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PARKER entlarvt die „Prominenz“ Ein Roman von Edmund Diedrichs Lady Agatha Simpson, mit dem Blut- und Geldadel der Insel verschwistert und verschwägert, stand mit sichtlichem Interesse am kalten Büffet. Trotzdem war sie auf der Hut, denn sie hielt sich für die Kriminalistin des Jahrhunderts und fühlte sich verpflichtet, das Vereinigte Königreich wenigstens vor den schlimmsten Auswüchsen der Kriminalität zu bewahren. Josuah Parker, das Urbild des hochherrschaftlichen Butlers, trug den üblichen schwarzen Zweireiher, ein blütenweißes Hemd mit dem gewohnten Eckkragen und dazu passender Krawatte. Die Beinkleider waren gestreift, die Schuhe auf Hochglanz poliert. Der Butler nahm trotz seines regungslosen Pokergesichtes alles auf, was im Raum geschah. Er observierte vor allem den untersetzten Mann Mitte Fünfzig, der sich an seiner Herrin vorbeizudrängeln versuchte. Der Fremde gab sich ungeniert und schob die ältere Dame zur Seite. Doch Myladys rechte Hand zuckte vor und legte sich auf das Schulterblatt des Party-Schrecks. »Was soll das?« fauchte der Überraschte wütend. »Haben Sie kein Benehmen, junger Mann? Sie belästigen eine Lady und spielen auch noch die Unschuld vom Lande?« Die Hauptpersonen: Lady Mary-Ann Cannon ist stolz auf ihre Tochter und tratscht über eine Familie, in der es Ärger gibt. Albert Wesley adoptiert einen Taugenichts und vermacht diesem einen Titel. Walter Kelley wird plötzlich adelig und kauft auf den guten Namen »seiner« Familie hemmungslos ein. Leonard Elroy bedroht einen alten Mann und macht mit Myladys Handbeutel Bekanntschaft. Frank Willis handelt mit Titeln und wird in eine Abstellkammer gesperrt. Lady Agatha Simpson liebt das kalte Büfett und den Kran in einer Baugrube. Butler Parker betritt souverän die Höhle des Löwen und kühlt erhitzte Gemüter mit Eiswasser.
»Moment mal, so können Sie nicht mit mir sprechen. Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind, und was meinen Sie wohl, wer ich bin?« »Oh, das weiß ich.« Lady Agatha grollte. »Sie sind ein Rüpel, das ist klar.« »Sie nehmen den Mund reichlich voll, Mylady.« Der Mann schüttelte den Kopf und wollte sich wieder dem Büfett zuwenden. »Lassen Sie mich gefälligst in Ruhe, dann halte ich es umgekehrt genauso, und Sie sparen sich viel Ärger damit.« »Ach, welchen denn?« Lady Agatha zeigte ein animiertes Lächeln. Ärger wußte sie zu schätzen. »Und wenn ich Sie nicht in Ruhe lasse, werden Sie mich dann niederschlagen?« Der untersetzte Mann merkte, daß fast alle Gäste ungeniert herübersahen und der Auseinandersetzung folgten. Er plante eine scharfe Erwiderung, überlegte es sich dann aber anders und zuckte die Achseln. »Ich lasse mich nicht provozieren und schlage vor, wir gehen uns aus dem Weg, okay?« »Ein guter Vorschlag, junger Mann«, lobte die passionierte Detektivin. »Dann lassen Sie mich jetzt ans Büfett. Ich gehe davon aus, daß eine Dame den Vortritt hat.« »Meinetwegen.« Der Gemaßregelte trat beiseite, deutete eine Verbeugung an und zeigte dann auf all die Köstlichkeiten, die zum Verzehr einluden. »Wenn ich also bitten darf?« bemerkte er mit spöttischem Unterton in der Stimme. »Vielen Dank, mein Lieber.« Lady Agatha überhörte souverän den Spott und trat an die lange Tafel. Sie nahm sich einen Teller, wanderte an dem meterlangen Aufbau entlang und betrachtete die angebotenen Delikatessen mit jener Aufmerksamkeit, die ihnen zweifellos zukam. Sie vergaß schließlich den Rüpel und konzentrierte sich ganz auf das kulinarische Angebot, das die berühmten Qualen der Wahl heraufbeschwor. * »Wer ist dieser Lümmel, da drüben eigentlich?« erkundigte sich Lady Agatha bei der Gastgeberin, die neben ihr stand. Lady MaryAnn Cannon war um die Sechzig, groß und hager und erinnerte
mit. ihren dunklen, stechenden Augen und der Hakennase ein wenig an einen Raubvogel. Anläßlich des Studienabschlusses ihrer Tochter gab sie diese Gesellschaft. Die junge Frau hatte erfolgreich in Paris promoviert und wollte sich anschließend der Sozialarbeit widmen. Die Männer der beiden Damen Simpson und Cannon hatten geschäftliche Beziehungen gepflegt, die zu lockeren gesellschaftlichen Kontakten führten. Nach dem Tod der Herren sahen sich die Damen von Zeit zu Zeit, auch wenn Lady Agatha eigentlich wenig Wert darauf legte, weil sie sich bei den wenigen Begegnungen stets ein wenig langweilte. »Sie meinen Mister Fielding?« Mary-Ann Cannon ließ ein verächtliches Lachen hören. »Ein Emporkömmling, meine Liebe. Stellen Sie sich vor, er hat sich doch wirklich und wahrhaftig einen Titel gekauft. Er nennt sich jetzt Earl of Duchess.« »Wie bitte?« Lady Agatha sah die Gastgeberin entgeistert an. »Das müssen Sie noch mal wiederholen.« »Earl of Duchess, Sie haben richtig gehört, meine Liebe.« »Das meine ich nicht.« Lady Agatha wandte sich um und nickte ihrem Butler zu, der stets dafür sorgte, daß der Kontakt zu seiner Herrin nie abriß. Sekunden später stand er neben ihr und nahm ihr Glas entgegen. »Er hat diesen Titel gekauft, habe ich Sie richtig verstanden?« vergewisserte sich die Detektivin, während der Butler sich entfernte, um ihr Glas nachzufüllen. »Das kann doch wohl nicht wahr sein! Ist er denn mit den Duchess verwandt?« »Aber nein, wo denken Sie hin.« Lady Mary-Anns Stimme klang ein wenig spitz, während sie antwortete. »Wie gesagt, eigentlich heißt der Kerl Geoffrey Fielding und ist ein Bürgerlicher. Er ist Bauunternehmer. Nun ja, dagegen ist nichts zu sagen. Aber daß er sich einen Titel kauft, um in unsere Kreise einzudringen…ich weiß nicht, wie Sie darüber denken, ich finde es einfach shocking, meine Liebe.« »Das ist ja interessant«, fand die ältere Dame. »Und die Familie Duchess hat diesen Titel einfach so zur Verfügung gestellt?« »Ach, die gibt es doch schon lange nicht mehr. Nein, irgendein cleverer Makler hat ihm den Titel verkauft. Der wiederum hat ihn von einem weit entfernten, unter Geldknappheit leidenden Verwandten der Familie erworben. Wie ich hörte, kann man so gut wie jeden Titel kaufen, einschließlich akademischer Grade und
Orden.« »Was sagen Sie dazu, Mister Parker?« Der Butler stand wie immer hinter seiner Herrin. Sie hatte sich umgewandt und sah ihn an. Sie setzte voraus, daß er das Gespräch mitgehört hatte und einen Kommentar geben konnte. »Sie fragen Ihren Butler um Rat?« staunte die Gastgeberin. »Mister Parker hat mein vollstes Vertrauen, meine Liebe«, wurde sie von Lady Agatha belehrt. »Also, Mister Parker, was sagen Sie dazu?« »Es handelt sich um eine gesellschaftliche Erscheinung, die sich nur mit der Eitelkeit und – mit Verlaub – einem gewissen Renommiergehabe erklären läßt, Mylady.« »Sicher, Mister Parker, aber daß Titel verkauft werden…ist das denn legal?« »In der Tat, Mylady. Sofern der Verkäufer im rechtmäßigen Besitz des fraglichen Titels ist. In diesem Fall scheint es so zu sein. Was die akademischen Grade betrifft, die Lady Mary-Ann zu erwähnen geruhte, handelt es sich in der Regel um dubiose Praktiken von Hochschulen, die sehr freizügig verleihen und meistens keinerlei wissenschaftliche Reputation haben.« »In diesem Fall geht das ja noch«, bemerkte die Gastgeberin. »Von den Duchesses lebt – außer diesem entfernten Verwandten, der den Titel an den Makler verkauft hat – niemand mehr. Aber ich kenne auch noch einen anderen Fall. Da hat ein geldgieriger Neffe seinen Titel verkauft, und die übrige Familie muß sich jetzt mit einem Fremden herumärgern, der ihren Namen trägt und damit angibt. Das Schlimmste ist nur, daß er eine Menge Schulden macht, indem er Namen und Titel ausnutzt. Sie können sich vielleicht denken, wie begeistert die Familie ist. Sie beschäftigt inzwischen schon ein halbes Dutzend Anwälte, um dem Kerl den Titel wieder abzujagen.« »Was nicht ganz einfach sein dürfte, wenn meine Wenigkeit sich diesen Hinweis erlauben darf, Mylady.« »Da haben Sie leider recht.« Mary-Ann Cannon sah den Butler grimmig an. »Ich würde dazwischenfahren, wenn jemand den Titel der Familie verkauft«, stellte Lady Agatha fest. »Das haben die Farnboroughs auch gesagt, meine Liebe. Bis jetzt haben sie aber noch nichts erreicht.« »Und wer soll das sein?« wunderte sich die Detektivin.
»Na, die Familie, von der ich erzählte«, gab die Gastgeberin pikiert zurück. »Wo der Neffe den Titel verkauft hat.« »Ach so, die.« Lady Agatha winkt lässig ab. »Wie gesagt, ich würde mir da einiges einfallen lassen, und Sie können sicher sein, ich würde den Titel zurückholen.« * »Na, das erzählen Sie mal den Farnboroughs«, reagierte die Hausherrin spitz, »ich nenne Ihnen aber gern die Telefonnummer.« »Mister Parker, lassen Sie sich Nummer und Adresse geben«, ging die ältere Dame sofort auf dieses Angebot ein. »Vielleicht beschäftigte ich mich mal mit der Angelegenheit, wenn ich nichts Besseres zu tun habe. Allerdings glaube ich nicht, daß ich die Zeit dazu finde.« »Aha, jetzt machen Sie schon einen Rückzieher«, stichelte Lady Mary-Ann. »Vor ein paar Augenblicken hat das noch ganz anders geklungen.« »Ich mußt doch sehr bitten, meine Liebe! Wollen Sie mich provozieren?« Lady Agatha sah ihre Bekannte kriegerisch an. »Und wenn? Würden Sie darauf eingehen?« »Jede Wette!« Lady Agatha war in ihrem Element. Sie ging grundsätzlich keiner Herausforderung aus dem Weg. »Ich wette nicht. Aber Sie werden sich ja auch so an Ihr Wort gebunden fühlen. Sie sind doch eine so große Detektivin, nicht wahr? Zumindest behaupten Sie das immer. Also legen Sie diesem Titelhändler ruhig das Handwerk!« »Das werde ich auch tun!« Agatha Simpson nickte entschlossen. »Aber nicht, weil Sie mich dazu aufgefordert haben, meine Liebe, sondern weil es mir ein, Anliegen ist. Titel darf man nicht kaufen dürfen, die muß man sich verdienen, und ich werde klarmachen, daß sich an diesem Grundsatz noch nichts geändert hat.« *
Der Untersetzte wirkte mürrisch. »Bitte, nach Ihnen«, sagte er und trat beiseite. Er war im Begriff gewesen, den Salon zu verlassen, und Lady Agatha hatte ihn an der Tür abgefangen. »Vielen Dank, Mister Fielding«, flötete sie und schob sich vorbei. »Ich bin der Earl of Duchess«, korrigierte er. »Der wievielte denn, mein Lieber?« »Wie bitte?« Der stämmige Mann sah sie verdutzt an. »Na, der wievielte Earl of Duchess sind Sie? Das werden Sie doch wohl wissen?« »Ist das wichtig?« »Nein, eigentlich nicht. Aber auch wenn Sie den Titel gekauft haben, sollten Sie sich doch ein wenig über seine Herkunft und seinen Hintergrund informieren, finden Sie nicht auch?« »Wer sagt denn, daß ich ihn gekauft habe, he?« Der Bauunternehmer schob sein Kinn aggressiv vor. »Aber ich bitte Sie, mein Lieber, so etwas spricht sich doch in der Gesellschaft herum.« Lady Agatha lächelte süffisant. »Meinen Sie vielleicht, es genügt, sich einen Titel zuzulegen und schon wird man mit offenen Armen aufgenommen? Bei wem haben Sie Ihren Adel eigentlich gekauft?« »Was geht Sie das an?« »Im Grunde genommen nichts, ich wollte es nur wissen.« »Ich halte unser Gespräch für beendet, Mylady. Ich muß dringend in einer geschäftlichen Angelegenheit nach London zurück. Wenn Sie die Güte hätten, mich vorbeizulassen?« »Aber gern. Übrigens, wenn Sie Ihren Titelverkäufer sehen, könnten Sie ihm freundlicherweise ausrichten, daß ich mich mit ihm unterhalten möchte?« »Warum? Wollen Sie Ihren Titel etwa auch verkaufen? So attraktiv ist er allerdings nicht«, höhnte Geoffrey Fielding alias Earl of Duchess. »Werden Sie nicht unverschämt, junger Mann!« wies Mylady ihn zurecht. »Ich möchte dem Lümmel nur meine Meinung über sein Geschäftsgebaren sagen, das ist alles.« »Ich denke, darauf kann er verzichten«, war sich der Bauunternehmer sicher. »Trotzdem, ich würde ihn gern kennenlernen. Aber das kann ich natürlich auch ohne Ihre Hilfe.«
»Ich sehe keine Veranlassung, Ihnen gefällig zu sein, Mylady, Guten Tag!« Damit drängte sich Fielding an der älteren Dame vorbei und verschwand im Korridor hinter der Salontür. »Na, haben Sie sich gut mit dem frischgebackenen Earl unterhalten?« Die Gastgeberin tauchte hinter Lady Agatha auf und sah sie neugierig an. »Aber ja, meine Liebe, ganz ausgezeichnet sogar«, gab die Detektivin zurück und lächelte versonnen. »Übrigens, Sie haben doch nicht etwa gelauscht?« »Wie kommen Sie denn darauf?« schien Lady Mary-Ann pikiert. »Ich habe nur mitbekommen, daß Sie sich unterhalten haben, das ist alles.« »Er hat mir nichts Neues erzählt, meine Liebe«, fuhr Lady Agatha fort. »Ansonsten würde ich es Ihnen berichten.« »Ach, das will ich gar nicht wissen.« Die Hausherrin winkte ab. »Ich bin nicht neugierig, und für Tratsch interessiere ich mich schon gar nicht.« »Dann ist es ja gut.« »Übrigens, wissen Sie, wer dieser ominöse Titelhändler ist?« erkundigte sich Lady Agatha. »Nein, wieso?« Aus Mary-Ann Cannons Stimme klang plötzlich eine Mischung aus Unsicherheit, Abwehr und Furcht heraus, allerdings so unterschwellig, daß Agatha Simpson dies nicht groß registrierte, der Butler dafür um so mehr. »Weil Sie sich so gut informiert zeigten, dachte ich, Sie wüßten, wer der Strolch ist. Ich wollte mich nämlich mit ihm unterhalten.« »Und wozu das?« wunderte sich die Hausherrin. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß das von besonderem Interesse ist.« »Mag sein, meine Liebe, aber ich finde den Namen schon heraus, nicht wahr, Mister Parker?« »Die Identität dieses Händlers zu ermitteln, dürfte in der Tat keine großen Probleme bereiten, Mylady«, bestätigte der Butler und registrierte dabei eine gewisse Panik in den Augen der Gastgeberin. * Josuah Parker saß stocksteif und hochaufgerichtet hinter dem riesigen Steuerrad seines Privatwagens. Das ehemalige Londoner
Taxi, das er nach seinen sehr eigenwilligen Plänen hatte umbauen lassen, war ein hochbeiniges und kantiges Gefährt. Es schien sich förmlich nach der Schrottpresse zu sehnen und jeden Augenblick auseinanderzufallen. Aber dem war nicht so. Dieser Eindruck war nur gewollt. Unter dem sehr soliden Blech steckte modernste Technik, die teilweise sogar aus dem Rennsport stammte. Unter der Motorhaube arbeitete ein großvolumiger und leistungsstarker Motor, der auch einen Formel-Eins-Wagen durchaus wettbewerbsfähig hätte antreiben können. Die übrige technische Ausstattung entsprach der Leistung dieser Maschine. Hinzu kamen gewisse Raffinessen, die es Parker erlaubten, Angreifer wirkungsvoll in ihre Schranken zu verweisen. Schon so mancher Ganove hatte diese leidvolle Erfahrung gemacht. Deshalb wurde der Wagen auch von Eingeweihten gerne »Trickkiste auf Rädern« genannt. Auch ein gewisser James Bond hätte sich mit diesem Fahrzeug gern motorisiert. »Meinen Sie wirklich, der Titelhandel ist legal, Mister Parker?« Lady Agatha schien dieses Thema keine Ruhe zu gönnen. »Soweit die Titel echt sind und auf ehrliche Weise erworben wurden, ja, Mylady«, gab der Butler gemessen und würdevoll zurück. »Was die akademischen Grade indes betrifft, sieht es – mit Verlaub – etwas anders aus. Diese stammen in der Regel von dubiosen Universitäten und dürfen im allgemeinen gar nicht geführt werden.« »Und trotzdem werden sie gekauft? Billig ist das doch bestimmt nicht«, wunderte sich die ältere Dame. »Soweit man hörte, in der Regel um die zehntausend Pfund, Mylady«, zeigte sich der Butler informiert. »Was nun das Motiv betrifft, aus dem heraus solche Titel erwarben werden, so scheint für manche Leute ein fragwürdiger immer noch besser zu sein als gar keiner.« »Na schön, aber wenn man ihn nicht führen darf?« war Mylady noch nicht so recht überzeugt. »Offiziell nicht, Mylady. Aber im täglichen Leben ist er möglicherweise verwendbar. Im allgemeinen dürfte der Respekt vor einem Titel zu groß sein, um ihn überhaupt anzuzweifeln.«
»Wirklich?« Lady Agatha lehnte sich bequem zurück und rieb sich nachdenklich das Kinn. »Stellen Sie sich nur mal vor, Oxford oder Cambridge würden Titel verkaufen.« »Ein entsetzlicher Gedanke, Mylady, aber diese Vorstellung dürfte sich erfreulicherweise keineswegs und mitnichten verwirklichen.« »Es gibt eben noch Häuser, auf die man sich verlassen kann, Mister Parker. Stellen Sie sich nur mal vor, das Diplom von Lady Mary-Ann’s Tochter, das wir heute gefeiert haben, würde nicht von der Sorbonne in Paris stammen. Was für ein Skandal!« »In der Tat. Mylady fiel natürlich auch eine gewisse Reaktion in Lady Mary-Ann’s Verhalten auf, als Mylady erwähnten, den Titelhändler aufspüren und sprechen zu wollen.« »Ja, Mister Parker.« Agatha Simpson zögerte ein wenig, bevor sie die Antwort gab. Sie wußte nicht so recht, worauf der Butler hinauswollte. »Meine Wenigkeit hatte den Eindruck, als wäre Lady Cannon Myladys Interesse an dem bewußten Titelhändler nicht sehr angenehm«, fuhr der Butler fort. »Sie haben es also auch bemerkt?« mokierte sich Lady Agatha. »Und was schließe ich daraus, Mister Parker?« * »Wenn das, was Sie da so diskret andeuten, stimmt, Parker, wäre es eine ganz üble Sache«, meinte Mike Rander, der mit Kathy Porter auf einen Sprung aus der nahen Curzon Street herübergekommen war. Myladys Anwalt und Vermögensverwalter betrieb dort seine Praxis. Er war um die Vierzig, gab sich sportlichleger und erinnerte verblüffend an einen bekannten James Bond-Darsteller. Seine Begleiterin war offiziell die Gesellschafterin und Sekretärin der älteren Dame, aber schon seit geraumer Zeit auch in der Kanzlei des Anwalts tätig. Mit dieser Delegation wollte Agatha Simpson erreichen, daß sich die beiden »Kinder«, wie sie den Anwalt und Kathy Porter liebevoll nannte, näherkamen und irgendwann ein Paar wurden. Sie ahnte indes nicht, wie nahe die Wirklichkeit dieser Vorstellung schon kam. Die junge Frau neben dem Anwalt mochte um die Dreißig sein und strahlte mit ihren hochangesetzten Wangenknochen und den
schrägstehenden Augen exotischen Reiz aus. Sie wirkte wie ein scheues Reh, konnte sich aber bei Bedarf in eine Pantherkatze verwandeln, die in nahezu allen fernöstlichen Verteidigungsarten firm war. »Das kann ich mir gar nicht vorstellen, das wäre doch ein Skandal erster Ordnung«, bemerkte sie und schüttelte den Kopf. »Und außerdem, sagten Sie nicht, daß man ihren Pariser Abschluß gefeiert hat?« »In der Tat, Miß Porter.« »Na, wenn sie den in Wirklichkeit aber gar nicht geschafft hat? Was ist, wenn das jemand mal überprüft?« »So einfach ist es nun auch wieder nicht, einen ausländischen Studienabschluß zu überprüfen, selbst wenn es sich um so eine renommierte Universität wie die Sorbonne handelt«, stellte Mike Rander nachdenklich fest. »Außerdem erhält natürlich nicht jedermann Auskunft, man muß schon sehr gute Gründe bei einer Anfrage nachweisen und in der Regel irgendein offizieller Amtsinhaber sein.« »Mag ja sein, aber trotzdem…« Kathy Porter war noch nicht so recht überzeugt. »Die Familie Cannon gilt als recht patriotisch und konservativ«, fiel dem Anwalt ein. »Da ist es schon bemerkenswert, daß sie ihrer Tochter erlaubt haben soll, im Ausland zu studieren.« »Nicht nur das, Sir«, ergänzte Josuah Parker. »Sir Philip Cannon war lange Zeit Staatssekretär im Außenministerium und hat sich – mit Verlaub – immer wieder despektierlich über eine engere Zusammenarbeit beider Länder geäußert. Später wurde er deshalb sogar abgelöst.« »Ach ja, ich erinnere mich.« Mike Rander nickte nachdenklich. »Und ausgerechnet der soll seine Tochter an die Sorbonne schicken?« »Vielleicht hat die junge Frau Paris als Studienort vorgeschlagen und ihren Kopf durchgesetzt«, gab Kathy Porter zu bedenken. »Der alte Cannon soll ein ganz schöner Tyrann gewesen sein, hörte ich mal«, trug Mike Rander zur Familiengeschichte bei. »Sehr unwahrscheinlich, daß es so war.« »Aber das würde ja bedeuten…« Kathy Porter brach ab und sah die beiden Männer entsetzt an.
»In der Tat, Miß Porter«, stimmte der Butler ihr zu. »Obwohl dies nicht unbedingt so sein muß. Aber man soll und kann diese Möglichkeit auf der anderen Seite auch nicht völlig ausschließen.« »Nur nicht so zurückhaltend, Parker. Wie Sie uns die Reaktion der Mutter auf Myladys Ankündigung, den Titelhändler aufzuspüren, geschildert haben, ist diese Möglichkeit sogar sehr wahrscheinlich.« Der Anwalt leistete sich diese vertrauliche Anrede des Butlers. Einige Jahre waren beide Männer schließlich in den Vereinigten Staaten, wo Mike Rander die juristischen Interessen britischer Firmen vertrat, während Josuah Parker ihm als Butler zur Verfügung stand. Immer wieder waren sie aber in haarsträubende Kriminalfälle verwickelt worden, die sie gemeinsam lösten, bis Parker nach England zurückkehrte und in Myladys Dienste trat. Mike Rander folgte etwas später und wurde Agatha Simpsons Anwalt und Vermögensverwalter. »Dieser Eindruck drängte sich meiner Wenigkeit in der Tat auf, Sir«, sagte der Butler gemessen und würdevoll. »Ein Beweis fehlt allerdings, wobei sich die Frage ergibt, ob eine Klärung der Sache überhaupt opportun ist.« »Sie meinen, weil Lady Sarah ihren Titel nicht nutzen, sondern statt dessen sozial tätig werden will? Ihre Einstellung ehrt Sie, Parker, aber ich habe trotzdem etwas dagegen, daß sich Leute mit Titeln schmücken, die ihnen nicht zustehen. Ich habe mir den meinigen jedenfalls hart erarbeiten müssen.« »Ohne jede Frage, Sir. Man könnte sich indessen vorstellen, daß Lady Sarah unter einem gewissen Familiendruck steht.« »Das denke ich auch.« Kathy Porter nickte. »Wahrscheinlich hat man von ihr verlangt, irgendeinen Titel zu erwerben um der Familienehre willen.« »Und als das nicht klappte, hat die liebe Frau Mama ein bißchen nachgeholfen«, ergänzte Mike Rander trocken. »Also gut, mal abgesehen von dieser jungen Frau, ich meine im Prinzip, daß man sich um den Titelhändler kümmern muß.« »Mylady deutete an, in dieser Richtung tätig werden zu wollen, Sir.« »Dann ist ja alles klar. Was meinen Sie, Parker, ich kenne jemanden an der Sorbonne, soll ich da mal diskret nachfragen?« »Wenn gewährleistet ist, daß Miß Sarah’s Name unerwähnt bleibt, Sir«, stimmte der Butler zu.
»Ich könnte versuchen, mir die Liste der Abschlußteilnehmer ihres Studienganges zu beschaffen«, überlegte Mike Rander laut. »Auf diese Weise geht’s.« » Eine Idee, der man eventuell nähertreten sollte, Sir.« »Okay, ich kümmere mich darum. Nur: Ein richtiger Kriminalfall scheint mir das allerdings nicht zu sein, Parker.« »Es könnte um beträchtliche Summen gehen, der oder die Titelhändler dürften also ein gewisses Interesse daran haben, in ihren Geschäften nicht gestört zu werden, Sir.« »Sie bringen mich auf eine Idee, Parker. Aber ich beschaffe zuerst mal die Liste«, erwiderte Rander und lächelte. * »Was unternehme ich heute vormittag, Mister Parker?« erkundigte sich Lady Agatha beim Frühstück im kleinen Salon. »Mylady wollen unter Umständen einen gewissen Mister Albert Wesley aufsuchen«, konnte sich der Butler vorstellen. »Wer ist das denn?« wunderte sie sich, während sie ihre Blicke über den reichgedeckten Tisch schweifen ließ. »Habe ich den Namen schon mal gehört?« »Mister Wesley ist der Neffe von Lady Emma und Sir Arthur Farnborough«, erläuterte der Butler. »Mylady erinnern sich, daß Lady Mary-Ann erwähnte, ein Neffe der Farnboroughs habe seinen Titel verkauft und damit der Familie erhebliche Schwierigkeiten bereitet.« »Ach, der ist das.« Lady Agatha nickte nachdenklich. »Aber ich meine nach wie vor, daß das gar nicht möglich ist, jedenfalls nicht so ohne weiteres, Mister Parker.« »In der Tat, Mylady. Man hat sich in der Zwischenzeit in dieser Angelegenheit erkundigt und ein klärendes Gespräch mit Sir Arthur geführt. Meine bescheidene Wenigkeit war so frei, sich dabei auf Mylady zu berufen.« »Natürlich, Mister Parker, schließlich handeln Sie in meinem Auftrag«, zeigte sich die Hausherrin nachträglich einverstanden. »Verbindlichsten Dank, Mylady. Wie sich inzwischen herausstellte, hat Lady Mary-Ann die Verwandtschaftsgrade ein wenig durcheinandergebracht. Bei Mister Albert Wesley handelt es sich nicht um
einen Neffen, sondern um einen Cousin von Lady Emma und Sir Arthur Farnborough.« »Das sind doch Haarspaltereien, ob Neffe oder Cousin. Wo ist da eigentlich der Unterschied, Mister Parker«, winkte die Detektivin ab und betrachtete wohlgefällig den geräucherten Lachs, den Parker erst an diesem Morgen besorgt hatte. »Der Unterschied dürfte im Alter liegen, Mylady. Während es tatsächlich so gut wie möglich ist, einen Titel zu verkaufen, gibt es eine andere und wesentlich einfachere Methode, die allerdings ein gewisses Alter voraussetzt. Insofern ist der Status schon von einer gewissen Bedeutung.« »Na schön, Mister Parker, ich weiß zwar genau, was Sie meinen, aber ich will Ihnen nicht die Freude nehmen, also erzählen Sie schon«, forderte sie ihn auf. »Mister Albert Wesley ist kinderlos, Mylady«, fuhr der Butler fort. »Das Ehepaar gab deshalb dem zuständigen Vormundschaftsgericht gegenüber den Wunsch nach einer Adoption zu Protokoll.« »Sicher interessant für diese Leute, aber kaum für mich, Mister Parker«, grollte die ältere Dame. »Die Adoption ließ sich in erstaunlich kurzer Zeit bewerkstelligen, Mylady«, setzte Parker unbeirrt seinen Bericht fort. »Allerdings nahm man kein minderjähriges Kind zu sich, sondern adoptierte einen Erwachsenen.« »Was Sie nicht sagen!« Lady Agatha ließ ihre Gabel sinken und sah den Butler überrascht an. »Und wer ist das?« »Ein gewisser Mister Walter Kelley, der sich jetzt Count of Farnborough nennen darf und dies weidlich ausnutzt. Mister Kelley lebt seitdem auf großem Fuß und pflegt sich beliefern und bedienen zu lassen, wobei er selbstverständlich seinen neuerworbenen Titel in der sprichwörtlichen Großzügigkeit verwendet.« »Scheint mir ein nettes Früchtchen zu sein«, kommentierte Mylady trocken in ihrer ungeniert-offenen Art. »Aber sagen Sie mir eines, Mister Parker, wenn dieser Schurke jetzt auf Pump lebt, woher hatte er dann das Geld, um sich den Titel beziehungsweise die Adoption zu kaufen? Das hat er doch getan, oder?« »Offensichtlich haben die Familie und einige Bekannte zusammengelegt, die jetzt natürlich auch – mit Verlaub – von seinem Lebensstil profitieren. Auch ihr Lebenswandel ist seitdem deutlich gestiegen, wie man meiner Wenigkeit berichtete.«
»Aber Familie Farnborough braucht doch nur bekanntzugeben, daß sie mit diesem Lümmel nichts zu tun hat und auch nicht für seine Schulden aufkommt«, wunderte sich die Detektivin. »Ein Schritt, den man letztlich auch gehen dürfte, im Moment aber noch scheut, Mylady«, gab der Butler zurück. »Man fürchtet einen Skandal, wenn herauskommt, daß sich ein Familienmitglied auf derartige Manipulationen eingelassen hat. Zumindest wäre man öffentlichen Angriffen ausgesetzt.« »Das stimmt wohl.« Lady Agatha lächelte versonnen. »Mir könnte das dennoch nicht passieren, Mister Parker. Ich würde eine große Anzeige in die Zeitung setzen und diesen Lümmel ein für allemal damit loswerden.« »Mylady verfügen eben über ungewöhnliche Zivilcourage«, lobte der Butler und verbeugte sich. * Walter Kelley, der frischgebackene Count of Farnborough, wohnte in Soho und damit nicht unbedingt standesgemäß. Lady Agatha blickte naserümpfend aus dem Seitenfenster. »Ich habe schon bessere Gegenden gesehen, Mister Parker«, stellte sie fest. »In der Tat, Mylady. Aber wie meine Wenigkeit weiter erfuhr, bemüht sich Mister Kelley inzwischen um ein neues Domizil. Er soll schon einige Makler beauftragt haben, natürlich nur solche, die auf hochwertige Objekte spezialisiert sind.« »Klar, was denn sonst, Mister Parker?« gab sie zurück. »Wenn es nicht das eigene Geld kostet!« »In der Tat, Mylady.« Sie hatten inzwischen die fragliche Adresse erreicht. Josuah Parker hielt nach einem Parkplatz Ausschau, als zufällig einer frei wurde. Auch Mylady entdeckte ihn sofort. »Das Glück gehört dem Tüchtigen, Mister Parker, das zeigt sich immer wieder.« »Wie Mylady zu meinen geruhen.« Josuah Parker ignorierte aber den frei gewordenen Platz und gab erneut Gas. »Was hat das zu bedeuten, Mister Parker, gefällt Ihnen der Platz etwa nicht?« wunderte sie sich. »Mylady haben sicher den roten Rover bemerkt, der die Parkfläche räumte«, erläuterte der Butler gemessen. »Mister Kelley fährt
einen solchen Wagen und dürfte sich deshalb in diesem Fahrzeug befinden. Man geht davon aus, daß Mylady den Wunsch haben, ihm zu folgen.« »Natürlich, ich will doch diesen Möchtegern-Adeligen sprechen«, ließ sich die ältere Dame vernehmen. »Wie gut, daß ich Sie noch rechtzeitig aufmerksam gemacht habe, Mister Parker.« Der rote Rover bewegte sich Richtung City und hielt schließlich vor einem exklusiven Juwelierladen. »Der Lümmel weiß zu leben«, stellte die passionierte Detektivin grimmig fest. »In diesem Laden kaufe nicht mal ich, so teuer ist er!« Josuah Parker enthielt sich jeglichen Kommentars. Natürlich konnte es sich seine Herrin durchaus leisten, in diesem Laden zu kaufen, nur ihre ausgeprägte Sparsamkeit hinderte sie daran. Außerdem hatte sie nicht die Absicht, sich wie ein Christbaum mit Schmuck zu behängen, wie es viele Damen ihres Standes taten. »Wie auch immer, Mister Parker, es ist meine Pflicht, dieser sündhaft teuren Firma einen Besuch abzustatten«, verkündete sie schließlich und kletterte mit Parkers Hilfe aus dem Fond. * Ein melodisches Glockenspiel schlug an, als Parker die Tür öffnete. Ein Herr in Cut und gestreifter Hose verneigte sich höflich, als Mylady an ihm vorbei zur Verkaufstheke schritt. Dort stand ein etwa vierzigjähriger Mann. Er war mittelgroß und schlank, trug das schwarze Haar etwas zu lang und Kleidung, die ein wenig zu modisch geschnitten war, um wirklich elegant zu wirken, auch wenn sie ohne Frage maßgeschneidert war. Er beugte sich über ein Samtkissen, auf dem diverse Ringe und Broschen lagen, und musterte dieses Sortiment angelegentlich. Von Myladys und Parkers Eintritt ließ er sich nicht im geringsten stören. Gerade nahm er einen Ring zur Hand, hielt ihn gegen das Licht eines altertümlichen Kronleuchters und unterzog ihn einer eingehenden Prüfung. »Hm«, meinte er und legte ihn auf das Kissen zurück. »Was soll der kosten?«
»Zweitausend Pfund, Sir«, gab eine junge Frau in einem blauseidenen Kleid Auskunft. »Eigentlich hatte ich an etwas Gediegeneres gedacht«, stellte er in blasiertem Ton fest. »Wissen Sie, das ist doch wohl eher etwas für äh…gewöhnliche Leute, die sich zu irgendeinem Fest etwas Besseres gönnen wollen, finden Sie nicht auch?« »Wie Sie meinen, Sir.« Die Verkäuferin ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Und an welche Preislage denken Sie?« »Nun ja, so um die fünftausend Pfund dürften es schon sein«, gab er zurück und sah gespannt zu, wie die Verkäuferin ein neues Samtkissen auf die Theke legte. Lady Agatha wanderte langsam an den Ausstellungsvitrinen entlang. Während sie sich scheinbar intensiv mit den ausgestellten Schmuckstücken beschäftigte, stand Josuah Parker stocksteif und hochaufgerichtet in der Nähe des Eingangs, und zwar keineswegs zufällig. Sollte der frischgebackene Count of Farnborough den Laden verlassen wollen, ohne hierzu Myladys Einverständnis zu haben, konnte er ihn mühelos daran hindern. Die ältere Dame hatte ihren Rundgang beendet und wollte sich jetzt mit einigen Stücken näher befassen, die ihr aufgefallen waren. Dabei kam sie am Verkaufstresen vorbei und schien in diesem Augenblick den Count zu erkennen. »Nein, welche Überraschung!« rief sie aus und schritt auf den verdutzten Mann zu. Der sah sie aus großen Augen an und wußte offensichtlich nicht, was er mit Lady Agatha anfangen sollte. Josuah Parker beobachtete ihn genau. Noch ahnte der Mann mit dem Gesichtsausdruck eines hungrigen Fuchses nichts von seinem »Glück.« »Kennen wir uns?« fragte er mit unsicherer Stimme. »Aber ja, Sie sind doch der neue Count of Farnborough«, titulierte Mylady ihn. »Wir haben uns auf einer Gesellschaft von Sir Arthur kennengelernt«, flunkerte, sie ungeniert. »Ich bin Lady Agatha Simpson. Erinnern Sie sich jetzt?« »Nicht, daß ich wüßte, tut mir leid, Mylady.« Der Angesprochene lächelte verkrampft und wollte sich wieder den Schmuckstücken auf dem Tresen zuwenden. »Wenn Sie mich freundlicherweise entschuldigen würden, Mylady«, murmelte er. »Ich muß zu einem Geburtstag, und dazu brauche ich noch ein nettes Geschenk.«
»Dann haben Sie sich also endlich mit Sir Arthur arrangiert?« erkundigte sich die ältere Dame scheinbar arglos. »Wie meinen Sie das?« Der Count richtete sich auf und sah sie aus wachsamen Augen an. Es war nicht zu übersehen, daß sich seiner eine gewisse Nervosität bemächtigte. * Auch der distinguierte Gentleman im Cut und die Verkäuferin waren plötzlich hellwach. Zwar bemühten sie sich, neutral zu bleiben, aber Josuah Parker entging nicht ihr besonderes Interesse an dem Mann. »Was wollen Sie damit sagen?« verlangte der Count mit schriller Stimme von Lady Agatha zu wissen. »Aber mein lieber Freund, Sie regen sich doch nicht etwa über eine harmlose kleine Bemerkung auf?« flötete die ältere Dame. »Ich werde Ihnen nicht zu nahe treten, glauben Sie mir. Mir fiel nur der kleine Streit ein, den Sie mit Sir Arthur hatten, wegen Ihrem Wagen. Er steht ja direkt vor der Tür. Ist er inzwischen bezahlt? Sir Arthur wollte ja eigentlich nicht dafür aufkommen, nicht wahr?« »Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen, lassen Sie mich bitte in Ruhe«, knurrte Kelley nicht eben höflich und wandte sich ab. »Jaja, manchmal kann der gute Arthur ganz schön knickerig sein«, plauderte die ältere Dame munter weiter. »Soll ich vielleicht mal mit Lady Emma wegen Ihrer offenen Lieferantenrechnungen sprechen? Ich könnte mir vorstellen, daß sie mehr Verständnis dafür aufbringt, obwohl sie auch nicht gerade begeistert davon ist, daß ein Verwandter, der eigentlich gar keiner ist, sondern sich den Titel nur gekauft hat, den guten alten Namen ihrer Familie ausnutzt und Schulden macht!« »Sie…Sie!« Der Count wuchs vor Agatha Simpson in die Höhe und funkelte wütend mit den Augen. »Aber beruhigen Sie sich doch!« Lady Agatha war die Güte und das Verständnis in Person und lächelte. Josuah Parker trat etwas, vor und sah den jüngeren Mann fest an. »Sie sollten sich einer Dame gegenüber nicht so gehenlassen, wenn man sich diesen Hinweis erlauben darf, Sir.«
»Wer sind Sie denn, daß Sie mir Ratschläge geben?« fiel der Count immer mehr aus der Rolle. »Als Lakai haben Sie doch wohl den Mund zu halten, wenn Sie nicht ausdrücklich gefragt werden.« »Wagen Sie es nicht, so mit meinem Butler zu sprechen, junger Mann!« Lady Agathas Stimme grollte förmlich. Dann wurde sie umgehend wieder friedlich, zumindest scheinbar. »Ich werde Sie nicht vom Einkaufen abhalten, Sie haben es ja eilig, wie Sie sagten. Aber ob Sir Arthur diese Rechnung zahlt…also nach allem, was er mir vor einigen Tagen sagte, dürfte er in Zukunft nicht mehr für Ihre Ausgaben aufkommen, junger Mann. Er denkt sogar daran, einen entsprechenden Hinweis in den Zeitungen zu bringen, er hat bereits mit seinem Anwalt darüber gesprochen«, fügte Mylady ungeniert hinzu. »Nie und nimmer! Der hat viel zuviel Angst vor einem Skandal und will nicht, daß sein kostbarer Name in der Öffentlichkeit breitgetreten wird«, reagierte der Count gereizt. Der Herr im Cut und die junge Frau hinter dem Verkaufstresen folgten der peinlichen Unterhaltung mit Interesse, was natürlich ganz in Myladys Absicht lag. »Ich…äh…ich denke, ich überlege es mir noch mal«, murmelte Kelley dann an die Verkäuferin gewandt. »Ich bin mir gar nicht so sicher, ob die Dame überhaupt Schmuck mag. Es war nur so eine Idee von mir. Besser, ich frage sie, bevor ich viel Geld dafür ausgebe, nicht wahr?« Dann drehte er sich um und strebte eilig zur Tür. Agatha Simpson warf er zuvor noch einen haßerfüllten Blick zu. Der Mann im Cut riß die Tür auf und verbeugte sich, als Kelley an ihm vorbeirauschte. Als die Tür wieder zu war, wandte er sich sofort an die ältere Dame. »Verzeihen Sie, Mylady, aber ich hörte zufällig etwas von Ihrem Gespräch…gibt es wirklich Probleme mit den Einkäufen des Count?« »Nicht, wenn er bar zahlt, mein Lieber«, lächelte die Detektivin. * »Das war doch ein guter Schachzug, Mister Parker«, fand Agatha Simpson, als sie den Juwelierladen verlassen hatten. »Ich denke, ich habe die Farnboroughs vor großem Schaden bewahrt.«
»Davon dürfte auszugehen sein.« Josuah Parker sah, daß der Count einer nahen Telefonzelle zustrebte und entschuldigte sich bei seiner Herrin. Walter Kelley war so aufgebracht, daß er nicht mal den Versuch unternahm, sich nach eventuellen Verfolgern umzusehen. Er stürmte förmlich in das kleine Häuschen und merkte nicht mal, daß ihm der Butler auf dem Fuß folgte. Parker umrundete die Zelle und griff in eine der zahlreichen Innentaschen seines Covercoats und brachte eine Art Stethoskop zum Vorschein. Es war mit einem Gummisauger versehen, den er an die Rückwand des Telefonhäuschens preßte. Bei diesem Gerät handelte es sich um eine Eigenentwicklung, die mit einem hervorragenden Mikrophon und einem leistungsfähigen Empfänger versehen war. Aus den Hörern, die sich Parker in die Ohren gesteckt hatte, war klar und deutlich die Stimme des jungen Mannes zu vernehmen. »… nach Strich und Faden blamiert«, berichtete er aufgeregt. »Die verdammte Alte hat den ganzen Laden rebellisch gemacht, da kann ich mich nie mehr sehen lassen.« Dann sprach wohl der andere Teilnehmer, was der Butler natürlich nicht mitbekam. »Also gut, ich verlasse mich auf Sie«, gab der Count – inzwischen anscheinend etwas ruhiger geworden – zurück. »Aber sorgen Sie möglichst schnell dafür, daß die alte Fregatte kapiert, daß es ihr teuer zu stehen kommt, wenn sie uns weiter behelligt, sonst können wir nämlich das schöne Geschäft abschreiben.« Dann herrschte für Parker wieder einige Zeit Stille, bevor der Count sich verabschiedete. »Gut, bis dahin verhalte ich mich ruhig. Ich höre von Ihnen wieder, okay!« Der Hörer wurde schwungvoll aufgelegt, dann stürmte Walter Kelley alias Count of Farnborough aus der Zelle, überquerte die Straße und stieg in seinen Rover. »Nun, Mister Parker, was habe ich erfahren?« erkundigte sich die ältere Dame neugierig. »Man hat beschlossen, Mylady klarzumachen, gewisse Leute nicht zu behelligen, wie man sich ausdrückte«, berichtete der Butler. »Ohne jeden Zweifel hat Mister Kelley Hintermänner, für die er auf Rechnung Sir Arthurs einkauft. Daß seine Familie zusammengelegt hat, um Mister Wesley zur Adoption zu überreden, durfte
demnach eine Erklärung sein, die man in die Welt gesetzt hat, um vom wahren Sachverhalt abzulenken.« »Wer ist denn das schon wieder?« monierte die ältere Dame. »Dieser Bestley, meine ich.« »Mylady sprechen sicher von Mister Wesley«, korrigierte der Butler dezent. »Mister Albert Wesley ist der Cousin Sir Arthurs und hat Mister Walter Kelley adoptiert«, frischte er Agatha Simpsons Kenntnisse des Falles auf. »Ohne jeden Zweifel gegen Zahlung einer erklecklichen Summe.« »Die die Familie dieses angeblichen Counts aufgebracht hat«, fiel der Detektivin ein. »So lautet zumindest die offizielle Version, Mylady. Aber wie man bereits erwähnte, scheint es doch so zu sein, daß andere Herrschaften dahinterstecken. Mister Kelleys Telefonat dürfte dies ganz eindeutig beweisen.« »Und man will mich jetzt mundtot machen«, freute sich die resolute Dame. »Endlich kommt Bewegung in die Sache. Sie wissen, Mister Parker, ich schätze es nicht, auf irgendwelche Ereignisse warten zu müssen. Lieber unternehme ich selbst etwas.« »Was nur zu verständlich ist, Mylady.« »Also, was haben Sie mir zu bieten?« »Man könnte Mister Albert Wesley aufsuchen, der eine halbe Stunde Fahrt von hier entfernt wohnt. Zudem wird sich meine Wenigkeit bemühen, den Anschlußinhaber jener Nummer, die Mister Kelley eben anrief, zu ermitteln.« »Sie haben also schon die Nummer herausgefunden?« »Meine Wenigkeit glaubt es zumindest, Mylady.« Josuah Parker verfügte über ein exzellentes Gehör. Er war in der Lage, anhand des Geräusches der Wählscheibe eines Telefons die angewählte Nummer zu ermitteln. In diesem Fall hatte er sich zusätzlich noch rückversichert. Er hatte eine Stoppuhr, die in der Lage war, sogar Hundertstelsekunden anzuzeigen, zu Rate gezogen, als Walter Kelley seinen Gesprächspartner anwählte. Zusätzlich hatte er die ermittelten Zahlen noch mal überprüft, indem er selbst wählte und die Rücklaufzeit mit jener verglich, die er beim Wählen Kelleys ermittelt hatte. Die Zeiten waren absolut identisch, was bedeutete, daß er die richtige Nummer hatte.
* Der etwa sechzigjährige, weißhaarige Mann wirkte mürrisch. Er stand in der offenen Tür seiner Wohnung, die in einem desolat wirkenden Appartementhaus im Londoner Norden lag. »Ich kann auch hier im Treppenhaus sagen, was ich von Ihnen will«, grollte Mylady. »Wenn Sie unbedingt wünschen, daß es die Nachbarn mitbekommen…« »Ich habe nichts zu verbergen«, behauptete der Alte. Er trug eine fleckige, einst graue Hose, einen dunkelblauen Rollkragenpullover und Hausschuhe, bei denen sich an den Seiten die Zehen durchdrückten. »Meinen Sie? Ich möchte mich gern mit Ihnen über den jungen Mann unterhalten, den Sie adoptiert haben«, verriet Mylady ihm. »Was geht Sie das an?« Albert Wesley sah die ältere Dame noch einen Augenblick forschend an, dann wollte er schnell die Tür zuschlagen. Es blieb jedoch bei dem Versuch. Lady Agatha hatte seine Absicht geahnt und ihren nicht gerade kleinen Fuß in die Öffnung gestellt. Die Tür prallte dagegen, federte zurück und streifte den Wohnungsinhaber an der Schulter. »He, was soll das?« protestierte der Mann und trat unwillkürlich einen Schritt zurück. Mylady war entschlossen, setzte sich in Bewegung und stapfte in die Wohnung. Josuah Parker folgte ihr und schloß die Tür hinter sich. »Das ist Hausfriedensbruch«, kreischte der Wohnungsinhaber und funkelte seine ungebetenen Gäste wütend an. »Verschwinden Sie sofort, oder ich rufe die Polizei!« »Immer nur zu, junger Mann!« Lady Agatha lächelte den etwa Sechzigjährigen huldvoll an. »Dann erfahren die Behörden endlich, wie Sie schamlos einen Familientitel versilbert haben.« »Das geht niemanden etwas an, und illegal ist es schon gar nicht«, verwahrte sich Albert Wesley. »Man kann sich auch versündigen, ohne gegen Recht und Gesetz zu verstoßen. Es gibt schließlich auch ungeschriebene Gesetze.« Lady Agatha winkte ab. »Ungeschriebene Gesetze, daß ich nicht lache!« Der Wohnungsinhaber ließ ein trockenes Lachen hören. »Wenn es nach der Familie ginge, wäre ich längst verhungert. Was sollte ich denn machen?«
»Versuchen Sie nicht, Mitleid zu erregen, das zieht bei mir nicht«, erklärte Lady Agatha streng. »Aber es ist doch wahr!« jammerte Wesley. »Wie oft habe ich meinen Cousin um Hilfe gebeten, weil es mir schlecht ging. Und hat er mir geholfen? Er hat nicht im Traum daran gedacht. Sehen Sie sich doch um, lebt so ein Count of Farnborough, na, was meinen Sie?« »Was meine ich dazu, Mister Parker?« wandte sich Agatha Simpson an den Butler. »Die Lebensumstände Mister Wesleys sind in der Tat beklagenswert, Mylady«, fand Parker. »Na bitte, da hören Sie’s«, triumphierte Wesley. »Allerdings hat Mister Wesley einige wichtige Fakten zu erwähnen vergessen«, fuhr der Butler gemessen und würdevoll fort. »Zum Beispiel den Umstand, daß er zu seinem fünfundzwanzigsten Geburtstag die Verfügungsgewalt über ein Vermögen von damals rund fünfhunderttausend Pfund bekam, das bis dahin ein Anwalt treuhänderisch verwaltete. Von diesem – mit Verlaub – nicht unbeträchtlichen Wert war schon nach einigen Jahren nichts mehr übrig.« »Ich hatte Pech bei meinen Anlagen«, klagte Wesley. »Das kann jedem Menschen passieren.« »Wie meine Wenigkeit erfuhr, investieren Sie überwiegend in Pferdewetten und in den Besuch zweifelhafter Etablissements, Sir«, ließ sich Parker nicht beirren. »Das geht Sie doch gar nichts an, außerdem stimmte es so nicht«, schrie Wesley und rang die Hände. »Dennoch stellte Ihnen die Familie anschließend noch mal einen Betrag von hunderttausend Pfund zur Verfügung, damit Sie sich wirtschaftlich erholen konnten, um ein großes Restaurant zu übernehmen, Mister Wesley«, berichtete der bestens informierte Butler weiter. »Man bezahlte zudem Schulden in nicht unbeträchtlicher Höhe. Aber auch das Restaurant mußten Sie nach einem Jahr mit Verlust abstoßen.« »Man hat mich betrogen und bestohlen«, jammerte der Wohnungsinhaber. »Mein Personal hat mich schamlos ausgeplündert, und ich…« »Sie haben also erneut versagt, junger Mann«, resümierte die ältere Dame. »Finden Sie nicht, daß Ihre Familie genug für Sie getan hat?«
»Sie half ein drittes Mal aus, Mylady«, berichtete Josuah Parker weiter. »Nach dem Fiasko mit dem Restaurant schickte man Mister Wesley für drei Monate nach Übersee, danach übertrug man ihm eine verantwortliche Stellung in einem der Familienunternehmen.« »Da hatte ich doch nichts zu sagen, ich war nur eine Marionette. Ich mußte tun, was die anderen mir sagten, einschließlich eines arroganten Managers«, beschwerte sich Wesley. »Es handelte sich um eine Autovermietung mit Filialen in nahezu allen größeren Orten der Britischen Inseln, Mylady«, informierte Parker seine Herrin. »Mister Wesley saß in der Unternehmensführung und war für die Kontrolle der Filialen zuständig.« »Ich habe ordentliche Arbeit geleistet«, erklärte der Weißhaarige trotzig. »Sir Arthur war und ist da anderer Meinung, Sir«, wies der Butler ihn zurecht. »Während Ihrer Tätigkeit kam es immer wieder zu sogenannten Kassendifferenzen, und zwar jedesmal in der Filiale, die Sie gerade besucht hatten.« »Was wollen Sie damit sagen? Mann, ich verklage Sie wegen Rufschädigung«, kreischte Albert Wesley und sah den Butler haßerfüllt an. »Es steht Ihnen frei, diese Ankündigung in die Tat umzusetzen«, gab Josuah Parker kühl zurück. »Meine Wenigkeit darf aber daran erinnern, daß Sie seinerzeit eine Schuldanerkenntnis unterschrieben haben mit der Zusicherung, die Familie nie mehr in Verlegenheit zu bringen und auch keine Hilfe mehr in Anspruch zu nehmen.« »Arthur hat die Situation ausgenutzt und mich diesen Knebelbrief unterschreiben lassen«, wehrte der kleine Mann ab. »Gut, der Verdacht lag nahe, das gebe ich zu, aber ich war es nicht. Aber alles sprach gegen mich, deshalb habe ich unterschrieben.« »Sie sind wirklich zu bedauern, junger Mann«, spottete Agatha Simpson. »Nun aber zur Sache, erzählen Sie mir etwas über diese seltsame Adoption, und vergessen Sie bitte nichts dabei.« * »Sie haben sich Ihr Leben also selbst ruiniert, junger Mann«, stellte die ältere Dame in der ihr eigenen Offenheit abschließend
fest. »Ich erwarte nur noch Namen und Fakten. Nun reden Sie schon, meine Zeit ist knapp bemessen!« »Das geht Sie doch nichts an«, wehrte sich Wesley, sah in Myladys Augen und überlegte es sich anders. »Ich weiß wirklich nicht, was Sie von mir wollen, Sie wissen doch schon alles«, knurrte er. »Ich habe Walter Kelley adoptiert, okay, was ist schon dabei? Und für diese Gefälligkeit habe ich dreitausend Pfund bekommen.« »Der Betrag nimmt sich minimal aus, Sir, wenn Sie den Einwand gestatten«, bemerkte Josuah Parker, der die genannte Summe für falsch hielt. »Ich hatte einige Probleme mit gewissen Leuten«, räumte der Wohnungsinhaber ein. »Ich hatte Schulden, die ich schnell zurückzahlen mußte, wenn ich nicht gewisse Schwierigkeiten bekommen wollte. Deshalb war mir im Grund jeder Betrag recht, wenn er nur rechtzeitig ausgezahlt wurde. Und bei den dreitausend Pfund war das der Fall.« »Lassen wir die Höhe des Betrages mal beiseite, Mister Wesley«, schickte der Butler voraus. »Wie und wo lernten Sie Ihr Adoptivkind kennen, um Mister Kelley mal so zu nennen?« »Ich weiß wirklich nicht, warum ich Ihnen das alles erzählen soll«, sträubte sich der weißhaarige Mann erneut. »Man geht davon aus, daß auf Sie ein gewisser Druck ausgeübt wurde«, erwies sich der Butler als geschickter Psychologe. »Mylady ist sicher in der Lage, Ihnen zu helfen.« »Mir kann niemand helfen, ich kann nur den Mund halten und gute Miene zum bösen Spiel machen, das ist alles«, beklagte sich Wesley. »Die Leute, die da mit drinhängen, verstehen keinen Spaß, und ein bißchen länger möchte ich schon noch leben, können Sie mir glauben.« »Durchaus, Sir.« Lady Agatha wollte an dieser Stelle etwas sagen, schwieg aber, weil sich die Türglocke meldete. Der Wohnungsinhaber zuckte zusammen und sah ängstlich zum Eingang. Josuah Parker entging nicht die aufsteigende Panik im Blick des Mannes. »Sie erwarten keinen Besuch, Sir?« »Nein, ich…äh…nein, wahrscheinlich ist das nur einer dieser Werbezettelverteiler, die ins Haus wollen«, stammelte Wesley. »Sie brauchen ihn ja nicht hereinzulassen«, schlug Mylady vor. Die Klingel schrillte erneut und diesmal wesentlich länger. Albert Wesley schien sich verkriechen zu wollen.
»Meine Wenigkeit bot Ihnen bereits Myladys Hilfe an«, erinnerte Josuah Parker ihn. »Geht man recht in der Annahme, daß man Sie bereits telefonisch vor Mylady gewarnt hat?« »Ja, gestern abend…Sie waren da auf einer Gesellschaft, und da fiel auch mein Name«, stammelte der weißhaarige Mann. »Es könnte sein, daß Sie mich besuchen und ausfragen wollen, aber ich sollte Sie nicht reinlassen und gleich wieder abwimmeln.« »Meinen Sie, es sind die Lümmel, die hinter den Titelverkäufen stehen, Mister Parker?.« »Durchaus möglich, Mylady. Nachdem man mit Mister Kelley sprach, könnte der Titelhändler in Sorge sein und dürfte jetzt seine Reihen schließen wollen.« »Sie haben mit Kelley…ich meine, mit Walter gesprochen?« Wesley sah sie aus großen Augen an. »Ich habe heute morgen verhindert, daß er den guten Namen Farnborough erneut mißbraucht und wieder auf Rechnung einkauft«, erklärte die ältere Dame und lächelte. »Der Lümmel war ganz schön geknickt, als er unverrichteter Dinge wieder abziehen mußte.« »Sie wissen ja nicht, auf was Sie sich da eingelassen haben.« Der Weißhaarige sah aus, als würde er jeden Augenblick in Tränen ausbrechen, zumal sich die Klingel erneut meldete. »Sie sollten öffnen, um sich Klarheit zu verschaffen, Sir«, riet Parker ihm. »Mylady und meine Wenigkeit könnten sich in einem Nebenraum verbergen und bei Bedarf eingreifen. Sie dürfen versichert sein, daß Ihnen nichts geschieht.« »Daß ich nicht lache, Sie kennen diese Leute nicht! Und selbst wenn, die kommen doch wieder oder schicken andere, ich kann mich doch nicht für den Rest meines Lebens verstecken.« »Das brauchen Sie auch nicht, mein Lieber, dafür sorge ich schon«, versprach die energische Dame. »Fragen Sie Mister Parker, ich habe schon manchem Verirrten wieder ins reguläre Leben verholfen!« »Da drüben die Tür, die geht ins Schlafzimmer«, informierte Wesley sie mit resignierender Stimme. »Ich habe keine Wahl, rein kommen die auf jeden Fall.« »Sie werden Ihren Entschluß nicht zu bereuen haben, Sir«, versicherte der Butler ihm und verfügte sich mit seiner Herrin in den angegebenen Raum, der nicht sehr einladend und sauber aussah.
Wenig später war zu hören, wie die Wohnungstür geöffnet wurde. Die Besucher hatten es anscheinend sehr eilig. »Verdammt, warum haben Sie so lange gebraucht?« wollte eine barsche Stimme wissen. »Wir haben uns die Beine in den Bauch gestanden.« »Ich… ich habe geschlafen«, behauptete Wesley mit weinerlicher Stimme. »Was gibt es denn? Was wollen Sie von mir?« »Erst mal ‘nen Drink, Mann«, forderte der mit der barschen Stimme. Den Geräuschen nach zu urteilen, handelte es sich um zwei Personen, die kamen und Sessel in Besitz nahmen. Dann war das Klirren von Glas zu hören. »Ah, das tut gut«, verkündete die barsche Stimme. »Na, wie geht’s denn so, Wesley?« »Wie immer. Warum fragen Sie?« »Nur so, das heißt, ganz stimmt das nicht. Ihr Befinden könnte sich ändern, und zwar dann, wenn Sie sich nicht an unsere Abmachungen halten.« »Ich weiß nicht, was Sie meinen«, schien Wesley irritiert. »Wir haben Sie gestern angerufen wegen ‘nem angejahrten Pärchen, erinnern Sie sich? Die beiden haben heute morgen Ihrem neuen äh…Sohn auf die Füße getreten, und es ist anzunehmen, daß sie auch irgendwann hier auftauchen. Um genau zu sein, in nächster Zeit. Wir haben uns über die beiden erkundigt, die sollen verdammt hartnäckig sein, wenn sie sich in eine Sache verbissen haben.« »Ich verstehe nicht, was die von mir wollen können«, stellte sich Wesley dumm. »Ich habe ihnen nichts zu sagen, meine Familienbelange gehen niemand etwas an.« »Das sollten Sie nie vergessen, Kumpel, sonst gibt’s mächtigen Ärger«, riet der Barsche. »Obwohl Sie nichts zu verbergen haben. Aber trotzdem, es gibt Dinge, die gehen Außenstehende nichts an, okay?« »Ja, natürlich, außerdem waren wir uns doch einig, daß ich kein Wort über die Adoption verlauten lasse.« Im Verlauf der Unterhaltung wurde die Stimme Wesleys fester, wie der Butler beiläufig registrierte. »Gut so, dann scheint ja alles in Ordnung zu sein.« Aus der barschen Stimme klangen Zustimmung und Befriedigung. Dann wurde ein Glas hart abgestellt, wie deutlich zu hören war.
»Der Chef legt allerdings Wert auf eine gewisse Sicherheit«, fuhr der Barsche fort. Gleichzeitig war zu hören, wie ein Möbelstück beiseite geschoben wurde. »Sie sind kein starker Mann, Kumpel, man kann Sie leicht einschüchtern, meint der Chef. Und er meint auch, wir sollten Ihnen klarmachen, was passiert, wenn Sie nicht den Mund halten.« »Was…was meinen Sie damit?« Wesleys Sicherheit war wieder verschwunden und machte der Furcht Platz. »Aber, mein Lieber, das ahnen Sie doch längst«, höhnte die barsche Stimme. »Wir sollen Ihnen ‘ne kleine Abreibung verpassen, als Erinnerung an Ihre Pflichten, verstehen Sie? Keine Angst, wir brechen Ihnen nichts, und es ist schnell vorbei, wir sind Profis!« * Der Mann paßte zu seiner Stimme. Er war groß und massig gebaut, verfügte über einen Stiernacken und breite Schultern und hatte Arme, die den Umfang von Oberschenkeln hatten. Durch seine spiegelnde Glatze und den herabhängenden DschingisKhan-Bart sah er direkt bedrohlich aus. Sein Begleiter war genau das Gegenteil. Er war dürr und hochaufgeschossen und schien nur aus Haut und Knochen zu bestehen. Er folgte dem Kollegen auf dem Fuß und sah sich gleichfalls suchend um, wobei er ein sardonisches Grinsen zeigte. Dann entdeckten die beiden Schläger das ältere Paar. Der Massige blieb abrupt stehen, verschränkte die Arme vor der Brust und kniff die Augen zusammen, um die ältere Dame und den Butler eingehend zu mustern. »Wen haben wir denn da?« knurrte er wie überrascht. »Wenn das nicht die Typen sind, vor denen wir warnen«, stellte der Dürre fest. »Sie haben die Ehre und den Vorzug, sich Lady Agatha Simpson gegenüberzusehen«, reagierte der Butler gemessen und würdevoll. »Meine Wenigkeit hört auf den Namen Parker – Josuah Parker – und steht Myladys Haus als Butler vor. Darf man sich nach Ihren Namen erkundigen?« »Die sind ohne Bedeutung«, gab der Massige zurück. »Wichtig ist nur, was wir hier tun.«
»Der Mann hat recht, Mister Parker«, fand Mylady. »Bei Handlangern sind die Namen wirklich unwichtig. Und was sie hier wollen, weiß ich genau. Ich weiß aber auch, daß sie nicht dazu kommen.« »Wollen Sie uns etwa daran hindern?« amüsierte sich der Massige, nahm die Arme herunter und ließ die Fingergelenke knacken. »Aber ja, mein Bester, oder halten Sie das etwa für ein Problem?« »Allerdings.« Der Stiernackige grinste. »Sie beide lasse ich am ausgestreckten Arm verhungern, obwohl ich mich dabei amüsieren werde. Wer befaßt sich schon gern mit Mumien?« »Sie haben ein ungezügeltes Mundwerk, junger Mann«, grollte die ältere Dame. »Ihr Umgangston läßt sehr zu wünschen übrig«, fand auch Josuah Parker. »Naja, jeder so, wie er kann. Ich komme nun mal nicht aus Ihren Kreisen«, meinte der Riese ungerührt und sah dann den weißhaarigen Albert Wesley an, der sich in eine Ecke gedrückt hatte und zitternd der Unterhaltung folgte. »Sie haben uns nicht gesagt, daß Sie schon Besuch haben, Albert, das ist ein großer Vertrauensbruch«, drohte der Stiernackige. »Ja aber, ich kann doch nichts dafür, die beiden standen auf einmal vor meiner Tür, und da…« »Und da haben Sie sie reingelassen und wahrscheinlich geredet wie ein Wasserfall«, unterbrach der dürre Mann ihn grob. »Mein lieber Freund, das wird teuer für Sie. Wie lange möchten Sie denn im Krankenhaus liegen?« »Ich… ich…« Albert Wesley schien förmlich zu verschmachten und sah sich gehetzt nach einer Fluchtmöglichkeit um. »Sie sollten sich nicht unnötig ängstigen, Sir«, riet Josuah Parker ihm ruhig. »Falls man mit einem vielzitierten Sprichwort dienen darf, so möchte meine Wenigkeit darauf verweisen, daß Hunde, die bellen, nicht beißen.« »Ach nee, so schätzen Sie uns also ein, Alterchen?« höhnte der Stiernackige. »Entweder sind Sie blind, oder Sie haben keine Menschenkenntnis. Oder es trifft auf Sie gleich beides zu.« »Nichts von alledem, Mister«, erwiderte der Butler gemessen und würdevoll. »Bis jetzt beschränkten Sie sich auf Drohungen. Den Beweis, daß Sie zu Taten fähig sind, sind Sie noch schuldig.«
»Nun hör dir das an, Jay.« Der Massige sah seinen Kumpan überrascht an. »Der alte Herr schwingt große Reden und scheint gar keine Angst zu haben. Wie findest du das?« »Vielleicht ist er lebensmüde?« schlug der Angesprochene vor und lachte zynisch. »Halten Sie hier nur Volksreden oder passiert mal was?« beschwerte sich Mylady. »Ich beginne mich zu langweilen, also bitte!« »Die abgetakelte Fregatte also auch«, meinte da der Dürre und schüttelte ungläubig den Kopf. »Das sehe ich mir nicht mehr länger an!« Lady Agatha stapfte entschlossen auf den Massigen zu. Der Mann sah ihr respektvoll entgegen. Einen Augenblick später schrie er laut. Myladys Fuß war vorgeschnellt und hatte sein Schienbein touchiert. Er massierte die getroffene Stelle hingebungsvoll. »Was haben Sie denn?« erkundigte sich Lady Agatha anteilnehmend. »Sie…Sie, das wird Ihnen gleich leid tun«, versprach der Massige und funkelte wütend mit den Augen. »Dann unternehmen Sie endlich etwas«, forderte die Detektivin erneut und sah ihn abwartend an. »Also Mut hat sie ja«, fand der Dürre und musterte sein Gegenüber mit einem Anflug von Respekt. »Das wird aber nichts nützen.« Der Stiernackige faßte die ältere Dame dabei scharf ins Auge, streckte die Arme vor und setzte sich in Bewegung. »Jetzt erleben Sie gleich Ihr blaues Wunder«, versprach er und grinste. »Wirklich?« Lady Agatha wich etwas zurück, was ihr Angreifer als Fluchtabsicht mißverstand. Die resolute Dame wollte sich indes nur Platz verschaffen, um ihren Pompadour schwingen zu können. Der recht altmodisch anmutende Handbeutel enthielt Myladys sogenannten Glücksbringer, nämlich ein veritables Hufeisen, das aus humanitären Gründen oberflächlich mit einer dünnen Schicht Schaumstoff umwickelt war. Schon so mancher Ganove hatte erlebt, daß der Glücksbringer nicht jedem Glück brachte, vor allem nicht jenen Unglücklichen, die davon getroffen wurden. »Na, Sie sagen ja gar nichts mehr«, lästerte der Stiernackige. »Jetzt merken Sie wohl, wie die Hasen laufen?«
»Werden Sie nicht albern, junger Mann, ich brauche Platz«, konterte die Detektivin, schlenkerte den Handbeutel an den langen Ledernden durch die Luft und ließ dann los. Der schwergewichtige Pompadour zischte zielstrebig auf den Gegner zu und grub sich hingebungsvoll in seinen Solarplexus. Pfeifend entwich dem Kann die Atemluft. Er knickte zusammen, riß den Mund auf und röchelte? Dann taumelte er rückwärts, stieß mit den Kniekehlen gegen das breite Doppelbett und ließ sich dort nieder. »Sind Sie schon müde, Sie Subjekt?« erkundigte sich Agatha Simpson spöttisch, während sie von Parker den Handbeutel entgegennahm. Der Massige war im Moment zu keiner Antwort fähig. Er ließ sich auf den Rücken fallen, japste und keuchte immer noch und hatte anscheinend Mühe, die dringend benötigte Luft in der erforderlichen Menge einzuatmen. »Das kommt davon, wenn man sich mit einer – wie sagten Sie: getakelten Fregatte? – anlegt«, kommentierte Mylady süffisant. »Ich hoffe, das ist Ihnen eine Lehre, Sie Lümmel!« »Das gibt’s doch wohl nicht.« Der dürre Kumpan des Ausgeschalteten rieb sich die Augen und starrte verdutzt auf seinen ohnmächtigen Kollegen. Dann huschte seine rechte Hand unter die kurze Lederjacke und kam mit einer wippenden Stahlrute wieder zum Vorschein. »Wenn Mylady gestatten?« bat der Butler und schob sich vor seine Herrin. »Aha, Sie wollen also die Prügel für Ihre Chefin einstecken«, höhnte der Dürre und schlug zu. Es blieb allerdings bei dem Versuch. Die Stahlrute prallte gegen Parkers Schirmstock, der plötzlich in Kendomanier quer in der Luft, lag und die »Waffe« zurückfedern ließ. * »Sie sollten unbedingt Ihren Kampfstil verbessern, Mister«, riet Josuah Parker dem dürren Schläger. »Sie…Sie…!« Der hochaufgeschossene Mann wich zurück, sammelte sich und drang erneut auf den Butler ein. Er schlug wütend um sich und schien Parker prügeln zu wollen. Aber er traf nicht.
Der Butler verlor keinen Augenblick seine gewohnte Würde und konterte elegant. Sein Schirmstock schien überall zu sein. Wohin auch immer die Stahlrute hieb, traf sie auf Gegenwehr und wurde zurückgeworfen. Der Dürre atmete heftig. Er war zurückgewichen, pumpte die Luft förmlich in sich hinein und sah den Butler aus blutunterlaufenen Augen an. »Jetzt mach’ ich dich fertig, Opa, verlaß dich drauf!« keuchte er. »Wie Sie meinen, Mister«, blieb der Butler die Ruhe in Person. »Sind Sie überzeugt, daß Sie Ihre Ankündigung in die Tat umsetzen können?« »Halten Sie sich bitte etwas zurück, Mister Parker, Sie sehen doch, der Mann kann nicht mehr so recht«, mischte sich Mylady ein. »Was?« Der Dürre sprang, wie von einem Katapult geschnellt, los und warf sich wieder auf Josuah Parker, Der Butler stand natürlich längst nicht mehr an seinem Platz. Er war elegant ausgewichen und klopfte, als der Dürre an ihm vorbeisegelte, mit dem bleigefüllten Bambusgriff seines Schirmes auf jene Hand, die die Stahlrute hielt. Lärmend landete das tückische Schlaginstrument auf dem Boden. Mylady, vor deren Füßen es aufschlug, kickte es rasch unter das breite Bett. »Das sind ja Anfänger, Mister Parker«, äußerte die ältere Dame unwirsch. »Wie kann man nur solche Leute schicken? Das gehört sich doch nicht!« »Es ist außerordentlich bedauerlich, daß der Gangsternachwuchs Mylady nicht genügt«, sagte der Butler mit leichter Ironie und deutete eine Verbeugung an. »Man kann dies nur als grobe Mißachtung Mylady gegenüber deuten.« Parker drehte sich um und ließ den Schirmgriff auf die Stirn des Dürren fallen, der sich gerade von hinten an ihn heranschleichen wollte. Daraufhin gab der Mann einen tiefen Seufzer von sich, vergaß seine fiese Absicht und fiel auf das Bett, von dem sich gerade sein Komplice erheben wollte. Der Stiernackige wurde solcherart am Aufstehen gehindert. Fluchend wälzte er den Kollegen von sich und sprang dann auf die Füße. Er stieß sich ab und flog auf die ältere Dame zu. Aber er kam nicht weit und wurde abrupt gestoppt. Parkers Schirmgriff hatte ihn jäh gestoppt.
Wieder wurde ihm die Luft knapp, und er lief rot an. »Sie sollten sich nicht unnötig echauffieren, Mister, und vor allem nachdenken, bevor Sie aktiv werden«, riet der Butler ihm. »Auf diese Weise dürften Sie sich die eine oder andere schlechte Erfahrung sparen.« »Wollte der Lümmel mich etwa angreifen, Mister Parker?« Lady Agatha trat vor, baute sich vor dem Stiernackigen auf und musterte ihn grimmig. »Überhaupt, Sie Subjekt, wie haben Sie mich vorhin genannt? Abgetakelte Fregatte?« Sie griff herzhaft zu, erfaßte sein linkes Ohrläppchen und zerrte heftig daran. Sein Besitzer heulte daraufhin laut. »Nun haben Sie sich nicht so«, herrschte die resolute Dame ihn an. »Wer mich beleidigt, muß etwas einstecken können.« »Lassen Sie mich bitte los«, flehte der Massige, taumelte zurück und fiel erneut auf das Bett, Josuah Parker war der Meinung, daß es genug der Aktivitäten war. Er griff unter seine Melone und brachte dünne Plastikfesseln zum Vorschein, mit denen er die Hand-, und Fußgelenke der beiden Schläger versah. So dünn und unscheinbar diese Fesseln auch aussahen, so wirkungsvoll und widerstandsfähig waren sie. Zudem zogen sie sich um, so enger zusammen, je heftiger man an ihnen zerrte. Der kleine, weißhaarige Albert Wesley hatte die Auseinandersetzung aus weit aufgerissenen Augen verfolgt. Er konnte und wollte nicht glauben, was er sah. Als die beiden Schläger gefesselt auf dem Bett lagen, schüttelte er den Kopf und rieb sich die Augen. »Sie sehen also, es gibt keinen Grund, vor solchen Schurken Angst zu haben«, bemerkte die ältere Dame. »Die taugen nicht mal dazu, einer sanftmütigen Lady Angst einzujagen, finden Sie nicht auch?« »Äh, ja…also, wenn Sie meinen«, stotterte Wesley und sah die ältere Dame scheu an. »Also ehrlich, das hätte ich nie für möglich gehalten.« »Diese Lümmel waren keine Gegner, mein Lieber!« informierte Mylady ihn. »Nun ja, man muß sich bescheiden. Welcher Ganove kann sich schon ernsthaft mit mir messen?« »Niemand aus Gangsterkreisen, Mylady, um der Wahrheit die Ehre zu geben«, lobte der Butler ungeniert. »Sehr richtig, Mister Parker, das haben Sie schön gesagt.« Lady Agatha gab einen tiefen Seufzer von sich. »Ich könnte jetzt eine
kleine Erfrischung brauchen. Was können Sie mir anbieten, junger Mann?« wandte sie sich an den Wohnungsinhaber. »Vielleicht Mineralwasser?« schlug der Mann vor. »Ich muß doch sehr bitten!« Lady Agatha sah den kleinen Mann vorwurfsvoll an. »Haben Sie keinen trinkbaren Cognac oder Gin da? Oder etwas anderes in dieser Richtung?« »Oh ja, natürlich, entschuldigen Sie. Ich komme sofort«, dienerte der kleine Mann und verschwand im Wohnzimmer. Das skurrile Paar folgte ihm. »Was fange ich nun mit diesem Lümmel an, Mister Parker?« wollte Mylady von ihrem Butler wissen. »Er kann wohl nicht hier bleiben, nicht wahr?« »Keineswegs und mitnichten, Mylady. Man sollte Mister Wesley auf dem flachen Lande unterbringen.« »Ich muß mich also wieder mal als Gastgeberin betätigen«, seufzte sie und nahm von Albert Wesley eine Erfrischung entgegen. »Sagen Sie, mein Bester, haben Sie schon das ganze Geld, das Sie für die Adoption erhielten, ausgegeben?« »Nicht ganz, warum?« gab der Mann zurück und sah sie verständnislos an. »Dann ist es gut.« Agatha Simpson atmete auf. »Ich werde Sie auf einem meiner Landsitze unterbringen, bis der Fall geklärt ist, aber ich werde Ihnen die Kosten natürlich in Rechnung stellen«, erklärte sie. »Als Witwe muß ich mit jedem Penny rechnen, ich habe nichts zu verschenken.« »Landsitz? Meinen Sie, die finden mich da nicht?« »Sie sollten sich darüber keine Gedanken machen, Sir«, riet der Butler. »Sie sind dort in Sicherheit, zumal Sie auch noch zusätzlich bewacht werden. Im übrigen wird Mylady nicht lange brauchen, um den Titelhändler und seine Helfershelfer zu stellen und hinter Gitter zu bringen.« »Na ja, wenn ich daran denke, wie Sie die beiden Schläger ausgeschaltet haben…« Der kleine Mann nickte nachdenklich. »Das ist kein Maßstab, diese Lümmel waren keine Gegner«, winkte die energische Dame ab. »Aber Sie sind uns noch Informationen schuldig. Wir müssen uns noch ausführlich unterhalten. Und ich hoffe, Sie haben mir etwas Neues zu sagen, nicht, daß die ganze Mühe umsonst war.« »Tja, also, ich weiß ja nicht, was Sie schon wissen, Mylady.« »Das ist nicht Ihr Problem«, entgegnete die Detektivin. »Mister Parker, was fange ich nun mit diesen beiden Subjekten an?«
»Man sollte sie auf jeden Fall aus dem sogenannten Verkehr ziehen, Mylady«, schlug Josuah Parker gemessen und würdevoll vor. »Daran dachte ich auch«, stimmte sie ihm zu. »Aber damit wir uns nicht mißverstehen, Mister Parker, ich habe nicht die Absicht, die Strolche in meinem Haus einzuquartieren.« »Meine Wenigkeit ist überzeugt, dies vermeiden zu können«, versicherte der Butler. »Wenn Mylady gestatten, wird man ein Telefonat führen, das Entsprechendes veranlaßt.« »Tun Sie das, Mister Parker.« Lady Agatha nickte ihm huldvoll zu. Der Butler schritt zum Telefon und wählte eine Nummer, die er auswendig kannte. Nach dem dritten Klingelzeichen wurde auf der anderen Seite abgenommen. »Guten Tag, Mister Pickett, hier spricht Josuah Parker«, meldete er sich. »Dürfte man wieder mal Ihre geschätzte Hilfe in Anspruch nehmen?« * Horace Pickett, sechzig, schlank und hochgewachsen, erinnerte mit seinem militärisch kurzgeschnittenen Haar, dem akkurat gestutzten Schnauzbart, seinem Trenchcoat und dem Pepitahut an einen pensionierten Kolonialoffizier. Niemand, der ihn sah und nicht kannte, hätte vermutet, daß er noch vor einigen Jahren der ungekrönte König der Londoner Taschendiebe war. Picketts »Jagdrevier« war damals der internationale Flughafen Heathrow. Hier erleichterte er aber nur solche Mitbürger, die sich vom äußeren Anschein her einen Verlust durchaus leisten konnten, um ihre Brieftaschen, was er ein wenig beschönigend »Eigentumsumverteilung« nannte. Dann aber beging er einen verhängnisvollen Irrtum und umverteilte die Brieftasche eines Mafiosi in seine eigene Tasche, was dieser ausgesprochen übelnahm. Er hetzte seine Killer auf Pickett, und dieser hatte es Josuah Parker zu verdanken, daß er mit dem Leben davonkam. Seitdem wandelte er auf der Seite des Gesetzes, der Butler hatte ihn hierzu überredet. Horace Pickett rechnete es sich zur Ehre an, Mylady und dem Butler bei ihren Fällen behilflich zu sein. Nach wie vor verfügte er über exzellente Kenntnisse der Londoner Unterwelt und pflegte beste Beziehungen in dieser Richtung. Er
hatte mit seinem kriminellen »Know-how« schon so manchen wertvollen Beitrag geleistet. Hinzu kam, daß er ausgezeichnet observierte und verfolgte. »Ich freue mich, Sie wiederzusehen, Mylady«, begrüßte er die ältere Dame galant und applizierte einen formvollendeten Handkuß. »Ganz meinerseits, mein Lieber.« Agatha Simpson schätzte den ehemaligen Eigentumsumverteiler sehr. Vor allem seine Manieren taten es ihr an. »Haben Sie besondere Wünsche, was die Unterbringung der Kerle angeht?« erkundigte er sich bei Josuah Parker. »Das steht ganz in Ihrem Ermessen. Die Herren sollen Mylady nur später zu einem kleinen Gedankenaustausch zur Verfügung stehen, Mister Pickett.« »Dann können sie also auch außerhalb Londons untergebracht werden? Ich habe da einen ruhigen Platz im Auge, einsam und abgelegen, aber dennoch relativ schnell von der City erreichbar, Mister Parker.« »Meine Wenigkeit verläßt sich wie gewohnt voll und ganz auf Sie, Mister Pickett.« »Vielen Dank, Mister Parker. Es handelt sich um eine ehemalige Farm, die ein Freund von mir gekauft hat, der das hektische Großstadtleben nicht mehr ertrug. Aber ein wenig Abwechslung weiß er trotzdem zu schätzen.« »Er sollte wissen, daß er damit ein gewisses Risiko eingeht, Mister Pickett«, zeigte sich Parker um diesen Freund besorgt. »Selbstverständlich, Mister Parker. Aber machen Sie sich um ihn keine Gedanken, er weiß sich seiner Haut zu wehren. Er hat seine Brötchen auch nicht gerade auf ruhige Art und Weise verdient.« »Wie Sie zu meinen belieben, Mister Pickett.« Josuah Parker nickte freundlich. »Na, dann wollen wir mal.« Horace Pickett hatte sich einige Helfer mitgebracht, die er seine »Neffen« nannte. Dabei handelte es sich um jüngere Männer, die ihm vertrauten und gern für ihn tätig wurden. Auf diese Weise hatten sich die Neffen auch schon des öfteren für Mylady und den Butler eingesetzt. »Wenn man Sie bitten darf, sich zu erheben, Mister?« wandte sich Parker an den Massigen, der sich anscheinend entschlossen hatte, nicht mehr mitzuspielen.
»Ich denke nicht daran«, lachte er hämisch. »Wenn ihr was von mir wollt, müßt ihr euch schon selbst bemühen.« »Ach ja?« Lady Agatha sah ihn animiert an und nestelte an ihrem Haarknoten. Als ihre Hand mit einer Haarnadel zum Vorschein kam, wurde der Massige mißtrauisch. »Was haben Sie vor?« erkundigte er sich. »Was schon? Sie auf die Beine bringen, junger Mann!« Lady Agatha fuhr mit dem Daumen über die Spitze der Nadel und fand sie brauchbar. Diese Nadel wirkte übrigens sehr imposant. Sie hatte die Ausmaße eines kleinen Bratspießes und sah so aus, als könne sie das Bratgut für eine mittlere Familie aufnehmen. Was dem Stiernackigen natürlich nicht entging. Er wurde unruhig, wie deutlich zu sehen war. Lady Agatha beugte sich vor und wollte die Spitze der Nadel zum Einsatz bringen. Der Massige stieß einen Schrei aus und sprang wie von der Tarantel gestochen in die Höhe. »Sind Sie von allen guten Geistern verlassen?« brüllte er. »Nein, aber Sie«, erwiderte die ältere Dame gelassen. »Gehen Sie nun freiwillig, oder muß ich nachhelfen?« »Was sind denn das für Methoden?« beschwerte sich der Stiernackige und schielte unruhig nach der Nadel in Myladys Hand. »So geht das doch nicht. Es gibt doch auch Spielregeln. Wissen Sie das nicht?« »Meinen Sie? Geben Sie sich da keinen Illusionen hin, mein Lieber«, warnte Mylady ihn und schwenkte die Nadel unternehmungslustig in der Luft. * »Was habe ich nun erfahren, Mister Parker?« erkundigte sich Lady Agatha, als Horace Pickett und seine Helfer die Ganoven verladen und abtransportiert hatten. »Man kennt inzwischen den Namen des Titelhändlers, Mylady«, gab der Butler gemessen und würdevoll zurück. »Er lautet Frank Willis. Auch die Adresse des Herrn ist bekannt.« »Ich weiß, ich weiß. Aber stimmen die Angaben auch, Mister Parker, und wenn, meinen Sie wirklich, dieser Philips ist der Mann im Hintergrund?«
»Mister Frank Willis, Mylady«, korrigierte Parker dezent, »dürfte nur die berühmte vorgeschobenen Figur sein, hinter der sich der eigentliche Drahtzieher verbirgt.« »Das meine ich ja auch.« Lady Agatha nickte nachdenklich. »Trotzdem werde ich diesen Lümmel aufsuchen und ihm gehörig die Meinung sagen. Und was habe ich noch erfahren?« »Es gibt noch – mit Verlaub – andere Titelkäufer, die dies auf Veranlassung von Mister Willis wurden«, berichtete der Butler weiter. »Auch der Kontakt zu adeligen Mitmenschen, denen man eine Abtretung ihres Titels zutraut, wurde durch Mister Willis und seine Mitarbeiter hergestellt.« »Dahinter stecken wohl Wirtschaftsdelikte im großen Stil, Mister Parker«, stellte die ältere Dame fest. »Man verschafft sich angesehene Titel und mißbraucht sie, indem man auf Rechnung einkauft und dann nicht bezahlt.« »Anfangs bezahlt man durchaus, Mylady, um ein gewisses Vertrauensverhältnis zu schaffen«, glaubte Parker. »Das trifft natürlich nur auf kleine und Lieferungen von geringem Wert zu. Später werden sie dann immer größer und wertvoller, aber dann denkt man nicht mehr an die Regulierung von Rechnungen. Ein Verfahren, das übrigens nicht neu ist. Wirtschaftskriminelle in aller Welt wenden die Methode immer wieder an.« »Aber nicht, wenn ich davon weiß, Mister Parker«, sagte die Detektivin mit Entschiedenheit. »Ich fahre jetzt also zu diesem Mister…?« »Mylady denken an Mister Frank Willis?« »Ja, natürlich, an wen denn sonst?« meinte sie ein. wenig unwirsch. Sie hatte es nicht gern, wenn ihr gewisse Schwächen unterliefen, und ihr Namensgedächtnis gehörte nun mal dazu. »Mylady könnten Interesse an einem akademischen Grad bekunden«, schlug der Butler vor. »Meinen Sie, das nimmt mir dieser Lümmel ab? Sie haben doch gehört, die Gangster wußten genau, wer ich bin und wie ich aussehe, Mister Parker!« »Es geht im Grund auch nur darum, sich ein Entree zu verschaffen, Mylady. Mister Willis unterhält sicher aus Gründen der Repräsentation ein Sekretariat.« »Das nicht über seine Machenschaften Bescheid weiß?« zweifelte sie.
»Es wäre durchaus möglich, Mylady«, erwiderte Parker. »Wie Mylady wissen, betreiben Kriminelle nach außen hin mitunter seriös aufgemachte Firmen, die über reguläre Mitarbeiter verfügen.« »Das stimmt natürlich.« Lady Agatha nickte. Sie wollte noch etwas hinzufügen, wurde aber durch das Läuten des Telefons abgehalten. »Wer könnte das sein, Mister Parker?« überlegte sie. »Ob das dieser Lümmel ist, der sich bei seinen Leuten erkundigen will, wie ihr Besuch ausgefallen ist?« »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Mylady.« Josuah Parker begab sich gemessen und würdevoll zum Telefon und hob ab. Auch der Butler verfügte über schauspielerisches Talent und die Gabe, Stimmen bis zu einem gewissen Grad zu imitieren. Er meldete sich mit einem knappen. »Ja, hallo?« und ahmte dabei den Wohnungsinhaber nach. »Sie, Wesley?« erkundigte sich feine tiefe, männliche Stimme mit einem deutlichen Unterton von Überraschung. »Das ist mein Anschluß«, sagte Parker und wiederholte die Nummer, die auf dem Apparat vermerkt war. »Ja, ja, natürlich…« Der Anrufer schwieg einen Augenblick, dann räusperte er sich und sprach weiter. »Hören Sie, Wesley, zwei von meinen Leuten müßten gleich bei Ihnen sein, das heißt, eigentlich hätten Sie längst da sein müssen…Na, egal, dann kommen sie eben noch. Die haben Ihnen etwas Wichtiges mitzuteilen. Hören Sie gut zu und halten Sie sich daran! Haben Sie verstanden?« »Ja, natürlich, war ja wohl nicht schwer«, gab Parker im WesleyTon zurück und legte auf. * Das Gebäude befand sich in exzellenter Lage in South Kensington. Die Miete mußte den Titelhändler monatlich ein kleines Vermögen kosten. »Vornehm, vornehm«, kommentierte Mylady. »Nun ja, wenn man davon lebt, anderen Leuten auf unreelle Weise das Geld abzunehmen.« »Was Mylady jedoch bald unterbinden werden«, kündigte der Butler an und hielt nach einem Parkplatz Ausschau.
Die Häuser in dieser Gegend lagen alle ein wenig von der Straße zurück, inmitten wohlgepflegter Rasenflächen, Blumenrabatten sowie Baumund Buschbeständen. Selbst die Mietobjekte präsentierten sich auf diese Weise. Willis’ Büro lag in einer dreistöckigen, stuckbeladenen Villa, die erst kürzlich einen neuen Anstrich erhalten hatte. Ein hoher, schmiedeeiserner Zaun trennte das Grundstück von der Straße. Parkers geübtem Auge entging nicht, daß die Zaunspitzen elektronische Sensoren trugen, die jedes Übersteigen melden würden. Auch die Videokameras in einigen Bäumen übersah der Butler nicht. Natürlich waren auch die übrigen Häuser in dieser Gegend auf diese oder ähnliche Weise gesichert. Allein aus diesem Umstand durfte man also noch keine Rückschlüsse ziehen. Parker umrundete das Grundstück und landete auf der Rückseite. Hier war die Straße noch schmaler und reichte gerade für ein Fahrzeug. Gegenverkehr war offenbar nicht vorgesehen. Im Grund war die Straße nur ein Wirtschaftsweg, der die Belieferung der Häuser ermöglichte und der Müllabfuhr diente und im übrigen als Sackgasse endete, wo es einen Wendeplatz gab. Der Butler ging davon aus, daß dieser Weg besser überwacht wurde als die Vorderseite. Schon eine Einfahrt würde mit Sicherheit registriert werden und Alarm auslösen. Es galt also, eine Lösung zu finden, die ein vorzeitiges Entdeckt werden verhinderte. Josuah Parker fuhr deshalb vorbei und parkte einige Meter weiter unter den ausladenden Ästen einer alten Kastanie. Dann wandte er sich an seine Herrin. »Wenn Mylady gestatten, wird meine Wenigkeit zunächst herausfinden, wie man am besten an das Haus gelangt«, kündigte er an. »Man muß nämlich davon ausgehen, daß die Umgebung unter Mister Willis’ Kontrolle steht, Mylady.« »Und wo liegt das Problem, Mister Parker? Ich bleibe solange hier und erwarte die Lümmel. Sie können unbesorgt gehen.« »Wie Mylady zu meinen geruhen.« Der Butler verbeugte sich andeutungsweise und entfernte sich. Er ging davon aus, daß man ihr Kommen noch nicht registriert hatte. Sein Wagen verfügte über eine Vielzahl von technischen Raffinessen, die es ihm erlaubten, seine Gegner zu täuschen oder abzuwehren. In diesem Fall hatte er sich eines recht einfachen Tricks bedient. Als er sich Willis’ Büro näherte, hatte er einen Knopf gedrückt und dadurch ein reguläres Taxi-Schild aus dem Wagendach schnellen lassen.
Zusätzlich hatte Parker die Sonnenblende heruntergeklappt, damit man ihn nicht so genau sah. Zum Glück schien die Sonne aus einer Richtung, die diese Maßnahme rechtfertigte und kein Mißtrauen bei einem eventuellen Beobachter aufkommen ließ. Gemessen und würdevoll betrat Josuah Parker den schmalen Weg. Er schien in Gedanken versunken und machte den Eindruck eines Mannes, der sich in der freien Natur ergehen will, um sich vom Alltagsstreß zu erholen. Rechts und links des Weges standen Büsche und Bäume. Auf sie richtete der Butler sein besonderes Augenmerk. Er erwartete, daß hier technische Hilfsmittel versteckt waren, die gewissen Straßenbewohnern einen Eindruck vom Geschehen auf der Rückseite ihrer Grundstücke vermittelten. Parkers geübtes Auge entdeckte die Sensoren beiderseits der Wegzufahrt sofort. Sie befanden sich unauffällig an Baumstämmen. Der Butler mußte einräumen, daß es gute Arbeit war. Daß er sie entdeckte, tat ihr keineswegs Abbruch. Er selbst hätte Sensoren in ähnlicher Weise deponiert. * Es gab allerdings noch mehr Sicherheitsvorkehrungen. Josuah Parker, der sehr genau wußte, wonach er Ausschau zu halten hatte, brauchte nicht lange zu suchen, um die Kontaktschleife in der Fahrbahn zu entdecken. Sie war bestens getarnt, aber doch wieder nicht gut genug für den Butler. Bei einer bestimmten Belastung würde diese Induktionsschleife auf elektronischem Weg eine entsprechende Meldung an jene Stelle schicken, mit der sie verbunden war. Der Butler hatte eine bauchige Tasche dabei. Sie stammte aus dem Kofferraum seines Wagens und enthielt ein Sortiment Werkzeuge, mit denen er jeder technischen Raffinesse Herr wurde. Zunächst kümmerte er sich um die Sensoren an den Bäumen. Vorsichtig näherte sich der Butler dem Meßfühler auf der linken Seite und musterte ihn kritisch. Es erschien ihm so gut wie ausgeschlossen, ihn aus der Verankerung zu lösen und so weit nach oben zu versetzen, daß sein Wagen unbemerkt passieren konnte. Abgesehen davon konnte er mit einem Warnmelder gekoppelt sein, der Alarm gab, wenn er auch nur berührt wurde.
Das Problem bestand darin, daß der Sensor einen feingebündelten, unsichtbaren Lichtstrahl aussandte, der jeweils unterbrochen wurde, wenn ein größerer Gegenstand die Stelle passierte. In diesem Fall wurde ein Alarm ausgelöst, der entsprechende Folgen hatte. Der Butler sah deshalb keine Möglichkeit, den Weg mit seinem Privatwagen zu befahren, ohne bemerkt zu werden. So faßte er eine andere Vorgehensweise ins Auge und kehrte zu Mylady zurück. »Hier hat sich noch nichts getan, Mister Parker«, beschwerte sich die ältere Dame. »Sind Sie sicher, daß man mich bemerkt hat?« »Meine Wenigkeit kann diese Möglichkeit auf keinen Fall ausschließen, Mylady«, gab der Butler gemessen und würdevoll zurück. »Na schön, aber ich habe keine Lust, noch länger zu warten, Mister Parker. Was können Sie mir anbieten?« »Man sollte den Wagen in jenes Gebüsch dort lenken und ihn gut getarnt parken, Mylady«, schickte der Butler voraus. »Es empfiehlt sich, die letzten Yards zu Fuß zurückzulegen, um den Sicherheitsmaßnahmen aus dem Weg zu gehen. Mylady müßten sich bedauerlicherweise einer gewissen physischen Belastung unterziehen…« »Wollen Sie damit andeuten, ich wäre körperlich nicht mehr in der Lage dazu?« mokierte sich die ältere Dame. »Keineswegs und mitnichten, Mylady«, wehrte der Butler ab. »Ich hoffe nur, Sie können mit mir Schritt halten, Mister Parker«, fügte sie hinzu. »Sie wissen ja, Sie sind nicht mehr der Jüngste!« »In der Tat, Mylady.« Josuah Parkers Pokermiene zeigte keine Regung. »Man darf also davon ausgehen, daß der Vorschlag meiner Wenigkeit Myladys Beifall findet?« »Im Grunde deutete ich ja schon etwas in dieser Richtung an, Mister Parker«, behauptete die passionierte Detektivin. »Wir wollen den Lümmel doch überraschen, nicht wahr? Fahren Sie also Ihren Wagen in die Büsche, und dann gehen wir den Rest des Weges zu Fuß.« »Wie Mylady wünschen.« Parker startete sein hochbeiniges Monstrum und lenkte es vorsichtig von der Straße, anschließend stieg er aus und verwischte die wenigen Spuren, die er dabei verursacht hatte.
* Mylady betrachtete mißtrauisch die kleine Stehleiter, die Parker so aufgebaut hatte, daß sie sowohl die Induktionsschleife in der Fahrbahn als auch die unsichtbaren Strahlen der Sensoren überbrückte. »Na schön, Mister Parker, ich lasse mir nicht nachsagen, ich würde nicht alles unternehmen, um einen Kriminellen zu enttarnen«, meinte sie. »Ich hoffe nur, Ihre Leiter hält. Sehr stabil sieht sie nicht aus, das müssen Sie zugeben.« »In der Tat, Mylady. Sie ist aber entschieden belastbarer, als es den äußeren Anschein hat. Wenn Mylady wollen, steigt meine Wenigkeit zuerst hinüber.« »Das kommt nicht in Frage, Mister Parker, ich pflege niemanden vorzuschicken, wenn es kritisch wird«, wies sie diesen Vorschlag zurück und betrat die Leiter. Die war in der Tat außerordentlich belastbar, es konnte also nichts passieren. Josuah Parker legte sein ganzes Gewicht in die Waagschale und pendelte die Leiter so aus, daß sie den Schwung seiner Herrin durchaus vertrug. Im Zirkus wäre Myladys Leiterpassage bestens angekommen. Tosender Applaus wäre ihr sicher gewesen. Hier, wo sie außer ihrem Butler niemand sah, lobte sie sich selbst, als sie wieder sicher auf der Erde stand. »Na, Mister Parker, was sagen Sie dazu? Das hätten Sie nicht so schnell fertiggebracht. Geben Sie es zu!« »Mylady sind einfach in der kühnsten Besteigung nicht zu übertreffen«, anerkannte der Butler ungeniert. »Das haben Sie sehr schön gesagt, Mister Parker.« Lady Agathas stereotyper Satz ging ihr leicht über die Lippen. »So, und nun Sie, Mister Parker«, forderte sie. »Sagen Sie es ruhig, wenn ich Ihnen helfen soll, ein Mann in Ihrem Alter ist nicht mehr gelenkig. Sie brauchen sich vor mir nicht zu genieren.« »Mylady sind zu gütigst und verständnisvoll«, fand der Butler und überquerte in einer faszinierenden Mischung aus Geschicklichkeit, Mühelosigkeit und Würde die Leiter.
* Das Grundstück hatte auch auf der Rückseite einen solide wirkenden Zaun. Aber es mußte auch ein Tor geben, das für die Lieferantenfahrzeuge vorgesehen war. Parker ging davon aus, daß es hinter dem Haus Garagen gab, die man von hier aus erreichen konnte. »Ich hatte eigentlich nicht die Absicht, einen Marathonlauf zu unternehmen, Mister Parker«, beschwerte sich Mylady. »Außerdem sehe ich, daß Sie schon ganz schön mit dem Atem kämpfen.« »Man wäre in der Tat Mylady für eine kleine Verschnaufpause sehr verbunden«, gab der Butler prompt zurück. Natürlich war nicht er es, der diese Pause brauchte, aber die resolute pame zeigte nicht gern eine Schwäche. »Während Sie sich erholen, könnte ich eigentlich einen Kreislaufbeschleuniger zu mir nehmen«, meinte sie. »Das ist eine reine prophylaktische Maßnahme, ich ahne, daß ich mich nachher sehr aufregen werde.« »Stets zu Diensten, Mylady.« Josuah Parker hielt bereits seine lederumhüllte Taschenflasche in der Hand und füllte den als Verschluß dienenden silbernen Becher mit altem Cognac. Während seine Herrin ihren Kreislauf stärkte, musterte Parker aufmerksam die Umgebung. Noch war außer ihnen weit und breit niemand zu sehen, und der Wendeplatz war nicht mehr weit entfernt. Man konnte also davon ausgehen, ihn unbemerkt zu erreichen. Nach Parkers Vermutung gab es auf der Rückseite der Grundstücke weitere Zufahrten. Natürlich waren die Tore verschlossen und verfügten über solide Schlösser, die wahrscheinlich elektronisch gesichert waren. Willis’ Tor machte da wohl keine Ausnahme, und Parker untersuchte das Schloß gründlich. Erst dann griff er in eine der zahlreichen Innentaschen seines Covercoats und brachte diverse kleine Werkzeuge zum Vorschein. Dabei handelte es sich um Instrumente, die dem Reinigungsbesteck eines passionierten Pfeifenrauchers nicht unähnlich waren. Sie bestanden aus diversen Metallzungen in verschiedenen Formen und Breiten. Ferner hatte der Butler ein elektronisches Meßinstrument, mit dem er eine eventuelle zusätzliche Absicherung durch einen E-
lektromagneten aufspüren konnte. Das Gerät sprach auch prompt an. Erneut griff Parker in seine Taschen und brachte mehrere dünne Drähte mit sogenannten Krokodilklemmen zum Vorschein. Geschickt baute er eine Brücke und überlistete so die elektronische Sperre. Wenige Augenblicke später drückte er das Tor auf und trat höflich zur Seite, um seine Herrin einzulassen. »Nun ja, vielleicht hätte ich es etwas schneller geschafft, aber alles in allem bin ich nicht unzufrieden, Mister Parker«, erklärte sie lächelnd, während sie an ihm vorbeischritt. Das Grundstück machte einen sehr gepflegten Eindruck. Es war offensichtlich, daß man einen Gärtner beschäftigte, der dafür Sorge trug. Erfreulicherweise gab es genug Büsche und Bäume, die ausreichend Deckung boten. Mylady sah allerdings die Notwendigkeit einer vorsichtigen Annäherung nicht so recht ein. Sie konnte ihre Ungeduld kaum mehr zügeln. Aber sie fügte sich und tat wenigstens so, als würde sie sich anschleichen. Dabei gab sie Josuah Parker gutgemeinte Ratschläge. »Sie, müssen immer auf den Boden achten, Mister Parker«, sagte sie und hob mahnend den Zeigefinger. »Achten Sie vor allem auf trockene Äste, die knacken nämlich laut, wenn Sie darauf treten, und können Sie verraten.« Dabei zermalmte sie einen abgestorbenen, vor ihr liegenden Ast förmlich unter ihren großen Schuhen und erzeugte damit fast den Knall eines Pistolenschusses. »Das war natürlich nur Demonstration, Mister Parker«, behauptete die ältere Dame. »Sie haben mitbekommen, wie das klingt. Nehmen Sie sich also in acht.« »Meine Wenigkeit wird sich Mühe geben, Mylady«, versprach der Butler, der hoffte, daß sich niemand im Freien aufhielt. Myladys Fehltritt konnte der Betreffende unmöglich überhört haben. Am Swimmingpool unweit des Hauses lag eine junge Frau und sonnte sich. Sie hatte ihr Bikini-Oberteil abgelegt und die Augen geschlossen. »Sie sehen hoffentlich weg, Mister Parker«, flüsterte die Detektivin. Die Schönheit am Pool hob kurz den Oberkörper, lauschte drei Sekunden und ließ sich dann wieder zurücksinken.
Lady Agatha drehte sich zu Parker um und musterte ihn streng. »Wir sollten den Pool weitläufig umgehen, Mister Parker«, sagte sie. »Ich möchte nicht, daß Sie in Versuchung geraten.« »Mylady können sich ganz auf das sittliche Empfinden meiner bescheidenen Wenigkeit verlassen«, versicherte der Butler ihr. »Zudem scheint es notwendig zu sein, der Frau einen kurzen Besuch abzustatten.« »Warum denn?« erkundigte sich Agatha Simpson argwöhnisch. »Wie Mylady gesehen haben, schläft die junge Frau nicht allzu tief«, erklärte Parker. »Natürlich weiß meine Wenigkeit nicht, inwieweit sie in Mister Willis Machenschaften verwickelt ist. Um aber vor unliebsamen Überraschungen sicher zu sein, empfiehlt es sich, die Dame etwas fester schlafen zu lassen.« »Das könnte ich doch machen. Sie brauchen mir nur etwas zu geben, mit dem ich sie überrasche, Mister Parker!« sorgte sie sich weiter um seine Moral. »Warum sollen Sie sich unnötig in Gefahr begeben?« * Parker löste das Problem ebenso einfach wie elegant. Er nahm aus der Tasche eine Art Kugelschreiber, verdrehte die beiden Hälfte gegeneinander und warf das vermeintliche Schreibgerät in Richtung Swimmingpool. Der »Kugelschreiber« landete auf der Rasenfläche nahezu lautlos. Wenig später stieg dünner, weißer Rauch empor und erreichte die Nase der jungen Frau. Für einen Moment sah es so aus, als wollte sie sich aufrichten, dann aber ließ sie sich wieder zurücksinken, gab einen wohligen Seufzer von sich und entspannte. Josuah Parker kannte die Wirkung des Narkotikums, das im Kugelschreiber enthalten war. Die junge Frau würde in der nächsten halben Stunde fest schlafen und deshalb nicht stören. Der Butler sah sich aufmerksam um, konnte aber niemand sonst entdecken. Gemessen und würdevoll begab er sich zum Swimmingpool und barg sein vermeintliches Schreibe gerät. Hinter dem Becken war eine große, gekachelte Terrasse, an die sich das Haus anschloß. Das skurrile Paar betrat es von dieser Seite und stand einen Augenblick später in einem Wohnraum mit zweifellos echten Teppichen und schweren Ledermöbeln. Der Ter-
rasse gegenüber befand sich ein repräsentativer Kamin, über dem einige Geweihe hingen. »Der Strolch weiß zu leben«, stellte Mylady fest, die sich neugierig umsah. Der Raum war nicht nur sehr groß, sondern auch ausgesprochen geschmackvoll eingerichtet. Ein durch schweren Vorhang abgetrennter kleiner Raum stellte wohl die Bibliothek des Hauses dar. Deckenhöhe Regale säumten die Wände, die Bücher sahen allerdings recht unbenutzt aus und ganz so, als hätte man sie gleich meterweise eingekauft. Ein Ölbild an der Wand zeigte einen würdig dreinblickenden Mann um die Fünfzig. Ein kleines goldenes Schild wies ihn als Frank D. Willis aus, seines Zeichens Honorarkonsul aus einer überseeischen Mini-Republik. »Das ist also dieser Lümmel«, stellte Mylady fest und musterte das Bild aufmerksam. »Meinen Sie, der ist wirklich Honorarkonsul?« »Titel dieser Art kann man in manchen Ländern gegen Leistung einer großzügigen Spende erwerben, Mylady. In diesem Fall dürfte es so gewesen sein«, gab der Butler zurück. Lady Agatha schnaufte empört durch die Nase. »Ich werde dieses Subjekt seiner Titel entkleiden, Mister Parker, verlassen Sie sich darauf!« »Wie Mylady zu meinen belieben.« Parker hatte kaum ausgesprochen, als im Wohnraum Schritte zu hören waren. Ein diskreter Blick durch den Vorhang zeigte, daß, es Frank Willis selbst war, der dort erschien und jetzt zur Terrassentür ging. »Eileen!« rief er und trat hinaus. »Ich dachte, du wolltest nur kurz draußen bleiben. Du weißt doch, wie leicht du einen Sonnenbrand bekommst.« »Sie hätten die junge Frau zudecken sollen, Mister Parker«, stellte Mylady vorwurfsvoll fest. »Sie war ja wirklich nur leicht angezogen, wenn man das überhaupt so nennen kann.« »Man bittet Mylady wegen dieses Versäumnisses um Entschuldigung«, gab der Butler zurück. »Bedauerlicherweise hat meine Wenigkeit nichts entdeckt, um Myladys Wunsch zu erfüllen.« »Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, das sage ich immer wieder, Mister Parker.« Lady Agatha schob sich an ihrem Butler vorbei durch den Vorhang ins Wohnzimmer. »Und ich suche den geraden Weg zu diesem Lümmel, und wie Sie sehen, habe ich ihn schon gefunden.«
»Mylady ist wie immer bewundernswert«, fand der Butler. Der »Lümmel« beugte sich gerade über die Frau und musterte sie nachdenklich. Dann streckte er die Hand aus, legte sie auf ihre Schulter und schüttelte die Schlafende. Als sie darauf nicht reagierte, verstärkte er seine Anstrengungen und rüttelte sie heftig. »Eileen, so wach doch auf!« rief er und schüttelte den Kopf, als sich die junge Frau nicht aufwecken ließ. »Was für ein aufdringliches Subjekt«, meinte die ältere Dame. »Kann er die junge Frau nicht einfach schlafen lassen?« »Er scheint sich um sie Sorgen zu machen, Mylady.« »Dann soll er sie doch hereinholen und irgendwo hinlegen«, erwiderte sie. »Das kann man ja nicht anhören!« Entschlossen stapfte die ältere Dame auf die Terrasse und stemmte die Arme in die Hüften. »Sie sehen doch, daß die junge Frau schläft, was zetern Sie also hier herum?« raunzte Agatha Simpson den überraschten Mann an. »Warum lassen Sie sie nicht in Ruhe?« Frank Willis wirbelte herum und musterte den unerwarteten Gast fassungslos. »Wer…wer sind Sie denn, und wo kommen Sie her?« stammelte er. »Von draußen natürlich. Sie wollten mich doch sprechen, oder? Und wer ich bin, wissen Sie ganz genau!« »Moment mal, schön langsam.« Frank Willis kam auf sie zu, hob abwehrend die Hände und sah sie prüfend an. Parker, der ihn unauffällig, aber genau beobachtete, merkte, wie es hinter seiner breiten Stirn arbeitete. Sicher hatte Willis die ältere Dame inzwischen erkannt, jetzt beschäftigte er sich wohl mit der Frage, wie sie es geschafft hatte, auf sein Grundstück zu gelangen. »Ihre Sicherheitsvorkehrungen genügen nicht, junger Mann«, teilte sie ihm mit. »Damit können Sie vielleicht Kinder abschrecken, aber doch nicht eine erfahrene Kriminalistin!« »Ich glaube, ich brauche jetzt erst mal einen Drink«, stellte der Hausherr fest. »Mister Parker, bereiten Sie diesem Menschen eine Erfrischung«, fühlte sich Mylady berechtigt zu sagen. »Sehr gern, Mylady.« Josuah Parker trat etwas vor und sah den Hausherrn an. »Darf meine Wenigkeit fragen, was Sie favorisieren, Sir?« »Das wird ja immer schöner.« Frank Willis schüttelte pausenlos den Kopf und rieb sich dann die Augen. »Jetzt werde ich schon in
meinem eigenen Haus gefragt, was ich trinken möchte! Das ist wirklich ein starkes Stück! Na schön, wenn Sie schon so fragen, geben Sie mir einen Gin-Tonic, aber einen kräftigen!« »Sehr gern, Sir.« Josuah Parker ging ins Wohnzimmer zurück und kümmerte sich um die Erfrischung. Lady Agatha folgte ihm und forderte über die Schulter den Hausherrn auf, es ihr gleichzutun. »Also noch mal, wer sind Sie, wie kommen Sie hier rein und was wollen Sie von mir?« Frank Willis ließ sich auf die schwere Ledercouch fallen und nahm von Parker den Drink entgegen. Er schien seine Überraschung überwunden zu haben und entschlossen, den starken Mann zu spielen. »Erklären Sie es ihm, bevor ich zur Sache komme, Mister Parker«, forderte die passionierte Detektivin. »Sie wissen natürlich, daß Sie sich Lady Agatha Simpson gegenübersehen, Sir«, begann der Butler gemessen und würdevoll. »Und meine Wenigkeit hört auf den Namen Josuah Parker und steht Myladys Haushalt als Butler vor.« »Sehr interessant«, fand Willis. »Und was habe ich mit Ihnen zu tun?« »Eigentlich wollte man sich auf dem regulären Weg in Ihrem Sekretariat anmelden, Sir«, fuhr der Butler fort. »Dann aber entschloß man sich zu einem kleinen Spaziergang, entdeckte dabei jenen pittoresken Weg hinter Ihrem Haus und ein offenes Tor, das zum Eintreten – mit Verlaub – geradezu einlud.« »Offenes Tor? Daß ich nicht lache!« Willis sah den Butler wütend an. Der Hausherr, übrigens eine repräsentative Erscheinung, war groß und hochgewachsen, hatte breite Schultern und schmale Hüften und zeigte die makellose Sonnenbräune südlicher Länder. Er mochte um die Fünfzig sein und trug maßgeschneiderte Kleidung. Parker jedoch war es gewohnt, rasch hinter Kulissen und Masken zu sehen. Ihm entging nicht das unechte Gehabe des Titelhändlers. Auch die Nervosität, die ihn anscheinend befallen hatte, registrierte der Butler. Die schlanken Finger des Hausherrn verkrampften und lösten sich in einem fortwährenden Rhythmus. »Glauben Sie Mister Parker etwa nicht?« mischte sich Mylady mit genüßlichem Unterton in der Stimme ein. »Lassen wir die Sache mit dem Tor, das ist jetzt nicht weiter wichtig. Obwohl ich sagen muß, daß es nie offensteht, aber gut,
mag es so gewesen sein. Spazieren Sie eigentlich immer ohne Anmeldung und Erlaubnis auf fremde Grundstücke?« »So dürfen Sie, das nicht sehen, mein Lieber.« Lady Agatha lächelte fast liebenswürdig. »Wie Mister Parker schon ausführte, wollte ich ohnehin zu Ihnen. Warum also sollte ich die Einladung des offenen Tores nicht wahrnehmen?« »Na schön, Sie wollten also zu mir, nun sind Sie ja da und sitzen mir gegenüber! Was wollen Sie denn von mir?« »Ich habe schon viel von Ihnen gehört, aber das wird Ihnen Mister Parker noch genauer erklären.« »Mylady erfuhr Ihren Namen am letzten Wochenende auf einer Gesellschaft Lady Cannons«, erläuterte der Butler. »Man feierte die Promotion Lady Sarahs, ihrer Tochter, zur Diplom-Soziologin. Sie hat sich diese Auszeichnung an der Sorbonne erworben.« »Sollten Sie sie wieder sehen, richten Sie ihr bitte unbekannterweise meine Glückwünsche aus«, bemerkte der Hausherr trocken. »Die Sorbonne ist ja weltweit die renommierteste Universität.« »In der Tat, Sir. Es ist allerdings einigermaßen verwunderlich, daß Lady Sarah dort studierte.« »Warum denn? Viele junge Leute studieren heutzutage im Ausland, das erweitert ihren Horizont und verschafft ihnen später beträchtliche Vorteile im Berufsleben«, fand Willis und kam sich sehr klug mit dieser Äußerung vor. »Ein Argument, dem man sich gerne anschließt, Sir«, bekräftige der Butler die Ansicht. »Verwunderlich ist es nur wegen gewisser familiär bedingter Umstände. Sir Philip Cannon war kein Freund Frankreichs und im übrigen ein glühender Patriot. Er hätte es nie zugelassen, daß seine Tochter im Ausland studiert, und noch dazu in Paris.« »Ist er nicht schon lange tot?« Frank Willis sah den Butler aufmerksam an. »Seit etwa fünf Jahren, Sir. Dennoch sollte man meinen, daß es die Familie nicht gewagt hätte, sich über seine Einstellung hinwegzusetzen.« »Ich bitte Sie, in was für einer Welt leben wir denn?« amüsierte sich der Titelhändler. »Heutzutage machen Kinder nun mal nicht mehr alles, was Eltern oder die Familie von ihnen verlangen. Denken Sie darüber, wie Sie wollen, aber die Zeiten absoluter Hörigkeit sind vorbei!«
»Auch dieser Erkenntnis stimmt meine Wenigkeit gerne zu«, räumte der Butler ein. »Bliebe nur noch, daß Lady Sarah, wenn man diese Indiskretion begehen darf, nicht eben durch schulische Leistungen glänzte. Ein erfolgreich abgeschlossenes Auslandsstudium erscheint unter diesen Umständen zumindest sehr verwunderlich.« »Mag sein. Vielleicht hat sie schwer gebüffelt, wer weiß? Wie auch immer, warum erzählen Sie mir das, Mister Parker? Ehrlich gesagt, so sehr interessiere ich mich für Gesellschafts-Klatsch nun wieder nicht. Und wieso fiel dort mein Name?« »In einem anderen Zusammenhang, Sir. Lady Cannon berichtete von den Farnboroughs, die sich – mit Verlaub – darüber aufregen, daß ein Cousin Sir Arthurs eine Adoption vornahm, mit der die Familie nicht einverstanden ist. In diesem Zusammenhang fiel Ihr Name.« »Verstehe ich nicht.« Frank Willis schüttelte den Kopf und blickte die ältere Dame ratlos an. »Mister Parker meint, daß Sie diese Adoption vermittelt haben, junger Mann«, wurde Mylady deutlich. »Was sagen Sie dazu?« »Was hätte ich davon? Und wie käme ich dazu?« »Tun Sie doch nicht so! Sie wissen genau, wovon ich rede«, raunzte die ältere Dame ihn an. »Sie handeln mit Titeln, das ist allgemein bekannt! Übrigens, ich suche auch einen netten akademischen Grad«, fügte sie hinzu. »Wissen Sie, Geld ist nicht alles heutzutage. Und es braucht ja nichts Außergewöhnliches zu sein, ein Doktor ehrenhalber reicht mir. Den Titel tragen Sie doch auch?« »Ja, aber dazu muß man von Persönlichkeiten vorgeschlagen werden, und man muß sich gewisse Verdienste erworben haben«, gab Willis verdrossen zurück. »So einfach ist das nun auch wieder nicht.« »Aber Sie sind doch auch Honorarkonsul von einem obskuren Ländchen, da gibt es doch immer gewisse Möglichkeiten«, fand sie. »Ich bin auch bereit, eine Summe für einen guten Zweck zu spenden.« »Wofür halten Sie mich? Selbst, wenn Sie zehntausend Pfund spenden würden…« »An etwas mehr dachte ich schon«, unterbrach die Detektivin ihn. »Was halten Sie von zwanzigtausend? Vielleicht können Sie mal darüber nachdenken.«
»Ich sehe keine Veranlassung.« Frank Willis sah die ältere Dame fest an. »Hören Sie, Mylady, ich war wirklich höflich und geduldig und habe mir Ihre seltsamen Vorschläge in Ruhe angehört. Ich habe sogar zugelassen, daß Sie das Land, das ich vertrete, obskur nennen, aber jetzt habe ich ganz einfach keine Zeit mehr. Wenn Sie noch mal mit mir sprechen wollen, machen Sie bitte vorher mit meinem Sekretariat einen Termin aus, und dann setze ich mich gern wieder mit Ihnen zusammen. Jetzt habe ich noch zu tun, ich habe gewisse Pflichten verstehen Sie?« »Sehr gut. Sie wollen mich also hinauswerfen?« »Davon kann wohl keine Rede sein. Ich habe nur gesagt, ich habe keine Zeit mehr für Sie.« »Was sage ich dazu, Mister Parker?« »Mister Willis erwartet möglicherweise dringende Anrufe, Mylady«, konnte sich der Butler gut vorstellen. »Stimmt. Genauso ist es.« Der Hausherr sah den Butler fast dankbar an. »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch einen solchen von den Herren Elroy und Gould«, fuhr der Butler gemessen und würdevoll fort und nannte damit die Namen der beiden Schläger, die den bedauernswerten Albert Wesley heimgesucht hatten. Beide hatten Papiere bei sich, die ihre Identität preisgaben, ihren Auftrag hatten sie wohl als ungefährlich und reine Routine eingestuft. »Wie bitte?« Frank Willis wurde unter seiner bronzefarbenen Sonnenbräune blaß und sah den Butler entsetzt an. »Meine bescheidene Wenigkeit wiederholt die Namen sehr gern, Sir. Man sprach von den Herren Leonard Elroy und Jay Gould.« »Aber…aber…« Willis begann zu stottern und fragte dann ausgesprochen lahm: »Wer sollen die denn sein?« * Lady Agatha lächelte mokant, und der Hausherr schien plötzlich wieder Zeit für sie zu haben. »Die beiden Lümmel kennen Sie ganz genau, mein Bester. Was sagen Sie dazu?« »Mir…äh…sagen die Namen nichts. Vielleicht geben Sie mir einen Hinweis.«
»Mister Parker?« suchte Agatha Simpson Hilfe bei ihrem Butler. »In der Wohnung eines gewissen Mister Albert Wesley, Sir. Mister Wesley ist ein Cousin von Sir Arthur Farnborough und hat kürzlich eine Adoption vorgenommen. Der glückliche junge Mann, dem er seinen Namen gab, hieß vordem Walter Kelley und darf sich jetzt Count of Farnborough nennen.« »Den habe ich auch kennengelernt bei einem befreundeten Juwelier«, ergänzte Mylady. »Er wollte gerade mal wieder auf Rechnung einkaufen, aber das habe ich ihm ausgetrieben.« Sie lächelte schadenfroh. »Wirklich? Sie werfen da mit Namen um sich…« Frank Willis zuckte die Achseln und gab sich krampfhaft den Anschein, von nichts eine Ahnung zu haben. »Ach, jetzt fällt es mir wieder ein.« Willis lächelte Sekunden später die ältere Dame ein wenig gezwungen an. »Von dieser Adoption habe ich gehört, die soll Sir Arthur sehr getroffen haben. Aber der Skandal wurde vertuscht, wie man so schön sagt.« »In der Tat, Sir.« »Interessiert Sie nicht, was die beiden Lümmel über Sie sagten und was sie in der Wohnung des Cousins von Sir Arthur zu suchen hatten?« »Ich sagte doch schon, ich kenne sie nicht, und auch diesen ominösen Cousin kenne ich nicht persönlich.« »Dennoch riefen Sie vor einer Stunde bei ihm an, Sir.« »Ich? Wie kommen Sie denn darauf?« »Meine Wenigkeit war so frei, Ihren Anruf entgegenzunehmen. Möglicherweise erweckte man dabei irrtümlich den Eindruck, der Anschlußinhaber zu sein. Sie kündigten den Besuch von zwei Mitarbeitern an und legten Mister Wesley darauf fest, ihnen sehr gut zuzuhören und sich an ihre Anweisungen zu halten.« »Das ist ja wohl doch…« Frank Willis brach ab und sah den Butler fassungslos an. »Es besteht nicht der geringste Zweifel, Sir, meine Wenigkeit hat Ihre Stimme erkannt«, stellte der Butler mit Entschiedenheit fest. »Im übrigen beteuerten die Herren Elroy und Gould, von Ihnen geschickt worden zu sein. Sie hatten den Auftrag, Mister Wesley sehr nachdrücklich an seine Schweigepflicht zu erinnern.« »Ach ja? Und wie?« »Die Herren sollten ihm körperliche Pein zufügen, wobei man auf diverse Knochenbrüche allerdings verzichten wollte.«
»Das ist doch großer Blödsinn. Trauen Sie mir das wirklich zu? Sehe ich vielleicht aus wie einer, der…« »Leuten wie Ihnen traue ich alles zu, mein Lieber«, unterbrach die ältere Dame ihn. »Leugnen hat deshalb keinen Zweck, die Aussagen der beiden Strolche waren eindeutig.« »Wenn das so ist, stellen Sie mich ihnen doch gegenüber«, forderte Willis. »Dann werden wir ja sehen, ob sie dabei bleiben.« Lauernd sah er seine Besucher an. Es war klar, daß er nur wissen wollte, was mit seinen Mitarbeitern geschehen war. »Das ist im Augenblick leider nicht möglich, die Herren machen einen kleinen Ausflug, Sir«, antwortete Parker. »Sie sind an einen sicheren Ort unterwegs. Mylady dürfte sich zu einem späteren Zeitpunkt mit ihnen unterhalten. Wenn Sie wollen, unterrichtet man Sie gern vom Ergebnis.« »Das verstehe ich nicht, was heißt das? Wohin sind sie unterwegs?« »An einen Ort, der sicher ist und an dem sie Mylady jederzeit zur Verfügung stehen, Sir.« »Sie haben sie…äh…gefangengenommen, sozusagen?« Willis starrte Mylady ungläubig an. Parker antwortete an Stelle seiner Herrin. »Myladys Gastfreundschaft wird allenthalben gerühmt, Sir«, bemerkte er. »Auch die Herren Elroy und Gould nahmen ihre Einladung nur zu gern an.« »Hören Sie, das alles ist doch nur ein schreckliches Mißverständnis«, lenkte der Hausherr ein. »Sicher, ich handele mit Titeln, vorzugsweise mit akademischen. Auch Orden können Sie bei mir kaufen. Aber das ist legal, mit kriminellen Machenschaften habe ich nichts zu tun. Und was diese komische Adoption anbelangt…na schön, Wesley hat mich angesprochen und um Rat gefragt, das gebe ich auch zu. Ich habe ihm geholfen, der Mann wußte ja nicht mehr ein noch aus. Was meinen Sie wohl, was der für Schulden hatte!« »Und Sie haben ihm aus lauter Menschenfreundlichkeit geholfen?« »Ich bitte Sie, Mylady, von etwas muß ich ja auch leben, nicht wahr?« Der Titelhändler sah die ältere Dame treuherzig an. »Natürlich habe ich eine kleine Provision dafür bekommen, aber wirklich nur eine Klitzekleine. Ich wollte den armen Kerl schließlich nicht ausnehmen, man ist ja kein Unmensch.«
»Ihre karitative Ader zeichnet Sie aus, Sir«, behauptete der Butler, ohne eine Miene zu verziehen. »Woher hatte aber Mister Kelley das Geld, um Mister Wesley zu bezahlen? Auch Mister Kelley war hochverschuldet, wie meine Wenigkeit hörte«, feuerte der Butler einen Schuß ins Blaue ab. »Da sehen Sie mal, was es für Zufälle gibt.« Willis breitete die Hände aus, um seiner Verwunderung darüber Ausdruck zu geben. »Ich kannte beide und habe sie zusammengebracht. So einfach ist das.« »Sie haben die Frage nach den Mitteln, die Mister Kelley für seine Adoption zur Verfügung stellte, nicht beantwortet, Sir.« »Tja, was soll ich dazu sagen? Soweit ich hörte, hat seine Familie zusammengelegt.« »Zu welchem Zweck, Sir? Mister Kelley war also auch hochverschuldet und verschuldete sich weiter, um zu einem Titel zu kommen? Welchen Sinn sehen Sie darin?« »Keine Ahnung. Warum fragen Sie ihn nicht selbst? Vielleicht versprach er sich davon bessere Chancen? In England zählt ein Titel ja noch viel.« »Aber ein Titel allein macht es auch nicht, mein Bester«, stellte Mylady fest. »Ich will Ihnen sagen, warum er, diesen Titel haben wollte. Die Familie Farnborough ist hochangesehen, und der Lümmel wollte auf ihre Kosten groß einkaufen, das heißt, er tat und tut es ja bereits. Er geht weiter davon aus, daß man einen Skandal vermeiden möchte und deshalb seine Rechnungen stillschweigend bezahlt, auch wenn er kein echter Farnborough ist. Natürlich werden die Rechnungen immer größer, aber das wissen Sie ja selbst viel besser.« »Ich? Wieso denn ich? Sie versuchen da ständig, eine Verbindung zu mir zu konstruieren, Mylady. Ich betone nochmals, ich habe zwei Menschen, die ich zufällig kenne, einen Gefallen getan. Weiter nichts. Das hat man nun davon!« »Fangen Sie nur nicht an zu weinen, das hilft bei mir nicht.« Lady Agatha sah ihn streng an. »Aber gut, ich halte Sie nicht für den eigentlichen Drahtzieher. Dazu haben Sie nicht das Format. Aber wer steht hinter Ihnen?« »Das reicht jetzt!« Frank Willis erhob sich und versuchte, sich so würdevoll wie möglich zu geben. »Ich habe noch zu tun, und ich habe mir lange genug Ihre Phantastereien angehört. Ich schicke Ihnen jemanden, der Sie hinausführt, und ich lege Wert darauf,
daß dies auf normalem Weg, also durch den Haupteingang, geschieht. Ich glaube nicht, daß wir uns wiedersehen werden, höchstens vor Gericht, wenn Sie weiterhin einen derartigen Unsinn verbreiten. In dem Fall müßte ich Sie nämlich wegen Verleumdung verklagen.« »Warum tun Sie es nicht gleich? – Mister Parker, geben Sie diesem Unschuldsengel meine Karte!« nahm Agatha Simpson die Anregung auf. »Wie Mylady zu wünschen geruhen.« Josuah Parker legte die Karte auf den Tisch, da sie der Hausherr offensichtlich nicht entgegennehmen wollte. »Sie können mich natürlich jederzeit anrufen, wenn Sie das Bedürfnis haben, ein Geständnis abzulegen, mein Lieber«, erklärte die passionierte Detektivin gönnerhaft. »Vergessen Sie nicht, auch Sie könnten bei Ihren Hintermännern in Ungnade fallen, und das könnte Sie teuer zu stehen kommen.« »Ich habe keine Hintermänner, weil es auch keinen Kriminalfall gibt, Mylady«, erklärte Frank Willis mühsam beherrscht. »Ich habe statt dessen den Eindruck, daß Ihre Phantasie mit Ihnen durchgegangen ist und Sie Einbildung und Realität gehörig verwechseln. Meinen Sie nicht auch?« »Sie sollten sich nicht so echauffieren, Sir. Meine Wenigkeit hat seine guten Gründe für diese Recherche«, schloß Parker die Unterhaltung recht geheimnisvoll. * »Ich hätte diesem aalglatten Lümmel gern eine Ohrfeige spendiert, Mister Parker«, bedauerte Mylady die verpaßte Gelegenheit. Sie waren von einem jungen Mann, der sich als Sekretär des Titelhändlers vorgestellt hatte, zum Vordereingang hinausgelassen worden und standen auf der Straße vor Willis’ Grundstück. »Es fehlten – mit Verlaub – Gelegenheit und Anlaß, Mylady«, tröstete der Butler die ältere Dame. »Anlaß hätte ich schon gehabt«, monierte sie. »Dieses Subjekt hat sich über mich lustig gemacht, Mister Parker, und hat immer nur soviel zugegeben, wie notwendig war.« »Mister Willis bewies in der Tat ein gewisses Geschick, Mylady, aber er gab auch zu, der gesuchte Titelhändler zu sein. Zudem
haben Mylady die Erkenntnis gewonnen, daß Mister Willis nicht allein arbeitet. Es dürfte feststehen, daß er von einer dritten Person gesteuert wird. Er widersprach nicht, als Mylady diesen Verdacht äußerten.« »Das stimmt natürlich.« Josuah Parker kontrollierte unauffällig die Umgebung. Er hielt es für nicht ausgeschlossen, daß Willis Verfolger auf sie ansetzte. Zumindest sollte man ihm die Gelegenheit dazu geben, fand der Butler, und verlangsamte seinen Schritt. »Mylady haben sich möglicherweise gewundert, Mistreß Wesley nicht kennengelernt zu haben«, bemerkte er. »Die Frau dieses Cousins? Warum sollte ich sie kennenlernen? Im übrigen wundere ich mich grundsätzlich über nichts, Mister Parker, das wissen Sie doch.« Davon ließ sich der Butler nicht beeindrucken. »Man hätte noch Gelegenheit, mit Mister Wesley einige Worte zu wechseln, während Mister Pickett und seine Helfer die beiden Herren abtransportierten, Mylady«, fuhr er fort. »Mistreß Wesley ist krank und lebt in einer Privatklinik außerhalb von London. Der Aufenthalt dort ist recht kostspielig, was zu seinem Entschluß, diese Adoption durchzuführen, beigetragen haben dürfte. Mister Willis dürfte dieser Aufenthaltsort bekannt sein.« »Sie meinen, er könnte sich rächen, indem er sich an dieser armen Frau vergreift?« »Falls er die Möglichkeit hätte, Mylady. Meine Wenigkeit hat jedoch Sorge dafür getragen, daß Mistreß Wesley bewacht wird.« »Gut, daß ich Sie darauf aufmerksam gemacht habe«, freute sich die resolute Dame. »Stellen Sie sich nur mal vor, was da alles hätte passieren können!« »Mylady pflegen grundsätzlich kein Detail außer acht zu lassen«, lobte Josuah Parker ungeniert. »Eben, und das ist auch der Grund, weshalb ich immer Erfolg habe«, erwiderte die selbstbewußte Lady. Man hatte inzwischen jene Stelle erreicht, an der Parkers Wagen untergebracht war. Er war in der Tat so gut wie unsichtbar, der Butler hatte ihn den Umständen entsprechend perfekt getarnt. Auch die Insassen des roten Mini, der vor wenigen Minuten hinter ihnen aufgetaucht war, würden ihn mit Sicherheit nicht sehen. Dennoch legte Parker großen Wert darauf.
* »Ich werde also verfolgt?« Lady Agatha drehte sich um und blickte aus dem Rückfenster. Der Verkehr in dieser vornehmen Gegend war relativ schwach. Sie machte zunächst einen anderen Verfolger aus. »Der weiße Ford, nicht wahr? Das sehe ich sofort, dafür habe ich ein Auge, Mister Parker.« »In der Tat, Mylady.« Parker war durch nichts zu erschüttern. »Inzwischen ist er allerdings von einem roten Mini abgelöst worden.« »Ich wollte nur mal sehen, ob Sie aufpassen, Mister Parker.« Die ältere Dame war so schnell nicht in Verlegenheit zu bringen. »Ich werde seit Verlassen des Hauses verfolgt?« vergewisserte sie sich. »Mister Willis hat sehr schnell reagiert und sofort ein sogenanntes Begleitkommando organisiert, Mylady.« »Das steht mir auch zu.« Lady Agatha lachte leise. Verfolger hielt sie keinesfalls für eine Bedrohung, sondern für eine Anerkennung ihres kriminalistischen Könnens. Sie zeigten immerhin, daß man wußte, wer sie war, daß man sie ernst nahm. »Mylady wünschen mit den Verfolgern zu sprechen oder ihre Identität festzustellen?« »Bringt mir das etwas, Mister Parker?« »Zumindest die Bestätigung, daß Mister Willis vor gewissen Reaktionen nicht zurückzuschrecken beliebt, Mylady.« »Sie haben recht, lassen Sie sich etwas einfallen. Ich denke, Kleinigkeiten dieser Art kann ich Ihnen schon überlassen, Mister Parker.« »Mylady sind zu großzügig«, fand der Butler und trat das Gaspedal tiefer durch. Der großvolumige Motor, den niemand unter der kantigen Haube des klapprig wirkenden Gefährtes vermutete, nahm die Herausforderung an. Der Bug hob sich etwas, als die schwere Maschine ihre Kraft entfaltete. Der Abstand zum Mini vergrößerte sich immer mehr. Der Butler saß stocksteif und hochaufgerichtet, als habe er einen Ladestock verschluckt, hinter dem riesigen Steuerrad. Er schien
nicht zu merken, daß sich sein Wagen in eine Rennmaschine verwandelte, die die Kilometer nur so fraß. Dafür merkten es die Mini-Insassen. Der Fahrer trat das Gaspedal bis zum Bodenblech durch und registrierte fluchend, daß der Abstand mit bestürzender Geschwindigkeit wuchs. Ein Blick auf den Tachometer zeigte, daß man das Limit bereits weit überschritt. Dann tauchte vor ihnen eine enge Kurve auf, und der Mini-Fahrer witterte Morgenluft. Der verfolgte Wagen mußte bremsen, wollte er die Kurve einigermaßen sicher passieren und nicht an einem Baum landen. Der Mini hingegen war ein ausgesprochener Kurvenspezialist. Der Wagen klebte förmlich an der Fahrbahn und fuhr wie auf Schienen. Der Vorteil lag also klar auf seiner Seite. Dann aber wurden die Augen der Mini-Insassen groß wie Untertassen. Der kantige Wagen vor ihnen ging ohne Bremsmanöver in die Kurve. Er schoß förmlich in sie hinein und war einen Augenblick später ihren Blicken entschwunden. »Das schaffen die nie«, bemerkte der Beifahrer und beugte sich unwillkürlich etwas vor, um besser zu sehen. »Gleich kommt der große Knall«, fand auch der Fahrer und bremste. Aber das große Ereignis blieb aus. Irritiert beschleunigte man wieder. Die Kurve war leer. »Das gibt’s doch nicht«, beschwerte sich der Beifahrer, dann entdeckte er den kleinen schwarzen Punkt weit vor ihnen und Stöhnte unwillkürlich. »Verdammt, wie haben die das gemacht?« wunderte er sich. »Die alte Karre hätte doch bei dem Speed, den sie draufhatten, an einem Baum kleben müssen.« »Das Ding ist frisiert, da kannst du mir sagen, was du willst.« Der Fahrer versuchte, das Gaspedal durchs Bodenblech zu drücken. »Wenn die nicht bald ‘n bißchen langsamer machen, kriegen wir die nie.« Plötzlich hellte sich seine Miene wieder auf. Der schwarze Punkt wurde nämlich größer, und die Umrisse des ehemaligen Taxis wurden wieder erkennbar. Und noch etwas ließ die beiden Männer im Mini schadenfroh grinsen. Unter dem Heck des altertümlichen Wagens quoll eine schwarze Rauchwolke hervor, die schnell größer wurde und die Straße einhüllte.
»Na also, gleich haben wir sie!« freute sich der Fahrer. »Die haben ihren alten Kasten überstrapaziert. Paß auf, gleich bleiben sie stehen!« * Josuah Parker wußte, was er seinen Verfolgern schuldig war. Zum einen ging es darum, ihren Jagdeifer anzuspornen und sie unvorsichtig zu machen. Zum anderen durften sie nicht entmutigt werden und bedurften deshalb einer gewissen Aufmunterung. Zu diesem Zweck hatte er einen Schalter auf dem reichhaltig ausgestatteten Armaturenbrett umgelegt. Die Folge war der Rauch, der unter dem Heck hervorquoll und die Verfolger frohlocken ließ. Allerdings war der Rauch keineswegs das Zeichen eines überforderten Motors, sondern diente lediglich der Täuschung. Die Straße wurde nur von Parkers hochbeinigem Monstrum und dem Mini befahren. Damit konnte der Butler zur Sache kommen. Eine Bauruine tauchte auf. Sie sollte wohl mal ein Einkaufscenter werden. Doch schien dem Bauträger zwischenzeitlich das Geld ausgegangen zu sein. Jedenfalls wurde hier nicht mehr gearbeitet. Plätze dieser Art waren Glücksfälle, die man nutzen sollte, meinte der Butler, und lenkte seinen Wagen auf die Zufahrt zu dieser Baustelle. Der Maschendraht, der das Gelände umschloß, war an mehreren Stellen gerissen oder niedergetreten. Parker konnte deshalb auf den Platz fahren, ohne vorher aussteigen und eine Zufahrt schaffen zu müssen. Es sah für die Verfolger so aus, als würde er sein defektes Gefährt von der Straße lenken, um den nachfolgenden Verkehr nicht zu gefährden. Auch für die Verfolger war die Baustelle ein ausgesprochener Glücksfall. »Mann, besser geht’s doch nicht«, fand der Beifahrer und rieb sich unternehmungslustig die Hände. »Da können wir die beiden schön aufmischen, das ist die ideale Falle.« Auch der Mini-Fahrer war hochzufrieden. Im Gegensatz zu Parker mußte er allerdings sehr aufpassen. Der kleine Wagen lag dicht über dem Boden und lief Gefahr, auf den vielen Unebenheiten aufzusitzen. Fluchend und vorsichtig manövrierte sein Fahrer ihn auf den Bauplatz. Zweimal schlug es hart
gegen den Fahrzeugboden und ließ die Insassen erschrocken zusammenzucken. »Paß bloß auf, daß wir nichts abreißen«, warnte der Beifahrer. »Überlaß das gefälligst mir, ich fahre!« schnauzte sein nervös gewordener Kollege. »Ich meine ja nur«, beschwichtigte der andere halbherzig und griff unter die Jacke, um seine Waffe zu überprüfen. Josuah Parker registrierte, daß der Mini inzwischen den Bauplatz erreicht hatte und griff erneut nach dem Schalter, der den schwarzen Qualm freisetzte. Er war der Meinung, daß die Verfolger einen Nachschlag vertrugen und sorgte dafür. »Verdammt, ausgerechnet jetzt!« fluchte der Mini-Fahrer, als sich eine neue Wolke unter dem Heck des hochbeinigen Monstrums hervorwälzte und ihnen die Sicht raubte. Die Wolke war viel dichter und kompakter als die erste. Sie hüllte den Mini sofort ein, und in der nächsten Sekunde passierte es bereits. Der kleine Wagen schrammte über einen großen Stein, schob sich kreischend darüber hinweg und blieb dann endgültig auf einer Bodenerhebung sitzen. Der Fahrer versuchte noch, durch wechselseitiges Gasgeben und Bremsen herunterzukommen, aber der Wagen saß unverrückbar fest. »So ein Mist!« Wütend stieß der Mann die Tür auf und stieg aus. Auf der anderen Seite schob sich der Komplice ins Freie und versuchte, die Schwärze mit den Augen zu durchdringen. »Verdammt, siehst du was?« erkundigte er sich bei seinem Partner. »Meinst du, ich habe Röntgenaugen?« reagierte der gereizt. Auch er sah nicht die sprichwörtliche Hand vor Augen. Er streckte seine Hand vor, ertastete etwas Weiches und wurde einen Augenblick später am Arm gepackt und unerbittlich in die Qualmwolke gezogen. »Wen haben wir denn da?« dröhnte eine baritonal gefärbte Stimme. »Einen Geist vielleicht?« Der Fahrer leistete erbitterten Widerstand, nachdem er seinen Schock überwunden hatte. Er strampelte und versuchte sich loszureißen, aber die Hand, die ihn hielt und an ihm zerrte, erwies sich als außerordentlich kräftig.
»Nun haben Sie sich nicht so, Sie Lümmel«, herrschte ihn die Stimme an. »Sie werden doch vor einer schwachen Frau keine Angst haben, oder?« Dem Fahrer dämmerte, daß hier einiges nicht so ablief, wie sie es geplant hatten. Er griff unter seine Jacke und wollte seine Pistole ziehen, aber die noch unsichtbare Gegnerin schien dies zu ahnen. Sie ließ ihn urplötzlich los, und prompt verlor er das Gleichgewicht und fiel auf sein Hinterteil. »Hallo, wo sind Sie denn?« erkundigte sich die Stimme. Der Fahrer blieb ruhig liegen und versuchte den Standort seiner Gegnerin zu lokalisieren. Dann riet ihm seine innere Stimme zur Vorsicht, und er hielt es für klüger, sich zunächst in Sicherheit zu bringen. Wenn die Lage wieder einigermaßen übersichtlich war, wollte er zuschlagen… Sein Partner hatte die gleiche Idee, als sich ein harter Gegenstand um seinen Hals legte. Parkers Schirmgriff reduzierte die Luftmenge des Mannes erheblich und zog ihn außerdem unerbittlich näher. Der vom Schicksal so hart Gebeutelte taumelte Parker entgegen und machte allmählich die dunkle Gestalt vor sich aus, was ihm allerdings nicht viel nützte. Halbherzig und ohne jede Kraft streckte er die Arme vor. Verstand und Instinkt sagten ihm, daß er Widerstand leisten mußte, sein Hals, daß solche Abwehr sinnlos war. Plötzlich ließ der Zug los. Erleichtert faßte der Unglückliche an den Hals und rieb intensiv. Fast dankbar holte er tief Luft und freute sich, daß es wieder problemlos möglich war. Dann traf es ihn hart an der Stirn und ließ ihn in die Knie sinken. Josuah Parker fing den Mann erstaunlich mühelos auf und bettete ihn etwas abseits. Lady Agatha stand vor dem Mini und hielt ihrerseits Ausschau nach ihrem Gegner, der sich inzwischen wohl abgesetzt hatte. * Der Minifahrer lag hinter einem Stapel Brennholz und spähte angestrengt zu der Wolke hinüber, die sich immer mehr verflüchtigte und allmählich durchsichtig wurde.
Neben ihm lag seine Pistole, aber die wollte er nach Möglichkeit nicht einsetzen. Ihre Gegner waren schließlich alte Leute und sie beide selbst jung und kräftig. Sie waren schon mit ganz anderen Typen fertig geworden. Vorsichtig schlich er sich deshalb an dem kantigen schwarzen Wagen entlang und näherte sich der fülligen Frau. Sie stand nur drei Schritte noch entfernt. Er hob seine mitgebrachte Latte, spannte die Muskeln und spürte plötzlich einen harten Gegenstand, der sich ihm unangenehm in die Seite bohrte. »Sie sollten Ihre Absicht vergessen und das Schlagzeug vorsichtig fallen lassen, Mister«, sprach ihn eine ruhige Stimme an. »Dabei sollten Sie allerdings jedes Mißverständnis vermeiden.« »Parker?« erinnerte er sich an den Namen, dem ihm Frank Willis genannt hatte. »In der Tat, Mister. Wenn meine Wenigkeit nun bitten darf?« Der Minifahrer hatte indes nicht die Absicht, sich von einem alten Mann überrumpeln zu lassen. Er wollte sich nicht dem Spott seiner Kollegen und der Branche aussetzen, wenn die davon erfuhren. Außerdem hielt er die Überraschung nur für einen kleinen Schnitzer, den er gleich wieder ausbügeln würde… »Ihr Zögern gibt Anlaß zu gewissen Bedenken, Mister«, machte ihm die höfliche Stimme im Rücken klar. »Ja, schon gut, Mann.« Der Minifahrer kam dem Wunsch des Mannes hinter sich nach und legte die Latte vorsichtig auf den Boden. Dann wirbelte er herum und wollte dem Butler den Ellenbogen in den Leib stoßen. Aber Parker stand nicht mehr an der alten Stelle. So taumelte er zur Seite, prallte gegen die Karosserie des kantigen Wagens und fühlte gleich darauf einen stechenden Schmerz im ganzen Arm bis zum Schulterblatt. »Sie haben Ihr Ungemach Ihrer Unbesonnenheit zuzuschreiben, Mister«, bemerkte Josuah Parker gelassen. »Wenn Sie gestatten, sieht meine Wenigkeit Ihren Ellenbogen an. Man kann sicher mit einer schmerzstillenden Salbe aus der Autoapotheke dienen.« »Ach, gehen Sie doch zum Teufel!« verwünschte der etwa Dreißigjährige den Butler. »Ein Wunsch, den man Ihnen leider nicht erfüllen kann, Mister«, bedauerte Parker. »Hinzu kommt, daß Ihr Kollege schläft. Er lief bedauerlicherweise gegen den Schirm meiner Wenigkeit.«
»Was soll das Ganze eigentlich?« begehrte der Mann auf. »Gehen Sie immer so mit Leuten um, die Ihnen helfen wollen?« »Könnten Sie das näher erklären, Mister?« »Na ja, wir sahen doch, daß Sie eine Panne hatten. Da sind wir hinter Ihnen abgebogen und wollten unsere Hilfe anbieten«, log der Minifahrer dreist. Inzwischen war Lady Agatha, angelockt durch die Unterhaltung, herangekommen. »Ihr Butler hat mich angegriffen«, beschwerte sich der Fahrer. »Was sind denn das für Manieren?« »Aber, Mister Parker!« Lady Agatha sah ihren Butler an und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Haben Sie dazu etwa die Latte benutzt?« »Keineswegs und mitnichten, Mylady. Sie wurde von diesem Gentleman geschwungen, um Mylady damit niederzuschlagen«, informierte Parker sie knapp. »Und warum sollte ich das tun?« wollte der Mann wissen. »Vielleicht, weil Sie Mister Willis dazu aufgefordert hat? Immerhin verfolgen Sie Mylady, seit der genannte Herr ihres Besuches teilhaftig wurde.« »Den Namen habe ich nie zuvor gehört.« Der Minifahrer schüttelte energisch den Kopf und schien keine weiteren Worte zu finden. Parker, der ihn genau beobachtete, ahnte, was er vorhatte. Einen Augenblick später drückte sich der junge Mann vom Wagen ab und wollte lossprinten. Wieder war es der Bambusgriff des Schirmes, der ihm einen Strich durch die Rechnung machte. Die Schirmzwinge lag plötzlich um einen seiner Knöchel und hinderte ihn am Entkommen. Er geriet aus dem Gleichgewicht, ruderte mit den Armen wild durch die Luft und fiel schließlich vornüber, so daß er sich mit den Händen auf dem Boden stützen mußte. »Mylady erwartet jetzt das Gespräch, Mister«, teilte der Butler ihm mit. »Wenn Sie die Freundlichkeit hätten, die Konversation fortzusetzen?« *
»Das können Sie doch nicht machen, Mylady«, flehte der Minifahrer, dessen Name, wie er inzwischen verraten hatte, Hank Snowdon war. Sein Beifahrer hieß John Masters. Parallel dazu hatte die ältere Dame den Butler mit einem neuen Plan vertraut gemacht, der die beiden Verfolger betraf. Im wesentlichen basierte dieser Plan auf dem Kran, der im Gelände stand und betriebsbereit aussah. Parker sollte den Behälter mit Inhalt in luftige Höhen ziehen und ein paarmal im Kreis schwenken, damit sich gewisse Herren einen Überblick über die Stadt im allgemeinen und über den Bauplatz im besonderen machen konnten. Natürlich wollte die Detektivin die beiden Ganoven nur unter Druck setzen und dadurch zu mehr Kooperation veranlassen. Der Butler kehrte wenig später von. seiner Inspektion zurück und unterrichtete Agatha Simpson vom Ereignis. »Man könnte mit einer Palette dienen, die noch erstaunlich gut erhalten ist, obwohl sie schon lange Wind und Wetter ausgesetzt war, wie der Volksmund es so treffend umschreibt, Mylady«, berichtete er. »Sie könnte als Plattform für die Herren dienen. Aus Gründen der Sicherheit sollte man sie vorsichtigerweise mit einem Seil fixieren.« »Sie wollen uns umbringen«, jammerte John Masters, der MiniBeifahrer. »Ich bin einverstanden, Mister Parker«, sagte die resolute Dame. »Wo liegt die Palette?« »Etwa fünfzig Yards von hier entfernt, Mylady«, berichtete der Butler. »Der Kranausleger dürfte sie ohne Probleme erreichen.« »Na schön, worauf warten wir noch?« Die passionierte Detektivin wies vage in die von Parker bezeichnete Richtung. »Auf, meine Herren, Sie haben einen kleinen Ausflug vor. Das biete ich nicht jedem. Sie sollten mir dankbar sein.« »Wir fallen bestimmt herunter, und Sie haben einen Doppelmord auf dem Gewissen«, lautete Hank Snowdons Antwort. »Wollen Sie das?« »Papperlapapp, seien Sie nicht so zimperlich«, winkte sie ab. »Ich steuere Sie schon.« »Mann, Parker, so unternehmen Sie doch was, Ihre Chefin ist ja wahnsinnig«, rief Snowdon den Butler zu Hilfe. »Meine Wenigkeit steht in unverbrüchlicher Treue und Loyalität zu seiner Herrschaft«, teilte der Butler ihm mit. »Myladys Handeln ist immer von größter Wirksamkeit bestimmt.«
»Wir sind doch nur kleine Lichter, kleiner geht’s schon gar nicht mehr«, jaulte Masters. »Wollen Sie die Kleinen hängen und die Großen laufenlassen?« »Wenn man an die Großen nicht herankommt, weil die Kleinen sich weigern, ihr Wissen preiszugeben«, grollte die ältere Dame, »muß man sich eben bescheiden.« »Aber wir können Ihnen helfen, die Großen zu kriegen, Mylady!« »Erst die Luftreise, dann sehen wir weiter«, entschied die Detektivin und der Butler sah diskret zur Seite. * Die Männer überschlugen sich förmlich mit ihrer Aussage, als sie auf der Palette Platz genommen hatten, besonders, als Parker den Kran einen Meter gelupft und wieder abgesetzt hatte. Lady Agatha stand ein wenig abseits und pflegte ihren angegriffenen Kreislauf mit dem geliebten Kreislaufbeschleuniger aus Parkers Taschenflasche. Die Vernehmung der beiden Schläger überließ sie Parker, da sie zunächst keine weitere Veranlassung sah, aktiv zu werden. Sie betonte immer wieder, aus Gründen der Priorität ausschließlich die große Linie eines Falles zu verfolgen. »Nun, Mister Parker, was haben Sie herausgefunden?« erkundigte sie sich wenig später, als er zu ihr trat. »Haben Sie den Eindruck, daß die Lümmel alles gesagt haben, was sie wissen, oder muß ich mich selbst einschalten?« »Dies dürfte – mit Verlaub – nicht nötig sein, Mylady«, gab der Butler gemessen und würdevoll zurück. »Meine Wenigkeit hat durchaus den Eindruck, alles erfahren zu haben, was die Herren wissen. Alles in allem war das Gespräch recht aufschlußreich.« »Hoffentlich irren Sie sich nicht«, warnte die resolute Dame. »Ich weiß nicht, ob Sie solche Dinge schon wirklich allein beurteilen können, Mister Parker.« »Man ist gerne bereit, Mylady mit Details zu dienen, damit Mylady ein Fazit ziehen können«, bot Parker an. »Langweilen Sie mich bitte nicht mit unwichtigen Einzelheiten«, erwiderte sie. »Nur kurz: Was unternehme ich jetzt?« »Zunächst sollte man den Herren die Gelegenheit zu einem Anruf geben, Mylady«, schlug der Butler vor. »Mister Frank Willis möch-
te umgehend wissen, wann die Herren ihren ‘Auftrag erledigt haben.« »Damit sie ihn warnen können?« »Das sollte man verhindern können, Mylady, aber auf diese Weise wäre Mister Willis in Sicherheit zu wiegen.« »Ich hoffe, Sie begehen keinen Fehler, Mister Parker, also gut, ich werde Ihnen den Gefallen tun.« »Die Sicherheit, die man Mister Willis vermitteln will, ist zeitlich gesehen von besonderer Bedeutung, Mylady«, berichtete Parker weiter. »Die Herren glauben, daß bereits heute abend eine Gesellschaft stattfindet, auf der sich Titelsüchtige aller Couleur in einem Landhaus außerhalb Londons einfinden.« »Das ist ja nun sehr interessant«, fand sie. »Und Sie glauben wirklich an diese Gesellschaft? Wir waren uns doch einig darüber, daß die beiden Schläger nur kleine Lichter sind, nicht Wahr? Meinen Sie wirklich, die hätten Kenntnis davon?« »Nicht offiziell, Mylady. Aber die Herren Snowdon und Masters sind zum einen sehr neugierig, zum anderen sehr geldgierig. Sie scheuten nicht davor zurück, Mister Willis zu bespitzeln. Auf diese Weise erfuhren sie von besagtem Landhaus und auch von diesem Termin, der übrigens nicht der erste ist. Es hat bereits ein halbes Dutzend ähnlicher Gesellschaften gegeben.« »Was Sie nicht sagen!« Die passionierte Detektivin erwärmte sich immer mehr für das Thema. »Aber wie lädt er all diese Leute ein, vor allem, woher kennt er sie? Er kann doch wohl kaum ein Inserat aufgeben mit der Ankündigung, daß er Titel verkauft?« »Mitnichten, Mylady. Offiziell ist auch nicht Mister Willis der Gastgeber, sondern ein Gentleman namens Roger Galbraith. Mister Galbraith ist offiziell Makler und in Gesellschaftskreisen bestens eingeführt. Er vermittelt Grundstücke und Häuser der gehobenen Preisklasse, aber auch Firmenbeteiligungen, Finanzierungen, wertvolle Kunstobjekte und ähnliches.« »Mit anderen Worten, der Mann handelt mit allem, was viel Geld bringt«, faßte Mylady richtig zusammen. »So könnte man es ausdrücken, Mylady. Zudem wird Mister Galbraith auch immer wieder als Konkursverwalter und Abwickler in Firmensanierungen- und Stillegungen eingesetzt. Er gilt in gewissen Kreisen der Wirtschaft als sehr einflußreich und wichtig.«
»Und ein solcher Mann betätigt sich auf kriminelle Weise?« wunderte sich die ältere Dame. »Das kann ich kaum glauben, Mister Parker.« »Möglicherweise handelte es sich zunächst um ein Abfallprodukt, Mylady. Mister Galbraith scheint ein Mann zu sein, der – mit Verlaub – an keiner Verdienstmöglichkeit vorbeigeht. Übrigens soll Mister Willis sein Halbbruder sein.« »Trotzdem, Mister Parker.« Lady Agatha schüttelte indigniert den Kopf. »Den Namen habe ich übrigens schon gehört, ich kann es immer noch nicht glauben.« »Man kann sich vom Wahrheitsgehalt dieser Behauptung überzeugen, Mylady.« »Stimmt, und das werde ich auch tun. Und wehe den beiden Lümmeln, wenn sie mir einen Bären aufgebunden haben«, beendete die resolute Dame das Thema. * Die beiden Mini-Benutzer hatten für die Weiterfahrt in Parkers Kofferraum Platz genommen. Er war erstaunlich geräumig, mit Teppichboden ausgelegt und mit Luftlöchern versehen. Den Mini sollte ein Neffe Horace Picketts abholen. Parker hatte von einer nahen Telefonzelle aus mit dem ehemaligen Eigentumsumverteiler gesprochen und ihn darum gebeten. Bei dieser Gelegenheit hatte Pickett um ein dringendes Gespräch ersucht, weil er wichtige Neuigkeiten hatte. »Wo hat er die denn her?« erkundigte sich Lady Agatha auf der Rückfahrt nach Shepherd’s Market. »Meine Wenigkeit war so frei, in Mister Willis’ Haus eine sogenannte Wanze zu hinterlassen, Mylady«, informierte der Butler. »Mister Pickett wiederum, der von meiner Wenigkeit von dem bevorstehenden Besuch bei Mister Willis unterrichtet worden war, bezog in der Nähe seines Hauses Posten und hörte dann die übermittelten Sendungen ab.« »Mister Pickett war auch da?« wunderte sie sich. »In der Tat, Mylady, und zwar vor dem Eintreffen Myladys und meiner Wenigkeit.« »Ich habe ihn natürlich sofort bemerkt«, behauptete die Detektivin.
»Davon geht meine Wenigkeit auch aus.« Josuah Parker wunderte, sich nicht über die Behauptung seiner Herrin. »Er war der alte Mann, der den Rasen vor dem Nachbargrundstück gemäht hat, nicht wahr?« fuhr sie fort. »Mehr oder weniger, Mylady. Als Mylady dort eintrafen, führte er gerade einen Hund spazieren.« »Natürlich, ich habe das Bild genau vor mir«, schwenkte sie rasch um und nickte heftig. Die Darbietung war eine von Picketts beliebtesten und überzeugendsten Vorstellungen. Als Parker langsam an ihm vorbeirollte, hatte er ihm unauffällig ein Zeichen gegeben, daß nichts Verdächtiges zu bemerken war. »Er hat also Ihre Wanze abgehört«, erinnerte sich die ältere Dame. »Und was ist dabei herausgekommen?« »Das wird er Mylady persönlich mitteilen. Wenn meine Wenigkeit ihn richtig verstanden hat, geht es um ein mitgehörtes Telefonat.« »Da bin ich mal gespannt«, gab sie zurück. »Nun ja, Mister Pickett ist ein Wichtigtuer, der Kleinigkeiten unnötig aufbauscht. Es dürfte also schon interessant werden.« »Der ehrenwerte Mister Pickett verriet allerdings vorab, daß es sich um ein Telefonat handelte, das Mister Willis mit Mister Galbraith führte«, berichtete Parker weiter. »Wer ist denn das schon wieder, Mister Parker?« monierte die ältere Dame. »Wollen Sie mich mit unwichtigen Namen verwirren? Das wird Ihnen nicht gelingen, das wissen Sie doch.« Parker blieb beim Wesentlichen. »Mister Galbraith ist jener Makler, der heute abend eine Gesellschaft gibt, Mylady«, erinnerte er seine Herrin. »Möglicherweise ist er der Mann im Hintergrund.« »Das sage ich ja die ganze Zeit.« Lady Agatha lehnte sich zufrieden in die Polster zurück. »Ich werde natürlich auf dieser Gesellschaft erscheinen, Mister Parker.« »Davon geht meine Wenigkeit in der Tat aus«, gab der Butler zurück. »Ich bin gespannt, wen ich dort treffe«, überlegte sie weiter. »Und ich weiß schon jetzt, daß es sehr interessant werden wird. Alle Leute, die einen Titel kaufen wollen…stellen Sie sich das nur mal vor!« »Mylady werden viel Gesprächsstoff liefern«, war der Butler überzeugt. »Und ob, Mister Parker!« Agatha Simpson lächelte versonnen.
* Horace Pickett wartete schon, als sie im Shepherd’s Market eintrafen. Während Josuah Parker die beiden Mini-Benutzer in einem der Gästeappartements im Keller unterbrachte, nahm der ehemalige Eigentumsumverteiler mit der Hausherrin eine Erfrischung. »Sie haben von einem sehr wichtigen Telefonat zu berichten, dessen Zeuge Sie wurden, Mister Pickett?« eröffnete Parker das Gespräch, als er in den kleinen Salon zurückkehrte. »Zwischen diesem Willis und einem Mister Galbraith, Mister Parker«, bejahte Pickett die Frage. »Die Sekretärin dieses Galbraith rief an und teilte Willis mit, wer ihn zu sprechen wünschte, daher weiß ich den Namen.« »Ein außerordentlicher Glücksfall, Mister Pickett.« »Das Glück des Tüchtigen, Mister Parker, und damit meine ich Sie. Sie haben schließlich die Wanze installiert.« »Auf meine Veranlassung, mein lieber Pickett«, glaubte Mylady einwerfen zu müssen. »Das dachte ich mir, Mylady.« Horace Pickett kannte die Detektivin und ihre Eigenheiten sehr genau, er war deshalb äußerst taktvoll. »Bitte fahren Sie fort, mein Lieber«, sagte die Hausherrin, wie immer sehr angetan von der Höflichkeit und Galanterie des ehemaligen Eigentumsumverteilers. »Dieser Galbraith erkundigte sich, ob es etwas Neues gäbe. In diesem Zusammenhang fiel auch Ihr Name«, berichtete Pickett. »Willis erzählte ihm von Ihrem Besuch und daß er Sie habe abblitzen lassen.« Horace Pickett hob abwehrend die Hände, als er Myladys Protestbereitschaft bemerkte. »Ich weiß, Mylady, natürlich hat es sich anders abgespielt. Ich gebe nur wieder, was er erzählt hat. Außerdem erwähnte er, daß man sich Ihrer bemächtigt hätte, einer seiner Leute hätte gerade angerufen und ihm die Erfolgsmeldung durchgeben.« Das stimmte. Bevor Parker den ehemaligen Eigentumsumverteiler über eine Nummer angerufen hatte, die zu einem mobilen Telefon in Picketts Lieferwagen gehörte, hatte er Hank Snowdon gebeten, seinen Chef anzurufen und die besagte Erfolgsmeldung durchzugeben. Dieser war daraufhin angewiesen worden, das skurrile
Paar in einem alten Bauernhaus unterzubringen, das Willis außerhalb Londons besaß, und am nächsten Vormittag von dort wieder anzurufen und um weitere Instruktionen nachzusuchen. Bis dahin sollten die beiden Mini-Benutzer Parker und Mylady natürlich bewachen. »Galbraith zeigte sich über diese Entwicklung einerseits besorgt, andererseits aber auch wieder erleichtert. Er meinte, es sei natürlich nicht ganz ungefährlich, eine so prominente Dame wie Mylady einfach verschwinden zu lassen, er müsse sich da erst noch etwas einfallen lassen. Darüber wollte er heute abend im Anschluß an eine Gesellschaft mit Willis sprechen, er erinnerte ihn ausdrücklich daran. Da liefen eine Menge Eitle und Dumme, die man ausnehmen kann, herum«, meinte er. »Da hat er bestimmt recht, nur, daß ich diesmal auch da bin, und ich bin weder eitel noch dumm«, betonte Mylady mit viel Entschlossenheit in der baritonal gefärbten Stimme. »Das wird der Gesellschaft den richtigen Schwung verleihen, Mylady«, ahnte der ehemalige Eigentumsumverteiler und lächelte versonnen. »Worauf Sie sich verlassen können, mein Lieber«, gab die Dame des Hauses zurück und lächelte gleichfalls. »Haben Sie auch mitbekommen, wann die Gesellschaft beginnt?« »Um acht Uhr, Mylady«, wußte Horace Pickett. »Dann jedenfalls wird das kalte Büfett eröffnet, wie er sagte.« * Der Landsitz Roger Galbraith’s war hochherrschaftlich und ausgesprochen repräsentabel. Daß sich hier mehr oder weniger regelmäßig die Spitzen der Gesellschaft oder solche Herrschaften, die sich dafür hielten, versammelten, war durchaus glaubwürdig. Die Auffahrt war von Girlanden gesäumt, die sich zusätzlich zu den Neonlampen, die geschickt in den Bäumen des Parks angebracht waren, um Helligkeit bemühten. das Haus selbst war strahlend hell erleuchtet. Ein kleiner Parkplatz dahinter sah aus wie eine Automobilausstellung für teure Modelle. Josuah Parkers Privatwagen nahm sich dazwischen ein wenig deplaziert aus. Aber das war nicht der Grund, warum er ihn am Ende des Platzes unter weitausladenden Zweigen abstellte. Es ging
ihm mehr darum, daß bis hierher nicht mehr das Licht der Lampen reichte, die um den Platz verteilt waren und ihn erleuchteten. »Darf man Mylady vorschlagen, den Hintereingang zu benutzen?« »Das wollte ich auch gerade vorschlagen. Ich möchte dieses Subjekt schließlich überraschen.« Lady Agatha lachte leise und folgte ihrem Butler, der bereits auf der Suche nach dem Hintereingang war. Den gab es natürlich, und selbstverständlich war er abgeschlossen. Mit Hilfe seines Spezialbestecks überredete Parker das sehr aufwendige Schloß rasch dazu, sich ihm willig zu ergeben. Der Gang dahinter gehörte zum Wirtschaftsteil des Hauses. Es gab eine Reihe von Türen, die zu Lager- und Abstellräumen und in den Keller führten, und eine, die zur Küche gehörte und halb offenstand. Mylady hatte die Tür gerade passiert, als ein Mann mit Kochmütze erschien und verdutzt den Butler bemerkte, der seiner Herrin folgte. »Man geht davon aus, daß alles in Ordnung ist?« richtete Parker das Wort an diesen Mann. »O ja, natürlich, selbstverständlich«, stammelte der Angesprochene und straffte sich unwillkürlich. »Das Büfett kann pünktlich eröffnet werden?« fuhr Parker mit unbewegter Miene fort. »Ja, natürlich, wir sind doch keine Anfänger«, meinte der Mann ein wenig ungehalten. »Meine Wenigkeit vergewissert sich trotzdem gern«, fuhr der Butler fort. »Man hat indes volles Vertrauen zu Ihnen und Ihren Mitarbeitern.« »Das können Sie auch haben.« Der »Koch« dachte gar nicht daran, sich nach Parkers Namen oder Stellung zu erkundigen. Der Butler strahlte soviel natürliche Autorität und Würde aus, daß Zweifel gar nicht erst aufkamen. »Sobald das Büfett eröffnet ist, können Sie und Ihre Mitarbeiter eine kurze Pause einlegen«, zeigte sich der Butler großzügig. »Oh, vielen Dank.« Der Mann mit der Kochmütze nickte dem Butler kurz zu und verschwand wieder in der Küche. »Wo bleiben Sie denn, Mister Parker?« monierte die ältere Dame, die stehengeblieben war, um auf ihn zu warten. »Man steht Mylady sofort wieder uneingeschränkt zur Verfügung«, versicherte ihr Parker und folgte.
* Im großen Salon waren gut fünfzig Gäste anwesend, die alle festliche Kleidung trugen, in Gruppen standen und sich unterhielten. Bedienstete bewegten sich unauffällig und boten Erfrischungen an. Der Raum strahlte eine Atmosphäre von Vornehmheit und Kultur aus, was Mylady allerdings nicht sonderlich beeindruckte. Sie nahm einem der uniformierten Bediensteten einen Kelch mit Champagner ab und sah sich unternehmungslustig um. Sie suchte den Gastgeber, den sie auch prompt entdeckte und der einfach nicht zu übersehen war. Roger Galbraith war um die Sechzig, groß und in einen dunkelblauen Smoking gekleidet, der ihm vorzüglich stand. Trotz seiner kompakten Figur bewegte er sich geschmeidig und mühelos zwischen seinen Gästen, blieb bei jeder Gruppe stehen, um eine Begrüßungsfloskel anzubringen und jedem ein paar Worte zu sagen und kam dabei Agatha Simpson immer näher. Dann hatte er die Gruppe erreicht, der sich Mylady angeschlossen hatte. »Guten Abend, ich freue mich, daß Sie alle meiner Einladung gefolgt sind. Es ist mir eine Ehre«, verkündete der Hausherr, verneigte sich vor jeder Dame und nickte den Herren freundlich zu. Auch Lady Agatha bekam ihre Verbeugung. Als sich der Gastgeber wieder aufrichtete, sah er sie nachdenklich an. »Verzeihen Sie, Ihr Name muß mir entfallen sein«, meinte er in liebenswürdigem Ton. »Bitte nehmen Sie das einem alten Mann nicht übel, aber das Gedächtnis, na ja.« »Aber das macht doch nichts, mein Lieber, das ist doch kein Beinbruch.« Lady Agatha zwinkerte ihm schelmisch zu. »Ich bin Lady Agatha Simpson, wir kennen uns vielleicht von den Farnboroughs her?« »O ja, das wäre gut möglich.« Galbraith war unmerklich zusammengezuckt, aber nur Parker, der wie immer hinter seiner Herrin stand, hatte dies bemerkt. »Ich freue mich, daß Sie kommen konnten, Mylady«, schmeichelte ihr der Hausherr. »Ich habe schon viel von Ihnen gehört, endlich lerne ich Sie persönlich kennen.«
»Ganz meinerseits, mein Lieber. Ich hoffe, wir können uns später noch ein wenig unterhalten, ich glaube, wir haben gemeinsame Interessen.« »Es wäre mir ein Vergnügen, Mylady. Aber wenn Sie mich für den Augenblick entschuldigen würden. Die Gastgeberpflichten, Sie verstehen!« »Aber natürlich, mein Lieber.« Agatha Simpson winkte ihm huldvoll und ließ sich dann in ein Gespräch verwickeln. Der Hausherr gab sich alle Mühe, sich nichts anmerken zu lassen. Er schob sich weiter zwischen seinen Gästen hindurch, nickte nach allen Seiten und verließ dann den Raum. Josuah Parker folgte ihm unauffällig. Roger Galbraith eilte eine Treppe hinauf und verschwand hinter einer schweren, getäfelten Tür. Der Butler zögerte keine Sekunde. Er zog das »Stethoskop« aus einer Innentasche seines Zweireihers und setzte es an das Türblatt. »…schon weg?« hörte er einen Augenblick später. »Ja, gut, ich verstehe, dann muß er ja bald kommen. Ich wollte ihn eigentlich nur bitten, etwas mitzubringen, was ich bei Ihnen vergessen habe, danke!« Offensichtlich hatte Galbraith versucht, Frank Willis zu erreichen. Parker hatte sich längst wieder in den Salon begeben, als Galbraith oben die Tür aufriß und dann wieder nach unten kam. * »Ich hoffe, das Büfett sagt Ihnen zu, Mylady?« Der Gastgeber hatte sich neben die ältere Dame geschoben und tat so, als pflege er Konversation mit einem lieben Gast. »Sie lassen das Fest sich einiges kosten, mein Lieber, das muß man anerkennen, aber es ist ja nicht Ihr Geld«, gab sie schlagfertig zurück. »Sie wollten doch mit mir sprechen«, bemerkte er leise. »Wie wäre es, wenn wir das jetzt tun, wenn die anderen Herrschaften beschäftigt sind?« »Ich bin auch beschäftigt, mein Lieber«, entgegnete sie. »Ich habe jetzt keine Zeit für Sie, nachher um so mehr.«
»Sie irren sich, Sie haben jetzt Zeit!« Roger Galbraith lachte hämisch. »Wenn Sie sich umdrehen, entdecken Sie hinter sich einen netten jungen Mann und der ist bewaffnet. Das trifft auch auf seinen Kollegen rechts von Ihnen zu.« »Wollen Sie mich vor allen Gästen etwa umbringen lassen? Machen Sie sich doch nicht lächerlich!« Lady Agatha dachte nicht daran, sich aus der Ruhe bringen zu lassen. »Die beiden Beschützer sind ausgesprochene Experten, was ihre Messer betrifft, Mylady«, sagte Galbraith ironisch. »Niemand würde Ihnen etwas ansehen, glauben Sie mir. Sie würden zusammenbrechen, und die beiden Herren würden Sie freundlicherweise auffangen und in ein Zimmer bringen, wo Sie Ihren Schwächeanfall auskurieren dürfen.« »Das könnte stimmen«, glaubte die ältere Dame. »Zumal die Herren als uniformierte Bedienstete eine gewisse Glaubwürdigkeit ausstrahlen.« »Eben. Also, kommen Sie?« »Ich möchte mir nur noch eine Kleinigkeit von diesem vorzüglichen Lachs nehmen, dann bin ich soweit.« Lady Agatha beugte sich vor, faßte die Lachsplatte ins Auge und drückte ihre Gabel dem rechts von ihr stehenden Mann in den Oberschenkel. Der Unglückliche stöhnte und lenkte damit auch seinen Kollegen ab. Der hatte einen Moment später auch sein Problem. Lady Agatha trat ihm kräftig auf den Fuß und bereitete seinen Zehen nicht gerade eine Freude. Josuah Parker hatte längst bemerkt, daß etwas im Gange war und stand rasch hinter seiner Herrin. »Die beiden Lümmel da, Mister Parker«, wies Mylady ihn ein, aber das war nicht nötig. Der Butler überblickte die Situation sofort. Er griff nach einem Eisbehälter und bedachte den rechts von Mylady stehenden Mann mit einer Abkühlung, die ebenso schnell wie rücksichtslos in seinen Kragen glitt. Der zweite Mann wurde auf andere Weise beschäftigt. Parker ergriff eine Platte mit Käse und reichte sie ihm. »Wenn Sie das freundlicherweise halten würden, Sir?« bat er. Der verdutzte Mann griff zu und bemerkte viel zu spät, daß der Butler seine Hände blockiert hatte. Die ältere Dame hielt ihre Zeit für gekommen und klatschte energisch in die Hände. »Darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten, meine Damen und Herren?« rief sie. Als erwartungsvolle Stille
eingetreten war, stellte sie sich vor und begann dann eine schwungvolle Rede über die Eitelkeit der Menschen. »Sie scheinen von Myladys Rede so beeindruckt, daß Ihr Kreislauf in Aufruhr geraten ist, Sir«, stellte der Butler an Galbraith gewandt fest. »Wenn meine bescheidene Wenigkeit Sie hinausführen darf?« »Lassen Sie das, Mann!« Der Hausherr wollte Parkers stützende Hand wütend abschütteln. Der Butler hielt übrigens in der anderen Hand unauffällig eine Spritze, die mit gefärbtem Wasser gefüllt war, aber das konnte Galbraith natürlich nicht wissen. Er ahnte auch nicht, daß der Butler nur bluffte und die Spritze nie eingesetzt hätte. »Sie sehen diese Spritze hier, Sir?« erkundigte sich Parker und gewährte ihm einen Blick darauf. »Wie leicht könnten Sie das Bewußtsein verlieren und meiner Hilfe bedürfen!« »Ich habe verstanden.« Galbraith preßte die Lippen zusammen und ließ sich hinausführen. Einer der Bediensteten wollte auf ihn zueilen, aber der Hausherr winkte ab. Parker hatte ihn kaum in einer Abstellkammer untergebracht, als Frank Willis eintraf. Bevor dieser begriff, wurde er gleichfalls in ein Einzelzimmer geführt. * »Die Zeitungen sind voll von diesem Titelhandel und dem Profit, den die Strolche daraus zogen.« Mike Rander hatte sich mit Kathy Porter zum Frühstück eingefunden und die Londoner Morgenblätter mitgebracht. »Sie kommen mal wieder ganz groß heraus, Mylady«, lobte Kathy Porter und lächelte. »Das steht mir auch zu, Kindchen. Schließlich habe ich einen Gesellschaftsskandal aufgedeckt.« »So ganz geht das aber nicht aus den Berichten hervor«, ließ sich Mike Rander vernehmen. »Ich meine, was hatte dieser Galbraith nun wirklich davon? Der Mann war ohnehin groß im Geschäft, für den waren doch die Einnahmen aus dem Titelhandel nur Peanuts, wie man in Amerika sagt. Wenn er sie nicht ohnehin ganz seinem Halbbruder überlassen hat.«
»Sollte ich mich der Presse gegenüber so unklar ausgedrückt haben?« sorgte sich Mylady. »Aber nein, das kann nicht sein, man hat mich wieder mal unvollständig zitiert.« »Dann erklären Sie es uns doch noch mal«, bat die junge Frau. »Das wird Mister Parker tun. Ich überprüfe gern, ob er alles verstanden hat«, gab die Hausherrin zurück und beschäftigte sich angelegentlich mit ihrem Frühstück. »Sie haben recht, Sir, Mister Galbraith hatte die Einnahmen aus diesem Geschäft nicht nötig«, begann der Butler. »Es war auch sein Halbbruder, der damit anfing und ihm eines Tages davon berichtete. Mister Galbraith lachte sicher zuerst darüber, dann aber erkannte er die enormen Möglichkeiten, die darin steckten. Stellen. Sie sich bitte mal die Skandale vor, wenn herauskam, wer alles falsche Titel gekauft oder sich sonstwie zugelegt hatte! Mister Galbraith ließ sich von Mister Willis eine Liste geben und sah, daß sich darunter einige der angesehensten Namen der Insel befanden. So begann er, seinen Halbbruder gezielt auf bestimmte Familien anzusetzen, und zwar auf solche, in deren Besitz sich Firmen befanden, auf die er selbst Wert legte oder für deren Beschaffung er sich hohe Prämien hatte versprechen lassen! Gewisse Aufsichtsratsmandate, die dabei abfielen, dürften die Sache abgerundet haben.« »Ich verstehe.« Mike Rander nickte nachdenklich. »Obwohl er eigentlich bestens etabliert war, wollte er nicht mehr nur ein gefragter Berater sein, sondern selbst ein großer Wirtschaftsführer werden, ja?« »Natürlich, mein Junge, Sie haben es begriffen!« freute sich die Hausherrin und sah sich huldvoll um. »Aber die Suppe habe ich ihm versalzen, ich wußte sofort, was der Lümmel vorhatte«, fügte sie hinzu und spießte ein Stück geräucherten Lachs auf. »Sie wußten natürlich auch von Anfang an, wer hinter diesem Titelhändler steckte, wie ich Sie kenne, Mylady?« neckte der Anwalt. »Natürlich! Wie sonst wäre ich ihm so schnell auf die Spur gekommen?« »Wie machen Sie das immer nur? Das müssen Sie mir unbedingt erklären«, bat Mike Rander und gab Kathy Porter neben sich einen zarten Rippenstoß.
Parker kam seiner Herrin zuvor. »Mylady verfügen über eine einmalige Intuition«, erklärte er gemessen und würdevoll. »Auch wenn sich das Verbrechen hinter hochherrschaftlicher Fassade versteckt, spüren es Mylady mühelos auf.«
-ENDENächste Woche erscheint BUTLER PARKER Band 586 Günter Dönges
PARKER macht das »Fallbeil« stumpf Sie verschicken Video-Kassetten, die schon mehr als makaber sind, denn auf diesen Streifen wird eine Guillotine gezeigt, in voller Aktion. Und es geht in den jeweiligen Streifen stets exakt um den Kopf jener Person, die das Video-Band erhält. Der Absender deutet unmißverständlich darauf hin, daß mit einer baldigen Realisation des Gezeigten fest zu rechnen ist. Falls man eben nicht gewisse Zugeständnisse macht – und zwar in Form von Manipulationen aller Art. Lady Agatha, alarmiert von einer Betroffenen und von ihrem Anwalt Mike Rander, legt sich sofort ins Zeug, um das Fallbeil schartig werden zu lassen. Butler Parker nimmt sich dieses Falles nur zu gern an und hat es schon bald mit raffinierten Profis zu tun, die seinen Kopf fordern. Günter Dönges bietet einen neuen PARKER-Krimi an, der für Hochspannung und schwarzen Humor sorgt. Liebhaber skurriler Storys, die von der üblichen Form abweichen, dürfen zugreifen. Gönnen Sie sich jede Woche BUTLER PARKER!