutmachen, den seine Regierung anrichtet. Es ist dies nicht eine Schuld des einzelnen, sondern der durch den Staat vertretenen Gesamtheit, eine Schuld, an der der einzelne nur indirekt als steuerpflichtiger Staatsbürger, nicht nach Maßgabe seines individuellen Verschuldens, sondern nach den Kriterien teilnimmt, die seine Steuerpflicht bestimmen. Es ist dies eine Kollektivschuld, die sich aus dem Charakter des Staates und seines Verhältnisses zu seinen Staatsangehörigen ergibt, soweit sie gleich den in seinem Gebiete wohnenden Ausländern seiner Steuergewalt unterworfen sind. Im Falle Deutschlands, wo es den Schaden wiedergutzumachen gilt, den eine usurpierte Regierung von Kriminellen angerichtet hat, wäre es nun durchaus billig, diejenigen, denen sich ein hoher individueller Schuldanteil nachweisen läßt, auch in entsprechendem Maße zur Wiedergutmachung heranzuziehen. Um so unbilliger aber ist es, eine Individualisierung dieser juristischen Kollektivschuld in der Weise vorzunehmen, daß man einzelne nach Merkmalen herausgreift, die, wie der Besitz eines schweizerischen Guthabens, schwerlich etwas mit dem Maß der Schuld zu tun haben. Zu einer solchen Verwirrung des Rechtsdenkens gelangt man jedoch nur allzu leicht, wenn man sich eine dritte Auffassung der deutschen Kollektivschuld zu eigen macht, eben jene These von der unterschiedslosen moralisch-juristischen Kollektivschuld, im Sinne nicht der öffentlichrechtlichen Haftung, sondern der tatsächlichen Mittäterschaft an allem, was im Namen Deutschlands geschehen ist. Es scheint nicht leicht, diese grobe Kollektivschuldthese von den bisher genannten Thesen scharf zu trennen. Es sollte aber einleuchten, daß es sehr verschiedene Dinge sind, ob ich als Deutscher sage: Seit 1866 hat das deutsche Volk sich immer tiefer in Schuld und Irrtum verstrickt. Oder ob ich sage: Wir Deutsche müssen, schuldig oder nicht, für den Schaden aufkommen wie die Eisenbahn für die Folgen eines Zugunfalls, der durch einen verrückt gewordenen Lokomotivführer verursacht worden ist. Oder ob ich schließlich sage: Wir Deutsche, was wir auch getan oder nicht getan haben mögen, sind qua Deutsche als Menschen gebrandmarkt, die als unterschiedslos Schuldige ohne Ausnahme Verbrechen zu sühnen haben, als ob sie sie wirklich begangen hätten. Das letzte aber ist eine Ungeheuerlichkeit. Wir müssen uns darüber klar sein, daß wir damit einen Hauptgrundsatz unserer Zivilisation, nämlich den der persönlichen Verantwortung, preisgeben und zu der barbarischen Stufe der Gruppenhaftung zurückkehren. .. die moderne Kollektivverantwortung der anonymen Inhaber eines bestimmten Passes ist Ausdruck mechanischer Sinnlosigkeit. Das eine ist Barbarei der Unreife, das andere solche der Fäulnis. Es ist kein Zufall, daß es die totalitären Staaten gewesen sind, die das Beispiel für die neue barbarische Kollek-
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tivjustiz gegeben haben: sie entspricht genau so dem Prinzip des Totalitarismus wie der von ihm gepflegte Kollektivstolz. Der Mythus der deutschen Kollektivschuld ist um kein Haar besser als seine Umkehrung, der Mythus vom ‚Herrenvolk‘. Mit Recht können die deutschen Nationalsozialisten und Nationalisten auch diese Umkehrung noch als einen posthumen Sieg feiern: Sie hatten ja immer gesagt, daß alle Deutschen mit ihnen im selben Boot säßen, und die Sieger bestätigen dem ‚Herrenvolk‘ auch noch in seiner Niederlage, daß es nicht nur auf Gedeih, sondern auch auf Verderb jene kompakte Masse darstellt, die der Totalitarismus voraussetzt. Zugleich konnten sich diese wirklich mit ungeheurer Schuld belasteten Deutschen nichts Besseres als die These von der deutschen Kollektivschuld wünschen, um sich ein bequemes Alibi zu verschaffen und der gerechten Sühne zu entgehen. Durch die Verteilung von Schuld und Sühne auf siebzig Millionen Schultern werden sie beide so verdünnt, daß sie für die wirklich Schuldigen leicht werden, während sie für die übrigen erbitternd ungerecht und schwer sind. (Röpke 1948, S. 113–117) Wir empfinden es als tief beschämend, daß der umfassendste und grausamste Versuch zur gewaltsamen Ausrottung des Judentums, den die Weltgeschichte kennt, im Namen des deutschen Volkes unternommen worden ist. Millionen Juden, Männer, Frauen und Kinder, ein Drittel des gesamten Volksbestandes, wurden von uns vernichtet. Es bedarf keines Wortes darüber, daß dies den christlichen Grundsätzen der Gerechtigkeit, Duldung und Nächstenliebe im tiefsten widerspricht. Es wäre aber zu billig, die Verantwortung dafür auf die damaligen Machthaber, an denen Gottes Gericht sich erfüllt hat, abzuschieben. Sofern der Rassenhaß unter uns gehegt oder doch ohne ernstlichen Widerstand geduldet worden ist, sind wir mitschuldig geworden. Auch unsere sächsische Kirche hat zur Verfolgung der Juden, selbst der christlichen, beigetragen. (Synode 1948, S. 544) Einen neuen, humanistischen Abschnitt der Geschichte zu beginnen, ist jedoch die Sehnsucht aller anständigen Deutschen. Bei dieser Selbstwiederfindung unseres Volkes aber müssen auch alle jene Menschen, die Mitglieder der NSDAP waren, die guten Willens sind und die sich keiner Verbrechen schuldig gemacht haben, jetzt vorbehaltlos in der demokratischen Nation als Bürger gleichen Rechts beheimatet werden. (NDPD 1948, S. 644) Wir treten ein für die völlige Gleichberechtigung aller wahlberechtigten Deutschen. Wir fordern daher, daß ehemalige Nationalsozialisten, die sich keiner Verbrechen schuldig gemacht haben, im öffentlichen Leben nicht mehr als ‚ehemalige Pgs‘ abgestempelt werden. Wir fordern, daß alle jungen Menschen, die unter die politische Jugendamnestie fallen, zu allen Berufen zugelassen werden, auch bei der Justiz, der Polizei und als Neulehrer. (NDPD 1948, S. 650) Wir haben bereits die Frage aufgeworfen, daß das gleichbedeutend ist mit der Ausmerzung aller ungerechtfertigten (oder ungerechtfertigt gewordenen) Zurücksetzungen oder gar Ausschaltungen aus der gleichberechtigten Teilnahme an der Politik, dem Wirtschafts- und Kulturleben der Nation. Solche Zurücksetzungen betreffen heute noch Kreise von beträchtlicher Zahl. Wir brauchen nur an die sogenannten nominellen Pgs zu erinnern oder auch an jene Pgs, die zwar mehr als nominell waren, sich aber keines Verbrechens schuldig gemacht haben, oder an die aus der Haft Entlassenen. Ihnen stehen oft Hindernisse entgegen, die einmal berechtigt gewesen sein mögen, heute aber nicht mehr berechtigt sind und beseitigt werden müssen, um einer großen Zahl von heute nicht mehr belasteten Menschen die Rückkehr in den Schoß der Nation und das ehrliche Bekenntnis zur Demokratie durch die
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Tat zu ermöglichen. .. Gewiß fordern wir von jedem früheren Mitglied der NSDAP oder ihrer Gliederungen, daß es aufrichtig und aus allen Kräften bemüht ist, das Seine zur Säuberung Deutschlands vom nazistischen Ungeist und zur Stärkung des neuen Deutschlands zu tun. Aber es heißt die Dinge formal betreiben und gerade dem neuen Deutschland mehr Schaden als Nutzen bringen, wenn Menschen, denen keine strafbare Schuld vorgeworfen wird und denen die volle Gleichberechtigung versprochen ist, immer wieder der verhängnisvollste Irrtum oder Fehltritt ihrer Vergangenheit vorgehalten wird. (Bolz 1948, S. 18 f.) Für einen deutschen Demokraten, dessen Denken und Handeln sich auf sechs Jahrzehnte zurück erstreckt, ist die heutige Lage Deutschlands deprimierender als für Deutsche jüngeren Alters oder anderer Denkweise. Er versetzt sich in die Zeit zurück, in der dem kaiserlichen Obrigkeitsstaat im Namen der Demokratie der Kampf angesagt wurde. Er erinnert sich, wie in diesem Kampfe, wenn auch in Intervallen, Fortschritte erzielt wurden. In seiner politischen Vorstellungswelt war die demokratische Selbstregierung des Volkes verschmolzen mit dem unabdingbaren Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes im Verhältnis zur Außenwelt. Er träumte von einer Vereinigung friedlich gesinnter souveräner Nationen. Es war mehr als ein Traum. Es war ein Ziel, für das mit Leidenschaft gestritten wurde. Die Verkörperung dieses Zieles waren Männer vom Schlage August Bebels. Man stelle sich vor, daß dieser Mann die Katastrophe Deutschlands erlebt hätte. Könnte man ihn mitschuldig sprechen? Wäre nicht schon das Zerbrechen seiner Lebensarbeit eine schuldlos empfangene Strafe ungeheuerlichsten Ausmaßes? Was für ihn gelten würde, gilt heute für alle die, die in seine Fußstapfen getreten sind. Nicht nur für die, die sich zu seinem Zukunftsstaatsprogramm bekannt, auch für jene, die ohne ein solches Bekenntnis ein freies demokratisches Deutschland erstrebt haben. Sie fühlten und fühlen sich als Verfechter der demokratischen Staatsidee ebenbürtig den Staatsbürgern jener Nationen, die das Glück hatten, in vorausgegangenen Jahrhunderten in den Besitz der demokratischen Freiheit zu kommen. .. Nach den Weisungen der Siegermächte haben sie auf den Trümmern eine neue Ordnung zu schaffen. Das ist keine erhebende Aufgabe. Aber alle Indignation muß überwunden werden. Denn es gibt keinen anderen Weg. Die Vormundschaft muß von denen ertragen werden, die von dem Bewußtsein staatsbürgerlich-demokratischer Mündigkeit erfüllt sind. (Keil 1948, S. 703–705) Wenige hatten den Mut oder die Fähigkeit zur letzten Wahrheit, weil hinter ihr die Riesenschuld stand, die wir alle trugen. Nicht die „Kollektivschuld“, mit der soviel Mißbrauch getrieben worden ist, aber doch eine viel größere, als selbst die Besten unter uns sie zugeben möchten. (Wiechert 1948, S. 382) Die wirklich Schuldigen an den Verbrechen, die in der nationalsozialistischen Zeit und im Kriege begangen worden sind, sollen mit aller Strenge bestraft werden. Aber im übrigen dürfen wir nicht mehr zwei Klassen von Menschen in Deutschland unterscheiden: die politisch Einwandfreien und die Nichteinwandfreien. Diese Unterscheidung muß baldigst verschwinden (Adenauer 1949a, S. 21). die wirklich Schuldigen an den Verbrechen, die in der nationalsozialistischen Zeit und im Kriege begangen worden sind, [sollen] mit aller Strenge bestraft werden .. Verbrecher, die sich der Vernichtung von Menschenleben schuldig gemacht haben, sind einer Amnestierung nicht würdig und werden auch in Zukunft der ihnen zukommenden Strafverfolgung ausgesetzt sein (Adenauer 1949b, S. 169). Riesenmaß von Schuld, das ein verbrecherisches System auf die Schultern unseres Volkes geladen hat (Löbe 1949b, S. 2).
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Die sogenannte Entnazifizierung hat sich, wie wir seit Jahren vorhergesagt haben, als Fehlschlag erwiesen. Sie hat Millionen Menschen guten Willens dem neuen demokratischen Staat entfremdet, weil sie nicht darauf beschränkt war, die wirklich Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen. Wir wissen: Nur die innere Mächtigkeit einer erneuerten Staatsgesinnung, die nicht wachsen kann, wenn dem deutschen Volke seine volle Souveränität vorenthalten wird, kann unser Volk aus einer trüben Vergangenheit in eine bessere demokratische Zukunft und in die Gemeinschaft der freien Völker führen. (FDP 1949, S. 284) Es ist ein unerläßliches staatspolitisches Gebot, die Entnazifizierung durch einen Amnestieakt zu beenden und die kriminell Schuldigen dem Strafrichter zu überweisen. Künftighin ist auszuschließen, daß in der Gesetzgebung – in den Beamtengesetzen, den Wahlgesetzen zu öffentlichen Körperschaften sowie den Wahlordnungen aller Art – Beschränkungen ausgesprochen werden, die mit den Grundsätzen der staatsbürgerlichen Gleichberechtigung nicht vereinbar sind. (FDP 1949, S. 284) Zunächst einmal ist festzustellen, daß in der deutschen Entwicklung nichts nur spezifisch Deutsches liegt, soweit es sich um die entscheidenden Kräfte handelt, die die gegenwärtige Lage heraufführten. .. Es dürfte schwer sein, in den Elementen des deutschen Wesens selbst schon jene dem Verhängnis dienende Besonderheit zu finden, die selbst nicht wieder in einem gesamteuropäischen Bezug stünde. Daß solche Herleitung die persönliche Schuld dort, wo sie tatsächlich vorliegt, nicht im geringsten mindert, sei ausdrücklich betont. Entschieden jedoch müssen wir jener gegenwärtig verbreiteten Auffassung entgegentreten, sie sei schon im Ansatz der deutschen Entwicklung beschlossen. In diesem Ansatz sind, wie gesagt, allgemeine Elemente des Europäischen enthalten. Diese Einsicht sollte uns weniger veranlassen, die Schuld dort zu suchen, wo kein aktives Tun mehr vorliegt, als vielmehr wachsam zu sein gegen das erneute Hervortreten von Möglichkeiten, die nach unserer Überzeugung in der Lebenssäkularisierung allgemein liegen. In einer Hinsicht nimmt freilich Deutschland in dieser europäischen Lage eine Sonderstellung ein. (Müller-Armack 1949, S. 72 f.) sie liefen neben mir her, und sie kamen mir entgegen. Ihre Gesichter waren vor Gram zerfressen, sie starrten mit finsteren, hoffnungslosen Gesichtern ins Leere .. niemand von ihnen stellte sich die Frage: Warum haben wir eins aufs Dach bekommen? .. Sie nahmen den Schlag an und ließen es zu, wenn tiefe Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung in sie einkehrte .. Warum sagten sie nicht: Das Unheil liegt hinter uns, wir haben es selbst verschuldet, aber wir sind stark und tüchtig und müssen uns jetzt durch den übriggebliebenen Schutt durcharbeiten? (Kolbenhoff 1949, S. 91 f.) Ist der Krieg ein „Verbrechen“, eine Untat, so sind vor allen andern die Völker samt ihren zivilen Exponenten, den „Politikern“, die eigentlichen Untäter, die am Verbrechen Hauptschuldigen; denn kein leibhaftiges Volk braucht sich kriegtreibende Militärs lammsgeduldig gefallen zu lassen, es kann sie zum Teufel jagen, ehe es sich von ihnen zur Schlachtbank führen läßt, dazu ist jedes Volk stark genug, einfach weil es die Masse darstellt, die jederzeit, sobald sie will, physisch stärker ist als jeder einzelne oder als jede kleine Clique, hat doch schon Goethe festgestellt, daß sie, die Masse, immer „respektabel“ werde, wo sie zuschlage, das heißt: beachtlich, nicht zu ignorieren. Statt dessen sind die Völker immer wieder ihren angeblichen Vergewaltigern oder Verführern in die Schlachten gefolgt, haben, wenn sie siegten, ihre Feldherren verherrlicht, und unterlagen sie, so haben sie, anstatt das mea culpa zu rufen, mit Vorliebe einen Sündenbock gesucht – oder eine Revolution veranstaltet, und, ob nun
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diese gelang oder mißlang, den Führern zum physischen Aufstand, zur Bürgerkriegsform des Krieges, jene Verherrlichung zugewandt. (Hellpach 1949, S. 66) Es ist seit dem deutschen Niederbruch von 1945 viel darüber zusammengeredet worden, daß diese Katastrophe durch die Auffassung der Politik als Machtentfaltung verschuldet sei, wie sie den Deutschen durch Bismarck als ein tödliches Gift eingeimpft worden sein soll. Manche, die gern in Jahrhunderten denken oder in Jahrhunderten gedankenlos daherreden (was sogar bequemer ist als bloß in Jahrzehnten, denn je größer die Zeiträume sind, von denen man etwas behauptet, desto summarischer kann man es sich mit den Beweisen leicht machen) – solche Leute also begnügten sich nicht, bei Bismarck stehenzubleiben, sondern gingen erst auf Friedrich den Großen und dann bis auf Luther zurück, mit dem solches Unheil über Deutschland gekommen sei. Luther mitanzuklagen muß geradezu widersinnig wirken selbst auf jemanden, der in ihm den Schuldigen an der Spaltung der katholischen Kirche erblickt, denn einen machtärmeren Menschen als diesen Wittenberger Professor in seinen entscheidenden Kampfjahren hat es kaum je gegeben. (Hellpach 1949, S. 231 f.) es gehört zu den schweren Verschuldungen des Nationalsozialismus Hitlerscher Prägung, diese Spielerei mit der immerwährenden Revolution als Vorwand geradezu für die Freigabe jedes privaten Gewaltaktes in Umlauf gesetzt zu haben – während der Internationalsozialismus Marxscher Prägung sich dazu niemals verirrt, sondern den Gewaltakt des „großen Kladderadatsch“, die „Diktatur des Proletariats“ stets als eine vorübergehende Zwangsläufigkeit gelehrt hatte, welche zum ewigen Frieden der klassenlosen Gesellschaft hinüberleiten sollte. (Hellpach 1949, S. 246) Europa hat sich aus dem Machtkampf ausgeschaltet. Es ist nach den Aderlässen, die es sich selber durch die Schuld seines größten Volkes beigebracht hat, unmöglich, daß es eine militärische und wirtschaftliche Macht neben den Weltmächten zur Geltung bringen könnte. Europa kann anfangen mit der friedlichen Neuordnung, weil es gar nicht mehr in Versuchung ist, einen anderen Weg zu gehen. .. Die europäische Aufgabe des 20. Jahrhunderts ist aber nicht mehr von Europa her zu verstehen. Sie ist nur zu verstehen von der Erde her. (Gablentz 1949, S. 38 f.) Das muß man den Menschen in Deutschland heute deutlich machen, daß eine solche geistige Bewegung zur neuen politischen Gestaltung im Gange ist, daß sie recht gehabt haben, so etwas anzustreben, daß sie mit diesem gesunden Streben auf einen Irrweg geleitet worden sind, und daß sie jetzt, von diesem Irrweg zurückgekehrt, den richtigen Weg wieder finden können. Dazu gehört allerdings ein ehrliches Bekenntnis: Es war ein Irrweg, und es war unsere Schuld, daß wir uns haben verführen lassen. Dazu gehört aber auch auf der anderen Seite die Anerkennung, daß etwas Richtiges gesucht war, und das Aussprechen der Bereitschaft, mit den Deutschen zusammen den rechten Weg zu gehen. .. Es ist eine Erde, an der wir alle zusammen teilhaben, und es ist ein Blut, das in allen Menschen kreist. Die Erde gemeinsam zu gestalten zum Wohnsitz einer friedlichen, dauerhaft versorgten Menschheit, den Boden und seine Schätze zu pflegen, nicht auszubeuten, die geistigen Kräfte zu entwickeln in fruchtbarem Austausch – dazu sind die Deutschen aufgerufen mit allen Völkern zusammen. Vielleicht können uns die schweren Erfahrungen, auch die Irrtümer und die Schuld der letzten 12 Jahre dazu bringen, daß wir den anderen Völkern zu dieser Aufgabe etwas Besonderes zu sagen und zu helfen haben. (Gablentz 1949, S. 155)
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Nicht ohne innere Bewegtheit – das glaube man mir – spreche ich in dieser Stunde. Das Wort gilt nicht bloß den Bürgern und Bürgerinnen der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch unseren Brüdern und Schwestern in den mittel- und ostdeutschen Bezirken; sie sollen und müssen spüren, daß die politische Sonderung dieser Gegenwart, Spiegelung der selbstverschuldeten Ohnmacht dieser Geschichtsstunde, wohl von uns gesehen, aber niemals anerkannt wird. Es liegt an uns hier, es liegt an euch drüben, daß das Bewußtsein, das Geist und Seele trägt, aus den Kräften des gemeinsamen Volkstums und der gemeinsamen Geschichte sich nährt. (Heuss 1949c, S. 11) Es hat keinen Sinn, um die Dinge herumzureden. Das scheußliche Unrecht, das sich am jüdischen Volke vollzogen hat, muß zur Sprache gebracht werden in dem Sinne: Sind wir, bin ich, bist du schuld, weil wir in Deutschland lebten, sind wir mitschuldig an diesem teuflischen Verbrechen? Das hat vor vier Jahren die Menschen im Inland und Ausland bewegt. Man hat von einer »Kollektivschuld« des deutschen Volkes gesprochen. Das Wort Kollektivschuld und was dahinter steht, ist aber eine simple Vereinfachung, es ist eine Umdrehung, nämlich der Art, wie die Nazis es gewohnt waren, die Juden anzusehen: daß die Tatsache, Jude zu sein, bereits das Schuldphänomen in sich eingeschlossen habe. Aber etwas wie eine Kollektivscham ist aus dieser Zeit gewachsen und geblieben. Das Schlimmste, was Hitler uns angetan hat – und er hat uns viel angetan –, ist doch dies gewesen, daß er uns in die Scham gezwungen hat, mit ihm und seinen Gesellen gemeinsam den Namen Deutsche zu tragen. (Heuss 1949a, S. 100 f.) Die Frage war, welche seelischen Folgen aus der Resignation entstanden, welche Art der Führung zu einer richtigen Verarbeitung des Erlebnisses der Ohnmacht führen würde. Was da von der christlichen Seite sich anbot, war einfach dies: die Niederlage ist die Strafe für die Schuld. Auch aus dem Kreise Karl Barths kam dieser Ton: es gibt nicht einzelne Kriegsverbrecher neben dem Haufen Unschuldiger, sondern wir alle sind schuld, und jeder muß mit der Wahrnehmung der Schuld bei sich selbst beginnen. So etwas konnte einem staatsmännisch denkenden Politiker, wie zum Beispiel meinem Vater, nimmer einleuchten. Die Frage, warum das Unglück und der frühe Tod Schuldige und Unschuldige, Gute und Böse gleich schwer trifft; warum, was noch aufreizender ist, die Schuldigen Glück und Leben behalten – diese Frage ist freilich im christlichen System gelöst, wenn alle vor Gott gleich schuldig sind. Augustin antwortet so: die, welche keines der zehn Gebote übertreten haben, sind schuldig die Übertretung durch andere Menschen nicht unter Einsatz ihres Lebens verhindert oder gestraft zu haben; also empfangen auch diese scheinbaren Guten, in Wirklichkeit aber passiven Sünder, die Strafe zu Recht. Wo sie jetzt nicht kommt, da im Fegefeuer, beim jüngsten Gericht. Ich bin überzeugt, daß der Verzicht auf dieses religiöse Rechtssystem eine Frage offen läßt, die der einzelne ebenso wie ein Volk beantworten muß, wenn es leben will. (Weizsäcker 1949, S. 47 f.) Als einer meiner besten Freunde sich durch die Judengesetze gezwungen sah, das Hitler-Reich als Auswanderer zu verlassen, um seine Heimat niemals wiederzusehen, da sagte er zu mir: „Man wird ja immer für etwas bestraft, was man gar nicht getan hat.“ Das hieß: „Das weltliche Schwert gerecht, oder wie in diesem Falle ungerecht, geführt schlägt immer vorbei; es trifft nicht unsere Schuld.“ Erst später begriff ich ganz, daß er damit nicht sagen wollte, daß wir unschuldig sind. Wir sind es nicht, aber nicht an der Stelle, an der Strafgesetz und politische Gewaltanwendung zuschlagen. (Weizsäcker 1949, S. 155 f.)
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Unter psychologischem Gesichtspunkte findet man zu dem wahnhaften Schuldgefühl, welches jener Fleischermeister darbietet, leicht ein Gegenstück, nämlich die ebenso wahnhafte Leerheit von Schuldgefühl. In ihr ist also der Mensch, der schuldhaft handelt, ohne Schuld zu empfinden. Das Wort „gewissenlos“ meint in unserem Sprachgefühl heute einen schlechten Menschen. Wir meinen aber einen Menschen, der schuldhaft handelt und dabei von seinem schlechten Gewissen gar nicht angesprochen wird. Auch dies ist eine Art von Wahn. Jener wendet sich nach innen, dieser nach außen. Jener tut eigentlich nichts, empfindet aber Schuld; dieser empfindet nichts, tut aber verbrecherische Taten. Der wahnhaft sich schuldig Fühlende hat ein überstarkes Gewissen; der Mensch ohne Gewissen ist wie der Mann ohne Schatten, im Wahn der Unschuld, er ist von moralischer Körperlosigkeit. Das Schuldproblem ist also doppelköpfig, es muß eine Kraft geben, die zur Schuldbejahung und eine, die zur Schuldverneinung strebt, und man wird Exzesse nach beiden Seiten hin erwarten, wenn keine ausgleichende Funktion mehr wirksam ist. Wir können uns also vorstellen, daß es eine normale Mittellage gibt, in der objektive Schuld und subjektives Schuldgefühl in einer vernünftigen Proportion stehen. Aber dieses Gleichgewicht dauert nur so lange, als weder die Tendenz des Gewissens zur Selbstanklage, noch die Tendenz der Selbstbehauptung zur Schuldverneinung überstark wird. Beides führt zu einem abnormalen, wahnhaften Verhalten, entweder dem Schuldwahn oder dem Unschuldwahn. Beides wird unsichtbar, latent bleiben, solange eine ausgleichende Funktion über dem Ganzen wacht. Aber diese Funktion garantiert nur eine verhältnismäßige Stabilität des sozialen oder politischen Rechtslebens; sie verdeckt die religiöse Schulderfahrung. Denn jene weltlich stabilisierte Ordnung kann nicht hindern, daß im Schuldwahn wie im Unschuldwahn die Schuldfrage noch einmal, und diesmal nur religiös realisierbar, durchbricht. Wir sind jetzt auf dem besten Wege zu einer theoretischen Spekulation über das älteste Rätsel der Menschheit. Praktisch wird die Schuld liquidiert durch Strafe, Rache, Vergessen, Vergeben. Aber jede praktische Erledigung ist auch eine theoretische. Man kommt an der theoretischen Spekulation nicht vorbei, weil das sogenannte praktische Handeln im Schuldfall ein geistiger Akt und, genau betrachtet, immer ein geistiger Konflikt ist. Wagen wir es jetzt, die religiöse Schuld zu betrachten, so verschwindet jene Struktur des Gegensatzes, der eine ausgleichende Funktion nötig macht, auch hier nicht. Die weltliche Schuld fordert eine Strafe, die religiöse eine Sühne, beide aber verlangen eine Abmessung, ein Maß, und wir mögen uns hierhin oder dorthin wenden, immer stoßen wir auf ein etwas rätselhaftes, quantitatives Moment. Das Gesetz des Talion (Auge um Auge, Zahn um Zahn) scheint in der gegenwärtigen Weltverfassung viel mehr im psychologischen als im juristischen Bereiche vorzukommen – sein Wirkungswert ist aber dadurch womöglich noch gesteigert. Das kommt auch in dem skurrilen Doppelsinn des Wortes Schuld selbst zutage, welches Geldschuld und moralische Schuld zugleich bedeutet. Ich kenne die alte Einrichtung der Schuldgefängnisse zu wenig, die uns erstaunt, weil wir nicht einsehen, wie man Geldschulden durch Aufenthalt im Gefängnis abtragen kann. Trotzdem zweifle ich nicht am juristischen, ja am quantitativen und mathematischen Element auch in jeder religiösen Schuld. (Weizsäcker 1949, S. 156 f.) Was man aber als Tatsache feststellen kann, ist, daß die überlieferten Begriffe von Schuld, Opfer und Sühne für diesen gegenwärtigen Menschen nur mehr Ideologien sind, also keine Wirklichkeit besitzen. Für ihn sind es Vorstellungen von irgend jemandem oder von irgendeiner Zeit; man kann sie wie andere Vorstellungen studie-
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ren, ist ihnen aber nicht unterworfen. Der bürgerliche Mensch findet den gegenwärtig Vorhandenen in seiner Menge daher ideelos, poesielos, nüchtern und von der Technik überwältigt. Es wäre aber schwer zu beweisen, daß der Gegenwärtige darum schon unrecht hat. Behält man diese Dinge im Sinn, dann versteht man wohl leichter, wie der Komplex von Schuld, Opfer und Sühne in dieser hier folgenden Darstellung wieder zutage tritt. Im Augenblick scheinen sich Politiker und Beauftragte der Propaganda für diesen Komplex mehr zu interessieren als die Objekte dieser Machthaber, also, die einzelnen Betroffenen: die, welche nicht von Opfer reden, sondern Opfer sind. (Weizsäcker 1949, S. 161) Es gibt natürlich auch Diagnostiker. Sie sagen, die Gottlosigkeit ist schuld, oder sie sagen, die Technik ist schuld, oder sie sagen, Hitler ist schuld, oder sie sagen, „ich bin schuld“. Wir erkühnen uns nicht, zu behaupten, sie seien auf falschem Wege. .. Nur gegen das eine sollten wir uns skeptisch verhalten, nämlich gegen die Erwartung, daß man, wenn man das Schuldige oder den oder die Schuldigen gefunden hätte, man auch wüßte, wie man die Krankheit heilen und die Schuld sühnen könnte mit dem Erfolge, daß so etwas nicht mehr vorkommt. Gewiß wird gerade und genau so etwas nicht mehr vorkommen, aber gerade darum ist ein genauer Plan jetzt nicht und niemals richtig. (Weizsäcker 1949, S. 218) Wenn der Satz richtig ist, daß nur der Wille und nicht der Erfolg das Gute bedeutet, so muß es auch richtig sein, daß nur der Wille und nicht der Erfolg das Böse bedeutet. Dies ist der Grund, warum uns die Blutrache oder sonstige Rache an Unschuldigen mit Entsetzen erfüllt und warum wir die schweren Verbrechen nicht nach dem Erfolg, sondern nach dem Willen, dem ‚bösen Vorsatz‘ u. dgl. bestrafen. Für uns ist eben heute gegenüber dem einzelnen Individuum eine Strafe nur zulässig als die Folge einer Schuld und die Schuld, wenigstens bei den schwereren Straftaten, Willensschuld. Das einzelne Individuum ist also nach unserem heutigen sittlichen Empfinden bei seinen Handlungen weder strafbar noch schuldig mit Bezug auf einen Erfolg, den es weder tatsächlich gewollt noch als eine unter Umständen kausal unvermeidliche Folge seines Handelns tatsächlich vorausgesehen hat. Bei geringen Delikten wird, soweit wir den bloßen Erfolg ‚strafen‘, eine Willensschuld fingiert. Fiktion ist eine Annahme mit dem Bewußtsein der Unwirklichkeit des Angenommenen. Wer demnach die Willensschuld eines Unschuldigen fingiert, weiß und muß zugeben, daß der Beschuldigte unschuldig ist. Man sollte soweit das Wort Strafe vermeiden und etwa nur von Haftung oder allenfalls von Buße sprechen. (Laun 1950, S. 48 f.) Sobald man nicht einzelne, sondern Massen ins Auge faßt, ist die Zahl der Schuldigen an konkreten strafbaren Handlungen nach unausweichlichen sozialen Gesetzen fast immer ganz unvergleichlich kleiner, als es dem oberflächlichen Urteil der meisten Menschen auf den ersten Blick erscheint. Wir wollen bei der Erörterung dieses Gegenstandes der Kürze halber nur von schwereren Kriegs- und politischen Verbrechen sprechen, welche zu scharfen Kollektivstrafen Anlaß geben, und kleinere Delikte und mildere Kollektivstrafen beiseite lassen, obwohl im Grundsatz für sie das Analoge gilt. Nach der Bevölkerungsstatistik, die jeder leicht prüfen kann, zum Beispiel für Deutschland nach dem Statistischen Jahrbuch für das Deutsche Reich, bewegt sich die Zahl der Kinder unter 15 Jahren um 25 v. H. der Gesamtbevölkerung. Kinder dieser Altersstufen kann man aber für politische und Kriegsverbrechen unmöglich moralisch oder kriminell verantwortlich machen. Jede Kollektivstrafe, richte sie sich gegen das kleinste Dorf oder gegen ein ganzes Land, muß daher mit
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Notwendigkeit – immer im Geiste des Rechtes von 1899 und 1907 gesprochen – mindestens gegen ein Viertel der ‚Bestraften‘ das denkbar schreiendste Unrecht bedeuten, das von der conscience publique der zivilisierten Welt damals mit Entsetzen einmütig zurückgewiesen worden wäre. .. Auch Jugendliche von 16, 17, 18 Jahren und oft noch die Angehörigen älterer Jahrgänge der Jugend werden vielfach als vollkommen unschuldig bezeichnet werden müssen, je nach ihrer Intelligenz, ihrer Reife, ihrem positiven Wissen von den entscheidenden Tatsachen und den Ideen, in denen man sie erzogen hat und die sie meist noch ahnungslos und autoritätsgläubig von Eltern und Lehrern, von staatlichen Organen und Kundmachungen, von der Presse und von verschiedenen Propagandaeinrichtungen entgegennehmen. Man darf daher die Zahl der wegen jugendlichen Alters Schuldlosen von 25 v. H. auf durchschnittlich mindestens 30 v. H. erhöhen. Allein auch die übrigbleibenden etwa 70 v. H. der Erwachsenen werden so gut wie niemals alle – abgesehen von den Geisteskranken und Schwachsinnigen – einer gemeinsamen Willensschuld bezichtigt werden können. (Laun 1950, S. 57) es gibt nur zweierlei Schuld, eine im juristischen und eine im moralischen Sinn. Die juristische Schuld kann Strafbarkeit oder Haftung begründen, die moralische Schuld begründet einen Vorwurf, in schweren Fällen eine Entehrung. Von den strafbaren Tatbeständen können wir die leichteren .. beiseite lassen. Von den schwereren, die man „Verbrechen“ zu nennen pflegt, müssen wieder die sogenannten ‚politischen‘ Verbrechen, wie zum Beispiel Hochverrat oder das Attentat Wilhelm Tells auf Geßler oder des Grafen Stauffenberg auf Hitler beiseitegelassen werden, denn diese Taten sind nur in den Augen der einen Verbrechen, in denen der anderen aber löbliche Heldentaten. Es bleiben also die sogenannten „gemeinen“ Verbrechen. Diese und nicht die gegen die eigene Regierung gerichteten „politischen“ Verbrechen sind es ja auch im allgemeinen, welche die Völker einander vorwerfen, wenn eines das andere kollektiv beschuldigt. Diese gemeinen Verbrechen aber gelten zugleich als unmoralisch, sodaß wir im Folgenden so weit die juristische Schuld mit der moralischen zusammenfassen können und nicht besonders zu erwähnen brauchen. Die Haftung als solche muß .. hier außer Betracht bleiben, wenn man von „Schuld“ spricht. Denn soweit die Haftung auf moralischen Tadel gestützt wird, wird bereits moralische Schuld behauptet. Auch ein verlorener Krieg oder eine bedrückende militärische Besetzung entehren als solche die einzelnen Bürger oder Bewohner des besiegten oder besetzten Staates nicht im Geringsten, denn es ist keine Schande, der Schwächere zu sein, und wenn moralisch Schuldige da sind, so sind es wenige oder viele einzelne, aber kein Kollektivum. Es bleibt also im Ganzen überhaupt kein Raum für eine Kollektivschuld. Man mag einen Tatbestand, der eine Kollektivstrafe im Sinne des Art. 50 der Haager Landkriegsordnung zulässig macht, in einem uneigentlichen Sinn eine Kollektiv-„Schuld“ nennen, weil nun einmal das positive Recht ohne Rücksicht auf die Willensschuld der einzelnen die Rechtsfolge „Strafe“ nennt. .. sobald wir von schwereren Taten und schwereren Vorwürfen sprechen, gibt es im Grunde nur eine Schuld, die moralische Schuld, und da ein Kollektivum nicht moralisch schuldig sein kann, keine Kollektivschuld. Jaspers hat vollkommen recht, wenn er S. 39 sagt: „Die Weltmeinung aber, die einem Volke die Kollektivschuld gibt, ist eine Tatsache von derselben Art, wie die, daß in Jahrtausenden gedacht und gesagt wurde: die Juden sind schuld, daß Jesus gekreuzigt wurde.“ Ob man die jüdische Rasse als Ganzes wegen irgendwelcher Taten irgendwelcher Juden beschuldigt wie der radikalere Antisemitismus, oder das deutsche Volk als Ganzes wegen der Taten
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des Régimes Hitler und seiner Helfershelfer, oder das polnische und das tschechische Volk als Ganzheiten wegen der örtlich zum Teil mit Massenausrottung (genocide ..) verbundenen gewaltsamen Ausweisung von mindestens etwa zwölf Millionen Deutschen aus ihrer vielhundertjährigen Heimat 1945, immer wird, wie verschieden sonst die Tatsachen liegen mögen, grundsätzlich der gleiche Fehler begangen: Millionen absolut in jeder Hinsicht Unschuldiger werden mitbeschuldigt. Daß ganze Völker noch heute in solchen Kollektivbeschuldigungen denken können, ist ein atavistisches Überbleibsel aus der Zeit der Blutrache und der Erlaubtheit der Massenausrottung gegenüber dem Besiegten. Ganz besonders gilt dies von den schwersten und allgemeinsten Beschuldigungen, welche die Völker immer wieder gegeneinander erheben, so von der Behauptung der Schuld eines Volkes an einem Krieg, oder auch zum Beispiel von der in Deutschland so verbreiteten Beschuldigungen der alliierten Völker im Ganzen wegen verschiedener Ereignisse seit 1945 oder der Polen und Tschechen im Ganzen wegen der Massenausweisungen und ihren Begleiterscheinungen im Osten. (Laun 1950, S. 79–82) Ich habe das große Sterben und die Verzweiflung in Königsberg und Breslau, an der Nehrung und im schlesischen Land an mir vorüberziehen lassen. Und die Flucht der Siebenhunderttausend aus Breslau in den Januartagen 1945. Und alle jene unmenschlichen Tage der Austreibung aus der angestammten Heimat. Ich weiß nicht, ob einem Volk je ein grausameres Los auferlegt wurde. Ich vergesse dabei nicht die Schuld derer, die Urheber und Veranlasser des Unheiles waren, das seit 1933 über die Welt kam. Jene Handvoll nationalsozialistischer Abenteurer. In ihrer grenzenlosen Verblendung glaubten sie, das deutsche Volk müsse ihren selbstverschuldeten Untergang teilen. Ich sage das, damit die Welt weiß, wir vergessen die Schuld Hitlers nicht. Aber ebensowenig werden wir je die Selbstentlarvung des sowjetischen Kommunismus vergessen. Auf seinem Wege bis ins Herz Deutschlands – von 1944 bis zum heutigen 15. Oktober – hat er es den deutschen Männern, Frauen und Kindern eingehämmert. Der Kommunismus, der Bolschewismus ist die personifizierte Menschen- und Völkerverachtung. Er ist der grausamste Vernichter aller Moral. Er ist der grausamste Vernichter von Geist und Freiheit der Menschen und Völker. Yalta und Potsdam haben dieser zerstörenden Macht den Weg ins Herz Deutschlands geöffnet. Bis zur Elbe, bis über den Thüringer Wald hinaus, bis in die Berge des Harzes hinein. Wir wissen, daß die Beschlüsse von Yalta und Potsdam noch unter dem Eindruck der Gefahr und der Schuld Hitlers standen. Wir wissen, daß sie unter der Illusion standen, es handele sich um ein aufrichtiges Bündnis des Kreml mit Völkern des Westens. Um ein Bündnis für Freiheit und Menschenwürde gegen eine Diktatur der Welteroberung. Aber 1944/45 schon hätten die Entsetzensschreie unserer Schlesier, unserer Ost- und Westpreußen, der Pommern und der Berliner den wahren Charakter des Kommunismus enthüllen können. (Kaiser 1950, S. 494 f.) Die deutschen Imperialisten selbst – das sind die wahren und eigentlichen Schuldigen! .. jene Gesellschaft, die sich mit zynischer Frechheit als den ‚Rat der Götter‘ bezeichnete (Grotewohl 1950a, S. 52). Es ist soviel Böses in der Welt geschehen, so viel Schuld angehäuft, so viel Verbrechen nicht mit dem Willen, aber doch im Namen des deutschen Volkes begangen worden, daß dieses heute in einer tiefen Schuld gegen andere Völker steht. Diese Schuld kommt nicht dadurch aus der Welt, daß diese anderen Völker heute ihrerseits
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Handlungen des Unrechts gegen das deutsche Volk begehen, die sich gleichfalls an ihnen einmal rächen werden. (Schoeps 1950, S. 32) Aber angesichts der deutschen Schuld und ihrer Verflechtung in die Schuldsolidarität der gesamten Menschheit, von der vor Gott auch die Völker nicht ausgenommen sind, die sich als die Gerechten dünken, sollte bedacht werden, daß Schuld und Sühne individuelle und keine völkischen Kategorien sind. Niemals können ganze Völker Buße tun, sondern immer nur verantwortliche Einzelne, die das Ganze freiwillig stellvertreten. (Schoeps 1950, S. 32 f.) Keine Schuld auf Erden ist so groß, daß sie nicht vergeben werden könnte. Jedes Unrecht und jede Schuld, begangen von Menschen gegen Menschen, kann vergeben werden. Auch noch Raub, Totschlag, Mord können individuell durch rechte Buße Sühne finden. Das Losungswort der Heiligen Schrift des Alten Bundes heißt Teschuwah, Umkehr. Kein Maß des Abfalls ist so groß, daß es diese Fähigkeit auslöschen könnte. Jeder Mensch kann noch aus der größten Gottesferne umkehren zum Hören auf das Wort des Herrn, durch das sogar ganze Völker wiedergeboren werden können. Das deutsche Volk steht heute vor der Frage, ob es weiter sein Zutrauen in die Lüge, in Gewalt und Mord setzen oder ob es sich noch einmal an den alten Gott wenden will, dessen Gebote einfach und klar sind, vor dem das Gute gut und das Böse böse heißt, weil er der Gott der Wahrheit ist. Ob das Wort, das Kirche und Synagoge zu sagen haben, heute auf bereiten Boden fällt oder tauben Ohren gepredigt wird, wissen wir nicht und können wir auch nicht bewirken. Aber das Unsrige, das muß getan werden. Und der kardinale Satz des jüdischen Gebetbuches zu den hohen Feiertagen: „Umkehr, Wohltun und Gebet wenden das Böse des Verhängnisses von uns ab», ist ganz gewiß für alle Menschen wahr. Wir wollen hoffen, daß unser Gebet von Gott erhört und uns zur wirklichen Umkehr die Kraft gegeben wird. (Schoeps 1950, S. 33) Wir, das deutsche Volk, Deutschland, wir sind nach dem Zusammenbruch, nach der bedingungslosen Kapitulation des Jahres 1945 nicht ohne unser Verschulden, aber auch nicht ohne Verschulden anderer, durch ein Zusammentreffen einer ganzen Reihe von historischen Faktoren in eine Lage hineingeraten, die uns gezwungen hat und auch in Zukunft mehr als je zuvor zwingen wird, uns mit der größten Sorgfalt über die Möglichkeiten, über die Notwendigkeiten und über die Zukunftsaussichten unseres deutschen Schicksals Rechenschaft zu geben. .. das deutsche Volk, das in eine so furchtbare Katastrophe hineingekommen ist, muß den Versuch machen und muß den Versuch wagen, auch die Frage zu beantworten: Woher mußte diese Katastrophe kommen, in die wir hineingeraten sind. Und es genügt nicht, die gewiß vorhandenen Ursachen zu untersuchen, die in Fehlern des Auslands gelegen haben mögen. Jedes Volk hat zunächst die Aufgabe, seinen eigenen Fehlern nachzugehen, aus seinen eigenen Fehlern und aus seinen eigenen Tugenden zu lernen und erst dann Forderungen an andere zu stellen, wenn es sich selbst klargeworden ist darüber, ob der Weg, den es gegangen ist, der richtige Weg war. (Reuter 1950, S. 211) Der Vorwurf des Nihilismus zählt heute zu den beliebten, und jeder wendet ihn gern auf seine Gegner an. Es ist wahrscheinlich, daß alle recht haben. Wir sollten daher den Vorwurf auf uns nehmen, und nicht bei jenen weilen, die rastlos nach Schuldigen auf der Suche sind. Der kennt am wenigsten die Zeit, der nicht die ungeheure Macht des Nichts in sich erfahren hat und der nicht der Versuchung unterlag. Die eigene Brust: das ist, wie einst in der Thebais, das Zentrum der Wüsten- und Trümmerwelt. Hier ist die Höhle, zu der die Dämonen andrängen. Hier steht ein jeder, gleichviel
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von welchem Stand und Range, im unmittelbaren und souveränen Kampfe, und mit seinem Siege verändert sich die Welt. Ist er hier stärker, so wird das Nichts in sich zurückweichen. Es wird die Schätze, die überflutet waren, auf der Strandlinie zurücklassen. Sie werden die Opfer aufwiegen. (Jünger 1950, S. 278 f.) Die Schlagzeilen schrien: Eisenhower inspiziert in Bundesrepublik, Wehrbeitrag gefordert, Adenauer gegen Neutralisierung, Konferenz in Sackgasse, Vertriebene klagen an, Millionen Zwangsarbeiter, Deutschland größtes Infanteriepotential. Die Illustrierten lebten von den Erinnerungen der Flieger und Feldherren, den Beichten der strammen Mitläufer, den Memoiren der Tapferen, der Aufrechten, Unschuldigen, Überraschten, Übertölpelten. Über Kragen mit Eichenlaub und Kreuzen blickten sie grimmig von den Wänden der Kioske. Waren sie Akquisiteure der Blätter, oder warben sie ein Heer? Die Flieger, die am Himmel rumorten, waren die Flieger der andern. (Koeppen 1951, S. 9 f.) Die Entnazifizierung, wie sie in Deutschland durchgeführt wurde, verhängte über die ‚Kleinen‘ eine relativ harte Strafe, wenn man das Strafmaß für die Großen betrachtet, und ließ viele Hauptschuldige fast oder völlig straffrei ausgehen. Ehemals führende Nationalsozialisten, wie etwa der ‚Reichspressechef‘ Hitlers, Herr Dietrich, erschienen überraschend schnell wieder auf einflußreichen und lukrativen Posten, Hitlers Oberbürgermeister lassen sich bereits wieder in die demokratischen Stadtparlamente wählen und wünschen die Interessen der gleichen Städte wahrzunehmen, an deren Zerstörung sie als Hauptvertreter der ‚dynamischen Politik‘ ihres ‚Führers‘ als NS-Heimat- und Durchhaltekrieger mitschuldig sind. (Milan 1952, S. 21 f.) In einer geradezu tragischen Blindheit, in einem falschen Gefühl für ‚die deutsche Ehre‘ befangen, wünschen sich heute viele Deutsche mit den schuldbeladenen nationalsozialistischen Führern und ihren einflußreichsten Handlangern zu identifizieren. Zu einem Zeitpunkt, da der europäische Gedanke, zum ersten Male in der wirren und blutigen Geschichte unseres Kontinents, angesichts der tödlichen Gefahr aus dem Osten, einige Aussicht hat, von der Idee in die Tat umgesetzt zu werden, im Zeichen einer notwendigen und endlich sich anbahnenden Verständigung der freien europäischen Völker, setzen sich nicht unerhebliche Teile unseres Volkes für die Verderber Europas und Deutschlands ein. In einer Situation, in der alles geschehen muß, um im Interesse einer europäischen Gemeinschaft das berechtigte Mißtrauen der einst von Hitlerdeutschland überfallenen und versklavten europäischen Völker zu zerstreuen, ausdrücklich abzurücken von dem fluchwürdigen Regime, das Deutschland und Europa zerstörte, in einem solchen Augenblick versuchen die unbekehrbaren Nationalsozialisten von heute, dem deutschen Volke einzureden, es müsse als Preis für eine Beteiligung an der Verteidigung Europas die Straffreiheit für nationalsozialistische Verbrecher verlangen. Statt endgültig einen scharfen Trennungsstrich zu ziehen zwischen Deutschland und dem Nationalsozialismus, zwischen dem demokratischen Deutschland von heute und dem Hitlerdeutschland von einst, statt diesen Trennungsstrich zu verlangen, rufen sie nach dem ‚Schlußstrich‘ unter die nationalsozialistischen Verbrechen, nach der Gleichberechtigung überführter Verbrecher. Sie setzen die deutsche mit der nationalsozialistischen Ehre gleich. (Milan 1952, S. 23 f.) Die Beihilfe, Zustimmung oder gar Anordnung zur Vergasung eines einzigen jüdischen Kindes würde die schärfste und unerbittlichste Bestrafung des Schuldigen verlangen. Um wieviel mehr muß gefordert werden, daß die Mitglieder und maßgeb-
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lichen Helfershelfer einer Regierung zur Verantwortung gezogen und nie wieder auf die Menschheit losgelassen werden, die solche Greuel massenweise durchführen ließ (Milan 1952, S. 24). Es ist höchste Zeit, daß unter das ganze unverantwortliche Treiben der viel zu milde behandelten Hauptschuldigen und ihres Anhangs, unter die ganze gemeingefährliche ‚neofaschistische‘ Tätigkeit, die im Grunde nichts anderes ist als die alte nationalsozialistische Bauernfängerei, ein dicker Schlußstrich gezogen wird. Es sollte künftig kein Schlußstrich mehr unter die Vergangenheit eines Nationalsozialisten gezogen werden, bevor er nicht selber den endgültigen Schlußstrich unter seine Vergangenheit, seine Verehrung des Nationalsozialismus gezogen hat und von den Verbrechen dieses Terrorsystems, von seiner Ideologie, seiner Propaganda, seinem Programm und auch von dem sogenannten ‚Guten‘, das der Nationalsozialismus nach Ansicht seiner böswilligen oder wirrköpfigen Verteidiger gehabt haben soll, abgerückt ist. Das gilt für Bundesabgeordnete ebenso wie für politische Journalisten, für Landesgerichtsräte wie für Offiziere künftiger deutscher Truppenteile. (Milan 1952, S. 26) Diese [die Mitglieder von SRP und nationalsozialistischen Bünden und Verbänden] ewigen Landsknechte der Barbarei sind nicht bereit, sich mit dem Höllensturz des nationalsozialistischen Reiches abzufinden. Sie rüsten ‚auf ein neues‘, das, würde es Wirklichkeit, niemand von dem alten Hitlerreich unterscheiden könnte. Sie verhöhnen die Demokratie, die Besatzungsmächte, die Opfer der Gestapo, die Märtyrer der Freiheit. Sie lügen und fälschen, sie wühlen und drohen, sie warten auf die zweite Nacht der langen Messer, sie warten auf ihre Stunde. Und es besteht kein Zweifel daran, daß sie mit ihren ‚national‘ verbrämten, ihren ‚echt deutschen‘ Argumenten seit 1945 erheblich an Boden in der öffentlichen Meinung gewonnen haben und noch weit mehr dazu gewinnen werden, wenn man es ihnen noch länger gestattet, diese öffentliche Meinung und eine teils mißleitete, teils ahnungslose Jugend mit ihren Propagandaphrasen zu vergiften. Sie sind es, die niemals von Kriegsverbrechern sprechen, ohne das Wort ‚sogenannte‘ hinzuzusetzen. Sie betonen damit, daß es ihrer Ansicht nach überhaupt keine wirklichen Kriegsverbrecher gibt. Daß jeder General Hitlers, jeder SS-Mörder deshalb unschuldig ist, weil er ‚ein deutscher Mann‘ war. Deutsch heißt für sie ‚unschuldig‘, nationalsozialistisch heißt für sie ‚deutsch‘, antifaschistisch bedeutet in ihrem Slogan ‚schuldig‘; Schwarz ist für sie weiß, Verbrechen sind für sie ‚dienstliche Aufträge‘ und der Kampf gegen ein verbrecherisches Terrorregime heißt bei ihnen ‚Verrat an Deutschland‘. (Milan 1952, S. 32 f.) ‚Das Volk ohne Raum‘ verfügt dank Hitler heute über weit weniger Raum als jemals in seiner Geschichte, aber der Volk-ohne-Raum-Dichter Grimm beansprucht nach wie vor viel zu viel Raum für sich und seine Sippe. Soviel Raum steht ihm auf seinem Gut Lippoldsberg zur Verfügung, daß er dort die übrigen Hitlerschreiblinge schon wieder zu ‚deutschen Dichtertreffen‘ entbieten kann. Frage: Warum werden bei Grimms nicht Flüchtlinge in so großer Anzahl untergebracht, daß Gut Lippoldsberg in nützlicher Weise verwendet wird und die Treffen der Hitlerdichter unterbleiben müssen. Wenn sich jemand in der großen Raumnot unseres Volkes einzuschränken hat, dann sind das in erster Linie die schuldbeladenen, schwert- und federführenden prominenten Nationalsozialisten, die aktiv an der Herstellung dieser Raumnot mitgearbeitet haben. (Milan 1952, S. 36 f.) Wir fordern nicht ihre physische Vernichtung, wie sie Hitler an seinen Feinden vollzog, aber wir fordern ein generelles Schreibverbot für unverbesserliche, schuldbe-
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ladene Nationalsozialisten, die mit dem Begriff ‚Europa‘ gemeingefährlichen Unfug treiben, mit all ihrem barbarischen Brauchtum wieder ‚zukunftsfreudig‘ zum Licht drängen, und gar nicht daran denken, ihre Mitschuld zu gestehen und vom Nationalsozialismus abzurücken. (Milan 1952, S. 38 f.) Wenn ich an das namenlose Elend denke, das zu einem erheblichen Teil durch die Schuld von Deutschen über unser Vaterland und die ganze Welt gekommen ist, dann bin ich empört über die fast einer Glorifizierung sich nähernden Beschreibungen und Schilderungen, die immer wieder in einem gewissen Teile unserer Blätter über die wahrhaft Schuldigen und die wahrhaft Verantwortlichen jener Zeit erscheinen. (Adenauer 1952a, S. 255) Sie wollen vergessen, auch ihre Mitschuld, die in ihrer Passivität gelegen hat. Aber .. das Ausland hat nicht vergessen! (Adenauer 1952b, S. 242) An der Stellung zur Schuldfrage entscheidet sich, ob wir als ein unbelehrtes oder als ein belehrtes Volk in die Zukunft gehen. (Gollwitzer 1952, S. 68) Wir sollten keinen Augenblick vergessen, daß der Weg, der in diese deutsche Situation hineingeführt hat, der Weg Adolf Hitlers gewesen ist. Auch wenn man bereit ist, anzuerkennen, daß historische Ereignisse, selbst solche Katastrophen, wie wir sie von 1933 bis 1945 erlebt haben, nicht isoliert in der Geschichte stehen, sondern auf vielfältige und verflochtene historisch-politische Entwicklungen zurückgehen, dürfen wir nicht leugnen, daß der entscheidende Antrieb zur deutschen Katastrophe eben von Hitler gekommen ist und von ihm verschuldet wird. Ich halte darum jeden Versuch, das zu leugnen, nachträglich zu glorifizieren oder bagatellisieren, für ein Verbrechen an der deutschen Nation. Ich möchte hier anmerken, daß ich es allerdings für genau so unvollziehbar halte, das, was in den 12 Jahren vor 1945 geschah, einfach aus der deutschen Geschichte eliminieren zu wollen. Die tragischen Erfahrungen, die wir in jener Zeit gesammelt haben, die negativen und gelegentlich sogar die positiven Erkenntnisse, die diese Zeit uns gebracht hat, gehören zum geistigen Gesamtbild unserer Nation und müssen von uns, ob wir es wünschen oder nicht, verarbeitet werden. Wer sich der Aufgabe entzieht und deutsche Politik so zu betreiben wünscht, als ob das Jahr 1945 unmittelbar an das Jahr 1932 anschließe, hat den Sinn geschichtlicher Ereignisse und Katastrophen ebenso wenig verstanden wie derjenige, der nachträglich diese Jahre positiv auszuwerten wünscht. (Ehlers 1952, S. 203 f.) Deutschland hatte unter dem nationalsozialistischen Regime die Welt herausgefordert und war durch die Außenpolitik dieses Regimes in eine Katastrophe gestürzt worden, die es in seiner Geschichte um tausend Jahre zurückwarf und das deutsche Volk in tiefste Not verstrickte. Durch die Schuld dieses Regimes war es nach dem Zusammenbruch wehrlos grauenvollem Unrecht ausgesetzt, dem Millionen Deutsche zum Opfer fielen, das weitere Millionen ihrer Existenz beraubte und Hunderttausende in ihrer Ehre verletzte. Diese Vorgänge der Zusammenbruchs- und Nachkriegszeit werden nicht dadurch gerechtfertigt, daß vorher der deutsche Nationalsozialismus im Blute von Millionen von deutschen und ausländischen Opfern seines Schreckensregiments gewatet war; wie umgekehrt sich diejenigen Deutschen auf einem sehr gefährlichen Weg befinden, die meinen, daß uns nun, nachdem uns das Ausland jenes bittere Unrecht zugefügt hat, das Unrecht des nationalsozialistischen Deutschland nicht mehr zu bedrücken brauche. Das schwerste Unrecht – dasjenige an den vertriebenen Ostdeutschen belastet dabei, wie heute wohl feststeht, eindeutig das Schuldkonto der östlichen Siegermacht und lag nicht, zum mindesten nicht in
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diesem Maße, im Willen der westlichen. (Zonenbeirat der britisch besetzten Zone 1953, S. 14) Kurz nach dem Krieg begegnete mir im neutralen Ausland die Erwartung, daß man jede Äußerung in der Öffentlichkeit mit einem Schuldbekenntnis beginnen müsse. Ich fürchte, daß das oft genug nicht die brüderliche Mahnung zur Buße war, sondern die Erwartung der Bestätigung in der eigenen gottgefälligen Unerschütterlichkeit. Niemand wird daran zweifeln, daß es nach allem, was geschehen ist, den Deutschen noch weniger als früher ansteht, in selbstgefälliger Weise aufzutreten (so etwa nach der Melodie, daß am deutschen Wesen doch noch die Welt genesen solle). Aber wir werden, wenn wir den Umgang mit anderen Völkern pflegen wollen, darauf zu achten haben, daß das auf der Ebene gleicher Rechte und Pflichten geschieht. Als Paria unter den Völkern herumzulaufen, ist keine geeignete Aufgabe, übrigens gefährdet sie die anderen meist mehr als die, die zu einem solchen Auftreten genötigt werden! Die innere Umkehr ist eine Satire, die ihren Ort in uns und unserem Volk selbst hat. Man kann sie nicht auf einem Tablett vor sich hertragen. Aber daß sie geschehen muß, ist sicher. (Ehlers 1954, S. 349 f.) Das christliche Abendland verträgt kein lautes Reden und keine selbstgefällige Darstellung. Die Schuld an seinem Versinken liegt auf allen Seiten. (Ehlers 1954, S. 354) Ihre Zeit zu erfassen ist eine der unabweisbaren Aufgaben philosophischer Besinnung. Diese Besinnung im Jahre 1945 auf sich nehmen, hieß die Frage der Schuld stellen (Kuhn 1954, S. 211). Zufall kann man das [daß nun gerade Hitler nicht von der Bombe zerrissen wurde] nicht mehr nennen. Es war Fügung. Deutschland sollte nun einmal, so war es wohl vorbestimmt, den bitteren Kelch seiner Erniedrigung und seines selbst verschuldeten Unglücks bis zur Neige austrinken. Aber das alte Europa ist dabei mit zugrunde gegangen. (Ritter 1954, S. 402 f.) Das deutsche Volk ist in einem Zustand ganz ungewöhnlicher geistiger und namentlich religiöser Gewecktheit aus dem Kriege hervorgegangen. Zahlreich waren allein schon diejenigen, die in der Katastrophe ein Strafgericht Gottes erblickten, und auch wer zu solcher individuellen, religiös akzentuierten Schuldauffassung nicht imstande war, schaute doch mit einem neuen Respekt auf die Ordnungs- und Widerstandskräfte, die sich während des Dritten Reichs im Christentum und ganz praktisch in der Katholischen wie in der Bekennenden Evangelischen Kirche bewährt hatten. (Süskind 1954, S. 24 f.) Es hat lange gebraucht, bis sie begriffen: hier war ein Unternehmen, das ein Volk retten sollte, indem es ihm die innere Freiheit zurückgewann, um den Weg zu einem gerechten Frieden zu finden, einem Frieden, in dem nicht Übermut oder tobender Haß wirken sollten, sondern die realistische Einsicht in die Lebensnotwendigkeiten einer Nachbarschaft, zugleich das nüchterne Wissen, daß Schuld auch Sühne fordere. (Heuss 1954, S. 13 f.) Das Schauspiel, das seit Ende des Krieges über die deutsche Szene gegangen ist, will dem distanzierten und doch nicht unbeteiligten Betrachter als gleichermaßen vertraut, befremdlich und erstaunlich erscheinen: ein gestürzter Magier hat, aus eigener Kraft sich verjüngend, sich ungeachtet aller Wunden und Fesseln fast wieder zu voller Mannesgröße aufgerichtet und den Fluten der Zerstörung gewaltige Dämme entgegengestellt. Er hat, sich ganz dem drängenden Augenblick verschreibend, Wüsteneien in Ackerboden, Trümmerfelder in Siedlungsgelände verwandelt. Er hat die Lemuren verscheucht und die grauen Gestalten des Mangels, der Not und der Schuld
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wenn nicht vertrieben, so vorerst aus seinem Blickfeld verbannt. Er hat sogar dem Anhauch der Sorge widerstanden: ‚Ergreift das Werkzeug, Schaufel rührt und Spaten!/Das Abgesteckte muß sogleich geraten./Auf strenges Ordnen, raschen Fleiß/Erfolgt der allerschönste Preis.‘ Der Preis ist nicht ausgeblieben – aber um welchen Preis? Sind im Antlitz des nüchtern nach außen und aufs Nächstliegende blickenden, tatkräftigen, lebenstüchtigen Magiers noch die Züge des Grüblers und Zweiflers und Suchers Faust zu erkennen? (von Einsiedel 1954, S. 433) Sie konnte ihnen nicht erklären, daß ihr und Judejahns Ehebund so eng mit dem Dritten Reich verknüpft war und nur in diesem Glauben bestanden, nur aus diesem Quell sich genährt hatte, daß er nun aufgelöst war, daß der Bund sich von selbst gelöst hatte, als Hitler starb, als das Reich verging und fremde Soldaten auf deutschem Boden der Vorsehung und Zukunftsschau des Führers spotteten. Wer das nicht begriff und wem es nicht unvorstellbar war, daß man anders es sehen und denken mochte, dem war es nicht mitzuteilen, und man schwieg besser und schändete nicht den eigenen Gram. Nicht sie war schuldig, und Judejahn war nicht schuldig, sie hatten beide nicht schuld, an dem was geschehen und nicht wiedergutzumachen war, aber sie teilten zwangsläufig die Schuld eines jeden Überlebenden, Eva hatte diese Schuld getragen, nicht die Schuld am Bau des Weges, der zum Unheil führte, sondern die Schuld der Heilsüberlebung, sie schwand nicht aus ihrem Bewußtsein, und sie fürchtete, daß Judejahn diese Schuld des bloßen Daseins nun mittragen sollte und mittragen mußte, sie wollte es nicht, denn ihn hatte sie noch schuldlos gesehen, einen Helden in Walhall, aber die Teilhaberschaft an der Schuld war jedem Lebenden aufgebürdet (Koeppen 1954, S. 97). Pfaffrath schien es nun, als sei er in jungen Jahren vom Weg abgekommen, als habe es einen anderen Pfad für ihn und für Deutschland gegeben als die Heerstraße, die Pfaffrath gegangen war; eine andere deutsche Möglichkeit, an die er nie geglaubt hatte, lag nun wie eine durch das Gaukelspiel der Erinnerung verklärte Jugendlandschaft vor ihm, doch ihr, dieser anderen Möglichkeit, war er untreu gewesen, und das andere Deutschland war für immer versäumt worden. Die Kastanien erzählten sich von seiner Feigheit, seiner Untreue, seinem Versagen, mehr noch zu Haus die alten Linden, aber für die Menschen verrauscht die Schuldstimme der Nacht mit dem nächtlichen Beben der Bäume, und nach erquickendem Schlaf wird Pfaffrath sich wieder makellos fühlen, ein aufrechter deutscher Mann und Oberbürgermeister, frei von jeder Schuld, frei von Schuld an den Ahnen, frei von Schuld an den Kindern und frei von Schuld an der eigenen Seele. (Koeppen 1954, S. 170) Ich hör die Herren in Downing Street euch schelten/Weil ihr’s gelitten, trüget ihr die Schuld./Wie dem nun sei: die Herren schelten selten/Der Völker unerklärliche Geduld. (Brecht 1955, S. 1047)
Selektion Opfer Bezeichnung für ‚Aussonderung von nicht für arbeitsfähig gehaltenen KZ-Häftlingen zur Ermordung‘. Selektion ist zum einen gleichsam
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das Scharnier zwischen ÕTransport und Konzentrationslager, indem an der Rampe bei Ankunft eines Transports „über Sein oder Nichtsein“ (Frankl 1945, S. 29) entschieden wurde. Für die meisten Transportangehörigen, insbesondere für Frauen, Kinder, Alte und Kranke, ist die Selektion das Todesurteil. Während des KZ-Aufenthalts bezeichnet Selektion zum andern den wiederholt praktizierten Vorgang zur Aussonderung derjenigen, die im Zuge der sog. „Vernichtung durch Arbeit“ den Zustand „nicht mehr arbeitsfähig“ erlangt haben (ÕMuselman(n)). Kennzeichnend für die Beschreibungen der Opfer ist die Reduzierung des Vorgangs auf eine winzige Bewegung des Fingers desjenigen SS-Mannes, der diese Auswahl vornahm. Typische Partnerwörter von Selektion sind die Handlungsbezeichnungen kleine Bewegung und Handbewegung, sowie Zeigefinger und Daumen, links und rechts (s. Frankl 1945, S. 28; Kautsky 1948, S. 64; Klieger 1958, S. 48). Kein Bericht, der diesen Vorgang thematisiert und beschreibt, lässt die Darstellung der Vermessenheit, die diese winzige Geste, dieser anmaßliche Wink in den Tod oder ins Leben bedeutet, aus. Insofern sind sie Konstituenten des Begriffs Selektion. In der Urteilsbegründung des Auschwitz-Prozesses erscheint die kleine Handbewegung daher als Schuldaspekt: „Aufgabe der Ärzte war es, die Arbeitsfähigen aus den vorbeimarschierenden Menschen auszuwählen. Dies geschah nach oberflächlicher Betrachtung (gelegentlich unter Befragung nach Alter und Beruf) in der Weise, dass der Arzt mit einer kurzen Handbewegung die Menschen entweder nach rechts oder nach links schickte.“ (Justiz und NS-Verbrechen 1971 XXI, S. 427) Selektion ist Dekuvrierungsvokabel nazistischer Willkür, das Wort durfte nicht gebraucht werden und seine Tabuisierung sollte die Wirklichkeit umdeuten. Die Beobachtung eines Opfers, dass eigentlich nur die Häftlinge selbst von Selektion sprechen (Adelsberger 1956, S. 131) bestätigen Belege. Höß, der Kommandant von Auschwitz, beschreibt mehrfach diesen Vorgang und redet von Aussortierung. So lässt auch Peter Weiß in ‚Die Ermittlung‘ den Angeklagten 7, das ist Kaduk, von ‚Aussonderung‘ reden: „Ich hatte nur zur Bewachung bei Aussonderungen zugegen zu sein.“ (Weiß 1965, S. 47) Winterfeldt (1968) weist auf die Bedeutungsveränderung von Selektion im Sinn von Euphemisierung im KZ-Kontext hin: nicht Auswahl der Besten zum Leben, sondern der Schwächsten zum Tod (vgl. S. 130 f.).
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Vgl. Winterfeldt 1968, S. 130 f.; Keiler 1996, S. 42. Selektion .. für die gewaltige Majorität unseres Transports, etwa 90 %, war es das Todesurteil (Frankl 1945, S. 29 f.). Offiziell durften wir nichts von Selektion wissen, auch wenn die Flammen vor unseren Augen bis zum Himmel schlugen, und wenn wir am Brandgeruch und am Qualm fast erstickten. Das bloße Wort war im Umgang mit der SS Tabu. (Adelsberger 1956, S. 52) In nonchalanter Haltung steht er da, den rechten Ellbogen mit der linken Hand stützend, die rechte Hand erhoben und mit dem Zeigefinger dieser Hand ganz sparsam eine kleine winkende Bewegung vollführend – bald nach links, bald nach rechts, weit öfter nach links .. Am Abend wußten wir um die Bedeutung dieses Spiels mit dem Zeigefinger: es war die erste Selektion! .. Wer nach links .. geschickt wurde, marschierte von der Bahnhoframpe weg direkt zu einem der Krematoriumsgebäude (Frankl 1945, S. 28). Der Blockälteste gab uns bekannt, dass sich alles bereit halten müsse. Selektion im Bad! .. Alle mussten sich .. nackt ausziehen, durch das Bad marschieren .. Kaddock [i.e. Kaduk] nahm die Parade ab. Ab und zu machte er eine kleine Bewegung mit dem Daumen, dann wurde ein Häftling auf die Seite gezerrt .. Eigentlich kein sehr erschütternder Vorgang. Und doch verurteilte Kaddock mit der kleinen Daumenbewegung Hunderte zum Tode (Klieger 1958, S. 48). Die Untersuchung ging so vor sich, daß er den Häftling kurz anblickte und ein paar Schritte laufen ließ. Je nach Gutdünken wurde durch eine Handbewegung über Tod oder Leben, oder, besser gesagt, über sofortigen oder langsamen Tod entschieden (Kautsky 1948, S. 64). Die Transporte wurden gesiebt. Ein SS-Offizier, meistenteils ein Militärarzt, nahm sie in Empfang und musterte die Ankommenden. Junge, kräftige Menschen beiderlei Geschlechts liess er geradeaus gehen, auch wenige ältere Personen, die ihm noch kräftig erschienen. Alle anderen gingen nach links .. zum „Baden“ (Klieger 1958, S. 22).
SS Lager-SS SSler SS-Bande · SS-Bonzen · SS-Führung · SS-Hauptsturmführer · SS-Leute · SS-Mann · SS-Oberscharführer · SS-Obersturmbannführer · SS-Obersturmführer · SS-Scharführer · SS-Standartenführer · SS-Sturmbannführer · SS-Totenkopf-Verband · SS-Vergnügen · SS-Weiber Opfer Initialen der kaum gebrauchten nationalsozialistischen Organisations- und Funktionsbezeichnung Schutzstaffel in der Bedeutung
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‚Gruppe von weltanschaulich auf Hitler und den Nationalsozialismus eingeschworenen und sich als nationalsozialistische und im weiteren Sinn als germanische Elite verstehenden Männern und Frauen, die während des nationalsozialistischen Regimes diesem als Herrschafts-, Macht- und Terrorinstrument dienten‘. Die SS ist seit 1925 die Nachfolgeorganisation der 1923 geschaffenen Leibgarde zum Schutz Hitlers (Stabswache, Stoßtrupp Hitler), die zunächst der SA (i.e. Sturmabteilung) unterstellt war, bevor sie seit dem sog. „Röhmputsch“ (30. Juni 1934) eine selbstständige, Hitler direkt unterstellte Organisation wurde, deren Mitglieder auf den „Führer“ vereidigt waren und die sich unter dem von Hitler 1931 formulierten Wahlspruch „Meine Ehre heißt Treue“, der auch auf der Klinge des sog. SS-Dolches eingraviert war, auf bedingungslosen Gehorsam verpflichteten. Am 6. Januar 1929 wurde Heinrich Himmler von Hitler zum sog. Reichsführer SS ernannt, der, nachdem er 1936 auch Chef der Polizei wurde, die SS zur Exekutivinstanz des Herrschafts- und Terrorwillens des nationalsozialistischen Regimes machte. Die Konzentrationslager waren ihr direkt unterstellt, ihre so genannten „Totenkopfverbände“ statteten sie personell aus. Die SS, sich selbst als „Eliteeinheit“ verstehende Organisation, war von einem Mythos umgeben, den die Opfer mit ihren Beschreibungen radikal zerstören, durch Bezeichnung von Herrschaft, die sich enthüllt „als die Macht, Leid zuzufügen und zu vernichten“ (Améry 1977, S. 72), als die Macht, die nichts weiter ist als die „Mordmacht“ des Henkers, die die Macht eines Menschen ist, denn „selbst das ärmste Opfer kann nichts anderes tun als festzustellen, daß die Macht des Henkers .. immer nur die eines Menschen sein kann: die Mordmacht.“ (Antelme 1957/1990, S. 309) Macht ist die, die Wahrnehmung der Gegenmenschen (Jean Améry) verdichtende Bezeichnung und als solche Element des Konzepts SS. Kennzeichen des Redens über die SS aus der Opferperspektive ist, dass diese Bezeichnung die binäre Einteilung in sie und wir repräsentiert: „Ihrer war die Arbeit und die Knechtschaft, jener war die Macht und das Herrentum. Ihrer war die Leistung und das Wissen, die Planung, das Schöpfertum aus dem Nichts, jener war die Unwisssenheit, die Peitsche, der Kolben, das Richten, die Marter. Hier war das ganze Volk vom Bettler bis zum Reichstagsabgeordneten, vom namenlos Geborenen bis zum Freiherrn, Handwerker und Gelehrte, Ärzte, Juristen und Pfarrer. Dort war die Uniform, unter der sich nichts verbarg als das Gleichmaß einer Weltanschauung. Dort waren siebzehnjährige Wachtposten,
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Knechte nach äußerer und innerer Bildung und Haltung, vor denen der Adlige der Geburt oder des Geistes mit der Mütze in der Hand zu stehen hatte. Dort waren Blockführer, deren Sprache und Gebärden die von Zuhältern waren. Dort war ein Lagerführer, der Schlossergeselle gewesen war und der im Delirium mit der Peitsche durch die Bunker ging. Da waren zwei Welten.“ (Wiechert 1939/1964, S. 73) Die einfache Ordnung von sie und wir legen vor allem die politisierten Buchenwald-Häftlinge ihren Berichten zu Grunde. Eine differenziertere Ordnung, welche die Gegenmenschen der SS auch als unerwartete Menschenfreunde darstellt, ist selten (s. Frankl 1945, S. 136 f.). SS als Bezeichnung für das Hauptinstrument des Nationalsozialismus zur Umsetzung seines Vernichtungsprogramms ist aus der Opferperspektive Schlüsselwort zur Bezeichnung von Brutalität und Grausamkeit. Opfer repräsentieren diese Erfahrung, indem sie aus SS und Gewalt, Willkür, Bestien, Verbrecher, ÕSadist ein semantisch kohärentes begriffliches Netz bilden. Die in Opfertexten häufig belegte Organisationsbezeichnung SS ist Ausdruck für das Bedürfnis der Opfer nach einer Zuordnung von Taten und Tätern. Opfer erfahren und erfassen den Nationalsozialismus durch diese Funktionsbezeichnung SS, zumeist in der Verbindung SS-Mann, SS-Leute, auch SS-Weib(er). Darüber hinaus sind häufig belegt Verbindungen von SS mit Rangbezeichnungen der streng nach dem Führerprinzip hierarchisch gegliederten Organisation (SS-Hauptsturmführer, SS-Obersturmführer, SS-Sturmbannführer). Diese Rangbezeichnungen werden oft auch zusammen mit dem Namen der betreffenden Person gebraucht (s. Schifko-Pungartnik 1946, S. 17; Eiden 1946, S. 217–219). Opfer nennen die Namen der Gegenmenschen, nicht nur, weil sie als Chronisten bestrebt sind, diesem Wahrheitsaspekt nachzukommen, sondern Opfer machen Listen, wie die Täter Listen gemacht haben. Beide Listen identifizieren – die eine zwecks Vernichtung, die andere, um dem Bösen eine Identität zu geben. Mit der Angabe von Dienstgrad und Name identifizieren und individualisieren Opfer ihre Peiniger. Sie machen ihre Namen zu Begriffen, um zu kompensieren, um ihnen, die sie entindividualisiert und nummeriert (ÕNummer) haben, statt einer anonymisierenden Nummer einen identifizierenden Namen und damit einen Begriff zu geben. Nummer und Rödel, SS-Sturmbannführer sind in diesem Sinn begriffliche Komplemente. Im Beschreiben seines Peinigers fragt sich Jean Améry: „warum soll ich eigentlich seinen Namen verschweigen, der mir später so geläufig
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wurde? Es geht ihm vielleicht gut zur Stunde, und er fühlt sich wohl in seiner gesunden geröteten Haut, wenn er vom Sonntagsausflug im Auto heimkehrt. Ich habe keinen Grund ihn nicht zu nennen. Der Herr Leutnant, der hier die Rolle eines Spezialisten für Folterungen spielte, hieß Praust – P-R-A-U-S-T.“ (Améry 1977, S. 61 f.) Während den Tätern erst die Anonymisierung der Opfer ihre Vernichtung erlaubt, erfordert die von dieser Vernichtung erzählende Darstellung der Opfer umgekehrt die Identifizierung der Täter. Opfer beschreiben Täter je nach Tätergruppe, je nach der Erfahrung, die sie mit ihnen machten, je nach Gefährdung, der sie durch sie ausgesetzt waren, je nach biographischen und politischen Voraussetzungen, je nach Distanz, die sie aufbringen können oder nicht. Häufig gebraucht werden solche Stereotype, die die Korruptheit der SS herausstellen, mit denen die Opfer ihre Sicht auf die Gegenmenschen zu manifestieren suchen: die Psychologie der Lager-SS .. ihre korrupte Geldgier, faul und dumm, roh und feig, disziplinlos und korrupt sind die Haupteigenschaften, aus denen die SS-Führung den SS-Mann zu fabrizieren hatte (s. Kogon 1946a, S. 156; Kautsky 1948, S. 122; Kautsky 1948, S. 114). Wer die SS unmittelbar, direkt und bei der Ausübung ihrer Verbrechen erlebt hat, vermag in ihren Mitgliedern nichts weiter als die Furchtbarkeit des Bösen zu sehen. Die Sprache der KZ-Berichte ist die Sprache zur Vermittlung der Opfersicht auf die Gegenmenschen im Moment der Ausübung ihrer Macht. Aus dieser Perspektive kann die Sprache der Opfer zu nichts anderem dienen, als perhorreszierend und unmittelbar den Schrecken zu bezeichnen, der den Opfern in Gestalt der SS gegenüberstand: der grausamen Willkür der tollwütigen und blutgierigen, zum Mord dressierten SS ausgeliefert, Drei, vier, fünf SS-Männer prügelten auf ihm herum, entfesselte Bestien (s. Eiden 1946, S. 212; Eggerath 1947, S. 79; Klieger 1958, S. 103–105). Unabhängig davon ist auf Belege zu verweisen, in denen SS bzw. Stellvertreter dieser Bezeichnung in zynischen bzw. ironischen Kontexten gebraucht werden. Denn Kennzeichen der rückblickenden, den Mythos der SS zerstörenden Erfassung ist nicht nur die Dokumentation des vernichteten und vernichtenden Humanismus und das Entsetzen darüber, sondern auch der Versuch, durch Distanz schaffenden Zynismus die Erfahrung des Gegenmenschen zu verarbeiten. Dies gelingt vor allem dann, wenn die Berichterstatter nicht persönlich betroffenes Opfer sind (s. Kogon 1946a, S. 314; Kogon 1946a,
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S. 119; Eiden 1946, S. 237; Eiden 1946, S. 226). Der semantische Bruch zwischen den Ausdrücken, die die Tat repräsentieren, und denen, die diese kommentieren, also die inhaltliche Unvereinbarkeit von durch Steine töten und Belustigung (s. Kogon 1946a, S. 119), von Häftlinge in den Bärenzwinger werfen und zerfleischen lassen und neronisches SS-Vergnügen (s. Kogon 1946a, S. 314) etwa, entlarvt das aus den Fugen geratene Wertesystem der Gegenmenschen als System der Unwerte. Solch zynische Kommentare schaffen also Distanz zu dem „Monstrum SS-Mann“. Befreiend hingegen sind Ironisierungen der SS-Leute zu komischen Figuren. Beides, Monstrum und komische Figur, sind Möglichkeiten der Gegenmenschen. Beides, ihr brutales Tun und ihr intellektuelles Unvermögen, ihre Einfalt und ihr pompös zur Schau getragenes Deutschtum, sind Erscheinungsformen, in denen die Gegenmenschen den Opfern begegnen. Den typischen Widerspruch zwischen Sein und Wollen ironisiert man z. B. durch die Gegenüberstellung mit dem nationalsozialistischen Ideal etwa von Germanen- und Heldentum mit nationalsozialistischem Sein. Dieser Widerspruch ist zu offensichtlich, um ihn nicht zur Entlarvung zu verwerten. Opfer sind und fühlen sich ihren Peinigern weit überlegen, und sie markieren ihre Überlegenheit durch Ironie, z. B. mit Bezug auf geistige Fähigkeiten: Hohlköpfe des SS-Totenkopf-Verbandes, selten war ein SS-Mann imstande, eine genaue Zahlenaufstellung zu machen (s. Kogon 1946a, S. 126; Kogon 1946a, S. 103), oder auf die äußere Erscheinung: SS-Weiber, die Karikatur einer Köchin in Generalsattitüde (s. Vermehren 1946, S. 59 f.). Vgl. Brackmann/Birkenhauer 1988, S. 177; Schmitz-Berning 1998, S. 590–593. Er war SS-Mann .. [und er] hatte aus eigener Tasche nicht geringe Geldbeträge insgeheim hergegeben, um aus der Apotheke .. Medikamente für seine Lagerinsassen besorgen zu lassen! (Frankl 1945, S. 136 f.) der grausamen Willkür der tollwütigen und blutgierigen, zum Mord dressierten SS ausgeliefert (Eiden 1946, S. 212). Welches waren die Menschen, welche .. unumschränkte Gewalt über die .. Häftlinge im Konzentrationslager Buchenwald, ausübten? Es waren alles SS-Leute mit dem Kommandanten, SS-Standartenführer Koch, an der Spitze (Eiden 1946, S. 216). Aus der Reihe der Männer, die diesen Posten [des Lagerführers von Buchenwald] bekleidet haben, seien die folgenden genannt, weil sie sich durch besondere Brutalität, durch besondere Mordlust hervorgetan haben: Hackmann, SS-Obersturmführer, Weisenborn, SS-Hauptsturmführer, Rödel, SS-Sturmbannführer, Florstedt, SSSturmbannführer, Hüddig, SS-Hauptsturmführer, Schobert, SS-Sturmbannführer, Plaul, SS-Obersturmführer, Gust, SS-Obersturmführer, Kampe, SS-Obersturmfüh-
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rer. .. Einer der obersten SS-Bonzen war der Arbeitseinsatzführer. Der übelste Patron unter denen, die diese Funktion ausgeübt haben, war SS-Hauptsturmführer Schwarz. .. Auf diesem Posten [des SS-Kommandoführers] legten besondere Mordlust an den Tag die SS-Scharführer Hinkelmann, Blank, Händler, Uhlmann und Chemnitz. (Eiden 1946, S. 217–219) Ein besonderes Vergnügen machten sich die SS-Leute .. daraus, Häftlingen die Mütze vom Kopf zu reißen und sie über die Postenkette hinweg zu werfen. Dann kam der Befehl: Hol deine Mütze! War der Betroffene ein mit den Lagerverhältnissen nicht vertrauter Neuankömmling, dann lief er seine Mütze zu holen und fand dabei den Tod. Durch dieses Verbrechen haben sich viele SS-Leute drei Tage Urlaub geholt (Eiden 1946, S. 226). Nach dem Attentat auf Hitler im Bürgerbräukeller in München, am 9. November 1939, holten die SS-Oberscharführer Blank, Sommer und Hinkelmann 21 junge, gesunde Häftlinge aus den Judenblocks heraus, führten sie außerhalb des Lagers und veranstalteten Scheibenschießen. (Eiden 1946, S. 237) Alle hatten sie die gleiche Figur, deren hervorstechendste Linie die Diagonale war: vorne oben hatten sie viel und hinten unten noch mehr. Und wie sie das durch die Gegend schaukelten, watschelten, schleppten, schoben, zogen, steuerten und balancierten – wahrhaftig, eine Parade des Unmöglichen! Dazu trugen sie ausnahmslos alle eine wilde, seetangartige Dauerwellenfrisur, die ihnen wie schlecht angepaßte Perücken auf den dicken Gesichtern saß – dicken Gesichtern? Roten Gesichtern, schwammigen Gesichtern, formlosen Gesichtern, „Visagen“ im schlimmsten Sinne, in denen sämtlich Bosheit, Dummheit, Frechheit, Brutalität, kurz, eine der schlimmen Möglichkeiten des menschlichen Wesens ihre besondere Prägung fand. .. Hände, Beine, Füße – alles war von der gleichen klobigen Art, die nie durch die Mangel des Wunsches gegangen ist, hübsch zu sein. .. SS-Weiber .. die Karikatur einer Köchin in Generalsattitüde (Vermehren 1946, S. 59 f.). Mauthausen! Ich stelle vor: Lagerkommandant: SS-Obersturmbannführer Ziereis, Zimmermann von Beruf. Lagerführer: SS-Obersturmführer Bachmayer, Schuster. (Schlifko-Pungartnik 1946, S. 17) selten [war] ein SS-Mann imstande .., eine genaue Zahlenzusammenstellung zu machen (Kogon 1946a, S. 103). SSler [gingen] um sechs Zigaretten oder zwei Gläser Bier Wetten ein, wer aus einer Gruppe von Strafarbeitern einen Häftling durch .. Steine töten könne .. 17 Tote und Verwundete waren das Ergebnis dieser ‚Belustigung‘ (Kogon 1946a, S. 119). Wirkliche Sabotage .. haben die Hohlköpfe des SS-Totenkopf-Verbandes nur selten ausfindig gemacht (Kogon 1946a, S. 126). die Psychologie der Lager-SS .. ihre korrupte Geldgier (Kogon 1946a, S. 156). Häftlinge in den Bärenzwinger zu werfen und zerfleischen zu lassen war .. ein neronisches SS-Vergnügen (Kogon 1946a, S. 314). ein wilder Haufen von SS-Leuten .. schleppt einen Tisch heran, sie packen mich wie ein wildes Tier, und dann werfen sie mich auf den Tisch, daß die Kehle auf die Tischkante zu liegen kommt, die umgedrehten Arme auf die andere Kante; und dann drücken die SS-Leute auf den Kopf, daß die Kehle zusammengepreßt wird und die Arme zu brechen drohen. Nun erfaßt mich doch die Angst: Jetzt bricht man dir die Glieder, man läßt dich elend ersticken. (Eggerath 1947, S. 79) Nichts wäre falscher, als zu glauben, die SS wäre eine Horde von Sadisten, die aus eigenem Antrieb, aus Leidenschaft und Gier nach Lustbefriedigung Tausende von
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Menschen gequält und mißhandelt haben. Die einzelnen, die so handelten, waren durchaus in der Minderheit; ihr Bild prägt sich nur deutlicher ein, weil es schärfer profiliert ist, als das des farbloseren Rohlings, der sein Pensum an Brutalitäten vorschriftsmäßig, sozusagen bürokratisch erledigt, ohne je seine Mittagspause zu versäumen. (Kautsky 1948, S. 100) Das Bild der SS-Bande wäre unvollkommen, wenn man nicht der Korruptheit den ihr gebührenden Platz darin einräumen würde. Der Ruf „Bereichert euch!“, den einst das Bürgerkönigtum ausgestoßen hatte, ist niemals mit so glühender Begeisterung und so vollkommener Einmütigkeit befolgt worden, wie in der „Deutschen Revolution“ von der SS. (Kautsky 1948, S. 114) Faul und dumm, roh und feig, disziplinlos und korrupt – das sind die Haupteigenschaften, aus denen die SS-Führung den durchschnittlichen SS-Mann zu fabrizieren hatte. (Kautsky 1948, S. 122) mehrere SS-Männer [stürzten sich] auf ihn, und eine Serie von Fausthieben fiel auf das Gesicht des Blockschreibers. Unter den Schlägen sackte er zusammen und sank zu Boden. Mit den Stiefeln trampelte die SS auf ihm herum. .. Drei, vier, fünf SSMänner prügelten auf ihm herum. .. Das waren keine Menschen mehr, die da prügelten. Tiere, entfesselte Bestien waren es. (Klieger 1958, S. 103–105)
Steinbruch Opfer In der Bedeutung ‚Ort in der Nähe eines Konzentrationslagers, an dem in schwerster körperlicher Arbeit Nutzsteine aus dem Fels gehauen und auf mit der eigenen Körperkraft zu bewegenden Loren geladen und abtransportiert wurden‘ wie ÕAppellplatz, ÕBunker, ÕDraht(zaun) Bezeichnung für einen Ort, den die Opfer als Ort größter Qual und Bedrohung erfahren haben. Neben dem ÕAppellplatz ist der Steinbruch die wohl am eindrücklichsten beschriebene Kulisse, die in kaum einem Bericht der Opfer fehlt, und ebenfalls Synonym für Schikane, Willkür und Leiden. Hochfrequente typische Partnerwörter von Steinbruch sind Laufschritt, Steilhang, Lore, Schläge, Prügel, Knüppel: Viele Häftlinge wurden im Steinbruch totgeschlagen, Arbeit im Steinbruch, hier gilt für uns nur die eine Pflicht – zu sterben, tagelang musste er im Steinbruch die schwersten Steine im Laufschritt den steilen Berg hinaufschleppen, Die Arbeit geschah nur im Laufschritt, wobei aus dem Steinbruch eine lange, starke Steigung zu überwinden war (s. Eiden 1946, S. 225 f.; Schifko-Pungartnik 1946, S. 18–20; Steinwender 1946, S. 61; Kogon 1946a, S. 120; zit. in Hauff 1946, S. 19; zit. in Hauff 1946, S. 21; Kautsky 1948, S. 58).
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Steinbruch
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Ein Vorfall im Steinbruch von Mauthausen (s. Schifko-Pungartnik 1946, S. 22) war Gegenstand im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess. Der als Wachposten seinerzeit Dienst habende Zeuge SS-Unterscharführer Alois Höllriegel gibt zu Protokoll: „Ich sah, daß sie sich dem Steinbruch Wiener Graben, dem Felsabsprung näherten. Ich sah von meinem Wachturm aus, daß diese zwei SS auf die Gefangenen einschlugen, und ich konnte gleich bemerken, daß es den Zweck haben sollte, die Gefangenen zu zwingen, sich herunterzuwerfen oder sie herabzustoßen. Ich bemerkte, wie einer der Gefangenen am Boden lag und mit Füßen getreten wurde und die Gebärde zeigte, er sollte sich hier beim Steinbruch herunterstürzen. Der Gefangene tat das unter den ausgestandenen Hieben, wahrscheinlich in der Verzweiflung, sofort.“ (Nürnberger Prozess IV, S. 430) Von dem verhörenden Oberst Amen gefragt, ob es „unter Euch Wachmannschaften einen Ausdruck dafür [gab], wenn Gefangene vom Felsen heruntergestürzt wurden“, antwortet Höllriegel: „Jawohl. Sie wurden im Lagermund bezeichnet als Fallschirmspringer“ (Nürnberger Prozess IV, S. 430). Nur nicht das Tempo verlangsamen – vorwärts, vorwärts, die Stiege hinunter. Und es hagelt Schläge. .. Im Bruch hat jeder von uns einen der herumliegenden Steine aufzunehmen und sich sofort wieder in Marsch zu setzen .. heult da irgendeiner „Im Laufschritt marsch, marsch!“ Und wir laufen! Einer stürzt über den anderen, da winden sie sich auf dem Boden – und die Masse schiebt sich über sie hinweg .. Arbeit im Steinbruch .. [hier] gilt .. für uns .. nur die eine Pflicht – zu sterben (Schifko-Pungartnik 1946, S. 18–20). Kommando: „Letzter Hunderter halt! Links um – im Gleichschritt marsch!“ Links um? Da führt kein Weg. Steil und schroff fallen die Wände ab. Der Steinbruch! .. Vor ihnen allen gähnt der Abgrund. .. Schon stürzen sie – stürzen 120 Meter tief auf felsigen Boden. Und der Bruch sperrt seinen Rachen auf und nimmt sich seine Opfer. (Schifko-Pungartnik 1946, S. 22) Der Steinbruch von Natzweiler .. Sie mußten mit schwersten Steinen beladene Schubkarren schieben und wurden solange hin- und hergejagt, bis sie vor Herzschwäche umkamen. (Dietmar 1946, S. 49) Und Tag für Tag .. bringt man aus dem Steinbruch einige Lastwagen, vollbeladen mit Toten und Sterbenden. (Schifko-Pungartnik 1946, S. 31) Von den Außenarbeitsstellen war die im Steinbruch die berüchtigtste. .. Sechs bis acht, manchmal auch zehn SS-Männer mit Knüppeln in der Hand, trieben die Häftlinge durch grausame Schläge unablässig an. .. Viele Häftlinge wurden so im Steinbruch totgeschlagen. Andere fanden den Tod unter schwer beladenen Loren, wenn diese trotz aller Anstrengungen der Häftlinge, die sie hinaufschoben, zurückrollten und die Häftlinge nicht rechtzeitig genug beiseite springen konnten, das kam meistens dann vor, wenn die SS, um diese Wirkung zu erzielen, zu wenig Häftlinge zum Lorenschieben kommandierte. (Eiden 1946, S. 225 f.)
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Steinbruch
Die Steinbrüche waren in allen Lagern die wahren Himmelfahrtskommandos. Manche KL wie Mauthausen bestanden .. fast nur aus Steinbrüchen. .. Täglich wurden abends auf Tragbahren und Karren die Toten, Schwerverletzten und Invaliden ins Lager geschafft. .. Eine beliebte Art der Scharführer war es, Todeskandidaten leere oder sogar beladene Loren den Steilhang hinaufschieben zu lassen, was für zwei Mann zusammen gar nicht möglich war, so daß sie unter dem zurückfallenden Gewicht und den Prügeln der Antreiber erschlagen wurden. (Kogon 1946a, S. 118f) der Steinbruch .. das Klingen der Hämmer .. die menschlichen Zugtiere, bis 50 an der Zahl, vor mit schweren Steinen beladenen Wagen gespannt. .. das Himmelfahrtskommando Steinbruch, aufgestört durch peitschende Schüsse, mit denen wieder ein Kamerad umgelegt wurde (Steinwender 1946, S. 87–89). Tagelang mußte er im Steinbruch die schwersten Steine im Laufschritt den steilen Berg hinaufschleppen. (Steinwender 1946, S. 61) Dem Lagerführer Rödl fiel .. ein Pole auf, der mit seinem Riesenstein, den er zu schleppen hatte, den Laufschritt nicht mehr mitmachen konnte. .. Vogel hat ihn sofort mit eigener Hand an Ort und Stelle gesteinigt. (Kogon 1946a, S. 120) Die Strafarbeit dauerte 14 oder 28 Tage. Während dieser Zeit mußte schwerste körperliche Arbeit verrichtet werden, meistens Steine oder Zementsäcke schleppen usw. im Laufschritt (zit. in Hauff 1946, S. 19). In Konzentrationslagern, die Steinbrüche hatten, war das System des Steinetragens besonders ausgeprägt. .. Gefangene .. bekamen einen 40 bis 50 kg schweren Stein auf die Schultern und mußten im Eilschritt 100 bis 200 Meter laufen, der Blockführer mit dem Fahrrad hinterdrein. .. Ließ der Gefangene den Stein fallen, konnte er seiner Prügel sicher sein (zit. in Hauff 1946, S. 21). Die Polen wurden täglich im Laufschritt zur Arbeit im Steinbruch getrieben, während einige Dutzend SS-Leute .. unaufhörlich mit schweren Knüppeln auf sie einschlugen. (Eiden 1946, S. 234) Zahlenmäßig die meisten Opfer forderte das Steinträgerkommando, dem lediglich Juden angehörten und das Steine aus dem Steinbruch zu einem um das Lager führenden, im Bau befindlichen Weg zu befördern hatte. Die Arbeit geschah nur im Laufschritt, wobei aus dem Steinbruch eine lange, starke Steigung zu überwinden war. Die Steine waren ausgesucht schwer, Mißhandlungen an der Tagesordnung. (Kautsky 1948, S. 58) Uneingeschränkt blieb die Freude an der .. Schönheit der Landschaft. In dieser Beziehung bot Buchenwald reichste Anregung. Der Blick vom Ettersberg, den schon Goethe geliebt hatte, erfreute auch uns; es war nur ein bitterer Beigeschmack, daß der schönste Aussichtspunkt gerade über dem Steinbruch lag. (Kautsky 1948, S. 232) der berüchtigte Steinbruch .., wo Menschen systematisch zu Tode gepeinigt wurden (Dietmar 1946, S. 25).
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Strafe
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Strafe bestrafen · Bestrafter · Bestrafung Nichttäter Strafe ist die kriminalisierte Version von Vergeltung und Buße, deren entkriminalisierte Variante ÕSühne bezeichnet, daher sind Sühne und Strafe zumeist mehr als Stilvarianten, denn sie bezeichnen semantisch festgelegte Folgen von unterschiedlichen Schuldarten. Die Vorstellung der Strafe für die kriminelle ÕSchuld der wirklich Schuldigen entspricht dem Schuldprinzip, nämlich der „Forderung, daß die Strafe der Schuld zu entsprechen habe, daß aber auch grundsätzlich Schuld Strafe fordert“. Dieses Prinzip „ist ein Grundsatz der sittlichen Welt, eine lex naturalis, und hat daher absolute Geltungskraft.“ (Kaufmann 1976, S. 208) Die entscheidend Schuldigen verantwortlich machen? Ja. Rache an weniger Verantwortlichen, an deren Familien, Frauen, Kindern nehmen? Nein. Bestrafung durch ebenfalls unmenschliche Mittel? Nein, ein entschiedenes Nein. Verantwortlich machen bedeutet für die zur Verantwortung Gezogenen, daß sie sich verantworten dürfen. (Maier 1945, S. 261 f.) Ihr Nichtfaschisten, seid denen, die euch euer Liebstes nahmen, gegenüber hart! Wir fragen deshalb: Strafe? Und unsere Antwort lautet: Ja! Wir fragen: Rache? Und wir erwidern: Nein! .. Wir fordern, wo es sein muß, die Bestrafung, wir wollen aber nicht die Rache (Grimme 1945c, S. 54 f.). Das Verbrechen findet Strafe. Voraussetzung ist die Anerkenntnis des Schuldigen seitens des Richters in seiner freien Willensbestimmung, nicht die Anerkenntnis des Bestraften, dass er mit Recht bestraft wird. (Jaspers 1946, S. 140) Wer das Wort von der Kollektivschuld freilich heute noch allein in der Hoffnung auf unterschiedlose Strafe gebraucht, verharrt in verwerflicher Befangenheit. (Mitscherlich/Mielke 1947, S. 172 f.) Wer schuldhaft gehandelt hat, ist zu bestrafen; wer fahrlässig gehandelt hat, ist für den Schaden verantwortlich und muß unter Umständen bestraft werden; wer sich geirrt hat und die Konsequenzen daraus zieht, wird freiwillig tun, was in seiner Kraft liegt, um zur Wiedergutmachung beizutragen. (Kogon 1947b, S. 250) Die Beihilfe, Zustimmung oder gar Anordnung zur Vergasung eines einzigen jüdischen Kindes würde die schärfste und unerbittlichste Bestrafung des Schuldigen verlangen. Um wieviel mehr muß gefordert werden, daß die Mitglieder und maßgeblichen Helfershelfer einer Regierung zur Verantwortung gezogen und nie wieder auf die Menschheit losgelassen werden, die solche Greuel massenweise durchführen ließ (Milan 1952, S. 24).
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Stunde
Stunde Gerichtsstunde · Gnadenstunde · Gottesstunde · Schicksalsstunde · Weltstunde Nichttäter Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, Kontinuität der persönlichen Existenz und vollständiger Wandel ihrer Bedingungen sind die Wahrnehmungen, die das Lebensgefühl derjenigen bestimmen, die das Jahr 1945 als „Zeitpunkt des Jetzt‘ empfinden, der ‚die Grenze [ist] zwischen Noch-nicht und Nicht-mehr“ (RGG VI 1962, S. 1881). Zwar ist Zeitreflexion, also das Beziehen der Zeiten und ihrer Erscheinungen aufeinander ein genuin historiographisches Denkmuster, insbesondere die Kausalisierung der Gegenwart aus der Vergangenheit und die Motivierung der ÕZukunft aus der Gegenwart. In der Umbruchphase der frühen Nachkriegszeit ist es jedoch ein Reflexionsmodus der Intelligenz überhaupt. Diese stark auf die Gegenwart bezogene Haltung drückt sich aus in dem häufigen Gebrauch der Zeitdeiktika Õheute, ÕGegenwart, Stunde, ÕWende, ÕZeit, in den Bewertungen der Gegenwart mit Õapokalyptisch und ÕFinsternis, sowie in den mit nie und niemals gebildeten Wendungen (Õnie). Die mit Stunde bezeichnete Gegenwart wird gedeutet im Sinn eines durch Veränderung gekennzeichneten Zeitpunkts: in entscheidender Stunde, Schicksalsstunde, in dieser entscheidenden Stunde, eine neue Stunde der Entscheidung (s. Erhard 1945, S. 55; Grimme 1945a, S. 32; SPD 1945, S. 29; Bäumer 1946, S. 25) und hinsichtlich der Zerstörungen der frühen Nachkriegszeit: Stunde der Not, böse und dunkle Stunde, Stunde der großen Weltverdüsterung (s. Kaisen 1945, S. 16; Kirschweng 1946, S. 5; Jacob 1947, S. 8). Darüber hinaus bezeichnet Stunde in einer Formulierung wie Gebot der Stunde ein Moment des Handelns (s. Benz 1945, S. 39; Grimme 1945a, S. 13). Theologen deuten Stunde in Verbindungen wie Gerichtsstunde, Gottesstunde im religiösen Sinn als Erfahrung göttlicher Macht (s. Wurm 1945, S. 22; Hammelsbeck 1946, S. 18). Diese Ehrfurcht wieder zu erwecken, ist das Gebot der Stunde. Das Licht, das nur noch wenigen leuchtete, muß wieder scheinen in der Finsternis, ob es das Ganze auch noch nicht durchleuchtet und durchglutet (Benz 1945, S. 39). in entscheidender Stunde (Erhard 1945, S. 55). Es ist .. das dringendste Gebot der Stunde (Grimme 1945a, S. 13).
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Sühne
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Schicksalsstunde .. Entscheidungszeit .. Kairos .. die Größe dieser Zeit .., die uns erlaubt, die Welt von allen Vorurteilen frei neu aufwachsen zu lassen aus der Wurzel, .. Aufbau aus dem Nichts, .. creatio e nihilo! (Grimme 1945a, S. 32) diese Gerichtsstunde für Volk und Kirche .. eine Gnadenstunde, eine Möglichkeit, das Wohlgefallen des heiligen Gottes zu erwerben. (Wurm 1945, S. 22) In dieser entscheidenden Stunde ist es wiederum die geschichtliche Aufgabe der deutschen Arbeiterklasse, Trägerin des Staatsgedankens zu sein: einer neuen, antifaschistisch-demokratischen Republik! (SPD 1945, S. 29). nicht vergessen werden darf, daß wir, die wir von den Vertretern der Siegermächte einzeln aufgesucht und für die Leitung der Regierungsgeschäfte geradezu überredet werden mußten, ausschließlich nur aus innerem Pflichtgefühl dem Rufe gefolgt sind, dem Volk in der Stunde der Not beizustehen, eine vorläufige Regelung der Staatsgewalt zu schaffen, schließlich Wahlen auszuschreiben, um wiederum zu einer ordnungsmäßigen, vom Volk gewollten Regierung zu kommen. (Kaisen 1945, S. 16) in dieser bösen und dunklen Stunde (Kirschweng 1946, S. 5). nun hat eine neue Stunde der Entscheidung geschlagen. Wir haben keine Wahl .. Ein „Zurück“ gibt es nicht. (Bäumer 1946, S. 25) eine große Möglichkeit ist uns gegeben, eine große Gottesstunde hat uns geschlagen (Hammelsbeck 1946, S. 18). in dieser Stunde der großen Weltverdüsterung (Jacob 1947, S. 8). Wir alle, die wir als Reifgewordene oder als Heranreifende als durch Erfahrung Belehrte oder als auf Erfahrung Ausgehende durch diese weltgeschichtliche Stunde hindurchgeschritten sind, haben etwas erlebt, was alle Vorstellungen, Mutmaßungen, Berechnungen, mit denen das Bewußtsein sich dem Kommenden entgegenstreckte, unabsehbar weit hinter sich ließ. In einer überschaubaren Reihe von Jahren haben wir eine Ereignisfolge sich abwickeln sehen, die durch das Ausmaß der Taten, die vollbracht, der Leiden, die erduldet, der Leidenschaften, die entfacht und der Verfehlungen, die begangen wurden, jedes Vergleichs mit früheren Daseinskrisen spottet (Litt 1948, S. 129). Das eben ist die Mission, die der Geist der Geschichte uns, den Überlebenden der Katastrophe, auferlegt hat, daß wir in die Helligkeit des Gedankens und in die Wachheit des Gewissens emporheben, was das Drama dieser Weltstunde dem Wissensbereiten an blendenden Aufschlüssen zur Verfügung stellt. (Litt 1948, S. 130 ff.)
Sühne Sühnefähige · Sühnemaßnahmen sühnen Mitsühnende Nichttäter Abgesehen davon, dass Sühne und ÕStrafe gelegentlich synonym verwendet werden (s. Röpke 1948, S. 117; Leonhard 1955, S. 552), ist Sühne eine entkriminalisierte Version zur Bezeichnung von Vergel-
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Sühne
tung und Buße, deren kriminalisierte Variante Strafe bezeichnet. Die Bezeichnungen Sühne und Strafe sind daher zumeist mehr als Stilvarianten. Sie bezeichnen semantisch festgelegte Folgen von unterschiedlichen Schuldarten. Im entkriminalisierten Kontext der moralischen Schuld gilt das Schuldprinzip, nämlich das Prinzip der einer Schuld entsprechenden Strafe, nicht (ÕSchuld). Auf dieser Ebene heißt die Entsprechung Sühne. Unter der Voraussetzung, dass Sühne „jene Handlung von der Höhe des Gewissens aus“ bezeichnet, „die der auf der Ebene des Rechts üblichen Leistung von ‚Wiedergutmachung‘ entspricht“ (Buber 1958, S. 67) sind im Bedeutungsnetz des Schuldbegriffs ÕVerantwortung, ÕHaftung und ÕWiedergutmachung sowie ÕReinigung und ÕGesundung begriffliche Konstituenten von Sühne (s. Schneider 1945, S. 214; Abusch 1946, S. 268). Diese Konstruktion erlaubt die Vorstellung von der Rückführung der Deutschen zu sich selbst. Wiedergutmachung und Selbstreinigung, innere Umkehr, moralische Erneuerung, Gesundung sowie Sühne sind also konsekutiv aufeinander bezogene Ideen: „Sühne meint .., daß ich dem Menschen, an dem ich schuldig wurde, im Licht meiner Selbsterhellung gegenübertrete – wofern ich ihn noch auf Erden erreichen kann –, mich ihm gegenüber zu meiner Existenzialschuld bekenne und ihm nach Vermögen helfe, die Folgen meiner Schuldhandlung zu überwinden; als Sühne kann solches Tun aber hier nur dann gelten, wenn es nicht aus gefaßtem Vorsatz, sondern im willkürlosen Wirken meiner errungenen Existenz getan wird. Und dies kann naturgemäß nur aus dem Kern eines gewandelten Verhältnisses zur Welt, eines neuen Dienstes an der Welt mit den erneuten Kräften des erneuten Menschen geschehen“ (Buber 1958, S. 67). Insofern entspricht es intellektuellem deutschem Denken, moralische Schuld und Sühne aufeinander zu beziehen, wobei gelegentlich auf Genesung oder reinigen im Sinn von Voraussetzungen referiert wird: Zur moralischen Genesung ist es nötig zu beweisen, daß jedem Frevel die Sühne folgt, der feste Wille zu sühnen, zu reinigen (s. Schumacher 1945b, S. 252; Jaspers 1946, S. 163). Zur moralischen Genesung unseres Volkes ist es nötig zu beweisen, daß jedem Frevel die Sühne folgt. (Schumacher 1945b, S. 252) Sühne ist die Haltung dessen, der sich seiner Würde, ob sie auch verletzt ist, bewußt bleibt und sie wiedergewinnen will. .. Ein Volk, das sich zu einer einheitlichen Haltung entschlossen hat, ist eine Persönlichkeit in der Geschichte; ein Volk ohne Haltung ist nichts. (Schneider 1945, S. 214)
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Sühne
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Das redliche Geständnis der Schuld und Mitschuld, der feste Wille zu sühnen, zu reinigen bleiben gewiß nicht allein, solange noch Menschen guten Willens auf Erden sind. (Schneider 1945, S. 214) Es hätte des richterlichen Spruches der Sieger nicht bedurft, um .. auch die abseits Lebenden zu Mitschuldigen und Mitsühnenden zu machen. (Kaschnitz 1945, S. 98) Moralisch schuldig sind die Sühnefähigen (Jaspers 1946, S. 163). Die Deutschen müssen wiedergutmachen, was deutsche Hände verbrachen. Ohne diesen ersten und ehernen Grundsatz kann es keine moralische Erneuerung des deutschen Volkes geben. Es handelt sich nicht um Rache, nicht um biblische Schuld und Sühne, sondern – neben der materiellen Hilfe für die ausgeplünderten Völker Europas – um die Hinführung der Deutschen zu ihrem besseren Selbst, um die Voraussetzung aller Umerziehung. Denn die Vernichtung der Naziverbrecher ist nur ein Teil der deutschen Selbstreinigung. (Abusch 1946, S. 268) O Gott, laß uns nicht weichen,/vergeuden Stund um Stund!/Gib uns die Flammenzeichen/der schweren Sühne kund, .. aus unserer Schuld der Segen/erneuter Menschheit dringt! (Susanne Kerckhoff 1947a) [Für] solche Typen, ob Faschisten oder Bolschewisten, kann es .. den Begriff echter Schuld – und folglich Sühne – in einem sittlichen Sinne gar nicht geben. (Kogon 1947a, S. 292) Von Schuld, die zugleich den Begriff der Reue, Sühne und Wiedergeburt einschließt, müssen wir sprechen im Falle aller derjenigen, die, in ihrer geistigen Verblendung und moralischen Verwirrung, durch Handeln oder Unterlassen jenen menschlichen Zerrbildern den Weg gebahnt haben, statt ihn ihnen rechtzeitig zu verlegen. Das aber ist eine Schuld, in die sich die Welt mit den Deutschen selbst zu teilen hat. (Röpke 1948, S. 35) Die wirklich mit ungeheurer Schuld belasteten Deutschen [konnten sich] nichts Besseres als die These von der deutschen Kollektivschuld wünschen, um sich ein bequemes Alibi zu verschaffen und der gerechten Sühne zu entgehen. Durch die Verteilung von Schuld und Sühne auf siebzig Millionen Schultern werden sie beide so verdünnt, daß sie für die wirklich Schuldigen leicht werden, während sie für die übrigen erbitternd ungerecht und schwer sind (Röpke 1948, S. 117). „Klare entschiedene Differenzierung, nicht nach Äußerlichkeiten, sondern nach der Verhaltensweise, schnelle, strenge Aburteilung der Kriegsverbrecher für die von ihnen begangenen Verbrechen, Sühnemaßnahmen gegen die aktiven Nazis, die sich als Träger der Politik und der verbrecherischen Bestrebungen der NSDAP betätigten und heute den Wiederaufbau zu stören versuchen; aber keinerlei Sühnemaßnahmen gegen die vielen Millionen früherer nomineller Mitglieder der NSDAP, die ehrlich einen neuen Weg gehen wollen. So, und nur so kann die Frage der Behandlung der Nazis richtig gelöst werden“, beendete ich den Artikel. Das entsprach meiner Überzeugung, war aber nicht leicht, sie beim nächsten Schulungsabend – alle führenden Funktionäre wurden dafür eingesetzt – vor den Genossen zu vertreten. Die Anti-Nazi-Stimmung, die zwischen wirklichen Schuldigen und nominellen Mitgliedern keinen Unterschied machte, war so stark, daß sich klare Unterscheidungen nur sehr schwer durchsetzen konnten. (Leonhard 1955, S. 552)
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Tod
Tod Todesangst · Todesarten · Todeskandidat · Todeslager · Todesurteil · Todgeweihte Opfer Tod ist das Wort der Opfer zur Bezeichnung ihrer Bestimmung als KZ-Häftlinge. „Der Tod stand hier in jeder Sekunde gleichberechtigt neben dem Leben. Der Schornstein des Krematoriums rauchte neben der Küche. .. Der Tod war auf furchtbare Weise in den Kreislauf des täglichen Lebens einbezogen.“ (Antelme 1957/1990, S. 25) Insbesondere die Auschwitz-Häftlinge begegnen dem Tod täglich: „Der Tod war allgegenwärtig. Die Selektionen für die Gaskammern fanden in regelmäßigen Abständen statt. Für ein Nichts wurden Häftlinge am Appellplatz gehängt .. Es wurde in Massen gestorben“ (Améry 1977, S. 38). Typische Verwendungskontexte von Tod sind solche, in denen eine Tod-Synonymik das Ende einer Klimax bildet: zu Tode gehungert, gepeitscht, gefoltert, vergast, vergiftet, erhängt, geköpft und erschossen!, zu Tode geschunden, gehenkt, erschossen, vergast, mißhandelt, dem Hunger ausgesetzt, in Steinbrüchen in den Tod getrieben, niedergeschossen, aufgehängt, vergiftet, vergast (s. Schlotterbeck 1945b, S. 20; Kogon 1946a, S. 56; Niekisch 1953, S. 293). Häufig gebrauchtes Partnerwort von Tod ist ÕTransport: für die gewaltige Majorität unseres Transportes war es das Todesurteil, Wer durch die Todeslager gegangen ist, kennt den Begriff ‚Transport‘, Ein Transport Todgeweihter (s. Frankl 1945, S. 29 f.; zit. in Hauff 1946, S. 11 f.; Schifko-Pungartnik 1946, S. 16) für die gewaltige Majorität unseres Transports, etwa 90 %, war es [die Selektion] das Todesurteil (Frankl 1945, S. 29 f.). Uns ging es um den Sinn des Lebens als jener Totalität, die auch noch den Tod mit einbegreift und so nicht nur den Sinn von „Leben“ gewährleistet, sondern auch den Sinn von Leiden und Sterben: um diesen Sinn haben wir gerungen! (Frankl 1945, S. 126 f.) Millionen Menschen .. zu Tode gehungert, gepeitscht, gefoltert, vergast, vergiftet, erhängt, geköpft und erschossen! (Schlotterbeck 1945b, S. 20) Nur wer durch die Todeslager gegangen ist, kennt den Begriff „Transport“. .. das Wort „Transport“ [bedeutete] den sicheren Tod (zit. in Hauff 1946, S. 11 f.). Das Grauen hat uns gezeichnet, wir wissen um Leben und Tod. Wir sprechen nur noch selten darüber und das Wort ‚Familie‘ ist uns nur ein Schein aus einer fernen, fernen Zeit geworden. Wir lächeln wieder, weil wir leben! Wir sehen die Sonne, den Frühling, doch einsam bleiben wir. Wir sehen die Menschen an, die über uns staunen
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Transport
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und mit uns Reklame machen, ohne uns zu begreifen. Sie verstehen uns nicht. Einsam bleiben wir! (zit. in Hauff 1946, S. 16 f.) Jetzt heißt man uns aussteigen. .. Da blitzen Scheinwerfer auf. Eintausendsiebenhundert Mann im Rampenlicht! .. Ein Transport Todgeweihter! (Schifko-Pungartnik 1946, S. 16) Das Krankenhaus (Revier) diente ja nicht der Heilung und Betreuung, sondern gerade dort wütete der Tod .. eine Versuchsstation für neue Todesarten (Steinwender 1946, S. 55). Andere fanden den Tod unter schwer beladenen Loren, wenn diese trotz aller Anstrengungen der Häftlinge, die sie hinaufschoben, zurückrollten und die Häftlinge nicht rechtzeitig genug beiseite springen konnten, das kam meistens dann vor, wenn die SS, um diese Wirkung zu erzielen, zu wenig Häftlinge zum Lorenschieben kommandierte. (Eiden 1946, S. 225 f.) Gegner .. auf hundertfache Weise zu Tode geschunden, gehenkt, erschossen, vergast. (Kogon 1946a, S. 56) Eine beliebte Art der Scharführer war es, Todeskandidaten leere oder sogar beladene Loren den Steilhang hinaufschieben zu lassen, was für zwei Mann zusammen gar nicht möglich war, so daß sie unter dem zurückfallenden Gewicht und den Prügeln der Antreiber erschlagen wurden. (Kogon 1946a, S. 119) Die Gefangenen wurden mißhandelt, dem Hunger ausgesetzt, in Steinbrüchen in den Tod getrieben, niedergeschossen, aufgehängt, vergiftet, vergast. (Niekisch 1953, S. 293) Das Leben in Theresienstadt wurde von der Angst vor Deportation bestimmt, die der normalen Todesangst an die Seite trat oder sie sogar ersetzte. Reaktionen und Handlungen im „Ghetto“ müssen in hohem Maße von diesem Angelpunkt aus begriffen werden. Die Transportangst wurde selten kompensiert, wirklich zu überwinden war sie wohl schwerlich, hingegen wurde sie oft mit allen erdenklichen Mitteln verhüllt, .. je länger man in Theresienstadt war, desto größer wurde auch die Transportangst. (Adler 1955, S. 663) Ungefähr vierzig Tote lagen herum .. Erschlagen. Ihre ausgemergelten Körper lagen steif im Schnee, und ihre gebrochenen Augen starrten mich an. .. Majestät des Todes? Ich habe nie etwas Erbärmlicheres gesehen als diese Leichen. (Klieger 1958, S. 148)
Transport Alterstransport · Krankentransport · Massentransport · Vergasungstransport Transportabteilung · Transportarzt · Transportaviso · Transportevidenz · Transportfähigkeit · Transporthilfe · Transporthundertschaft · Transportkommission · Transportleiter · Transportleitung · Transportliste · Transportnummer · Transportpost · Transportschutz · Transportteilnehmer · Transportunfähigkeit · Transportverständigung
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Transport
Opfer Transport ist, wie viele das KZ betreffende Ausdrücke, eine Bezeichnung, die zwar durch die Täter eingeführt, die aber durch die Berichte der Opfer zu einer lexikalischen Konstituente ihres Schulddiskurses wurde. Die Bezeichnungen des nationalsozialistischen Vernichtungswillens sind auch lexikalische Konstituenten des Opferdiskurses, Opfer kommen ohne solches nazistische Organisationsvokabular in ihren Berichten nicht aus. Es ist das Vokabular zur Darlegung dessen, was geschah. Die Bezeichnung wird in zwei Funktionen gebraucht. Im Sinn von ‚Beförderung von Juden, Sinti und Roma, Homosexuellen, politischen Oppositionellen und anderen vom Nationalsozialismus Verfolgten in Konzentrations- und Vernichtungslager‘ ist Transport Bezeichnung für die erste Station der KZ-Chronologie. Der Transport fand typischerweise in Viehwaggons, ohne zureichende Versorgung und Hygiene statt. Transport erscheint mit der Bezeichnung des Ziels (Transport nach Buchenwald, Krankentransport nach Auschwitz) oder einer großen Zahl (Transport von 8.000) (s. zit. in Hauff 1946, S. 11 f.; Adler 1955, S. 49). Häufig gebrauchtes Partnerwort dieses „hoffnungslosen Schreckenswortes“ (Adler 1955, S. XLI) ist darüber hinaus ÕTod. Transport ist, wie Kamin und Schornstein (ÕKrematorium) Anlass für saloppe Redewendungen, z. B. im Transport sein (s. Adler 1955, S. XLI). In Zusammensetzungen werden Zweck (Vergasungstransport, Todestransport) oder Beschaffenheit (Kranken-, Alterstransport) bezeichnet. Außerdem ist eine Reihe von Zusammensetzungen belegt, die die nazistischen Auswüchse von organisiertem Vernichtungswillen wiedergeben, deren äußersten Zynismus Transportarzt (s. Adler 1955, S. XLI), und Transportfähigkeit (s. Adler 1955, S. XLII) bezeichnen. Den höchsten Grad pervertierter nazistischer Ordnung drücken Zusammensetzungen wie Transportabteilung (s. Adler 1955, S. XLIV), Transportevidenz (s. Adler 1955, S. XLI), Transportkommission (s. Adler 1955, S. XLI), Transportleitung (s. Adler 1955, S. XLI) aus. Opfer eignen sich dieses Wortbildungsmuster an und adaptieren es, wenn es Verweigerung und Widerstand zu bezeichnen gilt, z. B. Transportpost (s. Adler 1955, S. XLII). Als Personalkollektiv gebraucht bedeutet Transport ‚Gruppe von Menschen, die in ein Konzentrations- oder Vernichtungslager befördert wird‘, der Transport ist unterwegs, Ankunft eines Transportes,
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Transport
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Transporte wurden in die Scheiterhaufen gejagt, Massentransport (s. Frankl 1945, S. 24 f.; Vermehren 1946, S. 77; Schifko-Pungartnik 1946, S. 16; Klieger 1958, S. 23 f.) Einige Tage und mehrere Nächte ist der Transport von 1500 Personen .. unterwegs – in einem Zug, in dessen Waggons je 80 Menschen auf ihrem Gepäck .. herumliegen, und zwar so, daß gerade noch der oberste Teil der Coupéfenster von den aufgestapelten Rucksäcken, Taschen usw. frei ist und eine Sicht in die frühe Morgendämmerung erlaubt. Alles war der Meinung, der Transport ginge in irgendeinen Rüstungsbetrieb, dem wir als Zwangsarbeiter zur Verfügung gestellt werden sollten. (Frankl 1945, S. 24 f.) Unvorstellbar .. war der buchstäbliche Freudentanz .., als sie merkten, der Transport gehe – „nur“ nach Dachau. .. dort gab es kein Krematorium, also auch keine Gaskammern. (Frankl 1945, S. 76) das grauenhafteste, das wir erlebten: die Transporte (zit. in Hauff 1946, S. 7). Nur wer durch die Todeslager gegangen ist, kennt den Begriff „Transport“. .. das Wort „Transport“ [bedeutete] den sicheren Tod (zit. in Hauff 1946, S. 11 f.). die Ankunft eines Massentransportes .. plötzlich brach durch das Lagertor ein nicht abreißender Strom von Frauen herein, der sich wie ein dicker zähflüssiger Brei auf den Lagerhof ergoß, und es dauerte tagelang, bis die letzten von ihnen den Hof in Richtung der Blocks verließen. (Vermehren 1946, S. 77) Jetzt heißt man uns aussteigen. .. Da blitzen Scheinwerfer auf. Eintausendsiebenhundert Mann im Rampenlicht! .. Ein Transport Todgeweihter! (Schifko-Pungartnik 1946, S. 16) Transport .. Deportation und Massendeportation. Das Wort kommt dem mechanischen Materialismus entgegen: Menschen werden wie Vieh oder leblose „Massen“ transportiert und der Freiheit beraubt. Darum fuhren und reisten die Juden nicht (obwohl von der SS euphemistisch „reisen“, „abgereist“, „verreist“ gesagt wurde), sondern wurden mit oder in „Transporten abgefertigt“ und „nahmen am Transport teil“. .. das in allen Sprachen gleichlautende Wort und der Begriff „Transport“ [wurde] für die Juden vor und in T[heresienstadt] zum hoffnungslosen Schreckenswort. Man sagte z. B. „ich bin im Transport“ (oder auch nur „ich bin drin“) oder „wann geht der nächste Transport?“ (Adler 1955, S. XLI) Transportabteilung dem ‚Zentralsekretariat‘ angegliedert, hatte sie die anbefohlenen ‚Transporte‘ nach den ‚Weisungen‘ der SS und der jüdischen Leitung mit Hilfe der ‚Vorliste‘ ‚zusammenzustellen‘, die von der ‚Zentralevidenz‘ geliefert wurde. Die ‚Transportkommission‘ als Organ der ‚Transportabteilung‘ entschied über ‚Ein- und Ausreihungen‘, ‚Reklamationen‘ usw. (Adler 1955, S. XLI) Transportarzt gab sein Gutachten über die Transportfähigkeit eines zu Deportierenden an die Transportkommission (Adler 1955, S. XLI). Transportaviso Verständigung der SS an die jüdische Leitung über einen in T[heresienstadt] ankommenden ‚Transport‘ (Adler 1955, S. XLI). Transportevidenz Kartothek in der ‚Zentralevidenz‘, aus den ‚Transportlisten‘ in T[heresienstadt] eingetroffener und von hier verschickter ‚Transporte‘ (Adler 1955, S. XLI). Transportfähigkeit, die oft genug auch Sterbenden zugemutet wurde (Adler 1955, S. XLII).
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Transport
Transporthilfe Gruppe jüngerer Frauen und Männer, oft Freiwillige, die Deportierten in T[heresienstadt] nach Ankunft oder vor der Abfahrt mit Packen, Gepächtragen usw. helfen sollten. (Adler 1955, XLI) Transporthundertschaft Arbeitsgruppe, die vor allem bei der Gepäckspedition von ‚Transporten‘ half. (Adler 1955, S. XLI) Transportkommission auch ‚Polenkommission‘, kurz ‚Kommission‘, tagte vor abgehenden ‚Transporten‘ und entschied endgültig über die Auswahl der zu Deportierenden (Adler 1955, S. XLI). Transportleiter aus der Reihe der Deportierten und für seinen ‚Transport‘ verantwortlich, gab man im ‚Protektorat‘ und in T[heresienstadt] bis zum Herbst 1942 jedem ‚Transport‘ mit, außerdem noch andere Funktionäre, alle an Armbinden kenntlich: ‚Jüdischer Arzt‘, ‚Jüdischer Pfleger‘, ‚Jüdische Krankenschwester‘, ‚Ordner‘. Diese Einrichtung erwies sich bald als bedeutungslos. (Adler 1955, S. XLI) Transportleitung Unterabteilung der ‚Abteilung für innere Verwaltung‘, ohne legalen Einfluß auf die ‚Zusammenstellung von Transporten‘. Aufgabenkreis: technische Durchführung der Arbeiten bei kommenden und abfahrenden ‚Transporten‘, bei ‚Übersiedlungen‘ im Lager u. a.m. Der ‚Transportleitung‘ half die ‚Transporthundertschaft‘ (Adler 1955, S. XLI). Transportliste Jeder ankommende oder abreisende ‚Transport‘ hatte oder erhielt eine ‚Transportliste‘ = Verzeichnis der Deportierten. (Adler 1955, S. XLI) Transportnummer ergab sich für den Deportierten aus der Bezeichnung seines ‚Transportes‘ und der laufenden Nummer der ‚Transportliste‘, die alle Opfer namentlich anführte. Die ‚Transportnummer‘ wurde in T[heresienstadt] zwar nicht wie in anderen Lagern sichtbar geführt, ersetzte aber auch hier den zivilen Personalausweis und war im schriftlichen und mündlichen amtlichen Verkehr stets anzugeben. (Adler 1955, XLIf.) Transportpost Botenverkehr für schriftliche Nachrichten zwischen den isolierten Männer- und Frauenkasernen bis Anfang Juli 1942, um ‚Transportteilnehmern‘ vor der Deportation einen Kontakt zu ermöglichen (Adler 1955, S. XLII). Transportschutz offizieller und inoffizieller Ausschließungsgrund von Deportationen. (Adler 1955, S. XLII) Transportteilnehmer jeder Deportierte (Adler 1955, S. XLII). Transportunfähigkeit begehrter Transportschutz wegen einer vor Verschickung bewahrenden Krankheit, falls die Transportkommission sie anerkannte (Adler 1955, S. XLII). Transportverständigung Mitteilung von der bevorstehenden Deportation. ‚Tagesbefehle‘ meldeten: ‚Die Transportverständigungen ergehen am …‘ (Adler 1955, S. XLII). Die nächsten fünf Transporte, zwei „normale“ und drei „Alterstransporte“ .. fuhren von Theresienstadt .. mit 8000 Menschen nach Treblinka ab (Adler 1955, S. 49). Die Transportangst wurde selten kompensiert, wirklich zu überwinden war sie wohl schwerlich, hingegen wurde sie oft mit allen erdenklichen Mitteln verhüllt, .. je länger man in Theresienstadt war, desto größer wurde auch die Transportangst. (Adler 1955, S. 663) Ab und zu passierte es, dass man ganze Transporte aus Zeitmangel lebend in die Scheiterhaufen jagte. (Klieger 1958, S. 23 f.)
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treu
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treu pflichttreu Treue · Treueid Täter Mit den Bezeichnungen treu/Treue und den Zusammensetzungen Treueid und pflichttreu beziehen sich die Täter (wie mit ÕBefehl und ÕGehorsam) auf einen Aspekt des nationalsozialistischen Wertesystems. Teil dieses Wertesystems war das Führerprinzip, das den nationalsozialistischen Funktionsträgern den so genannten Treueid abverlangte, dem Führer den Treueid leisten, Treu-Eid der SS, Treugelöbnis zum Führer (s. Göring 1945, Nürnberger Prozess IX, S. 719; Heß 1946, S. 425; Höß 1947, S. 66 f.). Dieser Treueid, mit dem sie sich auf Hitler oder eine übergeordnete Instanz verpflichteten, war als moralische Leitinstanz zu verstehen. Daher versuchen sie nach 1945, mit dem Argument treu ihr Handeln oder das Handeln ihrer Untergebenen zu legitimieren und zu entlasten, in Formulierungen wie treu gedient, in treuester Pflichterfüllung, pflichttreue deutsche Beamte (s. Rosenberg 1945, S. 272; Frick 1946, S. 438). [Der Nationalsozialismus ist] die edelste Idee, für die ein Deutscher die ihm gegebenen Kräfte einzusetzen vermochte. Der Nationalsozialismus war der Inhalt meines tätigen Lebens, ihm habe ich treu gedient trotz aller Irrtümer und menschlicher Unzulänglichkeiten. Ihm bleibe ich auch treu, solange ich noch lebe. (Rosenberg 1945, S. 272) Ich kann mit meinem obersten Führer verschiedener Meinung sein, kann diese Meinung auch klar zum Ausdruck bringen. Besteht der oberste Führer auf der seinigen und habe ich ihm meinen Treueid geleistet, so hat die Diskussion ein Ende (Göring 1945, Nürnberger Prozess IX, S. 719). Mein ganzes Leben war Dienst an Volk und Vaterland. Ihnen habe ich meine beste Kraft in treuester Pflichterfüllung gewidmet .. Für die Erfüllung meiner gesetzlichen und moralischen Pflicht glaube ich, ebenso wenig Strafe verdient zu haben, wie die zehntausende pflichttreuer deutscher Beamter und Angestellter des öffentlichen Dienstes, die heute noch wie schon seit Jahr und Tag nur wegen Erfüllung ihrer Pflicht in Lagern festgehalten werden. Ihrer hier in Treue zu gedenken, ist mir als ehemaligem langjährigen Beamtenminister des Reiches eine besondere Ehrenpflicht. (Frick 1946, S. 438) Ich bin glücklich zu wissen, daß ich meine Pflicht getan habe .. als treuer Gefolgsmann meines Führers. Ich bereue nichts. (Heß 1946, S. 425) hier beginnt eigentlich meine Schuld. .. Lange habe ich so gerungen zwischen innerer Überzeugung und Pflichtbewußtsein gegenüber dem Treu-Eid der SS, dem Treugelöbnis zum Führer. (Höß 1947, S. 66 f.)
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Verantwortung
[Die Sicherheitspolizei bzw. die Geheime Staatspolizei war ein] Behördenapparat, der mit gut ausgebildeten, leistungsfähigen, pflichttreuen und moralisch einwandfreien Fachbeamten besetzt war (Best 1949, S. 162 f.).
Verantwortung Gesamtverantwortung · Hauptverantwortung · Mitverantwortung verantwortlich · mitverantwortlich Verantwortlichkeit · Mitverantwortlichkeit Nichttäter Die Diskursgemeinschaft der Nichttäter ist besorgt um die Belegung der deutschen Zeitgenossen mit dem Kollektivschuldvorwurf der Welt, den sie zurück weist (ÕKollektivschuld). Gleichzeitig erkennt sie eine kollektive Verantwortung der Deutschen an, woraus sie die Verpflichtung zur ÕHaftung aller Staatsbürger für die Folgen staatlicher Handlungen und zur ÕWiedergutmachung ableitet. Haften/ Haftung (s. Ebbinghaus 1945a, S. 155 f.) und Wiedergutmachung (s. Deiters 1945, S. 9; Eckert 1946, S. 64 f.; Pieck 1949, S. 301) bezeichnen daher die Bereitschaft der Diskursgemeinschaft, die Konsequenzen aus der Übernahme von Verantwortung zu tragen. Um Einsicht in eine moralische Schuld der Deutschen auszudrücken, manifestiert also die Diskursgemeinschaft unter dem Zeichen von Verantwortung, ÕHaftung und ÕWiedergutmachung ihre Erkenntnis über die moralisch schuldigen und damit verantwortlichen Deutschen, und Verantwortung, Haftung und Wiedergutmachung bilden so ein semantisches Bedingungsgefüge. Im Bedeutungsnetz des Schuldbegriffs stellen Verantwortung, Haftung, Wiedergutmachung darüber hinaus eine semantische Beziehung zu ÕReinigung (s. Rothfels 1949, S. 35), ÕKatharsis und ÕGesundung her insofern, als Verantwortung, Haftung und Wiedergutmachung gleichsam als Bezeichnungen für den Nachweis vollzogener Reinigung, Katharsis und Genesung im Sinn von innerer Umkehr interpretiert werden (s. Röpke 1948, S. 114). Sie sind zudem begriffliche Konstituenten von ÕSühne. Unabhängig davon, dass ÕSchuld und Verantwortung gelegentlich synonym verwendet werden (s. KPD 1945, S. 15 f.; Meinecke 1946, S. 36; Synode 1948, S. 544; Wittram 1949, S. 81), ermöglichen die Anonymisierung und Entpersönlichung, welche der Gebrauch
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Verantwortung
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des Abstraktums Verantwortung in der Bedeutung ‚Verpflichtung, für die Verbrechen des Nationalsozialismus einzustehen‘ erlaubt, den Diskursbeteiligten vor allem, zwischen Schuld, besonders Kollektivbzw. Gesamtschuld, und Verantwortung zu unterscheiden: objektive juristische Schuld und soziologische Mitverantwortlichkeit, die völkerrechtliche Verantwortung ist nicht gleichbedeutend mit einer Kollektivschuld (s. Windisch 1946, S. 91 f.; Kogon 1947c, S. 255; Geiler 1947, S. 210; Pechel 1947, S. 13). Damit wird ein Schuldbegriff konstituiert, der das Bekenntnis einer moralischen Schuld zulässt. Kriminelle Schuld entsteht beim Einzelnen und durch eine individuelle Tat, Verantwortung hingegen referiert auf ein Kollektiv (s. Deiters 1945, S. 9; Windisch 1946, S. 91 f.) und entlastet den einzelnen (zu dieser kollektivistischen Auffassung von Verantwortung und ihrem Gegenstück, der reduktionistischen Position, vgl. HWbPh 2001 XI, S. 571 ff.). Während Kollektivschuld abgewehrt wird, zieht man mit dem Gebrauch der Kategorie Verantwortung also die Grenze zwischen den verbrecherischen, aktiv Schuldigen (die man als wahrhaft, wirklich Schuldige ausgewiesen hat, ÕSchuld) und den moralisch Schuldigen, die für die Folgen des schuldhaften Handelns der wirklich Schuldigen einzustehen haben (s. Röpke 1948, S. 68). In der Leitvokabel Verantwortung verdichten sich also drei Aspekte des Schulddiskurses: Zurückweisung einer deutschen ÕKollektivschuld, Identifizierung der kriminellen wirklich Schuldigen (ÕSchuld), Erkennen einer moralischen deutschen Schuld. Wer in diesem Sinn Verantwortung, insbesondere in der (häufig auch deontisch markierten) Formel (wir müssen die) Verantwortung auf uns nehmen/übernehmen ‚(wir müssen) für das Geschehene einstehen‘ gebraucht, lässt zudem darauf schließen, dass er – im Gegensatz zu demjenigen, der, wie die wirklich Schuldigen, verantwortlich gemacht, der zur Verantwortung gezogen wird (s. Pieck 1947, S. 123; FDP 1949, S. 284) – aus eigenem Entschluss die Folgen von nicht von ihm begangene Taten trägt. Verantwortung auf sich nehmen/übernehmen ist damit nicht gleichbedeutend mit Schuld haben und referiert gerade nicht auf die Täter der Verbrechen. Dieser Gebrauch der Formel lässt auf ein Bewusstsein für diejenige Schuldkategorie schließen, die Karl Jaspers „politische Schuld“ nennt (s. Jaspers 1946, S. 136). Jaspers’ Anliegen ist einerseits Anerkennung „kollektiver Verantwortung“ und daher „Haftung aller Staatsbürger für die Folgen staatlicher Handlungen“, andererseits Ablehnung von krimineller und moralischer Schuld „jedes einzelnen Staatsbürgers in bezug
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auf Verbrechen, die im Namen des Staates begangen wurden“. (Jaspers 1946, S. 137) Verantwortung wird also im Sinn der völkerrechtlich festgeschriebenen Kategorie verwendet, die ausdrücklich Kollektivschuld ausschließt (s. Geiler 1947, S. 210). Vgl. zur Ablösung der besonders im 19. Jahrhundert gebräuchlichen Begriffsalternative Pflicht durch Verantwortung seit dem Ersten Weltkrieg HWbPh 2001 XI, S. 569. in jedem deutschen Menschen [muß] das Bewußtsein und die Scham brennen, daß das deutsche Volk einen bedeutenden Teil Mitschuld und Mitverantwortung für den Krieg und seine Folgen trägt. Nicht nur Hitler ist schuld an den Verbrechen, die an der Menschheit begangen wurden! Ihr Teil Schuld tragen auch die zehn Millionen Deutsche, die 1932 bei freien Wahlen für Hitler stimmten, obwohl wir Kommunisten warnten: ‚Wer Hitler wählt, der wählt den Krieg!‘ Ihr Teil Schuld tragen alle jene deutschen Männer und Frauen, die willenlos und widerstandslos zusahen, wie Hitler die Macht an sich riß, wie er alle demokratischen Organisationen, vor allem die Arbeiterorganisationen, zerschlug und die besten Deutschen einsperren, martern und köpfen ließ. Schuld tragen alle jene Deutschen, die in der Aufrüstung die „Größe Deutschlands“ sahen und im wilden Militarismus, im Marschieren und Exerzieren das allein seligmachende Heil der Nation erblickten. Unser Unglück war, daß Millionen und aber Millionen Deutsche der Nazidemagogie verfielen, daß das Gift der tierischen Rassenlehre, des ‚Kampfes um Lebensraum‘ den Organismus des Volkes verseuchen konnte. Unser Unglück war, daß breite Bevölkerungsschichten das elementare Gefühl für Anstand und Gerechtigkeit verloren und Hitler folgten, als er ihnen einen gutgedeckten Mittags- und Abendbrottisch auf Kosten anderer Völker durch Krieg und Raub versprach. (KPD 1945, S. 15 f.) Erkenntnis von der Mitschuld des deutschen Volkes an den Untaten des Hitlerregimes, von der Verantwortung für die Tilgung dieser Schuld. (Dahlem 1945, S. 257) Die Mitverantwortung unseres Volkes besteht darin, daß es sich leichtgläubig betrügen ließ, daß der alte preußische Geist der Untertänigkeit und des Kadavergehorsams große Massen beherrschte, so daß diese Massen den Befehlen einer Bande von Kriegsverbrechern gehorchten (Ulbricht 1945b, S. 428 f.). Man empfindet einen geradezu körperlichen Ekel, wenn man sieht, wie Vertreter dieser Kreise, die von dem Gefühl ihrer historischen Schuld einfach zerquetscht sein müßten, sich für ihre armselige Person vor der Verantwortung zu drücken versuchen. Was soll man z. B. dazu sagen, wenn der amerikanische Rundfunk berichtet, daß ein Generaldirektor der Krupp-Werke jede Verantwortung für sich und sein Unternehmen ablehnte. Oder wenn der neben Hitler unheilvollste Deutsche, der Herr von Papen, bei seiner Verhaftung fragte: „Was wollen Sie von mir altem Mann?“ (Schumacher 1945c, S. 212 f.) Es war Deutschland selbst, das durch seine Regierung die Welt ins Unglück gestürzt hat, und deshalb muß jeder Deutsche für dieses Unrecht und die damit verbundene Schande mit einstehen. .. Ich möchte die Pflicht zu solchem aus der Staatsgemeinschaft selber folgendem Einstehen aller für das Ganze die staatsbürgerliche oder politische Verantwortung der Deutschen nennen, und wenn mit der Verkündigung der all-
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gemeinen Verantwortung aller Deutschen nur diese Gesamthaftung gemeint sein soll, so kann darüber, wie ich denke, kein Zweifel bestehen. (Ebbinghaus 1945a, S. 155 f.) ihr [habt] euch mit der Verantwortung für dieses Böse beladen (Ebbinghaus 1945a, S. 158). am Ende wird jeder Deutsche sich prüfen müssen, ob er immer und in allen Lagen so gewissenhaft und so stark gewesen ist, wie er hätte sein können und sein sollen, und ob er also nicht mitverantwortlich ist für die Existenz und Beharrlichkeit des Systems. (Ebbinghaus 1945b, S. 36) Die Frage ist heute gestellt worden und wird immer wieder aufgeworfen werden, ob es denn nicht nur unsere Regierenden waren, die daran schuld tragen, und mit ihnen ihre Anhänger, und ob es nicht genügen wäre, sie zur Rechenschaft zu ziehen. Es ist aber von vornherein unwahrscheinlich, daß eine solche reinliche Trennung der Verantwortung zwischen einer Regierung und dem Volk, aus dem sie hervorgegangen ist und das ihr jahrelang gefolgt ist, durchgeführt werden kann. (Deiters 1945, S. 8 f.) Daß wir für die Politik, die zwölf Jahre in unserem Namen geführt worden ist, politisch und juristisch verantwortlich sind, ist eine Selbstverständlichkeit. Diese Haftung ergibt sich einfach aus dem Fortbestand des deutschen Volkes als einer geschlossenen Masse auf dem größten Teil ihres alten Bodens. Aber gerade weil wir ein Volk bleiben wollen, müssen wir auch die moralische Verantwortlichkeit auf uns nehmen. .. weil wir .. ein Ganzes bleiben [wollen], ein Volk, darum müssen wir solidarisch die Verantwortung auf uns nehmen für das, was in unserem Namen an unerhörten Freveln verübt worden ist. Wir müssen aus eigenem Entschluß versuchen wiedergutzumachen, was möglich ist, und unsere ganze Kraft dafür einsetzen, daß durch Menschen unserer Sprache und unseres Blutes nie wieder dergleichen geschieht (Deiters 1945, S. 9). Politische Schuld: Sie besteht in den Handlungen der Staatsmänner und in der Staatsbürgerschaft eines Staates, infolge derer ich die Folgen der Handlungen dieses Staates tragen muß, dessen Gewalt ich unterstellt bin, und durch dessen Ordnung ich mein Dasein habe. Es ist jedes Menschen Mitverantwortung, wie er regiert wird. (Jaspers 1946, S. 136) innerhalb des deutschen Volkes [tragen] die Hauptschuld am Hitlerismus die Monopolherren und die Junker als seine Auftraggeber – und dann jene Bürger, die sich seit Bismarcks und Wilhelms Zeiten von jeder Hurrapolitik mißleiten ließen. .. dennoch [fällt] auch den deutschen Hitlergegnern ihr Teil der Verantwortung zu für die Kapitulation ihres Volkes vor Hitler im Jahre 1933. Gerade weil die Hitlergegner damals so stark waren, ist ihre Mitverantwortung so groß und so bedeutsam mit ihren Lehren für die Zukunft (Abusch 1946, S. 256 f.). Man kann .. nicht von der Verantwortung der Deutschen sprechen, ohne die Rolle ihrer nahen Umwelt wenigstens zu streifen. Die Vorherrschaft einer reaktionär-kapitalistischen Interessenpolitik in England und Frankreich, den Siegerländern des ersten Weltkrieges, half die deutsche Reaktion nach 1918 zu galvanisieren. Die europäischen Westmächte sahen in der jungen Sowjetrepublik im Osten den Feind, gegen den sie ein Bollwerk in Gestalt der deutschen Republik zu schaffen glaubten. Diese Politik machte die Welt reif, einen Hitler zum räuberischen Beherrscher Europas aufsteigen zu lassen. Aber die Hilfe und die Sympathie internationaler Kartellherren und Münchener Politiker für Hitlers faschistisches „Experiment“ in Deutschland können in keiner Weise die Hauptverantwortung der Deutschen dafür
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abschwächen, daß sie in Deutschland eine Regierung notorischer Verbrecher sich etablieren ließen und ihr folgten (Abusch 1946, S. 260). Die Mitverantwortung und Schuld des deutschen Bürgertums an allem, was die Katastrophen und insbesondere das Emporkommen des Nationalsozialismus vorbereitet hat, ist nicht gering. (Meinecke 1946, S. 36) Die eigentliche Befreiung, die uns wieder Hoffnung geben mag für die Zukunft, die Befreiung zur persönlichen Verantwortung, kann uns kein Befreier geben, der von draußen kommt, das muß bei uns selber geschehen. Der Weg ins Freie ist eine ganz persönliche Frage an jeden unter uns: Wie komme ich wieder dahin, daß echte Verantwortung mein Leben regiert? (Niemöller 1946, S. 26) Unabänderlich bestehen die schicksalhaften Ungerechtigkeiten, denen jedes Kollektivwesen ausgesetzt ist. .. somit zahlen wir alle. Das Leben denkt nicht juristisch. Unterscheiden wir also zwischen zwei gänzlich verschiedenen Tatbeständen: der objektiven, juristischen Schuld (und sei es aus Fahrlässigkeit) und der soziologischen Mitverantwortlichkeit aus Disposition oder dank der bloßen Zugehörigkeit zu einem Kollektivum (Windisch 1946, S. 91 f.). Verantwortung und Wiedergutmachung moralischer und materieller Werte, die vom ganzen Volke zu tragen sind und getragen werden (Eckert 1946, S. 64 f.). Auch die Verantwortung gehört zur Gerechtigkeit, nicht nur die Schuld (Kogon 1947c, S. 255). Wir haben völkerrechtlich die Verantwortung des deutschen Volkes für die von dem Nazisystem begangenen Verbrechen anzuerkennen. Dabei ist diese völkerrechtliche Verantwortung aber keineswegs gleichbedeutend mit einer Kollektivschuld des deutschen Volkes oder gar mit einer kriminellen Schuld jedes einzelnen Deutschen. Indem das Militärtribunal in Nürnberg sogar Männer wie Papen und Schacht, die in den Augen des deutschen Volkes schuldig sind, freigesprochen hat, ist die Sinnlosigkeit des Versuches, alle Deutschen zu Verbrechern zu stempeln, vor aller Welt dargetan. (Geiler 1947, S. 210) Dieses Buch will in keiner Weise eine Gesamtverantwortung des deutschen Volkes für die Untaten des Hitler-Regimes ablehnen, wendet sich aber mit Schärfe gegen die Behauptung der Gesamtschuld des deutschen Volkes (Pechel 1947, S. 13). Viele andere werden noch vor Gericht gestellt und zur Verantwortung gezogen werden. Trotzdem ist es nur eine verhältnismäßig kleine Zahl der wahren Schuldigen an dem großen Unglück unseres Volkes (Pieck 1947, S. 123). Wer schuldhaft gehandelt hat, ist zu bestrafen; wer fahrlässig gehandelt hat, ist für den Schaden verantwortlich und muß unter Umständen bestraft werden; wer sich geirrt hat und die Konsequenzen daraus zieht, wird freiwillig tun, was in seiner Kraft liegt, um zur Wiedergutmachung beizutragen. (Kogon 1947b, S. 250) es [ist] für denjenigen, der sich nicht einfach ins Maquis zurückzieht, fast unmöglich, nicht in vielfältige Beziehungen zu den Machthabern zu treten, die zunächst durchaus neutral erscheinen, sich aber dann doch auf die Dauer als ebensoviele Fäden erweisen, mit denen der einzelne in die Mitverantwortung verstrickt wird. .. schließlich war es gerade die teuflische Methode der Nationalsozialisten, möglichst viele durch erpreßte Eingliederung in den Apparat zu korrumpieren. (Röpke 1948, S. 62) man [kann] unter einem totalitären Regime mitschuldig werden, ohne dieselbe Verantwortung wie seine Führer zu tragen (Röpke 1948, S. 68).
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[Der Deutsche ist] zu irgendeinem Teile moralischpsychologisch verantwortlicher Mitträger einer verhängnisvollen politischen Entwicklung .. zu irgendeinem Teil wirklich mitverantwortlich (Röpke 1948, S. 113 f.). die innere Umkehr .. Natürlich ist sie nicht möglich ohne das Bewußtsein jedes einzelnen Deutschen, zu irgendeinem Teile wirklich mitverantwortlich zu sein. .. Wenn es sich .. um die konkrete individuelle Verantwortung handelt, so wird sich ergeben, daß die Anteile der einzelnen Deutschen sehr verschieden sind (Röpke 1948, S. 114). Wir empfinden es als tief beschämend, daß der umfassendste und grausamste Versuch zur gewaltsamen Ausrottung des Judentums, den die Weltgeschichte kennt, im Namen des deutschen Volkes unternommen worden ist. Millionen Juden, Männer, Frauen und Kinder, ein Drittel des gesamten Volksbestandes, wurden von uns vernichtet. Es bedarf keines Wortes darüber, daß dies den christlichen Grundsätzen der Gerechtigkeit, Duldung und Nächstenliebe im tiefsten widerspricht. Es wäre aber zu billig, die Verantwortung dafür auf die damaligen Machthaber, an denen Gottes Gericht sich erfüllt hat, abzuschieben. Sofern der Rassenhaß unter uns gehegt oder doch ohne ernstlichen Widerstand geduldet worden ist, sind wir mitschuldig geworden. Auch unsere sächsische Kirche hat zur Verfolgung der Juden, selbst der christlichen, beigetragen. (Synode 1948, S. 544) Man bildete „nationale Fronten“ gegen die eigene Regierung, weil man blind und ungeduldig war. Diese Blindheit und Ungeduld hängt zum Teil mit der großen Wirtschaftskrise zusammen, die 1928–1933 alle Welt heimsuchte und unsere Arbeitslosenziffern unheimlich ansteigen ließ. Gleichwohl bedeutete sie eine verhängnisvolle Verdrängung und Überwältigung ruhiger Staatsvernunft durch die Leidenschaft; an diesem Punkt liegt die eigentliche Verantwortung des deutschen Volkes für sein späteres Schicksal (Ritter 1948, S. 198). Der persönlichen Verantwortung in Begehung oder Unterlassung bewußt zu sein und vor der eigenen Haustür zu kehren, ist in der Tat ein notwendiger Bestandteil jeder gründlichen Reinigungsaktion (Rothfels 1949, S. 35). Als Angehörige unserer Völker geraten wir in Schuld und werden wir heimgesucht. Als Deutsche z. B. können wir an der Verantwortung für das Geschehene nicht vorüber. Ueberall wo Deutsche gehaßt, verachtet und verfolgt werden, trifft es sie als Angehörige eines Volkes (Wittram 1949, S. 81). Die sogenannte Entnazifizierung hat .. Millionen Menschen guten Willens dem neuen demokratischen Staat entfremdet, weil sie nicht darauf beschränkt war, die wirklich Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen. (FDP 1949, S. 284) Wir sind uns der großen Verantwortung wohl bewußt, die dem deutschen Volke durch die Duldung und Unterstützung des barbarischen Hitlerkrieges aufgeladen wurde, und wir sind uns auch der Verpflichtungen bewußt, die wir zur Wiedergutmachung gegenüber den vom Hitlerkrieg betroffenen Ländern haben. (Pieck 1949, S. 301)
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verschüttet
verschüttet Nichttäter Zur Konzeption der Selbstwahrnehmung der Deutschen gehört die Vorstellung einer Vergangenheit, die man schnell überwinden, und einer Zukunft, die man rasch erreichen möchte. Unter dieser Voraussetzung gebrauchen die Nichttäter das metaphorische Feld ÕReinigung, ÕKatharsis und ÕGesundung. Darüber hinaus steht die Gesundungs- und Reinigungs-Metaphorik sowohl mit dem Konzept der Selbstwiederfindung (Õdeutsch) als auch mit dem der verschütteten deutschen Werte in semantischer Beziehung. Die Bezeichnungen dieses Feldes stellen einen Vergangenheitsbezug her: Reinigung und Katharsis implizieren Verunreinigung und Schmutz, verschüttet bezeichnet vorübergehendes Begrabensein, Gesundung bezieht sich auf vergangenes Kranksein (Õkrank). Insofern haben die Bezeichnungen dieses metaphorischen Feldes die Funktion der Abgrenzung von der eigenen Vergangenheit. Vor allem aber bezeichnen diese metaphorischen Konzepte einen Zustand, der in die ÕZukunft verweist und auf die Rehabilitierung der Deutschen. Mit verschüttet beantwortet die Diskursgemeinschaft der Nichttäter die Frage, wie der Nationalsozialismus in Deutschland möglich war. Verschüttet bezeichnet die Vorstellung temporär verlorener Identität: Man war des wahren Deutschtums (Õdeutsch) kurzfristig verlustig gegangen, indem man das Gesetz der deutschen Identität missachtete. In diesem Zusammenhang drückt verschüttet implizit die Vorstellung von den substanziell wertvollen Deutschen aus: der Nazismus hat die wahren deutschen Kulturwerte verschüttet, die verschütteten Tiefen, wo das Gold der hohen deutschen Qualitäten begraben liegt, Kraftquellen, die zu seiner eigentlichen Substanz gehören und nur verschüttet worden sind, verschüttet über ein Jahrzehnt, zu dem verschütteten Schatz zurückfinden, zu den verschütteten Quellen seines wahren Wesens zurückfinden, die böse verschütteten Quellen deutschen Geistes wieder aufspüren, die wahren deutschen Möglichkeiten, vorübergehend verschüttet (s. Kulturbund 1945, S. 84; Kogon 1946a, S. 408; Geiler 1946b, S. 148; Döblin 1946, S. 234; Kirschweng 1946, S. 44; Litt 1947, S. 28; Friedensburg 1947, S. 90; Grotewohl 1950a, S. 52). Insofern ist verschüttet Antwort auf die Frage nach der Vereinbarkeit von Nationalsozialismus und deutscher Volksseele. Mit Bezugsobjekten wie wahre deutsche Kulturwerte, Gold der hohen deutschen Qualitäten, geistig-seelische
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Kraftquellen, seelische und geistige Kraft, Genius des deutschen Volkes, wahres Wesen, deutscher Geist, wahre deutsche Möglichkeiten beziehen sich die Nichttäter auf die Unvereinbarkeit zwischen Nationalsozialismus und Deutschtum, denn sie konstituieren einen vorhandenen und sicheren Fundus hoher Werte, aus dem die Deutschen kollektiv schöpfen und der den Anspruch auf ihre Zukunftsfähigkeit begründet. Der Nazismus hat die wahren deutschen Kulturwerte, wie sie mit den Namen von Goethe, Schiller, Lessing und zahlreicher Philosophen, Künstler und Wissenschaftler verbunden sind, verschüttet (Kulturbund 1945, S. 84). ist es nicht besser, die größte Niederlage seiner Geschichte zum Anlaß zu nehmen, um in die eigenen verschütteten Tiefen hinabzusteigen, wo das Gold der hohen deutschen Qualitäten – jawohl: das Gold! begraben liegt ..? (Kogon 1946a, S. 408) unser Volk [zurückführen] zu den geistig-seelischen Kraftquellen, die zu seiner eigentlichen Substanz gehören und nur durch die Mittel der Blendung, der Verführung und des Terrors verschüttet worden sind (Geiler 1946b, S. 148). Verschüttet war über ein Jahrzehnt eine ungeheure Masse von seelischer und geistiger Kraft im Lande (Döblin 1946, S. 234). [Die] Rückbesinnung auf diese unverlierbaren Werte wird uns die Kraft geben, verschüttete Quellen zu erschließen, einen großen und vollen Beitrag zum Glück und Fortschritt der Menschheit zu leisten wie jedes andere Volk. (CDU 1946, S. 49) so müßten wir dazu kommen, endlich, endlich! uns selber zu erkennen, damit wir dann auch endlich uns selber leben können, das Leben einer Provinz des Abendlandes, die gesegnet ist vom schattenlosen, durch Blut und Schmach hindurchgeretteten Genius des deutschen Volkes wie von dem edlen und großmütigen des französischen, und die langsam zu dem verschütteten Schatz ihrer eigenen Tiefen zurückfindet (Kirschweng 1946, S. 44). zu den verschütteten Quellen seines [des deutschen Volkes] wahren Wesens zurückfinde[n] und sich aufs neue zu einer Gestalt emporbilde[n], auf die es wieder stolz sein darf. (Litt 1947, S. 28) Wer könnte besser als Sie die ewigen, aber so böse verschütteten Quellen deutschen Geistes wieder aufspüren und uns zugänglich machen, die neuen Formen den veränderten Verhältnissen entsprechend zur Geltung bringen? (Friedensburg 1947, S. 90) hier, in der Heimat leben die wahren deutschen Möglichkeiten, vorübergehend verschüttet durch die Katastrophe, aber unversiegbar und unerschöpflich, wenn sich das deutsche Volk ihnen zuwendet. (Grotewohl 1950a, S. 52)
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Volk Volksdemokratie · volksfeindlich · Volksherrschaft · Volksmassen · Volksrechte · Volksregierung · Volksschichten · Volksteile Nichttäter Ost/Nichttäter West
Nichttäter Ost/Nichttäter West Auf den gesamtdeutschen Sprachgebrauch bezogen, behält in der frühen Nachkriegszeit der Ausdruck Volk seine nationenbezeichnende Funktion. Er wird verwendet, wenn zwischen den Nationalsozialisten und den Deutschen unterschieden werden soll. Diese Unterscheidung hat im Zuge der Schuldanalysen die Funktion, den Deutschen insgesamt eine andere Schuldart zuzuweisen, als den als wirklich Schuldige (ÕSchuld) ausgewiesenen Nationalsozialisten: das deutsche Volk als Ganzes ist nicht mit den Mord- und Brandbuben der SS und Gestapo zu identifizieren, Die Seele des deutschen Volkes wird nicht durch die entmenschten Verbrecher repräsentiert, in der Zeit des Nationalsozialismus hat es im deutschen Volk viele gegeben, die Hilfsbereitschaft gezeigt haben (s. Plank 1946, S. 13; Abusch 1946, S. 265; Pieck 1949, S. 301; Adenauer 1951b, S. 46 f.). Diese Ausdeutung von Volk ermöglicht die Darstellung der Deutschen als Leidtragende der Folgen nationalsozialistischer Herrschaft: Der Nazifaschismus hat das deutsche Volk in tiefster Qual zurückgelassen, unser Volk aus seiner tiefsten Not herausbringen (s. SPD 1945, S. 28; Adenauer 1945, S. 80; Pieck 1949, S. 297). Daneben ist unter der Voraussetzung dieser Deutung von Volk das Urteil des ersten Nürnberger Prozesses als Freisprechung der Deutschen interpretierbar (s. Eckert 1946, S. 3; Jaspers 1946, S. 159; Geiler 1947, S. 210). In Wendungen wie das/mein/unser (deutsches/ganzes) Volk, Masse des Volkes, Großteil des deutschen Volkes, große Volksteile drücken die Diskursteilnehmer im Zusammenhang mit der Schuldanalyse das Bewusstsein einer Schuld der Deutschen als Nation aus: die Mitschuld großer Volksteile, Erkenntnis von der Mitschuld des deutschen Volkes, das deutsche Volk trägt einen bedeutenden Teil Mitschuld und Mitverantwortung, ein ganzes Volk ist einen falschen Weg gegangen (s. Schumacher 1945c, S. 216 f.; Dahlem 1945, S. 257; KPD 1945, S. 15 f.; Steltzer 1945, S. 32). Gleichzeitig wird aber auch, im Gegenteil, Schuld abgewehrt, wenn Volk Kontextpartner von Mitschuld, Kollektivschuld oder Gesamtschuld ist: falscher Haß
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gegen das gesamte deutsche Volk, gegen die Behauptung der Gesamtschuld des deutschen Volkes (s. Schumacher 1945a, S. 283 f.; Jaspers 1946, S. 150; Pechel 1947, S. 13). In diesem Fall wird gleichzeitig auf die ÕVerantwortung des deutschen Volks verwiesen und ÕHaftung und ÕWiedergutmachung sind deshalb häufig belegte Kontextpartner: Verantwortung und Wiedergutmachung, die vom ganzen Volke zu tragen sind, Verantwortung des deutschen Volkes für die von dem Nazisystem begangenen Verbrechen, Gesamtverantwortung des deutschen Volkes für die Untaten des Hitler-Regimes, Verantwortung, die dem deutschen Volke aufgeladen wurde, Das deutsche Volk ist gewillt, das Unrecht wiedergutzumachen, Im Namen des deutschen Volkes sind Verbrechen begangen worden, die zur Wiedergutmachung verpflichten, dieser Akt der Wiedergutmachung durch das deutsche Volk ist notwendig (s. Deiters 1945, S. 9; Eckert 1946, S. 64 f.; Geiler 1947, S. 210; Pechel 1947, S. 13; Keil 1948, S. 701; Pieck 1949, S. 301; Adenauer 1949c, S. 52 f.; Adenauer 1951b, S. 46 f.; Adenauer 1953b, S. 199 f.). Im Zuge der Konstruktion einer deutschen Mentalität, die dem Nationalsozialismus förderlich war (ÕIdealismus, ÕMilitarismus, Õpolitische Unreife) dient Volk zur Bezeichnung nicht eines Nationenbegriffs, sondern zu der einer Gefühls- und Wertegemeinschaft: der Harmonie und Heiterkeit entbehrendes Volk, kein politisches Volk, dieses so leicht zu mißleitende Volk, das deutsche Volk war apolitisch, die Seele des deutschen Volkes, Genius des deutschen Volkes, Befürchtung, daß etwas bei dem deutschen Volke nicht stimmt (s. Kaschnitz 1945, S. 107; Smend 1945, S. 373; Müller-Meiningen 1946, S. 11; Kogon 1946b, S. 113; Abusch 1946, S. 265; Kirschweng 1946, S. 44; Pribilla 1947, S. 45). Neben diesen systemunabhängigen Gebrauchsweisen lässt sich eine Ausdeutung erkennen, die typisch ist für den kommunistischen bzw. sozialistischen Gebrauch von Volk. Nichttäter Ost Insbesondere nach den Staatsgründungen von 1949 erhält Volk im DDR-Sozialismus eine systembedingte Komponente. Die Kontexte zeigen, dass der Bruch mit dem Nationalsozialismus, der als Antifaschismus zu den Gründungsmythen der DDR zählt, nicht so weit geht, dass man auf diese anpassungsfähige Bekenntnisvokabel Volk verzichtet hätte. Obwohl der Dichtersozialist Bertolt Brecht mit sprachkritischer Sensibilität 1939 den Volks-Topos der Nazis als Ver-
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führungsvokabel entlarvte – „Wer in unserer Zeit statt Volk Bevölkerung und statt Boden Landbesitz sagt, unterstützt schon viele Lügen nicht. Er nimmt den Wörtern ihre faule Mystik“ (Brecht 1939, S. 231) –, hindert diese Entlarvung die Kämpfer wider den Faschismus nicht, mit diesem Ausdruck ihr Politikverständnis zu bezeichnen. Volk dient im sozialistisch-kommunistischen Kontext, wie ÕMasse, als Kollektivbegriff zur Bezeichnung des sozialistischen Arbeits- (werktätiges Volk) bzw. Einheitsgedankens, der den „gesellschaftliche[n] Gesamtwille[n]“ deutet als „eine Zusammenfassung des Einzelwillens sozialistischer Menschen, welcher der gesellschaftlichen Notwendigkeit entspricht“ (Klaus/Buhr 1971 I, S. 377): breite Massen unseres Volkes, Volksmassen, Volksherrschaft, Volksrechte, Volksregierung. Insbesondere ist Volk in diesem Sinn hoch frequenter Kontextpartner von ÕDemokratie und ÕFreiheit, die von diesem Gebrauch von Volk her ihre besondere sozialistische Ausdeutung erhalten: alle demokratischen Rechte und Freiheiten für das Volk, die Herzen und Hirne unseres Volkes mit dem Geiste einer kämpferischen Demokratie zu erfüllen, unter aktivster Anteilnahme der Volksmassen, volle Volksherrschaft als Grundprinzip der Demokratie, Emanzipation des Volkes, Demokratisierung unseres Volkes (s. KPD 1945, S. 18; Pieck 1945b, S. 55; Pieck 1946b, S. 615; Grotewohl 1947, S. 284 f.; Grotewohl 1947, S. 286; Grotewohl 1947, S. 287). Seit der zweiten Hälfte der vierziger Jahre dient die neue Zusammensetzung Volksdemokratie zur Bezeichnung für die sozialistischkommunistische Demokratie-Version, anknüpfend an die kommunistischen Einheitsfrontvorstellungen der Weimarer Zeit (s. Pieck 1948, S. 147; Klemperer 1952, Tagebücher 1950–1959, S. 299; Leonhard 1955, S. 593 f.). Es ist die dominierende, im politischen Reden in der SBZ bzw. DDR ausgedrückte Leitidee, welcher „der terminologische Abschied der ‚Diktatur des Proletariats‘ [vorausgeht]“. Die Substituierung durch Volksdemokratie erweitert den Begriffsumfang von Demokratie so, „daß nun auch das Gegenteil der bisherigen Bedeutung darunter verstanden werden kann“ (Bergsdorf 1983, S. 77 f.). Vgl. Felbick 2003, s.v. Volk/VolksDer Nazifaschismus .. hat das deutsche Volk in tiefster seelischer Qual, in einer unvorstellbaren Not zurückgelassen! Das Gefühl für Rechtlichkeit ist gelähmt! Die
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nackte Not grinst dem Volke aus den Ruinen vernichteter Wohnungen und geborstener Fabriken entgegen. (SPD 1945, S. 28) falscher Haß gegen das gesamte deutsche Volk einschließlich seiner politischen Arbeiterbewegung .. Diese Ungerechtigkeiten nehmen wir nicht ruhig hin. (Schumacher 1945a, S. 283 f.) Die Mitschuld großer Volksteile an der Blutherrschaft der Nazis liegt in ihrem Diktatur- und Gewaltglauben! (Schumacher 1945c, S. 216 f.) Nicht diese Werte [unserer geistigen Überlieferung] haben versagt, das Volk hat ihnen gegenüber versagt, und ist der immer neuen Verkündung und Botschaft taub geblieben, die gerade ihm zum Überfluß geschehen war. (Benz 1945, S. 36 f.) der Harmonie und Heiterkeit entbehrende[s] Volk (Kaschnitz 1945, S. 107). Fast will es manchem sogar scheinen, als stünden wir am Ende der Geschichte des ganzen deutschen Volkes (Grimme 1945a, S. 13). Da stehen wir nun .. So allein, wie niemals ein Volk allein war auf dieser Erde. So gebrandmarkt, wie nie ein Volk gebrandmarkt war (Wiechert 1945, S. 31 f.). Erkenntnis von der Mitschuld des deutschen Volkes an den Untaten des Hitlerregimes, von der Verantwortung für die Tilgung dieser Schuld. Die Wiedergutmachung der Schäden ist die grundlegende Voraussetzung für jeden Neuaufbau in Deutschland. (Dahlem 1945, S. 257) Daß wir für die Politik, die zwölf Jahre in unserem Namen geführt worden ist, politisch und juristisch verantwortlich sind, ist eine Selbstverständlichkeit. Diese Haftung ergibt sich einfach aus dem Fortbestand des deutschen Volkes als einer geschlossenen Masse auf dem größten Teil ihres alten Bodens .. wir [müssen] solidarisch die Verantwortung auf uns nehmen für das, was in unserem Namen an unerhörten Freveln verübt worden ist. Wir müssen aus eigenem Entschluß versuchen wiedergutzumachen, was möglich ist, und unsere ganze Kraft dafür einsetzen, daß durch Menschen unserer Sprache und unseres Blutes nie wieder dergleichen geschieht (Deiters 1945, S. 9). nicht vergessen werden darf, daß wir, die wir von den Vertretern der Siegermächte einzeln aufgesucht und für die Leitung der Regierungsgeschäfte geradezu überredet werden mußten, ausschließlich nur aus innerem Pflichtgefühl dem Rufe gefolgt sind, dem Volk in der Stunde der Not beizustehen, eine vorläufige Regelung der Staatsgewalt zu schaffen, schließlich Wahlen auszuschreiben, um wiederum zu einer ordnungsmäßigen, vom Volk gewollten Regierung zu kommen. (Kaisen 1945, S. 16) unser verführtes und gelähmtes Volk .. in das tiefste Elend gestürzt. (Adenauer 1945, S. 80) wir Deutsche [sind] kein politisches Volk .., sondern eins von gehorsamen Untertanen und treufleißigen Beamten (Smend 1945, S. 373). [wir] müssen mit Unerbittlichkeit und Wahrhaftigkeit die Schuldfrage vom ganzen Volk stellen .. ein ganzes Volk [ist] einen falschen Weg gegangen (Steltzer 1945, S. 32). in jedem deutschen Menschen [muß] das Bewußtsein und die Scham brennen, daß das deutsche Volk einen bedeutenden Teil Mitschuld und Mitverantwortung für den Krieg und seine Folgen trägt. Nicht nur Hitler ist schuld an den Verbrechen, die an der Menschheit begangen wurden! Ihr Teil Schuld tragen auch die zehn Millionen Deutsche, die 1932 bei freien Wahlen für Hitler stimmten, obwohl wir Kommunisten warnten: „Wer Hitler wählt, der wählt den Krieg!“ Ihr Teil Schuld tragen alle jene deutschen Männer und Frauen, die willenlos und widerstandslos zusahen, wie
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Hitler die Macht an sich riß, wie er alle demokratischen Organisationen, vor allem die Arbeiterorganisationen, zerschlug und die besten Deutschen einsperren, martern und köpfen ließ. Schuld tragen alle jene Deutschen, die in der Aufrüstung die „Größe Deutschlands“ sahen und im wilden Militarismus, im Marschieren und Exerzieren das allein seligmachende Heil der Nation erblickten. Unser Unglück war, daß Millionen und aber Millionen Deutsche der Nazidemagogie verfielen, daß das Gift der tierischen Rassenlehre, des „Kampfes um Lebensraum“ den Organismus des Volkes verseuchen konnte. Unser Unglück war, daß breite Bevölkerungsschichten das elementare Gefühl für Anstand und Gerechtigkeit verloren und Hitler folgten, als er ihnen einen gutgedeckten Mittags- und Abendbrottisch auf Kosten anderer Völker durch Krieg und Raub versprach. (KPD 1945, S. 15 f.) Aufrichtung eines antifaschistischen, demokratischen Regimes, einer parlamentarisch-demokratischen Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk (KPD 1945, S. 18). Das soll nicht die impotente Demokratie sein, die wir in der Weimar-Republik kennenlernten, die nicht die Rechte des deutschen Volkes stärkte, sondern wo diese Demokratie von allen reaktionären Elementen für ihre volksfeindlichen Ziele ausgenutzt wurde und an deren Ende die Hitlerherrschaft stand. Wir wollen eine Demokratie, in der die Rechte des werktätigen Volkes ständig erweitert und ihm der entscheidende Einfluß auf die Innen- und Außenpolitik des Landes gesichert ist (Pieck 1945b, S. 55). alles daransetzen, die Herzen und Hirne unseres Volkes .. mit dem Geiste einer kämpferischen, aufbauenden Demokratie zu erfüllen. (Pieck 1945b, S. 55) Wir werden uns mit allen Kräften dafür einsetzen, daß die bisherige Fernhaltung der breiten Massen unseres Volkes von der kulturellen Betätigung .. beseitigt wird (Pieck 1946a, S. 48). wir müssen .. neu aufbauen .. Ausbau der Selbstverwaltung auf der Grundlage demokratisch durchgeführter Wahlen .. Sicherung der demokratischen Volksrechte (Pieck 1946b, S. 615). Nur unter aktivster Anteilnahme der Volksmassen, nur unter unmittelbarer Führung der stärksten deutschen Partei .. können diese Aufgaben erfüllt werden (Pieck 1946b, S. 615). Das deutsche Volk ist zur Zeit in einem derartigen geistigen und seelischen Zustand, es ist derartig alles, schlechthin alles bei ihm zusammengebrochen .., daß man schon die tiefsten Kräfte, die in jedes Menschen Seele schlummern, erwecken muß: das sind die religiösen, um es wieder der Gesundung entgegenzuführen (Adenauer 1946, S. 145). Die Herrschaft und der Schutz der Freiheit müssen vom Volk als dem Träger des Freiheitsgedankens ausgehen (Geiler 1946a, S. 118). Der Nürnberger Spruch hat die Fundamente des Rechtes und der Gerechtigkeit auch für das Deutsche Volk wieder hergestellt. Er verurteilt wirklich Schuldige, nicht aber das Volk schlechthin. Dieser Urteilsspruch eröffnet dem Deutschen Volke den Weg der Selbstbesinnung und ist mehr als ein Akt versöhnlichen Geistes. Die Gebote der Gerechtigkeit sind göttliche Gebote. Deutsches Volk, hüte diese heiligen Flammen! (Eckert 1946, S. 3) Verantwortung und Wiedergutmachung moralischer und materieller Werte, die vom ganzen Volke zu tragen sind und getragen werden (Eckert 1946, S. 64 f.).
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Es ist die Frage, ob es politisch sinnvoll, zweckmäßig, gefahrlos, gerecht sei, ein ganzes Volk zum Pariavolk zu machen (Jaspers 1946, S. 150). Für uns Deutsche hat der Prozeß den Vorteil, daß er unterscheidet zwischen den bestimmten Verbrechen der Führer, und daß er gerade nicht kollektiv das Volk verurteilt .. Nicht das deutsche Volk, sondern einzelne als Verbrecher angeklagte Deutsche – aber grundsätzlich alle Führer des Naziregimes – stehen hier vor Gericht. (Jaspers 1946, S. 159) den anderen Völkern .. zeigen, daß das deutsche Volk als Ganzes nicht mit den Mord- und Brandbuben der SS und Gestapo zu identifizieren ist, daß es vielmehr .. genügend sittliche Kraft, Aufbauwillen und schöpferische Potenz besitzt, um auf Achtung und Anerkennung Anspruch erheben zu dürfen. (Plank 1946, S. 13) dieses so leicht zu mißleitende[..] Volk (Müller-Meiningen 1946, S. 11). das deutsche Volk war im Grunde apolitisch, mangelhaft politisch, ohne sicheren Instinkt. (Kogon 1946b, S. 113) Das deutsche Volk hat so wenig die Aggression seit Tacitus’ und der alten Germanen Zeiten „im Blute“ wie irgendein anderes Volk. Die Seele des deutschen Volkes wird nicht durch die Trustherren und Junker repräsentiert – und auch nicht durch die entmenschten Verbrecher, die sie sich dingen konnten. So wissen wir, daß die Verwirrung des Denkens und der Gefühle im deutschen Volke überwunden werden kann, nachdem „die Hitlers“ ihr verdientes Ende gefunden haben (Abusch 1946, S. 265). so müßten wir dazu kommen, endlich, endlich! uns selber zu erkennen, damit wir dann auch endlich uns selber leben können, das Leben einer Provinz des Abendlandes, die gesegnet ist vom schattenlosen, durch Blut und Schmach hindurchgeretteten Genius des deutschen Volkes wie von dem edlen und großmütigen des französischen, und die langsam zu dem verschütteten Schatz ihrer eigenen Tiefen zurückfindet (Kirschweng 1946, S. 44). Und doch erscheint nach dem jähen Erwachen alles so unwirklich, so unfaßbar wie ein böser Traum, den man verscheuchen möchte. Darum sind die Deutschen so stumm, so leb- und regungslos; sie wissen nicht, was sie antworten sollen. Etwas so Entsetzliches ist über sie hereingebrochen, daß es ihnen die Sprache verschlagen hat. Sie suchen ihm zu entrinnen, indem sie den Blick davon abwenden und sich in die vielen drängenden Sorgen des Alltags verlieren. Vielleicht finden sie dort Schutz .. vor der bangen Befürchtung, daß etwas bei dem deutschen Volke nicht stimmt, und zwar in den Grundlagen seines ganzen Daseins. (Pribilla 1947, S. 45) Kein Volk kann so sehr nach Freiheit dürsten, wie unser Volk, .. das durch die furchtbare Tyrannei der Hitlerei hindurchgegangen ist. Hunderttausende von uns haben in den Kerkern und Konzentrationslagern geschmachtet und ihr Leben gelassen. (Reuter 1947, S. 197 f.) Wir haben völkerrechtlich die Verantwortung des deutschen Volkes für die von dem Nazisystem begangenen Verbrechen anzuerkennen. Dabei ist diese völkerrechtliche Verantwortung aber keineswegs gleichbedeutend mit einer Kollektivschuld des deutschen Volkes oder gar mit einer kriminellen Schuld jedes einzelnen Deutschen. Indem das Militärtribunal in Nürnberg sogar Männer wie Papen und Schacht, die in den Augen des deutschen Volkes schuldig sind, freigesprochen hat, ist die Sinnlosigkeit des Versuches, alle Deutschen zu Verbrechern zu stempeln, vor aller Welt dargetan. (Geiler 1947, S. 210)
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Dieses Buch will in keiner Weise eine Gesamtverantwortung des deutschen Volkes für die Untaten des Hitler-Regimes ablehnen, wendet sich aber mit Schärfe gegen die Behauptung der Gesamtschuld des deutschen Volkes (Pechel 1947, S. 13). Wir Sozialisten sind konsequente Demokraten, indem wir für die allseitige Entfaltung dieses Verantwortungsbewußtseins des Volkes in den staatlichen Angelegenheiten eintreten. (Grotewohl 1947, S. 283) die volle Volksherrschaft als Grundprinzip der Demokratie, ist für uns unabdingbar, und damit erst werden auch die Freiheitsrechte des Volkes für uns unabdingbar (Grotewohl 1947, S. 284 f.). ein solcher Ruf nach dem starken Staat [ging] immer von denen aus .., die die Emanzipation des Volkes scheuten und das Freiheitsstreben des Volkes zu unterdrücken bemüht waren (Grotewohl 1947, S. 286). Demokratisierung unseres Volkes [ist] nur möglich .. durch seine allseitige politische Aktivierung (Grotewohl 1947, S. 287). auf die ‚Höhen der Menschheit‘ im Sinn früherer Jahrhunderte zu gelangen, ist heute für uns weder Hoffnung noch Ziel. Es wird schon sehr viel sein, wenn wir ein leidlich gesichertes Dasein als Kulturvolk retten können. Aber auch dazu bedarf es des Selbstvertrauens an Stelle mutloser Selbstverzweiflung. Und die Betrachtung unserer deutschen Vergangenheit gibt uns dazu – trotz allem – das Recht (Ritter 1948, S. 200). Heute sind wir Deutschen alle in der gleichen Verdammnis. .. wir zählen alle zum deutschen Volke und werden ohne Unterschied haftbar gemacht für die Folgen der wahnwitzigen Politik, die in seinem Namen getrieben worden ist. Aus dieser gemeinsamen Haftung kann sich keiner befreien (Keil 1948, S. 701). es geht um die Einheit Deutschlands, um die Entfaltung einer Volksdemokratie, um die Hebung des Wohlstandes des deutschen Volkes und um die Sicherung des Friedens. (Pieck 1948, S. 147) Das ganze Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden (Giese 1949, S. 6). die besten Vertreter der deutschen Arbeiterklasse, die .. mutig und entschlossen schon an die Aufbauarbeiten gingen, als die Trümmerstätten in unseren Städten und Dörfern noch rauchten. .. Zu den besten Vertretern der deutschen Arbeiterklasse gesellten sich die besten aktivsten Deutschen. Intellektuelle, Angestellte, fortschrittliche Menschen aus allen Schichten des Volkes arbeiteten unter den schwierigsten Lebensverhältnissen, von dem Willen erfüllt, unser Volk aus seiner tiefsten Not herauszubringen. (Pieck 1949, S. 297) Wir sind uns der großen Verantwortung wohl bewußt, die dem deutschen Volke durch die Duldung und Unterstützung des barbarischen Hitlerkrieges aufgeladen wurde, und wir sind uns auch der Verpflichtungen bewußt, die wir zur Wiedergutmachung gegenüber den vom Hitlerkrieg betroffenen Ländern haben. (Pieck 1949, S. 301) die Arbeitnehmer [sind] nicht verzweifelt. Sie haben die stumpfe Lähmung, die sich des ganzen Volkes zu bemächtigen drohte, abgeschüttelt und haben, im festen Glauben an die guten Kräfte unseres Volkes, selbstlos gearbeitet .. um .. das Ganze zu retten (DGB 1949, S. 184). Das deutsche Volk ist gewillt, das Unrecht, das in seinem Namen durch ein verbrecherisches Regime an den Juden verübt wurde, soweit wiedergutzumachen, wie dies nur möglich ist, nachdem Millionen Leben unwiederbringlich vernichtet sind. Diese Wiedergutmachung betrachten wir als unsere Pflicht. (Adenauer 1949c, S. 52 f.)
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hier, in der Heimat leben die wahren deutschen Möglichkeiten, vorübergehend verschüttet durch die Katastrophe, aber unversiegbar und unerschöpflich, wenn sich das deutsche Volk ihnen zuwendet. (Grotewohl 1950a, S. 52) Das deutsche Volk hat in seiner überwiegenden Mehrheit die an den Juden begangenen Verbrechen verabscheut und hat sich an ihnen nicht beteiligt. Es hat in der Zeit des Nationalsozialismus im deutschen Volk viele gegeben, die mit eigener Gefährdung aus religiösen Gründen, aus Gewissensnot, aus Scham über die Schändung des deutschen Namens ihren jüdischen Mitbürgern Hilfsbereitschaft gezeigt haben. Im Namen des deutschen Volkes sind aber unsagbare Verbrechen begangen worden, die zur moralischen und materiellen Wiedergutmachung verpflichten, sowohl hinsichtlich der individuellen Schäden, die Juden erlitten haben, als auch des jüdischen Eigentums, für das heute individuell Berechtigte nicht mehr vorhanden sind (Adenauer 1951b, S. 46 f.). Borges sagte: Gestern noch war es absolut verboten, vom sozialistischen Aufbau unserer Republik zu reden. Wir waren eine ‚antifaschistisch demokratische Republik‘, keine, ausdrücklich keine ‚Volksdemokratie‘ (Klemperer 1952, Tagebücher 1950–1959, S. 299). Sicher: bei weitem nicht alle Deutschen waren Nationalsozialisten, und es hat auch manche Nationalsozialisten gegeben, die mit den begangenen Greueln nicht einverstanden waren. Trotzdem ist dieser Akt der Wiedergutmachung durch das deutsche Volk notwendig. Denn unter Mißbrauch des Namens des deutschen Volkes sind die Untaten begangen worden. Soweit überhaupt durch unsere Kraft etwas für die Beseitigung der Folgen geschehen kann – ich denke hier an die entstandenen materiellen Schäden, die der Nationalsozialismus den von ihm Verfolgten zugefügt hat –, hat das deutsche Volk die ernste und heilige Pflicht zu helfen, auch wenn dabei von uns, die wir uns persönlich nicht schuldig fühlen, Opfer verlangt werden, vielleicht schwere Opfer. Die Bundesregierung hat seit ihrem Bestehen diese Pflicht immer anerkannt. Durch ihre Erfüllung wollen wir die Schäden wiedergutmachen, soweit das möglich ist, soweit das in unserer Kraft steht. Der Name unseres Vaterlandes muß wieder die Geltung bekommen, die der geschichtlichen Leistung des deutschen Volkes in Kultur und Wirtschaft entspricht. (Adenauer 1953b, 199 f.) Der Beginn der von Ulbricht angekündigten ‚neuen Phase‘ brachte die Frage der ‚Volksdemokratie‘ auf die Tagesordnung – jenes System, das sich in den Ostblockstaaten herausgebildet hatte. Bis zum Frühjahr 1948 war die Definition von Inhalt und Wesen des Begriffes ‚Volksdemokratie‘ eines der wenigen ‚ungelösten‘ Probleme, für die es noch keine offiziellen Richtlinien gab. (Leonhard 1955, S. 593 f.)
Wende Schicksalswende · Weltwende · Zeitenwende Wendepunkt · Wendezeit Nichttäter Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, Kontinuität der persönlichen Existenz und vollständiger Wandel ihrer Bedingungen sind die Wahr-
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nehmungen, die das Lebensgefühl derjenigen bestimmen, die das Jahr 1945 als „Zeitpunkt des Jetzt“ empfinden, der „die Grenze [ist] zwischen Noch-nicht und Nicht-mehr“ (RGG VI 1962, S. 1881). Zwar ist Zeitreflexion überhaupt, also das Beziehen der Zeiten und ihrer Erscheinungen aufeinander, und insbesondere die Kausalisierung der ÕGegenwart aus der Vergangenheit und die Motivierung der ÕZukunft aus der Gegenwart ein genuin historiographisches Denkmuster. In der Umbruchphase der frühen Nachkriegszeit ist es jedoch ein Reflexionsmodus der Intelligenz überhaupt. Diese auf das Jetzt als Bewusstseinskategorie referierende Haltung drückt sich außerdem aus in dem häufigen Gebrauch der Zeitdeiktika ÕGegenwart, Õheute, ÕStunde, Wende, ÕZeit, in den Bewertungen der Gegenwart mit Õapokalyptisch und ÕFinsternis, sowie in den mit nie und niemals gebildeten Wendungen (Õnie). Die Wortfamilie Wende ist ein von den Nichttätern schlagwortartig gebrauchtes Deutungsmuster zur Bezeichnung ihrer Gegenwart der frühen Nachkriegszeit im Sinn von ‚Veränderung, Wandel von politischen und gesellschaftlichen Bedingungen‘, spezieller zur Bezeichnung des Übergangs von der nationalsozialistischen und Kriegs-Zeit zu einer neuen und vor allem besseren Zeit. Insofern laufen in den Bezeichnungen dieser Wortfamilie die drei Zeitdimensionen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammen. Die Wortfamilie Wende bildet das lexikalische Destillat einer Gegenwartsrezeption, die die Gegenwart als Zeit der Veränderung und des Wandels erklärt. Sie ist damit eine Gegenwartsdeutung unter dem Zeichen der Hoffnung, denn in Zeiten äußerster Zerstörung kann Veränderung nur Veränderung zum Guten bedeuten: in einem Augenblick der möglichen Wende, wir stehen an einer Wende (s. Benz 1945, S. 6 f.; Manifest 1946, S. 25). Das Ausmaß der Veränderung wird in der Zusammensetzung Schicksalswende, mit dem Adjektiv historisch bzw. mit dem Kontextpartner Geschichte ausgedrückt: an der gegenwärtigen historischen Wende, wir stehen an einem historischen Wendepunkt in der Geschichte Deutschlands, in der Geschichte unseres Volkes ist ein Wendepunkt eingetreten, Deutschlands Schicksalswende, an der Wende der deutschen Geschichte (s. KPD 1945, S. 18; Pieck 1945a, S. 7; Spandauer Synode 1945, S. 139; Ebbingaus 1947; Pieck 1949, S. 295). Wer die Epochalität der Gegenwart bezeichnet, fokussiert implizit mit Zeit(en)wende, Wendezeiten und Weltwende die Dimension des Nationalsozialismus und den Umfang der Konsequenzen seiner Vernichtung. Gleichzeitig wird
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der nationale Bezugsbereich erweitert und damit die deutsche Isolation aufgehoben, vgl. Formulierungen wie diese Zeitenwende vom bürgerlichen Zeitalter zum Zeitalter des werktätigen Volkes, Wendezeiten der Geschichte, Bewußtsein, daß wir uns im Prozeß einer Weltwende befinden, das Heraufziehen einer Zeitenwende, Fegefeuer dieser Zeitenwende (s. Kaiser 1946a, S. 217; Heim 1946, S. 5; Andersch 1946, S. 197; Pribilla 1947, S. 119; Litt 1948, S. 13). Wir beschwören dieses Große, daß es über uns komme, uns helfe, stärke, richte; uns Richtung gebe für ein besseres Wollen und höheres Streben .. Und wer könnte uns hier nötiger sein und mehr zu sagen haben in einem solchen Augenblick der .. möglichen Wende, als dieser Beethoven. (Benz 1945, S. 6 f.) In der Geschichte unseres Volkes ist ein Wendepunkt eingetreten (Spandauer Synode 1945, S. 139). Wir stehen an einem historischen Wendepunkt in der Geschichte Deutschlands (Pieck 1945a, S. 7). Wendepunkt in der äußeren Politik Deutschlands (Dahlem 1945, S. 262). Wendepunkt in der inneren Politik Deutschlands (Dahlem 1945, S. 265). An der gegenwärtigen historischen Wende (KPD 1945, S. 18). Die Bedrohung, die hinter uns liegt, und diejenige, die unserer wartet, hat nicht zur lähmenden Furcht geführt, sondern nur unser Bewußtsein dafür geschärft, daß wir uns im Prozeß einer Weltwende befinden. (Andersch 1946, S. 197) Wir stehen an einer Wende (Manifest 1946, S. 25). Wendezeiten der Geschichte (Heim 1946, S. 5). Was wir heute im deutschen Volke vor uns haben, ist keine bürgerliche Ordnung mehr. .. Ihre letzten Säulen sind vom Irrwahn des Hitlerkrieges zerstört worden .. unsere Tage [stehen] im Zeichen des werktätigen Volkes .. so bleibt uns heute die Erkenntnis, daß wir im Zeitalter des Durchbruchs der Massen des werktätigen Volkes als bestimmende Faktoren des Lebens der Nation stehen .. hier in Berlin, wo Ost- und Westeuropa im großen geschichtlichen Treffen der Nationen aufeinanderstoßen, [geht uns] diese Zeitenwende vom bürgerlichen Zeitalter zum Zeitalter des werktätigen Volkes .. stärker .. auf (Kaiser 1946a, S. 217). Nun kann es wohl keinem Zweifel unterliegen, daß die Gegenwart sich in einer Kulturkrise von unerhörter Tiefe und Härte befindet. .. Die Menschheit ist an einem kritischen Punkt ihrer Geschichte angelangt .. nichts anderes [scheint] übrig zu bleiben .., als das Werk der menschlichen Kultur von neuem zu beginnen. .. Deutlich zeichnet sich .. das Heraufziehen einer Zeitenwende ab. (Pribilla 1947, S. 119) Zu Deutschlands Schicksalswende (Ebbinghaus 1947 [Titel]). Fegefeuer dieser Zeitenwende (Litt 1948, S. 13). An der Wende der deutschen Geschichte (Pieck 1949, S. 295). Das Leben, das Emilia nicht meisterte, war Wendezeit, Schicksalszeit, aber dies nur im Großen gesehen und im Kleinen konnte man weiterhin Glück und Unglück haben, und Emilia hatte das Pech, sich hartnäckig und ängstlich an das Entschwindende zu klammern, das in einer verzerrten, ungeordneten, anrüchigen und auch ein wenig lächerlichen Agonie lag; doch war die Geburt der neuen Weltzeit nicht weniger vom Grotesken, Ungeordneten, Anrüchigen und Lächerlichen umrandet. Man
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konnte auf der einen und auf der anderen Seite leben, und man konnte auf dieser und jener Seite des Zeitgrabens sterben (Koeppen 1951, S. 83 f.).
Wiedergutmachung wiedergutmachen Nichttäter Ost/Nichttäter West
Die Diskursgemeinschaft der Nichttäter ist besorgt um die Belegung der deutschen Zeitgenossen mit dem Kollektivschuldvorwurf der Welt, den sie zurück weist (ÕKollektivschuld). Gleichzeitig erkennt sie eine kollektive ÕVerantwortung der Deutschen an, woraus sie die Verpflichtung zur ÕHaftung aller Staatsbürger für die Folgen staatlicher Handlungen und zur Wiedergutmachung ableitet: Der neue Staat muß wiedergutmachen, Deutschland will wiedergutmachen auf wirtschaftlichem und auf seelischem Gebiet (s. SPD 1945, S. 29; Eiden 1946, S. 264; Kogon 1947b, S. 250; Grüber 1947, S. 368). Haften/Haftung und Wiedergutmachung bezeichnen die Bereitschaft der Diskursgemeinschaft, die Konsequenzen aus der Erkenntnis einer deutschen ÕSchuld und der Übernahme von ÕVerantwortung zu tragen: Erkenntnis von der Mitschuld, Verantwortung für die Tilgung der Schuld, Wiedergutmachung der Schäden, wir sind politisch und juristisch verantwortlich, diese Haftung ergibt sich aus dem Fortbestand des deutschen Volkes, wir müssen versuchen wiedergutzumachen, Erbenhaftung verpflichtet uns zur Wiedergutmachung, Verantwortung und Wiedergutmachung moralischer und sittlicher Werte, wie die Gesamtheit eines Volkes die Haftung übernehmen muß, muß sie auch den Schaden wiedergutmachen, wir sind uns der großen Verantwortung bewusst und wir sind uns auch der Verpflichtungen bewusst, die wir zur Wiedergutmachung haben (s. Dahlem 1945, S. 257; Deiters 1945, S. 9; Harm 1946, S. 30 f.; Jaspers 1946, S. 171; Eckert 1946, S. 64 f.; Kogon 1947b, S. 250; Röpke 1948, S. 114; Pieck 1949, S. 301). Um Einsicht in eine moralische Schuld der Deutschen auszudrücken manifestiert also die Diskursgemeinschaft unter dem Zeichen der Leitvokabeln ÕVerantwortung, ÕHaftung und Wiedergutmachung ihre Erkenntnis über die moralisch schuldigen und damit verantwortlichen Deutschen, und Verantwortung, Haftung und Wiedergutmachung bilden so ein semantisches Bedingungsgefüge.
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Im Bedeutungsnetz des Schuldbegriffs stellen Verantwortung, Haftung, Wiedergutmachung darüber hinaus eine semantische Beziehung zu ÕReinigung, ÕKatharsis und ÕGesundung her insofern, als Verantwortung, Haftung und Wiedergutmachung gleichsam als Nachweis vollzogener Reinigung, Katharsis und Gesundung im Sinn von innerer Umkehr verstanden werden (s. Abusch 1946, S. 268; Jaspers 1946, S. 209 f.). Sie sind zudem begriffliche Konstituenten von ÕSühne unter der Voraussetzung, dass Sühne „jene Handlung von der Höhe des Gewissens aus“ bezeichnet, „die der auf der Ebene des Rechts üblichen Leistung von ‚Wiedergutmachung‘ entspricht“ (Buber 1958, S. 67). Wiedergutmachung in der Bedeutung ‚Entschädigung, Ausgleich der von den Verbrechen der Nationalsozialisten verursachten Schäden‘ bezeichnet ein verpflichtendes Projekt, vgl. die häufige Belegung von ÕPflicht als Kontextpartner von Wiedergutmachung: Anerkennung der Pflicht zur Wiedergutmachung, verpflichtet uns zur Wiedergutmachung, die Wiedergutmachung betrachten wir als unsere Pflicht, Verbrechen, die zur Wiedergutmachung verpflichten (s. KPD 1945, S. 19 f.; Pieck 1946, S. 617; Harm 1946, S. 30 f.; Adenauer 1949c, S. 52 f.; Adenauer 1951b, S. 46 f.), und deontische Formulierungen, wie wir müssen versuchen, wiedergutzumachen, die Deutschen müssen wiedergutmachen, jeder Deutsche muß mitwirken an den Wiedergutmachungen, die Gesamtheit des Volkes muß den Schaden wiedergutmachen (s. Deiters 1945, S. 9; Abusch 1946, S. 268; Jaspers 1946, S. 171; Röpke 1948, S. 114). In diesem Sinn setzt sich der Wiedergutmachungsdiskurs politisch 1949 auf höchster administrativer Ebene fort und verdichtet sich in der Bundesrepublik 1953 mit der Ratifizierung des Wiedergutmachungsgesetzes. Damit werden ab 1949 neue Schuldkategorien virulent und als politische Handlungskonzepte und damit als Diskurselemente manifest. Hinsichtlich des Referenzbereichs von Wiedergutmachung ist insofern der Gebrauch nach West und Ost zu trennen. Wiedergutmachung hat im Westen eine andere Bedeutung als im Osten. Damit stellt sich das Wiedergutmachungskonzept auch als je systemabhängig ausgedeutetes Projekt dar. Dieser Unterschied manifestiert sich z. B. in der Belegung von Verbindungen wie Wiedergutmachung moralischer Werte, moralische Wiedergutmachung, Wiedergutmachung die Erfüllung eines sittlichen Gebotes, die wesentlich für westliche Texte nachweisbar ist (s. Eckert 1946, S. 64 f.; Adenauer 1949c, S. 52 f.; Adenauer 1951b, S. 46 f.; Schumacher 1952, S. 1005 f.)
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Nichttäter Ost Zwar wird auch in der SBZ/DDR die Leitvokabel Wiedergutmachung gebraucht. Die Weigerung der DDR aber, den israelischen Wiedergutmachungsforderungen nachzukommen macht deutlich, dass Sozialisten bzw. Kommunisten der SBZ/DDR von Wiedergutmachung reden, nicht wenn sie als Empfänger Juden und andere vom Nationalsozialismus Verfolgte meinen, sondern die durch den nazistischen Krieg Geschädigten: Anerkennung der Pflicht zur Wiedergutmachung für die durch die Hitleraggression den anderen Völkern zugefügten Schäden, Wiedergutmachung des von den deutschen Truppen in den anderen Ländern Zerstörten, Wiedergutmachung der durch das Hitlerregime den anderen Völkern zugefügten Schäden, Wiedergutmachung gegenüber den vom Hitlerkrieg betroffenen Ländern (s. KPD 1945, S. 19 f.; Ulbricht 1945b, S. 431; Kulturbund 1945, S. 85; Pieck 1946b, S. 617; Pieck 1949, S. 301). Nichttäter West Verantwortung und Haftung für die Verbrechen des nationalsozialistischen Rassismus und Antisemitismus, auf diese bezogene Wiedergutmachung und in diesem Sinn handlungsverpflichtende Bezeichnungen der Politik sind Verantwortung, Haftung und Wiedergutmachung nur im Westen. „Man kann sagen, der Nationalsozialismus ist in der Bundesrepublik normativ internalisiert worden“, was bedeutet: „die Anerkennung der Haftung der Bundesrepublik für die Folgen des ‚Dritten Reiches‘ und die Akzeptanz einer auf den Nationalsozialismus und seine Verbrechen bezogenen normativen Orientierung in der politischen Kultur der Bundesrepublik“. (Lepsius 1989, S. 233) Am 12. März 1951 formulierte die israelische Regierung in einer an die vier Besatzungsmächte adressierten Note Wiedergutmachungsforderungen im Sinn eines „moralischen Imperativ[s]“ (Herf 1998, S. 333). Es ging um die Rückgabe geraubten jüdischen Besitzes und um die Unterstützung der Überlebenden, die zur Mehrzahl nach Israel gingen. Im Herbst 1951 gründeten zweiundzwanzig jüdische Gruppierungen die Claims Conference (Konferenz über jüdische materielle Ansprüche gegen Deutschland), um Verhandlungen zwischen der westdeutschen Regierung und Israel vorzubereiten. Die Sowjetunion und die DDR hatten auf die israelische Note nicht reagiert. Damit bestätigt sich, dass der westliche Wiedergutmachungsdiskurs sich als diskursive Realisation des Schulddiskurses darstellen
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lässt, während der östliche Wiedergutmachungsdiskurs in dem Kontext der Etablierung einer sozialistischen Gesellschaft steht. Im Osten wird in diesem Sinn auf der Ebene der gesellschaftlichen Öffentlichkeit kein Schulddiskurs geführt: „Durch den vollzogenen Typenwechsel zur sozialistischen Gesellschaft waren die Voraussetzungen für den Nationalsozialismus (ex post) beseitigt, und auch die Inhalte und Konsequenzen des Nationalsozialismus gehörten damit nicht mehr zur Eigengeschichte der DDR, sondern nur noch zur Geschichte der kapitalistisch gebliebenen Bundesrepublik. Der Nationalsozialismus wurde über die Kategorie des Faschismus universalisiert: er hatte für die Binnenentwicklung der DDR daher keinen Referenzcharakter mehr und diente nur noch für die Beurteilung der Bundesrepublik im Außenverhältnis zur DDR“ (Lepsius 1989, S. 232). Gegenstand der von der Claims Conference initiierten Verhandlungen der Bundesrepublik mit Israel waren Wiedergutmachungsleistungen der Bundesrepublik an Israel und das jüdische Volk. Am 27. September 1951 gibt Adenauer im Bundestag eine „Regierungserklärung zur jüdischen Frage und zur Wiedergutmachung“ ab angesichts „des unermeßlichen Leides .., das in der Zeit des Nationalsozialismus über die Juden .. gebracht wurde“ (s. Adenauer 1951b, S. 46 f.). Der Text dieser Erklärung ging verschiedentlich zwischen Jerusalem und Bonn hin und her und einige „Wendungen waren ihm direkt aus Jerusalem diktiert worden“ (Segev 1995, S. 273). Allerdings ist Adenauer nicht auf alle Formulierungswünsche eingegangen. Auf Verlangen David Ben Gurions sollte Adenauer eine deutsche Kollektivschuld bekennen, was dieser ablehnte. Einen in einer früheren Fassung der Erklärung enthaltenen entsprechenden Vorwurf „wies er.. sogar explizit zurück. Zu diesem Punkt war ihm nicht mehr zu entlocken als die Wendung ‚im Namen des deutschen Volkes‘ seien ‚unsagbare Verbrechen begangen worden‘.“ (Segev 1995, S. 274) Ungeachtet der „verstörende[n] Weitschweifigkeit“ (Herf 1998, S. 335), mit der Adenauer die angebliche nazifeindliche Haltung der deutschen Mehrheit ausbreitete, der lapidaren Kürze, mit der er die Verbrechen an den Juden, zudem in passivischer Konstruktion und mit vermeidender Täteridentifizierung, erledigt, und auch ungeachtet der Nichtbereitschaft, eine deutsche Schuld über die Formulierung im Namen des deutschen Volkes hinaus gehend zu bekennen, macht der Text deutlich, dass Adenauer sehr an dieser moralischen und materiellen Wiedergutmachungsleistung gelegen war. Sie versprach wie kaum ein anderer Sühneakt nach 1945 Rehabilitierung. Insofern ist Adenauer „das Ver-
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dienst zu[zubilligen], gegen die massive Ablehnung im eigenen, bürgerlich-konservativen Lager und mit Unterstützung der sozialdemokratischen Opposition die ‚Kollektivverantwortung‘ (Theodor Heuss) der Deutschen als Schuldanerkennung und Pflicht zur Wiedergutmachung definiert zu haben“ (Reichel 1995, S. 43). Ergebnis der Verhandlungen mit dem Staat Israel war die Unterzeichnung des Luxemburger Abkommens am 10. September 1952. Anlässlich der Ratifizierungsdebatte zum Wiedergutmachungsabkommen wiederholt Adenauer am 4. März 1953 im Bundestag seine Argumente, die deutlich machen, dass der Gebrauch der Leitvokabel Wiedergutmachung von zwei Impulsen, nämlich Wiedergutmachung als moralisches Bedürfnis und Wiedergutmachung aus politischem Kalkül, bestimmt ist (s. Adenauer 1953b, S. 199 f.). In der Ausdeutung ‚Wiedergutmachung aus moralischen Gründen‘ lassen sich in diesem Zusammenhang Parallelen zum Schulddiskurs in der jüdischen Presse ziehen. Wiedergutmachung ist auch dort Leitwort: Wenn Überlebende „von der Schuldfrage sprechen, sprechen sie fast immer von den zu ziehenden Konsequenzen, sprechen sie von der ‚Wiedergutmachung‘, sprechen sie von ihr im Kontext von Schuld.“ (Geis 1999, S. 239) Wiedergutmachung wurde „von Anfang an in den deutsch-sprachigen jüdischen Publikationen gebraucht, allerdings nicht ohne zu erläutern, dass es sie nicht wirklich geben könnte“ (ebd., S. 335 f.). Hannah Arendt berichtet am 17. August 1946 in einem Brief an Karl Jaspers, wie ihr Mann sich zu deutscher Verantwortung und Wiedergutmachung stellt: „Monsieur vor allem insistiert, daß ein Übernehmen der Verantwortung in mehr bestehen müsse als in dem Akzeptieren der Niederlage und der damit verbundenen Konsequenzen. Er sagt seit langem schon, daß ein solches Übernehmen der Verantwortlichkeit, das ja eine Vorbedingung für die Weiterexistenz des Volkes (nicht der Nation) ist, mit einer positiven politischen Willenserklärung an die Adresse der Opfer verbunden sein müsse. Das soll natürlich nicht heißen, daß man versucht gutzumachen, wo nichts mehr gutzumachen ist“ (Arendt-JaspersBriefwechsel S. 89). Der neue Staat muß wiedergutmachen, was an den Opfern des Faschismus gesündigt wurde, er muß wiedergutmachen, was faschistische Raubgier an den Völkern Europas verbrochen hat (SPD 1945, S. 29). Anerkennung der Kriegsschuld Deutschlands. .. Wir haben Unsägliches wiedergutzumachen. Wir bekennen uns zur Wiedergutmachung (Kulturbund 1945, S. 85).
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Erkenntnis von der Mitschuld des deutschen Volkes an den Untaten des Hitlerregimes, von der Verantwortung für die Tilgung dieser Schuld. Die Wiedergutmachung der Schäden ist die grundlegende Voraussetzung für jeden Neuaufbau in Deutschland. (Dahlem 1945, S. 257) Daß wir für die Politik, die zwölf Jahre in unserem Namen geführt worden ist, politisch und juristisch verantwortlich sind, ist eine Selbstverständlichkeit. Diese Haftung ergibt sich einfach aus dem Fortbestand des deutschen Volkes als einer geschlossenen Masse auf dem größten Teil ihres alten Bodens .. wir [müssen] solidarisch die Verantwortung auf uns nehmen für das, was in unserem Namen an unerhörten Freveln verübt worden ist. Wir müssen aus eigenem Entschluß versuchen wiedergutzumachen, was möglich ist, und unsere ganze Kraft dafür einsetzen, daß durch Menschen unserer Sprache und unseres Blutes nie wieder dergleichen geschieht (Deiters 1945, S. 9). Anerkennung der Pflicht zur Wiedergutmachung für die durch die Hitleraggression den anderen Völkern zugefügten Schäden (KPD 1945, S. 19 f.). Schwerer fühlbar [als die Entwaffnung] ist die Wiedergutmachung des von den deutschen Truppen in den anderen Ländern Zerstörten. Erst in Verbindung mit dem Ersatz der industriellen Einrichtungen, die deutsche Truppen in den anderen Ländern zerstört haben, wird vielen Deutschen die Größe der Verbrechen der Hitler-Armee bewußt. (Ulbricht 1945b, S. 431) Es ist selbstverständlich, daß die SED die Herstellung friedlicher Beziehungen zu den anderen Völkern mit der vollen Anerkennung der Pflicht zur Wiedergutmachung der durch das Hitlerregime den anderen Völkern zugefügten Schäden als ihre Forderung aufstellt. (Pieck 1946b, S. 617) Wir Deutschen befinden uns .. in einer ähnlichen Lage wie die Kinder eines nach betrügerischem Bankrott verstorbenen Vaters, die die Erbschaft nicht ausgeschlagen haben. Sie sind dann zwar nicht schuldig, wie der Verstorbene, aber sie haften; und diese Erbenhaftung verpflichtet uns zur Wiedergutmachung (Harm 1946, S. 30 f.). Die Deutschen müssen wiedergutmachen, was deutsche Hände verbrachen. Ohne diesen ersten und ehernen Grundsatz kann es keine moralische Erneuerung des deutschen Volkes geben. Es handelt sich nicht um Rache, nicht um biblische Schuld und Sühne, sondern – neben der materiellen Hilfe für die ausgeplünderten Völker Europas – um die Hinführung der Deutschen zu ihrem besseren Selbst, um die Voraussetzung aller Umerziehung. Denn die Vernichtung der Naziverbrecher ist nur ein Teil der deutschen Selbstreinigung. (Abusch 1946, S. 268) Das ganze deutsche Volk muß teilnehmen am Kampfe gegen den Hitlerfaschismus und wie es im Schwur von Buchenwald heißt, bis auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht. Die Vernichtung des Faschismus mit seinen Wurzeln, die Wiedergutmachung der von ihm verursachten Schäden sei unser aller Losung. Und unser aller Ziel sei der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit, eines wirklich demokratischen Deutschlands! (Eiden 1946, S. 264) Jeder Deutsche, ausnahmslos, hat teil an der politischen Haftung. Er muß mitwirken an den in Rechtsform zu bringenden Wiedergutmachungen. (Jaspers 1946, S. 171) Reinigung bedeutet im Handeln zunächst Wiedergutmachung. Politisch heißt das, aus innerem Jasagen die Leistungen zu erfüllen, die in Rechtsform gebracht unter eigenen Entbehrungen den von Hitlerdeutschland angegriffenen Völkern einen Teil des Zerstörten wiederherstellen. .. Wiedergutmachung ist jedoch noch mehr. Wer von der Schuld, an der er Teil hat, innerlich ergriffen ist, will helfen jedem, dem
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Unrecht geschah durch die Willkür des rechtlosen Regimes. .. Dieser Weg der Reinigung durch Wiedergutmachung ist unausweichlich. Aber Reinigung ist viel mehr. Auch die Wiedergutmachung wird ernstlich nur gewollt, und sie erfüllt ihren ethischen Sinn nur als Folge unserer reinigenden Umschmelzung. Klärung der Schuld ist zugleich Klärung unseres neuen Lebens und seiner Möglichkeiten. Aus ihr entspringt der Ernst und der Entschluß. (Jaspers 1946, S. 209 f.) Verantwortung und Wiedergutmachung moralischer und materieller Werte, die vom ganzen Volke zu tragen sind und getragen werden (Eckert 1946, S. 64 f.). Wer schuldhaft gehandelt hat, ist zu bestrafen; wer fahrlässig gehandelt hat, ist für den Schaden verantwortlich und muß unter Umständen bestraft werden; wer sich geirrt hat und die Konsequenzen daraus zieht, wird freiwillig tun, was in seiner Kraft liegt, um zur Wiedergutmachung beizutragen. (Kogon 1947b, S. 250) Deutschland will wiedergutmachen nicht nur auf wirtschaftlichem Gebiet, sondern auch auf seelischem Gebiet. Deutschland hat durch Generationen die Welt beunruhigt und auseinandergebracht. Es soll und will jetzt kein Unruheherd bleiben (Grüber 1947, S. 368). So .. wie die Gesamtheit eines Volkes die Haftung für die Schulden einer Regierung auch dann übernehmen muß, wenn es sie durch eine Revolution desavouiert hat, muß sie auch den Schaden grundsätzlich wiedergutmachen, den seine Regierung anrichtet. Es ist dies nicht eine Schuld des einzelnen, sondern der durch den Staat vertretenen Gesamtheit .. unterschiedslose[..] moralisch-juristische[..] Kollektivschuld, im Sinne .. der öffentlichrechtlichen Haftung (Röpke 1948, S. 114). Das deutsche Volk ist gewillt, das Unrecht, das in seinem Namen durch ein verbrecherisches Regime an den Juden verübt wurde, soweit wiedergutzumachen, wie dies nur möglich ist, nachdem Millionen Leben unwiederbringlich vernichtet sind. Diese Wiedergutmachung betrachten wir als unsere Pflicht. Für diese Wiedergutmachung ist seit 1945 viel zu wenig geschehen. Die Bundesregierung ist entschlossen, die entsprechenden Maßnahmen zu treffen. .. Die moralische Wiedergutmachung ist ein Teil unseres rechtsstaatlichen Wiederaufbaues. Die Bundesregierung wird aufmerksam über die Einhaltung des Grundrechtsartikels wachen, der es verbietet, irgendjemand zu benachteiligen (Adenauer 1949c, S. 52 f.). Wir sind uns der großen Verantwortung wohl bewußt, die dem deutschen Volke durch die Duldung und Unterstützung des barbarischen Hitlerkrieges aufgeladen wurde, und wir sind uns auch der Verpflichtungen bewußt, die wir zur Wiedergutmachung gegenüber den vom Hitlerkrieg betroffenen Ländern haben. (Pieck 1949, S. 301) Das deutsche Volk hat in seiner überwiegenden Mehrheit die an den Juden begangenen Verbrechen verabscheut und hat sich an ihnen nicht beteiligt. Es hat in der Zeit des Nationalsozialismus im deutschen Volk viele gegeben, die mit eigener Gefährdung aus religiösen Gründen, aus Gewissensnot, aus Scham über die Schändung des deutschen Namens ihren jüdischen Mitbürgern Hilfsbereitschaft gezeigt haben. Im Namen des deutschen Volkes sind aber unsagbare Verbrechen begangen worden, die zur moralischen und materiellen Wiedergutmachung verpflichten, sowohl hinsichtlich der individuellen Schäden, die Juden erlitten haben, als auch des jüdischen Eigentums, für das heute individuell Berechtigte nicht mehr vorhanden sind (Adenauer 1951b, S. 46 f.). [Die Wiedergutmachung ist] die Erfüllung eines sittlichen Gebotes .. Sie werden mit mir darin einig sein, wieviel für die moralische und politische Rehabilitierung Deutschlands davon abhängt, die Verhandlungen mit dem Staate Israel durch den
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Winkel
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Beweis unseres guten Willens zu einem beiderseits befriedigenden Erfolg zu führen. (Schumacher 1952, S. 1005 f.) mit diesem Vertrage, zusammen mit dem in Kürze dem Bundestag zugehenden Entschädigungsgesetz, bestätigt die Bundesregierung nunmehr durch die Tat den feierlich versprochenen Abschluß eines für jeden Deutschen traurigsten Kapitels unserer Geschichte. Eine solche Tat ist schon aus moralischen Gründen eine Notwendigkeit. Sicher: bei weitem nicht alle Deutschen waren Nationalsozialisten, und es hat auch manche Nationalsozialisten gegeben, die mit den begangenen Greueln nicht einverstanden waren. Trotzdem ist dieser Akt der Wiedergutmachung durch das deutsche Volk notwendig. Denn unter Mißbrauch des Namens des deutschen Volkes sind die Untaten begangen worden. Soweit überhaupt durch unsere Kraft etwas für die Beseitigung der Folgen geschehen kann – ich denke hier an die entstandenen materiellen Schäden, die der Nationalsozialismus den von ihm Verfolgten zugefügt hat –, hat das deutsche Volk die ernste und heilige Pflicht zu helfen, auch wenn dabei von uns, die wir uns persönlich nicht schuldig fühlen, Opfer verlangt werden, vielleicht schwere Opfer. Die Bundesregierung hat seit ihrem Bestehen diese Pflicht immer anerkannt. Durch ihre Erfüllung wollen wir die Schäden wiedergutmachen, soweit das möglich ist, soweit das in unserer Kraft steht. Der Name unseres Vaterlandes muß wieder die Geltung bekommen, die der geschichtlichen Leistung des deutschen Volkes in Kultur und Wirtschaft entspricht. Wir haben es bei dem Ihnen heute vorliegenden Vertragswerk, das die Wiedergutmachung zugunsten der Juden behandelt, mit einem Teilabschnitt des Gebietes der Wiedergutmachung zu tun, allerdings vielleicht mit dem wichtigsten. Die Juden, nicht nur in Deutschland, sondern überall, wohin der Arm des Nationalsozialismus reichte – und das war lange Zeit während des Krieges der größte Teil von Europa –, haben die grausamste Verfolgung über sich ergehen lassen müsse. Das Ausmaß dieser Verfolgung, die Opfer an Menschen und materiellen Werten, die sie zur Folge hatte, rechtfertigt nicht nur, sondern verlangt eine Sonderbehandlung der Wiedergutmachung an den jüdischen Verfolgten. (Adenauer 1953b, S. 199 f.)
Winkel Opfer Häftlinge in Konzentrationslagern haben unterschiedliche Status, je nach bestimmten Eigenschaften, die die Nationalsozialisten als Begründung für Diskriminierung und Mord vorgaben. Einen solchen Status bezeichnen z. B. die Ausdrücke Bibelforscher, Juden, Homosexuelle, Zigeuner, BVer i.e. ‚Berufsverbrecher‘, eigentlich ‚befristete Vorbeugungshäftlinge‘, „woraus, unter Verwendung der gleichen Anfangsbuchstaben, die Bezeichnung ‚Berufsverbrecher‘ geworden ist“ (Kogon 1946a, S. 68). Diese Personenbezeichnungen sind gleichsam die Heterostereotype der Täter und werden in den Opferberichten gleichzeitig als Autostereotype verwendet.
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Winkel
Repräsentiert werden diese Status durch den Winkel in der Bedeutung ‚farbiges Stück Stoff, das an die Kleidung von KZ-Häftlingen genäht war, und dessen Farbe (und ggf. Buchstaben) die Häftlinge in Kategorien ordneten, die den Grund ihrer Haft bezeichneten‘. Winkel als „Geheimzeichen“ des Konzentrationslagers (Vermehren 1946, S. 14) schaffen ein wohldurchdachtes Klassensystem, das die gesellschaftliche Wirklichkeit umkehrt. Daher verleiht eine Kategorie, deren Farbbezeichnung häufig substantiviert wird (Rote, Grüne usw.), einem Häftling den Status innerhalb der Hierarchie der KZHäftlinge. Vgl. Winterfeldt 1968, S. 140 f. Etwa ein Viertel der .. Insassen des Lagers trug den roten Winkel der politischen Häftlinge. Sie stellten die eigentliche Klasse der „Staatsfeinde“ und bestanden zu 80 Prozent aus Kommunisten. Die übrige Gesellschaft war mehr als gemischt. Vom harmlosen Bettler bis zum gemeingefährlichen Strolch trugen sie den schwarzen Winkel der Asozialen. Die zahlreichen Juden waren gekennzeichnet durch den gelben Zionsstern mit den Unterscheidungen in politische und asoziale Häftlinge. Die besonders gehaßten Bibelforscher, etwa 400 durchweg aufrechte Menschen und willensstarke Charaktere, hatten den violetten Winkel. Dazu kamen noch die kleineren Gruppen der Zigeuner (brauner Winkel), Polen (brauner Winkel mit P), Homosexuellen (rosaroter Winkel), Emigranten (blauer Winkel), ehemaligen Mitglieder der SS (roter Winkel auf beiden Seiten der Bluse) und der Berufsverbrecher (grüner Winkel). (Steinwender 1946, S. 19) Die SS scheute .. nicht davor zurück, Berufsverbrechern den roten Winkel der politischen zu geben. .. Umgekehrt sind Fälle vorgekommen, in denen politische Gefangene, die nach Verbüßung ihrer infolge politischer Handlungen erhaltenen Strafen, nach Buchenwald kamen und den grünen Winkel der Berufsverbrecher erhielten, um sie dadurch in den Augen der politischen Häftlinge herabzusetzen und Zwietracht unter ihnen zu säen. (Eiden 1946, S. 220) die Mehrzahl der Prominenten in Auschwitz trug grüne Winkel – sie waren also Verbrecher. Natürlich hatte die SS sie mit Absicht zu unseren Herrschern gemacht. Wer anders sonst als dieser Menschenschlag, – Einbrecher, Räuber, Totschläger und selbst Raubmörder, zum Tode verurteilt und zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt – hätte die viehischen Grausamkeiten verüben können, die sie begingen? Politische Häftlinge, die fast alle aus idealen Gründen im K.Z. waren, hätten sich .. kaum dazu hergegeben (Klieger 1958, S. 40).
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Zebrakleidung
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Zebrakleidung Opfer Bezeichnung für die gestreifte Kleidung der KZ-Häftlinge. Synonym gebraucht werden blau-weiß gestreifte Monturen, Häftlingstracht, längsgestreifte Häftlingskleidung, gestreifter Anzug, blaugrau bestreifte Kittel. Diese Bezeichnungen für das „seelische Sterbekleid“ (Vermehren 1946, S. 108) sind in den Texten der Opfer hochfrequentes Symbol der Entwürdigung, mit dem sie auf die ihnen zugemutete Identität verweisen, die ‚Nicht-Identität‘ bedeutete (ÕNummer). in blau-weiß gestreiften Monturen sich ängstlich bewegende Menschen (SchifkoPungartnik 1946, S. 9 f.). Drei Autos voller Häftlinge in Zebrakleidung, Zigeuner (Dietmar 1946, S. 53). Man trug Zebrakleidung, hatte das Haupthaar geschnitten .. und so wurde man in Außenkommandos der Bevölkerung vorgeführt. (Kogon 1946a, S. 403) Jeder Insasse eines KZ war uniformiert mit der blau-weiß gestreiften Häftlingstracht .. Die Figur des blau-weiß gestreiften und numerierten „Konzentrationärs“ ist ein Bild aus der Wirklichkeitsschau der SS. .. An diesem Bilde des gestreiften Konzentrationärs, wie die SS es bestimmt hatte, hat sich die ganze höllische Menschenunwürdigkeit der Konzentrationslager entfaltet; denn in diesem Bilde war das den Menschen kennzeichnende Merkmal „Person“ zu sein, nicht mehr enthalten. (Vermehren 1946, S. 105) das „Zebra“ .., die längsgestreifte Häftlingskleidung .. Diese Anzüge waren es, die die Zivilfranzosen in Auschwitz die Häftlinge „les pyjamas“ nennen ließen (Kautsky 1948, S. 299). Polen, die blaugrau bestreifte Kittel trugen (Adelsberger 1956, S. 27).
Zeit Entscheidungszeit · Schicksalszeit · Weltzeit · Wendezeit Zeitabschnitt · Zeitalter · Zeitgraben · Zeit(en)wende Nichttäter Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, Kontinuität der persönlichen Existenz und vollständiger Wandel ihrer Bedingungen sind die Wahrnehmungen, die das Lebensgefühl derjenigen bestimmen, die das Jahr 1945 als „Zeitpunkt des Jetzt“ empfinden, der „die Grenze [ist] zwischen Noch-nicht und Nicht-mehr“ (RGG VI 1962, S. 1881). Zwar ist Zeitreflexion überhaupt, also das Beziehen der Zeiten und ihrer Erscheinungen aufeinander, und insbesondere die Kausalisierung der ÕGegenwart aus der Vergangenheit und die Motivierung
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der ÕZukunft aus der Gegenwart ein genuin historiographisches Denkmuster. In der Umbruchphase der frühen Nachkriegszeit ist es jedoch ein Reflexionsmodus der Intelligenz überhaupt. Diese auf das Jetzt als Bewusstseinskategorie referierende Haltung drückt sich außerdem aus in dem häufigen Gebrauch der Zeitdeiktika Õheute, ÕStunde, ÕWende, Zeit, in den Bewertungen der Gegenwart mit Õapokalyptisch und ÕFinsternis, sowie in den mit nie und niemals gebildeten Wendungen (Õnie). Mit Zeit referieren die Nichttäter auf ihre Gegenwart, um sich und die Geschehnisse zu den zeitlichen Verhältnissen, zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, in Beziehung zu setzen (s. Gollwitzer 1951, S. 339 f.). Dabei wird der Gegenwartsbezug von Zeit in der Bedeutung ‚jetzt, heute, nachdem der Krieg und die nationalsozialistische Herrschaft beendet ist‘ besonders hervorgehoben: unsere/in dieser/in solch einer Zeit, Zeit, in der wir stehen/die wir durchleben. Formulierungen wie Frage unserer Zeit, Menschen unserer Zeit, zu keiner Zeit, Probleme der Zeit, diese unausschöpfbare Zeit (s. Dirks 1946, S. 193; Steinbüchel 1946/47, S. 20 f.; Huch 1947a, S. 102; Nigg 1949, S. 12) drücken diesen Gegenwartsakzent aus. Gelegentlich wird dabei das Desaster der Nachkriegszeit bezeichnet: Finsternis der Zeit, apokalyptische Zeiten, Sturm dieser Zeit, stürmische Zeiten, schmerzvolle und verzerrte Züge der Zeit, das Problem unserer Zeit (s. Althaus 1945c, S. 288; Dibelius 1945, S. 117; Weisenborn 1947, S. 108; Müller-Armack 1949, S. 21; Müller-Armack 1949, S. 32 f.; Adenauer 1951a, S. 225). Vor allem aber bestimmt das Merkmal der Diskontinuität die Bedeutung von Zeit, das sich insbesondere in den Zusammensetzungen Zeitenwende (ÕWende), Wendezeit (ÕWende), Entscheidungszeit, Schicksalszeit ausdrückt. Diese Epochalität der Gegenwart wird zumeist im Sinn von ‚Neubeginn‘ bezeichnet, in den das Moment des Endes einbezogen ist: neuer Zeitabschnitt, Schicksalszeit, Entscheidungszeit .. Größe dieser Zeit, (das Heraufziehen einer/Fegefeuer dieser) Zeitenwende, neues Zeitalter, Geburtswehen der neuen Zeit, ein Zeitalter geht zu Ende, neue Weltzeit (s. Preysing 1945c, S. 25; Wunderle 1946, S. 4; Grimme 1945a, S. 32; Kaiser 1946a, S. 217; Färber 1947, S. 423; Litt 1948, S. 13; Fuchs 1948, S. 7; Kolbenhoff 1949, S. 91; Koeppen 1951, S. 83 f.). Besonders die Zusammensetzung Entscheidungszeit (s. Grimme 1945a, S. 32) referiert auf die Gegenwart als Zeit der Veränderung und des Wandels im Sinn der religiösen Wahrnehmungskategorie
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‚Kairos‘, die das Benennungsmotiv liefert (Õapokalyptisch). In der Lehre der Eschatologie ist Zeit nicht nur Endzeit, sondern auch „endgültig entscheidende Zeit (Kairos)“ (RGG 1957 III, S. 651), und der „Christ weiß nicht nur um den entscheidenden Kairos vor sich, sondern auch um den hinter sich: die Entscheidung ist gefallen“ (ebd., S. 681). Umformuliert auf die deutsche Nachkriegszeit bezogen bedeutet diese Vorstellung, dass der Deutsche nicht nur um den Untergang des Nationalsozialismus weiß, sondern auch um die Notwendigkeit der Richtunggebung (ÕWende). Er hat ein Bewusstsein über die Reichweite dieser Richtunggebung, über die Größe dieser in die Zukunft gerichteten Zeit. Den Kairos begreifen, heißt zu begreifen, dass es „den rechten Augenblick gibt, in dem er [der Mensch] selbst in unendlicher Einmaligkeit sein Leben bestimmt bzw. dieses entscheidend bestimmt wird“ (Krings/Baumgartner/Wild 1974 VI, S. 1802). Diese Vorstellung unendlicher Einmaligkeit prägt das Denken der Nichttäter, ebenso wie die einer Bestimmung, die sich in der Gegenwart vollzieht und die nichts anderes sein kann als ‚Neubestimmung‘. Zeit, insbesondere in Zusammensetzungen wie Zeit(en)wende, Zeitalter, Weltzeit, referiert darüber hinaus implizit auf den niedergegangenen Nationalsozialismus und den Umfang der Konsequenzen seiner Vernichtung: das Grab eines Zeitalters, Geburtswehen der neuen Zeit, Heraufziehen einer Zeitenwende, Ein Zeitalter geht zu Ende, ein neuer Menschheitstag steigt unter Geburtswehen unter den Völkern auf (s. Wiechert 1945, S. 31; Färber 1947, S. 423; Pribilla 1947, S. 119; Fuchs 1948, S. 7) Daher sind Zeit, Zeitenwende, Zeitalter, Weltzeit nicht nur einen Umbruch bezeichnende Ausdrücke. Das damit ausgedrückte Zeitbewusstsein ist auf die Aufhebung der deutschen Isolierung gerichtet. In dieser Deutung trägt die Gegenwart die übernationale Signatur im Sinn einer ‚Weltenwende‘. Seltener werden Bezeichnungen der Wortfamilie in der Bedeutung ‚Ende‘, ohne eine in die Zukunft verweisende Perspektive gebraucht: Grab eines Zeitalters, dieses Zeitalter läuft heute ab (s. Wiechert 1945, S. 31; Müller-Armack 1949, S. 149; Gablentz 1949, S. 55). Vgl. KpWb 1983, s.v. Zeitbewußtsein der übergroßen Finsternis der Zeit (Althaus 1945c, S. 288). Es liegt ein neuer Zeitabschnitt vor uns (Preysing 1945c, S. 25). Brüder und Schwestern, es sind apokalyptische Zeiten! Der Herr kommt in mächtigen Gerichten. (Dibelius 1945, S. 117)
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[Wir] hören den Regen hinabrauschen auf die Gräber der Toten und auf das Grab eines Zeitalters. (Wiechert 1945, S. 31) Schicksalsstunde .. Entscheidungszeit .. Kairos .. die Größe dieser Zeit .., die uns erlaubt, die Welt von allen Vorurteilen frei neu aufwachsen zu lassen aus der Wurzel, .. Aufbau aus dem Nichts, .. creatio e nihilo! (Grimme 1945a, S. 32) Was wir heute im deutschen Volke vor uns haben, ist keine bürgerliche Ordnung mehr. .. Ihre letzten Säulen sind vom Irrwahn des Hitlerkrieges zerstört worden .. unsere Tage [stehen] im Zeichen des werktätigen Volkes .. so bleibt uns heute die Erkenntnis, daß wir im Zeitalter des Durchbruchs der Massen des werktätigen Volkes als bestimmende Faktoren des Lebens der Nation stehen .. hier in Berlin, wo Ost- und Westeuropa im großen geschichtlichen Treffen der Nationen aufeinanderstoßen, [geht uns] diese Zeitenwende vom bürgerlichen Zeitalter zum Zeitalter des werktätigen Volkes .. stärker .. auf (Kaiser 1946a, S. 217). die elementare Frage unserer Zeit .. wie sind wir dahin gekommen, wo wir jetzt stehen? .. wie kommen wir wieder heraus, zurück zu einer echten Ordnung, zu Sinn und Wert (Dirks 1946, S. 193). Einesteils sind wir selbst andere geworden. Andernteils hat die Zeit mit ihrem Denken, mit ihren Wissens- und Lebensbedürfnissen ein neues Gesicht erhalten (Wunderle 1946, S. 4). Die historische Besinnung holt das Historische nicht um seiner selbst willen herauf, sie betrachtet es als gegenwärtige Wirkmacht .. Sie lehrt uns einmal die Gegenwart und ihre geistigen Wirkmächte wirklich kennen; sie lehrt uns zugleich, die Menschen unserer Zeit verstehen, ihre geistige Verfassung, ihre Motive und Ziele, so wie sie ihnen aus der geschichtlichen Entwicklung überkommen sind, in der ja alle Menschen als geschichtlich von Vergangenheit durch Gegenwart in Zukunft wandernde Menschen stehen. (Steinbüchel 1946/47, S. 20 f.) der größte Umbruch seit vielen, vielen Zeiten. .. Es bricht ein neues Zeitalter an. Der Übergang ist unbequem, vielleicht sogar schmerzhaft. Das sind .. die Geburtswehen der neuen Zeit. (Färber 1947, S. 423) Nun kann es wohl keinem Zweifel unterliegen, daß die Gegenwart sich in einer Kulturkrise von unerhörter Tiefe und Härte befindet. .. Die Menschheit ist an einem kritischen Punkt ihrer Geschichte angelangt .. nichts anderes [scheint] übrig zu bleiben .., als das Werk der menschlichen Kultur von neuem zu beginnen. .. Deutlich zeichnet sich .. das Heraufziehen einer Zeitenwende ab. (Pribilla 1947, S. 119) In die nasse Elbe, Herr Direktor. Und da habe ich mich mit Elbwasser vollaufen lassen, bis ich satt war. Einmal satt, Herr Direktor, und dafür tot. Tragisch, was? Wär das nicht ein Schlager für Ihre Revue? Chanson der Zeit: Einmal satt und dafür tot! (Borchert 1947, S. 156) Es ist die Zeit für die Dichter gekommen, .. die aufgestörte Sprache zu bändigen, das Gelichter der Raub- und Hordenwörter zu verjagen, den Trabantenwirrwarr der geschwollenen Metaphern zu verbannen und zwischen Rausch und Zucht die Sprache [ihrer] Zeit zu finden. (Weisenborn 1947, S. 106) Nachdem die Springflut des Krieges sich verlaufen hat, .. chaotische[..] Schlickwirbel[..] der Gegenwart, .. Sturm dieser Zeit, .. erregte[..] Sturmseen der Gegenwart (Weisenborn 1947, S. 108). Wohl zu keiner Zeit unserer Geschichte ist die Aufgabe [der Dichter, die Probleme der Zeit zu erfassen und ihren Gefahren zu begegnen] so schwer gewesen wie jetzt. (Huch 1947a, S. 102)
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Fegefeuer dieser Zeitenwende (Litt 1948, S. 13). Sind wir so auserwählt – wie würden wir in den Augen der Nachwelt dastehen, wenn wir uns nachsagen lassen müßten, wir seien mit fahrlässig getrübtem oder vorsätzlich verdunkeltem Bewußtsein dabei gewesen? Wir, die wir uns auf unseren „historischen Sinn“ soviel zugute zu tun gewohnt waren! Nein, da es nun einmal unser Schicksal ist, in eine Lehrzeit hineingeworfen zu sein, wie sie der Menschheit nur alle tausend Jahre beschieden zu sein pflegt, so wollen wir unsere Ehre daran setzen, diesen Kursus mit jenem Höchstmaß von Entschlossenheit, Aufnahmebereitschaft und Hingabe zu absolvieren, das erforderlich ist, damit von dem Gehalt dieser unausschöpfbaren Zeit soviel wie möglich in den Besitz unseres Geschlechts übergehe. Das eben ist die Mission, die der Geist der Geschichte uns, den Überlebenden der Katastrophe, auferlegt hat, daß wir in die Helligkeit des Gedankens und in die Wachheit des Gewissens emporheben, was das Drama dieser Weltstunde dem Wissensbereiten an blendenden Aufschlüssen zur Verfügung stellt. (Litt 1948, S. 130 ff.) Ein Zeitalter geht zu Ende, ein neuer Menschheitstag steigt unter Geburtswehen über den Völkern auf. .. Schwer drücken die Sterbensnöte einer untergehenden Welt und die Geburtswehen der neuen (Fuchs 1948, S. 7). Ich fühle, daß wir inmitten der gewaltigsten Revolution unserer Geschichte stehen .. Unsere Zeit hat Verzweiflung und Untergangsstimmung und Optimismus und Glück wie keine Zeit zuvor. Ich werde schon durchkommen, ich werde sie schon überstehen, .. wir stehen vor einem Anfang, der so versprechend ist in seiner Gewalt, daß man nicht anders sein kann als stark und optimistisch .. Das Unheil liegt hinter uns, jetzt nur noch hindurch durch den Schutt. (Kolbenhoff 1949, S. 91) Eine Zeit, welche einen Geistesumbruch von solchem Ausmaß erlebt wie die Gegenwart, ist direkt aufgefordert, an diese überfällige Revision vieler Geschichtsurteile zu gehen. (Nigg 1949, S. 12) Diesen durch alle schmerzvollen und verzerrten Züge der Zeit hindurchschimmernden Geist in unserer Gegenwart heraufzurufen (Müller-Armack 1949, S. 21). Erst aus dem lebendig gewordenen Wissen, welche Kräfte der Vergangenheit man als innerlich verwandt bejaht, gegen welche Kräfte der Vergangenheit man sich ablehnend verhält, erwächst einer Zeit das Wissen um ihre eigenste Aufgabe. .. wir, die wir das Problem unserer Zeit tiefer empfinden und kein so ungebrochenes Zutrauen zur Geschichte haben, glauben, unserer Zeit gegenüber auf diese Selbstbesinnung nicht verzichten zu dürfen. (Müller-Armack 1949, S. 32 f.) Unsere Zeit .. wurde .. in eine Lage versetzt, die .. das Zuendesein jenes Schwebezustands, jener Unentschiedenheit .. ist, in die das neunzehnte Jahrhundert seine Schöpfungen hüllte. .. Die geistige Lage unserer Gegenwart wird dadurch bestimmt, daß ein .. katastrophales .. Geschehen gleichsam einen Schlußstrich unter eine geistige Entwicklung setzt. Was sich heute vollzieht, ist .. das echte Zuendesein einer Epoche. (Müller-Armack 1949, S. 149) Wir leben in einer Zeit, welche die äußeren Sicherungen des Lebens verlor und ihren Horizont von Ungewißheiten umstellt sieht .. Nun, wo alles fraglich wurde (MüllerArmack 1949, S. 210). Dieses Zeitalter läuft heute ab. Seit Beginn des ersten Weltkrieges werden die Kennzeichen eines neuen deutlich. Im geistigen Bereich ist entscheidend, daß der Glaube an die Wissenschaft ins Schwanken gerät. Weder der Humanismus .., noch die Naturwissenschaften .. haben die soziale Frage gelöst. Die Menschen sind nicht freier und nicht glücklicher geworden (Gablentz 1949, S. 55).
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Was ist das für eine Glaswand, die die Zeiten scheidet, die sich doch jetzt in mir berühren, da ich dies beides, das Damals und das Jetzt doch selbst bin, das Damals nicht weniger als das Jetzt? Was ist die Zeit? Was ist Vergangenheit und Gegenwart? Was ist unsere Existenz in der Zeit? .. Wieso war ich das eine damals und bin ich das andere heute? Was ist denn eigentlich dieses ‚war‘ und ‚bin‘? Für andere, die mir ans Herz gewachsen sind .., ist das Heute noch ihr Jetzt, was für mich heute mein Damals ist, und weil es für sie jetzt noch Gegenwart ist, darum kann es auch für mich nie ganz zur Vergangenheit werden, – und wenn es auch für sie einmal, wie wir hoffen, vergangen sein wird, dann wird es für viele andere noch Gegenwart sein. Und was wissen wir, was für uns noch zur Gegenwart werden wird und ob wir nicht wieder einmal aus Gittern und Stacheldraht in die unerreichbare, vergangene Freiheit starren werden, wenn das heutige Jetzt zum Damals geworden sein wird! (Gollwitzer 1951, S. 339 f.) Das Leben, das Emilia nicht meisterte, war Wendezeit, Schicksalszeit, aber dies nur im Großen gesehen und im Kleinen konnte man weiterhin Glück und Unglück haben, und Emilia hatte das Pech, sich hartnäckig und ängstlich an das Entschwindende zu klammern, das in einer verzerrten, ungeordneten, anrüchigen und auch ein wenig lächerlichen Agonie lag; doch war die Geburt der neuen Weltzeit nicht weniger vom Grotesken, Ungeordneten, Anrüchigen und Lächerlichen umrandet. Man konnte auf der einen und auf der anderen Seite leben, und man konnte auf dieser und jener Seite des Zeitgrabens sterben (Koeppen 1951, S. 83 f.). Nur dann kann man .. eine gute Politik machen, wenn man sich darüber klar wird, wie sehr doch auch in den stürmischen Zeiten, in denen wir leben, das Eine, das, was kommt, eine Folge dessen ist, was vorangegangen ist, und wenn man sich .. darüber klar wird, wie stark schließlich doch der Strom ist, in dem die ganze Geschichte fließt. (Adenauer 1951a, S. 225)
Zukunft Zukunftsperspektiven · zukünftig Nichttäter Zwar ist Zeitreflexion, also das Beziehen der Zeiten und ihrer Erscheinungen aufeinander ein genuin historiographisches Denkmuster. In der Umbruchphase der frühen Nachkriegszeit ist es jedoch ein Reflexionsmodus der Intelligenz überhaupt (ÕGegenwart, Õheute, Õnie, ÕZeit, ÕStunde, ÕWende und die Bewertungen der Gegenwart mit Õapokalyptisch und ÕFinsternis; s. Tellenbach 1946a, S. 228; Steinbüchel 1946/47, S. 20 f.; Müller-Armack 1949, S. 26 f.). Dabei drücken die Nichttäter in ihren Formulierungen mit einer expliziten Zukunftsperspektive ausgesprochenen Zukunftsglauben aus, der sich auch manifestiert in dem Gebrauch der in die Zukunft verweisenden Bezeichnungen ÕWende, ÕRevision, ÕAuf-
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gabe, Õdeutsch, ÕReinigung, ÕKatharsis, ÕGesundung, Õneu, ÕHaftung, ÕVerantwortung, ÕWiedergutmachung. Nichttäter, die versuchen den Nationalsozialismus zu erklären, leiten aus ihren Erkenntnissen Zukunftsentwürfe ab. Diese Zukunftsperspektive formulieren sie paroleartig bzw. sentenzhaft: bessere Zukunft, steiler Berggrat der Zukunft, Staat der Zukunft, Zukunft Deutschlands, neue Zukunft der Freiheit und des Friedens (s. SPD 1945, S. 28; Grimme 1946d, S. 105; SED 1946a, S. 25; Köhler 1948, S. 85 f.) Vgl. KpWb 1983, s.v. Zukunft Der politische Weg des deutschen Volkes in eine bessere Zukunft .. Demokratie in Staat und Gemeinde, Sozialismus in Wirtschaft und Gesellschaft! (SPD 1945, S. 28) Und so ist die Bildung des geschichtlichen Bewußtseins immer auf die kritische Vergangenheitserforschung und auf die Erfassung der gegenwärtigen Situation wie der Zukunftsperspektiven zugleich angewiesen (Tellenbach 1946a, S. 228). auch in der ernsten Lage, in der wir uns befinden, um Deutschlands und auch um Europas willen den Mut nicht sinken zu lassen .. um mit der letzten Entschlossenheit des Lebenswillens den Blick von dem Abgrund der Vergangenheit hinweg auf den steilen Berggrat der Zukunft zu wenden, die vor uns liegt. (Geiler 1946a, S. 111) angesichts solchen Zusammenbruchs, der uns bis ins Herz hinein betrifft, ist es Gott selber, der durch den Mund der Kirche die Fessel der Schuld löst und zur Tat ruft und ein Neues pflügen will. Angesichts dieser Welt, die sich für uns heute nur mit blutigem Ernst als das erwiesen hat, was sie ist, nämlich eine verlorene Welt, ruft Gott selbst jetzt in die Verantwortung der Tat der Liebe .. Unsere Hoffnung auf die Zukunft, die Gott uns gibt, ist doch nicht zerschlagen, sie ist das, was uns geblieben ist (Harbsmeier 1946, S. 50). Demokratie und Mitschuld .. sind zwei Begriffe, in denen sich die Zukunft und die Vergangenheit wie in einem Brennpunkt auffangen (Grimme 1946d, S. 93). Der Staat der Zukunft .. wird demokratisch oder überhaupt nicht sein (Grimme 1946d, S. 105). was in Zukunft deutsche Seele sein wird, .. ist Sache der Einsamkeit des einzelnen (Jaspers 1946, S. 172). Die antifaschistisch-demokratische Republik und die Politik der Völkerverständigung sind .. unerläßliche Voraussetzungen für die Existenz und Zukunft Deutschlands (SED 1946a, S. 25). Das Gegenwärtige lebt aus dem Vergangenen, und das Vergangene lebt selbst im Gegenwärtigen. Wir entfliehen der Gegenwart nie durch Versenken in das Vergangene, das immer noch da ist, immer noch Gegenwart baut und in der Krisis der Gegenwart zerstörerisch fortwirkt. Was soll uns .. die Frage .. nach den geistesgeschichtlichen Hintergründen der gegenwärtigen Krisis ..? Die historische Besinnung holt das Historische nicht um seiner selbst willen herauf, sie betrachtet es als gegenwärtige Wirkmacht .. Sie lehrt uns einmal die Gegenwart und ihre geistigen Wirkmächte wirklich kennen; sie lehrt uns zugleich, die Menschen unserer Zeit verstehen, ihre geistige Verfassung, ihre Motive und Ziele, so wie sie ihnen aus der geschichtlichen Entwicklung überkommen sind, in der ja alle Menschen als geschichtlich von Ver-
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gangenheit durch Gegenwart in Zukunft wandernde Menschen stehen. (Steinbüchel 1946/47, S. 20 f.) Geist des Friedens .. Geist der Nächstenliebe .. Geist der wahren Freiheit des Menschen .. neue Zukunft der Freiheit und des Friedens unseres Volkes (Köhler 1948, S. 85 f.). [Gewisse Richtungen der christlichen Theologie, die sozialistische Entwicklungstheorie und die liberale Fortschrittsidee] entwerten alle .. die Gegenwart zugunsten eines Vergangenen oder Künftigen. Es ist doch nicht einzusehen, weshalb, da die Vergangenheit aus einer Folge früherer Gegenwarten sich zusammensetzt und die Zukunft aus einer Folge künftiger Gegenwarten besteht, die heutige Gegenwart einen grundsätzlich geringeren Akzent erhalten soll. (Müller-Armack 1949, S. 26 f.) der Mensch [blickt] aus der Gegenwart in die Vergangenheit und Zukunft (MüllerArmack 1949, S. 27) Die zukünftige deutsche Literatur wird eine verpflichtete Literatur sein, oder sie wird nicht sein (Weyrauch 1949, S. 180).
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