PARKER kocht den Filmboß ab
Roman von Max Marek
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PARKER kocht den Filmboß ab
Roman von Max Marek
»Dieses Benehmen einer Lady gegenüber entspricht nicht der feinen englischen Art«, bemerkte Josuah Parker und deutete mit der Spitze seines Universal-Regenschirmes durchs geöffnete Fenster auf die Fahrbahn. Mike Rander, der sich nach dem Du schen gerade wieder angezogen hatte, hielt im Umbinden seiner Krawatte inne und beugte sich hinaus. Der Anwalt versuchte mit seinem Blick der Richtung zu folgen, in die Parkers Schirm wies. Was sich am hellen Tag auf der Straße ereignete, weckte mehr als nur beiläufiges Interesse. Auf der anderen Seite der Fahrbahn parkte ein schwarzer, ele ganter Bentley. In diesen Wagen zerrten zwei Männer eine attrak tive Blondine, die sich verzweifelt gegen dieses erzwungene Einsteigen wehrte. »Parker, wir müssen was tun«, rief Rander. »Haben wir keine Waffe, um diesem Karren die Reifen zu entlüf ten, damit wir ihn aufhalten? Wir müssen sofort die Polizei ru fen.« »Sir, mit Verlaub zu sagen, gibt es zu Punkt eins Ihrer Einwen dung das Problem, daß wir gegenwärtig über keine Waffe verfü gen, und zu Punkt zwei erweist sich als weitere Schwierigkeit, daß meine Wenigkeit mit außerordentlichem Bedauern bereits vor Minuten festgestellt hat, über ein funktionierendes Telefon nicht verfügen zu können. Es ist leider gestört, Sir.« Randers Stöhnen wehte an Parkers Ohren vorbei. Unten fuhr inzwischen der Bent ley ziemlich schnell davon. Die Hauptpersonen: Mister Fabian: Er ist der Filmboß mit dem direkten Draht zur Unterwelt. Mister Finch: Rechte Hand Fabians und »Hirn« des mächtigs ten Gangsters in London. Sheila: Die reizende Tochter Lady Annabells und Lord Winstons gerät in Fabians Krallen. Buddy Wolfe: Äußerlich ein Grizzlybär, sonst aber Parker treu ergeben. Josuah Parker, Agatha Simpson, Mike Rander und Kathy Porter: Das interessante Detektiv-Quartett macht wieder Schlag zeilen.
Rander griff trotzdem zum Telefon; aber die Leitung war tot. Dann stürmte er zur Tür. »Ich werde woanders telefonieren. Ich habe mir das Kennzei chen gemerkt, Parker.« Er hatte die Tür schon halb geöffnet, da sagte der Butler in seiner unnachahmlichen Ruhe und Gelassen heit: »Das ist nicht erforderlich, Sir, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf. Abgesehen davon, daß meine Wenigkeit auch das Kennzeichen registriert hat, bin ich vermessen genug, mit Verlaub sagen zu dürfen, daß mir der Besitzer des Wagens und die junge Lady durchaus bekannt sind.« Mike Rander zog die Tür wieder zu, lehnte sich mit dem Rücken dagegen und blickte Parker perplex an. »Sie kennen…« Der Butler nickte. »Die von der Natur mit außerordentlicher Att raktivität beschenkte junge Dame ist Miß Sheila, die Tochter von Lady Agathas Freundin Lady Annabell und ihrem Gatten, dem, Lord Winston. Und bei dem Besitzer des Bentley handelt es sich um einen Mister Fabian, der Filme produziert mit – ich bin ver messen genug, das zu sagen – höchst unterschiedlichem Erfolg.« »Mann, Parker, aber wir müssen doch was tun.« Der Butler wirkte unbeeindruckt. »Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, Sir, kann ich dem nur zustimmen. Ich habe mir indessen die Freiheit genommen, bereits diesbezügliche Überle gungen anzustellen.« Rander holte tief Atem, wie er es immer tat, wenn er rasche Antworten erwartete. »Und was für Überlegungen sind das?« fragte er in unverhüllter Ungeduld. »Dieser Mister Fabian hat im Fond des Wagens gesessen. Er ist kein – verzeihen Sie, Sir, daß ich es aussprechen muß – seriöser Filmproduzent. Er dreht sogenannte Pornofilme, Sir. Wenn ich nicht fehl in der Annahme gehe, wird Mister Fabian in absehbarer Zeit wieder in seine Villa in Westend zurückkehren. Mein Vor schlag würde also in diese Richtung gehen, Sir.« »Donnerwetter, Parker, nun wollen wir aber endlich zu Stuhle kommen. Nehmen wir Ihren Wagen oder meinen?« »Meinen, wenn ich gütigst vorschlagen dürfte.« »Sie dürfen. Beeilen wir uns.« Minuten später waren sie auf dem Weg durch die City. Trotz lebhaften Verkehrs hatte Butler Parker genug Gelegenheit, Besit
zer PS-starker Karossen vor Neid erblassen zu lassen, wenn das hochbeinige Monstrum, dem man von außen die aufgemotzte Ma schine nicht ansah, an der Kreuzung bei grün losröhrte und ab stob, als wollte Parkers Wagen wie ein Jet abheben. Sie brauchten logischerweise deshalb auch nur die halbe übliche Zeit bis zur piekfeinen Wohngegend mit den Nobelhütten der O beren Zehntausend. Eine dieser im viktorianischen Stil erbauten Prachtherbergen war das Anwesen dieses ominösen Mr. Fabian. Der Bentley stand direkt in der Einfahrt. Im schmalen Vorgarten kündeten verblühte Forsythien vom nahen Sommer. Ein bescheidenes Messingschild am Tor verriet, daß hier nicht nur jemand mit viel Geld wohnte, sondern sich auch noch die Filmstudios »Pythia« befanden. Zu ihnen wies an der Tür der Villa ein weiteres Schild. Die Studios befanden sich offenbar im hinte ren Teil des Anwesens. Zu Randers Überraschung begab sich der Butler mit ruhigem Schritt geradewegs an der Pforte vorbei zum hinteren Anbau. Aber er kam zunächst nicht sehr weit, denn zwei Gestalten preschten um die hintere Ecke, Burschen wie Kleiderschränke und angetan mit blauen Overalls, auf denen groß und breit »PythiaFilms« geschrieben stand. Daß beide Typen handfeste, massive Holzknüppel in der Hand hielten, könnte Zufall sein. Für Parker jedoch war es das ganz und gar nicht. Dennoch schritt er auf die Kerle so selbstverständ lich zu, als wären es zwei Blumenmädchen und nicht zwei seltsa me Zeitgenossen mit Gesichtern, die glatt eine Schulklasse mit ihrer Lehrerin in panische Flucht schlugen. »Heh, Mann, was wollen Sie hier?« fragte der eine Mann, des sen Stoppelhaar auf dem Schädel an einen kürzlich verlebten Zwangsaufenthalt in Dartmoor erinnerte. »Guten Tag, Gentlemen«, grüßte Parker mit vollendeter Höf lichkeit und lüftete seine Melone. »Meine Wenigkeit wünscht mit Mister Fabian zu sprechen.« »Der ist nicht zu sprechen. Verzieh dich!« fauchte der andere, der ein Gesicht hatte, als hätte er durchgehende Rinderherden zu stoppen versucht. In seiner ramponierten Visage glänzten zwei Schweinsaugen, die Parker geradezu lustvoll fixierten. Der Mann schien zu überlegen, ob er den Butler gleich durch die Luft werfen
sollte, oder ob man besser auf den anderen achten müßte, der recht durchtrainiert wirkte. Womit er Rander meinte. Daß beide nun auf Rander mehr achteten als auf Parker, sollte sich als recht kurzsichtig erweisen. Aber noch wußten sie das bei de nicht, zumal Parker immer noch ausgewählt freundlich fragte: »Darf man sich erkundigen, wann Mister Fabian die Güte hatte, uns vorzulassen?« »Spinnst du, Spaßvogel?« Die beiden sahen sich an, grinsten, lachten frei heraus und schauten wieder auf Parker, der scheinbar ein harmloses Gesicht machte. Doch dann wandten sie sich Rander zu, der weder freundlich noch harmlos wirkte. Von ihm, dachten die beiden, kommt sicher noch Ärger. »Nun gut, wenn Sie es so zu sagen belieben«, erklärte Parker. »Es würde sicher auch gar nicht in ihrem Sinn sein, wenn ich ein Gespräch mit Mister Fabian führen könnte?« »Haha!« lachte der Glatzkopf. »Nun aber Schluß. Macht, daß ihr wegkommt! Los, sonst gibt es was über den Kürbis.« Er hob sei nen Stock zum Schlag. In diesem Moment drang der schrille Schrei einer Frau aus dem Anbau nach draußen… und dann der verzweifelte Ruf: »Hilfe! Hil fe!« Der Glatzkopf sah das als eine Art Signal an, um nicht mehr bei der Vorrede zu bleiben. Er holte noch weiter aus und wollte zu schlagen. Es blieb indessen bei der Absicht. Die Spitze von Parkers Uni versal-Schirm traf ihn wie ein Schwert unter der Gürtellinie, wor auf er mit einem Schrei nach vorn klappte. Bevor der Mann mit dem zerhackten Gesicht etwas tun konnte, zuckte die Schirmspitze noch mal vor. Diesmal landete sie direkt hinter dem linken Ohr des Glatzkopfes, was ungefähr der Wirkung eines K.O.-Schlages auf die Kinnspitze gleichkam. Der Glatzkopf schlug der Länge nach hin und blieb reglos liegen. Keine Sekunde zu früh, denn nun legte der andere los. Er riß ei nen kurzläufigen Revolver aus dem Hosenbund. Im selben Augenblick zischte ihm der mit Preßluft abgeschosse ne Pfeil aus dem Rohr des Schirmes entgegen. Kaum fürs Auge zu verfolgen, flog die bunte Feder mit der mit Betäubungsgift ver sehenen Stahlspitze durch die Luft und traf den Typ unterm Hals an der optimalen Stelle.
Das Betäubungsgift wirkte in einer Sekunde. Der Kerl brachte den Revolver nicht mal in Anschlag, da wurden ihm die Knie but terweich, und er sank mit einer sanften Drehung zu Boden, die einer Schwanensee-Primadonna zur Ehre gereicht hätte. Rander stürmte an Parker vorbei zur Tür des Anbaus, während der Butler zur Sicherheit auch den zweiten mit der Glatze noch leicht betäubte, was gut zwanzig Minuten vorhalten würde. Wieder gellte der schrille Schrei nach draußen. Aber da war auch Josuah Parker schon im Anbau und warf einen Blick in die Runde. Es war eine Art Halle mit Kulissen, Scheinwer fern und einer Filmkamera. Im hinteren Teil befand sich eine Art Glaskasten, der innen als Büro eingerichtet war. Drinnen befanden sich zwei Personen, sonst war niemand weit und breit zu erkennen. Die eine Person war ein bildhübsches Mädchen, das sich ver zweifelt gegen die Zudringlichkeit eines Mannes wehrte, in dem Parker unschwer Mr. Fabian erkannte. Der Filmproduzent war ein Mann in den sogenannten besten Jahren. Sein gutes Leben hatte ihn gerundet wie ein Stück Hefe den Teig. Feist und gierig zugleich umklammerte er mit seinen großen Händen die gegen ihn zierlich wirkende Blondine. Ihre Bluse war zerrissen, der Reißverschluß ihres schlichten, aber ein wenig kurz geratenen Rockes war gelöst. Ihre Beine konnten diesen kurzen Rock übrigens gut vertragen. Sie noch mehr zu verbergen, wäre geradezu sündhaft gewesen, so hübsch waren sie. Mike Rander jagte durch die Halle und war schon an der Tür, da schoß plötzlich von rechts ein riesiges braunes Wesen zwischen den Filmaufbauten hervor und prallte so heftig gegen den Anwalt, daß er zur Seite geworfen wurde und zu Boden stürzte. Ohne jede Hast und wohl überlegt hatte Butler Parker die Situa tion sofort erfaßt und zielte mit der Schirmspitze, als der Hund – denn um einen solchen handelte es sich – mit einem Satz auf den am Boden liegenden Rander springen wollte, um ihm an die Gur gel zu gehen. Ein bunter Blasrohrpfeil traf den Hund direkt am Widerrist. Indessen hatte Fabian die Blondine bis zu einer Couch gedrängt und wollte sie gerade darauf werfen, als draußen der Hund neben Rander zusammenbrach. Aber auch Mike Rander lag reglos.
Der Butler lief zu ihm, etwas mehr als gemessen, und sah, daß Rander mit dem Hinterkopf gegen ein Eisenrohr gestürzt war, sich aber bereits wieder zu regen begann. Die in Bedrängnis geratene blonde Frau nannte sich Sheila und war die Tochter von Lady Annabell und Lord Winston. Fabian hatte im Eifer des Gefechtes und berauscht von der Nähe einer so hübschen Frau noch gar nicht mitbekommen, was drau ßen lief. Doch als Butler Parker die Tür öffnete, ging dem dicken Filmboß ein Licht auf. Er hatte sich gerade über Sheila beugen wollen, die ihn entsetzt anstarrte, als Parker eintrat, die Schirmspitze auf ihn richtete und ihn mit einer in ganz Merry Old England einmaligen Stimme sag te: »Ich wünsche den Herrschaften einen wunderschönen Tag. Eine Störung liegt keineswegs im Bereich meiner Absicht.« * Fabians Gesicht verschwamm wie ein in Wasser getauchtes Tuch. Seine Augen erinnerten den Butler an einen Corridastier im Anblick des Toreros. Rotunterlaufen starrten sie Parker an, der mit unnachahmlichem Lächeln dastand und seinen UniversalRegenschirm mit der Spitze auf Fabian gerichtet hielt. Der Filme macher ahnte nichts von den Möglichkeiten dieses Schirmes, auch nichts von dem Waterloo, das sein irischer Wolfshund und die beiden Aufpasser draußen schon hinter sich hatten. Mr. Fabian fragte sich nur, wie dieser Clown von einem Men schen in sein Allerheiligstes eingedrungen war. Seine Wut richtete sich auch gar nicht so auf den Mann im schwarzen Covercoat, den er nicht für voll nahm, sondern auf seine Helfer. »Sie Idiot, scheren Sie sich zum Kuckuck, wer hat Sie reingelas sen?« Parkers Miene nahm einen gleichmütigen Ausdruck an. Ohne überhaupt nur andeutungsweise diese Frage zu beantworten, sagte er: »O Miß Sheila! Ich hatte ja schon mal die Ehre und das Vergnü gen, Sie zu sehen. Darf ich annehmen, daß Sie möglicherweise beschlossen haben, dieses Haus zu verlassen? Ich stehe Ihnen selbstverständlich mit meinem Wagen zur Verfügung. Soweit ich
es beurteilen kann, wird sich Mister Fabian von Ihnen verabschie den wollen.« Fabian schnaufte wie ein Nilpferd. Seine Augen wurden noch kleiner und rötlicher. »Scheren Sie sich hier raus! Niemand hat Sie herbestellt, zum Henker!« Josuah Parker tat, als gäbe es diesen Mann nicht, hängte seinen Schirm über die Lehne eines Stuhles und half Sheila galant von der Couch. Die junge Dame war so überrascht und fassungslos, daß sie ü berhaupt keine Worte fand. Sie starrte den Butler, den sie von einem Besuch Lady Agathas kannte, als Parker seine Herrin mal begleitet hatte, wie einen Geist an. Als er ihr auch noch gentlemanlike eine Jacke über die Schul tern der zerrissenen Bluse legte, war es um Sheilas Fassung ge schehen. Sie brach in Schluchzen aus, fiel Parker an die Brust und hätte sich bei ihm ausgeweint, wenn ihr Fabian dazu Gelegenheit gegeben hätte. Aber der »Pythia«-Chef nutzte die Chance sofort. Mit einer Ge wandtheit, die Dicke oft wider Erwarten an sich haben, sprang er plötzlich mit einem Satz auf Parker und das Mädchen zu, packte im Vorbeigehen einen Brieföffner, der in seiner Hand wie ein Dolch wirkte. Josuah Parker reagierte sofort, schob die Schluchzende beiseite, packte seinen Universal-Regenschirm und konnte mit der spezial gehärteten Edelstahlspitze gerade noch rechtzeitig auf Fabians schütteres Haar tippen, was den Angreifer ein wenig aus der Bahn warft. er war noch im Schwung nach vorn, die Spitze des Brief öffners auf Parker gerichtet. Sheila war in Gefahr, durch Zufall noch getroffen zu werden, al so kombinierte Parker blitzschnell. Wenn er noch mal reagierte, würde Fabian weiter nach links taumeln, so daß er direkt vor Sheila stand. Möglicherweise reichte dann eine Reflexbewegung, um die Hilflose mit dem dolchartigen Brieföffner zu treffen. Also fegte der Schirm von unten nach oben, die Spitze traf den Brieföffner und mähte ihn aus Fabians Hand. Mit einem Schrei warf sich der Dicke herum, genau in dem Au genblick, als der Schirm wieder herunterkam. Es gab ein merkwürdiges Geräusch, als würde irgendwo an die Tür geklopft. Aber das war keine Faust an der Tür, das war Par kers Schirm auf der Stirnglatze des Dicken.
Josuah Parker sah gelassen, wie Fabian in Zeitlupe auf die Knie ging und dann ebenso betulich auf die Dielen kippte. Es machte noch mal »boing«, dann lag der Dicke wie ein erlegter Keiler vor seinem Jäger. »Wünsche eine angenehme Ruhe!« Parker wandte sich Sheila zu. »Ich erlaube mir zu bemerken, daß wir uns allmählich zum Gehen rüsten sollten, Miß Sheila.« Sie hörte auf zu schluchzen, sah ihn verdattert an und ließ sich von ihm nach draußen führen. Dort hatte sich Mike Rander gera de aufgerafft, stand aber noch ein wenig schwankend wie ein Be trunkener. »Sir«, blieb Parker todernst. »Wenn Sie sich uns vielleicht an schließen würden?« »Was… was ist passiert?« lallte der Anwalt, den es wohl doch etwas mehr erwischt zu haben schien, als es zuerst den Anschein hatte. Er starrte auf den betäubten Hund und fragte: »Was’n das, Parker?« »Es ist ein ausgesucht großes Exemplar des irischen Wolfshun des, dem bekannterweise größten Hund, den es gibt. Man hat sie speziell für die Wolfsjagd gezüchtet. Es handelt sich um aner kannt mutige Tiere. Diesen hier hat die geniale menschliche Intel ligenz überwunden. Der Mensch ist, wenn ich das einmal so sagen darf, eben doch das gefährlichste Raubtier.« Rander ging es nicht so gut, daß er Parkers Ausführungen tat sächlich folgen konnte. Er wankte, von Parker gestützt, an dem ebenfalls am Boden liegenden Mann vorbei, dem Glatzkopf, und wenig später an dem Hackfleischgesicht. Mike Rander, der alles nur verschwommen wie durch ein Aqua rium hindurch erkannte, hatte einige Mühe, auf den Beinen zu bleiben. Die noch völlig entnervte Sheila klammerte sich links an Parker, und rechts wurde Rander von dem Butler gestützt. Wenn Josuah Parker aber hoffte, die Sache weitgehend ausge standen zu haben, sah er sich in dem Augenblick enttäuscht, als er Rander in seinen Wagen verfrachtet hatte und Sheila gerade einstieg. Parker entdeckte plötzlich einen Mann im Bentley, der in der Einfahrt parkte. Dieser Mann war vorhin nicht im Wagen zu sehen gewesen. Und der saß auch nicht so einfach da, sondern hielt etwas in Händen, womit er auf Parker zielte.
Deutlich erkennbar war eine Kalaschnikow. Die Lage war, das mußte sich Parker eingestehen, ziemlich hei kel. Da bellte der Typ im Bentley durchs offene Fenster: »Hol sie wieder raus aus der Kiste! Und wehe, ihr versucht einen Trick! Ich mache wandelnde Springbrunnen aus euch!« »Sehr wohl, Mister, nur einen Augenblick«, verkündete Parker. »Sie gestatten, daß ich die Lady zuerst…« Die dem Gangster offenbar ungewohnte Redeweise bewirkte zumindest vorübergehendes Erstaunen. Josuah Parker kannte diese Wirkung und nutzte sie sofort. Zuerst öffnete er die Wagentür, als wollte er Sheila herausbit ten, doch zugleich griff er blitzschnell ins seitliche Ablagefach der Tür, nahm eine der beiden darin liegenden Spezialhandgranaten, ließ sie geschickt zu Boden fallen, stieß sie routiniert mit kurzem Stoß auf den Bentley zu, was der Mann hinterm Steuer nicht se hen konnte. Der Butler hängte sich seinen Universal-Regenschirm an den linken Arm, hob die Hände bis in Schulterhöhe und zählte im Geist bis fünf. Als er gerade bei der Zahl ankam, gab es unter dem Bentley ei nen dumpfen Knall. Zugleich zischte es rauchend unter dem Wa gen hervor. Der irritierte Balalaikaschütze stieß die Wagentür auf, sprang ins Freie, atmete notgedrungen ein, was da immer stärker unter dem Wagen hervorquoll, taumelte und ließ seine Kalaschnikow fallen. Für den Butler war höchste Eile geboten, zu verschwinden, be vor er und seine Freunde einen Luftzug des betäubenden Gases ins Gesicht bekamen. Rasch war Parker hinterm Steuer seines hochbeinigen Monst rums und fuhr los. Sheila fragte beklommen: »Was war das? Was ist passiert?« »Eine kleine Notmaßnahme, Miß Sheila, sozusagen eine Ab wehrreaktion. Ein Geheimnis, über das ich mich nur sehr ungern auslassen möchte, wenn Sie das verzeihen können. Darf ich Sie bitten, Ihre geschätzte Aufmerksamkeit mal auf Mister Rander zu richten. Er fällt jeden Augenblick vom Sitz. Mir wäre daran gele gen, wenn Sie dies verhindern könnten.«
»Warum sagen Sie nicht gleich, daß ich ihn festhalten soll?« fragte Sheila und schubste Rander wieder fest gegen die Rücken lehne. Hierauf gab ihr Josuah Parker keine Antwort. Diese Frage über stieg seinen persönlichen Geschmack. Vielmehr nahm er zur Kenntnis, daß sie von einem dunkelgrü nen Ford verfolgt wurden. Er war auch dann noch hinter ihnen, als Parker, um sicher zu sein, daß es Verfolger waren, eine Eh renrunde um den Block fuhr. Der Ford blieb in hundert Meter Ab stand auf ihrer Spur. »Mister Parker, wie fahren Sie denn?« fragte Sheila. »Wir müs sen die nächste rechts, oder wollen Sie mich nicht nach Hause bringen?« »Nichts, verehrte Miß Sheila, was ich lieber täte, aber im Au genblick ist der schnellste Weg zum Haus Ihrer Eltern genau je ner, den ich hier zu nehmen das Vergnügen habe.« Sheila widersprach, doch Parker mußte sich knapp entschuldi gen. Der Ford kam penetrant näher, und man war noch nicht auf der wenig befahrenen Sinters-Road. Hier im Stadtverkehr würde es schwierig sein, den Verfolger ohne Beeinträchtigung anderer abzuwimmeln. Die Straße, in der sie im Augenblick fuhren, war ohnehin nicht sehr breit. Beiderseits parkten Autos, die freie Fahrbahn reichte gerade für zwei Fahrzeuge. Dennoch gelang es dem Butler, einen Bus zu überholen. Der Gegenverkehr machte es dem Ford un möglich, dies auch zu tun. Der Abstand wuchs wieder. Plötzlich fuhr vorn aus einer Seitenstraße ein Möbelwagen, nahm die Einbiegung aber nicht scharf genug und kam nicht her um. Er blieb, beide Fahrtrichtungen blockierend, quer auf der Straße stehen. Hinter ihm waren auch schon Personenwagen nachgefahren, so daß der Möbelwagen auch nicht zurückstoßen konnte. Parker entdeckte links die Einfahrt zu einem Parkhaus und fuhr kurzerhand hinein. Aber es war kein gewöhnliches Parkhaus, son dern das einer Versicherungsgesellschaft für deren eigene Ange stellte. Vor ihnen hielt gerade ein Personenwagen in der Einfahrtschleu se. Der Schlagbaum öffnete sich, der Wagen fuhr durch; Parker sofort hinter ihm her. Direkt danach klappte der Schlagbaum her
unter. Im Rückspiegel sah Parker jetzt den Ford von der Straße her in die Parkhauseinfahrt abbiegen. Parkers hochbeiniges Monstrum schoß an dem Personenwagen vor ihm vorbei, als der in eine Parkbucht einscherte. Mit aufge blendeten Scheinwerfern gelangte Parker im dunklen Parkhaus ans Ende der Etage, zog sein Gefährt um die Kurve zur Auffahrt in die nächste Etage und röhrte dann hinauf. Als er links eine freie Bucht entdeckte, bog er scharf ein, bremste abrupt und stand. »Es wäre angebracht«, sagte der Butler zu Sheila, »jetzt mög lichst zu schweigen und sich, wenn Sie mir diesen Rat erlauben, tief zu bücken. Auch Ihnen, Sir, würde ich diesen Rat geben. Mei ne Wenigkeit muß Sie für ein paar Minuten verlassen. Seien Sie aber unbesorgt.« Draußen hörte der Butler den Ford mit quietschenden Reifen um die Ecke der Auffahrt kommen und mit röhrendem Motor die Stei gung heraufschießen. Josuah Parker lauerte hinter einer Betonsäule darauf, daß der Wagen vorbeikam. Und er jagte heran, hielt aber nicht, wie Par ker befürchtete. In der Dunkelheit, die auf der Etage herrschte, konnte er nur schemenhaft etwas vom Fahrer sehen, erkannte aber nicht, ob eine zweite oder auch noch eine dritte Person im Wagen saßen. Der Ford kam zum Etagenende. Wieder quietschten die Reifen und radierten um die Kurve zur Steigung, die in die nächste Park etage führte. Dort ebbte plötzlich der Motorenlärm nach erneutem Quietschen ab. Der Butler schloß daraus, daß der Verfolger dort oben scharf gestoppt hatte und hielt. Parker nutzte die Zeit, um ein Stahlseil aus dem Wagen zu ho len, das er geschickt ein Stück entfernt um einen Betonpfosten wand, die Durchfahrt überspannte, um das Ende wiederum an einem Betonpfeiler der anderen Seite so zu befestigen, daß dieses Seil etwa in Oberschenkelhöhe die Fahrbahn überspannte. Oben wurde der Wagen offenbar gewendet und kam dann wie der die Abfahrt herunter. Das übliche Reifenkreischen war zu hö ren, da strahlten auch schon die Scheinwerfer. Aber noch war der Ford nicht um die Kurve herum. Und diese Zeit reichte Parker, um dem Verfolger ein weiteres Stück entge genzulaufen und einen Feuerlöscher, den er vorhin am letzten
Betonpfeiler vor der Kurve entdeckt hatte, aus der Halterung zu reißen. Da schoß der Ford schon in die Gerade… Josuah Parker schlug den Knopf des Löschers nach unten und spannte den Druckhebel. Schon fauchte eine Fontäne Schaum direkt auf den vorbeifahrenden Ford, breitete sich blitzschnell über der Windschutzscheibe aus, peitschte weiteren Schaum über die Seitenfenster… dann war der Wagen schon vorbei. Es kam, wie Parker vorausberechnete. Der Ford raste ins Stahl seil. Es gab einen mörderischen Schlag, Glas klirrte, Reifen heul ten, Blech schepperte… der Wagen stand. Endlich begriff der Fah rer, daß er festhing. Er stellte den Motor ab, und so war das Zi schen kochenden Wassers aus einem zerfetzten Kühler zu hören. Dampfwolken hüllten den Ford ein… und Schaum, den Parker sprühte, so lange der Löscher noch etwas hergab. Aber dann war der Butler doch leicht überrascht, als drei Gestal ten aus dem ramponierten Auto sprangen und ungeachtet des immer schwächer sprühenden Schaums zum Angriff übergingen. Als der erste Schuß krachte, tauchte Parker zwischen Fahrzeu gen unter und lief hinter ihnen entlang auf die Abfahrt zu, die der Ford gerade heruntergekommen war. Parkers Absicht war klar. Er mußte versuchen, die Verfolger von seinem Wagen wegzulocken. Sie taten ihm diesen Gefallen auch, ballerten aber in der Park etage herum, daß es von den Betonwänden des Decks widerhall te. Glas von Autofenstern klirrte. Ab und zu traf man auch Blech. Bis jetzt war Parker nicht in größere Gefahr geraten. Das sollte sich schnell ändern. Als er zum nächsten Parkdeck eilte, hatten die Kerle eine Eisen leiter entdeckt, die er wohl übersehen haben mußte. Deshalb konnten sie erheblich zum nächsten Deck hinauf abkürzen. Es kamen nur zwei. Der dritte blieb unten. Parker schien, wie er lakonisch insgeheim feststellte, eindeutig in der Falle zu sitzen. Aber er wäre nicht Butler Parker gewesen, wenn ihm jetzt nichts eingefallen wäre. Was ihm in den Sinn kam, war rot angestrichen, hatte den Umfang eines Kinderkörpers und wurde schlicht und ergreifend Hydrant genannt. Dieser Hydrant stand direkt seitlich der Auffahrt zum oberen Parkdeck. In einem Kasten darüber war ein Schlauch aufgerollt, den man der Einfachheit halber gleich angeschlossen hatte.
Parker brauchte eine Sekunde, um den Schlauch aus dem Kas ten zu ziehen, eine weitere, um ein Rad aufzudrehen, womit das Ventil geöffnet wurde. Das war nun etwas ganz anderes als der Feuerlöscher. Hier schoß es derart wuchtig heraus, daß Parker zwei Hände brauchte, um die Spritze zu halten. Er hielt sie voll auf die beiden Kerle, die mit vorgehaltenen Pis tolen anstürmten. Den ersten traf es mit der Wucht eines rotierenden Dreschfle gels. Es riß ihn um, als der Wasserstrahl seine Schulter erwischte. Den anderen spülte es regelrecht davon. Der Wasserstrahl wisch te ihm die Füße nach hinten, und das genügte. Josuah Parker suchte nach dem dritten Mann… Es war zu spät! Plötzlich ebbte der Wasserstrom ab, und eine Stimme hinter Parker sagte eiskalt: »Das war genug für heute. Laß das Ding los und heb die Pfoten, du Komiker!« * Die beleidigende Bemerkung weckte des Butlers Unwillen. Er ließ sich allerdings nichts anmerken. Langsam drehte er sich um und sah den vermißten dritten Mann. Der hielt eine Pistole in der rechten Hand. Sein hageres Gesicht war von einem eisigen Lä cheln verzerrt. Josuah Parker hielt noch immer den Wasserschlauch in den Händen und blickte dann starr an seinem Gegner vorbei, als könnte er etwas in dessen Rücken sehen. Ein uralter Trick, dachte der Butler. Zunächst sah es nicht so aus, als würde Parkers Gegenspieler darauf hereinfallen. Doch plötzlich zischte es rechts von ihnen, als wäre ein Messer in einen Reifen gestochen worden. Der Druck entweichender Luft wurde immer stärker, das Zischen lauter. Aber weder Parker noch sein Gegner ließen sich ablenken. »Du sollst die Pfoten hochnehmen! Bist du taub, du Witzbold?« sagte der Mann vor Parker, aber er konnte ihn damit nicht aus der Ruhe bringen. In dem Augenblick, als Parker wirklich den Wasserschlauch losließ, schepperte etwas linker Hand von Parkers Gegner. Es hörte sich an wie ein Zierring von einem Rad, der dort zu Boden fiel. Und nun funktionierte es doch! Der Mann schaute
kurz nach links, gleichzeitig sank die Hand mit der Pistole nach unten. Die Männerstimme erkannte Parker. Irgendwo zwischen den Autos machte sich Mike Rander be merkbar. »Ich bin hier, Mister Parker! Wenn Sie mich brauchen sollten…« Parkers Gegner fuhr herum. Das war ein Fehler. Dem Butler reichte die Zeit, um blitzschnell die Hände herunter zunehmen, mit der Rechten in seine Covercoattasche zu greifen und etwas herauszuholen, das sich wie feinster Sand anfühlte. Gleichzeitig trat er nach vorn. Als sein Gegner sich wieder um drehte, schleuderte er ihm ins Gesicht, was die geschlossene Hand verbarg. Die Wirkung erfolgte augenblicklich und war verheerend. Der Sand hatte Parkers Gegenspieler voll getroffen. Parker selbst schlug mit der Handkante auf das rechte Handgelenk sei nes Gegners, was dem die Pistole regelrecht aus den Fingern sprengte. Der nächste Schlag wirkte wie K.O. Während der Getroffene zu Boden sank, kam Rander mit langen Sprüngen näher. Er hatte eine Axt in der Hand, wie Parker im Dämmerlicht bemerkte. Wahrscheinlich stammte sie aus einem Feuerlöschkasten, wo solches Gerät aufbewahrt wurde. »Verzeihung, Sir«, sagte Parker und putzte sich sorgfältig mit seinem Taschentuch die Hände ab, »ich glaube, Sie bemühen sich umsonst. Meine Wenigkeit hat bereits alles erledigt. Wir könnten fahren, Sir.« Rander blickte erstaunt, obgleich er im Lauf der Jahre genug derlei Überraschungen bei Parker erlebt hatte. »Wie haben Sie das nur gemacht?« Josuah Parker erlaubte sich ein Lächeln. »Sir«, erklärte er. »Gestatten Sie, daß Ihr Ablenkungsmanöver als eine große Hilfe bezeichnet wird.« Fabians Ganove kam wieder zu sich. Sofort griff er sich ins Ge sicht und rieb die Augen. »Es wird ein wenig bei ihm brennen. Eine reine Abwehrmaß nahme«, meinte der Butler trocken. »Was haben Sie gemacht, Parker? Haben Sie ihm ein Pulver in die Augen gestreut? Er ist ja ganz grau!«
»Eine umweltfreundliche Angelegenheit, Sir«, informierte Parker den Anwalt. »Es handelt sich um weißen Pfeffer. Wenn er ihn aus den Augen gespült hat, wird es keine Nachwirkungen haben.« »Und was machen wir mit ihm?« Bevor Parker antworten konnte, sagte der am Boden liegende Mann heulend: »Ich brauche Wasser. Meine Augen! Es brennt wie die Hölle!« »Sie wissen sicher, wo der Hahn zum Aufdrehen des Wasser schlauches ist. Sie haben ihn ja vorhin geschlossen«, reagierte Parker gelassen. »Es ist sicher für Sie sehr einfach, ihn wieder zu öffnen. Wir empfehlen uns bis dahin. Und herzliche Grüße an Mis ter Fabian!« Kurz darauf waren Mike Rander und Josuah Parker wieder am Wagen. Das noch immer am Seil hängende Verfolgerauto hatte platte Reifen. Parker schaute Rander nur fragend an, und der Anwalt nickte. »Ich habe einmal kurz hineingestochen. Ich dachte, sie würden knallen und könnten den Burschen von Ihnen ablenken, Parker! Aber es hat nur gezischt.« »Es hat mir sehr geholfen, Sir«, meinte Josuah Parker, setzte sich steif, als habe er einen Ladestock verschluckt, hinters Steuer und blickte auf Sheila, die sich hinten im Fond duckte, als müßte sie noch immer Angst haben. Parker beruhigte sie und setzte ein paarmal hin und her, um an dem Verfolgerwagen vorbeizukommen, der die Durchfahrt blo ckierte. Dann fuhren sie hinunter, und es sah so aus, als hätten sie kei ne Probleme mehr zu erwarten. Doch als erstes zeigte sich eine Schranke an der Ausfahrt zur Straße. Diesmal war es Mike Rander, der mit wenigen Handgriffen dafür sorgte, daß diese Schran ke aufging und sie durchfahren konnten. Danach bogen sie in die Straße ein, und Parker war schon sehr optimistisch, Sheila nun endlich zu ihren Eltern ins Savoy-Hotel bringen zu können. Der Anwalt schaute immer wieder durch die Rückscheibe nach hinten. »Parker, wäre es nicht besser gewesen, die drei Kerle zu fesseln und der Polizei zu übergeben?« »Sir, wenn mir die Bemerkung erlaubt ist«, erwiderte Parker, »fühle ich mich noch nicht im Dienst der Polizei. Es ist mir im Au genblick wichtiger, Miß Sheila sicher zu ihren Eltern zu bringen.«
»Ich glaube aber doch, daß es ein Fehler war«, erklärte Rander. »Wir werden verfolgt.« Parker hatte da noch Zweifel, sah aber im Rückspiegel dennoch den Jaguar, der ziemlich rasch näher kam. Der Butler fuhr eben falls schnell, konnte aber den Jaguar nicht abschütteln. Und hier war auch viel zu viel Verkehr. Als er dann auf die vierspurige Schnellstraße, ignorierte er jede Geschwindigkeitsregelung und schoß wie der Blitz auf der Überholspur davon… der Jaguar ihm nach. Es gab eine Abzweigung, von der Parker wußte, eine Straße, die zu einem Fabrikgelände führte und eine halbe Meile nach der Ab zweigung eigentlich gesperrt war. Es stand nur ein Schild dort, und tatsächlich fuhren nur ganz wenige Leute da entlang. Meis tens junge Fahrer, die mal ihren Wagen richtig ausprobieren woll ten. Im Augenblick war die Straße leer. Als Parker einbog und sie entlangfuhr, sah er im Rückspiegel voll den Jaguar. Als der Butler mit seinem Wagen an dem Sperrschild vorbei war, startete er Aktion Nummer 1. Die Betätigung eines ganz bestimmten Druckknopfes am Arma turenbrett verursachte auf elektrischem Weg die Öffnung eines am Wagenboden befindlichen Behälters, der vollgestopft war mit sogenannten Krähenfüßen. Diese aus Chromstahl gefertigten Klammern mit äußerst spitzen Enden fielen immer so, daß we nigstens zwei Enden nach oben ragten. Als sich der Behälter öffnete, rutschten sofort genügend Stahl klammern heraus und tanzten hinter dem Wagen auf dem Beton hin und her, bis sie liegenblieben. Die letzten waren noch gar nicht zur Ruhe gekommen, da brauste der Jaguar voll in diese Klammerwüste hinein. Genußvoll beobachtete Butler Parker im Rückspiegel, was sich seiner Meinung nach gleich abspielen mußte, weil es sich jedes mal, wenn er zu diesem Mittel griff, auch abgespielt hatte. Aber das geschah diesmal nicht! Als wäre nichts geschehen, fuhr der Jaguar weiter, auch wenn sich der Abstand vergrößerte. Doch das änderte sich ebenfalls, der Jaguar holte sogar wieder auf! Rander, dem das alles nicht entgangen war, meinte überrascht: »Sagen Sie mal, Parker, dem passiert ja gar nichts. Der fährt ja immer noch.«
Der Butler hatte bereits eine Erwiderung parat. »Ich vermute, Sir«, redete er in dozierendem Ton, »daß dieses Fahrzeug soge nannte Kammerreifen hat. Eine andere Erklärung ist meiner We nigkeit im Augenblick nicht möglich.« »Kammerreifen?« »Mit Verlaub, Sir. Wie Sie Militärfahrzeuge haben. Statt eines Schlauches sind da mehrere Kammern mit einer Art Spanten aus Gummi, einer Verstärkung. Eine Entwicklung der russischen Ar mee, Sir. Warum sollte sie nicht auch hier bekannt sein?« Mike Rander schaute nach hinten: der Jaguar kam näher. Dann blitzte es dort auf. Aber Parker hatte ebenfalls in den Rückspiegel gesehen und die Gefahr rechtzeitig erkannt. Deshalb zog er den Wagen einmal von rechts nach links, fuhr sozusagen Zickzack. Rechts von ihnen tauchte ein zerfallenes Fabrikgelände auf, das bis an die Straße herangebaut war. Das Gelände ringsherum war voller Brombeeren, das Gemäuer selbst von Efeu berankt. In dem Moment, als der Butler mit seinem Wagen an dieser Ruine vorbeifuhr, betätigte er wiederum einen Schalter am Arma turenbrett. Auch jetzt geschah etwas Verblüffendes: eine Sache, die er sich erst kürzlich in seinen Wagen eingebaut hatte. Es war im Grund nichts weiter als ein Mischer in einem Behälter, der ein Gemisch aus Diesel und Wasser herstellte, was zu einem äußerst glitschigen Schaum führte. Selbst Schmierseife war nicht so gleitfähig wie dieses Produkt. Und dann spritzte es schon hinter Parkers Wagen auf die Fahr bahn. Ein regelrechter Teppich breitete sich in rasender Ge schwindigkeit aus, zum Teil stiebte es durch die Luft. Und der Jaguar raste voll in diese Schmiere hinein… Parker sah noch im Rückspiegel, wie das Fahrzeug zu schleu dern begann, wie es herumgerissen wurde und dann mit voller Breitseite gegen die Fabrikruine donnerte. »Mein Gott, Parker, Sie haben es geschafft. Wie haben Sie es diesmal gemacht? Was ist das gewesen?« »Eine Spezialmischung aus Diesel und Wasser, Sir. Man ver wendet sie gemeinhin auf Torpedobooten und in Unterseebooten, um die Torpedos besser in den Röhren rutschen zu lassen. Sie gleiten dann auch viel besser durchs Wasser. Es gibt nichts, auf dem man besser rutschen könnte.« »Donnerwetter! Den Burschen sind wir los. Müssen wir nicht drehen und wieder zurück?«
Parker hatte bemerkt, daß Sheila vor Angst wieder in der Ecke zusammengesunken war und in panischer Furcht die Hände vors Gesicht hielt. »Wenn ich mir den Hinweis erlauben dürfte, Sir«, sagte der But ler, »vertrüge unsere junge Dame sicher ihre tröstende Hilfe. Und was speziell unsere Rückfahrt angeht, Sir, da kann ich Sie beru higen. Ich werde, sollten Sie keinen anderen Wunsch haben, mir den Umweg durch die alte Fabriksiedlung zu nehmen erlauben.« Josuah Parker fuhr wieder langsamer, fühlte sich sicherer und glaubte annehmen zu können, daß der Jaguar so schnell nicht mehr von der Ruine wegkam, gegen die er geprallt war. Aber das war ein Trugschluß. Und es erwies sich als falsch zu glauben, jede Gefahr wäre vorüber. Denn plötzlich sah Parker den zwar verbeulten, aber immer noch fahrbereiten Jaguar im Rück spiegel. Im Augenblick war Parker mit seinem Wagen mitten in der Fab riksiedlung, wo ein Haus neben dem anderen stand und Kinder spielten, Frauen Wäsche aufhängten und viele Leute auf der Stra ße herumliefen oder fuhren. Es wimmelte auch von Fahrrädern. Josuah Parker konnte nicht so fahren, wie er wollte. Aber auch der Jaguar konnte das nicht. Parker jagte in Richtung Stadt zurück, genauer gesagt in Rich tung Hafen. Er hatte ein ganz bestimmtes Ziel vor Augen, aber er sprach nicht darüber. Hinter ihm versuchte Mike Rander das Mäd chen zu trösten. Der Schock mit dem, was Fabian hatte tun wol len, saß noch tief in Sheila. Der Jaguar holte auf. Rücksichtslos raste er zwischen spielenden Kindern und Radfahrern hindurch. Dann folgte ein Stück freie Strecke. Hier würde er noch schnel ler fahren. Aber auch Parker drehte auf. Sein hochbeiniges Monstrum, dem man die vielen PS ja nicht ansah, erreichte weit höhere Ge schwindigkeit als die erlaubte. Der Butler versuchte es noch mal mit einem Trick. Er wurde auf einer freien Strecke langsamer und ließ den Jaguar herankom men. Deutlich konnte Rander, der immer wieder nach hinten schaute, sehen, wie sich einer der Männer aus dem Seitenfenster beugte und etwas in Händen hielt, an dessen Spitze es aufblitzte. »Er schießt!« rief Rander. Im selben Augenblick betätigte Butler Parker die Nebelanlage.
Aus dem Auspuff quoll jetzt schwarzer Rauch wie aus dem Schlot eines Mississippidampfers, wenn er angeheizt wurde. Dicke schwarze Wolken hüllten die ganze Fahrbahn ein und, machten es dem Verfolger unmöglich, noch etwas zu sehen. Im selben Moment drehte Parker wieder auf. Er schaltete den Kompressor zu, und das hochbeinige Monstrum benahm sich, als ginge es um den Großen Preis von Monza. Die Möglichkeit, so schnell zu fahren, war nur sehr kurz. Parker geriet wieder in dichten Verkehr, bog dann in Seitenstraßen ab, fuhr in engen Nebenstraßen, sogar über Industriehöfe, durch Fab rikanlagen und gelangte schließlich auf diese Weise weitab in Londons Osten. Hier bog er wieder auf eine Zufahrtstraße und hoffte, den Jaguar endgültig abgeschüttelt zu haben. Doch als er auf einer langen Geraden fuhr und einen Bus über holte, sah er im Rückspiegel erneut den Jaguar. »Da kommt er wieder!« rief auch Rander schon. Sheila schrie vor Angst. »Ich gebe mich der Meinung hin, daß Sie Verständnis dafür ha ben werden, Sir, wenn ich ein klein wenig unkonventionell fahre. Sie werden das gleich zu spüren bekommen.« Parker warf einen Blick auf die Uhr am Armaturenbrett. Er fuhr jetzt langsamer. Der Jaguar holte auf. Aber es waren noch etliche Autos zwi schen ihnen. Hier im Verkehrsgewühl konnte der Jaguar auch nicht so fahren, wie er wollte. Dann näherten sie sich der Themse. Die Straße führte gerade aus durch das Tor des Freihafens und mündete ins Hafengebiet. Rechts und links führten Straßen zu den verschiedensten Kais, geradeaus ging eine schmale, gepflasterte Straße direkt zur Fähre zum Kohlenhafen. Im Augenblick waren Fährleute dabei, die Trossen zu lösen, damit man ablegen konnte. Fünf Autos standen auf der Fähre, aber hinten war noch gut und gern für drei oder vier Fahrzeuge Platz. Parker gab Gas. Die Trossen der Fähre waren gelöst, sie schwenkte die Anlege rampe etwas höher. Das ganze Schiff begann sich mit der Strö mung, die die Themse verursachte, ein wenig nach links zu ent fernen. Parker fuhr noch schneller. Er schoß jetzt förmlich dahin.
Der Spalt zwischen der Anlegebohle, die sich an der Fähre selbst befand, und der Anlegestelle betrug jetzt etwa zwei Schrit te und vergrößerte sich ständig. »Was machen Sie, Parker?« rief Rander aufgeregt. »Die Fähre hat schon abgelegt. Sie können doch nicht mehr…« Der Wagen jagte wie ein Geschoß dahin. Er rumpelte nicht mehr über das schlechte Pflaster, sondern flog förmlich darüber. Und dann kam das Ende der Anlegestelle immer näher. Auf der Fähre waren Leute, die entsetzt in Parkers Richtung starrten. Das Ende der Anlegestelle war erreicht! Mit einem Mal drehten die Räder in der Luft, der Wagen schoß über das Wasser hinweg, flog direkt auf die Fähre zu und… lande te auf den Planken, rutschte mit voll gebremsten Rädern noch ein Stück weiter und stand, keine Armlänge von einem abgestellten Wagen entfernt. Das Personal der Fähre kam angestürzt. Ein Mann in Uniform mit weißer Mütze schüttelte drohend die Faust. Josuah Parker hatte keinen Blick dafür, wandte sich um und blickte durchs Rückfenster. Und ebenso magisch von dem An blick, der sich da bot, angezogen, schauten Mike Rander und Sheila nach hinten. Der Jaguar hatte so ein Tempo drauf, daß er nicht mehr halten konnte. Mittlerweile befand sich die Fähre aber gut und gern fünf zehn Meter von der Anlegestelle entfernt. Der Verfolger schoß über das Ende der Anlegestelle hinweg, flog über das Wasser und knallte unmittelbar hinter dem Heck der Fähre ins kalte Naß, so hart wie auf eine Betonplatte. Dann sank der Jaguar erst langsam, bis es immer schneller und unaufhalt sam in die Tiefe ging. Zwei Männer kamen, kurz nach dem Untergehen, an die Ober fläche. Vom Ufer aus wurden Rettungsringe geworfen, aber da befand sich die Fähre schon weit weg. Parker und seine Begleiter sahen noch, wie ein Boot abstieß und auf die beiden Schwimmer, die jeder für sich einen Rettungsring gefaßt hatten, zuhielt. »Teufel nochmal«, meinte Rander. »Ich hätte nicht gedacht; daß wir das schaffen.« Er atmete erleichtert auf. Auch jetzt zeigte Parker seine sagenhafte Gelassenheit. »Es hatte nichts mit dem Teufel zu tun, Sir, wenn ich das mal so er läutern darf. So etwas läßt sich ganz einfach berechnen, und die Herren im Jaguar scheinen seinerzeit ihre Aufgaben in Mathema
tik nicht besonders gut gemacht zu haben. Wie bedauerlich für die beiden Taucher!« * Sie fuhren im dichten Verkehr am Savoy-Hotel vorbei. Als Mike Rander bemerkte, daß der Butler keine Anstalten zum Halten machte, sagte er: »Was haben Sie vor, Parker?« »Es ist meiner Wenigkeit äußerst unangenehm, Sir, aber mit Verlaub, wir müssen wohl auf andere Weise den Weg ins Hotel suchen. Hier vorn am Eingang dürfte uns auf jeden Fall ein Emp fangskomitee erwarten. Nur zwei Gesichter besaßen einen gewis sen Erkennungsgrad. Das eine gehört dem Fahrer des Bentley, der ein wenig narkotisiert werden mußte, das andere dem Glatz kopf, der von uns auch eine kleine Betäubung erfahren hat. Es könnte die Möglichkeit bestehen, Sir, daß wir noch mit weiteren lieben Freunden rechnen müssen. Deshalb sollte man einen ande ren Weg wählen.« »Und was ist das für ein Weg?«,wollte Rander wissen, der sei nen Arm tröstend um Sheila gelegt hatte. »Ein nicht gerade standesgemäßer, Sir, aber deshalb vielleicht sicherer Weg, der durch den Hintereingang und die Küche führt.« »Durch die Küche?« fragte Mike Rander unangenehm berührt. »Durchaus, Sir, wenn es nicht zu vermessen ist, Ihnen diesen Vorschlag zu unterbreiten.« »Nein, nein, Parker, Sie haben wahrscheinlich recht. Wie kom men wir dahin?« »Empfehlenswert wäre eine Fahrt einmal um den Block. Da fän de sich auch eine bessere Möglichkeit zum Parken.« Sie mußten dann doch ein Stück zu Fuß gehen, hatten Sheila zwischen sich genommen, und der Butler achtete mit Argusaugen darauf, daß ihnen niemand, folgte. Aber der Hintereingang des Savoy-Hotels, der in der Parallel straße lag, war verschlossen. Es gab auch keine Klingel. »Jetzt stehen wir wie die Hereingelegten da«, meinte Rander, und Sheila machte wieder ein ängstliches Gesicht.
Josuah Parker sah darin kein großes Problem. Mit seinem Spezi albesteck kitzelte er das Schloß, daß es einer raschen Öffnung nicht widerstehen konnte. Als die Stahltür hinter ihnen zufiel, schloß Parker wieder ab, und sie standen in einem Hof. Der Durchgang war ein schmaler Schlauch, der ein Stück weiter vor einem Tor endete. In dieses Tor war eine kleinere Tür eingelassen, die offenstand. Tatsächlich befand sich hier hinten die Küche des berühmten Restaurants. Das Klappern von Geschirr und die Gerüche drangen bis nach draußen. Auch die Tür zur Küche, die sich linker Hand befand, stand of fen. Drinnen hantierten Köche und Köchinnen und niemand ach tete auf die beiden Gestalten, die die Küche betraten. Die ganze Art, wie der Butler sich gab, ließ keinen vom Personal auf die Idee kommen, daß er etwa hier nichts zu suchen hätte. Es sah vielmehr so aus, als käme eine Inspektion vom Gesundheits amt. Parker tat auch so, als wollte er die Küche inspizieren, blickte einmal dahin, einmal dorthin, neigte seinen Kopf über einen Topf, sah gemessen in die Runde und schritt, Rander und Sheila im Gefolge, durch die Küche hindurch bis zur Schwingtür, die zum Restaurant führte. Niemand hielt sie auf, niemand stellte ihnen eine Frage. Im Ge genteil, in der Küche schien man aufzuatmen, daß diese Inspekti on, wie man glaubte, so schnell vorüber gegangen war. Es war noch keine Essenszeit. Die Kellner standen noch im vor deren Teil des Restaurants herum, blickten aber interessiert nach den Gästen, die den Raum durchquerten. Ein Kellner kam ihnen entgegen, weil er annahm, sie suchten einen Platz, doch Parker lehnte ab. »Wir sind Abgesandte des Ordnungsamtes. Meine Wenigkeit möchte nur mal alles in Augenschein nehmen. Aber hier ist offen sichtlich alles in bester Ordnung.« Der Kellner blieb perplex stehen, schaute ihnen nach, brachte keinen Ton heraus, bis das Terzett wieder aus dem Restaurant war und das Foyer betrat. Parker führte Rander und Sheila zur Treppe. »Wir können den Lift nehmen«, meinte der Anwalt.
»Tut mir sehr leid, Sir«, widersprach Parker. »Aber Sie werden mir sicher Ihre Zustimmung geben, wenn Sie sehen, wer da drü ben steht. Noch hat man uns nicht erkannt.« »Dafür sehe ich jemand anderen«, erklärte Rander. »Schauen Sie mal nach links, Parker! Lady Agatha kommt direkt durch die Drehtür!« Der Butler zupfte den Anwalt am Ärmel. »Es tut mir sehr leid, daß ich Sie bemühen muß. Bleiben Sie dort in der Nische stehen, man kann Sie dann vom Foyer aus nicht mehr sehen. Es obliegt mir, noch eine kleine Angelegenheit zu regeln. Nur zwei Minuten dürften vergehen. Verzeihen Sie, Sir, daß ich Sie warten lassen muß.« Rander blieb mit Sheila in der Nische, die zum Teil durch Kübel pflanzen verborgen war. Josuah Parker strebte aber nicht, wie Rander annahm, auf Lady Agatha zu, er ging nur so, daß sie ihn sah, warf ihr einen kurzen Blick zu und wandte sich dann wieder ab. Agatha Simpson machte zwar einen Moment ein überraschtes Gesicht, begriff dann aber offensichtlich sofort die Reaktion ihres Butlers. Die resolut wirkende und konservativ gekleidete Sechzig jährige, deren junionisch füllige Figur an sich schon sehr ein drucksvoll wirkte, rief gerade mit sonorer Baritonstimme einem Pagen zu: »Junger Mann, zeigen Sie mir bitte den Weg zum Konferenz raum.« Der Page flitzte zu ihr und führte sie dann schräg durch das Fo yer. Ein kurzer Blick in Parkers Richtung bewies, daß sie durchaus verstanden hatte. Der Butler seinerseits steuerte auf einen Mann zu, der nahe der Tür stand. Das war kein gewöhnlicher Mann, so unscheinbar er sich in eine halbdunkle Ecke gestellt hatte, gleichzeitig aber sehr aufmerksam den Eingang beobachtete. Dieser Mann stellte nicht nur rein optisch etwas Besonderes dar, er hatte auch eine außergewöhnliche Vergangenheit. Von Statur war er an die zwei Meter groß, breitschultrig, und Parker wußte von ihm, daß er Kräfte besaß, mit denen er sich im Zirkus zeigen konnte. Und genau im Zirkus hatte er sie früher auch gezeigt und war da als Kettensprenger und Gewichtheber aufgetreten. Jetzt aller dings war Buddy Wolfe über fünfzig und arbeitete brav und red
lich als Rausschmeißer im Savoy-Hotel, den man für besondere Fälle einsetzte und der sich, wurde er nicht direkt gebraucht, ein wenig im Hintergrund zu halten hatte. Bevor Buddy im »Savoy« anfing, war er eine Zeitlang Leibwäch ter eines Gangsters der Londoner Unterwelt gewesen. Um ein Haar wäre Buddy für viele Jahre hinter Gittern gelandet, hätte ihm Butler Parker damals nicht geholfen. Geholfen vor der Polizei und vorm Gericht, so daß man Buddy mildernde Umstände zubilligte und er mit einer kleinen Strafe davonkam. Das hatte Buddy dem Butler nie vergessen und ihn beschworen, ihn zu rufen, wenn er ihn mal brauchen sollte. Im Augenblick hatte Parker für diesen vor Kraft strotzenden Mann gute Verwendung. Er trat neben Buddy, der zur Seite blickte, Parker erkannte und dann lachte. Danach zeigte er ein Gebiß wie ein Pferd. Seine Schweinsaugen verschwanden hinter Backenwülsten, und eine wie aus dem tiefsten Keller klingende Stimme röhrte: »Mister Parker, wie wunderbar, Sie zu sehen.« Josuah Parker hatte keine Zeit für lange Gespräche und Wieder sehensbekundungen. »Mister Buddy«, redete er schnell und ge messen, »könnten Sie sich hier mal entfernen? Möglicherweise gibt es Schwierigkeiten. Meine Wenigkeit möchte zum zweiten Stock empor, jemand begleiten. Es muß sicher sein, Mister Bud dy, daß nichts passiert. Dieser Jemand ist ein junges, unschuldi ges Mädchen, das in den zweiten Stock zu seinen Eltern möchte, genauer gesagt zu Lady Annabell und Lord Winston.« »Schwierigkeiten, Sir?« fragte Buddy verblüfft. »Wollen Sie da mit sagen… wollen Sie damit ausdrücken, daß jemand hier im Haus ist, der Ihnen Schwierigkeiten machen könnte?« »So könnte man es ausdrücken, Mister Buddy. Also kommen Sie bitte, wenn es sich machen läßt.« »Natürlich läßt es sich machen, Sir. Für Sie lasse ich mich in kleine Würfel schneiden, die in ein Ragout passen. Mister Parker, Sie haben mir damals einen Riesengefallen getan, das vergesse ich Ihnen nie!« »Mister Buddy«, raunte der Butler dem Hünen zu. »Keine Lob preisungen! Zeigen Sie mal zur Treppe, als wollten Sie mich auf etwas hinweisen, als zeigten Sie mir den Weg. Tun Sie es bitte mit völlig zwangloser Miene.«
Buddy Wolfe brauchte eine Sekunde, dann hatte er begriffen. Er hob den Arm und deutete zur Treppe, beugte sich dann, während er zu Parker ging, ein wenig herunter und sagte halblaut, was man aber bei seinem starken Organ dennoch im Umkreis von zwanzig Metern hören konnte: »Wir nehmen besser die Treppe, Sir, dann können Sie alles ganz genau sehen.« Parker lächelte. Dann raunte er Buddy zu: »Gut gemacht! So genügt es durchaus. Würden Sie bitte weiter mitkommen.« Wenig später hatten sie die Stelle erreicht, wo Sheila mit Rander wartete. Der Anwalt blickte überrascht auf den riesigen Kerl im Nadelstreifenanzug, der paßte wie ein Rolls-Royce zu einem Menschen im blauen Anton. »Wer ist denn das?« fragte Rander. »Darf ich vielleicht bekannt machen?« erwiderte Parker, deutete kurz auf Buddy Wolfe und sagte: »Dies ist ein lieber alter Be kannter von mir, Buddy Wolfe.« Rander streckte die Hand nicht aus und deutete nur eine kurze Verbeugung an, was bei dem riesigen Menschen ein wenig drollig wirkte, der genauso reagierte. Dann gingen sie nach oben. Rander flüsterte: »Wozu soll das gut sein, daß der Koloß mitkommt?« Parker, der wußte, wen der Anwalt meinte, erwiderte ebenso leise: »Ich gebe mich nicht der Hoffnung hin, daß meine Befürch tungen sich bewahrheiten. Aber wenn schon, wäre es äußerst nützlich für unser Unternehmen, daß er bei uns ist.« Doch diese Hoffnung wurde ihm nicht erfüllt. Als sie im zweiten Stock ankamen, lehnten rechts und links an den Wänden des Flurs vier Männer. Als Rander und Butler Parker, gefolgt von Bud dy Wolfe und Sheila, die letzten Stufen der Treppe emporgingen, lösten sie sich vom Gemäuer, stellten sich nebeneinander auf und wirkten auf Parker einen Augenblick lang wie Dressmen auf einer Herrenmodenschau. Alle trugen graue Straßenanzüge, allesamt hatten sie weinrote Krawatten und trugen Hüte. In ihrer Un scheinbarkeit wirkten sie geradezu auffällig, zumal ihre Straßen anzüge einander beinahe uniformhaft ähnelten. Nur die Gesichter sahen ganz und gar nicht aus wie die von Dressmen. Es waren kantige Visagen, und alle vier Typen wirkten außergewöhnlich sportlich und durchtrainiert. Da standen sie nun
nebeneinander, wippten auf ihren Absätzen und versperrten Par ker und seinem Gefolge den Weg. Der Butler warf erst einen Blick nach links zur anderen Gang richtung, da war niemand. Dann schaute er wieder auf die vier Figuren, die den Weg zum rechten Flügel versperrten. Von diesem Gang gingen die Zimmertüren ab, und er war natürlich mit einem breiten Läufer ausgelegt, der die Schritte dämpfte. Das »Savoy« gehörte nun mal zu den großartigsten Hotels von London. Etwas verwunderlich war nur die Leere der Flure, bis auf die vier Gestal ten. Kein Etagenkellner, kein Zimmermädchen. Aber vielleicht fand Parker dafür später noch eine Erklärung. Bevor der Butler die letzte Stufe nahm, wandte er sich über die Schulter zu Buddy Wolfe zurück und raunte ihm zu. »Den Läufer, Buddy, den Läufer!« Wolfe begriff relativ rasch, blieb dann stehen, während Butler Parker sich umdrehte, Sheila am Arm, die überhaupt nicht begriff, was da auf sie lauerte, und mit ihr zur Seite trat. Es wurde kein einziges Wort gesprochen. Die vier standen da, einer von ihnen grinste schief, die anderen machten ausdruckslo se Gesichter. Auf der vorletzten Stufe stand Sheila mit Parker, in der Mitte Buddy, der noch einen Schritt höher ging, dann etwa drei Schritte vor den vier Figuren stehenblieb, die Arme in die Seiten stemmte und die vier musterte, als wollte er sich mit ihnen prügeln. So groß und kräftig er sein mochte, vier von dieser Sorte wären in jedem Fall für ihn zuviel gewesen. Aber Buddy Wolfe dachte nicht im Traum daran, sie direkt anzugreifen. Er wußte ja von Parker, was es zu tun gab. Rander, der das ebenfalls gehört hatte, war auch am Treppen absatz stehengeblieben und blickte gespannt auf die Szene. Ohne sich zu Butler Parker umzuwenden, ergriff Buddy das Wort und sagte: »Ist es möglich, Mister Parker, daß diese Typen uns nicht durchlassen wollen?« »Ich würde sagen«, meinte Parker, »daß man das zumindest ins Kalkül ziehen sollte.« Endlich entschloß sich einer der vier etwas darauf zu erwidern, und dies war der Mann, der ganz rechts stand, der eben noch so schief gegrinst hatte. »Hört zu, Leute, wir wollen nur das Girl! Ihr anderen könnt euch verdünnisieren.«
»Welch ungehörige Ausdrucksweise«, echauffierte sich Parker. »Mister Buddy, meine Wenigkeit fühlt sich beleidigt!« Buddy Wolfe machte nicht den Fehler, sich zu Butler Parker um zudrehen. »Es ist eine Beleidigung, Mister Parker«, bestätigte er mit seiner tiefen Stimme. Die vier Männer kamen langsam auf ihn zu. Wahrscheinlich wa ren sie sich darin einig, daß sie erst mal Buddy aufs Kreuz legen mußten, wenn sie weiterkommen wollten. Aber dieser Gegner schien plötzlich zu explodieren. Eben hatte er noch mit ein wenig gespreizten Beinen und seinen gewaltigen Händen in der Hüfte dagestanden. Doch auf einmal sprang er einen Schritt zurück, bückte sich, packte den Läufer, und mit ge waltigem Ruck riß er daran. Die vier konnten sich nicht auf den Beinen halten, die wurden ihnen regelrecht unter dem Körper weggerissen. Der vorhin gegrinst und gesprochen hatte, schlug knallend auf den Rücken. Die anderen drei kamen ein wenig besser davon. Zwei gelangten sogar relativ rasch auf die Beine. Aber da war Buddy Wolfe, packte den vordersten, schleuderte ihn dem nächs ten entgegen, erwischte den dritten Mann am Haar, riß ihn zu sich, wirbelte ihn hoch, knallte ihm die linke Faust an den Körper, packte ihn dann mit zwei Händen an der Hüfte und warf ihn auf den sich eben aufraffenden Mann mit dem grinsenden Gesicht; da ging er erneut zu Boden. Der auf ihn gestürzt war, überschlug sich, kam dann aber sofort wieder hoch. Nun griffen drei gleichzeitig den Riesen an. Aber Buddy wiederholte, was seine Gegner vorhin schon aufs Kreuz gelegt hatte. Blitzschnell packte er den Teppich, riß daran, und die drei Angreifer gingen abermals zu Boden. Dann entwickelte Buddy eine erstaunliche Schnelligkeit. Er packte zwei von ihnen mit seinen Händen vorn an der Brust, riß sie hoch, schlug ihre Köpfe aneinander, stieß sie von sich, aber da hatte der dritte ein Messer gezogen. Bis zu diesem Augenblick hatte Josuah Parker zugesehen, denn er war der Meinung, daß Buddy Wolfe ganz gut mit den Leuten fertig wurde. Aber Wolfe war unbewaffnet, und dieses Messer war ein langer spitzer Dolch. Als sich der Bursche jetzt in Buddys Richtung in Bewegung setzte, griff der Butler ein.
Parker hatte seinen Universal-Regenschirm in Aktionsstellung, mit anderen Worten, er hielt ihn mit der Spitze nach vorn. Der Bursche mit dem Messer hatte davon noch nie gehört, was man mit einer solchen Waffe alles machen konnte. Also nahm er das nicht ganz ernst, verzog grinsend das Gesicht und wandte sich nun Parker zu. Aber Parker hätte gar nicht auf seine Art einzugreifen brauchen. Buddy wurde auch mit Burschen fertig, die ein Messer in den Händen hielten, wie zum Beispiel die beiden anderen, die wieder auf die Beine gekommen waren. Auch der vierte, der einzige, der vorhin etwas gesagt hatte, kam wieder hoch. Und zwei hielten jetzt Dolche in den Händen. Der eine kam auf Parker zu, der an dere auf Buddy. Buddy wußte sich zu wehren. Als der Mann mit einem Satz auf ihn zuspringen wollte, stand Buddy mit hängenden Armen. Nicht die geringste Bewegung der Gegenwehr, wie es schien. Und dann, als sein Gegner nahe genug war, zuckte das rechte Bein hoch. Aufschreiend krümmte sich der Bursche nach vorn, hatte noch immer den Dolch in der Rechten, aber daran dachte er jetzt of fensichtlich nicht mehr. Buddy riß ihn an den Haaren zu sich heran, schlug mit der Lin ken kurz und trocken nach dem Handgelenk seines Angreifers, und das Messer flog sonstwohin. Der Mann aber bekam dann noch das Knie von Buddy zu spüren, und das reichte für ein paar Minuten Tiefschlaf. Butler Parker konnte sich nicht so sehr dem Anblick dieses Schauspiels widmen, wie er es eigentlich vorhatte. Er wurde selbst angegriffen, und der Kerl, der das Messer in der Hand hielt, schien wutentbrannt zu sein. Die Spitze des Regenschirmes traf ihn unerwartet. Er hatte wohl mit sonst etwas gerechnet, nur nicht damit, daß Parker diese Waffe auch wirklich gebrauchen würde. Die Augen des Angreifers nahmen plötzlich einen fassungslosen Ausdruck an, das Gesicht wurde schlaff, dann begann er zu schie len und sank wie in Zeitlupe vor Parker zusammen. Sein Messer begrub er unter sich. Parker nahm den Regen schirm an der Spitze, hakte mit dem Bambusgriff den rechten Arm seines Gegners unter und zog ihn so herum, daß er auf den Rücken zu liegen kam. Mit spitzen Fingern hob er das Messer, das neben dem Mann lag, auf, betrachtete es prüfend und trug es
zwischen Daumen und Zeigefinger sehr spitz haltend, zu einem Sims, wo er es ablegte. Buddy Wolfe hatte inzwischen kurzen Prozeß gemacht. Er ging zum Fahrstuhl. Als der Lift kam und glücklicherweise leer war, stellte sich Mike Rander vor die Lichtschranke, und Buddy zerrte die vier Gegner nacheinander in die Kabine. Dort blieb er breit beinig vor ihnen stehen, blickte über die Schulter zurück und fragte den Butler: »Mister Parker, wo soll ich sie hinschaffen?« Bevor der Butler antworten konnte, ertönte von der nach unten führenden Treppe her Lady Agathas markante Stimme: »Zum vierten Stock, wenn ich bitten darf. Es ist alles arrangiert. Chief-Superintendent McWarden und seine Leute stehen inzwi schen bereit.« »Mylady haben angeordnet!« Josuah Parker wandte sich seiner Herrin zu. »Einen wunderschönen guten Tag, Mylady!« begrüßte er sie. Sie ging nicht darauf ein, sondern sagte: »Mister Parker, Sie sind auf der falschen Etage. Lady Annabell und Lord Winston be finden sich seit zwei Stunden bereits im vierten Stock und warten gespannt darauf, daß ihnen Sheila gebracht wird.« Lady Agatha strebte direkt auf Sheila zu, die neben dem Butler stand. Und da die beiden sich kannten, lief Sheila der resoluten Dame und zugleich passionierten Detektivin entgegen. Sie umarmten sich, und dann sagte Lady Agatha, jeden Wider spruch von vornherein ausräumend: »Ich werde Sheila begleiten und bringe sie selbst nach oben. Aber nicht mit den Flegeln da!« Sie deutete auf den Lift. Mike Rander war inzwischen wieder auf den Flur getreten, und damit wurde die Lichtschranke des Fahrstuhls nicht mehr unter brochen. Buddy, der bei den vier, noch immer am Boden liegen den stand, nickte Parker zu. Da schloß sich auch schon automa tisch die Tür. »Erlauben Sie mir bitte die Frage, Mylady«, wandte sich Parker an seine Herrin. »Ist es auch absolut sicher, daß McWarden oben wartet?« »Es ist immer sicher, wenn ich etwas sage«, erklärte Agatha Simpson selbstbewußt. »Im übrigen ist die ganze Aktion ja wohl jetzt beendet. Ich werde den zweiten Fahrstuhl nehmen.«
»Wie Mylady meinen.« Parker ging zu dem parallelen Fahrstuhl, drückte den Knopf, und wenig später kam der Lift. Er war auch leer. Die Detektivin legte schützend ihren Arm um Sheilas Schul tern und ging mit der jungen Dame zum Fahrstuhl. Mike Rander folgte ihr wie selbstverständlich. Vielleicht hätte es auch Josuah Parker getan, aber kurz bevor er sich in Bewegung setzte, um ebenfalls zum Lift zu gehen, schaute er zum Ende des Ganges, und da entdeckte er etwas, das ihn veranlaßte zu warten. »Fahren Sie nicht mit, Mister Parker?« rief Lady Agatha. »Meine Wenigkeit wird nachkommen, Mylady, wenn Sie mir das erlauben.« Sie konnte nicht mehr antworten, denn die Tür des Fahrstuhls schloß sich, und der Butler war froh darüber. Dann ging er lang sam den Gang entlang auf den Mann zu, der dort hinten im dunk len Anzug breitbeinig stand, die Arme vor der Brust verschränkt. Sein Haar glänzte im Licht der Flurlampen. Sein Menjoubärtchen ließ ihn wie einen Dandy wirken. Aber darauf waren schon viele hereingefallen. Parker wußte, wozu dieser Mann fähig war. »Hallo, Mister Finch, es ist mir eine große Freude und Ehre, Ih nen hier zu begegnen.« Finch kam einen Schritt auf Parker zu, streckte ihm die Hand entgegen, und sie begrüßten sich. »Die Freude und Ehre ist ganz auf meiner Seite, Mister Parker! Ich hatte eigentlich erwartet, daß es so kommt. Aber es gibt eben immer Leute, die nicht auf mich hören mögen.« Parker musterte ihn und fragte: »Hatten Sie die Informationen von Mister Pickett?« Finch nickte. »O ja, von wem sonst? Ich habe Mister Fabian rechtzeitig gewarnt. Aber er ist sehr eigensinnig, sein Selbstbe wußtsein viel zu stark entwickelt. Jedenfalls wird er jetzt wissen, daß wir ihm leider nicht mehr helfen können.« »Meiner Vermutung nach ist das hier kein würdiger Ort für uns. Wenn Sie erlauben, Mister Finch, um so etwas zu besprechen, sollten wir vielleicht nach unten fahren und…« Finch nickte. »Ja, das wollte ich gerade auch vorschlagen. Als ich herausbekam, auf wen Fabian losgeht und gegen wen er un sere Leute schickt, war es bereits zu spät. Ich wünschte, wir hät ten uns früher gesehen, wenigstens eine Stunde früher. Dann hätte ich das, was hier eben passiert ist, verhindern können, und
die vier Leute von uns würden nicht von Mister McWarden abge fangen und eingelocht.« »Meine Wenigkeit bedauert Ihr Mißgeschick, Sir!« Parker mach te ein Gesicht, das so leidend aussah, als meinte er das tatsäch lich ehrlich. »Ich glaube Ihnen, verehrter Mister Parker«, sagte Finch mit al lergrößtem Respekt. Sie gingen nebeneinander zur Treppe, hät ten zwar den Lift nehmen können, gingen aber die Treppe hinun ter, lautlos auf dem Teppich, der auf ihr lag. »Wissen Sie«, sagte Finch nach einer Weile. »Ich wollte Ihnen nämlich ein Geschäft vorschlagen. Schließlich gibt es in der Ange legenheit, die diesen Mister Fabian betrifft, ja nur zwei Zeugen. Das ist einmal dieses Mädchen, und der andere Zeuge sind Sie, Mister Parker. Und so gut wie wir beide uns kennen und schätzen, könnten wir doch da ein Gentleman-Agrement treffen.« Josuah Parker zeigte seine Überraschung nicht. Sein Pokerge sicht verriet nichts von dem, was er dachte. Aber das, was er dachte, war eine ganze Menge. Und das begann eigentlich damit, was seine Beziehungen zu Mister Finch betrafen und wie er diesen Mann einschätzte. Immerhin war Finch die rechte Hand des größten Gangsterbos ses von London. * Vom Foyer des Hotels abgehend gab es ein Besprechungszim mer, das wie ein Büro eingerichtet war. Ein Schreibtisch, zwei Stühle, sogar ein Fernseher standen da. Als Parker zusammen mit Finch den Raum betrat und die Tür schloß, lief Finch erst an den Wänden entlang, beugte sich tief, daß er unter, den Schreibtisch blicken konnte, hob die Stühle hoch, und Parker konnte sich den ken, was er suchte. »Mir vorzustellen, daß man hier Wanzen versteckt hat, fehlt meiner Wenigkeit jeglicher Anlaß«, meinte Parker. »Ich kann mir immer alles vorstellen«, blieb Finch hart und ließ sich dann im Sessel nieder, der auf der Rückseite des Schreibti sches stand. »Kommen wir zu unserem Geschäft.«
Josuah Parker hatte sich gegenüber niedergelassen, stützte die Hände auf seinen Universal-Regenschirm und blickte seinen Ge sprächspartner an. Finch war nicht nur die rechte Hand des Gangsterkönigs von London, er war auch so etwas wie dessen Gehirn, der Mann, der alle Dinge regelte, der Manager eines Großteils der Unterwelt. Bei ihm liefen die Fäden zusammen. Und daß er sich hier so frei be wegen konnte, lag daran, daß ihm die Polizei noch nie das Ge ringste vorwerfen konnte. Er hatte niemals etwas gestohlen oder einen Menschen nur verletzt, geschweige denn getötet. Er plante. Und er regelte Probleme auf seine Weise. Dabei floß kein Blut. Aber in Wirklichkeit taten die Bandenmitglieder genau das, was er von ihnen verlangte. Doch sie machten sich die Finger schmutzig, nicht er. Parker und Finch waren sich immer mit großem Respekt begeg net. Parker schätzte an Finch den ausgeprägten Verstand, und es bereitete ihm gewissermaßen Freude, sich mit diesem Mann nur mit geistigen Waffen auseinanderzusetzen. Es war wie ein Spiel mit einer Flamme, und Finch war eine Flamme, eine heiße, alles versengende sogar. Auf der anderen Seite ließ sich mit ihm, eben weil er intelligent war, manche Vereinbarung treffen. Parker wußte von Finch, daß der seine Aufgabe ganz anders sah als etwa die Polizei, die ihm schon lange ans Leder wollte, aber ihm noch nie etwas nachweisen konnte. Für Finch war die Gangs terbande ein Industrieunternehmen. Es gab zwar eine schlagkräf tige Truppe, und mit der hatte sich der Butler ja auseinanderset zen müssen, aber das Hauptgewicht lag auf anderen Gebieten. Vom Schmieren von Politikern und Bauspekulationen reichte die Palette bis zur Erpressung größten Stils und der Kontrolle des gesamten Vergnügungsgewerbes in den Londoner RotlichtBezirken. Um so verwunderlicher war es, daß Finch stets allein auftrat und nicht von einer handvoll Gorillas begleitet wurde. Par ker wußte, warum das so war. Finch vertraute seinem persönlichen Können, denn er war nicht nur geistig rege, sondern auch körperlich äußerst geschickt. Ein Karatekämpfer von hohem Format, dazu noch ein überdurch schnittlicher Schütze. Auch diese Dinge waren Parker bekannt. Daß Finch Parker ebenfalls respektierte und dessen Können kei ne Sekunde auf die leichte Schulter nahm, hätte er schon in vie len Auseinandersetzungen bewiesen. Und vor allen Dingen wahr
ten beide bei soviel Respekt voreinander auf die gesellschaftlichen Formen. »Ich sagte vorhin«, fuhr Finch fort, »daß es nur zwei Zeugen gibt. Fabian käme ein Skandal im Augenblick sehr ungelegen, denn er möchte von den Banken einen größeren Kredit. Es geht da um ein paar Millionen. Er wird sie nur bekommen, wenn sein Name nicht plötzlich wegen angeblicher Vergewaltigung oder der gleichen in der Zeitung steht.« Josuah Parker sagte kein Wort und wartete gelassen darauf, daß Finch zur Sache kam, obgleich er sich natürlich denken konnte, worauf es hinauslief. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag«, meinte Finch. »Das Mäd chen würde als einzige Zeugin, zudem noch als Betroffene, nicht soviel Gewicht bei einer Gerichtsverhandlung gewinnen können wie Sie, Mister Parker. Aus diesem Grund sind Sie der Zeuge, um den es geht, genaugenommen der einzige Zeuge.« »Sie scheinen da wohl ganz sicher zu sein?« fragte Parker und lächelte. »Meine Wenigkeit könnte sich vorstellen, daß es doch noch Zeugen gegeben hat. Möglicherweise sogar Leute von Fabi an selbst. Und was läßt Sie eigentlich des Glaubens sein, daß man den Mund halten wird, wenn es um soviel Geld geht, das dabei aus Fabian herauszuholen wäre.« Finch schüttelte den Kopf und machte eine nervöse Geste mit der rechten Hand. »Nein, nein, lassen wir das. Ernstzunehmender Zeuge sind nur Sie! Steigen Sie aus der Geschichte aus, Mister Parker! Ich könnte mir vorstellen, daß wir uns das etwas kosten ließen. Eine herrliche Reise nach Hawaii, alles inklusive und na türlich Bargeld genug… für sechs Wochen…« »Aber Mister Finch, entschuldigen Sie vielmals, daß ich das auch noch aussprechen muß. Wie können Sie nur annehmen, meine Wenigkeit sei käuflich?« Finch lehnte sich zurück, machte ein betroffenes Gesicht und erklärte: »Es tut mir leid. Verzeihen Sie mir, Mister Parker, Sie haben recht. Es ist, wenn ich es jetzt richtig überlege, beinahe eine Beleidigung gewesen. Verzeihen Sie mir wirklich, ich bitte Sie sehr darum! Mein lieber Mister Parker, ich bin untröstlich und werde Ihnen deshalb ein anderes Angebot machen. Als gute Freunde, die wir ja wohl sind, wenn wir auch jetzt nichts zu trinken haben und trocken sitzen, erlaube ich mir Ihnen vorzuschlagen, daß Sie vielleicht mit einer kleinen Geldspende einverstanden sind, eine Zuwendung an die Eltern der jungen
Dame. Denn wie uns bekannt ist, leiden Lady Annabell und Lord Winston aufgrund ihres doch sehr anspruchsvollen Lebensstils an chronischem Geldmangel. Wir dachten dabei an etwa zehntau send Pfund.« Josuah Parker erhob sich, lächelte verbindlich und meinte: »Mein sehr verehrter Mister Finch, Sie werden mir sicher die Ge legenheit geben, darüber nachzudenken. Es ehrt mich, ohne Zweifel, daß Sie mir einen solchen Vorschlag machen. Und wie gesagt, ein wenig Zeit würde man begrüßen.« Er ging zum Fenster und blickte nach draußen. Rein zufällig sah er, wie zwei Wagen vorgefahren waren und in diesem Augenblick mehrere Polizisten vom Hoteleingang her mit den vier mit Hand schellen gefesselten Gangstern kamen, direkt auf die Autos zu steuerten und allesamt dann in die Wagen einstiegen. Von Lady Agatha und Mike Rander war nichts zu sehen. Vermut lich, so folgerte Parker, befanden sich die beiden noch bei Lady Annabell und Lord Winston im vierten Stock. Das mußte Lady Agatha arrangiert haben, daß Sheilas Eltern nicht mehr im zwei ten Stock wohnten. Vielleicht aus Sicherheitsgründen. Josuah Parker entsann sich jetzt des Vorschlages von Mister Finch und überlegte, ob er darauf eingehen sollte. Im Grund, sag te er sich, ist Sheila nichts passiert. Und zehntausend Pfund wür den Sheilas Eltern ganz sicher mächtig auf die Sprünge helfen. Finch hatte sehr gut recherchiert, was die Vermögensverhältnisse Lady Annabells und ihres Gatten, Lord Winston, betrafen. Lady Annabell hatte mal ein riesiges Vermögen gehabt. Es war Lord Winstons außerordentliches Verdienst gewesen, mittels sei ner Spielleidenschaft dieses Vermögen nicht nur zu reduzieren, sondern eigentlich total einzuebnen. Die Ansprüche der Lady allerdings gingen weit über das derzei tige Einkommen Lord Winstons hinaus, denn das floß nur aus Verpachtungen und Vermietungen. Einen eigentlichen Beruf übte Lord Winston nicht aus. Und im Lauf der Jahre waren diese Ver pachtungen und Vermietungen bei weitem nicht mehr so einträg lich geworden, zumal viele Reparaturen an Grundstücken vorge nommen werden mußten. Diese Kosten fraßen einen Großteil der Pachtzinsen wieder auf. Dies jedenfalls schien Lady Annabell weitgehend zu ignorieren, und deshalb waren sie mächtig in den roten Zahlen. Zehntausend Pfund waren viel Geld. Auf der anderen Seite war aus dieser Sa
che womöglich noch mehr herauszuholen. Und darüber dachte Parker sehr intensiv nach. Schließlich wandte er sich um, blickte Finch, der immer noch am Schreibtisch saß, ruhig und zugleich aufmerksam an und sagte: »Ihr Vorschlag ist nicht übel. Was mich daran ein wenig ent täuscht, wenn Sie mir gestatten, dies zu bemerken, ist der nied rige Pegel dessen, was Sie da als Summe genannt haben. Ich möchte Ihnen in meinen Vorstellungen entgegenkommen: Drei ßigtausend Pfund, mein sehr verehrter Mister Finch, das wäre das Minimum dessen, was ich mir in einem solchen Fall als eine Art Schmerzensgeld vorstellen könnte.« Jeder andere hätte Parker für verrückt erklärt und dies auch lauthals hinaustrompetet. Nicht so Mister Finch, der sich im Um gangsstil kaum von Parker unterschied. Er lächelte, hob beschwörend die Hände und sagte in vorneh mer Zurückhaltung: »Mein sehr verehrter Mister Parker, es be drückt mich, es trifft mich zutiefst, aber ich bin beim besten Wil len nicht in der Lage, Ihnen da nur annähernd entgegenzukom men, sozusagen einen Kompromiß in der Mitte zu schließen, was zwanzigtausend entsprechen würde. Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen versichere, daß es mich durch und durch traurig stimmt, Ihnen sagen zu müssen, daß zehntausend das äußerste Limit dessen sind, was ich verkraften kann, und – Sie sollen das bei dieser Gelegenheit auch erfahren – dies ist bereits ein Freund schaftsdienst, den ich Ihnen erweise.« »Und Ihr dritter Vorschlag lautet, mein hochverehrter Mister Finch«, fragte Parker. Finch veränderte seine Miene nicht, als er sagte: »Der dritte Vorschlag ist ganz eindeutig. Bis morgen mittag, Mister Parker, sind Sie tot! Dann haben wir das Problem mit Ih nen als Zeugen gelöst. Eine sehr unangenehme Lösung, beson ders für Sie, Mister Parker, aber unser letzter Ausweg ist zugleich der billigste…« * Butler Parker blieb völlig gelassen wie immer. Sein Pokergesicht zeigte nicht, was in ihm vorging. Angst verspürte er keine, aber ihm war völlig klar, daß sein Gegenüber dies alles sehr ernst
meinte, und wenn er mit einer Ermordung drohte, war das alles andere als eine leere Phrase. Dessen war sich Parker völlig be wußt. »Wie Sie belieben, Mister Finch«, meinte Parker. »In Kenntnis Ihrer Vorschläge geht man doch ganz sicher nicht fehl in der An nahme, daß Sie dazu auch einen Termin haben, an dem Sie wis sen wollen, wie meine Wenigkeit sich entschieden hat.« Finch lächelte geschmeichelt. »Ich danke Ihnen, daß Sie das so erkennen, Mister Parker. Wir wollen doch wie gebildete Leute miteinander reden. Natürlich habe ich einen Termin. Ich würde sagen, morgen früh, Punkt neun Uhr. Ich habe Ihnen meine Telefonnummer aufgeschrieben. Ich wer de nicht selbst am Apparat sein. Eine freundliche, sehr nette jun ge Dame wird Ihren Anruf entgegennehmen und blitzartig an mich weiterleiten. Ich muß natürlich wissen, ob Sie Vorschlag eins, zwei oder drei akzeptieren. Sie brauchen nur diese Zahl zu nennen, das genügt völlig. Und hier ist die Telefonnummer.« Er schob ein Kärtchen herüber, und Parker sah sofort, daß es ein Anschluß in der City war. Er steckte die Nummer ein, deutete eine leichte Verbeugung an und sagte: »Es ist außerordentlich freundlich, Mister Finch, daß Sie noch bis morgen früh um neun Uhr warten wollen. Für meine Person dürfte das sehr nützlich sein. Sie können sicher sein, daß Sie morgen früh meinen Anruf bekommen. Ich darf mich jetzt emp fehlen und Ihnen einen vergnüglichen restlichen Tag wünschen!« »Das wünsche ich Ihnen auch, Mister Parker.« Finch deutete ebenfalls eine leichte Verbeugung an, lächelte und fügte seinen Worten hinzu: »Es war mir eine Ehre, Mister Parker, wieder mal mit Ihnen als einem wirklichen Gentleman ins Gespräch gekom men zu sein. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie den Vorschlag drei nicht in Ihre Wahl einbeziehen würden. Ich hätte es noch sehr gern länger mit Ihnen zu tun, Mister Parker.« Der Butler nickte nur lächelnd, drehte sich um und ging. Als die Tür hinter ihm ins Schloß fiel, blieb er noch eine Sekunde stehen und dachte nach. Dann hatte er seinen Entschluß gefaßt. Parker verließ das Hotel, stieg wenig später in der Parallelstraße in sein hochbeiniges Monstrum und fuhr schnurstracks nach Shepherd’s Market zurück. Hier, in dieser Oase der Ruhe, nahe dem Hydepark, mitten in London, und doch wie auf einer Insel,
reihten sich Fachwerkhäuser aneinander, alte, sehr romantisch wirkende Gebäude. Der Platz dieses Shepherd’s Market war gesäumt von solchen Fachwerkhäusern, die meisten aber waren unbewohnt. Sie alle samt gehörten Lady Agatha Simpson, und Butler Parker wußte, daß die vermögende Lady als Besitzerin dieser Häuser niemand darin wohnen lassen wollte, weil sie innen offensichtlich sehr bau fällig waren. Das schönste dieser Häuser aber war bewohnt, ein Fachwerk haus mit überdachtem Eingang. Früher hatte hier mal eine Abtei gestanden. Die Gewölbe des Kellers waren noch erhalten und die ses Haus darauf gebaut. Josuah Parker stieg aus und hatte eigentlich erwartet, Lady A gatha noch nicht vorzufinden, aber sie war schon da. Er hörte oben im Obergeschoß den Fernseher laufen. Wenig später rief Agatha Simpson von oben herunter: »Mister Parker, sind Sie es?« »Myladys Spürsinn ist unübertroffen«, reagierte der Butler an erkennend. »Hätten Sie vielleicht die Güte, Auskunft darüber zu erteilen, ob sich Miß Sheila in Sicherheit befindet?« Die Hausherrin kam die Treppe herunter, würdig und hoheitsvoll wie eine Diva. Dann stand sie vor Parker. »Ich hatte geglaubt, es wäre Mister Rander oder Mister Pickett. Auch Miß Kathy wollte kommen. Ich habe alle hergebeten, daß wir über die Angelegenheit von heute beratschlagen. Es ist natür lich alles ganz einfach…« Parker ließ sich dazu nicht erweichen. »Meines Wissens liegen die Dinge mehr im Verborgenen.« Sie sah ihn überrascht an. »Mister Parker, ich darf doch bitten! Wollen Sie meine Arbeit in Zweifel ziehen?« »Nichts läge mir ferner als das, Mylady. Ich habe nur die Kühn heit, zu behaupten, daß der Fall nicht so simpel scheint, wie Sie des Glaubens sein mögen.« »Und warum nicht?« Sie stemmte die Arme in die Hüften, warf den Kopf in den Nacken und blickte energisch in die Gegend. »Was soll daran nicht simpel sein? Miß Sheila ist wieder in Si cherheit. Superintendent McWarden wird sich um alles küm mern.« »Meine Wenigkeit hatte ein Gespräch, wenn ich mir das zu be merken erlauben darf, mit Mister Finch.«
»Mit diesem Gangster! Der Handlanger des größten Verbrechers von London«, meinte Agatha Simpson zornig. »Mag sein, Mylady«, gab Parker zu. »Diese Formulierung ändert aber nichts an der Tatsache, daß er ein äußerst mächtiger Mann ist. Wahrscheinlich mächtiger als sein Chef, vielleicht der zweit mächtigste Mann der Unterwelt überhaupt.« »Das ist doch Unsinn! Mister Parker, schlagen Sie sich das doch aus dem Kopf! Die Polizei…« »Die Polizei hat Miß Sheila nicht vor Fabian schützen können, und Fabian bedient sich der Organisation, für die Mister Finch die Schlüsselfigur ist. Ich bedaure, Mylady, daß ich Sie davon in Kenntnis setzen muß, daß Finch offenbar zu allem entschlossen scheint. Er vertritt die Meinung, Miß Sheila allein ist kein richtiger Zeuge. Sie kann es nur im Verein mit jemand anderem sein, der ebenfalls Zeuge ist, und dieser andere wäre meine Wenigkeit.« »Und Mister Rander?« fragte Lady Agatha. »Mister Rander hat den eigentlichen Vorfall gar nicht gesehen. Und darauf kommt es an. Es gibt tatsächlich nur die zwei genann ten Zeugen.« »Wollte er Sie bestechen?« fragte Lady Agatha. »Dann ist es ja wirklich kein schwieriger Fall. Das paßt so richtig zu diesen Leu ten, einen Zeugen bestechen.« »Es ist eine seiner Versionen. Eine andere ist«, erklärte Parker, »daß er die Güte hatte, mir vorzuschlagen, eine Reise anzutreten, und die dritte…« »Und die dritte?« fragte Lady Agatha gespannt. »Diese war lebensbedrohend. Mein Ende würde vorprogram miert. Bis morgen mittag würde das geschehen sollen.« Lady Agathas Gesicht färbte sich dunkel. »Das ist ja eine Frech heit ohnegleichen. Das kann sich auch ein Mister Finch nicht leis ten!« Parker lächelte. »Mylady sollten bitte bedenken, Mister Finch leistet sich fast alles. Von der Bestechung eines Politikers bis zur Erpressung eines Bankiers. Es gibt nichts, was er nicht durchzu führen imstande wäre, ohne sich selbst die Finger schmutzig zu machen. Und wie Sie wissen, kann man nie etwas beweisen, was ihn angeht. Die Polizei, das ist Mylady ja ebenfalls bekannt, wenn ich das bemerken darf, ist gegen ihn bisher machtlos gewesen. Kein Staatsanwalt bekam genügend zusammen, um Anklage zu erheben.«
»Haben Sie Angst, Mister Parker?« fragte Lady Agatha und sah ihren Butler kritisch an. Parkers Gesicht blieb wie versteinert, als er antwortete: »Meine Wenigkeit erlaubt sich zu sagen, daß keine Angst zu haben be deutet, keine Gefühle zu besitzen. Und ich leiste mir den Luxus, welche zu haben. Auf der anderen Seite sollte jeder Gentleman imstande sein, diese Angst zu unterdrücken. Und das nennt man dann im Volksmund Mut.« »Wie treffend!« meinte Lady Agatha anerkennend. »Mut haben Sie, das weiß ich. Sie haben also Ihre Entscheidung bereits ge troffen. Aber ich bin damit nicht einverstanden! Den dritten Weg zu gehen, ist Wahnsinn. Wir sollten das wirklich beim Namen nennen. Sie werden doch Ihr Leben nicht wegwerfen! Und ich fürchte, dieser Mister Finch wird Mittel und Wege finden, sein Vorhaben auszuführen. Oder haben Sie sich etwa überlegt, wie man dem begegnen könnte? Ich meine natürlich wirkungsvoll begegnen könnte. Ich meinerseits habe bereits einen Vorschlag.« Josuah Parker lag eine Reaktion auf der Zunge, aber er schwieg. Er mochte seine Herrin jetzt nicht reizen. Also hörte er, was sie zu sagen hatte, und wartete interessiert auf ihre Antwort. »Es gibt natürlich die Möglichkeit, bei dieser Gelegenheit Mister Finch und besonders diesen Mister Fabian einmal für immer sozu sagen aus dem Verkehr zu ziehen, wenn ich das so vulgär aus drücken darf. Und diese Möglichkeit besteht darin, daß wir ihm eine Falle stellen. Ich habe da bereits einen Plan.« Dann begann die Detektivin diesen Plan zu entwickeln. Für Par ker war das in drei Sätzen zusammenzufassen. Lady Agatha woll te einen Mann, der Parker ähnlich sah und genauso gekleidet war wie Parker, als eine Art Lockvogel ausschicken. Gleichzeitig hatte sie vor, die gesamte Polizei zu alarmieren und mit Hilfe von McWardens Leuten nicht nur den Mordschützen zu fassen – sie ging einfach davon aus, daß Parker durch einen Schuß getötet werden sollte – sondern über diesen Mann auch an die Hinter männer und damit an Finch heranzukommen. Parker hörte sich diesen Plan bis zu Ende an, sagte nichts dazu, verwarf ihn aber sofort. Dieser Lockvogel war doch ebenfalls in Lebensgefahr, dachte er und faßte seinerseits einen anderen Plan. »Mylady«, sagte er. »Meine Wenigkeit ist untröstlich einen ganz anderen Entschluß gefaßt zu haben. Die zehntausend Pfund wä
ren danach anzunehmen, die Mister Finch Miß Sheila zukommen lassen will, womit er mein Schweigen erkauft.« Lady Agatha machte ein entrüstetes Gesicht. »Aber Mister Par ker, Sie enttäuschen mich. Das hätte ich nie von Ihnen gedacht! Sie sind ja sehr zurückhaltend.« Josuah Parker zog die Schultern hoch. »Ich bedaure außeror dentlich, Mylady, und bin direkt untröstlich, aber ich kann Ihre Annahme im Augenblick nicht widerlegen. Es muß natürlich so aussehen, als wäre meine Wenigkeit, wie der Volksmund sagt, ein Drückeberger.« »Und ob es so aussieht!« erklärte sie barsch. »Nein, wir verfol gen meinen Plan. Der ist sehr durchdacht.« »Wenn man mit einem Hinweis dienen darf, Mylady, dann da mit, daß ich mit der Annahme von zehntausend Pfund diesem Mister Fabian und damit auch Mister Finch leichter etwas nach weisen kann als mit einem toten Doppelgänger von mir. Und im übrigen möchte ich mitnichten verhehlen, befindet sich der Dop pelgänger in Lebensgefahr, wenn er in meiner Person auftritt.« »Wollen Sie denn lieber selber umgebracht werden?« erkundig te sich Lady Agatha fassungslos. »Ich möchte Sie nicht verlieren, Mister Parker.« Der Butler erlaubte sich ein Lächeln. »Es ist mir ein Bedürfnis, Mylady, für das mir entgegengebrachte Vertrauen zu danken. Aber mit der Annahme eines Bestechungsgeldes kommen wir nach meiner Theorie viel eher zu Nachweisen als durch einen Mord an einem völlig Unbeteiligten, der nur zufällig das Miß vergnügen hat, meiner Wenigkeit zu ähneln. Andererseits dürfte der Mordanschlag nicht durch eine Waffe erfolgen. Das wäre nicht Mister Finchs Stil. Er wird vielmehr versuchen, dies wie ein Unfall aussehen zu lassen, bei dem gar kein Täter nachzuweisen wäre und niemand von Vorsatz sprechen könnte. Würden Mylady sich meiner Theorie anschließen können?« »Nein«, beharrte Agatha Simpson, wie es ihre Art war. »Natür lich nicht, Mister Parker. Meine Theorie kennen Sie bereits, und ich halte sie für richtig. Ich werde deshalb sofort alles in die We ge leiten.« Wenig später telefonierte die Detektivin vom Obergeschoß aus mit Chief-Superintendent McWarden, während Butler Parker un ten Horace Pickett empfing.
Der ehemalige Eigentumsverteiler genoß Lady Agathas größtes Wohlwollen, kamen doch von ihm viele Hinweise, was die Unter welt betraf, mit der er nach wie vor in losem Kontakt stand. Seine Verbindungen zur Szene rissen im Grund nie ab, trotzdem hatte er sich wieder auf die Seite des Rechts geschlagen und war nicht nur Lady Agatha, sondern auch dem Butler treu ergeben. Er brachte Kathy Porter mit, die nur gekommen war, um Mike Rander zu sehen. Aber unterwegs schon hatte ihr Pickett erzählt, worum es ging, und das weckte ihr volles Interesse. Die wie ein scheues Reh wirkende, hübsche Dreißigjährige blick te mit ihren großen Mandelaugen auf Butler Parker, als sie ihn begrüßte. Ein wenig erinnerte sie jedesmal an eine Südseeschön heit. Sie hatte etwas Exotisches, das sehr apart wirkte. Sie war zierlich, und nur wer sie genau kannte, wußte, daß sich dieses scheue Reh ganz plötzlich in eine reißende Pantherkatze verwan deln konnte. Und die wenigsten glaubten, wenn sie Kathy Porter sahen, daß sie mehrfache Karatemeisterin war, und nicht nur das. Sie besaß noch eine ganze Reihe anderer Qualitäten, die man chen Mann das Fürchten lehrten. Im Augenblick sah sie aus, als könnte sie kein Wässerchen trü ben und konzentrierte sich ihr Denken auf Mike Rander. Aber der Anwalt war noch nicht da. Wie Lady Agatha von oben herunterrief, befand sich Rander im Augenblick bei McWarden. Sie bestellte Grüße von beiden. Josuah Parker bedankte sich, wie es seine Art war, sehr wort reich, wandte sich dann aber wieder Horace Pickett und Kathy Porter zu. Kathy wollte aber erst mit Lady Agatha sprechen und ging nach oben. Parker nahm Pickett mit in seine Privaträume, genauer gesagt in sein Wohnzimmer, das wie eine Kapitänskajüte eingerichtet war. Pickett machte es sich bequem. Er war im Ganzen eine sehr ge pflegte Erscheinung und sah wie ein Mann aus, dem man trauen konnte. »Was haben Sie herausgefunden, Mister Pickett? Sie verstehen sicher daß es meine Wenigkeit interessiert, wie es um die Dinge steht.« Horace Pickett fuhr sich mit der Rechten übers Kinn. »Im Grund fängt es jetzt erst an«, sagte er. »Zwar ist Miß Sheila in Sicher heit, und wie ich erfahren habe, will Mister McWarden sie mit ih ren Eltern zu den Bahamas fliegen lassen.«
Parker schien überrascht. »Ich hatte noch nicht das Vergnügen, davon zu hören! Wie verträgt sich das denn mit den Einkom mensverhältnissen von Lord Winston?« »Das habe ich mich auch schon gefragt«, meinte Pickett. »So weit ich unterrichtet bin, ist der Lord arm wie eine Kirchenmaus, lebt im Grund von den Zuwendungen seiner Freunde. Aber ich habe den Verdacht, daß Lady Agatha ihm da einen größeren Kre dit gegeben hat, von dem ich fürchte, daß sie ihn, nie wieder zu rückerhalten wird.« »Mein lieber Freund«, meinte Parker, »es sieht nicht so aus, als würde Lady Agatha dadurch nur in die geringsten Schwierigkeiten geraten. Soweit die Verhältnisse von Mylady bekannt sind, dürfte sie so reich sein, daß sie einen Verlust von hunderttausend Pfund nicht mal merken würde. Aber Sie sagten eben ganz richtig, daß der Fall im Grund jetzt erst beginnt. Was konnten Sie noch eruie ren?« »Mister Fabian erwartet eine Bürgschaft des Ministeriums von fünfzehn Millionen Pfund für seinen neuesten Film, und das sollte, wie ich erfuhr, kein Porno sein. Angeblich will er auf zehn Porno filme einen guten Film drehen, finanziert sozusagen die guten mit den Pornos. Ich weiß nicht, wie es ihm geglückt ist, aus dem Mi nisterium soviel Geld herauszuholen oder die Zusage dafür, aber er hat auch noch Aussichten, weitere fünfzehn Millionen von einer Bank zu bekommen. Und mit diesem Geld möchte er einen Film drehen, der im Zweiten Weltkrieg spielt, ein Kriegsfilm also. Aber alles soll sehr realistisch sein. Es geht da um U-Boote.« Parker schaute Pickett ungläubig an. »Ist das Mister Fabians Ernst? Da haben doch die Deutschen einen entschieden besseren Film gedreht.« »Sie meinen >Das Boot<«, erwiderte Pickett. »Natürlich, Mister Parker, aber auch den möchte Fabian in den Schatten stellen. Er hat eine ganze Reihe erstklassiger Schauspieler unter Vertrag genommen.« Josuah Parker konnte es nicht fassen. Eine Figur wie Fabian sollte es geschafft haben, wirklich gute Schauspieler zu bekom men? Natürlich war es nicht schwer, ein Mädchen wie Sheila an Land zu ziehen. Die wollte von ihren Eltern fort, die bloß immer so taten, als schwämmen sie im Geld, aber in Wirklichkeit nichts als Schulden besaßen.
»Er wird jedenfalls diesen Film drehen wollen, aber die Bank gibt ihm keinen Penny und das Ministerium auch keine Bürg schaft, wenn die Geschichte mit Sheila herauskommt, zumal Sheila, ganz gleich, was man von ihr hält, ein Kind der Aristokra tie ist. Und die Blaublütigen halten ja immer zusammen, haben hierzulande auch unwahrscheinlichen Einfluß auf Wirtschaft, Ban ken und Politik. Kurz, Fabian könnte sich erschießen, wenn das bekannt würde oder wenn gar ein Prozeß, gegen ihn geführt wird. Damit ist aber jetzt zu rechnen. Den Prozeß kann er nicht mehr abwenden. Sheila hat vor McWarden ausgesagt, und Sie, Mister Parker, sind Zeuge. Der einzige ernstzunehmende Zeuge außer Fabians…«, er räusperte sich, »… sagen wir mal Mitarbeiter.« »Das ist mittlerweile auch Mister Finch bekannt, mit dem meine Wenigkeit das Vergnügen hatte zu sprechen.« »Ich weiß«, sagte Pickett, gar nicht überrascht. »Das ist bis zu mir vorgedrungen. Aber das Gespräch ist offengeblieben, soviel ich erfahren habe.« »Bis morgen früh um neun, dann sollte ein Entscheid gefallen sein«, sagte Parker. »Mister Parker«, sagte Pickett sehr eindringlich. »Mister Finch macht keinen Spaß. Seine Organisation neigt dazu, den dritten Vorschlag, den er Ihnen gemacht hat, allen anderen vorzuziehen. Finch selbst würde den Vorschlag Nummer zwei begrüßen, das heißt zehntausend Pfund, die Sie meinetwegen Miß Sheilas Eltern geben können oder ihr selbst. Aber wie gesagt, die Organisation hat im Augenblick ein wenig Geldsorgen. Mit der Wirtschaft hier läuft es nicht so richtig, und das macht sich auch für die Organi sation bemerkbar. Wenn Mister Finch Ihnen zehntausend Pfund geben will, dann dürften Sie das eigentlich als einen Freund schaftsdienst werten.« Parker zeigte nicht, wie ihn das amüsierte. Völlig unbeeindruckt meinte er: »Zutiefst gerührt, sehen Sie mich, mein Verehrtester! Man hat eben doch noch Freunde im Leben.« »Stimmt«, bestätigte Pickett. »Dieser Mister Finch mag Sie wirklich, er ist vielleicht der einzige in seiner ganzen Organisati on. Und auch das geschieht nicht uneigennützig, Mister Parker. Finch weiß nämlich, woran er mit Ihnen ist. Und ihm ist ein harter Gegner, den er gut kennt, lieber als ein halb so harter, von dem er nicht weiß, wie er mit ihm umgehen muß. Und eines müssen
Sie zugeben, Mister Parker: Mister Finch hat sich immer an seine Zusagen gehalten, im Guten wie im Bösen. Deshalb sollten Sie seinen Vorschlag Nummer zwei akzeptieren. Noch hat dieser Mann die Macht, das in der Organisation auch durchzusetzen, ganz gleich, was die anderen sagen.« »Meine Wenigkeit hat auch schon daran gedacht«, bestätigte Parker. »Mylady ist allerdings dagegen, zehntausend Pfund anzu nehmen. Sie ist auch dagegen, eine Reise zu machen. Sie hat einen anderen Plan. Aber Sie Mister Pikett, sollten meine Bemü hungen unterstützen. Es ist möglich, daß Mister Rander, wenn er nachher von McWarden zurückkommt und Miß Kathy sich eher dem Plan von Mylady anschließen werden. Aber er besitzt nicht meinen Beifall, ganz einfach deshalb, weil darin ein Mensch, der gar nichts damit zu tun hat, in größte Lebensgefahr geraten könnte. Aber berichten Sie mir jetzt erst mal, wo Mister Fabian überhaupt ist.« Horace Pickett zuckte die Schulter. »Tut mir leid, Mister Parker, kann ich beim besten Willen nicht sagen. Er ist auf alle Fälle un tergetaucht. Ich weiß nicht, was er der Organisation versprochen hat, daß sie sich seiner annimmt. Doch es muß eine ganze Menge sein. Vielleicht eine Million von dem, was er vom Ministerium und von der Bank bekommt, denn unter einer Million würde sich Mis ter Finch nicht um diesen Fall selbst kümmern, dann überließe er das anderen. Es müßte also wenigstens um eine Million gehen.« »Das könnte stimmen«, meinte der Butler. »Und eine Million Pfund ist entschieden mehr als zehntausend Pfund. Allmählich scheint Mylady mit ihrer Überlegung recht zu haben. Nur der Weg, wie man diesen Plan ausführt und wer ihn unterstützt, der ist ein anderer als der von mir bevorzugte. Also, Mister Pickett, die Sache ist sofort in Angriff zu nehmen.« Pickett machte große Augen. »Sir, habe ich richtig verstanden? Wollen Sie damit sagen, daß Sie den Vorschlag Nummer drei ge wählt haben und nicht Nummer eins?« »Vorschlag Nummer drei, Sie haben richtig gehört, Mister Pi ckett. Vorschlag Nummer drei besagt, daß bis morgen mittag um zwölf meine Wenigkeit sterben wird, falls nicht Vorschlag Nummer eins oder zwei genehm ist. Die Entscheidung fällt bis morgen früh um neun, aber genau betrachtet ist diese Entscheidung jetzt schon gefallen: Vorschlag drei. Keine zehntausend, keine Urlaubs reise, sondern einen Gegenangriff, Mister Pickett. Es gibt viel zu
tun! Bis morgen früh um neun sollte Mister Fabian in meiner Gastfreundschaft sein, zu meinem ganz besonderen Vergnügen. Hier im Souterrain gibt es ein feudales Gästezimmer für unsere verehrten Freunde, die sich mitunter so wohl fühlen, daß sie den Entschluß, dieses noble Haus zu verlassen, so weit wie möglich hinausschieben, wobei meine Wenigkeit sie gut verstehen kann. Und jetzt, Mister Pickett, wird es mir ein ganz besonderes Ver gnügen sein, Mister Fabian eine Einladung zu überbringen…« * Horace Pickett hatte sich schon auf den Weg gemacht, um In formationen einzuholen. Seiner Meinung nach brauchte er dafür höchstens ein bis zwei Stunden. Butler Parker hingegen mußte noch ein unumgängliches Ge spräch mit Lady Agatha führen. Kurz nach Picketts Weggang war es soweit. Vor dem riesigen Kamin in der Wohnhalle saßen sie sich gegenüber. Kathy Porter war dabei, diesmal in einem schillernden Hosenanzug und einer türkisfarbenen Bluse, die ihre exotische Schönheit voll zur Gel tung brachte. Auch Mike Rander war inzwischen eingetroffen und saß ebenfalls mit am Kamin. Für Agatha Simpson stand unumstößlich fest, wie man ihrer Meinung nach vorzugehen hatte, und das war noch immer der Trick mit einem Doppelgänger, nach dem Vorschlag Nummer drei dieses Mister Finch. Parker ließ es nun dabei und tat so, als hätte er seinen eigenen Entschluß ebenso fest gefaßt, den er jetzt verkündete: »Da es hier um das Leben und das Sterben meiner Wenigkeit geht«, erklärte er, »nehme ich mir die Freiheit, dazu auch Stel lung zu nehmen. Nach reiflicher Überlegung sollte man den Plan eins von Mister Finch annehmen, in dem er vorschlägt, eine län gere Reise auf seine Kosten zu machen.« Bestürzung bei Kathy Porter, Überraschung im Gesicht von Mike Rander, der inzwischen von Lady Agatha eingeweiht worden war, und ein zorniges Flackern in den Augen der Detektivin selbst. A ber sie hatte sich gut in der Gewalt, als sie antwortete: »Das ist doch nicht Ihr Ernst, Mister Parker, das werden Sie doch nicht tun! Das ist ja ein völlig neuer Zug an Ihnen.«
»Das Leben«, meinte Parker und breitete wie ein Prediger die Hände aus, »steckt voller Überraschungen. Ich bedauere ganz außerordentlich, Mylady, daß ich an diesem Leben hänge.« Kathy Porter glaubte ihm kein Wort. Sie sah ihn streng an. »Mister Parker, das meinen Sie wirklich nicht im Ernst. Ich kenne Sie doch, Sie haben noch irgend etwas in der Hinterhand.« Er sah sie so naiv an, als könnte er kein Wässerchen trüben. »Etwas in der Hinterhand, meine Verehrteste, daran sollten Sie nicht glauben. Meine Wenigkeit möchte nur ganz einfach nicht sterben, das ist alles.« »Heißt das mit anderen Worten«, mischte sich Lady Agatha wieder ein, »daß Sie diesem Fabian nichts mehr in den Weg legen wollen, daß er so davonkommt, weil man ganz sicher die Aussage von Sheila nicht ganz ernst nehmen wird, zumindest ist sie nicht ausreichend in der Beweisführung. Und ich habe vorhin noch ei nen Anruf von Chief-Superintendent McWarden bekommen. Der Staatsanwalt hat sich bereits dieser Sache angenommen. Und Mister Fabian hat die Frechheit besessen, inzwischen durch seinen Anwalt erklären zu lassen, er habe ein Alibi und sei in der fragli chen Zeit überhaupt nicht in seinen Studios gewesen. Dem An walt zufolge gibt es dazu drei eidesstattliche Erklärungen von Leuten, die auch bereit sind, vor Gericht unter Eid auszusagen. Was meinen Sie dazu?« Für Parker war die Nachricht neu, aber er ließ es sich nicht an merken und erwiderte: »Vielleicht ist das mit ein Grund, warum ich mich zu dem Vor schlag eins des Mister Finch entschieden habe. Man wird mich nicht als Helden sehen, wenn ich so reagiere. Auch mein Leben gibt es nur einmal.« »Ich bin erschüttert«, meinte Lady Agatha enttäuscht. Mike Rander sagte nichts, blickte aber den Butler zweifelnd an. Er glaubte wohl noch immer nicht, daß es Parker aufrichtig mein te. Hingegen war Kathy Porter mittlerweile anderen Sinnes gewor den. »Mister Parker, Sie enttäuschen mich wirklich.« Und damit stand sie auf und stöckelte auf ihren schlanken Beinen aus dem Raum. »Kathy«, rief ihr Mike nach, »das ist doch kein Argument, um dann davonzulaufen. Also, was mich angeht«, fügte Rander lä chelnd hinzu und sah dabei Lady Agatha an, »kann ich Parker
sehr wohl verstehen. Möglicherweise hätte ich in seiner Lage e benso gehandelt. Wann werden Sie reisen?« Er blickte wieder Parker an. »Vermutlich in Bälde. Es gibt nur noch einige Formalitäten zu erledigen. Meine Wenigkeit wird Mister Finch anrufen, damit er im Bild ist.« »Da soll doch der Teufel dreinschlagen!« rief Lady Agatha außer sich und verlor dabei, was selten genug vorkam, die Fassung. Josuah Parker warf ihr einen Blick zu, der kaum zu deuten war. Und wenn sie bisher noch leise Zweifel hatte, meinte sie in sei nem Gesicht zu lesen, daß er wirklich vorhatte, was er sagte. »Wenn ich mich jetzt entschuldigen darf, es gibt noch einiges zu tun vor meiner Abreise«, erklärte Parker, erhob sich, deutete eine Verbeugung in Richtung seiner Herrin an, nickte dann Rander zu, und der fragte trocken: »Wäre es nicht ganz sinnvoll, wenn ich Sie begleitete?« »O nein, Mister Rander, das würde meine Wenigkeit nicht für notwendig erachten.« »Das fehlte auch noch!« rief Lady Agatha erregt. »Ich gebe den Kampf nicht auf. Ich habe die Sache jetzt voll übernommen. Die sen Fabian lassen wir nicht durchkommen. Immerhin sind Lady Annabell und Lord Winston meine Freunde. Und schließlich habe ich denen auch eine Reise bezahlt, denn mit ihren Mitteln hätten sie es nicht gekonnt. Und ich habe außerdem ein Versprechen gegeben, Mister Parker. Nehmen Sie das noch mit auf den Weg. Ich habe ihnen versprochen, daß ich die Sache durchkämpfe. Und das werde ich auch, mit allen Mitteln. Wenn Sie mir dabei nicht helfen können, ist das die eine Sache. Die andere aber ist, daß ich mich doch sehr über Sie wundere!« Parker hatte seinen Plan gefaßt, und dazu gehörte, daß er diesmal anders vorgehen wollte und die Sache nur mit Horace Pickett zusammen auszufechten gedachte. Es war nicht Fabian, der ihm gefährlich erschien, es war die Organisation, die er zu seinem Schutz bestellt hatte. Und für eine Million Prämie würde Finch alles in die Wege leiten, was zu Fabians Schutz nötig war. Aber der Butler kannte den Eigensinn Lady Agathas und wußte, daß sie sowieso nicht umzustimmen war. Also hatte er beschlos sen, auch sie über seine Pläne im Ungewissen zu lassen. Als er ging, debattierten Lady Agatha und Mike Rander lautstark weiter.
Josuah Parker wunderte sich nicht, als er Kathy auf dem Flur traf. Völlig verändert kam sie auf ihn zu. Kein einziger Vorwurf mehr wie vorhin, sondern mit einem verschwörerischen Blick. Sie flüsterte, damit man es im großen Wohnraum nicht hören sollte: »Mister Parker, ich kenne Sie ja nun auch schon sehr lange. Ich weiß, daß Sie etwas ganz anderes vorhaben, als tatsächlich in irgendeinem Urlaub zu verschwinden. Ich möchte dabei sein. Ich will mitmachen. Sie können vielleicht Lady Agatha täuschen und Mike, aber mich nicht. Nehmen Sie mich mit, bitte!« »Miß Porter, Ihnen gehört meine aufrichtige Überraschung«, behauptete Parker. »Aber Sie interpretieren hier mein Vorhaben auf Ihre persönliche Weise. Es gibt hier kein Geheimnis. Meine Wenigkeit wird tatsächlich wegfahren, so wie es Mister Finch in seinem Vorschlag eins möchte.« Jetzt war sie ehrlich entrüstet, das war nicht mehr gespielt. »Das wollen Sie tatsächlich? Sie meinen das ernst?« Er lächelte nur, und das war für sie soviel wie eine Antwort. Wütend stampfte sie mit dem Fuß auf, daß der hochhackige Ab satz auf die Fliesen knallte. »Mister Parker«, sagte sie entrüstet, »entweder bluffen Sie so gut, daß ich darauf reinfalle, oder aber Sie zeigen zum erstenmal eine Seite Ihres Wesens, die ich bisher nicht wahrhaben wollte, die ich auch nie sehen konnte, die Sie nie vorgewiesen haben, Mister Parker: die Seite der Feigheit!« »Gewiß, Miß Porter. Man ist auch nur eine kleine Kreatur. Aber jetzt müssen Sie mich bitte entschuldigen, die Eile läßt keine Ru he mehr. Sie kennen ja meinen Plan. Er gilt dem Verreisen, und zwar so schnell wie möglich.« »Dann wünsche ich eine gute Reise!« rief sie als Parker weiter ging und die Haustür öffnete. »Am besten bleiben Sie gleich dort, wo Sie hinfahren. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Lady Agatha großen Wert auf eine Rückkehr legt. Sie wissen ja, wie eng sie mit Lady Annabell befreundet ist. Deswegen ist es besonders schlimm, was Sie ihr jetzt antun wollen, besonders schlimm!« wiederholte die junge Dame mit erhobener Stimme. Die Haustür klappte hinter Parker zu und ließ eine wütende Ka thy Porter zurück. Draußen stieg Parker in sein hochbeiniges Monstrum und fuhr los, ruhig, als habe er es nicht besonders eilig. So entging ihm nicht, als er in den Rückspiegel schaute, wie sich ein junger, dun
kelhaariger Mann im hellen Anzug von einer Mauerecke löste und ihm nachschaute. Ihm entging ebenso wenig, daß sich auf der anderen Straßenseite ein Wagen in Bewegung setzte, in den der junge Mann einstieg, dann wendete dieser Wagen und folgte ge nauso langsam wie Parker fuhr. Der Butler beobachtete den blauen Ford, der ihm folgte, machte aber keine Anstalten, sich dieser Verfolgung auf irgendeine Weise zu entziehen. Im Gegenteil, er fuhr langsam, daß der Verfolger ihn ja nicht verlieren konnte. Besonders als an einer Ampel für ihn gerade noch grün war, danach aber der Verfolger stoppen mußte. Parker ließ sich soviel Zeit, daß ihn der Verfolger, nach dem er ebenfalls fahren konnte, schnell wieder eingeholt hatte. Dann hielt er an einem Telefonhäuschen. Als er die rote Zelle betreten hatte, blickte er aus den Augen winkeln in Richtung auf den blauen Ford, der nun ebenfalls an gehalten hatte, aber keine Parklücke fand. So stand er in zweiter Parkreihe, was offensichtlich das Mißfallen eines Polizisten auslös te, der sich sofort in Bewegung setzte und auf den blauen Ford zusteuerte. Daraufhin fuhr der langsam weiter. Parker wählte die Nummer, die ihm Finch gegeben hatte. Und wie von Finch angekündigt, meldete sich eine sehr sympathische Frauenstimme. Parker erwiderte ihr, daß er eine Nachricht für Mr. Finch habe. Daraufhin sagte sie: »Oh, Sie sind sehr früh dran, Mister Parker. Ich hatte erst mor gen um neun mit Ihrer Antwort gerechnet. Aber um so besser. Mister Finch wird sich sehr freuen. Und für welchen Vorschlag haben Sie sich entschieden? Sie brauchen mir nur die Zahl zu nennen.« »Meine Wenigkeit wählt den Vorschlag Nummer eins!« »In diesem Fall, Mister Parker«, erwiderte sie ihm, »würde ich Sie bitten, zum Princeton-House zu kommen. Alle Unterlagen, die für Ihre Reise notwendig sind, werden Sie dort finden. Verlangen Sie Miß Mabel. An der Information des Princeton-Houses weiß man dann Bescheid.« Parker bedankte sich, hängte aber den Hörer noch nicht ein, sondern warf einen Blick in die Runde. Der blaue Ford stand jetzt ein wenig weiter vorn und hatte dort wohl eine Parknische gefun den.
Aber plötzlich, bevor Parker einhängte, sah er noch etwas. Aus der Richtung, aus der er gekommen war, näherte sich der kleine Sportflitzer von Kathy Porter. Sie fuhr nicht sehr schnell, entdeckte natürlich Parkers hochbei niges Monstrum und stoppte kurz. Aber wieder war es der Bobby, der mit strengem Blick auf Kathy schaute und wohl vorausahnte, daß sie in zweiter Reihe parken wollte, und Kathy deshalb veran laßte, langsam weiterzufahren. Nun mußte sie sehr weit fahren, denn weit und breit waren keine Parkplätze frei. Sie verschwand aus Parkers Blick, er verließ nun endgültig die Zelle, setzte sich in seinen Wagen und wartete einen Augenblick. Er rechnete damit, daß Kathy womöglich einmal um den Block fahren würde und gleich wieder auftauchte. Aber dem wollte er vorbeugen. Nein, er würde in jedem Fall Kathy abschütteln müs sen. Nicht den blauen Ford. Daß er ihn verfolgte, daran war er interessiert. Aber Kathy kam nicht, jedenfalls nicht in ihrem Wagen. Als der fließende Verkehr es möglich machte, stieß der Butler aus seiner Bucht, wendete auf der Straße und fuhr die Richtung zurück, aus der er gekommen war. Prompt wendete wenig später auch der blaue Ford. Parker ließ sich so viel Zeit, daß es dem Fahrer des Ford gelang, näher an ihn heranzukommen. Die Ampel an der Kreuzung zeigte Rot. Er mußte halten. Er war das zweite Fahrzeug in der Reihe. In diesem Augenblick bog, von rechts kommend, Kathy Porter an der Kreuzung ein. Sie war also doch um den Block gefahren. Aber sie blickte nicht in Parkers Richtung. Hinzu kam, daß ein Omnibus neben Parkers Wagen auffuhr und ihn völlig bedeckte, nun konnte der Butler Kathy und ihren sportlichen Flitzer ebensowenig erkennen. Als die Ampel Grün zeigte, fuhr Parker weiter, blieb im Strom der fahrenden Wagen und erreichte in geruhsamer Fahrt nach etwa einer Viertelstunde das Princeton-House. Dort gab es kei nerlei Parkmöglichkeiten. Parker fuhr an dem Bürohochhaus vor bei zu einer Tiefgarage und stellte dort sein hochbeiniges Monst rum ab. Als er ausstieg, war der blaue Ford unweit von ihm eben falls in eine Parktasche gefahren. Parker tat, als ginge er auf die Tür zur Treppe nach oben zu. Als dann aber eine dicke Betonsäule zwischen ihm und den Verfol gern die Sicht verbaute, duckte sich Parker zwischen zwei dort abgestellten Wagen und ging nicht weiter.
In dem Ford hatte er zwei Personen erkannt. Es waren auch zwei Männer, die jetzt von dem Ford her der Treppe zustrebten. Als sie unter einer der Neonlampen hinweggingen, sah er die beiden Männer deutlicher. Es waren sportliche Typen wie jene, die Buddy Wolfe vom Teppich geholt hatte, Sie waren gut gekleidet und ganz und gar nicht sogenannte typische Ganoven. Und doch hatten sie das gewisse Etwas, durch das Parker sie immer wieder von anderen unterscheiden konnte. Aber er wollte ja nichts gegen sie unternehmen. Sie sollten so gar wissen, wohin er ging. Er hatte nur die Absicht, sie zu erken nen, und das war jetzt der Fall. Er richtete sich auf, keine fünf oder sechs Schritte von ihnen entfernt, und sie blieben überrascht stehen. Parker kümmerte sich überhaupt nicht um sie, ging weiter zur Treppe und verzichtete darauf, mit dem Lift nach oben zu fahren. Es waren nur wenige Stufen. Als er dann im großen Empfangsraum stand, sah er linkerhand die vier Fahrstuhltüren, rechts eine Theke, über der die Aufschrift Information stand und in der Mitte des Raumes ein Springbrun nen, mit vielen bunten Lampen beleuchtet, um ihn herum gewal tige Blumenkübel mit riesigen Pflanzen, die meisten davon Gum mibäume. Parker ging zielstrebig auf den Informationsstand zu und fragte eine äußerst adrett und anziehend wirkende Dame mit platinblon dem Haar nach Miß Mabel. »Zwölftes Stockwerk, Zimmer 1273«, erklärte die Blondine, und Parker nahm den Lift. Er hatte natürlich seine zwei Verfolger wie der gesehen. Die gingen jetzt ebenfalls auf den Informationsstand zu, während Parker in den gerade leer gewordenen Lift einstieg, der von einem Fahrstuhlführer in blauer Uniform bedient wurde. Bevor der Fahrstuhlführer die Türen schloß, sah Parker noch, daß seine Verfolger vom Informationsstand her direkt auf eine der Telefonzellen zugingen, die sich neben dem Eingang der gro ßen Empfangshalle befanden. Parker wußte, daß sie den erfüllten Auftrag melden würden. Im zwölften Stock im angegebenen Zimmer, das Parker nach kurzem Anklopfen betreten hatte, wurde er von einer dunkelhaa rigen, attraktiven jungen Frau begrüßt, die ein enganliegendes, tiefblaues Kostüm trug und die passende Figur dazu hatte.
Nach der Begrüßung setzte sie sich wieder auf ihren Drehsche mel hinter dem Schreibtisch, schlug die wohlgeformten Beine ü bereinander und flötete mit honigsüßer Stimme: »Es ist sehr gut, Mister Parker, daß Sie heute schon kommen.« Sie warf einen Blick auf ihre goldene Armbanduhr. »Obgleich es schon ziemlich spät ist. Ihr Flugzeug geht erst gegen zehn Uhr morgen. Oder ist Ihnen das etwa zu früh?« »Mit Verlaub gesagt«, meinte Parker, »es ist weder zu früh noch zu spät. Haben Verehrteste alle Reiseunterlagen?« »Selbstverständlich, Mister Parker. Das Flugticket, sehen Sie nach, ebenfalls das Reisegeld. Es handelt sich um fünftausend Pfund und noch mal zweitausend Dollar. Es ist sehr schwer für mich gewesen, in der kurzen Zeit diese Summe einzutauschen. Und der Kurs ist derzeit sehr schlecht für uns, sonst wäre es viel leicht mehr gewesen. Das Hotel allerdings ist schon bezahlt, Voll pension. Das Reisegeld steht Ihnen genau genommen als reines Taschengeld zur Verfügung.« Sie strahlte Parker an, als sie ihm die Mappe mit den Unterlagen zuschob. »Sehen Sie sich bitte al les an, daß es stimmt.« Das Flugticket war auf Honolulu ausgestellt. Urlaub auf Hawaii! Finch hatte nicht zuviel versprochen. Das Hotel zählte zu den bes ten in Honolulu. Auch für alles andere war vorgesorgt und im vor aus gebucht. »Sehr verlockend«, entgegnete Parker. »Meine Wenigkeit ist überwältigt.« »Ich wünsche Ihnen einen sehr schönen Urlaub, Mister Parker. Und bleiben Sie wirklich die ganze Zeit. Wenn Sie vierzehn Tage in Honolulu sind, wird man Ihnen über das Hotel noch mal die gleiche Summe in Bargeld zur Verfügung stellen, die Sie jetzt mitbekommen.« »Eine äußerst wohlwollende Aufmerksamkeit, würde ich sagen«, meinte der Butler und stützte sich auf den Rand des Schreibti sches. Miß Mabel, die ihn lächelnd anblickte, bemerkte scheinbar nicht, daß Parker etwas in der rechten Hand hielt. Es war nicht größer als eine dieser kleinen runden Quecksilberbatterien, die man in Fotoapparaten benutzte. Und sie war umhüllt von einer klebrigen Kautschukmasse und haftete sehr gut unter der Kante des Schreibtisches, als Parker sie, ohne daß das Miß Mabel über haupt sah oder bemerkte, dort befestigte.
»Ja«, sagte Miß Mabel, »Mister Finch möchte, daß Sie sich un bedingt wohl fühlen. Es soll ein schöner Urlaub für Sie werden, und er freut sich sehr, daß Sie sich zu seinem Vorschlag eins ent schlossen haben.« »Was meine unmaßgebliche Wenigkeit angeht, Miß Mabel, lasse ich mich gern von so erfahrenen Leuten wie Mister Finch bera ten.« Sie wurde ernst. »Ich weiß, was geschehen wird, sollten Sie morgen dieses Flugzeug nicht besteigen.« »Man sollte das nicht aussprechen, Miß Mabel. Es ist zu fürch terlich und erschütternd. Außerdem flößt schon der Gedanke dar an Angst ein.« Sie nickte verständnisvoll. »Das begreife ich, Mister Parker! Ich hätte auch Angst um mein Leben.« Jetzt lachte sie wieder. »Aber Sie sind ja klug gewesen, und ich freue mich für Sie. Es würde mich sehr traurig machen, wenn ich wüßte, was Ihnen sonst pas sieren könnte.« Josuah Parker bedankte sich sehr wortreich, wie es seine Art war, dann nickte er Miß Mabel zu und wandte sich zur Tür. Er hat te sie gerade geöffnet, blickte noch mal zurück und sah, wie Miß Mabel den Telefonhörer abgenommen hatte. Er ging nach drau ßen, schloß aber die Tür sehr langsam und hörte noch, wie sie sagte: »Er war bei mir und hat alle Unterlagen…« Parker schloß die Tür und ging gemessenen Schrittes den Gang entlang. Rechter Hand war ein paar Zimmer weiter der Hinweis auf eine Herrentoilette. Er betrat sie, schloß sich dann in einem gewissen Örtchen ein, nahm ein kleines Funkgerät aus einer Sei tentasche, steckte sich den Ohrhörer ins rechte Ohr und schaltete das Gerät ein. Mit einem Mal erklang wieder die Stimme von Miß Mabel. Der Butler hörte sie sagen: »O nein, Mister Finch, ich finde ihn sehr nett. Ein Glück, daß er sich für Vorschlag eins entschieden hat. Ich habe ihm alles so gesagt, wie Sie das wollten… O ja, er hat sich gefreut, Mister Finch. Ich bin sicher, daß er morgen fliegen wird… Natürlich, das würde ich auch tun, Mister Finch. Soll ich die beiden rufen… Nun gut, wenn Sie das tun, ist es ja nicht nötig. Ich bin in einer Stun de bei Ihnen, Mister Finch… Ja, selbstverständlich werde ich ihn gern begleiten. Sie brauchen keine Sorge zu haben, ich weiß mit solchen Männern umzugehen… Nein, Mister Finch, ich würde mich
gegen Mister Fabian zur Wehr setzen, wenn es sein muß. Aber ich hoffe doch, er wird so klug sein und… Ja, Mister Finch, ich werde in einer halben Stunde bei Mister Fabian sein… Natürlich, Mister Finch, ich mache mich dann gleich auf den Weg. Es ist auch schon sehr spät, wir haben schon acht Uhr, Mister Finch…« Parker hörte, daß irgendwelche Dinge auf dem Schreibtisch hinund hergeschoben wurden, daß ein Stuhl rückte, und dann tack ten die Absätze von Miß Mabel auf dem Fußboden. Etwas knarrte, wahrscheinlich die Tür des Kleiderschrankes, in dem sie ihre Gar derobe aufbewahrte. Und dann klappte die Tür. Danach war es sehr still. Er hörte nur noch das Ticken einer Uhr. Parker reichte das, was er gehört hatte. Er steckte das Gerät ein, verließ die Toilette und sah gerade noch, als er auf den Gang trat, wie Miß Mabel vorn am Ende des Ganges zu den Fahrstühlen einbog. Und jetzt war es mit Parkers Ruhe vorbei. Er ging schnell. Und als er vorn bei den Fahrstühlen ankam, sah er gerade noch, wie einer abfuhr. Vermutlich der, in dem sich Miß Mabel befand. Er drückte auf den Knopf eines anderen und hatte Glück. Der kam rasch und war leer. Er fuhr bis zum Erdgeschoß hinunter, und als er den Fahrstuhl verließ, entdeckte er Miß Mabel an der Information. Sie sprach mit der Blondine. Die beiden lachten, dann ging Miß Mabel nach draußen. Das ist ein Geschenk des Himmels, dachte Parker, sie wird mich direkt zu Fabian führen. Vielleicht gelingt es noch heute nacht, ihn zu fassen. Man müßte noch Pickett informieren… * Um keine Zeit zu verlieren, ließ Butler Parker sein hochbeiniges Monstrum, wo es stand und nahm ein Taxi. Mabel hatte ebenfalls ein Taxi genommen, und Parker sagte seinem Fahrer, er solle dem anderen Wagen folgen. Aber das erwies sich als schwierig. Nicht nur weil es dunkel war und zu regnen begann, sondern weil der Verkehr um diese Zeit in London sehr stark war, gerade hier in dieser Gegend. Dabei waren die meisten Bürohochhäuser längst verödet, trotzdem aber fuhren unzählige Autos auf den Straßen.
Doch der Taxifahrer, den der Zufall Parker beschert hatte, er wies sich als Könner in seinem Fach. Er war ein Farbiger, der nicht nur hervorragende Fahrkünste aufwies, sondern sich im stande zeigte, seinem Kollegen zu folgen, so schwierig es auch sein mochte. Als das andere Taxi noch innerhalb der City in eine Seitenstraße abbog, die sehr schmal und zudem eine Sackgasse war, ließ Par ker seinen Fahrer halten, zahlte und stieg aus. Er ging langsam zu Fuß, sah das Taxi mit Miß Mabel halten, beobachtete, wie die Frau ausstieg und dann in einer Tür verschwand, während das Taxi zurücksetzte. Parker ging langsam weiter, achtete auf die Umgebung und rechnete damit, daß irgendwo in einer dunklen Ecke jemand ste hen würde, der unerwünschte Besucher zurückhalten sollte. Und so war es auch. Plötzlich trat dicht vor Parker ein Mann aus einer Nische, von dem er nur die Umrisse erkannte. »He!« sagte diese Gestalt mit dunkler Stimme. »Was willst du? Hier hat niemand etwas zu suchen.« »Oh«, sagte Parker, »meiner Wenigkeit ist es sehr peinlich, Sir, aber ich müßte mal… und ich dachte…« »Überlaß das Denken den Pferden, die haben die größeren Köp fe! Und jetzt verkrümle dich, sonst setzt es was…« Parker machte eine halbe Drehung, als wollte er gehen. Und dann zuckte der Schirm nach vorn und traf mit der Spitze. Gleich zeitig wirbelte der Stock wieder herum, und der Knauf erfaßte den sich nach vorn krümmenden Mann am Kopf, worauf er zu Boden sackte. Er fiel direkt in eine Pfütze, und Parker drückte sein Bedauern aus: »Es sollte nicht gerade ein reinigendes Bad werden. Nun ja, so kann man wenigstens nicht verdursten.« Der Butler stieg über die Gestalt hinweg und ging weiter bis zu jener Tür. Plötzlich hörte er den Atem eines Menschen hinter sich, wirbelte herum und sah wiederum eine Gestalt mit hoch erhobe nem Arm. In der Hand hielt sie so etwas wie einen Stock, bereit zum Zuschlagen. Josuah Parker wußte in diesem Augenblick nicht, ob es der Mann war, den er eben niedergeschlagen hatte oder ein anderer. Aber welche Rolle spielte das jetzt schon?
Er tat, was er in einer solchen Situation schon oft getan hatte. Er sprang einen Schritt zurück, mit dem Rücken bis an die Tür, griff währenddessen mit der Linken in die Tasche, holte einen kleinen Beutel heraus, zog mit der Rechten seinen UniversalRegenschirm nach vorn, und da schlug der andere mit dem Stock schon zu. Aber er traf den Schirm. Da war Parkers Hand schon aus der Tasche, und der Inhalt des Beutels flog als feiner Staub genau ins Gesicht dieses Mannes. »Man soll eine gute Speise immer würzen, sie schmeckt dann einfach besser«, murmelte Parker und benützte den Knauf seines Stockes. Seinem Gegenüber passierte dasselbe wie dem anderen Mann. Die Knie wurden ihm zu Pudding, und er ging zu Boden. Zu Parkers Erstaunen fand er die Tür hinter sich offen. Er drück te sie auf, und drinnen war es stockdunkel. Er lauschte und schnupperte, es roch nach Bohnerwachs. Und er hörte nichts. Kurz entschlossen ging er wieder vor die Tür, bückte .sich, packte den Mann, der am Boden lag, riß ihn zu sich empor und schob ihn wie ein Schutzschild vor sich her in den Flur, drückte die Tür hinter sich mit einem Bein zu und ging dann Schritt für Schritt den Gang entlang. Die schwere Gestalt, die reglos in sei nen Händen hing, vor sich wie ein Schutzschild. Plötzlich, er war wieder drei Schritte vorgedrungen und hielt ge rade an, um zu lauschen, ging plötzlich grelles Licht an. Es war taghell. Im selben Moment sah er nur einen Schatten und spürte dann indirekt, wie etwas in den Körper vor ihm schlug. Dann erst ent deckte er das Gesicht dicht neben dem herabhängenden Kopf des Reglosen, den er in den Händen hielt. Das Gesicht eines Mannes; es wirkte verbissen wie das einer Bulldogge. Plötzlich ein scharfer Ruf vom Ende des Flures: »Weg da!« Parker erkannte die Stimme sofort. Sie gehörte Finch! Und jetzt war er es, der sich überrascht zeigte. Der Mann vor ihm trat zurück. Parker sah, daß es keinen Sinn hatte, den Reglosen weiter festzuhalten. Er ließ ihn zu Boden sin ken, und nun erkannte er das Bild in voller Größe. Der Gorilla stand schräg links von ihm. Hinten im Flur Miß Mabel und daneben Finch. Finch im schwarzen Anzug mit Fliege, blütenweißem Hemd. Ma bel stand neben ihm, so wie Parker sie vorhin gesehen hatte. Sie lächelte, Finch ebenfalls.
»Wozu die Umstände, Mister Parker? Wir hatten Sie ja erwartet. Oder hatten Sie geglaubt, Miß Mabel merkt nicht, wenn Sie eine Wanze unter ihren Tisch kleben? Sie haben etwas übersehen, Mister Parker. Überrascht mich eigentlich; daß Ihnen so etwas passiert. Sie haben übersehen, Mister Parker, daß in diesem Raum über der Tür, ich spreche vom Büro Miß Mabels, ein großer Spiegel ist. Sie konnte im Spiegel sehen, was Sie tun. Es war sehr töricht von Ihnen, Mister Fabian suchen zu wollen. Selbstver ständlich ist er nicht hier. Wir bewachen ihn wie den Schatz in Fort Knox.« Josuah Parker war nur eine Sekunde lang verblüfft, dann erwi derte er das Lächeln von Finch und antwortete: »Meine Wenigkeit ist untröstlich, Mister Finch, daß Sie ent täuscht wurden. Da kann man nur hoffen, daß sich das irgendwie wieder gutmachen läßt.« »Natürlich können Sie das wieder gutmachen, Mister Parker. Sie hatten sich ja entschlossen, morgen früh um zehn die Maschine nach Honolulu zu nehmen. Übrigens haben Sie Flugtickets für die Erste Klasse. An Bord wird man Sie besonders aufmerksam be dienen. Denn auf diesen Flugscheinen ist der VIP-Vermerk. Sie sind also eine wichtige Person. Das wird die Stewardessen beflü geln, außergewöhnlich freundlich und hilfsbereit zu sein. Vielleicht finden Sie eine, die Ihnen die berühmte Frage stellt: »Möchten Sie Tee? Möchten Sie Kaffee? Oder möchten Sie mich?« Parkers Gesicht zeigte keine Regung. Fieberhaft überlegte er, was Finch wirklich vorhaben könnte. So ging er zunächst auf die ses Spiel ein, das sich Finch als Gespräch ausgesucht hatte. »Meine große Liebe gilt dem Tee, Mister Finch. Und ich kann nicht verhehlen, daß ich mich auf diese Reise außergewöhnlich freue, wenn ich mal so offen sein darf, meine Gefühle zu zeigen.« »Und was hätten Sie von Fabian gewollt?« »Meine Wenigkeit hätte sich erlaubt, ihm nur eine einzige Frage zu stellen, wenn Sie gestatten, Mister Finch. Und ich wollte ihn dabei ansehen, wenn meine Frage an ihn ergeht. Das ist sicher nicht zu vermessen, wenn es das Interesse weckt, wie ein Mann fühlt, der eigentlich sehr unmoralisch gehandelt hat und dank seiner Macht ungeschoren davonkommt. Man nimmt sich die Freiheit zu behaupten, daß es ihn nicht glücklich machen wird.« Finch lachte. »Das glauben Sie doch selbst nicht, Parker. Dieser Bursche hat doch noch ganz andere Sachen gemacht. Und das
mit der kleinen Sheila ist doch ohnehin im Grund gar nichts für ihn. Er hätte sich nicht mal aus seinem Stuhl bewegt, wäre es nur darum gegangen. Das wissen Sie doch so gut wie ich, Mister Par ker. Er hatte nur Angst, daß im Zusammenhang mit dieser un wichtigen Geschichte andere Dinge zu Tage kommen. Darum ging es. Aber ich möchte Sie nicht langweilen, Mister Parker, und im übrigen bin ich sehr ungastlich. Kommen Sie doch näher! Ich ha be hier einen kleinen Salon eingerichtet. Übrigens gehört mir die ses Haus, mir selbst, nicht der Organisation. Es ist mein Privatei gentum. Ich bin sicher, daß uns Miß Mabel etwas Hervorragendes mixt. Oder möchten Sie einen Kaffee? Es ist schon sehr spät.« Der Mann am Boden begann sich zu regen. Auf einen Wink von Finch kümmerte sich der Schläger um ihn, hatte er doch den Be wußtlosen noch mal mit einem Schlag in eine verlängerte Traum zeit geschickt. Josuah Parker ging an den beiden vorbei, und Miß Mabel ver schwand in einen hell erleuchteten Raum, der sehr gemütlich ein gerichtet war: Ledersessel, Ledercouch, runder Couchtisch, so etwas wie eine große Hausbar, einige Stilschränke und ein paar gewiß wertvolle Gemälde an der Wand. Finch deutete auf einen der Sessel und sagte: »Nehmen Sie Platz, Mister Parker. Mabel wird uns bedienen.« Die junge Frau an der Hausbar war wirklich eine attraktive Er scheinung, da hatte Finch nicht übertrieben. Aber das interessier te den Butler jetzt nicht. Für ihn war es wichtiger zu erfahren, wo Fabian steckte und na türlich auch nach einer Möglichkeit zu suchen, hier ungeschoren herauszukommen. Während er die Hände auf seinen Universal-Regenschirm stützte und in aufrechter Haltung im Sessel saß, machte es sich Finch bequem und schlug die Beine übereinander. Dann kam schon Ma bel mit den Drinks. Finch nahm von seinem Glas einen Schluck, nachdem er Parker zugeprostet hatte. Aber der Butler trank nicht. Er rechnete damit, daß ein Schlafmittel in dem Getränk war, und das ahnte Finch wohl. Er lachte plötzlich, beugte sich nach vorn, griff nach Parkers Glas, das noch unberührt auf dem Tisch stand, nahm es trank einen Schluck und schob es dann zurück. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, ich habe mir die Trinkprobe erlaubt. Es ist kein Schlafmittel drin, wenn Sie das meinen, und
erst recht kein Gift. Aber von mir aus können Sie sich auch selbst einschenken. Da drüben ist die Bar.« Parker nippte nur an seinem Glas, setzte es wieder zurück und wartete, daß Finch den Reigen eröffnete. »Ich weiß nicht, wie gut Sie informiert sind«, begann der Film boß. »Aber ich kann Ihnen etwas erzählen, was Sie möglicherwei se doch noch nicht wissen. Ihre Lady Agatha hat, resolut wie sie ist, die Dinge in die Hand genommen. So wie sie es getan hat, kann ich mir nicht vorstellen, daß Sie nur die geringste Ahnung davon haben, Mister Parker. Aber Sie werden staunen, sie war zunächst sehr erfolgreich. Sie wäre fast dahinter gekommen, wo wir Mister Fabian versteckt halten.« Josuah Parker ließ sich nicht anmerken, was er dachte. Aber er war gespannt zu erfahren, was seine Herrin vielleicht herausbe kommen hatte. Womöglich sprach Finch darüber. Dann war es am Ende noch ein Tip für ihn selbst. Finch verschränkte die Arme vor der Brust und sah Parker amü siert an. »Erwarten Sie nur nicht, daß ich Ihnen jetzt erzähle, wo Fabian zu diesem Zeitpunkt war. Jedenfalls ist er nicht mehr dort. Ihre Lady Agatha ist zu spät gekommen. Übrigens hatte sie den selben Helfer, auf den Sie freundlicherweise zurückgegriffen ha ben, Mister Parker. Ich meine diesen Rausschmeißer vom SavoyHotel, Buddy.« »Sehr lobenswert von Mylady«, erklärte Parker. »Meine Wenig keit wüßte nicht, was sie hätte Besseres tun können. Und wie hoch beläuft sich die Zahl der Verletzten auf Ihrer Seite, Mister Finch? Sie ließen ja gerade überzeugend den Namen Buddy Wolfe fallen.« Finch wurde ernst. »Sie haben recht, er hat wieder mal ganz schön aufgeräumt. Aber wie gesagt, sie standen vor einem leeren Raum. Wir haben Fabian rechtzeitig weggebracht. Allerdings ist auch Ihr Buddy Wolfe nicht ganz ungetrübt davongekommen. Er war ganz schön lädiert, als er mit Lady Agatha und ihrem Mister Rander davonzog. Ach, Ihre Miß Porter ist auch in der Nähe ge wesen. Aber sie kam zu spät. Nun ja, anschließend tauchte dann McWarden auf, ebenfalls zu spät, wie immer. Er hatte wahr scheinlich gleichzeitig da sein sollen, aber wie das mit der Polizei so ist, eine Behörde, und da dauert es.« »Man beginnt darüber nachzudenken, Mister Finch, in welcher Form mir ihre Informationen einen Nutzen bringen könnten.«
»Gar keinen, Mister Parker! Es war eben nur eine Information. Und Sie wollen gar nicht wissen, wo Lady Agatha und ihre Helfer jetzt sind?« »Es dürfte für meine Wenigkeit nicht sehr bedeutsam sein«, er widerte Parker. »Um so besser. Was nun Sie angeht, wollen wir Sie als unseren Gast hier behalten, und ich bin überzeugt, daß Sie diese Gast freundschaft äußerst gern wahrnehmen. Sollten Sie speisen wol len, stehen Ihnen natürlich nach Wunsch alle Menüs zur Verfü gung, die jetzt um diese späte Stunde in Londoner Restaurants hergestellt werden. Wir lassen für Sie alles ofenfrisch bringen. Hier im Haus können wir leider höchstens einen Kaffee kochen oder«, er deutete auf die Bar, »etwas von dort zu uns nehmen. Äußerstenfalls wäre Mabel noch dazu in der Lage, Ihnen ein Sandwich zuzubereiten. Aber darüber hinaus, und das bedaure ich sehr, sind unsere Mög lichkeiten hier erschöpft.« »Wenn Sie mich hier mit Vergnügen in die Falle laufen lassen wollten, wie Sie vorhin zu sagen beliebten, wäre doch die Bewa chung des Hauses gar nicht so nötig gewesen«, stellte Parker fest. »Aber mitnichten, Mister Parker«, entgegnete Finch. »Sie hätten doch sofort Lunte gerochen, wären Sie widerstandslos hier ins Haus gekommen. Nein, wir wollten Sie nicht zu früh argwöhnisch machen. Sie sehen, Mister Parker, auch wir leisten uns den mitt lerweile selten gewordenen Luxus des scharfen Nachdenkens. Diesmal ist die Runde an mich gegangen, die erste übrigens auch, denn Sie haben sich ja für Plan eins entschieden. So steht es zwei zu null. Es werden noch Wetten angenommen, Mister Parker«, fügte Finch lächelnd hinzu. Er spielte ganz den jovialen Gastge ber. Die verschwundene Mabel kam nach einer Weile wieder, diesmal völlig neu gekleidet: Weiße Bluse, dunklen weiten Faltenrock und als einzigen Schmuck eine Perlenkette. Auf ihren hochhackigen Schuhen bot sie eine blendende Erscheinung. Sie setzte sich auf die Couch, die Parker gegenüber stand, schlug die Beine überein ander und lächelte dem Butler zu. Nun war es nicht so, daß Frauen ihm absolut nichts bedeutet hätten, aber er war erhaben über solche Dinge, besonders wenn sie einen Zweck erfüllen sollten.
Finch, der wohl nichts von dem ahnte, was in Parker vorging, sagte: »Ich werde mich jetzt zurückziehen. Miß Mabel steht Ihnen in allem zur Verfügung, was Sie wünschen. Sie wird Ihnen besor gen, was Sie brauchen und auch sonst Ihre Wünsche selbstver ständlich erfüllen, Mister Parker. Sie ist eine reizende Mitarbeite rin. Ich möchte Sie nur darauf hinweisen, daß sie gegen ihren Willen Wünsche grundsätzlich nicht erfüllt. Und damit sie das auch nicht braucht, ist sie genau wie Ihre Miß Porter eine erst klassige Judo- und Karatekämpferin. Aber das sollte keine Dro hung sein, ganz im Gegenteil, nur ein Hinweis, um das Bild abzu runden, das Sie sich von Miß Mabel machen könnten.« »Sie unterliegen einem schwerwiegenden Irrtum, verehrter Mis ter Finch«, sagte Parker. »Mein Interesse richtet sich ganz und gar nicht auf Miß Mabel. Meine Wenigkeit hatte vorher den Wunsch geäußert, noch mal mit Mister Fabian sprechen zu kön nen, um zu hören, wie er sich mit diesem Triumph fühlt.« Finch lächelte. »Nun, nichts leichter als das. Sie können mit ihm sprechen, einen Augenblick!« Er erhob sich, ging zu einem Fernseher, der in der Ecke stand und schaltete ihn ein. Danach drückte er ein paar Tasten, und auf einmal kam das Bild. Zu sehen war ein kleiner Raum mit Schreib tisch, Couchgarnitur und einem großen, mächtigen Schrank. In einem Sessel saß Fabian. Finch griff zu einem Mikrophon, das er hinten aus dem Fernse her zog und sagte plötzlich: »Mister Fabian, hier ist Finch. Ich habe Besuch, der sich gern mit Ihnen unterhalten möchte.« Dann trat Finch ein wenig beiseite, so daß die Kamera Parker erfaßte. Der Butler sah, wie Fabian das Gesicht verzog, als hätte er Essig geschluckt. »Ich werde den Teufel tun«, hörte Parker ihn sagen. »Mich mit dem zu unterhalten, diesem Mistkerl, diesem…« »Aber verehrter Mister Fabian, ich muß doch sehr bitten!« ver wahrte sich Finch gegen Fabians Ausdrucksweise. »Wir sind doch Gentlemen.« »Und wenn schon! Der da ist keiner. Ich Will nicht mit ihm re den, der Teufel soll ihn holen.« Finch wandte sich Parker zu und schaltete Fabian wieder aus dem Bild. »Sie sehen, mein Verehrter, er ist sehr erregt. Aber ich habe noch etwas anderes, um Sie zu überraschen, womit Sie ganz sicher nicht gerechnet haben. Wir haben nämlich noch einen
lieben Gast, wie Sie gleich sehen werden.« Er schaltete wieder am Fernseher, das Bild kam, und diesmal war es ein ganz ande res Zimmer, ein kleineres mit weißen Schleiflackmöbeln, einem Bett, und, wie Parker deutlich erkannte, einem vergitterten Fens ter dahinter. Auf dem Bett aber lag jemand. Und Finch, der wie der zum Mikrophon griff, sagte: »Miß Sheila, Sie werden doch jetzt nicht schlafen wollen… Ich habe hier einen lieben Freund, der gern mit Ihnen sprechen will.« Und dann wandte sie ihr Gesicht der Kamera zu. Es war Sheila! Parker war ehrlich überrascht. Aber er hatte sich so in der Ge walt, daß er das nach außen nicht zeigte, zumal er spürte, daß Finch ihn genau beobachtete. Auch Mabel tat das. »Entschuldigen Sie, sehr verehrte Miß Sheila«, sagte der Butler, »daß Mister Finch Ihren Schlaf gestört hat. Ich bedaure außeror dentlich und gebe mich der Hoffnung hin, Sie können es mir ver zeihen, daß ich zu denen gehöre, die Sie geweckt haben. Wie kommen Sie dahin? Hätten Sie vielleicht die Güte, meiner Wenig keit etwas zu erklären oder…« Finch lächelte nur und schaltete den Apparat ab. »Aber mein lieber Mister Parker«, meinte er, »so weit wollen wir doch nicht gehen. Es ist doch ganz unmöglich, daß Sie jetzt ein großartiges Gespräch mit Miß Sheila anfangen, um von ihr womöglich zu er fahren, wo sie ist. Aber ich kann Ihnen verraten, daß sie es selbst nicht weiß. Sie wollte natürlich mit auf die Bermudas fliegen mit ihren Eltern, aber es ist ihr etwas dazwischen gekommen. Die Eltern allerdings sind weg. Ich darf Ihnen auch erklären, wie das geschehen konnte. Sie wurde nur noch einmal ans Telefon gerufen, verließ für kurze Zeit die Maschine, und dann wurden da die Türen geschlossen, bevor Lord Winston und seine Frau Lady Annabell überhaupt begriffen, was geschehen war. Und als die Maschine startete, befand sich Miß Sheila bereits im Fond einer dunklen Limousine, deren Fenster verhängt waren. Man brachte Miß Sheila dann dorthin, wo sie sich jetzt befindet. Im Augenblick konnte sie sich noch nicht dazu durchringen, ihre Aussage vor der Polizei zu widerrufen. Aber ich bin überzeugt, daß sie das bis morgen tut. Wenn Sie, mein Verehrtester, auf dem Weg nach Honolulu sind, hat sie ganz sicher schon ihre Aussage widerrufen. Und damit ist der Fall für Mister Fabian endgültig erledigt. Er wird dann in den Besitz dieses Kredits kommen, den man ihm für seinen Film gewährt. Und nicht
nur des Kredits. Es gibt ja auch Zuwendungen seitens des Staa tes, es gibt Zuwendungen durch einen Fond, hier in Großbritan nien, der solche Filme, wie ihn Mister Fabian zu drehen beabsich tigt, auch fördert.« Josuah Parker hatte einen Verdacht und sprach ihn aus. »Meine Wenigkeit geht doch nicht fehl in der Annahme, daß Mister Fabian im Ernst gar nicht die Absicht hat, diesen Film jemals zu drehen.« »Natürlich hat er diese Absicht nicht«, erklärte Finch unver blümt. »Wer ist denn schon so dumm und läßt sich fünfzig Millio nen geben, um danach wirklich einen Film zu drehen, der am En de dann noch mehr kostet. Denn es würde ja ein wahnsinnig teu rer Film, dieser U-Boot-Film.« »Das ist eine höchst unlautere Sache«, stellte Parker fest, »aber ganz geschickt eingefädelt. Und dann passiert nur eine Kleinig keit, und dieser Mister Fabian hat sich nicht in der Gewalt, glaubt, mit einem Mädchen wie mit einem, wie der Volksmund sagt, Flitt chen verfahren zu können, und auf einmal gerät der ganze gute Plan ins Wanken.« »Genauso ist es«, bestätigte Finch. »Er hat eine Dummheit be gangen, und nun kostet sie ihn viel Geld, die wieder zurückzu nehmen. Wir haben übrigens, als wir das erkannt hatten, den kleinen Beitrag, den er uns zollt und für unsere Mitarbeit schuldig ist, ein wenig erhöht. Das heißt, unser Interesse hat sich, wie auch unser Beitrag, verdreifacht. Sie können sich denken, verehr ter Mister Parker, daß wir nichts unversucht lassen, Fabian an dieses Geld zu bringen, weil es zugleich zum Teil auch unser Geld sein wird. Und alles, was uns dabei stört, würden wir bei einem solchen Betrag von mittlerweile drei Millionen Pfund doch sehr energisch in die Schranken weisen. Ich hoffe, Sie haben mich gut verstanden, Mister Parker. Im üb rigen wollte ich Sie darauf hinweisen, daß Sie ganz bestimmt nicht willens sein werden, dieses Haus zu verlassen, ganz gleich wie. Es ist natürlich dafür gesorgt, daß dies gar nicht so einfach ist, ich würde sagen, für Sie unmöglich, obgleich ich gar nicht unterschätze, daß Sie zu mehr Dingen fähig sind als andere Leu te.« »Meine Wenigkeit bedankt sich für dieses aufrichtige Kompli ment«, sagte Parker. »Es ist mir eine Ehre und ein Vergnügen zur Kenntnis zu nehmen, daß Sie mich richtig einzuschätzen belieben. Aber was nun meine Person angeht, bin ich ein freiheitsdurstiger
Mensch, und der Stand von zwei zu null, den sie wohl der soge nannten Fußballsprache entnommen haben, würde meinen Frei heitsdurst keineswegs einschränken. Man bittet, dies in Ihren Überlegungen zu berücksichtigen, Mister Finch.« »Nun gut, Sie wollten also ohne die Gesellschaft Miß Mabels auskommen. Wie Sie belieben, Mister Parker, diesen Wunsch werde ich Ihnen natürlich erfüllen. Im übrigen brauchen Sie nur dort auf dem Tisch auf den kleinen Knopf zu drücken, und jemand wird kommen und Sie nach Ihren Wünschen fragen. Es ist sinn los, um diese späte Stunde noch aus dem Zimmer oder gar aus dem Haus gehen zu wollen, das brauche ich einem intelligenten Menschen wie Ihnen sicher nicht zu erläutern. Falls Sie sich duschen wollen oder die Toilette benutzen möch ten, dann durch diese Tür dort drüben.« Er deutete auf eine schmalere Tür auf der anderen Seite des Raumes. »Es dürfte die einzige Tür sein, die offen ist. Und nun, Mister Parker, möchte ich mich zur Ruhe begeben, Sie sicher auch. Und Miß Mabel schaut auch so müde aus. Ich glaube, sie ist froh und Ihnen doch sehr dankbar, daß Sie die Güte haben, auf ihre Dienste zu verzichten.« »Es ist mir eine Selbstverständlichkeit, einer Lady nicht zur Last zu fallen. Man wünscht eine geruhsame gute Nacht!« »Das wünschen wir Ihnen auch, Mister Parker. Und ich hoffe, Sie fühlen sich bei uns wohl. Schlafen Sie ruhig aus! Übrigens liegt Bettzeug da drüben in der Kommode. Mabel, nehmen Sie es heraus!« »Nicht nötig, meine Wenigkeit kann sich selbst helfen«, erklärte Parker. »Man bedankt sich!« »Da ist noch eine Kleinigkeit«, sagte Finch, als er schon in der Tür stand. »Morgen früh um zehn geht die Maschine. Aber es ist auf unseren Flughäfen üblich, daß man wenigstens eine Stunde vorher auf dem Airport ist. Wir müßten Sie also schon beizeiten wecken.« Er schaute auf seine goldene Armbanduhr. »Sie haben gerade noch sieben Stunden zu schlafen, nutzen Sie die! Es ist, wie Sie wissen, ein sehr langer Flug.« Mabel ging dann vor ihm noch durch die Tür, und er wollte ge rade das Zimmer verlassen, da verwandelte sich Butler Parker, der eben noch ruhig gestanden hatte, in einen ausbrechenden Vulkan…
*
Alle Gelassenheit und Vornehmheit fiel plötzlich von ihm ab. Ihm war klar geworden, daß er in diesem Augenblick handeln mußte. Es war ein Fehler von Finch gewesen, dem Butler den UniversalRegenschirm gelassen zu haben. Drei Blasrohrpfeile trafen ihn jetzt an Schulter, Oberschenkel und Hand. Ein starkes Betäu bungsmittel wirkte besonders von der Schulter her. Einen Augenblick stand Finch noch da, griff unter seine Jacke in die Schulterhalfter, wollte dort wohl eine Pistole ziehen, aber dann taumelte er und die Hand sank herunter. Da bemerkte wohl Miß Mabel das plötzliche Unwohlsein ihres Chefs. Zu spät, Parker war schon da und ängstigte sich keineswegs vor den Karate- und Judokünsten der Dame. Er hatte da einen ganz besonderen Trick, um mit Karatekämp fern fertigzuwerden. Denselben, den auch dieser Bursche unten auf der Straße erfahren hatte. Da hälfen keine direkten Angriffe, kein Schulterwurf; wenn einem das entsprechende Mittel in die Augen fliegt, ist zunächst mal der Blick erheblich getrübt. Und so ging es Mabel, obgleich Parker bei ihr keinen Pfeffer verwendete. In seiner rechten Tasche hatte er eine Spraydose mit Tränengas. Das wirkte außerordentlich und stoppte jeden Angrei fer, ganz gleich, ob er eine Waffe in der Hand hielt oder über die Fähigkeit verfügte, Karate richtig zu kämpfen. Miß Mabel bekam die Dusche voll ins Gesicht, und gleichzeitig war diesem Spray eine dünne rote, schwer abwaschbare Farbe beigefügt. Als Finch zu Parkers Füßen sank, murmelte der Butler: »Wünsche wohl zu ruhen, Euer Gnaden!« Dann hatte er sich schon wieder Mabel zugewandt, riß sie am Arm ins Zimmer, und bevor sie irgend etwas unternehmen konnte, stolperte sie über den am Boden liegenden Finch hinweg und taumelte bis zur Couch, auf die sie regelrecht fiel. Parker zog Finch noch völlig in den Raum, nahm sich auch noch die Zeit, die Videokamera mit zwei Handgriffen unbrauchbar zu machen, dann verließ er das Zimmer, während sich Mabel zum Badezimmer tastete, um ihre Augen zu spülen.
»Ich bedauere außerordentlich, Ihnen nicht beistehen zu kön nen, meine Verehrteste«, erklärte Parker. »Man befindet sich lei der sehr in Eile.« Er ging, schloß die Tür hinter sich, drehte den draußen stecken den Schlüssel um und versenkte ihn in seiner Seitentasche. Der Flur war noch immer erhellt. Von den beiden Gorillas war nichts mehr zu sehen. Linkerhand ging eine Treppe nach oben, daran vorbei führte der Flur weiter nach hinten. Vielleicht gab es eine Tür zum Hof. Eine innere Stimme hielt Parker davon ab, die vordere Tür zu benutzen. Natürlich war dieses Haus bewacht, aber sollte er jetzt einfach gehen? Die Fernsehanlage, durch die er Fabian sehen konnte und auch Sheila, ging möglicherweise gar nicht über eine Antenne, sondern über ein Kabel. Und dieses Kabel verließ am Ende auch gar nicht dieses Haus. Ergo: Er mußte nur die Treppe hinaufgehen, nach Sheila und nach Fabian suchen. Er würde das Haus nicht verlassen. Erst wollte er seine Sache zum guten Ende führen. Ganz im Gegenteil zu Lady Agatha, die ihr Waterloo schon hinter sich hatte. Leise ging er die Treppe nach oben. Er war schon halbwegs o ben, da hörte er irgendwo Stimmengemurmel. Es kam von unten. Erst dachte er, es könnte Finch sein, aber er wußte aus Erfah rung, daß sein Betäubungsmittel länger anhielt. Dem Klang nach mußten es Männerstimmen sein. Und dann begriff er auch, woher sie kamen. Offenbar von der Haustür. Der Butler lauschte und hörte wieder dieses Gemurmel. Es kam wirk lich von der Haustür her, aber die Sprechenden standen davor, sie waren also draußen. Parker hatte nichts anderes erwartet und schritt langsam höher. Auch oben brannte Licht. Vier Zimmer gingen von diesem Flur ab. Es waren helle Türen, jedenfalls nach außen. Das Zimmer, in dem man Sheila gefangen hielt, hatte ebenfalls eine helle Tür gehabt, beinahe dieselbe Farbe wie diese, jeden falls von innen und sowie er es auf dem Fernsehschirm hatte se hen können. Aber welche von diesen Türen war diejenige, die in Sheilas Zimmer führte? Und es ging auch nicht nur um Sheila. Es ging auch um Fabian.
Parker war sich der Tatsache bewußt, daß er nur wenig Zeit hatte. Es war eine Frage von Minuten, und Finchs Männer mußten auftauchen. Die Ruhe, die im Augenblick herrschte, wirkte beinahe bedro hend. Aber couragiert wie Parker war, warf er deshalb nicht die Flinte ins Korn. Sein Ziel hatte er ins Auge gefaßt, und er ging weiter, näherte sich der ersten Tür und lauschte. Plötzlich hörte er hinter sich kreischendes Rasseln. Als er sich umdrehte, sah er über die ganze Breite des Ganges ein Gitter von oben aus einer Öffnung fallen, das den Gang völlig abschloß. Im selben Augenblick, als er das gewahrte und den Rückweg versperrt sah, ertönte aus einem unsichtbaren Laut sprecher die Stimme von Miß Mabel. Sie klang jetzt gar nicht so freundlich wie bisher, als sie sagte: »Mister Parker, öffnen Sie die gegenüberliegende Tür! Aber vor her empfehle ich Ihnen, blicken Sie mal zum Ende des Ganges. Nein, nicht da wo das Gitter ist, zum anderen Ende. Sehen Sie genau hin! Diese vier schwarzen Punkte…« Josuah Parker gewahrte die vier Punkte, kreisrunde Öffnungen. Sie waren in der Wand eingelassen, Aber was es wirklich genau war, konnte er nicht erkennen. Mabel sagte es ihm unmittelbar danach: »Es handelt sich um eingebaute automatische Maschinenpisto len. Auf einen Knopfdruck von mir speien sie Feuer. Es gibt keine Ecke auf dem Flur, wo sie nicht hintreffen. Die Waffen sind so eingebaut, daß sie sich bewegen, daß sie den gesamten Flur von oben bis unten und in der ganzen Breite bestreichen. Sie werden unverletzt nicht davonkommen. Gehen Sie also jetzt in dieses Zimmer und schließen Sie die Tür hinter sich! Und schließen Sie sie fest!« Parker überlegte fieberhaft, und dann kam ihm eine Idee. Er ging zunächst auf die Zimmertür zu, gleichzeitig aber suchte er nach einer versteckten Videokamera. Sie mußte irgendwo sein. Und plötzlich entdeckte er sie. Sie befand sich direkt neben der Lampe an der Decke. Das Objektiv war genau auf ihn gerichtet. Das konnte kein Zweifel sein. Offenbar war Mabel imstande, von der Stelle aus, wo sie sich befand, und das mußte ja das Zimmer sein, in das man Parker hatte einsperren wollen, die Kamera zu steuern. Vielleicht auch die Maschinenpistolen…
Parker ging langsam weiter, als wollte er die Tür öffnen und ge nau das tun, was Mabel von ihm verlangt hatte. Er hatte den Türknauf schon in der Hand, da schätzte er die Entfernung bis zu den vier tückischen Waffenmündungen am an deren Ende des Flurs. Waren es sechs, waren es acht Schritte bis dahin, auf alle Fälle war es sehr weit. Zu weit, falls Mabel auf die Idee kam, abzudrücken. Der Butler öffnete die Tür. Er blickte kurz in den Raum. Der war völlig leer. Kahle, weiß getünchte Wände und hinten ein vergitter tes Fenster, registrierte Parker. Eine kleine Deckenlampe brannte und hüllte den Raum in spärliches Licht. Eine Zelle, dachte Parker, und handelte blitzschnell. Er schätzte die Entfernung bis zum Objektiv der Kamera auf et wa zwei Meter. Das mußte für seinen Farbspray ausreichen, der gleichzeitig Tränengas enthielt, wie besonders Mabel wissen muß te. Parker tat, als wollte er den Raum betreten, wirbelte dann aber herum, streckte den Arm in Richtung Kamera aus, die Spraydose in der Rechten, drückte, und der Strahl fuhr voll auf das Objektiv. Zugleich sprang Parker in den Raum, stellte aber den Fuß an die Tür und zog sie zu, aber so, daß sie nicht ins Schloß fiel und ein winziger Spalt geöffnet blieb. Im selben Moment ratterten die Maschinenpistolen los. Ein in fernalischer Lärm hallte über den Gang und dröhnte in Parkers Ohren. Zum Teil sirrten die Geschosse als Querschläger herum, nach dem sie gegen die Eisenstangen des Gitters geschlagen wären. Auf einmal herrschte lähmende Stille. Parker war sicher, daß der Farbspray das Objektiv voll bedeckt hatte und Miß Mabel nichts mehr von ihm sehen konnte. Um die Probe aufs Exempel zu machen, öffnete er ganz langsam die Tür, der Spalt wurde größer. Und dann hielt er seine schwarze Melone an die Türkante und wartete, daß erneut dieses Rattern der Ma schinenpistolen losging. Aber nichts geschah. Die Unsicherheit, ob das Objektiv womöglich doch nicht ganz bedeckt war und Mabel zumindest ein Teil von dem sehen konnte, was die Videokamera bestrich, machte die Sache schwierig. Parker blickte nach draußen, trat sogar auf den Gang, schaute oben zur Kamera und vergewisserte sich, daß die rote Farbe tat sächlich das gesamte Objektiv bespritzt hatte.
Angesichts der todbringenden Waffenmündungen im Hinter grund war das, was der Butler tat, mehr als eine Mutprobe. Es grenzte an Selbstmord. Irgendwo, sagte sich Parker, ist hier ein Mikrophon. Wenn es nur Schritte hört, wird es diesen elektronischen Auslöser in Be wegung setzen, und die Schüsse rattern wieder aus den Läufen. Auf Zehenspitzen ging er Schritt für Schritt, bereit, sich jeden Augenblick hinzuwerfen, aber die Waffen schwiegen. Er war schon bis zur nächsten Tür und nur noch höchstens vier Schritte bis zu den Mündungen, da sah er ein Mikrophon. Es war nur eine kleine Öffnung in der Wand mit einem Gitter davor. Da sah er noch etwas. Er entdeckte eine Lichtschranke, und weil der Flur hell erleuchtet war, hätte er sie fast zu spät gesehen. Sie befand sich direkt vor den Türen. Eine kleine Lampe links und die Empfangszelle auf der anderen Seite. Wenn er den Lichtstrahl durchbrach, konnte er sich denken, würden die Maschinenpistolen erneut Feuer spucken. Der Butler ging zu Boden, kroch langsam unter diesem Licht strahl hindurch, war dann an der Tür vorbei, kroch weiter und atmete kaum hörbar auf, als er die Wand erreichte, über sich die se vier Mündungen: In der Nähe der Deckenlampe war ein Surren zu hören, und Parker bemerkte, wie die Kamera schwenkte. Das war nur so et was wie eine Halbkugel da oben, die sich drehte. Die Kamera kam jetzt nach hinten, noch immer mit farbbeschmiertem Objektiv. Josuah Parker hatte sich aufgerichtet, drückte sich fest an die Seitenwand, so daß er nicht im Schußbereich war. In diesem Augenblick hörte er Schritte vorn auf der Treppe. Männer kamen herauf, dann sah man sie auch schon. Zwei von ihnen hielten Pistolen in den Händen. Einer der Bur schen kam ihm bekannt vor, den mußte er schon gesehen haben. »Da ist er ja! Knallt ihn ab, Jungs! Kein Pardon mehr!« brüllte jemand und riß die Waffe hoch. Parker tat das Bestmögliche. Blitzschnell warf er sich zu Boden, streckte den Arm mit dem Universal-Regenschirm aus und unter brach den Lichtstrahl, die Lichtschranke also, die, wie er hoffte, die Schüsse der Maschinenpistolen hinter ihm auslösen würde. Er selbst war zu sehr an der Seite und zu tief, als daß sie ihn so dicht davor erreichen konnten.
Parkers Schirm geriet in die Lichtschranke, und dann geschah, was er erhofft hatte. Noch bevor der Mann vorn nahe genug am Gitter war, um, sicher schießen zu können, ratterten die vier Ma schinenpistolen los und hämmerten eine ganze Serie von Schüs sen, ehe sie verstummten. Vorn warfen sich drei der Männer, die, heraufgekommen waren, flüchtend die Treppe hinunter. Der vorderste aber, der auf Parker hatte schießen wollen, brach zusammen. Plötzlich ertönte wieder der Lautsprecher. Die Stimme sagte: »Parker, Sie sind verloren!« Es war Mabels Stimme. »Wenn Sie jetzt aufgeben, kommen Sie noch mit dem Leben davon...« Parker gab keine Antwort, schob sich an der Wand hoch und blieb dicht daneben. Er wollte zu einer der beiden Türen, die ihm am nächsten waren. Er mußte wissen, was sie verbarg, diese Tür, was sich dahinter befand. Ob es da ein Fenster gab, das nicht vergittert war? Allmählich wurde die Sache auch brenzlig, ob die Farbe dicht blieb oder all mählich herunterlief vom Objektiv, war eine Frage, die auch Par ker im Moment nicht beantworten konnte. Das hatte er noch nie ausprobiert. Er schob sich immer weiter dicht an der Wand zur Tür hin. Noch ein Stück, und schon bestand die Gefahr, daß ihn Geschosse streiften, falls die Waffen wieder losratterten. Deshalb arbeitete er sich wieder zurück bis zur hintersten Wand und war direkt ne ben den vier todbringenden Öffnungen. Er zog einen Kugelschreiber aus seiner Innentasche, sah sich den Mechanismus dieser Waffen an und erkannte, daß die Öff nung etwas größer war, als sie von der Mündung der Waffen selbst her gesehen sein mußte. Der Lauf der Waffe ragte etwa einen Zentimeter aus der Öffnung. Parker klemmte seinen Kugelschreiber direkt neben den Lauf, so daß dieser Lauf nicht mehr nach rechts schwenken konnte, nur noch nach links, nach oben und nach unten. An der rechten Wand aber wollte sich Parker entlangarbeiten. Er suchte nach anderen Gegenständen in seinen Taschen. Was er fand, vom Papiertaschentuch bis zum Schlüssel der Tür des Zimmers, in das er Finch und Mabel gesperrt hatte, klemmte er zwischen die Läufe und am rechten Anschlag. Als es unmöglich schien, die Waffen noch in diese Richtung zu bewegen, schob er sich an der Wand entlang zur nächsten Tür.
Parker achtete darauf, nicht an die Lichtschranke zu kommen, die direkt hinter der Tür war. Er öffnete die Tür, ging mit ihr zu rück, denn sie war außen angeschlagen, schob sich dann an der Tür entlang wieder zur Türöffnung hin und blickte in den Raum, aber auch das war ein völlig kahler Raum, weiß getüncht wie der erste, den er gesehen hatte und natürlich mit vergitterten Fens tern. Keine Möglichkeit, um auf diese Weise zu fliehen. Er hörte wieder vorn Schritte, dann ein Rascheln. Als er sie sah, diesmal waren es zwei, die kriechend von der Treppe her zum Gitter hin kamen, sprang er rasch wieder in den Raum zurück und ließ die Tür offen. Die war völlig aufgeklappt bis zur Wand. Parker brauchte nur seinen Universal-Regenschirm zu nehmen und damit die Lichtschranke zu unterbrechen, da ratter ten die vier Maschinenpistolen erneut. Den Mechanismus konnte Mabel offenbar von ihrem Zimmer aus nicht steuern, wenn sie überhaupt noch in diesem Zimmer sein sollte, was Butler Parker bezweifelte. Der Feuerzauber verfehlte seine Wirkung nicht. Die beiden hat ten zwar Glück gehabt und waren offenbar nicht getroffen wor den, verzogen sich aber wieder fluchtartig zur Treppe. Als Parker sicherheitshalber seine schwarze Melone aus der Tür hielt, krachten Schüsse. Einer von ihnen klatschte in die Tür, der zweite streifte Parkers Hut. Parker schien verärgert, setzte ihn aber rasch wieder auf. Er machte eine erneute Probe. Diesmal knotete er ein Taschen tuch und schob nur einen Zipfel um den Türrahmen herum, da wurde ihm das Taschentuch schon von einem Schuß aus der Hand gefetzt. Parker lehnte sich an die Wand, zog seinen linken Schuh aus und hielt ihn so, daß er den Absatz nach oben hatte, der sich auf einen Druck an einer Stelle vorn im Absatz ohne weiteres ablösen ließ. In ihm befanden sich zwei Kunststoffkapseln mit einer gelben Flüssigkeit. Er nahm sie heraus, setzte den Absatz wieder auf, zog seinen Schuh an, ging vorn an die Tür, riß ein kleines rotes Bändchen auf, das um jede der beiden Kapseln geschlungen war, und schleuderte dann blitzschnell die Kapseln aus der Tür nach vorn zum Gitter.: Rasch zog er seinen Arm zurück. Da ratterten schon eine Maschinenpistole und eine Pistole. Die Schüsse fetzten in den Türrahmen. Aber Parker war schnell genug gewesen.
Es verging keine halbe Minute, begann vorn ein mörderisches Fluchen und Schimpfen. Noch mal krachten Schüsse, in der Wut blindlings abgefeuert. Josuah Parker revanchierte sich, daß er den Stockdegen des U niversalschirmes herausstreckte und somit die Lichtschranke un terbrach. Das zwang Finchs Männer endgültig zur Aufgabe, jeden falls für den Augenblick. Sie flüchteten, und der bestialische Ge stank, der sich bei ihnen ausbreitete, drang auch allmählich bis zu Parker vor. Aber hier hatte er nicht die atemberaubende Wirkung. Die Flüssigkeit war ein Konzentrat von Ammoniak. Die Luft wurde dadurch derart verpestet, daß es unmöglich war, in ihr zu verwei len. Die beiden Männer hatten gar keine andere Wahl, als die Flucht zu ergreifen. Doch auch Parker mußte sehen, daß er hier wegkam. Früher oder später würden sie ihn mit ähnlichen Methoden in die Enge treiben. Er nützte den Augenblick, stürzte aus dem Raum auf die andere Seite des Flurs und riß die Tür gegenüber auf, die sich auch öff nen ließ. Was er sah, überraschte ihn nicht. Es war ein voll eingerichtetes Zimmer, behaglich, und er hatte es schon mal im Fernsehen er blickt. Eine Couchgarnitur, ein Schrank, ein Fernseher, ein Schreibtisch… und Fabian! Der Filmboß stand leichenblaß am Fenster und starrte aus gro ßen Augen voller Furcht auf Parker. Das Fenster hinter ihm war vergittert. * Fabian zitterte sogar. Aus schreckgeweiteten Augen blickte er auf Parker, als der Universal-Regenschirm in Aktion treten sollte. »Nein, bitte, tun Sie mir nichts! Nein, bitte, ich… ich…« »Würden Sie die Güte haben und sich vielleicht mal umdre hen?« fragte Parker. So harmlos es klingen mochte, Fabian durchfuhr es wie ein Stich. Gehorsam drehte er sich um. »Tun Sie mir nichts! Bitte, ich werde Ihnen geben, was Sie wollen, ein Vermögen, Millionen Pfund… Nur lassen Sie mich bitte am Le ben…«
»Aber mein Verehrtester, wer behauptet denn, daß meine We nigkeit Ihnen nur ein Härchen krümmt? Das wollen Sie doch nicht glauben? Es genügt, wenn Sie die Hände hinten verschränken.« Fabian tat das, sofort und wimmerte wieder, als ginge es ihm ans Leben. Dann schnappten Parkers Spezialhandschellen zu. Ganz dünne, spezialgefertigte Stahlringe waren das, die sich nur nach einem bestimmten System öffnen ließen. Sie abzustreifen, war praktisch völlig unmöglich. »Was wollen Sie mit mir machen? Was werden Sie mit mir tun?« jammerte Fabian. Parker kümmerte sich nicht um ihn, sondern ging zum Fenster, öffnete es und untersuchte das Gitter. Es erwies sich als äußerst solide. Das etwa mit einer Nagelfeile durchzusägen, würde Tage dauern, vorausgesetzt, die Nagelfeile hielt es aus. Nein, in dieser Beziehung stimmte alles. Außerdem waren außen Läden ange schlagen, und die ließen sich ebensowenig öffnen, wie sich das Gitter lösen ließ. Alles war fest verschraubt, zum Teil sogar ver schweißt. Parkers Überlegungen waren messerscharf. Dieser Fabian war für sie drei Millionen wert. Ein toter Fabian nützte ihnen gar nichts. Sie würden ihm also möglichst kein Haar krümmen wollen. In Fabians Gesellschaft konnte sich Parker sicher fühlen, aber es ging ihm auch um Sheila. Sie und er waren die einzigen Zeugen gegen Fabian. Und mittlerweile war sich Parker auch bewußt, um was es sonst noch ging. Schließlich hatte Finch ihm das offen und ehrlich aus posaunt. Fabian wollte sich die Kredite und alles, was damit zu sammenhing, unter den Nagel reißen, statt den kostspieligen Film auch zu drehen. Eine Prämie von drei Millionen an die Gangster war dagegen ein Nichts. Im Grund hatte Fabian für sein Leben ausgesorgt. Er mußte nur eine Stelle finden, wo ihn keiner entdeckte. Aber das war im Grund einfacher, als mancher glaubte. »Es tut mir sehr leid, aber meine Wenigkeit kann nicht umhin, Sie zu bitten, vor mir herzugehen und den Raum zu verlassen. Aber achten Sie auf das, was ich Ihnen sage, Mister Fabian, sonst könnte Ihr Leben schnell beendet sein. Ihre Freunde haben sich allerlei einfallen lassen, was einem guten Bürger zu einem er staunlich frühen Begräbnis verhelfen könnte.«
»Das Haus ist doch bewacht. Die werden auch auf mich schie ßen. Die werden mich töten«, jammerte Fabian. »Aber nicht doch, mein Lieber! Sie wollen doch ein Held sein und werden Größe zeigen! Man kann auch Größe zum Sterben haben. Nur Mut, der ist das Salz unseres Daseins. Ich öffne Ihnen die Tür.« Parker öffnete sie, und Fabian ging ängstlich nach draußen, das Licht brannte immer noch. Aber da war die Lichtschranke. »Bleiben Sie dicht vor mir«, befahl Parker, jede Höflichkeit zwar nicht fallenlassend, aber bestimmter formulierend. Dicht hinter Fabian verließ er den Raum. Und als er an dem Mahn vorbeiblick te, sah er sie vorn am Gitter. Fünf waren es. Auch Finch war da bei, er stand weiter hinten. »Wenn Sie je Fehler in Ihrem Leben gemacht haben, Mister Parker, dann können Sie die alle vergessen gegen den, den Sie jetzt tun. Es ist Ihr größter Fehler! Sie sind tot, auch wenn Sie es noch gar nicht wissen.« »Meine Wenigkeit ist überrascht, daß Sie das sagen, Mister Finch. Aus meinem Zustand wächst noch ganz des Lebens Froh sinn, wenn Sie erlauben«, erwiderte Parker. »Aber Ihr Freund Fabian hat wenig Chancen zu überleben, wenn Sie jetzt nicht die Lichtschranke ausschalten oder dafür sorgen, daß Ihre Waffen nicht rattern. Es scheint opportun, Mister Finch, um zehn in die Maschine zu steigen und nach Honolulu zu fliegen. Nur noch eine Bedingung fällt mir nicht leicht, aber man ist beinahe sicher, daß Sie mein Ersuchen nicht ausschlagen. Mister Fabian und meine Wenigkeit fühlen uns nämlich sehr einsam zu zweit, ein weibli ches Wesen könnte uns ein wenig aufheitern. Sie hatten zwar Ihre Miß Mabel schon angeboten, aber sie ist nicht so sehr der Typ, wie der Volksmund sagt. Auch Mister Fabi an schaut mehr auf blonde Mädchen, auf solche wie Miß Sheila. Und Miß Sheila haben Sie ja hier im Haus, möglicherweise in dem Zimmer da drüben. Haben Sie bitte Verständnis, wenn ich mich nicht selbst der Mü he unterziehen kann, da nachzusehen. Aber ich bin überzeugt, Sie können auf andere Weise dafür sorgen, daß Miß Sheila mit uns das Haus verläßt. Beim Flug nach Honolulu sollte Miß Sheila dabei sein, zumindest bis zu einer Zwischenlandung, von wo sie dann nach den Bermu das fliegt, wo ihre Eltern sie erwarten.«
»Heißt das, Mister Parker, daß Sie darauf verzichten, etwas ge gen Fabian zu unternehmen?« »Sie müssen mir helfen«, schrie Fabian plötzlich. »Sie müssen mir helfen, Mister Finch! Sie können mich nicht einfach…« »Seien Sie doch still!« erwiderte Finch mit scharfer Stimme und wandte sich wieder an Parker. »Sie werden ihn freilassen?« »Meine Wenigkeit wird ihn ganz sicher freilassen, sobald die Si cherheit auf dem Flughafen gewährleistet ist.« »Also gut, Parker, im Augenblick haben Sie die besseren Karten mit ihm. Und was geschieht, wenn Sie Ihr Wort nicht halten, wenn Sie ihn der Polizei übergeben?« »Das wird nie und nimmer geschehen. Man steht zu seinem Wort.« »Okay«, erklärte Finch. »Wir haben eine Sicherung eingebaut, Sie können. uns also nicht reinlegen. Wenn es sein muß, spren gen wir auch die Maschine in die Luft, die Sie nach Honolulu brin gen soll. Vertrauen Sie Ihrer Schlauheit nicht allzusehr, Mister Parker. Wir werden Mittel und Wege finden, Sie dafür zu bestra fen, wenn Sie uns übers Ohr hauen.« Josuah Parker verzog keine Miene. Er antwortete auch nicht auf diese Drohung. Aber seine Selbstsicherheit geriet ein wenig ins Wanken, als wenig später das Gitter hochging und einer von Finchs Männern unbewaffnet zu der Tür gegenüber trat. Der Me chanismus der Fotozelle und das automatische Auslösen der vier Maschinenpistolen war mittlerweile ausgeschaltet worden. Finchs Mann öffnete drüben die Tür, und Parker konnte an Fabi an vorbei in den Raum schauen. Es war genau das Zimmer, das Parker im Fernsehschirm gesehen hatte. Sheila lag im Bett und schlief. Es war Parker unvorstellbar, daß jemand schlafen konnte, ob gleich vorhin noch ein infernalischer Krach gewesen war. Aber die junge Dame schlief, und Finch hatte dazu etwas zu sagen. »Wir haben ihr, kurz bevor wir Sie zu Gast bekamen, Mister Parker, eine Spritze gegeben, eine Schlafspritze. Es würde eine ewige Schlafspritze werden, wenn man ihr nicht innerhalb zwölf Stunden ein Gegenmittel spritzt. Dann wird sie wieder aufwachen. Vorhin, als wir sie im Bildschirm hatten, befand sie sich noch in der Einschlafphase. Mittlerweile schläft sie tief und fest, Mister Parker.
Ich möchte Ihnen folgendes sagen: damit sie nicht ewig weiter schläft und irgendwann ins Jenseits dämmert, sollte sie die Ge genspritze bekommen. Wir werden dafür sorgen, daß sie die im Flugzeug erhält, wenn zu diesem Zeitpunkt Mister Fabian kernge sund und fröhlich wieder bei uns ist. Haben wir uns gut verstan den, Mister Parker?« »Meine Wenigkeit wüßte nicht, Sir, wie Sie besser zu verstehen wären.« Finch lächelte. »Ich habe diesen gepflegten Umgangston mit Ih nen immer sehr geschätzt. Vergessen wir, was sich in der letzten Stunde abgespielt hat. Ich fand es sehr unangemessen, durchaus nicht passend, man könnte es einen Fauxpas nennen.« »Sehr wohl, Mister Finch, meine Wenigkeit sieht das so ähnlich wie Sie«, meinte Parker. »Aber manchmal erfordern die Dinge Mittel, die durchaus etwas unpassend wirken. Darf man deshalb sehr um Entschuldigung bitten, Mister Finch?« »Meine Männer werden das Mädchen auf eine Trage legen und hinunter zu einem Wagen bringen. Der Wagen steht Ihnen zur Verfügung. Oder haben Sie Ihren eigenen da?« »Mein Bedauern kann es nicht ändern. Er steht in der Garage vom Princeton-House, und dort könnte auch Ihr Mann stehenblei ben.« »Verfügen Sie ruhig über unser Fahrzeug. Ich nehme an, Sie wollen noch ein paar Stunden ruhen. Erfahrungsgemäß können Sie das auf dem Flughäfen. Wenn Sie es wünschen, werde ich in einem Ruheraum für Sie Plätze reservieren lassen.« »Das ist durchaus nicht eine Sache unbedingter Notwendig keit«, erklärte Parker. »Wie Sie wollen, mein Verehrter«, entgegnete Finch und gab seine Anweisungen. Kurz darauf erschienen wirklich zwei Männer mit einer Trage, und Parker sah zu, wie sie die im Tiefschlaf lie gende Sheila auf diese Trage betteten und dann vor ihm her zur Treppe trugen. Parker folgte mit Fabian, blieb dicht hinter ihm, denn so recht traute er dem Braten nicht. Finch seinerseits sorgte dafür, daß zu keiner Sekunde ein Mann hinter Parker war. Es schien, als hielte sich Finch genau an seine Zusagen. Als sie nach unten kamen und aus dem Haus traten, war die Gasse auf. einmal beleuchtet. Draußen stand ein Krankenwagen, Finch ein paar Schritte entfernt an der Tür. »Wir lassen uns im
mer etwas einfallen, wenn wir Leute zu Besuch haben, die wir schätzen«, erklärte er. »Werden Sie in der Lage sein, diesen Wa gen zu lenken?« »Aber sicher doch, meine Nerven werden sich erholen«, erklärte Parker. »Notfalls stelle ich Ihnen auch einen Chauffeur zur Verfügung.« »Das ist zu keiner Zeit nötig«, lehnte Parker ab, der sicher war, daß der Wagen Abhörgeräte besaß. Finch und seine Leute hätten keine Mühe gehabt, diesen Wagen zu verfolgen, ganz gleich wo er hinfuhr. Sheila wurde hinten in den Wagen gebracht, und Parker sorgte dafür, daß Fabian vorn rechts einstieg. Damit der Mann nicht auf dumme Gedanken kam, band er ihn noch mit einer Perlonschnur am Sitz fest. Diese starken Perlonschnüre, mit denen man die größten Hech te fangen kann, sind von einem Menschen mit den Händen über haupt nicht zu zerreißen, falls er nicht ein Hilfsmittel besitzt. Fa bian besaß nichts, das er in den Taschen trug, auch keine Waffe. »Sie können das doch nicht zulassen, Mister Finch«, rief er noch, als Finch neben den Wagen trat und mit Parker, der eben eingestiegen war, sprechen wollte. Aber Finch reagierte gar nicht auf Fabians Bemerkung, sondern sagte zu Parker: »Denken Sie an die Spritze, die wir dem Mädchen im Flugzeug geben müssen. Sonst wird ihr nichts helfen.« »Meine Wenigkeit ist ganz sicher, daß alles so verlaufen wird, wie Sie sich das vorstellen, Mister Finch«, erklärte Parker. »Nun darf man Ihnen sicher einen guten Morgen wünschen, Mitternacht ist ja vorüber, und es geht auf den neuen Tag zu. Meine Empfeh lung, Mister Finch!« »Eine sehr gute Reise, Mister Parker! Es wird uns ein Vergnügen sein, Sie in einem geruhsamen Urlaub zu wissen.« »Das Vergnügen ist ganz meinerseits, Mister Finch. Ich habe die Ehre!« Finch lächelte nur, dann fuhr Parker los. Im Rückspiegel sah er, daß kurz darauf hinter ihm Scheinwerfer aufblendeten und ihm ein Wagen folgte. Wenig später waren es deren zwei. Kurz darauf fuhr sogar einer mit einem Motorrad vor ihm her, und der gehörte bestimmt auch zu Finchs Bande. Josuah Parker fuhr entgegen Finchs Vorschlag nun doch zum Pinceton-House in die Tiefgarage. Ohne die Hilfe Fabians in An
spruch zu nehmen, brachte er die noch immer im Tiefschlaf lie gende Sheila in seinen Wagen, neben dem er den Krankenwagen abgestellt hatte. Zuletzt löste er die Fesseln von Fabian, der nicht mal den Versuch zur Gegenwehr machte und sich auch wieder in Parkers ehemaligem Taxi festbinden ließ. Die Verfolger warteten draußen auf der Straße, waren wohl si cher, daß er wieder herauskommen würde, und sahen sich nicht enttäuscht. Der Butler fuhr vor ihnen her zum Flughäfen. Der Motorradfah rer war jetzt hinter ihm, danach die zwei Wagen. Als der Motor radfahrer wohl sicher zu sein schien, daß es zum Flughafen ging, überholte er, und Parker sah ein junges, sehr ausgeprägtes Ge sicht. Das war auch einer von diesen durchtrainierten Schlägern, die Finch da um sich versammelt hatte. Aber Parker empfand deshalb keine Furcht. Auf der Straße zum Flughafen Heathrow folgten in dieser frühen Stunde, da nur wenige Wagen unterwegs waren, sechs Fahrzeu ge. Diese Feststellung amüsierte Parker nur. Und dann kam die lan ge Gerade, auf der Great West Road, auf die er die ganze Zeit gewartet hatte. Plötzlich trat er das Gas durch, der Kompressor seines Rennmo tors holte schlagartig das Letzte aus der Maschine. Wie ein auf bäumendes Pferd bockte der Wagen, und dann schoß er los, raste die Gerade entlang, und da konnte der Motorradfahrer, konnten die verfolgenden Wagen aufs Gas drücken, wie sie wollten, dieses Tempo schafften sie einfach nicht, dafür hatten sie nicht genug unter der Haube. Der Abstand wurde immer größer. Als er groß genug war, drückte Parker auf den Nebelknopf… Aus seinem Auspuff quollen mit einem Mal dicke schwarze Wöl ken, die im Handumdrehen jede Sicht unmöglich machten. Alles, was hinter Parker fuhr, raste in diese Wolke hinein, wie von plötz licher Blindheit geschlagen. Der Butler drehte immer mehr auf. Der Rennmotor unter der Haube seines hochbeinigen Monstrums heulte auf. Die Reifen rauschten, der Fahrtwind zischte nur so um das Vehikel. Und noch mal betätigte Parker seine Nebelmaschine, diesmal nicht mit schwarzem Rauch aus dem Auspuff, sondern durch eine Düse. Es waren dicke weiße Wolken, wie echter Nebel, nur noch viel dich
ter. Sie machten eine Sicht über drei oder vier Meter hinaus völlig unmöglich. Als die Lichter des Flughafens auftauchten, hatte Parker alles, was hinter ihm gefahren war, ob es nun zu Finch gehört, oder nicht, abgehängt. Parker fuhr nicht zum Hauptgebäude. Ihm stand ein anderer Weg offen, den er beschreiten wollte. Er steuerte am Haupttermi nal vorbei über die Straße, die am Zaun entlang führte, bis zum Frachtterminal. Mit seinem gelben Spezialausweis, den er in den Schlitz des Automaten steckte, löste er den Mechanismus der Schranke aus, die sich daraufhin öffnete, und, als er durch war, hinter ihm wieder schloß. Er fuhr direkt in die Frachthalle. Liefer- und Lastwagen standen dort, die auf Bänder luden, von wo aus die eiligen Frachten direkt in die Maschinen, andere in die Lagerbuchten befördert wurden. Josuah Parker fuhr bis zu dem von Glas umgebenen kastenarti gen Büro in der Mitte der Halle, hielt und stieg aus, ging direkt zu dem Angestellten, der hinter dem Schalter saß und sagte: »Einen wunderschönen guten Morgen, wünscht man. Hat Mister Sheldon heute Nachtdienst?« »O ja! Er ist hinten, ich rufe ihn. Wen darf ich ihm melden?« »Sagen Sie Parker, Josuah Parker.« Kurz darauf kam der Gefragte, ein Mann in Parkers Alter mit schon stark ergrautem Haar und einem Schnauzbart, der noch an seine Kolonialzeit erinnerte. „ »Hallo, Mister Parker! Wie geht es Ihnen?« Der Mann trug eine Uniform des Flughafenpersonals und hatte auf seinen Schulterstücken zwei goldene Sterne. Butler Parker lächelte. »Wie es meiner Wenigkeit so geht! Es geht ihr gut. Man hat einen Auftrag erteilt.« Dann tuschelte er mit Sheldon. Der Mann war erst ernst, lächelte und sagte schließlich, als Parker fertig war: »Donnerwetter! Das ist wieder mal typisch für Sie. Aber das geht in Ordnung.« Dann wandte er sich an den jüngeren Ange stellten, der nichts verstanden hatte und an seinem Schalter schrieb: »Hören Sie, Joe, wir brauchen einen Container. Es muß rasch gehen. Und dann wird der Container mit diesem Wagen da vor der Tür geladen, so wie er ist. Voran, so schnell wie möglich!«
Sheldon wandte sich wieder Parker zu: »Ich kümmere mich um den Lkw, der den Container aufnimmt. Joe wird Sie hinbringen zu dem Container, fahren Sie ihm nach.« Kurz darauf wies. Joe Butler Parker ein, von hinten in einen ge öffneten Container zu fahren. Die Rückwand war aufgeklappt und wirkte wie eine Rampe. Parker fuhr hinein, und Fabian, der das Schlimmste ahnte, fragte ängstlich: »Was haben Sie vor? Was wollen Sie tun?« »Sie sollten keine Angst haben, Verehrter. Meine Wenigkeit krümmt Ihnen kein Haar. Sie wissen ja, was Mister Finch gesagt hat, die Spritze. Sie durfte nicht vergessen werden. Diese junge Dame ist die Tochter guter Freunde. Und deshalb sind Sie in Si cherheit. Wir müssen nur ein paar Kriegslisten anwenden, wenn Sie so wollen. Also haben Sie Verständnis und üben Sie sich in Geduld, Mister Fabian. Sie sitzen für meine Begriffe ja in recht guter Position.« Es beruhigte Fabian, daß Parker im Wagen blieb. Dann wurde hinten die Klappe geschlossen. Und es vergingen vielleicht drei oder vier Minuten, bis ein Kran diesen Container hob. Der Wagen schaukelte, und Parker trat instinktiv noch auf die Fußbremse, obgleich er die Handbremse angezogen hatte. Danach gab es einen Ruck, der Container schien irgendwo fest zustehen. Etwas klapperte und quietschte, dann brummte ein Motor, und die Schaukelei begann wieder. »Die haben uns auf einen Lkw geladen«, erriet Fabian. »Was geschieht jetzt? Sagen Sie es mir! Mein Gott, wir können doch ein Geschäft miteinander machen. Warum wollen Sie mich ins Un glück treiben? Ihnen habe ich doch nie etwas getan!« »Sie belieben zu scherzen, Mister Fabian«, sagte Parker ruhig. »Sie wissen doch schon, daß Miß Sheila die Tochter guter Freunde ist.« »Aber ich habe ihr doch nichts getan.« »Nichts antun können, aber gewollt, um der Wahrheit die Ehre zu geben, Mister Fabian. Das ist es ja aber auch gar nicht. Sie wollen noch viel mehr. Diese junge Dame ist nur ein Stolperstein. Sie wollten eine ganze Menge Geld beiseite bringen. Nun soll nicht behauptet werden, Verehrtester, daß meine Wenigkeit zu den allertreuesten Staatsbürgern zählt, die es im Vereinigten Kö nigreich gibt. So unbescheiden möchte ich nicht sein. Aber man darf doch freundlich darauf hinweisen, daß gewisse Grundgesetze
des menschlichen Zusammenseins der sogenannten gesellschaftlichen Form auch für mich bindend sind. Soviel Geld beiseite zu schaffen, das anderen Leuten gehört, ist doch unredlich. Jeden falls wird sich meine Wenigkeit erlauben, es so zu bezeichnen. Und aus diesem kühlen Grund, Mister Fabian, kann man Ihrem Vorhaben nicht zustimmen. Um es ganz klar zu sagen, die Ent täuschung über einen Mitbürger, der die Allgemeinheit derart schädigen möchte, ist groß. Und ganz besonders ärgert mich das Verhalten Miß Sheila gegenüber. Es war ganz und gar nicht gentlemanlike.« »Das gebe ich ja zu, und das will ich auch nicht wieder tun. Ich war ja bereit, dafür eine Genugtuung…« »Zehntausend Pfund, Mister Fabian, von Geld, das Ihnen gar nicht gehört. Sie selbst sind doch pleite. Und Mister Finch hilft Ihnen doch nur, weil Sie ihm erst eine Million und jetzt sogar drei Millionen geboten haben. Auch wieder von Geld, das Ihnen nicht gehört. Sehen Sie, und nun erlauben wir uns, diese Pläne ein we nig durcheinander zu bringen.« Fabian schwieg verbissen vor sich hin. Sheila lag noch immer hinten auf dem Rücksitz und schlief. »Wenn Sie Ihr Schicksal zu erleichtern beabsichtigen, Mister Fabian, dann brauchten Sie mir nur zu sagen, welches Mittel Finchs Leute dieser jungen Dame gespritzt haben.« »Ich weiß es doch nicht!« jammerte Fabian. »Ich habe nicht die mindeste Ahnung.« Josuah Parker hatte die Innenbeleuchtung eingeschaltet. In ih rem Licht las er in einem Buch, das er aus dem Handschuhfach genommen hatte. In ihm waren sämtliche Gifte aufgeführt, die der Chemie und der Medizin bekannt waren. Er suchte nach Schlafmitteln, nach den stärksten, die es gab. Aber auch nach welchen, deren Wirkung man mit einem Antidot, einem Gegenmittel also, wieder beheben konnte. Deren gab es nur zwei. Das eine war aus Drogen gemixt, die auf Rezepten mexikani scher Indianer beruhten. Das zweite war eine rein chemische Verbindung, hergestellt in einer pharmazeutischen Fabrik in Eng land. Parker merkte sich die Namen beider Mittel, tat das Buch wieder ins Handschuhfach zurück und wartete gelassen auf das Ende der Fahrt.
Sie währte noch eine halbe Stunde. Das letzte Stück der Stre cke hatte der Lastwagen immer wieder mal halten müssen, und daran erkannte Parker, daß sie auf Straßen fuhren, wo es viele Ampeln gab, also die Innenstadt nahte. Und dann stoppte der Wagen. Beim Lösen der Bremsen zischte die Luft, dann wurde der Motor abgestellt. Das Vibrieren hörte auf. Jemand klopfte außen an den Container, und eine gedämpfte Stimme sagte: »Wir sind da! Noch ein paar Minuten!« * Es herrschte völlig unenglisches Wetter. Die Sonne schien, strahlendes Grün wuchs neben den Betonpisten des Flughafens. Es war neun Uhr. Die Boeing 747 der Britisch Airways stand am Flugsteig C 12 startbereit zum Flug nach Honolulu. Die Passagiere gingen bereits an Bord. Aber diese Passagiere waren nicht die ersten, die sich im Flug zeug befanden. Im Erste-Klasse-Deck saßen bereits zwei Männer auf ihren Plätzen, und vor ihnen, ausgestreckt liegend auf drei Plätzen eine junge Frau, wie es schien. Sie war in Decken gehüllt, lag reglos und schlief. Der eine der Männer glich von hinten gesehen aufs Haar Butler Parker. Er hatte sogar, obgleich er schon Platz genommen hatte, seine Melone auf, stützte beide Hände auf den für den Butler ty pischen Universal-Regenschirm. Neben ihm saß ein fülliger Mann in derselben Kleidung, wie sie auch Mister Fabian gestern getra gen hatte. Auch die Kopfform und die eigenwillige, schon etwas gelichtete Haarpracht glich absolut der von Mister Fabian. Bei den Passagieren war auf den ersten Blick nichts auffallendes festzustellen. Erst wenn man genauer hinschaute, bemerkte man, daß die meisten Männer waren, fast durchweg sogar recht junge Männer mit kräftigen, durchtrainierten Figuren. Allerdings flogen an einem Wochentag ohnehin überwiegend Geschäftsreisende, und das sind heutzutage nahezu alles Männer. Sie ließen sich auf ihren Plätzen nieder. Die Zeit tröpfelte dahin. Butler Parker verfolgte die Szene vom Cockpit aus. Hier konnte er auch seinem Doppelgänger ins Gesicht sehen, der übrigens
kein Geringerer war als der ehemalige Eigentumsverteiler Horace Pickett, und der Mann neben ihm, der von hinten aussah wie Fa bian, war in Wirklichkeit Mike Rander. Und dann kam noch eine Frau in die Maschine. Sie war einer der letzten Passagiere, die einstiegen, allerdings hätte Parker sie un ter Millionen herausgefunden, wie sie mit ihrem Pompadour in der Hand, mit ihrer etwas eigenwilligen, antiquiert wirkenden Beklei dung im Schritt eines britischen Grenadiers den Gang entlang marschierte, sich dann auf einen freien Platz setzte, der gar nicht weit von denen entfernt war, wo Rander alias Fabian und Pickett alias Butler Parker saßen. Und die junge Dame vor ihnen auf dem Sitz war auch nicht Sheila, sondern eine gutaussehende britische Polizistin, die Sheilas Kleider trug und ziemlich genau ihre Figur hatte. Sie trug auch das Haar wie Sheila, aber das Gesicht wie im Schlaf ein wenig nach unten gewandt. Die Stewardessen liefen hin und her, der Purser gab seine Kommandos und beantwortete dann Fragen von Passagieren nach allen möglichen Dingen, die mit dem Flug zusammenhingen. Viel leicht, so empfand es Parker, stellten diese Passagiere die Fragen ein wenig zu laut und zu naiv. Und dann, als der Moment gekommen war, wo der Flugsteig, diese Ziehharmonika, die wie ein Schnorchel wirkte, zurückgezo gen werden mußte, betraten dann doch noch drei Leute die Ma schine. Der eine trug einen weißen Kittel wie ein Arzt, und Parker war erstaunt, als er das Gesicht sah. Er hätte nie erwartet, daß Finch selbst kommen würde. Aber es war Finch, der in diesem Arztkittel kam, gefolgt von zwei Sanitätern, jedenfalls waren sie als solche gekleidet, mit dunkelblauen Anzügen und Rot-Kreuz-Armbinden. Beide trugen hellbraune Taschen aus Leder umgehängt und trippelten hinter dem Arzt her. Dann tauchte als viertes noch eine Krankenschwes ter auf, die Mühe hatte, die anderen drei einzuholen. Finch, der als Arzt gekleidet war, schaute suchend nach allen Richtungen, und Parker, der die Szene durch eine kleine Öffnung der Cockpit-Tür beobachtete, sah deutlich, wie Finch jetzt be merkte, wo die Leute saßen, deretwegen er in die Maschine ge kommen war. Eine der Stewardessen kam Finch entgegen, und Parker hörte, wie der Mann sagte:
»Wir haben hier noch eine Kleinigkeit zu erledigen. Ein Passa gier möchte wieder aussteigen, wie ich eben erfahren habe, und da ist eine Patientin, der unbedingt noch eine Spritze gegeben werden muß. Wir hatten das bereits angemeldet.« Der Purser kam und sagte: »Ja, ich weiß Bescheid. Die Patientin liegt da vorn.« Der Purser führte jetzt den vermeintlichen Arzt und seine Be gleitung genau zu den Plätzen, wo Sheila lag und die beiden sa ßen. In dem Augenblick, als Finch hinter dem vermeintlichen Parker und Fabian stand, sagte er: »Mister Brown, ich wollte Ihnen Bescheid sagen, daß Sie diesen Flug nicht machen können. Die Fluggesellschaft ist nicht einver standen. Ihre Herzbeschwerden sind der Gesellschaft zu riskant.« Das galt Fabian. Und Parker wußte, daß Finch Fabian jetzt mit nehmen wollte. So sicher, daß alles nach seinem Willen ablaufen würde, war Finch, daß er gar nicht mehr aufsah, sondern die Spritze nahm, die ihm die Schwester reichte, sie prüfend gegen die Beleuchtung im Flugzeug hielt, noch etwas abdrückte, daß Flüssigkeit oben herausspritzte, und dann zu einem der beiden Sanitäter sagte: »Wir müssen den Oberarm der jungen Dame freimachen.« Weiter wollte es Parker nicht kommen lassen. Auf einmal erho ben sich die meisten der Passagiere, und Parker schob die Cock pit-Tür auf. Finch, der sich schon über die vermeintliche Sheila gebeugt hatte, schaute einen Moment hoch, und sein Blick traf sich mit dem von Parker. Überraschung zeichnete sich in Finchs Gesicht. Danach ging es blitzschnell. Einer der Passagiere, die in Wirk lichkeit allesamt in Zivil gekleidete Polizisten waren, schlug Finch die Spritze aus der Hand. Zwei andere packten ihn hinten. Den Sanitätern und der angeblichen Krankenschwester ging es eben so. Blitzartig waren die vier gepackt, und dann tauchte einer der Passagiere auf, der kein Geringerer war als Chief-Superintendent McWarden. »Diesmal«, sagte er zu Finch, »haben wir endlich einen Beweis. Diesmal sitzen Sie in der Tinte, Finch! Jetzt können Sie sich nicht herausreden. Es war Ihr Fehler, an der Sache mitzuwirken. So sicher sind Sie gewesen?«
Finch sah, daß man ihn geleimt hatte. Aber er bewahrte Hal tung. Als die Handschellen zuschnappten, lächelte er verächtlich, wandte sich Parker zu und sagte: »Wollen Sie mir nicht wenigstens die Freude machen und mir verraten, was mit dem Mädchen ist? Sie ist es doch gar nicht.« Die verkleidete Polizistin war aufgestanden. Und daran hatte Finch nun gesehen, daß es nicht Sheila war. »Die Sache( ist einfach zu erklären«, sagte Josuah Parker. »Meine Wenigkeit will nicht verhehlen, daß es mir eine gewisse Genugtuung bereitet, Sie jetzt in dieser Haltung zu sehen, Mister Finch. Auf der anderen Seite sollen Sie durchaus wissen, was sich abgespielt hat. Miß Sheila wurde in ein Krankenhaus gebracht. Man hat sie sofort in die Intensivstation geschafft, ihr Blut abge zapft und festgestellt, daß von den zwei möglichen Mitteln, die Sie ihr gegeben haben konnten, das britische in Frage kam und nicht das mexikanische. Man hat ihr das Antidot gespritzt, und sie ist wohlauf. Sie wird in einer Stunde ihren Eltern auf die Bahamas folgen. Und was Mister Fabian angeht, so hat mein Wort Geltung. Man hat ihn nicht der Polizei übergeben, sondern ihn nur einem guten alten Bekannten zur Verfügung gestellt, meinem Freund Buddy Wolfe. Was er nachher getan hat, entzieht sich leider mei ner Macht. Meine Wendigkeit hat nicht soviel Einfluß auf andere Leute, wie Sie glauben mögen, Mister Finch. Aber ich könnte mir vorstellen, so wie die Dinge liegen, daß Mister Wolfe den verehr ten Mister Fabian zu Lady Agatha gebracht hat, die Sie auch ken nen und, wie ich weiß, sehr schätzen. Der Rest ist dann eine ganz automatische Angelegenheit gewesen.« Lady Agatha tauchte im Kreis der Umstehenden auf. »Der Rest«, verkündete sie lautstark, »geht auf meine Anweisungen zurück. Das Resultat sehen Sie jetzt. Sie sind in Fesseln, man wird Sie einsperren und endlich mal wirklich verurteilen können. Das ist mir eine Genugtuung, Mister Finch! Ich habe es ja gleich gewußt, wie das alles angefaßt werden muß. Und sehen Sie, einer Frau wie mir können Sie nichts vormachen. Sie nicht und alle an deren auch nicht. Und was das große Geld angeht, Mister Finch, das Sie von Mis ter Fabian erhofft haben, daraus wird nichts. Das habe ich Ihnen gründlich verwässert. Keinen Penny werden Sie von ihm bekom men, und er wird auch nichts haben.
In Wirklichkeit ist er pleite, das habe ich mittlerweile feststellen lassen. Ich habe gleich gewußt, daß Leute wie Sie nicht weit kommen. Und daß es auch nicht geschieht, dafür werde ich sor gen. Und jetzt können Sie ihn wegschaffen, ihn und die anderen.« McWarden grinste und zwinkerte Parker zu, aber dessen Miene blieb undurchsichtig. Nur Horace Pickett sagte, als die Polizisten die Maschine verlie ßen, die mit einstündiger Verspätung nun die wirklichen Passagie re an Bord lassen konnte: »Mister Parker, ich muß schon sagen, der großartigste, Anblick war der, als ihr hochbeiniges Monstrum vor dem Haus von Lady Agatha aus dem Container fuhr. Sie hätten ihre Augen sehen sol len, sie war blaß vor Erstaunen. Aber das würde sie nie zugeben. Sie ist immer der Meinung gewesen, sie wird Finch und Fabian schnappen. Und am Ende ist es ihr sogar gelungen.« »Woran man sieht«, erklärte Parker mit einer Spur von Lächeln im Ge sieht, »daß man Mylady einiges zutrauen muß und sicher noch einiges natürlich von ihr zu erwarten ist.« »Worauf man trinken sollte, Mister Parker. Ich würde Sie dazu einladen.« »Meine Wenigkeit ist ganz und gar nicht abgeneigt, Mister Pi cket. Irgendwie macht sich jetzt das dumpfe Gefühl bemerkbar, daß mein Inneres auch etwas Gutes vertragen könnte…«
-ENDE-
In 14 Tagen erscheint Butler Parker Band 288 Günter Dönges
PARKER legt den Bau-Sumpf trocken Noch sind gewisse Bau-Haie völlig ahnungslos, als sie ausge rechnet das altehrwürdige Fachwerkhaus der Lady Agatha auf kaufen und dann abreißen lassen wollen. Sie suchen Grundstücke in bevorzugter Lage, um Wohntürme, Supermärkte und Garagen zu bauen. Als die ältere Dame auf einige Angebote nicht einzuge hen gedenkt, wollen sie ihr Daumenschrauben anlegen. Butler Parker rührt keinen Finger, als seine kriegerische Herrin sehr un konventionell zur Sache kommt und ihren Glücksbringer einsetzt. Sehr schnell kontern die Wohnungs-Haie mit Spezialisten, um ans Ziel zu gelangen, doch da fühlt sich Butler Parker gefordert und befaßt sich persönlich mit dem »Bau-Filz«. Es ist ihm ein Vergnü
gen, die Gegenseite zu verunsichern und auflaufen zu lassen. Parker greift mehrfach in seine Trickkiste und bringt ausgebufften Gangstern Manieren bei. Günter Dönges stellt einen neuen PARKER-Krimi vor, der ein ak tuelles Thema mit Hochspannung und Humor behandelt. PARKERLeser wissen dies zu schätzen. Neue Interessenten, die bei einem Krimi mal schmunzeln und lachen wollen – hier ist die beste Ge legenheit!