Butler � Parker � Nr. 246 � 246
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Butler � Parker � Nr. 246 � 246
Günter Dönges �
PARKER färbt die � ›Punker‹ ein �
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»Darf meine Wenigkeit davon ausgehen, daß Sie meine bescheidenen Wünsche in die Tat umsetzen konnten?« erkundigte sich Butler Parker bei dem Chefchemiker der Farbenfabrik. Die beiden Männer befanden sich im Besprechungsraum der kleinen, aber angesehenen Firma im Osten von London. Der Butler war am späten Nachmittag gekommen, um die von ihm bestellte Ware abzuholen. Der Chefchemiker, ein rundlicher Mittvierziger, deutete auf einen geöffneten Karton. »Wir haben uns alle Mühe gegeben, Mister Parker«, erwiderte er, »aber ich sage Ihnen gleich, daß diese Sonderanfertigungen nicht gerade billig ausgefallen sind.« »Geld dürfte in diesem Fall wohl kaum eine Rolle spielen«, versicherte Josuah Parker. »Lady Simpson legt nur Wert auf höchste Qualität.« »Die werden Sie bekommen, Mister Parker.« Der Chemiker lächelte ein wenig bitter und streckte seine linke Hand vor. »Sehen Sie selbst. Seit zwei Tagen versuche ich, diese Farbe von der Hand zu bekommen. Es klappt einfach nicht.«
Die Hauptpersonen: Peter Mintell ist ein fast treuherziger, ehemaliger Catcher. Dan Wolton pflegt als Punker seine rüden Manieren. Herrn Delfer betreibt eine Disko und schmeißt nicht nur Runden. Randolph Clappers läßt in seiner ›Rock‹-Fabrik Musik und noch einiges andere dröhnen. Lefty Wilburn reist aus den Staaten an und erlebt in London saftige Überraschungen. Lady Agatha Simpson trinkt einige Punker unter den Tisch. Butler Parker bring echten und unechten Punkern Manieren bei. »Sehr bemerkenswert, Sir.« Parker betrachtete die ausgestreckte Hand, die in allen möglichen Farben schillerte. Da gab es ein giftiges Grün, ein sattes Blau, ein grelles Rot und ein irritierendes Violett. Über diesen Farben lag ein Hauch von Gelb, das in die Augen stach.
»Ich werde mir einen Handschuh zulegen müssen«, meinte der Chemiker, »diese Mischung sah noch greller und schrecklicher aus, doch das hier dürfte ja noch immer reichen.« »Man darf davon ausgehen, daß Sie Ihr Fachwissen einsetzten, um 3
die Hand wieder farbfrei zu bekommen?« »Darauf können Sie sich verlassen, Mr. Parker. Ich habe alles versucht, aber das Zeug geht einfach nicht runter von der Haut. Und selbst wenn, dann werden die fluoreszierenden Partikel in den einzelnen Farben immer noch unter einer Quarzlampe zu sehen sein. Darauf legten Sie doch besonderen Wert, oder?« »In der Tat«, bestätigte Josuah Parker höflich, »Sie haben verschiedene Spraydosen angefertigt?« »Wie es gewünscht wurde«, gab der Chemiker zurück und holte nun verschieden große Behälter aus dem Karton. Sie waren flach wie Taschenflaschen, gewölbt und ließen sich mit Sicherheit unauffällig im Anzug tragen. Josuah Parker nahm die Spezialanfertigungen nacheinander prüfend in die Hände und nickte zustimmend. Die kleinste Spraydose war kaum größer als ein normales Feuerzeug, die Normalausführung erinnerte an eine gut gefüllte Brieftasche. »Darf man sich nach der Reichweite der Sprays erkundigen?« fragte der Butler und schob die Muster zurück in den Karton. »Die Farbmischungen stehen unter hohem Druck«, erklärte der Chemiker, »darum mußten wir ja auch Spezialbehälter entwickeln. Die Reichweite beträgt je nach Größe
zwischen fünfzig Zentimetern und anderthalb Meter. Mehr war einfach nicht zu schaffen.« »Dies übertrifft meine kühnsten Erwartungen, Sir«, erwiderte Josuah Parker, »gesundheitliche Schäden sind nicht zu befürchten?« »Keinesfalls«, versicherte der Chemiker. »Um diesen Punkt haben wir uns besonders gekümmert. Darf ich eine Frage stellen?« »Es wird mir eine Ehre sein, antworten zu können.« »Wozu brauchen Sie diese Farbmischungen und eigenartigen Spraydosen?« »Lady Simpson beschäftigen sich mit der Modernen Malerei«, antwortete Josuah Parker höflich und überzeugend, »Mylady will neue Wege gehen.« »Aha.« Der Chemiker nickte, jedoch ohne Überzeugung. »Und Mylady will die Farben aus einer gewissen Distanz auf die Leinwand sprühen?« »Dies ist Myladys erklärte Absicht«, behauptete Josuah Parker. »Auf diese Bilder bin ich gespannt«, meinte der Chemiker skeptisch. »Lady Simpson gehört zur Schule der sogenannten neuen Wilden?« »So könnte man sagen«, gab Josuah Parker vorsichtig zurück, »Mylady gedenkt, völlig neue Methoden zu entwickeln.« »Diese Farben sind bereits neu«, 4
meinte der Chemiker und blickte auf seine farbenfrohe Hand, »damit werde ich wohl wochenlang herumlaufen müssen.« »Sie rechnen damit, daß die Farbmischung sich nach Wochen auflösen wird?« »Ich hoffe es, Mr. Parker«, lautete die Antwort, »bitte, seien Sie sehr vorsichtig im Umgang mit den Spraydosen. Stellen Sie sich vor, Lady Simpson würde sich aus Versehen eine kleine Dosis ins Gesicht sprühen.« »Wenn Sie erlauben, wird meine Wenigkeit sich dies umgehend vorstellen…« »Lady Simpson könnte sich wochenlang nicht mehr in der Öffentlichkeit zeigen«, warnte der Chemiker. »Meine Wenigkeit wird Mylady eindringlich auf solch eine Gefahr hinweisen, Sir.« »Soll man Ihnen den Karton zustellen?« fragte der Chemiker. »Ein ausgezeichneter Vorschlag«, stimmte Parker zu, »Sie erlauben, daß man sich einige Spraydosen zur Probe mitnimmt?« Er wartete diese Erlaubnis selbstverständlich nicht ab, sondern versorgte sich mit zwei Spraydosen. Die größere ließ er in der Innentasche seines schwarzen Covercoats verschwinden, die kleinere in einer seiner vielen Westentaschen. Dann erhob sich Parker, deutete eine höfli-
che Verbeugung an und verließ den Raum. Er hatte ein ausgesprochen gutes Gefühl. Nun war er in der Lage, gewisse Begegnungen sogar zu provozieren. Nur aus diesem Grund hatte er spezielle Vorstellungen in die Tat umsetzen lassen. Parker gedachte, offensiv zu werden, was gewisse Leute betraf, die sich nicht an die Regeln menschlichen Zusammenlebens halten wollten. * Kathy Porter und Mike Rander bildeten ein Paar, das man nur als sehr gut aussehend bezeichnen konnte. Kathy Porter, Sekretärin und Gesellschafterin der Lady Simpson, etwa um die achtundzwanzig Jahre alt, war groß und schlank. Ihr langes Haar, kastanienbraun mit einem deutlichen Rotstich, umrahmte ein exotisch wirkendes Gesicht, wozu die schräg geschnittenen Augen und die betonten Wangenknochen noch beitrugen. Sie trug ein einfaches, aber raffiniert geschnittenes Hemdblusenkleid und hochhackige Schuhe. Mike Rander, Anwalt, etwa vierzig Jahre alt, erinnerte ein wenig an einen bekannten James-Bond-Darsteller. Er war groß, ebenfalls schlank und gab sich unbewußt lässig. Er trug zu schwarzen Halbschuhen eine graue Flanellhose und 5
einen dunklen Blazer. Kathy und Mike hatten die Straße überquert und hielten auf einen nahen Parkplatz zu. Sie hatten ihn noch nicht ganz erreicht, als sie auf eine Gruppe junger Männer aufmerksam wurden, die recht seltsam aussahen. Sie trugen Jeans, abenteuerlich aussehende, zerfetzte Westen und Hemden, Stiefeletten und eine Haartracht, die man mit Sicherheit dem Indianerstamm der Irokesen abgeschaut haben mußte. Diese Haartracht, die kammartig auf sonst glatt geschorenen Schädeln saß, war grellbunt gefärbt. Auffällig wie die Kleidung war auch das Benehmen dieser jungen Männer. Sie hatten sich eingehakt und grölten Songs, deren Texte sie verballhornt hatten und an Zweideutigkeiten nichts zu wünschen übrig ließen. Sie hatten das Paar Porter-Rander noch nicht entdeckt, sondern hielten auf einige Wagenbesitzer zu, die in einer Mischung aus Angst und Neugier zurückgewichen waren. Bei diesen Zuschauern handelte es sich um Frauen und Männer in mittleren Jahren, die durchaus seriös gekleidet waren. »Das sieht nach Ärger aus«, sagte Mike Rander. »Es fehlt nur der Funke, der die Ladung zündet«, fügte Kathy Porter hinzu.
»Wir dürften einer verspäteten Trainingsstunde gegenüberstehen«, stellte der Anwalt fest, »machen wir mit, Kathy?« »Es ist schon passiert.« Sie deutete auf ein älteres Ehepaar. Der Mann, untersetzt, schmal, schien den jungen Männern etwas zugerufen zu haben, was sie mißverstehen wollten. Die jungen Leute schwenkten freudig ein und schlossen einen Halbkreis um das Ehepaar. Die übrigen Parkplatzbesucher zogen es vor, sich noch nachhaltiger in Deckung zu bringen. »Hören wir mal an, was man sich da zu sagen hat.« Rander griff nach seiner Krawatte und näherte sich dann der Gruppe. Die Jugendlichen hatten das Ehepaar inzwischen gegen eine Hauswand gedrückt und redeten auf den Mann ein. Ihr Ton war nicht gerade leise, die Forderungen waren unverschämt. »Wie war das?« fragte Rander und sah seine Begleiterin an. »Man verlangt ein Darlehen«, erwiderte Kathy Porter. Sie wirkte entspannt und gelassen wie Mike Rander. »Klinken wir uns doch ein.« Rander stand inzwischen etwa zwei Meter hinter den jungen Männern, die noch immer nicht aufmerksam geworden waren. Mit Interesse nahm der Anwalt zur Kenntnis, daß sie ihre Ohrläppchen festlich geschmückt hatten. Verchromte 6
Schrauben, Sicherheitsnadeln und blinkende Kettchen waren eingefädelt. Man verstärkte die Frage nach einem Darlehen. Einer der jungen Männer riß der älteren Frau die Tasche aus der Hand und öffnete sie. Dann drehte er sie um und schüttelte den Inhalt auf den Boden. Der Mann der älteren Frau verbat sich diese Unverschämtheit und handelte sich den Verlust seiner Brille ein. Sie wurde ihm von der Nase gerissen, zu Boden geworfen und offensichtlich genußvoll von einem Stiefelabsatz zertreten. »Hallo, Nachbarn«, schaltete Mike Rander sich ein, »etwas nicht völlig in Ordnung?« Der junge Mann mit dem Irokesenkamm wandte sich im Zeitlupentempo zu Mike Rander um und starrte ihn wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt an. Dann erlitt er einen Lachanfall. »Lebensmüde?« fragte er den Anwalt. »Überhaupt nicht, mein Bester«, lautete Randers Antwort. Er wirkte ein wenig arrogant, wozu sein jetzt bewußt näselndes Universitäts-Englisch noch beitrug. »Seht euch diesen feinen Pinkel an«, schnodderte der junge Mann und lachte erneut auf, »der braucht wohl ‘ne kleine Lektion.« Die übrigen jungen Leute, es waren insgesamt sechs, verloren ihr Interesse an dem Ehepaar, konzen-
trierten sich auf Mike Rand er und begutachteten mit herausforderndunverschämten Blicken Kathy Porter. »Alles echt?« fragte einer und griff ungeniert nach Kathy Porters Brust. Eine Sekunde später stöhnte er laut. Kathy hatte mit ihrer linken Handkante blitzartig zugeschlagen und die Halspartie des jungen Mannes getroffen. Er rutschte in sich zusammen, fiel gegen das Heck eines abgestellten Wagens und landete anschließend auf dem Boden. Mike Rander sah, wie der junge Mann vor ihm zu einem Fausthieb ausholte. Der Angreifer nahm sich dabei etwas zu viel Zeit, denn der Anwalt konnte wesentlich früher seinen Schlag anbringen. Nach einem Volltreffer auf den Solarplexus stieß der junge Mann einen ächzenden Ton aus, verdrehte die Augen und fiel nach vorn auf die Knie. Kathy Porter blieb nicht untätig, drehte sich halb zur Seite und riß ihr rechtes Bein hoch. Ihr Schuh traf den Kinnwinkel eines anderen Mannes, der völlig überrascht wurde. Sein Kopf wurde ruckartig zur Seite geworfen. Er verlor das Gleichgewicht und fiel über jenen Mann, der noch immer kniete. Kathy Porter stand nach diesem überraschenden Ausfall wieder standsicher auf beiden Beinen und benutzte ihre rechte Handkante, um den vierten jungen 7
Mann in die Waagerechte zu bringen. Er steckte Kathys Schlag voll ein und beeilte sich ebenfalls, zu Boden zu gehen. Mike Rander war nicht untätig geblieben. Auch er kannte sich in vielen Künsten fernöstlicher Selbstverteidigung bestens aus, fintierte mit dem rechten Fuß, veranlaßte den fünften jungen Mann, hastig zur Seite zu springen und setzte dann seine linke Handkante ein. Der junge Mann jaulte, stolperte und krachte gegen einen Wagen. Als er sich wieder erheben wollte, benutzte der Anwalt den linken Ellbogen, um ihn nachdrücklich zu Boden zu schicken. Der sechste Mann lief bereits. Er zeigte Spurter-Qualitäten, rannte über die Park-Ausfahrt hinunter zur Straße und war nach wenigen Augenblicken verschwunden. »Werden Sie ohne Brille zurecht kommen?« erkundigte sich Mike Rander bei dem älteren, verstörten Mann. »Ich denke schon«, lautete die Antwort, »ich habe noch eine Ersatzbrille im Wagen.« »Dann sollten Sie schleunigst wegfahren«, riet Kathy Porter, »es kann sein, daß hier bald weitere Punker erscheinen werden.« Der Mann nickte, während Mike Rander den Inhalt der Handtasche zusammensuchte und die Utensilien
in die Tasche zurückgab. Mit höflich-lässiger Verbeugung überreichte er der älteren Frau die Handtasche. »Hängen wir die Sache an die große Glocke?« erkundigte sich Mike Rander bei Kathy Porter. »Müssen wir, Mike?« Zu ihrer Frage schüttelte sie bereits den Kopf. »Nicht unbedingt, Kathy.« Mike Rander zündete sich eine Zigarette an und musterte die fünf Punker, die ihre Übersicht noch immer nicht zurückgewonnen hatten. »Aussage wird gegen Aussage stehen. Aber ich könnte ihnen meine Visitenkarte hinterlassen.« »Sehr gut, Mike.« Sie wußte, was ihr Begleiter damit bezweckte. Rander holte in aller Ruhe seine Brieftasche hervor, griff nach einer Visitenkarte und ließ sie auf die Punker herunterfallen. Dann nickte er Kathy zu. Sie gingen hinüber zum Wagen, den sie hier in der Stadt benutzten. Es handelte sich um einen kleinen, schnellen und äußerst wendigen Mini-Cooper, der von Kathy gesteuert wurde. Als sie anfuhren, war der Wagen des älteren Ehepaares gerade noch zu sehen. Er mußte ruckartig ausweichen, denn von der Straße näherte sich ein großer Mazda, der von einem glatzköpfigen Mann gefahren wurde. Neben dem Fahrer saß der Punker, der sich fluchtartig zur Straße abgesetzt hatte. »Haben Sie auch das Kennzeichen, 8
Kathy?« erkundigte sich Mike Rander. »Natürlich, Mike«, erwiderte Kathy Porter, »sehr mobil, diese Punker, nicht wahr?« * »Ich glaube, daß ich verärgert bin«, stellte Agatha Simpson grollend fest, »warum hat man mich nicht mit in die Stadt genommen?« Lady Agatha Simpson, die das sechzigste Lebensjahr vor geraumer Zeit überschritten hatte, war eine äußerst stattliche Erscheinung, groß, vollschlank und heronenhaft. Sie trug ein weites, wallendes Hauskleid, das ihre Formen umspielte. »Sie wollten sich doch unbedingt den Video-Film ansehen, Mylady«, erinnerte Mike Rander lächelnd. »Schnickschnack«, erwiderte die ältere Dame, »Sie hätten mich überreden sollen, mit in die Stadt zu fahren.« »Es war nur ein alltäglicher Zwischenfall«, warf Kathy Porter ein. »Auf keinen Fall«, widersprach Lady Agatha eindringlich und schüttelte energisch den Kopf, »das war eine gelenkte Operation, so etwas spüre ich sofort.« »Eine gelenkte Operation, Mylady?« Rander, der nach seiner Rückkehr aus den USA das immense Vermögen der Dame verwaltete, war ehrlich erstaunt.
»Man will mich auf Umwegen herausfordern«, deutete Agatha Simpson den Zwischenfall, den sie eben erfahren hatte, »dieser Überfall galt selbstverständlich mir.« »Er galt einem älteren Ehepaar, dem man ein sogenanntes Darlehen abfordern wollte«, stellte Mike Rander klar. »Nur ein Ablenkungsmanöver«, erwiderte Agatha Simpson, »aber ich werde diese Herausforderung annehmen.« »Die Punker sind längst über alle Berge«, sagte Kathy Porter. »Punker, Punker? Was stelle ich mir darunter vor, Kindchen?« »Junge Männer und entsprechende Mädchen, die bewußt gegen den alltäglichen Strom schwimmen«, antwortete Kathy lächelnd, »sie ziehen sich bewußt bunt an, färben und scheren sich die Haare, tragen wilden Schmuck und wollen um jeden Preis auffallen.« »Hinter diesen Maskeraden stecken in der Regel junge Leute, die tagsüber durchaus arbeiten«, führte Mike Rander fort, »es sind Aussteiger der Gesellschaft für ein paar hektische Stunden.« »Aussteiger, die sich wie Straßenräuber benehmen«, erläuterte die ältere Dame, »wollten Sie nicht ein Darlehen erpressen?« »Richtig«, bestätigte der Anwalt, »diese Tour paßt nicht ins Bild, das man sich von einem Punker macht.« 9
»Und sie fuhren einen recht teuren Mazda«, warf Kathy Porter ein, »das heißt, sie sollten darin abgeholt werden.« »Wäre ich dabei gewesen, ich hätte mir wenigstens einen dieser Lümmel mit nach Hause genommen«, grollte die energische Frau, »warum ist dieser Mazda nicht beschattet worden?« »Wir haben immerhin das Kennzeichen des Wagens, Mylady«, informierte Kathy Porter, »eine Verfolgung wäre sinnlos gewesen, man hätte uns schnell entdeckt und auf eine falsche Fährte gesetzt.« »Wir haben schließlich meine Visitenkarte hinterlassen«, entgegnete der Anwalt. »Mit ein paar Ohrfeigen hätte man mehr erreicht«, behauptete Lady Agatha nachdrücklich, »sie wären auch erzieherisch gewesen. Es geht einfach nicht, daß solche Flegel hilflose alte Menschen angreifen und belästigen.« »Ich denke, wir werden sie bald wiedersehen, Mylady«, prophezeite der Anwalt, »sie werden sauer sein und auf Revanche sinnen.« »Das klingt schon besser, mein Junge«, freute sich die ältere Dame im vorhinein,»falls die Lümmel hier erscheinen, werde ich die Regie übernehmen. Das bitte ich mir aus! Übrigens, wo steckt Mr. Parker?« »Er wollte einige Einkäufe tätigen«, beantwortete Kathy Porter
die Frage. »Mr. Parker müßte eigentlich schon wieder zurück sein.« »Hoffentlich ist er nicht an diese Punker geraten«, sorgte sich Lady Agatha, »er ist ja ohne mich völlig hilflos…« Kathy und Mike tauschten einen belustigten Blick, vermieden aber, daß die ältere Dame und passionierte Detektivin ihn mitbekam. * Josuah Parker stellte sein hochbeiniges Monstrum, wie sein Privatwagen von Freund und Gegner genannt wurde, vor einem Haus ab, in dessen Obergeschoß sich ein privater Billard-Club eingerichtet hatte. Der Butler stieg aus, legte den Bambusgriff seines Universal-Regenschirms über den angewinkelten linken Unterarm und schritt gemessen zum Eingang des alten, unansehnlichen Backsteinhauses. Er war das Urbild eines hochherrschaftlichen Butlers bester englischer Schule. Auf seinem Kopf saß eine schwarze Melone, wie der Bowler im Volksmund genannt wurde. Über seinem schwarzen Zweireiher trug Parker seinen sehr konventionell geschnittenen schwarzen Covercoat. Josuah Parker paßte keineswegs in diesen östlichen Stadtteil von London. Man befand sich in der Nähe der West India Docks, von der nahen Themse her war der Geruch 10
von Schlick und Moder gut zu riechen. Parker ignorierte die erstauntbelustigten Blicke einiger Stauer, die gerade aus der schmalen Gasse kamen und einen nahen Pub ansteuerten. Parker ignorierte auch eine Gruppe von Punkern, die vor dem Eingang zum Billard-Club stand und Bier aus Dosen trank. Dennoch hatte der Butler mit schnellem, prüfenden Blick diese jungen Männer eingeschätzt. Sie waren abenteuerlich grell gekleidet. Allein ihr Aussehen wirkte provozierend auf den Durchschnittsbürger. »Haste dich verlaufen, Alterchen?« wurde er angeflachst. »Man erlaubt sich, einen erholsamen Abend zu wünschen.« Parker lüftete höflich seine schwarze, runde Kopfbedeckung. »Willste zu deiner eigenen Beerdigung?« fragte ein zweiter Punker lässig und dennoch bereits aggressiv. »Die Herren sind in heiterer Gemütsverfassung?« Parker ließ sich nicht beirren und hatte inzwischen den Eingang erreicht. Die vier Punker bauten sich wie auf geheimes Kommando hin davor auf und wollten ihm den Weg versperren. »Heitere Verfassung?« Die Achtzehn- bis Zwanzigjährigen waren verblüfft, schauten sich wechselseitig an und brachen dann in brüllendes Gelächter aus. »Wenn Sie vielleicht die Güte hät-
ten, meine Wenigkeit passieren zu lassen?« Parker blieb höflich stehen. »Seine Wenigkeit?« Die Punker schütteten sich vor Lachen aus. Dann trat der junge Mann vor, der den Butler parodiert hatte, und zupfte an einigen Büroklammern, die in seinem linken Ohr befestigt waren. »War das gerade ‘n fauler Witz, Alterchen?« »Sie dürften offensichtlich an einer übertriebenen Empfindlichkeit leiden, die aus einer gewissen Unsicherheit geboren ist«, reagierte Parker höflich. »Wenn Sie den Eingang nun freigeben würden?« »Der braucht ‘n paar Sachen aufs Maul«, sagte der dritte Punker gereizt. »Sie werden sich doch hoffentlich nicht an einem alten Mann vergreifen wollen«, erwiderte Parker gemessen, »ich darf feststellen, daß von einem Gleichgewicht der Kräfte auf keinen Fall die Rede sein kann.« »Jetzt platzt mir aber der Papierkragen!« Der vierte Punker hatte die Geduld verloren und wollte die schwarze Melone von Parkers Kopf schlagen. Daß es nicht dazu kam, hatte seine Gründe. Der Butler stach zielsicher mit der Spitze seines Schirmstocks in die Oberseite des Tennisschuhs des Punkers. Die Spitze bohrte sich ohne Verzögerung durch das leichte Material und dann, wenn auch nur oberflächlich, in die Region der Zehenansätze. Dieser 11
kleine Nadelstich, wirklich nur andeutungsweise ausgeführt, löste dennoch eine heftige Reaktion aus. Der vierte Punker sog scharf die Luft ein, um sie ruckartig wieder auszustoßen. Seine Gesichtsfarbe wechselte vom Weiß in ein tiefes Rot über. Dann brüllte der Getroffene auf und hüpfte wie eine Heuschrecke herum. »Falls ich Sie sehr inkommodiert haben sollte, bitte ich dies entschuldigen zu wollen«, sagte Josuah Parker, »Sie sollten meiner Wenigkeit allerdings zugestehen, daß keine andere Wahl blieb.« Die restlichen Punker starrten zuerst betroffen auf ihren Freund, musterten dann Parker und begriffen endlich, daß ein Angriff eindeutig mit großen Risiken verbunden war. Um ihre Verlegenheit zu verbergen, kümmerten sie sich um den Hüpfenden und gaben den Weg frei zur breiten Treppe, die hinauf in den Billard-Club führte. Parker lüftete dankend die schwarze Melone und stieg nach oben. Er schien den kleinen Zwischenfall bereits vergessen zu haben. Die Punker aber sahen ihm nach und schmiedeten anschließend Rachepläne. Sie konnten und wollten diese Niederlage nicht auf sich sitzen lassen! *
»Sind Sie etwa belästigt worden, Mr. Parker?« fragte der breitschultrige, große Mann, der an einen ausgedienten Catcher erinnerte. Er trug eine weitgeschnittene Hose, eine Weste und hatte die Ärmel seines karierten Hemdes hochgerollt. »Es gab ein kleines Mißverständnis, das aus dem Weg geräumt werden konnte«, antwortete der Butler, »Sie sollten keinen Gedanken daran verschwenden, Mr. Mintell.« »Hätten Sie vorher angerufen, war ich unten am Eingang gewesen«, meinte Peter Mintell, »hier in der Gegend geht’s manchmal ziemlich ruppig zu.« »Wie man sieht, florieren Ihre diversen Geschäfte, Mr. Mintell.« Parker schaute sich diskret um. Es gab hier sechs große Billardtische, die dicht umlagert wurden. Mit schnellem Blick hatte der Butler herausgefunden, daß an einem Tisch dem Glücksspiel in Form des Würfeins gehuldigt wurde. Der lange Tresen des Clubs war dicht umlagert. Der Umsatz an harten Getränken war beachtlich. »Man schlägt sich so durch, Mr. Parker«, meinte Peter Mintell, »die Zeiten sind aber schlecht.« »Und scheinen das Anwachsen der sogenannten Punker zu fördern«, stellte der Butler fest, »wegen dieser jungen Leute bin ich übrigens hier, Mr. Mintell. Meine Wenigkeit hofft auf einige Informationen.« 12
»Ob Sie da an der richtigen Adresse sind, Mr. Parker?« Peter Mintell hob zweifelnd die Schultern. »Sie wissen, daß ich mit der Szene nichts mehr zu tun habe. Ich gebe mich nur noch mit sauberen Dingen ab, ich lasse mich auf nichts mehr ein.« »Dies alles klingt ein wenig nach Übertreibung, Mr. Mintell«, fand Josuah Parker, »nach meinem Kenntnisstand schlägt Ihr Herz noch immer für die Jugend.« »Wie meinen Sie das, Mr. Parker?« Der ehemalige Catcher führte Parker zu einer Nische am Ende des Tresens. »Wie man hört, finanzieren Sie nach wie vor Käufe, Mr. Mintell. Auch hinsichtlich der monatlichen Zinsen sollen Sie sich kaum geändert haben.« »Aber das sind doch alles Verleumdungen«, gab der Mann zurück, »das ist dummes Gerede, Mr. Parker. Woher sollte ich denn das Geld haben, um Geld auszuleihen?« »Sie leihen es sich möglicherweise, Mr. Mintell. Vielleicht drängt man es Ihnen förmlich auf.« »Sind Sie wegen dieser Gerüchte gekommen, Mr. Parker?« Mintell nahm nur kurz den Kopf herum, als sich vom Tresen zwei Männer lösten und breitbeinig heranschwankten. Mintells Blick genügte völlig, um die beiden Männer zurückzuscheuchen. »Ich komme in Sachen Punker,
wenn ich es so ausdrücken darf, Mr. Mintell.« »In Sachen Punker? Was habe ich mit diesen verrückten Leuten zu tun? Reiner Zufall, daß die unten am Eingang so herumlungern. Hier wimmelt es doch nur so von Punkern, sie sind fast wie ‘ne Seuche.« »Waren es vielleicht Kunden, die meine Wenigkeit am Eingang sah?« »Aber nein, Mr. Parker. Sehen Sie, eigentlich müßte ich längst ärgerlich geworden sein. Was Sie mir da sagen, darf mir normalerweise kein anderer Mensch sagen. Ich würde sonst in die Luft gehen, aber bei Ihnen mache ich eine Ausnahme.« »Meine Dankbarkeit wird Ihnen sicher sein, Mr. Mintell.« »Ich weiß verdammt genau, wer Sie sind. Und ich weiß auch, daß Sie mir mal aus der Patsche geholfen haben. So etwas vergißt Peter Mintell nicht.« »Ich hatte in der Tat das Glück, Ihnen mal behilflich sein zu können.« »Sie haben mich vor ‘ner Mordanklage gerettet. Wenn Sie damals nicht den richtigen Mann erwischt hätten, war’ ich für den Rest meines Lebens ins Zuchthaus gewandert, aber…« »Sie erwägen eine Einschränkung, wie ich vermute, Mr. Mintell.« »… aber Sie müssen mir glauben, daß ich saubere Hände habe.« »Über den Reinlichkeitszustand 13
Ihrer Hände möchte meine Wenigkeit nicht diskutieren«, schickte Josuah Parker in seiner typischen Ausdrucksart voraus, »ich kam wegen der Punker und würde gern erfahren, wie Sie diese jungen Menschen einschätzen.« »Also, Mr. Parker, hören Sie! Wie könnte ich das? Ich kenne ja kaum welche. Und ich…« »Ich verstehe, wenn Sie infolge einer gewissen Befangenheit die Auskunft verweigern«, meinte Butler Parker, »Sie erlauben jedoch, daß man daraus gewisse Schlüsse zieht.« »Also schön, ich sage Ihnen das, was man so hört«, lenkte der ehemalige Catcher ein, »diese Punker sind junge Leute, die die Schnauze voll… Ich meine, die anders leben wollen als ihre Umgebung. Ich weiß nicht, ob ich mich da verständlich ausdrücke, aber…« »Meine Wenigkeit vermag Ihnen durchaus zu folgen, Mr. Mintell«, versicherte der Butler höflich. »Viele von den jungen Leuten arbeiten, viele sind arbeitslos«, redete Peter Mintell weiter, »eigentlich sind die alle ganz in Ordnung, aber sie flippen eben aus. Und wenn sie in Gruppen auftreten, fühlen sie sich einmalig stark. Die brauchen das, weil sie ‘ne Menge vorgesetzt bekommen und einstecken müssen. Darum legen sie die verrückte Kriegsbemalung an und färben sich die Haare, deshalb rennen die so
verrückt herum.« »Sind es in Ihren Augen junge Leute, die das Gesetz als kriminell bezeichnen würde?« »Nee, kriminell sind die bestimmt nicht«, versicherte Peter Mintell und schüttelte fast empört den Kopf, »okay, vielleicht machen die hin und wieder auch mal krumme Dinger, aber kriminell sind die nicht! Wer behauptet denn das?« »Mr. McWarden, seines Zeichens Chief-Superintendent im Yard, Mr. Mintell.« »Ich kenn ihn, ein scharfer Hund, Mr. Parker. Wie kommt er darauf, Punker für kriminell zu halten?« »Mr. McWarden bearbeitet zur Zeit eine Anzahl von einschlägigen Anzeigen.« »Und was sollen die Punker angestellt haben?« »Straßenraub«, lautete die Antwort des Butlers, »Körperverletzung und Diebstahl.« »Nee, das haben die Punker nicht drauf«, widersprach Mintell erneut, »schön, die langen mal in einem Supermarkt hin, will ich zugeben, aber Straßenraub? Körperverletzung? Diebstahl? Das paßt nicht auf diese Leute. Was sollen die Punker denn gestohlen haben?« »Wertvolle Einrichtungsgegenstände«, erklärte der Butler, »ersparen Sie meiner Wenigkeit eine genaue Auflistung. Ich darf und 14
muß Ihnen versichern, daß gerade diese Diebstähle in einer ungewöhnlich rüden und gezielten Art begangen wurden.« »Mal eine Frage, Mr. Parker: warum schalten Sie sich da eigentlich ein?« »Aus Höflichkeit, Mr. Mintell«, antwortete der Butler, »Mr. McWarden bat meine Wenigkeit um diskrete Mithilfe bei den Recherchen.« »Nee, Mr. Parker, da wird der Polizei und Ihnen was vorgemacht«, sagte der ehemalige Catcher, »wissen Sie, was ich glaube?« »Sie werden es mir gleich sagen, vermute ich.« »Da soll auf die Punker abgeladen werden«, redete Peter Mintell weiter, »da will man die in die Pfanne hauen. Gut, weiße Schafe und Unschuldslämmer sind die Punker bestimmt nicht, aber kriminell sind sie auch nicht.« »Ihre Aussage war bemerkenswert, Mr. Mintell«, bedankte sich Josuah Parker und stand auf, »ich werde darüber reflektieren, wenn ich so sagen darf. Sie sind also der Meinung, daß meine Wenigkeit unbesorgt Ihren Club wieder verlassen kann?« »Na ja, Ärger könnte es schon geben, Mr. Parker.« Mintell grinste. »Sie haben da am Eingang ja immerhin ganz schön auf die Tube gedrückt. Wissen Sie was? Ich werde mit runtergehen, dann bleiben Sie in
jedem Fall unbehelligt.« »Sie sprachen gerade vom sprichwörtlichen Drücken einer Tube, Mr. Mintell«, schickte der Butler voraus, »woher stammt dieses Wissen? Sollten Sie den kleinen Zwischenfall in allen Einzelheiten beobachtet haben?« »Rein zufällig«, versicherte Peter Mintell, »und wenn was passiert wäre, war ich sofort runtergekommen.« »Sie werden verstehen, Mr. Mintell, daß meine Wenigkeit davon nicht vollinhaltlich überzeugt ist«, sagte Josuah Parker, »aber wir sollten dieses Thema nicht weiter vertiefen, wenn ich dies anregen darf.« Parker stand auf und schickte sich an, den Billard-Club zu verlassen. Nach wenigen Schritten blieb er stehen. In der zweiflügeligen Schwingtür erschienen plötzlich einige Punker, die sich breitbeinig aufbauten und keineswegs einen friedlichen Eindruck machten. * »Wer ist denn das?« wunderte sich Peter Mintell und sah den Butler verblüfft an. »Sie kennen diese Punker nicht?« Parker ging inzwischen weiter. »Nie hier gesehen«, behauptete der ehemalige Catcher, »die haben ganz andere Haarfarben.« »Demnach dürften Sie wohl doch 15
als Kenner der Punker-Szene zu bezeichnen sein«, vermutete Josuah Parker, »meiner bescheidenen Ansicht nach dürften die Männer nicht in besonders friedlicher Absicht gekommen sein.« »Das werden wir gleich haben.« Peter Mintell setzte auf seine Muskeln, auf seine Massigkeit. Er überholte den Butler und baute sich seinerseits breitbeinig vor den fünf Punkern auf. Sie trugen Hosen, die etliche Nummern zu groß waren, Springerstiefel und ebenfalls zu weite Hemden und Westen. Die überhohen Hahnenkämme auf ihren sonst kahlen Köpfen waren kleine Kunstgebilde. Sie schillerten in sämtlichen Farben des Regenbogens. Parker schätzte das Alter der fünf Punker ab. Seiner Ansicht nach waren sie alle weit über zwanzig. Peter Mintell, der sie aufgefordert hatte, den Billard-Club zu verlassen, verlor die Geduld, als die gewünschte Reaktion ausblieb. Mintell war überraschend schnell und stürzte sich auf die fünf Leute. Er wollte sie im Freiflug über die Treppe nach unten befördern, hatte die Rechnung aber ohne den Wirt gemacht! Gewiß, Mintell war sicher stark, doch gegen fünf Gegner kam er nicht an. Er hatte es mit jungen Männern zu tun, die ihn einkreisten und blitzschnell zusammenschlugen. Parker bekam mit, daß die Punker
Schlagringe benutzten. Mintell wehrte sich seiner Haut, doch er hatte keine Chance. Er mußte viel einstecken und ging bereits in die Knie. Josuah Parker sah sich veranlaßt, etwas für seinen Informanten zu tun. Der Butler setzte den UniversalRegenschirm ein und sorgte erst mal dafür, daß Mintell Luft bekam. Die Bleifüllung im Bambusgriff seines Schirmes erwies sich bei dieser Gelegenheit wieder mal als eine sehr effektive Waffe. Zwei Punker, deren Hinterköpfe getroffen wurden, gingen sang- und klanglos zu Boden, die drei verbliebenen legten verdutzt eine kleine Pause ein und musterten den Butler. »Sie geben sich wenig punkerhaft«, tadelte der Butler, »und bringen junge Leute dieses Schlages eindeutig in Mißkredit.« Die drei Burschen reagierten überhart auf diesen Hinweis, langten in die Innentaschen ihrer Westen und zeigten dem Butler dann Springmesser mit überlangen Klingen. Sie hatten eindeutig die Absicht, dem Butler gesundheitlichen Schaden zuzufügen. Josuah Parker griff in die Innentasche seines schwarzen Covercoat, zog den Spraybehälter hervor und probierte die Reichweite aus. Er wurde mehr als angenehm enttäuscht. Das Treibgas im Behälter stand 16
wirklich unter hohem Druck. Aus der feinen Düse schoß zuerst ein schmaler Farbstrahl hervor, der sich nach etwa zwanzig Zentimetern bereits verbreiterte und flächendeckend wurde. Die völlig überraschten Punker wurden in Sekundenschnelle eingefärbt. Sie fuhren zurück, vergaßen ihre Messer und wischten sich durchs Gesicht. Dadurch färbten sie sich noch besser ein. Parker nutzte die allgemeine Verwirrung und stach mit der Spitze seines Regenschirmes nachdrücklich zu. Er traf die Tennisschuhe der drei Punker und perforierte die Haut über den Zehen. Die Getroffenen sprangen im Schnitt etwa zehn Zentimeter hoch in die Luft und setzten sich dann im Eiltempo ab. Die beiden anderen Punker wollten kriechend folgen, doch Mintell hatte sich von den Treffern inzwischen erholt und stoppte die Absetzungsbewegung der Schläger. Mintell langte mehr als herzhaft zu und sorgte dafür, daß die beiden seiner Einladung folgten und noch ein wenig blieben. »Die werde ich mir gleich mal vornehmen, Mr. Parker«, sagte Mintell, »ich will jetzt wissen, wer die sind.« »Dabei werden Sie sicher auf meine bescheidene Anwesenheit verzichten können«, erwiderte der Butler, »Mylady erwartet meine Rückkehr. Wenn Sie erlauben,
werde ich Sie im Lauf des Abends anrufen.« »Klar, machen Sie das, Mr. Parker«, sagte Mintell und beugte sich über die beiden Punker, »aber nehmen Sie sich Zeit. Ich werde die Typen hier ganz langsam einweichen.« Parker lüftete seine schwarze Melone und verließ den BillardClub. Er kümmerte sich nicht weiter um Mintell und die Stammgäste, die selbstverständlich aufmerksam geworden waren und die beiden Punker nun umringten. Josuah Parker hielt es für angebracht, Lady Agatha Simpson nicht länger warten zu lassen. * »Ich glaube, Mr. Parker, ich bin sehr überrascht«, grollte die Hausherrin eine halbe Stunde später. Der Butler war in das altehrwürdige Fachwerkhaus in Shepherd’s Market zurückgekehrt und hatte Bericht erstattet. »Meine Wenigkeit möchte noch mal betonen, Mylady, daß Mr. McWarden sich bereits vor einigen Tagen wegen der Punker meldete«, wiederholte Josuah Parker, »der Chief-Superintendent hegte einige Sorgen, was die plötzlich festzustellende kriminelle Energie der Punker betrifft.« »Und warum hat er sich nicht mit mir in Verbindung gesetzt?« wun17
derte sich Agatha Simpson. »Mr. McWarden wird das mit Sicherheit nachholen, sobald feststeht, daß man es mit Kriminellen zu tun hat.« »Das möchte ich mir aber auch ausgebeten haben«, erwiderte die Detektivin, »natürlich hat er es mit Kriminellen zu tun. Ich werde Ihnen jetzt erzählen, was den Kindern passiert ist.« Mit dem Ausdruck »Kinder«, bezeichnete die ältere Dame Kathy Porter und Mike Rander. Lady Agatha träumte davon, Kathy und Mike eines Tages miteinander verheiraten zu können. Sie tat alles, um dieses Ziel zu erreichen. So sorgte sie dafür, daß Kathy Porter und Mike Rander so oft wie möglich gemeinsam unterwegs waren. Sie hoffte, dadurch die Beziehungen noch enger gestalten zu können. »Darf man erfahren, Mylady, wo Miß Porter und Mr. Rander sich derzeit befinden?« erkundigte sich der Butler. »Sie sind drüben in der Curzon Street, in der Anwaltskanzlei«, beantwortete die Hausherrin die Frage, »es geht um eine Visitenkarte, die Mr. Rander auf einem Parkplatz zurückgelassen hat. Aber das gehört bereits zu der Geschichte, die ich Ihnen erzählen werde. Unterbrechen Sie nicht, das lenkt mich ab.« »Wie Mylady wünschen.« Parker sah seine Herrin konzentriert und
überaus höflich an. Die ältere Dame räusperte sich explosionsartig und begann dann mit ihrem Bericht, den sie selbstverständlich ungemein dramatisch gestaltete. »Sie sind überrascht, nicht wahr?« fragte Agatha Simpson anschließend. »Partiell, Mylady«, gab Josuah Parker zurück, »wie meine Wenigkeit bereits darlegen durfte, war auch meine Person Zeuge einer gewissen kriminellen Energie, die von sogenannten Punkern ausging.« »Ach ja, da war doch etwas in diesem Billard-Saal, nicht wahr?« »In der Tat, Mylady«, erwiderte der Butler, »diese Punker kamen allerdings nicht in einem luxuriösen Wagen, wie Augenzeugen deutlich machten. Sie benutzten Motorräder.« »Immerhin, wenn auch kein Mazda«, redete die ältere Dame eifrig weiter, »Sie müssen zugeben, daß sich hier gewisse Dinge ankündigen, die ich selbstverständlich bereits schon jetzt voll und ganz überblicke.« »Myladys Prognosen sind immer ungemein wertvoll«, gab Parker mit höflich-neutraler Stimme zurück. »Ich weiß, Mr. Parker, ich weiß.« Sie nickte wohlwollend. »Gewisse Punker scheinen ihre Methoden grundsätzlich geändert zu haben«, fügte der Butler hinzu. »Was ich gerade gesagt habe!« Sie 18
nickte nachdrücklich. »McWarden wird es noch bedauern, sich nicht sofort an mich gewandt zu haben«, prophezeite Agatha Simpson dann grimmig, »ich weiß nicht, ob ich ihm überhaupt helfen werde.« Sie war ärgerlich, weil der ChiefSuperintendent sich nicht unmittelbar mit ihr in Verbindung gesetzt hatte. Und sie zeigte es auch… »Ohne Myladys Beistand dürfte Mr. McWarden kaum in der Lage sein, gegen die erwähnten Punker vorzugehen.« »Das ist natürlich richtig, Mr. Parker. Nun ja, ich werde mir das alles noch mal gründlich überlegen.« »Mylady fragen sich sicher bereits, wieso die Punker ausgerechnet zu dem Zeitpunkt im Billard-Club erschienen, als meine Wenigkeit dort mit Mr. Peter Mintell sprach.« »Das will ich schon die ganze Zeit wissen.« Es stimmte zwar nicht, doch sie nickte. »Es kann sich durchaus um einen Zufall gehandelt haben, Mylady.« »Solche Zufälle gibt es nicht«, widersprach die passionierte Detektivin, »man wollte über Sie an mich herankommen. Man wird Sie verfolgt haben. Wo waren Sie eigentlich?« »In einer Fabrik, die sich auf die Herstellung von Farb-Sprays spezialisiert hat, Mylady.« Parker lieferte seiner Herrin die erforderlichen Informationen, und Lady Agatha
zeigte großes Interesse. »Sie haben für mich spezielle Sprays herstellen lassen?« freute sie sich dann. »Sie zeigen ein Gespür für das, was ich benötige, Mr. Parker. Sehr schön, ausgezeichnet. Ich werde diese Farbmischung so schnell wie möglich ausprobieren. Sorgen Sie dafür, daß ich mit einigen aufdringlichen Punkern Kontakt bekomme, Mr. Parker. Ich glaube, ich werde ausgehen und für McWarden diesen kleinen Fall lösen!« * »Mr. Parker hat gerade angerufen«, sagte Mike Rander, als Kathy Porter mit einem Tablett im Büro der Anwaltskanzlei erschien. Solides, zeitloses Mobiliar bildete die Einrichtung des ganzen Hauses, in dem die beiden jungen Leute sich befanden. Nach seiner Rückkehr aus den USA hatte Lady Agatha dem Anwalt dieses Haus in der Curzon Street zur Verfügung gestellt, in dem er auch wohnte. »Gibt es Neuigkeiten, Mike?« erkundigte sich Kathy und servierte Tee und einige Sandwiches. »Eine ganze Menge, Kathy. Parker hatte ebenfalls Kontakt mit aggressiven Punkern. Er war in der Nähe der West India Docks und konnte bei dieser Gelegenheit gleich seine neue Verteidigungsmasche ausprobieren.« 19
»Sie machen mich neugierig, Mike.« Sie setzte sich auf die Lehne eines Ledersessels und hörte aufmerksam zu, als Mike Rander ihr den Inhalt des Gespräches schilderte. »Fünf Punker bei ihm, sechs bei uns auf dem Parkplatz«, faßte Kathy Porter dann zusammen, »ob es sich um dieselben Punker handelte, Mike?« »Falls ja, hätten wir’s mit einer Gang zu tun«, gab Mike Rander zurück, »Parker hat die Punker, die ihm lästig wurden, bereits gekennzeichnet. Diese Knaben müssen herrlich bunt aussehen.« »Denken Sie an eine Gang, die sich als Punker tarnt und den Verdacht auf diese Leute abwälzen will, Mike?« »Parker deutete das bereits an, Kathy. Und Lady Simpson freut sich auf ihr nächstes Abenteuer. Sie besteht darauf, mit Punkern zusammengebracht zu werden.« »Sollten wir da nicht besser mitkommen, Mike?« »Denken Sie an meine Visitenkarte, Kathy. Ich hoffe, daß die Burschen sich hier freiwillig einfinden werden.« »Das wäre zu schön, um wahr zu sein, Mike. Falls unsere Punker einer Bande angehören, werden sie sich sehr vorsichtig verhalten.« »Lassen wir uns überraschen.« Mike Rander verzehrte ein Sand-
wich und wanderte im Büro auf und ab. »Parker sprach von Straßenraub, Diebstahl und Körperverletzung. McWarden kennt bereits eine Menge Fälle dieser Art, die eindeutig den Punkern zugeschrieben werden.« »Man kann sie allerdings leicht belasten und hat die Öffentlichkeit auf seiner Seite«, meinte Kathy Porter, »besonders beliebt sind diese jungen Leute ja gerade nicht. Wahrscheinlich legen sie es sogar noch darauf an, negative Schlagzeilen zu machen.« »Und ob, Kathy!« Mike Rander nickte und griff nach der Teetasse. »Sie wollen ja um jeden Preis auffallen. Gerissene Gangster könnten das nutzen und unter der Punker-Flagge segeln.« »Einen Moment«, sagte Rander, als sich das Telefon meldete. Er hob ab und nannte seinen Namen, doch auf der Gegenseite blieb es still. Rander wiederholte seine Frage, mit wem er es zu tun habe, bekam jedoch keine Antwort und legte dann auf. »Wollte man herausfinden, ob Sie zu Hause sind, Mike?« fragte Kathy Porter. »Hörte sich so an, Kathy. Rechnen wir also mit einem Besuch. Wo werden die Knaben einzudringen versuchen?« »Durch das Souterrain natürlich, Mike.« »Denke ich auch. Machen wir’s ihnen nicht zu schwer. Ich gehe run20
ter und nehme ein paar Sicherungen weg. Ich bin gleich wieder zurück.« »Und ich werde die Straße beobachten.« Kathy wartete, bis er das Büro verlassen hatte, schaltete dann das Licht aus und trat an eines der drei hohen, schmalen Fenster. Sie blickte auf die bereits dunkle Straße. Noch war nichts Auffälliges zu sehen, doch das konnte sich schnell ändern. Sie dachte an den Mazda, den sich die Punker vom Parkplatz offensichtlich hatten leisten können. Und sie sah wieder den glatzköpfigen Fahrer vor sich, der diesen Luxuswagen gesteuert hatte. Er hatte so gar nicht zu den Punkern gepaßt, die gegen ihn direkt abenteuerlich ausgesehen hatten. »Einem Einmarsch steht nichts mehr im Weg«, sagte Mike Rander, der ins Büro zurückgekehrt war. Er ging durch die Dunkelheit hinüber zum Fenster und baute sich seitlich hinter Kathy auf, »schon was zu sehen?« »Nichts«, erwiderte sie, »möglich, Mike, daß man sich viel Zeit nehmen wird.« »Und was halten Sie von diesen Burschen da drüben?« fragte Mike Rander und deutete auf vier junge Männer, die aus einem Austin stiegen und dann durchaus gesittet die Straße überquerten. »Wo sind die typischen IrokesenFrisuren?« gab sie kopfschüttelnd zurück. »Nein, nein, Mike, diese
Männer sehen zivil aus, mit Punkern haben sie nichts zu tun!« * »Vielleicht haben sie sich die Haare geglättet«, meinte der Anwalt und blieb skeptisch, »sehen Sie, Kathy, sie halten genau auf unser Haus zu.« »Und werden weitergehen, Mike.« Kathy Porter beugte sich vor, um noch besser sehen zu können. Dann preßte sie die Stirn gegen die Scheibe und stieß einen Laut des Erstaunens aus. »Was läuft, Kathy?« wollte Mike Rander wissen. »Das darf doch nicht wahr sein, Mike… Bitte, sehen Sie doch selbst. Das ist ja unglaublich!« Sie trat zur Seite und ließ den Anwalt näher ans Fenster. Er stellte sich auf die Zehenspitzen, um noch besser den Hauseingang beobachten zu können, der fast im toten Winkel lag. »Des Rätsels Lösung«, sagte Mike Rander wenige Sekunden später, »toll, diese Verwandlung!« Er beobachtete weiter. Die vier jungen Männer waren noch dabei, haubenartige Perücken über ihr glattes Haar zu streifen. Diese Perücken nun hatten genau jenen Irokesen-Haarschnitt, den Kathy Porter bisher vermißte. Aus den vier angepaßten und gesittet aussehenden Männern wurden plötzlich Punker. Die Jeans, die sie 21
trugen, schienen sich mit der Frisur verwandelt zu haben. Und auch die Jacken nahmen ein anderes Aussehen an. Die Irokesen-Frisuren schufen ein völlig neues Erscheinungsbild. »Parker wird Bauklötze staunen«, äußerte Mike Rander,»Kathy, wir brauchen einen dieser komischen Verwandlungskünstler.« »Ich könnte durch den Garten hinüber in die Parallelstraße, Mike.« »Prächtige Idee, Kathy, aber passen Sie auf sich auf! Ich werde die Knaben inzwischen beschäftigen.« Die junge Frau verließ das Privatbüro der Kanzlei und verschwand in der Tiefe des Hauses, während die Türklingel sich bereits meldete. Mike Rander reagierte natürlich nicht darauf, sondern verließ sein Büro und blieb im Korridor des Hauses stehen. Es klingelte erneut, diesmal nachdrücklicher. Daß man feststellen wollte, ob jemand zu Hause war, lag für Mike Rander auf der Hand. Es galt herauszufinden, ob man die Haustür ungestört knacken konnte, doch in dieser Hinsicht hatte der Anwalt keine Bedenken. Die Tür war mehr als solide, sie hätte selbst einer kleineren Sprengladung getrotzt. Wirklich, man beabsichtigte das Türschloß zu öffnen. Mike Rander hörte deutlich den Nachschlüssel, der ins Schloß eingeführt wurde. Die Versuche, auf diese Art ins Haus zu
gelangen, brachten keinen Erfolg. Rander ging zurück ins Privatbüro und schaute hinunter auf die Straße. Er sah gerade noch, wie der vierte Mann, der von einem Punker jetzt in der Dunkelheit nicht mehr zu unterscheiden war, über die Steintreppe hinter dem Eisenzaun zum Souterrain hinabstieg. Wie er es vermutet hatte: man versuchte, durch das Souterrain ins Haus zu gelangen… Die angeblichen Punker konnten nicht wissen, was sie erwartete. Sie ahnten nicht, daß ein gewisser Butler Parker maßgeblich an der Sicherung auch dieses Hauses beteiligt war. Mike Rander ging von der Küche ins Souterrain und betrat einen Korridor, der vor einer Tür aus solidem Stahlblech endete. Der Anwalt öffnete ein kleines Guckloch in dieser Tür, das nur von seiner Seite aus geöffnet werden konnte. Dann schätzte er ab, wie lange die vier angeblichen Punker brauchen würden, um in den ersten Raum zu gelangen. Nun, sie waren sehr schnell. Rander sah das Aufblitzen einer Taschenlampe, dann im Widerschein des Lichtes vier Gestalten, die auf die Tür zuhielten. Die Eindringlinge bekamen nicht mit, wie die Tür, die sie eben geknackt hatten, sich unhörbar wieder schloß. Sie flüsterten miteinander und erreichten dann die Eisentür. Erneut wurde ein Nachschlüssel ins einfach aussehende Schloß 22
geführt, dann war das Schaben und Scharren des Dietrichs zu hören. »Haben Sie sich verlaufen?« fragte Mike Rander über eine Wechselsprechanlage, die Butler Parker installiert hatte. »Sie können antworten. Ich werde Sie gut verstehen.« Auf der anderen Seite der Tür blieb erst mal alles still, dann tuschelten die angeblichen Punker miteinander. »Sie sitzen ganz schön in der Klemme«, sagte der Anwalt, »die Außentür hat sich inzwischen automatisch geschlossen.« Die Taschenlampe wurde eingeschaltet. Der Lichtstrahl glitt über die Außentür, die die angeblichen Punker eben erst glaubten bezwungen zu haben. Sie war tatsächlich fest geschlossen. Die Eindringlinge rannten auf diese Tür zu und vergeudeten ihre Kräfte damit, sie wieder zu öffnen. Es gelang ihnen natürlich nicht. Dann wurde plötzlich das Licht abgeschaltet. Mike Rander widerstand der Versuchung, das Deckenlicht von seiner Position aus einzuschalten. Er wollte den vier Besuchern Gelegenheit geben, eine gewisse Revision vorzunehmen. Und sie nutzten sie tatsächlich… Als die Taschenlampe wieder aufflammte, waren die IrokesenPerücken verschwunden. Die vier jungen Männer sahen wieder völlig normal und harmlos aus.
* � »Mylady wären mit diesem Lokal einverstanden?« erkundigte sich Josuah Parker höflich. Er saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und hatte gerade gehalten. Er wies diskret auf den Eingang zu einem ehemaligen Kino. Teile der klassizistischen Fassade waren noch zu erkennen. Die Reklameschrift über dem trichterförmigen Eingang war grell und bunt. Sie wies aus, daß man es jetzt mit einer Diskothek zu tun hatte. Im Licht der Reklame waren Punker beiderlei Geschlechts deutlich auszumachen. Die jungen Männer und Frauen zeigten abenteuerliche Frisuren, bunte, lässige Kleidung und benahmen sich herausforderndaggressiv gegenüber den Passanten, die den Eingang notgedrungen passieren mußten. Die Anzüglichkeiten, die man laut und deutlich von sich gab, bewegten sich unter der sprichwörtlichen Gürtellinie. »Sehr schön«, meinte Agatha Simpson, nachdem sie die Szenerie gemustert hatte, »das ist es genau, was ich sehen will, Mr. Parker. Ich denke, ich werde mich beleidigen lassen.« »Mylady sollten diese jungen Leute nicht unterschätzen«, warnte der Butler. »Sie sollten wissen, daß es bei diesen Menschen nicht immer 23
nur bei verbalen Kraftakten bleibt.« »Papperlapapp, Mr. Parker«, lautete die Antwort, »Sie wissen sehr genau, daß eine Lady Simpson sich zu wehren weiß…« Sie stieg aus und brachte ihren perlenbestickten Pompadour bereits in leichte Schwingungen. Bei diesem Handbeutel, der an langen Schnüren an ihrem linken Handgelenk hing, handelte es sich um einen harmlos aussehenden Gegenstand, der es allerdings in sich hatte. Im Pompadour befand sich nämlich ein echtes Pferdehufeisen, das nur oberflächlich in dünnen Schaumstoff gewickelt war. Lady Agatha, die dem Sport des Bogenschießens huldigte und zudem auch noch Golf spielte, konnte mit diesem »Glücksbringer«, wie sie das Hufeisen nannte, verheerende Wirkung erzielen. Sie hatte das hochbeinige Monstrum des Butlers bereits verlassen, überquerte die Straße und begab sich auf den Gehweg, an dem die Diskothek lag. Dann setzte sie sich energisch in Bewegung und marschierte schnurstracks auf die Gruppe der Punker zu, die ihr Objekt bereits ausgemacht hatten und eine Möglichkeit witterten, kesse Unverschämtheiten loszuwerden. Josuah Parker stieg sicherheitshalber aus dem Wagen und entnahm der Brusttasche seines Covercoat die Gabelschleuder. Er setzte sie mit
geübten Händen zusammen, arretierte die zusammenlegbaren Gabelhälften und strammte probeweise die Gummistränge. Dann langte er mit seinen schwarz behandschuhten Fingern in eine seiner Westentaschen und holte eine hart gebrannte Tonmurmel hervor. Er legte sie in die Lederschlaufe, die die beiden Gummistränge verband und machte sich bereit, schlichtend einzugreifen. Es kam, wie es kommen mußte! Lady Agatha legte es wieder mal darauf an, provozierend zu wirken. Sie hatte die Gruppe der Punker erreicht und hielt ihre altertümliche Stielbrille in der rechten Hand. Sie hob die Lorgnette und musterte die jungen Leute, als habe sie es mit Exoten zu tun. Die Punker reagierten umgehend, bildeten einen Halbkreis und schienen die ältere Dame mit ausgesuchten Frotzeleien zu belegen. Da Lady Agatha nicht zu den Menschen gehörte, die einem Streit tunlichst aus dem Weg gehen, antwortete sie entsprechend. Parker konnte zwar kein Wort verstehen, doch die Pantomime, die sich seinen Blicken bot, sprach Bände. Man schien sich nichts zu schenken. Dann beging einer der männlichen Punker einen Kardinalfehler. Er langte nach der Hutschöpfung auf dem Kopf der älteren Dame. Er wollte sich diese Mischung aus einem Napfkuchen und einem Süd24
wester wohl aus der Nähe betrachten, hatte vielleicht sogar die Absicht, diese eigenwillige Kreation vom Kopf auf den Fußboden zu befördern. Agatha Simpsons Reaktion war nachdrücklich. Schlicht und einfach trat sie dem jungen Mann gegen das rechte Schienbein. Da Lady Agathas Schuhnummer beachtlich war und sie stets derbe, äußerst bequeme Schuhe trug, war die von ihr übermittelte Energie beachtlich. Der Getroffene heulte auf und hüpfte anschließend auf dem vorerst noch gesunden Bein herum. Er hatte seine Hände um das lädierte Schienbein, das er hochgenommen hatte, geschlungen und vergoß bittere Tränen. Die Punker waren völlig überrascht. Mit solch einer Reaktion hatten sie auf keinen Fall gerechnet. Sie zogen sich ein wenig zurück, starrten Lady Agatha an und wurden sich nicht einig, was gegen diese streitbare und so unkonventionell kämpfende Dame zu tun war. Einer der jungen Männer, der wohl um seinen Ruf fürchtete, löste sich aus dem Halbkreis und hatte eindeutig die Absicht, der Lady eine Riesenportion Softeis ins Gesicht zu drücken. Agatha Simpson erkannte sofort, was ihr zugedacht war. Da sie im Augenblick an Eis nicht interessiert war, setzte sie ihren Pompadour ein und brachte ihren ›Glücks-
bringer‹ an den Mann. Das Resultat war im wahrsten Sinn des Wortes niederschmetternd für den jungen Eisanbieter… * Der ›Glücksbringer‹ landete am Kinn des jungen Mannes. Das Hufeisen tat seine Wirkung, gab seine Energie weiter und brachte den Punker dazu, erst mal die Beine vom Boden zu nehmen. Er streckte sie waagerecht in die Luft und flog dann krachend auf den Rücken, da die stützenden Beine fehlten. Lady Agatha nickte zufrieden und schaute freudig-einladend in die Runde. Sie nahm ein wenig irritiert zur Kenntnis, daß die übrigen Punker keineswegs daran dachten, sich auf sie zu stürzen. Sie lachten, amüsierten sich bestens, belegten ihren Freund mit Anzüglichkeiten und spendeten dann der älteren Dame herzhaften Applaus. »Keine Anbiederungen«, verwahrte Lady Agatha sich grollend, »ich hoffe, Sie werden sich jetzt auf mich stürzen…« »Wir sind doch nicht lebensmüde«, sagte einer der Punker, der kaum mittelgroß, dafür jedoch breitschultrig und muskulös war. Er mochte etwa fünfundzwanzig sein, lachte die ältere Dame an und schüttelte den Kopf. »Habe ich Ihnen den Schneid abge25
kauft?« fragte Lady Agatha. »Kaum«, gab der Punker zurück, »aber Sie sind richtig, Tante! So was wie Sie sieht man nicht alle Tage…« »Und Sie sind ziemlich aufdringlich«, erwiderte Agatha Simpson. »Das sieht nur so aus, Tante«, antwortete der Punker, der eindeutig der Wortführer der Gruppe war. »Wollte man eine wehr- und hilflose Frau nun angreifen oder nicht?« fragte die Lady. »Das sah nur so aus, Tante«, meinte der Punker noch mal und grinste ein wenig hilflos. »Falls Sie mich noch mal Tante nennen, werden Sie eine Ohrfeige bekommen«, kündigte die naßforsche Dame freundlich an. »Ich werde mich hüten, Tan… äh, ich meine, Lady. Klingt das jetzt besser?« »In der Tat, zumal es den Tatsachen entspricht«, schaltete Josuah Parker sich ein, der sich der Gruppe genähert hatte. Der Butler hatte darauf verzichtet, seine Gabelschleuder einzusetzen. Er lüftete höflich die schwarze Melone und deutete eine knappe Verbeugung an. »Wer ist denn das?« staunte der Wortführer der Punker und sah sich dann entgeistert zu seinen Freunden um. »Parker ist mein Name, Josuah Parker«, stellte Parker sich vor, »meine Wenigkeit hat die Ehre, der Butler Lady Simpsons sein zu dür-
fen, wenn ich es so ausdrücken darf.« »Ich bin erst mal von den Socken, ich schnalle erst mal ab«, erwiderte der Punker, »warum hauen wir uns nicht hin und quasseln ‘ne Runde? Wir spendieren ‘ne Lage, einverstanden?« »Einverstanden«, sagte Lady Agatha, bevor Josuah Parker antworten konnte, »ich habe Ihnen einige Fragen zu stellen.« Der Mann, dessen Schienbein leicht lädiert worden war, maß Agatha Simpson mit scheuem Blick. Der Punker, der noch immer das Gefühl hatte, von einem Pferdehuf am Kinn erwischt worden zu sein, fingerte nach wie vor betreten und beklommen an seinem Kiefer herum. Die übrigen, mehr als nur neugierig gewordenen Burschen, umringten Butler Parker und Lady Simpson, doch sie hüteten sich, dem Duo zu nahe zu treten. Der Wortführer übernahm die Führung und betrat die Diskothek. Er geleitete seine Gäste allerdings nicht in den fast dunklen Saal, in dem die Musik dröhnte, sondern bog nach rechts ab und drückte eine Tür auf. Hinter ihr befand sich eine Art Clubraum, der mit billigen Möbeln eingerichtet war. Der Punker deutete auf eine Sitzecke. Bevor Agatha Simpson Platz nehmen konnte, wurde eine Tür im Hintergrund geöffnet. Ein schmächtiger 26
Mann, etwa fünfzig Jahre alt, dessen Augen von einer dickglasigen Brille vergrößert wurden, trat ein. »Hei, Herrn«, rief der Wortführer der Punker, »ich schmeiße ‘ne harte Lage, schaff den Stoff ran!« »Mit wem haben hoffentlich Lady Simpson das Vergnügen?« erkundigte sich der Butler. »Herrn Deller«, stellte der Schmächtige sich dienernd vor und rieb sich die Hände, »ich bin der Besitzer der Disko hier.« »Sie scheinen das Vertrauen der Jugend zu genießen.« »Naja, wie das so ist, man paßt sich an.« Herrn Deller lächelte schief und warf dem Wortführer der Punker einen scheuen Blick zu. »Nun schwing’ dich schon«, forderte der Punker ihn auf, »und bring’ gleich ‘nen Kasten Bier mit, klar?« »Sofort, sofort«, dienerte Herrn Deller und verließ den Raum. Er machte den Eindruck eines dressierten Hündchens. »Darf man erfahren, wie Sie zu heißen belieben?« fragte Josuah Parker und wandte sich an den Wortführer. »Dan Wolton«, lautete die Antwort, »aber Sie können Dan zu mir sagen.« »Sicher ein Name, den man sich merken sollte«, gab Josuah Parker in seiner höflichen Art zurück. »Ich glaub’ schon«, antwortete
Wolton, »ich denke, Sie haben da die richtige Nase, Mann!« * »Kein Fahrer im Austin, Mike«, meldete Kathy Porter, die ins Haus zurückgekehrt war, »sitzen die Punker in der Falle?« »Wie nach Programm, Kathy«, antwortete der Anwalt, »sie haben sich inzwischen ihre Perücken abgenommen und machen auf normal.« »Halten wir sie fest, Mike?« »Ich denke schon, Kathy. Lassen wir sie erst mal im eigenen Saft schmoren.« »Ich habe die ganze Zeit über an diese Irokesen-Perücken gedacht, Mike«, schickte Kathy Porter voraus, »ein toller Trick, um andere Leute zu belasten.« »Parker und Lady Agatha werden Bauklötze staunen, Kathy. Ich habe bereits versucht, sie drüben in Shepherd’s Market anzurufen. Sie sind aber unterwegs, wie der Anrufbeantworter mitteilte.« »Ich muß mir diese Verwandlungskünstler unbedingt ansehen, Mike. Gehen wir noch mal ins Souterrain, ja?« Rander nickte und wollte sich in Bewegung setzen, doch in diesem Moment meldete sich das Telefon. »Das übliche Stichwort, der übliche Anruf«,sagte der Anwalt spöttisch, »man scheint vier Punker zu 27
vermissen.« »Dann werden wir gleich auch die üblichen Drohungen zu hören bekommen, Mike«, antwortete Kathy Porter. Sie hob den Hörer ab und schaltete den zusätzlichen Verstärker ein, damit Mike Rander mithören konnte. »Ja, bitte?« fragte Kathy Porter mit neutraler Stimme. »Wer ist am Rohr?« wollte eine energische Männerstimme wissen. »Kathy Porter«, erwiderte sie, »hoffentlich sind Sie jetzt nicht enttäuscht.« »Falsch verbunden«, reagierte der Energische. Dann wurde aufgelegt. »Er hat wahrscheinlich ‘nen anderen Gesprächsteilnehmer erwartet«, meinte der Anwalt ironisch, »wahrscheinlich war das der Mann, der die falschen Punker losgeschickt hat.« »Wird er jetzt Verstärkung in Marsch setzen, Mike?« »Das wäre zu schön, um wahr zu sein, Kathy. Nein, ich glaube nicht, daß er jetzt noch was riskieren wird.« »Er kann sich doch ausrechnen, daß wir den Trick mit den IrokesenPerücken durchschaut haben.« »Davon muß er ausgehen, Kathy, stimmt. Und das wird ihm überhaupt nicht gefallen. Ich rechne mit scharfen Schüssen.« »Mit denen auch Lady Simpson und Butler Parker ab sofort rechnen müssen, Mike. Schade, daß wir sie
nicht warnen können.« »Sehen wir uns doch noch mal diese vier falschen Punker an.« Sie gingen hinunter ins Souterrain des Hauses und näherten sich der schweren soliden Eisentür. Mike Rander schaltete die Wechselsprechanlage ein. In dem Raum, in dem die vier Falschen sich befanden, war Getuschel zu vernehmen, einzelne Worte waren nicht auszumachen. Die Männer rechneten damit, daß man ihre Gespräche heimlich abhörte. Darauf hatten sie sich eindeutig eingerichtet. Mike Rander öffnete die kleine Sichtklappe und spähte in den nach wie vor dunklen Raum. Die vier Besucher hatten ihre Taschenlampe nicht eingeschaltet. Der Anwalt nickte Kathy zu, die am Lichtschalter stand. Sie schaltete das Deckenlicht im Raum hinter der Eisentür ein, und Rander beobachtete die vier Insassen, die erst mal ihre Augen vor der Helligkeit schützten, sich dann aber der Tür zuwandten. »Sie können jederzeit mit uns sprechen«,sagte der Anwalt über die Wechselsprechanlage in den Raum, »wahrscheinlich sind Ihnen inzwischen ein paar nette Ausreden eingefallen, wie?« »Sie sind Mike Rander, nicht wahr?« fragte einer der vier. »Richtig«, bestätigte der Anwalt, »Sie haben meine Visitenkarte genau 28
gelesen.« »Visitenkarte? Keine Ahnung, wovon Sie reden, Mr. Rander.« »Natürlich, Sie sind rein zufällig hierher ins Souterrain gekommen. Sie haben sich verlaufen, oder?« »Was heißt verlaufen? Sie haben uns doch bestellt, Mr. Rander.« »Haben Sie wirklich keine bessere Ausrede auf Lager?« fragte der Anwalt und lachte leise, »versuchen Sie’s noch mal.« »Sie haben uns hierher bestellt«, wiederholte der falsche Punker noch mal, »wir sollten doch die beiden Schränke abholen. Hören Sie, wir arbeiten für die Cramer-Transporte.« »In der Maske von Punkern?« Rander beobachtete die nächtlichen Besucher, die nach dieser Feststellung einen etwas betretenen Eindruck machten. »In der Maske von Punkern?« fragte der Wortführer dann gespielt erstaunt. »Ich wünsche frohe Stunden«, sagte Mike Rander und schloß das Sichtfenster, »von mir aus können es auch Tage werden. In Kürze lasse ich mal wieder von mir hören, Freunde.« »Rander, machen Sie keinen Unsinn«, erwiderte der falsche Punker drohend, »Sie haben ja keinen blassen Dunst davon, was auf Sie zukommen kann.« »Ich lasse mich überraschen«, lautete die Antwort des Anwalts.
* � Herrn Deller, der Besitzer der Diskothek, brauchte nur wenige Augenblicke, um den Punkern, Agatha Simpson und Josuah Parker die Getränke zu servieren. Er trug Dosenbier herein und löste eine Literflasche aus der linken Achselhöhle. Es war eine Flasche ohne Etikett. Der Inhalt war tiefbraun. »Unser Spezialgesöff«, sagte Dan Wolton, der Wortführer der Punker, »ich glaub’ nicht, daß Sie süchtig danach werden, Lady.« »Man wird sehen, junger Mann«, antwortete Agatha Simpson, die sich optisch mit den beiden Punkern befaßt hatte, die ihre Lektion gelernt hatten. Einer von ihnen rieb und massierte sein lädiertes Schienbein, der andere betastete die Stelle seines Unterkiefers, die von Myladys »Glücksbringer« getroffen worden war. Ein anderer Punker zauberte Pappbecher aus einem Papierkorb und übernahm den Ausschank des harten Stoffes, den Dan Wolton verlangt hatte. In Sekundenschnelle roch es penetrant nach einer Mischung aus Anis und Brandy. »Spezialmischung«, erklärte Dan Wolton, der Wortführer der Punker und drückte Lady Agatha einen wohlgefüllten Pappbecher in die Hand. 29
»Die Pappbecher sind sauber, der Papierkorb dient nur als Lager«, warf Herrn Deller ein. Der Besitzer der Diskothek reichte dem Butler einen Becher und lächelte entschuldigend. »Trinken wir auf die Lady«, schlug Dan Wolton vor und hob seinen Pappbecher, »trinken wir auf ‘ne Frau, die Klasse ist. Hopp und ex!« »Hopp und ex«, schloß die ältere Dame sich diesem Toast an und hob ihren Becher. Sei schnupperte kurz daran und wartete dann sicherheitshalber, bis Dan Wolton seinen Becher in einem Zug geleert hatte. Die übrigen Punker, es waren insgesamt zehn junge Leute, gossen das tiefbraune Getränk ebenfalls in sich hinein. Einige von ihnen husteten danach mehr oder weniger diskret. Butler Parker hatte das Gefühl, daß diese Spezialmischung es in sich hatte. Lady Agatha hatte den Pappbecher an die Lippen gebracht, roch kurz an dem Spezialgesöff, wie Dan Wolton es bezeichnet hatte und… trank den Becher leer, als handele es sich um Wasser. Die Punker, die sich bereits bedient hatten, warteten gespannt auf die Reaktion der älteren Dame. Sie erwarteten zumindest einen mittel schweren Hustenanfall, doch sie wurden bitter enttäuscht. »Recht hübsch und anregend«, urteilte die Lady, als sie den Becher absetzte. Sie räusperte sich noch
nicht mal und sah dann den Butler fordernd an. »Man erlaubt sich, auf das Wohl Myladys zu trinken«, sagte Josuah Parker und leerte seinen Pappbecher ebenfalls. Die erwartungsfrohen Punker wurden erneut enttäuscht. Auch Josuah Parker schien nur Wasser getrunken zu haben. »Na, was sagen Sie?« fragte Dan Wolton und wandte sich an den Butler. »Ein Feinschmecker würde eine gewisse Reife vermissen«, schickte der Butler voraus, »doch in Anbetracht der Umstände sollte man sicher nicht zu hart urteilen.« »Leute, ihr seid richtig«, fand Wolton und schüttelte dazu den Kopf, um sein Erstaunen zum Ausdruck zu bringend »ihr müßt Kehlen aus Gußstahl haben.« »Könnte man vielleicht einen zweiten Toast ausbringen?« erkundigte sich der Butler. »Klar doch«, antwortete Wolton und nickte zustimmend. Er hielt die große Flasche in der Hand und füllte die Pappbecher erneut. »Auf die Toleranz«, sprach Josuah Parker seinen Toast, »und auf die Höflichkeit, die sich mit erwähnter Toleranz paaren sollte.« »Aha«, meinte Dan Wolton, »Sie müssen mir gleich mal erklären, was Sie da gemeint haben, Mann!« »Zu näheren Auskünften stets bereit, Mr. Wolton«, antwortete der 30
Butler und leerte seinen Becher. Agatha Simpson folgte seinem Beispiel, die übrigen Punker hielten sich an das Vorbild, das die ältere Dame gab. Auch sie schluckten das scheußliche Gebräu. Nachdrückliches Husten brach danach aus. Einige Punker verdrehten die Augen, schnappten nach Luft und rieben sich ihren Magen. Andere wieder fächelten sich Luft zu und steckten die Zungen heraus, um für Abkühlung zu sorgen. In den Augenwinkeln von Dan Wolton bildeten sich einige verschämte Tränen. »Auf die Gesellschaft, die Sie ablehnen«, meinte Lady Agatha munter und streckte Wolton ihren Pappbecher entgegen, »ich möchte doch sehr hoffen, junger Mann, daß Sie nicht kneifen!« Herrn Deller hatte die große Flasche übernommen und füllte die Becher. Er maß dabei allerdings mit zweierlei Maß, wie Lady Agatha sofort erkannte. Der Besitzer der Diskothek wollte die Punker offensichtlich benachteiligen, was das jeweils ausgeschenkte Quantum betraf. Agatha Simpson stand auf und nahm ihm die Flasche aus der Hand. »Keine Benachteiligungen«, herrschte sie Herrn Deller an, »und nehmen Sie sich gefälligst auch einen Becher! Sie haben zwei Drinks nachzuholen…« »Ich… ich trinke nicht«, behaup-
tete Deller und wich zurück. »Natürlich werden Sie trinken«, antwortete die ältere Dame gefährlich freundlich, »oder möchten Sie, daß ich Ihnen die Flasche auf den Schädel schlage.« »Es… es reicht nicht mehr für alle, Lady«, entschuldigte sich Herrn Deller. »Dann holen Sie gefälligst neuen Stoff…« Sie deutete zur Tür. »Und wagen Sie es nicht, wegzubleiben, ich würde Sie sonst holen! Und das würde Ihnen gar nicht gefallen…« Die Punker klatschten Beifall und machten inzwischen einen aufgekratzten und ausgelassenen Eindruck. Wolton schickte einen seiner Freunde mit, der Deller wohl überwachen sollte. Butler Parker, bei dem die Flasche gelandet war, leerte den Rest des Inhalts in die Pappbecher. Dann forderte er die Anwesenden auf, Lady Simpsons Toast zu entsprechen. Als die Becher leer waren, stierten einige Punker bereits zur Zimmerdecke und waren nicht mehr ansprechbar. Andere wieder lachten ohne erkennbaren Grund und brabbelten Worte, die nicht zu verstehen waren. Ein Punker verlangte nachdrücklich nach seiner Mutter. Ein weiblicher Punker schluchzte laut und zerstörte sich dabei die kunstvolle Frisur. Dan Wolton, der auf seinen Beinen stand, schwankte ein wenig und hatte verglaste Augen, hielt sich aber tapfer. 31
»Mann, Leute«, sagte er mit schwerer Zunge zu Lady Agatha und Butler Parker, »verdammt, ihr seid okay, Mann, seid ihr okay! Habt ihr ‘ne Ahnung, wieviel Prozent das Zeug hat?« »Meiner bescheidenen Schätzung nach müßte man von etwa sechzig Prozent ausgehen«, erwiderte Josuah Parker gemessen und höflich wie stets. »Siebzig, Mr. Parker«, steigerte Lady Agatha. »Achtzig«, sagte Dan Wolton und kämpfte gegen einen aufkommenden Schluckauf an, »runde achtzig Prozent…« »Unter Umständen könnte man dann damit einen Dieselmotor antreiben«, vermutete der Butler. »Mann, Klasse«, lobte Dan Wolton und hatte Mühe, sich zur Tür umzuwenden, in der Herrn Deller mit einer neuen Großflasche erschien. »Los, Herrn, du ha’ was nachzuhol’n Typ!« »Drei Füllungen, wenn meine Wenigkeit es so leger ausdrücken darf«, erinnerte der Butler, »danach könnte man dann die Reihe der Toasts fortsetzen, falls es allgemein gewünscht wird.« »Das wird mich umbringen«, sagte Herrn Deller verkniffen. »Macht ja nichts, junger Mann«, erklärte Lady Agatha munter, »nun zieren Sie sich nicht länger, sonst werde ich nachhelfen.«
Der Besitzer der Diskothek wischte sich bereits im vorhinein den Angstschweiß von der Stirn. * »Ein schwaches Bild, Mr. Parker«, stellte Lady Agatha nach einer halben Stunde fest und deutete auf die Punker, die malerisch in den Sesseln hingen oder auf dem Boden lagen, »die Jugend kann nichts mehr vertragen.« »Der Spezialdrink der jungen Leute dürfte alkoholreich gewesen sein«, erklärte Butler Parker, »Mr. Herrn Deller dürfte vorerst nicht mehr ansprechbar sein.« Der Besitzer der Diskothek lag neben der Tür und lächelte geistesabwesend. Er hatte zwei Drinks zu sich genommen und war eingeschlafen. Nur der Wortführer der Punker, Dan Wolton, kämpfte gegen seine Trunkenheit an. Er mühte sich immer wieder, die Augen aufzureißen. »Man möchte nicht aufdringlich erscheinen«, sagte Josuah Parker zu ihm, »aber wären Sie damit einverstanden, etwas frische Luft zu atmen?« »Mann, hab’ ich einen in ‘er Krone«, sagte Dan Wolton und riß die Augen weit auf, »ich bin sturzbesoffen.« »Haben Sie sich nicht so, junger Mann!« fuhr Agatha Simpson den 32
Punker an, »was haben sie denn schon groß getrunken!?« »Lady, wie schaffen Sie das?« murmelte Wolton und stierte die ältere Dame bewundernd an. »Sie vertrag’n mehr, als’n Pferd.« »Schnickschnack«, gab sie zurück, »das alles ist eine Frage der Selbstbeherrschung.« »Mylady konnten sich inzwischen einen ersten Eindruck verschaffen, was die Punker betrifft?« erkundigte sich der Butler. Ihm war überhaupt nichts anzumerken. Würdevoll und korrekt, steif, als habe er einen Ladestock verschluckt, stand er in der Mitte des Raumes und schaute seine Herrin fragend an. »Harmlose Halbwüchsige, die man überschätzt«, erklärte sie, »man muß sie nur richtig ansprechen und behandeln.« »Mylady beabsichtigen, weitere Informationen zu sammeln?« »Wir wollen doch nicht gleich übertreiben«, erklärte sie, »ich denke, diese Drinks waren wohl doch recht prozentreich, nicht wahr?« »Einer Rückkehr nach Shepherd’s Market steht nichts im Weg, Mylady.« »Und dann?« wollte sie wissen. »Möglicherweise werden Mylady dort inzwischen von anderen Punkern erwartet.« »Ein Überfall?« Ihre Augen blitzten sofort unternehmungslustig.
»Solch eine Möglichkeit sollte man nie ausschließen, Mylady.« »Brauche ich diesen jungen Mann noch?« Sie deutete auf Don Wolton, den Wortführer der Punker-Gruppe. »Im Augenblick wohl kaum, Mylady. Dies bezieht sich auch auf Mr. Herrn Deller.« »Fahren wir!« Sie nickte und schritt zur Tür. Dabei zeigte sich nun doch, daß sie ihre Kräfte ein wenig überschätzt hatte. Sie war nicht in der Lage, einen korrekten Kurs einzuhalten. Parker erschien neben ihr und nahm diskret die erforderlichen Korrekturen vor, öffnete die Tür und geleitete die ältere Dame in den großen Vorraum des ehemaligen Kinos. Hier hatten sich inzwischen weitere Punker eingefunden. Es schien sich herumgesprochen zu haben, daß Dan Wolton zu einem Umtrunk eingeladen hatte. Wahrscheinlich kannte man die Qualitäten der Drinks, die er zu reichen pflegte. Man wunderte sich allgemein, wie aufrecht Agatha Simpson und Butler Parker in Richtung Straße schritten. Ja, es herrschte ein fast andächtiges Schweigen. Dieses Schweigen schlug in leichte Bestürzung um, als Dan Wolton, der sich zusammengerissen hatte, nun ebenfalls auf der Bildfläche erschien. Dan Wolton schwankte wie ein Schilfrohr im Wind, knickte in den Knien ein und stützte sich mit der linken Hand an der Wand. Er 33
setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen und grinste die Punker verhangen an. »Leute«, sagte er mit schwerer Zunge und sehr mühsam, »Mann, Leute, die sin’ in Ordnung! Mann, richtige Punker! Die hab’n uns glatt unter’n Tisch gesoffen… Die sin’ Spitze un’…« Er war nicht mehr in der Lage, seinen Satz zu beenden, knickte endgültig ein und landete krachend auf dem Boden. Dann zog er die Beine an und glich augenblicklich einem Riesenbaby, das selig einschlief. »Man wünscht allerseits noch einen abwechslungsreichen Abend!« Parker lüftete seine schwarze Melone und führte Lady Agatha durch die Gasse, die die noch nüchternen Punker respektvoll bildeten, hinüber zu seinem hochbeinigen Monstrum. Als Parker den Wagen in Bewegung setzte, entging ihm keineswegs, daß ein Ford sich vom Straßenrand löste und ihm folgte. Es wunderte Parker überhaupt nicht, daß seine innere Alarmanlage sich prompt meldete. Er wußte, daß mit einer geruhsamen Heimfahrt keineswegs zu rechnen war. * »Polizei, Mike?« Kathy Porter stand im dunklen Privatbüro des Anwalts und blickte hinunter auf die Straße.
Sie sah einen Streifenwagen und zwei uniformierte Beamte, die diesen Wagen gerade verlassen hatten. Ein dritter Beamter schien soeben die Türklingel betätigt zu haben. »Die Hilfstruppen, Kathy«, vermutete Mike Rander lächelnd, »eben hat doch ein Anrufer behauptet, die falsche Nummer gewählt zu haben.« »Eine schnelle Reaktion.« »Und durchaus verständlich. Man geht davon aus, daß wir inzwischen den Trick mit den IrokesenPerücken durchschaut haben. So etwas darf sich nicht herumsprechen.« * »Dann sollten wir die echte Polizei alarmieren, Mike.« »Schon dabei, Kathy«, antwortete der Anwalt, »der Spuk wird sich gleich verflüchtigen. Aber, Moment mal, sollten wir nicht versuchen, auch diese drei Burschen zu vereinnahmen?« »Klingt verlockend, Mike, aber könnte lebensgefährlich werden. Man wird ohne jede Vorwarnung aus allen Rohren schießen.« »Mit Sicherheit«, bestätigte der Anwalt, »okay, Kathy, verscheuchen wir sie nur.« »Sie sind jetzt vor der Haustür.« Kathy Porter ging mit nachtwandlerischer Sicherheit durch das dunkle Privatbüro zu einem Rollschrank 34
und griff nach einer dickwandigen Flasche, in der sich flüssiger Klebstoff befand. Als sie ans Fenster zurückkam, schaute Mike Rander sie fragend an. Im Widerschein des Lichtes von der Straße konnte er nicht genau ausmachen, wonach seine Partnerin gesucht hatte. »Leim«, sagte die junge Dame leise, »Mike, öffnen Sie vorsichtig das Zimmer. Gleich wird dort unten einiges los sein.« Der Anwalt verstand, nickte und löste den Verschluß. Dann schob er den unteren Teil des Fensters geräuschlos nach oben. Kathy Porter ließ ihre rechte Hand mit der dickwandigen Flasche nach draußen gleiten und… warf ihre Überraschung nachdrücklich nach unten. Die Flasche brauchte nur eine Sekunde, bis sie auf den Stufen, die zur Haustür führten, zerschellte. In der herrschenden Stille der Nacht wirkte der Aufschlag wie eine kleine Detonation. Es dauerte ebenfalls nur eine weitere Sekunde, bis die nächtlichen Besucher auf der Treppe erschienen. Es waren keine Polizeibeamte… Sie stürmten hinunter und wollten zurück zu ihrem Wagen. Sie hüpften, soweit sie es erkennen konnten, über die Scherben und landeten zwangsläufig in der klebrigen Flüssigkeit. Einer verlor dabei einen Schuh. Ein zweiter angeblicher Poli-
zist glitt auf der zähen, klebrigen Masse aus und langte sich stützend mit der linken Hand in den Leim. Er hatte einige Mühe, seine Hand von der Stufe zu lösen, schaffte es nur mit knapper Not und zog dabei lange Fäden hoch. Das alles wurde übertönt von wütenden Flüchen. »Sehr gut, Kathy, Parker wird zufrieden sein«, lobte Mike Rander und lachte leise, »diese Brüder dürften erst mal die Nase voll haben.« Die Besucher, die sich als Polizisten herausgeputzt hatten, saßen inzwischen im Streifenwagen und jagten davon. Das Quietschen und Durchtouren der Reifen auf dem Asphalt war weithin zu hören. Nach wenigen Augenblicken bog der Streifenwagen in eine Seitenstraße, kam ein wenig aus dem gedachten Kurs, streifte mit der Breitseite eine Straßenlaterne und war dann endgültig verschwunden. »Wetten, daß gleich wieder angerufen wird?« fragte Mike Rander seine Freundin und Partnerin. »Ich werde mich hüten, Mike, dagegen zu setzen«, erwiderte sie, »ich würde doch nur verlieren.« »Rufen wir in Shepherd’s Market an«, schlug der Anwalt vor, »vielleicht sind Lady Simpson und Parker schon wieder zurück.« Er ging an den Apparat, wählte die Nummer und brauchte nicht lange zu warten, bis auf der Gegenseite abgehoben wurde. Mike Rander
stellte wiederholt einige Fragen, machte einen amüsierten Eindruck, wie Kathy Porter fand, entschuldigte sich schließlich und legte dann auf. »Was ist, Mike?« wollte sie wissen. »Weiß der Henker, Kathy«, schickte der Anwalt voraus, »aber ich habe den Eindruck, als habe Lady Agatha ihren Kreislauf etwas zu nachdrücklich gestützt.« »Wieso? Was meinen Sie, Mike?« »Sie hat zumindest einen Schwips«, redete Mike Rander weiter, »aber wahrscheinlich ist sie angetrunken. Sie lud mich ein, mit ihr einen auf die Pauke zu hauen, wie sie sich ausdrückte!« * »Guten Morgen, Mylady«, wünschte McWarden Chief-Superintendent mit lauter Stimme und winkte Lady Agatha zu, die leidend am Frühstückstisch saß und bei der Begrüßung zusammenzuckte. »Wollen Sie mich umbringen, McWarden?« fragte sie mit belegter Stimme. »Sie sehen tatsächlich nicht besonders gut aus, Mylady«, konstatierte der Chief-Superintendent, ein untersetzter, bulliger Typ, der an eine stets mißgelaunte und gereizte Bulldogge erinnerte. Agatha Simpson und er hatten im Lauf der Jahre eine wechselseitige, ruppige Wertschätzung entwickelt. McWarden gefiel
die unkonventionelle Art der älteren Dame, während die Lady von seiner geraden, unbestechlichen Art angetan war. Der Chief-Superintendent, der dem Innenministerium direkt unterstellt war, leitete im Yard ein Sonderdezernat und war zuständig für organisiertes Bandenverbrechen. »Ich bin um ein Haar vergiftet worden«, klagte die Hausherrin und massierte mit einigen Fingerspitzen vorsichtig ihre Schläfen, »und Mr. Parker hat natürlich alles getan, dies nicht zu verhindern.« »Vergiftet?« McWarden blickte den Butler an, der gerade ein Glas Wasser und einige Aspirin servierte. Dies alles befand sich auf einem schweren Silbertablett, das er mit weiß behandschuhten Händen hielt. »Mylady sprach einem Getränk zu, Sir, das von Punkern gereicht wurde«, erläuterte der Butler in seiner korrekten Art, »Mylady trank, um es vulgär auszudrücken, die gerade erwähnten Punker unter den Tisch.« »Donnerwetter!« McWarden grinste. »Das muß ein wildes Gesöff gewesen sein, wie?« »Reines Gift«, klagte Agatha Simpson, »ich glaube, daß mein Kopf zerspringen wird.« »Mylady spielte bereits mit dem Gedanken, einen Arzt zu konsultieren«, warf Josuah Parker ein. »Sie hätten warnend eingreifen müssen, Mr. Parker«, räsonierte die
ältere Dame. »Sie waren dabei, Mr. Parker? Sie haben das Zeug ebenfalls getrunken?« erkundigte sich der Chief-Superintendent. »In der Tat, Sir! Das erwähnte Getränk dürfte eine Mischung aus Anisschnaps, Brandy und einem undefinierbaren Kräuterlikör gewesen sein.« »Hören Sie sofort auf, Mr. Parker!« Agatha Simpson sah ihren Butler anklagend-strafend an. »Mir wird schon wieder schlecht.« »Sehr wohl, Mylady.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an. »Haben Sie mitgespielt, Mr. Parker?« fragte McWarden und zeigte, was die Lady betraf, echte Schadenfreude. »Meine Wenigkeit paßte sich Mylady an«, lautete die Antwort des Butlers. »Und wie fühlen Sie sich?« »Ausgezeichnet, Sir«, versicherte der Butler, »falls Interesse besteht, könnte man aus der Diskothek, die den Punkern als Heim dient, eine Kostprobe beschaffen.« »Diskothek? Gehört die einem gewissen Herrn Deller?« erkundigte sich der Chief-Superintendent. »In der Tat, Sir! Es handelt sich um einen schmächtigen Mann, der eine Brille trägt und schätzungsweise fünfzig sein müßte. Oberflächlich gesehen, Sir, dürfte er von der Gruppe der Punker majorisiert wer-
den, die ihrerseits von einem gewissen Dan Wolton angeführt werden.« »Von wegen majorisiert, Mr. Parker.« McWarden lachte ironisch. »Herrn Deller hat’s faustdick hinter den Ohren. Der Bursche ist ein gerissener Fuchs, mehrfach vorbestraft und mit allen Wassern gewaschen.« »Könnte man erfahren, Sir, auf welche Art und Weise Mr. Herrn Deller straffällig wurde?« »Hehlerei, Erpressung, Nötigung«, erwiderte der Chief-Superintendent, »wahrscheinlich hat er noch ganz andere Sachen auf dem Kerbholz, doch das konnten wir ihm bisher nicht nachweisen.« »Könnte man auch dazu einige Hinweise bekommen, Sir?« »Werde ich noch gebraucht?« schaltete sich die ältere Dame ein und erhob sich ungemein vorsichtig, »ich denke, ich werde noch ein wenig meditieren und über den Fall nachdenken.« »Möchten Mylady hinaufgebracht werden?« fragte der Butler. »Ich bin doch keine alte Frau«, grollte sie verhalten, »ich schaffe das allein, Mr. Parker! Erledigen Sie die Details mit Mr. McWarden! Ich werde mich mit der großen Linie dieses Falls befassen…« »Vielen Dank im voraus, Mylady«, spöttelte McWarden, doch Agatha Simpson ging diesmal auf die Herausforderung nicht weiter ein. Behutsam machte sie sich auf den
Weg zur Freitreppe und arbeitete sich nach oben. »Hat Mylady wirklich soviel getrunken?« fragte McWarden, als er mit Josuah Parker allein war. »Mylady opferte sich förmlich auf, um das Vertrauen der Punker zu gewinnen«, gab Butler Parker zurück, »im Vertrauen, Sir, dieses Spezialgetränk der Punker war und ist geeignet, diverse Mägen in unkoordinierte Schwingungen zu versetzen…« * »Haben Sie McWarden etwas von meinen Gästen in der Curzon Street gesagt, Mr. Parker?« erkundigte sich Mike Rander, nachdem der Butler vom Besuch des Chief-Superintendent berichtet hatte. Mike Rander und Kathy Porter waren etwa eine halbe Stunde nach McWardens Weggang im Fachwerkhaus der älteren Dame erschienen. »Keineswegs, Sir«, antwortete der Butler, »McWarden weiß natürlich auch nichts von Irokesen-Perücken.« »Sehr schön, Parker, diesen Informationsvorsprung sollten wir halten«, schlug Mike Rander vor, »gab’s Neuigkeiten?« »In der Tat, Sir! Mr. McWarden berichtete von ungewöhnlichen Aktivitäten der Punker. Gruppen dieser Außenseiter haben in zwei Fällen Raubüberfälle verübt und
dabei Beute im Gesamtwert von achtzigtausend Pfund etwa gemacht.« »Donnerwetter, das ist beachtlich…« Mike Rander schaute seine Freundin und Partnerin an. »Diese falschen Punker schlagen aber ganz schön zu.« »Diesen Beweis, Sir, müßte man allerdings erst noch antreten«, bemerkte der Butler höflich. »Natürlich, Parker, aber nach Lage der Dinge dürften hier die falschen Punker am Werk sein, oder?« »Mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, Sir«, bestätigte der Butler, »die beiden PunkerÜberfälle bezogen sich auf die Kasse einer Windhund-Rennbahn und auf die Tageskasse eines Supermarktes für Heimwerker. In beiden Fällen berichteten Augenzeugen von typischen Punkern, die allerdings in bereitgestellten Wagen blitzschnell vom jeweiligen Tatort verschwanden.« »Und damit dürfte dann die große Treibjagd der Öffentlichkeit auf die Punker beginnen«, warf Kathy Porter ein. »Tatsächlich! Schlechte Zeiten für Punker«, fügte der Anwalt hinzu. »Die Zeitungen werden in Großaufmachung davon berichten. Gab es Verletzte, Mr. Parker?« »Die beobachteten Punker gingen mit ungewöhnlicher Härte vor, Sir. Sie benutzten die obligaten Fahrrad38
ketten und Schlaginstrumente, die an mittelalterliche Morgensterne erinnern.« »Was tut die Polizei? Was hat McWarden vor, Parker? Hat er sich dazu geäußert? Welche Vermutungen hat er?« »Mr. McWarden wird sich an bewährte Methoden halten, Sir, und erst mal Razzien durchführen. Mr. McWarden geht davon aus, daß die sogenannten Punker sich zu Banden zusammengeschlossen haben.« »Sie sollten sich mal unsere vier Punker im Keller ansehen, Parker«, schlug der Anwalt vor. »Vielleicht entdecken Sie Farbspuren aus Ihren Wunderdosen.« »Welchen Eindruck hatten Sie von den Punkern, die von Lady Simpson unter den Tisch getrunken wurden, Mr. Parker?« wollte Kathy Porter wissen. »Es dürfte sich um echte gehandelt haben, Miß Porter«, gab der Butler zurück, »es sind junge Menschen, die um jeden Preis opponieren wollen und jeder Uniformität aus dem Weg gehen, wobei sie übersehen, daß sie längst Uniformen tragen, was ihre äußere Aufmachung betrifft. In Gruppen könnte man sie als lästig bezeichnen, aufdringlich und auch ein wenig aggressiv. Als Einzelpersonen dürften sie durchaus akzeptabel sein.« »Wie unterscheidet man die von den weißen schwarzen
Schafen?« fragte Mike Rander nachdenklich. »Es wird jetzt eine Menge Leute geben, die nach harten und durchgreifenden Gegenmaßnahmen schreien, was die Punker betrifft.« »Davon sollte man ausgehen, Sir. Ein Sturm der Entrüstung wird sich zusammenbrauen, wenn man so sagen darf. Falls meine Meinung erwünscht sein sollte, wäre zu raten, sich mit den echten Punkern zusammenzutun.« »Nicht schlecht, Mr. Parker.« Kathy Porter nickte und lächelte. »Diese jungen Leute könnten mithelfen, nach den falschen zu suchen.« »Wird man uns trauen? Wird man mitmachen, Parker? Sie wissen doch, die echten Punker lehnen solch eine Zusammenarbeit mit Sicherheit ab.« »Man sollte vielleicht Kontakt zu einem gewissen Mr. Dan Wolton pflegen, Sir, von dem meine Wenigkeit bereits berichtete.« »Was ist mit diesem Herrn Dellen Parker? Laut McWarden soll er ein dreimal gehenkter Bursche sein.« »Der von den Punkern seiner Diskothek keineswegs majorisiert wird«, erinnerte Kathy Porter. »Mr. Herrn Deller ist mehrfach vorbestraft, Miß Porter«, wiederholte der Butler, »er zeigte sich Mylady gegenüber als ängstlichbemühter Mann, der Angst vor den Punkern hat und auch eindeutig von ihnen herumkommandiert wurde, wenn ich so sagen darf.« 39
»Kann das Masche gewesen sein, Parker?« erkundigte sich der Anwalt. »Durchaus, Sir«, gab Parker zurück, »Mr. Herrn Deller gehört auf die Liste jener Personen, die man verdächtigen sollte.« »Wieso sind Sie ausgerechnet zu Deller gefahren, um Lady Simpson ein paar Punker zu zeigen?« »Seine Diskothek gehört zu den wenigen großen Zentren der Punker, Sir«, erwiderte Josuah Parker. »Mr. Horace Pickett war so freundlich, meiner Wenigkeit diese Adresse zu nennen.« »Unser ehemaliger Taschendieb«, sagte der Anwalt und lächelte, »Pickett kennt sich nach wie vor bestens aus.« »Es ist ihm stets eine Ehre, für Mylady tätig sein zu dürfen, Sir, nachdem er auf den Pfaden der Tugend lustwandelt.« »Es ist ihm eine Ehre, für Sie, Parker, für Sie zu arbeiten!« »Meine Wenigkeit hatte tatsächlich mal das Vergnügen, Mr. Horace Pickett in einer mehr als peinlichen Situation zu helfen. Seit dieser Zeit fühlt Mr. Pickett sich verpflichtet, seine Dankesschuld abzutragen.« »Damit wir uns nicht falsch verstehen, Parker: ich habe nichts gegen Pickett«, warf Mike Rander lächelnd ein, »er kennt auch die übrigen Zentren? Haben Sie diese Adressen?« »Es handelt sich um zwei weitere
Zentren, Sir, deren Adressen bekannt sind. Dazu gehört auch ein Mr. Peter Mintell, den meine Wenigkeit bereits aufsuchte.« »Was ist mit diesem Mintell, Mr. Parker?« fragte Kathy Porter. »Mr. Mintell, Miß Porter, verleiht Geld zu immens hohen Zinsen an junge Menschen, die dem Konsumdenken verhaftet sind und Anschaffungen tätigen wollen, die deren finanzielle Mittel aber bei weitem übersteigen. Dadurch bringt er seine Kreditnehmer dazu, ungesetzliche Handlungen zu begehen, damit sie die nötigen Barmittel auftreiben, um die horrenden Schulden abzutragen.« »Und die jungen Burschen spielen da mit?« wunderte sich Mike Rander. »Mr. Mintell verfügt über mehr als nur handfeste Freunde, die für seinen persönlichen Schutz sorgen«, berichtete der Butler weiter, »in seiner Obhut befinden sich übrigens zwei von insgesamt fünf Punkern, die von meiner Wenigkeit eingefärbt wurden.« »Warum haben Sie diese Brüder nicht mitgebracht?« wunderte sich Mike Rander. »Es dürfte interessant sein, Sir, wie Mr. Mintell diese jungen Männer behandelte«, lautete Parkers Antwort, »daraus lassen sich möglicherweise Schlüsse ziehen…«
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* � »Darf man sich erlauben, Sir, Ihre Aufmerksamkeit auf jenen Ford zu lenken, der dort am Straßenrand steht?« Parker wies mit der rechten Hand diskret auf den Wagen, in dem zwei Männer auf den Vordersitzen saßen. »Ist das der Ford, der Ihnen und Lady Simpson folgte?« fragte der Anwalt. »Nach dem Besuch in der Diskothek, Sir«, bestätigte der Butler, »erstaunlicherweise und auch überraschend war die Tatsache, daß man sich mit einer Verfolgung begnügte. Zu Aggressionen kam es nicht.« »Ich wette, Sie haben sich bereits nach dem Wagenbesitzer erkundigt, wie?« »In der Tat, Sir! Der Ford gehört einem gewissen Mr. Randolph Clappers, der eine Art Rock-Fabrik im Osten der Stadt betreibt.« »Mr. Randolph Clappers’ Unternehmen dürfte das dritte Zentrum der Punker sein, Sir.« »Erstaunlich, daß man sich so ungeniert zeigt«, wunderte sich Mike Rander. Er saß neben Parker im hochbeinigen Monstrum. Man war unterwegs in Richtung Curzon Street. Josuah Parker wollte sich die vier falschen Punker im Souterrain der Kanzlei näher ansehen. »Es dürfte sich um eine Einladung handeln, Sir.«
»Sie meinen, daß dieser Randolph Clappers Sie sehen will, Parker? Woher könnte er wissen, daß Sie sich mit Punkern befassen?« »Diese Information könnte entweder von Mr. Mintell, oder aber auch von Mr. Deller gegeben worden sein.« »Klingt durchaus logisch, Parker.« Rander nickte. »Hier soll wohl so etwas wie ein nettes Verwirrspiel aufgezogen werden, wie?« »Eine treffliche Bezeichnung, Sir, falls diese Bemerkung erlaubt ist.« – »Nehmen wir die Einladung an, Parker?« Rander lächelte wieder mal über die Ausdrucksweise des Butlers. »Die vier falschen Punker können von mir aus noch warten. Oder rechnen Sie damit, daß sie befreit werden?« »Mit solch einem Gewaltakt, Sir, sollte man stets rechnen, zumal das Haus, in dem sich Ihre Kanzlei befindet, zur Zeit bis auf vier Gäste leer ist.« »Auch unbewacht, Parker?« Mike Rander warf dem Butler einen kurzen, prüfenden Blick zu. »Keineswegs, Sir«, lautete Parkers Antwort, »Mr. Pickett war so entgegenkommend, einige seiner Bekannten in die Nähe des Hauses zu bitten. Falls es dort zu einem gewaltsamen Besuch kommen sollte, werden diese Bekannten umgehend die Polizei informieren.« »Wenn Sie Ihren Pickett nicht hät41
ten, Parker!« »Eine erfreuliche Erscheinung, Sir, wenn man so sagen darf.« »Ich weiß, ich weiß, Parker.« Mike Rander lachte leise. »Er ersetzt uns ein ganzes Detektivbüro.« »So könnte und sollte man sagen, Sir. Mr. Pickett tastet die gesamte Punker-Szene ab. Über die drei bereits erwähnten Zentren hinaus könnte es noch andere Schwerpunkte geben.« »Wir suchen nach einer Nadel im Heuhaufen, Parker. Jeder clevere Gangsterboß in Groß-London könnte auf die Idee gekommen sein, seine Leute in der Aufmachung vdn Punkern arbeiten zu lassen.« »Dieses Problem, Sir, gilt es in der Tat zu lösen. Der Ford bog übrigens vor wenigen Sekunden in eine Seitenstraße.« »Ende der Einladung?« Mike Rander drehte sich um und warf einen Blick durch das Rückfenster des hochbeinigen Monstrums. »Wahrscheinlich möchte man die Einladung nicht zu deutlich aussprechen, Sir.« »Wann lassen wir uns bei diesem Randolph Clappers sehen, Parker?« »Vielleicht im Anschluß an den Besuch im Souterrain Ihres Hauses, Sir?« »Einverstanden, Parker. Vor Nachmittag können wir mit Lady Agatha ohnehin nicht rechnen. Und Miß Porter wird dafür sorgen, daß sie
nicht auf eigene Faust loszieht und ermittelt.« Parker hatte inzwischen die Curzon Street erreicht und näherte sich dem Backsteinbau, in dem die Kanzlei und auch die Privatwohnung des Anwalts untergebracht waren. Die Straße machte einen völlig unverdächtigen Eindruck. Vor dem Eingang zum Haus standen nicht wie zufällig zwei Gestalten herum, die nur darauf warteten, um in Aktion zu treten. Mike Rander hielt Ausschau nach Horace Pickett, den er selbstverständlich gut kannte, doch er konnte ihn nicht ausmachen. »Sind Sie sicher, daß Pickett Sie richtig verstanden hat?« fragte Mike Rander den Butler. »Ein Mißverständnis ist ausgeschlossen, Sir«, lautete Parkers Antwort, »darf man sich erkühnen, Ihre Aufmerksamkeit auf den Mann zu lenken, der mit Hingabe und Andacht die Fensterscheibe des Nachbarhauses reinigt?« »Pickett?« Der Anwalt faßte den Mann ins Auge, der eine Fensterscheibe polierte, einen grauen Kittel trug und augenscheinlich der Hausmeister sein mußte. »Ein Bekannter Mr. Picketts, Sir«, erklärte Josuah Parker, »falls Ihr Haus, Sir, unter Kontrolle steht, dürfte dem Fensterreiniger der Schwamm aus der Hand fallen.« »Okay, ich lasse mich erwiderte Mike überraschen«, 42
Rander, »im Moment fummelt der Knabe nur mit dem Poliertuch an der Scheibe.« »Ein Zeichen dafür, Sir, daß im gegenüberliegenden Haus ein Besucher sein muß, der offensichtlich auf dem Dach Posten bezogen hat«, antwortete der Butler höflich und gelassen, »man sollte davon ausgehen, daß er ein mit Zielfernrohr versehenes Gewehr mit sich führt.« * Mike Rander schlüpfte geschmeidig aus dem Wagen, nahm Deckung hinter einem parkenden Fahrzeug und wartete, bis Parkers hochbeiniges Monstrum auf der Straße verschwunden war. Der Anwalt hatte sich blitzschnell mit dem Butler abgestimmt. Er hatte die Absicht, den Mann auf dem Dach des Hauses zu überraschen und zu stellen. Mike Rander nahm sich Zeit und wartete, bis ein Lastwagen die Straße passierte. Diese Deckung nutzte er, um die Fahrbahn zu überqueren. Im Schutz der Hauswand pirschte er sich dann an das bewußte Haus heran und warf einen prüfenden Blick auf den angeblichen Hausmeister, der seine Arbeit gerade beendete. Dieser Mann verschwand mit Eimer und Putzzeug im Treppenhaus. Rander dachte an Parkers Voraussicht. Er bewunderte wieder mal den Butler, der nichts dem
Zufall überließ, und Mike Rander gestand sich ein, daß man ohne Josuah Parker wohl kaum in der Lage war, einen Kriminalfall zu lösen. Rander hatte den Hauseingang erreicht. Es handelte sich um ein Gebäude, in dem Anwaltskanzleien und Firmenbüros untergebracht waren. Der Zutritt war wirklich kein Problem. Der Anwalt nahm die Treppe und verzichtete auf den Aufzug. Schnell und geschmeidig stieg er nach oben in den vierten Stock. Hier orientierte er sich kurz. Dann wählte er eine Tür, die zum Dachboden führte. Sie war unverschlossen. Er drückte sie vorsichtig auf, betrat einen langen, schmalen Korridor, von dem Bodenverschläge abzweigten, und roch dann plötzlich frischen Auf Zehenspitzen Tabakrauch. arbeitete Mike Rander sich weiter vor und spähte in einen Lattenverschlag. Er wunderte sich über die Unvorsichtigkeit des Mannes, der hier oben Posten bezogen hatte und entspannt und gelangweilt vor einem geöffneten Dachfenster stand. In den Händen hielt er ein Gewehr, das tatsächlich mit Zielfernrohr versehen war. Der Mann schaute nach unten, stand auf einer Kiste, um besser die Straße einsehen zu können, und hatte keine Ahnung, daß sein Opfer bereits dicht hinter ihm war. »Hallo, alter Knabe«, sagte der Anwalt, als er die Kiste erreichte. 43
Gleichzeitig trat Mike Rander gegen deren Längskante. Die Kiste wackelte sofort und brachte den Mann aus dem Gleichgewicht. Bevor der Überraschte sich festen Halt verschaffen konnte, setzte Mike Rander seine linke Handkante ein. Ächzend rutschte der potentielle Schütze in sich zusammen, fiel zur Seite und wollte dennoch mit dem Gewehrkolben nach Rander schlagen. Der Anwalt wich blitzschnell aus und setzte seine linke Schuhspitze als Waffe ein. Damit war die Auseinandersetzung beendet. Der Mann ließ das Gewehr fallen, stöhnte noch mal und fiel dann gegen einen Dachbalken. Bevor er auf dem Bretterboden landete, war er bereits bewußtlos. Mike Rander beugte sich über ihn, zog ihm eine 38er aus der Schulterhalfter und lehnte sich dann gegen den Stützbalken. Er wartete darauf, daß der Mann wieder zu sich kam. Es dauerte aber seine Zeit. Rander machte sich erst gar nicht die Mühe, die Kleidung des Mannes nach Papieren zu durchsuchen. Schon das schmale, harte Gesicht zeigte ihm, daß er es mit einem Profi zu tun hatte, der persönliche Dinge nicht herumschleppte. »Wie fühlt man sich?« erkundigte sich Rander, als der Unbekannte dann ohne jeden Übergang die Augen öffnete und seinen Bezwinger anstarrte.
»Eins zu null«, sagte der Mann mühsam. Rander hörte deutlich den amerikanischen Akzent, »Sie haben mich geschafft…« »Für Sie dürfte die Sache gelaufen sein«, antwortete Mike Rander, »Sie waren natürlich nur hinter Tauben her.« »Ich hab’ Sie unterschätzt«, redete der Mann weiter und setzte sich hoch, »wie soll’s jetzt weitergehen?« »Machen Sie mal ‘nen Vorschlag. Wer hat Sie eingekauft?« »Auf diesem Ohr bin ich total taub«, sagte der Mann, »ich war tatsächlich nur hinter Tauben her. Ist ‘ne gute Ausrede. Man bedankt sich.« »Hoffentlich sind Sie artistisch begabt«, fragte Mike Rander. »Worauf wollen Sie ‘raus?« »Sie werden gleich hüpfen«, setzte Mike Rander hinzu, »Freiflug durch’s Dachfenster, runter auf die Straße.« »Reden Sie keinen Stuß, Freundchen, das schaffen Sie nie.« »Sie werden nicht freiwillig springen«, informierte Mike Rander, »ich narkotisier’ Sie vorher! Ich war lange genug drüben in den Staaten. Ich weiß, wie man so was hinbekommt.« »Sie sind wahnsinnig!« Angst flackerte in den Augen des Unbekannten. »Ich möchte nicht noch mal belauert und dann abgeschossen werden. So einfach ist das, alter Knabe.« 44
»So was bringen Sie niemals spitz, Mann.« »Wetten Sie lieber nicht darauf«, meinte der Anwalt und lächelte kühl, »ich vergesse ganz nach Wunsch meine gute Erziehung. Darum lebe ich noch.« Mike Rander nahm das Gewehr langsam hoch und erweckte den Anschein, als wolle er mit dem Lauf zuschlagen. Der potentielle Mörder zog unwillkürlich die Beine an und hob abwehrend die Hände. »Drehen Sie nicht durch, Mann«, sagte er dann hastig, »man kann über alles reden.« »Wer will die Abschußprämie bezahlen?« fragte Mike Rander, der sich der Ausdrucksweise des Mannes anpaßte. »Mintell, Peter Mintell«, lautete die überraschend prompte Antwort, »ich sollte Ihnen ein kleines Ding verpassen, mehr nicht. Nur ein kleines Ding für vier oder fünf Wochen Hospital. Mann, ich bin doch kein Killer…« * Der Killer, der angeblich auf Tauben hatte schießen wollen, saß apathisch im Sessel der Anwalts-Kanzlei und schien sich in das Muster der Tapete vertieft zu haben. Mike Rander hatte den Mann ohne Schwierigkeiten in sein Haus gebracht. Der Killer hatte schnell gemerkt, daß mit dem sich so
lässig gebenden Juristen nicht zu spaßen war. Mike Rander hatte das Gewehr im Lattenverschlag zurückgelassen, sich dafür an den 38er gehalten. Vor dem Eingang zur Kanzlei war man von Josuah Parker in Empfang genommen worden. Und Parker war es auch gewesen, der dem Killer nach Betreten des Hauses eine Spray-Dosis verordnet hatte. Der Butler hatte darauf verzichtet, den Killer farblich zu kennzeichnen. Der Spray aus einer kleinen Flasche sorgte dafür, daß der so Behandelte gar nicht erst auf den Gedanken kam, aktiv zu werden. »Was machen die vier Burschen?« erkundigte sich Mike Rander, als Parker aus dem Souterrain zurückkehrte. »Man gibt sich einer gewissen Depression hin, Sir«, antwortete der Butler in seiner höflichen Art, »man dürfte die Erkenntnis gewonnen haben, daß mit baldiger Befreiung wohl kaum noch zu rechnen ist.« »Was machen wir mit diesem Knaben, Parker?« Mike Rander deutete auf den Killer im Sessel. »Er dürfte sich inzwischen entspannt haben, Sir. Gewissen Fragen gegenüber müßte er jetzt aufgeschlossen sein.« »Was haben Sie ihm da eigentlich in die Nasenlöcher gesprayt?« »Eine an sich harmlose Mischung aus Lachgas und Pentothal, Sir. Es handelt sich um Minimaldosierun45
gen.« »Sie sind der Hexenmeister des Jahrhunderts, Parker«, meinte der Anwalt und wandte sich dann dem filier zu, »hören Sie genau zu! Wir werden Sie jetzt zurück in Ihr Hotel bringen, klar? Wohin müssen wir da fahren?« »West India Docks«, lautete die fast beiläufig gegebene Antwort, »der Laien heißt Canning Tower.« »Und seit wann wohnen Sie da, alter Junge?« »Seit acht Tagen«, erwiderte der Müller. »Und vor acht Tagen sind Sie aus den Staaten gekommen?« »Haargenau«, kam prompt die Antwort, »Mintell braucht ‘nen Spezialisten, is’ doch klar.« »Was springt denn für Sie dabei heraus?« »Fünf Riesen plus Spesen und Ticket für den Flug.« Der Killer schien überhaupt nicht zu merken, wie präzise er Randers Fragen beantwortete. Parkers Spezialspray hatte seine Vorsicht eingeschläfert. »Wie war das mit dem Supermarkt und der Rennbahn?« »Kleine Fische. Die müssen hier erst noch lernen, wie man so was aufzieht. Das sind doch alles Anfänger.« »Sie haben mitgemischt, wie?« »Nur aufgepaßt, mehr nicht: Aber die großen Sachen steigen erst noch.«
»Das bilden Sie sich doch nur ein, Mann«, stichelte Mike Rander. Josuah Parker griff in diesen Dialog nicht ein. Seine Ausdrucksweise hätte den Killer sicher nur verwirrt und daran gehindert, schnelle und präzise Auskunft zu geben. »Die großen Sachen steigen erst noch«, wiederholte der Killer. Seine Stimme wurde etwas lauter und hartnäckiger, »Mintell will ganz dicke Fische an Land ziehen.« »Wo treffen Sie ihn?« »Im Hotel, is’ doch klar. Oder mal in ‘nem Pub. Das wechselt ab.« »Beschreiben Sie mir Mintell, Mann. Er ist klein, schmächtig und hat eine Glatze, ja?« »Nee, das is’ nicht Mintell«, widersprach der Killer umgehend und sah sich den Anwalt fast empört an, »Mintell ist’n Brillenheini, klein und dicklich, glaub’ aber nich’, daß er der Boß is’. Den hat man nur vorgeschickt. Mich legt man nicht aufs Kreuz, ich bin Profi.« »Kommen Sie, Ihr Hotel wartet auf Sie«, meinte der Anwalt, »da können Sie sich richtig auspennen. Sie können von Glück sagen, daß wir Sie auf der Straße gefunden haben.« »Auf der Straße?« Der Killer runzelte die Stirn. »Sie sind doch angefahren worden«, redete Rander ihm ein, »Sie sind von ‘nem Kotflügel gestreift worden. Wissen Sie das nicht mehr?« 46
»Keine Ahnung«, gab der Killer müde zurück, »ich muß da ‘nen totalen Aussetzer haben.« »In einigen Stunden gibt sich das wieder«, tröstete der Anwalt den Mann aus dem Lattenverschlag, »wie war noch der Name? Ken Marshall, wie?« »Lefty Wilburn aus New Jersey. Hab’ ich doch eben erst gesagt, oder?« * Vor Mintells Billardsaal standen Punker herum, die miteinander alberten, Bier aus Dosen tranken und sich wohl insgeheim langweilten. Als das hochbeinige Monstrum des Butlers in Sicht kam, witterten die Leute sofort eine Abwechslung, rotteten sich zusammen und bauten eindeutig eine gewisse Aggressivität auf. Sie steigerte sich, als man Butler Parker und Mike Rander zur Kenntnis nahm, die inzwischen aus dem Wagen stiegen. »Reizende Burschen«, urteilte der Anwalt und musterte die Punker, deren Irokesenfrisuren geradezu abenteuerlich waren. Die Kämme auf den sonst kahlen Schädeln zeigten mehr als nur Farben des Regenbogens. Die Haarsträhnen, mit Zuckerwasser und Haarspray fest und hoch aufgerichtet, sahen aus wie der Kriegsschmuck exotischer Völker.
»Es dürfte sich um durchaus echte Punker handeln, Sir«, sagte der Butler, »mit gewissen Belästigungen muß gerechnet werden.« »Wir dürften eine einzige Provokation darstellen, Parker.« »In der Tat, Sir! Die bürgerliche Normalität ist diesen jungen Leuten verhaßt.« Rander und Parker hatten inzwischen den Eingang erreicht. Die Punker hatten bereits eine dichte Sperrkette gebildet und waren fest entschlossen, keinen Durchlaß zu gewähren. Parker lüftete höflich seine schwarze Melone. Mike Rander lächelte neutral und nahm innerlich bereits Maß. »Man ist mit Mr. Mintell verabredet«, sagte Parker, »würden Sie die Freundlichkeit haben und den Aufgang freigeben?« »Das kostet aber ‘ne Kleinigkeit«, forderte einer der Punker. »Wenigstens zwei Großlagen«, fügte ein zweiter hinzu. »Und ‘ne Runde für heute abend«, verlangte ein dritter, »kommt schon mit den Scheinchen rüber, Leute…« »Oder wir sorgen für Fransen in euren Klamotten«, kündigte ein vierter Punker an. Er wollte noch mehr sagen, doch in diesem kritischen Moment erschien oben an der Treppe Peter Mintell. Der breitschultrige Catchertyp schien die Ankunft von Butler Parker und Mike Rander oben von einem der 47
Fenster aus gesehen zu haben. »Haut ab, Leute«, rief Mintell nach unten, »haut ab, oder es gibt Ärger! Die beiden Leute sind meine Gäste.« Die Punker zeigten sich ungemein enttäuscht, tuschelten miteinander und wichen dann langsam und unwillig zur Seite. Parker und Rander schritten durch die Gasse, die sie bildeten, hinüber zur Treppe und wurden hier vom Betreiber des privaten Billardclubs in Empfang genommen. »Manchmal werden die lästig wie Schmeißfliegen«, sagte Mintell, »aber was soll man machen?« »Mike Rander«, stellte der Anwalt sich vor. »Peter Mintell«, antwortete der ehemalige Catcher, »von Ihnen hab’ ich schon gehört, Sir. Sie haben früher mal mit Mr. Parker zusammen gearbeitet, ja? Drüben in den Staaten?« »Wir machen hier weiter, Mintell«, entgegnete der Anwalt, »und wir überbringen Grüße von Lefty Wilburn.« »Aha. Und wer soll das sein?« »Ein Killer, der ganz wild darauf war, Mr. Parker und mich abzuschießen.« »Moment mal, Rander, wollen Sie mir da was anhängen?« fragte Peter Mintell. Man hatte inzwischen den Eingang zum großen Billardsaal erreicht. Mintell blieb stehen und sah den Anwalt abwartend an.
»Dieser Wilburn behauptet, er würde von Ihnen bezahlt«, redete der Anwalt weiter. »Dann lügt er, Rander«, gab Mintell zurück, »hören Sie, ich werde doch nicht so dämlich sein und meinen Namen nennen, falls ich mir ‘nen Killer kaufen würde, oder?« »Dieser Umstand, Mr. Mintell, spricht für Ihre Person«, schaltete Josuah Parker sich ein, »andererseits könnten Sie aber auch mit Absicht Ihren richtigen Namen genannt haben, um auf keinen Fall in Verdacht zu geraten.« »Hört sich aber verdammt kompliziert an, Mr. Parker. Mal ‘ne Frage: Warum sollte ich Sie und Mr. Rander umlegen lassen?« »Vielleicht möchten Sie von vornherein gewisse Komplikationen ausschließen, was falsche Punker betrifft«, erwiderte der Butler,»Sie wissen, daß meine Wenigkeit Sie auf keinen Fall unterschätzt.« »Schön, Sie wissen aber auch, Mr. Parker, daß mir hier jeder auf den Füßen herumtritt. Ich hab’ bereits genug mit den Punkern hier in der Kante. Und jetzt soll es sogar noch falsche Punker geben? Wie sollen die denn aussehen?« »Zum Beispiel wie die beiden Knaben, die Mr. Parker bei Ihnen zurückgelassen hat«, schaltete sich der Anwalt ein, »Sie sind eingefärbt worden, falls Sie sich noch 48
erinnern.« »Die waren mal hier«, räumte Mintell ein. Ihm schien unbehaglich geworden zu sein. Er wischte sich über die Stirn, »die waren mal hier, aber jetzt sind die weg.« »Sie setzen meine Wenigkeit in Erstaunen«, ließ der Butler sich vernehmen, »darf und muß ich Ihren Worten entnehmen, daß die beiden Punker das sogenannte Weite suchten und auch fanden?« »Wie war das gerade?« Peter Mintell zog die Stirn kraus. »Mr. Parker fragt, ob die beiden Punker abgehauen sind«, übersetzte Mike Rander salopp und lächelte. »Man drohte mit einer Brandstiftung, Mr. Mintell, wenn ich Ihre Worte richtig interpretiere?« fragte der Butler. »Und wie, Mr. Parker«, bestätigte der ehemalige Catcher und wischte sich weitere Schweißperlen von der Stirn, »‘ne Kostprobe davon können Sie sich hinten im Anbau ansehen. Da sind die ganz schön zur Sache gekommen.« »Sie haben natürlich keine Ahnung, wer Ihnen das eingebrockt haben könnte, Mintell?« erkundigte sich der Anwalt. »Nicht die Bohne«, versicherte Peter Mintell, »ich hab’ keine Ahnung, wie Sie’s bereits sagten. Ich steh’ ehrlich vor ‘nem Rätsel.« *
»Dieser Lümmel lügt doch«, stellte Lady Agatha grimmig fest, nachdem sie von Mike Rander und Butler Parker informiert worden war, »natürlich hat er die beiden eingefärbten Gangster schleunigst weggeschickt.« »Solch eine Deutung, Mylady, liegt durchaus im Bereich der Möglichkeit«, räumte Josuah Parker höflich ein. Er befand sich zusammen mit Idem Anwalt in der Kanzlei in der Curzon Street. Agatha Simpson und Kathy Porter waren von Parker eben erst abgeholt und hierher gebracht worden. Lady Agatha hatte den Wunsch, die vier falschen Punker im Souterrain zu sehen. »Falls Mintell lügt, Mylady, hat er sich das was kosten lassen«, warf Mike Rander ein, »Parker und ich haben uns zwei total ausgebrannte Zimmer im Anbau des Billard-Clubs angesehen.« »Nur ein Ablenkungsmanöver, mein lieber Mike«, antwortete die ältere Dame. »Aber eine Lady Simpson täuscht man nicht, dies müßten Sie doch inzwischen wissen.« »Was ist aus dem US-Killer geworden?« schaltete sich Kathy Porter ein. »Den haben wir in seinem Hotel abgeliefert, übrigens ein scheußlicher Bau«, gab Mike Rander zurück, »er war noch nicht ganz bei sich, als wir ihn an der Rezeption ablieferten. Ich glaube, die Leute aus dem Hotel 49
nahmen an, er hätte zuviel getrunken.« »Ein Fehler«, konstatierte die Detektivin postwendend, »solch einen wichtigen Kronzeugen hätte man nicht aus der Hand geben dürfen. Aber bitte, Mr. Parker wollte sicher wieder mal seinen Kopf durchsetzen.« »Mr. Lefty Wilburn steht unter Beobachtung«, versicherte der Butler, ohne auf die Behauptung seiner Herrin einzugehen. »Mr. Pickett war so freundlich, dies zu übernehmen.« »Das beruhigt mich allerdings etwas«, meinte die ältere Dame und nickte wohlwollend, »Sie wissen ja, wie sehr ich Mr. Pickett schätze, Mr. Parker.« »Pickett wartet auf einen Mann, der sich Mintell nennt und ein kleiner, dicker Brillenheini sein soll«, warf Mike Rander ein, »ich benutze absichtlich die Beschreibung, die dieser Killer geliefert hat.« »Sie paßt auf diesen Flegel, der die Diskothek betreibt«, erklärte Agatha Simpson nachdrücklich, »ich wundere mich, Mr. Parker, daß Sie noch nicht darauf gekommen sind, das heißt, eigentlich wundere ich mich nicht.« »Mr. Herrn Deller, Mylady, zeichnet sich durch eine gewisse Schmächtigkeit aus«, antwortete der Butler in seiner höflichen Art. »Papperlapapp, Mr. Parker«, wischte sie den Einwand hinweg,
»wenn man sich ein Kissen umbindet, wird man dick. So einfach ist das. Ich werde Ihnen sagen, wie ich den Fall sehe.« »Sie spannen mich bereits jetzt auf die Folter«, sagte der Anwalt und tauschte einen schnellen Blick mit Kathy Porter. »Herrn Deller ist der wahre Täter, der Mann, der hinter den falschen Punkern steht«, redete die Detektivin weiter, »er gibt sich als Mintell aus und fälscht dazu sein Aussehen, um mich in die Irre zu führen. Doch dies wird ihm natürlich nicht gelingen.« »Ein raffinierter Bursche«, sagte Mike Rander, »wie seh’n Sie das, Kathy?« »Ich bin sehr überrascht«, meinte sie und vermied es, sich festzulegen. Sie hütete sich, Mike Rander anzusehen. Kathy fürchtete, sonst wohl lächeln zu müssen. Sie wußte nur zu gut, wie vorschnell die Lady ihre Theorien entwickelte, wie oft sie Schuldige suchte, fand und dann wieder entlastete. »Ich werde mich jetzt um diese vier falschen Punker kümmern«, entschied Lady Agatha und brachte ihren perlenbestickten Pompadour automatisch in leichte Schwingung, »ich hoffe, daß man mich anlügen wird.« »Darf man sich erlauben, Mylady auf einen bestimmten und wichtigen Tatbestand hinzuweisen?« ließ Par50
ker sich vernehmen. »Ich ahne schon, was Sie vorschlagen wollen, Mr. Parker. Ich soll diese vier Lümmel McWarden ausliefern, nicht wahr?« »Die vier falschen Punker werden in der Tat nicht sehr ergiebig sein, Mylady.« »Wie soll ich das verstehen?« »Sie werden ihren Auftraggeber nicht kennen. Es dürfte sich um sogenannte Randfiguren handeln.« »Die sich ohne weiteres Perücken mit dieser scheußlichen Haartracht überziehen?« Skepsis war in ihre Stimme, auch eine leichte Empörung. »Das Überstreifen von Perücken ist, eine reine Geldfrage«, meinte der Anwalt, »wäre es nicht in Myladys Sinn, auch diese vier Männer einzufärben, um sie dann Mr. McWarden zu überstellen?« »Und was soll das alles?« wollte Agatha Simpson grimmig wissen. »Die vier falschen Punker könnten erkennungsdienstlich behandelt werden, Mylady. Nach ihrer Entlassung werden sie versuchen, sich mit der Person in Verbindung zu setzen, von, der sie engagiert wurden.« »Daran hatte ich allerdings auch schon gedacht, Mr. Parker.« Sie nickte wohlwollend. »Könnten sich unter den vier falschen Punkern nicht bereits Leute befinden, die Sie im Billardclub behandelt haben, Mr. Parker?«
erkundigte sich Kathy Porter. »Sehr hübsch, Kindchen«, fand, Agatha Simpson freundlich, »genau das wollte ich gerade fragen. Mr. Parker, daran haben Sie natürlich nicht gedacht, wie?« »Mylady überraschen meine Wenigkeit immer bescheidene erneut«, gestand Josuah Parker höflich. Sein Gesicht blieb glatt und ausdruckslos, »eine Prüfung soll und muß in der Tat erfolgen.« »Hört sich einfach an, Parker, aber wie wollen Sie die vier Knaben dazu überreden?« erkundigte sich der Anwalt ironisch. »Die Herren dürften keine Einwände erheben«, erwiderte Josuah Parker, »meine Wenigkeit war so frei, die Gäste in entsprechende Stimmung zu ersetzen. Sie dürfte zur Zeit noch immer heiter und gelöst sein.« * Die Stimmung war heiter und gelöst. Die vier falschen Punker brachen in Gelächter aus, nachdem die Tür zu ihrem Keller geöffnet worden war. Sie saßen auf dem Steinboden und wischen sich die Lachtränen aus den Augen. »Sehr albern«, konstatierte die ältere Dame, deren Pompadour nach wie vor schwang und nur darauf wartete, endlich eingesetzt zu werden. »Was haben Sie mit den Burschen 51
gemacht, Parker?« erkundigte sich der Anwalt und schnupperte, »hoffentlich haben Sie nicht eine Dosis Lachgas freigesetzt?« »Ein sogenannter chemischer Aufheller, Sir, befand sich in dem Getränk, das zu reichen ich mir erlaubte.« Parker deutete auf eine Thermosflasche, die an einer Kellerwand stand, »der Tee scheint den Herren ausgesprochen gut bekommen zu sein.« »Kann man wohl sagen, Parker.« Rander blieb abwartend neben Kathy Porter stehen. Agatha Simpson aber schritt sehr nahe an die vier falschen Punker heran und baute sich grimmig vor ihnen auf. »Ich hoffe, Sie lachen über mich«, fragte die Detektivin, »ich werde Ihnen dann schnell gute Manieren beibringen.« »Wurden Sie die Freundlichkeit besitzen, meine Herren, Mylady Ihre Perücken zu präsentieren?« schaltete Josuah Parker sich ein. Die vier falschen Punker brachen erst mal in grundloses, dafür aber wieherndes Gelächter aus, klopften sich auf die Schenkel und brauchten fast eine halbe Minute, bis sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatten. Dabei übersahen sie völlig die Gefahr, die von Mylady ausging. Sie hätte liebend gern ihren Handbeutel mit dem darin befindlichen ›Glücksbringer‹ eingesetzt. Dann langten sie nacheinander
nach ihren Perücken und zogen sie sich über. Es war überraschend, ja, fast bestürzend, wie blitzschnell die jungen Männer sich verwandelten. Sie sahen, plötzlich aggressiv und sehr bedrohend aus. Die bunten Haarschöpfe machten aus ihnen völlig andere Menschen. »Erstaunlich«, stellte Lady Agatha fest. Sie war unwillkürlich einen halben Schritt zurückgetreten. »Kaum zu glauben«, meinte Kathy Porter, »da hat sich irgend jemand einen raffinierten Trick einfallen lassen.« »Und diesen Knaben gilt es zu finden, Kathy«, erwiderte der Anwalt. »Ich fürchte nur, er hat sich erstklassig abgeschottet.« »Mylady würde gern erfahren, für wen Sie als Punker arbeiten?« fragte Josuah Parker die vier falschen. »Für Mintell«, kam prompt die Antwort. »Sie hatten den Vorzug, Mr. Mintell zu sehen?« Die falschen Punker lachten wieder ausgiebig. Nachdem sie sich dann beruhigt hatten, übernahm einer von ihnen die Antwort. Er stand mühevoll und langsam auf, war aber recht weich und unsicher auf den Beinen. »Klar, wir haben Mintell gesehen«, sagte er und gluckste in sich hinein, »prima Typ, großzügiger Kerl.« »Könnten Sie ihn eventuell beschreiben?« 52
»Klein und dick, trägt ‘ne tolle Brille.« »Und welchen Auftrag sollen Sie hier noch unbedingt erledigen?« stellte der Butler die nächste Frage. »Sie können ohne Scheu antworten, man huldigt in diesem Haus dem Humor, wenn man das so sagen darf.« »Wir sollen da zwei Leute hochnehmen und zu den Docks bringen«, lautete die verblüffend offene Antwort, »‘ne Frau und ‘nen Mann. Porter und Rander heißen die. Sind sie zufällig hier?« »Dazu später mehr«, schlug Josuah Parker vor, »wie kam es zu dem Kontakt mit Mr. Mintell? Wo suchte und fand er Sie?« »In unserem Pub«, lautete die Antwort, »wollen Sie die Adresse haben, Sie alter Pinguin?« »Man wäre Ihnen ungemein verbunden.« Josuah Parker reagierte nicht darauf, daß man ihn als einen Pinguin bezeichnete. Er blieb höflich und korrekt, und seine Geduld zahlte sich aus. Der Wortführer der falschen Punker nannte eine Adresse, die der Butler sofort richtig einzuordnen verstand. »Dieser Pub, Mylady, befindet sich in der Nähe des Billardsaals des Mr. Mintell«, erläuterte er. »Sehr bezeichnend«, fand sie sofort, »damit dürfte der Fall bereits so gut wie geklärt sein. Hoffentlich sind Sie meiner Meinung, Mr. Par-
ker…« »Wenn Mylady erlauben, sollte man jetzt nach fluoreszierenden Partikeln suchen«, schlug der Butler vor, ohne auf Myladys Frage einzugehen. Er griff in die Innentasche seines schwarzen Zweireihers und zog eine Art Taschenlampe hervor, die er einschaltete. Es handelte sich um eine Quarzlampe, die in der Lage war, unsichtbare Farbpartikel sichtbar werden zu lassen. »Nichts«, sagte der Butler, nachdem er die falschen Punker untersucht hatte, »damit steht fest, daß sie nicht zu jenen Punkern gehörten, die meine Wenigkeit in Mr. Mintells Billardsaal einfärben konnte.« »Das irritiert mich überhaupt nicht«, ließ die Detektivin sich vernehmen, »Mr. Parker, färben Sie die Flegel jetzt ein, damit sie erst mal gezeichnet sind.« »Lohnt sich das noch?« fragte Mike Rander. »Ich denke, die Adresse, die sie genannt haben, ist echt.« »Ein Anstrich, Sir, um es mal so zu umschreiben, dürfte die vier Männer daran hindern, sich erst mal in der Öffentlichkeit zu zeigen«, antwortete der Butler, der die Quarzlampe bereits wegsteckte und dafür eine kleine Spraydose hervorholte. »Das werde selbstverständlich ich übernehmen, Mr. Parker.« Agatha Simpson streckte ihre Hand nach der Spraydose aus, »Sie könnten zu 53
oberflächlich vorgehen.« Dann demonstrierte sie ausgiebig, was sie unter einer intensiven Einfärbung verstand… * Lady Agatha war mehr als nur überrascht. So hatte sie sich die Rock-Fabrik nicht vorgestellt, die von Rand Clappers geleitet wurde. Vor ein ehemaliges Fabrikgebäude war die prunkvolle Fassade aufgezogen worden, die von bunten Neonlichtern umspielt wurde. Hier gab es viel Glas, Plastikmöbel und Chrom. Der Schnellimbiß, der diesen Vorbau ausfüllte, erinnerte bis auf winzige Kleinigkeiten an jene Lokale, in denen dünne Fleischfladen zwischen mehr oder weniger pappigen Brötchen feilgeboten wurden. Es roch intensiv’ nach heißem Fett, nach Gurken und Chips. Lady Agatha schnupperte und nickte wohlwollend. »Recht anregend«, sagte sie, »ich denke, Mr. Parker, ich werde eine kleine Zwischenmahlzeit einnehmen.« »Hamburger und Chips, Mylady?«, fragte Rander und schluckte. »Warum nicht, mein Junge? Das alles sieht doch recht appetitlich und einladend aus.« »Nichts gegen zu sagen, reine
Geschmackssache«, meinte der Anwalt, »Kathy, möchten Sie vielleicht auch einen Happen essen?« »Später, Mike«, gab sie schnell zurück. »Das Publikum scheint recht nett zu sein«, stellte die ältere Dame fest, »und das hier soll zu einer RockFabrik gehören, Mr. Parker? Sind Sie sicher, daß ich mich nicht geirrt habe?« »Der mehrfach erwähnte Ford, Mylady, gehört laut Wagenkennzeichen eindeutig Mr. Randolph Clappers, der dieses Etablissement betreibt.« Parker schritt voraus und öffnete die Glastür. Der Geruch wurde noch intensiver. Junge Gäste, die in den Plastiknischen saßen, wandten sich erstaunt zu dem Quartett um. »Nach einer kleinen Kostprobe werde ich mir die Rock-Fabrik ansehen«, entschied Agatha Simpson munter und schob sich in eine Nische, die sich als überraschend eng erwies. Die Lady hatte einige Mühe, ihre Fülle unterzubringen. Parker wartete, bis auch Kathy Porter und Mike Rander saßen, erst nahm er Platz, »sind wir hier nicht in der Nähe von Mintell?« fragte der Anwalt. »Nur in etwa, Sir«, gab Parker Auskunft, »bis zu den West India Docks ist es allerdings nicht sonderlich weit. Man scheint Myladys Eintritt übrigens bereits zur Kenntnis 54
genommen zu haben.« »Sieht nach Clappers aus«, vermutete Mike Rander und schaute sich ungeniert den Mann an, der auf die Nische zusteuerte. Er war mittelgroß, schlank, und mochte etwa fünfundvierzig sein. Er trug eine randlose Brille, hatte ein scharf geschnittenes, ovales Gesicht und wasserblaue Augen. Rander hatte das Gefühl, daß dieser Mann überhaupt nicht in diese Umgebung paßte. »Sie sind dieser Randolph Clappers, junger Mann?« erkundigte sich Lady Agatha und faltete ihre Stielbrille auseinander. Durch die Gläser der Lorgnette maß sie den Mann, der einen himmelblauen, tadellos sitzenden Anzug trug. »Randolph Clappers«, stellte der Mann sich vor, »wir bedienen nicht an den Tischen. Die Spezialitäten werden vorn an der Theke gekauft. Darf ich Ihnen meinen vierfachen Clappers empfehlen?« »Was stelle ich mir darunter vor, junger Mann?« wollte Lady Agatha interessiert wissen. »Drei Lagen Fleisch mit Gurken, Tomaten und Käse«, erklärte Randolph Clappers, »Ketchup ganz nach Belieben. Dazu Chips und Salatblätter.« »Haben Sie auch falsche Punker?« schaltete Mike Rander sich unvermittelt ein. »Oder vielleicht und möglicher-
weise einen Angestellten, der sich darauf spezialisiert hat, sogenannte blaue Bohnen zu verabreichen?« fügte Josuah Parker hinzu. »Ich verstehe kein Wort. Falsche Punker? Blaue Bohnen? Was stell’ ich mir darunter vor?« »Denken Sie gründlich darüber nach, junger Mann«, forderte Lady Agatha grimmig, »aber bringen Sie mir erst mal einen vierfachen Clappers. Ich werde Ihnen dann später sagen, was ich davon halte.« »Falsche Punker? Blaue Bohnen?« Randolph Clappers schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn. »Nein, so etwas führe ich nicht, das steht nicht auf meiner Karte.« Er ging zurück zur langen Theke, hinter der seine Angestellten arbeiteten. Unterwegs blieb er einige Male stehen und schaute sich nach der Nische um, in der das Quartett saß. »Erstaunlich, wie sauber und heil hier alles aussieht«, ließ sich Kathy Porter vernehmen. »Eine treffliche Feststellung, Miß Porter«, erwiderte der Butler, »Mr. Randolph Clappers scheint mit den Punkern so gut wie keine Probleme zu haben.« * Josuah Parker sah sich gezwungen, seine Feststellung zu revidieren. Es dauerte nur wenige Minuten, bis eine Gruppe von Punkern den 55
Schnellimbiß betrat. Es waren rund zwölf junge Männer, die sich herausfordernd laut und großspurig benahmen. Junge Gäste, die bereits im Schnellimbiß saßen, beeilten sich, das Lokal zu verlassen. Sie wurden zwar angepöbelt, doch zu Handgreiflichkeiten kam es nicht. »Clappers scheint bereits reagiert zu haben«, sagte Mike Rander, »zufällig sind die Knaben ganz sicher nicht aufgetaucht.« »Ich werde mich auf keinen Fall provozieren lassen«, steifte Agatha Simpson klar und lächelte erwartungsfroh. »Dann werden Sie große Geduld aufbringen müssen, Mylady«, erwiderte der Anwalt, »man dürfte uns bereits aufs Korn genommen haben.« Die Punker waren auf das Quartett in der Nische längst aufmerksam geworden. Die jungen Männer, die exotisch aussahen, was ihre Kleidung und Aufmachung betraf, witzelten bereits laut und deutlich über Lady Agatha, über Parker, Kathy Porter und schließlich auch über den Anwalt. Randolph Clappers, der seitlich hinten an der Theke erschien, redete beschwichtigend auf die Burschen ein, die ihn jedoch abfahren ließen. Ein junger Mann tat sich besonders hervor. Er war groß, muskulös und schien der Anführer der Gruppe zu sein. Er nahm Clappers das kleine Serviertablett aus der
Hand und produzierte sich anschließend als eine Art Komiker. Mit übertrieben tänzelnden Bewegungen betätigte er sich als Kellner und kam in Kurven auf die Nische zu. Als der vierfache Clappers vom Tablett abzurutschen drohte, bohrte er seinen linken Zeigefinger in den Hamburger und hielt ihn auf diese ungewöhnliche Weise fest. Ein zweiter Punker folgte. Er hatte eine Colaflasche in der linken Hand, schüttelte sie ausgiebig und verschloß die Öffnung mit der flachen Rechten. Eindeutig lag die Absicht vor, die unter Druck stehende, braune Flüssigkeit einige Augenblicke später aus der Flasche zu kippen. Die zurückgebliebenen Punker an der Theke grinsten und warteten hoffnungsfroh auf die Reaktion des Quartetts. Parker hatte inzwischen längst, mitbekommen, daß die Kerle einige Schlaginstrumente ganz offen zeigten, in der Hauptsache Fahrradketten, Schlagstöcke und Kabelenden. Clappers hatte sich zurückgezogen und zeigte Angst. Ein Punker hatte sich vor ihm aufgebaut und ließ ihn nicht aus den Augen. »Hau ‘rein, Tante«, sagte der muskulöse Punker, der den vierfachen Clappers servierte, zog seinen Zeigefinger aus dem Hamburger und leckte ihn genußvoll ab. Dann langte er mit der linken Hand nach seinem Hosengürtel und hielt plötzlich eine 56
Fahrradkette in der Hand. Er baute sich breitbeinig auf und wartete ungeduldig. »Man muß wohl davon ausgehen, daß Grundregeln der Höflichkeit Ihnen fremd sind«, stellte Josuah Parker gemessen fest. Wie absichtslos hielt er eine große Plastikflasche in der rechten Hand. Diese Flasche enthielt Ketchup und konnte durch Druck auf die Seitenflächen portionsweise benutzt werden. »Beiß rein, altes Mädchen«, forderte der Punker die Lady auf, »oder haste dein Gebiß im Pfandhaus abgegeben?« »Mr. Parker, ist mit dieser Bemerkung der Tatbestand einer Beleidigung gegeben?« erkundigte sich Lady Agatha bei ihrem Butler. »In der Tat, Mylady«, antwortete der Butler. Er hatte den Spritzverschluß der Plastikflasche längst geöffnet und… drückte nun kraftvoll auf die beiden flexiblen Seitenflächen. Die Dosieröffnung hatte er auf das Gesicht des Schlägers gerichtet. Das Resultat seiner Bemühungen war frappierend. Die unter Druck stehende, tiefrote Flüssigkeit zwängte sich kraftvoll durch die Spritzdüse nach außen und beschrieb eine Art Parabel. Dennoch landete die erste Dosis zielsicher im linken Auge des Punkers, der völlig überrascht wurde. Mit solch einer Treffgenauigkeit hatte er
auf keinen Fall gerechnet. Bevor der Schläger die Fahrradkette einsetzen konnte, klatschte eine zweite, noch stärkere Dosis auf sein rechtes Auge. Die Tomaten, Zwiebeln und übrigen Gewürze, aus denen das Ketchup bestand, verzogen sich in die Schleimhäute der Augen und verursachten dort ein starkes Brennen. Der Punker ließ erst mal die Fahrradkette fallen und rieb sich mehr als verdutzt die Augen. Damit massierte er das Gewürzkonzentrat noch tiefer ein und steigerte ungewollt seine momentane Blindheit. Er konnte einfach nicht sehen, wie Agatha Simpson den vierfachen Clappers zweckentfremdete. Die stämmige Lady war aufgestanden und drückte dem Schläger die Köstlichkeit der Schnellküche kraftvoll ins Gesicht. Die drei, durchaus noch als heiß zu bezeichnenden, Fleischfladen legten sich keineswegs wohltuend auf die Gesichtshaut. Einige Brocken schoben sich in die Nasenlöcher und bremsten die Atemluft. Daraufhin öffnete der Punker seinen Mund und… wurde noch mal bedient. Lady Agatha hatte ein Gefäß mit Senf entdeckt und würzte den Burschen noch zusätzlich. Mit dem Dosierlöffel fuhr sie durch die Senfmasse und fütterte den Schläger wie ein Riesenbaby. Der Mann schluckte, um nicht zu ersticken, heulte auf, als 57
er den scharfen Senf schmeckte und wehrte sich nicht gegen die Salatblätter, mit denen er von Lady Agatha dekoriert wurde. Mike Rander und Kathy Porter, die aufgestanden waren, schauten sich vergnügt an. Sie waren bereit, sich den übrigen Punkern zu stellen, die aber noch keinen Entschluß gefaßt hatten. Die abenteuerlich aussehenden Gestalten waren erst mal fassungslos. Mit solch einer harschen Reaktion hatten sie keinesfalls gerechnet. Dann aber erkannten sie die Komik der Situation, lachten und amüsierten sich blendend. Josuah Parker hatte den Punker, der die Colaflasche unter Druck setzte, nicht aus den Augen gelassen. Dieser junge Mann hatte plötzlich keine Lust mehr, sein Getränk als eine Art Dusche zu servieren. Er drehte ab und wollte zur Theke zurück. Der Butler hinderte ihn höflich daran, setzte den Bambusgriff seines Universal-Regenschirmes ein und schob ihn um den linken Fußknöchel des Mannes, der daraufhin nicht weiterkam, stolperte und zu Boden schlug. Dabei verlor er die Colaflasche aus der Hand und setzte die Öffnung frei. Die Flasche drehte sich um ihre Längsachse und richtete sich dann auf den Gestrauchelten. Die braune Flüssigkeit spritzte unter Druck heraus und nebelte den jungen Mann ein.
Das Grölen an der Theke steigerte sich. Die Punker krümmten sich, schlugen sich auf die Schenkel und vergossen Tränen der Schadenfreude. Der Bursche, der von Lady Agatha abgeschmeckt worden war, stand wie ein begossener Pudel am Tisch und wußte nicht, was er machen sollte. Er fuchtelte mit den Händen in der Luft herum und schien ausgesprochen hilflos. Mylady sorgte dafür, daß er einen passenden Ruheplatz fand. Sie klatschte ihm den Pompadour gegen den Solarplexus, worauf der Punker wie ein Taschenmesser zusammenklappte und nach hinten flog. Dabei stolperte er dummerweise über den Schirmstock des Butlers. Der Punker legte sich daraufhin auf einen der nahen Tische und landete danach krachend auf dem Boden. »Kommen Sie, Mr. Parker«, sagte Lady Agatha und setzte ihre Fülle bereits in Richtung Theke in Bewegung, »ich möchte wissen, wer sich sonst noch an einer hilflosen Frau vergreifen mag.« »Sehr wohl, Mylady.« Parker folgte seiner Herrin gemessen und höflich. Vorn an der Theke wurde es daraufhin still. Man grölte und lachte nicht mehr. Die Punker hatten sich zusammengerottet und wirkten ratlos und unentschlossen. Sie wußten nicht, wie sie reagieren sollten. Clappers nämlich schaltete sich keineswegs ein. 58
* � »Sie entpuppen sich als wahre Unschuldslämmer«, sagte Mike Rander eine Stunde später zu ChiefSuperintendent McWarden, der sich im Haus der Lady in Shepherd’s Market eingefunden hatte. McWarden schüttelte ungläubig den Kopf. »Da haben Sie aber Glück gehabt«, meinte er dann, »gerade die Punker, die die Rock-Fabrik von Clappers’ bevölkern, sind besonders rüde. Meine Kollegen vom Streifendienst sind dort bereits fast Stammgäste. Sie müssen immer wieder eingreifen.« »Und was tut sich dort, McWarden?« erkundigte sich die ältere Dame. »Schlägereien«, lautete die lakonische Antwort, »man schenkt sich nichts. Es gibt da verschiedene Punkergruppen, die sich nicht besonders grün sind.« »Und welche Rolle spielt dieser Clappers dabei, Mr. McWarden?« fragte Kathy Porter. »Er scheint das alles zu steuern und sorgt dafür, daß keine Gruppe zu stark wird, Miß Porter. Clappers ist ein gerissener Bursche. Wir wissen, daß man in seiner Rock-Fabrik mit Drogen handelt, aber wir können ihm nichts nachweisen. Er ist schlüpfrig wie ein Aal.« »Drei große Punker-Zentren«,
faßte Mike Rander zusammen, »und im Mittelpunkt dieser Zentren stehen einmal Peter Mintell, dann Herrn Deller und schließlich Randolph Clappers. Die Frage ist jetzt, wer die falschen Punker losschickt.« »Mir kommt da eine Eingebung«, ließ Lady Agatha sich umgehend vernehmen und holte tief Luft, »was ich jetzt sage, hört sich zwar abenteuerlich an, dürfte aber des Rätsels Lösung sein.« »Sie spannen mich auf die Folter, Mylady«, behauptete McWarden. »Mintell, Deller und Clappers haben sich zusammengetan und schicken die falschen Punker auf die Straße«, redete Agatha Simpson eifrig weiter. »Sehr interessant«, fand McWarden. Mehr sagte er nicht. »Nun, Mr. Parker?« Lady Agatha wandte sich an ihren Butler, der den Tee servierte. »Mylady erlauben, daß meine Wenigkeit sich erst mal mit der Kühnheit dieser Gedankengänge näher vertraut macht«, erwiderte Parker in seiner höflichen Art. »Tun Sie das, Mr. Parker«, forderte Agatha Simpson ihn auf, »Sie werden bald herausfinden, wie logisch das alles ist.« »Davon geht meine Wenigkeit sicherheitshalber bereits jetzt aus«, versicherte der Butler. Sein Gesicht blieb glatt. »Was machen die vier Punker, die 59
wir Ihnen zugestellt haben?« Mike Rander hielt es für angebracht, schleunigst das Thema zu wechseln. »Die wurden erkennungsdienstlich behandelt, Rander«, antwortete der Chief-Superintendent und drehte sich dann zu Parker um, »sagen Sie, Mr. Parker, woher stammt denn diese scheußliche Farbe? Unsere Chemiker haben sich bemüht, das Zeug runterzubekommen, aber es klappt nur andeutungsweise.« »Eine Spezialkomposition, Sir, wenn man so sagen darf«, erklärte Josuah Parker, »darf man noch mal auf die erkennungsdienstliche Behandlung zurückkommen?« »Sie wollen wissen, wer die falschen Punker sind, und ob sie bereits ausgesagt haben?« »In der Tat, Sir! Meiner bescheidenen Schätzung nach dürfte es sich um bereits vorbestrafte, kleine Gauner handeln, die zum eigentlichen Fall kaum etwas beitragen können.« »Sie treffen damit den Nagel auf den Kopf. Wollen Sie die Namen haben, Mr. Parker? Wir kennen die vier Männer als Mini-Gauner, die allerdings nicht ganz ungefährlich sind. Sie mischen in der Unterwelt als bezahlte Schläger ganz schön mit, aber sie dürften wirklich keine Ahnung haben, wer sie tatsächlich in die Curzon Street geschickt hat.« »Sie haben aber doch sicher einen Namen genannt?« Mylady musterte den Chief-Superintendent mißtrau-
isch. »Sie haben behauptet, Peter Mintell habe sie losgeschickt«, antwortete McWarden jedoch zu ihrer Enttäuschung und nannte damit den Namen, den sie Parker gegenüber bereits geäußert hatten, »natürlich haben wir uns mit Mintell ins Benehmen gesetzt, doch er besteht auf einer Gegenüberstellung. So sicher ist er seiner Sache! Wir werden ihm kaum etwas nachweisen können!« »Ich dachte schon, Sie hätten mir wieder mal etwas unterschlagen wollen, McWarden«, sagte sie. »Ich bin loyal, wenn ich eine Zusammenarbeit anbiete, Mylady«, antwortete der Mann vom Yard spitz. »Notgedrungen, mein lieber McWarden«, stichelte sie sofort, »wie wollten Sie denn sonst einen Fall lösen und…« »Erfahre ich alles, was man hier an Informationen zusammenträgt?« fragte McWarden dazwischen. »Mr. Parker, antworten Sie darauf«, verlangte Agatha Simpson. »Mylady sind nicht weniger loyal als Sie, Sir«, erklärte der Butler. »Mylady lassen Ihnen durch meine Wenigkeit mitteilen, daß man inzwischen von einem gewissen Lefty Wilburn weiß, der die Absicht hatte, Miß Porter und Mr. Rander zu erschießen.« »Wie war das?« McWardens Gesicht wurde ernst. 60
»Sie sehen, wie fair ich bin«, erklärte die Detektivin, doch sie maß den Butler mit ausgesprochen finsterem Blick. Sie war mit Parkers Offenheit überhaupt nicht einverstanden. »Wie war das?« wiederholte McWarden, »inzwischen ist sogar ein Killer eingeschaltet worden? Seit wann wissen Sie das, Mr. Parker?« »Seit einigen Stunden, Sir. Mylady beauftragte meine Wenigkeit, Ihnen dies umgehend mitzuteilen, doch die, Ereignisse ließen es nicht zu, Sir. Meine Wenigkeit bittet um Vergebung.« »Ich werde Ihnen die nötigen Stichworte liefern, McWarden«, schaltete Mike Rander sich ein, »und im vorhinein eine kleine Sorge: dieser Wilburn schwimmt an einer langen Leine. Sie können ihn jederzeit an Land holen.« »Ich kenne Pickett«, meinte der Chief-Superintendent, als Mike Rander geredet hatte, »aber der Killer hat vielleicht Tricks auf Lager, die Pickett nicht kennt. Dieser Lefty Wilburn darf uns auf keinen Fall entwischen.« »Wollen Sie ihn festnehmen lassen, McWarden?« fragte der Anwalt. »Natürlich«, antwortete der ChiefSuperintendent nachdrücklich, »Sie als Anwalt wissen doch, daß ich dazu sogar verpflichtet bin. Und wie will dieser Amerikaner den richtigen Mann finden, von dem er engagiert
wurde? Er selbst glaubt doch ebenfalls, daß sein Mintell nur vorgeschickt wurde, um ihn zu täuschen.« McWarden war aufgestanden und bat Mylady um die Erlaubnis, das Telefon benutzen zu dürfen. »Was das alles wieder kostet«, seufzte die ältere Dame, »aber gut, man soll mir nicht nachsagen, ich würde die Zusammenarbeit hintertreiben. Rufen Sie an, McWarden, aber fassen Sie sich kurz!« Während der Chief-Superintendent in die Wohnhalle ging, wo der Apparat stand, schüttelte die Lady mehr als nur vorwurfsvoll den Kopf in Richtung Butler Parker. »Mußte das sein, Mr. Parker?« erkundigte sie sich dann. »Es schadet auf keinen Fall, Mylady«, erwiderte der Butler höflich, »kurz vor Mr. McWardens Eintreffen rief Mr. Horace Pickett an, der sich Mylady empfehlen läßt.« »Schon gut, Mr. Parker. Und was hat er gewollt?« »Er läßt Mylady mitteilen, daß der eben erst erwähnte Killer das Hotel Canning Tower verlassen hat, um eine Stadtrundfahrt zu unternehmen. Er dürfte dabei mit letzter Sicherheit von Mr. Pickett beschattet werden…« * »Schlechte Nachrichten«, sagte
McWarden, als er in den Salon des
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Hauses zurückkehrte, »ich muß sofort weg, Mylady.« »Wollen Sie mir etwas verschweigen?« grollte sie. »Ist das die Zusammenarbeit und die Ehrlichkeit, die Sie mir angeboten haben?« »Die Punker haben wieder zugeschlagen«, erwiderte McWarden gereizt, »morgen werden alle Zeitungen davon berichten und uns wieder mit Vorwürfen überhäufen.« »Darf man erfahren, Sir, um welchen Tatbestand es sich handelt?« fragte Josuah Parker höflich. »Sechs Punker, die verdammt echt ausgesehen haben sollen, raubten schlicht und einfach zwei Bankfilialen im Osten der Stadt aus. Gesamtbeute, nach vorsichtigen ersten Schätzungen, etwa hunderttausend Pfund.« »Das ist kein Pappenstiel«, meinte der Anwalt. »Hat es Verletzte gegeben?« »Zwei Bankkunden wurden zusammengeschlagen und mußten sofort in ein Hospital gebracht werden. Es gab eine kurze Verfolgung durch zwei Privatwagen. Die flüchtenden Punker haben geschossen. Daraufhin brachen die beiden Fahrer sofort die Verfolgung ab.« »Im Osten der Stadt, Mr. McWarden?« fragte Kathy Porter. »In der Nähe der West India Docks, Miß Porter.« McWarden nickte. »Ich weiß, worauf Sie hinaus wollen. Sie denken an diesen Min-
tell, oder?« »Dieser Gedanke drängt sich allerdings auf, Mr. McWarden.« »Mir ebenfalls, Miß Porter. Ich werde diesen Billardladen sofort ausnehmen lassen. Sie entschuldigen, es gibt eine Menge zu tun.« McWarden griff nach seinem Mantel und ließ sich von Josuah Parker zur Haustür bringen. Bevor der Butler öffnete, blieb McWarden kurz stehen. »Unter uns, Parker«, schickte McWarden voraus, »wo könnte man den Hebel ansetzen? Mintell, Deller oder Clappers? Für wen haben Sie sich entschieden?« »Für keinen der drei Herren«, gab der Butler zurück. »Wie war das, Mr. Parker?« »Für keinen der drei Männer«, wiederholte der Butler in leichter Abänderung des ersten Satzes, »bei dem Drahtzieher der falschen Punker muß es sich jedoch um eine Person handeln, die sich in der PunkerSzene gut auskennt.« »Aha! Und wer könnte das sein, Mr. Parker?« »Vielleicht ein echter Punker, Sir, der eine kriminelle Karriere plant.« »Sehr gut, sehr schön, Mr. Parker.« McWarden nickte. »Ein völlig neuer Gesichtspunkt, denke ich. Sie nehmen mich doch nicht auf den Arm, oder?« »Sir, dies würde meine Wenigkeit sich nie erlauben«, gab Josuah Par62
ker gemessen und würdevoll zurück. »Und warum streichen Sie diese drei Männer von Ihrer Liste, Mr. Parker?« »Die Herren Mintell, Deller und auch Clappers dürften Realisten sein, Sir«, schickte Josuah Parker voraus, »sie müßten davon ausgehen, daß man sie Tag und Nacht beschattet, was Sie als Leiter Ihres Dezernats sicher bereits planen.« »Es bleibt mir gar nichts anderes übrig, Mr. Parker. Ich werde die Kerle rund um die Uhr beschatten lassen.« »Da die Herren Mintell, Deller und auch Clappers dies wissen, würden sie sich niemals auf ein Risiko einlassen, zumal sie augenblicklich durch die echten Punker wesentlich sicherer ihr Geld machen.« »Sie denken also an einen Punker, der kriminelle Karriere machen will… Nicht schlecht, gar nicht so abwegig. Aber wen haben Sie da im Visier?« »Wenn Sie gestatten, Sir, wird meine Wenigkeit vorerst noch keinen Namen nennen«, entgegnete der Butler, »aber Sie dürfen versichert sein, daß man Sie rechtzeitig informieren wird.« »Haben Sie mit Lady Simpson bereits über Ihren Verdacht gesprochen?« »Noch nicht, Sir, aber dies dürfte nur eine Frage der Zeit sein.«
»Warum, zum Teufel, geben Sie mir nicht einen Tip?« ärgerte sich McWarden. »Um das Wild nicht zu verprellen, wie man wohl im Volksmund sich auszudrücken pflegt«, sagte Josuah Parker, »oder anders ausgedrückt, Unschuldslämmer soll man nicht unnötig in Panik versetzen.« * Horace Pickett, ein etwa sechzigjähriger Gentleman, der an einen pensionierten Offizier erinnerte, hatte früher mal als Taschendieb sein Leben gefristet, dabei aber bestimmte Spielregeln eingehalten, die er sich selbst auferlegt hatte. Pickett hatte sich nie mit Menschen befaßt, die über ein normales Einkommen verfügten. Das Ziel seiner früheren Bemühungen hatte Leuten gegolten, die weit über dem Durchschnitt verdienten und einen Bargeldverlust durchaus verschmerzen konnten. Pickett hatte sich stets als eine Art »Eigentumsübereigner« bezeichnet und war ein Meister seines Faches gewesen. Nachdem er vor Jahren mal in fast tödliche Schwierigkeiten geraten war, aber Butler Parker ihm das Leben gerettet hatte, war Pickett auf die Pfade der Tugend umgeschwenkt und hatte sich zusätzlich ins Privatleben zurückgezogen. Es war ihm eine Ehre, für Josuah Parker 63
und Lady Agatha arbeiten zu können. Dieser Mann mit Vergangenheit, groß, fast schlank und mit einem Schnurrbart versehen, erwartete den Butler in einem Pub. Als Parker das Lokal betrat, kaufte Pickett sofort ein Bier für den Butler und trug es an den Tisch, an dem Parker Platz genommen hatte. »Ich wünsche Ihnen einen ausgeglichenen Nachmittag«, sagte Parker, »bei Gelegenheit möchte man sich für Ihren informativen Anruf bedanken, Mr. Pickett.« »Dieser Wilburn ist ein Profi«, antwortete Pickett, »um ein Haar hätte er mich abgehängt.« »Sie gehen davon aus, Mr. Pickett, daß er Sie nicht bemerkt hat?« »Das hat er nicht mitbekommen, Mr. Parker. Ich war auch sehr vorsichtig. Seine Ablenkungsmanöver waren reine Routine, er wollte seine Spuren verwischen.« »Er befindet sich in der Nähe, Mr. Pickett?« »Er sitzt dort drüben in einer Teestube und beobachtet den Billardclub.« »Durchaus verständlich, Mr. Pickett, denn er ist von einem gewissen Mintell engagiert worden, wie er mir versicherte.« »Kann ich mir kaum vorstellen, Mr. Parker. Ich kenne doch Mintell, wenn auch nur aus der Entfernung. Der würde sich doch nie eine solche
Blöße geben und mit seinem richtigen Namen auf der Bildfläche erscheinen.« »Eine Betrachtungsweise, Mr. Pickett, die man nur als klug bezeichnen kann«, antwortete der Butler, »zu solch einer Dummheit; wäre Mr. Peter Mintell wohl kaum fähig.« »Da hat einer Mintells Namen benutzt.« »So dürfte es gewesen sein, Mr. Pickett. Seit wann befindet der Profi aus den Staaten sich in der erwähnten Teestube?« »Seit gut einer halben Stunde. Nach hinten kann er nicht weg, das habe ich kontrolliert. Wenn er die Teestube verlassen will, dann nur nach vorn zur Straße hin. Sicherheitshalber habe ich aber auch noch einen Bekannten in die Teestube gesetzt.« »Ihre Beziehungen sind immer wieder verblüffend, Mr. Pickett. Bei dieser Gelegenheit sollte man Ihnen einen Dank abstatten. Mr. Wilburn wäre wohl durchaus zu gezielten Schüssen gekommen, wenn Sie und Ihre Bekannten sich nicht eingeschaltet hätten.« »Das war doch selbstverständlich.« Horace Pickett zeigte echte Verlegenheit. »Ich habe mich informiert, was so in der Punker-Szene geredet wird. Es herrscht dort große Unruhe. Man scheint begriffen zu haben, wie schädlich diese Punker-Raubzüge 64
sind.« »Sie wissen natürlich längst davon, nicht wahr?« »Sowas spricht sich schnell herum. Die Punker müssen fast zweihunderttausend Pfund kassiert haben. Und jetzt rätselt man herum, wer dieses Geld eingestrichen haben könnte.« »Gehen Sie davon aus, Mr. Pickett, daß es wirklich Punker gewesen sind, die diese Raubzüge durchgeführt haben?« Josuah Parker sah sein Gegenüber aufmerksam an. Er hielt viel von Picketts Urteil. »Ich kann mir nicht helfen, Mr. Parker, aber das alles sieht nicht nach wirklichen Punkern aus«, schickte Pickett voraus und schüttelte noch zusätzlich den Kopf, »ich kenne die jungen Leute doch ziemlich gut. Klar, sie sind ruppig und oft auch aggressiv, wenn sie in Gruppen auftreten, aber was sie da getan haben sollen, ist für sie einfach eine Nummer zu groß. Sie sind keine Gangster, ganz sicher nicht.« »Ihre Ansicht deckt sich mit der meinen, Mr. Pickett«, versicherte der Butler, »meine Wenigkeit deutete Ihnen bereits an, daß man es hier mit falschen Punkern zu tun hat.« »Das ging mir auch sofort ein, Mr. Parker«, gab Pickett zurück, »und die Sache mit den Perücken ist natürlich raffiniert. Damit lenkt man von sich auf die echten Punker ab und beschäftigt die Polizei.«
»Das ist die Absicht.« Parker nickte andeutungsweise. »Man sollte ferner davon ausgehen, daß der Drahtzieher der falschen Punker sich in der Szene gut auskennt.« »Liegt auf der Hand, Mr. Parker.« Pickett lächelte. »Wie hätte er sonst Mintell ins Gespräch bringen können? Der Mann muß sich sogar bestens auskennen.« »Ihre Bemerkung dürfte einen sehr gezielten Grund haben, Mr. Pickett.« »Er nennt sich Mintell und kauft einen Killer aus den Staaten«, schickte der ehemalige Eigentumsübereigner voraus, »wenn Wilburn sich mit diesem Mintell befaßt, wird er was erleben. Sie kennen Mintell ja! Wilburn wird schnell merken, daß die Gangster hier in London auch nicht gerade zimperlich sind.« »Man dürfte bald mehr wissen, Mr. Pickett. Der Profi verläßt gerade die Teestube und will sich augenscheinlich in den Billard-Club begeben. Mit Überraschungen ist zu rechnen…« * »Sie wollen rauf in den Billardsaal?« fragte Horace Pickett erstaunt, als sie gemeinsam die Straße überquerten. »Vielleicht wird man gebraucht«, entgegnete Parker, »die Herren Mintell und Wilburn dürften sich nicht sonderlich verstehen.« »Bestimmt nicht, Mr. Parker. Und 65
wenn wir nicht aufpassen, geraten wir in einen ganz schönen Wirbel.« »Der bereits begonnen haben dürfte.« Parker deutete auf eine Punker-Gruppe, die unten am Eingang stand. Die jungen Leute setzten sich plötzlich in Bewegung und stürmten die Treppe hinauf. Es war deutlich zu sehen, daß sie es eilig hatten. »Man scheint sich bereits angeregt zu unterhalten«, deutete der Butler den Lärm, der oben aus dem BillardClub zu hören war. Holz splitterte, Glas klirrte, schwere Gegenstände schienen munter bewegt zu werden. Dazwischen klangen spitze Schreie, war Grölen zu vernehmen, schienen sogar schallgedämpfte Schüsse abgefeuert zu werden. »Vorsicht, Mr. Pickett«, warnte der Butler, als eine Gestalt im Freiflug oben an der Treppe erschien. Diese Gestalt hatte die Arme weit ausgebreitet und wollte sie offensichtlich als Tragflächen benutzen, was sich natürlich als nicht sinnvoll erwies. Die Gestalt überschlug sich in der Luft, zeigte einen völlig mißglückten Salto und landete krachend am Fuße der Treppe. »Der nächste«, rief Pickett und trat schleunigst zur Seite. Ein zweiter Flieger bewegte sich bereits durch die Luft und schwebte im Gleitflug nach unten. Diese Gestalt kam dicht an Josuah Parker vorüber, der höflich seine schwarze Kopfbedeckung lüftete und grüßte.
Dann hatten Parker und Pickett endlich den Eingang zum Billardsaal erreicht und blieben hier erst mal stehen, um die allgemeine Lage zu sondieren. Viel war zunächst nicht auszumachen. Ein Knäuel von Menschenleibern wogte durch den Saal. Jeder schien jeden attackieren zu wollen. Doch dann ließen sich Einzelheiten erkennen. Das Zentrum des Kampfgetümmels war das Ende des langen Tresens. Dort schien man sich besonders verbissen zu betätigen. »Wilburn dürfte verdammt wenig Chancen haben«, sagte Horace Pickett, »er allein gegen alle. Das hält er nicht durch.« »Eine treffliche Feststellung«, bestätigte Josuah Parker. Er hielt seinen Universal-Regenschirm wie einen Golfschläger in beiden schwarz behandschuhten Händen und trat ein wenig zur Seite, um besser und gezielter zulangen zu können. Zwei Punker, die Büroklammern und Sicherheitsnadeln in ihren Ohrläppchen trugen, hatten sich auf die Besucher stürzen wollen. Parker stoppte auf seine Weise den Tatendrang der jungen, Männer… Mit dem bleigefüllten Bambusgriff seines Schirmes brachte er die Angreifer nicht nur aus dem Kurs, sondern auch nachdrücklich von den Beinen. Getroffen vom schweren Griff, gingen die Punker zu Boden und krochen dann eilig zur 66
Treppe hinüber. Als sie sich hier erneut aufbauen wollten, trat Horace Pickett in Aktion. Mit zwei gezielten Fußtritten beförderte er die Punker über die Stufen nach unten. »Man wird wieder richtig jung«, sagte er danach zu Parker. »Ihnen dürfte bekannt sein, Mr. Pickett, daß meine Wenigkeit Gewaltakte dieser Art scharf mißbilligt«, stellte Josuah Parker fest. Dann langte er mit seinem improvisierten Golfschläger erneut zu und brachte einen Punker zu Boden, der mit einem Stuhlbein auf ihn eindringen wollte. Danach wechselte Parker zur nahen Wand hinüber und winkte Pickett zu sich heran. Der ehemalige Eigentumsumverteiler beeilte sich, an Parkers Seite zu kommen. »Warum dreschen die Dummköpfe nur aufeinander ein?« wunderte sich Pickett dann. »Es dürfte sich um eine Art Massenpsychose handeln, Mr. Pickett«, argumentierte der Butler, »ähnliche Dinge sind in Festzelten zu beobachten, in denen man plötzlich ohne Grund aufeinander losgeht und sich mit Fäusten, Bierkrügen und Stuhlbeinen traktiert. Der Firnis der Zivilisation ist äußerst dünn und verdeckt kaum den Höhlenmenschen in uns, wenn man so sagen darf.« »Ich glaube, Wilburn dürfte das nicht überleben«, unkte Horace Picktett, »das ist ja eine richtige Saalschlacht.«
* � »Und wie endete sie?« fragte Mike Rander lächelnd, als er Parkers Bericht kannte. Der Butler war in das Fachwerkhaus der Lady Simpson zurückgekehrt und sah korrekt aus wie stets. »Mr. Wilburn ist ein sogenannter Profi, Sir«, schickte der Butler voraus, »selbstverständlich verstand er es, sich rechtzeitig zurückzuziehen, was allerdings nicht ohne Blessuren vor sich ging.« »Und wo steckt er jetzt?« »Im Fond meines Wagens, Sir. Er gibt sich dort der Ruhe hin. Meine Wenigkeit konnte Mr. Lefty Wilburn in Empfang nehmen, als er das Weite suchen wollte.« »Was ist aus Pickett geworden?« stellte Mike Rander die nächste Frage. »Mr. Pickett kümmert sich weiter um das Etablissement des Mr. Peter Mintell«, erwiderte Josuah Parker, »hinzufügen müßte man, daß er sich zwecks Behandlung einer wohl kleineren Schußwunde zu einem Arzt begab, der nicht mehr zu seiner Standesorganisation gehört.« »Mintell ist erwischt worden?« »Augenscheinlich ein Streifschuß an der linken Brustseite, Sir. Er war durchaus in der Lage, ohne fremde Hilfe in seinen Wagen zu steigen.« »Sie kennen den ehemaligen Arzt, 67
Mr. Parker?« »In der Tat, Sir! Mr. Pickett versucht herauszufinden, was Mr. Mintell nach seiner Behandlung zu tun gedenkt. Möglicherweise sucht er Kontakt zu Mr. Herrn Deller oder Mr. Randolph Clappers.« »Das könnte sein.« Mike Rander nickte. »Und wie sieht dieser Killer aus?« »Die ihm beigebrachten Schwellungen dürften sich erst nach gut einer Woche wieder zurückbilden, Sir.« »Mitleid kommt bei mir nicht gerade auf, Parker«, stellte Mike Rander fest, »immerhin wollte der Kerl auf uns schießen. Und was machen wir jetzt mit ihm? McWarden würde sich freuen, ihn kassieren zu dürfen.« »Man sollte Mr. Wilburn auf keinen Fall unterschlagen, Sir«, sagte Josuah Parker, »aber vorher könnte man ihn vielleicht Mr. Herrn Deller präsentieren, der von kleiner Statur ist und eine Brille trägt.« »Ach so, Sie denken an die Beschreibung, die Wilburn von dem Mann gegeben hat, den er für Mintell hält, nicht wahr?« »Gewiß, Sir, Mr. Wilburn sprach allerdings von einem kleinen dicken bis dicklichen Mann.« »Und wann soll diese Gegenüberstellung stattfinden?« »Darf man fragen, Sir, wo Mylady sich befindet?«
»Sie meditiert, Parker.« Der Anwalt schmunzelte. »Das heißt, daß sie entweder schläft oder sich einen Videofilm ansieht. Wir sollten sie nicht unnötig stören.« »Miß Porter befindet sich im Haus, Sir?« »In der Bibliothek, Parker. Ich werde ihr sagen, daß wir zu Herrn Deller fahren werden.« Parker war mit dieser Lösung einverstanden, verließ das Haus und begab sich zurück zu seinem parkenden Monstrum. Im Fond des Wagens saß der Killer aus den Staaten. Er machte einen entspanntglücklichen Eindruck und hob lässig die Hand, als er Parker sah. Der Butler setzte sich ans Steuer und schaltete die Wechselsprechanlage ein. Aus verständlichen Gründen hatte er die schußsichere Trennscheibe hinter sich geschlossen. Nachdem er Wilburn sich in den Wagen »eingeladen« hatte, war dieser Mann von ihm mit einer kleinen Dosis Lachgas behandelt worden. »Darf man sich nach Ihrem Befinden erkundigen?« fragte Parker und wandte sich zu dem Profi aus den Staaten um. Wilburns Gesicht war deutlich geschwollen. Unter beiden Augen bildeten sich tiefblaue Hautpartien. Die Nase war nach der Schlägerei im Billardsaal aus dem Kurs gekommen und hatte sich, was den unteren Teil betraf, nach rechts verschoben. 68
»Mir geht’s prima, alter Junge«, sagte Wilburn mehr als undeutlich. Bei dieser Gelegenheit zeigte sich, daß er zwei Schneidezähne vermissen würde, so bald er in der Lage war, sich objektiv in einem Spiegel zu prüfen. »Wie bereits angekündigt, Mr. Wilburn, wird man Ihnen jetzt eine weitere Person zeigen, die sich Ihnen vielleicht als Mr. Mintell vorgestellt hat.« »Wann geht’s denn los Mann?« wollte Wilburn wissen, »ich bin sagenhaft gut in Form.« »Das sieht man Ihnen in der Tat mehr als deutlich an«, meinte Josuah Parker in seiner höflichen Art, »würden Sie die Freundlichkeit haben, Ihren Mr. Mintell noch mal zu beschreiben? Es sollen schließlich keine Mißverständnisse aufkommen.« »Mintell ist ‘n Brillenheini, klein und dick«, wiederholte der Killer die Beschreibung, »den erkenn’ ich sofort wieder, so was vergißt man nicht.« »Sie wollten meiner Wenigkeit noch erklären, auf welche Art Sie engagiert wurden.« »Wie wohl, alter Knabe!« Der Killer lachte fast amüsiert. »In meiner Stammkneipe ist angerufen worden. Und der Barkeeper hat mir dann die Telefonnummer hier in London gegeben. Ich hab’ zurückgerufen, klar? Und schon war die Sache
gelaufen. Ich hab’ sofort gebucht, als die Mäuse eintrudelten.« »Sie erhalten fünf Riesen, wie Sie sich auszudrücken beliebten, Mr. Wilburn. Eine beachtlich niedrige Gage, wenn man dies sagen darf.« »Niedrige Gage?« Wilburn runzelte die Stirn. »Es handelte sich nicht gerade um eine fürstliche Bezahlung«, übersetzte Josuah Parker, »aber Sie sind sicher davon ausgegangen, diesen Mr. Mintell hier in London zu einer wesentlich höheren Zahlung zu veranlassen, nicht wahr?« »Darauf können Sie Gift nehmen, alter Pinguin«, meinte Wilburn und lachte, wobei das Fehlen der beiden Schneidezähne besonders deutlich wurde. Die aufgeplatzten und nur oberflächlich verharschten Lippen schien er nicht zu spüren, obwohl sie mit Sicherheit schmerzen mußten. »Sobald ich den Mintell aufgespürt habe, wird er zur Kasse gebeten. Und dann muß er spucken… Is’ doch sonnenklar.« »Sie deuteten an, Ihr Mr. Mintell sei nicht der eigentliche Drahtzieher.« »Dieser kleine Dicke hat niemals die Rennbahn und den Supermarkt ausnehmen lassen«, vermutete der Killer prompt, »der wird doch von jedem Anfänger aufs Kreuz gelegt.« »Sie haben sich an den beiden Überfällen betätigt?« »Nicht direkt, Mann, ich hab’ nur 69
den Rückzug gedeckt. Und ich hab’ mir die komischen Typen angesehen, diese Punker, die da zugeschlagen haben. Alles Amateure, Mann, alles Amateure! Dafür hab’ ich nun mal ‘nen Blick. Un’ richtige Punker sin’ das auch nicht gewesen. Mich kann man doch nicht leimen, mich doch nicht! Die waren nur auf Punker gemacht, versteh’n Sie das, Mann!?« »Eine Feststellung, die man nur als bemerkenswert bezeichnen kann«, erwiderte Josuah Parker, »könnten Sie eventuell Beweise für Ihre Vermutung anführen?« »Beweise für meine Vermutung?« Wilburn räkelte sich auf den Polstern zurecht und grinste. »Erst kurz vor dem Einsatz sind das doch erst Punker geworden. Haben Sie nich’ gedacht, wie?« »Sie überfordern mein Vorstellungsvermögen«, behauptete Josuah Parker. »Mann, kapieren Sie denn nicht?« Wilburn lächelte wissend und wollte eines seiner inzwischen angeschwollenen Augen zukneifen, was allerdings nur sehr unvollkommen gelang. »Die haben sich so was wie Perücken übergezogen«, redete der Profi weiter und kam sich ungemein wichtig vor, »Perücken, klar? Erst kurz vor dem Ding, das sie gedreht haben, sind das Punker geworden. Vorher sahen sie ganz normal aus.«
»Vielen Dank für die freundlichen Hinweise«, sagte Parker,»sehen wir uns nun einen Mann an, der vielleicht ihr Mr. Mintell ist. Sie werden dabei das Vergnügen haben, echte Punker kennen zu lernen. Vielleicht macht es Ihnen Spaß?« * »Das is’ er«, sagte Lefty Wilburn eine halbe Stunde später heiter und blickte auf Herrn Deller hinunter, der ratlos und unwissend vor ihm stand. Herrn Deller, der Betreiber der Diskothek, rückte an seiner Brille und schüttelte den Kopf. »Was soll das?« fragte er dann, »ich kenne diesen Mann nicht. Sagen Sie, ist er gegen einen Schrank gelaufen?« »So in etwa«, antwortete Mike Rander lächelnd, »er ist auf der Suche nach einem gewissen Mr. Mintell.« »Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?« wunderte sich Herrn Deller, »wo Peter Mintell wohnt, kann ich Ihnen sagen.« »Dort war man bereits«, schaltete der Butler sich ein, »Mr. Peter Mintell von den West India Docks entspricht nicht dem Mr. Mintell, den Mr. Wilburn sucht.« »Das is’ er«, wiederholte der Profi aus den Staaten, »aber er müßte dicker sein, fetter…« »Sehen Sie genau hin, 70
Wilburn«,forderte der Anwalt den Killer auf. »Das is’ er, oder doch nicht?« Wilburn runzelte die Stirn, wobei einige kleine Schürfwunden aufplatzten, die er sich ebenfalls im Billardsaal eingehandelt hatte. »Ich kenne diesen Mann nicht!« Herrn Deller, schmächtig, Brillenträger, zeigte kaum Empörung. »Wer soll denn der Mann sein?« »Ein Killer, der in den Staaten von einem Mintell hier aus London engagiert worden ist.« »Ich heiße Herrn Deller«, erinnerte der Diskobesitzer, »hören Sie, Mr. Parker, will man mir hier etwas anhängen?« »Keineswegs und mitnichten«, antwortete Josuah Parker höflich, »man kann doch wohl davon ausgehen, daß nicht Sie es waren und sind, der falsche Punker dazu veranlaßt, Banken, Rennbahnen und Supermärkte auszurauben.« »Bin ich wahnsinnig?« Herrn Deller wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Ich bin doch kein Krimineller, ich laß mich doch nicht auf solche Sachen ein. Ich bin ja froh, daß ich hier in meiner Disko gerade über die Runden komme.« »Finanziell, Deller?« fragte der Anwalt dazwischen. »Nee, das nicht, das klappt schon ganz gut, nein, ich meine diese Punker. Die nerven mich ganz schön. So einfach sind die Leute nicht zu
behandeln.« »Sie haben doch immerhin einen Mr. Dan Wolton«, gab Josuah Parker zurück. »Der ist besonders schwierig, Mr. Parker. Sie kennen ihn ja inzwischen, Sie haben doch erlebt, wie er ist.« »Wo befindet Mr. Wolton sich zur Zeit, wenn man fragen darf?« »Keine Ahnung, Mr. Parker. Bei den Punkern weiß man doch nie, was sie so gerade anstellen, aber eines weiß ich ganz genau: Kriminelle Sachen machen die nicht!« »Das is’ er«, ließ der Killer sich erneut vernehmen, allerdings ohne jeden Nachdruck, »er müßte nur dicker sein, fetter…« »Schon gut, Wilburn.« Mike Rander zog den Profi aus dem Sessel, in den er ihn gedrückt hatte und schob ihn in Richtung Tür. »Sehen wir uns mal ein paar von diesen Unschuldslämmern hier an, vielleicht kommt Ihnen ein Gesicht bekannt vor.« Rander öffnete die Tür und… prallte zurück. Dann drehte er sich zu Butler Parker und Herrn Deller um. »Draußen sieht’s nach Ärger aus«, sagte er, »da stehen einige Punker herum, die nicht gerade desinteressiert aussehen.« »Sie gestatten, Sir?« Parker ging zur Tür und öffnete sie. Er musterte die jungen Punker, die aus der 71
eigentlichen Diskothek kamen und auf ihn zuhielten. Parker fiel auf, daß sie fast so etwas wie eine Kriegsbemalung angelegt hatten. Rote, weiße, blaue und grüne Schminkstreifen verunstalteten die Gesichter, machten sie fast unkenntlich. Die sechs Männer trugen Jeans, die mehr alt und zerschlissen waren. Neu waren allerdings die Schlaginstrumente, die sie zeigten. Die obligaten Fahrradkelten waren vorhanden, Holzlatten und dicke Kabelenden. Ähnliche Bewaffnung kannte Parker bereits. Dan Wolton, jener breitschultrige Punker, der von Lady Simpson unter den Tisch getrunken worden war, schien sich nicht eingefunden zu haben. »Die Herren wünschen?« fragte Josuah Parker und lüftete grüßend die schwarze Melone. »Zeigen wir dir gleich, du Fossil«, wurde einer der sechs jungen Männer frech. Er schwang dazu eine Fahrradkette. »Geht man recht in der Annahme, meine Herren, daß Sie einen Zwischenfall planen?« »Wir schicken dir auch ‘nen Blumenstrauß ins Hospital«, sagte ein anderer Punker und hob seine Holzlatte. Parker entdeckte erst jetzt, daß man einige lange und dicke Nägel durch das obere Ende der Latte geschlagen hatte. »Um Gottes willen, schließen Sie
die Tür«, hörte Parker hinter sich Herrn Deller sagen, beschwörend und ängstlich, »schließen Sie ab, ich werde die Polizei alarmieren.« »Man sollte die Behörden nicht unnötig belästigen«, antwortete Josuah Parker, der längst in eine seiner vielen Westentaschen gegriffen hatte. Er zog eine perforierte Plastikkapsel hervor, in der sich eine Glasampulle befand. »Darf ich Ihre geschätzte Aufmerksamkeit auf diese Kapsel lenken?« Parker zeigte sie zwischen zwei Fingern und hielt sie hoch. Die Punker blieben erstaunt stehen. »Nach dem Zerbrechen der Glasampulle«, redete Parker höflich weiter, »wird sich eine Art Nebelwand ausbreiten, die einen chemischen Wirkstoff enthält, der nur als äußerst unangenehm bezeichnet werden kann.« Nachdem Parker ausgeredet hatte, warf er die Plastikkapsel zu Boden und schloß die Tür. Er wußte genau, was sich jetzt dort draußen abspielte. * »Und was war?« fragte Chief-Superintendent McWarden neugierig. Butler Parker hatte ihn angerufen und gebeten, nach Shepherd’s Market zu kommen. McWarden war der Einladung umgehend gefolgt und rechnete mit neuen Informationen. 72
»Sie weinten Rotz und Wasser, wie’s so schön heißt«, antwortete Mike Rander für den Butler, »sie saßen auf dem Boden herum und strengten sich an, aus dem Raum einen Swimming-pool zu machen.« »Als die Polizei eintraf, war alles gelaufen«, meinte McWarden, »die Punker hatten sich bereits abgesetzt. Sie haben nicht zufällig einen dieser heulenden Punker hierher zu sich eingeladen, Mr. Parker?« »Hat Deller Strafanzeige erstattet?« fragte Mike Rander. »Nein, nein natürlich nicht. Ich habe gerade nur als Privatmann gefragt.« »Zwei Punker folgten in der Tat meiner Einladung«, räumte Josuah Parker daraufhin ein, »sie lassen sich, um es mal so auszudrücken, von Lady Simpson verwöhnen.« »Dann viel Spaß«, entgegnete McWarden belustigt, »diese beiden Punker werden wahrscheinlich für den Rest ihres Lebens daran denken. Haben Sie sonst noch etwas für mich?« »Einen gewissen Lefty Wilburn«, redete Josuah Parker weiter, »er wurde von einem Mr. Mintell hierher nach London eingeladen und dürfte in den Staaten als Killer bekannt sein.« »Sie können diesen Burschen sofort mitnehmen«, schaltete der Anwalt sich ein, »Miß Porter und ich erstatten Anzeige wegen versuchten
Mordes. Damit dürften Sie diesen Kerl erst mal festsetzen können, oder?« »Das reicht völlig aus.« McWarden nickte zufrieden. »Ich werde erst gar nicht fragen, wie Sie an ihn gekommen sind, Rander.« »Dafür ist Parker zuständig«, meinte der Anwalt, »aber was Sie nicht wissen, McWarden, kann Sie auch nicht bedrücken, wie?« »Richtig, Rander.« Der ChiefSuperintent nickte. »Ich nehme, was ich bekommen kann. Wie denken Sie übrigens jetzt über diesen Deller? Sagte ich Ihnen nicht, daß er ein raffinierter Bursche ist?« »Er hatte Angst, als die Punker auftauchten«, entgegnete Mike Rander, »und diese Angst war nicht gespielt, nicht wahr, Mr. Parker?« »Dies entspricht der Beobachtung«, bestätigte der Butler, »Mr. Herrn Deller schien die Punker noch nie gesehen zu haben. Sie zeichneten sich tatsächlich durch eine äußerst kunstvolle und flächenbedeckende Kriegsbemalung aus, die bei den Besuchern der Diskothek keineswegs üblich war und ist. Daraus läßt sich unter Umständen schließen, daß sie nicht zum Besucherkreis dieses Etablissements gehören.« »Vielleicht sind es falsche Punker, Mr. Parker?« »Man wird Sie darüber rechtzeitig informieren, Sir, falls Sie mit solch 73
einer Regelung einverstanden sind.« »Geht völlig in Ordnung, Mr. Parker.« McWarden nickte. »Perücken trugen sie aber nicht, wie?« »Erstaunlicherweise«, bestätigte der Butler, »diese Probe wurde bereits vorgenommen.« »Der Drahtzieher dieser Unschuldslämmer hat vielleicht seine Taktik geändert«, vermutete der Anwalt, »er weiß doch längst, daß wir seine Masche mit den Irokesen-Perücken kennen.« »Hoffentlich taucht er nicht völlig weg«, sorgte sich der Chief-Superintendent, »fette Beute hat er ja bisher hinreichend machen können.« »Man wird dem Drahtzieher auf den sprichwörtlichen Fersen bleiben, Sir«, erklärte Josuah Parker, »möglicherweise kann man ihn bereits in den nächsten Tagen entlarven.« »Ich wünsche Ihnen Hals- und Beinbruch, Mr. Parker«, sagte McWarden, »dann werde ich jetzt diesen verunglückten Profi aus den Staaten mitnehmen, ja?« »Er befindet sich noch in einer gewissen euphorischen Stimmung«, meinte Butler Parker, »aber dies wird Ihren Fragen nur förderlich sein.« »Wie beruhigend, Mr. Parker, daß Sie auf der richtigen Seite sind«, schickte der Chief-Superintendent voraus, »als Gegner hätte ich Sie nicht besonders gern.« »Sie schmeicheln einem alten,
müden und relativ verbrauchten Mann«, behauptete der Butler in seiner bescheidenen Art und führte McWarden dann aus der großen Wohnhalle, um Lefty Wilburn zu bitten, dem Chief-Superintendent in den Yard zu folgen. * Randolph Clappers, der Betreiber der Rock-Fabrik, blieb wie erstarrt stehen, als er Lady Agatha und Butler Parker sah. Das Duo aus Shepherd’s Market erschien diesmal nicht im Schnellimbiß, in dem die kleine Saalschlacht stattgefunden hatte. Mylady und Parker schickten sich an, der eigentlichen Rock-Fabrik einen Besuch abzustatten. Der Lärm, der aus der ehemaligen Fabrikhalle drang, war ohrenbetäubend. Eine Rockgruppe spielte und ließ die Grundmauern erbeben. Clappers fingerte an seiner randlosen Brille herum und eilte auf die beiden Besucher zu. »Sie wollen doch nicht etwa in die Fabrik?« fragte er Agatha Simpson atemlos. »Ich liebe Rockmusik«, behauptete die ältere Dame, »vielleicht werde ich sogar das Tanzbein schwingen.« »Wollen Sie mich ruinieren?« Randolph Clappers schnappte nach Luft. »Was Sie da im Schnellimbiß angerichtet haben, kostet mich bereits ein Vermögen. Der ganze 74
Laden ist mir auseinander genommen worden. Und noch etwas, Mylady: Die Punker hier warten doch nur darauf, sich an Ihnen zu rächen. Sie sind sauer auf Sie!« »Wo bleibt der Sportsgeist dieser jungen Männer?« entrüstete sie sich umgehend. »Zudem waren die Punker in der Überzahl.« »Konnten Sie inzwischen die Identität dieser Unschuldslämmer feststellen?« fragte Parker. »Unschuldslämmer?« Randolph Clappers war irritiert. »Mr. Rander bezeichnete die Punker so«, erklärte der Butler, »es handelte sich dabei selbstverständlich um eine ironische Umschreibung.« »Die Punker habe ich vorher noch nie gesehen, was aber nichts besagt«, meinte Clappers, »woher sie plötzlich kamen und warum sie Ihnen gegenüber wild spielten, weiß ich nicht.« »Möglicherweise hat man sie rechtzeitig verständigt und auf Mylady angesetzt«, vermutete der Butler. »Gehe ich nun in diese RockFabrik, Mr. Parker?« wollte die Detektivin unternehmungslustig wissen. Sie drückte eine Schwingtür auf und… prallte fast zurück, als die Lautstärke ungehemmt ihre Trommelfelle erreichte. Der Lärm war beachtlich. Er hätte selbst den Düsen eines startenden Jumbos Konkurrenz gemacht. »Ich habe Sie ja gewarnt, Mylady«,
meinte Clappers, der neben ihr erschien, »bitte, setzen wir uns doch in mein Büro. Ich weiß nicht, wer da alles in der Fabrik ist.« »Einen Moment noch, junger Mann!« Mylady genoß inzwischen das Spiel der tanzenden Farben und den blitzschnellen Wechsel der Beleuchtung. Vorn auf einer kleinen Bühne stand eine Rockgruppe, die sich mehr als nur hektisch bewegte. Auf der Tanzfläche standen junge Zuhörer beiderlei Geschlechts und klatschten rhythmisch in die Hände. Die Luft war zum Zerschneiden dick. Es roch ein wenig süßlich. »Spezialtabak, wie?« Agatha Simpson wandte sich zu Clappers um. »Ich weiß es nicht«, entschuldigte sich Clappers, »ich kann ja nicht überall sein.« »Man könnte im Zusammenhang mit Myladys Hinweis von Marihuana sprechen«, deutete der Butler den süßlichen Geruch. »So etwas gibt’s bei mir nicht, ich werde mir doch nicht ‘ne Laus in den, Pelz setzen«, erklärte Clappers nachdrücklich, »die Polizei glaubt ohnehin, daß hier mit Drogen gehandelt wird. Aber das stimmt natürlich nicht. Ich achte streng darauf. Aber wie gesagt, ich kann nicht immer hier sein und aufpassen.« »Hat man Sie bereits darüber verständig, daß Mr. Wilburn von der Polizei in Haft genommen wurde?« erkundigte sich der Butler unvermit75
telt, als man gemeinsam in Clappers’ Büro ging. »Wilburn?« Clappers hob die Schultern. »Wer soll das sein?« »Ein gekaufter Killer, der aus den Staaten kommt. Bevor er von der Polizei übernommen wurde, war Mylady in der glücklichen Lage, besagtem Mr. Wilburn einige Fragen zu stellen.« »Ich weiß nichts von einem Killer. Hören Sie, wollen Sie mir da was in die Schuhe schieben?« »Er nannte tatsächlich Ihren Namen, Clappers«, stellte Mylady fest, »er behauptet, Sie hätten ihn eingeflogen und bezahlt.« »Unsinn, Mylady, entschuldigen Sie, aber es ist Unsinn! Ich werde mich hüten, mich mit Killern einzulassen. Ich bin doch nicht lebensmüde. Was hat dieser Mann denn sonst noch behauptet?« »Sie sollen der Drahtzieher sein, der falsche Punker auf Raubzüge schickt, junger Mann…« »Reine Verleumdung«, entgegnete Clappers fast wütend, »falls er Ihnen meinen Namen genannt hat, dann ist ihm der untergeschoben worden. Und noch etwas, Mylady, wenn ich mich meiner Haut wehren muß, schaffe ich das auch leicht ohne ausländische Killer. Man hat doch schließlich seinen Stolz!« *
»Ein enttäuschender Besuch«, räsonierte Agatha Simpson später, als sie wieder in ihrem Fachwerkhaus in Shepherd’s Market war, »glauben Sie, es hätte sich was getan? Nein, es blieb alles still und friedlich. Ich denke, Clappers hat beigedreht und will kein Risiko mehr eingehen.« »Tut mir leid, Mylady, daß Sie nicht auf Ihre Kosten gekommen sind«, antwortete Kathy Porter und lächelte. »Ich war sogar in der RockFabrik«, berichtete die ältere Dame weiter, »Mr. Parker wollte mich zwar davon halten, doch das schaffte er nicht.« »Und wie hat Ihnen die Rockmusik gefallen, Mylady?« erkundigte sich Mike Rander. »Sie ist nicht gerade elektrisierend«, urteilte Lady Agatha, »als ich dann um einen Walzer bat, konnten diese Musiker ihn noch nicht mal spielen. Und die Punker schienen überhaupt nicht zu wissen, was ein Walzer ist! War es nicht so, Mr. Parker?« »Man war allgemein irritiert«, schilderte der Butler höflich, »dies steigerte sich noch, als Mylady dann nach einer Rocknummer tanzte…« »Wie war das?« Rander lächelte ungläubig. »Sie haben nach einer Rocknummer getanzt?« wunderte sich Kathy Porter. »Zusammen mit Mr. Parker«, antwortete die Lady und nickte, »aber 76
ein besonders guter Partner war er nicht, das muß mal gesagt werden. Sie sind unmusikalisch, Mr. Parker!« »Myladys Tanzkunst war meine bescheidene Wenigkeit auf keinen Fall gewachsen«, räumte Josuah Parker ein, »zudem wollten Mylady mich über ihre linke Schulter werfen.« »Über die Schulter werfen?« Kathy Porter gluckste in sich hinein. »Mylady beabsichtigten, eine gewisse Tanzfigur zu kopieren«, redete der Butler weiter, »dabei kam es zu gewissen Mißverständnissen meinerseits, da meine Wenigkeit vorher nicht verständigt wurde.« »Und was passierte danach?« Mike Rander grinste. »Mylady ließen meine Wenigkeit in einem entscheidenden Moment los«, erklärte Josuah Parker, »dabei rutschte meine Wenigkeit über Myladys Rücken und verfing sich in der Kostümjacke, die daraufhin zerriß.« »Sie haben sich in meinem TweedKostüm festgekrallt«, grollte Lady Agatha sofort und schaute Parker mißbilligend an, »und beinahe hätten Sie mir das ganze Kostüm vom Leib gerissen.« »Ein Reflex meinerseits, der einer gewissen Panik entstammte, Mylady«, entschuldigte sich der Butler, »mein bescheidenes Sinnen und Trachten bestand darin, nicht zu hart auf dem Boden der Tanzfläche
zu landen.« »Mit Ihnen werde ich auf keinen Fall mehr Rock tanzen«, sagte die ältere Dame mit Nachdruck, »Ihnen fehlt die richtige Einstellung.« »Wie Mylady wünschen.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an. »Und wie haben Clappers und die Punker reagiert?« Kathy Porter ließ nicht locker. »Man gab sich allgemeinem Lachen hin«, antwortete der Butler, »man schien sich durchaus amüsiert zu haben. Dadurch wurde allerdings auch die an sich prekäre Lage entschärft. Zu Aggressionen seitens der Punker kam es nicht.« »Aber auch nicht zu einem richtigen Verhör«, beschwerte sich Lady Agatha. »Ich bin schließlich nach wie vor der Meinung, daß dieser Clappers der Drahtzieher Ihrer Unschuldslämmer ist, mein lieber Mike.« »Lassen wir uns überraschen«, schlug der Anwalt vor und wandte sich an Josuah Parker, »wollen Sie sich jetzt die beiden Knaben ansehen, die wir uns von Herrn Deller ausgeliehen haben?« »Sehr wohl, Sir. Vielleicht lassen sich bestimmte Farbpartikel feststellen. Möchten Mylady dieser Prozedur beiwohnen und Fragen stellen?« »Ein paar Fragen habe ich doch schon gestellt«, erinnerte sie und schüttelte den Kopf, »diese Punker liegen mir nicht. Ich werde mich 77
zurückziehen und meditieren.« »Man wird Mylady umgehend verständigen, sollten sich Resultate ergeben«, versicherte der Butler und geleitete seine Herrin zur Treppe, die ins Obergeschoß des Hauses führte. Als die Lady auf der Galerie verschwunden war, gingen Mike Rander und Parker in den Keller des Hauses, wo die beiden Punker in einem sogenannten Gästezimmer untergebracht waren. Parker öffnete die Tür, nachdem er durch den Spion Sichtkontakt mit den beiden Männern gehalten hatte. Sie machten einen apathischen Eindruck und reagierten kaum, als Rander und Parker eintraten. Die Augen der Gäste waren gerötet, ihre Nasen liefen. Die Chemikalie, die sie auf dem Umweg über den Nebel eingeatmet hatten, wirkte nach. »Man erlaubt sich, Grüße von Mr. Mintell zu überbringen«, sagte der Butler, »hat man sich vielleicht schon mal in seinem Billardsaal gesehen?« Sie reagierten nicht, stierten vor sich hin und hatten nichts dagegen, daß Josuah Parker die kleine Quarzlampe noch mal einsetzte, um auf ihren Gesichtern nach fluoreszierenden Partikeln zu suchen. Nach kurzer Prüfung richtete der Butler sich auf. »Nun, Parker?« fragte Mike Rander, »sind Sie fündig geworden?«
»In der Tat, Sir«, antwortete der Butler, »diese beiden Männer waren eindeutig im Billardsaal des Mr. Mintell, als meine Wenigkeit dort zum ersten Mal zu einer Kontaktaufnahme erschien.« »Aber falsche Punker sind es nicht.« Rander deutete auf die echten Irokesenfrisuren. »Eine Äußerlichkeit, Sir, die man doch klären sollte«, antwortete der Butler, »der Drahtzieher arbeitet möglicherweise mit zwei verschiedenen Personengruppen. Die vier Schläger, die Ihr Haus in der Curzon Street besuchten, entstammten der kriminellen Szene, diese Punker aber könnten echt sein und dennoch für den Drahtzieher gearbeitet haben.« »Klingt ziemlich kompliziert, wie?« Rander massierte sich das Kinn. »Keineswegs, Sir. Der Drahtzieher verwendet für seine Überfälle durchaus echte Punker, für den Besuch in der Curzon Street aber engagierte er Schläger aus der Unterwelt, die er als Punker ausstaffierte. Es dürfte sich um ein Verwirrspiel handeln, das man jedoch in den Griff bekommen kann.« »Ich hoffe, man hat Sie nicht um Ihre Nachtruhe gebracht«, fragte Parker, nachdem er Horace Pickett begrüßt hatte. Die beiden Männer trafen sich an einer Straßenecke, Pickett war in das hochbeinige Monstrum gestiegen und saß neben dem 78
Butler. »Machen Sie sich keine Sorgen, Mr. Parker«, versicherte der ehemalige Vermögensumverteiler, »für solch einen Fall schlage ich mir gern eine Nacht um die Ohren.« »Sie haben festgestellt, wo Mr. Dan Wolton wohnt?« »Das war eine Kleinigkeit, Mr. Parker. Nicht weit von hier haust er in einem Anbau, der zu einem Mietshaus gehört. Er lebt da allein.« »Ein äußerst vorsichtiger Mensch.« »Glauben Sie, daß er was mit den Überfällen zu tun hat?« »Es war eigentlich ein Zufall, daß ich das rausfinden konnte«, schickte Horace Pickett voraus, »Wolton scheint mit einer Frau eng befreundet zu sein. Sie heißt Jill Gladens.« »Wie kam es zu dieser Beobachtung, Mr. Pickett?« »Nun, Wolton kam aus der Diskothek von Deller und ging nach Hause. Er war allein. Nach einer halben Stunde kam ein junger Mann aus dem Hinterhof, auf den ich zuerst überhaupt nicht geachtet hatte. Erst im letzten Moment bekam ich mit, daß es Wolton war. Er hatte sich völlig verändert.« »Von einer Punker-Aufmachung war demnach nichts mehr zu sehen?« »Genau, Mr. Parker. Er trug ‘nen völlig normalen Anzug. Von ‘ner Irokesenfrisur konnte überhaupt keine Rede mehr sein. Wolton blieb
an einer Straßenecke stehen und stieg dann in einen Wagen, der nur einen Moment hielt.« »Sie konnten den Besitzer dieses Wagens identifizieren?« »Die Besitzerin«, korrigierte Pickett eifrig, »das heißt, ich kannte sie sofort. Es ist diese Jill Gladens.« »Zu der Sie mit Sicherheit einiges sagen werden, nicht wahr?« »Jill Gladens dürfte so um die vierzig Jahre alt sein«, berichtete Horace Pickett weiter, »sie hat einen Nachtclub in Chelsea und ist mit Derek Gladens verheiratet, der wesentlich älter ist als sie.« »Sie haben ausgezeichnete Arbeit geleistet, Mr. Pickett«, ließ der Butler sich vernehmen, »zu diesem Nachtclub wird man jetzt fahren.« »Die Gladens betreiben ein an sich seriöses Lokal«, redete Pickett weiter, »das heißt, man kann dort natürlich spielen, aber die Unterwelt verkehrt dort nicht. Das weiß ich noch aus… meiner Zeit.« »Sie brauchen und sollten keine Geständnisse ablegen, Mr. Pickett.« »Ich weiß, Mr. Parker, aber dort verkehren Leute, die sich ein illegales Spiel durchaus leisten können. Ich gebe zu, daß ich dort ein paar Umverteilungen vorgenommen habe.« »Wie ist das Verhältnis zwischen dem Ehepaar Gladens?« »Die Ehe stand damals nur noch auf dem Papier, Mr. Parker. Derek 79
Gladens dürfte jetzt so um die Sechzig sein. Jill war damals Bardame und wurde dann Managerin des Clubs. Das aber erst, als sie Derek heiratete.« »Sehr aufschlußreich«, fand Josuah Parker, »man scheint sich dem Endpunkt dieses Falles zu nähern.« »Sie glauben, daß Wolton der Drahtzieher ist, Mr. Parker?« »Man wird sehen«, erwiderte der Butler sehr allgemein, »gewisse Dinge bedürfen erst noch einer Klärung. Mr. Pickett, wären Sie in der Lage, Kontakt zum Flughafen Heathrow aufzunehmen?« »Klar, das schaffe ich.« Pickett nickte. »Sie sollten dort nach einer Jill Gladens fragen, die meiner bescheidenen Schätzung nach zusammen mit Dan Wolton in die Staaten geflogen sein könnte.« »Das bohre ich sofort an, Mr Parker, aber ich komme doch mit zum Club, oder? Ich weiß, wie man da ziemlich ungesehen reinkommt.« »Eine genaue Beschreibung müßte genügen«, erwiderte Josuah Parker, »ich möchte Sie auf keinen Fall in Dinge verwickeln, die unter Umständen lebensgefährlich sind.« * Josuah Parker brauchte nur wenige Augenblicke, biß sich das Schloß der kleinen Mauerpforte ergab.
Er hatte es mit seinem kleinen Spezialbesteck dazu überredet, drückte die Pforte auf und schloß sie wieder hinter sich. Dann holte er aus seiner linken oberen Westentasche einen Kugelschreiber und leuchtete mit dem bleistiftstarken, Lichtstrahl den Rahmen ab. Er brauchte nicht lange zu suchen, bis er den Kontakt fand, der ihm sagte, daß diese Pforte elektronisch gesichert war. Dennoch schritt Parker weiter in den dunklen Hinterhof des Clubs, als habe er nichts zu befürchten. Er erreichte eine Treppe, die hinunter ins Souterrain führte. Einen Moment blieb er vor der Hinterfront des großen Hauses stehen. Kein Lichtschimmer war zu sehen, kein Laut zu vernehmen. Die Abschirmung der Clubräume nach außen hin war perfekt. Parker war klar, daß man ihn beobachtete. Er ging sogar davon aus, daß man hier mit Restlichtverstärkern arbeitete. Da im Club illegal gespielt wurde, wie Pickett es ihm versichert hatte, mußte man einiges in die Sicherheitsvorkehrungen investiert haben. Als er die Treppe hinunterschritt, leuchtete plötzlich ein starkes Punktlicht auf, das ihn zuerst einmal blendete. Dann forderte eine harte, aber leise Stimme ihn auf, die Hände hochzunehmen. Parker kam dieser Aufforderung sofort nach und blieb stehen. 80
»So, und jetzt ganz langsam weiter nach unten, Mann«, sagte die harte Stimme, »wenn Sie Mätzchen machen, sind Sie geliefert!« »Sie können mit meiner Loyalität rechnen«, antwortete der Butler, »würden Sie mich bitte umgehend zu Mrs. Gladens bringen? Ein Kontakt mit ihr ist von größter Wichtigkeit.« »Wie heißen Sie?« »Parker mein Name; Josuah Parker. Mrs. Gladens weiß mit diesem Namen sicher einiges anzufangen.« Während Parker antwortete, war er weiter nach unten gestiegen und mußte sich mit dem Gesicht zur Wand aufstellen. Geübte Hände durchsuchten ihn nach Waffen, die selbstverständlich nicht vorhanden waren. Um die vielen Kugelschreiber und sonstigen Utensilien in seinen Westentaschen kümmerten die Hände sich leichtsinnigerweise überhaupt nicht. Parkers Augen hatten sich inzwischen auf die neuen Lichtverhältnisse eingestellt, zumal er nicht mehr unmittelbar geblendet wurde. Als er sich wieder umwenden durfte, stand er zwei Männern gegenüber, die tadellos sitzende Smokings trugen. »Sie sind vielleicht ein komischer Vogel«, sagte einer von ihnen, »Sie sehen aus wie ein Butler.« »Meine Wenigkeit ist in diesem Berufsstand tatsächlich tätig«, versi-
cherte Parker höflich, »wenn Sie mich jetzt zu Mrs. Gladens bringen würden? Ich betonte bereits, daß dieser Besuch von einiger Wichtigkeit ist.« »Versuchen Sie bloß nicht, uns reinzulegen«, sagte der andere Mann, der die harte Stimme besaß, »wir sind Profis.« »Äußerst beruhigend, meine Herren, dann werden Sie auch unbedachte Reaktionen zu vermeiden wissen«, gab der Butler zurück, »würden Sie einem alten, müden und relativ verbrauchten Mann freundlicherweise weiterhelfen? Meine Pupillen haben sich noch nicht umgestellt.« Dann stolperte der Butler! Er hielt sich automatisch an einem Arm fest und nutzte die von ihm geschaffene Gelegenheit, seinen Manschettenknopf gegen das Handgelenk des Mannes zu drücken. Der Getroffene fluchte leise, und Parker entschuldigte sich. »Mein Manschettenknopf«, setzte er dem Mann auseinander, der sich das Handgelenk rieb, »ein altes, aber bereits schwächliches Erbstück.« Parker fingerte am Manschettenknopf herum und sorgte dafür, daß der kleine Stahldorn wieder unter der platte aus Halbedelstein verschwand. Bevor der Butler Besuche dieser Art abstattete, rüstete er sich stets entsprechend in seinem Privatlabor aus. 81
»Sie warten hier«, sagte die harte Stimme hinter Parker. Der Butler wurde in einen weiß getünchten Raum geschoben, in dem nur ein schwaches Wandlicht brannte. Nachdem die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte, untersuchte Parker den Kellerraum. Es gab hier Regale, die mit Flaschen und Kartons vollgestellt waren. Parker ging zur Tür und klopfte leise. Er wollte feststellen, wie nahe der Bewacher an der Tür saß oder stand. »Was ist denn?« fragte die harte Stimme ungeduldig. »Ist es erlaubt, eine Flasche zu öffnen?« erkundigte sich der Butler. »Wie ich sah, hat man guten Kognak eingekauft.« »Kippen Sie sich ruhig einen hinter die Binde«, sagte die Stimme, »noch können Sie’s!« Parker bedankte sich und… blieb an der Tür stehen. Er hob den linken Fuß an und entfernte eine kleine, fast kaum wahrnehmbare Sperre an der Innenkante des Absatzes. Daraufhin war er in der Lage, diesen Absatz zur Seite zu schwenken. Er fingerte in die Aushöhlung und holte eine Art Knetmasse hervor, die er ins Schlüsselloch der Tür einführte. Aus einer seiner Westentaschen nahm er einen Stift, der kaum größer und dicker war als ein halbes Streichholz. Diesen Stift drückte er in die Knetmasse und befestigte daran so etwas wie eine Miniatur-
Zündschnur. Sie stammte aus seinem schwarzen Binder, der sich korrekt um den schneeweißen Eckkragen schloß. * Das Schloß fetzte mit dumpfem Knall auseinander und ließ einen Teil der Tür mitgehen. Josuah Parker, der hinter einem Querregal Deckung bezogen hatte, war mit schnellen Schritten am Ausgang und schaute dann auf den Türposten. Der Mann mit der harten Stimme klebte förmlich an der Wand des Korridors und wußte noch immer nicht, was da eigentlich geschehen war. Parker griff wie selbstverständlich nach der Schulterhalfter des Mannes und holte eine Automatic hervor, die mit einem Schalldämpfer versehen war. Dann drückte er den Mann mit leichter Hand wieder in die Knie und sorgte dafür, daß er es sich auf dem Boden bequem machen konnte. Dabei setzte der Butler noch mal den Dorn seines Manschettenknopfes ein. Er stieß ihn in den Oberschenkel des Mannes, der allerdings nichts davon verspürte, da er von der Detonation noch immer benommen war. Ohne sich nun weiter um diesen Wachposten zu kümmern, schritt Parker hinüber zur nahen Treppe. Er kannte die Chemikalie, mit der der Manschettendorn bestri82
chen war. Auch dieser Mann konnte mit einer Stunde Tiefschlaf rechnen wie sein Partner, der hinauf in den Club gegangen war. Parker hörte das hastige Öffnen einer Tür, dann folgten Stimmen und Schritte. Er bog nach links ab und drückte sich in eine Nische. Lange brauchte er nicht zu warten, bis er zwei Personen sah, die es sehr eilig hatten.! »Hallo, Mr. Wolton«, grüßte der Butler und zeigte die Waffe, die er gerade erbeutet hatte. Dann wandte er sich an die fast schlanke Frau, die ein enges Abendkleid trug. »Mrs. Gladens, wenn ich nicht sehr irre?« »Parker!?« Dan Wolton, der Punker aus der Diskothek des Herrn Deller, starrte den Butler entgeistert an. »Sie werden entschuldigen, daß meine Wenigkeit die Initiative ergriff«, schickte Josuah Parker voraus, »aber meine Wenigkeit leidet an einer gewissen Klaustrophobie, was den Aufenthalt in geschlossenen Räumen betrifft.« »Mr. Parker?« Die Frau im engen Abendkleid hatte sich sehr gut unter Kontrolle. »Richtig«, bestätigte der Butler, »Sie werden sicher bereits von mir gehört haben, Mrs. Gladens. Wo könnte man sich in aller Ruhe unterhalten?« »Gehen wir doch hinauf ins Clubbüro«, schlug sie vor.
»Wie haben Sie mich hier gefunden?« fragte Dan Wolton wütend. »Wie wohl?« Jill Gladens, deren Gericht eine dicke Puderauflage hatte, sah den Punker, der einen Zivilanzug trug, spöttisch und überlegen an. »Du hast eben nicht aufgepaßt, du hast Mr. Parker völlig unterschätzt. Ich hatte dich ja gewarnt.« »Zu gütig, Mrs. Gladens«, erwiderte der Butler, »Sie schmeicheln meiner Wenigkeit. Mr. Wolton ist keineswegs unbegabt, aber er muß wohl noch einige Erfahrungen sammeln.« »Wollen wir hier noch länger herumstehen?« fragte sie und sah den Butler fast kokett an. »Wieso haben Sie sich an mich gehängt?« fragte Dan Wolton und schüttelte den Kopf. »Von allen Punkern, die meine Wenigkeit bisher kennt, waren und sind Sie der einzige, der im negativen Sinn gewisse Führungsqualitäten zeigt«, lautete die Antwort des Butlers, »zudem gehört es zu meiner Methode in Sachen Ermittlung, jedem zu trauen.« »Ich friere«, beschwerte sich Jill Gladens und verschränkte die Arme vor ihrer ausgeprägten Brust, »können wir nicht endlich hinaufgehen?« Parker ließ sich nicht täuschen, zumal es nun wirklich nicht kalt oder kühl war. Das Verschränken der Arme mußte seinen ganz 83
bestimmten Grund haben. Dan Wolton, der diese Geste allerdings nicht richtig deutete, beging den Fehler, ausgerechnet in diesem Moment auf seine Weise zu reagieren. Er drückte sich von der Wand ab und wollte den Butler attackieren. Dabei kreuzte er seine Begleiterin, die gerade eben einen flachen Browning aus dem Dekollete zog und sofort schoß. Dan Wolton wurde wie von einer unsichtbaren Hand zur Seite geworfen, stöhnte und ging dann in die Knie. Bevor Jill Gladens ihre kleine, aber wirkungsvolle Waffe neu ausrichten konnte, schlug Josuah Parker mit dem bleigefütterten Griff seines Universal-Regenschirmes zu und entwaffnete die Dame, die eindeutig keine war… Sie belegte den Butler nämlich mit Schimpfworten, die Parker noch nie vorher gehört hatte! »Der Drahtzieher war Dan Wolton«, erklärte Josuah Parker eine Stunde später Kathy Porter und Mike Rander. Chief-Superintendent McWarden, der in einem Sessel in der Wohnhalle Platz genommen hatte, nickte bestätigend. »Wolton bequemte sich – bereits unter dem Eindruck der an sich harmlosen Schußwunde – ein Geständnis abzulegen«, redete Josuah Parker in seiner höflichen Art weiter, »er wollte zu Geld kommen, um im Privatclub der Gladens mit-
halten zu können. Wolton war es auch, der die Idee hatte, Kriminelle mit Irokesen-Perücken auszurüsten.« »Und wer hat nun die Raubüberfälle ausgeführt?« erkundigte sich Kathy Porter. »Echte Punker«, lautete Parkers Antwort, »Wolton hatte sie sorgfältig ausgesucht und trainiert.« »Meine Leute sind bereits unterwegs, sie einzusammeln«, schaltete McWarden sich ein, »Wolton nannte uns sämtliche Namen und Adressen, wir brauchen nur noch zuzufassen.« »Und was war mit den vier falschen Punkern?« fragte Kathy Porter, »sie sorgten ja wirklich für einige Verwirrung.« »Diese Idee soll angeblich Jill Gladens gehabt haben«, gab der Butler zurück, »doch dieses Detail ist eigentlich ohne Belang. Meine Wenigkeit geht ohnehin davon aus, daß Dan Wolton von Mrs. Gladens inspiriert wurde, was die Überfälle betrifft, doch noch will er sie schonen. Später wird er sie sicher ausgiebig belasten.« »War der Mann dieser Jill Gladens an der Sache beteiligt?« »Eindeutig nicht, Miß Porter«, beantwortete Parker ihre Frage, »auch im Club dürfte er nur noch eine Statistenrolle spielen, um es mal so auszudrücken. Haupttäter ist Dan Wolton, der übrigens, wie Mr. Pickett berichten konnte, zusammen 84
mit Jill Gladens in den Staaten war. Dort dürfte Wolton Kontakte zur Unterwelt und zu dem Profi Wilburn geknüpft haben.« »Alles schön und gut, Parker, und wer ist nun dieser sogenannte Brillenheini, von dem Wilburn gesprochen hat? Der hat sich doch als Mintell vorgestellt?« »Dabei handelt es sich um einen kleinen Gauner, wenn man so sagen darf, der von Wolton engagiert wurde. Dieser Mann ist bereits bekannt und sollte Spuren in Richtung Herrn Deller legen. Wolton wollte ein großes Verwirrspiel aufziehen, daher auch sein Trick, Irokesen-Perücken verwenden zu lassen.« »Ganz schön raffiniert, nicht wahr?« Der Chief-Superintendent stand auf. »Wir sollten zuerst auf die Punker-Szene aufmerksam gemacht werden, dann kapieren, daß man es mit Gangstern zu tun hat, die die Punker nur Masten wollen, und schließlich den Überblick verlieren. Wissen Sie, Mr. Parker, was ich sogar fast vermute?« »Sie möchten beweisen, daß Wolton die vier falschen Punker in die Curzon Street schickte, damit sie sich dort festrannten, Sir.« »Richtig.« McWarden nickte. »Da ist was dran«, bestätigte Mike Rander nachdenklich. »Diese vier falschen Knaben marschierten ziemlich leichtsinnig in die Falle.« »Und machten das Auseinanderdi-
vidieren recht schwierig«, ließ Josuah Parker sich wieder vernehmen, »das Einfärben der Punker war da nicht sonderlich hilfreich, wie meine Wenigkeit bekennen muß.« »Darum würde ich die Spraydosen aber nicht in den Müll werfen, Parker«, flachste Mike Rander, »Ihre Farbkombination wird bestimmt noch mal gebraucht.« »Es wäre zu wünschen, Sir, da Mylady unnötige Ausgaben geradezu haßt«, erwiderte Josuah Parker, »wenn es erwünscht ist, sollten noch einige Worte zur Beute gesagt werden.« »Die ist bereits sichergestellt worden«, erklärte der Chief-Superintendent, »Mrs. Jill Gladens hat das Geld verwahrt. Wissen Sie, man fragt sich, ob sie diesen Wolton eines Tages nicht hereingelegt hätte. Zuzutrauen wäre ihr so etwas.« »Wo ist eigentlich Mylady?« fragte McWarden. »Sie meditiert und wollte auf keinen Fall gestört werden«, gab Kathy Porter zurück, »Mylady arbeitet an der Lösung des Falles.« »Da bin ich aber sehr gespannt«, meinte McWarden ironisch und zuckte dann zusammen, als von der Galerie her ein Räuspern zu hören war. Wenig später erschien die ältere Dame. Sie trug einen weiten, wallenden Hausmantel und rauschte wie eine Heroine die Treppe herunter. Sie blieb stehen, als sie McWarden 85
ausmachte und lachte dann erfreutanzüglich. »Sie kommen wieder mal nicht weiter, mein lieber McWarden?« erkundigte sie sich. »So ungefähr«, sagte der ChiefSuperintendent. »Ich habe den Fall für Sie inzwischen gelöst«, verkündete Lady Agatha und kam nach unten, »ich habe alle Fakten durchgearbeitet und bin dabei zwangsläufig auf den Drahtzieher dieser Unschuldslämmer gestoßen.« »Sie spannen mich auf die Folter, Mylady«, gab McWarden zurück. Er hatte Mühe, sein Gesicht zu wahren. »Der Täter ist Dan Wolton«, sagte sie wie selbstverständlich. »Was… was Sie nicht sagen!« McWarden sah zuerst Parker, Kathy Porter und schließlich Mike Rander an. »Dieser Lümmel wollte sich bei mir einschmeicheln«, redete die Detektivin weiter, »Sie wissen, daß ich ihn unter den Tisch trinken mußte. Warum, so habe ich mich gefragt, warum beschäftigte er sich ausgerechnet mit mir? Er wollte mir Sand in die Augen streuen. Nun, mein lieber McWarden, man hat es,
oder man hat es eben nicht. Ich habe die richtige Nase, Mr. Parker, was sagen Sie zu meiner Theorie?« »Bestechend, Mylady, zumal die Ereignisse Myladys Theorie bestätigt haben«, sagte Butler Parker. »Sagenhaft«, meinte der Anwalt und zeigte Fassungslosigkeit. »Ich kann’s kaum glauben«, flüsterte Kathy Porter. »Das hab’ ich noch nie erlebt, daß sie einen Treffer gezogen hat«, brummte McWarden, »Rander, geht das mit rechten Dingen zu?« »Sie muß oben auf der Galerie heimlich zugehört haben«, behauptete der Anwalt und wandte sich an Parker, »haben Sie nichts gesehen, Parker?« »Selbst wenn, Sir«, schickte der Butler voraus, »die Höflichkeit würde es meiner Wenigkeit verbieten, dies zu bestätigen. Wenn Sie erlauben, wird man jetzt Erfrischungen anbieten.« Parker machte eine Verbeugung und ging hinüber in den Salon, um Sherry zu holen. Dabei passierte er seine Herrin, die ihn ein wenig unsicher anschaute. Parker neigte den Kopf, um ein aufsteigendes Schmunzeln zu verbergen.
ENDE �
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