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PARKER hetzt die Koka-Dealer Ein Roman von Günter Dönges Josuah Parker war überrascht, als man ihm überstürzt und grundlos ein Geschenk übereignete. Der junge Mann, der höchstens achtzehn war, drängte ihm einen Tabaksbeutel aus weichem Leder auf und bog in einen schmalen Torweg ein. Er hatte es eilig und schien um sein Leben zu laufen. Wenige Augenblicke später erschienen zwei etwas ältere Männer an der Straßenecke und rannten auf den Butler zu. Einer von ihnen bremste mühsam neben Parker. »Hier is’ gerade ‘n Typ vorbeigerannt«, hechelte der Verfolger. »Wo is’ der verschwunden?« »Könnten Sie die Person näher beschreiben, die Sie als Typ bezeichnen?« wollte der Butler wissen. »Schmal, mittelgroß, Jeans, grüner Pullover«, keuchte der Mann, während sein Partner sich bereits dem Torweg näherte. »Der Herr wurde von meiner Wenigkeit auf der gegenüberliegenden Straßenseite wahrgenommen, als er sich gerade in das Bürohaus stürzte«, gab Parker falsche Auskunft. Der Keuchende nahm sie selbstverständlicherweise für bare Münze, stieß einen Pfiff aus und bremste damit seinen Mitverfolger, der weiterhin auf der richtigen Spur war. Er blickte zurück, reagierte auf die Handzeichen und überquerte die Straße. Der Mann, der sich bei Parker die falsche Auskunft geholt hatte, folgte diesem Beispiel und rannte los. Die Hauptpersonen: Lonny Charter verliert Bargeld und Drogen, die er sich hinter einen Spiegel gesteckt hat. Dan Ladway bezahlt einen bulligen Leibwächter, der ihm nicht helfen kann. Patty Delfors verleiht Geld an Jugendliche, um deren Drogenkonsum zu steigern. Norman Coswick verkauft Kräuter und Korbflaschen mit Einlagen. Clive Blamefull bietet spezielle Snacks für Schüler und Halbwüchsige an.
Lady Agatha versorgt Dealer mit Rizinus-Kapseln und freut sich auf das Ergebnis. Butler Parker verteilt großzügig Wegwerffesseln. Der Butler aber schritt gemessen weiter und bot das Bild eines hoch-herrschaftlichen Bediensteten, wie er eigentlich nur noch in Filmen zu bewundern war. Er war etwas über mittelgroß, fast schlank und trug einen schwarzen Covercoat, auf dem Kopf eine sogenannte Melone. Am angewinkelten linken Unterarm hing ein altväterlich gebundener Regenschirm. Parker hatte das glatte Gesicht eines ausgebufften Pokerspielers, das keine Gemütsregung erkennen ließ. Er beobachtete die beiden Männer, die inzwischen das Bürohaus erreicht hatten. Sie riefen sich etwas zu, was Parker nicht verstand, dann betrat einer der beiden das große, unansehnliche Haus. Der zweite Mann, der Parker angesprochen hatte, blieb neben dem Eingang stehen und schnupperte nach Luft. Er sollte offensichtlich kontrollieren, falls der Gesuchte sich hinausstehlen wollte. Der Butler hatte aus Instinkt gehandelt. Er stand stets auf der Seite jener Personen, die verfolgt und beleidigt wurden. Sein Schutzgefühl war besonders ausgeprägt. Dank seiner Stellung bei Lady Simpson war er in der Lage, seinen Neigungen frönen zu können. Agatha Simpson betrachtete sich als eine begnadete Kriminalistin und betätigte sich als Privatdetektivin ohne Lizenz. Parker war ihr sogenannter ständiger Begleiter bei ihren Exkursionen und hielt seine schützende Hand über sie. Er hatte inzwischen den schmalen Torweg erreicht und hier Gelegenheit, sich mit der völlig verstaubten Auslage eines Orthopäden zu befassen. Parker ging davon aus, daß der junge Mann sich früher oder später wieder melden würde, um sein Geschenk wieder an sich zu nehmen. Und selbstverständlich nutzte der Butler vor dem schmalen Schaufenster die Gelegenheit einen Blick in den kleinen Lederbeutel zu werfen. Er war überrascht. In dem abgegriffenen Stück befanden sich Briefchen aus weißem Papier, die kaum größer waren als Kaugummi-Streifen. Parker brauchte ein solches Briefchen erst gar nicht zu öffnen. Er wußte
ohnehin, daß er es mit Drogen zu tun hatte. Der flüchtende junge Mann mußte wohl ein Dealer sein, die beiden Verfolger offensichtlich Kriminalisten. Parker kam sich ein wenig übertölpelt vor. Die beiden Männer überquerten die Straße. Sie schienen sich vergewissert zu haben, daß ihr Objekt nicht aufzuspüren war, und hielten wütend auf den Butler zu. »Wie war das mit dem Typ, der ins Bürohaus gerannt sein soll, Mann?« fragte der Verfolger, der sich schon mal bei Parker erkundigt hatte. »Könnte es sein, daß die gesuchte Person einen Hinterausgang benutzt hat?« fragte der Butler höflich. »Da is’ er nicht gesehen worden«, lautete die gereizte Antwort. »Darf man sich nach dem Grund Ihrer gemeinsamen Verfolgung erkundigen?« wollte Parker wissen. »Sollten die Herren von der Polizei sein?« »So ungefähr«, sagte der Mann und lächelte flüchtig. »Sagen Sie mal, wer sind Sie eigentlich?« »Ein Bewohner Londons und pflichtbewußter Staatsbürger«, stellte der Butler sich vor und lüftete höflich die schwarze Melone. »Und Sie heißen wie und wohnen wo?« wurde er angeherrscht. »Nach Ihnen, meine Herren, was die verlangten Auskünfte betrifft«, schlug Parker den beiden Männern vor. »Möglicherweise sind Sie sogar in der erfreulichen Lage, sich ausweisen zu können.« »Klar doch, Mann«, kam die Antwort. »Gehen wir doch rüber in die Tee-Stube… Und dann unterhalten wir uns mal gründlich, ja? Der Typ is’ nämlich niemals ins Bürohaus gerannt, wie der Pförtner sagt.« »Du kannst natürlich auch Ärger machen«, ließ der zweite Mann sich vernehmen, »aber dann mußt du mit ein paar Beschädigungen rechnen.« »Ihr Wunsch wird meiner Wenigkeit selbstverständlich Befehl sein«, meinte der Butler.
* »Mach’ mal für’n Moment den Laden zu«, forderte der zweite Verfolger die breithüftige, matronenhafte Frau hinter der kleinen Verkaufstheke auf. Während er sprach, ging er um die Theke
herum und zog die verschreckte Frau nach vorn. Dann bugsierte er sie zu einer Tür im Hintergrund und schob sie in einen kleinen Raum. Anschließend machte er ihr klar, man würde ihre Teestube demolieren, falls sie es wagte, die Polizei zu verständigen. »Und jetzt zu uns«, sagte der erste Verfolger und zog das Schnapp-Rollo vor dem Glaseinsatz nach unten. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür und blockierte auf diese Weise den Eingang. Sein Partner, der die Teeköchin eingeschüchtert hatte, kam im kraftverheißenden Wiegeschritt auf den Butler zu und bleckte die Zähne, was wohl eine Art Grinsen bedeuten sollte. Er langte betont lässig in seine rechte Hosentasche und zog ein Messer, dessen Klinge er hervorspringen ließ. »Wie war das denn noch mit der Type?« fragte er dann. »Du hast uns doch absichtlich in den Bau da drüben gehetzt, oder?« »Würden Sie meiner Wenigkeit gestatten, sich ein wenig zu laben?« mischte sich Parker ein. »Was sollen wir erlauben?« wollte der andere Verfolger verdutzt wissen und runzelte die Stirn. »Es geht um eine erfrischende Tasse Tee«, übersetzte der Butler. »Okay, lab’ dich«, hörte Parker, »und dann komm’ schleunigst zur Sache, Mann, bevor ich dich auftrenne.« Parkers Bewegungen blieben würdevoll und gemessen. Er füllte einen nicht gerade kleinen Becher mit heißem Tee aus einem Thermosbehälter und widmete sich dann wieder den beiden Verfolgern. »Darf man auch Ihnen servieren?« wollte er wissen. »Bleib’ uns mit dem Zeug vom Leib«, wehrte der Angesprochene ab. Er spielte mit dem Messer und schnitt dann einen großen Holzspan aus der Thekenkante. Parker nahm den Becher hoch und ließ die Verfolger den heißen Tee kosten. Er hatte keine Lust, sich in ein wüstes Handgemenge verwickeln zu lassen. Ihm ging es darum, die beiden Männer mit einem Minimum an Kraftaufwand außer Gefecht zu setzen. Er brauchte sich wirklich so gut wie gar nicht anzustrengen. Nachdem er die Gesichter der Verfolger mit Tee bedacht hatte, wichen sie zurück, produzierten undefinierbare Laute und rieben sich ausgiebig die Augen. Sie waren derart aus dem Konzept gebracht worden, daß Josuah Parker fast beiläufig den Bambusgriff seines UniversalRegenschirms einsetzen konnte. Da der Griff mit Blei ausgegos-
sen war, hatten die kurzen Berührungen ihr Gewicht. Die beiden Männer gingen in die Knie, beugten sich vor und streichelten mit der Stirn den an sich recht schmutzigen Boden. Anschließend kippten sie seitlich weg und blieben regungslos liegen. Selbstverständlich kümmerte sich Parker um sie und stellte erst mal fest, wer sie waren. Nach den Papieren, die er fand, hatte er es mit Ray Harpers und Pete Soldy zu tun, die beide in der Firma eines gewissen Lonny Charter angestellt waren. Aus den Dienstausweisen ging hervor, daß Charter sich mit Reinigungen aller Art im Großraum London befaßte. Auch seine Firmenadresse war genau angegeben. Neben den beiden Ausweisen, die in biegsamen, verschweißten Kunststoff-Hüllen steckten, fand der Butler noch ein zweites Klappmesser und je einen Schlagring. Parker stellte nichts von diesen Gerätschaften sicher, sondern verließ die Teestube und begab sich hinüber in das nahe Bürohaus. Er brauchte nicht lange zu warten, bis die beiden Verfolger auf der Straße erschienen. Sie machten einen leicht benommenen Eindruck und gingen fast schon bedächtig zurück zu jener Hausecke, um die sie anfangs gekommen waren. Parker blieb noch einige Minuten im Bürohaus, bis er sicher sein konnte, daß die Männer das Feld geräumt hatten. Parker suchte nun seinerseits den Wagen auf, mit dem er nach Shepherd’s Market zurückzufahren gedachte, wo sich das altehrwürdige Fachwerkhaus der Lady Simpson befand, der er als Butler diente. Er wartete dabei auf den noch sehr jungen Mann, der ihm den kleinen Lederbeutel mit den eigenartigen MiniaturBriefchen zugesteckt hatte. Inzwischen wußte Josuah Parker natürlich längst, was sich in diesen Briefchen befand, nämlich Heroin, das seiner Ansicht nach ausgiebig mit Traubenzucker gestreckt war. Er brauchte auf eine Rückmeldung des Jugendlichen nicht lange zu warten. Parker hatte seinen betagt aussehenden Wagen auf einem kleinen Parkplatz gerade erreicht, als er den jungen Mann ausmachte, der direkt auf ihn zulief. Dabei gestikulierte er und lachte erstaunlicherweise. »Sie sollten Ihr jugendliches Ungestüm vielleicht ein wenig unter Kontrolle halten«, schlug der Butler vor und brachte seinen Regenschirm in die Waagerechte. Der noch sehr junge Mann bremste jäh seinen Schwung und blickte dann in einer Mischung aus
Staunen und Respekt auf die Spitze des Schirmes. Er bemerkte mit Sicherheit nicht, daß es dort eine Art Mündungsschoner gab, den man durch Seitendruck wegklappen konnte. »Vielen… vielen Dank«, sagte der Jugendliche und strahlte den Butler an. »Ohne Sie hätten die Gangster mich bestimmt erwischt.« »Sie sind das Objekt von Gangstern?« fragte der Butler, senkte den Schirm und baute sich neben seinem Privatwagen auf. Es handelte sich dabei um ein ehemaliges Taxi, das sich durch Eckigkeit und hohen Aufbau auszeichnete. Viele dieser Wagen waren im Stadtverkehr nicht mehr zu sehen. Rein äußerlich betrachtet machte Parkers Wagen einen fast schon bemitleidenswerten Eindruck, doch dies täuschte. Tatsächlich handelte es sich um eine geschickt getarnte Trickkiste auf Rädern, um so etwas wie ein technisches Monstrum. Unter dem Blech des Wagens befand sich High-Tech des Fahrzeug- und Motorenbaus. Parker hatte seiner skurrilen Phantasie freien Lauf gelassen und Dinge installiert, um die ihn ein gewisser James Bond beneidet hätte. »Die wollten mich abfangen und fertigmachen«, beantwortete der junge Mann Parkers Frage. »Ich hatte denen da diesen Tabakbeutel abgejagt…« »Sie sprechen von jenem Lederbehälter, den Sie meiner Wenigkeit förmlich aufdrängten?« erkundigte sich der Butler. »Klar doch«, kam die muntere und durchaus unbefangene Antwort. »Ich mußte das Ding ja loswerden. Sie haben mal reingesehen?« »Dazu fand ich leider keine Zeit«, bedauerte Parker, »aber dies könnte man jetzt und hier nachholen.« »Lohnt sich nicht, Sir«, behauptete der Verfolgte und lachte wieder jungenhaft. »Ich wette, Sie können damit nichts anfangen.« »Sollte man es nicht auf einen Versuch ankommen lassen?« »Besser nicht, Sir. Was Sie nicht wissen, belastet Sie auch nicht, verstehen Sie? Sobald ich den Beutel zurückhabe, werden Sie mich nicht wiedersehen. Das ist besser für Sie.« »Sie glauben und hoffen, daß die Verfolger nicht noch mal Ihren Weg kreuzen?« »Kaum. Die haben keine Ahnung, wo ich wohne.« »So etwas kann man durch gezielte Nachforschungen eruieren.«
»Das… das stimmt allerdings«, räumte der junge Mann ein und machte plötzlich einen betretenen Eindruck. »Verdammt, daran hab’ ich noch gar nicht gedacht. Was mach’ ich jetzt?« »Vielleicht sollten Sie sich meiner Wenigkeit anvertrauen«, gab Josuah Parker zurück. »Nee, lieber nicht, Sir«, entgegnete der Verfolgte und winkte ab. »Sie kämen damit ganz schön in die… Sie wissen schon, was ich meine, ja?« »Man vermag sich den Rest des Satzes durchaus vorzustellen«, erwiderte der Butler. »Der Umgang mit Drogen gleich welcher Art ist in jedem Fall lebensbedrohlich.« Der noch sehr junge Mann blickte Parker aus großen Augen an und wollte dann offensichtlich ablenken. Er streckte den linken Arm aus und deutete zur Straße hinüber. »Verschwinden Sie besser«, sagte er hastig. »Da sind sie wieder. Und sie haben noch zwei Dealer mitgebracht. Schnell, geben Sie mir den Beutel. Vielleicht komm’ ich noch mal durch…« »Keineswegs und mitnichten«, entschied Parker. »Aber Sie haben die Möglichkeit, in den Wagen zu steigen. Meine Wenigkeit bietet Ihnen die Mitfahrt an.« Während er sprach, hatte er bereits die hintere linke Wagentür geöffnet und drängte den noch sehr jungen Mann in den Fond seines hochbeinigen Monstrums.
* Vielleicht hatte Josuah Parker dem Mann auch einen energischen Stoß gegeben, so genau war dies nicht auszumachen. Auf jeden Fall landete der Verfolgte ein wenig windschief auf dem rückwärtigen Polster, rappelte sich hoch und wollte dann schleunigst auf der anderen Seite wieder aussteigen. Er langte nach dem Türgriff, betätigte ihn auch und mußte zur Kenntnis nehmen, daß der Mechanismus nicht reagierte. Parker, der inzwischen am Steuer seines privaten Gefährts saß, hatte sämtliche Türen zentral verriegelt und blickte dem, was da kommen sollte, gelassen entgegen. Nun, er hatte nichts zu befürchten. Sein Wagen war schußsicher und hätte selbst einem Maschinengewehr getrotzt. Darüber hin-
aus standen dem Butler einige sehr wirkungsvolle Abwehrwaffen zur Verfügung. Ray Harpers und Pete Soldy hatten Verstärkung mitgebracht, zwei handfest aussehende Männer um die fünfundzwanzig. Sie trugen Jeans, pelzbesetzte Bomberjacken aus schwarzem Leder und Springerstiefel. Sie zeigten zwar keine Waffen, doch Parker ging davon aus, daß sie gerüstet waren. Man erreichte den Wagen. Ray Harpers, der Messerbesitzer, klopfte lässig gegen die Scheibe an der Fahrerseite und beugte sich vor. Gleichzeitig griff er nach der Tür und wollte sie aufziehen. Doch sie kam seinem Wunsch nicht nach. Parker blickte in den Rückspiegel und beobachtete die beiden Bomberjacken-Träger. Sie hatten sich getrennt und wollten je eine der hinteren Wagentüren aufreißen. Sie zerrten wie gereizt an den Griffen. »Mach’ auf, Mann, oder ich lüfte dich durch«, rief Ray Harpers und zeigte Parker eine schallgedämpfte Automatic. Er richtete sie auf den Körper des Butlers und machte einen entschlossenen Eindruck, Parker reagierte. Er sorgte dafür, daß Strom durch die Türgriffe seines Wagens rauschte, allerdings nur mit einer Stärke von Nullkommafünf Ampere. Das Resultat war dennoch im wahrsten Sinn des Wortes umwerfend. Die Türklinken, von den Aufdringlichen fest umspannt, wirkten wie elektrisch geladene Weidezäune, nur intensiver. Die drei Verfolger wurden wie von unsichtbaren Fäusten zu Boden geschlagen. Sie landeten auf dem Rücken und blieben dann seltsam verkrümmt liegen. Ihre Muskeln hatten sich unter dem Stromstoß verspannt. Pete Soldy, der seine Partner auf dem Boden sah, wich zurück und streckte abwehrend die Hände aus. Er schüttelte ungläubig den Kopf, traute sich vorsichtig an seinen Begleiter Harpers heran und rief ihm etwas zu, was Parker nicht verstehen konnte, da er den Anlasser seines hochbeinigen Monstrums betätigte. Der Rennmotor meldete sich sofort zu Wort und brachte den Wagen hinüber zur Straße. »Ich glaub’s einfach nicht, ich glaub’s nicht«, sagte der Verfolgte und beugte sich vor. Er wollte den Kopf über die Rückenlehnen
des unbesetzten Vordersitzes schieben, doch er hatte es plötzlich mit einem massiven Hindernis zu tun. Parker hatte die schußsichere Trennscheibe zwischen den Vordersitzen und dem Fond des Wagens hochschnellen lassen. Der Halbwüchsige warf sich überrascht zurück und erklärte erneut, er würde bestimmte Dinge einfach nicht glauben. »Wer sind Sie eigentlich, Sir?« wollte er dann anschließend wissen. Er hatte bereits mitbekommen, daß man sich über die bordinterne Sprechanlage unterhalten konnte. »Mein Name ist Parker, Josuah Parker«, lautete die Antwort. »Mit wem hat meine Wenigkeit die Ehre?« »Ich bin Stuart Wadning«, stellte der Halbwüchsige sich vor. »Sie wissen, was in dem Beutel ist, nicht wahr?« »Man dürfte es mit Heroin zu tun haben«, gab der Butler zurück. »Aber auch die Existenz von Kokain ist nicht völlig auszuschließen.« »Beides«, sagte Stuart Wadning. »Ich hab’ denen das Mistzeug weggenommen. Und dafür wollen die mich jetzt schlachten.« »Sie kennen Ihre Verfolger und auch jene beiden Männer, die einen ungemein schlagkräftigen Eindruck machen?« »Ich kenne nur Harpers und Soldy«, entgegnete Stuart Wadning, »aber auch nicht näher.« »Sie sind den Drogen verfallen, Mister Wadning?« wollte Josuah Parker wissen. »Das fehlte noch.« Wadning lachte leise und schüttelte energisch den Kopf. »Ich hab’ die beiden Dealer auf der Handelsschule kennengelernt. Die dealen da mit dem Giftzeug und wollen sich an junge Kurs-Anfänger ranmachen. Da hab’ ich mich eingeschaltet und die Briefchen abgefangen.« »Demnach weiß man natürlich auch, wer Sie sind und wo man Sie privat finden kann?« »Daran hatte ich wirklich nicht gedacht. Verdammt, die kreuzen natürlich zu Hause auf, schätze ich .« »Sie leben bei Ihren Angehörigen, Mister Wadning?« Parker steuerte sein Gefährt souverän durch den Verkehr. Er saß stocksteif, als habe er einen Ladestock verschluckt, am Steuer. »Ich wohne bei meiner Tante in Paddington«, hörte Parker. »Sie hat da ‘nen Papierwarenladen.«
»Den es zu erhalten gilt, Mister Wadning«, antwortete Parker. »Sie werden sich bestimmt meinem Vorschlag anschließen, wonach man Ihre Tante umgehend aufsuchen sollte.« »Klar doch, Sir«, erwiderte der Halbwüchsige. »Aber wie wollen Sie mit den Dealern fertig werden? Noch einmal werden Sie die nicht mit ‘nem Trick überraschen können.« »Man wird den Umständen entsprechend zu handeln wissen«, lautete die Antwort des Butlers. »Sie sollten sich meiner bescheidenen Wenigkeit anvertrauen.« »Sie sind doch niemals ein Butler«, behauptete Wadning. »Sie sind Drogenfahnder, oder? Ihre Tarnung ist sagenhaft, ehrlich. Auf so was muß man erst mal kommen.« Josuah Parker verzichtete auf eine Antwort.
* Das hochbeinige Monstrum war auf dem Gelände einer Getränkefirma abgestellt. Es stand hinter einem einstöckigen Bürogebäude und konnte von der Straße aus nicht eingesehen werden. Parker ließ sich von Stuart Wadning die nähere Umgebung erklären und entschied sich dann für eine enge Seitenstraße, von der aus man die Rückfront jenes Hauses erreichte, in dem die Tante des jungen Verfolgten wohnte. »Sie glauben, daß die Dealer schon im Haus sind?« fragte Wadning besorgt. »Man dürfte es in wenigen Minuten genau wissen, Mister Wadning«, erwiderte Josuah Parker. »In jedem Fall sollte man ungesehen und unhörbar das Innere des Hauses betreten.« »Das geht klar, Sir«, meinte der Halbwüchsige eifrig. »Wir können vom Keller aus nach oben gehen. Es gibt da eine Außentür, die ist nie abgeschlossen.« Parker ließ sich von Stuart Wadning führen, war aber auf der Hut. Ob er es mit einem Unbescholtenen zu tun hatte, mußte sich erst noch erweisen. Bisher kannte er schließlich nur eine Seite der Medaille, was den Verfolgten und seine Verfolger betraf. Es war nicht auszuschließen, daß auch Stuart Wadning nur ein harmloser Dealer war, der mit Konkurrenten einen Kleinkrieg führte. Wadning machte allerdings einen recht unverfänglichen Eindruck. Er ging voraus, lotste den Butler von der engen Seitenstraße in
eine Art Hinterhof und von hier aus in einen handtuchgroßen Garten, in dem zwei kleine Obstbäume längst verkümmert waren. Von einem Schuppen aus blickte man auf eine Art Balkon, den man über eine Treppe erreichen konnte. Unter dieser Treppe gab es den Kellerabgang, den Stuart Wadning erwähnt hatte. Die Kellertür war unverschlossen. Parker blieb in gemessenem Abstand hinter dem Halbwüchsigen, der bereits auf der Kellertreppe war, die ins Erdgeschoß führte. Er wurde plötzlich sehr schnell und forderte damit ungewollt den nachfolgenden Butler heraus. Parker war versucht, den jungen Mann zu stoppen, doch als es gerade dazu kommen sollte, wandte Wadning sich um und legte den rechten Zeigefinger auf den Mund. »Fremde Stimmen«, flüsterte er, während er zu Parker zurückkam. »Da sind Fremde im Wohnraum…« »Möglicherweise handelt es sich um harmlose Besucher«, tippte der Butler an. »Sie läßt keine Fremden in die Wohnung«, erklärte Wadning. »Es sind fremde Stimmen. Und es riecht nach Tabakqualm.« Parker schickte Stuart Wadning leise zurück zur Außentür, wo der Halbwüchsige sichern sollte. Als Wadning verschwunden war, öffnete Parker vorsichtig die Kellertür, betrat einen engen Gang und pirschte sich an die Tür zum Wohnraum heran. Die Stimmen, von denen Wadning gesprochen hatte, waren deutlich zu vernehmen. Sie klangen schrill, aufgesetzt und aggressiv. Es handelte sich um zwei Besucher, die offensichtlich Bier aus Dosen tranken, wie zu hören war. Zumindest eine leere Dose wurde gerade gegen Glas geschleudert, das klirrend zerbarst. Es waren zwei Männer. Sie lümmelten im Sessel herum, hatten die Füße auf den Couchtisch gelegt und rauchten Zigaretten. Neben einem imitierten Kamin mit elektrischer Feuerung saß eine ältliche, schmale Frau auf einem hochlehnigen Stuhl und hatte Angst, wie man von ihrem Gesicht ablesen konnte. Durch eine halb geöffnete Tür im Hintergrund konnte Parker in einen schmalen Teil eines kleinen Ladengeschäftes sehen. Dort war es offensichtlich leer. Parker packte seine Spezialwaffe aus. Er griff in die Innentasche seines schwarzen Covercoats und zog eine Y-förmige Gabelschleuder hervor, die mit starken Gummi-
strängen versehen war. Von der Konstruktion her handelte es sich um eine jener Zwillen oder Katapulten, wie sie von Jugendlichen noch immer aus Astgabeln geschnitzt werden, um damit Erbsen zu verschießen. Parker legte eine hart gebrannte Ton-Erbse in die Lederschlaufe seiner Schleuder, visierte kurz und setzte dann einen der beiden Herumlümmelnden so gut wie lautlos außer Gefecht. Seitlich am Hinterkopf getroffen, sackte der Mann in sich zusammen, als hätte ihn eine unsichtbare Faust gestoßen. Sein Partner reagierte erst mit einiger Verspätung, entdeckte seinen Begleiter schlaff und haltlos im Sessel, sprang hoch und… legte sich dann im Zeitlupentempo über seinen Kumpanen. Parkers zweite Ton-Erbse hatte eingeschlagen.
* Sie hießen Larry Caldon und Ben Simmons, waren die typischen Schläger und hatten Schlagringe und Stahlruten mitgebracht, die Parker ihnen inzwischen natürlich abgenommen hatte. Ihre Handgelenke wurden von sogenannten Einwegfesseln zusammengeschnürt, schmale Plastikstreifen von anderthalb Zentimeter Breite und etwa fünfzig Zentimeter Länge. Glasfaserverstärkt, waren diese praktischen Fesseln nur mit einem Seitenschneider zu durchtrennen. Parker benutzte die Plastikstreifen seit geraumer Zeit. Sie waren wesentlich leichter und unauffälliger zu handhaben als die üblichen Handschellen aus Spezialstahl. Die beiden Männer waren zu sich gekommen und starrten den Butler in einer Mischung aus Irritation und Gereiztheit an. Ihnen war zwar bewußt, daß man sie überwältigt und ausgeschaltet hatte, doch sie wollten und konnten es einfach nicht glauben, daß ein Mann wie Parker dies alles in Szene gesetzt haben sollte. Die Tante, die noch immer einen völlig verängstigten Eindruck machte, kochte den obligaten Tee und hielt sich in der kleinen Küche auf. Stuart Wadning war von Parker nach vorn ins Geschäft geschickt worden. »Nach Ihren Papieren sind Sie die Mitarbeiter eines Mister Dan Ladway«, sagte Parker und legte die beiden sichergestellten Brieftaschen auf den Couchtisch. »Besagter Mister Ladway ver-
treibt elektrische Kamineinsätze. Seine Firma ist im Stadtteil Clerkenwell beheimatet.« »Steht doch in unseren Ausweisen«, meinte Larry Caldon mokant. »Und das hier, Mann, wird dich noch was kosten, mein Wort darauf.« Während er redete, hob er die gefesselten Hände anklagend in die Höhe. »Unser Chef wird dir Beine machen«, fügte Ben Simmons hinzu. »So was wie du läuft nie lange gesund herum, wetten?« »Die Herren hatten den Auftrag, Mister Stuart Wadning abzufangen?« fragte Parker höflich wie stets. Drohungen überhörte er grundsätzlich. »Du glaubst doch nicht etwa, daß wir hier ‘ne Arie singen, oder?« fragte Caldon und lachte kurz und gespielt munter. »Keineswegs und mitnichten«, reagierte der Butler. »Nicht hier und auch nicht jetzt. Man wird Sie an einen geeigneten Ort verbringen, um Sie dort eingehend zu verhören.« »Sag’ mal, Mann, hast du noch alle Tassen im Schrank?« empörte sich Simmons und atmete tief durch. »Hast du überhaupt ‘ne Ahnung, wer wir sind?« »Sie verweigern entsprechende Aussagen«, erinnerte Parker. »Wir sind… wir haben… Mann, wir haben einflußreiche Freunde. Geht das überhaupt in deinen Kopf?« »Gehört dazu auch Ihr Arbeitgeber Ladway?« wollte der Butler wissen. »Und ob, Mann. Der hat einmalige Beziehungen. Knips die Streifen hier durch und setz’ dich ab, solange du’s noch kannst. Und sorg’ dafür, daß du uns nicht mehr über den Weg läufst.« »Man sollte vielleicht Ihren Mister Dan Ladway informieren und Sie abholen lassen«, schlug Josuah Parker vor. »Er könnte Sie bei dieser Gelegenheit vielleicht zur Ordnung rufen, denn Ihre Manieren sind beklagenswert.« »Da laß lieber die Finger davon«, schaltete Ben Simmons sich ein. »Willst du unbedingt auf Selbstmörder machen?« »Eine Benachrichtigung Mister Ladways dürfte Ihrem Image schaden, wie anzunehmen ist«, sagte Parker, der diesen Hinweis sofort gedeutet hatte. »Die Herren fürchten sicher gewisse Vorwürfe und beißenden Spott.«
»Wir…wir bringen dich um, wenn du uns nicht sofort losschneidest«, brüllte Simmons, und der Butler wußte, daß er den Finger auf eine offene Wunde gelegt hatte. »Man sollte Ihre Nerven vielleicht ruhig stellen«, gab er zurück. »Sie werden sich später mit letzter Sicherheit wo hier fühlen.« Parker hielt plötzlich einen kleinen Parfüm-Zerstäuber in der linken, schwarz behandschuhten Hand und bedachte die beiden Schläger mit einer kleinen Dosis eines Spezial-Sprays, den er sich von einem begabten Chemiker hatte zusammenstellen lassen. Die beiden Männer schnüffelten, waren beunruhigt, wußten nicht, was sie davon halten sollten, verdrehten plötzlich die Augen, lächelten selig wie satte Säuglinge und entspannten sich. Einige Augenblicke lachten sie spontan und amüsierten sich über Dinge, zu denen Parker keinen Zugang hatte.
* »Mit der Ankunft der beiden Dealer Harpers und Soldy dürfte bald zu rechnen sein«, sagte Parker zu dem Jüngling, der von dem Butler geradezu fasziniert war. Parker hatte die beiden immer noch lachenden Männer in den Keller des Hauses geschafft und sie gebeten, in einem fensterlosen Tankraum Platz zu nehmen. Sie waren seiner Bitte ausgesprochen heiter nachgekommen und störten vorerst nicht weiter. Stuart Wadning hatte seine immer noch konsternierte Tante über den Hintereingang aus dem Haus geschafft und zu einer Nachbarin gebracht. Dort sollte sie warten, bis sich die Lage im Haus geklärt hatte. »Sie sind also Drogenfahnder«, stellte Wadning fest. Er war sich seiner Sache nun völlig sicher. »Sie haben eine Menge verrückter Tricks auf Lager.« »Sie überschätzen meine bescheidene Wenigkeit«, wehrte Parker ab. »Man bedient sich der Dinge, die der Alltag anzubieten hat, Mister Wadning. Sie erzählten während der Herfahrt von Ihrem Leben an der erwähnten Handelsschule. Ihren Worten zufolge wird dort ausgiebig mit Drogen aller Art gehandelt.« »Mit Koks, Heroin, Crack und Hasch«, informierte Wadning. »Das alles können Sie in fast beliebiger Menge bekommen.«
»Die Personen namens Harpers und Soldy gehören zu diesen Dealern?« »Die sind schon ‘ne Nummer größer als die kleinen Händler«, erwiderte Wadning, »und diese beiden Leute sorgen für neue Kunden. Die können nämlich Gratisproben anbieten. Dabei hatte ich sie heute erwischt.« »Vielleicht könnten und sollten Sie sich dazu ein wenig näher äußern, Mister Wadning.« Parker stand an der Tür, die in das kleine Ladenlokal führte. Er hatte das Schild >Geschlossen< entfernt und wartete auf die Ankunft der Dealer, denen er den falschen Weg gewiesen hatte. Seiner Schätzung nach mußten sie bald eintreffen. Nach ihrem Elektroschock auf dem Parkplatz hatten sie sich mit einem ihm noch unbekannten Dan Ladway telefonisch in Verbindung gesetzt, der dann seinerseits die beiden Schläger Caldon und Simmons in den Papierladen geschickt hatte. Parker kannte sich in den Praktiken der Unterwelt gut aus und wußte, wie man dort reagierte. Daher auch seine schnelle Fahrt zu der Tante des jungen Besuchers der Handelsschule. Es galt, Schaden abzuwenden und Akzente zu setzen. »Die Sache mit dem Anschaffen von neuen Kräften ist schrecklich einfach«, meinte Stuart Wadning, der sich aus der kleinen Küche ein Glas Wasser besorgt hatte. »Die Kunden bekommen kostenlos ein paar Schüsse Heroin oder ein paar Koks-Briefchen. So wird’s auch mit dem Crack und mit dem Hasch gemacht. Man braucht das Mistzeug ja nur ein- oder zweimal zu probieren und ist dann bereits süchtig. Danach müssen die neuen Kunden zahlen, was das Zeug hält.« »Sie sind das, was man bemerkenswert nennen müßte, Mister Wadning«, schickte der Butler voraus. »Sie haben es gewagt, den Dealern Paroli zu bieten. Sie erlauben, daß man Ihnen Achtung zollt?!« »Wenn Sie glauben, ich wär’n Held, dann sind Sie aber mächtig auf dem Holzweg«, wehrte der junge Mann ab und wurde sichtlich verlegen. »Ich hatte mir das mit Harpers und Soldy eigentlich überhaupt nicht überlegt, ich hab’ einfach zugelangt, als die sich an ‘ne Freundin von mir ranmachten.« »Sie gaben sich demnach einer gewissen Spontanität hin, Mister Wadning?« vergewisserte sich der Butler.
»Ich war einfach sauer, ich hab’ rot gesehen«, beschrieb der Halbwüchsige seine Handlungsweise. »Und jetzt hab’ ich natürlich Angst. In der Handelsschule kann ich mich vorerst nicht mehr blicken lassen, das ist klar. Wenn die mich erwischen, machen sie mich restlos fertig.« »Sie kennen die Privatadressen der beiden Dealer Harpers und Soldy?« »Natürlich, die wohnen in ‘nem Apartment-Hotel in Bloomsbury, wo ja auch die Handelsschule ist. Ich glaube, die sind auf diese Schule angesetzt worden, die lungern da immer rum, ich kenn’ sie schon seit gut einem Jahr.« »Meine Wenigkeit geht davon aus, daß auch Sie mal Drogenabnehmer waren, Mister Wadning«, sagte Parker ihm auf den Kopf zu. »Hasch«, kam die ein wenig zögernde Bestätigung. »Aber ich hab’ nicht lange mitgemacht, ich bin rechtzeitig ausgestiegen. Seitdem wollen die mir ein Bein stellen.« »Sie sprechen jetzt von den Personen Harpers und Soldy, Mister Wadning?« »Genau«, bestätigte Wadning. »Die wissen natürlich, daß ich in der Handelsschule einen Arbeitskreis gegen Drogen aufgezogen habe. Den wollen die mir natürlich kaputtmachen, ich störe deren Geschäfte.« »Ist der Schulverwaltung bekannt, daß mit Drogen gehandelt wird?« lautete die nächste Frage des Butlers. »Wahrscheinlich, aber die rührt sich nicht. Vermutlich haben die von der Verwaltung Angst und wollen sich mit den Gangstern nicht anlegen. Denke ich mir wenigstens so.« »Die Handelsschule wird von welchen Personen besucht?« »Wir sind durchweg Umsteiger«, bekam der Butler zu hören. »Wir haben die reguläre Schule natürlich längst hinter uns und machen jetzt weiter. Wir sind im Schnitt so zwischen achtzehn und zwanzig Jahre alt.« »Eine geradezu ideale Kündschaft für Drogen-Gangster«, entgegnete Parker. »Man wird sich klärend einzuschalten wissen, Mister Wadning.« »Warum tun Sie das?« wollte der Halbwüchsige wissen. »Sie persönlich haben doch überhaupt nichts damit zu tun, Sie bekommen höchstens Ärger.«
»Drogen-Kriminalität sollte man energisch bekämpfen, wo immer sie aufzutreten pflegt«, äußerte Josuah Parker belehrend. »Wie dies zu geschehen hat, werden Sie gleich noch mal aus nächster Nähe erleben, Mister Wadning. Die Dealer Ray Harpers und Pete Soldy haben gerade das Ladenlokal erreicht.« »Und die beiden anderen Gangster?« fragte der Halbwüchsige nervös. »Ich meine die vom Parkplatz, Mister Parker.« »Sie dürften den Zugang zum Geschäft sichern«, wußte der Butler im voraus. »Sie werden Kunden daran hindern, das Ladenlokal zu betreten. Wenn Sie sich jetzt sicherheitshalber in die Küche zurück bemühen würden, Mister Wadning? Es könnte durchaus ein wenig turbulent werden.« Der junge Mann blickte ungläubig auf den Butler, der ein Bild gelassener Ruhe bot. Er schien Gäste zu erwarten, aber keine Gangster. Die massive, Bleifüllung im Bambusgriff des UniversalRegenschirms wirkte nachhaltig. Butler Parker hatte mit den beiden Dealern wirklich kurzen Prozeß gemacht und sie beim Betreten des hinteren Raumes kommentarlos niedergeschlagen. Die Kerle lagen jetzt auf dem einfachen Teppich und bekamen nicht mit, wie ihre Handgelenke verschnürt wurden. Parker hatte die Einwegfesseln aus der Wölbung seiner schwarzen Melone hervorgeholt. Sie diente als eine Art Magazin für die Plastikstreifen, die erfreulicherweise recht leicht waren und das Tragen des Bowlers nicht erschwerten. »Die beiden Kerle mit den Bomberjacken sitzen drüben auf der anderen Straßenseite in einem Ford«, meldete Stuart Wadning, der verstohlen von einem Nebenfenster aus die Straße beobachtet hatte. »Ob die gleich kommen werden?« Der junge Handelsschüler drehte fast durch vor Begeisterung und Betriebsamkeit. Er blickte immer wieder auf die am Boden liegenden Dealer, schüttelte den Kopf und wollte es einfach nicht glauben, daß sie außer Gefecht gesetzt worden waren. Parker trat an das kleine Seitenfenster und beobachtete den beschriebenen Ford auf der anderen Straßenseite. Auf den Vordersitzen saßen die Träger der Bomberjacken und rauchten. Noch hatten sie keinen Verdacht geschöpft. Sie gingen wohl davon aus, daß die beiden Dealer inzwischen längst für klare Verhältnisse gesorgt hatten.
Parker war nicht daran interessiert, die Männer auch noch ins Haus zu holen. Er lud seine Gabelschleuder mit seltsam anzuschauender Munition. Es handelte sich um eine Art Bohne aus Plastik, die perforiert war. In diesem Geschoß war eine kleine Glas-Ampulle zu sehen, die mit einer wasserklaren Flüssigkeit gefüllt war. Parker strammte die beiden Gummistränge, um dem Geschoß die erforderliche Energie zu geben und zerdrückte im richtigen Augenblick die Ampulle mit der Lederschlaufe, die von seinem Daumen und dem Zeigefinger gehalten wurde. Anschließend gab er die >Bohne< frei, die durch den unteren Fensterspalt quer über die Straße jagte und zielgenau im Inneren des Ford landete. Das Resultat war effektvoll. Schlagartig füllte sich der Wagen mit einer milchigen Wolke, die zu fast schon kompaktem Nebel wurde. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis die beiden Insassen des Ford ins Freie hüpften und dabei husteten, was das Zeug hielt. Sie krümmten sich, wischten sich die Tränen aus den Augen, röhrten wie grippekranke Seehunde und schlugen um sich. Anschließend trabten sie hustend die Straße hinunter, verfolgt von den Blicken einiger Passanten, die den rauchenden Ford neugierig musterten, sich aber nicht an ihn herantrauten. »Also Mister Parker, das mit der Schleuder ist Spitze«, sagte Wadning, »ich hatte früher mal eine… Und damit war ich bestimmt ganz gut… Aber so wie Sie, nee, so hab’ ich noch nie geschossen… Was war eigentlich in dieser… >Bohne« »Eine chemische Flüssigkeit, die die Neigung hat, spontan mit dem Sauerstoff in der Luft zu reagieren«, erläuterte der Butler fachgerecht. »Darüber hinaus reizt sie ein wenig die Bronchien und regt zum Tränenfluß an.« »Die kommen noch mal zurück, Mister Parker?« wollte der sehr junge Mann wissen. Er stand wieder am schmalen Seitenfenster und beobachtete die Straße. Am noch aus allen Öffnungen rauchenden Ford hatten sich zwei Polizisten eingefunden, die aus einem Streifenwagen gekommen waren. Sehr vorsichtig und zögernd näherten sie sich dem Unbekannten. »Die beiden Träger der Bomberjacken, Mister Wadning, werden mit letzter Sicherheit wenigstens für eine halbe Stunde mit sich und ihrem Husten beschäftigt sein«, wußte der Butler aus Erfah-
rung. »Danach brauchen die Betroffenen noch einige Zeit, um sich zu erholen. Sie und Ihre Tante haben also nichts zu befürchten, falls Sie sich entschließen könnten, das zu räumen, was man gemeinhin das Feld zu nennen pflegt.« »Wie…wie meinen Sie das, Mister Parker?« Er hatte nicht ganz verstanden. »Sie sollten sich einen neuen Aufenthaltsort suchen, der den Dealern unbekannt ist«, übersetzte sich der Butler. »Für einige Tage wäre es ratsam, diese Region zu meiden. Die Drogen-Gangster dürften ein wenig verärgert sein.«
* »Übertriebene Vorsicht, Mister Parker«, mäkelte Lady Agatha an dem Bericht herum. »Sie hatten es mit zwei völlig unwichtigen Subjekten zu tun, die sich vielleicht ein wenig groß aufgespielt haben.« »Auch solch eine Deutung sollte man durchaus in Betracht ziehen, Mylady«, gab der Butler höflich wie stets zurück. Sein glattes Pokergesicht zeigte keine Regung. »Auf der anderen Seite übersehen Mylady natürlich nicht, daß diese an sich völlig bedeutungslosen Kleinstdealer einen Aufwand betreiben, den man nur als erheblich bezeichnen kann und muß.« »Und welchen Schluß habe ich daraus gezogen, Mister Parker?« wollte sie von ihrem Butler wissen. »Mylady können sich durchaus vorstellen, daß sich hier ein neuer und mit Sicherheit sehr interessanter Kriminalfall abzeichnet.« »Das ist es, was ich tatsächlich sagen wollte.« Sie nickte grimmig. »Ich werde diesen Subjekten das Handwerk legen, Mister Parker, mögen sie auch noch so unwichtig sein. Es geht schließlich um Drogen. Da darf man keinen Kompromiß dulden.« »Mylady lassen es an einer erfreulichen Deutlichkeit wieder mal nicht fehlen«, stellte Parker in gewohnt höflicher Weise fest. »Die betreffenden Kriminellen befinden sich, was noch zu vermelden wäre, in der Obhut des Mister Horace Pickett.« »Der gute Pickett«, seufzte sie erwartungsgemäß und lächelte wohlwollend. »Man sollte und wird ihn irgendwann wieder mal zum Tee einladen, Mister Parker. Erinnern Sie mich daran.«
»Wie Mylady zu wünschen geruhen.« Parker deutete eine Verbeugung an. »Was nun Mister Stuart Wadning betrifft, so sollte man ihm auch weiterhin eine gewisse Aufmerksamkeit schenken.« »Ich traue ihm natürlich nicht über den Weg, wie?« Die ältere Dame blickte ihren Butler erwartungsvoll an. »Mylady hegen eine gewisse Skepsis gegen seine Person«, redete der Butler weiter. »Es besteht durchaus die Möglichkeit, daß Mister Wadning seinerseits ein Dealer ist, der sich mit Konkurrenten um einen regionalen Markt streitet.« »Auch daran dachte ich sofort, Mister Parker«, gab die passionierte Detektivin zurück. »Reichen Sie mir doch noch etwas Tee und dann die Gebäckschale. Ich muß meine aufgebrachten Magennerven beruhigen.« Josuah Parker befand sich mit Lady Simpson im kleinen Salon neben der großen Wohnhalle. Die ältere Dame hatte mit Sicherheit das sechzigste Lebensjahr überschritten, war groß, sehr stattlich und erinnerte in ihren Körpermaßen an eine Walküre historischen Stils. Sie verfügte über große Gesten, eine gewaltige, dunkel gefärbte Stimme und über ein unerschütterliches Selbstvertrauen. Sie trat in jedes erreichbare Fettnäpfchen, zeichnete sich durch Ungeniertheit aus und ging keiner Auseinandersetzung aus dem Weg. Lady Agatha, mit dem Blut- und Geldadel der Insel eng verschwistert und verschwägert, war immens vermögend. Ihre Beteiligungen waren Legion. Sie konnte sich jede Extravaganz leisten. Und dazu gehörte auch ihre Leidenschaft, sich als Kriminalistin zu betätigen. Daß der Butler stets seine schützende Hand über sie hielt, nahm sie nicht zur Kenntnis. Sie hielt sich für schußfest und verblüffte mit ihrer Selbstverständlichkeit und Selbstüberschätzung immer wieder auch ausgebuffte Gangster, die dies für abgefeimte Tricks hielten. Agatha Simpson bewohnte im Stadtteil Shepherd’s Market ein zweistöckiges Fachwerkhaus, das auf den labyrinthartigen Gewölben einer mittelalterlichen Abtei errichtet worden war. Das ansehnliche Haus am Ende eines recht ausgedehnten Vorplatzes wurde flankiert von zwei Häuserreihen, die ebenfalls in Fachwerk errichtet worden waren. Diese allerdings wesentlich kleineren
Bauten waren unbewohnt und gehörten zum Ensemble des Komplexes. Parker hatte alles zu einer raffinierten Festung ausbauen lassen, was man den Häusern allerdings nicht ansah. In der Vergangenheit hatten immer wieder Gangster versucht, in das Haus einzudringen, aber alle waren gescheitert und hatten sich dem Butler fast wehrlos in die Hände gespielt. Diese Oase der Ruhe und erstaunlichen Stille inmitten von London befand sich in einer Region zwischen Hyde Park und Green Park. Nur Eingeweihte fanden hierher, obwohl’ es ganz in der Nähe eine vielbefahrene Durchgangsstraße gab. Nachdem Lady Agatha ihren Kreislauf mit einem Cognac reguliert hatte, erhob sie sich von ihrem Sitz und machte einen ausgesprochen animierten Eindruck. Sie reckte und dehnte ihre majestätische Fülle. »Mister Parker«, kündigte sie dann an, »ich denke, ich werde die Dinge nun energisch angehen. Lassen Sie sich dazu etwas einfallen. Sie haben völlig freie Hand.« »Wie Mylady zu wünschen geruhen«, gab der Butler zurück, der durchaus wußte, wie man weiter vorzugehen hatte.
* Lonny Charter, etwa vierzig Jahre alt, groß und breitschultrig, saß in seinem Büro und sah fern. Er hatte es sich in einem dreh- und kippbaren Ledersessel bequem gemacht und verfolgte auf dem Bildschirm seines TV-Gerätes die Aufzeichnung eines Fußballspiels. Er blickte irgendwie entgeistert hoch, als Parker mit Lady Agatha das Büro betrat und grüßend die schwarze Melone lüftete. »Man wünscht vorerst noch einen erholsamen späten Nachmittag«, grüßte der Butler. »Sie haben die Ehre, Lady Simpson dienen zu können.« »Was… was hab’ ich?« Charter stand langsam auf und wurde zu einem sprungbereiten Tiger, was seine geschmeidigen und kraftvollen Bewegungen betraf. »Sie handeln mit Drogen?« fragte Lady Agatha in ihrer unverwechselbaren Direktheit. »Bin ich verrückt? Seid ihr’s?« Lonny Charter sprach sehr leise und blickte über Parkers rechte Schulter hinweg zur Tür.
»Rechnen Sie auf keinen Fall mit dem plötzlichen Auftauchen Ihres Mitarbeiters im Vorraum, Mister Charter«, sagte Parker in seiner höflichen Art. »Meine Wenigkeit war so frei, ihm etwa zwanzig Minuten tiefer Entspannung zu verschaffen.« »Ihr habt sie doch nicht mehr alle!« Lonny Charter schüttelte den Kopf. Er glaubte nicht, was er sah. Da standen zwei Personen ihm gegenüber, die aus seiner Sicht längst in ein Altersheim gehörten. Und die wollten seinen Mitarbeiter im Vorzimmer ausgeschaltet haben? Das war so gut wie unmöglich. Der fragliche Mitarbeiter war schließlich ein hochqualifizierter Leibwächter, dem es auf ein Menschenleben nicht ankam. »Sie beschäftigen nach Myladys Erkenntnissen die Herren Ray Harpers und Pete Soldy«, schickte der Butler voraus. »Diese Mitarbeiter Ihrer Reinigungsfirma, Mister Charter, betätigen sich als Drogenhändler und dürften sich auf eine Handelsschule hier in Bloomsbury spezialisiert haben.« Lonny Charter warf sich aus dem Stand auf den Butler und hatte die eindeutige Absicht, ihn an die nahe Zimmerwand zu drücken, um ihn dort mit einem im Ansatz bereits erkennbaren Aufwärtshaken außer Gefecht zu setzen. Es kam jedoch erheblich anders. Leichtsinnigerweise hatte der breitschultrige Charter weiter nicht auf Lady Agatha geachtet, ja sie geradezu ignoriert. Und dies stellte sich als Fehler heraus. Sie setzte nämlich ihren perlenbestickten Pompadour ein, der an langen Schnüren an ihrem linken Handgelenk hing. In dem so neckisch und harmlos aussehenden Handbeutel befand sich der sogenannte Glücksbringer der älteren Dame. Dabei handelte es sich um das mächtige Hufeisen eines stämmigen Brauereipferdes. Der eingesetzte Glücksbringer tat seine Wirkung. Er landete krachend auf dem Brustbein des Vorstürmenden, brachte dessen Rippen in Vibration und warf den Mann zurück und aus dem Kurs. Lonny Charter taumelte gegen einen Besuchersessel, verlor das Gleichgewicht, produzierte ein Stöhnen und legte sich über eine Sessellehne. Dann rutschte er mit dem Oberkörper ab und breitete sich auf der Auslegeware des Büros aus.
»Sie sollten tunlichst nicht nach möglicherweise vorhandenen Waffen greifen«, warnte Parker höflich. »Die Gefahr eines Mißverständnisses wäre wohl doch zu groß.« Lonny Charter pfiff im übertragenen Sinn des Wortes auf diese Empfehlung und langte nach einem zweifelsfrei umgeschnallten Schulterhalfter.
* Er stoppte jene typische Bewegung, die ankündigt, daß man eine Waffe ziehen will. Zuerst blickte der Breitschultrige verblüfft auf Parkers schwarze Melone. Der leicht eingerollte Rand hatte sein Handgelenk getroffen und dort eine Lähmung verursacht. Nachdem Charter Blickkontakt mit der Hand aufgenommen hatte, stöhnte er mit einiger Verspätung erneut und ließ die Hand in seinen Schoß fallen. Parker nahm seine Kopfbedeckung wieder an sich, entfernte einige unsichtbare Stäubchen von der Rundung und wandte sich an Charter. »Mit Sicherheit wohl nur eine kleine Prellung, die Sie kühlen sollten, Mister Charter, sobald’ Sie dazu in der Lage sind«, riet er dem Arbeitgeber der beiden Dealer Harpers und Soldy. »Mit Ihrer Erlaubnis…?!« Bevor Charter diese Erlaubnis erteilen konnte, hatte der Butler bereits die Waffe aus dem Futteral der Schulterhalfter an sich genommen. Er ließ sie der rechten Tasche seines schwarzen Covercoats verschwinden. »Dafür…« Charter holte tief Luft. Seine gepreßte Stimme leitete den Schmerz weiter, den er empfand, »dafür, Mann, dafür…« »Sie sollten bei Gelegenheit Ihren Satz vollenden«, schlug Josuah Parker vor, »und Sie sollten zu jener Frage Stellung nehmen, die Mylady an Sie zu richten geruhte.« »Drogen?« kam jetzt gedehnt die Antwort, nachdem der Breitschultrige sich wieder korrekt aufgerichtet hatte. »Wer behauptet, ich würde mit Drogen handeln?« »Ich, junger Mann«, ließ die ältere Dame sich grollend vernehmen. »Die Lümmel, von denen Mister Parker bereits sprach, haben das bereits gestanden.«
»Harpers und Solciy?« Der Betreiber der Reinigungsfirma schüttelte den Kopf. »Kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Und wenn die’s wirklich getan haben, dann werde ich sie feuern, darauf können Sie sich verlassen.« »Sie sollen hier Drogen aufbewahren«, sagte Lady Agatha. »In einer Art Versteck, von dem die erwähnten Herren recht ausführlich berichteten«, fügte Parker hinzu. Er beobachtete den Breitschultrigen und nahm den schnellen Blick des Mannes wahr, der unwillkürlich zu einer kleinen Wandnische blickte, in der ein Waschbecken mit Spiegel angebracht war. »Sie bluffen doch nur«, verwahrte sich Lonny Charter. »Sie wollen mich aufs Glatteis führen, aber darauf falle ich nicht herein.« »Sie erlauben selbstverständlich, Mister Charter, daß, man sich mit der kleinen Wandnische befaßt?« »Einen Dreck werde ich erlauben!« Er verriet sich endgültig, schob sich vor die Nische und baute sich dort breitbeinig auf. »Wenn Sie wild darauf sind. Mann, dann können Sie Ihren Ärger haben. Noch mal tricksen Sie mich nicht aus!« Während er redete, langte er nach einem Stuhl und hob ihn mühelos an. Er machte sich bereit, ihn als Kampfmittel einzusetzen. »Sie dürften einen Blick hinter den Spiegel außerordentlich fürchten«, mutmaßte der Butler, der längst wußte, daß er auf dem richtigen Weg war. »Haut jetzt ab, Leute, solange noch kein Blut geflossen ist«, forderte er die beiden Besucher auf und ignorierte die Automatic, die Parker ihm abgenommen hatte. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, daß ein Amateur, der Parker in seinen Augen war, schießen würde. Ja, er rechnete sich erneut eine Chance aus, diese beiden Personen nachdrücklich abservieren zu können. Er rückte langsam vor und lächelte wölfisch. Er war durchaus bereit, Blut zu vergießen, um sich für seine anfängliche Niederlage zu rächen. Dann aber verfärbte er sich und ließ das Sitzmöbel kraftlos aus den Händen fallen. Er stierte aus weit geöffneten Augen auf einen stricknadelgroßen Pfeil, der im Muskelgewebe seines rechten Oberarmes steckte und leicht vibrierte. Mit einer solchen Antwort hatte Lonny Charter nicht gerechnet. Er dachte selbstverständlich sofort an Pfeilgift.
* Dieser Pfeil, der an eine Stricknadel erinnerte, die man mit kleinen und bunten Federn zur Flugstabilisierurig versehen hatte, stammte aus dem hohlen Schirm, der als eine Art Blasrohr diente. Angetrieben worden war der Pfeil von komprimierter Kohlensäure, die aus einer entsprechenden Stahlpatrone stammte, die im unteren Teil des Griffs oder in den Schirmfalten untergebracht war. Die Pfeilspitze war selbstverständlich nicht vergiftet, aber chemisch präpariert. Lonny Charter merkte bereits einen ersten Juckreiz, der sich innerhalb weniger Sekunden stürmisch entwickelte und über den ganzen Körper ausbreitete. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis er geradezu hemmungslos wurde und die Anwesenheit einer Dame vergaß. Er scheuerte sich den Rücken an der Wand, grunzte dabei wohlig, kratzte sich am Hals, dann auf der Brust, fetzte sich das Hemd auf, bearbeitete die Oberschenkel und rutschte anschließend mit dem Gesäß hopsend über den Boden. Parker hatte den Pfeil längst wieder an sich genommen und in den Falten seines Schirmes geborgen. Sein >Blasrohr< in der Form des Schirmes war bereits neu geladen. Ersatzpfeile verbargen sich neben den Schirmstangen und fielen so gut wie gar nicht auf. Lady Agatha blickte boshaft auf den Entfesselten. Der Butler hatte die Waschnische betreten und schaute sich den Spiegel ein wenig genauer an. Er entdeckte feine Kratzspuren am rechten und unteren Rand. So ging er davon aus, daß man diesen völlig normal aussehenden Spiegel über die obere linke Befestigung wegschwenken konnte. Nach wenigen Augenblicken hatte er den Auslöse-Mechanismus bereits gefunden. Er brauchte nur den gewissen Drehknopf einzudrücken. Danach fiel der Spiegel bereits leicht nach unten und ließ sich drehen. Der untere linke Zierknopf war nichts anderes als eine Attrappe. »Ich ahnte ja gleich, daß der Spiegel nur zur Tarnung diente«, erklärte Lady Simpson. Parker deutete auf einen mittelgroßen Wandtresor und begab sich dann hinüber zu Charter, der gerade auf dem Rücken lag und ihn schnaufend scheuerte.
Der Tresorschlüssel hing an einem feinen Kettchen um den Hals des Mannes. Charter leistete keinen Widerstand, als der Butler den flachen Schlüssel an sich nahm und damit den Tresor öffnete. »Drogen, Mister Parker«, sagte Lady Agatha, als der Butler ihr einige kleine Plastikpäckchen zeigte. »Es dürfte sich um Heroin oder Kokain handeln, Mylady«, deutete Parker den Fund. »Nach Schätzung meine Wenigkeit haben Mylady es fast mit einem Kilogramm Drogen zu tun.« »Drogen, die ich sofort sicherstellen werde«, sagte sie und blickte dann neugierig in den Tresor. »Und was ist das dort, Mister Parker? Drogengeld, wie ich unterstelle!« »Etwa zwanzigtausend Pfund, Mylady, oberflächlich geschätzt«, erwiderte der Butler. »Beschlagnahmt«, war ihre Antwort. »Ich werde das Geld einem sinnvollen Zweck zuführen, Mister Parker. Erinnern Sie mich bei Gelegenheit daran.« »Mylady können sich darauf verlassen«, versicherte der Butler und schaute sich im Büro des Reinigers nach einer entsprechenden Transportmöglichkeit um. Er entschied sich für einen Aktenkoffer, der auf einem Beistelltisch an der Wand lag. Nachdem er ihn geöffnet hatte, stieß Lonny Charter einen Heulton aus und wollte aufstehen. Doch der Juckreiz war einfach zu groß. Der Mann grunzte wieder und scheuerte seinen Rücken erneut an der Wand, von der sich bereits Tapetenfetzen gelöst hatten. Nach einem schnellen Blick in den Aktenkoffer wußte der Butler, warum Charter diesen Laut ausgestoßen hatte. In dem recht teuer anmutenden Lederkoffer befand sich noch mal Bargeld in Form von Pfundnoten, die säuberlich gebündelt waren. »Ein Anblick, Mister Parker, der mir immer wieder sehr sympathisch ist«, bekannte die ältere Dame, deren schottische Sparsamkeit immer wieder durchbrach. »Auch dieses Schmutzgeld werde ich sicherstellen. Wieviel könnte es wohl sein?« »Mylady können davon ausgehen, daß es sich um zusätzliche zehntausend Pfund handeln dürfte.« Parker füllte den Aktenkoffer mit dem Geld aus dem Wandtresor, packte die insgesamt vier Plastiksäckchen dazu und war bereit, die Reinigungsfirma zu verlassen. Mit dieser privaten Beschlagnahme hatte er jetzt Dinge auf den Weg gebracht, die lebensgefährlich waren. Es war fest damit zu
rechnen, daß die Drogen-Gangster alles tun würden, um sich wieder in den Besitz der Drogen und des Bargeldes zu bringen. Ab sofort lebte das skurrile Paar besonders gefährlich.
* »Hatte ich es nicht schon mal mit einem Subjekt zu tun, das Kamineinsätze verkaufte?« wollte die ältere Dame wissen. Sie saß im Fond des hochbeinigen Monstrums und machte einen höchst zufriedenen Eindruck. Neben ihr auf dem Sitz lag der Aktenkoffer, auf den sie ihre linke Hand besitzergreifend gelegt hatte. »Kriminelle pflegen sich stets nach bürgerlichen Tarnungen umzusehen«, schickte Josuah Parker voraus. »Mylady konnten in der Tat bereits einmal einen Gangster überführen, der sich als Verkäufer solcher Einsätze getarnt hatte.« »Reine Zeitvergeudung, eine Lady Simpson täuschen zu wollen«, lobte sich die ältere Dame. »Ich bin jetzt auf dem Weg wohin?« »Mylady haben die Absicht, den erwähnten Verkäufer von Kamineinsätzen zu besuchen.« »Ich weiß, ich weiß«, reagierte sie leicht gereizt. »Das ist doch dieser Lümmel…?« »Für den die Herren Larry Caldon und Ben Simmons tätig waren«, erinnerte der Butler in seiner diskreten Art. »Mylady stellten die beiden Herren im Papierwarenladen der Mistreß Ellen Fandler.« »Richtig, so heißt sie«, lautete die Antwort. »Sie ist die…« »…Tante des Mister Stuart Wadning«, lieferte der Butler das nächste Stichwort. »Beide Personen folgten dem Rat meiner Wenigkeit und verließen das Haus, in dem sich das kleine Papierwarengeschäft befindet.« »Sie sind sicher untergebracht, Mister Parker? Ich hoffe, Sie haben da keinen Fehler begangen.« »Mistreß Fandler und Mister Stuart Wadning wurden von meiner Wenigkeit in ein kleines Hotel verbracht, das im Stadtteil Bayswater liegt.« »Und wenn sie dieses Hotel inzwischen längst verlassen haben, Mister Parker? Daran haben Sie doch hoffentlich gedacht, oder?« »Mistreß Ellen Fandler und Mister Stuart Wadning werden in einem solchen Fall diskret beschattet, Mylady«, gab der Butler zurück. »Der Betreiber des kleinen Hotels bürgt dafür. Er gehörte
früher mal der Polizei an und würde die beiden Personen diskret beschatten lassen.« »Wie gut, daß ich an alles denke, Mister Parker«, seufzte Agatha Simpson erleichtert. »Nun denn, ich denke, ich habe wieder mal alles fest im Griff.« »Besser können Mylady es gar nicht ausdrücken«, erwiderte Josuah Parker. Sein Gesicht blieb glatt und ausdruckslos. »In diesem Zusammenhang sollte man vielleicht darauf verweisen, daß das Ladenlokal und die Wohnung der Mistreß Ellen Fandler ebenfalls diskret observiert werden.« »Aha.« Sie räusperte sich explosiv. »Ich hoffe doch sehr, daß dies seine Gründe hat, Mister Parker?« »Mistreß Ellen Fandler und Mister Stuart Wadning könnten vielleicht heimlich in das besagte Haus zurückkehren wollen, Mylady. Für diesen Zweck sollte man gerüstet sein.« »Nun denn, Mister Parker.« Sie nickte und lächelte wohlwollend. »Jetzt übertreiben Sie Ihren Eifer zwar, aber immerhin besser als überhaupt nichts. Ich werde jetzt ein wenig über meinen neuen Fall nachdenken.« Parker schaltete die Sprechanlage ab und blickte kurz in den Rückspiegel. Mylady hatte bereits die Augen geschlossen und meditierte, wie sie es ausdrückte. Wie gründlich dies geschah, zeigte ihr Kopf an. Er hatte sich in die Polsterecke des Wagens zurückgeschoben. Das skurrile Hutgebilde der Lady Simpson, einer Kreuzung zwischen einem Südwester und einem Napfkuchen verblüffend ähnlich, war verrutscht und in die Stirn gedrückt. Mylady schlief zweifelsfrei, doch Parker hütete sich, seine Herrin, zu wecken. Sie schöpfte neue Kraft, um in der nächsten Stunde wieder voll einsteigen zu können. Und Parker fühlte, daß man mit einigen Aufregungen fest zu rechnen hatte. Ein gewisser Dan Ladway vermißte wohl längst seine Mitarbeiter Caldon und Simmons. Zwei Träger von Bomberjacken mußten ihn entsprechend informiert haben.
*
Daß dieses Geschäft nur der Tarnung diente, war bereits auf den ersten Blick zu sehen. Es gab zwei Schaufenster, in denen nichts als vergilbte Prospekte und Schautafeln standen. Im Ladenlokal selbst brannte Licht, wie auszumachen war. Auf dem Parkplatz vor den beiden Auslagen standen zwei teure Importwagen einer westdeutschen und italienischen Nobelmarke. Parker, der ausgestiegen war, klopfte mit dem Bambusgriff seines Schirmes gegen die Glasfüllung der Eingangstür und besorgte das sehr energisch. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis ein untersetzter, bullig aussehender Mann hinter der Tür erschien. »Ihr Wagen«, sagte Parker und deutete mit der Schirmspitze in die Dunkelheit, die sich auf den Straßen ausgebreitet hatte. »Mein Wagen?« fragte der Bullige. »Ein Mercedes, wie erkennbar«, meinte der Butler und setzte darauf, daß man sich Sorgen wegen des Blechs machte. Seine Rechnung ging prompt auf. »Moment mal«, hörte er. Dann entfernte der Bullige zwei Türriegel und schloß auf. Er stürzte förmlich nach vorn und schien Parkers Anwesenheit vergessen zu haben. Der Butler drückte mit der Schirmspitze die Tür auf und betrat das Ladenlokal. Inzwischen segelte der Bullige durch die Luft. Er war über ein stämmiges Bein gestolpert, das einer gewissen Lady Simpson gehörte. Der Bullige, der offensichtlich ein Leibwächter war, klatschte mit dem Bauch auf die Gehwegplatten und hörte hinter sich eine grollende, empörte Stimme, die ihm galt. »Können Sie denn nicht aufpassen, Sie Flegel?« fuhr Agatha Simpson den Mann an, der nach der verunglückten Landung wieder auf den Beinen stand und Lady Agatha mißtrauisch musterte. Er wußte, daß man ihm ein Bein gestellt hatte. Er konnte sich aber nicht vorstellen, daß diese alte Frau es getan haben sollte. War doch nur ein dummer Zufall im Spiel? Lady Simpson kam auf den Bulligen zu, der unwillkürlich und respektvoll zugleich zurückwich und dabei nach den beiden Nobelwagen schielte. Er ging davon aus, daß man zumindest einen dieser Wagen beschädigt hatte. Warum sonst wohl hatte man ihn alarmiert? Die beiden Wagen waren dagegen völlig in Ordnung. Der Bullige hatte sie von allen Seiten abgeschritten, hatte keinen einzigen Kratzer entdeckt und ging dann zögernd zum Laden zu-
rück. Von der majestätisch und füllig aussehenden Frau war nichts mehr zu sehen. Sie schien weitergegangen zu sein. Er schob sich nach einem letzten prüfenden Blick wieder rückwärts in das Ladenlokal und… blieb dann wie erstarrt stehen. Ein harter Gegenstand, der ihn an den Lauf einer Waffe erinnerte, drückte sich gegen seine rechte Rückenpartie. »Es steht Ihnen selbstverständlich völlig frei, eine irreversible Reaktion zu provozieren«, hörte er dann eine höfliche Stimme. »Eine was?« fragte der Bullige mit bereits belegter Stimme. »Sie können möglicherweise mit einem Schuß rechnen, falls Sie zu unvermittelt reagieren«, formulierte Parker um. Er stand hinter dem Bulligen und drückte ihm den linken, schwarz behandschuhten Finger gegen die Rippen. »Machen… machen Sie keinen Unsinn, Mann«, bat der Bullige mit versagender Stimme. »Ich rühre mich nicht!« »Dies wird Ihrer Gesundheit sehr zuträglich sein«, prophezeite der Butler. »Schieben Sie Arme und Hände vorsichtig nach hinten.« Der Leibwächter kam der Aufforderung gehorsam nach. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis sich die Schlinge eines Plastikbandes um die Handgelenke schloß. Dann folgte ein kurzer Ruck, und schon waren die Hände und ihre Gelenke fixiert. Parker ging um den Mann herum und musterte ihn. Der Bullige atmete tief durch, zeigte Wut und Aggression und kam sich übertölpelt vor. Dieser Seltsame da vor ihm, dessen Alter nicht abzuschätzen war und der nur aus Würde zu bestehen schien, der sollte ihn außer Gefecht gesetzt haben? Der Bullige warf sich zurück und wollte den Butler mit dem linken, hochgerissenen Fuß am Kopf treffen. Der Mann landete aber krachend auf dem Rücken, ohne etwas erreicht zu haben. Josuah Parker kam man mit solch einem altbekannten Trick ganz sicher nicht bei.
* »Verdammt, Sol, was ist denn?« fragte eine ungeduldige und gereizte Stimme, die aus einem hinteren Zimmer nach vorn ins Ladenlokal drang. In diesem Raum schien der Besitzer der Stimme den Fall des Bulligen mitbekommen zu haben.
»Darf meine Wenigkeit sich erkühnen, Ihnen Auskunft zu geben, Mister Ladway?« fragte der Butler und erschien in der jetzt weit geöffneten Tür. Der Butler blickte auf den Betreiber der Firma, der knapp vierzig sein mochte, groß und schlank war und sich modisch kleidete. Dan Ladway beschäftigte sich keineswegs mit geschäftlichen Dingen, sondern sah fern. Er hatte die Füße auf einen Hocker gelegt und verfolgte auf dem Bildschirm die Schießkünste eines Privatdetektivs. Dieser Detektiv gehörte zu einer bekannten FernsehSerie, die in Los Angeles spielte. »Verdammt, wer sind Sie?« fragte Ladway verblüfft und blieb erst mal entspannt und gelassen liegen. Mit dem Rücken hatte er sich gegen die Lehne einer Ledercouch gestemmt. Ladway rechnete eindeutig mit dem baldigen Auftauchen seines Leibwächters Sol. »Mein Name ist Parker, Josuah Parker«, stellte der Butler sich in bekannt höflicher Form vor. »Sie haben das Privileg, Lady Simpson Rede und Antwort stehen zu dürfen.« »Sind Sie krank?« fragte Ladway und lachte. »Wissen Sie überhaupt, wo Sie hier sind?« »Bei Mister Dan Ladway, wie im Vorraum versichert wurde«, gab Josuah Parker zurück. »Falls Sie übrigens auf Ihren Mitarbeiter namens Sol warten, so müssen Sie sich gedulden. Er ist vorerst nicht abrufbar und einsatzbereit.« »Wer sind Sie?« Er richtete sich ruckartig auf und nahm die Beine vom Hocker. »Butler Parker«, stellte der Besucher sich vor und lüftete erneut die schwarze Melone, »und dies, Mister Ladway, ist Lady Simpson.« »Vielleicht stehen Sie endlich auf, junger Mann«, forderte die ältere Dame den Verkäufer von Kamineinsätzen barsch auf. »Oder muß ich Ihnen erst Beine machen?« Dan Ladway stand inzwischen. Er beugte sich ein wenig vor und musterte seine Besucher. Dann schüttelte er ungläubig den Kopf und lächelte dazu irritiert. »Und was wollen Sie?« fragte er dann. »Ihre beiden Mitarbeiter Larry Caldon und Ben Simmons bedürfen einer nachdrücklichen Verwarnung, was ihre Manieren betrifft«, schickte der Butler voraus. »Sie wurden in einem Papierwarenladen in Paddington angetroffen und hatten die Absicht, sich darin
rowdyhaft zu benehmen, auch im Hinblick auf die Betreiberin dieses Ladens.« »Caldon und Simmons?« Dan Ladway runzelte die Stirn. »Die… die haben mal für mich gearbeitet, aber das ist längst vorbei.« »Sie trugen Firmenausweise«, erinnerte der Butler, »oder Hinweise, die auf eine nach wie vor vorhandene Tätigkeit für Sie schließen lassen.« »Und wo stecken die beiden jetzt?« erkundigte sich Ladway gespielt beiläufig. »Ich ließ die beiden Lümmel erst mal aus dem Verkehr ziehen, junger Mann«, sagte nun die ältere Dame. »Aber bevor ich mich näher dazu äußere, möchte ich erst mal eine Sitzgelegenheit angeboten bekommen. Wissen Sie nicht, was sich einer Dame gegenüber gehört?!« Mylady konnte sehr laut werden. Dan Ladway zog förmlich den Kopf ein und holte tief Luft. Während seiner ganzen kriminellen Laufbahn war ihm so etwas noch nie passiert. Vor ihm standen zwei eindeutig nicht mehr taufrische Personen, die die Szene und damit auch ihn beherrschten. Von diesen Besuchern ging eine Autorität aus, der er sich nicht zu entziehen vermochte. »Hier… ein Sessel«, stotterte Ladway und gedachte, den Dingen eine Wendung in seinem Sinn zu geben. Er wollte mit der Geste in Richtung Sessel ablenken und… stürzte sich dann mit einem Hechtsprung auf einen Beistelltisch rechts vor dem Fernsehgerät. Es blieb bei seinem Versuch, sich in den Besitz eines Revolvers zu bringen, den der Butler längst wahrgenommen hatte.
* Er schielte eindeutig, als er sich wieder vorsichtig vom Teppich erhob. Dan Ladway faßte an seinen Hinterkopf und tastete die wachsende Schwellung ab. Er konnte sich das Scheitern seiner Unternehmung nicht erklären, denn er hatte nicht sehen können, daß Parker mit dem bleigefüllten Bambusgriff seines UniversalRegenschirms gezielt zugelangt hatte. Der Revolver war übrigens nicht mehr vorhanden, wie Ladway nach einem Schielen feststellen mußte.
»Sie sollten sich nicht unnötig in Gefahr bringen, Mister Ladway«, warnte der Butler den Verkäufer von Kamineinsätzen. »Zu hastige Bewegungen könnten völlig mißverstanden werden. Aber nun zurück zu Ihren beiden Mitarbeitern Caldon und Simmons. Sie sollten einen Mister Stuart Wadning abfangen und wohin verbringen?« »Ich weiß nicht, wovon Sie überhaupt reden«, verwahrte sich Ladway mit wenig Nachdruck. »Da muß Ihnen irgendwer was aufgebunden haben.« »Es handelt sich um einen Mister Lonny Charter, der sich mitteilungsfreudig zeigte«, entgegnete der Butler. »Lonny Charter soll mich angeschwärzt haben?« staunte Ladway und räumte damit ohne weiteres ein, ihn zu kennen. »Ausgeschlossen!« »Mister Charter hatte die Absicht, den bereits erwähnten Mister Stuart Wadning abzufangen«, fuhr der Butler fort. »Er störte die Kreise der beiden Dealer Harpers und Soldy, die ihrerseits für Ihren Freund Charter Drogen aller Art verkaufen.« »Diese Machenschaften werde ich unterbinden >junger Mann<«, kündigte die Detektivin an. »Nach meiner Beobachtung stellen Sie die Schläger und Killer für die Drogenhändler, nicht wahr?« »Das müssen Sie mir erst mal beweisen, altes Mädchen«, gab Ladway zurück und befand sich damit bereits in akuter Gefahr. »Wie nannten Sie mich gerade?« fragte Agatha Simpson gefährlich freundlich. »Altes Mädchen«, wiederholte Ladway und ächzte, als Mylady ihm eine ihrer gefürchteten Ohrfeigen verabreichte. Sie besorgte das ohne jede Ankündigung. Ladway wurde voll erwischt und suchte noch mal Kontakt mit dem Boden. Lady Agatha spielte Golf und betrieb den Bogen-Sport. Sie hatte ihre Muskulatur bestens entwickelt, und konnte in einen Schlag ihr ganzes, nicht unbeträchtliches Körpergewicht legen. Dies hatte Ladway gerade zur Kenntnis nehmen müssen. Er hechelte nach Luft, als er sich aufrichtete und die ältere Dame mit fassungslosem Staunen betrachtete. »Sie können mich von mir aus noch mal beleidigen oder respektlos anreden«, forderte sie ihn freundlich auf. »Für das hier werden Sie noch zahlen«, drohte Ladway und blickte dann den Butler an. »Dazu ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, das kann ich Ihnen versichern.«
»Sie werden für den Einsatz Ihrer beiden Mitarbeiter Caldon und Simpsons im vorhinein eine Art Gage oder Honorar erhalten haben«, schickte der Butler voraus, ohne auf die Drohungen auch jetzt einzugehen. »Mylady wird dieses Schandgeld selbstverständlich umgehend zu konfiszieren wissen.« »Schmutziges Drogengeld«, fügte die passionierte Detektivin hinzu. »Ich werde es besseren Zwecken zuführen.« »Sie… sie wollen mich ausnehmen?« schnaufte Ladway. »Durchaus, wenn auch nur im übertragenen Sinn«, pflichtete Parker dem Gangster bei. »Wo, bitte, befindet sich das Geld?« »Sie glauben doch wohl nicht, daß ich Ihnen sage, wo… Moment mal, was soll denn das?« Er blickte aus weit geöffneten Augen auf eine von Myladys Hutnadeln. Von der Große her konnte diese Hutnadel es mit einem kleinen Bratspieß aufnehmen. Sie stammte aus dem skurrilen Gebilde auf dem Kopf der älteren Dame. In der rechten Hand Lady Agathas wirkte die Nadel plötzlich wie eine Art Dolch oder Klein-Degen. »Mylady braucht möglicherweise gar nicht nachdrücklich zu werden«, hoffte der Butler mit einem entsprechenden Unterton in der Stimme. »Zudem sollte man Mister Ladway vorher fragen, ob er im Besitz einer sogenannten >Ersten Hilfe< ist.« »Verdammt, was soll das heißen?« jaulte Ladway. »Mylady hat die Absicht, Sie dazu zu überreden, einen Wandsafe oder einen Tresor zu öffnen. Sie erinnern sich hoffentlich, daß Lady Simpson Bargeldbestände zu beschlagnahmen gedenkt.« »Das… das ist doch nur ein Alptraum«, stöhnte Ladway. »Das ist alles niemals wahr…« »Vorher aber sollten Sie doch Auskunft darüber geben, woher Mister Charter die Drogen bekommt«, tippte der Butler an. »Und Sie sollten schnell reden, junger Mann«, ließ die ältere Dame sich vernehmen. »Das ist… das ist Erpressung«, verwahrte sich der Gangster. »Aha.« Agatha Simpson nickte wohlwollend. »So geht das also… Vielen Dank für den Hinweis, mein Bester! Und jetzt endlich den Namen und die Adresse, bevor ich die Geduld verliere.« Er nannte umgehend einen Namen. »Deutlicher, wenn ich bitten darf«, sagte Lady Agatha.
»Norman Coswick«, wiederholte Ladway bedeutend klarer und wischte sich die Sehweißperlen von der Stirn. »Und er wird mich umbringen, wenn er rausbekommt, wer ihn verpfiffen hat.« »Man wird Sie für einige Tage in Sicherheit bringen, wenn Sie darauf bestehen«, bot der Butler seine Hilfe an. »Aber vorher vielleicht noch die Adresse des erwähnten Mister Coswick.« »Der hat in Bloomsbury ‘nen Kräuterladen«, lautete umgehend die Antwort. »Coswick macht auf Gesundheit.« »Und verkauft Drogen en gros?«, staunte Agatha Simpson und runzelte die Stirn. »Eine bessere Tarnung vermag man sich kaum vorzustellen«, sagte Parker. »Es gibt außer Mister Charter noch weitere KokaDealer?« »Die kenn’ ich nicht«, behauptete Ladway ein wenig zu schnell. »Sie sollten auf keinen Fall das Wagnis eingehen und Mylady zu belügen versuchen«, warnte der Butler den Gangster. »Sie und Ihre Mitarbeiter Caldon und Simmons sind mit Sicherheit auch noch für andere sogenannte Koka-Dealer tätig.« »Nun weigern Sie sich doch endlich mal, eine Aussage zu machen«, blaffte die ältere Dame den Kriminellen an. »Enttäuschen Sie mich nicht. Ich will endlich erfahren, wie hart Sie sind.« Während sie redete, prüfte sie mit der Kuppe ihres rechten Zeigefingers die Spitze der Hütnadel, worauf Ladway sich beeilte, noch zwei weitere Namen und damit Kunden zu nennen.
* »Ich glaube, ich bin mit mir wieder mal sehr zufrieden«, lobte sich die ältere Dame eine halbe Stunde später. »Wieviel Pfund stellte ich hier sicher, Mister Parker?« »Mylady konfiszierten annähernd zwanzigtausend Pfund«, gab der Butler Auskunft. »Drogen konnten nicht gefunden werden. Man darf davon ausgehen, daß Mister Ladway und seine Mitarbeiter tatsächlich nur die sogenannten Koka-Dealer schützen.« »Habe ich für den Rest des Tages noch etwas vor, Mister Parker?« wollte die ältere Dame anschließend wissen. »Mylady wollen noch Mister Pickett bitten, sich der beiden Personen Fortless und Rilon anzunehmen«, erinnerte der Butler. »Er
und seine Freunde sollten die Koka-Dealer observieren und herausfinden, wo sie an wen ihre Drogen verkaufen.« »Das ist Ihr Ressort, Mister Parker, Details interessieren mich nicht«, entgegnete Lady Agatha. »Ich kann mich schließlich nicht um alles kümmern, Mister Parker, ich bin auch nur ein Mensch.« »Mylady sind und bleiben eine Erscheinung, die man als ausgesprochen bemerkenswert bezeichnen kann und muß«, erwiderte der Butler. »Das dürfte völlig richtig sein«, pflichtete sie ihm ungeniert bei. »Was wahr ist, muß wahr bleiben, Mister Parker. War da nicht noch ein weiterer Name genannt worden?« »Mylady sprechen sicher von Mister Norman Coswick«, vermutete Josuah Parker. »Richtig. Und wer ist das, Mister Parker?« »Laut Mister Ladway soll es jener Dealer sein, der bereits en gros ein – und weiterverkauft, Mylady. Er betreibt im Stadtteil Bloomsbury einen Bio-Kräuterladen, wie man zu sagen pflegt.« »Hoffentlich wird er nicht vorgewarnt, Mister Parker«, sorgte sich die ältere Dame. »Mister Ladway wird sich peinlichst hüten, Mister Coswick zu informieren, Mylady«, gab der Butler zurück. »Damit würde er ja eingestehen, ihn verraten zu haben.« »Richtig, das dachte ich mir auch.« Sie nickte. »Ich denke, Mister Parker, damit werde ich erst mal Schluß machen.« »Man sollte sich in der Tat auf turbulente Stunden vorbereiten«, warnte Josuah Parker. »Mylady haben die Koka-Dealer bereits empfindlich geschröpft, was Bargeld und Drogen betrifft. Man wird Mylady gram sein.« »Ich rechne mit nächtlichem Besuch«, freute sie sich. »Den sollten Mylady bereits als gegeben betrachten«, führte der Butler weiter aus. »Man wird alles daransetzen, Mylady als Gegnerin auszuschalten.« »Wie schön«, lautete ihr Kommentar. »Ich hasse nämlich Langeweile, Mister Parker. Nun, ich werde noch ein wenig über meinen Fall meditieren.« Sie kuschelte sich wie üblich in ihrer Wagenecke zurecht und hielt bald darauf tiefe Zwiesprache mit sich selbst, wie nachdrückliche Schnarchtöne verrieten.
Parker steuerte die nächste Telefonzelle an, stieg aus und rief Horace Pickett an, den er erst mal nach den vier Männern befragte, die. er aus dem Verkehr gezogen hatte. »Sie backen kleine Brötchen, Mister Parker«, antwortete er. »Es macht sie völlig nervös, daß sich nichts tut, daß sie noch nicht mal verhört werden. Wahrscheinlich hatten sie sich auf harten Druck eingestellt, aber das absolute Nichts macht sie krank.« »Ausgezeichnet«, meinte der Butler. »Wahrscheinlich werden sie bereits morgen freudig aussagen. Sie müssen schließlich Ersatzleute haben, die die Kunden versorgen. Und auch sie müssen neutralisiert werden.« »Ich habe mal meine Fühler ausgestreckt«, schickte Horace Pickett voraus. »Fest steht, daß es eine Organisation gibt, die sich auf ganz junge Käufer eingestellt hat. Sie befaßt sich mit Schulen, Jugendheimen und Sportclubs.« »Dort wirbt man wahrscheinlich jene Klienten an, die dann später kriminell werden, um sich Geld für Drogen beschaffen zu können.« »Das ist der übliche Weg, Mister Parker«, bestätigte der freie Mitarbeiter des Butlers. Er nahm anschließend die Namen und Adressen jener Personen zur Kenntnis, die Parker von dem Vertreiber von Kamineinsätzen erfahren hatte. »Ich werde mich sofort darum kümmern, Mister Parker«, versprach Horace Pickett. »Der Name Norman Coswick sagt mir was… Ich werde der Sache nachgehen.« »Es ist immer wieder eine tiefe Freude, mit Ihnen zusammenzuarbeiten«, beendete der Butler die Unterhaltung. Er legte auf und schritt gemessen und würdevoll zurück zu seinem hochbeinigen Monstrum. Dabei entging ihm nicht, daß genau jener kleine Ford-Fiesta am Straßenrand stand, den er bereits beim Verlassen der Kamineinsatz-Firma ausgemacht hatte. Parker ging davon aus, daß dies kein Zufall war.
* Er hatte keine Lust, sich auf eine lange und vielleicht risikoreiche Verfolgungsjagd einzurichten. Parker stieg in sein hochbeiniges Monstrum, ignorierte scheinbar den Fiesta und sorgte dennoch
geschickt dafür, daß der kleine, wendige Wagen genau in jene Position kam, die geeignet war, ihn wenig später auszuschalten. Es klappte auf Anhieb. Parker veranlaßte den Motor unter der eckigen Haube seines Gefährts, ein wenig die Muskeln spielen zu lassen. Das hochbeinige Monstrum schoß daraufhin vor, als würde es von einem unsichtbaren, riesigen Katapult bewegt. Der Fiesta-Fahrer war um den engen Anschluß bemüht und gab seinerseits ebenfalls Gas. Dann aber mußte er bereits wieder jäh bremsen, da Parker sein Gefährt fast zum Stillstand gebracht hatte. Im gleichen Moment, als der Beifahrer sich mit dem Oberkörper aus dem geöffneten Fenster schob, um den Arm, die Hand und schließlich eine schallgedämpfte Automatic in die richtige Position zu bringen, im gleichen Moment also betätigte Parker die Einrichtung seines Wagens zur Sichtminderung lästiger Verfolger. Unter dem Heck schossen aus versteckt angebrachten Düsen fette Rußwolken hervor, die sich prompt auf der Windschutzscheibe des Fiesta lagerten. Der Beifahrer, der sich aus dem Wagen gebeugt hatte, befand sich plötzlich in geradezu ägyptischer Finsternis und hustete gequält. Parker, der sich das Kennzeichen des Fiesta gemerkt hatte, fuhr wieder an und kümmerte sich nicht weiter um den Verfolger. Er hielt es auf keinen Fall für notwendig, Lady Agatha zu wecken und zu informieren. Als er den Stadtteil Shepherd’s Market erreichte, fuhr er erst mal an der Einfahrt in Richtung Tor vorüber und begutachtete vom Wagen aus die allgemeine Lage. Auf der Durchgangsstraße standen die üblichen abgestellten Fahrzeuge. Passanten waren nicht auszumachen, die Luft schien rein. Parker drehte weiter unten auf der breiten Durchgangsstraße, fuhr zurück und sorgte per Fernbedienung dafür, daß das zweiflügelige Gittertor sich überraschend schnell öffnete. Als er es passierte, sah er im Rückspiegel, wie zwei Motorradfahrer förmlich aus dem Dunkel hervorschossen und sich dicht hinter dem Heck des hochbeinigen Monstrums durchmogelten. Parker hatte im Grund nichts dagegen. Überraschungen dieser Art waren ihm nur zu bekannt. Nur hatte er eben jetzt und hier Gelegenheit, sich mit einer weiteren Gruppe von Gegnern zu beschäftigen. Natürlich hatten die Dealer längst zum Angriff geblasen.
Die beiden Motorradfahrer scherten aus. Einer von ihnen passierte den Wagen auf der Fahrerseite, preschte vor und umrundete die große Blumen-Rabatte in der Mitte des weiten Vorplatzes. Vor dem überdachten Hauseingang hielt er jäh und stieg aus dem Sattel. Er langte unter den Sitz und hielt dann eine sehr kompakte und kurzläufige Maschinenpistole in beiden Händen. Dieser Anblick sah sehr bedrohlich aus. Der zweite Motorradfahrer hatte ebenfalls gehalten und seine Maschine quergestellt. Er wollte so verhindern, daß Parker rückwärts setzte. Der Butler hatte den Eindruck, daß er hier gefordert wurde. Er hatte selbstverständlich keine Lust, seinen an sich schußfesten Wagen durch Geschoßgaben zerkratzen zu lassen. Es ging also darum, die beiden potentiellen Schützen daran zu hindern, unangenehm zu werden. Parker reagierte auf seine sehr spezielle Art. Nicht umsonst entwickelte er in seinem privaten Labor Gerätschaften aller Art, um Gegner unblutig außer Gefecht setzen zu können.
* Der Lichtblitz war so hell wie eine kleine Supernova. Parker hatte seine Augen durch eine Schweißerbrille geschützt und zusätzlich noch die schwarz behandschuhten Hände gegen die Gläser gepreßt. Dennoch war auch er für einen Moment geblendet. Als er nach einigen Sekunden nach draußen blickte, sah er den Mann, der eben noch eine Maschinenpistole in Händen hatte. Er kniete nieder und hielt sich die ungeschützt getroffenen Augen. Nicht anders zeigte sich der zweite Motorradfahrer. Er hatte sich an eine Hauswand gestellt und preßte ebenfalls die Hände vor’s Gesicht. Der Lichtblitz war von dem Butler ausgelöst worden. Im Zierrahmen über der Frontscheibe und der hinteren Wagenscheibe waren diese Blitzlichtbomben eingebaut, Miniaturausführungen, die aber ungemein wirkungsvoll waren. Auch über der einzelnen Wagentür gab es diese Blitzlichteinrichtungen. Parker konnte sie alle einzeln schalten.
Er stieg aus und sammelte erst mal die Maschinenwaffen ein, durchsuchte die immer noch geschockten und wehrlosen Gangster, legte ihnen Einwegfesseln an und stellte dann noch zusätzlich zwei Revolver sicher. Er hatte es ganz klar mit schießfreudigen und hartgesottenen Kriminellen zu tun. Sie klagten über ihre Augen, sagten, sie würden nur noch bunte Kreise und sonst nichts sehen, und gerieten in Panik, als Parker ihnen in seiner bekannt höflichen Art bedeutete, dies bedeute auf keinen Fall, daß man nun unbedingt blind werden müsse. Diese Feststellung klang in den Ohren der Gangster recht bedrohlich. Sie verlangten nach einem Arzt. »Man wird die Wünsche der Herren sicher respektieren«, sagte der Butler. »Meine Wenigkeit sieht ein, daß eine gewisse Schnelligkeit sinnvoll sein kann, doch vorher sollten Sie noch einige Auskünfte hinsichtlich Ihrer Auftraggeber geben.« »Blamefull«, lautete die Antwort. »Clive Blamefull…« »Der sicher über einen festen Wohnsitz verfügt«, vermutete Josuah Parker. »Blamefull wohnt in Paddington«, bekam Parker zu hören. Die beiden Sehgeschädigten machten erst gar keinen Versuch, den Butler hinzuhalten. Sie standen unter Druck, hatten Angst um ihr Augenlicht und wollten endlich einen Arzt sprechen. »Mister Blamefull geht welchem Beruf nach?« fragte der Butler höflich weiter. »Der hat ein paar Verkaufswagen für Snacks«, sagte einer der beiden Zweiradbesitzer. »Blamefull hat uns losgeschickt.« »Und wie lautete Ihr spezieller Auftrag, meine Herren?« erkundigte sich Parker. »Wir… wir sollten die Frau da im Wagen und Sie… nach Paddington schaffen«, schwindelte der Mann offensichtlich. Parker ging davon aus, daß die beiden Männer den Auftrag hatten, die Magazine ihrer Maschinenwaffen auf Mylady und ihn zu leeren. Er ließ sich die Adresse der Firma Blamefull-Snacks geben und sorgte dann für einen Arzt. Dazu rief er einen gewissen Chief-Superintendent McWarden an, informierte ihn kurz und empfahl ihm die beiden Männer, die Parker durchaus für potentielle Mörder hielt. McWarden brauchte etwa fünfzehn Minuten, bis er auf der Bildfläche erschien. Er kam nicht allein, sondern brachte einen Polizeiarzt mit, der sich um die beiden Motorradfahrer kümmerte.
McWardens Mitarbeiter legten den Gangstern echte Handschellen an, bevor man sie abführte. Lady Agatha, längst wach und von Parker über das Geschehen informiert, machte dem Yard-Gewaltigen klar, daß sie dabei war, sogenannte Koka-Dealer zu hetzen, um der Polizei Hilfestellung zu geben. »Was wären denn Ihre Dienstelle und Sie, mein Bester, wenn ich Ihnen nicht immer wieder helfen würde«, spottete sie lustbetont. »Sie müßten Scotland Yard schließen.« »Irgendwann wird man Sie mal zum Ehren-Inspektor ernennen, Mylady«, gab McWarden ungerührt zurück. Er kannte die ironischen Angriffe der älteren Dame. Im Grund verstand man sich ausgezeichnet und schätzte sich. McWarden, um die fünfundfünfzig Jahre alt, leitete im Yard das Dezernat zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens. Er war natürlich ein sehr fähiger und erfolgreicher Kriminalist, der immer wieder die Nähe vor allen Dingen Josuah Parkers suchte. Für ihn war der Butler ein Detektiv von besonderer Begabung. McWarden genierte sich nie, Josuah Parker um Rat zu fragen. Der untersetzte Mann mit dem Aussehen einer grimmigen Bulldogge bediente sich liebend gern der Großzügigkeit der Lady Simpson, die immer dann ihre schon sprichwörtliche Sparsamkeit vergaß, wenn es galt, einen Kriminalfall zu lösen. Dann mietete sie ungeniert Hubschrauber, Yachten und Privat-Jets. McWarden brauchte sich also nicht mit dem kleinen und großen Dienst-Weg herumzuschlagen, wenn er schnell sein mußte. Er interessierte Lady Agatha einfach für einen Fall und konnte sicher sein, daß er keine finanziellen Probleme hatte. »In einer halben Stunde wissen wir sehr genau, wer die beiden Knaben sind, die sich hier mausig machen wollten, Mylady«, versicherte McWarden der älteren Dame, »und was diesen Blamefull betrifft, so muß ich erst „mal passen. Im Moment löst der Name in mir nichts aus.« »Was mich nicht weiter wundert, mein lieber McWarden«, stichelte Agatha Simpson umgehend. »Halten Sie sich am besten erst mal aus allem heraus. Sie verderben mir sonst nur mein Konzept.« »Ich könnte für einen guten Tag das Verhör der beiden Motorradfahrer verschieben«, sagte der hohe Yard-Beamte, »aber nach diesem Tag muß ich tätig werden.«
»Mylady ist mit diesem zeitlichen Vorsprung durchaus einverstanden, Sir«, schaltete Josuah Parker sich ein. »Bis dahin dürfte man Mister Blamefull einen ersten Besuch abgestattet haben.« »Haben Sie sonst noch Informationen für mich?« wollte McWarden wissen. »In diesem speziellen Fall sollten wir wirklich mal zusammenarbeiten.« »Wer versorgt Sie denn ununterbrochen mit Informationen, mein Bester?« erkundigte sich die ältere Dame umgehend und grollend. »Wem verdanken Sie denn die vielen geklärten Fälle und auch die Festnahmen? Was wäre der Yard ohne mich?« »Handlungsunfähig«, spöttelte der Chief-Superintendent. »Aber jetzt wieder ernsthaft, Mylady. Sie legen sich da mit Gangstern an, die gut für jeden Mord sind. Drogen-Dealer besorgen sich nämlich jeden Spitzenkiller, wenn es darum geht, Ermittlungen zu stoppen. Sie sollten sehr vorsichtig sein.« »Diese Koka-Dealer aber auch, McWarden«, antwortete die ältere Dame grimmig. »Wenn es um die tödlichen Gifte geht, kenne ich keine Rücksicht, was meine Person betrifft. Ist es nicht so, Mister Parker?« »Mylady hält es für besonders verdammenswert, daß man sich auf junge Menschen, auf Schüler konzentriert, um Gewinne zu machen«, meinte der Butler. »Passen Sie auf sich auf«, warnte der Chief-Superintendent noch mal eindringlich. »Diese Gangster wissen längst, mit wem sie es zu tun haben. Sie werden alles daransetzen, Sie und Mister Parker von der Bildfläche verschwinden zu lassen.« »Das klingt nach Abwechslung«, stellte die ältere Dame fest und lächelte versonnen. »Ich fürchtete schon, man würde mich übersehen. Was natürlich nichts gebracht hätte.« »Eine Lady Simpson ist grundsätzlich nicht zu übersehen«, bemerkte der Butler ernst. Sein glattes Gesicht zeigte keine Regung.
* Eine Stunde nach Mitternacht meldete sich das hausinterne Alarmsystem. Parker, der sich zur Ruhe begeben hatte, wurde von einem hochfrequenten Ton, der die Trommelfelle förmlich elektrisierte,
geweckt. Er war sofort hellwach und wußte, wer da versuchte, ins Haus zu gelangen. Die Koka-Dealer beabsichtigten erwartungsgemäß, die Dunkelheit der Nacht zu nutzen. Sie hatten jedoch keine Ahnung, wie gut dieses zweistöckige Fachwerkhaus gesichert war. Parker stand ohne Hast auf, zog sich einen Morgenmantel über und ging in den großen Wohnraum, der ebenfalls im Souterrain untergebracht war. Der Butler hatte sich hier nach seinem Geschmack eingerichtet und verfügte über ansehnlichen Wohn- und Lebensraum, was seine private Sphäre betraf. Mit der Fernbedienung aktivierte Parker die Fernsehkameras, die rund um das Haus installiert waren und fragte sie der Reihe nach ab. Nach wenigen Augenblicken entdeckte er die beiden Männer, die sich der trügerischen Hoffnung hingaben, das Haus auf dem Umweg über ein Erkerzimmer betreten zu können. Sie ließen sich von einem nur spaltbreit geöffneten Schiebefenster animieren und stiegen über ein solides Efeu-Spalier ins Obergeschoß. Sie kamen gar nicht auf den Gedanken, daß das Fenster für sie geöffnet wurde. Mit jedem Tritt auf die Spalierleisten sorgten die beiden Mauerbesteiger für Alarm. Parker schaltete den hochfrequenten Ton auf minimal und ließ sich in seinem bequemen Ledersessel nieder. Er tat nichts, um die Ersteiger der Hauswand abzuschrecken. Sie waren schnell und geschickt. Wie die Spinnen, so geschmeidig nahmen sie die Wand und verursachten kein Geräusch. Die versteckt am Haus angebrachten Mikrofone gaben nur hin und wieder das feine Ächzen der Holzleisten wieder, über die das Efeu wucherte. Und bald schon standen sie nebeneinander vor dem Fenster. Einer von ihnen stieg noch einen halben Meter weiter nach oben und schaltete dann eine Taschenlampe an, die nur einen scharf gebündelten Lichtstrahl lieferte. Der Eindringling leuchtete damit das Erkerzimmer aus und erblickte das Arrangement, für das Parker gesorgt hatte. Der Beobachter sah einen Schreibtisch, zwei Bücherborde, eine Glasvitrine und eine Truhe. Dies alles machte einen völlig unverdächtigen Eindruck. Daß hier nicht mit Überraschungen zu rechnen war, vermutete auch der Beobachter. Er flüsterte seinem Begleiter etwas zu, drückte dann das Schiebefenster hoch und schlängelte sich
bäuchlings über das Fensterbrett ins Zimmer, dicht gefolgt von seinem Partner, der nicht weniger geschickt war. Parker schaltete auf die Innenkamera im Erkerzimmer um und entspannte sich noch mal zusätzlich. Die Dinge, die da kommen mußten, wickelten sich stets nach einem bestimmten Schema ab. Die Bezwinger der Hauswand standen inzwischen vor der Tür, die aus dem Zimmer in die Tiefe des Hauses führen mußte. Einer der beiden Eindringlinge schien Spezialist für Türschlösser zu sein. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß die Tür verschlossen war, holte er eine Art Dietrich aus der Hosentasche, führte ihn ins Schloß und suchte feinfühlig nach ersten Druck- und Ansatzpunkten in der Zuhaltung. Parker konnte alles sehr genau verfolgen und wunderte sich natürlich nicht darüber, daß dieses Schloß sich nicht öffnen ließ. Es handelte sich um eine Spezialanfertigung, die man eigentlich nur mit einer kleinen Sprengladung aus der Tür und dem Rahmen heraussprengen könnte. Die beiden Männer tauschten ungeduldige und unfreundliche Bemerkungen aus und gerieten in eine gewisse Panik. »Wir sollten abhauen«, sagte der nächtliche Besucher, der die Bemühungen seines Begleiters beobachtet hatte. »Einen Dreck werden wir tun«, kam die verbissene Antwort. »Jedes Schloß ist zu knacken. Auch das hier.« »Mir stinkt die Sache allmählich«, redete der Pessimist weiter. »Irgendwie hab’ ich ein komisches Gefühl in der Magengegend.« »Geh’n dir wieder mal die Nerven durch?« spöttelte der Schloßbezwinger, der hier wohl eine erste Pleite erlebte, was seine Fähigkeiten betraf. »Eigentlich paßt das verdammte Fenster nicht zu den beiden Leuten, die wir hochnehmen sollen«, unkte der erste Fassadenkletterer. »Wieso nicht?« fragte der Mann am Schloß wie beiläufig weiter. Er suchte nach wie vor einen ersten Ansatzpunkt. »Die beiden Typen hier im Bau sollen ganz schön clever sein. Weshalb lassen die dann so ohne weiteres ein Fenster… Moment mal… Sieh’ dir das an… Das darf doch nicht wahr sein!« »Verdammt, was ist denn?« Der Mann an der Tür richtete sich auf und stutzte. Dann eilte er zu seinem Begleiter hinüber, der vor einem inzwischen geschlossenen Schiebefenster stand und damit beschäftigt war, es wieder zu öffnen.
»Schlag’ die Scheibe ein, Mann, und dann nichts wie weg«, schlug er mit nervös klingender Stimme vor. »Ob’s Krach macht oder nicht, spielt jetzt keine Rolle mehr.« In diesem Moment schaltete sich Parker vom Sessel aus in das Geschehen ein. Er hatte die Sprechanlage eingeschaltet und teilte den beiden Besuchern mit, daß die Scheiben schußfest seien. »Die Herren können selbstverständlich die Probe aufs Exempel machen«, schloß er seinen Hinweis, »aber rechnen Sie dann mit Querschlägern, die der Gesundheit sehr abträglich sein dürften.« Die beiden Männer im Erkerzimmer blickten sich entgeistert an, was im abgeblendeten Licht der Taschenlampe recht gut auszumachen war.
* »Nur einige Kleinigkeiten, Mister Parker«, bat Agatha Simpson sich aus, als sie sich am anderen Morgen an den Frühstückstisch setzte. Die Hausherrin machte einen ungemein dynamischen Eindruck und freute sich offensichtlich bereits im vorhinein auf gewisse Abwechslungen. »Mylady können wählen zwischen Rührei mit Speck, gebackenen Nieren in Madeira, kaltem Huhn, Aufschnitt, diversen Käse- und Brotsorten, Marmeladen, Rostbratwürstchen im Teigmantel und Roastbeef«, bot der Butler an. »Mylady mögen verzeihen, daß der Hinweis auf die Marmeladen sich vordrängte, was die Aufzählung angeht.« »Das macht überhaupt nichts, Mister Parker«, gab sie erstaunlich freundlich zurück. »Denken Sie aber an meinen desolaten Kreislauf am Morgen. Dagegen muß ich unbedingt etwas tun.« »Meine bescheidene Wenigkeit nahm sich bereits die Freiheit, entsprechend vorzusorgen«, erwiderte Josuah Parker. Er wandte sich zur Anrichte um und servierte seiner Herrin dann auf einem Tablett einen Cognacschwenker, der nicht nur andeutungsweise gefüllt war. Lady Simpson nickte wohlwollend und stärkte ihren Kreislauf. »Das wird hoffentlich reichen«, sorgte sie sich anschließend. »Aber Sie können immerhin mit dem Servieren beginnen, Mister Parker. Ich werde mit dem Rührei den Anfang machen. Alles Weitere ergibt sich dann von selbst.«
Sie entwickelte den Appetit eines ausgehungerten Scheunendreschers und trank dazu einen Kaffee, der einen Scheintoten ruckartig aufgeweckt hätte. Nach etwa zwanzig Minuten stand die ältere Dame auf und reckte ihre majestätische Fülle. Sie hatte sich während des Frühstücks von Parker über die nächtlichen Vorfälle informieren lassen und wollte die beiden leichtsinnigen Einsteigern nun umgehend verhören. »Sie werden sich inzwischen nach einem Gespräch geradezu sehnen, Mylady«, sagte der Butler. »Sie wissen seit vielen Stunden nicht, welches Schicksal sie erwartet.« »Sie stecken wo, Mister Parker?« Lady Agatha ging noch mal zurück zum Frühstückstisch und interessierte sich nachhaltig für ein Stückchen Apfelkuchen, das sie wohl übersehen hatte. Selbstverständlich ließ sie es nicht herren- oder frauenlos zurück auf dem Tisch und nahm es an sich. »Die nächtlichen Besucher geben sich ihrem eindeutig vorhandenen Frust im Erkerzimmer hin«, beantwortete Parker inzwischen die Frage seiner Herrin. »Sie wurden von meiner Wenigkeit – mit Verlaub – ruhiggestellt.« »Nun denn…« Agatha Simpson nickte und setzte ihre beeindruckende Fülle in Bewegung. »Ich werde Ihnen jetzt demonstrieren, Mister Parker, wie unauffällig und beiläufig man verhört.« »Mylady werden mit Sicherheit wieder Vorbild sein.« »Davon kann man ausgehen, Mister Parker«, lobte sie sich ungeniert weiter. »Manchmal ist es mir schon fast peinlich, Mister Parker, glauben Sie mir.« »Mylady wissen Zeichen zu setzen«, behauptete der Butler, ohne auch jetzt nur eine Miene zu verziehen. »Wenn Sie erlauben, wird man sich vergewissern, ob die beiden nächtlichen Eindringlinge bereit sind, Mylady zu empfangen.« »Falls die Subjekte schlafen, werde ich sie mit einigen Ohrfeigen wecken«, kündete die resolute Dame an. Sie schien sich darauf zu freuen, ihre Hände wieder mal einsetzen zu können und war dann doch ein wenig enttäuscht, als die beiden Männer sie in einer Mischung aus Neugier und Wut anblickten. Sie hingen förmlich in den einfachen Sesseln und waren nicht in der Lage, ihre Muskeln so zu bewegen, wie sie es sich wohl vorgestellt hatten. Josuah Parker hatte die beiden Spalierlatten-Bezwinger entsprechend präpariert. Aus in Zimmer versteckt installierten Düsen war ein Beruhigungsmittel in den Erkerraum geschickt worden. Dar-
aufhin schlafften die Muskelpartien ab und ließen sich selbst durch besondere Willensakte nicht mehr aktivieren. »Sie also wollten mich überfallen und ermorden«, schickte Agatha Simpson grimmig voraus, nachdem sie sich die beiden Männer eindringlich angeschaut hatte. »Und für wen sollte das geschehen? Ich hoffe, Sie antworten nicht zu schnell.« »Ihr Glück, daß wir friedlich sind«, sagte der erste Fassadenbezwinger und lächelte kindhaft. »Sonst würden wir nämlich was abziehen«, fügte sein Begleiter ohne jeden drohenden Unterton hinzu. »Man weiß Ihre Manieren außerordentlich zu schätzen«, erwiderte Josuah Parker in seiner höflichen Art. »In diesem Zusammenhang sollten Sie vielleicht jene Person nennen, für die Sie sich derart engagierten.« »Patty Delfors heißt der«, kam prompt die Antwort, die fast freudig gegeben wurde. »Kennen Sie Patty Delfors nicht?« »Mylady hatte noch nicht das Vergnügen.« »Patty Delfors verpumpt Geld«, erklärte der Mann. »Und wir sorgen dafür, daß die Raten pünktlich berappt werden.« »Und falls dies nicht der Fall sein sollte, werden die Herren sicher ein wenig nachhelfen, wie anzunehmen sein dürfte.« »Mann, das können Sie glauben.« Der Angesprochene lächelte und nickte unkontrolliert. »Dann werden wir verdammt deutlich.« ».Ich würde es gern deutlicher hören, meine Lieben«, schaltete die ältere Dame sich ein. »Na ja, dann gibt’s Arbeit für die Zahnärzte und Knochenflicker«, lautete, die Antwort. »Aber vorher geben wir denen immer noch ‘ne Chance, das Geld für die Raten zu besorgen.« »Und wie geschieht dies, meine Herren? Es ist geradezu beglückend, von Eingeweihten und Fachleuten informiert zu werden.« Parkers Gesicht blieb glatt und ausdruckslos. »Die sollen eben für Klamotten sorgen, die sie dann verscheuern können«, zählte der ungebetene Besucher lässig auf. »Und Mädchen haben schließlich auch gewisse Möglichkeiten, ja?« »Sie sprechen jetzt von der sogenannten BeschaffungsKriminalität?« übersetzte der Butler. »Von Prostitution mal ganz zu schweigen.« »Das ist es«, bestätigte der angesprochene Gangster, »und wenn das alles nichts bringt oder die Leute nicht wollen, dann bringen wir sie auf Trab. Bisher hat’s immer funktioniert.«
»Sie arbeiten allein für Mister Patty Delfors?« lautete Parkers nächste Frage. »Nee, nee, der hat noch andere Spezialisten«, bekam der Butler zu hören. »Was glauben Sie, wie viele Leute da versorgt werden müssen?« »Sie sollten wirklich in der Lage sein, Zahlen zu nennen?« zweifelte der Butler gekonnt. »Wir rechnen mit rund fünfzig Dauerkunden«, erwiderte der Gangster und schien darauf stolz zu sein. »Was meinen Sie, was das für’n Umsatz macht, he?« »Mister Parker, beenden wir das Gespräch«, ließ Lady Agatha sich in diesem Augenblick vernehmen. »Ich fürchte, ich werde mich sonst vergessen. Ich habe große Lust, mehr als nur Ohrfeigen auszuteilen. Diese fünfzig Dauerkunden sind doch Jugendliche, nicht wahr?« »Klar«, rief einer der beiden Gangster, der sich angesprochen fühlte.
* »Ich werde verfolgt?« vergewisserte sich die Detektivin nach wenigen Minuten. Sie saß im Fond des hochbeinigen Monstrums und ließ sich von Parker nach Soho bringen. Dort betrieb Patty Delfors sein Kredit-Büro, wie die beiden Fassadenbesteiger ausgesagt hatten. Sie waren auch so auskunftsfreudig gewesen, von einem Notausgang zu sprechen, den Parker zu nutzen gedachte. »Sie haben mitbekommen, wie man verstockte Gegner zum Reden bringt, nicht wahr, Mister Parker?« fragte sie, bevor der Butler zu einer möglichen Verfolgung Stellung nehmen konnte. »Mylady waren wieder mal überzeugend«, behauptete er, »und Mylady haben durchaus treffsicher beobachtet, man wird in der Tat verfolgt.« »Ich wußte es doch gleich«, meinte sie und lächelte zufrieden. »Man will mich wohl abfangen und unschädlich machen, nicht wahr?« »Dies können Mylady als sicher unterstellen«, pflichtete der Butler seiner Herrin bei. »Mister Patty Delfors dürfte längst Beobachter vor Myladys Haus beordert haben, die nach dem Verbleib, der beiden Besucher Ausschau halten sollen.«
»Was wohl sonst, Mister Parker«, mokierte sie sich. »Schalten Sie die lästigen Vögel im Austin hinter mir aus.« »Myladys Wunsch wird meiner Wenigkeit Befehl sein. Haben Mylady besondere Wünsche, was die beiden Insassen des GM betrifft?« »Sind diese Leute wichtig für meine Ermittlungen, Mister Parker?« »Es dürfte sich um hartgesottene Handlanger handeln, Mylady, die selbst wohl kaum mit Drogen handeln.« »Dann sorgen Sie dafür, daß sie vorerst nicht mehr lästig werden können«, verlangte Agatha Simpson. »Ihnen wird in meinem Sinn schon etwas einfallen, hoffe ich.« Parker hatte da allerdings keine Bedenken. Er konzentrierte sich auf den GM, den Mylady allerdings nicht als verfolgenden Wagen ausgemacht hatte und sorgte dafür, daß der Fahrer ihm dichtauf folgte. Mit einem Feuerüberfall war in der Innenstadt wohl kaum zu rechnen. Die Insassen des GM hofften sicher auf eine günstige Gelegenheit in einem ruhigeren Stadtteil, der ihnen die problemlose Flucht garantierte. Josuah Parker kam den beiden Verfolgern entgegen und lotste sie in das Gewirr enger Straßen, die alle zu einer Region gehörten, in der staatliche Behörden untergebracht waren. Hier war es erstaunlich still, der Verkehr schien dieses Viertel systematisch zu meiden. Die Verfolger schlossen auf. »Ich denke, man will mich jetzt unter Feuer nehmen, Mister Parker«, deutete die ältere Dame diesen Vorgang, während Parker nach rechts abbog und einen kleinen Platz anvisierte, der von den Rückfronten großer Gebäude gebildet wurde. Der Fahrer des GM gab Gas und wollte aufschließen. Und damit hatte er bereits ausgespielt. Unter dem Heck des hochbeinigen Monstrums befand sich ein versteckt angebrachter Metallkasten, in dem so genannte Krähenfüße darauf warteten, sich in luftgefüllte Autoreifen zu bohren. Es handelte sich dabei um überkreuz verschweißte Stahlstifte, die nadelspitz gefeilt waren. Gleich wie diese Krähenfüße auch auf dem Boden landeten, wenigstens ein Stift ragte hoch, um einen Reifen auf seine sehr spezielle Art verwöhnen zu können. Drei Reifen des GM waren plötzlich platt wie Bretter.
Der Fahrer hatte die Krähenfüße überhaupt nicht bemerkt. Er spürte nur, daß sein Wagen schwamm und sich nicht mehr korrekt lenken ließ. Der Mann am Steuer verriß also umgehend das Lenkrad und sorgte dafür, daß sein Wagen seitlich gegen eine Hauswand klatschte. Das Resultat war ein Kreischen und Reißen von Blech, das Splittern von Glas und ein lautes Zischen, das eindeutig mit dem Kühlsystem des Wagens zusammenhing. Parker hatte gehalten und wartete mit seiner Gabelschleuder auf das Aussteigen der beiden Fahrer, die sich tatsächlich beeilten, aus dem havarierten Fahrzeug zu kommen. Dabei mußte der Beifahrer allerdings erst über den Schalthebel steigen, da es durch die Lage des Wagens nur einen brauchbaren Ausstieg gab. Der Butler hatte keine Schwierigkeiten, die beiden GM-Fahrer ruhigzustellen. Nachdem er nacheinander zwei hart gebrannte Ton-Erbsen verschickt hatte, begaben die Insassen des GM sich umgehend zu Boden und schalteten erst mal ab. Es dauerte erstaunlicherweise nur wenige Augenblicke, bis aus dem Hintereingang eines der Häuser zwei sportlich gekleidete Zivilisten herausstürzten, die einen professionellen Eindruck machten. Parker sah ihnen auf den ersten Blick an, daß sie Waffen trugen. »Sie wurden hoffentlich Augenzeugen eines Vorfalls, der darauf abzielte, Lady Simpson zu inkommodieren«, sagte er und lüftete höflich die schwarze Melone. »Keine falsche Bewegung«, entgegnete einer der beiden Männer mit harter, kalter Stimme. Er war tatsächlich ein Profi. »Was soll denn das, junger Mann?« Lady Agatha dachte nicht im Traum daran, solchen Ratschlägen zu folgen. Sie ging auf die beiden am Boden liegenden GM-Benutzer zu und blickte grimmig auf sie. »Nehmen Sie die Subjekte fest, falls Sie’s überhaupt können.« »Was ist hier passiert?«, schaltete sich ein dritter Mann ein. Er kam ebenfalls aus der Hintertür des bewußten Hauses und hielt eine Waffe in Händen. »Offensichtlich handelt es sich um den Versuch, Ihr Lohnbüro zu überfallen«, antwortete der Butler. »Eine Durchsuchung wird schnell ergeben, daß diese beiden Männer dort Waffenträger sind.«
»Lohnbüro, Mister Parker?« Lady Agatha blickte den Butler erstaunt an. »Das Lohnbüro einer bekannten Bank, Mylady«, redete der Butler weiter. »Mylady unterhalten hier übrigens ein Konto.« »Tatsächlich?« Sie stutzte erneut. »Nun, dann wird man mir ja wohl hoffentlich eine Prämie dafür aussetzen, daß ich diesen Überfall verhindern konnte. Sehen Sie doch, Mister Parker: Revolver, Schalldämpfer und Klappmesser. Mein Instinkt hat mich wieder mal nicht getrogen.« Parker sagte nichts.
* Patty Delfors mochte um die Fünfzig sein. Er unterhielt ein seriös eingerichtetes Büro und legte offensichtlich Wert auf Biederkeit. Er stand hinter einer Art Tresen und blickte neugierig und unruhig zugleich auf die Eintretenden. »Man erlaubt sich, einen wunderschönen Morgen zu wünschen«, grüßte der Butler und warf einen Blick auf drei BeratungsNischen, die alle von potentiellen Kreditnehmern besetzt waren. Gut gekleidete Angestellte, alles junge Männer, berieten die Kunden. Patty Delfors war ein Mann, von dem jeder ohne weiteres einen Gebrauchtwagen erstanden hätte. Er war ein wenig korpulent, hatte ein sympathisches Lächeln und sah aus wie der gute Onkel einer intakten Groß-Familie. »Hallo«, grüßte Delfors zurück. »Sie haben Glück, Sie können über mich verfügen, ich bin gerade frei.« »Mister Patty Delfors?« vergewisserte sich der Butler. »Und ob«, sagte der Kreditgeber und lächelte breit. »Sie brauchen einen hübschen, preiswerten Kredit?« »Es geht um einen ansehnlichen Betrag, den man auf keinen Fall hier besprechen sollte«, erwiderte der Butler und deutete mit der Schirmspitze auf eine wattierte Tür im Hintergrund. Dann setzte er sich um den Tresen herum in Bewegung, ohne sich weiter um den Kreditgeber zu kümmern. »Nun, junger Mann, worauf warten Sie noch?« raunzte Lady Agatha ihn an und versetzte ihm einen Stoß mit der Hüfte. Sie stand dicht neben Patty Delfors, der um den Tresen herumge-
kommen war. Er wurde von Myladys Hüft-Kick förmlich durchgeschüttelt und hätte um ein Haar das Gleichgewicht verloren. Er raffte sich auf, kümmerte sich nicht weiter um seine Angestellten, die bereits aufmerksam geworden waren und folgte Lady Simpson, die auf die wattierte Tür zuhielt, lieben der ihr Butler sich aufgebaut hatte. »Das… das geht aber nicht«, protestierte Delfors in einer Mischung aus Ärger und Überraschung. »Hören Sie, das ist mein Privatbüro, das Beratungszimmer ist dort und…« »Sie haben es immerhin mit Lady Simpson zu tun«, sagte Parker, der zum ersten Mal den Namen der älteren Dame nannte. »Dies sollte in Ihnen gewisse Reaktionen auslösen, Mister Delfors.« »Lady Simpson…?« Er holte tief Luft. »Und Butler«, fügte Parker hinzu und trat zur Seite, damit Delfors ohne Schwierigkeiten sein Büro betreten konnte. Er besorgte das stürmisch und unkonzentriert, denn Agatha Simpson klatschte ihren perlenbestickten Pompadour an die rechte Hüfte des Mannes, die daraufhin den Restkörper ins Büro verfügte. Hier angekommen, sah Delfors mit einiger Besorgnis, daß Parker sorgfältig die Tür schloß und sogar noch den Schlüssel im Schloß bewegte. »Was…was soll das alles?« protestierte der Geldverleiher erneut, der schnell nach dem Telefonapparat langte, um wohl seine Leute vorn im Büro zu alarmieren. Er nahm davon Abstand, nachdem Mylady mit ihrem geschwungenen Handbeutel die Platte des Schreibtisches in Vibration versetzt hatte. Der Glücksbringer der älteren Dame brachte eine Glasunterlage auf dem Schreibtisch zum Platzen. Delfors duckte sich ab und ließ sich in seinen Schreibtischsessel fallen. Auf seiner Stirn hatten sich bereits Schweißtropfen gebildet. Parker war längst klar, daß der Kreditgeber sehr genau wußte, welche Kreditnehmer sich gerade eingefunden hatten. »Ihre beiden Angestellten lassen mehr oder weniger herzlich grüßen, Mister Delfors«, schickte der Butler voraus. »Wie Sie sicher längst geahnt oder sogar unterstellt haben, konnte das nächtliche Unternehmen nicht zu dem von Ihnen gewünschten glücklichen Ende gebracht werden. Ihre Angestellten befinden sich in einer Lage, die sie veranlaßte, Geständnisse abzulegen.« »Welche Angestellten?« fragte Delfors und… rutschte anschließend aus dem Sessel. Lady Simpsons Ohrfeigen waren nicht zu
Unrecht gefürchtet. Er rutschte ein gutes Stück über den glatten Kunststoff-Boden und blickte die ältere Dame völlig entgeistert an. »Von mir aus können Sie sich auch weiterhin unverschämt benehmen und mich belügen, junger Mann«, sagte die Detektivin und lächelte gefährlich freundlich. »Ich werde mich schon zu wehren wissen.« »Das werde ich Ihnen noch heimzahlen«, schwor Delfors vom Boden her. »Vorher aber sollten Sie noch von Ihren jungen Kreditnehmern sprechen, Mister Delfors«, regte der Butler in seiner bekannt höflichen Art an. »Es wird doch sicher eine entsprechende Spezialkartei geben, wie Mylady anzunehmen geruhen.« Während Parker sprach, löste er einen bunt gefiederten Pfeil aus seinem Schirmstock. Dieses mehr als seltsame Geschoß hier in London regte die Phantasie nachhaltig an und ließ Delfors geradezu entsetzt auf den Pfeil stieren, der dicht neben seiner Hüfte im Kunststoffboden gelandet war und noch leicht vibrierte. »Sie sollten davon ausgehen, Mister Delfors, daß der nächste Pfeil treffen wird«, ließ Josuah Parker sich vernehmen. Der Kreditvergeber, der überhaupt nicht mitbekommen hatte, woher dieser unheimliche Blasrohr-Pfeil stammte, hob abwehrend die Hände. »Nein«, lispelte er, »nein, nein… Nicht… Ich spiel’ ja mit, ich zeig’ Ihnen die Kartei.« Er wischte sich fahrig mit dem Handrücken übers Gesicht und sackte erst mal zusammen. Dann stand er umständlich auf und deutete auf einen halbhohen Aktenschrank neben einem massiven, fast türhohen Tresor. »Vielleicht rühren Sie sich endlich, junger Mann«, fauchte Lady Agatha den Kreditvergeber an. Delfors raffte sich auf und ging zum Aktenschrank. Er schob einige Ordner zur Seite und machte damit die Tür zu einem Wandsafe frei. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis der Butler eine Kladde in Händen hielt. Säuberlich verzeichnet waren darin die Namen und Adressen jener jungen Leute, die Kredite aufgenommen hatten, um ihre Drogensucht zu finanzieren. »Und jetzt zu Ihrem Schmutzgeld«, ließ die ältere Dame sich vernehmen und machte einen besonders animierten Eindruck. »Ich werde es umgehend beschlagnahmen.«
»Das ist… das ist…«, stotterte Delfors, doch er sagte nicht, was dies seiner Ansicht nach sein sollte, denn die Detektivin hatte inzwischen bereits die schwere Tür des Tresors aufgezogen und langte herzhaft in verschiedene Fächer. Als sie sich zu Parker und Delfors umwandte, hielt sie dicke Banknotenbündel in beiden Händen. »Sehr schön«, sagte sie. »Das Geld werde ich wohl an Vereine weiterleiten, die sich mit der Drogenbekämpfung befassen.« »Eine sinnvollere Verwendung könnten Mylady mit Sicherheit nicht ins Auge fassen«, erklärte der Butler, der sich dann mit einem von Delfors’ Mitarbeitern befaßte. Der schob gerade sehr vorsichtig seinen Kopf durch den Türspalt ins Büro. Der Mann wollte sich vergewissern, ob hier auch alles in Ordnung war. Josuah Parker half ihm gern bei diesem Vorgehen.
* Parkers Schirmgriff legte sich um den Hals des jungen Kreditberaters. Nach einem kurzen Ruck flog der Mitarbeiter des Kreditvermittlers fast waagerecht ins Büro und landete auf dem Boden. »Sie nehmen hoffentlich die Entschuldigung meiner Wenigkeit an«, sagte der Butler. »Möglicherweise wurden Sie das Opfer eines übergroßen Eifers.« »Was…was läuft hier ab, Chef?« fragte der junge Mann seinen Arbeitgeber, der neben dem Aktenschrank stand und einen recht steifen Eindruck machte. »Mister Delfors ist so kooperativ, seine Zusammenarbeit mit Mister Norman Coswick zu erklären«, antwortete Parker für den Kreditverleiher. »Sind Sie vom Bau?« fragte der junge Mann arglos weiter. Er lächelte inzwischen, obwohl er sich den Hals vorsichtig massierte. Er hatte wohl den Eindruck, branchengemäß behandelt worden zu sein. »Diese Ihre Frage kann und muß man uneingeschränkt mit ja beantworten«, gab der Butler zurück. »Mister Coswick bedient Sie nach wie vor ausgiebig mit kreditsuchenden Drogen-Kunden?« »Klar doch, denn…«
»Half endlich die Klappe, du Idiot«, brüllte Patty Delfors in diesem Augenblick und vergaß für einen Moment seine Angst vor dem Blasrohr-Pfeil. »Wieso, Chef, sollte ich denn nicht…? Moment mal, sind die beiden Leute da gar nicht…? Aber nicht mit mir!« Er hatte abgehackt und schnell laut gedacht und geredet und wollte nun das Blatt noch mal im Sinne seines Firmenchefs wenden. Er langte nach einer offensichtlich vorhandenen Schulterhalfter und wollte eine Schußwaffe ziehen. Dabei konzentrierte er sich verständlicherweise auf den Butler, der ihn ja immerhin abrupt in das Büro befördert hatte. Der junge Mann übersah so Lady Simpson, deren perlenbestickter Pompadour längst in Pendelbewegungen geraten war. Als der Schütze in spe nun seine Waffe auf den Butler richten wollte, ließ sie ihr fast neckisch aussehendes Handtäschchen auf die Waffe fallen. Sie wurde dem jungen Mann aus der Hand geschlagen, wobei sich gewisse Prellungen in den Fingern einstellten. Der Getroffene jaulte überrascht auf, riß die inzwischen leere Hand hoch und hob anklagend die Finger, die sich momentan nicht mehr bewegen ließen. »Ich denke, ich werde Ihnen mein Täschchen um die Ohren schlagen, falls Sie mich noch mal attackieren wollen«, kündigte die ältere Dame freundlich an. »Entscheiden Sie also selbst, wie Sie’s haben möchten.« Während sie sprach, langte sie nach einer Collegmappe und schüttete deren Inhalt an Papieren, Schriftstücken und Banknoten auf die Schreibtischplatte. Dann wanderten die Banknotenbündel aus dem Tresor in diese Collegmappe, wobei Lady Agatha selbstverständlich auch jenes Geld nicht vergaß, das sie vor wenigen Augenblicken erst auf die Tischplatte geschüttet hatte. Parker interessierte sich inzwischen für jene Schriftstücke und Papiere, die aus der Collegmappe stammten. Sein anfänglicher Verdacht wurde voll bestätigt. Es handelte sich um Kreditanträge, die vom Tag zuvor stammten. »Da… dafür werde ich Sie anzeigen und vor Gericht schleppen«, erklärte Patty Delfors ohne großen Nachdruck. »Dafür zeige ich Sie an. Das ist Diebstahl.« »In der Tat, Mister Delfors«, bestätigte Josuah Parker. »Allein die von Ihnen eingesetzten Zinsen sind eine Zumutung. Man wird
sich darüber noch privat mit Ihnen unterhalten müssen. Würden Sie jetzt die Freundlichkeit haben, Mylady und meine Wenigkeit zur Straße zurückzubringen? Man könnte dazu vielleicht den vorhandenen Notausgang benutzen. Er wurde genau beschrieben und dient ja Ihrer Sicherheit.« »Ich… ich protestiere«, meinte Delfors mit schwacher Stimme. »Wie schön«, gab Lady Agatha zurück und lächelte wohlwollend.
* »Ich glaube, ich war sehr überzeugend, Mister Parker, nicht wahr?« fragte Lady Agatha knapp fünf Minuten später. Sie saß im hochbeinigen Monstrum und blickte interessiert auf die Banknotenbündel in der geöffneten Collegmappe. »Mylady pflegen stets Spuren zu hinterlassen«, beantwortete Parker die Frage seiner Herrin, »deshalb beabsichtigen Mylady auch, nun Mister Norman Coswick aufzusuchen.« »Völlig richtig«, entgegnete sie munter. »Und wer ist das, Mister Parker?« »Mister Norman Coswick betreibt in Bloomsbury einen Bio-Laden und hat sich auf Gesundheitskräuter aller Art spezialisiert«, gab der Butler Auskunft. »Er dürfte laut vorliegender Hinweise und Teilaussagen der Lieferant jener Dealer sein, die von Mister Lonny Charter eingesetzt werden.« »Ich weiß, ich weiß«, erfolgte prompt ihre Standard-Antwort. »Sie sollten inzwischen längst wissen, Mister Parker, daß ich alle Details stets im Kopf habe. Diese Dealer haben sich auf diverse Schulen im Norden und Westen der Stadt spezialisiert.« »So kann man in der Tat sagen, Mylady«, erwiderte der Butler. »Mister Charter ist der Auftraggeber der beiden Klein-Dealer Soldy und Harpers, die Mister Wadning und dessen Tante belästigten.« »Das reicht jetzt, Mister Parker«, wehrte sie energisch ab. »Passen Sie nur auf, daß Sie nicht die Übersicht verlieren. Sie neigen dazu, wie ich aus Erfahrung weiß.« »Mylady würden meiner Wenigkeit in einem solchen Fall mit intimen Kenntnissen beispringen«, behauptete der Butler. »Um aber auf Mister Norman Coswick zurückzukommen, Mylady, er könnte durchaus der Kopf der sogenannten Koka-Dealer sein.«
»Wer denn sonst, Mister Parker?« Sie nickte nachdrücklich. »Und ich werde dieses Subjekt überführen. Ist es übrigens jetzt nicht vorgewarnt?« »Mister Delfors dürfte vorerst nicht in der Verfassung sein, sich seiner Umgebung mitzuteilen«, wußte Josuah Parker. »Dies gut natürlich auch für seinen Angestellten, der später ins Büro kam. Beide Personen wurden entsprechend präpariert.« »Nun denn.« Sie lächelte versonnen. »Bringen Sie mich zu diesem Kräuter-Lümmel, Mister Parker. Ich werde ihm auf den Zahn fühlen. Werde ich übrigens verfolgt?« »Vorerst wäre nichts davon zu vermelden, Mylady«, gab Josuah Parker zurück. »Die Gegenseite scheint momentan ein wenig irritiert zu sein.« »Das dürfte sich noch steigern, Mister Parker«, prophezeite sie. »War da nicht noch ein Gangster, den ich aufsuchen muß?« »Mylady denken an Mister Clive Blamefull«, diente Parker mit der entsprechenden Auskunft. »Er ist der Auftraggeber der beiden Motorradfahrer, die Chief-Superintendent McWarden freundlicherweise übernahm. Mister Blamefull verkauft Snacks in der Nähe von Schulen.« »Diese Snacks werde ich mir ansehen, Mister Parker«, versprach Agatha Simpson. »Ich kann mir schon denken, womit sie belegt sind.« »Myladys Vermutung dürfte den sprichwörtlichen Nagel wieder mal auf den Kopf getroffen haben«, meinte der Butler, »und besagter Mister Blamefull könnte durchaus von Mister Coswick beliefert werden, was die Drogen betrifft. Mylady wollen und werden sich allerdings noch nicht festlegen für diese Variante.« »Das haben Sie treffend ausgedrückt, Mister Parker«, lobte sie zurückhaltend. »Selbstverständlich werde ich mich nicht festlegen. Zuerst muß ich mir die Subjekte mal genau ansehen.« Sie rückte sich in ihrer Wagenecke zurecht und gab sich ihren Gedanken hin, was etwa eine Minute dauerte. Dann aber war sie bereits eingeschlafen und meditierte, wie sie diesen Zustand stets umschrieb.
*
Man fühlte sich direkt wohl in diesen Gewölben, die Norman Coswick als Ladenlokal dienten. Es roch geheimnisvoll nach Gewürzen aller Art, das Licht war schwach und schuf eine märchenhafte Atmosphäre. Coswick war ein guter Verkäufer. An den geweißten Ziegelwänden standen auf niedrigen Stellagen prall gefüllte Säcke mit Nüssen, getrockneten Früchten und Kräutern. Es gab Regale, die mit großen Gläsern besetzt waren. In ihnen waren ebenfalls seltsame Wurzeln, Kräuter und gesteinartige Brocken zu sehen. Zusätzlich zu den Kräutern bot Coswick alle gängigen Getreidesorten an, alles unbehandelt und aus biologischem Anbau. Er verkaufte Brote, Wurstsorten und Käse-Spezialitäten. Lady Agatha war hingerissen, zumal es an einem besonderen Tisch Kostproben gab. Produkte aus Soja wurden angeboten: Pasten, Schnitten und nußbesetzte Riegel. Die ältere Dame entließ ihren Butler mit einem entsprechenden Blick und widmete sich den diversen Angeboten. Sie begann mit einer Bouillon aus Kräutern, angereichert mit feinen Klößchen aus Soja und Hafer. Parker deutete eine Verbeugung in Richtung Mylady an und steuerte gemessen auf einen rundlichen Mann zu, der etwa fünfzig sein mochte. Er trug eine weiße Bauchschürze und hatte gerade ein junges Paar bedient, das sich mit Öko-Produkten eingedeckt hatte. »Man wünscht einen rundherum freundlichen und umsatzreichen Morgen«, grüßte Josuah Parker und lüftete die schwarze Melone. »Sie sind Mister Norman Coswick, wie anzunehmen ist?« »Coswick«, stellte der Rundliche sich vor. »Was kann ich für Sie tun, Sir? Sie kennen bereits die einmaligen Vorteile der BioNahrung?« »Man hörte andeutungsweise davon«, antwortete der Butler. »Kann man bei Ihnen auch spezielle Ware erstehen?« »Ich denke, ich habe alles, was der Globus an Exotischem bietet«, behauptete Coswick, der einen sehr aufmerksamen und hellwachen Eindruck auf den Butler machte. »Meine Wenigkeit wäre an Heroin oder auch Kokain interessiert«, machte Parker deutlich. »Entsprechende Lieferverträge haben Sie ja seit geraumer Zeit mit Mister Charter abgeschlossen, wie in Erfahrung zu bringen war.« »Sie sind…?« fragte Coswick gedehnt.
»Sie haben das Privileg, Lady Simpson gleich bedienen zu dürfen«, schickte der Butler voraus. »Mein Name ist Parker, Josuah Parker.« »Heroin und Kokain?« wiederholte Coswick und lehnte sich gegen ein Regal. »Wer hat Ihnen denn diesen Bären aufgebunden? Ich werde mich hüten, Rausch-Drogen anzubieten.« »Mister Charter ist da völlig anderer Meinung.« »Ich kennen keinen Charter«, erwiderte der Bio-Anbieter achselzuckend. »Offensichtlich hat man Ihnen eine wilde Story erzählt, die mir schaden soll.« »Ihnen sind demnach auch die Herren Blamefull, Delfors und Ladway unbekannt?« »Und wie«, schwindelte Coswick weiter. »Wie gesagt, man dürfte Ihnen da was untergejubelt haben. Hier können Sie von mir aus Suchhunde loslassen, die würden nichts an Drogen finden.« »Die Düfte der Kräuter sind geradezu betäubend«, meinte Josuah Parker. »Selbst empfindliche Hundenasen dürften hier kapitulieren, Mister Coswick.« »Wer sind Sie eigentlich?« wollte der Kräuter-Anbieter jetzt wissen. »Gut, Sie haben sich gerade vorgestellt, doch Ihre Namen sagen mir überhaupt nichts.« »Lady Simpson beschäftigt sich mit der Aufklärung von Verbrechen aller Art«, erklärte der Butler. »Momentan bemüht sich Mylady darum, den Drogenverkauf an Jugendliche zu ahnden und zu unterbinden.« »Da hat die alte Dame sich aber was vorgenommen«, gab Coswick beeindruckt zurück. »Ich kenne mich zwar im Drogenhandel nicht aus, aber ich weiß aus Zeitungen, daß diese Leute sehr hart und konsequent sind.« »Sie also sind dieser Drogenverkäufer en gros, junger Mann?« ließ Lady Simpson sich in diesem Moment vernehmen. »Ich werde Ihnen natürlich das Handwerk legen, aber vorher brauche ich eine Tragetasche für die Bio-Proben. Ich denke, ich werde mich ernährungsmäßig umstellen. Nicht gerade sofort, aber irgendwann…« »Ich… ich soll Drogenhändler sein?« staunte Coswick. »Also, das fehlte noch. Ich habe große Lust, Sie zu verklagen, aber vorher werde ich Ihnen mal zeigen, wie empfindlich ich bin.« Er schob zwei Finger in den Mund und stieß einen gellenden Pfiff aus, der die Trommelfelle beleidigte. Für den Butler war dies das
Zeichen für Aktivitäten, die in den kommenden Minuten zu erwarten waren.
* Es waren drei junge Männer in Jogging-Anzügen und Tennisschuhen. Sie machten einen durchtrainierten Eindruck und erinnerten den Butler an treu ergebene Vierbeiner, die ihren Herrn ungeduldig anblickten und auf ein Angriffszeichen warteten. Parker ging sofort zum Angriff über, um den drei Sportlern erst gar keine Entfaltung zu gestatten, Aggressionen mußten im Keim erstickt werden, und Parker wußte auch schon, wie dies zu bewerkstelligen war. Er begann mit einer gehörigen Portion CurryPulver. Der Butler langte mit der rechten, schwarz behandschuhten Hand in den kleinen, aufgekrempelten Sack, der auf einer Stellage stand, versorgte sich mit einer Handvoll dieses exotischen Gewürzes und puderte die völlig überraschten Männer ein, die sich gerade zum Angriff formierten. Sie hatten sich breitbeinig aufgebaut, die angewinkelten Arme gehoben, und zeigten ihre Handkanten. Sie wollten zweifellos mit einer Demonstration fernöstlicher Kampftechnik aufwarten, doch das Curry-Pulver machte ihnen einen Strich durch die Rechnung. Die Schleimhäute der Augen reagierten überrascht und nahmen dennoch willig das scharfe Gewürzpulver, um anschließend wahre Tränenfluten zu produzieren. Das Pulver drang auch in die Nasen, und die jungen Männer niesten ausgiebig, was sie daran hinderte, Mylady und Parker gegenüber tätig zu werden. Lady Agatha sorgte für eine Steigerung. Sie hatte sich vom Kostproben-Tisch gelöst und brachte einige Überraschungen mit. Zuerst goß sie nicht gerade kalte Bouillon in die halb geöffneten Blousons und förderte auf diese, ein wenig ungewöhnliche Art die regionale Durchblutung der Brustpartien. Als die Betroffenen herumhüpften und Tanzeinlagen absolvierten, schmierte die ältere Dame ihnen Tofu-Masse ins Gesicht, was das Sehvermögen der Unglücklichen kaum verbesserte. »Sie sollten vielleicht nicht das sprichwörtliche Weite suchen«, meinte der Butler, als der Kräuter-Anbieter eine schnelle Absetzbewegung erkennen ließ. Mit dem Bambusgriff seines Universal-
Regenschirms bremste er die Flucht von Norman Coswick und zog ihn am Hals zurück zu Mylady. »Ist das dieses verkommene Subjekt, das die Jugend mit Drogen verseucht?« »Mister Coswick streitet dies entschieden ab«, gab Josuah Parker zurück. »Das… das hier ist ein Überfall«, erklärte Coswick und blickte verstört auf die drei Jogging-Sportler, die er per Pfiff herbeigeordert hatte. Sie wischten sich den Tofu-Quark aus den Augen, niesten dazu, machten fast artige Tanzschritte im Rhythmus eines Menuetts und weinten dabei. Sie waren völlig aus dem Tritt und im Augenblick nicht mehr einsatzfähig. »Wem wollen Sie dies glauben machen, Mister Coswick?« erkundigte sich der Butler höflich. »Kein Mensch wird Ihnen und Ihren Lümmeln abnehmen, daß eine hilflose Frau wie ich Sie angegriffen hat«, ließ Lady Simpson sich genußvoll vernehmen. »Ich werde meine Freunde auf Sie hetzen, bis Ihnen die Luft ausgeht«, brach es aus Coswick heraus. Der blanke Haß stand in seinen Augen. Er verzichtete auf jede Tarnung. »Beliefern Sie die Koka-Dealer nun mit Drogen, Mister Coswick?« wiederholte der Butler seine Frage. »Selbst wenn, ich würde es auch ausgerechnet Ihnen sagen, was?« lautete die wütende Antwort. »Und das mit den Drogen müssen Sie mir erst mal beweisen.« »Ihr Vorschlag wird Myladys Einverständnis finden«, erwiderte der Butler, »Schließen Sie dazu vielleicht Ihr Fachgeschäft für – sagen wir – eine Stunde. Innerhalb dieser Zeit wird man mit Sicherheit jene Ware bei Ihnen finden, die Mylady hier zu vermuten geruht.« »Kommen Sie schon, junger Mann«, forderte die ältere Dame ihn auf, »ich werde Sie mit meiner Hutnadel etwas animieren. Hoffentlich vergesse ich mich nicht wieder… Mister Parker, achten Sie auf mich! In der Erregung steche ich bekanntermaßen zu schnell zu. Dies sollte mir vorerst nicht mehr passieren.« »Mylady können auf Kompressen und Verbandsmaterial setzen«, beruhigte der Butler seine Herrin. »Meine Wenigkeit war so vorausschauend, entsprechende Vorsorge zu treffen.« Daraufhin ging Norman Coswick leicht in die Knie.
* Josuah Parker hatte die Jogging-Sportler mit Wegwerffesseln bedacht und sie nebeneinander auf dem Boden plaziert. Er hielt jetzt ein Glas in der Hand, in der früher sicher mal Bonbons aufbewahrt wurden. Nun befanden sich Gelatinekapseln darin, recht groß und von dunkelbrauner Farbe. Sie enthielten eine Flüssigkeit, die laut Etikett auf dem Glas das Öl einer Pflanze Ricinus communis war: Parker kannte selbstverständlich die ungemein abführende Wirkung dieses Öls und bot den jungen Männern die Kapseln an. Die Gefesselten kannten dieses Laxativ allerdings ebenfalls und weigerten sich anfänglich, die dargebotenen Kapseln zu nehmen. »Ich werde die Lümmel überreden, Mister Parker«, sagte Agatha Simpson und hob wie zufällig ihre Hutnadel, die sie in der rechten Hand hielt. Die Männer waren sofort beeindruckt und erklärten sich umgehend bereit, etwas für ihre Verdauung zu tun. Parker lobte ihren Entschluß und fütterte sie anschließend mit je drei Kapseln, die sie mit Heilwasser auf der Basis von Trockenpflaumen herunterspülen durften. »Die Herren sollten sich melden, falls Ihnen danach zumute sein wird«, riet der Butler nach der Einnahme und widmete sich anschließend Coswick, dessen Hände ebenfalls gefesselt waren. Er hatte der Behandlung schweigend zugeschaut und schluckte nun vor Aufregung, zumal Parker das zweckentfremdete Bonbonglas noch in der linken Armbeuge hielt. »Und wenn Sie sich auf den Kopf stellen, Parker, hier bei mir finden Sie nichts«, schwor Coswick. »Und noch einmal, die drei Typen, die Sie aufgezählt haben, kenne ich nicht.« »Meine Wenigkeit erwähnte vier Personen männlichen Geschlechts, Mister Coswick«, erinnerte der Butler. »Zu Ihrer Information, es handelt sich die Herren Charter, Ladway, Blamefull und Delfors.« »Von mir aus auch vier Personen«, redete Coswick weiter. »Und mit Drogen habe ich schon gar nichts zu tun.« »Beginnen wir mit der Suche, junger Mann«, schlug Lady Simpson vor und bedachte ihren Butler mit einem Blick. »Ist die Ladentür geschlossen, Mister Parker?«
»Man wird nicht gestört werden«, versicherte der Butler ihr. »Mylady wünschen eine besondere Art des Vorgehens?« »Ich werde ein kleines Spiel mit diesem Lümmel veranstalten«, gab die ältere Dame zurück. »Es heißt >kalt und heiß<, wie wir es als Kinder gern gespielt haben.« »Mylady denken an bestimmte Spielregeln?« »Natürlich«, antwortete Agatha Simpson, »jedes Mal, wenn ich eine kalte Stelle erwischt habe, versetze ich dem Lümmel einen Stich. Ich denke, ich werde dann nicht lange suchen müssen, um die Drogen zu finden.« »Ein Verfahren, Mylady, das zeitsparend sein dürfte.« »Das ist doch… das ist…?!« Coswick schluckte erneut und suchte nach einem passenden Vergleich. Er war sicher zu dem Schluß gekommen, daß dieses altbekannte Schauspiel >kalt und heiß< sehr einseitig durchgeführt werden sollte. »Da ist wirklich eine hübsche Abwechslung«, stellte die passionierte Detektivin klar und prüfte mit geübter Geste und der Kuppe ihres linken Zeigefingers die Spitze der langen Hutnadel. Anschließend nickte sie Coswick aufmunternd zu. »Sie können das Spiel natürlich wesentlich abkürzen«, meinte sie zu ihm. »Sagen Sie mir dann, wo ich mit der Suche nach dem Drogenversteck beginnen soll. Aber machen Sie es mir nicht zu leicht, ich möchte schließlich meinen Spaß haben.«
* »Was für erstaunliche Waschlappen, Mister Parker«, empörte sich die ältere Dame eine halbe Stunde später. »Dieses Spiel dauerte gerade zwei Stiche lang. Ich hatte mir wirklich mehr davon versprochen.« »Mister Coswick zeichnete sich in der Tat nicht durch Standfestigkeit aus«, meinte der Butler. Er saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und fuhr hinüber nach Paddington, um dort dem Betreiber von Snack-Verkaufswagen einen Besuch abzustatten. »Wegen seiner Empfindlichkeit habe ich ihm immerhin drei Rizinus-Kapseln eingetrichtert«, freute sie sich und lächelte boshaft. »Mylady ebenfalls?« ließ der Butler sich vernehmen. »Sie etwa auch, Mister Parker?« Die ältere Dame lachte schadenfroh.
»Drei Kapseln, Mylady«, beantwortete Parker die Frage seiner Herrin. »Mit dieser Dosis dürfte Mister Coswick mehr als bedient sein.« »Sie sind sicher, daß er und seine drei Lümmel ohne fremde Hilfe nicht aus dem Keller kommen?« vergewisserte sich Lady Simpson. »Davon darf man ohne weiteres ausgehen«, sagte der Butler. »Mylady sollten in Betracht ziehen, daß die insgesamt vier Männer an ihren Händen gefesselt sind.« »Das muß sich ja chaotisch auswirken, wenn die Kapseln Wirkung zeigen«, prophezeite die Detektivin. »Ein guter Morgen, Mister Parker. Ich glaube, ich bin vorerst recht zufrieden.« »Mylady konnten die Koka-Dealer empfindlich schädigen«, pflichtete Josuah Parker ihr bei. »Zwei Kilo Kokain und weit über sechzigtausend Pfund konnten beschlagnahmt werden.« »Nur so kommt man diesen Strolchen bei, Mister Parker«, sagte Lady Agatha und nickte nachdrücklich. »Hätten Sie das Rauschgift auch in diesen Korbflaschen vermutet?« »Keineswegs und mitnichten, Mylady«, gestand Josuah Parker. »Selbst bei gründlicher Prüfung hätte man sich unbedingt täuschen lassen.« »Ich ahnte sofort, wo dieses Kokain versteckt, sein könnte«, behauptete sie. »Wegen der Korb-Ummantelung konnte der Inhalt der Flaschen nur grob geprüft werden.« Parker antwortete nicht. »Ich sah diese Kunststoff-Einsätze in den Flaschen sofort«, lautete die nächste Behauptung Myladys. »Aber grämen Sie sich nicht, Mister Parker, im Lauf der Jahre entwickeln auch Sie für so etwas eine Art sechsten Sinn.« »Meine Wenigkeit wird sich immer strebend bemühen, Mylady«, versprach der Butler, ohne dabei eine Miene zu verziehen. »Waren Mylady übrigens mit einem kleinen Umweg einverstanden?« »Wozu sollte der gut sein, Mister Parker?« »Mylady könnten einige Betroffene sprechen, deren Namen in Mister Delfors’ Kladde verzeichnet sind und die nach Lage der Dinge junge Süchtige sein müssen.« »Keine Frage«, erwiderte sie und nickte. »Ich werde den jungen Leuten ins Gewissen reden, Mister Parker.« Sie lehnte sich zurück und schloß die Augen. Parker, der sie auf dem Umweg über den Rückspiegel kurz beobachtete, wußte aus Erfahrung, daß sie gleich nachhaltig meditieren würde. Er hatte
jetzt also Zeit und Gelegenheit, sich mit dem Fall der Koka-Dealer zu befassen. Die Dinge waren an sich bereits klar. Norman Coswick war der Zulieferer von Charter, der seinerseits seine Dealer auf die Jugendlichen ansetzte und sie mit Drogen versorgte, sie sogar zum Drogengebrauch animierte. Diese Koka-Dealer wurden während ihrer Tätigkeit von den Schlägern Dan Ladways beschützt. Sie schalteten sich immer dann ein, wenn man den Verkauf von Drogen unterbinden wollte. Dann gab es noch diesen Patty Delfors, der Geld verlieh, und zwar an jene Jugendliche, von denen er sich eine schnelle Verzinsung oder Rückgabe versprach. Welche Rolle dieser Clive Blamefull spielte, mußte noch herausgefunden werden. Die beiden gestrandeten Motorradfahrer, die von Chief-Superintendent McWarden übernommen wurden, hatten davon gesprochen, Blamefull habe einige Verkaufswagen für Snacks aller Art. Parker vermutete, daß diese Verkaufswagen sicher vor entsprechenden Schulen aufkreuzten und vermutlich auch Drogen anzubieten hatten. Doch dies mußte erst noch bewiesen werden. Parker hatte den Stadtteil Paddington erreicht und kümmerte sich zuerst im eine jener Adressen, die er in der bewußten Kladde von Patty Delfors gefunden hatte. Es ging dabei um einen Dave Ritter.
* Er keuchte, schnappte nach Luft, zitterte am ganzen Leib und fror erbärmlich wie im tiefsten Winter, obwohl das kleine Zimmer völlig überheizt war: Er lag auf einer Matratze am Boden und bekam kaum mit, daß er Besuch hatte. Parker hatte geläutet, doch man hatte hinter der Tür nicht reagiert. Dafür hatte der Butler aber dieses intensive Keuchen und Röcheln mitbekommen. Es war für ihn daher selbstverständlich gewesen, sich Zutritt zu verschaffen. Dank seiner Fähigkeit, Türschlösser überreden zu können, hatte die Prozedur nur wenige Augenblicke gedauert. Dave Ritter hauste in einer kleinen Dachwohnung, wie man Parker und Lady Simpson unten am Eingang berichtet hatte. Er galt
hier als Student, der unauffällig lebte und als Einzelgänger bekannt war. »Dieser junge Mann dürfte Fieber haben, Mister Parker«, stellte Agatha Simpson fest. »Ich habe für so etwas einen sicheren Blick, ich war schließlich einmal Pfadfinderin und wurde in Erster Hilfe ausgebildet.« »Mister Dave Ritter könnte aber auch durchaus an Entzugserscheinungen leiden, Mylady«, schlug Parker als weitere Erklärung vor. »In diesem Stadium erleidet man das, was man Höllenqualen zu nennen pflegt.« »Richtig«, entgegnete die ältere Dame, »er dürfte unter Drogen stehen. So etwas erkennt man ja sofort. Ich werde den jungen Mann wieder zu sich bringen.« Sie verließ den Raum, der offensichtlich als Schlafzimmer diente und wechselte hinüber in die kleine Küche. Parker beugte sich über den Liegenden, der ihn erst jetzt wahrnahm und sich ein wenig aufrichtete. »Kommst du von Rilon?« fragte er hastig. »Hast du den Stoff mitgebracht?« »Rilon läßt sich entschuldigen«, erwiderte der Butler. Er dachte sofort an die beiden Dealer Rilon und Fortless, die sich auf Jugendliche spezialisiert hatten. Diese Aussage stammte von Dan Ladway, der es schließlich wissen mußte. Parker hatte auf diese Dealer einen gewissen Horace Pickett angesetzt, der die beiden Gangster beobachten sollte. »Ich brauche Stoff«, stöhnte der junge Mann, der knapp zwanzig Jahre alt sein mochte. »Ihr Schuldenstand bei Mister Delfors ist bereits beachtlich«, gab Josuah Parker zurück. »Ja, ja, der kriegt schon sein Geld«, antwortete Dave Ritter aufgebracht und ungeduldig. »Verdammt, ich hab’ ihm doch erst vorgestern ein paar Autoradios und Fotoapparate gebracht. Das müßte vorerst reichen.« »Mister Delfors spricht von immerhin vierhundert Pfund«, zitierte Parker aus der Kladde, die er Delfors weggenommen hatte. »Ein… ein Klacks«, stöhnte der junge Mann und krümmte sich plötzlich. »Ich… ich geh’ kaputt, wenn ich nicht bald Stoff bekomme.« »Sie bevorzugen Heroin oder Kokain?« erkundigte sich der Butler. »Koks«, entgegnete Dave Ritter, »und Rilon weiß das… Er wollte so gegen elf Uhr hier sein… Wer, zum Teufel, sind Sie denn? Wie sind Sie hier reingekommen? Rilon hat Sie also nicht geschickt?«
Er konnte keine weiteren Fragen stellen, krümmte sich erneut und würgte. Er kroch auf allen vieren über den Boden auf einen Putzeimer zu, und Parker wandte sich diskret-angewidert ab. Der Süchtige mußte sich übergeben. Als Parker wieder in das kleine Zimmer zurückkam, lag Dave Ritter neben der Matratze auf dem nackten Boden und zitterte am ganzen Körper wie Espenlaub. »Es war der bereits erwähnte Mister Rilon, der Sie mit dem Kokain vertraut gemacht hat?« tippte Parker an. »Dieses Schwein«, stöhnte der Süchtige und krümmte sich erneut. Er brauchte einige Sekunden, bis er weiterreden konnte. »Zuerst hat er uns das Dreckszeug kostenlos untergejubelt, aber dann mußten wir zahlen.« »Sie brauchten wie lange bis zur Sucht, Mister Ritter?« »Nur ein paar Tage«, lautete die Antwort. »Ich würd’ das Schwein am liebsten umbringen, aber ich brauch’ den Stoff.« »Sie verschaffen sich das Geld für die Droge durch Diebstahl?« »Wie sonst?« Ritter blickte den Butler starr an. »Für den Stoff würde ich alles machen, was verlangt wird. Ich brauch’ das Zeug… Sind Sie sicher, daß Rilon Sie nicht doch geschickt hat? Sie wollen mich nur hochnehmen, wie? Okay, ich… ich hab’ noch was anzubieten… Warten Sie!« Es kostete ihn große Anstrengung, die Matratze ein wenig anzuheben. Er griff unter sie, wühlte dann hastig und präsentierte dem Butler schließlich einige Pfundnoten. »Die… die hab’ ich mir für den Notfall aufgehoben«, sagte Ritter. »Aber jetzt bin ich völlig blank. Kommen Sie schon, rücken Sie mit dem Koks raus!« In diesem Augenblick forderte eine fremde, kalte Stimme den Butler auf, schleunigst die Hände zu heben. Josuah Parker ging auf diesen Vorschlag sofort ein.
* Als er sich umwandte, sah er sich einem etwa fünfundzwanzigjährigen schlanken Mann gegenüber, der eine schallgedämpfte Automatic in der rechten Hand hielt. Der junge Mann, sportlich bekleidet, machte einen profihaften Eindruck. Er lächelte dünn. »Sie sind dieser verrückte Butler, ja?« fragte er.
»Und Sie Mister Jimmy Rilon?« vergewisserte sich der Butler, während er andeutungsweise nickte. »Mann, hab ich ein Glück«, schickte Rilon voraus. »Ausgerechnet ich schnapp’ mir die Prämie.« »Sie sprechen sicher von einem ausgesetzten Kopfgeld«, vermutete Josuah Parker. »Fünftausend Pfund«, bestätigte Jimmy Rilon und lächelte erneut, »leicht und verdammt schnell verdientes Geld.« »Ich brauch’ den Stoff«, stöhnte Dave Ritter dazwischen. »Jimmy, ich brauch’ ihn…!« »Alles zu seiner Zeit, mein Junge«, beschwichtigte Rilon kühl. »Du wirst ja nicht gerade abkratzen, oder?« »Mir zerspringt der Köpf, Jimmy.« »Wenn schon«, tat der Dealer diesen verzweifelten Hinweis ab und konzentrierte sich wieder auf den Butler. »Kaum zu glauben, daß so was wie Sie unseren Verein durcheinander gebracht hat.« »Sie sollten in diesem Zusammenhang aber auch und vor allen Dingen von Lady Simpson sprechen, deren Butler zu sein mir eine Ehre ist, Mister Rilon.« »Das will ich meinen«, war genau in diesem Augenblick die dunkel gefärbte und grollende Stimme der älteren Dame zu vernehmen. Gleichzeitig landete ihr Pompadour mit dem darin befindlichen Glücksbringer auf dem Rücken des Dealers. Jimmy Rilons Körper übernahm die Energie des Schlags, setzte sie um und trieb den jungen Dealer ruckartig nach vorn. Parker trat höflich zur Seite, damit Rilon in jedem Fall ungehindert die Zimmerwand erreichte. Er klatschte gegen sie, scheuerte mit der Stirn an der Tapete entlang und rutschte dann im Zeitlupentempo in Richtung Boden. Dabei fiel ihm die Schußwaffe aus der Hand. Parker barg sie und legte dem Dealer Einwegfesseln an. »Was wären Sie ohne mich, Mister Parker?« fragte Agatha Simpson. »Meine Wenigkeit hätte kaum eine echte Möglichkeit, überleben zu können«, behauptete der Butler, wobei sich auch jetzt kein Muskel in seinem Gesicht rührte. Dave Ritter, der Süchtige, hatte nicht hingehört. Er sah nur seinen Lieferanten am Boden und kroch auf allen vieren auf ihn zu. Dabei ächzte und stöhnte Ritter, er lachte schrill und unvermittelt auf, knickte mit den Armen ein und schrammte dann mit dem
Kinn weiter über den schmutzigen Boden. Er dachte nur an die Droge, die er bei dem immer noch benommenen Dealer vermutete. »Scheußlich«, sagte die passionierte Detektivin. » Der würde- und hemmungslose Alltag eines Süchtigen«, kommentierte der Butler das Geschehen. »Diese Personen sind zu allem bereit, um an Drogen heranzukommen.« Ritter hatte den Dealer erreicht und schob sich über dessen Körper. Mit fahrigen Händen begann der Süchtige dann, die Taschen des Dealers zu durchsuchen. Dabei hechelte er und wischte sich über das verzerrte, schweißnasse Gesicht. Im Gegensatz zu Parker hörte er nicht das höfliche Anklopfen an der Wohnungstür. Der Butler wechselte zur Wand hinüber, hob den Bambusgriff seines Schirmes und hieß den Klopfenden herzlich willkommen.
* Es war Horace Pickett, der sich eingefunden hatte. Der große, schlanke Mann mit dem gepflegt gestutzten Schnurrbart erinnerte an einen pensionierten Offizier, der sich nach wie vor straff hielt. Horace Pickett war vor Jahren Meisterdieb in Sachen fremder Taschen gewesen. Er hatte sich stets mit Personen befaßt, die seiner Einschätzung nach ohne weiteres einen materiellen Verlust ertragen konnten. Doch Pickett war inzwischen aus einem Saulus zu einem Paulus geworden, nachdem er sich eine Brieftasche angeeignet hatte, die einem hohen Mafioso gehört hatte. Der Butler hatte sich im letzten Moment noch lebenserhaltend einschalten können, sonst wäre Horace Pickett sicher umgebracht worden. Nun observierte der ehemalige Eigentumsumverteiler, wie er sich einst bezeichnet hatte, für Parker und Lady Simpson verdächtige Personen. Dank seiner immer noch erstaunlichen und intakten Verbindungen zur Unterwelt verfügte Pickett über stets aktuelle Informationen. Er betrachtete sich als Mitarbeiter des Butlers, dem er treu ergeben war. Mylady aber verehrte er geradezu. Dieser durchaus bemerkenswerte Mann betrat die kleine Wohnung und verwöhnte die ältere Dame erst mal mit einem formvollendeten Handkuß. Normalerweise waren seinerzeit dabei bril-
lantbesetzte Armbänder und sehr teure Uhren abhanden gekommen, doch Pickett wandelte inzwischen auf dem Pfad der Tugend. »Meine Freunde und ich sind hinter Rilon und Fortless her«, erinnerte er dann. »Diese beiden Dealer sind schon seit Stunden sehr tätig und klappern ihre Kunden ab.« »Mylady konnte die Kladde eines Geldverleihers sicherstellen, Mister Pickett«, sagte Josuah Parker. »Viele dieser Künden dürften mit Süchtigen identisch sein. Mister Delfors arbeitet sehr eng mit den Herren Charter und Coswick zusammen.« »Coswick ist das Stichwort, Mister Parker«, meinte Horace Pickett und blickte auf Dave Ritter, der bei seinem Dealer fündig geworden war. Er bereitete sich mit zitternden Händen auf das vor, was er wohl einen Schuß nannte oder eine Straße. Aus einem Briefchen in der Größe eines Kaugummi klopfte er ein weißes Pulver auf den dunklen Deckel einer Metalldose, griff dann hastig nach einem Stück Papier, rollte es zu einer kleinen Röhre und sog dann wechselseitig durch die beiden Nasenlöcher die Droge ein. Danach schüttelte er sich, wurde von Krämpfen heimgesucht, warf sich bäuchlings auf die Matratze und griff mit klauenartig gebildeten Händen in die schmuddelige Bettwäsche. »Fortless und Rilon dürften hier im Viertel etwa zwanzig noch sehr junge Kunden haben«, sagte Pickett. »Und dieses Viertel besteht gerade aus vier bis fünf kurzen Straßen.« »Man wird die Person dort nach den Adressen und Namen befragen«, kündigte der Butler an und deutete auf den Dealer, der wütend an seinen Fesseln zerrte und endlich merkte, daß sie sich durch den Patentverschluß nur noch enger um seine Handgelenke schlossen. »Diese verkommenen Subjekte müssen doch wissen, was sie den jungen Menschen antun«, sagte Lady Simpson. »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit«, lautete die Antwort des Butlers. »Aber das interessiert die Dealer nicht. Sie denken nur an das Geld.« »Ob dieses Individuum auch süchtig ist, Mister Parker?« Sie deutete auf Jimmy Rilon. »Wohl kaum, Mylady, der junge Marin gehört bereits zu den Dealern, die Kleinst-Dealer beliefern, die dann jedoch als süchtig zu betrachten sind.« »Warum sorge ich eigentlich nicht dafür, daß er das kennenlernt, was der junge Mann da gerade durchgemacht hat?«
»Ein Gedanke, Mylady, der meiner Wenigkeit in der Tat automatisch kommt«, gab Josuah Parker zurück. »Die private Hemmung besteht sicher wohl nur in der Furcht, sich selbst schuldig zu machen.« »Ich weiß nicht recht, Mister Parker«, redete die ältere Dame grollend weiter. »Ich glaube nicht, daß ich eine solche Furcht haben würde.« »Schauen Sie sich das hier an, Mylady.« Pickett hatte den Dealer durchsucht und präsentierte der Detektivin eine reiche Ausbeute an Koka-Briefchen. Darüber hinaus deutete der ehemalige Eigentumsverteiler auf ein Bündel von Banknoten. »Etwa sechshundert Pfund«, sagte Pickett. »Beschlagnahmt«, ließ Lady Agatha sich umgehend vernehmen. »Ich weiß, wie man solche Dealer treffen kann.« »Vor dem Haus steht sein Wagen«, sagte Pickett. »Ich wette, daß sich im Kofferraum eine ganze Kollektion von hochwertigen Gebrauchsgegenständen befindet.« »Sachwerte für Koka-Briefchen, Mister Pickett?« wollte die ältere Dame wissen. »Bestimmt, Mylady«, entgegnete Pickett. »Für einen Schuß oder für ein Koka-Briefchen würden diese Süchtigen ohne weiteres ihre Seele verkaufen.« »Und dies alles soll ich so ohne weiteres hinnehmen?« Agatha Simpson baute sich vor dem auf dem Bodensitzenden Dealer auf. »Dieses Individuum sollte wirklich mal kosten, wie das weiße Pulver schmeckt. Vielleicht findet das Subjekt Gefallen daran. Was ich dann nur hoffen kann. Ich bin grausam, Mister Parker, nicht wahr?« »Meine bescheidene Wenigkeit möchte nicht unbedingt widersprechen«, gab Parker zurück. »Man ist dennoch in der Versuchung, Mylady beizupflichten.«
* Horace Picketts Freunde hatten den Dealer Jimmy Rilon übernommen und wollten ihn zu einer Art Sammelplatz schaffen. Parker rechnete mit weiteren Personen, die er für eine gewisse Zeit aus dem Verkehr zu ziehen gedachte.
Er war wieder auf dem eigentlichen Weg, dem Anbieter von Snacks einen Besuch abzustatten. Weit war es bis zum Stammhaus Clive Blamefulls nicht mehr. »Ich mache mir Vorwürfe, Mister Parker«, sagte Lady Simpson, die allerdings einen recht aufgeräumten Eindruck machte. »Mylady sehen meine Wenigkeit geradezu bestürzt«, ließ Josuah Parker sich vernehmen. »Ich hätte diesem verkommenem Individuum mehr als nur drei Rizinus-Kapseln verabreichen müssen.« »Mylady können davon ausgehen, daß Mister Rilon sich sehen bald in einem gewissen Notstand befinden wird«, versicherte Parker der älteren Dame. »Dies gilt auch für den jungen Mister Ritter.« »Ich mußte ihm als Gegengift zu diesem Koks ebenfalls eine Kapsel verabreichen, Mister Parker.« »Es dürfte ihn eine Zeitlang von der Droge ablenken, Mylady.« »Habe ich noch genug von diesen Zauberkapseln bei mir?« sorgte sich die ältere Dame. »Mylady können damit auch weiterhin frei schalten und walten«, beruhigte Parker seine Herrin. »Mister Blamefull kann sich sicher bereits jetzt schon darauf freuen, was Mylady ihm zubilligen wird.« Sie nickte, lächelte versonnen und lehnte sich zufrieden zurück. Parker dachte an Horace Pickett, dessen Freunde sich um den zweiten Dealer Fortless kümmerten, um, ihn bei passender Gelegenheit abzufangen und zum >Sammelplatz< zu schaffen. Fortless und Rilon waren schließlich laut Ladway auf jugendliche Kunden spezialisiert. Im Grund war es Parker gleichgültig, wer nun die Koka-Dealer leitete. Ob Coswick oder vielleicht sogar der noch unbekannte Blamefull, das spielte keine Rolle. Es ging nur darum, diesen speziellen Zweig des Drogengeschäfts zu zerschlagen. Parker machte sich keine Illusionen. Für diejenigen, die man heute der Polizei überstellte, waren morgen neue Dealer bereit, ihr schändliches Geschäft auszuführen. Gegen die Flut von Drogen und Dealern schien kein Kraut gewachsen zu sein. Dennoch war Parker nicht bereit, den Kampf im vorhinein aufzugeben. Man mußte die Kerle und ihre Hintermänner bekämpfen, wo immer sie antraf.
Im Kofferraum des hochbeinigen Monstrums lagen die Plastikschläuche aus den Korbflaschen. Es handelte sich um etwa zwei Kilo Kokain, das der Butler den Dealern abgenommen hatte, von den sechzigtausend Pfund mal ganz zu schweigen. Damit hatte er die Koka-Dealer mehr als empfindlich zur Ader gelassen. Sie mußten alles daransetzen, sich wieder in den Besitz dieser wertvollen Droge zu bringen. Und genau darauf setzte der Butler. Er lud sie im übertragenen Sinn alle nach Shepherd’s Market ein, wo sie sich deiner Schätzung nach auch früher oder später vor Myladys Haus einfinden würden. »Werde ich verfolgt, Mister Parker?« fragte Lady Agatha nach etwa zehn Minuten. »Noch nicht direkt, Mylady«, gab der Butler zurück, »doch was nicht ist, kann möglicherweise noch werden.« »Nun denn.« Sie atmete tief durch. »Sorgen Sie dafür, daß die Dealer meine Spur nicht verlieren. Für mich ist dieser Fall noch längst nicht ausgestanden.«
* Die Snack-Bar in der Spitze eines Eckhauses sah sehr einladend aus. Es gab zwei große Fensterreihen zu beiden Seiten der Straße. Man konnte durch sie hindurch in die Küche blicken, in der weiß gekleidete Köche die kleinen Mahlzeiten zubereiteten. An festgeschraubten Tischchen säßen viele junge Menschen auf drehbaren Plastikschälen, die als Stühle dienten und selbstverständlich ebenfalls mit dem Boden verbunden waren. Vorn an der Ausgabetheke standen etwa zehn Personen, die auf ihre frisch zubereiteten Snacks warteten. »Da läuft einem ja das Wasser im Mund zusammen«, stellte Lady Agatha sachkundig fest. »Sehr appetitlich anzuschauen, Mister Parker. Ich denke, ich werde mir die Zeit nehmen, eine Kostprobe zu verlangen.« »Ein Wunsch, auf den Mister Blamefull sicher eingehen wird«, vermutete Josuah Parker. Er hatte sein hochbeiniges Monstrum inzwischen am Ende einer Schaufensterreihe gestoppt und steuerte es auf einen kleinen Parkplatz, wo beherrschend ein Rolls Royce stand ein sicheres Zeichen für den Butler, daß der Anbieter von Snacks, nämlich Clive Blamefull, zu Hause war.
Und dies sollte sich bald bestätigen. Josuah Parker stand zusammen mit Lady Agatha vor einer schwarz lackierten Haustür, an der der Name Blamefull mit kleinen Messingbuchstaben angebracht war. Er betrachtete kurz das Schloß und entschied sich in Anbetracht der Lage für sein kleines Spezialbesteck. Es sah aus wie das Werkzeug eines passionierten Pfeifenrauchers und bestand aus flachen, schmalen Metallzungen, kleinen Korkenziehern, Haken und dornartigen, vielfach gezackten Dietrichen. Dies alles war sehr klein und sah relativ harmlos aus. Der Butler brauchte für das Schloß etwa vier Sekunden. Danach schob er die Tür auf und warf einen ersten, prüfenden Blick in den langen Korridor. Eine spezielle Wache hatte Blamefull offensichtlich nicht aufgestellt. Er vertraute wohl dem Sicherheitsschloß an der Tür. Parker geleitete die ältere Dame durch den schmalen Gang, erreichte einen fast quadratischen Lichthof und hielt dann auf eine wattierte Tür zu. Er hatte sie gerade erreicht, als sie schnell aufgedrückt wurde. Im Türrahmen erschien ein junger Mann, der den Butler und Lady Simpson perplex anschaute und dann verständlicherweise eine Frage stellen wollte. Parker ließ es dazu erst gar nicht kommen, sondern langte mit dem bleigefüllten Griff seines Schirmes gezielt zu. Anschließend fing er den zu Boden rutschenden Mann auf und schob ihn zurück durch die Tür, die er passieren wollte. »Was ist denn noch, Butch?« fragte eine helle, schneidende Stimme. »Ein plötzliches Unwohlsein Ihres Mitarbeiters, Mister Blamefull«, erklärte der Butler und ließ Butch zu Boden gleiten. Er sah sich einem mittelgroßen, schlanken Mann gegenüber, der eisblaue Augen hatte, eine schmale Nase und einen sehr energischen Mund. »Zum Teufel, wer sind Sie?« fragte der Messerscharfe. »Parker mein Name, Josuah Parker«, stellte der Butler sich vor und lüftete höflich die schwarze Melone. »Sie haben die Ehre, Lady Simpson Rede und Antwort stehen zu dürfen.« »Butler Parker und Lady Simpson?« erfolgte die sehr gedehnte Antwort.
»In der Tat«, bestätigte der Butler. »Sie also sind der Drahtzieher der sogenannten Koka-Dealer?« »Wer behauptet denn diesen Unsinn?« protestierte Blamefull und schüttelte fast vorwurfsvoll den Kopf. »In meinen Snackküchen wird nur erntefrisches Material verarbeitet.« »Mylady spricht von Drogen, vor allen Dingen von Kokain«, fuhr der Butler fort. »Ihre Verkaufsfahrer transportieren den Stoff, wie man wohl in Ihren Kreisen zu sagen pflegt, bis auf die Pausenhöfe diverser Schulen und Kultureinrichtungen.« »Was Sie da behaupten, kann Sie ein Vermögen kosten«, drohte Blamefull gelassen, »mal ganz abgesehen von Beweisen.« »Mylady kommt gerade von Ihrem Partner Coswick«, informierte der Butler sein Gegenüber. »Darüber hinaus erklärte sich auch Mister Delfors bereit, Aussagen zu Ihrer Person zu machen. Von Mister Charter mal ganz zu schweigen.« »Dummes Gerede«, tat Blamefull diese Anschuldigungen leichtfertig ab. »Mir kann man nichts, aber auch gar nichts beweisen, Parker.« »Vielleicht zwei Motorradfahrer, die Sie ja inzwischen längst vermissen, Mister Blamefull. Sie nannten Sie als ihren Auftraggeber.« »Das sollen sie mal wiederholen, wenn sie vor mir stehen«, meinte der Snack-Vertreiber. »Ihre Anschuldigungen sind nichts als heiße Luft, Parker. Verschwinden Sie mitsamt Ihrer komischen Lady, die doch nur…« Natürlich brachte er den Satz nicht zu Ende. Lady Agatha setzte den im Pompadour befindlichen Glücksbringer auf die Brust des Snack-Anbieters, worauf Blamefull unter Gleichgewichtsstörungen litt, die sich mit einer gewissen Knappheit der Atemluft paarten. Danach fiel der Mann auf die Knie und nahm die Gebetshaltung einer bestimmten Religionsrichtung ein. Als er sich mühsam wieder aufrichtete, weinte der Messerscharfe wahre Krokodilstränen. »Nichts für ungut, junger Mann«, sagte die ältere Dame und lächelte fast wohlwollend. »In Ihrem eigenen Interesse habe ich Sie daran gehindert, mich zu beleidigen.« »Dafür… dafür…« Er schnappte nach Luft und zog sich im Zeitlupentempo an der Kante eines Rollschranks hoch, »dafür bring’ ich Sie für Wochen auf ‘ne Intensiv-Station.«
Er war leichtsinnig und unterschätzte die ältere Dame, die nicht gewillt war, Beleidigungen und Drohungen hinzunehmen. Sie trat kurz und trocken mit der linken Schuhspitze zu. Ihre Füße waren nicht klein, die Schuhe daher recht groß. Sie traf das linke Schienbein des Snack-Herstellers, der mit dieser vielleicht undamenhaften Attacke nicht gerechnet hatte. Blamefull brüllte auf, verfärbte sich und ließ sich in einen Sessel fallen, das heißt, er hatte die Absicht. Leider war der Butler nicht mehr in der Lage, seine Bewegung zu bremsen. Mit dem Bambusgriff seines Schirmes hätte er diesen Sessel gerade an sich ziehen und Blamefull anbieten wollen. Der Mann setzte sich also vertrauensvoll auf die Luft, die natürlich nicht in der Lage war, sein Gewicht zu halten. Blamefull landete auf seinem Steißbein, warf die Beine hoch, zappelte einen Moment wie eine Schildkröte auf dem Rücken, rollte sich auf die Seite und behauptete anschließend, er hätte sich einen Nerv eingeklemmt. »Wie schön«, stellte Lady Agatha fest. »Das gönne ich Ihnen. Und wo finde ich jetzt die Drogen, junger Mann? Ich wünsche keine langen Diskussionen. Mister Parker, reichen Sie mir ein paar Kapseln. Wir wollen auch dieses Individuum entsprechend behandeln. Es soll sich später nicht beschweren können.« Der Butler überreichte seiner Herrin drei Kapseln.
* Er war mit seinen Nerven am Ende, als er etwa dreißig Minuten später den Kofferraum des hochbeinigen Monstrums wieder verlassen durfte. Der Vertreiber von Snacks aller Art machte einen völlig zerknitterten Eindruck und blickte hilfesuchend nach allen Seiten. »Sie sind allein, ohne jede fremde Hilfe«, sagte Josuah Parker. »Fühlen Sie sich Mylady ausgeliefert.« »Sie brauchen keine unnötige Angst zu haben, mein Bester«, schaltete die Detektivin sich gefährlich lächelnd ein. »Ich mache Sie nur mit dem vertraut, was Sie jungen Menschen antun.« »Ich weiß von nichts, ich bin unschuldig«, behauptete Blamefull.
»Aber nicht mehr lange, junger Mann«, beruhigte die ältere Dame ihn ironisch und wandte sich an ihren Butler. »Die Briefchen, Mister Parker.« »Was soll denn das? Was für Briefchen?« Blamefull schluckte vor Aufregung. Ihm ging wohl gerade auf, was ihn erwartete. »Mylady hat die Absicht. Sie mit jeher speziellen Ware zu versorgen, die Sie und Ihre Leute an den Schulen vertreiben«, erläuterte der Butler ihm. »Es wird sich um eine mittlere Dosis handeln, die Sie lingual zu sich nehmen dürfen.« »Nicht nur, Mister Parker«, warf Agatha Simpson ein. »Zwei Briefchen werde ich ihm in die Nasenlöcher pusten. Er soll möglichst alles naturgetreu erleben.« »Sie…Sie sind ja wahnsinnig«, stöhnte der Mann. Er hatte sich mit schnellen Blicken umgeschaut und ahnte wohl, daß hier mit fremder Hilfe nicht zu rechnen war. Das hochbeinige Monstrum des Butlers stand auf dem Bauhof irgendeiner Firma. Blamefull wußte noch nicht mal, wohin und in welchen Stadtteil man ihn verbracht hatte. Seine Hände waren auf dem Rücken gefesselt. Er war diesen beiden Personen ausgeliefert. »So werde ich mit allen Subjekten umgehen, die die jungen Menschen an den Schulen mit Drogen versorgen«, sagte die ältere Dame, »und mit Ihnen werde ich anfangen. Wie war das noch, Mister Parker?« »Ihre Verkaufsfahrer bringen die Drogen auf die Pausenhöfe der Schulen«, behauptete der Butler. »Sie verkaufen durchaus regulär Snacks und Getränke, aber eben auch Drogen. Und die Herren haben längst eine riesengroße Kundschaft.« »Lüge, alles Lüge«, schnaufte Blamefull. »Die beiden Spezialisten Fortless und Rilon sorgen für immer neue Abhängigkeiten«, redete der Butler gemessen und würdevoll weiter. »Sie besorgen neue Kunden, die sich bei Mister Delfors Geld ausleihen können, um das Rauschgift zu bezahlen. Schläger des Mister Ladway sorgen dafür, daß pünktlich abgezahlt wird und daß die Dealer nicht gestört werden. Und Mister Charter dürfte so etwas wie Bezirksverwalter sein, der regional für Ordnung sorgt.« »Das saugen Sie sich alles aus den Fingern«, protestierte der Snack-Anbieter und wich zurück, als Lady Simpson einen ovalen Trinkbecher hob, der mit einer kaffeeähnlichen Flüssigkeit gefüllt
war. Parker hatte das Getränk zusammengestellt und es in einer stets an Bord befindlichen Thermosflasche durchgeschüttelt. »Was, was ist das?« fragte Blamefull mißtrauisch und ängstlich zugleich. »Ein Zaubertrank, Mister Blamefull«, antwortete der Butler. »Vergiftungen jeglicher Art brauchen Sie nicht zu fürchten.« »Aber… aber Sie haben da Rauschgift untergemixt, wie?« »Kokain, wie Ihre Verkaufsfahrer es anbieten, Mister Blamefull.« »Ich… weigere mich, auch nur einen einzigen Schluck zu trinken.« »Ich werde Sie überreden, junger Mann«, meinte die ältere Dame und zeigte dem Snack-Vertreiber eine ihrer Hutnadeln. Sie setzte die Spitze auf den linken Oberschenkel des Mannes, der daraufhin einem plötzlichen Sinneswandel folgte und den ovalen Trinkbecher bis zur Neige lehrte. »Und alles ohne jede Gewalt«, lobte Mylady sich selbstzufrieden. »Es kommt eben auf die richtigen Argumente an, Mister Parker.« »Mylady waren und sind ein Wunder an Überzeugung«, gab der Butler zurück. »So dürfte es auch in Zukunft stets bleiben.«
* Der Verkaufswagen war ein umgebauter Kleintransporter, der rein optisch bereits zum Kaufen einlud. Er stand in der Auffährt zu einem Schulkomplex. Eine der Seitenwände war hochgeklappt worden und diente als Schutzdach. Hinter der Theke standen zwei weiß gekleidete Verkäufer, die Schiffchen mit dem Namen Blamefull auf dem Kopf trugen. Es gab heiße Würstchen, Hamburger, Hähnchen und eine Art Gyros, dazu Getränke aller Art, sofern sie nicht alkoholisch waren. Alles sah klinisch recht sauber aus. Ein Außenstehender wäre nie auf den Gedanken gekommen, daß man hier auch Drogen aller Art erwerben konnte. Es war gerade Pause. Vor dem Tresen standen in dichtem Knäuel Halbwüchsige beiderlei Geschlechts und lärmten fröhlich. Parker, der sich ein gutes Stück seitlich aufgebaut hatte, beobachtete die jungen Käufer, die durchweg einen unverdächtigen Eindruck machten.
Doch dann fiel ihm auf, daß hin und wieder Halbwüchsige ihre Snacks kurz nach dem Kauf in diverse Papierkörbe warfen, ohne auch nur etwas gegessen zu haben. Es war reiner Zufall, daß Parker den Vorgang wahrgenommen hatte. Dies hatte mit einem Halbwüchsigen zu tun, der mit einem anderen Schüler in Streit geraten war. Der Butler konzentrierte sich auf den Halbwüchsigen, der nach dem Wegwerfen eines Hamburgers schnurstracks in einen Fahrradschuppen wechselte, um dort für einige Minuten zu verschwinden. Ihm taten es einige weitere Halbwüchsige nach. Parker hatte sich vom hochbeinigen Wagen gelöst und wartete, bis wieder mal ein ganz spezieller Hamburger gekauft wurde zu dieser Zeit stand der Butler bereits seitlich hinter dem Fahrradschuppen. Es war ein Halbwüchsiger von etwa vierzehn Jahren, der seinen Snack prompt weggeworfen hatte und sich nun beeilte, in den bewußten Schuppen zu gelangen. Als er sich allein glaubte, wollte er das frisch gekaufte Kokain schnüffeln. Er hatte das weiße Pulver, das wie Traubenzucker aussah, auf einen kleinen Handspiegel geklopft und sog es mit einer kleinen Papierröhre in die Nasenöffnungen. »Sie sind wahrscheinlich versessen darauf, möglichst schnell in einer geschlossenen Anstalt zu sterben«, ließ der Butler sich vernehmen. Der Jugendliche blickte hoch, stutzte und wollte den Butler dann übergangslos attackieren. Parker hatte indes mit einem solchen Angriff gerechnet und benutzte die Spitze seines Schirmes zur Verteidigung. Nachdem er den Solarplexus des Jugendlichen empfindlich getroffen hatte, sackte der Vierzehnjährige förmlich in sich zusammen und schluchzte laut auf. Er leistete keinen weiteren Widerstand, sondern lieferte sich dem Butler aus. »Seit wann haben Fortless oder Rilon Sie in der Schlinge?« erkundigte sich der Butler. »Rilon seit vier Monaten… Ich kann ohne das Zeug nicht mehr leben.« »Man kann selbstverständlich doch,« antwortete Parker. »Aber dazu bedarf es des erklärten Willens.« »Das schaff ich nie«, schluchzte der jugendliche. »Man wird Ihnen und Ihren Freunden dabei intensiv helfen«, versprach der Butler gemessen und würdevoll. »Aber dazu braucht
man Aussagen, um den Koka-Dealern das Handwerk zu legen. Noch haben Sie eine Chance, Sie sollten sie nutzen.«
* »Ich hatte zufällig hier in der Gegend zu tun und wollte mal kurz auf einen Sprung vorbeischauen«, sagte Chief-Superintendent McWarden. »Ich möchte mich bei dieser Gelegenheit natürlich bedanken.« »Sie haben es hoffentlich geschafft, mein lieber McWarden, wenigstens die erforderlichen Verhaftungen vorzunehmen«, schaltete Lady Simpson sich ein. »Meine Leute schlugen gleichzeitig zu«, antwortete der YardGewaltige. »Charter, Ladway, Coswick, Delfors und Blamefull werden bereits intensiv verhört. Sie belasten sich gegenseitig, von ihren Handlangern und Mitarbeitern ganz zu schweigen. Wie gesagt, Mylady, wir vom Yard sind Ihnen zu größtem Dank verpflichtet. Wir alle wissen, was wir an Ihnen haben.« »Nun ja, mein lieber McWarden«, gab die Hausherrin zurück. »Vielleicht mögen sie einen kleinen Sherry? Sie brauchen sich ja nicht gerade zu betrinken, nicht wahr?« Sie hatte den Chief-Superintendenten in ihrem Fachwerkhaus in Shepherd’s Market empfangen und genoß die Huldigung. Sie nickte wohlwollend, als Parker den versprochenen Sherry servierte und blickte dennoch scharf auf den Inhalt des Glases. Auch Sherry kostete schließlich Geld. »Wir fragen uns allerdings, Mylady, was Sie mit einem Teil der Koka-Dealer angestellt haben«, fügte McWarden nach einem Schluck hinzu und lächelte ironisch. »Die betreffenden Personen leiden ohne Ausnahme an ruhrähnlichen Anfällen.« »Möglicherweise wurden sie das Opfer jener Präparate, die sie anbieten, Sir«, meinte der Butler. »Sie behaupten, von Ihnen, Mylady, mit Rizinus-Kapseln gefüttert worden zu sein«, informierte der Chief Superintendent und lächelte. »Mister Parker, was sage ich dazu?« fragte die ältere Dame ihren Butler. »Falls dem so gewesen sein wollte, Sir, dürfte das der Beginn einer allgemeinen Reinigung sein«, umschrieb Josuah Parker das
Geschehen, das er sich recht gut vorstellen konnte. »Mylady werden übrigens ein Entwöhnungscenter für jugendliche Drogensüchtige mitfinanzieren.« »Das kostet aber sein Geld«, meinte McWarden und blickte die Detektivin verblüfft an. Er kannte schließlich ihre Sparsamkeit. »Ich habe da einiges Geld gesammelt, mein Lieber«, sagte Lady Simpson und bedachte ihren Butler gleichzeitig mit einem leicht gereizten Blick, der wohl mit seinem Hinweis zusammenhing. »Und ich werde noch zusätzliche Mittel auftreiben.« »Wie ich Sie kenne, wird Ihnen das leicht gelingen, Mylady«, versicherte der hohe Yard-Beamte. »Nun ja, man hat so seine Erfahrung«, lobte sie sich verhalten. »Auf der anderen Seite muß eine alleinstehende Frau wie ich mit jedem Penny rechnen.« »Das ist bekannt, Mylady«, gab McWarden mit sehr ernstem Gesicht zurück. »Ist es nicht so, Mister Parker?« »Meine bescheidene Wenigkeit hat dem mit letzter Sicherheit nichts hinzuzufügen«, erwiderte Parker. Sein Gesicht zeigte die übliche Glätte des hochherrschaftlichen Butlers.
-ENDENächste Woche erscheint BUTLER PARKER Band 511 Edmund Diedrichs
PARKER und die Taxi-Räuber Josuah Parker wundert sich nicht, daß man seinen Wagen abwinkt, wird er doch immer wieder mit einem Taxi verwechselt. Als der Fahrgast ihn später überfallen will, ist der Butler überrascht und ruft den jungen Mann zur Ordnung. In Myladys Souterrain gibt der Räuber schließlich seinen Auftraggeber preis und eröffnet damit einen neuen Fall um kostbare Taxilizenzen, die die Mafia an sich bringen will. Lady Agatha nimmt ebenfalls die Kerle aufs Korn und besucht ein Brüder-Paar, das sich für hartgesotten hält, aber von der älteren Dame das Fürchten lernt. Die List der Londoner Mafia-Chefin, die Agatha Simpson zu einem kleinen Empfang mit kaltem Büfett einlädt, durchschaut Parker souverän und sorgt dafür, daß der Schuß nach hinten losgeht.
Mylady läßt sich das Vergnügen zu tafeln nämlich nicht gern entgehen…