PAMELA WALLACE
EIN MANN ZUM VERLIEBEN
Beverlys Vorhaben, sich in dem abgeschiedenen Schloß in Schottland ganz ihrer Ma...
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PAMELA WALLACE
EIN MANN ZUM VERLIEBEN
Beverlys Vorhaben, sich in dem abgeschiedenen Schloß in Schottland ganz ihrer Malerei zu widmen, gerät schon bald in Gefahr. Ihr Nachbar Rod Fleming übt auf sie eine so starke Anziehungskraft aus, daß Beverlys Gedanken sich nur noch um ihn drehen. Doch auch ihre Angst, in einer Ehe mit Rod so abhängig zu sein, daß sie ihren Beruf nicht mehr ausüben kann, läßt Beverly keine Ruhe – und den Heiratsantrag Rods ablehnen…
IOVE AFFAIR erscheint 14täglich in der (£ CORA VERLAG GmbH & Co, Berlin Redaktion und Verlag: KaiserWilhelmStraße 6, 2000 Hamburg 36, Telefon 040/347 (1), FS 0.212.151 Geschäftsführung: Hans Sommer Redaktionsleitung: Claus Weckelmann (verantwortlich für den Inhalt) Ilse Bröhl (Stellvertretung) Lektorat/Textredaktion: Ilse Bröhl (Leitung), Cecil Scheller Produktionsredaktion: LieseLotte Stripling, Marianne Lodemann, Nicola Bohne (Ass.) Grafik: Traute Bentel (Leitung), Otto DövleMoe, Renate Lehrke Foto: WEPEGE © Cora Verlag Herstellung: Jürgen Brühl (Leitung), Peter Urbanczyk Vertriebsleiter: Gerhard Bergmann Anzeigenleiter: Norbert Büttner Anzeigen nach jeweils gültiger Anzeigenpreisliste. © 1983 by: Pamela Wallace Unter dem Originaltitel: „Dreams Lost, Dreams Found“ erschienen bei Silhouette Books, a Division of Harlequin Enterprises Limited Übersetzung: Gina Curtis © Deutsche Erstausgabe in der Reihe LOVE AFFAIR Band 52 (62). 1985 by CORA VERLAG GmbH & Co, Berlin Alle Rechte vorbehalten, einschließlich des Rechtes der ganzen oder teilweisen Reproduktion in jeder Art und Form. Diese Ausgabe wird in Vereinbarung mit Harlequin Enterprises Limited, Toronto, Canada veröffentlicht. LOVE AFFAIRRomane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden, Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Satz: Ehapa Verlag GmbH, Stuttgart Druck: Ebner Ulm Printed in Western Germany
1. KAPITEL Beverly McAllister schloß die Haustür hinter sich und lief mit eiligen Schritten den gepflasterten Weg zum Gartentor hinab. Das Tor war alt und knarrte ächzend in den Scharnieren. An mehreren Stellen war das Holz abgesplittert, doch es hatte nichts von seinem altmodischen Charme eingebüßt und paßte ausgezeichnet zu den weißen Fensterläden des schmucken Landhauses. Stolz warf Beverly einen Blick zurück, während sie das Tor verriegelte. Der Vorgarten stand in voller Blüte: Fuchsien und Heliotrop, bunte Wildblumen wie Mohn, Lupinen und Kornblumen säumten den Weg. Stiefmütterchen in allen Farben streckten sich der Sonne entgegen. In dem kleinen Städtchen Carmel blühte es ständig, doch im Frühling schienen die Blumen geradezu miteinander im Wettstreit zu liegen. Jedes Jahr von neuem beglückten sie Beverly mit ihrer Pracht. Vergnügt schlug Beverly den Weg zum Einkaufszentrum von Carmel ein. Der Himmel strahlte in seinem leuchtendsten Blau, und die Sonne wärmte bereits ein wenig. Kein Zweifel, der Frühling war da, und Beverly hätte die leichte Wolljacke ohne weiteres zu Hause lassen können. Etwas wie hoffnungsfrohe Erwartung lag in dieser milden Frühlingsluft. Beverly atmete tief durch. Sie fühlte sich beschwingt wie schon lange nicht mehr. Mir ihren einunddreißig Jahren war sie eine reizvolle, hübsche Erscheinung. Die leuchtenden braunen Augen schimmerten wie Bernsteine und stellten einen wundervollen Kontrast zu der hellen Haut dar. Das Licht der Morgensonne gab ihren langen blonden Locken den rotgoldenen Farbton, der die Schönheit ihrer Gesichtszüge noch unterstrich. Beverly war mittelgroß, und ihre schlanke Figur wirkte sehr weiblich und anziehend. Nach einem scheinbar endlosen, traurigen Winter empfand Beverly diesen Frühling als besonders wohltuend. Sie summte vergnügt vor sich hin. Seit langem war ihr keine fröhliche Melodie mehr durch den Kopf gegangen. Obwohl es keinen besonderen Grund dafür gab, war sie bester Laune. Am Ende des Hügels, wo sich die San Antonio Road mit der Ocean Avenue kreuzte, blieb sie stehen und ließ ihren Blick über das Meer schweifen, das nur hundert Meter entfernt lag und sich bis zum Horizont erstreckte. Beverly beobachtete die Wellen, die sich leicht im Wind kräuselten und sanft gegen den weißen Sandstrand schlugen. Wie immer gab ihr die Weite des Meeres auch heute ein Gefühl von Freiheit… „Guten Morgen, junge Dame! Schon so früh auf den Beinen?“ Beverly schreckte aus ihren Gedanken auf und blickte sich um. Jason Klein kam im Laufschritt auf sie zu. Er trug einen farbenfrohen Jogginganzug, der ganz zu seinem exzentrischen Wesen paßte, das Beverly nur zu gut kannte. Die schwarzen Haare waren sorgfältig mit Haarspray über einige schon lichte Stellen gekämmt. Sie mußte unwillkürlich über Jasons Eitelkeit lächeln. Obwohl Beverly sich manchmal innerlich über ihn lustig machte, hatte sie ihn sehr gern und schätzte seine Ratschläge. Er mußte ungefähr fünfzig Jahre alt sein, verriet sein genaues Alter jedoch nie. Sorgfältig gab er sich den Anschein eines reichen, unabhängigen Junggesellen, der seine Freiheit und sein Geld liebte. Wann immer sich die Gelegenheit bot, flirtete er zum Scherz mit Beverly, die den Freund ihrer Familie von klein auf kannte. „Guten Morgen, Jason“, antwortete sie munter. „Ist heute nicht ein herrlicher Tag?“ „Ja, allerdings.“ Er musterte sie prüfend. „Du siehst so unternehmungslustig
aus.“
„Das liegt am Frühling und an dem phantastischen Wetter.“
„Ja, es riecht regelrecht nach Veränderungen.“ Bedeutungsvoll lächelte er und
sagte dann unvermittelt: „Begleite mich bitte zu meinem Wagen, Beverly. Ich
habe etwas für dich.“
„Oh, was denn?“
„Das wirst du gleich sehen. Es liegt schon eine Weile in meinem Handschuhfach,
und ich habe nur auf den richtigen Augenblick gewartet, um es dir zu geben.
Jetzt ist es soweit.“
Jasons roter Ferrari war nur wenige Schritte von ihnen entfernt in der Ocean
Avenue abgestellt. Jason öffnete die Beifahrertür und griff in das schmale Fach.
„Den ganzen Winter über habe ich dich beobachtet. Ich hoffte auf ein Zeichen,
daß deine Lebenslust nach Aliens Tod wieder erwachen würde. Erst in letzter Zeit
bemerkte ich eine gewisse Änderung…“
Ach ja, Allen… Einen Augenblick fühlte Beverly wieder den Schmerz, der sie
durchzuckte, wann immer sie an ihren verstorbenen Mann dachte. Aber jetzt
entdeckte sie beinahe überrascht ein Schuldgefühl, denn sie hatte den ganzen
Morgen noch nicht an Allen gedacht.
Jason gab ihr eine braune Schachtel.
„Was ist es denn? Schinken und Käse von letzter Woche?“ Beverly lachte.
In der Schachtel befand sich ein Päckchen, das mit einer grünen Schleife
verschnürt war. Während sie das Band löste, spürte sie Jasons eindringlichen
Blick auf sich gerichtet.
„Nun beeil dich doch ein bißchen. Zu Hause erwartet mich ein gesundes Müsli.“
Beverly mußte über Jasons Worte lachen und öffnete gespannt das
Samtkästchen. Zu ihrem Erstaunen fand sie darin eine silberne Schere an einem
schwarzen Seidenband.
Auf ihren fragenden Blick hin erklärte Jason ihr sogleich den Sinn des Geschenks:
„Dieses Band soll die Trauer darstellen. Mit der Schere sollst du es durchtrennen,
wenn dir danach ist. Überleg mal, Beverly, es ist schon über ein Jahr her, daß du
Allen verloren hast. Ich finde, es ist an der Zeit, daß du die Vergangenheit hinter
dir läßt und dich wieder dem Leben zuwendest.“
Beverlys Lächeln war von ihrem Gesicht verschwunden, während Jason leise auf
sie einredete. Sie spürte einen dicken Kloß im Hals und brachte keinen Laut
hervor.
„Allen liebte das Leben, und er liebte es, mit dir zusammenzusein, Beverly. Aber
er ist von uns gegangen. Du hast lange genug getrauert. Schneide das Band
durch, Liebes, lebe wieder.“
In ihren Augen standen Tränen, als sie sich vorneigte und Jason zärtlich auf die
Wange küßte. Dann blickte sie auf die kleine Schere, die soviel Symbolik in sich
trug. Gedanken und Erinnerungen an Allen gingen ihr durch den Sinn: wie Allen
und sie sich das erste Mal liebten. Er war so unsagbar zärtlich gewesen. Damals
hatte Beverly erfahren, was Liebe bedeutete.
Gemeinsam hatten sie gelacht, gespielt, sich geneckt. In diesem Augenblick fiel
ihr das Porträt wieder ein, das Allen noch kurz vor seinem Tod von ihr gemalt
hatte. Er wollte es niemals verkaufen.
Gleich darauf sah sie ihn wieder leblos auf der Unfallstation des Krankenhauses
liegen, bleich und mit geschlossenen Augen…
Beverly zögerte nicht länger. Sie schnitt das Band durch.
„Danke, Jason“, flüsterte sie und sah den Freund an. „Der Tag heute begann
schon ganz anders als alle vorherigen seit Aliens Tod. Und nun weiß ich auch,
warum.“
„Das freut mich. Also, bis bald!“ Jason nickte ihr aufmunternd zu und lief auf seine seltsam steife Art weiter. Beverly blieb noch eine Weile stehen und blickte versonnen aufs Meer. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich vollkommen frei. Sie war nicht mehr Tochter, nicht mehr Ehefrau und gehörte jetzt ganz sich selbst. Plötzlich verlor diese Erkenntnis auch allen Schrecken. Ihr wurde auf einmal klar, daß sie tun und lassen konnte, was sie wollte und was ihr gefiel. Jason hat recht, dachte sie. Der Heilungsprozeß hat tatsächlich schon vor einiger Zeit begonnen. Sie spürte jetzt am eigenen Leibe, daß die Zeit viele Wunden zu heilen vermochte. Vor einem Jahr, als sie an Aliens Grab stand, hatte sie geglaubt, ihr Leben sei vorbei. Nun wurde ihr auf einmal bewußt, daß damit nur ein neuer Lebensabschnitt begonnen hatte. Aufmerksam betrachtete sie ihre Umgebung, als ob sie die Welt mit anderen Augen sah. Dieser malerische Ort Carmel, der sich im Süden von San Francisco an der Küste entlang erstreckte, lag versteckt unter prächtigen Pinien, Eichen und Eukalyptusbäumen. Die Straßen liefen über Hügel und durchquerten tiefe Schluchten. Die ganze Stadt war ihr sehr ans Herz gewachsen. Carmel war klein, überschaubar und besaß nur wenige tausend Einwohner. In einem fröhlichen Durcheinander verschiedener Baustile reihten sich die Gebäude aneinander. Nach dem verheerenden Erdbeben von 1906 hatten sich viele Schriftsteller, Dichter und Maler, die in San Francisco alles verloren hatten, in Carmel angesiedelt und dort ihre Studios und Galerien eingerichtet. Auf diese Weise erhielt Carmel seine besondere Atmosphäre: die Menschen waren großzügig, individualistisch und tolerant. Beverly bog in eine schmale Nebenstraße ein und stand gleich darauf vor der McAllister Galerie. Rasch schloß sie die Eingangstür auf und trat in die Halle. Jeden Tag aufs neue war dies ein beglückender Augenblick für sie. Alles war friedlich und still. Sie war allein mit ihren Gemälden, die sie so sorgfältig ausgewählt hatte, und genoß von ganzem Herzen diese ruhige Stunde vor Geschäftsbeginn. Vor fünfzehn Jahren hatte ihre Mutter, Rachel, diese Galerie erworben, nachdem ihr Mann in Vietnam gefallen war. Zuvor hatte sie ihn begleitet, wohin auch immer die Armee ihn verpflichtete. Nach seinem Tod wollte Rachel endlich irgendwo seßhaft werden. Dabei dachte sie auch an ihre beiden Töchter, Beverly und Jane, die damals sechzehn und zehn Jahre alt waren. Nach ständigem Nomadenleben sollten sie hier zur Ruhe kommen und ein Heim finden. Da Rachel eine begeisterte Kunstanhängerin war, wählte sie Carmel. Beverly hatte öfter darüber nachgedacht, was für ein Mensch ihre Mutter wohl gewesen sein mochte, bevor sie die Frau eines Soldaten und bald darauf Mutter von zwei Töchtern wurde. Mit siebzehn Jahren hatte sie ihre Eltern verlassen, die im Norden Kaliforniens eine kleine Farm besaßen. Rachel beabsichtigte, in San Francisco Kunst zu studieren. Bemerkenswert energisch widersetzte sie sich den engstirnigen Ansichten ihrer altmodischen Eltern, die ihr daraufhin keinerlei Unterstützung mehr zukommen ließen. Sie war vollkommen auf sich allein gestellt, aber das hatte ihr nichts ausgemacht. Wie oft hatte sie Beverly erzählt, daß sie die Angst, etwas Falsches zu tun, nicht kannte. Das Leben in San Francisco gefiel ihr, auch wenn sie nur sehr wenig Geld besaß. Rachel vertraute immer auf ihr Talent. Eines Tages lernte sie Andrew McAllister, einen gutaussehenden jungen Leutnant, der gerade einen dreitägigen Urlaub in San Francisco verbrachte, auf einer Abendveranstaltung kennen. Schon nach diesen drei Tagen verlobte Rachel sich
mit ihm, und kurz darauf fand die Hochzeit statt. Ohne zu zögern, ließ Rachel ihre Freiheit, ihre Karriere als Künstlerin hinter sich und folgte ihrem Mann durch die Welt. Niemals schien sie ihren raschen Entschluß bereut zu haben. Stets war sie ihrem Mann eine liebende Frau und ihren Töchtern eine fürsorgliche, zärtliche Mutter. „Jeder hat in seinem Leben irgendwann einmal Entscheidungen zu treffen“, erklärte sie Beverly. „Ich bin sehr glücklich mit meinen, das kannst du mir ruhig glauben.“ Beverly verstand ihre Mutter jetzt. Auch sie hatte plötzlich vor schwerwiegenden Entscheidungen gestanden, als ihre Mutter nur drei Jahre, nachdem sie sich in Carmel niedergelassen hatte, starb. Jason Klein bot ihr damals an, ihr die Galerie abzukaufen. Doch Beverly entschloß sich statt dessen, die Schule zu verlassen, ihre eigenen künstlerischen Hoffnungen aufzugeben, die Galerie selbst zu übernehmen und Jane aufzuziehen. Zunächst glaubte sie, die große Verantwortung nicht tragen zu können. Stets war es Jason, der sie ermutigte, auf ihrem Weg weiterzugehen, um die Anfangsschwierigkeiten möglichst rasch zu überwinden. „Wenn du tatsächlich dazu entschlossen bist, Beverly, diese Aufgabe zu übernehmen, dann solltest du aber auch von Anfang an richtig einsteigen. Wirf deine Jeans und deine karierten Blusen weg und kleide dich teuer und elegant.“ Das war sein erster, wohlmeinender Rat am Tag nach der Beerdigung ihrer Mutter. „Trage auffallende goldene Ohrringe und baue dir ein KünstlerImage auf. Als Galeristin mußt du unbedingt angemessen auftreten. Ich werde da sein, mein Kind, wenn du Hilfe brauchst.“ Und Jason hielt sein Versprechen. Bald war Beverly so sehr mit ihrer Arbeit beschäftigt, daß sie keine Zeit mehr hatte, sich überfordert zu fühlen. Sie hatte ja viel Neues zu lernen. Später, als ihre Schwester Jane das College besuchte, lernte Beverly Allen kennen. Er war ein talentierter, aber mittelloser Künstler. Verständlich, daß Beverly die Galerie weiterführte, um ihren Unterhalt zu sichern. Privat war sie nun Mrs. Hunter, doch im Geschäftsleben behielt sie ihren Mädchennamen bei. Irgendwann einmal würde die Zeit kommen, hatte sie sich manchmal gesagt, in der sie an ihre eigene Karriere denken konnte. Allen entwickelte sich sehr bald zu einem anerkannten Maler. Seine letzte Ausstellung hatte bei einigen einflußreichen Leuten der Kunstszene großes Interesse geweckt. Die Preise seiner Bilder stiegen, und Allen war zum ersten Mal selbst in der Lage, Beverly zu ernähren. Auf der Höhe seiner Schaffenskraft starb Allen plötzlich und unerwartet an einem Herzinfarkt. Wenn Beverly heute an diese Zeit zurückdachte, kam ihr zu Bewußtsein, in welch kurzer Zeit sich alles, was ihr Leben mit Allen verband, abgespielt hatte. Sie hatten sich von heute auf morgen glühend ineinander verliebt und gleich darauf geheiratet. Seine Karriere entwickelte sich geradezu kometenhaft, und sein Tod kam erschreckend rasch und unvermittelt. Sein Leben glich den Aquarellen, die er malte: Mit großen Pinselstrichen brachte er die Farben auf das Papier und stellte so die Bilder in Windeseile fertig. Heute hingen diese bezaubernden Gemälde wie Schmuckstücke in Beverlys Galerie. Allen hatte hart gearbeitet und bis zu seinem Tod eine ansehnliche Anzahl Bilder gemalt. Wie bei den meisten Künstlern brachte der Erlös seiner Werke nach seinem Tod weit mehr ein als zu Lebzeiten. In Gedanken versunken ging Beverly durch die Galerie, wo sie hier und dort ein Bild zurechtrückte. Sie war froh darüber, daß sie inzwischen ohne große innere Erregung und Verzweiflung an Allen denken konnte.
Jawohl, Jason hat recht, dachte sie, als sie Punkt neun Uhr die Eingangstür für die Besucher aufschloß. Es ist wirklich an der Zeit, daß das Leben auch für mich weitergeht, daß ich etwas für mich persönlich tue, etwas ganz anderes! Aber was konnte sie schon unternehmen, um ihr Leben zu ändern? Beverly saß vor ihrem Kamin im Wohnzimmer und blätterte in einer Zeitschrift. Genüßlich kuschelte sie sich in die weichen Kissen des bequemen Sessels, zog die Knie bis unters Kinn hoch und genoß diese ruhige Abendstunde. Sie hatte den Raum gemütlich eingerichtet. Überall standen Pflanzen in großen weißen Blumenkübeln. Die weiße Tapete und die dezenten hellgrünen Vorhänge, die die breite Fensterfront umrahmten, gaben dem Zimmer die freundliche, typisch kalifornische Atmosphäre. Die Nächte in Carmel waren kühl, so war Beverly dankbar für die Wärme, die das Feuer im Kamin ausstrahlte. Ab und zu nippte sie an dem wertvollen Römerglas, das mit rotem Burgunder gefüllt vor ihr auf dem kleinen Eichentisch stand. Nichts als Mode und Werbung, dachte Beverly, als sie Seite um Seite der Zeitschrift umblätterte. Doch plötzlich wurde ihre Aufmerksamkeit auf ein kleines Bild gelenkt. Es handelte sich um die Abbildung eines Schlosses mit der Unterschrift: Castle Fräser, Kirkcudbright, Schottland. Beverly stutzte und sah noch einmal genauer hin. Das Schloß wirkte alt und verwahrlost. Die Mauern, die es umgaben, waren von wild wucherndem Efeu beinahe ganz zugewachsen. Doch irgend etwas an diesem Foto sprach Beverly an. In der kurzen beigefügten Beschreibung las Beverly, daß das Schloß für nur einhundertfünfundzwanzigtausend Dollar zu haben sei. Immer wieder starrte sie auf die Abbildung. Das war das Schloß, von dem in allen Märchen immer die Rede ist: mit Türmen und Torbögen und mit einem gepflasterten Schloßhof. Was für ein reizender, bezaubernder Gegensatz zu den nüchternen Gebäuden der kalten modernen Welt von heute. Beverly konnte sich von dem Bild nicht lösen. Ihr fiel ein, daß die Vorfahren ihres Vaters aus Schottland stammten. Ende des vorigen Jahrhunderts war ihr Großvater, der noch in den Slums von Glasgow gelebt hatte, in das gelobte Land, Amerika, gekommen. Er hatte Beverly viel aus seiner alten Heimat erzählt. Auf diese Weise war ihr Interesse an Schottland schon früh geweckt worden. Später vertiefte sie ihre Kenntnisse, indem sie Sir Walter Scotts romantische Erzählungen über dieses Land las. Schon immer hatte sie sich gewünscht, einmal dorthin zu reisen, wo ihre Ahnen herstammten. Plötzlich regte sich ihr schottisches Blut! Wieder betrachtete sie fasziniert das Foto und überdachte den Preis: einhundertfünfundzwanzigtausend Dollar! Das war wirklich wenig für ein romantisches Stück Geschichte! Trotzdem war es ein Vermögen für den, der diese Summe nicht besaß. Und Beverly verfügte nun einmal nicht über solch ein Vermögen! Sie lebte gut von der Galerie, doch so ein Projekt ging einfach über ihre Verhältnisse. Auch über den Namen der Ortschaft, Kirkcudbright, mußte Beverly immer wieder nachdenken. Wo hatte sie ihn schon einmal gehört? Der Name kam ihr bekannt vor. Plötzlich fiel es ihr ein: Um die Jahrhundertwende hatte es in Kirkcudbright eine Kunstschule gegeben, die wegen ihrer flammenden Farben berühmt geworden war. Noch heute lebten viele Künstler in dieser Gegend, wenn Beverly sich recht entsann. Dann erinnerte sich Beverly noch an eine andere Begebenheit, die mit diesem Schloß in Zusammenhang stand. Allen hatte ihr vor zwei Jahren ein Buch über Schlösser und Burgen in Schottland geschenkt. „Vielleicht findest du darin das Heim deiner Vorfahren“, hatte er gesagt, als er ihr den Band gab.
Wo hatte sie das Buch nur hingestellt? Beverly erhob sich rasch und sah das Bücherregal neben dem Kamin durch. Vergeblich. Dann ging sie in ihr Schlafzimmer und durchsuchte ihren Schreibtisch, der mit Büchern und Papieren bedeckt war. Endlich fand sie Aliens Geschenk unter einem Stapel Akten. Glücklich nahm Beverly das Buch mit ins Wohnzimmer und machte es sich wieder in ihrem Sessel bequem. Einen Augenblick lang schimmerten Tränen in ihren Augen, als sie Aliens Widmung las, die er in seiner großzügigen Schrift auf die erste Seite geschrieben hatte: „Für Beverly, die sich nach dem schottischen Hochland sehnt. Mögest Du Deine Reise auf den Spuren Sir Walter Scotts genießen, so wie Du meine Reise durch das Leben zu einem wunderbaren Abenteuer hast werden lassen. In Liebe, Allen.“ Beverly schluckte tapfer die Tränen herunter und blätterte weiter. Das Buch enthielt wundervolle Farbfotos in Großformat mit kurzen, informativen Beschreibungen von jedem Schloß. Sogar kleine amüsante Anekdoten über Erlebnisse mit den dazugehörigen Schloßgeistern fehlten nicht. Nach Schloß „Fräser“ brauchte sie nicht lange zu suchen. Die Beschreibung entsprach der in der Zeitschrift. Allerdings berichtete sie noch von dem Geist, der dort umgehen sollte, einer jungen Frau, die Laurie Fräser hieß, und deren Geliebter in der Schlacht von Flodden im Jahre 1513 getötet worden war. Wenn man der Geschichte Glauben schenken wollte, so war Schloß „Fräser“ kein besonders glücksbringender Ort gewesen. Das hörte sich alles sehr romantisch an und gefiel Beverly sehr. Auf der letzten Seite des Bildbandes waren der Autor, Roderick Fleming, und der Fotograf, Tom Stirling, abgebildet. Die beiden Männer standen lässig nebeneinander und lächelten in die Kamera. Rod Fleming wirkte einen Kopf größer als Tom Stirling und machte auf Beverly einen etwas arroganten Eindruck. Flemings Haare leuchteten goldbraun, die Farbe seiner Augen konnte sie nicht erkennen. Gleichzeitig fielen Beverly Tom Sterlings flammendrote Haare auf. Nase und Stirn waren mit Sommersprossen übersät. Doch unwillkürlich wurde sie von Flemings Gesichtszügen angezogen. Die Bildunterschrift besagte, daß der Autor auch der Herausgeber des Pegasus Verlags war. Natürlich, in dieser Position konnte er jedem plötzlichen Einfall nachgehen. Hatte er etwa die Idee, einen Bildband über Schlösser zu machen, so brauchte er nicht zu befürchten, keinen Verlag zu finden. Beverly spürte regelrecht, wie es in ihr arbeitete: Rod Fleming war nicht der einzige, der es sich erlauben konnte, einer spontanen Regung zu folgen. Beverly dachte blitzschnell nach. Jawohl, sie würde es schaffen, sie konnte sich das Schloß leisten – wenn sie die Galerie verkaufte! Ohne zu zögern griff sie zum Telefonhörer und wählte eine Nummer. „Hallo?“ „Jason, hier ist Beverly.“ „Beverly, meine Liebe, schön, daß du anrufst. Ist irgend etwas passiert?“ „Alles okay. Ich habe jetzt aber nicht viel Zeit, mich lange zu unterhalten. Ich wollte dich nur etwas fragen. Bist du noch an meiner Galerie interessiert?“ „Selbstverständlich.“ Die Stimme klang überrascht und erfreut zugleich. „Erzähle mir bloß nicht, daß du sie nun doch noch verkaufen willst.“ „Doch, genau das. Allerdings nur zu einem angemessenen Preis. Zweihunderttausend.“ „Das klingt ja sehr bestimmt. Habe ich heute morgen zufällig etwas gesagt, was diese Entscheidung bei dir bewirkt hat?“ „In gewisser Weise, ja. Aber ich habe mich eben erst dazu entschlossen. Vielleicht denke ich morgen schon wieder anders darüber. Wenn du also nicht
interessiert bist…“
„Das habe ich nicht gesagt, Beverly. Zweihunderttausend Dollar! Laß mich
überlegen. Da ist sicherlich das Lager mit eingeschlossen, nicht wahr?“
„Ja, Jason. Und die Erinnerung gehört auch dazu.“
„Was geschieht mit Aliens Aquarellen?“
Beverly zögerte. Schließlich gab sie sich einen Ruck und sagte mit fester Stimme:
„Sie gehören dir ebenfalls.“
„Okay. Die Sache ist abgemacht. Morgen früh rufe ich als erstes meinen Anwalt
an, damit er den Vertrag aufsetzt. Nein, warte, ich glaube, es ist besser, ich rufe
ihn noch heute abend an, sonst überlegst du es dir möglicherweise wieder
anders.“
„Du willst also die Galerie übernehmen?“
„Versprochen!“ Jason machte eine kleine Pause, ehe er hinzusetzte: „Du scheinst
ja große Pläne zu haben. Was hast du eigentlich vor?“
„Du glaubst es mir ja doch nicht, wenn ich es dir erzähle.“
„Spann mich nicht zu sehr auf die Folter, Beverly. Am liebsten würde ich rasch zu
dir herüberkommen und diesen glücklichen Handel mit einer Flasche Champagner
begießen. Dazu könnten war meine schöne RavelPlatte hören.“
„Nein, Jason, das kommt nicht in Frage. Das ist ein rein geschäftliches
Abkommen zwischen uns beiden. Wir treffen uns, wenn du die
zweihunderttausend Dollar bereit hast.“
„Beverly, du bist eine hartherzige Frau, laß dir das gesagt sein.“
„Das hast du selbst mich gelehrt, Jason. Du hast mir beigebracht, daß es
zuweilen besser ist, lächelnd mit dem Preis hinunterzugehen. Auf der anderen
Seite ist es manchmal aber auch notwendig, entsprechend deinen eigenen
Ausführungen, ohne mit der Wimper zu zucken bei der einmal genannten Summe
zu bleiben.“
„Und was tust du gerade?“
„Ich lächele.“
„Und?“
„Ich bleibe hart.“
„Du bist unmöglich, Beverly.“
„Und du unverbesserlich.“
„Ich gebe mir alle Mühe.“
„Gute Nacht, Jason.“
Beverly legte den Hörer auf. Das Gefühl, alle Brücken hinter sich abgebrochen zu
haben, überwältigte sie. Nun gab es kein Zurück mehr. Mit einem einzigen
Streich hatte sie sich von allem, durch das sie mit Allen und Carmel verbunden
gewesen war, getrennt. Sie ahnte nicht im geringsten, was sie in Schottland
erwartete. Aber sie hatte das Gefühl, es würde ein romantisches Abenteuer
werden…
2. KAPITEL „Was hast du gemacht?“ Jane McAllister starrte ihre Schwester entgeistert an. „Du hast ganz richtig gehört, ich verkaufe die Galerie und habe die Absicht, mir in Schottland ein Schloß zu kaufen.“ Jane und Beverly hatten sich in der kleinen Konditorei „La Patisserie“ getroffen. Nach einer vorzüglichen Quiche Lorraine saßen sie nun bei einer Tasse Kaffee und einem Schokoladen Eclair über das Foto gebeugt, das Beverley gerade von dem Grundstückmakler zugeschickt worden war. Jane sah sich das Bild skeptisch an. Sie war wie Beverly mittelgroß. Das war aber die einzige Ähnlichkeit zwischen den beiden Schwestern. Jane war im Gegensatz zu Beverly ein dunkler Typ. Sie hatte braune Augen und kastanienfarbenes Haar, das fast bis zur Hüfte reichte und nur mit zwei Schildpattkämmen aus der Stirn gehalten wurde. Sie war eine natürliche Erscheinung, die weder Makeup noch Lippenstift benutzte. Am liebsten trug Jane ihre alten ausgewaschenen Jeans. Sie war ein außerordentlich hübsches Mädchen, und die Männer waren von ihrer herausfordernd unkomplizierten Art fasziniert. Seit ihrem vierzehnten Lebensjahr hatte sie nie einen Mangel an Verehrern. Sie gab sich ihnen gegenüber offen, jedoch eigensinnig und ging nicht gerade vorsichtig mit den Gefühlen ihrer Bewunderer um. Als sie wieder einmal einem jungen Mann, der ganz verrückt nach ihr war, sehr direkt den Laufpaß gab, warnte Beverly sie: „Warte nur, eines Tages wirst du jemanden treffen, der es mit dir genauso macht, der dich mit deinen eigenen Waffen schlägt.“ „Kommt gar nicht in Frage“, hatte Jane damals geantwortet. „Ich werde es nie zulassen, daß ein Mann stärker ist als ich.“ Und bis heute war sie sich tatsächlich treu geblieben. Mit leicht spöttischer Miene gab Jane ihrer Schwester das Foto zurück. „Ich verstehe wirklich nicht, warum du dieses Schloß kaufen willst.“ Beverly zögerte. Sie fragte sich, wie sie Jane ihre Gefühle verständlich machen sollte, war sie ja kaum in der Lage, sich selber die Gründe für ihren Entschluß zu erklären. „Vor kurzem habe ich dir doch erklärt, daß ich mein Leben unbedingt ändern will.“ „Darunter verstehe ich: Ein Wochenende in Acapulco, neue Möbel, und vielleicht ein umwerfend moderner Haarschnitt. Aber ein Schloß…“ Beverly sah ihre Schwester bittend an. „Komm doch mit. Ich würde mir das Schloß gern mit dir zusammen ansehen, bevor ich mich entscheide. Außerdem kommen wir auf diese Weise einmal aus dem alten Trott heraus. Und schließlich ist es doch äußerst interessant zu sehen, wo unsere Vorfahren gelebt haben.“ „Sie werden damals gute Gründe gehabt haben, ihr Land zu verlassen. Warum sollten wir jetzt dorthin gehen?“ Beverly lächelte nachsichtig. „Du bist schrecklich eigensinnig, Jane.“ „Und du bist total verrückt. So kenne ich dich gar nicht.“ „Gerade das ist es ja. Ich habe es satt, immer das zu tun, was die anderen von mir erwarten. Ich möchte endlich einmal etwas vollkommen Verrücktes tun, einmal spontan handeln, ohne Rücksicht darauf, was die anderen denken.“ Jane überlegte einen Augenblick. „Ich glaube, du hast recht“, sagte sie dann langsam. „Schließlich ist es dein Leben, und es wird Zeit, daß du das tust, was dir gefällt.“ „Danke für dein Verständnis, Schwesterherz.“ „Und ich bin schon richtig aufgeregt. Ich komme mit, Beverly, und wir werden
uns diesen gottverlassenen Ort genau ansehen. Vielleicht bekommst du einen
furchtbaren Schrecken, wenn du das alte Gemäuer zum erstenmal siehst, und
kehrst reumütig nach Carmel zurück. Wer weiß!“
Beverley umarmte Jane. „Du weißt genau, daß es mir unheimlich gut gefallen
wird. Ich werde mich sofort in das Schloß verlieben, davon bin ich überzeugt.
Wunderbar, daß du mich begleitest! Mir wird ganz komisch zumute, wenn ich
daran denke, etwas völlig Neues in Angriff zu nehmen.“
„Das kann ich mir vorstellen. Wo liegt denn überhaupt diese alte Ruine?“
„Ruine ist nicht der richtige Ausdruck dafür. Das Gebäude scheint grundsätzlich
in gutem Zustand zu sein. Der Makler sagte, das Mauerwerk benötigt lediglich
frische Farbe und einige kleinere Ausbesserungsarbeiten. Du brauchst keine
Angst zu haben, daß es ein Ungetüm von Schloß ist. Im Prospekt stand etwas
von neuntausend Quadratmetern. Das ist schließlich noch übersehbar.“
„Also, wo liegt dein gemütliches, kleines Schloß?“
„In Kirkcudbright. Das ist ein Dorf an der Südwestküste von Schottland, nahe der
Grenze. Du weißt schon, wo die Romane von Sir Walter Scott spielen.“
„Phantastisch, Beverly!“ Janes Gesicht leuchtete vor Erwartung. „Vielleicht findest
du dort ja einen edlen Ritter in seiner stählernen Rüstung, der dich auf seine
starken Arme hebt und zu einem idyllischen Schäferstündchen in die liebliche
Heide entführt.“
„Ich glaube, Jane, die Phantasie geht mit dir durch. Worauf ich mich freue, das
ist die romantische Atmosphäre, die von dem alten Gestein, den Gräben und den
Zugbrücken ausgeht. Allen hat sechs Jahre lang mein Leben bestimmt. Ich liebte
ihn und war mit ihm glücklich. Aber ich möchte unabhängig sein. Ich wünsche
mir, ganz allein zu leben und dies auch zu genießen.“
„Willst du dich etwa in deinem efeuumrankten Turm einmauern?“
„Keine Sorge. Ich werde das Schloß renovieren und darin wohnen. Und dann“,
setzte sie abschließend hinzu, „werde ich wieder anfangen zu malen.“
„Wann möchtest du fahren?“
„Ende dieses Monats. Paßt dir das?“
„Ja. Nach dem achtzehnten bin ich frei.“
„Vom fünfzehnten ab übernimmt Jason die Galerie. Meine Möbel will ich in einem
Lager unterbringen. Selbst wenn ich das Schloß wider Erwarten nicht kaufen
sollte, habe ich vor, eine Weile in Schottland zu bleiben.“
„Und was wird mit dem Haus?“
„Erst einmal wird ein Student dort ab und zu nach dem Rechten sehen. Wenn ich
mich zu dem Kauf des Schlosses entschließe, werde ich es über einen Makler
verkaufen lassen.“
„Ich bin nur froh, daß du es nicht gleich verkaufen willst. Es fällt mir schwer, mir
vorzustellen, daß du für immer nach Schottland gehst. Um noch einmal auf den
Ritter zurückzukommen…“
„Vergiß ihn, Jane.“
„Na gut. Es war nur so eine Idee. Übrigens, willst du eigentlich deinen Freunden
erzählen, was du vorhast, oder hast du vor, dich bei Nacht und Nebel
davonzumachen?“
Beverly lachte. „Ich habe doch schon allen erzählt, daß ich die Galerie verkaufe,
um einen längeren Urlaub zu machen.“
„Tja, dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als nach Monterey
zurückzufahren und mich um meine Reisevorbereitungen zu kümmern.“ Jane
erhob sich und griff nach ihrem Portemonnaie. „Hoffentlich finde ich jemanden,
der sich um meine Pflanzen kümmert und die Katze füttert. Mach’s gut, Beverly,
bis bald.“
Nachdem Jane gegangen war, blickte Beverly noch eine Weile auf das Foto von ihrem Traumschloß. Sollte sie hier womöglich ihrem wunderbaren Prinzen begegnen? Nein, überlegte Beverly, ich wünsche mir keinen Ritter in glänzender Rüstung. Ich suche ein wenig Abenteuer und mein Vergnügen, jawohl. Und ich beabsichtige, auch einmal eine Zeitlang egoistisch zu sein und nur an mich zu denken. Ich sehne mich danach, in Ruhe über mich nachdenken zu können und herauszufinden, wer ich eigentlich bin. Hoffentlich ist Schloß „Fräser“ der geeignete Ort dafür… Beverly und Jane landeten am achtundzwanzigsten April auf dem Flughafen von Glasgow. Es war noch früh am Morgen, und die beiden unternehmungslustigen jungen Damen mieteten sich einen kleinen Wagen, um ein wenig die Gegend auszukundschaften. Beverly verliebte sich auf der Stelle in die reizvolle Landschaft. In freudiger Erwartung glänzten ihre Augen, und ihre Wangen röteten sich vor Aufregung. Etwas ungeheuer Faszinierendes ging von den Schluchten, den vielen glitzernden Seitenarmen der Flüsse, von den violett leuchtenden Berghängen aus. Kleine, weiße Hütten versteckten sich hinter Hügeln, und die Atmosphäre war beinahe geheimnisvoll. Langsam näherten sie sich dem Grenzland. Vorbei ging es an alten Schloßruinen und Abteigemäuern. Hier hatten die langen Schlachten zwischen England und Schottland stattgefunden, in denen die Schotten verzweifelt um ihre Unabhängigkeit gekämpft hatten. Am frühen Nachmittag erreichten Beverly und Jane endlich Kirkcudbright, eines der malerischsten Küstenstädtchen von ganz Schottland. Eine Mole erstreckte sich ins Meer hinein, und die breiten Straßen waren von farbig gestrichenen Häusern gesäumt. An diesem kalten, sonnigen Tag türmten sich große Wolkenbänke über dem Meer. Die Gassen aus dem achtzehnten Jahrhundert wirkten wunderbar anheimelnd. Die schmiedeeisernen Schilder über den kleinen Läden zeigten an, daß Handwerker wie Weber, Töpfer und Maler hier lebten und arbeiteten. „Laß uns dort nachfragen“, schlug Jane vor und deutete auf ein Hotel in georgianischem Stil, das an der Old High Street lag. Beverly war einverstanden. Das Hotel war nicht besonders groß. Seine einfache, farbenfrohe Einrichtung wirkte gemütlich und einladend. „Scheint ziemlich langweilig hier zu sein“, stellte Jane fest. „Vielleicht wäre ,ruhig’ und ,erholsam’ die höflichere Beschreibung dafür“, meinte Beverly trocken. „Mir jedenfalls gefällt es hier.“ „Daran zweifle ich auch nicht.“ Jane rümpfte die Nase. Plötzlich stand eine kleine, rundliche Frau mittleren Alters hinter dem Empfangstresen. „Kann ich etwas für Sie tun, meine Damen?“ fragte sie, und Beverly fiel sogleich der harte, schottische Akzent auf. „Wir hätten gern zwei Zimmer“, erklärte sie höflich. „Wie lange möchten Sie denn bleiben?“ „Das weiß ich noch nicht. Wissen Sie, ich interessiere mich für das FraserSchloß. Vielleicht werde ich es kaufen.“ „Ach, dann müssen Sie Miss McAllister sein.“ Die Wirtin schien überhaupt nicht überrascht zu sein. „Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Ich bin Sheila Lindsay.“ „Woher wissen Sie, wer ich bin?“ fragte Beverly erstaunt.
„Vor vierzehn Tagen erzählte mir Donald Drummond, daß das Schloß vielleicht demnächst einen neuen Besitzer bekommen würde. Dabei erwähnte er auch Ihren Namen. Er wird ganz schön erstaunt sein, daß Sie schon da sind! Aber so ist es wohl mit euch Amerikanern: immer schnell, schnell, und nichts auf die lange Bank geschoben!“ Jetzt erinnerte sich Beverly, daß der Grundstücksmakler in seinem Schreiben einen Mr. Drummond erwähnt hatte. An ihn sollte sich Beverly wegen der Renovierung wenden, falls sie sich tatsächlich zum Kauf entschließen sollte. Seltsam, dachte Beverly, wie rasch sich hier die Neuigkeiten herumzusprechen scheinen! Jane warf ihr einen kurzen Blick von der Seite zu, als ob sie sagen wollte: „Na, meine Liebe, du bist schon vor deiner Ankunft Gesprächsthema Numero eins.“ „Wenn Sie Mr. Drummond kennen, können Sie mir sicherlich auch sagen, wo ich sein Büro finde, nicht wahr?“ fragte Beverly und überging Janes spöttische Blicke. „Wollen Sie das Schloß heute noch besichtigen? Glücklicherweise ist Donald irgendwo in der Stadt. Gehen Sie die High Street hinunter“, erklärte Sheila freundlich. „Nach zwei Häuserblocks kommen Sie an ein hellblaues Tor. Dort finden Sie sein Büro.“ „Vielen Dank.“ „Geben Sie mir ihre Wagenschlüssel. Der Boy kann Ihr Auto inzwischen in die Garage fahren und das Gepäck auf Ihre Zimmer bringen.“ Beverly legte die Schlüssel auf den Tresen und dankte für die Hilfsbereitschaft. Wenige Minuten später standen Beverly und Jane gespannt vor dem hellblauen Tor. Sie schoben den Riegel zur Seite und gingen über einen Hof mit altem Kopfsteinpflaster. Bevor sie die Eingangstür des Büros erreichten, mußten sie sich noch durch eine Reihe Fahrräder hindurchdrängeln, die vor dem Gebäude abgestellt waren. An der Tür stand „Donald Drummond, Master Mason.“ Innen kam den Schwestern ein korpulenter älterer Mann mit grauem Vollbart entgegen, um sie temperamentvoll zu begrüßen. Er hatte die Ärmel seines weißen Hemdes aufgekrempelt. Strahlend ergriff er ihre Hände und schüttelte sie heftig, nachdem Beverly ihren und Janes Namen genannt hatte. „Freut mich, Sie kennenzulernen. Dachte nicht, daß Sie so bald kommen.“ „Ich bin gekommen, um mir Schloß Fräser anzusehen.“ Beverly sprach langsam und betont. „Der Makler sagte mir, Sie seien noch nie hier gewesen. Hoffentlich werden Sie nicht enttäuscht sein, wenn Sie den alten Kasten sehen. Er sieht nicht gerade sehr gepflegt aus. Aber das Mauerwerk ist in Ordnung, und das ist die Hauptsache. Wird nicht lange dauern, das Gebäude zu renovieren.“ „Dann werde ich bestimmt nicht enttäuscht sein. Könnten wir wohl heute noch eine Besichtigung machen? Ich bin sehr gespannt.“ „Jetzt gleich?“ Donald Drummond schien erstaunt. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht! Ich kann es kaum erwarten, das Schloß endlich zu sehen.“ „Verstehe. Also gehen wir, meine Damen. Mein Wagen steht bereit.“ „Ist es weit bis dorthin?“ fragte Jane ungeduldig. „Nein, höchstens fünfzehn bis zwanzig Minuten. Allerdings ist die Straße in schlechtem Zustand.“ Unterwegs plauderte Donald unentwegt. Er erzählte Beverly, daß man in Kirkcudbright froh sei, daß jemand mit schottischer Abstammung das Schloß kaufen wolle, „und nicht so ein Araber wie die, die halb London aufgekauft haben.“ Jane zwinkerte Beverly vergnügt zu, die sich das Lachen kaum verkneifen
konnte. Donald war ein echtes Original und dazu so typisch schottisch! Beverly mochte seine offene, freundliche Art gern. Er gab ihr das Gefühl, in Kirkcudbright willkommen zu sein. Wahrscheinlich erkannten die Menschen hier schon an ihrem Namen das schottische Blut in ihren Adern. Einmal ein Schotte, immer ein Schotte, dachte Beverly glücklich. Darin lag sicherlich ein Funke Wahrheit. Vom ersten Augenblick an, seit sie den Boden Schottlands betreten hatte, liebte sie dieses Land. Ja, sie hatte das Gefühl, nach Hause gekommen zu sein. „Dieser Landstrich hat eine aufregende Geschichte. Das liegt an der Tatsache, daß hier die Hauptroute nach Norden verläuft. Selbst die Römer sind auf dieser Straße entlangmarschiert!“ erklärte Donald jetzt. Plötzlich wies er nach vorn und verkündete stolz: „Sehen Sie, Miss, das ist das Schloß!“ Beverly stockte der Atem. Erwartungsvoll starrte sie auf das Gebäude, das vor ihnen so plötzlich aufgetaucht war. „Sieht eher wie eine Festung aus“, stellte Jane trocken fest. „Stimmt“, brummte Donald in seinen Bart. „Es wirkt wie eine Ritterburg aus dem Mittelalter.“ Der Wagen hielt, und Beverly stieg aufgeregt aus und lief zum Schloß hinauf. Der Eingang wurde von großen Türmen flankiert, und jede Seite der im Dreieck gebauten Anlage wurde von einem weiteren wuchtigen Turm befestigt. Besonders hübsch waren die großen Fenster mit ihren geschnitzten Holzrahmen, die einen guten Einblick in den Hof zuließen und offensichtlich erst von einem der späteren Besitzer eingebaut worden waren. Donald erklärte Beverly die Verankerung der Ketten für die Zugbrücke und die Fallgatter. Sie staunte über die phantasievollen Pechnasen in Gestalt verschiedenster Urwaldtiere, durch die früher siedendes Pech gegossen wurde, um Angreifer abzuwehren. „Das scheint ja wirklich sehr alt zu sein“, bemerkte Jane, die offensichtlich nicht besonders beeindruckt war. Beverly schenkte ihren Kommentaren jedoch keine Beachtung. Die Mauer, die das Schloß umgab, war in ziemlich schlechtem Zustand. Die Steine bröckelten ab, einige waren auch herausgefallen. Doch das Gebäude selbst zeigte wenig Schäden. Beverly befürchtete, bei näherer Betrachtung der ganzen Anlage enttäuscht zu werden. Sie fragte sich, welcher Teufel sie geritten hatte, ein solch ungewöhnliches Vorhaben in Angriff zu nehmen. Hoffentlich hatte ihr impulsives Wesen ihr keinen Streich gespielt, als sie die Galerie verkaufte. Während sie mit leuchtenden Augen um das alte Gemäuer schritt, verschwanden ihre Zweifel allerdings wie von selbst. Das Schloß entsprach genau ihren Erwartungen. „Ich möchte Ihnen jetzt die Räume zeigen“, meinte Donald und zog einen großen schmiedeeisernen Schlüssel aus seiner Hosentasche. Vorsichtig steckte er ihn ins Schloß und schob gleichzeitig die schwere Eichentür auf. Beverly stieg gespannt über die breite Steinschwelle und blickte sich neugierig in der großen Eingangshalle um. Sie war zwei Stockwerke hoch, und von der Mitte aus führte eine Eichenholztreppe nach oben zu einem breiten Flur, von dem aus man die ganze Halle überblicken konnte. Zur Linken gelangte man in den Speisesaal, hinter dem die altmodische Küche lag. Zur Rechten befand sich der weitläufige Wohnraum. Donald erklärte, daß dies einst der Bankettsaal gewesen sei. Obwohl alles verstaubt und mit Spinnweben verhangen war, konnte Beverly erkennen, daß es ein besonders schöner Raum war, dessen breite Glastüren auf eine Terrasse im hinteren Teil der Schloßanlage
führten. Begeistert war Beverly vor allem von dem großen Kamin, in dessen Wände Wappen eingelassen waren. „Dieser Saal sollte wie ein Salon aus der Epoche König Georgs wirken“, fuhr Donald in seiner Erklärung fort. „Sie können sich sicherlich vorstellen, wie großzügig er ausgestattet war, als noch Barone und Lords hier ihre großen Gelage abhielten.“ „Wem gehörte das Schloß?“ wollte Beverly wissen. „Oh, dieses Anwesen hatte viele Besitzer. Gebaut wurde es von der Familie Fräser, von der es auch den Namen erhalten hat. Später ging es durch viele Hände. Je nach politischer Lage wurde das Schloß mal dieser, mal jener Familie übereignet. Es kam ganz darauf an, wen der König gerade belohnen oder bestrafen wollte.“ Beverly hörte Donalds Erzählungen nur mit halbem Ohr zu. Vielmehr stellte sie sich vor, wie wunderschön die Räume einst eingerichtet waren, als noch schwere seidene Tapeten die Wände schmückten, als die reichgedeckte Tafel sich unter dem glänzenden Silber bog. Plötzlich sah Beverly einen gutaussehenden Ritter vor sich, der in seinem rotschwarzen Kilt lässig an dem Kamin lehnte und mit leidenschaftlichen Blicken zu ihr hinübersah… „Beverly!“ Janes Stimme ließ sie aus ihren Träumen fahren. „Was gibt es?“ Verwirrt schaute sie sich um. Jetzt sah alles wieder ganz nüchtern aus. „Fehlt dir etwas? Du hörst mir ja gar nicht zu.“ „Doch, doch.“ „Ich habe eher den Eindruck, daß du mit deinen Gedanken völlig woanders bist.“ „Ich mußte gerade an etwas denken…“ „Das kann ich mir vorstellen. Dir wird anscheinend langsam klar, auf was für ein wahnwitziges Abenteuer du dich eingelassen hast.“ „Nicht im geringsten, Jane! Ich bin begeistert. Du etwa nicht?“ „Na ja, ich muß zugeben, das Schloß ist schon recht malerisch, aber ich finde es schmutzig und ungepflegt.“ „Das läßt sich doch ändern.“ Abrupt wandte sich Beverly zu Donald um. „Ich werde es kaufen. Wieviel Zeit braucht man für eine gründliche Renovierung?“ „Das hängt davon ab, was alles getan werden soll. Reinigungs und Malerarbeiten sind schnell erledigt. Wenn Sie allerdings auf einem modernen Badezimmer und einer praktischen Küche bestehen…“ „Das tue ich“, fiel Beverly ihm ins Wort. „Es gibt gewisse Annehmlichkeiten, auf die ich nicht verzichten möchte.“ „Dann brauchen meine Leute ungefähr zwei Monate“, überlegte Donald. „Ich möchte Sie bitten, die Arbeiten in einem Monat zu schaffen, denn ich habe die Absicht, sehr bald einzuziehen.“ Donald lächelte breit. „Sie gefallen mir, Miss McAllister. Ich werde das Schloß für Sie in ein richtiges Prunkstück verwandeln. Und in einem Monat können Sie sich hier einrichten.“ „Unter meinem eigenen Dach“, betonte Beverly stolz. Das würde nun ihr Zuhause sein. Dieser Gedanke war geradezu umwerfend. Donald führte die Schwestern in den zweiten Stock, wo sich die Schlafzimmer befanden. Im dritten Stock gab es eine Reihe von kleineren Zimmern, die wahrscheinlich als Schlafkammern für die Dienerschaft gedient hatten. Donald sollte hier die Wände herausbrechen lassen, um Platz für ein großes Studio zu schaffen, in dem die zukünftige Schloßherrin ihre Staffelei aufstellen wollte.
Nachdem sie das Tor wieder verschlossen hatten, schlenderten Beverly und Jane mit Donald noch eine Weile auf dem Grundstück hin und her und besprachen das Notwendigste. Beverly blickte noch einmal nachdenklich zu dem alten Gemäuer hinüber und sagte: „Wissen Sie, Donald, mir wird hier so seltsam traurig zumute. Woran mag das liegen?“ Donald schaute Beverly sinnend von der Seite an. „Das kann ich Ihnen erklären, Miss. Die Mauern des Schlosses sind mit Tränen getränkt. Das ganze Anwesen wird heute noch von dem tragischen Geschehen um Laurie Fräser beherrscht.“ „Sie glauben also an diese Legende?“ Beverly lächelte spöttisch. „Es handelt sich keineswegs um eine Legende. Laurie Fräser verliebte sich in einen der mächtigsten Lords dieser Gegend. Aber Laurie war stolz und kühn. Sie war entschlossen, sich von keinem Mann beherrschen zu lassen. Damals glich eine Ehe eher einem Gefängnis.“ „Diese Geschichte habe ich schon irgendwo gelesen. Lauries Liebhaber soll dann in Flodden gestorben sein, nicht wahr?“ Beverlys Stimme klang interessiert. Sie wollte nicht unhöflich wirken, und Donald schien das, was er erzählte, tatsächlich zu glauben. „Ja. Er hatte Laurie gebeten, mit ihm zusammen fortzugehen. In jener Nacht wollte er in der Nähe des Schlosses auf sie warten. Doch Laurie überlegte es sich zu lange. Als sie schließlich zu der verabredeten Stelle kam, war er schon fort. Nicht lange darauf fiel der Lord im Kampf gegen König James’ Soldaten in der Ortschaft Flodden. Bei dieser Schlacht kamen mehr als zehntausend Mann, darunter auch der König selbst, ums Leben.“ „Und Laurie Fräser starb, ohne je verheiratet gewesen zu sein“, beendete Beverly Donalds Bericht. „Halten Sie all diese Gruselgeschichten für wahr?“ „Vielleicht. Vielleicht auch nicht“, erwiderte Donald ausweichend. „Sie kennen doch den Ausspruch aus Shakespeares Hamlet: ,Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde…’“ Donald machte eine kleine Pause. Dann fragte er lächelnd: „Und wie steht es mit Ihnen? Glauben Sie, daß etwas Wahres daran ist?“ Beverly zögerte mit der Antwort. So wie der intensive Duft von Rosen einen Raum durchdringt, so fühlte Beverly das sehnsüchtige Verlangen, von dem das Schloß erfüllt wurde. Donald bemerkte Beverlys Zurückhaltung und fragte höflich: „Glauben Sie denn an den sogenannten zweiten Blick?“ „Meinen Sie die Fähigkeit, in die Zukunft zu schauen?“ „Das kann auch bedeuten, die Vergangenheit zu erkennen. Es gibt tatsächlich Menschen, die diese Gabe besitzen. Meine Großmutter zum Beispiel war das siebte Kind eines siebten Kindes. Sie hatte diesen zweiten Blick. Sie lebte in der Nähe des Culloden Moors, wo vor Hunderten von Jahren die Engländer gegen die Schotten kämpften. Es gab Nächte, so erzählte sie mir, in denen sie das wilde Schlachtgetümmel vernahm, den hohen Ton der Dudelsackpfeife und die Schreie der sterbenden Männer.“ Einen Augenblick lang herrschte peinliches Schweigen. Beverly wußte wirklich nicht, was man Donalds Aberglauben entgegensetzen konnte. Doch dann kam Jane ihr zu Hilfe. „Es wird schon dunkel, Beverly. Ich glaube, wir sollten umkehren.“ Auf dem Rückweg versuchte Donald noch einmal, seinen Standpunkt zu verteidigen: „Wenn Sie die Geschichte von Laurie Fräser nicht glauben wollen, dann bedenken Sie das: Ein Nachkomme des damaligen Liebhabers von Laurie lebt hier in der Nähe auf Schloß Fleming. Als Lauries Liebhaber ums Leben kam, erbte sein Bruder den Titel. Dieser Lord heiratete später die Erbin von Schloß Fleming, wo am Samstag eine große Beltanefeier stattfindet. Jedermann ist eingeladen. Sie sollten mit Ihrer Schwester zusammen hingehen. Dann erfahren
auch gleich alle, daß Sie das Schloß kaufen werden.“
„Was bedeutet denn ,Beltane’“, wollte Beverly wissen.
„In heidnischer Zeit wurde an diesem Tag mit riesigen Feuern den bösen Geistern
und Hexen der Garaus gemacht. Jetzt ist es nur noch ein guter Anlaß, wieder
einmal ein Fest zu feiern.“
„Klingt wie unsere Feste zum Nationalfeiertag“, stellte Jane trocken fest.
„Mag sein. Aber wie ich schon sagte, Sie beide sollten sich diese Party nicht
entgehen lassen. Auf diese Weise lernen Sie Ihre Nachbarschaft am schnellsten
kennen.“
„Offen gesagt, ich würde mir unter lauter unbekannten Menschen ein wenig
verloren vorkommen“, gab Beverly zu bedenken.
„Keine Sorge! Sie kennen doch mich. Und ich werde mit meiner Frau dort sein.
Erst vor ein paar Tagen habe ich mit Rod Fleming gesprochen. Er hatte mich
gebeten, Sie zu dem Fest einzuladen, falls Sie rechtzeitig einträfen. Er wird
nämlich Ihr nächster Nachbar sein.“
„Rod Fleming?“ Beverly horchte überrascht auf. „Ist das der Verfasser des Buches
über die Schlösser und Burgen in Schottland?“
„Ja, genau. Ein ausgezeichnetes Buch, nicht wahr? Ich besitze sogar ein
Exemplar mit einem Autogramm von Rod!“
„Also, ich fände eine Party toll.“ Jane fuhr in Beverlys Gedanken, die momentan
um den Mann kreisten, dessen Buch sie zum Kauf dieses Schlosses bewegt hatte.
Für Jane war diese Feier offensichtlich eine willkommene Abwechslung ihrer
Reise.
Beverly erkannte das sofort. Ihre Schwester mußte, im Gegensatz zu ihr, ständig
etwas unternehmen.
„Wenn Sie meinen, daß wir die Einladung annehmen sollten, dann werden wir
das natürlich tun“, gab Beverly zögernd nach.
„Selbstverständlich. Ich kann Ihnen versichern, man wird Sie aufs Herzlichste
empfangen. Ihr Besuch zeigt doch, daß Sie sich nicht ausschließen wollen.
Übrigens, es ist ein Kostümball. Ich verkleide mich immer als Pirat und trage eine
schwarze Klappe über dem rechten Auge.“
„Das wird aber schwierig. Wo sollen wir in so kurzer Zeit etwas Passendes
herbekommen?“ überlegte Beverly verunsichert.
„Kein Problem. In der High Street gibt es einen Laden, in dem Sie alles
Notwendige kaufen können.“
„Du bist doch so geschickt, Beverly. Ich bin sicher, mit deiner Phantasie findest
du schon geeignete Kostüme für uns.“ Jane legte den Arm um Beverlys Schulter.
„Sind Sie etwa vom Theater?“ fragte Donald interessiert.
„Nicht direkt.“ Beverly lachte. „Aber ich war für die Bühnenausstattung
zuständig. Ich male nämlich.“
„Das paßt ja wunderbar. In Kirkcudbright gibt es viele Maler.“
„Auf jeden Fall werden wir uns etwas Lustiges einfallen lassen“, meinte Jane. „Ich
freue mich drauf.“
„Na gut“, gab Beverly sich schließlich geschlagen. Donald und Jane hatten sie
überzeugt, und allmählich freute sich Beverly auch.
Am selben Abend aßen Beverly und Jane in einem gemütlichen kleinen
Restaurant zu Abend. Nach den vielen neuen Eindrücken ließen sie sich den
zarten geräucherten Lachs schmecken. Zum Schluß tranken die beiden noch eine
Tasse Kaffee und schlenderten dann durch Kirkcudbright. Auf ihrem Spaziergang
staunten sie über die Vielzahl der Galerien, die sie überall entdeckten.
„Wie in Carmel“, murmelte Beverly zufrieden.
„Ja, aber viel kälter“, erwiderte Jane lächelnd und zog den Mantel fester um sich.
Selbst Ende April war es in Schottland noch kalt, das hatte sie nicht erwartet. „Hast du etwa die Absicht, hier zu bleiben?“ forschte Jane besorgt. „Ja, warum nicht. Ich fühle mich hier zu Hause. Es ist seltsam, ich kann dir kaum erklären, warum ich so empfinde. Sicherlich liegt es daran, daß mich hier alles zum Malen animiert. Wo ich auch hinsehe, es fasziniert mich. Ich möchte jede Einzelheit auf der Leinwand festhalten.“ „Aber dieses Schloß ist kein richtiges Heim, Beverly.“ „Das war Carmel auch nicht. Wir haben dort lediglich ein paar Jahre unseres Lebens verbracht. Vorher sind wir mit den Eltern ständig von einem Ort zu anderen gezogen. Erinnerst du dich gar nicht mehr?“ „Schon, aber in diesem Land ist mir alles so fremd. Die Schotten servieren den Salat am Ende der Mahlzeit. Hier kann man doch nicht leben!“ Beverly mußte lachen. „Es wird mir bestimmt nicht schwerfallen, mich an die hiesigen Sitten zu gewöhnen.“ „Hast du nicht den Eindruck, fehl am Platz zu sein?“ „Nein, überhaupt nicht. Das war in Californien eher der Fall. Dort kam ich mir teilweise sehr verloren vor.“ „Das lag nur an der Verantwortung, die du so jung übernehmen mußtest. Dadurch bist du ernst geworden und viel zu früh erwachsen.“ „Wirke ich tatsächlich so ernst?“ Beverly fühlte sich auf einmal unsicher. Sie hatte sich immer als fröhlichen Menschen gesehen, als einen, der das Leben genoß. Der Gedanke, sie könnte einen sauertöpfischen Eindruck machen, störte sie gewaltig. „Ich finde dich manchmal ausgesprochen ernst“, betonte Jane. „Du weißt gar nicht, wie ich mich freuen würde, wenn du dein Leben ein bißchen mehr genießen würdest.“ „Okay.“ Beverly lächelte einsichtig. „Ich gehe auf dieses Kostümfest und werde mich blendend amüsieren. Zufrieden?“ „Ja. Das ist schon mal etwas.“ Jane strahlte. „Du solltest endlich einmal alle Hemmungen über Bord werfen und mit einem dieser rauhen Burschen hier eine wilde Affäre anfangen.“ Beverly schüttelte belustigt den Kopf. „Ich glaube, ein Abenteuer zur Zeit reicht. Jetzt nehmen wir erst einmal dieses Kostümfest in Angriff, nächste Woche sehen wir dann weiter…“ „Abgemacht. Ich nehme dich beim Wort.“ Während sie langsam zum Hotel zurückgingen, drehten sich Beverlys Gedanken ausschließlich um das Schloß und die seltsamen Gefühle, die sich ihr dort aufgedrängt hatten. Sie begann zu ahnen, daß die Sehnsucht, die sie dort verspürt hatte, tief in ihrem Innern steckte, und nicht, wie sie zuvor glaubte, in dem jahrhundertalten Gemäuer. Aber was war es, wonach sie suchte?
3. KAPITEL Der Abend des ersten Mai war feucht und kühl. Am wolkenlosen Himmel stand der Vollmond wie ein orangefarbener Lampion. Beverly hatte in dem Geschäft, das Donald ihr beschrieben hatte, verschiedene Kleidungsstücke gekauft. Als eine wahre Schatztruhe hatte sich die kleine Boutique entpuppt. Jetzt stand Beverly in ihrem Hotelzimmer vor dem Spiegel und betrachtete sich kritisch. Sie hatte sich für eine bunte Bauernbluse mit riesigen Puffärmeln entschieden. Ihre schmale Taille wurde von einer roten, breiten Seidenschärpe geschmückt. Dazu wählte Beverly einen schwarzroten Tuchrock, der an den Seiten aufgesteckt war, und unter dem eine Vielzahl von Spitzenunterröcken zum Vorschein kam. Beverly kam sich in ihrem Kostüm wie ein richtiges Bauernmädchen vor. Mit einem weißen Band hatte sie die rotblonden, langen Locken im Nacken zusammengebunden. Das Bild, das ihr aus dem Spiegel entgegensah, stellte sie vollkommen zufrieden. In bester Stimmung verließ sie das Zimmer und klopfte bei Jane an die Tür. Zu Beverlys größtem Erstaunen lag Jane noch im Bett. Sie hatte sich ganz unter das Federbett verkrochen und hielt ein großes Taschentuch vor der Nase. „Du bist ja noch nicht einmal angezogen, Jane. Was ist denn mit dir los?“ „Mir geht’s verdammt schlecht“, schniefte Jane unglücklich. Die leichte Erkältung der letzten Tage hatte sich anscheinend inzwischen zu einem handfesten Schnupfen entwickelt. „Den ganzen Nachmittag über habe ich schon Aspirin geschluckt, aber ich fühle mich immer noch hundeelend.“ „Du Ärmste! Sollen wir nicht besser einen Arzt holen?“ „Der wird mir auch nur raten, Aspirin zu nehmen und im Bett zu bleiben. An der Erkältung ist bloß dieses gräßliche Wetter schuld. Findest du diese Eiseskälte mitten im Frühling etwa normal?“ Beverly atmete erleichtert auf. Wenn Jane sich derart aufregen konnte, dann war sie auch nicht so krank, daß sie sich ernsthafte Sorgen machen mußte. „Du bist eben noch nicht an das schottische Klima gewöhnt, Schwesterherz. Ich werde Mrs. Lindsay erstmal bitten, eine große Kanne heißen Tee herauf zubringen.“ „Nein, das wirst du nicht tun“, widersprach Jane heftig. „Du gehst jetzt auf der Stelle zu der Party.“ „Soll ich dich etwa hier mutterseelenallein zurücklassen? Da schätzt du mich aber falsch ein.“ Beverly stellte entschlossen einen Stuhl neben Janes Bett. „Bitte, Beverly. Ich möchte wirklich gerne, daß du hingehst. Du kannst hier sowieso nichts für mich tun. Ich mache es mir mit einem Buch gemütlich. Dabei brauche ich dich doch nicht.“ „Ja schon, aber ich habe trotzdem keine Lust zu feiern, während du krank im Bett liegst.“ „Warum nicht? Du vergißt, daß ich kein Kind mehr bin. Und denk doch mal daran, was Donald sagte: du wirst alle wichtigen Leute der Stadt treffen und lernst auf diese Weise gleich das gesellschaftliche Leben von Kirkcudbright kennen.“ Beverly zögerte noch immer. Jane hatte recht. Dieses Fest konnte tatsächlich von großer Bedeutung für sie sein. „Jane…“, begann sie schließlich zaghaft. „Keine Widerrede mehr, Beverly. Ich bestehe darauf. Und vergiß nicht, auch ein
wenig zu flirten.“ Bevor Beverly etwas einwenden konnte, fügte ihre Schwester noch hinzu: „Wenn du mir etwas Gutes tun willst, dann besorge mir von Mrs. Lindsay den Tee und bitte sie, mir einen Schuß Kognak hineinzutun, falls sie das mit ihren Moralvorstellungen vereinbaren kann.“ Beverly gab den Widerstand auf. „Gut, Jane, ich gehe auf die Party. Aber ich werde nicht lange bleiben, und wenn ich zurück bin, schaue ich noch einmal bei dir herein.“ „Wahrscheinlich schlafe ich dann schon tief und fest. Mach dir also bitte keine Sorgen, und laß dir Zeit mit dem Nachhausekommen.“ Nachdem Beverly den Tee mit einem ordentlichen Schuß Kognak neben Janes Bett gestellt hatte, machte sie sich auf den Weg zum Schloß Fleming, obwohl ihr gar nicht wohl dabei war. Mrs. Lindsay hatte ihr den Weg zu den Flemings genau beschrieben. Danach konnte es nicht zu weit entfernt liegen. Zunächst fuhr Beverly durch Gatehouse, ein kleines Dorf nördlich von Kirkcudbright. Dabei genoß sie die Aussicht auf die silbern glänzende Küste von Wigtownshire. Danach kam sie am alten Grenzposten von Barholm vorbei. Hier lagen viele Boote vor Anker. Die Küste verlief in einem Bogen nach Norden. Gleich nach der Ortschaft Creetown gelangte Beverly auf die Hauptstraße, die weiter ins Inland führte. Immer wieder tauchten hübsche kleine Häuschen im Licht der Scheinwerfer auf, deren weiße und gelbe Wände von Astern und Rosen geschmückt waren. Beverly fand bald die Abzweigung, die rechts von der Hauptstraße direkt zum Gut Fleming führte. Den Weg säumte Farnkraut, das bald von prächtigen Rhododendronbüschen abgelöst wurde. Es folgte ein kleiner Birkenwald, dann lag Gut Fleming, von alten hohen Bäumen umgeben, vor ihr. Das Renaissanceschloß aus rötlichem Sandstein wirkte noch größer als Schloß Fräser. Es war massiv gebaut und drei Stockwerke hoch. Die Fenster der Vorderfront waren hell erleuchtet. Auf der im Halbkreis verlaufenden Auffahrt parkte ein Wagen hinter dem anderen. Ihren gemieteten roten BMW stellte Beverly ganz ans Ende der Schlange und ging langsam den Weg zum Eingang hinauf. Mit einer leichten Verbeugung öffnete ein Butler auf ihr Läuten und ließ sie ein, ohne nach einer Einladungskarte zu fragen. Donald hat offenbar recht, dachte Beverly, halb Kirkcudbright scheint heute abend hier versammelt zu sein. Als erstes erkannte Beverly die junge Besitzerin der Boutique wieder, in der sie das Kostüm gekauft hatte. Ein adrett gekleidetes Mädchen in schwarzweißer Uniform reichte ihr ein Glas Champagner. Sie nahm einen Schluck und schaute sich suchend nach Donald Drummond um. Wie gerne hätte Beverly ihn jetzt, inmitten dieser vielen fremden Menschen, an ihrer Seite gehabt. Schließlich fiel ihr Blick auf einen Mann mit schwarzer Augenbinde und rotem Kopftuch. Das konnte nur Donald in seinem Piratenkostüm sein. Erleichtert bahnte sie sich einen Weg durch die Menge. „Sie sehen ganz entzückend aus, Miss McAllister“, rief er gutgelaunt aus, als er sie sah. „Wie schön, daß Sie gekommen sind. Darf ich Ihnen meine Frau, Margaret, vorstellen?“ Margaret war genau das Gegenteil ihres Mannes: klein, sehr schlank und dunkelhaarig. Die wachsamen, dunkelbraunen Augen ließen Beverly sogleich erkennen, daß Margaret ihrem Mann geistig in nichts nachstand. „Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Miss McAllister. Sie glauben gar nicht, wie gespannt wir alle auf die neue Besitzerin von Schloß Fräser sind. Sie haben recht daran getan, heute abend herzukommen, obwohl Sie sich unter all den fremden
Menschen sicherlich noch ziemlich fremd fühlen, nicht wahr?“ Beverly gefiel Margarets Offenheit. „Ich habe tatsächlich den Eindruck, ein wenig fehl am Platz zu sein. Aber ich bin auch froh, daß ich gekommen bin. Stellen Sie sich vor, sogar das Zimmermädchen in meinem Hotel hat von dem Fest erzählt.“ „Ja, es ist ein wichtiges Ereignis.“ Margaret lächelte stolz. „Glücklicherweise haben die Flemings dieses Fest beibehalten, obwohl sie sich hier nur noch selten aufhalten. Seit Lady Grace verwitwet ist, verbringt sie die meiste Zeit in London. Ihr Sohn Rod arbeitet in Edinburgh.“ „Ich möchte die beiden gerne kennenlernen. Donald erzählte mir, sie würden meine nächsten Nachbarn sein.“ „Lady Grace ist leider nicht gekommen. Aber Rod muß hier irgendwo herumschwirren.“ „Wahrscheinlich kümmert er sich um Nachschub für die Getränke“, mischte Donald sich jetzt in das Gespräch. „Ich frage mich, wo das ganze Zeug geblieben ist.“ „Das mußt du gerade sagen, Donald. Dabei sehe ich dich schon mit deinem dritten Glas Champagner!“ Margaret hob scherzend den Zeigefinger. „Ich glaube, Rod ist gerade in den Saal hinübergegangen, wo getanzt wird. Bei den jungen Leuten wird es Ihnen bestimmt viel besser gefallen…“ „Das ist möglich“, stimmte Beverly zu. „Ich mische mich also sofort unter das Volk, wie man so schön sagt. Bis später.“ Der Ballsaal war ein riesiger Raum. Spiegelblankes Parkett lud zum Tanzen ein. Die beiden Verandatüren standen weit offen und führten auf eine mit Lampions geschmückte Terrasse. Ein wenig erhöht auf einem Podest war die Band plaziert, die abwechselnd moderne Tanzmusik und schottische Volksweisen spielte. Beverly schlenderte entlang der überfüllten Tanzfläche zum hinteren Ende des Saales. Neugierig trat sie auf die Terrasse und lehnte eine Weile an der Brüstung. Mehr und mehr Beltanefeuer wurden auf dem weiten Gelände angezündet. Hoch loderten die Flammen in den schwarzen Himmel empor, und Beverly verstand auf einmal, warum die Menschen früher glaubten, damit die bösen Geister vertreiben zu können. Ihre Gedanken versetzten Beverly in die Welt der Vergangenheit zurück. In der Beltanenacht war der Legende nach nichts unmöglich. Beverly überlegte, ob sie vielleicht auch etwas von diesem unbeschreiblichen Zauber erleben würde… Von ihren romantischen Grübeleien verwirrt, wandte Beverly sich schließlich um und kehrte in den Saal zurück, in dem man sich förmlich drängelte. Plötzlich wurde sie gegen einen Mann gedrückt, der in die ihr entgegensetzte Richtung ging. Erschrocken sah sie auf, um sich zu entschuldigen. Dabei traf ihr Blick die hinreißendsten grünen Augen, denen sie je begegnet war. In das warme Smaragdgrün mischte sich ein goldener Braunton, und Beverly ahnte im selben Moment, daß sie von dem Zauber dieser Augen nie mehr loskommen würde. Gleichzeitig nahm Beverly verwirrt sehr ausgeprägte Gesichtszüge wahr, eine eindrucksvolle Adlernase, einen festen, schmalen Mund und ein wohlgeformtes Kinn. Der Fremde, der vor ihr stand, wirkte insgesamt äußerst sympathisch und anziehend auf Beverly. Je länger sie ihn ansah, desto mehr faszinierte er sie. Außerdem hatte sie das vage Gefühl, den Mann zu kennen. Plötzlich fiel es ihr ein. Natürlich! Sie hatte ihn auf dem Foto in ihrem Buch über die schottischen Schlösser gesehen. Ihr Gegenüber mußte Rod Fleming sein. „Wir kommen hier wohl nicht weiter“, brach der Mann lächelnd das Schweigen. „Hoffentlich macht es Ihnen nichts aus. Mich jedenfalls stört das nicht im geringsten.“ Er hatte einen leichten schottischen Akzent, der aber, im Gegensatz zu dem
sonst in Kirkcudbright gesprochenen Dialekt, sehr kultiviert klang. Beverly fühlte sich nicht besonders wohl in ihrer Haut, und ihr Puls begann, schneller zu schlagen. Sie war sich seiner Nähe bewußt und spürte die Wärme seines attraktiven Körpers sogar durch ihre Kleidung hindurch. Sein Atem strich an ihrem Hals entlang, und sie bemerkte in seinen Augen ein spöttisches Aufblitzen, das sie beinahe aus der Fassung brachte. Er sah sie doch tatsächlich so an wie ein hoher Herr, der mit einem einfachen Küchenmädchen ein paar schöne Stunden verbringen will. Bevor Beverly ihm eine passende Antwort geben konnte, wurden sie von der Menge auf die Tanzfläche geschoben. Sie versuchte, sich rasch aus seinen Armen zu winden, doch er hielt sie zurück. „Sie wollen doch nicht etwa fortlaufen! Wie wär’s mit einem Walzer?“ Warum nicht, dachte Beverly. Schließlich war sie ja auch auf dieses Fest gekommen, um ihn kennenzulernen. So nickte sie zustimmend, und Rod Fleming drehte sie geschickt im Kreis. Er war größer als Beverly, und seine aufrechte Haltung gab ihm ein stattliches Aussehen. Eine Locke seines goldbraunen Haares fiel ins Gesicht und unterstrich seine jungenhafte Fröhlichkeit. Trotz seines schmalen Körperbaus wirkte er durchaus kraftvoll. Seine Hände hielten Beverly sanft und fest zugleich. Rod Fleming hatte sich als Hausherr das Privileg herausgenommen, ohne Kostüm zu erscheinen. Er trug einen weinroten Smoking, hatte aber das Hemd am Hals geöffnet, als ob er zeigen wollte, daß ihm das förmliche Getue lästig sei. Gerade als Beverly daran dachte, sich vorzustellen, sagte er: „Ich hatte noch nicht das Vergnügen, Sie kennenzulernen.“ „Nein“, antwortete Beverly trocken. Sie hatte plötzlich große Lust, ihn noch eine Weile im Unklaren zu lassen und ihre Identität nicht preiszugeben. „Aha, also die sogenannte schöne Unbekannte“, scherzte er und lächelte dabei umwerfend charmant. Betrunken ist er nicht, überlegte Beverly, aber er hat offensichtlich genug gehabt, so übertrieben freundlich, wie er sich gibt. Zudem zog er sie beim Tanzen näher an sich, als notwendig gewesen wäre, was Beverly jedoch geschehen ließ. Seltsamerweise fühlte sie sich wunderbar wohl in Rods Armen. Voller Harmonie bewegten sie sich in dem wiegenden Rhythmus. „Sie brauchen mir Ihren Namen gar nicht zu verraten. Ben Dalbeattie erzählte mir, daß er eine neue Dame für die Bar eingestellt hat. Und er garantierte mir, daß sie die allerschönsten rotblonden Locken besäße, die ich je gesehen hätte. Das können ja nur Sie sein!“ „Vielleicht“, erwiderte Beverly lässig und gab sich Mühe, mit schottischem Dialekt zu sprechen. Es machte ihr einen Riesenspaß, Rod Fleming auf den Arm zu nehmen, dessen überhebliches Wesen ihren Stolz empfindlich getroffen hatte. Fleming führte Beverly wieder zurück auf die Terrasse, hinaus in die kühle Nachtluft. Die Feuer brannten noch immer, und die Gäste begannen, sich um sie herum zu versammeln. Beverly und Rod blieben allein in einer Ecke der dunklen Terrasse stehen. Obwohl sie längst nicht mehr tanzten, hielt er sie noch immer fest im Arm. „Wie wär’s mit einem Kuß, schönes Kind?“ fragte er ungeniert. „Sie wollen sich ja nur auf Kosten eines armen Mädchens amüsieren.“ Beverly lachte hell auf und blickte ihm in die Augen. „Ganz und gar nicht Wir sollten aber unsere Freundschaft besiegeln.“ Rod lächelte erwartungsvoll. „Ohne daß wir uns vorgestellt haben?“ wandte Beverly ein. „Dann sagen Sie mir doch endlich, wie Sie heißen.“ „Nein, ich glaube, das tue ich besser nicht.“ Beverly lachte erneut und warf ihre
Locken temperamentvoll in den Nacken. „Verflixt, Ben hatte mir doch den Namen der jungen Dame gesagt. Wie hieß sie nur?“ Fleming überlegte. „Ja, jetzt hab ich’s: Marie, stimmt’s?“ „Ich heiße nicht Marie“, sagte Beverly betont lässig. Sie brauchte nicht einmal zu lügen. „Sie bestehen also darauf, die mysteriöse Unbekannte zu bleiben. Gut! Vielleicht sind Sie nicht aus Fleisch und Blut, sondern ein Geist, der sich in dieser sagenumwobenen Nacht an mich heranmacht, um mir mein Herz zu rauben.“ „Da könnten Sie recht haben.“ „Nun“, meinte Rod entschieden, „es besteht wohl kein Zweifel, daß ich im Augenblick eine höchst lebendige, entzückende junge Dame in meinen Armen halte. Was außerdem leicht zu beweisen wäre…“ Er beugte sich zu Beverly vor und küßte sie unvermittelt auf den Mund. Beverly war durch diesen Kuß völlig verwirrt. Im Nu stand sie wie in Flammen. Sie vergaß alles um sich herum und sah und fühlte nur noch Rod. All ihre Sinne waren auf ihn gerichtet. Selbst das Gelächter, das lebhafte Stimmengewirr und die Musik traten in den Hintergrund. Seine fordernden Lippen machten sie trunken vor Verlangen. Als Rod sie schließlich frei ließ, zitterte Beverly am ganzen Körper. Der harmlose kleine Flirt hatte plötzlich eine völlig unerwartete Explosion der Gefühle hervorgerufen. „Sie sind ganz schön dreist, mein Herr. Jedenfalls zu draufgängerisch für ein einfaches Mädchen wie mich.“ Abrupt wandte Beverly sich um und lief in den Saal zurück. Rod bat sie zu warten, aber Beverly bahnte sich ihren Weg durch die Menge und stürzte aus dem Haus. Gleich darauf saß sie hinter dem Steuer ihres Wagens und gab Gas. Aus dem Augenwinkel erhaschte sie im Rückspiegel noch einen Blick von Rod Fleming, der ihr völlig verblüfft hinterherschaute. Wie versprochen sah sie noch kurz bei Jane herein, die aber schon tief und fest schlief. Beverly war froh, daß sie Jane jetzt nichts erklären mußte. Die Aufforderung ihrer Schwester, das Flirten nicht zu vergessen, war nicht ohne Wirkung geblieben. Rod Fleming hatte Gefühle in ihr entfacht, die sie zuvor nie gekannt hatte. Mehr noch als Sehnsucht und Verlangen aber bewegte Beverly das unbestimmte Gefühl, vor langer Zeit schon einmal in diese smaragdgrünen, verführerischen Augen geblickt zu haben.
4. KAPITEL Anfang Juni siedelten Beverly und Jane nach Schloß Fräser über. Das erste
Stockwerk war fertiggestellt, und Beverly war mit dem eleganten
Gästebadezimmer und der modernen Küche sehr zufrieden. Der Wohnraum war
in einem hellen, freundlichen Grün gehalten, so daß die glänzende Chintzgarnitur
im gleichen Farbton ausgezeichnet paßte. Beverly hatte einige Bilder von Malern
ihrer neuen Heimat ausgewählt, die nun die Wände schmückten. Im zweiten
Stock konnten schon zwei Schlafzimmer und das große Badezimmer benutzt
werden. In der dritten Etage hatte Donald, wie besprochen, alle Wände
herausbrechen lassen und war gerade dabei, ein geräumiges Studio für Beverly
herzurichten.
Donald hatte Beverly auch einen Gärtner empfohlen, der die verwilderte Anlage
in ein kleines Paradies verwandelte. Überall blühten jetzt bunte Blumen, der Efeu
wurde beschnitten und der Rasen gemäht. Schloß Fräser wirkte so einladend, wie
Beverly es sich vorgestellt hatte. Selbst Jane fand nichts mehr auszusetzen, als
sie schließlich mit Sack und Pack einzogen.
„Ich werde wohl eine kleine Dinnerparty geben müssen“, überlegte Beverly,
während sie ihren Kleiderschrank einräumte.
Jane hatte es sich auf dem breiten Bett bequem gemacht und beobachtete ihre
Schwester. „Wen willst du denn einladen?“
„Oh, Donald und Margaret natürlich. Dann Mrs. Lindsay und die Familie Fleming.
Schließlich sind wir Nachbarn, und ich möchte sie gerne näher kennenlernen.
Außerdem war ich ja auch auf dem Beltanefest in ihrem Schloß.“
„Da hast du sie doch sicherlich getroffen, oder?“
„Nein. Mrs. Fleming war nicht gekommen, sie lebt in London.“
Von ihrem Zusammentreffen mit Rod Fleming erzählte Beverly lieber nichts.
Jane sah sie jedoch forschend von der Seite an. „Du hast mir bisher überhaupt
nichts von der Party erzählt. Immer wenn ich danach frage, wechselst du das
Thema.“
„So ein Unsinn, Jane. Es gibt ganz einfach nichts Besonderes zu erzählen.
Abgesehen von Donald und Margaret kannte ich niemanden, und außerdem bin
ich ja früh wieder nach Hause gefahren.“
Beverly wich dem forschenden Blick ihrer Schwester aus und widmete sich mit
gespielter Aufmerksamkeit ihrer Garderobe, so daß Jane das Gesprächsthema
wechseln mußte: „Sag mal, was ist eigentlich dein nächstes Vorhaben, nachdem
du nun hier eingezogen bist?“
„Ich werde so bald wie möglich anfangen zu malen. Am liebsten schon morgen.
In den letzten Wochen habe ich derart viel Schönes und Interessantes gesehen,
daß ich es kaum erwarten kann, endlich hinter meiner Staffelei zu sitzen.“
Als Jane nicht sofort antwortete, wandte Beverly sich zu ihr um. „Du möchtest
wieder zurück nach Monterey, nicht wahr?“
„Ja.“ Jane seufzte tief. Sie mied Beverlys Blick.
„Jane, was ist los mit dir? Seit wir aus Kalifornien abgereist sind, bedrückt dich
doch irgend etwas. Anstatt diese Reise zu genießen, läufst du meistens
mißgestimmt herum.“ Plötzlich kam Beverly ein Gedanke. „Hast du dort etwa
jemanden zurückgelassen, einen Mann?“
„Richtig“, gestand Jane.
„Bist du in ihn verliebt?“
„Und wie! Hoffnungslos, verzweifelt, falls du dir darunter etwas vorstellen kannst,
Schwesterherz.“
„Aber das ist ja phantastisch“, freute Beverly sich.
„Nichts ist phantastisch.“ Jane zog sich ein Kissen über den Kopf und stöhnte: „Er ist verheiratet.“ „Ach so.“ Beverlys Stimme klang enttäuscht. „Keine Sorge, Beverly. Ich zerstöre keineswegs eine glückliche Ehe. Ted und seine Frau verstehen sich schon lange nicht mehr. Er hätte sie längst verlassen, wenn da nicht die Kinder wären.“ „Sie haben auch Kinder?“ „Drei sogar. Sie ist eine Frau, die es versteht, ihren Mann mit einem Sack voller Verantwortung an sich zu binden.“ „Ach, und du meinst, Ted hätte keinen Anteil an diesen Kindern?“ „Ich wußte doch, daß du auf diese Weise reagieren würdest“, seufzte Jane enttäuscht. „Du verstehst mich eben nicht. Deshalb habe ich dir bisher auch nichts von ihm erzählt.“ „Jane, ich möchte dich gerne verstehen. Wie ist das überhaupt gekommen? Wie hast du ihn kennengelernt?“ „Ich habe für ihn eine Party arrangiert. Er ist nämlich Arzt und hat erst vor kurzem eine Praxis zusammen mit einigen anderen eröffnet. Nach der Party plauderten wir noch eine Weile miteinander. Später rief er mich dann an. Ja, so kam das.“ Jane zögerte einen Augenblick, bevor sie weitersprach. „Und ich habe wirklich nichts dazu getan, denn ich hätte mir sicher eine problemlose Beziehung gewünscht! Aber ich liebe ihn nun mal. Zum ersten Mal in meinem Leben weiß ich, was es bedeutet, sich nach jemandem zu sehnen, ihn mehr als alles in der Welt besitzen zu wollen.“ „Aber Jane…“ „Ich weiß, ich weiß. Er ist verheiratet.“ Jane schüttelte bedauernd den Kopf. „Ich habe dir doch gesagt, die beiden führen keine glückliche Ehe.“ „Ich will dir ja keine Vorwürfe machen, Liebes. Das steht mir gar nicht zu. Ich sage dir auch nicht, wie du dein Leben gestalten sollst. Ich befürchte nur, daß man dir sehr, sehr weh tun wird.“ „Ich hoffe, daß er sich scheiden läßt.“ „Rechne lieber nicht damit. Die meisten Männer reden nur davon. Außerdem kann ich mir dich schlecht als Geliebte eines verheirateten Mannes vorstellen.“ Ihre Stimme klang ein wenig schrill. Auf eine solche Überraschung war sie nicht vorbereitet gewesen. Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, wie sie Jane helfen konnte. Einerseits wollte sie Jane nicht verletzen, andererseits konnte sie Janes Verhalten aber auch nicht gutheißen. „Ich hatte mir so gewünscht, mit dir über ihn reden zu können. Bis jetzt weiß noch niemand etwas von uns. Dabei kann ich an nichts anderes mehr denken.“ „Ich weiß, Jane.“ Beverly legte den Arm um Janes Schulter und blickte sie mitfühlend an. „Ted ist wunderbar. Du würdest ihn bestimmt mögen. Er ist klug, lieb und hat eine solch starke männliche Ausstrahlung, daß ich es kaum beschreiben kann.“ Beverly lag auf der Zunge zu sagen, daß er wohl nicht besonders lieb sein konnte, wenn er zwei Frauen gleichzeitig etwas vormachte. Aber sie behielt diesen Gedanken lieber für sich. „Hör mal, Jane“, begann sie und schaute ihrer Schwester gerade in die Augen. „Du weißt, wie lieb ich dich habe. Ich wünsche mir für dich, was du dir selbst wünschst.“ „Danke, Beverly.“ Jane drückte Beverlys Hand. „Hast du deinen Ted denn von hier aus einmal angerufen?“ „Nein. Ich habe mit ihm abgemacht, weder zu schreiben noch anzurufen, denn ich wollte versuchen, ihn zu vergessen.“
„Das ist dir aber offensichtlich nicht gelungen.“ „Nein.“ Jane sprach mit leiser Stimme und sah Beverly unglücklich an. Wie gern hätte Beverly ihre Schwester getröstet. Aber sie wußte, daß sie Jane nicht helfen konnte. Mit diesem Problem mußte die Arme selber fertig werden. So setzte sich Beverly nur neben Jane aufs Bett und nahm sie liebevoll in die Arme. „Hättest du Lust, dir etwas Leckeres für meine Dinnerparty auszudenken? Du bist doch eine großartige Köchin, und seit mindestens einem Monat hast du nichts mehr in der Küche gezaubert.“ Jane versuchte, fröhlich auszusehen. Ihre Schwester hatte recht. Sie sollte sich zusammenreißen und ihren Humor nicht verlieren. „Einverstanden“, stimmte sie zu. „Ich werde etwas Köstliches kreieren. Aber verlang keinen langweiligen Lachs oder diese entsetzliche Leberpastete von mir. Ich werde den Leuten hier zeigen, was amerikanische Küche ist!“ Beverly klopfte ihr auf die Schulter. Wie konnte sie Janes Kummer nur vertreiben? Sie machte sich Sorgen um ihre Schwester, die sich anscheinend ernsthaft verliebt hatte, wie würde das ausgehen…? Schon am nächsten Tag verschickte Beverly die Einladungen zu ihrer Dinnerparty. Das Fest sollte am folgenden Sonnabend stattfinden. Alle Gäste, die eingeladen waren, hatten zugesagt, auch Rod Fleming. Er schrieb in seiner Antwort, daß seine Mutter leider verreist sei, er selber aber gerne kommen werde. Den ganzen Sonnabend war Jane in der Küche beschäftigt, denn sie bereitete eine Speisenfolge mit sieben Gängen vor. Angefangen von einer Vorspeise, die aus gefüllten Auberginen bestand, bis hin zu einer verführerischen Champagnercreme als Nachspeise. Beverly kleidete sich an diesem Abend mit besonderer Sorgfalt. Ihr Badezimmer lag gleich neben ihrem Schlafzimmer. Jedesmal, wenn sie hineinging, freute sie sich von neuem über die altmodischen vergoldeten Wasserhähne und die bezaubernden rosafarbenen Kacheln. Von der Decke hingen Farne, die sich in der feuchtwarmen Luft des Badezimmers ausgezeichnet entwickelten. Nach einem erfrischenden Bad trocknete Beverly sich ab, cremte sich ein und tupfte einige Tropfen ihres sündhaft teuren Parfüms hinter die Ohren, in den Ausschnitt und auf die Handgelenke. Sie fand, nach einem Monat in Jeans sei es an der Zeit, sich wieder einmal schön zu machen. Warum auch nicht? Beim Ankleiden dachte sie allerdings ausschließlich an Rod Fleming. Das weiße Seidenkleid mit dem tiefen V Ausschnitt und dem breiten Gürtel brachte ihre schlanke Figur ausgezeichnet zur Geltung. Zufrieden drehte sich Beverly vor dem Spiegel. Die goldenen Ohrklipps schmeichelten ihren feinen Gesichtszügen, und den Hals schmückte eine feingliedrige Goldkette mit einem antiken Anhänger. Das auffallende kleine Goldherz hatte sie erst kürzlich im Schaufenster eines Antiquitätengeschäfts in Kirkcudbright gesehen und auf der Stelle gekauft. Das Makeup nahm nicht viel Zeit in Anspruch: sie legte ein wenig Glanz auf die Lippen, verschönte die Augenpartie mit Wimperntusche und zart goldenem Lidschatten. Das war alles. Mit festen Strichen bürstete sie ihre glänzenden Locken und steckte sie mit kleinen Elfenbeinkämmchen hinter den Ohren fest. Dabei ließ sie absichtlich ein paar Strähnen frei, die ihr Gesicht umspielten. Ein Blick auf ihre Armbanduhr zeigte ihr, daß die Gäste gleich eintreffen würden. Beverly eilte in den Wohnraum und entkorkte eine Flasche Chardonnay, die sie ihnen zur Begrüßung anbieten wollte. Aus der Küche strömten verführerische Düfte, wo Jane die letzten Vorbereitungen traf und dabei zufrieden vor sich hinsummte.
Beverly wollte gerade die Flasche Wein noch einmal in den Eisschrank
zurückstellen, als Donald, seine Frau Margaret und Mrs. Lindsay eintrafen.
Beverly nahm ihnen die Mäntel ab und überließ ihre Gäste einen Augenblick Jane,
die in ihren burgunderroten Pumphosen aus glänzendem Satin sehr hübsch
aussah.
„Wenn Margaret nichts dagegen hat, möchte ich mir erlauben, den beiden jungen
Damen ein Kompliment zu machen: Sie sehen wirklich bezaubernd aus.“ Donald
verbeugte sich leicht.
„Natürlich habe ich nichts dagegen.“ Margaret wehrte lächelnd ab. „In deinem
Alter, Donald, gibt es ohnehin nichts mehr zu befürchten.“
Alle lachten, der Abend ließ sich gut an.
Gleich darauf klopfte es erneut. Erstaunt stellte Beverly fest, daß ihr Herz
begann, schneller zu schlagen. Nur nicht aufregen, beruhigte sie sich selbst, dazu
gibt es keinen Grund.
„Ich gehe öffnen“, bot sich Jane an und verließ den Raum.
Beverly goß für die Anwesenden ein Glas Wein ein, um sich irgendwie zu
beschäftigen.
Jane war bereits nach wenigen Minuten mit dem neuen Gast zurück und stellte
ihn Beverly vor.
„Das ist unser Nachbar, Rod Fleming“, verkündete sie lächelnd.
Beverly hob den Kopf und sah in ein Paar smaragdgrüne Augen. Sie fühlte, wie
ihr Herz einen Moment aussetzte. Doch es gelang ihr, die Nervosität zu
überspielen, indem sie den Gast höflich begrüßte: „Wie geht es Ihnen, Mr.
Fleming? Ich freue mich, daß Sie gekommen sind.“
Ihr Gegenüber machte ein völlig verdutztes Gesicht, genau wie Beverly es sich
erhofft hatte, ließ sich aber nichts anmerken. „Danke, Miss McAllister, die Freude
ist ganz auf meiner Seite. Bitte nennen Sie mich Rod.“ Während er sprach,
musterte er Beverly erstaunt, als könnte er seinen Augen nicht trauen.
„Darf ich Ihnen ein Glas Wein anbieten?“ fragte Beverly mit fester Stimme. Ihre
Nervosität war vollkommen verschwunden, nachdem die Begrüßung überstanden
war. Sie hatte sich wieder unter Kontrolle und genoß es, Rod in Verwirrung
gebracht zu haben.
Rod nahm dankend das Glas entgegen. Nachdenklich schüttelte er den Kopf.
Beverly war aufgefallen, daß Rod leger, aber sehr geschmackvoll gekleidet war.
Unter einem hellbraunen Blazer aus leichtem Tuch trug er ein beiges Hemd und
einen feinen Kaschmirpullunder im gleichen Farbton wie die Jacke. Die leuchtend
grünen Augen und die goldbraunen Haare standen in reizvollem Kontrast zu
seiner hellen Hautfarbe. Er sieht einfach hinreißend aus, dachte Beverly. Sie
mußte ihn immer wieder heimlich von der Seite ansehen.
„Es wundert mich, daß Sie sich neulich auf Schloß Fleming nicht begegnet sind“,
meinte Donald plötzlich und trat näher zu ihnen.
„Kein Wunder bei dieser Menschenmenge“, erklärte seine Frau und reichte Rod
die Hand.
Jetzt erwachte in Beverly die Freude am Spiel. Mit ernster Stimme, jedoch mit
einem verschmitzten Augenaufschlag antwortete sie: „Ich bin leider nicht lange
geblieben, denn einer der Gäste benahm sich mir gegenüber sehr unschicklich. Er
hatte wahrscheinlich zuviel getrunken, denn er war sehr aufdringlich und wagte
es sogar, mich zu küssen.“
„Tatsächlich? Das ist ja allerhand.“ Margaret schien schockiert zu sein.
„Heutzutage ist es wirklich schlimm mit den jungen Männern. Sie wissen
überhaupt nicht, was sich gehört.“
„Da haben Sie recht“, bestätigte Beverly und warf Rod verstohlen einen Blick zu.
Sie konnte sich ein Lächeln kaum verbeißen. Rod starrte angestrengt auf das
Glas in seiner Hand.
Schließlich sagte er: „Sie haben den aufdringlichen Burschen sicherlich
zurechtgewiesen, nicht wahr, Miss McAllister?“
„Ich glaube, das tat ich wirklich, Mr. Fleming.“ Beverly schaute ihn ruhig an.
Auf Rods Gesichtszügen machte sich ein Lächeln breit, das sie sogleich erwiderte.
Nachdem Beverly ihm seine Zudringlichkeit auf der Party heimgezahlt hatte,
wollte sie die Sache auch auf sich beruhen lassen.
„Donald hat wahre Wunder vollbracht. Lassen Sie mich Ihnen das neue Schloß
Fräser zeigen. Ich bin so stolz darauf.“ Geschickt wechselte Beverly das Thema
und führte ihre Gäste durch die fertiggestellten Räume.
„Da ich in dieser Gegend aufgewachsen bin, war ich in den vergangenen Jahren
natürlich öfter hier im Schloß“, erklärte Rod. „Aber ich muß gestehen, nie zuvor
hat es mir so gut gefallen.“ Und zu Donald gewandt fügte er bewundernd hinzu:
„Sie haben wirklich einen Orden verdient. Miss McAllister hat allerdings auch
einen ausgezeichneten Geschmack. Aus diesem alten Gemäuer ist ein
gemütliches, komfortables Heim geworden.“
„Danke, Rod.“ Endlich fand Beverly den Mut zu der weniger förmlichen Anrede.
„Und nennen Sie mich bitte Beverly.“
„Freut mich… Beverly.“ Rod sah sie eindringlich an, bis Beverly verwirrt den Blick
senkte.
„Ich glaube, wir sollten jetzt ins Speisezimmer hinübergehen. Jane ist schon
unruhig, da das Essen langsam kalt wird.“
„Das stimmt“, sagte Jane. Ihre Wangen glühten in gespannter Erwartung.
Das Dinner war ein voller Erfolg. Jane hatte sich selbst übertroffen. Von allen
Seiten wurde sie mit Komplimenten überschüttet.
Beverly und Rod saßen sich gegenüber, sprachen aber während des Essens kaum
ein Wort miteinander. Dafür trafen sich ihre Blicke um so häufiger.
Nach dem Essen reichte Jane im Wohnzimmer Kaffee und Kognak. Alle waren in
bester Stimmung, zufrieden und satt. Die Unterhaltung floß leicht dahin bis nach
Mitternacht.
Schließlich machte Margaret Donald darauf aufmerksam, daß die beiden jungen
Damen einen arbeitsreichen Tag hinter sich hätten und es an der Zeit sei, nach
Hause zu fahren.
„Vielen Dank, meine Lieben, für die bezaubernde Einladung.“ Margaret streckte
Jane und Beverly die Hände entgegen.
„Das phantastische Essen wird mir unvergessen bleiben“, lobte Donald
überschwenglich und erhob sich. Mrs. Lindsay bedankte sich ebenfalls sehr
herzlich. Dann holte Beverly die Mäntel aus der Garderobe. Rod blieb abwartend
im Hintergrund.
Als die anderen Gäste das Haus verlassen hatten, eilte Jane sofort in die Küche,
um mit dem Aufräumen zu beginnen. Beverly und Rod blieben allein zurück.
„Es freut mich, daß wir uns jetzt doch noch offiziell vorgestellt wurden. Kein
Mensch wollte mir nach dem Beltanefest glauben, daß mir eine entzückende Fee
begegnet war, die sich in Luft auflöste, nachdem ich sie geküßt hatte. Alle
sagten, ich sei betrunken gewesen oder hätte nur geträumt.“
„Das geschah Ihnen ganz recht. Wie kamen Sie überhaupt auf die Idee, ich sei so
leicht zu haben?“
„Etwas in Ihrem Blick gab mir den Mut zu hoffen, Sie würden mich nicht
zurückweisen. Und das haben Sie ja auch nicht getan, oder?“ Rod war
entwaffnend ehrlich.
Beverlys Wangen röteten sich. Es stimmte. Sie konnte wirklich nicht behaupten,
sich gewehrt zu haben. „Gute Nacht, Mr. Fleming.“ Höflich reichte sie ihm die Hand. „Gute Nacht, Miss McAllister“, gab er zurück und schenkte ihr ein umwerfend reizvolles Lächeln, das Beverly den Atem raubte. In der Küche hatte Jane sich bereits an den Abwasch gemacht. Sorgfältig spülte sie die feinen Kristallgläser. „Nun ja“, begann Jane vergnügt. „Er kam zwar nicht auf einem edlen Schimmel daher, und statt einer Rüstung trug er einen Blazer, doch sein kühner Blick verriet deutlich seine ritterliche Herkunft.“ Beverly wußte sofort, von wem Jane sprach. „Vergiß es. Ich bin nicht auf ein romantisches Abenteuer erpicht. Und wenn, würde ich mir auf keinen Fall Rod Fleming aussuchen.“ „Warum denn nicht? Er ist doch außerordentlich attraktiv. Je länger man ihn ansieht, desto anziehender wirkt er. Er hat eine unaufdringliche Sinnlichkeit an sich. Einfach hinreißend!“ „Bedenke lieber, wie arrogant er sich gibt.“ „Meine Güte! Du sollst ihn ja nicht gleich heiraten, Beverly. Aber für einen kleinen Flirt ist er garantiert der Richtige.“ „Ich habe überhaupt keine Zeit für solche Dummheiten. Mein ganzes Vermögen habe ich in dieses Schoß gesteckt. Jetzt muß ich erst einmal fleißig arbeiten, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen.“ Jane reichte ihrer Schwester eine Schüssel zum Abtrocknen. „Was hast du eigentlich vor, Beverly? Willst du dieses Schloß in ein Nonnenkloster verwandeln?“ fragte sie spöttisch. Beverly mußte sich ein Lachen verbeißen. „Ein bißchen Zurückhaltung hat noch niemandem geschadet.“ „Da bin ich nicht so sicher“, scherzte Jane. „Wenn man zu lange enthaltsam lebt, kann es passieren, daß man schließlich wieder Jungfrau wird.“ „Aber Jane!“ Beverly lachte hell auf und warf das Küchenhandtuch nach ihr. „Was habe ich an diesem Kind nur falsch gemacht?“ „Ich weiß es nicht. Außerdem ist es inzwischen zu spät, um noch irgend etwas zu ändern. Rod Fleming…“ „Wenn du ihn so attraktiv findest, kannst du ihn ja haben.“ „Keine Chance, Beverly. Er hat ja nur Augen für dich. Tu bloß nicht so, als hättest du das nicht bemerkt.“ „Das ist alles dummes Zeug. Ich will malen. Meine Zeit ist mir zu schade für ein Abenteuer mit einem Schotten. Da kann er noch so attraktiv sein.“ „Aha. Wußte ich es doch! Er ist dir sympathisch! Er ist dein Typ: intelligent, gutaussehend, humorvoll…“ „Hör auf, Jane. Ich gehe jetzt zu Bett.“ Beverly hielt sich die Ohren zu. „Gute Nacht.“ „Angenehme Träume.“ In ihrem Schlafzimmer setzte Beverly sich auf die Bettkante. Die Fenster standen weit offen. Eine kühle Sommernachtsbrise wehte ins Zimmer. Von Anfang an hatte Beverly sich hier wohlgefühlt. Wie sie es sich gewünscht hatte, war das Schloß zu ihrem Zuhause geworden, einem Ort, an dem sie es genoß, allein zu sein. Besonders nach den Jahren mit Allen, in denen sie ihr eigenes Ich Aliens starker Persönlichkeit untergeordnet hatte. Allen… In Gedanken sprach sie seinen Namen. Zum erstenmal, seit sie nach Schottland gekommen war, wanderten ihre Gedanken in die Vergangenheit. Allen war ein wirklich talentierter Maler gewesen. Als Beverly ihn kennenlernte, waren sie beide vierundzwanzig Jahre alt, und Beverly hatte vor ihm noch keine ernsthafte Beziehung mit einem anderen Mann gehabt. Es war Liebe auf den
ersten Blick. Das erste Mal, das Allen ihre Galerie betrat, um dort einige seiner Bilder auszustellen, war entscheidend. Sein Charme und sein selbstbewußtes Auftreten überwältigten Beverly. Er war so von sich überzeugt, daß er nie auf den Gedanken gekommen wäre, seine Erwartungen könnten sich nicht erfüllen. Beverly lehnte sich in die Kissen und seufzte leise. Sie ließ ihren Gedanken freien Lauf. Würde ich mich wieder in Allen verlieben, wenn ich ihn heute kennenlernte? Deutlich spürte sie die Veränderung, die sie in der letzten Zeit durchgemacht hatte. Ihre lange verborgenen Ziele wollte sie nicht noch einmal für einen anderen Menschen aufgeben. So wunderbar Allen auch gewesen sein mochte, Beverly hatte sich immer nach seinen Wünschen richten müssen. Nein, dachte sie, ihre Beziehung zu Allen sähe heute ganz anders aus. Aber er war ihre erste Liebe gewesen, und sie hatte nie das Gefühl gehabt, etwas zu vermissen. Allen würde immer einen Platz in ihrem Herzen behalten. Durch Rod Fleming wurde ihr jetzt jedoch klar, daß es mehr zwischen Mann und Frau gab, als sie bisher geahnt hatte. Allein sein Blick versprach eine Sinnlichkeit, von der Beverly zuvor noch nicht einmal geträumt hatte. In seiner Gegenwart war sie sich der Leidenschaft bewußt, nach der sie sich sehnte und die Rod zweifellos zu stillen vermochte. Verwirrt schüttelte Beverly den Kopf. Sie mußte diesen Mann aus ihren Gedanken verbannen. Rasch erhob sie sich und zog sich aus. Das weiße Seidenkleid glitt über ihre Schultern, ihre schmalen Hüften und fiel zu Boden. Behutsam hing sie es auf einen Kleiderbügel und holte aus der weißen Kommode neben ihrem Bett ein ärmelloses Nachtkleid aus hellgrünem Satin, das sie besonders liebte. Nachdem Beverly sich im Badezimmer abgeschminkt hatte, schlüpfte sie ins Bett und machte das Licht aus. Sie war totmüde, doch an Schlaf war nicht zu denken. So sehr sie sich auch bemühte, es war unmöglich, nicht an Rod zu denken. Jetzt wurde ihr deutlich bewußt, daß sie neben all ihren hochgesteckten Zielen auch eine Frau war, deren sehnlichste Wünsche nicht verdrängt werden konnten. In Gedanken sah sie Rod vor sich, wie er sich bewegte, wie er stolz und aufrecht ging, als gehörte ihm die Welt, als verstünde er, jeden Augenblick seines Lebens zu genießen. Es lag so eine Verführung, so ein Reiz in seinem langsamen Gang… Allmählich wurden Beverlys Lider schwer. Sie hörte noch das sanfte Rauschen der alten Bäume vor ihrem geöffneten Fenster, dachte an Rods smaragdgrüne Augen, dann verwirrten sich ihre Gedanken und Beverly fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
5. KAPITEL Am nächsten Morgen saß Beverly schon zeitig im Schloßgarten hinter ihrer
Staffelei. Aber der erste Mal versuch nach Monaten bereitete ihr doch mehr
Schwierigkeiten, als sie erwartet hatte.
Anfangs ging alles ganz leicht. Sie hatte einige Skizzen gemacht, hatte die
Morgensonne, die die grauen Schloßmauern in goldenes Licht tauchte,
eingefangen. Den Kontrast dazu sollten die roten Beeren einer Eberesche bilden.
Als sie dann aber die Palette hervorholte und mit dem Malen begann, gelang es
Beverly nicht, ihre Vorstellungen zu verwirklichen. Nach mehreren erfolglosen
Versuchen setzte sie schließlich die Palette entmutigt ab.
Sie hatte vorher nie mit einem Spachtel gearbeitet, doch seit sie in Schottland
lebte, wollte sie auch beim Malen neue Wege ausprobieren. Zu Hause hatte
Beverly, ähnlich wie Allen, sanft ineinanderfließende Farben bevorzugt, was aber,
wie sie nun fand, nicht zu der rauhen schottischen Landschaft paßte. Die
Versuche mit der neuen Technik faszinierten sie und forderten ihre ganze
Aufmerksamkeit.
Während sie ihr Werk wieder einmal kritisch betrachtete, hörte sie das Klappern
von Pferdehufen. Erstaunt blickte Beverly sich um und sah Rod Fleming auf
einem grauen Wallach herantraben. Elegant sprang er vom Pferd, band es an
einem Baum fest und schlenderte dann lässig zu ihr hinüber.
„Guten Morgen!“ Rod strahlte sie an. Er trug ein weißes Hemd, dessen Kragen
offen stand, dazu schwarze Reithosen und Reitstiefel. Beverly war von seiner
männlichen Erscheinung so beeindruckt, daß es ihr für einen Augenblick die
Sprache verschlug und sie ihn nur ansah.
„Guten Morgen“, erwiderte sie schließlich seinen Gruß und senkte schüchtern den
Blick.
„Störe ich?“ fragte Rod höflich.
„Nein. Ich überlegte gerade, was ich mit diesem Bild anfangen soll. Ich glaube,
der Mülleimer wäre das Beste…“
Rod lächelte liebenswürdig. „Die Arbeit ist doch ein guter Anfang“, meinte er mit
einem Blick auf das Gemälde.
„Verstehen Sie etwas von Kunst?“
„Mein Verlag beschäftigt sich vor allem mit Kunstbüchern. Ich male selbst nicht,
aber ich habe zumindest einen Blick, um den Wert von Arbeiten einschätzen zu
können.“
Einen Moment schien Rod nachzudenken, dann fragte er: „Sind Sie deshalb nach
Schottland gekommen? Um zu malen?“
Beverly sah ihn offen an. „Sie denken sicherlich, ich sei eine dieser typisch
überspannten Amerikanerinnen, die ihr Geld zum Fenster hinauswerfen, um in
den Besitz eines wertlosen alten Schlosses zu kommen.“
Rod lachte. Es klang nett und kein bißchen überheblich.
„Das stimmt. Sie haben zwar Wunder an dem ausgedienten Gemäuer vollbracht,
und ich hätte nie geglaubt, daß es je wieder so bezaubernd aussehen würde,
aber ich frage mich, wozu das alles? Da das Land zur Bebauung ungeeignet ist,
lohnt sich der Kauf eigentlich nicht. Außerdem wirken Sie weder vermögend noch
exzentrisch. Warum sind Sie von Kalifornien fortgegangen?“
Beverly war nicht in der Stimmung, mit Rod darüber zu diskutieren, aus welchen
höchst privaten Gründen sie sich entschlossen hatte, Carmel zu verlassen und
nach Kirkcudbright zu ziehen.
„Es war nun einmal mein Wunsch“, erklärte sie schroff.
Nach kurzem Schweigen fuhr Rod fort: „Heute morgen sprach ich mit Donald
Drummond. Ich wollte ein bißchen mehr über Sie erfahren, und da er über jeden
Menschen in Kirkcudbright Bescheid weiß, wandte ich mich an ihn. Er sagte, Sie
seien seit einem Jahr etwa verwitwet.“
„Ja“, bestätigte Beverly Donalds Auskunft. Sie wollte Rod gegenüber nicht mehr
zu diesem Thema zu erklären.
„Tut mir leid“, sagte Rod einfach.
„Machen Sie sich keine Gedanken. Es kommt mir so vor, als liege das alles weit
zurück.“
„Donald erzählte mir, Ihr Mann sei ein berühmter Maler gewesen.“ Rod ließ sich
nicht beirren.
„Er war sogar ein sehr guter Maler.“ Beverly zögerte, ehe sie weitersprach: „Ist
es schlimm, wenn ich Sie bitte zu gehen? Ich möchte gerne weiter arbeiten.“
„Absolut nicht. Ich verstehe Sie gut.“
Beverly hatte das Gefühl, daß er sie tatsächlich verstand. Ihm war aber sicherlich
auch klar, daß sie ihn nicht nur wegen ihrer Arbeit fortschickte, sondern ebenso
wegen seiner Ausstrahlung, die sie zutiefst irritierte.
„Können Sie reiten?“
„Ich hatte bisher wenig Gelegenheit.“ Beverly sah ihn fragend an. „Aber es macht
mir viel Spaß.“
„Hätten Sie Lust zu einem Picknick heute nachmittag? Ich bringe etwas Leckeres
zu essen mit und zeige Ihnen ein wenig die Umgebung.“
„Tut mir leid, ich habe zu arbeiten.“
„Und wie wäre es mit morgen?“
„Müssen Sie denn nicht nach Edinburgh zurück?“
„Ich habe mir für das Wochenende freigenommen und außerdem einen Berg
Manuskripte mitgebracht, die ich zu Hause durchsehen kann. Dienstag wollte ich
erst wieder zurückfahren.“
„Ich glaube nicht…“, begann Beverly, wurde aber von Rod unterbrochen.
„Sie haben nichts zu befürchten. Ich bin ein Gentleman. Jeder hier in
Kirkcudbright wird Ihnen das bestätigen.“
„Auf dem Beltanefest haben Sie sich allerdings nicht wie ein Kavalier
benommen.“ Beverly blickte ihn lächelnd an.
„Und Sie sich nicht wie eine Lady.“ Rod schaute ihr gerade in die Augen.
Beverly errötete leicht. Verzweifelt wünschte sie, er würde ihre Verlegenheit nicht
bemerken.
„Aber das war auch etwas anderes. Diese Nacht war… verzaubert. Ich glaube, ich
selbst war verhext. Jedenfalls möchte ich das zu meiner Entschuldigung
vorbringen. Also, Beverly, sind Sie einverstanden? Morgen um zehn Uhr?“
Beverly sah keine Möglichkeit, die Einladung auszuschlagen, ohne unhöflich zu
sein. „Gut“, willigte sie ein. „Ich möchte aber nicht zu lange fortbleiben, denn ich
habe wirklich viel zu tun.“
„Abgemacht. Dann bis morgen um zehn Uhr. Und keine Sorge, ich gebe Ihnen
ein ganz zahmes Pferd.“
Im Aufsitzen fügte Rod hinzu: „Übrigens, das Bild ist recht gut. Sie können
sicherlich noch mehr, Ihnen fehlt nur ein bißchen Mut. Versuchen Sie, sich
gehenzulassen, locker zu werden…“
Gleich darauf war er fort. Beverly war unfähig, wieder an ihre Arbeit zu gehen.
Sie konnte sich nicht konzentrieren, denn ihre Gedanken waren bei Rod Fleming.
Was für ein eigensinniger, reizvoller Mann, dachte Beverly verwirrt. Sie war
ärgerlich. Doch zutiefst wußte sie, daß neben dem Zorn noch andere Gefühle
geweckt worden waren…
Mit gespielter Gleichgültigkeit erzählte sie Jane beim Mittagessen, daß sie am
nächsten Tag mit Rod zu einem Ausritt verabredet sei.
„Aha!“
Janes Augen leuchteten.
„Nichts da, ,aha’. Ich habe versucht, ihm klarzumachen, daß ich sehr beschäftigt
bin, aber es war nichts zu machen. Ich konnte nicht absagen.“
„Was du nicht sagst“, spöttelte Jane.
Verwirrt blickte Beverly sie an. Sie hatte keine passende Antwort parat.
Schließlich sagte sie: „Wir machen natürlich nur einen sehr kurzen Ausritt.“
„Natürlich!“
„Jane!“
„Was gefällt dir denn nun wieder nicht? Ich habe dir doch zugestimmt.“ Mit
unschuldigem Blick sah Jane ihre ältere Schwester an.
Punkt zehn holte Rod Beverly am nächsten Vormittag ab. Rod ritt denselben
grauen Wallach wie am Tag zuvor und führte eine schwarze Stute am Halfter
neben sich. Ein kleiner Weidenkorb war an Rods Satteltasche befestigt.
Beverly war mit ihrer Kleidung unzufrieden. Sie trug Jeans, einfache
Gummistiefel und ein rotschwarzkariertes Hemd.
„Ich fürchte, ich besitze nicht die passende Bekleidung für einen Ausritt“, meinte
sie. Sie kam sich richtig ärmlich vor, wenn sie Rods elegante Ausstattung
betrachtete.
„Das ist doch ganz unwichtig“, beruhigte Rod sie. „Erstens sieht uns doch
sowieso niemand, und zweitens sehen Sie entzückend aus.“
Beverly fühlte, wie sie errötete. Oje, dachte sie, so darf das nicht weitergehen.
Geradezu lächerlich, daß ich bei jedem Kompliment vor Verlegenheit im Boden
versinken möchte.
Rod half ihr beim Aufsitzen und sie galoppierten davon. Über eine Stunde ritten
sie beinahe schweigend nebeneinander her. Beverly war froh, daß er sie die
wundervolle Landschaft genießen ließ, ohne viele Worte zu machen. Nie zuvor
hatte sie so große Rhododendronsträucher gesehen. Begeistert nahm sie auch
das Bild der silbernen Birken und den mit Blumen übersäten Waldboden in sich
auf.
Nach einem leichten Anstieg kamen sie zu einem Platz, von dem aus sie einen
ausgezeichneten Blick über das im Sonnenlicht glitzernde Meer hatten.
„Hier sollten wir bleiben“, schlug Rod vor, sprang ab und brachte sein Pferd zu
einem schattigen Baum.
Auch Beverly saß ab und machte ihr Pferd neben seinem fest. Sie stützte die
Arme in die Hüften und reckte sich.
„War es sehr anstrengend?“ fragte Rod besorgt.
„Ein wenig“, gab Beverly zu.
„Aller Anfang ist schwer“, stellte Rod fest. „Sie werden sich bald daran
gewöhnen.“
Auch daran, daß Sie mich so verwirren? fragte Beverly sich in Gedanken.
Rod breitete eine Decke aus und stellte den Picknickkorb darauf. Dann brachte er
mit einem verschmitzten Lächeln eine Flasche Chardonnay zum Vorschein. Auch
die Eisbox fehlte nicht. Brot, Butter, kleine Kuchen, Schinken und Käse folgten.
Er hatte an alles gedacht.
„Hoffentlich fehlt nichts.“ Er stellte feine Porzellanteller vorsichtig auf die Decke
und legte weiße Leinenservietten und silbernes Besteck daneben.
Beverly traute ihren Augen kaum. „Stattet man Picknicks in Schottland immer so
vornehm aus? Bei uns kennt man nur Pappgeschirr.“
„Das habe ich alles nur mitgebracht, um Eindruck auf Sie zu machen. Hoffentlich
ist mir das gelungen.“ Rod schaute Beverly fragend an.
„Das werde ich Ihnen erst verraten, wenn ich von den Speisen probiert habe“, erwiderte Beverly scherzend. Jedes Gericht war dann auch so köstlich, wie es aussah. Als Beverly das Gefühl hatte, nicht einen einzigen Bissen mehr essen zu können, lehnte sie sich gegen einen Baumstamm und nahm einen Schluck von dem leichten trockenen Wein. Rod beobachtete sie aufmerksam. „Wissen Sie, Beverly, nach der Baltanefeier in meinem Haus glaubte ich wirklich, Sie seien nicht aus Fleisch und Blut. Ich hielt Sie für ein Zauberwesen, ein Wunder…“ „War es eine große Enttäuschung für Sie, als Sie entdeckten, daß ich ein ganz gewöhnliches sterbliches Wesen bin?“ Beverly konnte sich diese Frage nicht verkneifen. „Nein. Es war keine Enttäuschung, im Gegenteil.“ Beverly senkte den Blick. „Ich habe tatsächlich ein Wunder erlebt“, sagte sie leise. „Erzählen Sie mir bitte nicht, Sie hätten Laurie Fräsers Geist in den Schloßhallen wandeln gesehen.“ „Nein, bestimmt nicht.“ Beverly lachte. „Ich glaube doch nicht an Geister. Ich meinte eben das Schloß. Als ich es zum erstenmal sah, fühlte ich mich, als sei ein Wunder geschehen.“ Nach kurzem Schweigen fragte Beverly: „Glauben Sie denn, daß an dieser Legende um Laurie Fräser etwas dran ist?“ „Um ehrlich zu sein, ich halte diese Dame für eine dumme Gans, die nicht weiß, was sie will. Ihren Liebhaber kann ich gut verstehen. Geschah ihr recht, daß er nicht auf sie wartete. Warum hat sie ihn so lange hingehalten?“ „Sie sind also der Ansicht, weibliche Unentschlossenheit sei der Grund für diese Tragödie gewesen?“ „Was denn sonst? Der Legende nach liebte sie ihn doch. Warum ging sie also nicht mit ihm?“ „Vielleicht war sie eine unabhängige Frau, die ihr Leben selbst bestimmen wollte und deshalb die Ehe scheute. Schließlich können Sie nicht leugnen, daß die Frauen früher wirklich nur einen mehr oder minder wertlosen Besitz ihrer Männer darstellten.“ „Wenn er sie tatsächlich liebte, so wäre sie für ihn mehr als nur ein Besitz gewesen“, entgegnete Rod mit Nachdruck. Dann schaute er Beverly nachdenklich an und setzte leise hinzu: „Sie gehören anscheinend zu den unabhängigen Frauen.“ „Im Augenblick.“ Beverly hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen. Rasch wechselte sie das Thema. „Erzählen Sie mir ein wenig von sich, Rod.“ „Was möchten Sie gerne hören?“ „Zunächst einmal interessiert mich, warum Sie nicht diesen breiten schottischen Akzent haben, den man hier sonst hört.“ Rod schmunzelte. „Das ist ganz einfach: Ich bin in England aufgewachsen und erzogen worden. Meine Mutter ist Engländerin und bestand darauf, daß ich ,anständig’ englisch spreche. Wenn ich jedoch einmal längere Zeit auf Schloß Fleming bleibe, wird mein Akzent von Tag zu Tag deutlich breiter.“ „Was ist mit Ihrem Vater? Lebt er noch?“ „Nein. Er starb vor Jahren, als ich noch ein Teenager war. Vater war ein Mann, der das Leben immer in vollen Zügen genoß. Eines Tages ritt er betrunken aus, fiel vom Pferd und brach sich das Genick.“ „Ihre Eltern scheinen ziemlich unterschiedliche Persönlichkeiten gewesen zu sein.“ „Das waren sie, wie Tag und Nacht. Mutters Familie hatte nicht so viel adliges
Blut wie die meines Vaters, war jedoch viel feiner und vornehmer. Die Eltern
lernten sich während des zweiten Weltkrieges in London kennen. So kam es zu
einer dieser überstürzten Hochzeiten.“
„Bei meinen Eltern war es eigentlich nicht anders. Mein Vater war noch in der
Armee, als er während eines Kurzurlaubs in San Francisco meiner Mutter
begegnete. Als sie heirateten, kannten sie sich kaum eine Woche.“
„Waren sie glücklich miteinander?“
„Ja. Sie liebten sich sehr. Nachdem Vater gestorben war, ist Mutter nie mehr
richtig fröhlich geworden.“
„Und Ihre eigene Ehe?“
„Wie meinen Sie das?“
„War Ihre Ehe glücklich, Beverly?“
„Das ist eine sehr persönliche Frage.“
„Das soll sie auch sein.“
„Ich dachte, wir sprechen von Ihnen, Rod.“
„Ich war ja noch nicht verheiratet. Es gibt also nichts Interessantes von mir zu
erzählen. Sie sind meiner Frage ausgewichen.“
„Meine Ehe war glücklich“, antwortete Beverly mit Bestimmtheit, so daß Rod
nicht mehr weiterfragen konnte.
„Darum verließen Sie – also Kalifornien? Sie wollten vor den Erinnerungen
fliehen.“ Rods Stimme klang mitfühlend.
„Ja, das könnte der Grund sein. Ich finde Sie übrigens außerordentlich beharrlich
und ziemlich dreist, wenn ich ehrlich sein soll.“
Rod lächelte. „Das sind ja auch die typischen Eigenschaften eines Schotten.
Wußten sie das nicht?“
„Dann müssen Sie ein ganz besonders echter Schotte sein, Roderick Fleming.“
„Schon möglich. Aber erzählen Sie mir lieber von Ihrer Heimat, von Carmel. Was
haben Sie dort gemacht?“
„Ich hatte eine Galerie. Meine Mutter starb, als ich erst neunzehn Jahre alt war.
Mit der Galerie verdiente sie unseren Lebensunterhalt.“
„Mit neunzehn Jahren ist man eigentlich noch zu jung, um ein Geschäft
eigenständig zu führen. In dem Alter habe ich mich gerade in Cambridge
amüsiert, bin mit meinen Studienfreunden von einer Bar in die nächste gezogen
und wußte nichts von Verantwortung.“
Beverly mußte lachen. „Nun“, sagte sie beinahe entschuldigend, „ich war damals
auch noch nicht so selbständig, wie es nötig gewesen wäre. Aber ich hatte ja
Jason.“
„Jason?“
Rod sprach den Namen aus, als sei er überzeugt, dieser Mann müsse Beverlys
Liebhaber gewesen sein. Forschend sah er ihr in die Augen.
„Er war ein Freund meiner Mutter“, erklärte Beverly schnell, „und das ist er für
Jane und mich auch weiter geblieben. In jeder Lebenslage stand er uns bei.“
„Erzählen Sie mehr von Jason“, drängte Rod.
„Am Tag nach Mutters Beerdigung saß ich unglücklich in der Galerie und hing
meinen traurigen Gedanken nach. Ich war völlig durcheinander, hatte keine
Ahnung, wie ich all die neuen Aufgaben anpacken sollte. Da kam Jason herein
und setzte sich zu mir. ,Wenn du die Galerie übernehmen willst, so mußt du erst
einmal deine ausgewaschene Jeans gegen elegante Kleidung eintauschen’, riet er
mir. ,Als Galeriebesitzer mußt du Geschmack zeigen.’ Diesen Rat habe ich mir zu
Herzen genommen.“
Jason war also Ihre ,gute Fee’“, schmunzelte Rod. „Er hat aus einer einfachen
Schülerin eine schicke junge Dame gemacht.“
„Genau. Ihm habe ich auch Schloß Fräser zu verdanken, denn er übernahm
meine Galerie. Ich hätte sie zwar in jedem Fall verkauft, aber Jason zahlte sofort,
und das in bar.“
„Offensichtlich kein armer Mann, dieser Jason.“
Beverly dachte an Jasons Villa, an seinen eleganten Ferrari und seine Vorliebe für
teure, ausgefallene Dinge. „Jason führt einen ausgesprochen komfortablen
Lebensstil“, bestätigte sie Rods Vermutung.
„Was hat er denn zu Ihrem Umzug in ein schottisches Schloß gesagt?“
„Mein Plan traf ihn völlig unerwartet.“
„Wie kamen Sie überhaupt auf Schloß Fräser?“ wollte Rod jetzt wissen.
Beverly hätte ihm beinahe erzählt, daß er selbst sie mit seinem Buch auf diese
folgenreiche Idee gebracht hatte, aber ein unbestimmtes Gefühl hielt sie davon
ab.
So sagte sie nur: „Schloß Fräser war zum Kauf angeboten, und Kirkcudbright
reizte mich. Es schien mir für meine künstlerischen Vorhaben sehr geeignet.“
Rod musterte sie lange und eindringlich. „Wenn Sie eine Entscheidung für Ihr
Leben treffen, machen Sie keine halben Sachen, nicht wahr?“
Beverly schüttelte nachdenklich den Kopf. „Die ersten dreißig Jahre meines
Lebens habe ich als Tochter und Ehefrau zugebracht. Jetzt wurde es höchste Zeit,
etwas für mich selbst zu tun.“
„Deshalb kauften Sie also ein Schloß.“
„Ja.“
„Man könnte das als ein recht romantisches Abenteuer betrachten.“
„So sehe ich das nicht“, entgegnete Beverly ruhig. „Ich hatte die feste Absicht,
endlich wieder mit dem Malen zu beginnen, und ich war fest davon überzeugt,
daß es besser sei, an einem unbekannten Ort damit anzufangen. Mit
Kirkcudbright habe ich doch eine gute Wahl getroffen, wenn man bedenkt, wie
viele Künstler hier leben und arbeiten.“
Ihre Erklärung sollte logisch klingen, doch Beverly wußte genau, daß die Gründe
für den Kauf von Schloß Fräser viel komplexer gewesen waren.
„Sie sind ja regelrecht praktisch veranlagt“, scherzte Rod. „Von der romantischen
Ader Ihrer Eltern haben Sie wohl nichts geerbt.“
Beverly bemerkte den Schalk in seinen Augen und wußte, daß er genau das
Gegenteil meinte. Trotzdem konterte sie: „Und wie steht es mit Ihnen? Es gibt
doch kaum ein romantischeres und weniger lukratives Unternehmen als einen
Verlag.“
„Das war früher einmal so. Man muß allerdings ein hartgesottener
Geschäftsmann sein, um Erfolg zu haben. Als ich vor zehn Jahren die Pegasus
Publications übernahm, sah es schlimm mit dem Verlag aus. Die Firma hatte
zwar einen guten Ruf und war bekannt für die Veröffentlichung wertvoller
Bücher, aber die Geschäftsleitung wußte zu wenig von Werbung, Verkauf und
Computern, um gewinnbringend arbeiten zu können. Wir drucken noch immer
qualitativ gute Bücher, haben jedoch auch einen ansehnlichen Verdienst.“
„Und wie war es mit dem Buch über Schlösser und Burgen, das Sie
herausgegeben haben?“ erkundigte Beverly sich. „Das war ja ein ausgesprochen
romantischer Band mit seinen ausführlichen Beschreibungen der Legenden und
Geister jedes einzelnen Schlosses.“
Kaum hatte sie den Satz beendet, hätte sie ihn am liebsten zurückgenommen.
Jetzt hatte sie doch verraten, daß sie das Buch gelesen hatte.
Rod schien verlegen, jedenfalls widersprach er nicht, und Beverly erkannte, daß
auch er verletzlich war, wenn ihm jemand zu nahe trat.
Diese Verletzlichkeit machte ihn in Beverlys Augen jedoch nur noch
sympathischer. Sie konnte nicht verstehen, warum ein so charmanter und attraktiver Mann nicht verheiratet war. „Sie sehen mich an, als ob ich ein seltenes Tier sei“, sagte Rod plötzlich zu Beverly. „Oh, entschuldigen Sie bitte.“ „Woran haben Sie eben gedacht?“ Beverly faßte sich ein Herz und fragte: „Ich habe mir gerade überlegt, warum Sie nicht verheiratet sind? Sie sind doch absolut der Typ, der von den Frauen begehrt wird.“ Rod lachte herzlich. „Glauben Sie vielleicht, ich hätte in meinem Schlafzimmer ein Skelett versteckt, eine erste unglückliche Liebe?“ Rod schien sich köstlich zu amüsieren. „Nun, die Wahrheit ist rasch erzählt. Ich habe bisher nie die Frau gefunden, mit der ich mein ganzes Leben zusammenbleiben möchte.“ „Es muß ja nicht gleich für immer sein. Wozu haben wir denn die Scheidung? Das ist doch eine sehr praktische Einrichtung.“ „Scheidung ist nichts für mich“, erklärte Rod ruhig aber bestimmt. „Für mich ist eine Ehe etwas Unwiderrufliches.“ Ein leichter Wind war aufgekommen und spielte mit Beverlys Locken. Rod strich ihr sanft eine Strähne von den leicht geröteten Wangen und steckte sie hinter dem Ohr fest. In diesem Augenblick war er ihr sehr nahe. Beverly spürte seinen Atem, als er ihr tief in die Augen sah. „Wie gut, daß wir beide so praktisch veranlagt sind, nicht wahr, Beverly McAllister? Wenn wir auch nur ein wenig romantisches Blut in unseren Adern hätten, so hätten uns dieser lauschige Platz und der herrliche Tag sicherlich verzaubert.“ „Meinen Sie?“ Beverlys Kehle wurde plötzlich ganz trocken. Ihr Herz klopfte wild. „Ja, das glaube ich auch. Es wäre bestimmt besser, nicht immer nur an das Nützliche zu denken.“ Rod beugte seinen Kopf vor und küßte Beverly zärtlich auf den Mund. Dann legte er die Arme um sie und zog sie sanft zu sich heran, so daß sie fühlen konnte, wie auch sein Herz heftig schlug. Es war keine wilde, ungehemmte Leidenschaft, die ihren ersten Kuß begleitete, sondern eine zögernde, liebevolle Hingabe. Ein wundervolles Gefühl durchströmte ihre Körper, Beverly schloß die Augen. Als Rod sie schließlich freigab, sah sie die Erregung auf seinen Gesichtszügen und wußte, daß auch er sich gewaltsam aus dem Land der Träume gelöst hatte. Lange blickten sie sich schweigend an, und seine Augen schimmerten wieder smaragdgrün… „Wir sollten an den Heimweg denken“, flüsterte Beverly. „Ich habe noch viel zu tun.“ „Ist es zu früh für dich?“ fragte Rod mit rauher Stimme. Beverly wußte genau, was Rod meinte, zögerte aber einen Augenblick, bevor sie antwortete. „Ich weiß nicht“, brachte sie schließlich mühsam hervor. „Du warst so mutig, ein neues Leben zu beginnen, und Leidenschaft gehört auch zum Leben. Lauf nicht vor ihr davon.“ Beverly erhob sich und ging ein paar Schritte hin und her. Nachdenklich sah sie aufs Meer, als könne sie von dort eine Antwort erwarten. Sie durfte diesen Mann nicht belügen, wollte nicht mit falschen Entschuldigungen kommen. Er würde sie sofort durchschauen. Deshalb verwarf sie alle rücksichtsvollen Überlegungen und wandte sich kurz entschlossen zu Rod um. „Du verstehst mich nicht“, flüsterte sie. „Was willst du damit sagen, Beverly?“ fragte er erstaunt, stand ebenfalls auf und
ging zu ihr hin. „Du kannst doch nicht leugnen, daß seit unserem ersten Kuß etwas Besonderes zwischen uns besteht, eine tiefe Verbundenheit. Dieses Gefühl kannte ich vorher nicht.“ „Wir kennen uns erst kurze Zeit, wir wissen so wenig voneinander…“ „Das sind doch fadenscheinige Gründe. Was hindert dich, wirklich deinen Gefühlen freien Lauf zu lassen?“ Beverly blickte ihm in die Augen. Sie seufzte. „Wenn du es durchaus wissen willst, werde ich es dir erklären: Mein Leben lang habe ich immer nur das getan, was andere Menschen von mir erwarteten oder forderten. Ich hatte Verantwortungen zu tragen und habe mich nicht dagegen gesträubt. Als meine Mutter starb, mußte ich Jane das Elternhaus ersetzen. Später war Allen an meiner Seite, der zwar nicht unbedingt finanziellen, aber doch geistigen Beistand bei mir suchte. Ich hatte niemals Zeit für mich. Erst jetzt habe ich die Möglichkeit herauszufinden, wer ich bin und was in mir steckt. Manchmal bekomme ich Angst vor meiner eigenen Courage. Aber es ist meine Entscheidung. Ich will frei sein. Ich möchte an niemanden gebunden sein, und schon gar nicht durch Gefühle und Liebe.“ „Das war ein klares Wort.“ Rod preßte die Lippen aufeinander, sein Ausdruck wurde finster. Er war eindeutig über ihre Worte verärgert. „Du machst mir Angst, Rod“, sagte sie. „Und was ich selber fühle, macht mir ebenfalls Angst. Ich könnte mich in dir verlieren, aber genau davor möchte ich mich bewahren.“ „Du glaubst, du müßtest zwischen Freiheit und Liebe wählen.“ „Ja.“ „Ich verstehe.“ Mehr sagte er nicht, wandte sich um und begann, das Picknick einzupacken. Beverly beobachtete ihn dabei. Sie fühlte sich in ihrem Innersten zerrissen. Auf dem Heimweg ritten sie beide schweigend nebeneinander her. Erst im Schloßhof, nachdem Rod ihr vom Pferd geholfen hatte, ergriff Beverly noch einmal das Wort. „Auf Wiedersehen“, sagte sie, und etwas in ihrer Stimme gab diesen Worten eine unmißverständliche Endgültigkeit. „Auf Wiedersehen“, erwiderte Rod mit belegter Stimme. Dann ritt er schnell davon mit der schwarzen Stute an seiner Seite. Was habe ich bloß getan? dachte Beverly entsetzt, aber sie wußte es nur zu genau. Sie hatte ihn für immer aus ihrem Leben fortgeschickt. Obwohl sie die Einsamkeit fürchtete, war sie überzeugt, daß sie keine andere Wahl hatte, wenn sie ihren eigenen Bedürfnissen gerecht werden wollte.
6. KAPITEL Am nächsten Morgen fuhr Beverly schon früh zum Einkaufen nach Kirkcudbright. In dem kleinen Ort war es ziemlich umständlich, die wöchentlichen Besorgungen zu machen, da es keinen Supermarkt gab, wie sie es von Carmel gewohnt war. Beverly ging mit ihrem großen Korb von einem Geschäft zum anderen, kaufte Obst, Gemüse, Brot und Fleisch. Auf dem Marktplatz blieb sie plötzlich wie versteinert stehen. Vor der Tankstelle parkte ein weißer Porsche. Rod Fleming lehnte lässig dagegen und unterhielt sich mit dem Tankwart. Auf einmal sah er auf, und ihre Blicke trafen sich. Obwohl er mindestens fünfzig Meter von ihr entfernt war, glaubte Beverly zu bemerken, daß Rod erstarrte, als er sie sah. Das ist doch lächerlich, dachte Beverly. Es gibt wirklich keinen Grund, verlegen zu sein. Schließlich läßt es sich nicht vermeiden, daß wir uns in diesem kleinen Nest öfter in die Arme laufen. Beverly zwang sich, Haltung zu bewahren und einen gleichgültigen Ausdruck anzunehmen. Bei jedem Schritt aber spürte sie Rods Blick auf sich ruhen. Mit einem Lächeln auf den Lippen ging sie an ihm vorbei und sagte höflich: „Guten Morgen.“ „Guten Morgen, Miss McAllister“, antwortete Rod förmlich. Dann wandte er sich rasch wieder dem Tankwart zu. Lange Zeit, noch nachdem Beverly längst um die Ecke gebogen war, klopfte ihr Herz wild, und ihr Puls raste. Sie zitterte am ganzen Körper. Die Woche verlief ruhig. Wann immer Beverlys Gedanken bei Rod waren, zwang sie sich, an etwas anderes zu denken. Ihre Beziehung war vorbei, noch ehe sie richtig begonnen hatte. Wichtig war für Beverly jetzt nur noch ihre Arbeit. Aber als das Wochenende nahte, überlegte sie, ob Rod diese Tage in Edinburgh oder auf Schloß Fleming verbringen würde. Während sie im Hof hinter ihrer Staffelei saß, wartete sie beinahe auf einen Anruf oder einen Besuch von ihm, obwohl die Absage, die sie ihm erteilt hatte, eindeutig gewesen war. Und doch… Jedesmal, wenn das Telefon klingelte, schreckte sie auf. Und jedesmal, wenn sie einen Wagen sich nähern hörte, blickte sie erwartungsvoll auf in der Hoffnung, daß es Rods weißer Porsche sei. Rod rief jedoch nicht an, und er kam auch nicht. Beverly ging an diesem Samstag spät zu Bett und kuschelte sich enttäuscht in die Kissen. Am nächsten Morgen besuchte sie den Gottesdienst. Margaret und Donald hatten sie dazu aufgefordert. Der Kirchgang war Teil des gesellschaftlichen Lebens von Kirkcudbright, und die meisten Einwohner nahmen regelmäßig an der sonntäglichen Zeremonie teil. Als Beverly die Kirche betrat, hatten Donald und Margaret schon Platz genommen und deuteten auf den freien Sitz an ihrer Seite. Sie begrüßten Beverly mit einem freundlichen Lächeln. Gleich darauf wurde das erste Lied angestimmt. Beverly schaute sich unauffällig in dem von vielen Kerzen erleuchteten Raum um. Plötzlich stockte ihr der Atem. Nicht weit von ihr entdeckte sie eine ihre wohlbekannte Gestalt. Die breiten Schultern, das goldbraune Haar, alles entfachte in ihr eine unsagbare Sehnsucht, die sie vollkommen in Verwirrung brachte. Sie bekam keinen Ton heraus, und ihre Hände zitterten. Niemals wäre Beverly auf die Idee gekommen, Rod hier anzutreffen. Es gab kein Ausweichen. Während des einstündigen Gottesdienstes hatte sie ihn gezwungenermaßen ständig im Blick, und anschließend würde sie ihn sicherlich auch noch begrüßen müssen.
Die Predigt schien kein Ende nehmen zu wollen. Beverly bemühte sich, den
Worten des Pfarrers konzentriert zuzuhören, was ihr aber absolut nicht gelang.
Sie dachte nur an Rod!
Endlich war es soweit. Beverly blieb in Margarets und Donalds Nähe, während die
Gemeinde die Kirche verließ. Die Drummonds hielten noch einen Schwatz mit
dem Pastor. In diesem Augenblick trat Rod auf sie zu. Er war offensichtlich
überrascht, Beverly in der Kirche anzutreffen.
Höflich grüßte er sie. „Wie geht es Ihnen?“
„Vielen Dank, mir geht es gut“, erwiderte Beverly ebenso höflich.
Rod begrüßte Donald und Margaret, beglückwünschte den Pastor zu seiner guten
Predigt und wandte sich dann wieder Beverly zu.
„Wie gefällt Ihnen unsere Kirche?“ fragte er in sachlichem Ton.
„Sie ist wunderschön.“
„Ja. Sie ist wirklich ein herrliches Beispiel für die Architektur des vierzehnten
Jahrhunderts. Der Friedhof stammt noch aus dieser Zeit.“
„Tatsächlich?“
„Übrigens befindet sich dort auch das. Grab von Laurie Fräser. Sie sind doch an
ihrer Tragödie interessiert. Soll ich Ihnen die Stelle zeigen?“
„Ja“, antwortete Beverly.
Zwar sträubte Sie sich innerlich dagegen, mit Rod allein zu sein, doch ihr
Interesse an Laurie Fräser überwog. Der Gedanke, daß Laurie hier begraben lag,
ließ die Legende für Beverly Wirklichkeit werden.
Rod führte Beverly zu dem kleinen Friedhof, der gleich neben der Kirche lag. An
diesem sonnigen Junitag spürte man hier keine Trauer. Alle Gräber waren
sorgfältig gepflegt und mit bunten Blumen geschmückt.
„Dies ist Lauries Grab.“ Rod deutete auf einen uralten Grabstein. „Ich habe es
zufällig entdeckt, als ich für mein Buch Nachforschungen über Schloß Fräser
anstellte.“
Beverly beugte sich über den Stein, um die Inschrift besser entziffern zu können,
die durch Wind und Wetter beinahe unleserlich geworden war.
Laurie Catrine Fräser, 1490 – 1565. Nicht der Tod, sondern das Leben war mein Feind. Im Tod bin ich mit dem Liebsten vereint. In Beverlys Augen standen Tränen. Laurie hatte noch über fünfzig Jahre gelebt, nachdem ihr Geliebter gestorben war. Wie sehr mußte sie die ganze Zeit gelitten haben, dachte Beverly bewegt. „Traurig“, flüsterte Beverly nur und starrte auf den Stein. „Friedhöfe sind nun einmal so“, stellte Rod sachlich fest. Beverly richtete sich auf und blickte ihn an. So unbeteiligt wie möglich erklärte sie: „Mag ein, aber Lauries Leben verlief sehr tragisch. Ihre Liebe zu dem Geliebten hörte nie auf. Das ist etwas Besonderes.“ Rod lächelte. Aber dieses Mal war es nicht sein bezauberndes Lächeln, das Beverlys Herz normalerweise schneller schlagen ließ. Die Mundwinkel spöttisch hochgezogen, erwiderte er: „Sie lassen sich zu sehr von der Legende beinflussen.“ „Sie konnten sich Lauries Tragödie aber auch nicht ganz entziehen“, verteidigte sich Beverly. „Das beweist die Tatsache, daß Sie sich der Geschichte in Ihrem Buch ausgiebig widmen.“ Wieder schien Rod verlegen zu sein. Beverly mußte an das Picknick denken. Auch damals, als Beverly ihm auf den Kopf zusagte, ein Romantiker zu sein, hatte er einen seltsam verlegenen Eindruck gemacht. „Bloß weil ich über eine Sache schreibe, heißt das doch nicht zwangsläufig, daß ich von ihr auch überzeugt bin. Überlegen Sie einmal. Laurie war fünfundsiebzig,
als sie starb. Wahrscheinlich war sie längst verkalkt. Ich bezweifele, daß sie überhaupt noch eine Erinnerung daran hatte, wie ihr Geliebter aussah.“ Beverly blickte Rod enttäuscht an. Sie konnte nicht glauben, daß er das, was er sagte, auch wirklich so meinte, Er wollte ihr gegenüber wahrscheinlich nur kühl und sachlich erscheinen. „Sie glauben wohl nicht an die Liebe, die das Leben überdauert?“ fragte Beverly leise. „Mit dem Tod ist alles vorbei. Ich glaube nicht, daß Schloß Fräser noch heute von einer unglücklichen Liebe überschattet ist. Sie etwa?“ „Ich weiß nicht“, gab Beverly zögernd zu bedenken. „Manchmal fühlte ich dort etwas, das ich kaum erklären kann. Ein Gefühl der Sehnsucht…“ Beverly biß sich auf die Lippe und schüttelte verwirrt den Kopf. Nein, sie war unfähig, Rod etwas so Zartes, Unfaßbares zu beschreiben. Er glaubte ohnehin nicht an die ewige Liebe. Deshalb wechselte sie rasch das Thema. „Gehen Sie oft in die Kirche?“ „Immer wenn ich auf Schloß Fleming bin“, antwortete er. „Das erwartet man hier von meiner Familie. Wir haben schließlich eine gewisse Stellung.“ Die Spannung zwischen Rod und Beverly hatte ein wenig nachgelassen. Das Gespräch wurde lockerer. Sie sprachen über alles Mögliche, aber was sie wirklich bewegte, berührten sie mit keinem Wort. Beverly kam sich vor wie auf einer Theaterbühne, als ob sie eine Rolle spiele. Beide bemühten sich, höflich und zuvorkommend zu sein, alles Persönliche zu vermeiden. Nach einigen Minuten nichtssagender Unterhaltung verabschiedete sich Beverly. „Ich muß jetzt gehen“, sagte sie. „Vielen Dank, daß Sie mir Lauries Grab gezeigt haben.“ „Oh, gern geschehen“, erwiderte Rod. „Ich begleite Sie noch zu Ihrem Wagen.“ Der BMW, den Beverly sich für die erste Zeit in Schottland gemietet hatte, stand nicht weit entfernt. Rod hielt ihr die Wagentür auf und Beverly setzte sich hinter das Steuer. Für einen Moment waren sie sich so nahe, daß Beverly seinen männlichen Geruch nach Tabak und Rasierwasser wahrnehmen konnte. Und in diesem Augenblick trafen sich ihre Blicke. Seine smaragdgrünen Augen sahen sie ganz offen an und zeigten seine tiefe Verletzlichkeit. Brennende Sehnsucht zog beide zueinander hin, doch der Augenblick ging vorbei… Rod verabschiedete sich und warf die Tür zu. Beverly zögerte kurz, dann ließ sie den Motor an und startete. Montag Mittag traf Rod wieder in Edinburgh ein. Er wollte seinen Freund Tom Stirling zum Lunch treffen. Sie hatten sich in einem Restaurant in der Rose Street verabredet, was von seinem Büro aus bequem zu erreichen war. Tom winkte ihm von einem Tisch in einer gemütlichen Ecke zu. „Ich habe uns schon zwei Bier bestellt, Rod.“ Er erhob sich von seinem Platz und klopfte Rod vergnügt auf die Schulter. In diesem Augenblick stellte der Ober auch schon zwei gefüllte Gläser vor sie auf den Tisch und nahm dann ihre Menüwünsche entgegen. Tom beobachtete Rod genau, der sogleich begann, sein Bier zu trinken. „Normalerweise bist du immer sehr erholt, wenn du von einem Wochenende auf Schloß Fleming zurückkommst. Heute allerdings nicht. Was ist dir denn über die Leber gelaufen?“ „Ich hatte viel zu tun. Du weißt schon, Manuskripte über Manuskripte!“ Rod wich dem forschenden Blick seines Freundes aus. „Ach so.“ Tom schien enttäuscht. „Kate traf neulich Vivien Tait und hatte ein längeres Gespräch mit ihr. Die Arme wundert sich, warum du sie gar nicht mehr
anrufst.“
„Sag deiner Frau, sie möge Vivien mitteilen, daß sie nicht länger auf meine
Anrufe warten soll. Ich habe keine Lust mehr.“
„Sie ist aber ein ausgesprochen attraktives Mädchen, vergiß das nicht. Was ist los
mit euch beiden?“
„Gar nichts. Ich habe einfach kein Interesse an Vivien.“
„Das hätte ich mir denken können. Immer dasselbe mit dir! Warum bist du bloß
so unstet? Dir fehlt die Ausdauer, Rod.“
Tom hatte beabsichtigt, Rod mit seinen scherzenden Worten ein wenig
aufzumuntern, doch der blieb ernst. Schließlich fragte Tom: „Wie lange sind wir
eigentlich schon miteinander befreundet?“
„Seit unserem zehnten Lebensjahr. Damals haben wir uns ganz fürchterlich
verprügelt.“ Rod mußte lachen.
„Stimmt genau, Rod. Ziemlich merkwürdiger Anfang für eine Freundschaft, nicht
wahr? Wir haben uns frühzeitig aneinander gemessen und gelernt, uns zu
akzeptieren. Vielleicht sind wir deswegen so gute Freunde geworden.“
„Worauf willst du hinaus, Tom? Du bist doch sonst nicht so sentimental.“
„Ich merke doch, daß irgend etwas mit dir nicht stimmt. Und ich wäre froh, wenn
du mir endlich sagen würdest, was los ist, anstatt mich lange auf die Folter zu
spannen.“
„Rod schmunzelte. Du hast ja recht, Tom. Ich sollte nicht mit so einer
Leidensmiene herumlaufen.“ Er zögerte einen Moment, ehe er begann, „Ich habe
da jemanden kennengelernt, verstehst du?“
„Dachte ich’s mir doch! Nur eine Frau oder ein bevorstehender Bankraub kann
bei dir der Grund für solch ein Gesicht sein. Aber das ist doch nichts Besonderes.
Du hast dich wahrhaftig schon öfter verliebt. In meinen Augen warst du immer
ein richtiger Frauenheld, der nichts anbrennen läßt.“
„Da täuschst du dich aber gewaltig, lieber Freund.“ Rod lächelte breit. „Vor dem
Frühstück habe ich noch nie zwei Mädchen vernascht!“
„Spaß beiseite. Was ist denn dieses Mal anders?“ Tom trank sein Glas aus, stellte
es zurück auf den Tisch und winkte den Kellner herbei, um ein Bier zu bestellen.
Rod sah ihn nachdenklich an. „Dieses Mädchen scheint völlig immun gegen
meinen berüchtigten Charme zu sein. Punkt eins. Sie brachte es fertig, mir
klarzumachen, daß ich sie in Frieden lassen soll.“
Tom blieb vor Erstaunen beinahe die Luft weg. „Das muß ja ein seltsames Wesen
sein. Ist ihr denn nicht aufgegangen, daß sie in dir einen vielumworbenen
Junggesellen gefunden hat? Liest sie keine Statistiken? So etwas wie dich findet
sie doch nie wieder?“
„Sie will gar nicht heiraten.“
„Dann hat sie bereits einen anderen!“
„Nicht, daß ich wüßte. Es sei denn, wir haben es mit einem Geist zu tun. Ihr
Mann ist nämlich vor einiger Zeit gestorben.“
„Du meinst, sie ist ihm immer noch treu?“
„Nein. Sie will einfach keine Bindungen mehr.“
„Eine Frau, die keine Bindung will, gibt es nicht. Das wäre zu schön, um wahr zu
sein“, scherzte Tom, doch Rod blieb ernst. „Erzähl mir bitte ein wenig mehr von
dieser ungewöhnlichen jungen Dame“, bat Tom, nachdem ihm der Kellner das
zweite Glas Bier gebracht hatte.
„Sie ist Amerikanerin.“
„Aha. Eine von diesen unabhängigen Frauenrechtlerinnen. Und wo hast du sie
kennengelernt?“
„Sie hat Schloß Fräser gekauft und renoviert.“
„Rod, ich muß schon sagen, das hört sich an wie ein Märchen. Das anmutige Fräulein im Elfenbeinturm und der schöne Prinz, der kommt, um sie zu befreien.“ „Du wirst es nicht glauben, aber sie will nicht gerettet werden.“ Rod blickte seinen Freund resigniert an. „Zum Teufel mit ihr. Ich hasse es zwar, abgedroschene Sprüche zu klopfen, aber sie ist wirklich nicht die einzige Frau auf der Welt. Oh, da fällt mir noch etwas ein: Kate möchte, daß du ihre Cousine kennenlernst. Ich kenne das Mädchen, und ich versichere dir, sie ist nicht nur hübsch, sondern auch noch außerordentlich intelligent.“ „Vielen Dank“, lehnte Rod gelangweilt ab. „Es wäre bestimmt das beste, wenn du dich durch eine andere Frau von dem Kummer ablenkst.“ „Das habe ich schon probiert. Gestern abend rief ich kurzerhand Allison Lowrie an. Sie lebt zur Zeit in Kirkcudbright.“ „Richtig, das war’ doch etwas! Allison mit den wunderschönen Beinen! Na und, wie war’s?“ „Ein paar Minuten sprach ich mit ihr am Telefon. Dann wurde mir klar, daß ich nicht die geringste Lust hatte, sie zu sehen. Also erfand ich eine Entschuldigung und legte auf.“ Rod kam sich richtig lächerlich vor. Wie konnte er sich von einer Frau, die er zudem erst so kurze Zeit kannte, derart verwirren lassen? Aber Beverly war eben etwas Besonderes, das ließ sich nicht leugnen. Eine Frau, die ein Schloß kauft, die auf eigenen Beinen stehen will, und die noch dazu an eine ewige Liebe glaubt, findet man nicht oft. Womöglich hätte er sie nie getroffen, wenn er dieses Buch nicht geschrieben hätte! Immerhin waren es ja die Informationen über das Schloß, die sie zu dem Kauf animiert hatten. Davon war er überzeugt. „Verdammt“, fluchte Rod. „Ich kann diese Beverly einfach nicht vergessen.“ „Beverly heißt sie also? Hübscher Name. Gesicht und Figur, alles passend zum Namen? Du hast es wirklich schwer, Rod.“ In diesem Augenblick servierte der Ober das Essen. Es gab Lammkoteletts, grüne Bohnen und knuspriges Weißbrot. Tom seufzte zufrieden. „Es scheint ja ernsthaft um dich geschehen zu sein, Rod.“ Genüßlich steckte er sich einen Bissen in den Mund. „Versuch doch einmal, sachlich an dieses Problem heranzugehen. Was du jetzt erlebst, war doch vorauszusehen. Ich warte jedenfalls schon länger darauf.“ „So, tatsächlich?“ Rod mußte über Toms selbstbewußten Gesichtsausdruck lachen. „Natürlich. Normale Mädchen können dich nicht mehr beeindrucken, sie langweilen dich. Du hast deine Freiheit ausgiebig genossen. Jetzt möchtest du seßhaft werden, und ausgerechnet in diesem Augenblick begegnest du diesem Mädchen. Sie ist gerade im richtigen Moment vom Himmel gefallen.“ „Es ist weit mehr.“ Rods Stimme klang ernst. „In einer Hinsicht hast du recht: Es gibt mir nichts mehr, neben einer Fremden aufzuwachen. Aber bei Beverly geht es um etwas ganz anderes. Wir fühlen uns auf eine Weise zueinander hingezogen, die einmalig ist.“ Rod hatte sich sein ganzes Leben lang immer einsam gefühlt. Nicht einmal Tom gegenüber hatte er das eingestanden. Seit er als Achtjähriger ins Internat geschickt worden war, spürte er eine Verlassenheit, die auch während seiner Studentenzeit in Cambridge nicht gewichen war. Dabei war er einer der angesehensten Studenten im Wohnheim. Immer versteckte er seine Gefühle hinter einer fröhlichen Maske. Erst bei Beverly hatte Rod das Gefühl der Verbundenheit gefunden, das ihn alle Einsamkeit vergessen ließ.
Wie wunderbar mußte es sein, Beverly zu lieben, mit ihrem Körper eins zu sein, träumte Rod vor sich hin. „Ist sie denn schön?“ fuhr Tom in die Gedanken seines Freundes. „Ja. Aber keine übliche Schönheit. Es ist mehr ihr Charme, der sie so anziehend macht. Wenn ich in ihrer Nähe bin, fühle ich mich wohl.“ „Wahrscheinlich reizt dich das Unerreichbare.“ Tom lächelte wissend. „Wir wollen doch immer gerade das, was wir nicht bekommen können.“ Rod schwieg. Tom irrte sich, davon war er überzeugt. In dem Augenblick, als er Beverly zum ersten Mal gesehen hatte, wußte Rod, daß sie die Frau war, nach der er gesucht hatte. „Verstehst du eigentlich, was ich empfinde, oder hältst du mich für verrückt, Tom?“ Tom lachte. „Ein wenig übergeschnappt bist du schon, aber ich kann dich verstehen. Kate verliebte sich damals auch auf den ersten Blick in mich. Dabei hatte ich nichts weiter zu bieten als einen roten Wuschelkopf.“ „Du weißt hoffentlich, daß du mit Kate das Große Los gezogen hast. Sie ist viel zu gut für dich!“ „Das ist mir klar. Ich hoffe nur, sie selbst hat es nicht bemerkt. Noch etwas, Rod: Steigerst du dich da nicht in eine Leidenschaft hinein, weil diese Beverly dir so standhaft widersteht?“ „Zugegeben, ihre Zurückhaltung ist eine Herausforderung für mich. Aber es geht um mehr. Sie hat die Art Humor, die ich so liebe. Sie hat keine Bedenken, mir ihre Meinung offen und ehrlich zu sagen und mich zurechtzuweisen, redet mir nicht nach dem Mund. Das gefällt mir an ihr.“ „Was hast du also vor?“ erkundigte Tom sich. Rod zögerte nur eine Sekunde. „Ich glaube, ich werde das Schloß stürmen müssen.“ „Endlich bist du wieder der alte Rod“, rief Tom erleichtert aus, hob das Glas und stieß mit dem Freund an. Beverly war nicht mit Jane nach Edinburgh gefahren. Sie hatte sich auf ihre Arbeit konzentriert, fieberhaft skizziert und gemalt, so daß sie keine Ablenkung gebrauchen konnte. Jane hatte vor, einige Einkäufe zu erledigen, ins Kino zu gehen und ein wenig die Großstadt zu genießen, die sie bei ihrem Landleben so sehr vermißte. An diesem Abend ging Beverly erschöpft zu Bett. Von morgens bis abends hatte sie hinter der Staffelei gesessen. Erst als es zu nieseln begann, entschloß sie sich, ins Haus zu gehen. Zwei Stunden verbrachte sie noch mit Aufräumen in ihrem herrlichen Studio. Danach war sie so müde, daß sie keine Lust mehr hatte, sich etwas Warmes zu essen zu machen. Trotz der Erschöpfung war Beverlys Kopf voller neuer Pläne und Ideen. Sie konnte nicht zur Ruhe kommen und langte deshalb nach dem Buch auf ihrem Nachttisch. Zu ihrer Überraschung war es der Band über die Schlösser in Schottland. Beverly erinnerte sich nicht daran, ihn dorthin gelegt zu haben. Sie atmete tief durch, als sie das Foto von Rod erblickte. Arrogant und zugleich unwiderstehlich sah er darauf aus. An Roderick Fleming wollte sie jetzt wirklich nicht denken. Schon während der ganzen Wochen hatten sich ihre Gedanken ständig um ihn gedreht. Ärgerlich schlug sie das Buch zu, legte es zurück, knipste rasch das Licht aus und zog die Decke bis unters Kinn hoch. Das Fenster war weit geöffnet. Die milde Nachtluft erfüllte den Raum. Von fern hörte Beverly das unermüdliche Gequake der Frösche, und ein sanfter Wind
raschelte in den Zweigen der alten Bäume. Langsam schob sich ein großer gelber Mond vor ihr Fenster. Beverly schloß die Augen. Ihre Gedanken verwirrten sich und der Schlaf nahm sie mit in seine alles verzaubernde Traumwelt… Alle Menschen im Schloß hatten sich zur Ruhe gelegt. Nur Laurie bewegte sich im Dunkel ihre Schlafgemachs, suchte nach einem Fidibus, um die Kerzen anzuzünden. Als der Raum schließlich in warmes Licht getaucht war, eilte Laurie geschäftig hin und her, strich hier und dort eine Spitzendecke glatt und legte die Kissen zurecht. Sie machte sich Sorgen. Warum kam er so spät? In Gedanken begleitete sie ihn auf seinem Ritt durch den dunklen Wald, und jeder Augenblick wurde ihr zur Ewigkeit. Er durfte nicht fortbleiben. Ohne ihn war die Nacht kalt und leer. Immer wieder blickte sie sehnsuchtsvoll aus dem Fenster. Kein Laut war zu hören. Nie würde sie die erste Begegnung mit ihm vergessen. Auf einem Ball hatte er sie, ohne sie um Erlaubnis zu bitten, in seine Arme gezogen und auf die Tanzfläche geführt. Ihre Reaktion war zornig gewesen. „Ich bin Lady Laurie Fräser von Schloß Fräser, und ich bitte mir von Ihnen mehr Respekt aus.“ Mit einem Lachen hatte er sich da nur in die Brust geworfen und gesagt: „Und ich bin Richard McDonald, der Herr über alle Inseln. Bevor die Nacht zu Ende geht, werde ich auch Herr über Ihr Herz sein, meine Dame.“ Und er hatte recht behalten. Jetzt stand er plötzlich vor ihr, eine hochgewachsene Gestalt in dunklem Mantel, weißem Hemd und schwerem rotschwarzen Kilt. „Mein Liebster“, rief Laurie aus und flog in seine geöffneten Arme. Ein langer Kuß, dann löste er ihr Gewand und ließ es zu Boden gleiten. Ungeduldig nestelte er an den Bändern ihres Mieders. Einen Augenblick später hatte auch er sich die Kleider entledigt und trug Laurie zu dem gewaltigen Bett. „Halt mich ganz fest“, flüsterte Laurie in seinen Armen und klammerte sich an ihn. „Ich brauche dich so sehr.“ Seine Küsse wurden fordernder, er preßte sie an seinen Körper. „Ich werde dich nie verlassen, Liebste, wo du auch bist, ich werde immer meinen Weg zu dir finden.“ Sie liebten sich mit aller Leidenschaft und lagen im Dunkel der Nacht noch lange eng aneinandergeschmiegt. Richards Augen leuchteten, während seine Hände sanft über ihren Körper strichen. „Meine Liebste, mein ein und alles.“ „Verlaß mich nie, Geliebter“, murmelte Laurie hingebungsvoll an seiner Brust. „Ich bin für immer dein… für immer… ich verspreche es.“ Mit aller Kraft versuchte Beverly aus dem Traum in die Wirklichkeit zurückzukehren. Ihre Sinne waren ganz verwirrt, und erst allmählich wurde ihr bewußt, daß sie geträumt hatte. War es wirklich nur ein Traum? überlegte sie. Zu deutlich sah sie noch das Schlafgemach vor sich, wie es vier Jahrhunderte zuvor ausgesehen haben mußte. Laurie Fräser und ihr Liebhaber waren da… Beverly stand langsam auf und ging zum Fenster hinüber. Draußen hatte sich nichts verändert. Ihr Wagen parkte am Rande der Auffahrt, der Rasen war gemäht, überall erblickte sie gepflegte Anlagen und Beete. Die Traumwelt war verschwunden. Beverly war in jene Zeit zurückversetzt worden. Sie hatte sich dort völlig eingefühlt, Wie konnte das nur geschehen? Donald Drummond hatte behauptet, daß die Mauern des Schlosses mit Tränen getränkt seien. Sollten etwa auch Lauries Gefühle der Liebe und Sehnsucht in dem alten Gebäude lebendig
geblieben sein? Beverly schüttelte nachdenklich den Kopf. Sie war ganz durcheinander und wusch sich rasch im Badezimmer das Gesicht mit kaltem Wasser. Die Gedanken kreisten wild in ihrem Kopf. Dann riß sie sich zusammen. So durfte es nicht weitergehen! Heute wollte sie einen Ausflug machen und ihre Staffelei mitnehmen. Hier im Schloß fühlte sie sich merkwürdig beklommen. Nach einem leichten Frühstück packte sie die Malutensilien in ihren Wagen und fuhr los. Auf den Klippen von Carrick Shore, von denen aus sie einen bezaubernden Blick über die Fleetinseln hatte, ließ Beverly sich nieder. Der Wind hatte riesige Wolkenberge übereinandergetürmt. Das gab ein effektvolles Motiv ab. Zufrieden holte sie Pinsel und Palette hervor und begann, mit großen Strichen zu malen. Ab und zu kam ein Windstoß vom Meer herüber und ließ die Staffelei erzittern. Dann bewölkte sich der Himmel immer mehr, und auf den Wellen tanzten silberne Schaumkronen. Beverly war ganz in ihre Malerei vertieft, als der Sturm losbrach. Gleichzeitig prasselte der Regen hernieder, so daß Beverly in aller Eile ihre Sachen zusammensuchen und zum Wagen zurücklaufen mußte. Enttäuscht, weil sie das Bild nicht hatte zu Ende bringen können, fuhr Beverly zurück. Die Locken hingen ihr naß ins Gesicht. Plötzlich fiel ihr ein, daß sie für den Abend bei Donald und Margaret eingeladen war. „Verdammt!“ fluchte sie. Das hatte sie total vergessen, und den Rest des Tages stellte sie sich eigentlich anders vor. Doch es half nichts. Absagen war unmöglich. Dann werde ich eben früh nach Hause gehen, tröstete sich Beverly, und morgen früh weiter an dem Bild malen. Zum ersten Mal schien ihr eine Arbeit gut gelungen. Sie freute sich schon darauf, sie zu vollenden. Als sie vor Donalds Haus anhielt, sah Beverly, daß sie nicht der einzige Gast war. Ein weißer Porsche parkte bereits in der Einfahrt, und Beverly wußte sehr wohl, wem dieser Wagen gehörte. Beverly zuckte zusammen. Sie war nicht in der Stimmung, Rod zu begegnen. Außerdem hatte sie sich auch mit ihrem Äußeren keine große Mühe gegeben. Hätte sie doch wenigstens ein anderes Kleid angezogen! Dieses schlichte blaue Seidenkleid sah wirklich sehr streng aus. Zum Glück hatte sie in letzter Minute noch den dunkelblauen Samtgürtel mit dem goldenen Verschluß umgelegt, der ihre schmale Taille so gut zur Geltung brachte. Im gleichen Augenblick ärgerte sie sich, daß sie sich so viele Gedanken über ihre äußere Erscheinung machte. Kurz entschlossen legte sie den Regenmantel um und lief zum Haus. Sie brauchte nicht lange zu warten. Margaret beeilte sich, Beverly die Tür zu öffnen. Während sich die beiden herzlich begrüßten, schaute Beverly an Margaret vorbei und sah Rod, der in der Wohnzimmertür stand und ihrem Blick erwartungsvoll begegnete. „Kommen Sie herein, meine Liebe“, forderte Margaret sie freundlich auf. „Das ist ja ein schlimmer Sturm! So etwas habe ich schon lange nicht mehr erlebt. Im Winter ist man auf solches Wetter vorbereitet, aber im Sommer! Geben Sie mir Ihren Mantel. Meine Güte, sind Sie durchnäßt.“ Beverly war nicht in der Lage, auf Margarets munteres Geplauder einzugehen. Immer wieder mußte sie zu Rod hinüberschauen, der offensichtlich über ihr Kommen sehr erfreut war. Er strahlte. Beverly war überzeugt, daß Rod nur erschienen war, weil er von irgend jemandem erfahren hatte, daß auch sie eingeladen sei.
Im Wohnzimmer nahmen sie vor einem gemauerten Kamin Platz. Der Raum war
gemütlich eingerichtet. Rod reichte Beverly ein Glas heißen Punsch.
„Das wird Sie wieder aufwärmen“, sagte er lächelnd.
„Vielen Dank.“ Beverly nippte an dem würzigen Getränk. „Ich dachte, Sie seien in
Edinburgh“, erklärte sie höflich.
Das verschmitzte Zwinkern in seinen Augen zeigte ihr, daß er nur zu gut wußte,
worauf sie hinauswollte. „Mir fehlte auf einmal die Landluft“, gab Rod gutgelaunt
zur Begründung. „Da war es das Beste, für eine Weile herzukommen.“
„Wie lange werden Sie bleiben?“
„Das hängt davon ab…“, antwortete Rod und zuckte die Schultern.
„Ich war ziemlich überrascht, als Rod mir heute auf der High Street über den
Weg lief“, warf Donald dazwischen. „Es ist nämlich ein besonderes Glück, wenn
man ihn hier an einem Wochenende antrifft. Deshalb habe ich auch darauf
bestanden, daß er heute abend mit uns ißt.“
Donald erhob sich, um noch etwas Punsch zu holen.
„Wie haben Sie die Zeit verbracht? Haben Sie viel gemalt?“
„Ja.“
„Das freut mich. Ohne ein Hobby, wie Malen oder Fischen, ist man hier verloren,
dann packt einen bald die Langeweile.“
„Ich langweile mich nie“, erklärte Beverly mit Bestimmtheit. „Im Gegenteil, ich
genieße die Ruhe und die Einsamkeit.“
„Kommen Sie sich nicht manchmal ein bißchen zu einsam vor in dem großen
Schloß, wenn meilenweit keine Menschenseele in Ihrer Nähe ist?“
„Ich bin nicht allein, Jane ist doch da“, erinnerte Beverly ihn.
„Ich denke, Ihre Schwester ist zur Zeit in Edinburgh“, unterbrach Donald das
Gespräch.
Beverly hätte ihn am liebsten zum Teufel gewünscht, daß er Janes Reise erwähnt
hatte, und als sie zu Rod aufblickte, sah sie ein leicht ironisches Lächeln auf
seinen Lippen.
„Aha, sie ist in Edinburgh“, wiederholte er. „Warum sind Sie nicht mitgefahren?“
„Ich habe viel zuviel zu tun.“
„Sie sollten sich die Stadt aber einmal ansehen. Es lohnt sich. Man sagt,
Edinburgh sei das Athen des Nordens.“
„Die Stadt interessiert mich auch. Irgendwann… sie läuft mir ja nicht davon.“
Obwohl die Speisen ausgezeichnet schmeckten, kostete Beverly von allem nur
wenig. Unter Rods Blicken konnte sie nicht mehr als ein paar Höflichkeitsbissen
hinunterbringen. Je länger das Essen dauerte, desto nervöser wurde sie.
Gegen elf Uhr verabschiedete Beverly sich von den Gastgebern.
„Was für ein scheußliches Wetter“, meinte Donald besorgt und zeigte zum
Fenster hin, an dem der Regen hinunterströmte. Der Wind heulte laut in den
Bäumen.
„Es gefällt mir gar nicht, daß Sie bei diesem Sturm allein nach Hause fahren
wollen“, meinte Margaret. „Sie kennen sich doch in der Gegend noch kaum aus.“
„Ich werde schon heil nach Hause kommen“, beteuerte Beverly, aber ihre
Stimme klang ein wenig zaghaft.
„Bei diesem Unwetter dürfen Sie auf keinen Fall allein nach Hause fahren“,
mischte sich Rod ein. „Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Panne, oder Sie fallen
hin. Nicht auszudenken! Ich fahre Sie heim. Schließlich liegt Schloß Fräser auf
meinem Weg.“
„Aber mein Wagen…“, gab Beverly zu bedenken.
„Ich werde ihn morgen bei Ihnen vorbeibringen“, bot Donald rasch an. „Sie
können mich ja dann zurückfahren, wenn es Ihnen nichts ausmacht.“
„Bei Tageslicht ist die Fahrt nur halb so schlimm“, meinte auch Margaret. Sie nickte zustimmend. „Also, abgemacht.“ Rod ließ keine Widerrede mehr zu. Er half Beverly in den Mantel. Einen kurzen Augenblick ruhten seine Hände auf ihrer Schulter, und sie hielt den Atem an. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Was würde ich wohl empfinden, wenn seine Hände meine bloße Haut berührten? dachte Beverly und eilte zum Wagen voraus. Bevor sie einstieg, schüttelte sie den Regen aus ihren Locken und strich die nassen Strähnen aus ihrem Gesicht. Auf dem kurzen Weg war der Regenmantel klatschnaß geworden. Rasch streifte sie ihn ab und legte ihn neben ihre Füße auf den Boden. Rod ließ den Wagen an. Sicher und ruhig lenkte er den Porsche durch die stürmische Nacht. Beverly beobachtete ihn von der Seite. Seine schmalen Hände wirkten sehr sensibel, und sie stellte sich immer wieder vor, wie diese Hände sie berührten. Aber wie gefährlich war diese Vorstellung! Sie mußte sich zwingen, an etwas anderes zu denken. Vielleicht an das Gemälde, das sie begonnen hatte, oder an weitere Renovierungen, die sie in nächster Zeit noch an dem Schloß vornehmen lassen wollte… „Ich habe die ganze Zeit an Sie gedacht“, brach Rod plötzlich das Schweigen. Seine Stimme klang leise und freundlich. Beverly wußte nicht, was sie darauf antworten sollte. Sie fühlte sich auf einmal verlegen und unsicher wie ein Teenager. Zu ihrem größten Ärger reagierte sie dann auch noch so. Kaum hörbar flüsterte sie: „Oh?“ Rod warf ihr einen kurzen Blick zu, dann sah er wieder angestrengt auf die regennasse Straße hinaus. Lächerlich, wie ich mich aufführe, dachte Beverly verwirrt. Auch auf Rod war sie in gewisser Weise wütend. Er tat nichts, um ihr aus der Verlegenheit zu helfen. „Warum sind Sie aus Edinburgh zurückgekommen?“ fragte sie. „Ich wollte Sie wiedersehen. Aber das wissen Sie doch.“ „Ich sagte bereits, wie ich darüber denke. Ich möchte keinerlei Bindungen eingehen.“ „Ich weiß, ihre Abfuhr war ja unmißverständlich. Das Problem ist nur, ich glaube nicht, daß Sie das auch wirklich meinen.“ „Wie kommen Sie darauf, daß Sie mich besser kennen als ich selbst. Wir haben erst ein paarmal miteinander gesprochen.“ „Aber ich habe Sie schon zweimal geküßt.“ Rod warf ihr wieder einen Blick von der Seite zu. „Sie können sagen, was Sie wollen, Beverly, aber ich habe es deutlich gespürt: Die Frau, die ich in den Armen hielt, war voller Leidenschaft. Sie können nicht leugnen, was Ihr Körper mir verriet.“ Seine Worte erzürnten Beverly noch mehr, denn er hatte recht. Fest ballte sie ihre Hände zu Fäusten zusammen. „Kann Ihr eitles Ego nicht begreifen, Rod, daß es tatsächlich eine Frau gibt, die Sie nicht will? Sind Sie so an die kleinen Barmädchen gewöhnt, daß Sie echte Zurückweisung nicht mehr von vorgetäuschter unterscheiden können?“ Aus seinen Augen verschwand plötzlich das verschmitzte Zwinkern. Sie hatte ihn verletzt. Rod preßte die Lippen fest aufeinander. Obwohl Beverly die Härte ihrer Ablehnung bedauerte, da sie spürte, wie weh sie ihm damit tat, triumphierte sie innerlich. Inzwischen hatten sie Schloß Fräser erreicht. Rod lenkte den Wagen auf den kleinen Weg, der von der Hauptstraße abbog. Beverly bemerkte, daß er das
Steuer noch fester umfaßt hielt als bisher. „Da Sie so interessiert an meinem Sexualleben scheinen, möchte ich eines richtigstellen: Ich pflege mich nicht mit Barmädchen abzugeben. Sie brauchen übrigens nicht zu versuchen, mich mit irgendwelchen fadenscheinigen Anschuldigungen zu vergraulen, Beverly.“ Vor dem Schloß hielt er an und schaltete die Lichter aus. Im Dunkeln war es Beverly fast unmöglich, sein Gesicht zu erkennen. Sie wußte aber genau, daß sich Ärger und Leidenschaft zugleich darauf spiegelten. „Ach, Beverly. Ich begehre dich! Sage nicht, wir kennen uns nicht lange genug. Das versuche ich mir ja schon selbst einzureden. Umsonst. Alle Gegenargumente lösen sich in Nichts auf, wenn ich an dich denke. Noch nie hat mich eine Frau so aus der Fassung gebracht wie du. Und wenn du es ewig bestreitest, ich weiß, dir geht es nicht anders mit mir!“ Rod zog Beverly an sich und küßte sie auf den Mund. Zuerst wehrte sie sich gegen seine heftige Umarmung und versuchte, sich zu befreien, dann gab sie langsam nach. Mit aller Leidenschaft, die sie so lange schon unterdrückt hatte, erwiderte Beverly seine Küsse. Hingebungsvoll schlang sie die Arme um seinen Nacken und streichelte seine Haare. Schließlich hob Rod den Kopf und gab Beverly frei. In seinen Augen brannte noch die Leidenschaft, die Beverlys Herz zum Schmelzen gebracht hatte. Auf seltsame Weise berührte sie sein unergründlicher Blick, ein Gefühl durchströmte ihren Körper, das nicht einmal Allen in ihr hatte erwecken können. Und das machte ihr Angst. Sanft strich er mit den Fingerspitzen über ihre Lippen, zog die Konturen ihres Gesichts nach. Wie gebannt ließ sie es geschehn, genoß die zärtliche Berührung. „Es ist doch sinnlos, wenn wir uns gegen unsere starken Gefühle wehren“, flüsterte Rod an ihrem Ohr. Beverly war von der Intensität ihrer Gefühle, die sie in diesem Augenblick überwältigten, entsetzt. Der Gedanke, sich in einem anderen Menschen zu verlieren, nachdem sie gerade erst begonnen hatte, ihr eigenes Ich zu finden, versetzte sie in Panik. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie einen Weg eingeschlagen, der ihr Zufriedenheit und Selbstvertrauen versprach. Mit Rod, das wußte sie genau, war sie verloren. Die Leidenschaft in ihm würde sie ganz gefangen halten, wenn sie sich nicht rechtzeitig davor schützte. So überwältigend war Beverlys Sehnsucht nach ihm, daß sie befürchten mußte, das zarte, gerade im Aufstreben befindliche Pflänzchen „Selbstverwirklichung“ dabei zu vernachlässigen, ja aufs Spiel zu setzen. Verzweifelt versuchte Beverly noch einmal, Rod ihre Gefühle verständlich zu machen. „Die Liebe verzehrt die Liebenden. Wenn ich mich dir schenke, so besiegele ich damit das Ende meiner eigenen Entwicklung. Das will ich nicht, Rod. Ich möchte niemandem gehören, jedenfalls im Augenblick noch nicht, da meine Karriere erst im Aufbau begriffen ist.“ Sie hatte noch nicht ganz ausgesprochen, da wußte sie schon, daß ihr Reden vergeblich gewesen war. Rod verstand sie nicht. „Sechs Nächte lang habe ich wach gelegen und nur an dich gedacht, mich nach dir gesehnt. Willst du mir weismachen, es sei dir anders ergangen?“ „Laß uns das Thema wechseln, Rod. Ich kann nicht mit dir diskutieren. Ich möchte jetzt lieber gehen.“ Beverly sprach mit eindringlicher Stimme. Sie war verzweifelt. Rasch öffnete sie die Tür, sprang aus dem Wagen und lief blind vom strömenden Regen und den aufsteigenden Tränen über den Schloßhof zur Eingangstür, wo sie mit zitternden Händen nach dem Schlüssel in ihrer Handtasche suchte. Hastig
schloß sie auf. Sie wollte sich in der warmen Halle in Sicherheit bringen, da hielt
sie plötzlich inne.
Übermäßige Gefühle stritten in ihrem Innern miteinander. Sie wurde hin und her
gerissen zwischen ihrer Liebe und Leidenschaft für Rod und dem Wunsch nach
der Freiheit, die sie so lange entbehrt hatte.
Die Liebe siegte.
Langsam machte Beverly kehrt und blickte zum Wagen zurück, der immer noch
an derselben Stelle stand. Plötzlich ging die Tür der Fahrerseite auf, und eine
Gestalt bewegte sich zögernd auf sie zu. Wenige Schritte vor ihr blieb sie stehen.
Beverly blickte in Rods unergründliche, smaragdgrüne Augen, die den Kampf
ihrer Seele gegen das Verlangen ihres Körpers durchschaut hatten.
„Endlich“, sagte Rod mit rauher Stimme. „Selbst die dicken Mauern dieses
Schlosses können dich heute nacht nicht mehr von mir trennen.“
Der verschwindend kleine Rest Widerstand, der noch in Beverly gesteckt hatte,
schmolz dahin. Rod hob sie auf seine starken Arme und trug sie über die
Schwelle.
7. KAPITEL Bis auf die Haut durchnäßt und zitternd vor Kälte und innerer Erregung klammerte sich Beverly an Rod, als er sie in das Schlafzimmer im zweiten Stock des Schlosses hinauftrug. Draußen wütete der Sturm und schlug die Zweige der uralten Eiche gegen das hohe Fenster. Drinnen jedoch war es warm und gemütlich. Rod setzte Beverly behutsam auf dem weichen Teppich in ihrem Badezimmer ab und ließ sogleich heißes Wasser in die Badewanne einlaufen. In einem Regal neben der Wanne fand er duftendes Badeöl, von dem er einige Spritzer ins Wasser gab. Dann wandte er sich wieder um und blickte Beverly an. Langsam öffnete er die Knöpfe ihres Kleides, streifte es über die Schultern und ließ es zu Boden gleiten. Schließlich löste er die Träger ihres weißen, seidenen Hemdhöschens und ließ auch das zu Boden fallen. Beverly stand nun nackt vor ihm und lächelte ihn erwartungsvoll an. Rasch entkleidete er sich auch und drehte den Wasserhahn ab. Zärtlich hob Rod Beverly hoch und setzte sie in das wohlig warme Wasser. Rasch folgte er ihr nach. Während er sie mit seinen Augen liebkoste, seifte er ihren Körper ein. Zuerst die Schultern, dann den Hals. Sanft streichelten seine cremig weichen Hände ihre Brüste. Beverlys Herz klopfte heftig. Nie zuvor hatte sie eine solch sinnliche Berührung gefühlt. Er massierte vorsichtig ihren Bauch, bis sie sich trunken glaubte von dem Duft nach Jasmin, der sie umgab, und von der Nähe seines Körpers. Die Intimität dieses Augenblicks überwältigte sie. Sie schloß die Augen und gab sich ganz seinen erregenden Liebkosungen hin. Immer wieder glitten seine Hände über ihre Brüste, umkreisten sie, bis sich die rosa Spitzen aufrichteten. Liebevoll bewegten sich seine sanften Finger über ihre brennende Haut. Als Rod jeden Zentimeter ihres Körpers zum Glühen gebracht hatte, nahm Beverly die Seife in die Hand und begann nun, seinen Körper einzuseifen. Langsam streichelte sie seine Haut, die von dem Badeöl verführerisch glänzte. Sie spürte, daß Rods Verlangen unter ihren zärtlichen Berührungen wuchs. Seinen Augen zeigten deutlich, wie sehr er sie begehrte. Doch noch war es nicht an der Zeit, seinen Körper ganz zu erforschen. Das wollte sie für später aufbewahren. Rod half Beverly aus der Wanne und legte ihr ein großes Badetuch um die Schultern. Behutsam umfaßte er sie und rieb ihren Körper trocken, bis sie zitterte. Dann holte er ein zweites Handtuch und trocknete sich selbst rasch ab. Beverly beobachtete, wie seine starken Muskeln unter der Haut spielten. Sie konnte es kaum erwarten, ihm wieder ganz nahe zu sein und seinen Körper zu berühren. Tagelang hatte Beverly an Rod gedacht, flüchtig nur und mit schlechtem Gewissen, weil sie sich ihre Wünsche nicht eingestehen wollte. Im Augenblick jedoch fühlte sie keine Reue, kein schlechtes Gewissen, nur sehnsuchtsvolles Verlangen… Rod führte sie ins Schlafzimmer und zündete ein anheimelndes Feuer in dem kleinen Kamin an. Gleich darauf fühlte Beverly die wohlige Wärme und warf Rod einen dankbaren Blick zu. Ein glückliches Lächeln lag auf ihren Lippen, das Rod erwiderte. Endlich war sie mit sich selbst in Frieden, sie brauchte nicht länger gegen ihre Gefühle anzukämpfen. Dann lagen sie beieinander auf dem Bett.
„Ich habe mir so sehr gewünscht, bei dir zu sein“, flüsterte Rod zärtlich. „Ich möchte dich nie wieder von mir lassen.“ Sehnsüchtig wanderten seine Blicke über ihren nackten, schmiegsamen Körper. „Du hättest mich längst haben können“, flüsterte Beverly. „Mein Widerstand war nur sehr oberflächlich.“ Sie war glücklich, als sie das verschmitzte Lächeln in seinen Augen wieder sah. „Wenn ich das nur geahnt hätte!“ Rod berührte mit einem Finger ihre Brustspitzen. „Du meinst, das verführerisch duftende Bad, das Kaminfeuer und das bequeme Bett waren gar nicht notwendig?“ „Ja. Ich muß gestehen, daß mir auch ein Teppich aus Gras unter dem weiten Himmel genügt hätte.“ Zärtlich umfaßte sie seine breiten Schultern und blickte ihm in die Augen. „Bist du aufgeregt?“ fragte er leise. „Ein bißchen“, gab sie ehrlich zu. „Ich weiß doch nicht, wie es mit dir sein wird. Kann ich dich glücklich machen? Diese Frage stelle ich mir schon die ganze Zeit.“ „Die Antwort ist ganz einfach, Liebling. Du machst mich glücklicher, als ich es je in meinem Leben gewesen bin. Und ich verspreche dir, unsere Liebe wird vollkommen sein.“ Seine liebevollen Worte beruhigten Beverly. Alle Nervosität wich von ihr und machte einer erwartungsvollen Vorfreude Platz. Beverly wußte nun, sie konnte sich Rod bedenkenlos hingeben. Rod liebte Beverly wie kein Mann zuvor. Mit Allen war die Liebe auch wundervoll gewesen, doch mit Rod wurde sie zu einem erotischen Abenteuer. Er erfüllte ihre geheimsten Wünsche und Phantasien. Jeden Zentimeter ihres bebenden Körpers liebkoste er mit gefühlvollen Händen und aufregenden Küssen. Sanft blies er ihr seinen Atem ins Ohr. Seine weichen Lippen und seine Zunge riefen beglückende Schauer hervor, die wie Wellen ihren Körper durchströmten. In wildem Verlangen preßte Beverly sich an ihn. Sie wollte seinen kraftvollen Körper an ihrem fühlen, seine straffe Haut an ihrer. Dann unterbrach sie sein erotisches Spiel, um ihrerseits seinen Körper zu erforschen und ihm die gleichen Freuden zu schenken, die sie soeben erlebt hatte. Während er ihre sanften Rundungen mit Küssen bedeckte, begann auch sie, Rod zu küssen und mit kleinen herausfordernden Berührungen zu erregen. Ihre Hände glitten langsam an seinem Rücken abwärts und massierten die muskulösen Hüften. Sie drängte sich näher an ihn und hauchte zärtliche Küsse auf seine Haut. „Mache ich dich glücklich, Liebster?“ flüsterte Beverly an seinem Hals. „Meine Liebste!“ murmelte Rod und zeigte ihr aufs neue, was er sich in langen Nächten quälender Sehnsucht für sie ausgedacht hatte. Am ganzen Körper bebend, hob Beverly ihre Hüften und gab sich ihm hin, während er mit fast spielerischen Bewegungen weiter ihre Leidenschaft erregte. Rod schaute auf und blickte in ihre verschleierten Augen. Langsam und gefühlvoll legte er sich auf sie, und ihre Körper verschmolzen miteinander. Beverly spürte jetzt nur noch ihr eigenes Verlangen nach Erfüllung. Sie klammerten sich aneinander und bewegten sich in wildem Entzücken, bis beide gleichzeitig aufstöhnten. Sie erreichten den Höhepunkt in beglückender Gemeinsamkeit. Danach lagen sie eine ganze Weile schweigend beieinander. Beverly hatte den Kopf an Rods breite Brust geschmiegt. Friedlich beobachteten sie das Flackern der Flammen im Kamin. Dieser Augenblick erinnerte Beverly an ein Liebesgedicht, das sie vor längerer Zeit irgendwo gelesen hatte. Es stand im Zusammenhang mit Laurie Fräser. Ob
Laurie es selbst gedichtet oder nur aufgeschrieben hatte, erinnerte Beverly nicht mehr. Sie wußte nur, daß die Gefühle, die sie und Rod heute miteinander verbunden hatten, die gleichen waren wie die von Laurie und ihrem Liebhaber. Ihre Liebe war Jahrhunderte alt. Sie war zwischen Laurie und Richard erblüht und nun zwischen Beverly und Rod wieder zum Leben erwacht. Plötzlich hob Rod den Kopf und beugte sich über Beverly. Liebevoll fragte er: „Was ist los mit dir? Du bist so nachdenklich.“ „Ich dachte gerade an Schatten.“ „Du meinst die Schatten, die das Feuer wirft?“ „Ja. Aber auch an die anderen. Die aus der Vergangenheit…“ „Ich verstehe dich nicht.“ Rod küßte sie zärtlich auf die Stirn und zog sie näher zu sich heran. „In Carmel stand ich immer in Aliens Schatten, besonders als Künstlerin. Deshalb konnte ich dort auch nicht malen. Man verglich mich ständig mit ihm. Und heute habe ich auf einmal das Gefühl, daß unsere Beziehung von der tragischen Liebe überschattet wird, die Laurie und Richard miteinander verband.“ Rod sah sie überrascht an. „Woher weißt du eigentlich, daß der Herr über alle Inseln ,Richard’ hieß? Das stand doch gar nicht in meinem Buch.“ Beverly überlegte. Schließlich antwortete sie leise: „Das kann ich dir auch nicht sagen. Ich wußte den Namen einfach.“ „Vielleicht hat Donald dir von Richard erzählt.“ „Vielleicht.“ Beverly schmiegte sich glücklich in Rods Arme, der sie fest und liebevoll an sich drückte. „Zum Glück hast du wenigstens aufgehört, gegen mich anzukämpfen. Du warst sehr hartnäckig, Beverly McAllister.“ „Kamen dir eigentlich irgendwann Zweifel daran, daß du mich gewinnen würdest?“ neckte ihn Beverly. „Zuerst schon! Du warst so fest entschlossen, mir zu widerstehen, nicht einzusehen, daß uns etwas Wunderbares verbindet. Aber inzwischen…“ Seine Fingerspitzen zeichneten ihre Lippen nach. Er hob ihren Kopf zu sich empor und blickte ihr tief in die Augen. „Ich glaube nicht, daß die Legende um Laurie Fräser irgend etwas mit uns zu tun hat. Die Vergangenheit ist tot. Nur was zwischen uns besteht, das zählt.“ Liebevoll umarmte er sie, Beverly nickte zustimmend und schloß die Augen. Sie fühlte sich wunderbar behütet in seinen starken Armen. Während sie langsam ins Land der Träume hinüberglitt, gingen ihre Gedanken jedoch wieder in die Vergangenheit zurück. Sie hatte das Gefühl in eine tiefe Dunkelheit zu fallen, wo unendliche Leere und Einsamkeit herrschte… Laurie warf vorsichtig das Laken zurück und stieg leise aus dem Bett. Richard schlief noch fest. Bis zu seinem Aufbruch, kurz vor Tagesanbruch, war noch ein wenig Zeit. Der Himmel war tief verhangen. Laurie schauderte. Sie fror und kehrte rasch ins Bett zurück. Richard öffnete die Augen und lächelte. Doch in seinem Lächeln lag eine Traurigkeit, die sie zuvor noch nie bemerkt hatte. Etwas war diesmal anders. Von dem Augenblick an, als Richard heute ihr Gemach betreten hatte, fühlte sie sich von einer seltsamen Unruhe befallen. Ihre friedliche Welt schien gestört. „Warum entließ dich der König heute so spät?“ fragte sie und strich durch seine dichten braunen Haare. „Wir marschieren gegen die Engländer, Laurie, Liebes. Schottland wird frei sein!“ Richard stützte sich auf einen Arm. „Komm mit mir nach Schloß Falkland, werde meine Frau, bitte.“
Laurie zündete eine Kerze an. „Du weißt, wie ich darüber denke“, erwiderte sie
mit Bestimmtheit.
Dieser Eigensinn war es, den Richard so liebte, der ihn aber gleichzeitig
verwirrte. „Kannst du deinen Stolz nicht endlich ablegen“, rief er ärgerlich aus.
„Werde mein.“
„Ich gab dir meine Seele und meinen Leib. Ist das nicht genug?“
„Nein. Warum bestehst du auf deinen eigensinnigen Grundsätzen?“
„Weil ich nicht die Sklavin eines Mannes werden will.“ Richard blickte sie
schweigend an. Dann schlüpfte er in seine Kleider, die neben dem Bett lagen.
Laurie erschrak. So böse hatte sie ihn noch nie gesehen. Sie war jedoch auch nie
zuvor so hart gewesen. Offensichtlich hatte sie ihn verletzt.
„Ich gehe jetzt, Laurie. Auf dem Hügel hinter dem Schloß warte ich auf dich. Ich
gebe dir eine Stunde. Entweder wirst du vor Gott und der Welt meine Frau, oder
du siehst mich nie wieder. Lange genug habe ich auf dich gewartet.“ Zornig
verließ er das Schloß.
Laurie kroch ins warme Bett zurück und dachte über ihr bisheriges Leben nach.
Immer wieder fragte sie sich, warum Richard sie unbedingt zu seiner Frau
machen wollte. Vielleicht lag es daran, daß er der Herr über alle Inseln war, daß
er daran gewöhnt war, sich alles untertan zu machen. So wollte er auch sie ganz
und für alle Ewigkeit besitzen. Ihre Unabhängigkeit wäre verloren, für immer.
Zwar hätte sie seine Liebe als Garantie dafür, daß er sie gut behandeln würde,
doch eben nur so lange, wie diese Liebe währte. Sie mußte zwischen Freiheit und
ihren Gefühlen wählen.
Endlich entschied ihr Herz. Eilig sprang sie aus dem Bett und kleidete sich an.
Sicher war noch keine Stunde vergangen. Richard würde auf sie warten. Er
mußte…
Rasch warf sie sich einen weiten Umhang um und lief hastig durch das hohe
nasse Gras. Ein Hahn krähte in der Nähe. Lauries Blicke versuchten die
Dunkelheit zu durchdringen, aber bis zum Hügel war es noch zu weit.
„Ich warte eine Stunde, nicht länger.“ Diese Worte klangen noch in ihrem Ohr.
Schneller rannte sie, raffte ihren langen Rock zusammen. Ihr Atem ging
stoßweise.
Als sie den Gipfel des Hügels erreichte, war jedoch niemand zu sehen. Richard
war fort…
Beverly fuhr auf. Rods Augen waren zärtlich auf sie gerichtet.
„Rod!“ Ihre Stimme drückte Furcht und Verwirrung aus.
„Was fehlt dir, Liebes? Wovor hast du Angst?“
„Ich… ich hatte einen bösen Traum. Du warst fort, und ich konnte dich nicht
finden. Dann lag vor mir nur noch eine unendliche Einsamkeit.“
Beverlys Lippen zitterten. In ihren Augen standen Tränen.
Richard nahm sie in seine Arme. „Sei ganz ruhig, ich bin bei dir, und ich werde
dich nie verlassen.“
Als sie sich an seine breite Brust schmiegte, fühlte sie trotzdem eine
unbestimmte Angst. War das soeben Erlebte wirklich nur ein Traum gewesen?
Am nächsten Morgen fuhr Beverly schon frühzeitig nach Kirkcudbright, um Jane
vom Bahnhof abzuholen. Mit Paketen und Schachteln bepackt, stieg sie aus dem
Zug und Beverly umarmte Jane stürmisch.
„Wie war die Reise?“ fragte Beverly und nahm Jane eine große Tasche ab.
„Phantastisch. Edingburgh ist wundervoll. Du mußt auch einmal hinfahren und dir
alles ansehen.“
„Das werde ich sicherlich tun“, versprach Beverly. Dann fügte sie hinzu: „Du
scheinst ja die ganze Stadt aufgekauft zu haben.“
„Beinahe. Aber schließlich hatte ich ja einen ganzen Monat lang keinen Pfennig
ausgegeben, und mein Portemonnaie fühlte sich schon wie ein schwerer Sack
an.“
„Hast du sonst noch etwas unternommen?“ Beverly verstaute Janes Gepäck im
Kofferraum ihres Wagens.
„Unmengen habe ich gegessen! In den Restaurants in Edinburgh kann man
herrlich essen. Einfach aber delikat! Außerdem habe ich mir noch zwei Filme
angesehen. Die waren allerdings nicht besonders. Laß uns noch irgendwo eine
Tasse Tee trinken, bevor wir heimfahren, ja?“
Beverly und Jane betraten eine gemütliche Teestube in der Nähe des Parkplatzes,
und Beverly bestellte Tee und Gebäck.
Nachdem Jane noch eine Weile von ihren Erlebnissen und und neuen Eindrücken
erzählt hatte, fragte sie: „Und was hast du die ganze Zeit über getrieben,
Beverly?“
„Oh, dies und jenes“, antwortete Beverly leichthin. „Ich habe ein Bild
fertiggestellt, das ich vor längerer Zeit angefangen hatte, und es ist mir ganz gut
gelungen.“
„Halt, meine Liebe. Ich möchte nicht von dir hören, daß du dich das ganze
Wochenende lang hinter deiner Staffelei verkrochen hast.“
„Das habe ich auch nicht, wenn ich ehrlich sein soll“, gab Beverly zu. Es bereitete
ihr eine diebische Freude, Jane auf die Folter zu spannen. „Ich war am
Samstagabend bei Donald und Margaret zum Essen eingeladen.“
„Das muß ja eine wilde Party gewesen sein“, stellte Jane trocken fest. Aber etwas
in Beverlys Stimme ließ sie aufhorchen. „Du wirkst so verändert, so heiter und
gut gelaunt. Ist etwas Besonderes vorgefallen?“
„Nicht, daß ich wüßte. Ein kleines Abendessen, weiter nichts. Außer Margaret und
Donald war nur noch… Rod Fleming anwesend.“
„Oh!“ Jane zog die Silbe vielsagend in die Länge. „Ich verstehe.“
„Was verstehst du?“
„Alles, du Schelm. Warum hast du das nicht gleich gesagt? Ich schleppe mich in
Edinburgh mit meinen Einkäufen ab, und du gehst zum Essen und verliebst dich!“
„Jane!“ Beverly erschrak. Jane hatte so laut gesprochen, daß die anderen Gäste
sich nach ihnen umdrehten. „Wer hat denn etwas von verlieben gesagt?“ fragte
sie mit leiser Stimme. „Ich habe nur erwähnt, daß Rod auch mit dabei war.“
„Und du hast mit ihm geschlafen und bist überglücklich…“
„Wie kommst du bloß darauf, Jane?“ Beverly tat höchst erstaunt.
„Ganz einfach. Ein Blinder sieht schließlich, was mit dir los ist. Du siehst völlig
verändert aus und wirkst fröhlicher und gelöster als seit Monaten.“
Beverly lächelte und erzählte Jane alles. „Von Liebe ist keine Rede, Jane.“
„Dann verschwendet ihr eure Zeit. Warum gesteht ihr euch nicht ein, daß ihr
euch liebt?“
„Jane, du bist unmöglich. Ich kenne Rod noch nicht lange genug, um ihn lieben
zu können. Du hast ihn doch erst ein einziges Mal gesehen. Wie kommst du nur
darauf, daß er mich liebt?“
„Weil es offensichtlich war. Als er auf die Party zu uns kam, konnte er seinen
Blick keinen Augenblick von dir wenden. Wenn überhaupt je ein Mann verknallt
war, so war es Rod Fleming an jenem Abend. Und du kannst sagen was du willst,
du jetzt ebenso verknallt in ihn.“
„Du scheinst ja durch Menschen hindurchsehen zu können.“
„Vielleicht.“ Jane lachte. „Außerdem bin ich deine Schwester, das darfst du nicht
vergessen. Ich kenne dich besser, als du denkst.“
„Diese Fähigkeit scheinst du mit Rod zu teilen. Ich habe manchmal den Eindruck,
alle anderen kennen mich besser als ich mich selbst.“
„Also los, Schwesterherz, erzähl mir von ihm. War es schön mit ihm? Sicherlich
ganz phantastisch. Sonst würdest du nicht so zufrieden aussehen.“
Beverly freute sich. „Gut. Ich werde dir alles genau erzählen. Als erstes: er ist
ausgesprochen nett.“
„Aha, und kein arroganter Weiberheld, wie du neulich sagtest?“
„Ein bißchen arrogant ist er schon“, gab Beverly zu. „Und sehr eigensinnig.
Außerdem intelligent, witzig und einfühlsam.“
„Mit anderen Worten, er ist eine Wucht!“
„Du brauchst aber nicht zu denken, ich hätte die Absicht ihn zu heiraten“,
erklärte Beverly. Sie nahm einen Keks auf und fügte zögernd hinzu: „Das habe
ich Rod auch gleich gesagt.“
„So, so. Daß ich nicht lache!“ Jane warf ihrer Schwester einen herausfordernden
Blick zu.
„Im Ernst, Jane. Ich habe nicht die Absicht, meine Selbständigkeit und meine
Karriere aufzugeben.“
„Warum willst du nicht beides? Was spricht dagegen, daß du als Mrs. Beverly
Fleming weiter deine eigene Karriere verfolgst? Geld wäre doch wohl kein
Problem, oder?“
Beverly überlegte, ehe sie auf Janes Frage antwortete. „Nein, Geld nicht, aber es
gibt genug andere Probleme. Wie die meisten Männer, hat auch Rod bestimmte
Vorstellungen von seinem Leben. Und ich habe keine Lust, mich diesen
Vorstellungen anzupassen. Außerdem hat er ja gar nicht um meine Hand
angehalten.“
„Das kommt sicher bald. Rod gehört zu den Männern, die Nägel mit Köpfen
machen, wenn sie einmal gefunden haben, wonach sie suchen.“
„Rod ist aber der Typ Mann, der viel von seiner Frau erwartet. Und in dieser
Hinsicht bin ich nicht das, was er braucht, denn ich habe keine Zeit, ihn zu
bemuttern und mich ständig um ihn zu kümmern.“
Janes Gesichtsausdruck wurde ernst. „Beverly, du brauchst doch nicht zu
befürchten, daß eure Beziehung sich so entwickelt, wie die zwischen dir und
Allen.“
„Das weiß ich. Du kannst mir glauben, daß ich keine Vergleiche zwischen beiden
Männern anstelle. Es gibt aber immer Schwierigkeiten, wenn zwei starke
Menschen zusammenleben wollen.“
„Bist du denn wirklich so stark, Beverly?“ fragte Jane herausfordernd.
„O Jane. Es fällt mir so schwer, mich richtig auszudrücken. Ich habe das Gefühl,
daß ich mich für Rod aufgeben könnte.“
„Hast du das bisher schon einmal getan?“
„Nein.“
„Vielleicht wird es nie geschehen.“
„Wahrscheinlich. Aber ich kann mich nicht darauf verlassen.“
Beverly trank rasch ihren Tee aus. Kurz angebunden meinte sie: „Genug davon,
Jane. Ich wollte gar nicht so ausführlich über die Sache sprechen. Komm, wir
fahren noch bei der Post vorbei und sehen nach, ob für uns etwas gekommen ist.
Dann geht’s ab nach Hause. Ich kann es kaum erwarten, dir endlich mein
neuestes Werk zu zeigen.“
„Einverstanden.“ Jane nickte. „Aber du solltest nicht allzusehr die Vernunft
sprechen lassen. Beverly“, warnte sie vorsorglich.
Beverly sah ihr in die Augen, erwiderte jedoch nichts darauf.
Am Schalter lag ein dicker Stapel Post für sie bereit. Zeitschriften, Kataloge und
Briefe hatten sich seit der letzten Woche angesammelt. Während sie nach Hause
fuhren, sah Jane die Briefe durch. Plötzlich hielt sie den Atem an und starrte auf den Umschlag in ihrer Hand. Beverly bemerkte ihr verändertes Verhalten und fragte: „Stimmt etwas nicht?“ Jane antwortete nicht gleich. Dann sagte sie, ohne Beverly anzuschauen mit leiser Stimme: „Ein Brief von Ted.“ Sie konnte es kaum glauben, doch sie fühlte sich auf einmal unendlich erleichtert und seufzte laut. Jetzt erst wurde Beverly klar, wie sehr Jane ihren Freund vermißte, und wie sehr sie unter dem vereinbarten Schweigen gelitten haben mußte. Heimlich verwünschte Beverly den Burschen, der ihre Schwester nicht in Ruhe ließ. Den Rest des Heimweges lehnte Jane stumm gegen den Sitz und schaute nachdenklich zum Fenster hinaus. Kaum hatte Beverly den Wagen vor dem Eingang geparkt, ergriff Jane ihre Pakete und rannte ins Schloß, um sich auf ihr Zimmer zurückzuziehen. Beverly versuchte währenddessen, Hand an ihr neuestes Gemälde zu legen, das einen üppigen Weidenbaum zeigte, dessen tief herabhängende Zweige das Wasser berührten. In Gedanken war sie jedoch bei Jane und nicht bei der Arbeit. Eine Weile später kam Jane mit dem Brief in der Hand ins Studio. Sie hatte seit der Abreise aus Carmel nicht mehr so glücklich ausgesehen. Beverly legte ihre Palette zur Seite und blickte Jane erwartungsvoll entgegen. „Ich soll ihn anrufen“, antwortete Jane auf Beverlys unausgesprochene Frage. „Er vermißt mich sehr.“ „Und du vermißt ihn, nicht wahr? Ich ahnte nicht, daß du so an ihm hängst.“ „Ich habe mir alle Mühe gegeben, ihn zu vergessen, aber es ist mir nicht gelungen“, sagte Jane kleinlaut. Ihre Stimme klang aufgeregt. „Ich weiß ja, wie du darüber denkst, Beverly. Aber ich liebe ihn, ich kann es nicht ändern.“ „Überlege dir gut, was du tust, Jane. Ich will nur nicht, daß dir jemand weh tut. Die Situation ist wirklich verworren. Du bist die Geliebte eines verheirateten Mannes, der dazu auch noch Kinder hat. Da kannst du nur Probleme erwarten.“ „Das weiß ich ja alles, Beverly.“ Die fröhliche junge Frau, die Beverly kannte, war völlig verändert. Jane litt unter einem Liebeskummer, der ihr allen Lebensmut nahm. „Wirst du ihn anrufen?“ fragte Beverly, obwohl sie die Antwort schon kannte. „Ich kann nicht anders, Beverly. Tut mir leid.“ Jane verließ das Zimmer. „Verdammt!“ fluchte Beverly laut und voller Zorn. Sie war so ärgerlich, daß sie beschloß, erst wieder mit Jane über diese Angelegenheit zu sprechen, wenn Jane selbst darüber zu sprechen wünschte. Am liebsten hätte sie Jane gesagt, daß es höchste Zeit sei, Vernunft walten zu lassen und sich zusammenzureißen. Statt dessen gab Jane sich für einen Mann auf, den Beverly nicht leiden konnte, obwohl sie ihn noch nie gesehen hatte. Aber Beverly wußte, daß sie nichts sagen durfte. Das wäre genau das Falsche, sie würde wahrscheinlich nur das Gegenteil ihrer Absicht erreichen. Sie konnte lediglich abwarten, wie sich die Beziehung entwickelte, und zur Stelle sein, wenn Jane eine hilfreiche Schulter benötigte, um sich daran auszuweinen. Mehrere Tage vergingen, ohne daß Jane ein Wort über Ted verlor. Trotzdem wirkte sie glücklicher als in der ganzen letzten Zeit. Am Freitag kehrte Rod nach Schloß Fleming zurück. Er hatte Beverly zweimal während der Woche angerufen. Gern nahm er die Einladung zum Essen am Freitagabend auf Schloß Fräser an. Rod und Jane, die beiden Menschen, die Beverly am liebsten hatte, sollten sich besser kennenlernen. Die beiden kamen auch auf Anhieb bestens miteinander aus. Jane zog Rod keck und herausfordernd auf, und später führten sie ein langes Gespräch über die
schottische Küche, besonders die Edinburgher. Rod schien ein ausgesprochener Gourmet zu sein und empfahl Jane mehrere Restaurants, die sie unbedingt einmal besuchen sollte, wenn sie das nächstemal in Edinburgh sein würde. Nach dem Essen verschwand Beverly in der Küche, um rasch ein wenig aufzuräumen. Jane hatte die Speisen zubereitet, da war es selbstverständlich, daß auch sie ihren Teil beitrug. „Kann ich helfen“, schlug Rod vor. „Vielen Dank. Das ist nicht nötig, Rod. Es wird nicht lange dauern. Geh nur schon mit Jane ins Wohnzimmer hinüber. Ich komme gleich nach.“ Während Beverly in der Küche hantierte, hörte sie Jane und Rod miteinander plaudern. Sie schienen sich gut zu verstehen. Beverly bereitete den Kaffee und brachte ihn zusammen mit dem Brandy ins Wohnzimmer. Bis spät nach Mitternacht diskutierten sie zu dritt. Schließlich stand Rod auf, um sich zu verabschieden. „Es wird höchste Zeit, daß ich gehe. Du willst sicherlich zum Arbeiten früh aufstehen.“ „Ich habe mich gefreut, Sie kennenzulernen, Rod“, sagte Jane herzlich und reichte ihm die Hand. „Wir werden uns nun bestimmt öfter sehen.“ Dabei warf sie Beverly einen vielsagenden Blick zu, den diese aber ignorierte. Beverly brachte Rod an die Tür. Auf der Schwelle blieben sie nebeneinander stehen und blickten zusammen in die dunkle, milde Sommernacht. Kein Lüftchen regte sich. Es herrschte absolute Stille. Zärtlich legte Rod einen Arm um Beverlys Taille. Gemeinsam schlenderten sie zu seinem Wagen. „Worüber habt ihr beide euch eigentlich so angeregt unterhalten?“ wollte Beverly wissen. „Über dich, natürlich“, antwortete Rod lächelnd. „Jane fragte, ob ich auch ehrenwerte Absichten hege.“ „Das hat sie bestimmt nicht getan.“ „Doch, wirklich. Sie ist ja sehr offen und direkt! Ich mag sie gerne. Aber dich mag ich noch lieber.“ Rod wandte sich zu Beverly und küßte sie zärtlich auf die Stirn. „Komm, weich nicht vom Thema ab“, bat Beverly scherzend. „Von welchen ehrenwerten Absichten hast du denn gesprochen?“ Rods Gesichtsausdruck wurde ernst. „Beverly, die ganze Woche über habe ich wieder nur an dich denken können. Ich möchte dich lieben, denn ich begehre dich. Aber ich wünsche mir noch mehr.“ „Rod…“, unterbrach ihn Beverly. Doch Rod ließ sie nicht ausreden. „Bitte, laß mich weitersprechen, Liebling. Ich bin kein kleiner Junge mehr, dem es darum geht, Eroberungen zu machen. Ich bin fünfunddreißig Jahre alt, und ich kenne mich. Für mich ist dies keine Affaire. Das mußt du wissen.“ Beverly antwortete nicht. Sie fühlte sich hin und her gerissen zwischen ihren Gefühlen für Rod und dem Wunsch, selbständig zu bleiben und eine Karriere aufzubauen. Warum mußte alles immer so kompliziert sein? Sie sah ihn mit ihren großen Augen traurig an. „Ich würde mich freuen, wenn du morgen abend zu mir zum Essen kommen würdest“, bat Rod, während er die Wagentür öffnete. „Und bring mit, was du für die Nacht brauchst. Ich will dich wieder in meinen Armen halten. Ich habe genug von diesen Küssen zwischen Tür und Angel.“ Beverly lachte leise und strich Rod durchs Haar. „Abgemacht, Rod. Ich komme.“ Rod legte eine Hand unter ihr Kinn und sah ihr tief in die Augen. „Bis morgen, mein Herz.“
Fest verschlossen seine leidenschaftlichen Küsse ihren Mund, und Beverly fühlte, wie ein süßer Schauer sie durchströmte. Sie begehrte Rod von ganzem Herzen. Die nächsten vierundzwanzig Stunden würden kein Ende nehmen. „Sag doch endlich, was du auf dem Herzen hast, Jane“, bat Beverly am nächsten Abend ihre Schwester, die summend auf dem Bett lag und ihr beim Packen zusah. Jane warf Beverly einen unschuldigen Blick zu. „Ich weiß gar nicht, wovon du sprichst.“ „Wenn eine einunddreißigjährige Frau vorhat, die Nacht mit einem fünfunddreißigjährigen Mann zu verbringen, so heißt das noch lange nicht, daß gleich von Heirat die Rede sein muß.“ „Selbstverständlich nicht“, stimmte Jane lächelnd zu. „So etwas ist für dich ja auch nichts Außergewöhnliches.“ Beverly schnappte sich ein Kissen und warf es Jane an den Kopf. „Für eine Frau, die nur auf ein Schäferstündchen ohne Folgen aus ist, bist du aber ziemlich empfindlich, liebe Schwester“, meinte Jane und schob sich das Kissen seelenruhig hinter den Kopf. „Warum versuchst du immer wieder, unsere Beziehung so hochzuspielen?“ fragte Beverly und setzte sich neben ihrer Schwester auf die Bettkante. „Man sieht doch, daß ihr euch liebt. Ich verstehe einfach nicht, warum du dich so dagegen wehrst.“ „Habt ihr darüber gestern abend miteinander gesprochen?“ „Du scheinst doch nicht ganz so überheblich zu sein, wie du dich gibst, liebe Beverly“, stellte Jane zufrieden fest und rollte sich auf die Seite. „Wenn ich ehrlich sein soll, er hat nicht direkt gesagt, daß er dich liebt. Aber er fragte nach Allen und erkundigte sich eindringlich danach, ob du noch sehr an ihm hängst.“ „Und was hast du ihm erzählt?“ „Daß du Allen sehr liebtest, du hättest diesen Teil deines Lebens jedoch abgeschlossen. Außerdem habe ich Rod ermuntert, sich von deinem Stolz und deinem eigensinnigen Freiheitsdrang nicht ins Bockshorn jagen zu lassen. Er meinte, er liebe diese Eigenschaften an dir, jedenfalls bis zu einem gewissen Punkt.“ „Du hast ja offensichtlich eine interessante Unterredung mit Rod geführt.“ „Ja, allerdings.“ Jane ignorierte den sarkastischen Unterton in Beverlys Stimme. „Er ist ein toller Mann, Beverly. Er liebt dich, so wie du bist, und er möchte auch nicht, daß du dich in irgendeiner Weise änderst, um ihm zu gefallen. Das ist ein guter Charakterzug. Gesteh dir doch endlich ein, daß du ihn liebst.“ „Aber im Augenblick ist es zu schwierig, mit mir zusammenzuleben“, wandte Beverly eigensinnig ein. Sie hatte sich in letzter Zeit auffällig verändert, das mußte Jane auch bemerkt haben. Sie ging in ihrer Malerei auf wie nie zuvor. Und sie hatte sich in vielen wichtigen Lebensfragen ihre eigene Meinung gebildet, von der sie nicht mehr abweichen wollte. „Ich bin viel zu selbständig“, versuchte sie Jane zu erklären. „Das ist Rods Problem. Ich bin überzeugt, er wird damit fertig werden.“ „Wir sind aber beide zu unabhängig und eigensinnig. Außerdem will jeder von uns Karriere machen. Und du kannst dir bestimmt denken, daß eine Ehe zwischen zwei so eigenwilligen Partnern zum Sterben verurteilt ist.“ „Vielleicht hast du recht. Ihr seid beide zu sehr an eurem beruflichen Vorwärtskommen interessiert. Das kann ja nicht gutgehen.“ „Du sagst es. Ich entwickle mich nämlich endlich zu einem eigenständigen Menschen. Rod und ich würden uns ständig streiten, weil jeder seinen Willen
durchsetzen möchte. Das wäre zu ermüdend.“ „Dann mach Schluß, Beverly“, schlug Jane vor. „Entweder du vergraulst ihn, was nicht einfach sein wird, oder du akzeptierst die Herausforderung, die er für dich bedeutet.“ Auf dem Wege nach Schloß Fleming versuchte Beverly, Janes Worte zu verdrängen. Sie wollte mit Rod Zusammensein, wollte wieder das bezaubernde Liebesspiel genießen, seine Stimme hören, sich mit ihm unterhalten und ihm von ihrer Arbeit erzählen. Doch sie durfte sich ihm nicht völlig schenken. Noch nicht jedenfalls. Zuerst mußte sie sich ihrer selbst ganz sicher sein. Der Butler servierte das Abendessen auf der Terrasse. Die langsam untergehende Sonne verwandelte den Garten in ein Paradies für Liebende. Beverly saß Rod gegenüber an einem kleinen, weiß gedeckten Tisch. Das kostbare Familiensilber glänzte neben feinem Porzellan und funkelnden Kristallgläsern. Alles war vollkommen, der erfrischende Wein, die zarte Lammkeule mit der köstlichen Mintsauce bis hin zur Eisbombe, zu der kleine, köstliche in Kognak gebackene Pfannkuchen gereicht wurden. Die Unterhaltung floß leicht dahin, sie sprachen über Rods Bücher, über interessante Autoren, über Beverlys Bilder und viele amüsante Begebenheiten aus Kirkcudbright. Doch hinter all diesen Belanglosigkeiten verbarg sich sehnsuchtsvolle Leidenschaft, die auf den Einbruch der Nacht wartete, um sich voll entfalten zu können. Beide dachten an die glückselige Nacht, die sie eine Woche zuvor miteinander verbracht hatten. Was würde die heutige bringen? Einer kannte des anderen Körper, und dies steigerte noch die Erwartung. Jeder wußte, auf welche Weise er dem Geliebten Freude bereiten konnte, und auf dieses Geben und Nehmen freuten sich beide unsäglich. Nach dem Essen saßen sie noch eine Weile bei einer Tasse Kaffee. In der Mitte des Tisches flackerte die Kerze und war kurz vor dem Verlöschen. Auch das Gespräch wurde allmählich immer öfter durch Pausen unterbrochen, bis es schließlich in erwartungsvolles Schweigen überging. Rod streckte einen Arm über den Tisch und legte seine Hand zärtlich auf Beverlys. Mit sanfter Stimme sagte er: „Komm, Liebes.“ Er erhob sich und führte Beverly ins Haus. Sie gingen durch das Wohnzimmer und die Eingangshalle, von wo aus eine breite Treppe zum ersten Stockwerk hinaufführte. Rods geräumiges Schlafzimmer wirkte sehr männlich. Beverly bewunderte die streng gehaltene Einrichtung, bei der Braun und Goldtöne überwogen. Ein Marmorkamin, vor dem ein Sofa und zwei Sessel standen, beeindruckte Beverly am meisten. Die hohen Fenster standen offen, so daß die laue Nachtluft in den Raum strömte. Rod führte Beverly zu dem großen Doppelbett und wollte sie gerade entkleiden, als Beverly ihm ein strahlendes Lächeln schenkte und selbstgewußt sagte: „Nein, Rod. Heute bin ich an der Reihe.“ Verschmitzt und vielversprechend sah sie ihn an. „Einverstanden. Ich stehe ganz zu deiner Verfügung.“ Seine Stimme klang erwartungsvoll. Zuerst streifte Beverly ihm das Jackett ab und öffnete die Knöpfe des weißen Seidenhemdes. Einen Augenblick hielt sie inne und ließ ihre Finger über die starke Brust gleiten. Dann löste sie die Gürtelschnalle. Dabei berührte sie seinen Bauch und spürte, wie die Muskeln unter der warmen Haut spielten. Gleich darauf stand er nackt vor ihr. Ohne den Blick von ihm zu wenden, entkleidete sich Beverly nun selbst.
Verführerisch lächelnd löste sie die Bänder ihres schwarzen Seidentops und ließ sie erst über die eine, dann über die andere Schulter gleiten. Während sie den schwarzen, spitzenbesetzten BH mit einer eleganten Bewegung im Rücken öffnete, machte sie einen Schritt auf Rod zu und küßte ihn auf die Stirn. Gleich darauf glitt der rote Seidenrock über ihre schmalen Hüften und fiel zu Boden. Temperamentvoll kickte sie die goldenen Sandalen in die Ecke. Nun trug Beverly nur noch einen Hauch von rotem Seidenhöschen, das an den Seiten mit kleinen Schleifen gehalten wurde. Mit spitzen Fingern löste sie auch diese und stand, nur mit ihrer goldenen Kette bekleidet, strahlend vor Rod. „Leg dich hin“, befahl sie scherzend, und Rod folgte ihr lächelnd. Er legte sich auf den Rücken und wollte Beverly in seine Arme ziehen, doch sie wehrte ab. „Heute sollst du einmal verwöhnt werden, Liebster“, versprach sie und kniete sich neben ihn auf das Bett. Verliebt sah sie ihm in die Augen und begann, ihn verführerisch zu streicheln und zu küssen. So, wie Rod ihr in der ersten Liebesnacht gezeigt hatte, welche Freuden er sich für sie ausgedacht hatte, wollte Beverly ihn heute fühlen lassen, was Leidenschaft für sie bedeutete. Rod erzitterte unter ihren Händen. Beverly liebkoste seinen Körper. Ihr Puls raste. Sanft strich sie über seinen Bauch. Ihr Atem streichelte seine Haut. All ihre Sinne waren wach und suchten nach immer neuen Wegen, Rod zu erregen. Fest preßte er seine Lippen auf ihren Mund, und beider Zungen fanden sich in leidenschaftlichem Spiel. Beverly spürte die Lust in ihrem Körper, ihre Gefühle raubten ihr fast die Sinne. Hingebungsvoll schloß sie die Augen. „Beverly, meine geliebte Beverly…“, murmelte Rod und zog sie auf sich. Ihre rotblonden Haare fielen auf seine Brust. Er strich heftig über ihre sanften Rundungen, und allmählich begannen sie, sich im gleichen Rhythmus zu bewegen. Ihre Erregung wuchs, und Beverlys Atem ging stoßweise. Sie glaubte, ohnmächtig zu werden vor Verlangen. Tief seufzend gab sie sich ihm hin. Später blickten sie an sich herab und lachten über ihre verschlungenen Körper. Beverly machte sich frei und schmiegte sich an seine Seite. Dann knipste Rod das Licht aus. Lange Zeit lagen sie schweigend nebeneinander, bis sie nach dem leidenschaftlichen Liebesspiel wieder zu Atem kamen und zärtliche Worte fanden. „Nie zuvor habe ich mich mit einem Mann so frei gefühlt“, gestand Beverly glücklich. Rod küßte sie sanft. „Und ich habe mich nie zuvor einer Frau so nahe gefühlt wie dir. Nicht nur körperlich, sondern auch gefühlsmäßig. Ich wußte, daß es diese Gefühle gibt, aber ich bezweifelte schon, daß auch ich sie einmal erleben würde. Schon am ersten Abend, als du auf so mysteriöse Weise verschwandest, wußte ich, daß du die Frau bist, nach der ich so lange vergeblich gesucht habe.“ „Wonach hast du denn gesucht, Rod?“ „Nach einem Menschen, der mir zeigt, daß ich nicht allein bin“, flüsterte Rod und zog sie fest an sich. Beverly schlang die Arme um seinen Hals und preßte sich fest an ihn. „Du bist nicht allein, Liebster. Ich bleibe bei dir, solange du mich willst.“ „Ich werde dich nie wieder gehenlassen“, flüsterte Rod und wiegte sie liebevoll in seinen Armen.
8. KAPITEL Am nächsten Morgen kehrte Beverly, anschließend an ein ausgedehntes
Frühstück, nach Schloß Fräser zurück. Jane erwartete sie im Wohnzimmer. Ihre
Augen leuchteten vor Aufregung und Glück.
„Ich muß unbedingt mit dir sprechen, Beverly“, begann Jane in dem Augenblick,
als Beverly den Raum betrat.
„Laß mich nur schnell meine Tasche ins Schlafzimmer bringen“, bat Beverly. „Ich
bin gleich wieder da.“
Wenige Minuten später erschien sie, nichts Gutes ahnend, bei Jane. Nur ein
Mensch auf der Welt konnte Jane so schlagartig verändern, und Beverly hätte ihn
am liebsten zum Teufel gewünscht.
„Ted rief gestern abend an. Beverly, er fragte mich, ob ich seine Frau werden
will.“
„Aber…“
„Ich weiß, was du sagen willst. Doch das wird jetzt alles anders. Er hat bereits
seine Frau verlassen und will die Scheidung einreichen.“
„O Jane.“ Beverly verzog ihren Mund in unmißverständlichem Unwillen.
„Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Es wird alles gut. Er sagte, er
vermisse mich sehr, und er habe erkannt, daß er mich immer bei sich haben will.
Er möchte, daß ich sofort nach Monterey zurückkomme.“
Beverly schwieg. Jane wartete einen Augenblick, ob ihre Schwester noch etwas
sagen würde, dann fuhr sie mit gedämpftem Enthusiasmus fort: „Siehst du,
Beverly, unsere Beziehung kann sich doch noch entwickeln. Du meintest, er
würde mir nur weh tun, er würde mir nie mehr als ein paar heimliche Stunden
des Glücks bieten. Aber er will mich heiraten! Wie findest du das?“ Mit ihren
großen Augen sah Jane die Schwester beinahe flehend an. Nichts wünschte sie
mehr, als daß Beverly sie verstand, und sich mit ihr über ihr Glück freute. Aber
Beverly zeigte kein Verständnis. Langsam und dabei jedes Wort betonend,
antwortete sie: „Ich gebe zu, ich hätte nie geglaubt, daß er es ernst meint. Aber,
Jane… diese Lösung ist doch auch keine gute Grundlage für eure Beziehung. Ihr
baut euer Glück auf dem Unglück anderer auf. Du sagst, es wird alles gut
werden, Jane. Für dich und für Ted vielleicht. Aber wie denken seine Frau und
seine Kinder darüber? Für sie sieht das sicherlich ganz anders aus.“
Janes Gesichtsausdruck wurde abweisend. Beverly kannte ihre dickköpfige kleine
Schwester nur zu gut.
„Ich dachte, du würdest dich mit mir freuen“, zischte Jane wütend. „Anscheinend
habe ich zuviel von dir erwartet.“
Mit schnellen Schritten eilte Jane zur Tür.
„Jane, bitte. Ich wollte dir doch nicht weh tun.“
„Laß mich, Beverly. Ich habe genug davon.“
Nach kurzem Schweigen fragte Beverly: „Was hast du vor?“
„Ich habe einen Flug von Glasgow nach San Francisco gebucht. Morgen abend
fliege ich. Morgen früh nehme ich den Zug von Kirkcudbright nach Glasgow.“
„Selbstverständlich fahre ich dich nach Glasgow, Jane.“
„Das ist nicht nötig. Ich möchte dir keine Umstände machen. Wenn du mich nur
bis zum Bahnhof bringst, das reicht schon.“
„Selbstverständlich.“
„Wenn es dir aber nicht paßt, kann ich mir genauso gut ein Taxi bestellen.“
„Sei doch nicht albern, Jane. Natürlich bringe ich dich zum Bahnhof.“
Dann ging Jane aus dem Zimmer.
Beim Abendessen saßen sich die beiden Schwestern schweigend gegenüber.
Beverly versuchte zwar, ein unverfängliches Gespräch in Gang zu bringen, doch Jane antwortete lustlos mit „Ja“ oder „Nein“, so daß Beverly bald den Versuch aufgab. Nie zuvor hatte sie sich ihrer Schwester so fremd gefühlt. Welten lagen zwischen ihnen, und Beverly wußte nicht, wie sie eine Brücke zu Jane hin schlagen konnte. Am nächsten Morgen herrschte noch die gleiche gespannte Stimmung zwischen den Schwestern. Es war ein wundervoller Sommertag. Schon früh schien die Sonne am wolkenlosen Himmel. Doch Beverly war das Herz schwer. Jane umarmte sie und küßte sie auf die Wange, bevor sie in den Zug stieg. „Paß gut auf dich auf.“ „Du auch, Jane. Ich habe dich lieb.“ „Ich weiß. Es tut mir alles sehr leid.“ Jane lächelte matt. „Ruf mich an, wenn du angekommen bist, ja?“ „In Ordnung.“ „Und grüß mir Jason herzlich.“ „Wird gemacht, Beverly.“ Dann schloß Jane rasch die Tür hinter sich, und Beverly wartete, bis ihre Schwester den Kopf zum Fenster hinausstreckte. Sie blieb auf dem Bahnsteig stehen und winkte, bis der Zug schon lange nicht mehr zu sehen war. In ihren Augen standen Tränen. Anfang August packte Beverly einige ihrer schönsten Bilder zusammen und brachte sie in eine Galerie nach Kirkcudbright. Bis dahin hatten nur Rod und Jane ihre Werke bewundern können. Nun war es an der Zeit, echte Kritik zu hören. Beverly mußte wissen, ob ihre Bilder gut genug waren, um damit ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Langsam gingen ihr die Mittel aus. Beverly hatte sich schon öfter in dieser Galerie umgesehen. Es war die größte am Platze, und einige der Gemälde, mit denen sie Schloß Fräser ausgestattet hatte, stammten von dort. Die Galerie bestand nur aus einem einzigen großen Raum, dessen weiße Wände die Bilder besonders gut zur Geltung brachten. In einer Ecke befand sich ein alter schwarzer Eisenofen, auf dem eine dampfende Teekanne stand. Vor dem Ofen luden ein runder Tisch und bequeme Sessel zum Ausruhen ein. Hier diskutierte man einen möglichen An oder Verkauf und sprach über Kunst im Allgemeinen. Beverly gefiel die Galerie wegen ihrer freundlichen Atmosphäre. Der Besitzer, ein Mann in den Fünfzigern, begrüßte sie auch an diesem Tag wieder sehr herzlich. „Ich freue mich über Ihren Besuch, Miss McAllister. Wir haben Sie lange nicht gesehen.“ „Ich habe gemalt“, erklärte Beverly und strich sich nervös eine Locke aus dem Gesicht. Nur nicht aufregen, beruhigte sie sich selbst. Mr. Farren ist ein Freund, und dies ist nur eine kleine Provinzgalerie. „Ich wollte Ihnen gern einige meiner Bilder zeigen“, setzte sie erklärend hinzu. „Da bin ich aber gespannt“, erwiderte Mr. Farren interessiert. „Setzen wir uns doch. Darf ich Ihnen eine Tasse Tee anbieten?“ „Nein, vielen Dank.“ Ihr Hals schien wie zugeschnürt, und ihr Herz klopfte laut vor Aufregung. Beverlys Knie zitterten, als sie Mr. Farren folgte und ihre Mappe auf den Tisch legte. Mit unsicheren Fingern öffnete sie die Mappe und nahm zwei Bilder heraus, die sie für die besten hielt. Wenn diese Gemälde Mr. Farren nicht gefielen, so brauchte sie sich keine Mühe mehr zu machen, ihm noch andere zu zeigen. „Nehmen Sie Platz, meine Liebe.“ Farren deutete auf einen Stuhl. Beverly ließ sich nervös auf dem Rand des Stuhles nieder und beobachtete, wie Mr. Farren ihre Arbeiten eingehend musterte. Gespannt wartete sie darauf, wie
er das Gemälde vom Schloßhof beurteilen würde, bei dem sie vor allem neutrale Farben gewählt hatte. Es handelte sich bei diesem Bild nicht um jenes, das sie an dem Tag gemalt hatte, als Rod Fleming sie so überraschend zum Picknick im Grünen eingeladen hatte. Das war längst nicht gut genug gelungen, um hier zu bestehen. Da ihr der Schloßhof als Motiv für ein Bild besonders gefiel, hatte sie es noch einmal versucht, war vor Sonnenaufgang aufgestanden und hatte die zart rosaroten Farben der aufgehenden Sonne auf den uralten Mauern des Schlosses eingefangen. Beverly liebte dieses Bild besonders. Auf dem zweiten Bild war eine altertümliche Steinbrücke zu sehen, die einen kleinen Fluß in der Nähe von Schloß Fleming überquerte. In diesem Falle hatten es ihr besonders die Farbkontraste angetan: Das helle Blau des Himmels, das Grau der Steine und das dunkle Blauschwarz des Wassers. Beide Arbeiten zeigte Beverlys Liebe zur Natur und zu historischen Werken. „So, so“, murmelte Mr. Farren kaum hörbar. „Wie bitte?“ Beverly hielt den Atem an. Mr. Farren schaute sie lächelnd an. Beverly bemerkte das Zwinkern in seinen wasserblauen Augen. „Die Bilder sind gut“, sagte er dann. „Um ehrlich zu sein, sie sind viel besser, als ich erwartet habe. Ich dachte nämlich, Sie seien auch eine von diesen Touristen, die sich hier im Sommer als Hobbymaler versuchen. Sie sind aber offensichtlich eine ernsthafte Künstlerin.“ „Sie finden meine Arbeiten also nicht allzu schlecht?“ „Schlecht? Absolut nicht. Ganz im Gegenteil. Ich finde, Sie haben besonders gut den reizvollen Kontrast zwischen Licht und Schatten herausgebracht. Lassen Sie uns nun zum Geschäft kommen. Sie haben wahrscheinlich die Absicht, Ihre Arbeiten zu verkaufen, stimmt’s?“ „Das ist richtig“, bejahte Beverly. Inzwischen hatte sie sich wieder in der Gewalt, und ihre Stimme klang weniger zaghaft. Meine Bilder gefallen ihm, dachte sie erleichtert, er findet sie gut. Beverly hatte das Gefühl, als habe man ihr ein schweres Gewicht von den Schultern genommen. Gleichgültig, was nun daraus werden würde, jedenfalls hatte Farren ihre Arbeiten nicht kurzerhand abgelehnt. Damit war bewiesen, daß ihr Vertrauen in ihr Talent nicht unberechtigt gewesen war. „Ich arbeite natürlich auf Konsignationsbasis“, erklärte Farren freundlich. „Wenn ich ein Bild verkauft habe, so erhalten Sie sechzig Prozent von dem Erlös. Ich behalte die restlichen vierzig Prozent. Die Werke werden dafür einen Monat lang in meiner Galerie ausgestellt. Wenn sie bis dahin nicht verkauft werden, müssen Sie sie wieder zurücknehmen. Länger kann ich die Bilder leider nicht behalten, da es hier in Kirkcudbright so viele Künstler gibt, die mir ihre Arbeiten anbieten. Ich habe aber das Gefühl, Miss McAllister, Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Ihre Bilder haben eine gute Chance, verkauft zu werden.“ Beverly konnte kaum fassen, was sie soeben gehört hatte. Sie war überglücklich und wußte nicht, wie sie ihre Freude zum Ausdruck bringen sollte. Gleichzeitig jedoch erwachte in ihr die Geschäftsfrau. „Sehr gut“, sagte sie deshalb nur. „Sie rahmen die Bilder auch?“ Farren lachte über Beverlys Geschäftssinn. „So ganz unwissend scheinen Sie mir aber nicht mehr zu sein. Ich denke, wir bleiben dabei: Dieses Mal rahmen Sie die beiden Bilder noch selbst, und wir verlangen erst einmal einen bescheidenen Preis, sagen wir 150 Pfund für jedes. Sobald sie verkauft sind, bringen Sie mir weitere Bilder. Dann werde ich alles, was ich für Sie ausstelle, auch selbst rahmen.“
„Einverstanden“, stimmte Beverly rasch zu.
„Nur noch eins, Sie müssen unterschreiben, daß Sie nicht zu niedrigeren Preisen
verkaufen, als ich es tue.“
„In Ordnung.“
„Bestens.“ Farren erhob sich und schüttelte Beverly herzlich die Hand. „Der
Handel gilt also. Ich lasse Ihnen den Vertrag mit der nächsten Post zugehen.
Sobald Sie ihn unterschrieben haben, reichen Sie ihn mir bitte herein. Alles
andere läuft dann von selbst.“
„Vielen Dank, Mr. Fairen.“
„Ich freue mich, Ihnen behilflich sein zu können. Jetzt machen Sie sich aber
rasch wieder an die Arbeit, Miss McAllister. Ich denke nämlich, daß wir bald
weitere Ihrer Werke benötigen.“
Beverly fühlte sich wie auf Wolken, als sie die Galerie verließ. Sie strahlte über
das ganze Gesicht, und ihre Augen leuchteten vor Freude. Es war ihr unmöglich,
eine gleichgültige Miene aufzusetzen. Was für ein wunderbarer und erfolgreicher
Tag! Sie mußte unbedingt Rod davon berichten.
Ohne noch einmal nach Hause zu fahren, nahm sie den direkten Weg nach
Schloß Fleming.
Der Butler kannte sie inzwischen gut und führte sie auf die Terrasse, wo Rod von
Manuskripten umgeben an einem Tisch saß.
Erstaunt hob er den Kopf. „Beverly! Das ist eine Überraschung. Du siehst so
glücklich aus. Was ist passiert?“
Beverly beugte sich zu ihm herab und küßte ihn zärtlich auf die Stirn. „Du
sprichst gerade mit einer echten Künstlerin, mein Schatz. Meine Werke sind in
der Blue Moon Galerie zu besichtigen, und zwar montags bis freitags von zehn bis
sechs Uhr abends.“
„Herzlichen Glückwunsch, Beverly. Warum hast du mir nicht erzählt, daß du den
alten Farren aufsuchen wolltest? Ich hätte dich gern begleitet.“
„Wenn du dabei gewesen wärest, hätte Farren sich vielleicht verpflichtet gefühlt,
höflich gegenüber der Freundin vom ,Lord’ zu sein“, erklärte Beverly mit einem
kleinen Lächeln. „Das wollte ich vermeiden. Ich wünschte, Farrens ehrliche
Meinung zu hören. Und wenn diese ablehnend gewesen wäre, so hätte ich mich
wenigstens nicht vor dir blamiert.“
„Du bist geradezu ein hoffnungsloser Fall, Beverly, was deine Arbeit betrifft. Aber
das sind wohl alle Künstler. Du bist eine gute Malerin, die dazu noch ständig an
sich arbeitet, um besser zu werden. Das sage ich dir doch bereits seit Wochen.“
„Mag sein, Rod. Aber du schläfst auch mit mir. Du bist natürlich daran
interessiert, mir zu schmeicheln. Bei Mr. Farren ist es eben etwas ganz anderes.
Seine Meinung hat nichts mit persönlichen Gefühlen zu tun.“
„Und deswegen bedeutet sie dir auch mehr, nicht wahr?“ Rod schien beleidigt.
„Nur aus finanziellen Gründen. Du schenkst mir Lob und ermutigst mich. Er gibt
mir harte, klingende Münze… hoffe ich jedenfalls!“ So ganz sicher konnte sich
Beverly doch noch nicht sein.
„Keine Sorge, meine Liebe. Die Kunstliebhaber werden dich bald mit Geld
überschütten.“
„Hoffentlich! Ich arbeite nämlich, um mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen,
und nicht für das zweifelhafte Vergnügen, bei Regen und Sturm draußen hinter
der Staffelei zu sitzen, um das beste Ergebnis zu erzielen.“
Rod schaute Beverly in die Augen. „Hast du das Geld denn so dringend nötig?“
„Keine Sorge. Ich nage nicht am Hungertuch“, scherzte Beverly. „Aber mit irgend
etwas muß ich mir doch mein Brot verdienen.“
„Wenn du nämlich Geld brauchst, Beverly, so könnte ich dir selbstverständlich
behilflich sein. Du brauchst nur ein Wort zu sagen…“
„Nein danke, Rod“, versicherte sie rasch. „Ausgehalten zu werden ist nicht meine
Art.“
„Ich spreche nicht von einer Bezahlung für erwiesene Dienste.“ Rod preßte die
Lippen fest auf einander, und Beverly sah, daß er verletzt war.
„Das weiß ich doch, Liebster“, beeilte sie sich zu beteuern. „Und ich danke dir für
dein Angebot. Wirklich. Entschuldige, wenn ich es so unwirsch ‘abgelehnt habe,
nur…“ Wie sollte sie sich Rod verständlich machen? Schließlich nahm sie seine
Hand und schaute ihn liebevoll an.
„Du bist nicht für mich verantwortlich“, sagte sie leise, jedoch mit Bestimmtheit.
„Ich sorge für mich selbst. Glaube mir, ich möchte es so.“
„Du bist entsetzlich eigensinnig, Beverly“, stöhnte Rod, aber der liebevolle Blick,
der seine Worte begleitete, nahm ihnen die Schärfe.
„Und du bist kein bißchen besser. Wenn ich dir Geld anböte, würdest du es
nehmen?“
„Das ist etwas ganz anderes!“
„Es ist genau das gleiche. Und das weißt du auch.“
Beverly und Rod starrten sich einen Moment lang mit funkelnden Augen an, ein
jeder fest von seiner Meinung überzeugt. Dann mußte Rod plötzlich lautlos
lachen.
„Du bist einfach unmöglich, Beverly.“
Beverly erhob sich, ging um den Tisch herum, setzte sich auf seinen Schoß und
küßte ihn dann auf die Nasenspitze.
„Und du bist der wunderbarste Mann, den ich kenne. Anstatt zu streiten, wüßte
ich etwas viel Besseres.“
„So? Was denn?“
„Warte nur.“ Beverly küßte ihn auf den Mund. Rod erwiderte ihren Kuß
leidenschaftlich. Ein süßer Schauer durchströmte ihren Körper. Doch rasch löste
sie sich wieder aus der Umarmung.
„Aber doch nicht vor den Angestellten, Rod.“
„Zum Teufel mit ihnen“, gab er prompt zurück und küßte sie noch einmal.
Beverlys Andeutung hatte ihn jedoch neugierig gemacht. „Was meintest du, als
du sagtest, du wüßtest etwas viel Besseres?“ Rod sah sie erwartungvoll an. Beide
waren froh, daß die Streiterei ein Ende hatte.
„Ich dachte, wir könnten zur Abwechslung mal ein Spiel spielen. Es heißt: ,Das
Barmädchen und ihr Lord’“, neckte Beverly übermütig.
Rod lachte glücklich. „Einverstanden, aber bevor Sie mich ganz und gar mit Ihren
Reizen umgarnt haben, meine Dame, möchte ich Sie noch etwas fragen.“
„Worum geht’s?“
„Hast du schon einmal von den Edinburgher Festspielen gehört?“
„Wenig. Handelt es sich um Opern und Konzerte?“
„Nicht nur. Es wird sehr viel geboten: Musik, Theater, Film, Kunst, Ballett. Kurz,
alles was das Herz erfreut.“
„Auch Dudelsackmusik?“
„Selbstverständlich, wo es doch das typische Nationalinstrument von uns
Schotten ist. Um genau zu sein, Ende August finden drei Wochen lang Festspiele
aller Art statt.“
„Das kling ja vielversprechend.“
„Ist es auch. Ein bißchen verrückt, aber ein großes Vergnügen. Du mußt dir
vorstellen, überall herrscht richtige Karnevalsatmosphäre, sogar in den Straßen
gibt es die verschiedensten Aufführungen.“
„Und warum erzählst du mir das?“
„Ich möchte dich einladen, mit mir dorthin zu fahren.“ „Du meinst, ich soll dich ein paar Tage begleiten?“ „Nein, die ganzen drei Wochen, Liebes. Ich besitze in Edinburgh ein hübsches kleines Appartement. Du wirst es dort sehr bequem haben.“ Beverly stand auf und ließ sich auf dem Terrassengeländer nieder. Nachdenklich blickte sie über die große Wiese in die Ferne. Auf einmal stand Rod neben ihr und legte eine Hand auf ihre Schulter. Er drehte Beverly zu sich herum und sah ihr tief in die Augen. „Beverly“, bat er, „wir hätten endlich die Möglichkeit, für eine längere Zeit zusammenzusein, ohne daß wir uns zwischendurch trennen müssen. Die Wochenenden sind nicht genug.“ „Aber Rod, das würde doch bedeuten, daß ich meine Arbeit unterbrechen muß. Und das gerade jetzt, wo ich endlich beginne, Erfolg zu haben. Ich könnte ja in der ganzen Zeit überhaupt nichts schaffen.“ „Auch dir könnten drei Wochen Ferien nicht schaden. Im Gegenteil, sie werden dir guttun.“ Beverly überlegte, was Rod dazu sagen würde, wenn sie ihn bitten würde, seine Arbeit aufzuschieben. Aber sie behielt ihren Kommentar lieber für sich. Es würde ja doch zu nichts führen, das wußte sie genau. „Ich möchte morgens neben dir aufwachen, Beverly, jeden Tag. Ich hasse diese Momente des Abschieds am Montagmorgen.“ Dagegen konnte Beverly nichts einwenden. Ihr ging es ebenso. An jedem Montag fühlte sie sich einsam und unglücklich, wenn Rod aus dem Haus ging. Sie brauchte Stunden, um sich an den Alltag ohne Rod zu gewöhnen. Auch ihr schien der Gedanke, länger als zwei Tage mit Rod zusammenzusein, faszinierend. Das wollte sie sich aber nicht eingestehen. Beide schwiegen eine Weile, dann fuhr Rod fort: „Außerdem will ich dir Edinburgh zeigen. Du sollst meine Freunde kennenlernen und etwas über meine Arbeit erfahren.“ Er zögerte und blickte Beverly fest an. Dann entspannten sich seine Züge, ein jungenhaftes Lächeln ging über sein Gesicht. „Na, komm schon, Liebes, es wird ein toller Spaß!“ Beverly zögerte noch. Sie konnte ihm seinen Wunsch nicht abschlagen. Das Gespräch mit Farren hatte zwar ihren Entschluß, hart zu arbeiten, noch verstärkt. Doch Rods unwiderstehlichem Charme mußte sie einfach nachgeben. „In Ordnung“, stimmte sie schließlich mit einem matten Lächeln zu. „Dann werde ich eben ,Schule schwänzen’.“ „Was sagst du da?“ „Ach, das sagt man so.“ Beverly hatte keine Lust, größere Erklärungen abzugeben. Aber sie war sich auf einmal darüber im klaren, daß sie eben ihren sich selbst gegebenen Schwur gebrochen hatte, niemals mehr die Wünsche anderer Menschen über ihre eigenen zu stellen…
9. KAPITEL Beverly war gerade dabei, ihren Koffer für Edinburgh zu packen, als das Telefon klingelte. Rod sollte in wenigen Minuten eintreffen, um sie abzuholen, und Beverly wollte eigentlich jeden Anrufer so rasch wie möglich abwimmeln. „Miss McAllister, hier spricht Sean Farren.“ „O Mr. Farren! Wie geht es Ihnen?“ Beverly war plötzlich sehr interessiert. Seit dem Gespräch mit Mr. Farren in seiner Galerie hatte sie nichts mehr von ihm gehört. Sie wußte als ehemalige Galeriebesitzerin, daß es vorteilhafter war, ihn nicht mit Fragen zu bedrängen. Jetzt war sie um so ungeduldiger zu erfahren, warum er anrief. „Mir geht es gut, danke. Ich habe Ihre Bilder verkauft. Das erste ging am letzten Wochenende weg. Ich habe versucht, Sie telefonisch zu erreichen, aber Sie waren nicht zu Hause. Vor ein paar Minuten habe ich nun das zweite Bild verkauft.“ Ihre Gemälde waren verkauft! Beverly war überglücklich. In diesem Augenblick hatte sie das erste Geld als Künstlerin verdient! Nicht gerade ein Vermögen, aber es war doch ein Anfang! Beverly war außerdem überzeugt, daß es in Zukunft bergauf gehen würde. „Ich brauche unbedingt noch einige Arbeiten von Ihnen, Miss McAllister“, sagte Farren. „Wann können Sie sie mir vorbeibringen?“ Beverly überlegte. Sie hatte gerade drei weitere Gemälde fertiggestellt, die nur noch gerahmt werden mußten. Wenn Rod sie abholte, konnte sie noch kurz in der Galerie hereinschauen. „In einer halben Stunde bin ich bei Ihnen“, versicherte Beverly rasch. „Gut. Bis gleich. Auf Wiedersehen.“ Beverly eilte in ihr Studio im dritten Stock, wo sie die Bilder in einer Ecke abgestellt hatte. Aufgeregt legte sie ihre Werke in eine Mappe und brachte sie in ihr Schlafzimmer. Ich habe Erfolg, jubelte es in ihr. Ich bin auf dem richtigen Weg! Dann fiel ihr ein, daß Rod sie gleich für drei volle Wochen nach Edinburgh entführen würde. Auf keinen Fall durfte sie ihren Skizzenblock vergessen. Vielleicht kam sie doch dazu, ein paar Stunden zu arbeiten. Sie durfte jetzt nicht einfach alles liegenlassen! Gleich darauf kam Rod, und Beverly erzählte ihm vom Verkauf der Bilder. Er gratulierte ihr herzlich zu ihrem Erfolg und war selbstverständlich damit einverstanden, bei der Galerie zu halten, um die Bilder abzugeben. Beverly behielt ihre Absicht, in Edinburgh hin und wieder zu malen, für sich. Sie wollte keinen neuen Streit verursachen. Die Reise sollte nicht mit einer zusätzlichen Belastung beginnen. Nachdem sie die Bilder Farren übergeben hatten, fuhren sie geradewegs nach Edinburgh. Schon wenige Stunden später erreichten sie die Hauptstadt Schottlands. Nach einer endlos erscheinenden Fahrt durch die Vororte kamen sie schließlich in den Stadtteil New Town, wo sich Rods Appartement befand. Beverly war überrascht, als sie den Unterschied zwischen Schloß Fleming und Rods Stadtwohnung bemerkte. Das Appartement war relativ klein. Fast spartanisch wirkten die modernen Möbel, die Tische mit den Glasplatten. Es gab keine Antiquitäten, und auch die Gemälde, die an den weißen Wänden hingen, waren von zeitgenössischen Künstlern gemalt. Die Räume wirkten freundlich und einladend. Ein großes Fenster öffnete sich zur Georgian Street und dem Georgian Platz.
„Du scheinst überrascht zu sein, Beverly“, meinte Rod und stellte ihr Gepäck im Wohnzimmer ab. „Nach Schloß Fleming habe ich etwas anderes erwartet, das muß ich zugeben“, gestand Beverly. „Aber es ist eine hübsche Wohnung. Sie paßt zu dir, Rod.“ Rod lächelte. „Schloß Fleming gehört meiner Mutter, nicht mir. Nur, um aus der Stadt herauszukommen, hielt ich mich ab und zu dort auf. Erst als ich dich kennenlernte, fuhr ich öfter zurück. Als ständiger Wohnort gefällt es mir nicht. Das Schloß ist zu wuchtig und seine altmodische Ausstrahlung erdrückt mich. Wahrscheinlich werde ich es eines Tages verkaufen. Ich ziehe es vor, in der Gegenwart zu leben.“ Beverly senkte den Kopf und warf ihm einen Blick aus den Augenwinkeln zu. „Kein Wunder, daß du kein Verständnis dafür aufbringst, wenn sich heutzutage jemand ein Schloß kauft. Zwischen uns beiden besteht ein entscheidender Unterschied. Ich bin nämlich von der Vergangenheit fasziniert und glaube nicht, daß man ihr entkommen kann.“ Herausfordernd warf sie den Kopf in den Nacken. Dabei dachte sie an Laurie Fräser und ihren Geliebten, behielt ihre Gedanken jedoch lieber für sich, da Rod sie wegen ihrer romantischen Phantasien wahrscheinlich nur auslachen würde. Rod legte seine Arme um Beverly und zog sie an sich. „Das ist wohl wahr, mein Liebes. Ich ziehe es vor, in der Gegenwart zu leben. Ganz besonders an diesem wunderbaren, langen Tag mit dir.“ Zärtlich küßte er sie auf den Mund. Beverly spürte das Verlangen in seinen Küssen und erwiderte sie hingebungsvoll. Sofort waren alle anderen Gedanken wie weggewischt. Jeder ihrer Sinne war mit der Leidenschaft für diesen Mann erfüllt. Bevor sie überhaupt wußte, wie ihr geschah, hob Rod sie auf seine starken Arme und trug sie ins Schlafzimmer. Die schweren Vorhänge waren zugezogen und ließen nur wenig Licht hindurch. Aber das war unwichtig, Beverly war jetzt auch nicht an der Einrichtung interessiert… In dieser Nacht hatte ein heftiger Sturm getobt. Als Beverly erwachte, hatte sich das Wetter jedoch wieder beruhigt. Rod lag dicht neben ihr und hatte einen Arm im Schlaf auf ihre Brust gelegt. Sanft schob sie seinen Arm beiseite und schlüpfte leise aus dem Bett. Auf Zehenspitzen schlich sie zum Fenster und schob die Vorhänge zurück, um herauszusehen. Das Appartement befand sich im sechsten Stockwerk des Gebäudes, das alle anderen Häuser des Viertels um einiges überragte. So hatte Beverly einen phantastischen Blick. Noch lag Nebel über den Dächern, und die Luft schien an diesem warmen Augusttag stillzustehen. Ein zartrosa Schimmer über dem Grau kündete jedoch bereits die ersten Sonnenstrahlen an. Langsam nahmen die Häuser Gestalt an. Die Stadt stieg allmählich aus dem Dunst, erst die Turmspitzen, dann die Türme. Bald lag Edinburg in seiner ganzen Schönheit vor ihr. Beverly war begeistert und konnte sich nicht sattsehen. Plötzlich nahm sie ein Geräusch hinter sich wahr. Bevor sie sich umdrehen konnte, war Rod schon an ihrer Seite und legte einen Arm um ihre Taille. „Du bist früh auf“, meinte er verschlafen und bedeckte ihren Hals mit zarten kleinen Küssen. Beverly lehnte sich an ihn. Wie sehr liebte sie seinen muskulösen Körper, wie sehr genoß sie das prickelnde Gefühl, das seine Lippen auf ihrer Haut hervorriefen. „Morgenstund hat Gold im Mund. Das ist doch das Motto der Leute vom Lande, nicht wahr?“ fragte sie schelmisch und ahmte perfekt den Dialekt der Landbevölkerung nach.
„Nun, Stadtmenschen sind eben ganz anders. Sie haben Besseres zu tun, als mit dem ersten Hahnenschrei aus den Federn zu springen.“ „Was denn zum Beispiel?“ „Das wirst du gleich zu spüren bekommen, mein Schatz“, neckte er und trug sie ins Bett zurück… Zwei Stunden später saßen sich Beverly und Rod am Frühstückstisch gegenüber und verspeisten mit großem Appetit die Mahlzeit, die Beverly zubereitet hatte. „Ich werde mich bemühen, frühzeitig aus dem Verlag nach Hause zu kommen“, sagte Rod. „Heute abend findet nämlich die Eröffnung der Festspielwochen statt. Die schottische Landesoper wird Puccinis ,Manon Lescaut’ aufführen.“ „Das klingt sehr interessant!“ „Vorher möchte ich dir die Stadt zeigen und wir können in einem typisch schottischen Restaurant zu Abend essen. Nach der Oper sind wir noch bei meinem Freund Tom eingeladen. Er und seine Frau Kate sind reizende Leute. Sie werden dir gefallen.“ „Das scheint ja ein langer Tag zu werden“, gab Beverly zu bedenken und nippte an ihrer Kaffeetasse. „Wird jeder Tag während dieser drei Wochen so ausgefüllt sein?“ „Ja.“ Rod lächelte. „Ein Vergnügen jagt das andere. Es findet sogar ein sogenannter Marathonlauf statt. Das ist ein offizieller Wettkampf, und Sieger wird derjenige, der den meisten Veranstaltungen während eines Tages beiwohnt. Du brauchst aber keine Angst zu haben, daß mein Ehrgeiz mich treibt, daran teilzunehmen. Ich darf meine Arbeit ja nicht vernachlässigen.“ „Mir geht es ebenso. Ich habe meinen Skizzenblock mitgebracht. Edinburgh bietet sicherlich eine Menge interessanter Motive.“ Rod sah sie ernst an. „Ich dachte, du wolltest Ferien machen und die Zeit hier genießen.“ „Wie du selbst gesagt hast, gibt es viel Arbeit. Sean Farren meinte, er würde meine Bilder rasch verkaufen. Sollte sich seine Annahme bestätigen, muß ich in der Lage sein, ihm weitere Gemälde zu liefern.“ Rods Gesichtszüge wurden wieder sanft. Höflich gab er ihrem Vorhaben nach. „In Ordnung, Liebling. Wahrscheinlich ist es sehr selbstsüchtig von mir, wenn ich meiner Arbeit nachgehen möchte und gleichzeitig erwarte, daß du für mich Zeit hast, wann immer es mir gerade paßt. Aber versuch wenigstens, nicht zu übertreiben. Du sollst dich doch amüsieren.“ Rod stand auf und beugte sich zu ihr herab. Liebevoll küßte er Beverly auf die Nasenspitze. „Bis heute nachmittag, also. Übrigens, hier hast du einen Hausschlüssel. Außerdem habe ich dir einen Stadtplan von Edinburgh auf das Regal im Flur gelegt. Du kannst also nicht verlorengehen.“ Nachdem Rod gegangen war, räumte Beverly rasch das Geschirr fort und ließ sich mit einer Tasse Kaffee im Wohnzimmer auf dem Sofa nieder. Eine Weile hing sie ihren Gedanken nach und überlegte, ob sie tatsächlich auf dem richtigen Weg war. Sie war gern hier mit Rod, darüber bestand gar kein Zweifel. Mit dem geliebten Mann zu schlafen, ihm das Frühstück zuzubereiten, mit ihm zu planen, wie sie gemeinsam ihre Zeit verbringen wollten, das alles schien ihr gut und richtig. Und doch… Eine gewisse Unsicherheit blieb. Zwar ermutigte Rod sie immer wieder bei ihrer Arbeit, aber Beverly spürte, daß er der Ansicht war, er müsse für sie wichtiger sein als ihre Malerei. Die Erkenntnis irritierte Beverly. Langsam stand sie auf und ging ins Schlafzimmer, um sich ihren Skizzenblock aus dem Koffer zu holen. Noch immer in Gedanken, schlüpfte sie in ihren
hellgrauen Overall, warf sich einen gelben Kaschmirschal um die Schultern und verließ das Appartement. Draußen orientierte sie sich erst einmal. Dabei stellte sie fest, daß Rods Wohnung nicht weit von der Hauptgeschäftsstraße Edinburghs entfernt war. Bald hatte sie diese erreicht und freute sich an der fröhlichen Atmosphäre, die in den belebten Straßen herrschte. Wie zur Zeit des Karnevals waren die Gebäude und Plätze geschmückt und zeugten von der Lebenslust des keltischen Volkes. Aus aller Welt waren Menschen angereist, um dieses Spektakel mitzuerleben. Beverly hatte kein Interesse, die Stars von Film, Theater und Kunst zu sehen. Sie wollte die Stadt kennenlernen, ja erforschen und hoffte dabei etwas zu finden, das sie als Malerin ansprach. Ohne Schwierigkeiten fand sie ihren Weg zur Princes Street, die einer der elegantesten und schönsten Boulevards der Welt ist. Zugleich bildet sie die Grenze zwischen New Town und Old Town. Beverly war augenblicklich von dem Charme dieser Straße fasziniert. Die eine Seite des Boulevards war von Geschäften mit ihren reich dekorierten Auslagen gesäumt. Gleich hinter diesen Gebäuden begann das moderne Viertel, New Town. Die gegenüberliegende Seite nahm Beverlys Aufmerksamkeit allerdings noch mehr gefangen. Eine große Rasenfläche mit bezaubernden Blumenrabatten erstreckte sich vor ihr. Von hier aus gelangte man zu den mittelalterlichen Gebäuden der Old Town. Jahrhundertealte Häuser reihten sich dort aneinander. Beverly zögerte keinen Augenblick. In der Nähe eines Blumenbeetes ließ sie sich auf einer Bank nieder und zog ihren Block hervor. Mit schwungvollen Bewegungen brachte sie die bunte Blütenpracht zu Papier. Lange Zeit saß sie so, füllte Seite um Seite, bevor sie schließlich den Block zufrieden zuklappte. Dann machte sie sich auf den Weg nach Old Town. Während sie die alten Gassen durchstreifte, in Hinterhöfe schaute und durch schmale Türschlitze lugte, fühlte sie sich leicht und beschwingt. Das war die Atmosphäre, die sie liebte. Am wohlsten fühlte sie sich da, wo jeder Stein ein Stück Geschichte war. Plötzlich erblickte Beverly eine kleine schwarzgraugestreifte Katze auf einer Türschwelle. Sie leckte sich die Pfoten und schien Beverly nicht zu bemerken. Rasch zog diese ihren Skizzenblock hervor, setzte sich zum großen Erstaunen der Passanten auf den Bürgersteig und begann zu zeichnen. Als sie fertig war, sagte sie lächelnd zur Katze gewandt: „Vielen Dank für deine geduldige Unterstützung.“ Mit einem Blick auf ihre Armbanduhr erhob sie sich. Die Zeit war ihr im Nu verflogen. Es war schon beinahe drei Uhr, und Rod würde bald nach Hause kommen. Viel hatte sie nicht gerade geschafft, aber sie hatte ein paar wunderbare Stunden verbracht. Auf dem Heimweg dachte Beverly über die bemerkenswerten Fortschritte nach, die sie in letzter Zeit als Künstlerin gemacht hatte. Sie war nicht nur technisch sicherer geworden. Szenen und Bilder prägten sich ihr jetzt auch viel deutlicher ein. Jede Einzelheit nahm sie wahr und konnte sie auch genau wiedergeben, egal um was es sich handelte. Das hatte, zumindest teilweise, auch mit Rod zu tun. Er brachte Eigenschaften von ihr zum Vorschein, die sie nie bei sich vermutet hatte. Ihre tiefen Gefühle für diesen Mann ließen sie in allen Bereichen tiefer empfinden, machten sie sensibler für ihre Umwelt. Die Malerin Beverly McAllister war gereift! Das Vergnügen, in Old Town herumzustreifen, konnte sie nun jeden Tag genießen, dachte Beverly, während sie die Tür zu Rods Appartement aufschloß.
Zu ihrem Erstaunen saß Rod schon in einem Sessel im Wohnzimmer und blickte
ihr erwartungsvoll entgegen.
„Jetzt wird es aber Zeit, meine Liebe. Hast du irgendwelche
Festspielveranstaltungen besucht?“
„Nein“, antwortete Beverly und küßte ihn flüchtig auf die Stirn. „Ich habe Blumen
und Katzen gemalt.“ Lässig setzte sie sich auf das Sofa und zog die Beine unter
sich.
„Wieso? Hast du nichts eingekauft? Ich war überzeugt, du würdest von den
Geschäften in der Princes Street fasziniert sein.“
„Ich habe es gar nicht er erst soweit kommen lassen.“ Beverly lachte. „Zum
Glück für mein Portemonnaie habe ich mich von Dingen locken lassen, die nichts
kosten.“
„Nun, Beverly“, begann Rod und sah sie vielsagend an, „ich habe jedenfalls
Einkäufe gemacht.“
Mit bedeutungsvoller Miene zog er ein Päckchen hinter dem Sofa hervor und
legte es vor Beverly auf den Glastisch. „Ich hoffe, es gefällt dir.“
„Wie lieb von dir, Rod.“ Ungeduldig zog Beverly an den silbernen Schleifen.
Rod schaute ihr zärtlich in die Augen. „Schade, daß du nicht sehen kannst, wie
dein Gesicht strahlt.“
„Ich weiß.“ Beverly lachte hellauf. „Bei Geschenken werde ich immer schwach,
egal, ob sie groß oder klein sind. O Rod!“ Ihre Stimme erstickte in einem Schrei,
als sie die Schachtel öffnete.
Ein Traum aus weißer Seide, mit feinster Spitze und Goldbändern verziert, kam
zum Vorschein und ließ Beverlys Herz höher schlagen.
Vorsichtig nahm sie das Gewand aus dem Karton und hielt es mit ausgestreckten
Armen vor sich. Einer Königin hätte es alle Ehre gemacht. Beverly war begeistert.
Das zarte, durchsichtige Spitzenoberteil war hochgeschlossen. Ein goldenes
Seidenband schmückte die Taille. Schmale, lange Ärmel und der enge,
knöchellange Rock verstärkten noch die weibliche Note.
Einen Augenblick war sie sprachlos vor Freude. Dann schaute sie auf und blickte
geradewegs in Rods smaragdgrüne Augen.
„Gefällt es dir?“ fragte Rod ungeduldig. „Ich war mir nicht ganz sicher. Aber als
ich es in einem Schaufenster in der Princes Street entdeckte, wußte ich sofort,
daß ich dich unbedingt darin sehen möchte. Weiß steht dir so besonders gut. Die
Farbe ist wie für dich gemacht.“
„Das Kleid ist wunderschön. Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll. Ich freue
mich wirklich unsagbar darüber.“ Stürmisch küßte sie Rod auf den Mund.
„Du kannst schließlich nicht in deinem Overall die Oper besuchen“, meinte Rod.
Und bevor Beverly antworten konnte, fügte er mit einem Augenzwinkern hinzu:
„Wir sollten uns jetzt lieber auf den Weg machen, Liebes, sonst kann ich dir nicht
dafür garantieren, daß wir heute noch aus dieser Wohnung herauskommen.“
Wenig später fuhren sie in Rods Porsche zum Arthurs Seat hinauf, einem Berg
am Rande von Edinburgh, von wo aus man einen herrlichen Blick über die ganze
Stadt hat. Nachdem sie den Wagen geparkt hatten, ließen sie sich nicht weit
davon entfernt auf einer grünen Holzbank nieder.
Rod erklärte Beverly eifrig die bedeutendsten Gebäude. Interessiert folgte sie
seinen geschichtlichen und geographischen Ausführungen. Er kannte sich in der
Gegend sehr gut aus und gab einen wunderbaren Reiseführer ab.
Im Westen schimmerten die blauschwarzen Berge, die Highlands, von denen
Beverly schon viel gehört und gelesen hatte.
Unwillkürlich mußte sie wieder an Laurie Fräser denken, deren Liebhaber von den
Highlands herübergeritten kam, um Lauries Herzen die Liebe zu schenken, die
selbst der Tod dann nicht auszulöschen vermochte…
„Was für ein überwältigender Anblick“, unterbrach Rod Beverlys sentimentale
Gedanken.
„Hinreißend“, flüsterte sie begeistert. Jetzt verstand sie auch, weshalb man
Edinburgh das Athen des Nordens nannte. „Ich glaube, ich habe mich in deine
Stadt verliebt, Rod“, fügte sie leise hinzu.
Einen Augenblick blieb er stumm, dann sagte Rod mit belegter Stimme:
„Hoffentlich auch in mich, Liebes.“
Er legte einen Arm um ihre Schultern, und Beverly spürte die nervöse Spannung,
die plötzlich zwischen ihnen stand. Einen Moment zögerte sie mit der Antwort.
Ihre Blicke trafen sich, während eine sanfte Brise mit Beverlys Locken spielte.
Er hat recht, dachte sie, meine Gefühle für ihn sind unendlich tief! Ich liebe und
begehre ihn.
Leise antwortete sie: „Ja, ich bin auch in dich verliebt, Rod.“
Es war das erste Mal, daß das Wort „Liebe“ zwischen ihnen gefallen war. Bisher
hatten sie es immer umgangen, in dem sie sich sagten, wie gern sie sich hätten,
wieviel ihre Beziehung ihnen bedeutete. Beide hatten von Anfang an gewußt, daß
dies keine oberflächliche Verbindung war.
„Ich liebe dich, Beverly. Vom ersten Augenblick an, als ich auf dem Beltanefest in
deine braunen Augen sah, war ich in dich verliebt. Die Nacht hat uns verzaubert.
Es kommt mir immer noch wie ein Wunder vor. Manchmal habe ich das Gefühl,
daß du mich mit einem geheimnisvollen Zauberspruch verwünscht hast. Ach,
Liebes“, seufzte er, „wenn doch dieser Zauber niemals von mir genommen
würde.“
Rod schwieg, und sein verlangender Blick hielt den ihren gefangen. Endlich
sprach er aus, was ihm schon so lange auf dem Herzen lag, und worauf Beverly
schon den ganzen Sommer über ängstlich wartete: „Heirate mich, geliebte
Beverly.“
Sie mied seinen Blick und schwieg lange Zeit. Schließlich fragte Rod mit ruhiger
Stimme: „Liegt es an Allen?“
„Nein.“ Beverlys Antwort kam ohne Zögern. „Allen hätte nichts dagegen, wenn
ich mich wieder verliebe und heiraten wollte. Ach, wenn du ihn nur gekannt
hättest. Er war so voller Leben, so aufgeschlossen. Er würde mir alles gönnen.“
„Wo liegt dann das Problem? Wir lieben uns. Wir passen gut zueinander. Ich
werde dich glücklich machen, das schwöre ich dir.“
„Davon bin ich überzeugt, Rod. Nur…“ Sie zögerte. Verzweifelt suchte sie nach
den richtigen Worten, um ihre Gefühle zu erklären. „Ich würde mich dir gern
schenken, aber ich bin mir nicht darüber im klaren, was ich dir in Wirklichkeit
schenke. Noch weiß ich nicht wer ich wirklich bin. Zur Zeit bin ich dabei, die
wahre Beverly McAllister zu entdecken, und diese Phase ist noch nicht
abgeschlossen.“
„Das haben wir doch schon so oft besprochen, Beverly“, meinte Rod, und Beverly
bemerkte die Ungeduld in seiner Stimme nur zu deutlich.
„Das stimmt, aber du scheinst die Gründe immer noch nicht zu verstehen.“
„Ich weiß nur das eine, Beverly: Zwischen uns gibt es etwas, was die meisten
Menschen in ihrem ganzen Leben niemals finden, die wahre Liebe, die in allem
vollkommen ist. Dein Geist fordert mich heraus, dein Körper bezaubert mich, und
dein Herz bewegt das meine. Wenn du das alles erkennst, so zählt doch nichts
anderes mehr.“
„Ich muß erst meinen eigenen Wert kennen, bevor ich mich dir schenke.“
„Glaube mir, du würdest mir das größte Glück schenken.“ Beverly seufzte,
schmiegte ihren Kopf an Rods breite Brust. Ihr Innerstes war in großem Aufruhr.
Verwirrung, Unsicherheit, Liebe und Verlangen kämpften miteinander. Beverly rückte ein wenig zur Seite und sah Rod an. „Ich sagte nicht ,nein’. Ich bitte dich nur um etwas mehr Zeit.“ Rod zögerte einen Augenblick. Schließlich antwortete er ruhig: „Ich möchte dich nicht drängen. Für heute wollen wir es dabei bewenden lassen, doch wenn die Festspielwochen vorüber sind, bitte ich dich, mir eine Antwort zu geben.“ „Vielen Dank, Rod.“ Beverly schenkte ihm ein dankbares Lächeln und umarmte ihn glücklich. „Glaube mir, ich brauche wirklich noch mehr Zeit, um nachzudenken. Es tut mir leid, wenn ich so widerspenstig wirke.“ „Schon gut, Liebes.“ Rod seufzte noch einmal, doch dann richtete er sich plötzlich auf und sagte mit fester Stimme: „Jetzt wird es aber höchste Zeit, sonst kommen wir noch zu spät in die Oper.“ Auf dem Weg zum Wagen hatte Beverly das beklemmende Gefühl, ihre Beziehung sei einer Auflösung sehr nahe. Den Sommer hatten sie in gegenseitiger unausgesprochener Liebe miteinander verbracht, doch jetzt setzte die Wirklichkeit dem Zauber ein Ende. Das war zu erwarten gewesen, dachte sie. Tief in ihrem Herzen aber wünschte sie, die glücklichen Sommertage würden bis in alle Ewigkeit dauern…
10. KAPITEL Wie vorher besprochen, wollten Rod und Beverly nach der Oper noch Rods Freunde, Tom und dessen Frau Kate, besuchen. Alle historischen Gebäude wurden nachts von Scheinwerfern angestrahlt. Beverly war von der Schönheit der Altstadt zutiefst beeindruckt. Hand in Hand gingen sie die Royal Mile hinunter, an der St. Giles Kathedrale vorbei bis hin zum Canontor. Sie bestaunten die alten Höfe, die noch Kopfsteinpflaster hatten, sie freuten sich über die beinahe unheimlich wirkenden, düsteren Torbögen und Treppen. Rod musterte Beverly bewundernd. „Du warst heute abend mit Abstand die schönste aller Frauen in der Oper.“ Beverly trug das wunderschöne Seidenkleid, das Rod ihr geschenkt hatte. Seine Annahme war richtig gewesen. Sie sah hinreißend darin aus. Als einzigen Schmuck hatte sie kleine Diamantohrringe gewählt. Das seidigglänzende Haar war mit zwei Schildplattkämmchen an beiden Seiten zurückgenommen, so daß ihre hohe Stirn gut zur Geltung kam. Für den besonderen Anlaß hatte sie etwas mehr Makeup als gewöhnlich aufgelegt. So wirkten ihr goldbraunen Augen noch größer und ausdrucksvoller. Bescheiden winkte Beverly ab. „Das lag aber nur an diesem wundervollen Kleid, Rod. Es würde jede Frau in eine Schönheit verwandeln. Ich kann dir aber das Kompliment zurückgeben, auch du sahst glänzend aus.“ Rod trug seinen weinroten Smoking, dazu ein weißes Hemd aus reiner Seide und eine weinrote schmale Fliege. Er gehörte zu den wenigen Männern, denen ein Smoking ausgezeichnet steht. Seine athletische Figur war geradezu ideal für diesen eleganten Abendanzug. Er schmunzelte. „Die Leute werden behaupten, wir beide seien ein umwerfend gutaussehendes Paar, nicht wahr?“ Stolz legte er seinen Arm um Beverlys Schultern. Glücklich schmiegte sich Beverly näher an seine Seite. „Du könntest mir eigentlich auf dem Weg zu deinen Freunden noch ein wenig über Tom und seine Frau erzählen. Ich weiß ja so gar nichts über sie.“ „Ach, ich kenne ihn schon unendlich lange. Er zog mit seiner Familie in unsere Nachbarschaft, als wir beide zehn Jahre alt waren. Wir haben alle Phasen unsers Lebens gemeinsam erlebt, die erste Liebe, den Militärdienst und das College.“ „Er ist der Fotograf, mit dem du das Buch über die Schlösser und Burgen in Schottland gemacht hast, nicht wahr?“ „Genau, der ist es. Wir hatten schon immer die Absicht, zusammen ein Buch herauszugeben. Schließlich konnten wir den Plan dann verwirklichen.“ „Ich wäre froh, wenn ich so einen Freund hätte.“ Beverlys Wunsch kam aus tiefster Seele. „Du mußt nicht glauben, ich hätte keine Freunde. In Carmel fühle ich mich vielen Menschen eng verbunden. Doch als ich jünger war, zogen wir häufig um, denn mein Vater war bei der Armee und wollte Karriere machen. Ich habe sechs verschiedene High Schools besucht. Das mußt du dir einmal vorstellen. Auf diese Weise war es unmöglich, dauerhafte Freundschaften zu entwickeln.“ „Zum Glück hattest du Jane“, tröstete Rod sie. „Das ist richtig. Sie war meine einzige wirkliche Bezugsperson. Deshalb stehen wir uns jetzt auch so nahe. Jedenfalls war es bisher immer so.“ Ein wenig betrübt senkte Beverly den Blick. „Was ist passiert? Mir ist aufgefallen, daß du in letzter Zeit viel seltener von ihr sprichst. Ihr habt euch doch wohl nicht gestritten!“
„Ich mache mir Sorgen. Die übliche Geschichte. Jane hat sich in einen
verheirateten Mann verliebt und will ihn nicht aufgeben.“
„Das mißfällt dir natürlich, nicht wahr?“
„Selbstverständlich. Vor allem deswegen, weil ich nicht möchte, daß er sie
verletzt. Sie ist noch so jung! Außerdem denke ich an seine Frau und die Kinder.“
Rod blickte sie fragend an.
„Kinder?“
„Ja, es sind drei Kinder da.“
„Das hört sich allerdings sehr problematisch an.“
„Und zur Zeit lebt Jane bei ihm. Er hat sich entschlossen, sich von seiner Frau zu
trennen. Anscheinend bedeutet sie ihm nichts mehr.“
„Hat Jane vor, ihn zu heiraten?“
„Hoffentlich nicht. Es sieht aber beinahe so aus, als ob sie nur darauf wartet,
seine Frau zu werden.“
„Nun, Beverly, da kannst du nichts machen. Das ist dir hoffentlich klar, oder?“
stellte Rod sachlich fest. „Sie muß ihr eigenes Leben leben.“
„Das weiß ich. Ich kann dir versichern, ich habe die Rolle der sorgenden älteren
Schwester inzwischen abgelegt. Aber es fällt mir sehr schwer, mit anzusehen,
wie sie in ihr Unglück rennt.“
Plötzlich beugte Rod sich zu ihr herab und schaute ihr fest in die Augen. „Sei
einmal ehrlich, Beverly. Fürchtest du vielleicht auch, ich könnte deiner
überdrüssig werden und dich wegen einer anderen Frau verlassen?“
Beverly lächelte überzeugt. „Nein“, antwortete sie mit ruhiger Stimme. „Ich bin
sicher, daß du so etwas nicht tun würdest.“
Rod zog Beverly in seine Arme und drückte sie eng an sich.
„Mein ganzes Leben lang habe ich auf dich gewartet. Jetzt, wo ich dich gefunden
habe, gebe ich dich bestimmt nie mehr wieder her. Ganz gleich, was auch
geschehen mag, verlassen werde ich dich nie.“
Beverlys Hals war wie zugeschnürt. Die Liebe, die aus Rods Worten sprach, lag
wie eine Last auf ihr.
Schließlich ließ er sie los und nahm ihre Hand. Schweigend schlenderten sie
weiter, doch in Beverlys Herzen blieb die Unsicherheit.
Vor Toms Appartement hörten Beverly und Rod lautes Stimmengewirr. Tom
schien halb Edinburgh eingeladen zu haben. Ein gemischtes Völkchen wirbelte in
der geräumigen Wohnung herum. Man konnte sein eigenes Wort kaum
verstehen. Einige der Gäste waren Schauspieler und hatten sich nach ihrer
Vorstellung nicht einmal die Zeit genommen, sich abzuschminken, bevor sie auf
Toms Party gingen. Andere wieder waren Geschäftsleute wie Rod, Rod und
Beverly bahnten sich ihren Weg durch die Menge. Plötzlich stand ein junger Mann
vor ihnen und strahlte sie herzlich an.
Kaum größer als Beverly, mit flammend rotem Haar und Sommersprossen auf
Stirn und Nase, wirkte er sehr sympathisch. Besonders sein freier, offener Blick
verstärkte diesen Eindruck.
Beverly dachte sofort, daß dies Rods Freund Tom sein mußte.
„Es ist fast unmöglich, bis zu dir durchzudringen, Tom“, sagte Rod mit lauter
Stimme und streckte Tom beide Hände entgegen.
„Ich weiß. Eigentlich sollte es nur eine kleine Party werden, aber du weißt ja, wie
das ist: Du lädst ein oder zwei Leute ein, und sie bringen ein oder zwei Freunde
mit, und bevor du dich’s versiehst, steht die halbe Stadt vor deiner Tür. Komm
mit, wir wollen Kate suchen.“
Wieder drängelten sie sich durch die fröhliche Menschenmenge. Im Wohnzimmer
gab es ein paar Stühle und dicke Kissen, auf denen Gäste saßen und in ein
angeregtes Gespräch vertieft waren.
Tom zog eine zierliche junge Frau am Ärmel. Sie hatte kurzgeschnittenes
schwarzes Haar und große, dunkelgrüne Augen, mit denen sie Beverly freundlich
ansah.
„Kate, sieh mal, wen wir hier haben?“ Er deutete auf Rod und Beverly.
„Rod! Wie schön. Wir haben gerade von dir gesprochen.“
Rasch erhob sich Kate und gab Rod einen herzlichen Kuß auf die Wange. Dann
wandte sie sich Beverly zu.
„Sie müssen natürlich Beverly sein. Herzlich willkommen. Und ich bin Kate
Stirling. Falls der schreckliche Kerl hier sich noch nicht vorgestellt haben sollte,
hole ich das jetzt für ihn nach: Dies ist mein menschenscheuer Ehemann, Tom!“
„Ich freue mich sehr, Sie beide kennenzulernen“, sagte Beverly und schüttelte
Kates ausgestreckte Hände.
Kate stellte Beverly den anderen Gästen im Raum vor, die Rod alle schon zu
kennen schienen. Eine attraktive Blondine, Vivien Tait, mit einer umwerfenden
Figur und eisblauen Augen, musterte Beverly auffallend kritisch, während sie
einander vorgestellt wurden. Beverly entging Viviens prüfender Blick nicht.
Rod und Beverly ließen sich auf die Kissen fallen und nahmen gern das Glas Wein
an, das Kate ihnen anbot.
„Wir sprachen gerade über den neuesten Gedichtband von John McGregor“,
nahm Kate das unterbrochene Gespräch wieder auf. Sie wandte sich mit einem
anerkennenden Blick an Rod. „Es ist wirklich eine Leistung, daß du ihn dazu
gebracht hast, mit deinem Verlag einen Vertrag abzuschließen.“
„Ganz so beachtlich war das nun auch wieder nicht“, gab Rod zu bedenken. „Er
war mit der Art, mit der ihn sein bisheriger Verleger behandelt hatte, nicht
einverstanden. So lag ein Wechsel nahe.“
„Sei doch nicht so bescheiden, Rod“, protestierte Tom. „Jeder europäische
Verleger, der etwas auf sich hält, versuchte den alten McGregor einzufangen. Wie
hast du es nur angestellt, ihn für deinen niveauvollen, aber doch recht kleinen
Verlag zu gewinnen?“
Bevor Rod antworten konnte, kam Vivien Tait ihm zuvor und sagte eisig:
„Wahrscheinlich hat er seinen berühmten, umwerfenden Charme spielen lassen.
Jeder weiß doch schließlich, daß Rod fähig ist, einem beinahe alles
aufzuschwatzen.“
Ihre kalten blauen Augen verengten sich. Es war nur zu deutlich, daß sie die
Absicht hatte, Rod zu beleidigen. Beverly spürte die Spannung, die zwischen den
beiden in der Luft lag, konnte sich jedoch den Grund dafür nicht erklären.
Eine Weile herrschte peinliches Schweigen, das jedoch von Kate geschickt
gebrochen wurde.
Fröhlich rief sie:
„Ich habe das Gefühl, wir brauchen jetzt alle etwas Stärkendes. Ich werde mal in
der Küche nachschauen, ob ich für euch etwas in meinem Kühlschrank finde.“
„Gute Idee, Kate“, stimmte Tom erleichtert zu. „Die Küche ist dein Revier, mein
Kind.“ Er lachte. „Ich bin nur froh, daß du erkannt hast, wo die Frau hingehört.“
Kate zuckte die Schultern und schenkte Tom einen übertrieben unterwürfigen
Augenaufschlag. Dann wandte sie sich an Beverly.
„Haben Sie Lust, mir ein wenig behilflich zu sein? Mein Mann behauptet zwar das
Gegenteil, in Wirklichkeit aber bin ich eine schlechte Köchin.“
„Sehr gern“, erwiderte Beverly bereitwillig und erhob sich.
Nur zu gerne folgte Beverly Kate in die Küche. Die Gastgeberin holte kalten
Braten, Fischfilets, Käse und einige Tomaten aus dem Kühlschrank. Dann begann
sie, mit diesen Zutaten Sandwiches zu belegen.
„Sie können sich wahrscheinlich denken, daß ich Sie nicht gebeten habe, mir zu helfen weil ich so dringend Hilfe benötige. Aber Vivien benahm sich so abscheulich, daß ich es für besser hielt, Ihnen einiges zu erklären.“ Kate sah Beverly vielsagend über die Schulter an. In diesem Augenblick fiel es Beverly wie Schuppen von den Augen. „Ich glaube, ich verstehe schon. Rod und Vivien gingen wohl öfter miteinander aus?“ „Genau. Sie begreifen schnell. Kein Wunder, daß Rod so verrückt nach Ihnen ist. Es liegt nicht nur an Ihrem reizenden Äußeren!“ „Nun, ich weiß nicht…“ Beverly fand darauf keine passenden Worte. „Ich kann Ihnen versichern, der Mann ist geradezu vernarrt in Sie. Und Vivien kocht vor Ärger. Sie hatte in Gedanken sicher schon die Einladungen für ihre Hochzeit mit Rod verschickt. Eigentlich hätte sie es wissen müssen, denn er hat niemals auch nur angedeutet, ernsthaftes Interesse an dieser Beziehung zu haben. Sie war eben eine von vielen Frauen, mit denen Rod ausging.“ Auf einmal kam Kate der Gedanke, daß Beverly ihre Worte falsch verstehen könnte, und sie beeilte sich, hinzuzufügen: „Ich sollte wohl besser meinen Mund halten. Aber wie auch immer, ich wollte damit nicht sagen, daß Rod ein Playboy ist, das müssen Sie mir glauben. Tom hat mich schon oft ermahnt, ich solle erst nachdenken, bevor ich rede. Wahrscheinlich hat er recht.“ „Machen Sie sich keine Vorwürfe, Kate. Ich verstehe Sie vollkommen.“ „Jedenfalls haben Sie nichts zu befürchten, meine Liebe. Tom hat mir alles über Sie und Rod erzählt. Und vom ersten Augenblick an, als Sie mit Rod hereinkamen, wußte ich, daß Sie beide wunderbar zusammenpassen. Er sieht Sie an, wie es sich jede Frau von ihrem Mann wünscht.“ „Wie denn, bitte?“ Beverly konnte sich nicht beherrschen zu fragen. Sie lächelte ein wenig belustigt. „Als ob Sie aus purem Gold seien“, erläuterte Kate. „Wenn ich nicht schon einen Mann hätte, in den ich bis über beide Ohren verliebt bin, so könnte ich bestimmt eifersüchtig auf Sie werden. Man darf es Vivien nicht verübeln, daß sie sich so biestig aufführt. Sie ist der Verlierer.“ Beverly blickte Kate von der Seite an. Sie mochte ihre offene Art zu reden. „Vivien scheint mir nicht die Frau zu sein, die sich schmollend in eine Ecke zurückzieht. Bei ihrem attraktiven Äußeren rennt ihr sicherlich eine ganze Schar Männer hinterher.“ „Ja, ausgenommen Rod. Aber ausgerechnet den möchte sie haben. Sie wird sich eben mit einem anderen trösten müssen, was soll’s? Und Sie können sicher sein, Vivien wird keine Zeit vergeuden.“ „Während der nächsten drei Wochen bleibe ich in Edinburgh. Ich würde mich freuen, Kate, wenn wir einmal zusammen essen gehen könnten.“ „Gern, Beverly. Mir paßt es praktisch immer. Ich arbeite nämlich als freier Mitarbeiter bei verschiedenen Verlagen und kann mir meine Zeit selber einteilen. Morgen bin ich allerdings verabredet. Aber wie sieht es mit übermorgen aus?“ „Wunderbar. Schlagen Sie doch ein nettes Restaurant vor. Ich kenne mich in dieser Stadt noch nicht genügend aus.“ „Ich überlege mir etwas besonders Hübsches für uns beide. Dienstagmorgen rufe ich Sie an.“ „Abgemacht, bis Dienstag!“ Inzwischen hatten Beverly und Kate die Sandwiches belegt und ordneten sie dekorativ auf großen Platten an. Beverly bedankte sich bei Kate für die Aufklärung über Viviens Verhalten und die freundliche Aufnahme in ihrem Haus. „Das ist doch selbstverständlich“, wehrte Kate ab. „Ich kann mir vorstellen, daß Sie sich ein wenig verloren unter lauter Fremden vorkommen. Außerdem machen
Sie Rod sehr glücklich. Und jeder, der unseren Freund Rod glücklich macht, ist in unserem Hause ein willkommener Gast.“ „Sie haben Rod wohl sehr gern?“ „Rod ist unser bester Freund. Er hat Tom einmal sehr geholfen, als er dringend Hilfe benötigte. Das werde ich ihm nie vergessen.“ „Darf ich fragen, was er für Sie getan hat, oder ist das eine zu persönliche Angelegenheit?“ „Selbstverständlich dürfen Sie das. Es ist kein Geheimnis. Allerdings würde Rod niemals darüber sprechen. Er ist nicht der Typ, der herumgeht und sich mit seinen guten Taten brüstet. Vor drei Jahren hatte Tom einen Autounfall. Er war hinterher gelähmt, und der Arzt meinte, er würde nie mehr laufen können. Daraufhin fiel Tom in tiefste Depressionen, gab sich völlig auf. Für ihn hatte das ganze Leben keinen Sinn mehr. Der Gedanke, als Fotograf sein Leben im Rollstuhl fristen zu müssen, ließ ihn vollkommen verzweifeln. Ich versuchte, ihn zu trösten, ihn zu ermutigen, aber vergeblich.“ „Das muß eine schreckliche Zeit für Sie gewesen sein“, murmelte Beverly mitfühlend. „Ja, das war es wirklich. Eines Tages stand dann plötzlich Rod in der Tür. Er brachte einige Gerätschaften und einen Physiotherapeuten mit und versprach, die Krankengymnastik aus seiner eigenen Tasche zu bezahlen. ,Es wird Zeit, daß du aus diesem Rollstuhl herauskommst, alter Freund’, sagte er. Tom aber warf ihm als Dank nur die schrecklichsten Flüche und Beschimpfungen an den Kopf. Nie zuvor habe ich jemand so außer sich gesehen wie Tom damals. Der aufgestaute Kummer über seinen hilflosen Zustand brach aus ihm heraus. Aber Rod verhielt sich vorbildlich. Mit äußerster Geduld überredete er Tom langsam, mit dem Therapeuten zusammenzuarbeiten. Jeden Tag kam er vorbei, um seinen Freund zu ermutigen. Nach einem Jahr war Tom wieder fähig zu gehen. Zwar humpelt er noch immer ein wenig, doch damit hat er sich inzwischen abgefunden.“ Tatsächlich, jetzt erst fiel Beverly auf, daß Tom leicht hinkte. Aber es war wirklich kaum zu bemerken. „Rod hat mir von Ihnen und Tom viel erzählt, aber von diesem Unfall hat er nie etwas erwähnt.“ „Das würde er auch nie tun, davon bin ich überzeugt.“ Kate lächelte wissend. „Aber nun wollen wir endlich zur Fütterung der Raubtiere kommen“, schlug Sie vor und griff zwei der Platten. Im Wohnzimmer stellten sie die Teller mit den Sandwiches einfach auf die einzelnen Tische und forderten die Gäste auf, sich zu bedienen. Beverly ließ sich wieder an Rods Seite nieder. Zu ihrer Überraschung war Vivien Tait inzwischen gegangen. Beverly war sehr erleichtert, denn die attraktive Blondine hatte ihre Gefühle ziemlich durcheinandergebracht. Die Unterhaltung ging bis spät in die Nacht hinein. Rod stand meist im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Er führte die Konversation. Seine Meinung schien von allen Anwesenden sehr geschätzt zu werden. Besonders in Künstlerkreisen galt er als geachtete Persönlichkeit. Bis dahin hatte sich Beverly wenig für Rods Arbeit interessiert. Sie war zu sehr damit beschäftigt, ihre eigene Karriere aufzubauen. Erst heute ging ihr auf, was für ein wichtiger und erfolgreicher Mann Rod war. Beinahe verspürte sie sogar einen gewissen Groll gegen ihn. Außer Kate schenkte ihr nämlich kaum einer der Gäste Beachtung. Niemand stellte ihr persönliche
oder berufliche Fragen. Die Tatsache, daß sie Rods Begleitung war, genügte ihnen anscheinend schon. Beverly fragte sich ein wenig gereizt, ob einer der Anwesenden wohl die Königin von England beachtet hätte, wenn sie an Rods Seite in den Raum getreten wäre. Gleichzeitig schalt sie sich selbst, weil sie es unfair fand, Rod für ihren Ärger verantwortlich zu machen. Er hatte schließlich nicht die geringste Veranlassung dazu gegeben. Beverly konnte dieses ungute Gefühl jedoch nicht unterdrücken. Ja, es verstärkte sich sogar noch, je länger die Party dauerte. Später wechselte das Thema zur naiven Malerei über, deren Wert in Frage gestellt wurde. „Das ist doch nichts weiter als kindliche Schmiererei“, meinte ein schon etwas angetrunkener junger Mann. „Das könnte mein achtjähriger Sohn auch.“ Beverly mischte sich zum ersten Mal an diesem Abend in die Unterhaltung. „Die naive Malerei ist viel schwieriger als es scheint“, erklärte sie mit fester Stimme. „Der Aufbau der Bilder ist sehr kompliziert. Er ist überhaupt das Wichtigste bei dieser Kunstrichtung.“ „Da bin ich aber ganz anderer Meinung“, protestierte Jimmy, der sich zuvor so negativ über die naive Malerei geäußert hatte. „Glauben Sie mir, an dieser Kunstrichtung ist nichts dran.“ „Beverly weiß, worüber sie spricht“, warf Rod ruhig dazwischen. „Sie ist nämlich selbst Malerin.“ Jimmy sah Beverly interessiert an. Erstaunt hob er eine Augenbraue. „Sie sind Malerin?“ fragte er noch einmal nach. „Wie war Ihr Name bitte? McAllister?“ „Ja“, erwiderte Rod freundlich. „Seltsam, ich habe ihn noch nie gehört.“ Nein, dachte Beverly traurig. Niemand kennt ihn bis jetzt, nur ein paar Leute in einem winzigen Ort. „Nun, Rod“, begann Jimmy von neuem, „erzählen Sie uns von John McGregor. Wie ich hörte, soll er in letzter Zeit ständig betrunken sein.“ „Jimmy sollte lieber vor seiner eigenen Tür kehren“, meinte Kate trocken, und alle lachten, selbst Jimmy, der anscheinend nicht so leicht zu beleidigen war. Beverly machte keinen weiteren Versuch mehr, sich an der Konversation zu beteiligen. Sie fühlte sich verletzt und war verärgert. Die Tatsache, daß es eigentlich gar keinen Grund dafür gab, änderte auch nichts daran. Gegen drei Uhr morgens endlich erhob sich Rod zu ihrer Erleichterung und schlug vor, nach Hause zu gehen. Da es schon so spät war und sie beide nach diesem langen Tag recht erschöpft waren, ließ Rod ein Taxi kommen. In wenigen Minuten gelangten sie so durch die stillen Straßen Edinburghs zu Rods Wohnung. Todmüde fielen sie ins Bett. Rod legte liebevoll einen Arm um Beverlys schmale Taille, und gleich darauf zeigten seine regelmäßigen Atemzüge, daß er fest eingeschlafen war. Beverly lag noch lange wach. Ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Der heutige Abend hatte ihr gezeigt, welchen Platz sie in einer Ehe mit Rod einnehmen würde. Immer stünde sie in seinem Schatten. Es wäre nicht anders als bei Allen… Schatten… Warum ist der Mensch immer wieder gezwungen, gegen Schatten anzukämpfen? dachte Beverly, während schließlich ihre Augenlider schwer wurden und langsam zufielen. Warum hingen immer wieder Schatten über ihrem Lebensweg, Schatten der Vergangenheit?
11. KAPITEL Am Dienstag trafen sich Beverly und Kate in einem kleinen Restaurant in der Altstadt. „Die Küche hier hat einen ausgezeichneten Ruf“, erklärte Kate, nachdem sie in einer holzgetäfelten Nische Platz genommen hatten. „Eine gemütliche Atmosphäre herrscht hier, nicht wahr? Dieser Pub ist uralt.“ Beverly lächelte und versicherte Kate, daß es ihr auch gut gefiele. „Rod führt mich ausschließlich in vornehme, teure Restaurants, wo vorwiegend europäische Speisen angeboten werden. Ich freue mich, auch einmal etwas Abwechslung in meinen Speiseplan zu bekommen.“ „Er möchte wahrscheinlich einen besonders guten Eindruck auf Sie machen, Beverly. Warten Sie nur, bis Sie verheiratet sind. Dann wird alles anders. ,Was gibt es zu essen?’, wird es heißen, anstatt ,Wo möchtest du speisen, meine Liebste?’“ Kate lachte hell auf. Beverly blieb ernst. Sie wußte nicht, ob sie Kate schon gut genug kannte, um ein vertrauliches Gespräch mit ihr führen zu können. Doch Kates offene Art sprachen dafür. Zögernd sagte Beverly: „Wir sind doch nicht einmal verlobt, Kate, ist Ihnen das überhaupt klar?“ „Oh, ich dachte…“ Kate unterbrach sich verwirrt. Doch gleich darauf fuhr sie fort: „Ich hatte angenommen, zwischen Ihnen sei alles geregelt. Rod ist für gewöhnlich jemand, der nicht lange zögert.“ „Wir haben zwar schon vom Heiraten gesprochen“, gab Beverly zu, „aber bis jetzt ist noch nichts entschieden.“ „So ist das also“, murmelte Kate und blickte versonnen auf den Tisch. Eine rundliche Bedienung mittleren Alters fragte sie in diesem Augenblick nach ihren Wünschen. Kate bestellte für sie beide Lammstew, eine richtige Hausmannskost. „Es geht mich ja nichts an“, begann Kate von neuem und blickte Beverly prüfend an, „doch obwohl Tom immer behauptet, ich sei feinfühlig wie ein Elefant im Porzellanladen, möchte ich Sie fragen, wo der Schuh drückt?“ Beverly mußte lachen. „Ich habe nichts dagegen, Kate.“ „Hoffentlich ist das Problem nicht diese Vivien Tait. Denn das gehört wirklich zu Rods Vergangenheit, verstehen Sie?“ „Das ist mir klar. Vielleicht bin ich ziemlich eingebildet, aber ich bin nicht auf andere Frauen eifersüchtig. Ich bin sicher, Rod vertrauen zu können.“ „Das können Sie wirklich. Und Treue findet man nicht bei allen Männern. Bevor ich Tom heiratete, ging ich oft mit Männern aus. Und bei jedem einzelnen war mir klar, daß ich ihm nicht vertrauen konnte. Dann begegnete ich Tom, und mit ihm war es anders. Als er mich bat, seine Frau zu werden, versicherte er mir, er würde mir nie untreu sein. Ich wußte, er meinte es ernst. Deshalb heiratete ich ihn. Das war vor acht Jahren, und ich habe es nie bereut.“ Kate seufzte zufrieden. „Sie können sich glücklich schätzen.“ „Als ob ich das nicht wüßte! Aber nun zu Ihnen, Beverly: Wenn es nicht um andere Frauen geht, was ist dann das Problem?“ „Ich weiß, was eine Heirat für Rod bedeuten würde“, begann Beverly. „Ich wäre vom Tag der Hochzeit an nichts anderes mehr als seine kleine Frau. Das habe ich alles schon einmal erlebt, und ich habe nicht vor, das ein zweites Mal durchzumachen. Erst in der letzten Zeit habe ich entdeckt, daß auch ich eine Persönlichkeit besitze. Ich will nicht wieder die zweite Geige spielen.“
„Das ist es also! Es ist schon komisch, den meisten Frauen wäre nichts lieber, als an Rods Arm durchs Leben zu gehen und sich in seinem Ruhm zu sonnen. Und nun kommen Sie und wollen Ihr eigenes Ansehen! Sehr gut!“ „Ja. Verstehen Sie das?“ „Natürlich, Beverly, obwohl ich selbst nie besonders ehrgeizig war. Ich arbeite ein wenig als Redakteurin, weil es mir Spaß macht und weil es mich davor bewahrt, zu faul und träge zu werden. Aber was ich mir immer am meisten wünschte, war ein Mann, den ich achten und respektieren kann, ein gemütliches Heim und einen Job, der mich nicht allzu sehr beansprucht. Mir genügt es, wenn Tom Karriere macht. Ich bin mit meinem Leben, so wie es ist, zufrieden.“ „Wie ich schon sagte, Kate, Sie sind gut dran. Wenn man mit sich selbst im Einklang lebt, stimmt auch alles andere.“ „Richtig. Aber Sie werden erst dann zufrieden sein, wenn Sie Ihr Talent völlig ausgeschöpft haben“, bemerkte Kate nachdenklich. „Sie sind anscheinend ebenso ehrgeizig wie Rod. Und das will schon etwas heißen!“ „Genau da liegt auch das Problem. Rod hat meiner Meinung nach kein Verständnis für mich.“ „Natürlich nicht, meine Liebe. Er schenkt Ihnen sein Herz, das ist das Wertvollste, was er hat. Er kann sich nicht vorstellen, was Sie sich sonst noch wünschen könnten.“ „Ich beneide Sie, Kate“, meinte Beverly mit leiser Stimme. Sie seufzte tief. „Etwa, weil mein Leben ruhig und ohne Konflikte verläuft? Ich zahle auch meinen Preis dafür, glauben Sie mir. Ich habe zwar keine Probleme aus Mangel an Selbstverwirklichung, dafür werde ich aber nie die aufregende Süße des Erfolgs zu spüren bekommen.“ „Es ist ja gar nicht sicher, ob ich überhaupt Erfolg haben werde“, gab Beverly zu bedenken. „Bis jetzt kämpfe ich nur darum. Künstler gibt es nämlich wie Sand am Meer.“ „Ich habe noch keine Ihrer Arbeiten gesehen, hoffentlich können wir das einmal nachholen. Sie sind bestimmt eine sehr gute Malerin, sonst würden Sie Ihre Karriere nicht gleichstellen mit der Beziehung zu Rod.“ „Ja, so sehe ich es auch. Ich habe das Gefühl, als müßte ich zwischen Karriere und Rod wählen. Wenn ich mich für Rod entschiede, ohne mich vorher als Malerin etabliert zu haben, und wenn ihm dann etwas zustoßen sollte… ich wüßte nicht, wer ich nun wirklich bin.“ „Aber was sollte Rod denn zustoßen? Warum malen Sie den Teufel an die Wand?“ „Man kann nie wissen. Mein erster Mann, Allen, war auch jung und gesund. Eines Morgens verließ er das Haus, um joggen zu gehen. Das letzte, was er zu mir sagte, war: ,Was hältst du von frischen Brötchen zum Frühstück, Liebes?’ Eine halbe Stunde später war er tot. Herzinfarkt!“ Beverly schwieg einen Augenblick. Dann fuhr sie sachlich fort: „Sie sehen, ich habe meine Gründe, skeptisch zu sein.“ „Aber Sie dürfen sich deshalb nicht vor dem Leben verstecken. Mit jeder Beziehung geht man ein Risiko ein. Manche Menschen jedoch sind es wirklich wert…“ In diesem Augenblick kam die Bedienung an ihren Tisch und brachte das köstlich duftende Stew. „Das sieht phantastisch aus“, meinte Beverly erwartungsvoll. „Genießen Sie es. Sie sollten überhaupt jeden Augenblick genießen. Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf, Rod ist kein Unmensch. Er liebt Sie, alles an Ihnen. Und die Malerei gehört nun mal dazu. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er Sie eines Tages darum bitten würde, Ihre Karriere an den Nagel zu hängen. Wenn er so
eine Frau gewollt hätte, warum hat er dann nicht Vivien Tait geheiratet? Sie sieht dekorativ aus und ist eine richtige kleine Hauskatze.“ Beverly lächelte. „Danke, Kate.“ „Vergessen Sie eines nicht. Ihr Liebe ist etwas Besonderes. Nicht jeder hat das Glück, eine so tiefe Beziehung zu erleben. Diese Liebe wird Ihnen auch die Kraft geben, jedes Problem zu meistern.“ Beverly war davon nicht recht überzeugt. Kate, die so glücklich und zufrieden mit ihrem eigenen Leben war, sah Beverlys Zukunft viel zu optimistisch. Die nächsten beiden Wochen verliefen hektisch und arbeitsreich zugleich. Beverly bemühte sich, jeden Tag mindestens ein Motiv zu skizzieren, um später in Kirkcudbright eine SchwarzweißSerie daraus zu machen. Die Abende und Wochenenden waren mit Konzerten und anderen Veranstaltungen ausgefüllt. Beverly und Rod besuchten viele glanzvolle Festlichkeiten. Schottenröcke in den edelsten Farben und Dudelsäcke waren überall anzutreffen. Die berühmtesten Orchester der Welt, selbst das Londoner Symphonieorchester und das Schottische Nationalorchester, gehörten zu den Höhepunkten der Festspiele. Es gab aber auch Pantomime, modernes Ballett, Jazz, Dichterlesungen und neue Filme. Die interessanteste Veranstaltung war das traditionelle Highland Military Tattoo, eine Präsentation des Militärs, die noch aus dem vorigen Jahrhundert stammte. Beverly saß neben Rod auf den nichtüberdachten Plätzen im Esplanade Schloß, und sie beobachteten die verschiedensten Tänze und Märsche der Regimenter. Die Tänze der Highlander waren ein herrliches Schauspiel, besonders am Abend, wenn das Flutlicht den Platz erhellte. Beverly spürte, wie ein seltsames Gefühl der Sehnsucht ihren Körper durchströmte, während sie zu den Tänzern in ihren wunderschönen Kilts hinüberblickte und dem melancholischen Klang der Dudelsackpfeifen lauschte. „Du scheinst ganz verzaubert zu sein, Beverly“, stellte Rod fest, als er Beverlys entrückten Gesichtsausdruck bemerkte. „Ich habe mir gerade überlegt, daß es so ähnlich gewesen sein muß, als Lauries Liebster, der Herr über alle Insel mit in die Schlacht zog. Er trug bestimmt einen Kilt, und die Musikanten marschierten vor den Soldaten mit ihren Dudelsäcken in den Kampf.“ Rod schüttelte ein wenig verärgert den Kopf. „Du bist wirklich unverbesserlich, Beverly“, sagte er leise. „Und du bist völlig unromantisch, Rod Fleming“, gab Beverly spaßend zurück. „Du weißt genau, daß das nicht stimmt“, protestierte er mit fast unhörbarer Stimme. In seinen Augen aber las Beverly die tiefe Liebe zu ihr, und sie empfand wieder ihre starke Zuneigung für ihn. All der Groll über sein geringes Verständnis für ihre romantischen Gefühle war verschwunden. Was zählte, war nur noch die Liebe. Endlich gingen die Festspielwochen ihrem Ende zu. Beverly fühlte sich erschöpft. Sie hatte genug von Edinburgh, wollte so schnell wie möglich nach Schloß Fräser zurück, um endlich ihre Energien wieder für ihre eigenen Arbeiten nutzen zu können. Sie spürte, daß sie ihr Selbstwertgefühl dringend wieder aufmöbeln mußte. In Rods Kreisen fühlte sie sich völlig unbedeutend. Überall wandten sich die Leute immer nur an Rod, dessen Meinung von allen so geschätzt wurde. Beverly wußte schon gar nicht mehr, was sie von sich halten sollte. Vielleicht bin ich wirklich nur „die neueste Eroberung“ von Rod Fleming, dachte sie bedrückt.
Eines Morgens schlüpfte sie früh aus dem Bett. Rod schlief noch tief und fest. Beverly machte sich Kaffee in der Küche und nahm die Tasse mit ins Wohnzimmer hinüber, wo sie sich gemütlich in einen Sessel setzte und in der Zeitung blätterte. Danach sah sie ihre Zeichenmappe durch und musterte kritisch die Skizzen, die sie von den verschiedensten Plätzen in Edinburgh gemacht hatte. Sie fand aber keine Ruhe. Sie mußte unbedingt mit einem Menschen reden, der an ihr persönlich interessiert war und nicht an Rod. Schließlich entschloß sie sich, Sean Farren anzurufen, um herauszufinden, wie ihre Bilder von der Öffentlickeit beurteilt wurden. „Ein Glück, Beverly, daß Sie anrufen“, rief er aufgeregt in den Apparat. „Seit einer Woche versuche ich ständig, Sie zu erreichen. Ihre Bilder sind alle bereits verkauft. Ich benötige sofort weitere. Wir können nun auch wagen, die Preise zu erhöhen. Was halten Sie von dreihundert Pfund für die kleineren und vierhundert für die größeren?“ „O Sean, Sie wissen gar nicht, wie froh ich über diese Nachricht bin. Mein Selbstbewußtsein brauchte dringend eine Aufmunterung.“ „Ihr Künstler seid doch alle gleich, das Selbstwertgefühl muß stimmen! Reden wir lieber über das Geschäft: Wann kann ich die nächsten Arbeiten bekommen?“ Beverly lachte. „Galeriebesitzer sind auch alle gleich, denken immer bloß daran, wie sie am schnellsten und leichtesten Geld scheffeln können.“ „Nicht vom Thema abweichen, meine Liebe. Hatten Sie Gelegenheit, während der Festspieltage zu malen, oder nicht?“ „Um Sie zu beruhigen, ja, ich habe gearbeitet. Was halten Sie von einer SchwarzweißSerie mit Motiven von Edinburgh?“ „Ausgezeichnet! Wenn sie gut ist, lassen wir Drucke davon herstellen, numeriert und gezeichnet von Miss Beverly McAllister.“ „O Sean, das halten Sie für möglich?“ „Selbstverständlich. Sie wissen doch, wenn es ums Geld geht, habe ich immer hervorragende Ideen. Aber nun sammeln Sie erst einmal Ihr entzückendes Selbstbewußtsein zusammen und kommen Sie rasch wieder nach Kirkcudbright zurück, damit wir beide richtig reich werden können.“ Beverlys Herz klopfte vor Aufregung, als sie den Hörer zurück auf die Gabel legte. Sofort war sie erfüllt von neuen Ideen und Plänen. Wenn sie den nächsten Zug nahm, hatte sie bereits genügend Radierungen, um Sean einen guten Überblick zu geben. In einem Monat konnte die ganze Serie fertig sein, um Abzüge davon machen zu lassen. „Du siehst ja so aufgeregt aus, mein Schatz. Was gibt’s?“ Beverly schaute auf. Rod stand auf der Türschwelle in seinem braunen Morgenrock und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Glücklich erzählte sie ihm, was sie soeben erfahren hatte. „Halt“, unterbrach er ihren eifrigen Redefluß, „du erklärst mir gerade, daß du den nächsten Zug nach Kirkcudbright nehmen willst. Das bedeutet ja, daß du heute morgen abreisen möchtest. Ich verstehe dich nicht, die Festspiele sind doch noch gar nicht beendet.“ „Das weiß ich, Rod. Aber ich muß nach Hause. Ich muß arbeiten. Es gibt so viel zu tun. Außerdem glaube ich, wenn ich noch mehr Konzerte oder Theateraufführungen sehe, fange ich an zu schreien. Ich möchte lieber an meine Staffelei zurück.“ Rod setzte, sich auf die Lehne des Sessels und legte einen Arm um ihre Schultern. Er zog sie zu sich heran und küßte sie auf die Stirn. „Das ist verständlich. Ich wünschte, ich könnte es dir ausreden, aber es ist einzusehen, daß du nach Hause möchtest. Außerdem freue ich mich mit dir über
deinen Erfolg.“
„Aber…“, setzte Beverly hinzu und schaute Rod erwartungsvoll an.
„Aber ich will nicht, daß du mich verläßt“, sagte Rod und lächelt jungenhaft. „Ich
bin egoistisch genug, dich noch einmal zu bitten, bei mir in Edinburgh zu bleiben.
Die Zeit mit dir war wunderschön. Sie soll noch nicht zu Ende gehen.“
„Ich fahre aber doch nur nach Kirkcudbright.“
„Ich weiß, Liebes. Ich habe im Augenblick jedoch keine Zeit, dich dorthin zu
begleiten. Ich muß in den nächsten Wochen in Edinburgh bleiben, um einiges
aufzuarbeiten, was während der Festspielzeit liegengeblieben ist.“
Beverly schaute ihm in die Augen und lächelte spitzbübisch. „Ich verspreche, daß
ich es wieder gutmache, wenn wir uns wiedersehen, Liebling.“
„Wirklich?“
„Ja. Du kannst dich darauf verlassen.“ Beverly fuhr liebevoll über seine
Wangenknochen und ließ ihre Finger sanft den Hals hinuntergleiten bis hin zu
seiner mit dichtem Haar bedeckten männlichen Brust, die sie verführerisch
streichelte.
„Wann willst du fahren?“
„Heute mittag.“
„Muß es wirklich schon so bald sein? Überleg es dir doch bitte noch einmal.“
„Es muß sein, Liebling.“
„Dann haben wir allerdings noch etwas zu besprechen, bevor du abreist.“
„Was denn?“
„Du bist unmöglich, Beverly.“ Rod schien verärgert. „Erhältst du so viele
Heiratsanträge, daß du meinen vergessen konntest? Versuch bitte, dich zu
erinnern: Du hast versprochen, mir vor deiner Rückkehr nach Kirkcudbright eine
Antwort zu geben.“
Beverly schwieg eine geraume Zeit. Verwirrt mied sie Rods eindringlichen Blick.
Sein Verhalten war bis dahin noch scherzhaft gewesen. Doch jetzt legte er die
Stirn in Falten, und seine hellen Augen verengten sich, je länger das Schweigen
andauerte. Er hatte sich auf ihr Versprechen verlassen.
„Beverly, ich nehme an… es war doch so schön…“ Rod stockte und schwieg dann
wieder.
„Das ist richtig. Nur… sind ein paar Probleme deutlich geworden.“
„Mir sind keine aufgefallen.“
„Natürlich nicht. Für dich gibt es auch keine. Du bist hier in deinem Element, hast
deine Arbeit und wirst von jedermann geschätzt. Ich bin nur ein Anhängsel von
dir, dekorativ aber völlig unwichtig.“ Ohne es zu merken, hatte Beverly diese
Worte mit erhobener Stimme gesprochen. Ihre Augen glänzten hitzig.
„Willst du mich dafür etwa verantwortlich machen?“ Rod war verärgert.
„Nein. Aber die anderen haben es mir deutlich gezeigt. Ich fühle mich selbst
schon klein, wenn ich in ihrer Gesellschaft bin. Was bin ich denn Besonderes?
Nichts weiter als eine Künstlerin.“
„Das ist wirklich lächerlich. Du badest dich in Selbstmitleid und benutzt es als
Entschuldigung, um dich nicht festlegen zu müssen.“
Beverly überlegte.
Die Wahrheit schmerzte. War das nicht der wirkliche Grund ihres Zögerns?
Fürchtete sie sich davor, sich zu verpflichten?
Mit Mühe brachte Rod seine Gefühle wieder unter Kontrolle. „Es tut mir leid,
Liebes, ich wollte keinen Streit anfangen. Keine besonders zartfühlende Art,
jemanden zur Heirat zu bewegen.“ Er bemühte sich um ein Lächeln.
Dankbar sah Beverly ihn an. „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Liebling.
Ich bin dir gegenüber auch sehr unfair. Ich versprach, dir eine klare Antwort zu
geben, und nun zögere ich doch noch damit.“ „Ich glaube eben, daß du mich liebst“, sagte Rod mit belegter Stimme. „Und die ganze Welt weiß, daß ich dich liebe.“ „Wenn damit unsere Probleme gelöst wären.“ Beverly schaute versonnen vor sich hin. „Ich kann verstehen, wie schwierig diese Zeit hier für dich gewesen ist“, erklärte Rod schließlich. „Vielleicht sieht alles anders aus, wenn du erst einmal wieder hinter deiner Staffelei sitzt.“ Zärtlich blickte er Beverly in die Augen. „Einverstanden, Rod. Laß uns später noch einmal darüber sprechen, wenn wir in Kirkcudbright sind.“ „In Kirkcudbright werden wir dann ja eine Menge zu tun haben“, meinte Rod scherzend und küßte ihre Wange. Sanft zog er sie auf das Sofa und löste den Gürtel ihres Morgenmantel. Mit beiden Händen umfaßte er ihre Brüste und bedeckte Gesicht und Hals mit kleinen erregenden Küssen. Beverly gab sich ganz seinen zärtlichen Liebkosungen hin. In diesem Augenblick zählte nur noch die leidenschaftliche Liebe, die ihr niemand außer Rod so mitreißend zu schenken vermochte. Allmählich neigte sich der Sommer seinem Ende zu, und der Herbst begann. Die Blätter färbten sich in den verschiedensten Rottönen, und die Heide blühte in herrlichster Pracht. Es war kalt geworden. Selbst an sonnigen Tagen benötigte Beverly nun eine warme Jacke. Wie ein echter Schotte wählte sie Tweed, der besonders gut vor Wind und Wetter schützte. Beverly arbeitete fleißig. Nie zuvor hatte sie sich selbst derart unter Druck gesetzt. Beinahe besessen war sie von dem Wunsch, schöpferisch tätig zu sein und sich weiterzuentwickeln. An jedem Wochenende kam Rod aus Edinburgh, um die freien Tage mit ihr zu verbringen. Wie sie es erhofft hatte, drängte er sie nicht. Wenn er schlafend an ihrer Seite lag, war sie von Liebe und Dankbarkeit gleichzeitig erfüllt, weil er ihr soviel Geduld entgegenbracht. Ich will dich, Rod, wirklich, dachte sie dann und bat ihn in Gedanken um noch ein wenig mehr Geduld. Hoffentlich hielt Rod sie nicht für allzu launenhaft. Eines Tages fand Beverly in ihrer Post eine Einladung. Sie war handgeschrieben. Die Einladung auf elfenbeinfarbenem Büttenpapier kam von Lady Grace Fleming, Rods Mutter. Sie bat die neue Besitzerin von Schloß Fräser für den nächsten Tag zum Nachmittagstee. Beverly war überrascht, rief aber sogleich an, um ihre Zusage zu geben. Pünktlich um vier Uhr nachmittags erschien Beverly auf Schloß Fleming. Sie hatte sich besonders sorgfältig gekleidet. Zu einem lavendelfarbenen Kostüm trug sie die gleichfarbige Seidenbluse, die sie mit Rod zusammen in Edinburgh erstanden hatte. Die Kleidung harmonierte ausgezeichnet mit ihren goldblonden Haaren und der frischen Gesichtsfarbe. Es war Beverly sehr wichtig, einen guten Eindruck auf Rods Mutter zu machen. Lady Grace sollte nicht denken, sie sei nachlässig oder gar schlampig, der typische Künstler. Ihr Herz schlug schneller, als der Butler Beverly ins Wohnzimmer führte, wo ein gemütliches Feuer im Kamin flackerte. Die Dame mittleren Alters, die auf dem Sofa gegenüber dem Kamin saß, erweckte aber nicht den Anschein, als könne sie Furcht unter ihren Mitmenschen verbreiten. Sie war klein, ein wenig rundlich, mit einem ebenmäßigen, fröhlichen Gesicht. Die helle Pfirsichhaut benötigte kaum Makeup. Beverly fielen sogleich die vergnügt lächelnden Augen auf. Das champagnerfarben getönte Haar war
perfekt frisiert. Lady Grace Fleming trug ein eisblaues Kostüm aus edelstem Tuch, auf dem eine lange Perlenkette wunderbar zur Geltung kam. Ihre Haltung, ihre Kleidung, jede einzelne Bewegung verrieten Erziehung und Reichtum. Trotzdem war ihr Lächeln weder herablassend noch einschüchternd. „Ich freue mich sehr, Beverly, daß Sie meiner Einladung folgen konnten. Nehmen Sie doch bitte Platz.“ Mit einer Handbewegung forderte sie Beverly zum Sitzen auf. „Hoffentlich haben Sie nichts dagegen, wenn ich Beverly zu Ihnen sage. Miss McAllister klingt so förmlich. Zum Glück können wir ja heute auf diese altmodischen Floskeln verzichten. Ich hielt es schon immer für übertrieben, alle außer den Angehörigen mit ihrem Familiennamen anzureden.“ So plauderte sie mit entwaffnendem Charme, und Beverly fragte sich, wie sie sich überhaupt vor dieser Begegnung hatte fürchten können. „Ich habe mich sehr über Ihre Einladung gefreut“, meinte Beverly höflich, als Lady Grace schließlich einmal eine kurze Pause machte. „Rod hat mir sehr viel von Ihnen erzählt.“ „Ich habe natürlich über meinen Sohn auch schon eine Menge von Ihnen gehört“, erwiderte Lady Grace. „Eigentlich wäre ich gern schon viel früher nach Schloß Fleming gekommen, aber es kam immer etwas dazwischen. Ich hatte leider eine dieser Kreuzfahrten um die ganze Welt gebucht. Das war ein Fehler. Es ist zwar ganz erholsam, aber nach ein paar Wochen sieht jeder Hafen gleich aus. Oh, wie froh war ich, als wir in London eintrafen und ich endlich meinen Garten und meine Freunde wiedersehen konnte.“ Plötzlich wechselte die alte Dame das Thema. „Sie sind übrigens vollkommen anders, als ich erwartet hatte.“ „Ja?“ „Zwar sind Sie so hübsch und nett, wie Rod versprochen hatte, doch wenn man bedenkt, wie hart sie dem armen Jungen gegenüber geblieben sind, so muß ich gestehen, daß Sie in meiner Vorstellung viel strenger, ja unerbittlich waren.“ Beverly mußte hell auflachen, und Lady Grace lächelte ebenfalls. „Nein“, sagte sie. „Sie sind nicht hart. Um so weniger kann ich es verstehen.“ „Ich fürchte, ich kann Ihnen im Moment nicht ganz folgen.“ Beverly sah Lady Gracie fragend an. „Ich habe mich anscheinend wie gewöhnlich undeutlich ausgedrückt. Was ich sagen wollte, ist folgendes: Seit seinem vierzehnten Lebensjahr laufen meinem Sohn die Mädchen hinterher. Ich hätte mir im Traum nicht einfallen lassen, daß eine Frau ihn jemals zurückweisen würde, wenn er um ihre Hand anhält. Obwohl ich natürlich als Mutter voreingenommen bin, möchte ich behaupten, daß mein Sohn sehr gut aussieht. Und finanziell hat er auch nicht die geringsten Sorgen. Deshalb finde ich Ihre Eigensinnigkeit unbegreiflich. Sie gehören doch nicht etwa zu den Menschen, die aus Prinzip etwas gegen Reichtum haben?“ „Hein“, entgegnete Beverly. „Ich kann mich durchaus an den Dingen erfreuen, die man kauft. Wenn ich vor die Wahl gestellt würde, wählte ich sicherlich nicht die Armut.“ „Oh, dann bin ich zufrieden. Sie müssen nämlich wissen, unter den Künstlern und Schriftstellern gibt es eine Menge, die sich schuldig fühlen, wenn sie nicht in ihrem winzigen Dachstübchen am Hungertuche nagen. Zu dumm finde ich diese Einstellung. Wie kann man in der Lage sein, etwas zu schaffen, wenn einem der Magen vor Hunger weh tut?“ Beverly mußte herzlich lachen. Lady Grace war wirklich ein Schatz. Ihr war jetzt nur zu klar, warum Rod seiner Mutter so innig verbunden war. Es gab aber
etwas, das sie zur Sprache bringen mußte, und Beverly wollte es rasch hinter
sich bringen.
„Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen gegenüber sehr offen bin“, begann Beverly mit
fester Stimme. „Die ideale Schwiegertochter für Sie sieht doch wahrscheinlich
anders aus als ich. Ich bin Witwe und stehe auch nicht auf der gleichen
gesellschaftlichen Stufe wie Rod.“
„Glauben Sie, daß das etwas ausmachen würde? Rod hätte Ihnen diesen
Gedanken eigentlich längst austreiben müssen. Jede Frau, die meinen Sohn von
Herzen liebt und ihn glücklich machen kann, ist mir willkommen.“
Lady Grace zögerte einen Augenblick und schaute Beverly von der Seite an.
„Sagen Sie mir doch bitte, warum Sie meinen Sohn nicht heiraten wollen.“
„Ich…“ Beverly brach ab. Sie scheute sich ein wenig, der alten Dame gegenüber
ihre ehrliche Meinung zu äußern. Doch dann räusperte sich Beverly und fuhr
entschlossen fort: „Warum muß denn aus jeder Beziehung gleich eine Ehe
werden? Warum können wir unsere Freundschaft nicht so weiterführen wie
bisher? Die meisten Männer wären glücklich, wenn man sie nicht zu Heirat und
Verpflichtung drängte.“
„Rod ist eben anders, liebes Kind. Und das gleiche möchte ich auch von Ihnen
behaupten. Vielleicht lieben Sie Rod nicht wirklich“, überlegte die ältere Dame
und sah Beverly fragend an.
Ohne Zögern kam Beverlys Antwort. „Ich liebe ihn viel zu sehr, Lady Grace.“
Rods Mutter lächelte. „Das freut mich. Wenn es so ist, wird es immer einen Weg
für Sie beide geben. Ich bin froh, daß Sie mir Ihre Liebe zu Rod eingestehen.
Einen Moment fürchtete ich, Sie könnten zu stolz sein.“
„Was hat Stolz mit unserer Liebe zu tun?“
„Anscheinend hindert Sie Ihr Stolz daran, Rod zu heiraten. Sie befürchten, ihn
auf dem Altar des Ehealltags opfern zu müssen. So sagt man doch, nicht wahr?“
„Nein“, protestierte Beverly mit sanfter Stimme. „Es geht mir nicht um Stolz,
jedenfalls nicht so, wie Sie das Wort verstehen. Ich möchte mich selbst
verwirklichen, mich kennenlernen. Was ich verlange, ist nur die Zeit, um mich in
Ruhe entwickeln zu können. Ich bin ehrgeizig, dabei ist mir das Geld aber nicht
wichtig. Allerdings möchte ich auch in der Lage sein, mir mein Brot selbst, ohne
Rods Unterstützung, zu verdienen.“
„Sie sind so eigensinnig und selbständig wie mein Sohn“, bemerkte Lady Grace
trocken mit einem lustigen Zwinkern.
„Ich liebe Rod so sehr, daß ich ständig im Kampf mit mir selber liege, um mich
ihm nicht zu sehr zu unterwerfen. Er brauchte sich nur ein wenig Mühe zu geben,
dann könnte er mich mit Leichtigkeit beherrschen.“
„Hat er jemals Ihre Gefühle für sich ausgenutzt?“
„Nein.“
„Das wird er auch nie tun, Sie können da ganz sicher sein. Das ist nicht seine Art.
Er würde nie den Stolz eines anderen Menschen brechen wollen.“
In diesem Augenblick klopfte es, und der Butler trat mit einem silbernen
Teetablett zu ihnen.
Lady Grace goß den Tee ein und bot Beverly Zucker und Sahne an.
„Oh, ich stelle fest, der Koch hat Himbeertörtchen für uns gemacht. Das ist etwas
besonders Feines“, meinte Lady Grace schmunzelnd und reichte Beverly die
Platte mit den Kuchen.
Beverly bedankte sich und nahm eine von den kleinen Köstlichkeiten. Es
schmeckte herrlich.
Lady Grace trank einen Schluck Tee und bemerkte fröhlich: „Wissen Sie, Beverly,
das Schöne an dem Landleben ist, daß man der vielen frischen Luft die Schuld an
dem gesteigerten Appetit geben kann.“ Beverly lächelte. Sie mochte Lady Grace gern und fand sie äußerst sympathisch. Die Begegnung entwickelte sich viel angenehmer, als Beverly erwartet hatte. Lady Grace nahm noch ein Törtchen und schaute Beverly offen an. „Ich habe das Gefühl, ich bin Ihnen noch eine Erklärung über Rod schuldig“, begann sie dann. „Sein Vater war ein charmanter Mann. Aber er war nicht unbedingt treu. Er war, um es kurz zu sagen, ein unverbesserlicher Charmeur.“ Jetzt sah Lady Grace plötzlich ernst aus, und Beverly spürte, wie unangenehm der alten Dame dieses Geständnis war. Aber Lady Grace fuhr fort: „Deswegen gab es häufig Spannungen in unserem Haus, während Rod heranwuchs. Er merkte natürlich, was hier vorging. Ich fürchte, ich war nicht immer fähig, ihn aus allem herauszuhalten. Rod war ein besonders sensibles Kind. Ihm entging nicht, daß das Verhalten meines Mannes mir sehr weh tat und meinen Stolz verletzte.“ Lady Grace hielt inne und hob die Tasse an die Lippen. Anscheinend ist sie zu bewegt, um weiterzusprechen, dachte Beverly. Doch gleich darauf hatte die alte Dame sich wieder gefangen. „Ich glaube, diese Erfahrung hat meinen Sohn besonders empfindlich werden lassen. Er verurteilt es, wenn jemand die menschliche Würde in irgendeiner Form angreift. Selbst bei Personen, die er nicht leiden mag. Sie brauchen also nicht zu befürchten, liebes Kind, Rod wolle Sie heiraten, um Sie zu beherrschen.“ „Aber warum müssen wir denn unbedingt heiraten?“ Beverly wiederholte diese Frage mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck. „Wollen Sie denn wirklich vollkommen frei sein? Sie werden herausfinden, daß Menschen, die jede Freiheit besitzen, meist sehr einsam sind.“ „Sie verstehen mich nicht, Lady Grace.“ „Typisch Jugend! Das glauben Sie nur, weil ich so viel älter bin als Sie. Selbstverständlich habe ich das gleiche auch erlebt. Nichts ist neu für mich. Alles, was Ihnen heute geschieht, haben andere schon vor Ihnen erlebt. Glauben Sie mir, Beverly, ich verstehe nur zu gut, welche Gefühle und Überlegungen Sie quälen. Und ich bin auf Ihrer Seite.“ „Wirklich?“ „Ja. Das dürfen Sie Rod aber nicht verraten. Ich habe nämlich erkannt, daß es falsch ist, jemanden in seiner Freiheit einzuschränken, bevor er bereit ist, dies aus sich selbst heraus zu tun. Ich begegnete Rods Vater gegen Ende des Zweiten Weltkrieges. Es war eine aufregende, gefährliche und zugleich romantische Zeit. Ich verliebte mich Hals über Kopf in ihn.“ Lady Graces blaue Augen leuchteten auf, und Beverly überlegte bewegt, wie sehr die alte Dame ihren Mann geliebt haben mußte. „Mein Mann war Pilot in der Royal, Air Force“, erzählte sie weiter. „Machte eine ansehnliche Figur in seiner Uniform, das kann ich Ihnen verraten! Er wollte absolut nicht heiraten, aber ich war nicht davon abzubringen. Immer wieder versuchte er mir verständlich zu machen, er sei noch nicht bereit, seßhaft zu werden. Ich aber weigerte mich, ihm zu glauben. Ich war überzeugt, ich könnte ihn glücklich machen, meinte, ich könnte bewirken, daß er aus freien Stücken auf seine Freiheit verzichtet.“ Lady Grace seufzte tief. „Nun, ich habe erfahren müssen, daß es ein Fehler war, ihn zu überreden. Wir haben es beide bitter bereuen müssen, denn wir waren nicht fähig, dem Partner das zu geben, was er brauchte. Sie sehen also, Beverly, ich verstehe sehr wohl, wie Ihnen zumute ist. Rod darf Sie nicht drängen. Ich hoffe nur, Sie sind sich darüber im klaren, wie teuer Ihr Stolz Sie zu stehen kommen könnte…“
Beverly verabschiedete sich bald darauf und fuhr nach Schloß Fräser zurück. Für den Abend hatte sie sich vorgenommen, an ihrem neuesten Bild einige Verbesserungen auszuführen. Lady Graces Worte hatten sie aber derart aufgewühlt, daß sie kaum in der Lage war, konzentriert zu arbeiten. Besonders die Bemerkung, Beverly sei zu stolz und zu sehr an ihrer Selbständigkeit interessiert, bedrückte sie. Wo hatte sie Ähnliches nur schon einmal gehört? Plötzlich fiel es ihr wieder ein: Donald hatte über Laurie Fräser das gleiche gesagt, sie sei zu stolz gewesen, um sich ihrem Liebsten zu schenken… bis es schließlich zu spät war…
12. KAPITEL Am nächsten Vormittag überraschte Rod seine Mutter, die gerade gemütlich bei einer Tasse Tee saß, mit einem unangemeldeten Besuch. Lady Grace empfing ihn mit einem herzlichen Lächeln. „Wie schön, dich zu sehen, mein Junge. Du mußt ja wie ein Wilder gerast sein.“ Rod beugte sich zu Lady Grace herab und küßte sie auf die Stirn. „Keine Sorge, Mutter. Ich bin geradezu gekrochen, um ehrlich zu sein.“ „Das glaube, wer will! Egal, ich freue mich, daß du da bist.“ „Die Kreuzfahrt hat dir anscheinend gut getan, Mutter. Du siehst blendend aus.“ „Danke. Bevor ich dich allerdings mit endlosen Berichten über diese Reise langweile, möchte ich dich doch davon unterrichten, daß ich deine junge Freundin kennengelernt habe. Sie hat mich gestern zum Tee besucht.“ „Beverly?“ Rod schaute Lady Grace entsetzt an. „Natürlich Beverly! Wer denn sonst? Oder hast du etwa mehr als eine Freundin zu Zeit?“ Rod überhörte Lady Graces Scherz. „Was hältst du von ihr?“ wollte er sogleich wissen. „Ich hatte ganz etwas anderes erwartet. Sie ist sehr verletzlich und selbständig.“ „Ich verstehe das Problem einfach nicht, Mutter. Ich verlange gar nicht, daß sie irgend etwas für mich aufgibt.“ „Das kann ich mir vorstellen. Wie kannst du für ihre Bedenken Verständnis aufbringen, wo du selbst im Reichtum aufgewachsen bist und beruflich eine hervorragende Position bekleidest? Du brauchtest niemals an deinem Wert und deinem Platz im Leben zu zweifeln.“ „Du drückst dich recht verworren aus, Mutter. Ich sehe nicht ein, was das alles damit zu tun haben soll, daß es mir nicht gelingt, das Mädchen, das ich liebe, zur Heirat zu bewegen, und eine von allen geachtete Frau aus ihr zu machen.“ „Es liegt daran, daß du das Problem nur von deiner Seite aus betrachtest und nicht von ihrer. Sie meint, sie sei dir nicht ebenbürtig, denn du bist erfolgreich, prominent und hast einen Adelstitel. Dabei spielt es keine Rolle, ob du ihn nun benutzt oder nicht.“ „Das ist doch geradezu lächerlich“, rief Rod zornig aus. „Für dich vielleicht. Nicht aber für Beverly. Sie gehört nicht zu den Frauen, die nur für ihre Männern leben und die Erfüllung durch sie finden. Dieser Charakterzug gefällt mir an ihr. Sie will als eine gleichwertige Persönlichkeit mit dir zusammen leben. Alles andere wäre eine Qual für sie.“ „Ich verstehe nicht, wodurch ich ihr irgendeine Qual bereiten könnte.“ „Indem du nur deine Vorstellungen berücksichtigst und die ihren nicht mit einbeziehst. Du willst sie ganz für dich haben, weigerst dich jedoch, sie zu verstehen. Auf diese Weise wird sie sich dir vielleicht nie schenken wollen. Wahrscheinlich ist es sogar meine Schuld. Ich habe dich zu sehr verwöhnt.“ „Damit hast du recht.“ Nachsichtig lächelte Rod seine Mutter an. „Aber ich habe immer angenommen, ich hätte mich Beverly gegenüber fair verhalten. Ich glaubte sogar, sie in ihrem Bestreben, eine Karriere aufzubauen, noch unterstützt zu haben.“ „Und doch verlangst du von ihr, sie solle ihre Freiheit aufgeben. Bis sie nicht überzeugt davon ist, sich selbst und ihre Talente vollkommen einschätzen zu können, wird sie immer widerspenstig bleiben.“ „Nun, ich lasse mir das nicht mehr länger gefallen. Ich habe die Absicht, sie zu heiraten, sie glücklich zu machen. Und wenn es gegen ihren Willen geschieht.“ „Rod, zwinge sie nicht. Sie liebt dich über alles. Du würdest sie wahrscheinlich
überreden können, dich zu heiraten. Aber sie ist noch nicht bereit. Glaube mir,
mein Junge. Laß ihr die Freiheit noch eine Weile. Je mehr Freiheit du einem
Menschen gewährst, desto mehr erhältst du von ihm zurück. Es ist wie mit dem
Sand in deiner Hand: Je fester du deine Hand zusammendrückst, desto mehr
Sand verlierst du.“
Rod überlegte. Nachdenklich schaute er vor sich hin. Dann sagte er: „Ich bin
fünfunddreißig Jahre alt. Ich habe die Frau gefunden, mit der ich mein ganzes
Leben verbringen möchte, mit der ich Kinder haben will, solange ich noch jung
bin und mit ihnen spielen kann.“
„Und wie sieht es damit bei Beverly aus? Will sie überhaupt Kinder?“
„Selbstverständlich will sie Kinder! Sie wird eine phantastische Mutter abgeben.“
„Vielleicht. Du hast sie aber noch nicht einmal danach gefragt, oder? Wirklich,
Rod, du mußt sofort aufhören, nur Wünsche zu sehen. Statt dessen solltest du
Beverlys Gefühle berücksichtigen.“
„Auf wessen Seite stehst du eigentlich, Mutter?“ In Rods Stimme lag ein
skeptischer Unterton.
„Auf deiner, Liebling. Immer. Wenn du aber willst, daß sich dein Traum, deine
Hoffnung erfüllt, so mußt du einen anderen Weg einschlagen.“
„Ich habe das Gefühl, Beverly braucht nur ein wenig Hilfe bei ihrer
Entscheidung.“
Lady Grace seufzte erschöpft. „Wirklich, Rod, du bist unmöglich. Ein Wunder, daß
dieses Mädchen dich überhaupt liebt!“
„Das tut sie, davon bin ich überzeugt, und ich liebe sie auch. Ich werde ihr also
etwas mehr Zeit lassen. Aber nur etwas…“
Rod erhob sich. „Jetzt fahre ich kurz zu ihr hinüber. Wäre es dir recht, wenn ich
sie für heute abend zum Essen einlade?“
„Natürlich, eine sehr gute Idee. Ich werde gleich mit dem Koch sprechen. Und
denk einmal darüber nach, Rod, was ich dir über den Sand gesagt habe.“
„Das verspreche ich, Mutter.“
Zur gleichen Zeit saß Beverly in ihrem Wohnzimmer und las wieder und wieder
den Brief, den Jane ihr geschickt hatte. Sie war sprachlos über dessen Inhalt.
„Ich zeigte Jason das Bild, das Du mir schicktest, und er will noch mehr Gemälde sehen. Es gefällt ihm ausgezeichnet. Ob Du wohl interessiert daran wärest, in der Galerie auszustellen? Ich habe angedeutet, daß Du damit einverstanden sein würdest, vielleicht, jedenfalls. Es sollte nicht übereifrig wirken. Du verstehst! Rufe ihn bitte deswegen an. Beverly, wäre es nicht phantastisch? Erledige das sofort, hörst du? Dann will ich auch gleich erfahren, wie Euer Gespräch ausgegangen ist. Übrigens, ich erwarte Provision für die Vermittlung. Wenn Du herkämest, könnten wir das gleich regeln… In Liebe, Deine Jane.“ Beverly zitterte am ganzen Körper. Nie zuvor war sie so aufgeregt und nervös
gewesen. In Carmel auszustellen, würde ihren Ruf als Künstlerin festigen. Dort,
in derselben Galerie, hatte jedoch auch Allen einst ausgestellt. Man würde ihre
Arbeiten mit denen ihres verstorbenen Mannes vergleichen. Würden ihre Bilder
einem solchen Vergleich standhalten?
Ich kann natürlich mein ganzes Leben lang vor dieser Prüfung davonrennen,
überlegte Beverly, schüttelte dann aber entschlossen den Kopf. Ich muß mir auf
jeden Fall über Kirkcudbright hinaus einen Namen machen. In Carmel bietet sich
dafür eine Chance, die ich nicht verpassen darf.
Noch am selben Abend rief sie Jason an. Er war überrascht und erfreut zugleich,
so schnell schon von ihr zu hören.
„Ich muß gestehen“, sagte er, „ich war begeistert, als ich dein Gemälde sah.
Konnte gar nicht fassen, daß es von dir stammt. Du hast deinen Stil geändert,
nicht wahr.“
„Stimmt, Jason. Ich stelle meine Bilder übrigens hier in einer kleinen Galerie
aus.“
„Das freut mich. Kannst du mir auch einige zusenden?“
„Selbstverständlich. Gleich morgen?“
„Prima. Wenn ich sie begutachtet habe, rufe ich dich wieder an.“
„Ich bringe die Arbeiten gleich morgen auf die Post.“ Beverly bemerkte Jasons
vorsichtige Ausdrucksweise. Bevor er die Bilder nicht gesehen hatte, wollte er
sich nicht verpflichten, sie auszustellen.
„Genug vom Geschäft. Wie gefällt dir Schottland?“
„Ich liebe es. Die Gegend ist genau das Richtige für mich.“
„Das sagte Jane auch. Sie hat mir verraten, daß du einen sehr charmanten
Schotten kennengelernt hast.“
Beverly lachte. Selbstverständlich wußte Jason über alles Bescheid. „Er ist
wirklich sehr charmant, aber längst nicht so hinreißend wie du, Jason“, scherzte
Beverly.
„Ich bin einmalig, daß weiß ich schon. Ich freue mich sehr über die gute
Entwicklung in deinem Leben. Allen hätte es dir von Herzen so gewünscht.“
Beverly war froh, daß Jason soviel Verständnis für sie aufbrachte. Als guter
Freund von Allen hätte er dieser Wendung auch abweisend gegenüberstehen
können. Schließlich war Allen erst vor einem Jahr gestorben.
Aber dann fiel ihr die silberne Schere ein, die Jason ihr geschenkt hatte. Seine
Idee war es gewesen, die Vergangenheit ruhen zu lassen und neu zu beginnen.
Das Leben ging weiter. Und damit hatte Jason Aliens Lebensphilosophie
getroffen.
„Paß gut auf dich auf, Jason“, bat Beverly abschließend. „Wir sehen uns bald.“
„Bis bald also, meine Liebe. Auf Wiedersehen.“
Beverly strahlte über das ganze Gesicht. Glücklich legte sie den Hörer auf die
Gabel. Es dauert nicht mehr lange bis zu ihrer Ausstellung in Carmel. Wenn
dieser Gedanke ihr auch ein wenig Angst machte…
Der neunundzwanzigste Oktober war Beverlys Geburtstag. Da es ein Freitag war,
kam Rod aus Edinburgh, um mit ihr diesen Tag zu begehen. Sie aßen gemeinsam
in einem kleinen Restaurant in Kirkcudbright zu Abend und fuhren anschließend
schon frühzeitig nach Hause zurück.
Beverly führte Rod ins Wohnzimmer und bat ihn, Wein und Gläser
bereitzustellen, während sie sich etwas Bequemeres anziehen wollte.
„Fein, ich bin gespannt“, meinte Rod mit erwartungsvollem Blick und küßte
Beverly auf die Stirn, ehe er in der Küche verschwand.
Beverly lief in ihr Schlafzimmer und kleidete sich um. In dem weißen Hausmantel
aus Seide fühlte sie sich sogleich viel wohler. Dazu wählte sie die flachen
Goldsandalen mit den schmalen Riemchen und nahm einen Augenblick vor dem
großen Frisiertisch Platz, um ihr Haar zu bürsten. Aufmerksam betrachtete sie
sich im Spiegel. Sie hatte sich in den letzten Monaten sehr verändert.
Noch vor einem Jahr fühlte sie sich unsicher und einsam. Damals waren ihre
Bewegungen langsam und zögernd. Sie wußte nicht, wie sie den schweren
Verlust, Allen war der Mittelpunkt ihres Lebens gewesen, verwinden sollte. Nein,
Beverly hatte mit keinem romantischen Abenteuer gerechnet, als sie nach
Schottland kam. Das wäre ihr im Traum nicht eingefallen.
Heute leuchteten ihre Augen voller Glück. Die Wangen waren gerötet, und ihre
ganze Erscheinung zeigte eine junge Frau, die ihre Erfüllung gefunden hatte.
Beverly wußte genau, daß sie Rod viel zu verdanken hatte. Er hatte ihr mit seiner
Liebe und Leidenschaft gezeigt, welches Glück es bedeutete, zu leben und eine
Frau zu sein.
Während sie langsam die Treppen hinunterging, überlegte sie, womit sie Rod
eine Freude machen könnte, um ihm ihre Dankbarkeit zu zeigen.
Rod war inzwischen nicht untätig gewesen. Er hatte die funkelnden Kristallgläser
mit leuchtend rotem Wein gefüllt und das Feuer im Kamin angezündet.
Es knisterte angenehm und übertönte den Regen, der sanft gegen die hohen
Wohnzimmerfenster schlug. Rod nahm auf dem Sofa Platz und genoß die
anheimelnde, gemütliche Stimmung.
Beverly ließ sich ebenfalls auf dem Sofa nieder und lehnte sich entspannt in die
Kissen. Dankbar lächelnd nahm sie das Glas entgegen, das Rod ihr anbot.
„Ich glaube, jetzt wäre ein Toast auf das Geburtstagskind angebracht. Trinken
wir also auf deinen ersten und letzten zweiunddreißigsten Geburtstag.“
„Oh, erinnere mich bloß nicht daran“, meinte Beverly abwehrend.
„Sei doch nicht albern. Du bist ja praktisch noch ein Kind!“
„Und warum habe ich dann das Gefühl, bedrückend erwachsen zu sein?“
„Weil auch du dem allgemeinen Wahn unterliegst, die Jugend sei das einzig
Wahre. Ich will dir etwas sagen, meine liebe Beverly: Jedes einzelne deiner
zweiunddreißig Lebensjahre hat dazu beigetragen, dich zu einer klugen,
wundervollen und erotisch empfindsamen Frau werden zu lassen. Ich jedenfalls
bin darüber sehr glücklich.“
Beverly schlang ihre Arme um Rods Hals und sah ihm tief in die Augen. „Du
machst so bezaubernde Komplimente, Liebster. Wenn du mir die gleichen Worte
jedes Jahr wiederholst, will ich gerne alt werden.“
„Das verspreche ich dir“, erwiderte Rod und küßte sie liebevoll. „Doch bevor du
verführerische kleine Wildkatze mir keine Gelegenheit mehr dazu gibst, will ich
dir in aller Feierlichkeit etwas überreichen.“
Rod griff in seine Jackentasche und brachte ein in glänzendes Goldpapier
eingewickeltes Päckchen hervor.
Beverly bemerkte ein nervöses Flackern in seinen Augen, als er es ihr in den
Schoß legte.
Bevor sie das Päckchen öffnete, wußte sie schon, was es enthielt. Trotzdem war
sie von der Größe des blutroten Rubins und der strahlenden Diamanten, die ihn
umgaben, überwältigt. Sekundenlang starrte sie fassungslos auf den Ring, ohne
ihn aus dem Etui zu nehmen.
Rod ließ kein Auge von ihr. Schließlich sagte er leise: „Ich hoffe, du magst
Rubine. Sie passen so wunderbar zu deiner hellen Haut. Und damit es keine
Zweifel gibt, der Ring gehört an diesen Finger hier!“
Rod steckte ihr den Ring an den Ringfinger der linken Hand und lächelte wie ein
Schuljunge, dem ein langgeplanter Streich gelungen war. Aus Beverlys Gesicht
war alle Farbe gewichen. In ihren Augen schimmerten Tränen.
„O Rod“, murmelte sie, „der Ring ist bezaubernd, aber…“
„Still, Liebes.“
Rod legte einen Finger auf ihren Mund. „Sag bitte nichts. Ich will nur hören, ob er
dir gefällt und daß du ihn annehmen wirst. Hiermit schenke ich dir mein Herz,
das weißt du doch, nicht wahr?“
„Ich nehme ihn an, nur zu gerne…“
Bevor Beverly allerdings weitersprechen konnte, klingelte das Telefon. Obwohl
sie sich gestört fühlte, erhob sie sich und ging zum Telefon hinüber.
Unwillig nahm sie den Hörer von der Gabel. „Hallo.“
„Beverly, hier spricht Jason.“ „O Jason. Hallo.“ „Stimmt etwas nicht? Deine Stimme hört sich so seltsam an. Oder liegt das nur an der schlechten Verbindung?“ „Das wird wohl der Grund sein. Mir geht es gut.“ „Deine Bilder gefallen mir ausgezeichnet. Ich habe vor, eine Ausstellung ausschließlich mit deinen Bildern zu machen.“ „Ist das dein Ernst, Jason?“ Beverly schrie fast in den Apparat. „Ja, natürlich. Ich habe deine Arbeiten dem Kritiker vom San Francisco Tageblatt gezeigt. Er war schwer beeindruckt. Er selbst wird die Schirmherrschaft für die Ausstellung übernehmen. Es gibt da nur ein Problem. Wie du dir vorstellen kannst, bin ich ausgebucht. Die einzige Zeit, die ich erübrigen könnte, wäre in drei Wochen. Ist es möglich, daß ich bis dahin noch einige Bilder von dir bekomme?“ „Selbstverständlich. Im Augenblick habe ich ungefähr ein Dutzend fertige Arbeiten hier.“ „Wir benötigen noch sechs weitere. Setz dich also auf deine vier Buchstaben und arbeite. Und sei bitte am zwanzigsten November in Carmel. Übrigens, es gibt die übliche Bezahlung: Fünfzig Prozent für dich und fünfzig für mich.“ „Normalerweise ist das Verhältnis sechzig zu vierzig, Jason. Wobei du natürlich die vierzig bekommst.“ „Das abgeschiedene Leben auf dem Schloß hat deinem Geschäftssinn offensichtlich nichts anhaben können.“ Jason seufzte laut. „Na gut, einverstanden, Beverly. Dann also bis in drei Wochen, meine Liebe.“ Einen Augenblick lang, nachdem sie den Hörer aufgelegt hatte, blieb Beverly stumm neben dem Telefon stehen. Sie konnte zunächst gar nicht fassen, was sie soeben gehört hatte. War es nun endlich soweit? Sie würde tatsächlich eine eigene Ausstellung in Carmel haben! Nicht in ihren kühnsten Träumen hätte sie zu hoffen gewagt, daß es so bald Wirklichkeit werden würde. Sie war auf dem Weg zum Erfolg… „Wer war das?“ wollte Rod wissen, und Beverly erklärte ihm, was Jason ihr soeben vorgeschlagen hatte. „Eine Ausstellung ausschließlich mit deinen Bildern? Das klingt gut. Du bist jetzt eine anerkannte Malerin.“ „Erst, wenn mich das Publikum akzeptiert. Wenn meine Arbeiten nicht gekauft werden, wird es meine einzige Ausstellung sein. Und die Kritik wird mich zerreißen.“ „Sie werden von deinen Arbeiten begeistert sein“, versicherte ihr Rod. Er überlegte einen Augenblick. Dann fuhr er fort: „Wie wäre es, Beverly, wenn wir unsere Hochzeitsreise nach Carmel machten? Wir könnten heiraten und anschließend zusammen reisen. Ich könnte mich für eine Weile vom Geschäft freimachen.“ Beverly senkte den Blick auf den blutroten Rubin. Wie Feuer brannte er an ihrer Hand. „Rod…“, begann sie und wußte nicht, wie sie sich dem geliebten Mann erklären sollte. Er beherrschte ihr Leben hier in Schottland, und Aliens Schatten verfolgte sie noch in Carmel. Diese Ausstellung sollte jenen Teil ihres Lebens, der von Allen bestimmt gewesen war, beenden. Carmel gehörte ihr und Allen. Den neuen Teil ihres Lebens dort mit Rod zu beginnen, wäre ihr wie Verrat an Allen vorgekommen. „Diese Ausstellung ist für mich sehr wichtig“, setzte sie von neuem an. „Sie
bedeutet mir vor allem auch gefühlsmäßig sehr viel. Ich werde ständig dem Vergleich mit Allen ausgesetzt sein. Überall wird mich die Erinnerung an ihn umgeben.“ „Deshalb werde ich bei dir sein und dir helfen.“ Rod suchte ihren Blick. „Rod, ich kann dich noch nicht heiraten. Erst einmal muß ich Carmel abwarten. Danach werde ich wissen, wie man mich als Künstlerin einschätzt.“ Rods Blick verdüsterte sich. Er wurde blaß. Nur mit größter Anstrengung gelang es ihm, Haltung zu bewahren. „Ich sehe ein, daß ich mich dir zu Beginn unserer Bekanntschaft sehr aufgedrängt habe. Damals bedeuteten dir dein neues Leben und deine Arbeit alles. Ich hätte dich in Ruhe lassen sollen. Ich begegnete dir aber zu einem Zeitpunkt, an dem ich schon beinahe aufgegeben hatte, die Frau zu finden, die ich so lange gesucht hatte. Aus Furcht, dich wieder zu verlieren, versuchte ich alles, um dich zu gewinnen. Und das, obwohl du nichts mehr wünschtest, als zum erstenmal vollkommen frei zu sein.“ Voller Leidenschaft ruhte sein Blick auf Beverly. „Inzwischen bist du einen großen Schritt weitergekommen. Du mußt doch festgestellt haben, daß wir beide verheiratet sein können, ohne daß einer den anderen in seinen Aktivitäten einschränkt.“ „Bitte warte noch diese Ausstellung ab. Danach werde ich dir gehören.“ „Es kommt mir vor, Beverly, als ob du mit dieser Reise nach Carmel eine neue Entschuldigung gefunden hast, mich nicht zu heiraten. In Edinburgh vertröstetest du mich auf Kirkcudbright. Nun sagst du, ich soll warten, bis du aus Carmel zurückkehrst. Du willst nur keine Verpflichtung eingehen.“ „Rod, ich kann mich dir nicht schenken, bevor ich nicht weiß, wer ich wirklich bin. Ich muß meine Minderwertigkeitsgefühle in bezug auf Allen und seinen Wert als Künstler ablegen.“ Zornig erhob sich Rod und ging zum Kamin hinüber. Er bebte innerlich. Beverly sah seine zusammengepreßten Lippen und wußte, daß er außer sich war. Er versteht mich nicht, dachte sie. Er will einfach nicht sehen, wie sehr ich ihn liebe und wie ich ihn schätze. Nein, sie konnte ihn trotz der tiefen Liebe, die sie für ihn empfand, jetzt noch nicht heiraten. Sie wollte erst sicher sein, daß die Schatten der Vergangenheit sie nicht erneut einholten. Endlich räusperte sich Rod. „Ich war lange geduldig, Beverly. Ich kann nicht bis in alle Ewigkeit warten. Ich möchte mein Leben mit dir teilen. Wenn es dir genauso geht, dann sage es und suche keine neuen Ausflüchte mehr.“ „Ach Rod.“ Beverly erhob sich und trat zu ihm. Liebevoll legte sie ihre Hände auf seine Schultern. „Weißt du denn nicht, was du mir bedeutest? Wie sehr ich dich liebe? Ich wußte vorher doch gar nicht, was Liebe ist.“ „Dann heirate mich.“ Ungeduldig zog er sie an sich. „Das geht nicht, Liebster. Noch nicht.“ Rod gab sie abrupt frei und wandte sich zur Tür. Dort blieb er noch einmal stehen. „Dann wüßte ich nicht, was wir noch zu bereden hätten“, sagte er mit tonloser Stimme und ging. Heftig schlug er die Tür zu. Gleich darauf hörte Beverly das Aufheulen des Motors, und Rods Porsche sauste vom Schloßhof. Beverlys Augen schwammen in Tränen. Ihr Herz tat weh, und der Hals war wie zugeschnürt vor Kummer. Sie wußte nicht, ob Rod sie gerade für immer verlassen hatte, war er doch in seinem Stolz zutiefst verletzt. Vielleicht würde er ihr nie vergeben können. Aber es gab im Augenblick für sie keine andere Entscheidung. Beverly blieb nichts anderes übrig als die Hoffnung, daß Rod auf sie warten würde.
13. KAPITEL „Beverly!“ Beverly schaute in die Richtung, aus der der Ruf kam. Jane stand inmitten einer Gruppe Menschen, die Fluggäste aus dem Flug Glasgow – San Francisco erwarteten. Voller Freude lief Beverly auf Jane zu und umarmte sie. Sie waren so froh, sich endlich wieder im Arm halten zu können. Die gespannte Stimmung, die während ihres letzten Zusammenseins geherrscht hatte, war längst vergessen. „Nun aber schnell hier raus“, meinte Jane und zog Beverly mit sich fort. „Nach elf Stunden Flug sehne ich mich auch nach etwas frischer Luft“, seufzte Beverly und hakte sich bei Jane unter. Sie holten Beverlys Koffer vom Laufband und brachten ihn zu Janes gelbem Volkswagen. Bald darauf hatten sie die verkehrsreiche Gegend um den Flughafen verlassen und nahmen den Highway 1, die direkt am Meer entlang führte. Beverly genoß den Anblick des bewegten Wassers und konnte es gar nicht fassen, daß sie auf einmal so weit von Schloß Fräser und Rod entfernt war… Er hatte sie nicht angerufen. Mehrere Male wollte Beverly einlenken und den Streit beenden. Aber sie wußte, alles Reden würde sinnlos sein. Sie sehnte sich zwar nach ihm und ertappte sich dabei, wie sie den Telefonhörer abnahm. Schließlich beschloß sie aber doch zu warten, bis sie aus Carmel zurück sein würde. Hoffentlich war sein Zorn bis dahin verraucht! Nachdenklich sah Beverly aus dem Fenster und nahm die Schönheit der Natur in sich auf. Sie liebte diese Landschaft, die steilen Felsküsten, die leuchtend grünen Zypressenwälder über dem silbrig glänzenden Meer. „Wollen wir nicht unterwegs eine Tasse Kaffee trinken?“ fragte Jane, als sie an einem bekannten Restaurant vorbeifuhren. „Laß uns lieber rasch nach Hause fahren. Ich bin so aufgeregt.“ „Gut, das verstehe ich. Aber für heute abend habe ich einen Tisch für uns beide im Cannery Row bestellt. Ich hoffe, du hast nichts dagegen. Oder bist du zu müde nach dem anstrengenden Flug?“ „Nein, Jane. Deine Idee ist ausgezeichnet. Ich werde mich vorher eine Stunde hinlegen, dann bin ich heute abend wieder frisch.“ Beverly freute sich, Carmel nach so langer Zeit wiederzusehen. Das Gefühl, jeden Platz und jede Straße genau zu kennen, war angenehm, und doch spürte sie, dieser Besuch war kein Heimkommen. Schloß Fräser war ihr Zuhause! Gleich darauf fügte sie in Gedanken noch hinzu: Dort, wo Rod Fleming lebt, dort ist mein Zuhause, denn ihm gehört mein Herz. Beverly strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, langsam gewann sie Klarheit. „Wenn ich mir dein mageres Gepäck ansehe, so hast du wohl tatsächlich nicht die Absicht lange in Carmel zu bleiben, oder?“ „Du hast ganz recht, Jane. Ich werde außerdem versuchen, das Haus zu verkaufen, während ich hier bin. Ich wollte dir am Telefon nur keinen Schrecken einjagen.“ „So etwas Ähnliches habe ich schon geahnt“, erwiderte Jane und lächelte matt, während sie das Haus gemeinsam betraten. Beverly sah neugierig in alle Räume. Die junge Studentin, die das Haus bewohnte, hatte nichts verändert. Für die Zeit, in der Beverly sich wieder in Carmel aufhielt, war sie zu ihrer Familie gezogen. Beverly empfand keinerlei schmerzliche Gefühle beim Anblick der vielen vertrauten Gegenstände. Hier hatte sie vor langer Zeit, als sie ein anderer Mensch war, gelebt.
Jane verschwand in der Küche. „Soll ich Tee machen?“ „Wunderbar“, rief Beverly und hängte ihren dunkelgrauen Blazer über eine Stuhllehne. Während Jane in der Küche hantierte, zündete sie Feuer im Kamin an. „Ein gemütliches Feuer und eine gute Tasse Tee, was kann sich der Mensch Schöneres wünschen!“ Jane stellte das Tablett mit der Kanne und den Tassen auf den kleinen Tisch vor dem Sofa. Beverly ließ sich auf die Kissen fallen und zog die Beine unter sich. „Es war wirklich nett von dir“, begann sie, „mich vom Flughafen abzuholen. Ich weiß doch, daß du in der Ferienzeit viel zu tun hast.“ „Ach, soweit ist es ja noch nicht. Die meisten Leute bereiten das Erntedankfestessen selber vor, und bis Weihnachten dauert es ja noch eine Weile.“ „Erwartet Ted dich denn nicht? Wie geht es ihm?“ Jane zögerte mit der Antwort. Statt dessen blickte sie angestrengt in ihre Tasse und zuckte die Schultern. Schließlich sah sie Beverly an, der die Tränen in Janes Augen nicht entgangen waren. Sie schluckte. „Ich bin nicht mehr mit Ted zusammen.“ „Jane, das tut mir aber leid.“ Beverly fühlte intensiv mit ihrer Schwester. „Danke, Beverly. Aber jetzt ist es gar nicht mehr so schlimm. Ich bin allerdings froh, daß du da bist. Ich möchte gern mit dir über alles sprechen. Sonst versteht mich ja doch niemand. Manchmal, wenn ich ihn allzusehr vermisse, frage ich mich, ob es nicht ein Fehler war, ihn zu verlassen.“ „Du hast ihn verlassen?“ „Letzte Woche.“ Als Jane den fragenden Blick ihrer Schwester bemerkte, erklärte sie: „Zuerst ging alles wunderbar. Wir lebten in meinem kleinen Appartement und hatten eine schöne Zeit miteinander. Doch dann meinte Ted, er sei es gewohnt, in einer großzügigeren Wohnung zu leben. Deshalb mietete er ein Haus in Pebble Beach. Mit Dienstboten und Blick aufs Meer. Du kannst mir glauben, Beverly, ich könnte mich leicht an solchen Luxus gewöhnen!“ Jane lachte, bemüht, ihren alten Humor zurückzugewinnen. Dann fuhr sie fort: „Ted erklärte mir, er wolle sich von seiner Frau scheiden lassen. Sie müßten sich nur noch über die finanzielle Regelung einig werden. Ich war überglücklich.“ „Und dann, Jane? Was ist geschehen?“ „Ich begegnete zufällig seiner Frau. Das mußte ja irgendwann einmal passieren. Sie wohnt auch in Pebble Beach. Wir trafen uns im Haus einer gemeinsamen Bekannten.“ „Das muß schrecklich peinlich gewesen sein!“ Beverly sah ihre Schwester entsetzt an. „Das war es auch. Mir war noch nie vorher so elend zumute. Betty, so heißt Teds Frau, hatte sich in dieser Situation viel besser in der Gewalt als ich. Sie nannte mir ihren Namen und bot mir an, sie würde die Party verlassen, falls mir das Zusammentreffen zu unangenehm sei. Sie legte außerdem keinen besonderen Wert darauf, länger zu bleiben.“ „Das klingt ziemlich nett.“ „Ja, allerdings. Und sie ist auch wirklich sehr nett. Dazu ausgesprochen attraktiv. Selbst nach drei Kindern sieht sie äußerst gepflegt und elegant aus. Ich hatte immer geglaubt, sie liefe wie eine richtige Schlampe herum. Und nun mußte ich erkennen, wie sie so vor mir stand, daß sie unter anderen Umständen leicht meine Freundin hätte sein können.“ „Du fühltest dich schuldig, nicht wahr?“
„Ja, aber mehr noch. Als ich mich in Ted verliebte, genoß ich es beinahe wie einen Triumph. Er ließ mich glauben, ich erweckte ihn wieder zu neuem Leben, während er an der Seite seiner Frau nur so dahinvegetierte. Ich sagte mir, es müsse Bettys Schuld sein, daß die Ehe nicht intakt war, denn Ted war ja reizend und charmant.“ Jane schüttelte ärgerlich den Kopf. Sie konnte selbst nicht mehr verstehen, wie naiv sie noch vor kurzem gewesen war. „In dem Augenblick, als ich Betty begegnete, tat sie mir leid. Auf Anhieb mochte ich sie und hatte plötzlich Verständnis für ihre Situation. Anstatt Teds Frau als Rivalin zu betrachten, begann ich den Menschen in ihr zu sehen, dessen Schicksal ich vielleicht einmal würde teilen müssen.“ „Du meinst, wenn Ted es fertiggebracht hatte, diese attraktive Frau zu verlassen, wäre es nicht unmöglich, daß er dir eines Tages auch den Laufpaß gibt.“ „Ja. Ich begann, Ted mit anderen Augen zu sehen. Nachdem ich Betty kennengelernt hatte und wußte, daß sie eine reizende Frau war, die es nicht verdiente, mit ihren Kindern im Stich gelassen zu werden, hatte ich auf einmal Zweifel an Ted. Was mußte das für ein Mensch sein, der so handelte?“ „Sicherlich kein sehr netter“, meinte Beverly sachlich und legte Jane eine Hand auf den Arm. Endlich durfte sie ihre Meinung offen aussprechen. „Ja, Beverly, außerdem hätte ich ihm nie mehr vertrauen können.“ Janes Augen füllten sich wieder mit Tränen. Beverly bemerkte, daß die kindlichen Gesichtszüge ihrer Schwester sich in letzter Zeit verändert hatten. Vor ihr saß nicht mehr die leichtfertige junge Frau von früher. Jane hatte stets lauthals verkündet, sie könne einmal alles im Leben haben, was sie sich nur wünschte. Inzwischen hatte sie erfahren, daß der Preis für einige Dinge über Gebühr hoch war. „Von dem Tag an änderte sich unsere Beziehung vollkommen. Ich mußte ständig an Betty und die Kinder denken. Schließlich erklärte ich Ted, es sei aus mit uns, verließ das Haus, und kannst du dir vorstellen, was er daraufhin tat?“ „Ja, so ungefähr. Er ging zu seiner Frau zurück.“ „Volltreffer!“ Jane lachte ein wenig hysterisch. „Ist das nicht wahnsinnig komisch?“ Doch ihre Stimme klang gar nicht belustigt. „Du liebst ihn immer noch, Jane, habe ich recht?“ „Ja, verdammt nochmal! Tagsüber macht es mir nichts aus, aber nachts liege ich oft wach und weine mich in den Schlaf.“ „Meine liebe Jane“, sagte Beverly mitfühlend und umarmte sie fest. „Ich weiß ja, daß es dir nicht hilft, aber ich muß sagen, daß ich sehr stolz auf dich bin. Du hast genau das Richtige getan, auch wenn es jetzt sehr schmerzt.“ Jane wischte sich die Tränen aus den Augen. „Du hast recht, Beverly, das nützt mir wenig. In der Tugend liegt kein Trost.“ Beverly gab der Schwester ein Taschentuch. „Ich weiß. Aber du wirst sehen, die Zeit heilt alle Wunden. Das habe ich an mir selbst erfahren.“ „Mir ist das auch schon aufgefallen. Schon jetzt kommt es vor, daß ich mehrere Stunden lang nicht mehr an Ted denke.“ Jane richtete sich entschlossen auf und blickte Beverly an. „Genug geweint, Jane Hunter. Erzähl mir endlich von Kirkcudbright und von deinem wundervollen Schloß. Und wie geht es Rod? Nein, laß mich den Satz anders formulieren: Erzähl mir von Rod. Alles andere ist unwichtig. Wann werdet ihr denn nun beide für immer vereint sein?“ Beverly lehnte sich zurück und zog die Beine bis unter das Kinn hoch. Langsam schlang sie die Arme um ihre Knie. „Wir werden überhaupt nie vereint sein. Ich sah ihn vor drei Wochen zum letzten Mal, und da hat er mir deutlich gesagt, daß es aus ist mit uns beiden.“
„Wie bitte?“ Jane war fassungslos. „Was hast du dem armen Mann bloß angetan?“ „Halt, halt, Schwesterherz. Wo bleibt deine Loyalität? Auf wessen Seite stehst du eigentlich?“ „Du mußt irgend etwas Fürchterliches angestellt haben, denn dieser Mann liebt dich über alles. Er ist verrückt nach dir.“ „Ich habe mich nur geweigert, ihn jetzt schon zu heiraten.“ „Hatte ich also doch recht! Du hast dich wieder stur gestellt.“ „Ich befürchte, es wäre nicht leicht, mit Rod verheiratet zu sein“, verteidigte sich Beverly. „Wahrscheinlich wird es sogar sehr turbulent bei euch zugehen, wenn ihr verheiratet seid. Aber das ist die Sache wert.“ Beverly seufzte tief. „Nie im Leben habe ich geglaubt, Liebe könnte so kompliziert sein!“ „Wem sagst du das?“ Plötzlich mußten beide Schwestern lachen. „Ich kenne ein ausgezeichnetes Heilmittel, Beverly“, rief Jane dann fröhlich aus, sprang auf und griff noch ihrer Jacke. „Soll ich uns Schokoladeneclairs aus der Konditorei holen?“ „Ich komme mit.“ Begeistert stand auch Beverly auf und folgte Jane aus dem Haus. In ihrem Innern waren jedoch die Gefühle aufgewühlt und ließen sich nur schwer beruhigen… Am darauffolgenden Nachmittag besuchte Beverly die Galerie. Ihre Bilder waren direkt dorthin gegangen und brauchten für die Ausstellung nur noch aufgehängt zu werden. Jason versicherte ihr immer wieder, wie begeistert er von ihren Arbeiten sei. Er war überzeugt, daß dieses Unternehmen ein Riesenerfolg für Beverly werden würde. Sie konnte sich seinem Optimismus allerdings nicht ganz anschließen. Im Gegenteil, ihre Nervosität steigerte sich von Minute zu Minute. Sie fürchtete, daß man ihr vorwerfen könnte, sie würde den Namen ihres verstorbenen Mannes zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzen. Am Eröffnungsabend der Ausstellung kleidete sich Beverly mit größter Sorgfalt an. Sie wählte ein weißes weites Satinkostüm und elegante silberne Pumps. Als besonderen Blickfang legte sie die langen Straßohrringe an, die sie so gern getragen hatte, als sie selbst noch Besitzerin einer Galerie war. Während sie die San Antonio Straße hinunterfuhr, sah Beverly das Meer im sanften Mondschein zu ihrer Linken und verspürte das Bedürfnis, einen kurzen Spaziergang zu machen. Sie mußte einen Augenblick ausspannen, bevor die Aufregung des Abends sie vollständig gefangen hielt. Kurz entschlossen parkte sie den Wagen am Straßenrand, warf die Sandalen auf den Rücksitz und stieg aus. Barfuß schlenderte sie über den feinen Sand. Kilometerweit lag der menschenleere Strand vor ihr. Beverly hockte sich auf den Boden und schlang die Arme um ihre Knie. Gedankenverloren starrte sie auf das glitzernde Wasser. Alle Aufregung und hoffnungsfrohe Erwartung konnten das Gefühl der Leere, das sie überkam, nicht nehmen. An diesem Abend, wo es um ihre Karriere ging, waren ihre Gedanken bei Rod. Wo war er? Vermißte er sie? Hatte er sie bereits vollkommen vergessen? Beverly blickte in die Ferne. Der Mond verwandelte die Landschaft in eine silbrige Märchenwelt. Wie verzaubert zeichneten sich hier und da hohe Zypressen gegen den Himmel ab. Ob Rod wohl an sie dachte, wenn er den Mond am Himmel stehen sah?
Plötzlich wurde ihr klar, daß aller Erfolg, den sie wahrscheinlich an diesem Abend haben würde, ihr nichts bedeutete, wenn sie Rod dafür verlor. Lady Grace hat recht, dachte Beverly bewegt. Einsamkeit ist ein hoher Preis für die Freiheit. In diesem Augenblick traf sie eine Entscheidung. Sie wollte gleich am nächsten Tag nach Schottland zurückfliegen. Sie mußte Rod um Verzeihung bitten. Auf keinen Fall wollte sie den gleichen Fehler wie Laurie Fräser begehen, erst zu ihrem Liebsten zu gehen, wenn es zu spät war. Beverly schüttelte den Sand von den Füßen und ging zum Wagen zurück. Es war höchste Zeit, alle Schatten hinter sich zu lassen. Dem Mann, dem ihr Herz gehörte, wollte sie jetzt ihre ganze Liebe schenken. Jane wartete bereits am Eingang der Galerie auf Beverly. „Du siehst phantastisch aus, Beverly, und deine Bilder sind großartig. Alle sind begeistert.“ Beverly schaute sich um. Die Gäste prüften ihre Gemälde sorgfältig. Sie traf einige ihrer alten Freunde wieder, doch auch viele Fremde waren gekommen. Instinktiv erkannte sie die Besitzer von Kunstgalerien an ihrem Gehabe. Ihre ehemalige kleine Galerie war brechend voll. Schon das allein war ein Erfolg! „Da bist du ja endlich“, rief Jason aus und eilte auf sie zu. Er stellte Beverly stolz dem Kunstkritiker vom Tageblatt vor. „Kennst du Mr. David Chomsky?“ fragte Jason. Beverly nickte. „Ja, wir sind uns schon begegnet. Ich freue mich, Sie wiederzusehen.“ „Wir trafen uns auf einer Ausstellung Ihres Gatten, glaube ich“, fügte Chomsky hinzu. „Sein Tod hat mich übrigens sehr bestürzt. Es war ein großer Verlust für die Kunstwelt.“ „Danke“, murmelte Beverly. „Wie ich sehe, zeichnen Sie unter Ihrem Mädchennamen“, fuhr Chomsky fort. Beverly nickte. Sie hatte nicht die Absicht, Chomsky ihre Gründe dafür auseinanderzusetzen, warum sie sich von Aliens berühmtem Namen distanzierte. „Meine Hochachtung“, sagte Chomsky aber zu Beverlys Überraschung. „Und Ihre Arbeit bewundere ich ebenfalls.“ „David beabsichtigt, dir einen längeren Artikel in seiner Zeitung zu widmen“, unterbrach Jason ungeduldig. „Was sagst du dazu?“ „Jason hat recht. Ich möchte Sie gern interviewen, wenn es Ihnen paßt. Jason erzählte mir, Sie leben zur Zeit in Schottland. Wann werden Sie dorthin zurückkehren?“ „Morgen“, antwortete Beverly. Jane blickte ihre Schwester völlig verwirrt an. Gleich darauf aber lächelte sie verständnisvoll. „Dann möchte ich Sie noch heute abend um das Interview bitten“, sagte Chomsky. „Wir sollten uns gleich für eine halbe Stunde zurückziehen.“ Nach dem Interview verließ Chomsky die Galerie. Im selben Augenblick tauchte auch schon Jason wieder neben Beverly auf. Aufgeregt flüsterte er: „Einige deiner Bilder sind schon verkauft. Wenn David erst einmal sein Interview über dich bringt, wird kein einziges mehr zurückbleiben.“ „O Jason, ich weiß gar nicht, was ich zu alledem sagen soll.“ „Wo bleibt der Champagner?“ Jane fand die passenden Worte. „Wir sollten feiern.“ Zwei Stunden später war die Eröffnung der Ausstellung beendet. An verschiedenen Bildern hingen nun kleine Schilder mit der Aufschrift „verkauft“. Beverly fühlte sich wie auf Wolken, und das lag nicht nur an dem Champagner. „Soll ich dich nach Hause fahren?“ fragte Jane, als sie in die kalte
Novembernacht hinaustraten. „Nein, ich bin selbst mit dem Wagen da“, lehnte Beverly ab. „Aber ich wäre dir dankbar, wenn du mich morgen zum Flughafen fahren könntest.“ Jane versprach, am nächsten Morgen rechtzeitig anzurufen, um eine Zeit zu verabreden. Nachdem sie gegangen war, schlug Jason vor, wenigstens noch ein paar Minuten gemütlich zusammenzusitzen, den restlichen Champagner zu trinken und über den überaus erfolgreichen Abend zu reden. Beverly willigte gern ein. Sie war in gelöster Stimmung. Hatte sie doch endlich den wichtigsten Entschluß ihres Lebens gefaßt! „Du bist auf deine Art eine ebenso gute Malerin wie Allen. Du hattest sicher Zweifel in dieser Hinsicht, nicht wahr?“ Jason schob Beverly einen Stuhl zurecht und setzte sich ihr gegenüber. „Ja. Ich bin nicht sicher, ob ich wirklich so gut bin“, erklärte Beverly vorsichtig, „aber ich bin unendlich froh, daß du das sagst. Außerdem habe ich inzwischen erkannt, daß ich gut genug bin, um mir nicht länger über Vergleiche mit Allen Gedanken machen zu müssen. Ich bin ich! Das habe ich heute abend gefühlt, und nicht nur mit dem Kopf verstanden.“ „Ich kann mir vorstellen, daß es sehr schwierig ist, mit einem anerkannten Künstler zusammenzuleben. Das kratzt ziemlich am eigenen Selbstbewußtsein, nicht wahr?“ „Da hast du völlig recht, Jason. Es war eine schwere Zeit für mich, bis ich diese Zweifel überwinden konnte. Immer bedrückte mich Aliens Schatten, er hinderte mich an meiner eigenen Entwicklung. Doch das ist nun endgültig vorbei.“ „Wie schön für dich. Du hast in Schottland ein neues Leben begonnen und darfst es nicht mit der Last der Vergangenheit beschweren.“ „Das passiert mir bestimmt nicht noch einmal.“ Beverly blickte Jason nachdenklich an und nahm einen Schluck Champagner. Schließlich fragte sie: „Warum hast du eigentlich nie geheiratet, Jason?“ Jason sah Beverly sichtlich erstaunt an. „Ist meine Frage zu indiskret?“ wollte Beverly wissen. „Nein.“ Einen Augenblick lang schwieg Jason, dann begann er: „Es liegt alles daran, im Leben den richtigen Moment abzupassen. Ich stammte aus einem wohlhabenden Elternhaus, habe Glück gehabt. Alles, was ich mir vom Leben wünschte, fiel mir sozusagen in den Schoß. Damals lag mir nichts daran zu heiraten.“ „Und später…?“ „Später habe ich eben nie den passenden Moment erwischt. Ein einziges Mal verliebte ich mich. Leider war die betreffende Frau schon verheiratet.“ Jason lächelte matt, und Beverly sah Jason zum erstenmal ohne die Maske des ewig heiteren Charmeurs. Jetzt erkannte sie, daß er sehr einsam war. Ja, dachte sie, der richtige Zeitpunkt kann im Leben alles bedeuten. Jason tat ihr leid, und gleichzeitig fühlte sie ein bedrückendes Gefühl in sich aufsteigen. Hatte sie womöglich den Zeitpunkt mit Rod verpaßt? „Wir sollten jetzt besser zum Ende kommen, oder möchtest du noch irgendwo ein Gläschen trinken?“ „Nein danke, Jason. Ich muß noch telefonieren.“ Beverly erhob sich und küßte Jason auf die Wange. „Danke, daß du mir den heutigen Abend ermöglicht hast.“ Wenig später betrat Beverly ihr Haus und meldete ein Gespräch nach Edinburgh an. Sie mußte unbedingt mit Rod sprechen, aber niemand meldete sich. So versuchte sie es auf Schloß Fleming. Doch auch dort traf sie Rod nicht an. Der Butler erklärte, er sei nicht im Haus und man erwarte ihn auch nicht. „Falls Sie ihn doch noch sehen, würden Sie ihm ausrichten, daß ich am Sonntag
zu Hause eintreffen werde? Und sagen Sie ihm bitte, daß ich ihn unbedingt sprechen möchte.“ „Selbstverständlich, Miss“, versprach der Butler. „Sie können sich darauf verlassen.“ Schweren Herzens legte Beverly den Hörer zurück auf die Gabel. Würde Rod ihre Botschaft je erhalten, und bedeutete sie ihm dann noch etwas? Zwei Tage später traf Beverly am frühen Nachmittag in Kirkcudbright ein. Müde und von quälenden Gedanken erschöpft verstaute sie ihr Gepäck im Fond ihres Wagens, den sie auf dem Parkplatz am Bahnhof zurückgelassen hatte. Von Glasgow aus hatte sie noch einmal vergeblich versucht, Rod telefonisch zu erreichen. Während sie die High Street hinunterfuhr, sah sie plötzlich Donald Drummond auf der anderen Straßenseite. Sie brachte den Wagen neben ihm zum Stehen und fragte hastig: „Haben Sie Rod in der letzten Zeit gesehen?“ „O hallo, Beverly. Schön, daß Sie wieder da sind. Wir haben Sie nicht so bald zurück erwartet.“ Endlich besann er sich auf Beverlys Frage und sagte: „Rod haben wir schon lange nicht mehr gesehen, seit mindestens drei Wochen nicht mehr.“ „Vielen Dank.“ Beverlys Herz klopfte wild. „Richten Sie Margaret meine herzlichsten Grüße aus. Ich bin sehr in Eile.“ Ohne sich noch länger aufzuhalten, machte sie sich auf den Weg nach Schloß Fleming. Selbst wenn Rod nicht dort sein sollte, könnte sie vielleicht von der Dienerschaft eine Auskunft über Rods Verbleib bekommen. Während des langen Fluges von San Francisco nach Glasgow und der endlosen Bahnfahrt war ihre Sorge, Rod zu finden, allmählich ins Unermeßliche gestiegen. Sie hatte das beklemmende Gefühl, daß ihre Liebe so tragisch enden würde wie die von Laurie und Richard vor vielen hundert Jahren. Sie mußte Rod einfach rechtzeitig finden. Als Beverly auf Schloß Fleming eintraf, war Rod nicht anwesend. Der Butler teilte ihr jedoch mit, er habe ihn noch in derselben Nacht am Telefon erreicht und ihm ihre Nachricht mitgeteilt. „Hat er Ihnen gesagt, wo er sich befand und ob er herkommt?“ fragte Beverly aufgeregt. „Nein, Miss. Er ist schon lange nicht mehr hier gewesen.“ „Vielen Dank“, rief Beverly abwesend und eilte zu ihrem Wagen zurück. Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie sich so einsam und verlassen gefühlt. Auch auf Schloß Fräser spürte sie die überwältigende Leere mehr denn je. Sie fühlte das unentrinnbare Schicksal Lauries auch auf sich zukommen. Ihr Geliebter hatte nicht gewartet, bis Laurie den Weg zu ihm fand. Plötzlich sah Beverly auf einem Hügel hinter dem Schloß eine einsame Gestalt. Die Sonne leuchtete so, daß sie nur als schwarze Silhouette gegen den Himmel erschien. Das wird wohl der Gärtner sein, dachte Beverly. Er kam manchmal sonntags vorbei, um liegengebliebene Arbeiten zu erledigen. Doch instinktiv fühlte Beverly, daß es jemand anders war. Langsam stieg sie den Hügel hinauf. Beim Näherkommen erkannte sie die breiten Schultern und die geschmeidige Figur. Es war Rod. Beverly begann zu laufen. Atemlos hastete sie über die sanft schillernde Heide. Einen Moment hielt sie inne und schaute ihm in tiefer Liebe entgegen. „Du hast doch auf mich gewartet“, sagte sie schließlich. Rod schenkte ihr sein bezauberndstes Lächeln und sagte freundlich: „Ja. Eine Zeitlang war ich sehr böse. Du hast meinen Stolz zu sehr verletzt, und ich wünschte dich zum Teufel. Doch dann vermißte ich dich mehr und mehr, und als
ich deine Botschaft erhielt… nun, vor dir steht jemand, der dich viel zu sehr liebt, als daß er sich um seinen verletzten Stolz kümmert.“ Liebevoll legte Beverly einen Finger auf seine Lippen. „Pst, Geliebter. Du sollst dich nicht gedemütigt fühlen. Es ist alles meine Schuld. Ich liebe dich Rod. Ich will dir immer und ewig gehören. Das Schicksal hat es so bestimmt.“ „Kein Zweifel mehr?“ „Nein.“ Beverlys Stimme war leise, aber mit einer unüberhörbaren Sicherheit fügte sie hinzu: „Ich mußte meinen eigenen Weg zu dir finden, die Schatten der Vergangenheit überwinden. Das ist jetzt geschehen, und ich werde dich niemals verlassen. Die Angst, meine Selbständigkeit aufzugeben und eine Bindung einzugehen, nahm mich gefangen. Inzwischen habe ich aber erkannt, daß ich nichts verliere, wenn ich ein wenig von meiner Freiheit aufgebe.“ Liebevoll strich er Beverly über das Haar. „Ich befürchtete“, fuhr sie lächelnd fort, „meine Identität zu verlieren. Du bist so viel stärker als ich. Jetzt weiß ich, wer ich bin und habe genügend Selbstvertrauen. Es ist seltsam, gerade meine Selbstsicherheit gibt mir die Kraft, mich dir hinzugeben. Verstehst du das?“ „Ja“, antwortete Rod. „Ich weiß, daß man seinen eigenen Wert kennen muß, um einen anderen Menschen wirklich lieben zu können.“ Zärtlich zog er Beverly zu sich heran und legte seine Arme fest um sie. Seine Augen glänzten voller Liebe. „Mein geliebtes Herz“, flüsterte er und küßte sie leidenschaftlich auf den Mund. In diesem Augenblick wußte Beverly, daß ihre Liebe nie enden würde. Aus der Ferne vernahm sie ein leises, kaum hörbares Raunen. Es konnte das Rascheln der Zweige im Herbstwind sein, doch eine Stimme in ihrem Innern sagte ihr, daß es ein zufriedener Seufzer der Erlösung war. Endlich hatte eine Liebe nach Jahrhunderten ihre Erfüllung gefunden. ENDE