Parker schießt den Falken ab Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges
Butler Parker ...
33 downloads
565 Views
510KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Parker schießt den Falken ab Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges
Butler Parker genierte sich ein wenig. Im Grunde hielt er es für äußerst exaltiert, daß Lady Agatha Simpson mit ihm Schlitten fahren wollte. Er war der Ansicht, daß die allerdings noch sehr rüstig wirkende Dame nicht mehr auf den Rodelhang gehörte. Zudem hatte Lady Agatha sich für seinen Geschmack etwas zu bunt gemustert. Die große, majestätische Frau, immerhin gut und gern sechzig Jahre alt, an eine Heroine erinnernd, trug einen Skidreß, in dem sie wie ein Astronaut aussah. Natürlich fiel Agatha Simpson in dieser Kleidung auf. Die Wintersportler auf dem Rodelhang winkten ihr lachend zu und freuten sich offensichtlich über den Sportsgeist dieser älteren Dame. Lady Agatha winkte zurück und stampfte durch den tiefen Schnee hinauf zum Start. An sich war es recht überraschend, wie mühelos sie diese Steigung nahm. Es zeigte sich, daß Lady Agatha körperlich noch durchaus fit war. Sie fühlte sich auch pudelwohl. Am Vortag war sie zusammen mit ihrem Butler und ihrer Gesellschafterin hier in Aviemore. einem Wintersportparadies in Zentral-Schottland, nicht weit vom berühmt-berüchtigten Loch Ness entfernt, angekommen. Der Winter hatte viel Schnee gebracht und das „Aviemore-Zentrum“ war überfüllt. Es handelte sich um eine Art Ferienparadies, das sowohl im Sommer als auch im Winter immer sehr gut frequentiert wurde. Schöner und romantischer konnte man sich kaum eine Region vorstel-
len. Mit etwas Phantasie fühlte man sich sogar in die Alpen versetzt. Es gab hier Sessel- und Schlepplifte, Rodel- und Skipisten, sanfte und steile Hänge, zugefrorene Seen für Schlittschuhläufer und schließlich eine Fülle großer und kleiner Hotels und Pensionen. Wer sich amüsieren wollte, kam hier mit Sicherheit auf seine Kosten. Und Lady Agatha Simpson wollte sich amüsieren. Sie hatte auf ihre übliche Reise in die Schweiz verzichtet, um die heimische Wirtschaft und Fremdenindustrie zu unterstützen. Sie wohnte zusammen mit Parker und Kathy Porter in einem Holzhaus, das an ein Schweizer Chalet erinnerte. Versorgt wurden sie von einer ausgezeichneten Hotelküche, die jeden noch so ausgefallenen Wunsch erfüllte. „Sie bewegen sich wieder mal wie eine Schnecke“, tadelte sie ihren Butler, der in dieser weißen Schneepracht deplaciert aussah. Josuah Parker trug selbstverständlich seinen dunklen Zwei-
reiher, derbe, schwarze Schuhe, seinen schwarzen Covercoat und die obligate Melone. Selbst auf seinen altväterlich gebundenen Regenschirm hatte er nicht verzichtet. Korrekte Kleidung ging ihm stets über alles. Nachlässigkeiten auf diesem Gebiet hätte er sich niemals geleistet. Er zog einen Rennrodelschlitten hinter sich her, den Lady Agatha später zu benutzen gedachte. Da der Hang hier präpariert worden war, ließ es sich relativ leicht gehen. Dennoch drang Schneewasser in Parkers Schuhe. Der Butler wußte dieses Schmelzwasser überhaupt nicht zu schätzen. Und ihm graute schon jetzt davor, sich zusammen mit Lady Agatha in die Tiefe zu stürzen. Sie hatte sich nämlich vorgenommen, ihrem Butler die Schönheiten des Rodelns zu zeigen. Der Betrieb auf dem Rodelhang war beträchtlich. Kinder, Halbwüchsige und Erwachsene rauschten an ihnen vorüber und erfüllten die Luft mit fröhlichem Geschrei. Links und rechts von der Rodelbahn standen große und kleine Schneemänner. Und immer neue kamen hinzu. Eine Art Seuche schien da ausgebrochen zu sein. Man schien sich zu bemühen, recht abenteuerliche Gebilde aus Schnee zu formen, Gestalten, die mit einem normalen Schneemann überhaupt nichts mehr zu tun hatten. „Erinnern Sie mich daran, daß wir auch noch einen Schneemann bauen müssen“, sagte Lady Simpson, zu ihrem Butler gewendet… „Wie Mylady befehlen“, erwiderte Parker und lüftete seine schwarze Melone. Parker erinnerte sich, daß die Ferienbetreuer zu einem großen Wettbe-
werb ausgerufen hatten. Der schönste oder eigenwilligste Schneemann sollte prämiiert werden. Einen sinnloseren Wettbewerb hätte Parker sich nicht vorstellen können. Daß seine Herrin mitmachte, wunderte ihn kaum, denn da waren einige Preise ausgesetzt worden, Nichtigkeiten, die kaum einen materiellen Wert besaßen. Auf solch einen Preis aber spekulierte Lady Simpson, die immens vermögend war und sich natürlich jede Extravaganz leisten konnte. Sie hatte nichts dagegen, mit kindlicher Freude sich an einem Wettbewerb zu beteiligen, sofern Preise winkten., Ergeben stapfte der Butler hinter Lady Agatha Simpson her und stellte dann weit oben auf der Startlinie den Rennrodel zurecht. „Ist das nicht ein wunderschöner Tag, Mr. Parker?“ Die energische Dame warf sich in die nicht gerade unterentwickelte Brust und deutete dann mit der Armbewegung eines Feldherrn auf die verschneiten Hügel, Hänge und Wälder. „Ich hatte Sie etwas gefragt, Mr. Parker“, erinnerte Lady Agatha, während ihr Butler konstant schwieg. „Ein wahrhaft weißer Traum, Mylady, wenn ich es so ausdrücken darf“, antwortete Josuah Parker jetzt höflich. „Eben“, sagte Lady Agatha. „Und jetzt wollen wir den Hang nehmen, Mr. Parker. Ich möchte eine rasante Abfahrt erleben.“ Sie ließ sich auf den Rodelschlitten krachen, der daraufhin weitere zehn Zentimeter im Schnee verschwand. Lady Simpsons Körpergewicht war keineswegs als leicht zu bezeichnen. Sie rückte sich auf dem schmalen Schlitten
zurecht und wandte sich dann ungeduldig nach ihrem Butler um. „Worauf warten Sie noch?“ fragte sie grimmig. „Mylady bestehen darauf, daß meine bescheidene Wenigkeit sich an der Schußfahrt beteiligt?“ „Was dachten denn Sie? Der Schlitten muß ja wieder an den Start hochgebracht werden.“ „Mylady haben dann möglicherweise übersehen, daß das Raumangebot des Gleitinstrumentes nicht ausreicht.“ „Du lieber Himmel, stellen Sie sich doch nicht so an! Für Sie wird schon noch ein Plätzchen abfallen. Ich rücke ein Stück nach vorn. Mr. Parker, ich merke, daß Sie wenig Sportsgeist haben.« Josuah Parker nahm von einer Antwort Abstand. Er beugte sich hinunter und Versuchte ernsthaft, den schwer belasteten Rodelschlitten in Bewegung zu setzen. Es war ihm ein wenig peinlich, daß seine Versuche in dieser Richtung von aufmerksam gewordenen Wintersportlern beobachtet und kommentiert wurden. Sie feuerten ihn sogar mit mehr oder weniger passenden Zurufen an. Der Butler schaffte es nach einigen Versuchen, den Rennrodelschlitten in Fahrt zu bringen. Dabei erwies sich sein Universal-Regenschirm allerdings als ein wenig hinderlich. „Schneller, schneller!“ Lady Agatha geriet jetzt in Begeisterung. Sie feuerte ihren Butler ebenfalls immer wieder an, der sich ehrlich abmühte, den Schlitten zu beschleunigen. Er wollte nämlich so schnell wie möglich aus der Nähe der frotzelnden Wintersportler. Plötzlich gerieten die Kufen auf eine feste, glatte Schneedecke. Der Schlitten
tat förmlich einen Sprung nach vorn und sauste los. Parker hielt sich die schwarze Melone' fest und schaffte es im letzten Augenblick, dicht hinter Lady Agatha Platz zu nehmen. Viel konnte er nicht sehen, denn Lady Agathas Schultern nahmen ihm jede Sicht. Er mußte sich allein auf ihre Steuerkünste verlassen. In Josuah Parker stieg allmählich der häßliche Verdacht auf, daß Lady Simpsons Fertigkeiten im Steuern eines Rodelschlittens nicht besonders groß waren. Der Schlitten schlingerte, beschrieb abenteuerliche Kurven und raste dann auf einen Steilhang zu, der mit der Rodelstrecke leider überhaupt nichts mehr zu tun hatte. Trotz der kalten Luft bildeten sich kleine Schweißperlen auf Parkers Stirn. Lady Simpson schien sich in den kleinen Bergwald rechts der Piste verliebt zu haben und schlingerte auf die ersten Bäume zu. Dann legte der Schlitten sich auf die linke Seite, passierte diese Bäume und schoß über einen Steilhang hinunter zum Ufer eines kleinen Waldsees, wo sich eine Allee der Schneemänner befand. Dicht nebeneinander standen hier die Gebilde aus Schnee und Eis. Sie warteten nur darauf, von der Preisjury beurteilt zu werden. Plötzlich stieß Lady Simpson einen Schrei aus und visierte ungewollt einen dieser Schneemänner an. Ein Zusammenstoß ließ sich nicht mehr verhindern. Parker schloß ergeben die Augen und wartete. * „Mann, das darf doch nicht wahr sein“, sagte der untersetzte und etwa dreißigjährige Mann in einem etwas alt-
modischen Skidreß. Er sprang auf und beugte sich weit über die Brüstung der kleinen Veranda. Er schaute durch ein Fernglas zum See hinunter. „Was liegt denn an, Pete?“ erkundigte sich ein zweiter Mann, der in einem Liegestuhl lag und die Sonne genoß. Er war vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt, schlank und wirkte durchtrainiert. Er trug einen brandneuen Skianzug und sah darin aus wie ein Sport As. „Da hat gerade einer unseren Schneemann gerammt! Ist denn das zu fassen. Ausgerechnet unseren!“ Petes Aufregung steigerte sich noch. Sein volles, rundes Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. „Wie war das?“ Der Mann sprang aus dem Liegestuhl und riß Pete das Fernglas aus den Händen. Er korrigierte die Scharfeinstellung und beobachtete nun ebenfalls das Seeufer. Dabei preßte er die Lippen fest aufeinander. „Wir müssen sofort 'runter, Hale“, sagte Pete, der rundliche Mann, nervös. „Wie stellst du dir das vor?“ fragte Hale und setzte das Glas ab. „Wir dürfen uns da unten nicht blicken lassen, Pete.“ „Saudummer Zufall“, stellte Pete fest. „Was machen wir jetzt?“ „Laß mich nachdenken. Die beiden Leute da unten werden bestimmt die Polizei alarmieren.“ „Scheinen schon verdammt betagte Leute zu sein, Hale.“ Pete zündete sich eine Zigarette an. „Wenn du die Ski nimmst, bist du in ein paar Minuten unten.“ „Aber wir haben doch Befehl, uns nicht wegzurühren.“ Hale blieb bei seinen Bedenken.
„Jetzt herrscht Ausnahmezustand“, meinte Pete nachdrücklich. „Ich nehm's auf meine Kappe, Hale. Schnall dir die Bretter unter und zisch nach unten. Schau mal, was da jetzt läuft.“ Der rundliche Pete nahm wieder das Fernglas hoch und beobachtete das Ufer des kleinen, zugefrorenen Sees. Nach wenigen Sekunden nickte er seinem Partner Hale zu. „Schwirr ab, denn wenn wir nichts tun, werden wir bestimmt Ärger bekommen.“ „Und... Und was soll ich tun?“ Hale wußte es ganz sicher, doch er wollte noch die letzte Bestätigung seines Partners Pete. Der Rundliche grinste vielsagend, sagte aber kein Wort. „Komm mit“, forderte Hale ihn auf. „Ich bleibe wegen des Telefons hier oben. Außerdem kann ich nicht besonders gut mit Skibrettern umgehen. Das weißt du doch. Beeil dich jetzt, bevor die da unten verschwinden!“ Hale hatte sich entschieden. Er lief in das kleine Holzhaus, kramte dort in seinem Gepäck herum und ging dann nach draußen. Wenig später erschien er vor der fast ebenerdigen Veranda und schnallte sich die Bretter unter. Er nickte seinem Partner Pete knapp zu und stieß sich dann mit den Skistöcken kraftvoll ab. Pete beobachtete ihn durch das Glas, wechselte dann den Blickpunkt und konzentrierte sich auf die beiden Rodelfahrer. Sie waren inzwischen deutlicher zu erkennen, hatten sich den Schnee von ihrer Kleidung geklopft und sahen recht unterschiedlich aus. Es handelte sich da um eine sehr stämmige und große Frau, die doch tatsächlich von einem richtigen Butler begleitet wurde. Ein komisches
Paar. So etwas hatte Pete schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Er grinste unwillkürlich und war natürlich beruhigt. Dieses Duo konnte für Hale nur einen Klacks bedeuten. Die Allee der Schneemänner war um diese Zeit völlig leer. Hale brauchte nur schnell und entschlossen zu handeln. Pete ging in das kleine Ferienhaus zurück und langte nach dem Telefonapparat. Es wurde höchste Zeit, den ‚Falken’ zu informieren. Anschließend wollte er sich dann auf den Weg machen, um Hale bei der Beseitigung zweier Winterurlauber zu helfen. Es galt, noch ein paar zusätzliche Schneemänner zu bauen. * Agatha Simpson stand zwischen den Trümmern des Rodelschlittens und schaute auf die Reste jenes Schneemannes, den sie über den Haufen gefahren hatte. Sie war sehr beeindruckt. „Nun sagen Sie schon endlich etwas“, forderte sie ihren Butler auf, der die Reste des Schneegebildes mit der Spitze seines Universal-Regenschirms untersuchte. „Hatten Sie damit gerechnet?“ „Diese Frage, Mylady, kann ich mit dem besten Gewissen verneinen“ gab Josuah Parker würdevoll zurück. „Daß der Schneemann eine männliche Leiche enthielt, stand kaum zu erwarten.“ Parkers Worte entsprachen den Tatsachen. Inmitten der Reste des Schneemannes lag ein Mann, der völlig normale Straßenkleidung trug. Er mochte vielleicht dreißig Jahre alt sein, war schlank und etwas über mittelgroß. Äußere Verletzungen ließen sich nicht erkennen.
„Wie lange mag die Leiche bereits im Schneemann gewesen sein?“ fragte die Detektivin. „Ich glaube, Mr. Parker, ich könnte jetzt einen Kreislaufbeschleuniger brauchen. Diese Überraschung ist mir doch in die Glieder gefahren.“ Josuah Parker war auf alle Eventualitäten eingerichtet. Er griff in die linke' Innentasche seines schwarzen Covercoats und holte eine lederumhüllte, flache Flasche hervor, deren Verschluß als Becher diente. Parker servierte seiner Herrin ohne Hast einen guten, weichen Cognac, den Lady Agatha sehr gekonnt kippte. „Der Mann ist natürlich ermordet worden“, stellte die Sechzig jährige dann fast erfreut fest. „Hätte man ihn denn sonst in einen Schneemann verpackt?“ „Ich möchte mir die Freiheit nehmen, mich Myladys Ansicht anzuschließen“, antwortete der Butler gemessen. „Und was machen wir jetzt weiter?“ Agatha Simpson baute sich neben der Leiche auf und beugte sich über sie. „Wann mag der Mann umgebracht worden sein?“ „Die Kälte dürfte genaue Schlüsse vorerst nicht zulassen“, antwortete Parker bedauernd. „Sie wirkt unfreiwillig als Konservator, was der oder die Mörder wahrscheinlich miteinkalkuliert haben.“ „Ich möchte der Polizei nicht ins Handwerk pfuschen“, meinte Lady Simpson. „Nachdem Sie mir noch eine kleine Erfrischung gereicht haben, sollten Sie die Taschen des Toten untersuchen, Mr. Parker.“ „Ich möchte nicht direkt widersprechen“, erwiderte Parker. „Mylady sollten aber den Skiläufer zur Kenntnis
nehmen, der sich für meine Begriffe ein wenig zu verstohlen nähert.“ „Das klingt gut, Mr. Parker. Wo steckt der Lümmel?“ Die Detektivin hatte überhaupt keine Angst. Sie wirkte sogar äußerst unternehmungslustig. Sie hoffte auf eine Abwechslung, wandte sich um und suchte das Wäldchen oberhalb des Seeufers ab. „Der bewußte Skiläufer ging gerade hinter einem Baum in Deckung, Mylady.“ Auch der Butler ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Man sollte vielleicht hinter den Schneemännern in Deckung gehen, wenn ich mir diesen Vorschlag erlauben darf.“ Bruchteile von Sekunden später war ein schwaches Geräusch zu vernehmen, als sei eine Weinflasche geöffnet worden. Gleichzeitig zischte dicht vor Lady Simpsons Füßen ein Geschoß auf das Eis, prallte ab und jaulte als Querschläger weiter in die winterliche Landschaft hinein. Die Lady aber erwies sich als äußerst schnell. Sie schnaufte gereizt auf und hastete dann hinter einen noch intakten Schneemann, der ganz in ihrer Nähe stand. Es war glücklicherweise ein großer Schneemann, der sie zu schützen vermochte. Josuah Parker wählte ein Schneegebilde aus, das aus quadratischen Blöcken bestand und ebenfalls ein Schneemann sein sollte. Hier mußte ein eigenwilliger ,Bildhauer' am Werk gewesen sein. Parker präparierte seinen Universal-Regenschirm, der es im wahrsten Sinn des Wortes in sich hatte. Mit diesem Schirm ließen sich auch kleine Pfeile verschießen, die an Stopfnadeln erinnerten und deren Schaft zur Stabi-
lisierung mit kleinen, bunten Federn besetzt war. Angetrieben wurden diese Geschosse mit komprimierter Kohlensäure, die sich in einer Stahlpatrone befanden. Parker wartete nur darauf, daß der tückische Schütze sich zeigte. Nun, er zeigte sich nicht, aber er schoß erneut. Diesmal hatte er es auf Josuah Parker abgesehen, das Geschoß riß ein Stück aus dem Schneemann und zwang den Butler in die Knie. Josuah Parker gefiel das gar nicht. Er haßte unnötige Anstrengungen. „Hoffentlich tun Sie endlich etwas, Mr. Parker“, ließ Lady Simpson sich unwillig vernehmen. „Zahlen Sie es diesem Flegel zurück!“ „Ich werde mich bemühen, Mylady“, antwortete der Butler und überlegte, wie er den Schützen, der mit einem Schalldämpfer arbeitete, überlisten könnte. Alle erdenklichen Vorteile waren auf der Seite dieses Mannes dort oben zwischen den Bäumen. Er beherrschte von seinem Platz aus das Seeufer und auch die Allee der Schneemänner. Die Sicht war leider zu ausgezeichnet. Mit Störungen war ebenfalls nicht zu rechnen. Um diese frühe Morgenzeit tummelten sich die Wintersportler auf den Hängen. Mit dem Bau weiterer Schneemänner war erst gegen Mittag zu rechnen. Solange aber konnte der Butler nicht warten. Butler Parker war ein Mann, der auch auf eine gewisse Grundausstattung nie verzichtete. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, stets gerüstet zu sein. Zu dieser Grundausstattung gehörten unter anderem die vielen Kugelschreiber, die er mit sich trug. Sie sahen völlig normal aus, doch sie hatten es in sich. Sie waren
von ihm in seiner ‚Bastelstube’ in London präpariert worden. Es handelte sich um kleine Meisterwerke der Verteidigungstechnik. Da die Sicht gut war, mußte das eben geändert werden. Josuah Parker knöpfte seinen schwarzen Covercoat auf, dann den Zweireiher und wählte mit Bedacht einen der Kugelschreiber aus, die ihm zur Verfügung standen. Daß er dabei von einem weiteren schallgedämpften Geschoß gestört wurde, mußte er hinnehmen. Schnee- und Eisbrocken flogen ihm um die Ohren, was ihn aber nicht weiter störte. Endlich hatte er gefunden, wonach er suchte. Er löste den Kugelschreiber aus einer der Westentaschen und verdrehte beide Hälften gegeneinander. Er drückte auf den Halteclip und warf das seltsame Schreibgerät dann ein paar Meter vor seinem Schneemann in den Schnee. „Mylady sollen den jetzigen Standort tunlichst nicht wechseln“, rief er der älteren Dame zu. „Der Attentäter wird davon ausgehen, daß die Positionen geändert werden. Das Gegenteil dürfte ihn verunsichern.“ Der Butler hatte seinen Hinweis noch nicht ganz beendet, als der Kugelschreiber eine überraschend große und dichte Nebelwolke produzierte. Sie breitete sich sehr schnell aus und wurde zu einer hohen Wand, die jede Sicht nahm. Der Schütze oben im Wäldchen reagierte wütend. Er setzte Schuß auf Schuß ab, doch sie waren jetzt nicht mehr gezielt. Der Attentäter verließ sich nur noch auf sein Glück und hoffte auf einen Zufallstreffer. Parker hatte seine Herrin nicht umsonst gebeten, hinter ihrem Schneemann zu bleiben, denn auch er rührte sich
nicht vom Fleck. Lange hielt die Nebelwand ohnehin nicht vor. Zudem wurde so der vom Schützen erwartete und erhoffte Zufallstreffer vermieden. Um den Attentäter aber noch weiter zu verunsichern, langte der Butler nach einer zusätzlichen Waffe, die fast an ein Spielzeug erinnerte. Es handelte sich um eine schlichte Gabelschleuder, mit nur zu gern Kirschkerne, Tonmurmeln oder auch kleine Steine zu verschießen pflegen. In den Händen eines Josuah Parker aber war solch eine Gabelschleuder imponierend. * Hale war vom Jagdfieber erfaßt worden und hatte das gute Gefühl, diese beiden komischen Wintersportler zu erwischen. Sie hatten sich hinter den Schneemännern versteckt, doch dieser Schutz reichte nicht aus. Es war für ihn nur noch eine Frage der Zeit, bis er das Duo dort unten auf dem Eis endgültig erledigt hatte. . Ja, und dann fluchte er plötzlich, als ihm die Sicht genommen wurde. Er begriff einfach nicht, woher dieser Nebel kam. Wie eine dichte Wand stand er vor den Schneemännern und tauchte alles in undurchsichtiges Grau-Weiß. Hale rechnete damit, daß die beiden Wintersportler ihre Chance nutzen würden, um ihre bisherige Deckung zu verlassen. Sie mußten sich einfach einen besseren Schutz suchen, wenn sie überleben wollten. Da der junge, drahtig und sportlich durchtrainierte Mörder über ausreichend Munition verfügte, setzte er Schuß auf Schuß in die vermeintliche Fluchtrichtung. Seine Lippen bildeten nur noch den schmalen, energischen
Strich, wie er in einschlägigen Romanen immer geschildert wird. Hale rechnete fest mit einem Treffer. In seinem Eifer bekam er überhaupt nicht mit, daß in seiner Nähe ein seltsamer Gegenstand im Schnee landete. Es handelte sich um eine längliche Medikamentenkapsel, wie sie in Arzneimittelpackungen anzutreffen sind. Sie sah völlig naturgetreu aus und hätte niemals „Verdacht erregt. Da diese längliche Kapsel aber von Josuah Parker mittels seiner Gabelschleuder verschossen worden war, mußte sie es in sich haben. Sie konnte einfach nicht harmlos sein. Und genau das bestätigte sich Sekunden später. Während Hale immer noch munter schoß und auf einen Glückstreffer hoffte, platzte diese kleine Kapsel und ließ einen dünnen, milchigen Rauch hochsteigen. Eine zweite Kapsel landete im Schnee und spuckte ebenfalls diesen milchigen Rauchschleier aus. Hale wechselte seinen Standort und geriet ungewollt noch näher an die Rauchschwaden. Es zahlte sich aber nicht für ihn aus. Zuerst hüstelte er, räusperte sich und hatte plötzlich das Gefühl, von einer Erkältung überfallen zu werden. In seiner Nase spürte er ein heißes Brennen. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Hale nieste und hüstelte nicht mehr, er litt unter momentaner Luftnot und hatte keine Lust mehr, seine Munitionsvorräte weiter zu mindern. Eine lähmende Schwäche erfaßte ihn. Hale fühlte sich speiübel, setzte sich in den tiefen, weichen Schnee und mußte eine erste Hitzeanwandlung über sich ergehen lassen. Er riß sich den Reißverschluß seines
Skianzugs auf, lockerte den Schal und schnaufte wie eine Lokomotive. Nein, er fühlte sich gar nicht wohl. Hale spürte Angst in sich hochsteigen, eine hundsgemeine Angst, die ihn zusätzlich noch schüttelte. Er wollte weg von hier, sich irgendwo verkriechen und mit dieser grausamen Welt nichts mehr zu tun haben. Er konnte nicht wissen, daß sein Zustand mit den milchigen Schwaden zusammenhing, die sich schon zu verflüchtigen begannen. Josuah Parker hatte sich die chemische Grundsubstanz auf geheimnisvollen Wegen verschafft. Sie enthielt Reizstoffe, die Übelkeit und Angst hervorriefen, Chemikalien, wie sie von der Polizei bereits in vielen Ländern verwendet werden. Gesundheitliche Schäden waren ausgeschlossen. Übelkeit und Angst verflüchtigten sich nach einer halben Stunde und ließen nur eine böse Erinnerung zurück. Hale hörte seinen Namen rufen. Es kostete ihn schon große Anstrengung, allein den Kopf zu heben. Er hatte die Stimme seines Partners Pete erkannt. Hale wollte ihn warnen, doch Pete erschien bereits auf der Bildfläche und stapfte durch den tiefen Schnee auf ihn zu. „Was läuft denn hier?“ fragte Pete entgeistert, als er seinen Partner im Schnee sah. Hale wollte zwar antworten, doch sein Husten hinderte ihn daran. Neugierig und leichtsinnig kam Pete näher. Der Gangster mit der rundlichen Figur und dem vollen Gesicht lief genau noch in die restlichen Schwaden hinein. Sekunden später saß auch er im Schnee und dicke Tränen kullerten über seine Wangen. Die beiden Männer
weinten sich gründlich aus und vergaßen darüber ihre Absicht, einen Doppelmord auszuführen. * „Das paßt mir aber ganz und gar nicht“, grollte Agatha Simpson. Ihr Butler hatte ihr gerade vorgeschlagen, das Feld zu räumen. Die energische Dame hätte sich nur zu gern mit dem Schützen oben im Bergwäldchen befaßt. „Darf ich mir erlauben, Mylady noch mal auf das allzu große Risiko hinzuweisen?“ erwiderte Josuah Parker gemessen. „Das Unwohlsein des Schützen wird nicht lange vorhalten. Man könnte also unter Umständen genau in die Schußlinie dieser Person laufen.“ „Haben Sie vergessen, daß dort ein Subjekt ist, das auf uns geschossen hat?“ Die Detektivin war noch immer nicht überzeugt. „Dieses Subjekt, um Myladys Worte zu gebrauchen, wird sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit früher oder später wieder anbieten“, gab der Butler zurück. „Man müßte nur dafür sorgen, daß die Leiche verschwindet.“ „Und wohin damit?“ Agatha Simpson sah auf den Toten hinunter. „Vielleicht, Mylady, ließ sich an anderer Stelle ein weiterer Schneemann errichten.“ Lady Simpson hatte sofort verstanden und nickte. Dieser Vorschlag paßte ihr. Sie gab ihren Widerstand auf und begutachtete die Nebelwand, die sich bereits zu lichten begann. Es wurde Zeit, diesen Punkt der „Schneemännerallee“ zu verlassen. Der Nebel hielt höchstens noch wenige Minuten vor.
Es zeigte sich, daß die ältere Dame durchaus noch zuzupacken wußte. Zusammen mit ihrem Butler räumte sie das Feld, wobei das skurrile Duo nicht den Toten mitzunehmen vergaß. Die vielen Schneemänner, die in Einer- und Doppelreihen errichtet worden waren, sorgten für die nötige Deckung. Hinzu kamen noch die Reste der sich auflösenden Nebelwand. Vom Bergwäldchen aus waren sie wohl kaum auszumachen. Agatha Simpson war eben noch eine zupackende, Dame: Daß sie zusammen mit ihrem Butler einen Toten transportierte, machte ihr nichts aus. Seelisch und körperlich verkraftete sie diese etwas makabre Fracht. Der Zufall hatte ihr schließlich einen neuen Fall zugespielt. Sie war fest entschlossen, ihn freiwillig nicht mehr aus den Händen zu geben. Die Lady widmete sich gerne der Aufklärung von Verbrechen. Sie war eine Amateurdetektivin aus Leidenschaft. Zusammen mit Butler Parker und Kathy Porter, ihrer Gesellschafterin, hatte sie in der Vergangenheit schon manch verzwickten Fall lösen können. Wegen ihrer ungewöhnlichen Methoden war sie sowohl bei der Polizei als auch bei den Gangstern „sehr beliebt“. An dieser Frau ließ sich nämlich nichts mit Logik erklären. Sie reagierte stets anders, als man es erwartete. „Wie lange wollen Sie mich noch durch den Schnee hetzen?“ fragte sie bei ihrem Butler an. „Ich bin schließlich kein junges Mädchen mehr.“ „Darf ich Myladys Aufmerksamkeit auf den kleinen Taleinschnitt lenken?“ Parker deutete vorausschreitend mit dem Kopf auf einen tiefen, schmalen Einschnitt hinüber.
„Gut, die paar Meter werde ich noch schaffen“, antwortete die sehr energische Dame. „Aber dann muß ich noch etwas für meinen Kreislauf tun, Mr. Parker.“ Der Butler schritt jetzt ein wenig schneller und erreichte das kleine, schmale Tal. Nachdem sie den Toten im Schnee niedergelassen hatten, servierte der Butler seiner Herrin einen weiteren Cognac. Nachdem er die Flasche wieder zugeschraubt hatte, nickte er zufrieden. Von der Seeseite her trieben leichte Schneeschauer heran. Die Sicht verschlechterte sich rapide. Mehr konnte man vom Wetter im Augenblick nicht erwarten. Die Spuren, die Lady Simpson und er im weichen Schnee hinterlassen hatten, wurden zugeweht. „Hoffentlich haben Sie sich inzwischen brauchbare Gedanken gemacht“, sagte Agatha Simpson und deutete auf den Toten. „Warum verpackt man eine Leiche in einen Schneemann? Woran ist der Mann gestorben? Warum wollte man uns umbringen?“ „Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit noch in der Phase des aktiven Nachdenkens.“ „Ich werde Ihnen meine Fragen beantworten“, redete die Lady weiter. „Der Mann hier wird bewacht, und wissen Sie auch, warum, Mr. Parker? Kommen Sie nicht drauf? Das sieht Ihnen wieder mal ähnlich. Sie haben eben keine Phantasie.“ „Wie Mylady zu belieben meinen.“ Parker deutete eine höfliche und korrekte Verbeugung an. „Der Tote muß erst vor wenigen Stunden in den Schneemann verpackt worden sein“, mutmaßte die Lady ins Blaue hinein. „Sehen Sie mich gefälligst nicht
so ungläubig an. Ich habe gute Gründe für diese Annahme.“ „Mit Sicherheit, Mylady.“ „Der Mörder mußte den Toten erst mal von der Bildfläche verschwinden lassen. Er fand noch nicht die Zeit, nach gewissen Dingen zu suchen, die der Tote bei sich haben muß. Das wollte er wahrscheinlich in der Dunkelheit nachholen. Und jetzt haben wir ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht.“ Josuah Parker mußte innerlich zugeben, daß Lady Simpsons Vermutungen nicht von der Hand zu weisen waren. Sie hatten etwas für sich. „Und Sie waren natürlich gegen das Rodelvergnügen“, stichelte sie weiter. „Ohne mich, Mr. Parker, wäre dieser Mord nie entdeckt worden. Wollen Sie das etwa abstreiten?“ „Keineswegs, Mylady, das würde ich mir niemals erlauben.“ „Haben Sie etwa eine andere und bessere Theorie? Ich sage Ihnen gleich, daß Sie die gar nicht haben können!“ „Ich möchte mir die Freiheit nehmen, mich Myladys Standpunkt anzuschließen.“ „Also, worauf warten wir noch?“ „Mylady meinen etwas Bestimmtes?“ „Wir werden den Toten durchsuchen, Mr. Parker. Wir werden das finden, wonach der Mörder gegen Abend suchen wollte. Und wir werden es finden.“ „Mylady haben möglicherweise den Schützen im Wald vergessen.“ „Und? Haben Sie etwa Angst?“ „Ich erlaube mir, Mylady, gewisse Befürchtungen zu hegen. Dieser Schütze könnte zurückkommen.“ Dann tun Sie gefälligst etwas dagegen. Sagen Sie, was könnte der arme Bursche hier bei sich haben? Groß kann der
Gegenstand nicht sein, hinter dem der Mörder her ist.“ „Es müßte sich sogar um einen sehr kleinen Gegenstand handeln, Mylady, sonst wäre er bereits gefunden worden.“ „Natürlich! Das ist es!“ Agatha Simpsons Phantasie arbeitete auf Hochtouren. „Dieser Mann schleppt ein Stückchen Mikrofilm mit sich herum.“ „Mylady sind sich da vollkommen sicher?“ wunderte sich Parker. „Ich habe so etwas mal in einem tollen Kriminalfilm gesehen“, redete die Detektivin eifrig weiter. „Ein Stückchen Mikrofilm läßt sich erstklassig verstecken. Wir haben es mit Agenten zu tun, Mr. Parker, mit Spionage! Ich fühle es in den Fingerspitzen. Wir werden jeden Millimeter der Kleidung durchsuchen müssen!“ „Jetzt und hier, Mylady?“ „Papperlapapp, Mr. Parker. In der kommenden Nacht. Dann werden wir den Toten nämlich holen und hinauf ins Haus schaffen. Und bis dahin stecken wir ihn einfach in einen neuen Schneemann. Was der Mörder kann, können wir schon lange.“ * Die beiden Mordschützen Pete und Hale befanden sich in dem kleinen Ferienhaus und hingen erschöpft in ihren Sesseln. Sie wohnten hier allein und brauchten keine neugierigen Menschen zu fürchten. Sie hatten völlig verweinte und stark gerötete Augen. Hin und wieder husteten sie und röchelten anschließend noch eine Weile herum. Nach der Panne unten im Bergwald hatten sie sich unter
dieses schützende Dach zurück geflüchtet, um erst mal Kriegsrat zu halten. „Das verdammte Mistzeugs muß von dem komischen Duo gestammt haben“, stellte der rundliche und untersetzte Pete fest. „Hast du denn gar nichts mitbekommen?“ „Die beiden komischen Typen waren eigentlich schon tot“, beschwerte sich der schlanke, sportliche Hale und schüttelte den Kopf. Er wischte sich eine dicke, nachrollende Träne von der Wange. „Ich hatte sie genau im Visier, als sie hinter den Schneemännern Verschwanden. Und dann konnte ich plötzlich nichts mehr sehen.“ „Wir werden Ärger mit dem ,Falken' bekommen.“ Pete schnaufte erregt. „Wie wollen wir ihm diese Pleite erklären?“ „Erklären? Wir sagen, was wirklich passiert ist.“ Hale nickte nachdrücklich. „Die beiden Typen unten am See haben die Leiche gefunden. Sie werden sofort die Polizei alarmieren.“ Pete versuchte, klare Gedanken zu fassen. „Die Bullen werden auf der Bildfläche erscheinen und Larry abtransportieren.“ „Und genau da liegt unsere Chance“, fiel Hale ihm ins Wort. „Die Polizei wird Larry entweder nach Newtonmore schaffen oder nach Inverness. Und irgendwo da wird sie im Leichenschauhaus landen. Muß doch 'n Klacks sein, da 'reinzukommen, oder?“ „Das ist die Lösung, Hale“, pflichtete Pete seinem Partner fast erleichtert bei. „Noch ist nichts verloren.“ „Eben. Und jetzt habe ich noch 'nen Vorschlag, Pete. Muß der ,Falke' überhaupt wissen, was sich hier getan hat? Müssen wir ihn dauernd anrufen? Warten wir doch, bis wir's hinter uns haben.
Der ,Falke' ist doch nur an 'nem Resultat interessiert.“ „Er rechnet tatsächlich damit, daß wir erst am Abend nach Larry sehen.“ Pete nickte und dachte angestrengt nach. Der Vorschlag seines jüngeren Partners gefiel ihm sehr. „Dann ist doch alles klar, Pete.“ Hale wischte sich weitere Tränen von den Backen und hüstelte. „Erkannt haben uns die Typen unten bei den Schneemännern bestimmt nicht. Wir haben also gar nichts zu befürchten.“ „Einverstanden, wir werden's so machen“, sagte Pete vom Husten gequält. „Aber jetzt geh' ich 'raus auf den Balkon und schau mir das Ufer an. Inzwischen müßten die Bullen schon aufgetaucht sein.“ „Bei dem Wetter wirst du kaum was sehen, Pete.“ Hale zeigte durch das Fenster nach draußen. Die Schneeschauer waren noch stärker und dichter geworden. Der Rodelhang versank in weißen Flocken. „Dann muß ich eben näher 'ran“, entschied der rundliche Pete. „Ich muß 'rausbekommen, was da unten am See läuft. Komm, wir machen auf Winterurlauber und sehen uns die Gegend an. Aber laß gefälligst die Kanone zu Hause.“ Die beiden Mordschützen warfen sich wadenlange Mäntel über, setzten sich Pelzkappen auf und gingen hinaus in den wirbelnden Schnee. Sie hatten sich inzwischen leidlich erholt und kamen recht gut voran. Sie benutzten den geräumten, offiziellen Weg, der in vielen Kurven hinunter zum Waldsee und zur ,Schneemännerallee“ führte. Sie waren nicht allein, was ihnen nicht ungelegen kam.
Zwei Hotelhostessen marschierten mit gut zwei Dutzend munter plappernder Kinder hinunter zu den Schneemännern, um weitere Kunstwerke aus Schnee und Eis zu formen. In einigem Abstand folgten Eltern, die die künstlerischen Fähigkeiten ihrer Sprößlinge aus nächster Nähe begutachten wollten. Die beiden Mordschützen fielen überhaupt nicht auf. Eine bessere Tarnung hätten sie sich gar nicht ausdenken können. „Seit wann gibt's Blasmusik, wenn die Bullen 'ne Leiche abholen?“ wunderte sich der schlanke Hale und blieb plötzlich stehen. „Die Musik kommt unten vom Seeufer her“, staunte auch der rundliche Pete. „Die müssen Larry doch längst entdeckt haben.“ Hale beschleunigte seine Schritte. Pete keuchte hinter seinem Partner einher und wurde von Schritt zu Schritt immer nervöser. Alles hatte er dort unten am See erwartet, nur nicht heitere Blasmusik. Und dann hatten die beiden Mordschützen die Schneemänner erreicht. Weit und breit war nichts von Polizei zu sehen. Friedlicher hätte kein winterliches Seeufer sein können. Zwischen den Schneemännern standen die Mitglieder einer kleinen Kapelle und spielten gerade einen zündenden Militärmarsch. Die Kinder rannten eifrig auf die Kapelle zu und begannen mit einer Schneeballschlacht. „Larry is' weg“, stellte Hale Verdutzt fest und deutete verstohlen auf den Schneemann, der vom Rodelschlitten Lady Simpsons gerammt und zerstört worden war. „Das gibt's doch nicht!“ Pete schnaufte und wischte sich einige Nachzügler-
tränen von den kalten Wangen. „Oder ... Oder sollten die beiden Typen ihn weggeschafft haben?“ „Wie denn? Und wohin?“ Hale schüttelte den Kopf. „Über“ den See. Dort 'rüber in die Wälder.“ „Weißt du, was das bedeuten würde, Pete?“ „Im Moment nicht, Hale.“ „Dann können das keine normalen Winterurlauber gewesen sein. Geht dir nicht 'n Licht auf? Dann sind die aus der Branche! Normale Urlauber verstecken doch keine Leiche, die rennen sofort zum nächsten Bullen.“ „Da is' was dran, Hale.“ „Ich hab's!“ Hale hatte eine Erleuchtung. „Die haben Larry zurück in 'nen anderen Schneemann gesteckt. Das ist die Lösung! Auch für die beiden Typen wäre es zu riskant, 'ne Leiche durch diese belebte Gegend zu schleppen. Wir müssen uns die Schneemänner mal genauer ansehen. Ich wette, wir werden Larry in einem finden.“ „Das war' ja glatt geistiger Diebstahl“, erregte sich der rundliche Pete, der die Idee mit dem Schneemann gehabt hatte und stolz darauf war. Er setzte sich sofort in Bewegung und zuckte zusammen, als ein ziemlich hart zusammengepreßter Schneeball auf seinem Hinterkopf landete. Wütend fuhr er herum und sah sich einer Gruppe lachender und ausgelassener Kinder gegenüber. Pete rang sich ein Lächeln ab, um nicht aufzufallen und nahm dann entschlossen die Parade der Schneemänner ab. Hale holte auf und präsentierte ihm einen Skistock. Er riß gerade den geflochtenen Schneeteller unten vom
Stock und zwinkerte seinem Partner dann zu. „Damit pieken wir in die Figuren, die uns verdächtig vorkommen“, sagte er triumphierend. „Wo hast du denn das Ding her?“ wollte der rundliche Hale wissen. „Geklaut, was sonst! Los, Hale. Wenn wir uns beeilen, wissen wir bald Bescheid.“ Hale hatte keine Ahnung, auf welch unglückseligen Gedanken er da gekommen war. Er wußte nichts vom künstlerischen Stolz jener, die Schneemänner bauen. * Pete und Hale glaubten sich unbeobachtet, zumal sie weit hinten am Ende der „Schneemännerallee“ mit ihrer Arbeit begannen. Hale hatte den ersten Schneemann angepiekt und schüttelte den Kopf in Richtung Pete, der die Sicherung dieses Unternehmens übernommen hatte. „Nichts“, sagte Pete. „Habe ich schon gesehen. Der Stock ging wie durch Butter.“ „Irgendwo muß Larry sein.“ Hale bohrte den zweiten Schneemann an, einen sehr hübschen Burschen, dessen Nase aus einer Rübe bestand. Hale drückte den Skistock in den dicken, runden Leib und stocherte herum. „Fehlanzeige“, meldete er Pete. „Macht ja nichts.“ sagte Pete. „Sind ja noch genügend Schneemänner da.“ Sie fühlen sich völlig unbeobachtet, doch eben darin täuschten sie sich gewaltig. Sie ahnten nicht, daß ihr Tun von einer Gruppe Halbwüchsiger mißtrauisch verfolgt wurde. Es handelte
sich um sechs etwa vierzehnjährige Knaben, die bereits miteinander Kriegsrat hielten. Hale befaßte sich gerade mit einem dritten und einem vierten Schneemann, als die Halbwüchsigen zur Attacke übergingen. Sie hatten sich einen ansehnlichen Vorrat an Schneebällen zugelegt. Sie pirschten sich im Schutze der Schneeflocken und Schneemänner an die beiden Mordschützen heran und eröffneten dann ein durchaus gekonntes Störfeuer. Hale kassierte den ersten Volltreffer. Ein Schneeball zerplatzte auf seiner Nase. Da die Halbwüchsigen ihre Wurfgeschosse ausgiebig zusammengeknetet hatten, war der Schneeball wirklich hart. Hales Nase legte sich ein wenig schief. Hale stöhnte auf und ließ den Skistock fallen. Er griff nach seiner sofort blutenden Nase und beugte sich unwillkürlich vor. Dadurch ließ er einem anderen Schneeball freie Fahrt. Das Geschoß zischte knapp über ihn hinweg und klatschte auf das rechte Auge von Pete, das sich sofort schloß. Pete gluckste, wischte sich den wässrigen Schnee aus dem Gesicht und zuckte erneut zusammen, als ihn ein weiterer Schneeball traf. Diesmal wurde sein linkes Auge geschlossen. Hale hatte sich aufgerichtet, doch das hätte er besser nicht getan: Zwei, drei Schneebälle trafen in kurzen Abständen hintereinander auf seinem Gesicht ein. Die Nase legte sich in die andere Richtung und schmerzte noch mehr. Bevor Hale sich die weiße Pracht vom Gesicht fegen konnte, wurde er von einer Vielzahl von Schneebällen erwischt.
Die Halbwüchsigen hatten sich eingeworfen und eröffneten nun das volle Bombardement. Hale und Pete fuchtelten mit ihren Armen in der Luft herum, verloren jede Orientierung und ergriffen jetzt sicherheitshalber die Flucht. Ihnen war allerdings entgangen, daß die Halbwüchsigen nach einer genau festgelegten Taktik vorgingen. Sie hatten die beiden Schneemannschänder eingekesselt und ließen sie im Kreis herumlaufen. Der rundliche Pete stieß wilde Verwünschungen aus, wollte den Sperrkreis durchbrechen und rutschte dabei auf dem glatten Boden aus. Im Fallen umarmte er einen Schneemann, der seinem Gewicht nicht gewachsen war. Zusammen mit dem auseinanderbrechenden Schneegebilde krachte der Rundliche zu Boden und wurde von Schneemassen begraben. Als er sich wieder hocharbeitete, standen drei Halbwüchsige knapp neben ihm und drückten ihn wieder zurück in den Schnee. Pete fluchte und schimpfte. Er schlug um sich und machte dabei alles nur noch schlimmer. Die Erwachsenen, die bisher in der Nähe der Blaskapelle gewesen waren, hörten natürlich den Lärm und hatten den Eindruck, daß ihren Kindern übel mitgespielt wurde. Zusammen mit den Mitgliedern der Kapelle eilten sie herbei, um eine weitere Lagebereinigung vorzunehmen. Hale war von den drei anderen Halbwüchsigen aufs Korn genommen worden. Sie beschäftigten sich fast „liebevoll“ mit ihm. Sie hatten ihm bereits ein Bein gestellt und rücklings in den Schnee fallen lassen. Sie schmetterten ihre Schneegeschosse auf ihn hinunter und deckten ihn damit völlig ein. Hale
hatte schützend die Arme hochgenommen und schirmte sein Gesicht ab. Dann aber schnellte er hoch. Er war ja schließlich ein sportlich durchtrainierter Mann. Er beging dabei den Kardinalfehler, nach einem der Halbwüchsigen zu schlagen. Er erwischte den Jungen an der Schulter, der darauf in hohem Bogen zurückgeworfen wurde. Das mißfiel einem der Blasmusiker, der eben noch Posaune geblasen hatte. Der Mann, ein stämmiger Einheimischer, langte mit seinem Musikinstrument zu und traf die Magenpartie des Mordschützen. Hale vermißte dadurch die so notwendige Luft zum Atmen, er kickste und fiel- dann auf die Knie. Ein Klarinettist beendete das Werk und langte mit seinem Holzinstrument zu. Er traf das Genick des Gangsters, der daraufhin flach und regungslos im Schnee liegenblieb. Pete war inzwischen in Wut geraten. Er befand sich in dem Zustand, einen Mord zu begehen. Er schlug wie wild um sich und übersah den Tubabläser, der sich listig von hinten an ihn heranpirschte. Als Pete das Feixen seiner halbwüchsigen Gegner sah, witterte er Unheil, drehte sich um und sah sich dem weit geöffneten Trichter der Tuba gegenüber. Zu einer Abwehrreaktion war es jedoch zu spät. Der Musiker stülpte den weiten Schalltrichter nachdrücklich und vehement über Petes Kopf. Um Pete wurde es sehr dunkel. Sein Kopf dröhnte wie eine Pauke. Er setzte sich zurück in den Schnee und griff nach dem Rand des Schalltrichters. Er wollte sich das lästige Instrument vom Kopf zerren, doch das gelang ihm nicht recht. Seine
Ohren bildeten eine Sperre, die nicht so leicht zu überwinden war. Inzwischen hatten sich auch die aufgebrachten Eltern eingeschaltet. Sie waren übereinstimmend der Ansicht, daß diesen beiden erwachsenen Wüstlingen eine derbe Lektion erteilt werden mußte. Wie konnten sie sich nur erfrechen, die Schneemänner anzubohren und sogar umzuwerfen? Die Eltern solidarisierten sich also mit ihrem Nachwuchs und langten nun auch herzhaft zu. Nachdem die beiden Mordschützen nach allen Regeln der Kunst mit Schnee abgewaschen worden waren, nachdem man ihre Anzüge mit der weißen Pracht gefüllt hatte, verwendete man Pete und Hale als überdimensional große Eisstöcke. Derb an Händen und Füßen ergriffen, wurden sie durch Schwenken in die erforderliche Grundgeschwindigkeit gebracht und dann hinaus auf das Eis des Waldsees befördert. Dicht hintereinander trudelten sie über das blitzblanke Eis. Zuerst schien Hale das Rennen zu machen, denn er hatte einen kleinen Vorsprung. Doch dann wurde er von dem rundlichen Pete überholt, der durch die Schneefüllung eines Skidresses wie eine große Kugel aussah. Pete wischte also an seinem Partner vorüber und übernahm die Spitze. Dazu spielte die Blasmusik muntere Weisen. Hier draußen im Ferienparadies Aviemore wußte man wirklich noch Feste zu feiern. * „Ich möchte auf keinen Fall aufdringlich erscheinen, Mylady“, sagte Josuah Parker würdevoll, „doch ich möchte
nicht verhehlen, daß mit gewissen Schwierigkeiten zu rechnen ist.“ „Was haben Sie denn jetzt schon wieder?“ fragte Agatha Simpson unwirsch. Sie hatte sich von Parker einen starken Teepunsch servieren lassen, dessen Alkoholprozente den Teeanteil bei weitem übertrafen. „Falls es gestattet ist, möchte ich noch mal auf den Toten verweisen, Mylady.“ „Nun sagen Sie schon endlich, daß Sie am liebsten die Polizei verständigen würden.“ „In der Tat, Mylady! Solch einen Fund sollte man tunlichst nicht unterschlagen.“ „Dann geben wir alle Trümpfe aus der Hand, Mr. Parker.“ Die Detektivin sah ihren Butler grollend an. „Schließlich ist das mein Fall! Wer hat denn, den Schneemann gerammt und die Leiche gefunden? Etwa die Polizei?“ „Die Behörden werden im Gegensatz zu unseren privaten Bemühungen wesentlich schneller eruieren können, wer der Tote ist, Mylady. Ohne solch eine Identifikation aber lassen sich kaum wertvolle Schlüsse ziehen.“ „Und wenn die Polizei das findet, wonach wir suchen?“ „Mylady rechnen immer noch damit, so etwas wie einen Mikrofilm zu finden?“ „Daran zweifeln Sie noch, Mr. Parker?“ Agatha Simpson sah ihren Butler fast empört an. „Habe ich Ihnen nicht schon gesagt, daß der Fall für mich so gut wie gelöst ist?“ „In der Tat, Mylady.“ Parker blieb höflich und geduldig. „Darf ich aber weiter darauf verweisen, daß gerade im Fall eines Mikrofilms das Finden an
sich größere Schwierigkeiten bereiten wird?“ „Seit wann fürchten Sie sich vor einer Leiche?“ Die resolute Dame nahm einen herzhaften Schluck aus ihrem Punschglas und ließ ihn genußvoll auf der Zunge zergehen. „Ich bin so frei, an eine gewisse Arbeitsteilung zu denken“, gab Josuah Parker zurück. „Myladys Querverbindungen zu einschlägigen Behörden sind, wenn ich es so umschreiben darf, exorbitant.“ „Wie war das?“ Agatha Simpson hatte nicht konzentriert zugehört. „Besonders eng und hervorragend“, wiederholte Parker. „Warum soll die zuständige Polizei nicht die sogenannte Kleinarbeit übernehmen, während Mylady sich dann auf den eigentlichen Fall konzentrieren könnten?“ „Das klingt endlich besser, Mr. Parker. Geben Sie mir noch etwas von dem Punsch, der übrigens auch schon einmal besser war. Schmeckt auf die Dauer etwas schal. Sie sollten noch einen Schuß Rum hinzugeben.“ „Falls ich Mylady richtig verstanden habe, bestehen Mylady also darauf, daß die Polizei verständigt wird?“ „Davon rede ich doch die ganze Zeit“, lautete die verblüffende Antwort Lady Simpsons, als sei sie schon immer dafür gewesen. „Ich habe doch keine Lust, mich mit Kleinigkeiten abzugeben. Mich interessiert nur die große Linie.“ Josuah Parker wollte sich gerade zum Telefon hinüberbemühen, als draußen vor der Tür des Ferienhauses Schritte und Stampfen zu hören waren. Butler Parker schaute nach und sah sich Kathy Porter gegenüber, der Sekretärin und
Gesellschafterin der Lady Agatha Simpson. Sie war etwas über mittelgroß, schlank und rank, hatte unwahrscheinlich lange Beine und sah sehr attraktiv aus. Mit ihrem kastanienroten Haar, dem fein geschnittenen Gesicht, den ausdrucksvollen Augen und dem schön geschwungenen Mund hätte sie jedes Topmodell ausgestochen. Dabei wirkte Kathy Porter keineswegs aggressiv, was ihren Charme anbetraf, sie erinnerte eigentlich mehr an ein etwas scheues Reh. Dieser Eindruck hatte manchen Mann schon falsche Schlüsse ziehen lassen. Kathy Porter konnte sehr viel Temperament entwickeln und war in sämtlichen Künsten der Selbstverteidigung eine Meisterin. Hinzu kam ihre Fähigkeit, sich blitzschnell in einen anderen Menschen verwandeln zu können. Mit nur ganz wenigen Hilfsmitteln vermochte sie ihr Aussehen zu verändern. Sie war Vamp, wenn es sein mußte, großes, hilfloses Kind, strenge Sekretärin oder auch hilflose kleine Frau. Jetzt allerdings, als sie vor Parker stand, lachte sie amüsiert. „Ich freue mich, Miß Porter, Sie in solch guter Laune zu sehen“, meinte Parker, „darf ich unterstellen, daß sie nicht grundlos ist?“ „Ich habe gerade zwei komische Männer gesehen“, antwortete Kathy Porter. „Einer von ihnen mühte sich mit einer Tuba ab, deren Trichter man ihm über den Kopf getrieben haben mußte. Der zweite Mann kämpfte gegen gut ein Dutzend Halbwüchsige, die mit ihm eine Schneeballschlacht veranstalteten.“ „Sollten die erwähnten beiden Männer sich aus einem bestimmten Grund den
Unmut dieser halbwüchsigen Kinder zugezogen haben?“ „Das kann man wohl sagen“, entgegnete Kathy und lachte erneut los. „Sie stocherten mit einem Skistock in Schneemännern herum.“ „Eine seltsame Beschäftigung“, stellte Parker fest. „Sie wissen, wohin die beiden Männer flüchteten?“ „Sie wohnen in einem kleinen Ferienhaus auf der anderen Hangseite“, erklärte Kathy Porter. „Wahrscheinlich werden sie dort inzwischen belagert.“ „Ein wertvoller Hinweis, Miß Porter“, Parker war sofort klar, um welche Zusammenhänge es da ging. Die beiden Männer konnten nicht ohne Grund die Schneemänner durchlöchert haben. Wahrscheinlich hatten sie einen ganz bestimmten Inhalt gesucht. „Ein neuer Fall?“ erkundigte sich Kathy Porter, die sofort hellhörig geworden war. „Sie werden die Vorgeschichte wahrscheinlich mit größtem Vergnügen zur Kenntnis nehmen“, gab Parker zurück. „Mylady hatten einen äußerst erfolgreichen und dabei aktiven Morgen.“ * Inspektor Molpers von der Kriminalabteilung in Inverness, ein Mann mit einem Durchschnittsgesicht und grauen, kühl blickenden Augen, kam sich veralbert vor. Er hatte sich gerade die Geschichte angehört, die Agatha Simpson ihm von einem Schneemann erzählt hatte, in dem sich also eine männliche Leiche befinden sollte. Der Inspektor hatte im Lauf der Jahre schon manche verrückte Geschichte gehört und mußte sich auch
immer wieder mit dem sagenhaften Ungeheuer von Loch Ness herumschlagen, doch diese Schneemanngeschichte war seit langer Zeit einsame Spitze. Er befand sich zusammen mit Lady Simpson und Josuah Parker in der Halle des großen Ferienhotels, wohin er von Parker gebeten worden war. Lady Simpson hatte die Wahrheit, um es höflich auszurücken, ein wenige persönlich gefärbt. Vom ersten Schneemann, den sie durch ihre Rodelkünste gerammt hatte, war gar nicht die Rede gewesen. Laut Lady Agatha hatte sie nach einer Rodelfahrt zwei Männer am Seeufer beobachtet, die in einem engen, schmalen Seitental eine männliche Leiche in einen Schneemann verwandelt hatten. So lautete ihre Geschichte, die Inspektor Molpers jetzt zu verdauen hatte. Man sah es ihm deutlich an, daß er an ihr ordentlich zu schlucken hatte. „Sie können die Angaben natürlich bestätigen?“ Er wandte sich an Josuah Parker, der schweigend zugehört hatte. „Was soll denn das heißen, junger Mann?“ raunzte die Detektivin den Inspektor an. „Zweifeln Sie etwa an meinen Worten?“ Der junge Mann' war immerhin fast fünfzig Jahre alt. Als er jetzt von der älteren Dame energisch angefahren wurde, zuckte er zusammen und wurde an seine Militärzeit erinnert. Da hatte es einen Sergeant gegeben, dessen Stimme ähnlich grollend gewesen war. Inspektor Molpers nahm unwillkürlich Haltung an. „Verzeihung, Mylady“, entschuldigte er sich hastig. „Es könnte sich ja um, sagen wir, eine optische Täuschung gehandelt haben.“
„Ich täusche mich optisch niemals, junger Mann!“ „Es handelt sich in der Tat um einen Schneemann samt Inhalt“, sagte Butler Parker schnell, um seine Herrin etwas zu dämpfen. „Man sollte sich bewußten Schneemann ansehen, wenn ich mir diesen Rat erlauben darf.“ „Aber vorher werden Sie sich mit Superintendent McWarden vom Yard in Verbindung setzen“, verlangte Agatha Simpson grimmig. „Er wird Ihnen bestätigen, daß Sie es nicht mit blutigen Laien zu tun haben. Worauf warten Sie noch? Das Telefon steht dort drüben in der Halle.“ „Sehr wohl, Mylady!“ Inspektor Molpers sprang auf, nahm Haltung an und eilte hinüber zu den Telefonboxen. „Hat man denn das schon erlebt!“ Lady Simpson schnaufte ärgerlich. „Glaubt dieser Bursche tatsächlich, man hätte ihm ein Märchen aufgebunden!“ „Nun, ein wenig ,frisiert', um diesen Ausdruck zu gebrauchen, Mylady, war die Wahrheit schon.“ Parker nahm den Inspektor in Schutz. „Papperlapapp, Mr. Parker. Was ist schon Wahrheit?“ Agatha Simpson machte eine abfällige Handbewegung. „Sie ist stets relativ. Ich will hoffen, daß McWarden diesem Inspektor ein paar freundliche Worte sagen wird.“ Superintendent McWarden vom Londoner Yard wußte um die Qualitäten von Lady Simpson, Butler Parker und Kathy Porter. Das Trio hatte ihm in der Vergangenheit schon manchen Fall lösungsreif zugeliefert. Wie beeindruckt Inspektor Molpers war, zeigte sich schon recht bald. Er kam zurück zur Sitzecke.
„Wenn Sie einverstanden sind, Mylady, sollten wir sofort losfahren“, sagte er. „Superintendent McWarden läßt übrigens schön grüßen.“ „Schwindeln Sie nicht, junger Mann“, meinte die Lady und gab sich belustigt. „Wahrscheinlich hat er mir die Pest an den Hals gewünscht. Aber vertiefen wir das nicht. Nun kommen Sie schon endlich. Daß Männer immer so schrecklich umständlich und langsam sein müssen!“ Sie erhob sich aus ihrem Sessel und marschierte mit ihren großen Füßen aus dem Hotel. Sie trug jetzt einen wadenlangen, derben Rock, völlig unpassende Gummistiefel und eine mehr als hüftlange Jacke. Mylady hätte auf jedem Fischmarkt eine gute Figur als Verkäuferin abgegeben. „Wird mein Dienstwagen es bis runter zum See schaffen?“ erkundigte sich der Inspektor und zeigte auf sein Fahrzeug. „Wer redet von Ihrem Wagen?“ Agatha Simpson schüttelte energisch den Kopf. „Wir nehmen Mr. Parkers Konstruktion.“ „Wenn ich bitten darf, Sir.“ Josuah Parker zeigte auf sein hochbeiniges Monstrum. Es handelte sich um ein ehemaliges Londoner Taxi, das allerdings nach seinen sehr speziellen Wünschen und Vorstellungen umfrisiert worden war. Im Grund war dieses Taxi bis auf sein Äußeres eine technische Neukonstruktion, eine Trickkiste auf Rädern, ein Rennwagen und geländegängiger Jeep zugleich. Inspektor Molpers wagte keinen Widerspruch. Von Superintendent McWarden hatte er gerade am Telefon erfahren, mit wem er es zu tun hatte. Molpers war fest entschlossen, erst mal mitzuspielen. Im Grund glaubte er nach wie vor nicht
an diesen ,gefüllten' Schneemann. Die ältere Dame mußte sich geirrt haben. Wahrscheinlich hatte die Phantasie ihr einen Streich gespielt. Laut Superintendent McWarden sollte diese Lady Simpson ja eine sehr skurrile und mit Vorsicht zu behandelnde Dame sein. Inspektor Molpers setzte sich mit innerem Widerstreben in das hochbeinige Monstrum. Sekunden später bereute er allerdings sein Nachgeben. Dieser komische Butler da vorn am Lenkrad schien von Schneeglätte und Rutschgefahr noch nie etwas gehört zu haben. Er schwenkte sein Gefährt auf abenteuerliche Art und Weise durch das Gelände, schlidderte über die Seeuferstraße und rodelte dann förmlich mit seinem Wagen hinunter zum See. „Warum trödeln Sie eigentlich so, Mr. Parker?“ erkundigte sich Agatha Simpson bei ihrem Butler. „Geht das nicht alles ein bißchen schneller?“ „Wie Mylady wünschen.“ Parker nickte andeutungsweise und steigerte das Tempo. Das hochbeinige Monstrum jagte auf eine Kehre zu und wurde immer schneller. „O nein, bitte!“ Inspektor ' Molpers klammerte sich am Haltegriff fest. „Hinter der Kehre geht es fast senkrecht nach unten.“ „Papperlapapp“, meinte Agatha Simpson wegwerfend. „Sie haben doch nicht etwa Angst oder?“ „Doch, Mylady“, gestand der schwitzende Inspektor, der sich schwor, den Rückweg zu Fuß zu machen. „Und ob ich Angst habe! Ich würde eigentlich gern aussteigen.“ „Nun haben Sie sich nicht so“, fuhr Lady Simpson den entnervten Mann grollend an. „Das ganze Leben ist ein
einziges Risiko. Nach dem Aussteigen können Sie ausrutschen und sich das Genick brechen. Sagen Sie mir lieber, wie lange Sie brauchen, um die Leiche im Schneemann zu identifizieren?“ „Die nächste Kurve ist riesig gefährlich“, stöhnte Molpers auf und verkrampfte sich. „Selbst im Sommer gibt es dort immer wieder Unfälle.“ „Wir haben jetzt schließlich Winter, junger Mann.“ Agatha Simpson konnte die Angst des Inspektors nicht verstehen. Sie wußte natürlich, wie gut und traumhaft sicher ihr Butler sich mit dem Wagen bewegte. Sie fühlte sich wohl wie in Abrahams Schoß. Molpers öffnete erst wieder die Augen, als sie die untere Seestraße erreicht hatten. Sein Gesicht war kreidebleich. Dicke Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Dankbar rollte er sich aus dem Wagen und ließ die Kälte auf sich einwirken. Er bekräftigte innerlich seinen Schwur, den Rückweg zu Fuß zurückzulegen. Er folgte Lady Simpson und dem vorausgehenden Butler in das schmale Seitental. Parker deutete mit der Spitze seines Universal-Regenschirms auf den Schneemann, den er nach seinen künstlerischen Vorstellungen geformt hatte. „Und darin soll eine Leiche stecken?“ Inspektor Molpers hatte seine Handlungsfähigkeit zurückgewonnen und war nun ehrlich neugierig geworden. „Mr. Parker und ich haben deutlich gesehen, wie die beiden Männer die Leiche darin verpackten“, antwortete Lady Simpson abweichend von der Wahrheit. Schließlich hatten sie und Parker die gefundene Leiche hier nochmals „verpackt“.
Inspektor Molpers machte sich sofort an die Arbeit. Er warf sich gegen das etwas surrealistisch wirkende Kunstwerk und brachte es zum Einsturz. Er trat zurück und sah aus zusammengekniffenen Augen auf den zerstörten Schneemann. Von einem Toten war nichts zu sehen. „Ich ... Ich sehe keine Leiche“, stellte er dann fest. „Das ist doch eine ausgemachte Frechheit“, erregte sich die Detektivin und wandte sich an ihren Butler. „Die Leiche ist verschwunden. Was sagen Sie denn dazu, Mr. Parker?“ „Ich bin das, Mylady, was man gemeinhin beeindruckt zu nennen pflegt“, entgegnete der Butler. „Nach Lage der Dinge dürfte man den Toten wieder entfernt haben!“ * Kathy Porters Situation war nicht gerade beneidenswert. Sie stand unter der strömenden Dusche und griff jetzt hastig nach dem Plastikvorhang. Die beiden Männer, die im Badezimmer erschienen waren, brauchten schließlich nicht jede Linie ihres Körpers in Augenschein zu nehmen. Sie hielten schallgedämpfte Revolver in Händen und machten einen durchaus entschlossenen Eindruck. „Nimm' die kleinen Patschhändchen hoch, Süße“, sagte Pete, der untersetzte, rundliche Gangster genußvoll. Er grinste breit und fühlte sich dabei maßlos überlegen. Er vergaß darüber sogar das Reißen und Brennen seiner von einer Tuba mißhandelten Ohren. „Ich ... Ich bin doch nackt“, gab Kathy Porter entsetzt zurück. Sie ahnte natür-
lich, wen sie da vor sich hatte. Sie hatte die beiden Männer ja draußen am See gesehen. Zudem waren sie ihr von Butler Parker sogar avisiert worden. Er rechnete damit, daß sie früher oder später hier im Ferienhaus der Agatha Simpson auftauchen würden. „Nun mach schon!“ fuhr Hale sie an. „Hände hoch!“ Kathy Porter wandte sich ab und streckte wunschgemäß ihre Arme hoch in die Luft. Dabei ließ sie den linken Teil des Plastikvorhangs los und gewährte den beiden Eindringlingen Blicke auf ihr Körperprofil. Pete und Hale waren natürlich sofort tief beeindruckt. Sie atmeten schneller, zwinkerten sich zu und hatten das Gefühl, den genau richtigen Zeitpunkt für diesen Besuch gewählt zu haben. Sie hatten gesehen, daß Lady Simpson und ihr Butler das Haus verlassen hatten. Nun gab es für sie hier freie Bahn auf der ganzen Linie. „Nun komm schon, Puppe“, forderte Pete Lady Simpsons Gesellschafterin auf. „'raus aus der Dusche. Wir haben da ein paar Fragen, die geklärt werden müssen.“ „Kann ich ... Kann ich das Badetuch haben?“ fragte Kathy schüchtern und ängstlich. „Soll sie?“ Pete sah sich fragend zu dem etwas hinter ihm stehenden Hale um. „Auf keinen Fall“, entschied Hale sofort. „Das kann ein mieser Trick sein. Man kann nicht vorsichtig genug sein.“ „Aber ... Aber ich bin doch nackt“, wiederholte Kathy ganz bewußt noch einmal. „Das stört mich nicht“, erwiderte Pete sofort.
„Wird's bald?“ brüllte Hale verhalten und drohend. Er grinste zufrieden, als die junge Frau daraufhin zusammenfuhr, sich im Vorhang verhedderte und sogar das Gleichgewicht verlor. Sie rutschte aus, stieß einen Schrei aus und fiel dann nach vorn, genau auf die beiden Männer zu. Pete war schneller als Hale. Der Rundliche breitete freudig seine Arme weit aus, um den weichen, schlanken Körper in Empfang zu nehmen. Kathy Porter fiel genau in diese Arme, klammerte sich an Pete fest und taumelte zusammen mit ihm gegen die gekachelte Wand. Petes Hinterkopf kam mit der harten Wand in so innige Berührung, daß sein Schädel plötzlich wie eine mißhandelte Kesselpauke dröhnte. Synchron dazu spürte er die Hände der jungen Frau, die sich um seinen Nacken spannten. Die Finger dieser Hände erwiesen sich dabei als ungewöhnlich stark. Sie glichen Stahlklammern, gegen die er nichts mehr auszurichten vermochte. Pete ging mit einiger Verspätung auf, daß er auf einen raffinierten Trick dieser jungen Frau hereingefallen war. Er wollte seinen Partner warnen, wollte schreien, schnappte nach Luft, die ihm plötzlich so dringend fehlte, bäumte sich auf und verlor dann sein Bewußtsein. Hale hatte die Einzelheiten dieser innigen Berührung überhaupt nicht richtig mitbekommen. Er grinste, schaute auf Pete hinunter, der unter der nackten Schönheit lag und registrierte nur die zappelnden Abwehrbewegungen der jungen Frau. Sie wollte aufstehen und sich von Pete befreien, doch er ließ nicht los.
„Stop“, sagte Hale schließlich, der nicht zu kurz kommen wollte, „stop, Pete, Fortsetzung später. Los, laß sie frei!“ Sie erhob sich, verschränkte schamhaft die Arme vor ihrer Brust, sah ihn ängstlich an und sorgte dafür, daß er Petes Gesicht nicht erkennen konnte. Langsam drückte sie sich hoch und streckte dazu hilfesuchend ihren linken Arm aus. Hale war in diesem Falle endlich mal kein Unmensch, obwohl es ihm normalerweise auf ein Menschenleben mehr oder weniger nicht ankam. Er griff nach der Hand und... verlor im gleichen Moment auch schon sein Gleichgewicht. Die junge Frau verdrehte ihm den Unterarm, und zog ihn gleichzeitig zu sich heran. Dieser Angriff erfolgte derart konzentriert und gekonnt, daß Hale nach vorn gerissen wurde und mit dem Kopf ebenfalls gegen die Kachelwand knallte. Er wollte sich noch einmal hochrappeln, doch er verzichtete dann darauf, als ihn die Handkante der jungen Frau traf. Kathy Porter stand auf, nahm erst mal die beiden Schußwaffen an sich und schlüpfte dann in ihren Bademantel und holte aus dem Hauptraum des Ferienhauses die Reiseapotheke Mr. Parkers. Sie bemühte sich mit einem Meter Klebeplast, die Handgelenke der beiden Gangster miteinander zu verbinden. Die Füße der beiden Männer verschnürte sie sorgfältig mit Gardinenschnur. Kathy Porter durchsuchte den Tascheninhalt der beiden Männer und legte alles auf den Badehocker. Eine nähere Sichtung der Fundstücke konnte später erfolgen. Inzwischen kam Pete wieder zu sich. Sein Gesicht, das eben noch glücklich-
verklärt gewesen war, verdüsterte sich. Er stierte auf seine gefesselten Hände und richtete sich ruckartig auf. „Bist du wahnsinnig?“ fragte er dann mit belegter Stimme. „Weißt du überhaupt, was du getan hast?“ „Natürlich“, gab Kathy selbstverständlich zurück. Dann kümmerte sie sich nicht weiter um ihn, sondern bürstete ihr kastanienrotes, langes Haar haus. „Das wirst du noch bereuen, Puppe“, drohte Pete wütend. Da Kathy Porter nicht antwortete, trat er mit seinen gefesselten Füßen nach Hale, der auf diese , Art und Weise schneller wieder zu sich kam und ebenfalls reichlich verdutzt aus der Wäsche schaute, als er seine Lage erkannte. „Die Puppe hat uns 'reingelegt“, beschwerte sich Pete. „Schneid' uns sofort 'los“, verlangte nun Hale gereizt., „Mach bloß, Süße, sonst kannst du was erleben!“ Kathy Porter reagierte immer noch nicht. Sie verließ das Badezimmer, ließ die Tür halb geöffnet und summte vergnügt ein Lied. Wenig später hörten die beiden Helden, daß die junge Frau das Fernsehgerät eingeschaltet hatte. Es gab die Widerholung einer Musikshow, und Pete und Hale kamen so in den Genuß gängiger Schlager. Sie hielten davon allerdings nicht viel. „Der Falke bringt uns um“, flüsterte Pete seinem Partner zu. „Der braucht ja nichts zu erfahren. Wenn wir erst mal wieder frei wären! Dann brächte ich die Puppe um!“ „Ich zieh ihr die Haut ab“, schwor Pete. „Aber mal 'ne ganz andere Frage, Hale. An wen sind wir hier geraten?
Etwa sowas wie 'ne schmutzige Konkurrenz?“ „Sieht so aus! Die Kleine ist auch hinter den Klunkern her.“ „Dann auch die Alte und ihr Butler.“ „Du merkst aber auch alles! Wie kommen wir jetzt frei? Wir müssen weg. Larry darf uns nicht durch die Lappen gehen. Mann, hätte ich mich doch nie auf diesen ganzen Mist eingelassen.“ Pete und Hale unterhielten sich leise miteinander und hatten keine Ahnung, daß Kathy Porter sie belauschte. Sie stand dicht hinter der halb geöffneten Badezimmertür und registrierte jedes Wort. Das Einschalten des Fernsehgeräts war nur ein Trick gewesen, um die beiden Männer in Sicherheit zu wiegen. „Ob wir mit ihr verhandeln können?“ fragte Pete inzwischen seinen Partner. „Kommt auf einen Versuch an. Ich werde sie mal rufen.“ Hale rief und rief, doch er erhielt keine Antwort. Die junge Frau schien sich ausschließlich für die Show zu interessieren. „Sie kommt“, stöhnte Pete schließlich erleichtert auf, als er kräftige Schritte hörte. Er wälzte sich auf die Seite und ... schloß ergeben die Augen. Mit diesem Anblick hatte er nicht gerechnet. In der Tür zum Badezimmer stand Agatha Simpson, deren Augen sehr vergnügt und animiert funkelten. „Sie werden gleich echte Gastfreundschaft erleben“, sagte sie. „Ihnen sollen die Augen übergehen. Diesen Nachmittag werden Sie bestimmt nie wieder vergessen.“ * „Falls Mylady gestatten, würde ich die von Miß Porter wahrgenommenen
Stichworte noch mal wiederholen“, schickte Josuah Parker voraus und richtete sich auf. Er hatte seiner Herrin gerade wieder eine kleine Kreislauferfrischung serviert. „Sie lauten ,Klunker, Falke, Larry und Konkurrenz', wenn ich richtig verstanden habe.“ „Das waren die Stichworte, Mr. Parker.“ Kathy nickte. „Und sie sind leicht zu deuten“, meinte Lady Agatha. „Man geniert sich ja fast, sie in einen Zusammenhang zu stellen. ,Klunker', nun, das kann nur Schmuck bedeuten, Juwelen, Diamanten oder sonst irgendwas in dieser Richtung.“ „In der Tat, Mylady.“ Parker nickte nur andeutungsweise. „,Falke' heißt soviel wie Bandenchef.“ Die Detektivin lief zur großen Form auf. „Der Mann hinter diesen beiden Flegeln im Badezimmer nennt sich aus Gründen der Tarnung einfach ,Falke'. Wollen Sie etwa widersprechen, Mr. Parker?“ „Keineswegs, Mylady, solch eine Kühnheit würde ich mir nie erlauben.“ »Wenn Sie mich auf den Arm nehmen wollen, Mr. Parker, werde ich ärgerlich.“ Sie funkelte ihren Butler an. „Auch dazu würde ich mich niemals hinreißen lassen, Mylady, wie ich Ihnen versichern darf.“ „Das möchte ich Ihnen auch dringend geraten haben.“ Agatha Simpson war ein wenig aus dem Konzept gebracht worden, zumal Kathy Porter ungeniert schmunzelte. „Äh, wo waren wir? Klunker und Falke habe ich schon gedeutet. Richtig, der Name Larry. Dabei kann es sich nur um die Leiche im Schneemann handeln.“ „Das glaube ich auch, Mylady“, sagte Kathy Porter schnell, bevor Butler Par-
ker wieder eine seiner Höflichkeitsfloskeln sagen konnte. Sie wußte nur zu gut, daß Lady Simpson sie gern mißverstand. „Bleibt noch das Stichwort Konkurrenz“, schloß diese, nachdem sie einen abwartend-mißtrauischen Blick auf den Butler geworfen hatte. „Damit dürften wir wohl gemeint sein, oder?“ „Ich möchte unmißverständlich erklären, daß ich mir erlaube, Myladys Deutungen zu teilen“, ließ Parker sich vernehmen. Die beiden Herren im Badezimmer gehören einer Bande an, die von einem gewissen ,Falken' geleitet wird. Der Tote, der ,Larry' heißen dürfte, muß sich im Besitz von sogenannten ,Klunkern' befunden haben, die noch nicht gefunden werden konnten. Die Bande des Falken rechnet mit den Aktionen einer Konkurrenzbande, die sich demnach bereits hier in Aviemore befindet.“ „Das sage ich doch die ganze Zeit“, warf Agatha Simpson ein. „Die beiden Flegel im Badezimmer werden uns jetzt sagen, wer der ,Falke' ist. Alles weitere ist dann nur noch eine Kleinigkeit.“ „Hier ist der Tascheninhalt der beiden Männer.“ Kathy Porter deutete auf den Couchtisch, auf dem jetzt die Habseligkeiten von Pete und Hale lagen. Es handelte sich um einige wenige Unterlagen, aus denen hervorging, daß sie Pete Forster und Hale Cantner hießen. Dies ging vor allen Dingen aus den Buchungsduplikaten für die Anmietung des Ferienhauses der beiden Gangster hervor. Darin bezeichneten sie sich, was ihren Beruf anbetraf, als Autoverkäufer. Es gab ergänzende Papiere, die den Namen dieser Autofirma nannten. Der Sitz dieser Firma war London, sie be-
faßte sich mit dem An- und Verkauf von Gebrauchtwagen und wies einen Mr. John Hardow als Besitzer aus. Da waren weiter einige bereits beschriebene Ansichtskarten, die die Unterschrift von Pete Forster und Hale Cantner trugen. Sie waren adressiert an Frauen, die in London wohnten. Die Texte auf diesen Ansichtskarten waren banal und nichtssagend, wie es sich für solche Grüße gehörte. Die Menge des Bargeldes in beiden Brieftaschen hielt sich in Grenzen. Jeder der beiden Gangster verfügte über Kreditkarten und Reiseschecks. Hinzu kamen einige Quittungen, die darauf schließen ließen, daß Pete Forster und Hale Cantner seit etwa drei Tagen hier in Aviemore sein mußten. „Wollen Sie etwa wieder diesen Inspektor informieren?“ erkundigte sich Lady Simpson bei ihrem Butler. „Nur, wenn Mylady darauf bestehen.“ „Und was soll mit den beiden Männern geschehen?“ wollte Kathy Porter wissen. Bevor Agatha Simpson sich dazu näher äußern konnte, erklang aus dem Badezimmer das Brechen und Splittern von Glas. Butler Parker eilte in den schmalen Korridor, wobei er natürlich darauf achtete, nichts von seiner gemessenen Würde aufzugeben. Er war froh, daß die beiden Männer es endlich geschafft hatten, sich ihrer Fesseln zu entledigen. Seiner Ansicht nach hatten sie dazu erstaunlich viel Zeit gebraucht und sich wahrscheinlich ungeschickt angestellt. Butler Parker hatte Hale und Pete nämlich aus guten Gründen eine kleine Nagelschere zurückgelassen und zwar in erreichbarer Nähe. Er war an einer Be-
fragung und an einem längeren Aufenthalt der beiden Gangster überhaupt nicht interessiert. In Freiheit führten sie viel schneller und direkter zu ihrem Auftraggeber. Er öffnete die Tür und spähte in das Badezimmer. Hale und Pete hatten sich tatsächlich abgesetzt und sich aus Gründen der Schnelligkeit durch das Badezimmerfenster gezwängt, dessen Scheibe sie dazu zertrümmert hatten. Parker wandte sich ab, um seiner Herrin Bericht zu erstatten. Daß ihn einige spitze Bemerkungen erwarteten, störte ihn nicht weiter. Wenn es sein mußte, war er hart im Nehmen. * „Ich hab' keine Ahnung, warum dieser irre Butler die Nagelschere hingelegt hat“, sagte Pete eine halbe Stunde später. Er befand sich zusammen mit seinem Partner Hale im gemieteten Ferienhaus und erfrischte sich mit einem Whisky. „Er hat das Ding aber absichtlich zurückgelassen“, stellte Hale fest. „Er wollte, daß wir abhauen konnten, Hale.“ Pete nickte gedankenschwer und wanderte durch den Wohnraum. „Vielleicht will er diese verrückte Alte 'reinlegen.“ .. „Wir sollten mit dem Falken reden“, schlug Hale vor. „Die ganze Geschichte sieht mir verdammt nach Glatteis aus.“ „Ich werde mich sofort ans Telefon klemmen.“ Pete war sofort einverstanden und setzte sein Whiskyglas ab. Nein, bis gegen Abend konnten sie nach diesem Zwischenfall wirklich nicht mehr warten. Allein kamen die beiden Gangster nicht zurecht. Sie brauchten
jetzt eindeutige Befehle, sie mußten wissen, wie sie sich weiter verhalten sollten. Pete und Hale waren im Grund doch nur zwei Roboter, die ihr Programm brauchten, um überhaupt zu funktionieren. Pete hatte den Telefonhörer noch nicht in der Hand, als plötzlich von der Tür her ein berstendes Krachen und Reißen zu vernehmen war. Automatisch griff er nach seinem Schulterhalfter und merkte erst jetzt, daß darin ja keine Waffe war. Er hatte sie im Haus dieser komischen Alten zurücklassen müssen. Hale reagierte ebenfalls umgehend. Für solch eine Überraschung stimmte sein inneres Programm noch völlig. Er hechtete sich ins Nebenzimmer, in dem die Betten standen, doch mitten in dieser Bewegung wurde er wie von einer unsichtbaren Faust zur Seite, geschmettert. Er schrie auf und faßte — bereits auf dem Boden liegend — nach seinem linken Oberarm. Er war von einem Schuß erwischt worden. Pete blieb starr stehen und musterte die beiden Männer, die sich gewaltsam Zutritt ins Ferienhaus verschafft hatten. Sie waren mittelgroß, sahen durchschnittlich aus und wußten ihre Handfeuerwaffen routiniert zu tragen. „Laßt den Blödsinn, Jungens“, sagte der kleinere der beiden Männer, der einen Schnauzbart trug. „Wir sind gar nicht wild darauf, euch umzupusten“, sagte der zweite Besucher, einen halben Kopf größer als sein Partner. Dieser Mann hatte eine freundliche Stupsnase, die aber so gar nicht zu seinen kalten Augen paßte. „Wer... Wer seid ihr?“ fragte Pete.
„Wer wohl?“ Die Stupsnase grinste abfällig über soviel Dummheit. „Wir kommen von der Konkurrenz.“ „Liegt doch auf der Hand, oder?“ fragte der Schnauzbart. „Wir werden jetzt ganz unauffällig 'raus vors Haus gehen, klar? Und dann machen wir 'ne kleine Winterfahrt durch den Schnee.“ „Und ... Und warum?“ Pete sah zu seinem Freund Hale hinüber, der behutsam aufstand und seinen linken Arm untersuchte. Es mußte sich um einen Streifschuß handeln, denn er konnte den getroffenen Arm immerhin noch bewegen. „Wir suchen was, was wir nich' finden können“, sagte jetzt die Stupsnase. „Vielleicht schaffen wir's gemeinsam, oder?“ „Larry?“ Pete war überhaupt nicht wild auf den geplanten Ausflug. Wie so etwas zu enden pflegte, war ihm bekannt. „Stell' dir vor, Larry!“ Der Schnauzbart nickte. „Der Junge scheint sich in Luft aufgelöst zu haben.“ „Ich weiß, wer ihn geklaut hat“, sagte Pete hastig. „Da ist so eine verrückte Alte mit 'nem irren Butler und 'ner tollen Biene als Sekretärin.“ „Das kannst du uns alles unterwegs erzählen“, meinte der Schnauzbart. „Kommt jetzt, Jungens! Ich weiß, daß ihr keinen Ärger machen werdet.“ Pete sah ein, daß hier nichts zu machen war. Als er nach seinem Mantel greifen wollte, schüttelte die Stupsnase gelangweilt den Kopf. „Sowas brauchen wir nicht, wir haben 'nen warmen Wagen“, sagte er dann scheinheilig. „Ihr werdet euch so richtig prima fühlen, Jungens.“
Dieser Ansicht war Pete allerdings nicht, als er den vor dem Ferienhaus parkenden Wagen sah. Es handelte sich um einen Kühltransporter für Wild und Geflügel, wie die Aufschrift auf dem Kastenaufbau verriet. „Da drin is' es noch fast wärmer als draußen“, erklärte der Schnauzbart ironisch, als er Petes Zögern bemerkte. „Ihr werdet euch wundern.“ * Josuah Parker mußte sich entscheiden. Er hatte die Szene vor dem Haus der beiden Gangster Pete und Hale genau beobachtet. Sie stiegen jetzt in den Kastenaufbau des Kühlwagens, dessen hintere Ladetür dick isoliert war. Ein Mann mit Schnauzbart und ein zweiter mit einer Stupsnase sorgten ziemlich unauffällig dafür, daß es dabei keinerlei Ärger gab. Sie zeigten zwar keine Schußwaffen, doch sie führten sie mit Sicherheit bei sich. Freiwillig sahen sich Pete und Hale das Innere des Kühlwagens sicher nicht an. Parker hätte möglicherweise eingreifen können. Er führte schließlich seinen Universal-Regenschirm mit sich. Er beschloß jedoch, dieses Eingreifen noch etwas hinauszuzögern. Er wollte herausfinden, wohin die Fahrt des Kühlwagens ging. Zwei miteinander verfeindete Gangstergruppen schienen sich hier in die Haare geraten zu sein. Parker hatte also eine echte Chance herauszufinden, um was es eigentlich ging. Der Hinweis auf Klinker reichte ihm nicht. Der Kühlwagen setzte sich in Bewegung.
Butler Parker entschied sich also. Und zwar für das Paar Skibretter, die rechts vom Eingang zum Ferienhaus der beiden Gangster Pete und Hale standen. Butler Parker verließ sein Versteck, von wo aus er die Szene beobachtet hatte. Dieses Versteck bestand sinnigerweise wieder aus ein paar Schneemännern. Parker trug derbe Schnürschuhe an den Füßen, die erfreulicherweise auch in die Skibindung paßten. Daß er nicht gerade zünftig aussah, störte ihn nicht weiter. Er hatte nicht die Absicht, sich einem modischen Wettbewerb zu stellen. Da er seinen UniversalRegenschirm bei sich hatte, brauchte er nur einen einzigen Skistock. Er stieß sich schwungvoll ab und nahm die Verfolgung des Kühlwagens auf. Er brauchte sich nicht an die gewundene Straßenführung zu halten, sondern konnte Abkürzungen wählen. Butler Parker erinnerte sich gewisser Kenntnisse und meisterte die unsicheren Unterlagen an den Füßen. Er schwang sich hinaus auf den recht steilen Hang und fuhr durch den stiebenden Schnee los. Er erregte Aufsehen. Wintersportler glaubten an Geistererscheinungen, als sie einen sehr korrekt gekleideten Butler auf Skibrettern entdeckten, der dazu noch eine schwarze Melone trug. Auch der Regenschirm in Parkers linker Hand war geeignet, allgemeine Verblüffung, Staunen und Lachen zu verursachen. Butler Parker wurde immer vertrauter mit den Brettern. Er versuchte sich an einem Stemmbogen, probierte den Hüftschwung und wedelte anschließend mit der Grazie eines etwas älteren Skilehrers hinunter
ins Tal. Dabei ließ er den Kühlwagen nicht aus den Augen, der in langsamem Tempo die steile und kurvenreiche Straße nahm. So ganz ohne Zwischenfälle fiel Parkers Slalom allerdings nicht aus. Er geriet in die Nähe einer Skischule. In langer Reihe standen Neuanfänger nebeneinander und verfolgten die Künste ihres sportlichen Trainers. Der Mann wirkte ungemein überlegen und war ein Meister seines Faches. Er wollte zudem den jungen Damen seiner Gruppe imponieren und zeigte ihnen die Geschmeidigkeit seiner Hüften. Der Skilehrer sah wirklich beeindruckend aus. Bis er von Josuah Parker ,angenommen' wurde. Butler Parker tauchte überraschend hinter einem Schneebuckel auf und zischte auf den Supersportier zu. Parker hüstelte diskret, um auf sich und seine Spurführung aufmerksam zu machen. Da die Fahrt inzwischen recht schnell geworden war, hielt er sich mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms die schwarze Melone auf dem Kopf fest. Der Skilehrer mußte das Hüsteln nicht gehört haben, denn er reagierte nicht. Er wurde erst aufmerksam, als einige seiner jungen Schülerinnen warnende Schreie ausstießen. Der Mann nahm den Kopf herum und ... war nicht mehr fähig, sich dem drohenden Unheil zu entziehen. So etwas hatte er hier auf Brettern noch niemals gesehen. Er glaubte zuerst an eine Sinnestäuschung. Dann beging er den Fehler, nach rechts auszuweichen. Leider tat dies auch Butler Parker, und eine Korrektur war jetzt nicht mehr
möglich. Der Butler hüstelte noch mal und ... rammte das Hindernis. Der Skilehrer vollführte einen etwas verunglückten Salto und bohrte sich mit seinem Kopf in eine Schneewehe, die sich als erstaunlich tief und weich erwies. Er versank bis zu seinem Bauch kopfüber im nachgebenden Schnee und zappelte anschließend mit seinen Beinen in der Luft herum. Parker zog bedauernd seine schwarze Melone und stob in wilder Schußfahrt weiter nach unten ins Tal. Er war nicht einen Moment lang aus dem Gleichgewicht geraten und stand bombensicher auf seinen Brettern. Sekunden später verschwand er hinter einem Hügel und hinterließ nur noch wilde Vermutungen. Ein Teil der Skischüler vertrat nämlich die feste Ansicht, es habe sich bei diesem wie ein Butler gekleideten Sportsmann nur um eine Sinnestäuschung gehandelt, der andere Teil hingegen schwor darauf, man habe es mit einem Wesen aus Fleisch und Blut zu tun gehabt. Aus Zeitgründen konnte Parker sich an dieser mit tiefem Ernst geführten Debatte nicht beteiligen. * Sie hießen Mike Ferry und Lefty Mullers, hatten den Kühlwagen hinter einem der vielen Sporthotels gestohlen und bugsierten ihn jetzt in eine Scheune. Mike Ferry, der Gangster mit dem Schnauzbart, wies seinen Partner ein. Lefty Mullers, der Gangster mit der Stupsnase, brauchte nur wenige Sekunden, bis er den Kühlwagen in der Scheune hatte, die zu einem kleinen bäuerlichen Anwesen gehörte.
Mike Ferry schloß das Scheunentor und nickte Lefty Mullers zu. „Die lassen wir erst mal zittern“, sagte er, ganz eindeutig die beiden Konkurrenten Pete und Hale meinend. „In 'ner halben Stunde sind die reif für 'ne kleine Aussage.“ „Wie kalt mag es in dem Karren sein?“ wollte' Mullers, die Stupsnase, wissen. „Schätzungsweise fünfundzwanzig Grad minus“, gab Schnauzbart Mike zurück. Während sie miteinander redeten, gingen sie auf das einstöckige, tief verschneite Bauernhaus zu. Bevor sie es erreicht hatten, wurde bereits von innen die Tür geöffnet. Eine üppige Blondine ließ sich sehen, deren reife Formen fast die Nähte ihres Skidresses sprengten. „Alles klar?“ fragte sie in einem Ton, der so gar nicht zu ihrem naiven Aussehen paßte. „Natürlich, Nelly“, erwiderte der Schnauzbart. „Gab überhaupt keinen Ärger.“ , „Das geht jetzt alles wie geschmiert“, fügte Lefty Mullers hinzu, während er die Tür hinter sich schloß und zum offenen Feuer im Kamin hinüberging. „In 'ner halben Stunde wissen wir genau, wo Larry versteckt worden ist.“ „Hoffentlich“, meinte Nelly skeptisch. „Ich möchte endlich weg von hier. Die beiden Typen sind bestimmt nicht allein. Irgendwo muß sich ihr Boß noch herumdrücken.“ „Selbst wenn, Nelly.“ Mike Ferry winkte großspurig ab. „Der wird sich kaum blicken lassen.“ „Und ganz sicher nicht hier.“ Stupsnase Lefty Mullers grinste abfällig, ,,'ne
bessere Ferienbleibe hätten wir doch gar nicht finden können.“ Nelly, die Blondine mit den üppigen Formen, war weniger gelassen und ruhig als ihre beiden Vertrauten. Sie stand vor einem der kleinen, viereckigen Fenster und schaute auf das tief verschneite Gelände hinaus. Weit drüben an den Hängen waren Skiläufer zu sehen, die aber einen völlig unverdächtigen Eindruck machten. Um den kleinen Bauernhof herum gab es Steinwälle, die ein Skilaufen unmöglich machten. Mit neugierigen Besuchern war eigentlich nicht zu rechnen. „Holt sie 'rein“, sagte Nelly und wandte sich zu den beiden Männern um. Es war erstaunlich, daß sie das Kommando führte. Mike und Lefty kamen überhaupt nicht auf die Idee, ihr zu widersprechen. Sie setzten sich sofort in Bewegung. Nelly Bronsom, wie ihr vollständiger Name lautete, zündete sich eine Zigarette an und wanderte vor dem Kamin nervös umher. Sie führte tatsächlich das Kommando. Im Gegensatz zu ihrem naiven Aussehen war sie sehr ausgekocht und wollte jetzt den größten Coup ihres Lebens machen. Es ging um ein Vermögen! Seit Wochen schon waren sie und ihre beiden Begleiter Mike und Lefty hinter diesem Larry her gewesen. Erst vor wenigen Tagen hatten sie den Tip bekomme, daß Larry sich hier in Aviemore aufhielt. Hier in diesem Ferienort war Larry auf Tauchstation gegangen. Sie hatten ihn aufgespürt und leider wieder aus den Augen verloren. Er mußte in die Hände einer Konkurrenzbande gefallen sein. Seit gestern war er leider nicht mehr zu sehen gewesen.
Des Rätsels Lösung war schnell gefunden worden. Mike Ferry hatte diese beiden Gauner aufgespürt, die jetzt im Kühlwagen waren. Nelly konnte sich schwach erinnern, daß diese beiden Männer für einen Mann arbeiteten, der in Fachkreisen der Unterwelt der ,Falke' genannt wurde. Wer dieser Falke nun wirklich war, wußte Nelly nicht. Es gab da zwar gewisse Gerüchte, doch auf die gab sie nichts. Sie wußte nur, daß dieser Falke ein sehr gefährlicher Konkurrent war. Hatte er Larry schon ausgepreßt? War es dem Falken bereits gelungen, an die Beute heranzukommen? Nun, in wenigen Minuten würde sie es erfahren. Nelly war fest entschlossen, selbst diesen Falken anzugehen, falls er Larrys Beute bereits besaß. Und wo der Falke sein Quartier aufgeschlagen hatte, mußten die beiden Gauner im Kühlwagen ja wissen. Nelly Bronsom wurde unruhig. Wo blieben Mike und Lefty. Sie mußten doch längst wieder zurück sein. Hatte es drüben in der Scheune Schwierigkeiten gegeben? Sie griff nach ihrer Umhängetasche und holte einen kleinen Revolver hervor, mit dem sie recht vertraut war. Sie eilte an das Fenster, durch das sie hinüber zur Scheune sehen konnte. Das Tor war einen halben Meter weit geöffnet, doch von ihren Begleitern Mike und Lefty war weit und breit nichts zu sehen. Unwillkürlich dachte sie an den Falken. Hatte er die Entführung seiner beiden Leute doch mitbekommen? War er dem Kühlwagen heimlich gefolgt? Wartete er drüben in der Scheune nur darauf,
daß auch sie das schützende Bauernhaus verließ? Nelly Bronsom hatte plötzlich ein ungutes Gefühl. Sie öffnete das Fenster und rief nach Mike und Lefty, doch sie erhielt keine Antwort. Nelly Bronsom verzichtete auf einen weiteren Versuch, schloß hastig das Fenster und ging neben dem Kamin in Deckung. Von hier aus konnte sie die Tür und auch die Fenster kontrollieren. Sie rechnete jetzt fest mit einem Auftauchen des Falken. Sie hatte Angst, aber sie war auch zugleich neugierig auf ihn. Keiner aus ihren Kreisen hatte ihn bisher gesehen. Sollte sie diejenige sein, die seine Maske endlich durchschaute? Die Minuten vertropften, doch es tat sieh überhaupt nichts. Nellys Neugier war inzwischen nicht mehr vorhanden. Sie hatte jetzt nur noch Angst. Sie kam sich dem Falken wie ausgeliefert vor. Wann und wie würde er zustoßen? Sie zuckte zusammen, als die Kohlenglut im Kamin zusammenrutschte und die Funken hochstoben. Sie glitt mit ihrem Rücken an der rauhen Wand hinunter und hockte sich nieder, um nur ja kein Angriffsziel zu bieten. Dann aber fuhr sie zusammen, als sei sie von einer unsichtbaren Peitsche getroffen worden. Drüben in der Scheune heulte ein Motor auf. Nelly erhob sich hastig, ging in geduckter Haltung zu einem der Fenster und sah gerade noch die Rückseite des Kühlwagens, der in schneller Fahrt davonjagte, hinter sich eine Schneefahne aufwirbelnd. Nelly rannte zur Tür, hob den Revolver und wollte auf den Wagen schießen. Im letzten Moment jedoch verzichtete
sie darauf. Die Schüsse wären in der kalten Luft bis hinauf zu den Hängen gehört worden. Dieses Risiko durfte sie nicht eingehen. * „Sie scheinen den Winterurlaub in vollen Zügen zu genießen, Mr. Parker“, sagte Agatha Simpson, als ihr Butler im Ferienhaus erschien. „Besondere Umstände, Mylady, verlangten einen schnellen Entschluß“, antwortete Josuah Parker gemessen. „Darf ich mir erlauben, Myladys Aufmerksamkeit auf den vor dem Haus parkenden Kühlwagen zu lenken?“ „Wild und Geflügel?“ Agatha Simpson hatte die Aufschrift auf dem Kastenaufbau gelesen und sah ihren Butler irritiert an. „Wild besonderer Art, Mylady.“ Parker deutete eine höfliche Verbeugung an. „Da klingt schon besser.“ Die streitbare Dame befeuchtete sich mit ihrer Zunge genießerisch die Lippen. Sie wußte inzwischen, daß ihr Mr. Parker eine Überraschung zu bieten hatte. „Es handelt sich um, wenn ich so sagen darf, vier kapitale Böcke, Mylady“, redete Parker inzwischen weiter. „Es sind die Herren Pete Forster und Hale Cantner, die das Badezimmer so überraschend verließen. Hinzu kommen zwei weitere Gangster, die unsere Gäste entführten.“ „Sehr hübsch, Mr. Parker.“ Agatha Simpson nickte zufrieden. „Gangster entführten Gangster. Man scheint sich also gegenseitig Konkurrenz zu machen, nicht wahr?“
„Myladys Vermutungen fanden ihre Bestätigung“, erwiderte Josuah Parker. „Beide Gangstergruppen sind hinter jenem Mann her, der sich Larry nannte und der in einen Schneemann verwandelt wurde.“ „Meine Theorien bestätigen sich eben immer. Und da brauchen Sie gar nicht andeutungsweise zu lächeln, Mr. Parker. Es geht nach wie vor um diese sogenannten ,Klunker', die ,Larry' versteckt haben muß.“ „Ich möchte nicht penetrant erscheinen, Mylady“, schickte Parker voraus, „aber darf ich daran erinnern, daß Mylady von einem Mikrofilm sprachen?“ „Klammern Sie sich nicht unnötig an diese Kleinigkeiten“, meinte Lady Agatha unwirsch. „Ob Mikrofilm oder Klunker, darauf kommt es nicht an. Wie kalt mag es in dem Kühlwagen sein?“ „Präzise fünfundzwanzig Grad, minus, Mylady, wie ein Thermometer im Fahrerhaus ausweist.“ „Dann müssen die vier Flegel inzwischen erfreulich unterkühlt sein, wie?“ „Das, Mylady, ist mit Bestimmtheit anzunehmen.“ „Und wo haben Sie die Fracht aufnehmen können, Mr. Parker?“ Mylady dachte nicht daran, die vier Gangster ins Haus schaffen zu lassen. Sie hatte sehr viel Zeit. Parker berichtete von seinen. Erlebnissen und von seiner Schußfahrt auf den Skibrettern. „Im Bauernhaus befindet sich also noch eine Frau?“ Lady Agatha hatte sehr genau zugehört. „Eine recht üppige Blondine, Mylady, wenn der Augenschein nicht getrogen hat.“
„Die hätten sie gleich mitbringen können, Mr. Parker. Das wäre doch ein Aufwaschen gewesen.“ „Ich war so frei, Mylady, der Vorsicht Priorität einzuräumen“, meinte Parker gemessen. „Mir war nicht mit letzter Sicherheit bekannt, wer sich außer der erwähnten Blondine sonst noch im Haus befand. Daher zog ich es vor, erst mal die vier Gangster wegzuschaffen.“ „Das kann man als Einwand gelten lassen“, räumte Lady Agatha großzügig ein und nickte versöhnlich. „So, und jetzt sollten Sie diese vier Lümmel ins Haus schaffen. Ich möchte etwas plaudern.“ * Pete, Hale, Mike und Lefty hatten sich zwar nicht gerade in Eiszapfen verwandelt, doch man sah ihnen deutlich an, daß sie tüchtig froren. Ihre Zähne klapperten wie Kastagnetten. Kleine Nasentröpfchen hatten sich in Eisklümpchen verwandelt. Auf den Augenwimpern der vier Gangster lag Rauhreif. Sie konnten sich nur mühsam' bewegen, in ihren Gelenken knirschte der Frost, und setzen konnten sie sich auch nicht. Sie blieben an der Längswand des Wohnraums stehen und machten einen erbarmungswürdigen Gesamteindruck. „Haben Sie sich nicht so“, herrschte die Lady sie an. „Und reden Sie vor allen Dingen möglichst schnell!“ „Mylady sind eine ungeduldige Dame“, schaltete Parker sich ein. „Falls Sie mir mit Schnickschnack kommen wollen, geht es zurück in den Kühlwagen“, drohte Agatha Simpson. „Also, wohin ist dieser Larry ver-
schwunden? Ich erwarte eine schnelle und klare Antwort.“ Agatha Simpson hielt ein Teeglas in der Hand, in dem heißer Punsch dampfte. „Wir ... Wir ... Wir1 haben keine Ahnung“, schnatterte Pete Forster auch für seinen Partner Hale Cantner. „Wir ... Wir ... Wir wissen es nicht“, knirschte Mike Ferry, der Schnauzbart. „Be ... Be ... Bestimmt nicht“, fügte Stupsnase Lefty Mullers hinzu, wobei seine Kiefer klapperten. „Das fängt nicht besonders gut an“, fand die Detektivin ungnädig. „Sie wissen natürlich auch nicht, von wem dieser Larry ermordet worden ist, nicht wahr?“ „Die... Die da waren es“, behauptete Schnauzbart und die Stupsnase. „Nee ... Nee ... Nee, die da sind das gewesen“, widersprach Schnauzbart Mike und deutete auf Pete und Hale. Sie wären sich liebend gern in die Haare geraten, doch der Frost in ihren Gliedern hinderte sie nachdrücklich daran. „Kommen wir auf diesen Larry zurück“, sagt Lady Agatha grimmig. „Was wird bei ihm gesucht? Was sind diese Klunker, um die es geht? Ich erwarte eine schnelle Antwort.“ Sie zierten sich und wollten nicht mit der Sprache herausrücken. Sie maßen sich mit wütenden Blicken, aber sie übten Gangstersolidarität. »Zurück in den Kühlwagen, Mr. Parker“, ordnete Agatha Simpson grimmig an. „Ich kann diese vier Visagen nicht mehr länger sehen. Lassen Sie den Wagen von mir aus irgendwo im Hochmoor stehen! Möglichst an einem Platz, der nicht begangen wird...“
„Wie Mylady befehlen.“ Parker deutete eine seiner knappen Verbeugungen an und nickte den vier Gangstern dann zu. „Wenn ich die Herrschaften dann bitten dürfte.“ „Das... Das können Sie doch nicht machen“, beschwerte sich Hale Cantner schnatternd. „Das ... Das ist doch glatter Mord?“ stellte Schnauzbart Mike fes. Er war aufrichtig empört. „Und wer wollte meinen Butler und mich unten am See umbringen?“ Lady Agathas Stimme klang unwirsch. „Wer hat auf uns geschossen, als wir Larry fanden?“ „Die da“, erklärte Stupsnase Lefty sofort und deutete mit seinem leicht vereisten Kinn auf die beiden Gangster Pete und Hale. „Kommen Sie dem Wunsch Myladys bitte umgehend nach“, ließ Parker sich würdevoll vernehmen. „Als Anhänger eines herrschaftlichen Humanismus werde ich die Temperaturen im Kühlwagen ein wenig mildern.“ „Aber nur um fünf Grad“, schaltete Lady Agatha sich grollend ein. „Auch ich will kein Unmensch sein. Nun aber fort aus meinen Augen, bevor ich mir das anders überlege!“ Die vier Gangster konnten wirklich nichts machen. Parker besaß einen ihrer schallgedämpften Revolver und richtete die Mündung auf die vier Männer. Pete, Hale, Mike und Lefty waren inzwischen fest davon überzeugt, daß dieses Duo da vor ihnen nicht ganz richtig im Kopf sein mußte. Sie begriffen einfach nicht, wie sie in die Hände dieser Frau und dieses komischen. Butlers hatten fallen können. Das waren doch
die reinsten Witzblattfiguren, und doch hielten sie alle Trümpfe in Händen. „Mo ... Mo ... Moment mal“, zitterte da Schnauzbart Mike. Er hatte einfach keine Lust, in diesem eisigen Kühlwagen umzukommen. „Los, mach schon“, unterstützte ihn Stupsnase Lefty, von dessen Rauhreifwimpern sich die ersten Tautropfen lösten. „Bin ich an einer weiteren Unterhaltung überhaupt noch interessiert?“ erkundigte sich Agatha Simpson bei ihrem Butler. Sie nahm einen ausgiebigen Schluck aus dem Punschglas und wandte sich ab. Sie war sehr überzeugend. Pete und Hale hätten am liebsten auch ihre Karten auf den Tisch gelegt, doch da war ihre Angst vor dem Falken. Erfuhr er, daß sie geredet hatten, würde er sie glatt umbringen. Im Kühlwagen aber rechneten sie sich immer noch eine Chance aus. Sie war natürlich nur gering, aber sie war vorhanden. „Schnauze“, rief Pete seinen beiden Konkurrenten Mike und Lefty zu. „Mr. Parker, tun Sie endlich Ihre Pflicht“, raunzte die Lady den Butler an und deutete auf Pete und Hale. „Zurück mit ihnen in den Kühlwagen! Ich langweile mich.“ „Wir... Wir reden“, versprach Schnauzbart Mike. „Und ... Und wie!“ fügte Stupsnase Lefty hastig hinzu. * Sie waren durchtrieben, diese beiden Gangster Mike und Lefty. Nachdem Butler Parker mit Pete und Hale den Wohnraum verlassen hatten, witterten sie Morgenluft. Es mußte doch
eine Kleinigkeit sein, diese alte Schreckschraube zu überlisten und außer Gefecht zu setzen. Schön, die beiden Gangster Mike und Lefty befanden sich zwar noch nicht in Höchstform, aber diese ältliche Frau konnte doch keine ernsthafte Gegnerin sein. Sie tauschten schnell einen Blick des geheimen Einverständnisses aus und gingen mit viel Elan zum Angriff über. Sie drückten sich von der Wohnraumwand ab und wollten sich auf Lady Agatha Simpson stürzen. Sie stand am Kamin und wandte ihnen ihren Rücken zu. Sie bekam überhaupt nicht mit, was sich hinter ihr abspielte. Dachten Stupsnase Lefty und Schnauzbart Mike. Dachten sie! Da der Frost noch in ihren Gliedern steckte, wirkten die Bewegungen der beiden Gangster nicht sonderlich elegant. Sie kamen daher auch nicht so schnell an die scheinbar hilflose Dame heran, wie sie sich das gedacht hatten. Sie hatten sie noch nicht ganz erreicht, als Mylady sich umdrehte. „Sie benehmen sich ausgesprochen flegelhaft“, stellte sie fest und flammte Mike und Lefty aus ihren dunklen Augen an. „Benimmt man sich so einer Dame gegenüber?“ Während Agatha Simpson noch redete, verabreichte sie den beiden Helden je eine Ohrfeige, die nicht von schlechten Eltern war. Die sechzigjährige Frau, die stets Sport trieb und das Sportbogenschießen und Golf bevorzugte, schrieb eine allzu deutliche Handschrift. Schnauzbart Mike taumelte zur Seite, während Stupsnase Lefty in die Knie ging. Bevor die beiden Gangster sich wieder hochrappeln konnten, behandelte die Lady sie mit einem Holzscheit. Es
gab reichlich Brennholz für den Kamin, also bediente sich Agatha Simpson. Mike gluckste nur noch auf und setzte sich dann spontan zu Boden. Lefty hingegen produzierte einige undeutliche Töne und legte sich auf seinen Partner. „Lümmel!“ Agatha Simpson wog das Holzstück in der Hand und spielte mit dem Gedanken, die Betäubung der beiden Gangster noch zu vertiefen. Sie war ein wenig unwirsch geworden, was sich für ihre Gegner noch nie ausgezahlt hatte. „Mylady hatten Ärger?“ hörte sie in diesem Augenblick die beherrschte Stimme ihres Butlers. Josuah Parker war vom Kühlwagen zurückgekommen und schien besorgt zu sein. „Nicht ich hatte Ärger, diese beiden Flegel!“ Lady Agatha trennte sich vom Holzscheit und warf es zurück zum übrigen Feuerholz. „Man wollte mich heimtückisch anfallen, stellen Sie sich das vor.“ „Ein unwürdiges Verhalten“, tadelte Parker. „Mylady haben ihren Standpunkt dazu bereits klargemacht, wenn ich richtig sehe.“ „Nicht klar genug“, bedauerte die resolute Dame. „Bringen Sie diese Waschlappen wieder zu sich, Mr. Parker! Ich will endlich wissen, was sich hinter diesem Mord tatsächlich verbirgt.“ Das war leichter gesagt als getan. Die beiden Gangster Mike und Lefty waren im wahrsten Sinn des Wortes schwer angeschlagen worden. Auf ihrer Stirn bildete sich eine taubeneigroße Beule, deren Wachstumsgeschwindigkeit enorm war. „Darf ich mir die Freiheit nehmen, Myladys Riechsalz zu benutzen?“
Agatha Simpson hatte nichts dagegen; Parker nahm das kleine Fläschchen entgegen, das sie ihm reichte und behandelte damit dann die beiden immer noch stark angeschlagenen Gangster. Der Duft, der der Öffnung des Fläschchens entströmte, war stechend scharf und erinnerte an den Geruch von Ammoniak. Normalerweise benutzte Agatha Simpson dieses so harmlos und unscheinbar aussehende Riechfläschchen als Waffe. Versprühte sie die Flüssigkeit, dann gerieten die getroffenen Gegner in akute Schwierigkeiten, Atem zu bekommen. Vorsichtig angewandt hingegen, lösten sich selbst tiefste Ohnmachten in Sekundenschnelle wieder auf. So auch hier. Mike und Lefty schlugen prompt die Augen auf, erlitten einen mittelschweren Hustenanfall und kehrten in die rauhe Wirklichkeit zurück. „Sie sind Mylady einige Hinweise schuldig“, ließ Parker sich höflich vernehmen. „Vielleicht bemühen die Herren sich jetzt, ein wenig über die Hintergründe dieser ganzen unglückseligen Verwicklungen zu berichten.“ Die Herren Mike und Lefty bemühten sich. * „Nun, Kindchen, was haben Sie herausgefunden?“ erkundigte sich Agatha Simpson bei ihrer Gesellschafterin, die von einer langen Skiwanderung zurück in das Ferienhaus gekommen war. Die Lady machte einen sehr zufriedenen Eindruck. „Mr. Parker ist nicht da?“ fragte Kathy zuerst.
„Er setzt die vier Lümmel aus“, meinte die Dame genießerisch. „Es sind vier Gangster, Lady Simpson“, warnte Kathy. „Ich weiß, ich weiß, Kindchen.“ Agatha Simpson hatte Kathy gern. Kathy genoß jede erdenkliche Freiheit und war weit mehr als nur eine vertraute Angestellte. In ihrer Ehe kinderlos geblieben, vertrat die Lady so etwas wie Mutterstelle. „Machen Sie sich aber keine Sorgen, Kathy! Ich denke, sie werden nicht mehr lange in Aviemore bleiben.“ „Hätte man sie nicht besser der Polizei in die Hände spielen sollen, Mylady?“ „Unter welcher Anklage, Kathy?“ Agatha Simpson schüttelte den Kopf.“ „Das Attentat auf uns unten am Seeufer läßt sich nicht beweisen. Zudem fehlt immer noch die Leiche.“ „Haben Sie etwas herausbekommen?“ „Berichten Sie erst mal, Kathy.“ Agatha Simpson schob sich wie eine übergroße Glucke in ihrem Sessel zurecht und sah ihre Gesellschafterin abwartend an. „In dem Bauernhaus, von dem Mr. Parker gesprochen hat, wohnt eine Blondine, die Nelly Bronsom heißt“, erzählte Kathy. „Sie wohnt dort offensichtlich noch mit Mike Ferry und Lefty Mullers. Sie haben das nicht mehr bewirtschaftete Bauernhaus völlig regulär als Ferienhaus gemietet. Die drei stammen aus London und geben sich als Showleute aus.“ „Ist diese Blondine noch im Land, Kindchen?“ „Eindeutig ja, Mylady. Ich sah sie ein paar Mal flüchtig hinter den Fenstern des Bauernhauses.“ „Das entspricht genau dem, was wir inzwischen erfahren haben.“ Die Detek-
tivin nickte zufrieden. „Diese beiden Lümmel namens Mike und Lefty haben inzwischen ein volles Geständnis abgelegt.“ „Freiwillig, Mylady?“ Kathy Porter schmunzelte. „So in etwa“, meinte die ältere Dame gelassen. „Diese Blondine betreibt in London tatsächlich eine Art Showbühne, zu der allerdings nur Clubgäste Zutritt haben. Sie bietet dort Striptease und Sonstiges. Sie ist die Besitzerin dieses Clubs, Mike und Lefty sind ihre Angestellten und Rausschmeißer. Soweit der Hintergrund. Superintendent McWarden vom Yard wird mich noch heute anrufen und mitteilen, was es mit diesem Club noch so auf sich hat.“ „Und die Leiche Larry, Mylady?“ „Larry Hatwick“, berichtete Agatha Simpson weiter, „so soll er mit vollem Namen heißen. Larry Hatwick also muß vor einigen Wochen den Safe eines gewissen Andrew Patterson ausgeraubt haben.“ Es geht also doch um Juwelen, Mylady?“ „Wie ich es ja immer schon vermutet habe“, sagte Lady Agatha. Sie vergaß dabei souverän, daß sie bisher stets von Mikrofilmen gesprochen hatte. „Richtig“, erinnerte sich Kathy lächelnd. „Und hinter diesen Juwelen sind nun zwei konkurrierende Gangsterbanden her?“ „Natürlich, Kindchen. Das liegt ja auf der Hand. Es geht immerhin um eine Beute im Werte von etwa hundertzwanzigtausend Pfund.“ „So etwas lockt natürlich Mörder an, Mylady.“ Kathy Porter war beeindruckt. „Es sieht so aus, als sei dieser Larry Hatwick von den beiden Gangstern Pete
und Hale ermordet worden“, fuhr Lady Simpson fort, „zugegeben haben diese beiden Lümmel es natürlich nicht, aber das wird noch kommen.“ „Ich nehme an, dieser Larry Hatwick hat den Schmuck hier in Aviemore versteckt.“ „Das ist genau der Punkt, Kindchen“, schloß Lady Simpson ihren knappen Bericht. „Ist das nicht ein wunderschöner Fall? Ich glaube, ich werde ihn zum Thema für meinen Bestseller nehmen.“ Agatha Simpson beschäftigte sich schon seit geraumer Zeit damit, den Büchermarkt mit ihrem Bestseller zu überraschen. Sie brauchte ihn eigentlich nur noch zu schreiben. Sie fühlte sich als Autorin von Weltruf und hatte den wilden Ehrgeiz, eine Agatha Christie in den Schatten zu stellen. „Haben die Gangster gestanden, Mylady, wohin Larry Hatwick verschwunden ist?“ wollte Kathy Porter wissen. „Sie scheinen ebenfalls keine Ahnung zu haben“, erklärte diese. „Ich bin sogar geneigt, ihnen zu glauben, sonst hätten sie sich nicht gegenseitig entführt und Schwierigkeiten gemacht. Da muß es noch eine dritte Gruppe von Gangstern geben. Diese Vorstellung, Kindchen, finde ich einfach aufregend!“ „Sie meinen den Falken, Lady Simpson?“ „Das ist der Chef der beiden Flegel, Pete und Hale“, korrigierte Lady Agatha. „Auch eine rätselhafte Figur. Die beiden Gangster müssen eine unheimliche Angst vor ihm haben, denn Sie wollten seine Identität nicht preisgeben. Kathy Porter wollte gerade eine weitere Frage stellen; doch in diesem Moment läutete das Telefon. Agatha Simpson langte nach dem Hörer und meldete
sich. Sie glaubte, Superintendent McWarden sei in der Leitung und könne mit weiteren Angaben dienen. Sie wurde jedoch enttäuscht und zugleich auch überrascht. Eine undeutliche Stimme meldete sich auf der anderen Seite, die keine Rückschlüsse auf das Geschlecht zuließ. Diese Stimme war leise, aber deutlich. „Hören Sie genau zu, Mylady“, sagte die Stimme. „Wenn Sie nicht auch in einem Schneemann landen wollen, dann sollten Sie die Klunker schleunigst 'rausrücken. Ich warne immer nur einmal.“ „Sind Sie etwa der Falke?“ erkundigte sich Agatha Simpson. Ihre Wangen röteten sich vor Aufregung. „Packen Sie den ganzen Glitzerkram in eine Tasche und stellen Sie die um Mitternacht in der ,Schneemännerallee' ab, haben Sie mich verstanden?“ „Ich habe Sie etwas gefragt, Sie Flegel“, raunzte die Lady gereizt zurück. „Lassen Sie ja die Bullen aus dem Spiel“, warnte die Stimme weiter. „Sie stehen auf meiner Abschußliste, werte Dame. Um Mitternacht in der ‚Schneemännerallee’, klar?“ Bevor Agatha Simpson noch weiter in Wallung kommen konnte, wurde auf der Gegenseite aufgelegt. Die Detektivin legte ebenfalls langsam auf und wandte sich dann triumphierend zu ihrer Gesellschafterin um. „Die Dinge kommen endlich in Fluß, Kindchen“, freute sie sich. „Mr. Parker wird begeistert sein.“ * Butler Parker war kein Unmensch.
Er wollte die vier Gangster im Kühlwagen so schnell wie möglich loswerden. Er saß am Steuer dieses Wagens und hatte die Kühlung längst abgeschaltet. Parker konnte sich allerdings leicht ausrechnen, daß es Stunden dauern würde, bis die Temperaturen im Kastenaufbau sanken. Die dicke Isolierung hielt die Kälte lange fest. Ihm war allerdings noch nicht so recht klar, auf welche Art und Weise er sich der vier Männer entledigen konnte. Er suchte nach einem passenden Weg, damit sie wenigstens für ein paar Tage aus dem Verkehr gezogen wurden. Vielleicht ließ es sich auch so drehen, daß sie bei der Polizei landeten. Befaßte man sich erst mal mit dem Vorleben dieser vier Gestalten, dann war damit zu rechnen, daß man sie sogar für länger festhielt. Parker rollte mit dem Kühlwagen am südlichen Seeufer entlang. Er befand sich auf einer gut geräumten Straße, die mit Fahnen und Wimpeln geschmückt war. Wohin diese Straße führte, war nicht auszumachen, und bald mußte er das Tempo drosseln. Auf der Straße verdichtete sich der Fußgängerverkehr. Feriengäste schienen einem ganz bestimmten Ziel zuzustreben. Um nicht aufzufallen, nahm Parker seine schwarze Melone ab. Man brauchte sich ja schließlich nicht darüber zu wundern, daß ein Butler diesen Lieferwagen steuerte. Er schob sich den Schal über seinen weißen Eckkragen und tarnte sich so zusätzlich. Immer wieder hupend, bahnte er sich dann den Weg durch die immer dichter werdende Menge. Und bald darauf hörte Parker schon frohe Weisen, sah einige Polizei-
fahrzeuge, Polizisten in Uniform und feierlich aussehende Privatwagen. Um was es hier ging, erfuhr er dann^ wenig später. Eine Polizeistreife winkte ihn ab. Parker bremste vorsichtig und kurbelte das Wagenfenster hinunter. Er schaute einen der beiden Polizisten fragend an. „Bringen Sie das Festessen?“ erkundigte sich der Polizist, der die Aufschrift auf dem Kastenaufbau natürlich gelesen hatte. „Sie sagen es“, gab“ Parker zurück und bemühte sich um Lässigkeit. „Dann aber sofort rechts in den Seitenweg 'rein“, befahl ihm der zweite Beamte. „Beeilen Sie sich, Sie werden schon erwartet! Das Theater wird gleich losgehen.“ , Liebend gern hätte der Butler sich nach dem ,Theater' erkundigt, doch er wollte nicht unangenehm auffallen. Er nickte nur grüßend und steuerte seinen Beutewagen in den angegebenen Feldweg hinein. Hinter mächtigen Schneewällen führte der Weg vorüber, Schneewälle, die als Tribünen dienten. Vom Fahrerhaus machte Parker aus, daß diese improvisierten Tribünen dicht an dicht besetzt waren. Hier schien ein großes Volksfest gefeiert zu werden. Nach wenigen Minuten ging dem Butler das sprichwörtliche Licht auf. Er kam an einer Art Materiallager vorbei, das sich neben einem großen Zelt befand. Skeleton- und Rodelschlitten waren hier abgestellt worden. Es gab eine Zieldurchfahrt und dann eine Eisrinne, die sich in wilden Serpentinen einen Berghang hinauf schlängelte. Hier schien man eine neue Rennbahn für Rodelschlitten einzuweihen.
Parker hielt kurz an und stieg aus. Er schritt zur Ecke des Zeltes und sah seine Vermutung bestätigt. Links und rechts vom Zielauslauf dieser Eisrinne erhoben sich die Schneewälle, und standen die erwartungsfrohen Menschen. Es gab eine Ehrentribüne, ein Rednerpult und einen langen Tisch, auf dem Pokale aller Art herumstanden. Es gab aber vor allen Dingen „Offizielle“, die schon an ihrer dunklen Einheitskleidung zu erkennen waren. Es schien sich um hohe und sogar höchste Funktionäre zu handeln. Sie saßen noch vor der Ehrentribüne in mit Pelzen ausgefütterten Plastiksesseln, die auf einem roten Läufer standen. Als die Blaskapelle zu einem neuen, zündenden Marsch ansetzte, hatte der Butler auch seine „zündende“ Idee. Er wußte plötzlich, was mit den vier Gangstern zu geschehen hatte. In der Kunst der Improvisation war er schon immer ein Meister gewesen. Er ging zurück zum Kühlwagen und setzte ihn in Gang. Dann fuhr er weiter nach oben, dem Start entgegen. Er benutzte den schmalen Transportweg, auf dem die Skeletons und Rodelschlitten nach oben geschafft wurden. * Die Männer der Blaskapelle hatten ihre Instrumente abgesetzt und gönnten sich eine Pause. Auf dem Podest mit dem Rednerpult war ein feierlich gekleideter Mann erschienen, der sich über die hohe Ehre verbreitete, daß ein noch höherer Vertreter der Regierung aus Edinburgh weder Zeit noch Mühe gescheut habe, hierher nach Aviemore zu kommen. Der
Redner pries die Schönheiten des Landes, die Bedeutung des Wintersports und kämpfte mit seiner Rührung, als er darauf verwies, daß innerhalb der nächsten halben Stunde die neue Rodelbahn eröffnet werden könnte. Abgesehen von einigen unwesentlichen Versprechen kam die Rede ziemlich flüssig über seine Lippen. Nachdem er das Wort an den Vertreter der regionalen Sportverbände weitergegeben hatte, nahm er höflichen Beifall entgegen und schritt zurück zu seinem Ehrensitz. Der Offizielle der regionalen Sportverbände brauchte einige Zeit, bis er alle Ehrengäste namentlich genannt hatte. Dann verbreitete auch er sich über die Schönheiten von Aviemore, pries ebenfalls die Bedeutung des Wintersports und freute sich natürlich auch darüber, daß die neue Rodelbahn bald eröffnet werden könnte. Der nächste Redner und auch der übernächste, wie sich herausstellte, variierten das Thema nur unwesentlich. Der darauf folgende Festredner beging den Fehler, Aviemore mit Newtonmore zu verwechseln, einem benachbarten Ferienort. Doch das fiel kaum auf, da die Festversammlung kaum noch hinhörte. Nur der Redner selbst wurde verlegen, wollte seinen Fehler korrigieren und wich von seinem Konzept ab. Er verhaspelte sich prompt, wiederholte sich und blätterte verzweifelt in seinem Redemanuskript herum. Dabei überschlug er einige Seiten und sah sich seinem Schluß gegenüber. Verblüfft und erleichtert zugleich verlas der Festredner die abschließenden Floskeln und kassierte dankbaren, fast herzlichen Beifall. Seine Rede war durch sein Versehen ungewöhnlich kurz geraten.
Dann war endlich der Vertreter aus Edinburgh an der Reihe. Es war ein sehr trocken wirkender, großer und hagerer Mann. Sein Sekretär hatte ihm die niedergeschriebene Rede in die Hand gedrückt. Der Regierungsbeamte war sich seiner Bedeutung wohl bewußt. Er sprach über den Sport an sich, erwähnte das Individuum im Zeichen einer allgemeinen Vermassung, ging auf den Wert des Volkssports ein und sprach selbstverständlich auch über einen gesunden Geist in einem gesunden Körper. Diese Rede war von ihm schon verschiedentlich gehalten worden, doch das wußte ja niemand. Zuletzt hatte er sie zur Eröffnung einer großen Sporthalle in Glasgow verwendet. Er liebte diese Rede, weil er sie fast auswendig kannte. Das Stichwort ,Aviemore' nannte er immer wieder. Er konnte sich gar nicht versprechen. Sein Assistent hatte den Namen des Winterferienortes mit dickem Filzstift auf einen gesonderten Zettel niedergeschrieben. „So möge die neue Sporthalle, äh, Rodelbahn dann dem fairen Wettbewerb dienen“, sagte der Regierungsvertreter feierlich. „Mögen in und auf ihr die Besten kämpfen und siegen, möge sie die Qualitäten zeigen, die man in sie gesetzt hat!“ Beifall brandete auf, denn die Zuhörer dachten in ihrer Naivität, die Rede sei damit beendet. Doch da täuschte man sich. Der Sprecher der Regierung wollte seinen Vorrednern nicht nachstehen und erwähnte nun seinerseits die Herren, die sich um das Vaterland, um Schottland, um Aviemore und auch um die Rodelbahn verdient gemacht hatten.
„Erwarten wir spannende Kämpfe“, sagte er dann. „Die Sportler sind bereit, sich todesmutig durch diese wunderschöne Eisrinne zu stürzen, die den Ruhm dieser Sporthalle, äh, dieses Ferienzentrums mehren wird.“ Der Mann hatte keine Ahnung, daß die ersten Wettkämpfe bereits ausgetragen wurden. Ein gewisser Butler Parker hatte den Eiskanal bereits für seine Zwecke genutzt. * Zuerst wurden die beiden Gangster Pete und Hale auf die Reise durch den Eiskanal geschickt. Josuah Parker hatte ihnen einigen Schwung mitgegeben, verließ sich jedoch sonst auf die Glätte der Bahn. Sie schossen in nur kurzem Abstand hintereinander nach unten und hatten natürlich keine Möglichkeit, ihre Fahrt abzubremsen. Zur Glätte des Eiskanals kam noch die Steifheit ihrer leicht unterkühlten und starren Körper. Pete und Hale schrien zwar, denn sie ahnten, daß diese Schußfahrt nicht komplikationslos verlaufen konnte. Zuerst übernahm Pete die Führung, doch schon hinter der nächsten Kurve zog Hale fast gleich. Er wählte die Innenkurve, schloß auf und schaffte es tatsächlich, auf der anschließenden Geraden nach vorn zu kommen. Doch er schlingerte ein wenig, stieß gegen die Wände des Eiskanals und verlor etwas an Fahrt. Pete bewegte sich wesentlich eleganter durch die Rodelbahn. Er hatte die ideale Linie gefunden, steigerte seine Geschwindigkeit und prallte schließlich
mit Hale zusammen. Die beiden Gangster kollidierten, verhakten sich ineinander und wurden zu einem Paket. Dieses Paket wischte weiter nach unten, hinter sich einen Schleier von kleinen Eispartikeln lassend. Doch sie waren nicht allein auf der Bahn. . Butler Parker hatte auch die beiden konkurrierenden Gangster Mike und Lefty auf die Reise geschickt. Sie entwickelten unterschiedliche Techniken. Mike schoß, mit dem Kopf voran, nach unten. Lefty hingegen versuchte, seine Höllenfahrt mit den vorgeschobenen und ausgestreckten Füßen zu steuern. Dabei verschätzte er sich in der ersten Kurve: Weit wurde er hinausgetragen, erreichte fast den oberen Rand und setzte schon zu einem Freiflug an. Doch dann zwang er sich wieder hinunter, rammte seinen Partner Mike und überholte ihn. Es war schon recht aufregend, die Rodelfahrt der vier Gangster zu beobachten. Sie schossen dicht hintereinander auf die Teufelskurve zu, wie die große Kehre genannt wurde. Sie nahmen sie fast elegant, bewältigten auch die Einfahrt zum sogenannten Labyrinth und verloren von dieser Kehrenfolge an den letzten Rest Konzentration. Lefty überholte Pete, Hale seinen Konkurrenten Mike. Sie wurden aus dem Labyrinth hinauskatapultiert und hatten damit die Höchstfahrt erreicht, die auf dieser Bahn überhaupt zu erzielen war. Vor ihnen lag jetzt wieder eine steil abfallende Gerade, die zum Ziel führte. Die vier Wintersportler wider Willen hatten es nicht mehr weit. Bei einiger
Aufmerksamkeit hätten sie die werte Festversammlung bereits deutlich sehen können. Es konnte nur noch eine Frage von Sekunden sein, bis die Begeisterung der gelangweilten Zuschauer über ihren Köpfen zusammenschlug. * Der offizielle Vertreter der Regierung war zum Ende seiner wohl gesetzten Rede gekommen. Geschickt und kunstvoll näherte er sich dem Punkt, um ein mehrfaches Hoch auf die Königin auszubringen. Da er gerade auf sein Manuskript schaute, entgingen ihm die vier schwarzen Punkte auf der Rodelbahn. Er bemerkte allerdings eine gewisse Unruhe unter seinen Zuhörern und dachte insgeheim an Störmanöver schottischer Extremisten. Als der Beamte hochschaute, zwinkerte er leicht mit den Augenlidern. Nur etwa dreißig Meter von ihm entfernt, schoß eine Menschen-Kugel direkt auf das Rednerpult zu. Der Funktionär wollte sich im letzten Moment durch Abspringen in Sicherheit bringen, doch er war einfach nicht schnell genug. Pete schlug ein wie eine Bombe! Der Festredner wurde hochgeschleudert, beschrieb eine flache Flugbahnkurve und landete auf dem erfreulicherweise breiten Schoß einer Ehrendame, die daraufhin verständlicherweise aufschrie. Mike hatte Hale gebremst, ihn doch noch überholt und krachte dann in die besetzten Plastiksessel hinein. Die Ehrengäste verloren ihren Halt, purzelten durcheinander und verhedderten sich im Teppich, den man für ihren Empfang ausgerollt hatte.
Gangster Hale traf nur mit geringfügiger Verspätung ein. Er hatte sich als Ziel die Tribüne ausgesucht und wickelte sich um einen tragenden Stützpfosten. Dieser Pfosten knickte ein. brachte die gesamte, ausgeklügelte Statik aus dem Gleichgewicht und ließ die Fest- und Ehrentribüne zusammenbrechen. Dann war endlich Lefty zur Stelle, der sich in der langen Geraden der Rodelbahn ein wenig verspätet hatte. Er rauschte in die Gruppe der uniformierten Sicherheitsbeamten hinein, die gerade starteten, um das Chaos aus nächster Nähe zu besichtigen. Lefty leistete ganze Arbeit, das mußte der Neid ihm lassen. Er säbelte die Beamten ohne Ausnahme nieder und teilte ihnen einiges von seiner Energie mit. Da sie sich auf glattem Eis befanden, rutschten sie nach allen Seiten auseinander und segelten sternförmig durch die Gegend. Sie rammten ihrerseits Ordner und Sportler, die auf ihren Einsatz warteten. Eine Kettenreaktion hätte man unmöglich plastischer verdeutlichen können. Entsprechend reagierte auch das Publikum auf den Schneewällen, das sich im Verlauf der vielen Reden deutlich gelangweilt hatte. Echte und durchaus spontan zu nennende Begeisterung flammte auf, tief empfundene Heiterkeit breitete sich aus, die in einer kollektiven und schadenfrohen Lache endete. Auch überregionale Zeitungen schrieben später, es habe sich um eine rundum gelungene Einweihungsfeier gehandelt. * Josuah Parker schaute äußerst zufrieden zu, wie die vier Gangster in einem
Kommandowagen der Polizei verladen wurden. Es freute ihn, daß sie kaum Schaden genommen hatten, denn ihm war wirklich nicht daran gelegen, Pete Hale, Lefty und Mike körperlichen Schaden zuzufügen. Er hatte nur dafür Sorge getragen, daß sie erst mal sicher von der Polizei vereinnahmt wurden. Da er sie vor ihrer Rodelfahrt mit ihren Privatwaffen ausgestattet hatte, konnten die vier Gangster mit einem längeren Haftaufenthalt rechnen. Parker wartete in respektvoller Entfernung, bis die Ehrengäste davongefahren waren. Auch ihnen war nichts passiert. Ihr Stolz und ihre Feierlichkeit mochten zwar lädiert worden sein, doch das spielte ja keine große Rolle. Das Publikum diskutierte immer noch lachend die ungewöhnliche Einweihung der Rodelbahn und hoffte auf noch spannendere Kämpfe, die in einer Viertelstunde beginnen sollten. Diesmal sollten allerdings echte Wintersportler starten, was vom Publikum teilweise sogar lautstark bedauert wurde. Die vier Amateure ohne Rodelschlitten mußten einen tiefen Eindruck hinterlassen haben. „Das ist eine Pistole“, hörte Parker plötzlich hinter sich eine fast sympathisch klingende Stimme sagen. Gleichzeitig spürte er einen leichten Druck in der Nierengegend. „Ist es gestattet, sich ein wenig umzuwenden?“ erkundigte sich Parker gemessen. Von Überraschung war ihm nichts anzumerken. Er nahm die Dinge stets so, wie sie sich ihm boten. „Los, Parker, wir gehen 'rüber zum Parkplatz“, sagte die sympathische Stimme im Plauderton. „Wenn Sie mir
mit Tricks kommen, werde ich schießen.“ Parker nahm diese Warnung ernst. Er hatte sich überrumpeln lassen und hatte nun auch die Konsequenzen zu tragen. Der Mann, der ihn abgefangen hatte, mußte ein Profi sein, denn die Stimme klang überhaupt nicht nervös. Der Mann mit der Waffe war sich seiner Überlegenheit vollkommen sicher. Parker schritt also hinüber zum Parkplatz, der dicht besetzt war. Überall strudelten festlich gestimmte Feriengäste durcheinander. Falls der Mann schoß, konnte er sich blitzschnell unter sie mischen und wäre überhaupt nicht mehr aufgefallen. „Interessieren Sie sich für einen bestimmten Wagen?“ fragte der Butler in seiner höflichen Art und Weise an. An einem tödlichen Fehler war ihm überhaupt nicht gelegen. „Wir nehmen den grauen Ford“, sagte die sympathische Stimme. „Den da drüben in der übernächsten Reihe.“ „Ihr Wunsch ist mir selbstverständlich Befehl“, erwiderte Parker, der sofort die Richtung änderte und den grauen Ford anvisierte. Er überlegte natürlich, mit wem er es wohl zu tun haben könnte. Hatte sich endlich der ,Falke' bemerkbar gemacht, der Chef der beiden Gangster Pete und Hale? Der graue Ford war erreicht. „Die Fahrertür ist offen“, sagte die sympathische Stimme. „Setzen Sie sich ans Steuer, Parker! Und wie gesagt, keine Mätzchen! Man sagt mir nach, daß ich sehr schnell bin.“ „Sie können sich auf meine interessierte Mitarbeit fest verlassen“, antwortete Parker. Er öffnete die Wagentür und sah endlich auch den Besitzer der sym-
pathischen Stimme. Nun, der Mann sah nicht weniger sympathisch aus. Er paßte haargenau zu der Stimme. Er mochte vierzig Jahre alt sein, trug einen modischen, aber nicht auffälligen Skidress und eine Pudelmütze. Er hatte braune Augen, eine ausdrucksvolle Nase und einen stets etwas lächelnden Mund. Einen Mord traute man diesem Mann ganz sicher nicht zu. „Warten Sie, bis ich um den Wagen herum bin“, sagte der Mann. Parker nickte zum Zeichen seines Einverständnisses und setzte sich dann erst vor das Steuer, als der Mann auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte. Vielleicht hätte der Butler seinen Begleiter austricksen können, doch darauf verzichtete er. Er wollte den ungewollten Kontakt nutzen und Informationen sammeln. Hier erfuhr er sie wahrscheinlich aus erster Hand. „Und jetzt ganz hübsch langsam zurück nach Aviemore“, sagte Parkers Begleiter freundlich. Er legte eine Pistole quer über seinen Schoß. Die Mündung der Pistole mit aufgeschraubtem Schalldämpfer wies auf die Hüfte des Butlers. „Habe ich die Ehre mit dem sogenannten Falken?“ erkundigte sich Parker, als er den Ford anrollen ließ. „Pete und Hale haben also bereits gequatscht?“ fragte der sympathische Begleiter zurück. Verachtung lag in seiner Stimme. „Seien Sie Ihren Mitarbeitern möglichst nicht gram“, entschuldigte Parker die beiden Gangster. „Von Handlangern sollte man nicht mehr erwarten, wenn ich es so vulgär ausdrücken darf.“ „Es sind wirklich nur Handlanger“, bestätigte Parkers Begleiter und lachte leise auf. „Gut für einen schnellen
Mord, aber dann ist deren Repertoire bereits endgültig erschöpft.“ „Sie ermordeten Larry, wie ich inzwischen weiß.“ Parker nickte leicht. Er hielt es selbstverständlich nicht für notwendig, diesem Mann die „ganze Wahrheit“ zu sagen. Sein Wissen um die Zusammenhänge stammte schließlich von den Gangstern Mike und Lefty. „Das haben Pete und Hale zugegeben?“ wunderte sich Parkers Begleiter überrascht. „Indirekt“, korrigierte der Butler. „Es geht um Juwelen im Werte von hundertzwanzigtausend Pfund, falls man sich an die Wahrheit hält.“ „Ein nettes Taschengeld, auf das ich nicht verzichten will“, bestätigte der Mann, der der Falke sein mußte. „Zwei Herren namens Mike und Lefty sind zusammen mit einer gewissen Nelly Bronsom ebenfalls hinter diesem Taschengeld her.“ Parker wollte für Verwicklungen sorgen. „Nelly ist und bleibt ein Schaf“, stellte der Mann neben Parker belustigt fest. „Sie wird ihr Leben lang vom großen Coup träumen: Wenn sie nicht aufpaßt, wird dieser Traum nicht mehr lange dauern.“ „Darf ich mich erkühnen, Sie für einen Mann zu halten, der weiß, was er will?“ „Und ob Sie das dürfen, Parker! Und ob! Ich gehe über Leichen, wenn man mir Schwierigkeiten macht.“ „Wie im Fall Larry Hatwick, nicht wahr?“ „Wie im Fall Larry Hatwick, Parker. Fahren Sie nicht zu schnell! Und noch mal sicherheitshalber: Keine Mätzchen! Ich schieße gnadenlos.“ „Dessen bin ich mir durchaus bewußt“, gestand Josuah Parker gelassen.
„Darf ich die Zeit nutzen und erfahren, wer der ermordete Larry Hatwick war?“ „Ein erstklassiger Schränker“, gab der Begleiter zurück. Seine Stimme nahm, als er weiterredete, einen bedauernden Unterton an. „Larry war auf seine Art fast ein Genie, nur eben unehrlich. Ich besorgte ihm den Tip, ich bin für alle Vorkosten aufgekommen und dann wollte er mich um die ganze Beute betrügen. Wie finden Sie so was?“ „In solchen und ähnlich gelagerten Fällen spricht der Volksmund von einer Art, die nicht die feine englische sein soll.“ „Und eben dafür hat er gebüßt.“ „Sie haben besagten Larry Hatwick umgebracht?“ „Wir sind unter uns, also kann ich offen reden. Larry geht auf mein Konto.“ „Äußere Verletzungen konnte ich nicht feststellen, als er durch Zufall entdeckt wurde.“ „Würden Sie auch niemals entdecken können, Parker. Ich habe ihn erfrieren lassen.“ „Ich muß gestehen, daß ich nicht recht begreife.“ Parker stellte sich ahnungslos, obwohl er bereits wußte, wie grausam dieser Gauner umgebracht worden war. „Das werden Sie verflixt schnell kapieren, Parker. Ihnen wird's kaum anders ergehen, wenn Sie nicht mit der Beute 'rausrücken.“ Der Falke blieb bei seinem Plauderton und machte damit die Situation nur noch unheimlicher und gefährlicher. „Sie haben Mr. Hatwick erfrieren lassen?“ erkundigte sich der Butler noch mal, um aus seinem Begleiter noch nähere Informationen herauszulocken.
„Sehr einfach, nicht wahr?“ Der Falke lachte leise auf. „Die Nächte sind kalt. Man braucht sein Opfer nur auszusetzen und irgendwo anzubinden. Alles weitere erledigt der Frost.“ „Aber Mr. Hatwick war doch dann nicht mehr in der Lage, über den Verbleib seiner Beute etwas auszusagen.“ „Das werden Sie jetzt tun, Parker. Sie haben seine Leiche gefunden, dann werden Sie sicher auch bei ihm nähere Angaben über das Versteck gefunden haben!“ „Gibt es da tatsächlich einen Zusammenhang?“ wunderte sich Josuah Parker. „Warum fanden denn Sie nicht den Hinweis auf das Versteck, falls ich so indiskret fragen darf? Mr. Larry Hatwick befand sich doch in Ihrer Gewalt.“ „Wir hatten nicht die Gelegenheit und die Zeit, diesen Burschen genau zu durchsuchen“, räumte der Falke ein. „Bevor wir es tun konnten, sind Sie uns dazwischengekommen. Aber was soll's! Innerhalb der nächsten Stunde werden Sie schon auspacken müssen, wenn Sie nicht wie Larry enden wollen.“ * „Mein Blutdruck steigt“, stellte Agatha Simpson fest. „Haben Sie eine Erklärung dafür, warum Parker noch nicht zurück ist, Kindchen?“ „Vielleicht hat es Schwierigkeiten gegeben, die vier Gangster loszuwerden, Mylady“, antwortete Kathy Porter gespielt oberflächlich, aber auch sie machte sich Sorgen. Es dunkelte bereits. Butler Parker hätte selbst bei größten Schwierigkeiten längst zurück sein müssen. Zumindest hätte er sich telefonisch gemeldet, wenn ...
„Versuchen Sie erst gar nicht, mich zu beruhigen, Kindchen“, raunzte die Lady. „Gewisse Schwierigkeiten! Wenn ich das schon höre! Da muß etwas passiert sein.“ „Offen gesagt, Mylady, daran habe auch ich schon gedacht.“ „Diesen Mann kann man aber auch keine Minute allein lassen“, regte sich die Detektivin auf. Sie wanderte nervös im Zimmer umher und hatte um ihren Butler große Angst. Das tarnte sie natürlich mit ganz gewagten Behauptungen, wie sie bei ihr üblich waren. „Wir müssen irgend etwas unternehmen“, entschied Agatha Simpson endlich. „Nur zu gern, Lady Simpson, aber was?“ Kathy war ratlos. „Irgendwas, Kindchen! Legen Sie mich doch nicht immer gleich fest! Ich muß nachdenken. Und ich brauche, etwas für meinen Kreislauf.“ Kathy Porter versorgte die ältere Dame mit ihrem „kleinen Cognac“ und sah sie dann abwartend an. „Von wem, glauben Sie, könnte er erwischt worden sein, Kathy?“ Lady Simpson sah nun ihrerseits Kathy abwartend an. „Doch wohl unmöglich von dieser blonden Frau, wie heißt sie denn noch gleich?“ „Nelly Bronsom, Mylady. Nein, das könnte ich mir nicht vorstellen. Aber vielleicht ist er auf den Falken gestoßen.“ „Dieses Subjekt, das sich eben telefonisch gemeldet hat und die Herausgabe der Juwelen verlangte?“ „So in etwa, Mylady, wenngleich ich nicht glaube, daß der Falke mit, dem Mann am Telefon identisch ist.“
„Wie kommen Sie denn zu dieser Meinung, Kindchen?“ „Ich kann das natürlich nicht beweisen, Mylady, aber ich fühle das so. Der Falke hielt sich bisher im Hintergrund. Warum sollte er plötzlich anrufen? Wissen Sie, was ich glaube, Mylady?“ „Muß ich erst auf Knien bitten, bis Sie endlich reden?“ gab die Lady zurück. „Der Mann am Telefon, falls es überhaupt einer war, ist die Person, die die Leiche aus dem Schneemann gestohlen hat.“ „Aus welchem Schneemann?“ „Den Mr. Parker und Sie gebaut haben, nachdem Sie Larry Hatwick fanden. Auch er hat nicht das gefunden, wonach die beiden Gangster Pete und Hale suchten.“ „Bringt uns das im Moment weiter? Natürlich nicht! Also lassen wir diese Spekulationen. Wo könnte sich Parker befinden? Nun strengen Sie endlich mal Ihren Kopf an, Kindchen! Ich... Ich habe Angst.“ Das war mehr als ungewöhnlich. Agatha Simpson räumte doch tatsächlich ein, daß sie um Josuah Parker fürchtete. Kathy Porter war ehrlich betroffen. Mit solch einem Bekenntnis hatte sie nicht gerechnet. „Soll ich Inspektor Molpers anrufen?“ fragte sie. „Papperlapapp, Kindchen. Bis der Behördenapparat in Bewegung kommt, vergehen Stunden. Man kennt das doch. Wissen Sie was, Kindchen? Ich werde mich als Köder anbieten! Ich dürfte ja nicht gerade zu übersehen sein.“ „Und wie soll das geschehen, Mylady?“ fragte Kathy Porter. „Hören Sie genau zu, Kathy! Korrigieren Sie mich, falls ich einen Denk-
fehler begehe! Wir können davon ausgehen, daß man uns beobachtet, oder?“ „Das ist anzunehmen, Mylady.“ „Ich werde mich also in Parkers Wagen setzen und losfahren. Ich werde deutlich sichtbar eine größere Reisetasche mit in den Wagen nehmen. Man wird also denken, ich würde mich mit den Juwelen verdrücken wollen. Können Sie mir folgen?“ „Natürlich, Mylady.“ Kathy geriet in Panik. Was Lady Agatha da plante, war höchst gefährlich. „Also wird man mich verfolgen“, entwickelte sie ihren Plan weiter. „Ich locke die Verfolger in eine Falle, schlage zu und befrage sie dann nach Parker. Dieser Plan ist idiotensicher.“ „Er hat einen einzigen, aber großen Fehler, Mylady.“ „Und der wäre?“ Lady Agatha funkelte ihre Gesellschafterin an. „Sie haben meine Rolle vergessen, Mylady.“ „Schnickschnack, Kindchen. Sie werden brav hier im Ferienhaus bleiben und sich verbarrikadieren. Es genügt, daß ich mich in Lebensgefahr begebe. Sie sind noch jung, Sie haben das ganze Leben noch vor sich!“ „Aber ich ...“ „Noch einen kleinen Kreislaufbeschleuniger'„, verlangte Agatha Simpson energisch. „Es bleibt dabei, Kindchen. Sie halten sich aus diesem Spiel heraus! Es könnte ja auch sein, daß Parker sich inzwischen meldet. Er muß dann wissen, was hier vorgeht. Kein Wort mehr, Kathy! Mein Entschluß steht unumstößlich fest. Ich werde diesen Subjekten zeigen, wer Lady Simpson ist!“
* Die Fahrt im grauen Ford endete noch vor Aviemore. Josuah Parker mußte den Wagen von der Hauptstraße hinuntersteuern und auf einen kleinen, vom Schnee geräumten Feldweg bringen, der in einer Talsenke endete. Hier befand sich ein einstöckiges Ferienhaus, aus dessen Schornstein Rauch hervorquoll. Butler Parker bremste den Ford vor dem Haus ab und sah seinen Begleiter abwartend an. „Ich könnte Sie ja mit ins Haus nehmen“, sagte der Falke und lächelte vertrauenerweckend, „aber ich sollte Sie wohl doch schon etwas an die Kälte gewöhnen, Parker.“ „Ich darf annehmen, daß Sie bereits bestimmte Pläne mit mir haben?“ „Sehen Sie den Schuppen neben dem Haus? Nicht besonders winterfest, wie? Dort werde ich Sie vorläufig einquartieren.“ „Ich möchte Ihnen auf keinen Fall Umstände machen.“ „Sie scheinen das alles auf die leichte Schulter zu nehmen“, warnte der Falke und lächelte nicht mehr freundlich. „Aber Sie werden sich verdammt in die Finger schneiden, Parker. In spätestens einer Stunde werden Sie nach mir schreien und auf ein bißchen Wärme hoffen. Möglich, daß ich Sie dann hören werde, sicher ist das aber nicht.“ „Gibt es eine Möglichkeit, das ganze Verfahren abzukürzen?“ „Sagen Sie mir, wo die Beute ist. Dann haben Sie eine echte Chance.“ „Und falls ich es bedauerlicherweise nicht weiß und dann erfriere?“
„Werde ich mich an die beiden Frauen halten, die sich in Ihrer Begleitung befinden“, antwortete der Falke leichthin. „Noch eine Frage, bevor ich das Quartier beziehe, wenn ich höflichst bitten darf.“ „Ich lasse nicht mit mir handeln.“ „Meine Frage bezieht sich auf das, was Sie bei Mr. Larry Hatwick zu finden hofften“, redete der Butler gemessen weiter. „Vielleicht erleichtert ein entsprechender Hinweis meinen Erinnerungsprozeß.“ „Die Juwelen trug Hatwick natürlich nicht mit sich herum. Auch in seinem Zimmer oder Gepäck haben wir nichts davon finden können. Er muß das Zeug also irgendwo sicher untergebracht haben. Und zwar hier. in Aviemore. Ein Hinweis darauf muß sich in seinem Anzug oder an seinem Körper befunden haben. Reicht Ihnen das?“ „Ich werde mich wohl doch in den Schuppen hineinbemühen müssen“, gab Josuah Parker zurück. Er stieg aus und überlegte, ob er nun zum Gegenangriff übergehen sollte. Die Frage war nur, ob der Falke hier draußen allein war. Wer befand sich im Haus? War von dort aus mit einer Störung zu rechnen?“ „Legen Sie sich die Handschellen an, Parker!“ Der Falke war ausgestiegen und hielt den Butler mit seiner Schußwaffe unter Kontrolle. Josuah Parker erhob keine Einwände und wagte es auch nicht, sich zu zieren. Er kam der Aufforderung nach und ließ die Handschellen um seine Gelenke schnappen, Dabei schaute er zum Ferienhaus hinüber und konnte hinter den Fenstern leider kein neugieriges Gesicht erkennen.
„Vorwärts“, befahl der Falke und deutete mit dem Schalldämpfer seiner Waffe zum Schuppen hinüber, der einen äußerst winddurchlässigen Eindruck machte, außerdem sehr, sehr viel eisige Kälte und Brennholz enthielt. Einige Haltepfosten aus Metall waren in den Boden einzementiert worden. An einen dieser Pfähle wurde Parker angeschlossen. Der Falke war fest davon überzeugt, daß sein Gefangener ohne fremde Hilfe unmöglich entweichen konnte. „Denken Sie an Larry Hatwick“, erinnerte der Gangsterchef, bevor er den Schuppen verließ. „Hier hat er sich den Tod geholt. Die Nächte sind hier verdammt kalt.“ „Ich möchte kundtun, daß ich einen Entschluß gefaßt habe“, sagte Parker. „Und der wäre?“ Der Falke lächelte gewinnend. „Ich möchte das Verfahren abkürzen“, sagte Butler Parker. „Mir scheint, daß diese Temperaturen mir auf die Dauer doch wenig bekommen werden.“ „Versuchen Sie mich zu überzeugen, Parker.“ Der Falke tat gleichgültig. „Wollen Sie mir etwa verraten, wo Sie Larry Hatwick angeblich versteckt haben? Wollen Sie mich 'reinlegen wie die Polizei?“ „Sie sind ungewöhnlich gut informiert.“ „Ich weiß, daß Sie die Polizei genarrt haben, Parker. Sie haben die Leiche verschwinden lassen und der Polizei was vorgespielt.“ „Ich war so frei, Mylady zu diesem Vorgehen zu überreden.“ „Und sie fiel auf Ihren Trick prompt 'rein, das kann ich mir gut vorstellen. Sie wollen wohl privat absahnen, oder?“
„Als Butler verdient man nicht gerade ein Vermögen, wie ich bemerken möchte.“ „Und wo soll Larry Hatwick jetzt sein?“ „Unter einem umgestülpten Kahn im Bootshaus am nördlichen Seeufer. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Ich hatte noch keine Gelegenheit, mich näher mit Mr. Hatwick zu befassen. Dies soll der kommenden Nacht vorbehalten bleiben.“ „Falls Sie mich angelogen haben sollten, Parker, werden Sie das büßen, mein Wort darauf. Darin verstehe ich keinen Spaß! Überlegen Sie sich, ob das auch stimmt, was Sie da sagen! Überlegen Sie es sich sehr genau!“ „Ich hoffe, Sie recht bald wieder hier zu sehen“, gab der Butler zurück Und hielt dem prüfenden Blick des Falken stand. „Also schön, Sie haben es nicht anders gewollt.“ Der Falke war davon überzeugt, die Wahrheit gehört zu haben. Parker atmete erleichtert auf, wenngleich er sich das natürlich nicht anmerken ließ. Ihm war nicht bekannt gewesen, was der Bandenchef alles wußte. Der Butler hatte geblufft. Der Falke verließ den Schuppen und schloß hinter sich die Tür. Wenig später war der Motor zu hören. Durch die recht großen Ritzen konnte Parker verfolgen, wie der graue Ford sich schnell entfernte. Der nächste Blick des Butlers galt dem Ferienhaus, das aus Bruchsteinen errichtet war. Hinter den Fenstern war immer noch nichts zu bemerken. Das Haus schien demnach unbewohnt zu sein, wogegen Parker natürlich über-
haupt nichts hatte. Er wollte keine Zuschauer für das, was er plante. Die Kälte kroch bereits an ihm hoch und fraß sich in seine Glieder. Der Falke hatte nicht übertrieben, dieser Schuppen schien außer Brennholz auch viel Kälte zu speichern. Es wurde höchste Zeit, sich etwas Bewegung zu verschaffen. Der Falke kam seinen Wünschen ungewollt entgegen. Er hatte es leichtsinnigerweise versäumt, Parkers Tascheninhalt zu kontrollieren. Aber selbst wenn er das getan hätte, so wären ihm die trickreichen Geheimnisse verschiedener, harmlos und alltäglich aussehender Gegenstände mit Sicherheit nicht aufgefallen. Ein Josuah Parker trug stets und zu jeder Gelegenheit ein kleines Arsenal Geheimnisse mit sich herum. Die Handschellen, die seine Handgelenke miteinander verbanden, bestanden aus einem Spezialstahl modernster Bauart. Die Kette, die diese Handschellen mit dem Pfosten verband, sah auch recht solide aus, doch sie stellte für den Butler kein unüberwindliches Hindernis dar. Das dicke Vorhängeschloß, das die Kette sperrte, war für Parker fast schon eine Beleidigung. Der Butler fingerte in einer seiner vielen Westentaschen herum und entschied sich für ein Stückchen Draht, das er in eine gefällige und passende Form zurechtbog. Dann näherte er sich damit dem Schloß und sperrte es Sekunden später mühelos auf. Das alles ging derart schnell, als habe er gleich den richtigen Schlüssel zur Hand gehabt. Von dem hinderlichen Pfosten war er erst mal befreit. Nun galt es, auch die Handschellen loszuwerden. Doch damit wollte der Butler sich im warmen Ferienhaus beschäftigen.
Als er zur Schuppentür ging, hörte er plötzlich Stimmen. Parker beobachtete durch einen der vielen Spalten im Holz zwei Skifahrer, die sich sehr zielstrebig dem Ferienhaus näherten. Sie kamen ihm nicht ganz geheuer vor. * Agatha Simpson war jetzt ein wenig ärgerlich. Immer wieder schaute sie in den Rückspiegel und wartete auf Verfolger, mit denen sie fest rechnete. Leider aber blieb die Straße hinter ihr völlig leer. Man schien sich weder für das hochbeinige Monstrum zu interessieren, noch für die Fahrerin. Sie hatte sich nun wirklich sehr auffällig als Köder angeboten, doch der wurde augenscheinlich verschmäht. „Na, warte!“ Die streitbare Dame wollte hinter der nächsten Kehre bremsen, wenden und wieder zurückfahren. Ihre Rechnung war leider nicht aufgegangen. Damit hatte sie sich inzwischen abgefunden. Als sie jedoch erneut in den Rückspiegel blickte, verzog sich ihr Gesicht zu einem triumphierenden Lächeln. Auf der Straße hinter ihr waren plötzlich die Scheinwerfer eines schnell aufholenden Wagens zu sehen. Man hatte sie also doch als Köder angenommen. Nun mußte sie den gerissenen Fuchs nur noch in eine geeignete Falle locken. Lady Simpson merkte, daß der sie verfolgende Wagen für eine immer gleichbleibende Distanz sorgte. Ihr Verdacht wurde zur Gewißheit. Sie wurde verfolgt. Man wollte auch sie außer Gefecht setzen, wie es wahrscheinlich bereits ihrem Butler passiert war.
Agatha Simpson erreichte eine Kreuzung und entschied sich für die östliche Straße, die in einen kleinen Wald führte. Prompt folgte ihr der Wagen. Der Blutdruck der Detektivin stieg wohltuend an. Sie fühlte sich animiert von dieser Situation und fingerte nach ihrem perlenbestickten Pompadourtäschchen, das auf dem Nebensitz lag. In diesem Handbeutelchen, wie man es heutzutage nicht mehr häufig sieht, befand sich der „Glücksbringer“ der alten Dame. Dabei handelte es sich um ein echtes Hufeisen, das nur oberflächlich mit Schaumgummi umwickelt war, um ernste Schäden zu vermeiden. In Myladys Hand war dieses Hufeisen eine gefährliche Waffe, wie in der Vergangenheit schon mancher ihrer Gegner hatte erfahren müssen. Darüber hinaus war Lady Simpson auch mit weiteren zusätzlichen Waffen ausgerüstet, die aus Butler Parkers Bastelstube stammten. Auch hierbei handelte es sich um völlig harmlos aussehende Gegenstände, die es aber wirklich in sich hatten.. Da war zum Beispiel die Hutnadel, deren Spitze chemisch präpariert worden war. Ein herzhafter Stich genügte, um das Opfer dieser Hutnadel vor Schmerz herumtanzen und dann schnell einschlafen zu lassen. An einem starken Silberkettchen trug die ältere Dame dann noch eine Lorgnette, eine Stielbrille. Der ausklappbare Griff war nichts anderes als eine Art Stilett, mit dem Lady Agatha auch sehr fachmännisch umgehen konnte. Über ihrem wogenden Busen war dann auf der Jacke ihres Kostüms eine Brosche befestigt, die feine und unsichtbare Düsen besaß. Aus ihnen ließ sich
ein teuflischer Reizstoff versprühen, der den Angreifer umgehend blendete. Dieser Reizstoff befand sich in einer ovalen Gummimembrane und konnte nach Belieben ausgelöst werden. Lady Simpson täuschte dazu stets einen Herzanfall vor, um ihre Hand so in die richtige Ausgangsstellung bringen zu können. Auf diesen Trick war schon mancher Gegner hereingefallen. Sie machte sich also keine Sorgen, als die Gegend immer dunkler und einsamer wurde. Sie gab Gas und ließ Parkers hochbeiniges Monstrum lospreschen. Sie verschaffte sich so einen Vorsprung, bremste hinter einem hohen Schneewall jäh ab, ließ den Wagen ein wenig von der schmalen Straße wegrutschen und täuschte so einen leichten Unfall vor. Dann legte sie ihren Oberkörper über das Lenkrad und wartete darauf, daß der Verfolger näher kam. Die streitbare Lady konnte es wieder mal kaum erwarten, in Aktion zu treten. Es dauerte auch nur wenige Minuten, bis der Verfolger sie erreicht hatte. Lady Agatha hörte das Klappen der Wagentür, schnelle Schritte und zuckte mit keiner Wimper, als ihre Wagentür vorsichtig geöffnet wurde. Als dann jedoch eine Hand prüfend auf ihre Schulter gelegt wurde, begann die Detektivin sich energisch und nachdrücklich zu regen und langte zu. Als der „Glücksbringer“ einschlug, merkte sie zu ihrem Unbehagen, daß sie Inspektor Molpers in das Reich der Träume geschickt hatte. Der Vertreter der Polizeibehörde saß im Schnee und sackte nach hinten weg. „Können Sie denn nicht aufpassen?“ raunzte die Lady ihn an. „Um ein Haar hätte ich Ihnen noch was getan!“
* Wie die beiden Skifahrer aussahen, konnte Parker wegen der schlechten Lichtverhältnisse nicht ausmachen. Es wurde jetzt sehr schnell dunkel. Hinzu kam, daß beide Wintersportler trotz der Dunkelheit auch noch Schneebrillen trugen. Schon diese Tatsache ließ ihn vorsichtig bleiben. Sie näherten sich inzwischen dem Steinhaus und redeten leise miteinander. Sie standen hinter einem Schneewall, als suchten sie dort Deckung. Soviel aber sah der Butler noch. Einer der beiden Skiläufer war schmal, fast zierlich zu nennen; der zweite Sportler hingegen machte einen durchtrainierten Eindruck. Dieser Durchtrainierte mußte sich inzwischen die Bretter abgeschnallt haben. Er duckte sich und lief dann vorsichtig auf das Ferienhaus zu. Ob er eine Schußwaffe in Händen trug, ließ sich nicht ausmachen. Parker blieb sicherheitshalber im Schuppen und beschränkte sich auf seine Beobachtungen. Die eisige Kälte spürte er nicht mehr. Ein Jagdfieber hatte ihn erfaßt. Dieses Fieber hielt sein Blut warm. Der Durchtrainierte hatte inzwischen die Tür zum Ferienhaus erreicht, hantierte am Schloß herum und verschwand dann im Innern des Hauses. Der Zierliche rührte sich nicht vom Fleck. Josuah Parker langte vorsichtig nach seinem Regenschirm, um den der Falke sich erfreulicherweise überhaupt nicht gekümmert hatte. Sein Universal-Regenschirm lag auf einem Holzstoß und schrie förmlich danach, eingesetzt zu
werden. Parker wollte herausfinden, mit wem er es da drüben am Ferienhaus zu tun hatte. Handelte es sich um die Leute, die die Leiche Larry Hatwicks hatten verschwinden lassen? Nach Parkers Theorie hatte man es nicht nur mit dem Falken und dieser Nelly Bronsom zu tun, sondern noch mit einer dritten Interessentengruppe. Dieser Schluß drängte sich nahezu auf. Der Falke war zusammen mit den beiden Handlangern Pete und Hale hinter der Leiche her. Aber auch diese Nelly Bronsom suchte nach dem Toten und wurde dabei unterstützt von ihren Begleitern Mike und Lefty. Da die Leiche wie vom Erdboden verschwunden war, mußte es noch eine dritte Gruppe geben. Der Diebstahl der Juwelen schien in Kreisen der Unterwelt große Aktivitäten ausgelöst zu haben. Nun, es ging auch immerhin um runde hundertzwanzigtausend Pfund. Dafür lohnte sich schon der Einsatz. Parker ,entsicherte' seinen UniversalRegenschirm. Durch den hohlen Schirmstock, der nichts anderes als eine Art Blasrohr war, konnte er Pfeile verschießen, die nicht größer als eine Stopfnadel waren. Eine starke Kohlensäurepatrone im oberen Teil des Schirmstocks sorgte für die erforderliche Treibladung. Die Spitzen der Blasrohrpfeile waren selbstverständlich chemisch präpariert. Das verstand sich nahezu von selbst. Parker wollte schließlich nicht töten, sondern seine Gegner nur für eine gewisse Zeit außer Gefecht setzen. Diese kleinen, bunt gefiederten Pfeile besorgten das mit höchster Präzision. Der Getroffene wurde gleich nach dem Treffer
von einer unwiderstehlichen Müdigkeit erfaßt und war nicht mehr ansprechbar. Parker hob den Schirm an, zielte und schickte den Miniaturpfeil auf die Reise. Das Opfer zuckte Bruchteile von Sekunden später leicht zusammen, wandte sich irritiert um, fingerte nach der schmerzenden Stelle zwischen den Schulterblättern und ... war dann plötzlich nicht mehr zu sehen. Wahrscheinlich lag es jetzt schon hinter dem Schneewall und legte eine kleine Ruhepause ein. Josuah Parker drückte die Tür des Schuppens auf, begab sich hinaus in den Schnee und suchte sich hinter einer nahen Schneewehe ein neues Versteck. Die Spuren im Schnee beseitigte er absichtlich nicht. Nach wenigen Minuten erschien der Durchtrainierte in der Haustür, rief etwas zu seinem Begleiter hinüber, merkte erst jetzt, daß der sich niedergelegt hatte und rannte auf ihn zu. Früher oder später mußte er natürlich den kleinen, bunt gefiederten Pfeil entdecken. Und ob er ihn entdeckte! Er pirschte sich um den Schneewall herum und beobachtete mißtrauisch den Schuppen. Ihm war inzwischen klargeworden, daß der Schütze dieses Pfeils im Schuppen sein mußte. Er wollte aber kein Ziel bieten, lief daher im Zickzack auf den Schuppen zu, zückte eine Schußwaffe mit Schalldämpfer und warf sich kurz vor der geöffneten Schuppentür in den tiefen und weichen Schnee. Dabei schoß er bereits. Parker konnte das ‚ploppen’ der schallgedämpften Schüsse hören. Er wartete darauf, daß der Schütze die Spuren im Schnee entdeckte und ihnen folgte. Dann wollte der Butler einen
zweiten Blasrohrpfeil einsetzen und auch den Durchtrainierten in tiefen Schlaf schicken. Aber der Mann ging ihm nicht auf den Leim. Er dachte nicht daran, sich unnötig in Gefahr zu begeben. Er preschte aus dem Schuppen, duckte sich wieder und lief zurück zum Schneewall. Er verzichtete scheinbar ganz bewußt darauf, den Schützen des Pfeils draußen im Schnee zu suchen. Parker richtete sich ein wenig auf und beobachtete den Mann, der der Dunkelheit wegen nur noch schemenhaft zu erkennen war. Er lud sich gerade seinen Begleiter auf die Schulter, nachdem er ihm die Skibretter abgeschnallt hatte. Liebend gern hätte jetzt Josuah Parker seinen zweiten Pfeil verschossen, doch die Entfernung war einfach zu groß, und ein Treffer war sehr unwahrscheinlich. Der Durchtrainierte stand zudem bereits wieder auf seinen Brettern und fuhr ab. Er war ein erstklassiger Skiläufer, denn trotz der Last auf seiner Schulter kam er sehr schnell voran und verschwand kurz darauf in einer Bodensenke. Er räumte lieber das Feld und ließ sich auf kein Risiko ein. Wenngleich Parkers Rechnung auch nicht ganz aufgegangen war, so stand immerhin fest, daß mit dem Verschwinden der Leiche Larry Hatwicks die Juwelen noch immer nicht gefunden worden waren. Das Spiel blieb also weiterhin offen. Josuah Parker mußte sich jetzt wieder mal entscheiden. Sollte er den beiden Wintersportlern folgen, oder aber auf die Rückkehr des Falken warten? Die Handschellen, die noch immer seine Gelenke zierten, gaben schließlich den Ausschlag. Parker
blieb und stellte sich auf ein Zusammentreffen mit dem Falken ein. * „Sie werden sich am Wagendach gestoßen haben“, sagte Lady Agatha zu Inspektor Molpers. „Nun zieren Sie sich nicht so, junger Mann! Diese kleine Beule werden Sie schon noch verschmerzen.“ „Ich dachte, ich sei von einem Pferd getreten worden.“ Der Inspektor fingerte vorsichtig nach der Schwellung. „Sagen Sie mir lieber, warum Sie mich verfolgt haben“, fragte die Detektivin, auf die Beule und den angeblichen Pferdetritt nicht näher eingehend. „Ich weiß schon, Sie denken, mein Butler und ich hätten die Leiche verschwinden lassen, wie?“ „Ich ... Ich wollte Sie beschützen“, schwindelte Molpers, der sich durchschaut fühlte. „Wohin wollen Sie denn wirklich, wenn ich fragen darf?“ „Eigentlich dürfen Sie nicht, junger Mann, aber ich werde Ihnen dennoch antworten. Um diese Zeit fahre ich meist etwas aus.“ „Mylady, wenn Sie wissen, wo die Leiche ist, müssen Sie mir das sagen.“ „Irgendwann wird sie sich schon wieder einfinden. Wollen Sie mir denn weiterhin folgen? Was versprechen Sie sich überhaupt davon?“ „Jetzt nichts mehr. Ich fühle mich nicht wohl. Gute Nacht!“ „Sie wollen zurück nach Aviemore?“ „Ich bin bedient“, gestand der Inspektor und fingerte erneut nach seiner Beule. „Ich kann mich unmöglich am Wagendach gestoßen haben, Mylady.“
„Glauben Sie immer noch, ich hätte sie Ihnen beigebracht? Das ist doch lächerlich, junger Mann. Womit denn, wenn ich mal fragen darf?“ „Darüber werde ich nachdenken, Mylady.“ Inspektor Molpers grüßte flüchtig und ging taumelnd zurück zu seinem Wagen. Er wendete ihn und war bald auf der einsamen Straße verschwunden. Lady Simpson saß inzwischen vor dem Steuer und ging mit sich zu Rate. Es hatte wohl keinen Sinn mehr, auf eine Begegnung mit Gangstern zu hoffen. Inspektor Molpers hatte ihr ungewollt das ganze Konzept verdorben. Daran ließ sich nun nichts mehr ändern. Es war wohl richtig, ebenfalls zurückzufahren. Lady Simpson hatte keine Schwierigkeiten, Parkers Wagen wieder auf die Straße zu bringen. Während der Rückfahrt dachte sie natürlich immer wieder an ihren Butler, den sie aus einer gefährlichen Situation retten wollte. Ob er inzwischen ins Ferienhaus zurückgekehrt war? Sie wünschte es sich sehnlichst. Sie schätzte seine würdevolle, gemessene Art, seinen scharfen Verstand und seine Improvisationsgabe. Seitdem Parker in ihren Diensten stand, war ihr Leben bunt und aufregend geworden. Agatha Simpson gab sich Parker gegenüber nur deshalb immer ein wenig ruppig und grollend, um neben ihm überhaupt bestehen zu können. Ihr war aber klar, daß sie ohne ihn keinen einzigen Kriminalfall lösen konnte. Er war für sie selbstverständlich kein Butler im üblichen und normalen Sinn. Er war ein gleichberechtigter Partner. „Warum er sich nicht längst selbständig gemacht hatte, blieb ihr ein Rätsel. Ein
Mann mit seinen Fähigkeiten hatte zumindest eine große Detektei leiten können. Auch in jedem anderen Beruf wäre ein Josuah Parker sehr erfolgreich gewesen, aber nein, er behielt seinen Status bei und schien sich als Butler außerordentlich wohl zu fühlen. Agatha Simpson hatte inzwischen ihr Ferienhaus wieder erreicht. Sie hupte ausdauernd und wartete darauf, daß Kathy Porter in der Haustür erschien. Das war nicht, der Fall. Und plötzlich wußte Lady Agatha mit Sicherheit, daß mit Kathy irgend etwas passiert war. Lady Simpson machte sich erneut Vorwürfe: Sie hätte sie nicht allein zurücklassen dürfen. Sie fuhr bis ganz dicht vor das Ferienhaus, stieg hastig aus und marschierte auf die Haustür zu. Dabei rief sie bereits ungeduldig und besorgt Kathys Namen. Sie zeigte sich immer noch nicht. Lady Agatha Simpson stürmte ins Haus und sah sich einem etwa vierzigjährigen, sehr sympathisch aussehenden Mann gegenüber, der einen Skidress trug. Weniger sympathisch an ihm war die schallgedämpfte Schußwaffe in seiner Hand, deren Mündung er auf die ältere Dame gerichtet hatte. „Nur keine Aufregung“, sagte er freundlich, wobei seine braunen Augen glänzten. „Sie wollen doch Ihre nette, kleine Sekretärin nicht gefährden, oder?“ „Wer sind Sie?“ grollte Agatha Simpson gereizt. Mit solch einer Überraschung hatte sie nicht gerechnet. „Sie haben sicher meinen Spitznamen schon gehört, Lady Simpson, man nennt mich den Falken.“
„So sehen Sie aber überhaupt nicht aus! Wo ist meine Sekretärin? Antworten Sie schnell, sonst steigt mein Blutdruck!“ „Sie ist mein Gast. Wie Ihr Butler, Mylady. Sie sehen, ich räume jetzt auf. Wir sollten doch endlich zu einer Einigung kommen, oder? Langsam verliere ich nämlich die Geduld, doch das nur am Rande.“ * Butler Parker griff ohne Zögern nach dem Telefonhörer, als der Apparat läutete. Er ahnte, daß dieser Anruf ihm galt. Zu lange schon war der Falke unterwegs. Der Butler genierte sich auch nicht, seinen Namen zu nennen. „Ich habe es gewußt“, hörte er auch prompt die sympathische Stimme des Gangsters, die sogar ein wenig belustigt klang. „Vielen Dank übrigens für Ihr Verständnis.“ „Darf ich dazu bemerken, daß ich Sie nicht recht verstehe?“ „Sie haben sich genauso verhalten wie ich es mir wünschte. Warum habe ich wohl Ihre Taschen nicht geleert? Ich wußte doch, daß Sie von der Kette loskommen würden. Nun haben Sie die ganze Zeit auf meine Rückkehr gewartet, wie?“ „Dies würde ich nicht abstreiten“, räumte der Butler würdevoll ein und schämte sich ein wenig. Er hatte den Falken unterschätzt. Dieser Fehler ging absolut auf sein Konto. „Ich werde natürlich nicht kommen“, redete der Falke weiter. „Ich muß mich um meine Gäste kümmern.“
„Sollte ich von der Annahme ausgehen müssen, daß Sie Mylady und Miß Porter zu sich ... geladen haben?“ „Davon sollten Sie ausgehen, Parker. Ich war natürlich nicht draußen am Bootshaus. Diesen Schwindel habe ich sofort durchschaut.“ „Ich müßte mich bei Ihnen entschuldigen.“ „Jeder macht mal einen Fehler“, tröstete der Falke den Butler und lachte ohne Ironie leise auf. „Ist doch immer wieder beruhigend zu wissen, daß es keine Übermenschen gibt, wie?“ „Sie werden natürlich ihre Bedingungen stellen, wenn ich mich nicht irre.“ „Sie kennen sie ja, Parker. Mich interessiert nur die Beute von Larry Hatwick. Den beiden Frauen wird nichts passieren, wenn Sie sich anstrengen. Noch etwas, nutzen Sie die Zeit, suchen Sie erst gar nicht nach meinen Gästen, Sie würden sie doch nicht finden.“ „Ich werde mir erlauben, Ihre Worte zu Herzen zu nehmen.“ „Schön, Parker, das wär's dann auch schon. Strengen Sie sich an und schaffen Sie die Juwelen herbei!“ „Wie werden Sie sich mit meiner bescheidenen Wenigkeit in Verbindung setzen?“ erkundigte sich Parker, der seine Überraschung schon verdaut hatte. „Sagen wir, gegen Mittag“, schlug der' Falke freundlich vor. „Hoffentlich haben Sie dann gute Nachrichten für mich, Parker. Die beiden Damen würden sich sicher auch darüber freuen.“ Parker hatte aufgelegt und machte sich bereit, das Haus zu verlassen. Er zweifelte zwar keine Sekunde an den Worten des Falken, doch sicherheitshalber rief er dann noch im Ferienhaus der Lady Simpson. an. Wie zu erwarten, wurde
auf der Gegenseite nicht abgehoben. Lady Agatha und Kathy Porter waren also in der Gewalt des Falken. Insgeheim bewunderte der Butler die raffinierte Taktik des Falken. Der Gangster hatte ihn geschickt hier festgehalten und war ihm wirklich nur scheinbar auf den Leim gegangen. In Wirklichkeit hatte der Gangster aber die beiden Frauen gekidnappt und sich ein Faustpfand geschaffen, wie man es sich besser nicht vorstellen konnte. Nach seinem Plan sollte er, Josuah Parker, sich jetzt um die verschwundene Beute des ermordeten Larry Hatwick kümmern. Der Falke brauchte nur in aller Ruhe auf die Anlieferung der Juwelen zu warten. Er hatte dafür gesorgt, daß er, Josuah Parker, für ihn tätig bleiben mußte. Butler Parker mußte sich mit den Tatsachen abfinden. Er verließ das Ferienhaus, um für den Falken die Kastanien aus dem Feuer zu holen. So hatte Parker sich die weitere Entwicklung des Falls wirklich nicht vorgestellt. Er mußte nach der Pfeife dieses schlauen Gangsters tanzen. * „Sie sind ein kleines Schäfchen“, sagte Agatha Simpson tröstend zu Kathy Porter. „Ich hingegen bin ein Riesenschaf!“ Die beiden Frauen befanden sich in einem engen Keller, der nur spärlich beleuchtet war. Um sie herum gab es nur nackte Ziegelwände, die mit Rauhreif bedeckt waren. Es war sehr kalt in diesen ,Gästezimmer', wie der Falke den Raum genannt hatte.
„Ich kann immer noch nicht verstehen, wie ich auf den Falken hereinfallen konnte“, ärgerte sich Kathy. „Er gab sich als Detektivsergeant aus und behauptete, Inspektor Molpers habe ihn geschickt.“ „Und mich überraschte er mit seiner Schußwaffe“, bekannte Lady Agatha. „Der Lümmel war derart mißtrauisch, daß ich keine Gelegenheit hatte, ihm ans Fell zu gehen.“ Kathy Simpson untersuchte die Kellertür und kam zu dem Schluß, daß sie nicht gerade sehr solide war. Doch hinter der Tür begannen wahrscheinlich erst die wirklichen Schwierigkeiten. Von einem winzig kleinen Vorraum aus führte eine steile Treppe, die fast an eine Leiter erinnerte, hinauf zu einer Falltür und die war ohne Hilfsmittel nicht zu bezwingen. „Wäre Parker hier, würde ihm wahrscheinlich etwas einfallen“, stellte Agatha Simpson fest. „Wo mag er nur stecken, Kindchen? Dieser Falke ging auf meine Fragen nicht ein.“ „Ich kann mir einfach nicht vorstellen, Mylady, daß ihm etwas passiert ist“, antwortete Kathy optimistisch. „Bisher hat er noch immer einen Ausweg gefunden. Wahrscheinlich wird er uns auch hier wieder herausholen.“ Lady Simpson kam nicht dazu, eine Antwort zu geben. Im kleinen, eiskalten Kellerraum hörten beide Frauen ganz deutlich, wie die Falltür geöffnet wurde. „Wie, Sie haben die einfache Tür noch nicht geknackt?“ wunderte sich die freundlich-ironische Stimme des Falken. „Jetzt enttäuschen Sie mich aber, meine Damen.“
„Widerlicher Fatzke“, raunzte die Lady laut zurück. „Sie haben doch nur Angst, hier unten zu erscheinen.“ „Vollkommen richtig, Lady Simpson. Ich traue kaum einem Menschen. Aber einer von Ihnen kann sich hier oben etwas aufwärmen. Ich will nicht grausam sein.“ „Bitte, Mylady“, sagte Kathy spontan. „Nutzen Sie die Gelegenheit. Hier unten ist es zu kalt und zu feucht für Sie.“ „Papperlapapp, Kindchen. Sie werden nach oben gehen!“ „Ausgeschlossen!“ Kathy schüttelte den Kopf. „Kann ich ihn etwa verführen?“ Agatha Simpson zwinkerte Kathy listig zu. „Haben die Damen sich inzwischen geeinigt?“ war wieder die Stimme des Falken zu vernehmen. „Schön, dann werde ich das für Sie tun. Miß Porter, kommen Sie!“ „Wir bekommen die Tür nicht auf“, rief Kathy zurück und schüttelte den Kopf, als die ältere Dame sich gegen die Tür werfen wollte, was bestimmt einiges bewirkt hätte. „Tja, dann haben Sie Pech gehabt.“ Der Falke dachte nicht daran, sich leichtsinnig in Gefahr zu begeben. „Sollten Sie sie geschafft haben, können Sie sich ja wieder melden.“ „Dieser Lümmel hat doch tatsächlich wieder die Falltür geschlossen“, erregte sich Agatha Simpson. „Nun machen Sie schon, Kindchen. Parker wird Ihnen doch beigebracht haben, wie man ein Schloß aufsperrt, oder?“ Während sie noch redete, reichte sie ihrer Gesellschafterin eine Haarnadel, die Kathy mit ihren Fingern mühsam zurechtbog. Wie gut sie das aber gelernt hatte, zeigte sich schon nach wenigen
Minuten. Das Schloß gab nach, die Tür ließ sich aufdrücken. „Und gehen Sie nicht zu“ weit, Kindchen“, warnte Lady Simpson, als Kathy die steile Treppe hinaufstieg. „Übertreiben Sie nichts!“ Kathy lächelte und als ihr Kopf die Falltür erreicht hatte, klopfte sie mit der linken Faust gegen das schwere Bohlenholz. „Sehen Sie, man muß nur wollen.“ Die Stimme des Falken war undeutlich zu hören. „Ich hebe die Falltür jetzt an, Miß Porter. Sie sind es doch hoffentlich, oder? Stecken Sie Ihre Hände durch den Spalt, damit ich Ihnen Handschellen anlegen kann!“ Kathy Porter paßte das überhaupt nicht, doch sie mußte darauf eingehen, wenn sie eine Chance haben wollte. Die Falltür wurde leicht angehoben, sie schob ihre Hände nach draußen. Blitzschnell legten sich die stählernen Spangen der Handschellen um ihre Gelenke. Erst jetzt hob der Falke die Falltür weiter auf, damit Kathy heraufsteigen konnte. Sie merkte sofort, daß er getrunken hatte. Seine Augen glänzten, seine Wangen waren gerötet. Er hielt ein Glas in der Hand und nickte Kathy freundlich zu. „Vertreiben wir uns gemeinsam die Zeit“, schlug er vor und ließ die Falltür wieder zurück in den Rahmen fallen. „Hoffentlich sind Sie ein amüsanter Gast, Miß Porter und hoffentlich haben Sie mir einiges zu bieten, sonst werde ich Sie in den Keller zurückschicken.“ Kathy musterte den Falken. Der Mann war unbewaffnet, sie hingegen trug Handschellen und war in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt.
Dennoch rechnete sie sich gegen diesen Mann eine echte Chance aus. * Josuah Parker zweifelte schon fast daran, die richtige Karte ausgespielt zu haben. Nach dem Anruf des Falken hatte er die von den beiden Wintersportlern zurückgelassenen Skibretter benutzt, um zurück nach Aviemore zu fahren. Nachdem die Bindung nicht recht paßte und sich immer wieder gelöst hatte, war dabei viel Zeit verlorengegangen. Dennoch hatte der Butler sich durch den Schnee gekämpft, jede nur mögliche Abkürzung genutzt, stand nun in einem Vorgarten und beobachtete von hier aus die einzige Apotheke am Ort, die Nachtdienst hatte. Er wartete hier nicht ohne Grund. Er kannte schließlich die chemische Zusammensetzung seines „Pfeilgiftes“. Früher oder später mußte der zierliche Sportler, den er erwischt hatte, mit den stark juckenden Pusteln eines PseudoNesselfiebers zu tun bekommen. Dieser Juckreiz war derart stark und intensiv, daß man zu einem Arzt oder zu einer Apotheke rennen würde, um sich etwas zur Linderung zu verschaffen. Dies war Parkers Rechnung, ob sie jedoch aufging, war eine andere Frage. Der Butler hatte sich entschlossen, erst mal das Hindernis in der Gestalt der beiden Skifahrer aus dem Weg zu räumen. Er brauchte einen freien Rücken, wenn er gegen den Falken arbeiten wollte. Weitere Komplikationen konnte er sich nicht mehr leisten. Es ging schließlich um das Leben seiner beiden Damen.
Natürlich hatte er sich bei dem Apotheker nicht sehen lassen. Dort hätte man ihn ungewollt doch nur auf eine falsche Spur gesetzt. Derjenige, der etwas gegen den Juckreiz holte bzw. geholt hatte, würde niemals seinen richtigen Namen und seine jetzige Adresse verraten. Nein, Parker wartete. Und dieses Warten lohnte sich schließlich. Plötzlich erschien eine Gestalt auf der dunklen Straße. Sie erinnerte ihn an den Sportler, den er durch die Ritzen des Schuppens beobachtet hatte. Diese Gestalt marschierte zielsicher auf die Apotheke zu, läutete und wartete, während im Innern des Hauses inzwischen Licht eingeschaltet wurde. Was der Mann als Wunsch vortrug, konnte Parker zwar nicht verstehen, doch er schien sich mit dem Apotheker zu beraten, der daraufhin als Schatten in seiner Apotheke verschwand. Parker war sich inzwischen sicher, den richtigen Mann vor sich zu haben. Der Apotheker kam zurück, händigte dem Käufer ein Päckchen aus und redete auf ihn ein. Der Sportler zahlte und eilte dann zurück, während in der Apotheke das Licht ausgeschaltet wurde. Parker machte sich an die Verfolgung. Gegen den dunklen Hintergrund der Häuser fiel er überhaupt nicht auf. Seine schwarze Berufskleidung kam ihm hier zugute. Er bewegte sich nur sehr vorsichtig, denn er wollte sein Wild nicht verscheuchen. Der Mann hatte inzwischen die Durchgangsstraße erreicht, überquerte sie und sprang dann an einer Mauer hoch, die etwa zwei Meter maß. Sekunden später war er verschwunden. Josuah Parker war zwar kein besonders junger Mann mehr, doch er glich
diesen altersmäßigen Nachteil mit seinem Universal-Regenschirm aus. Er schob den Bambusgriff über die Mauer und zog sich am Schirmstock wie an einer Kletterstange hoch. Er sah gerade noch, wie der Wintersportler in einem schwach erleuchteten Hotelbungalow verschwand. Nicht ohne Verzicht auf Würde überstieg nun auch der Butler die Mauer, legte sich den Schirm korrekt über den linken Unterarm, setzte sich die schwarze Melone zurecht und schritt gemessen auf den kleinen Einzelbungalow zu, dessen Fenster leider dicht verhängt waren. Er hörte jedoch ein Stöhnen und Seufzen, das ihm nur zu bekannt vorkam. Solche Geräusche produzierten diejenigen, die von einem seiner Blasrohrpfeile getroffen worden waren. Wie eilig der Wintersportler es gehabt hatte, zeigte sich daran, daß die Eingangstür zum Bungalow noch nicht mal versperrt war. Der Butler öffnete vorsichtig, trat in den kleinen Korridor, schloß die Tür hinter sich und schaute sich dann in dem Wohnraum um. Auf einer Couch lag eine junge und vollkommen nackte Frau. Ihre Haut war mit kleinen, roten Pünktchen bedeckt. Der Wintersportler packte gerade das Päckchen aus und holte eine Flasche hervor. „In ein paar Minuten hast du Linderung“, sagte er zu der jungen Frau. „Oder auch nicht“, erwiderte der Butler, der sich inzwischen dem Samariter geräuschlos genähert hatte. Er nahm ihm die Flasche aus der Hand und grüßte mit seiner schwarzen Melone. Dieser war mit solidem Stahlblech gefüttert. Die Wölbung von Parkers Kopfbedeckung stieß an die Stirn des über-
raschten Mannes, der daraufhin fast abenteuerlich schielte und sich müde niedersetzte. Die junge Frau hatte sich aufgerichtet, schaute den Butler völlig entgeistert an und wußte im Moment nichts zu sagen. * Kathy Porter ließ sich auf nichts ein. Sie ahnte, daß der Falke mit ihr Katz und Maus spielen wollte, doch sie nahm ihm jede Gelegenheit dazu. Sie warf sich nach hinten und riß dabei ihr linkes Bein hoch. Ihr Schuh traf die Brust des Falken, der überrascht aufstöhnte und nach seiner Schußwaffe greifen wollte. Doch Kathy setzte sofort nach. Sie war zu einem Ball geworden, der sich blitzschnell über den Teppich bewegte. Sie rollte gegen die Knie des Mannes, der sein Gleichgewicht verlor und gegen die Tür fiel, die unter seinem Gewicht sofort aufsprang und ihn in den kleinen Korridor taumeln ließ. Kathy wußte, daß es jetzt nur um Sekunden ging. Der Falke durfte nicht mehr die Zeit haben, nach seiner Waffe zu greifen. Daß dieser Gangster rücksichtslos schießen würde, stand für sie fest. Kathy griff hastig nach der Lampenzuleitung und riß sie aus dem Wandstecker. Pechschwarze Finsternis breitete sich aus. Kathy rollte sich geschickt an den Kachelofen heran und ging hier in Deckung. Dann langte sie nach einer Flasche, die auf einem halbhohen Wandbord stand, holte aus und schleuderte sie in die Richtung, in der sie den Falken vermutete. Es ,ploppte'.
Der Gangster schoß, versuchte sie zu erwischen, schoß erneut und traf irgendeinen gläsernen Gegenstand. Glassplitter regneten auf Kathy herunter. Sie nahm zufrieden zur Kenntnis, daß er wahrscheinlich die Deckenlampe zerschossen hatte. Besser hätte der Gangster überhaupt nicht treffen können. „Stecken Sie auf“, hörte sie dann die jetzt erregte und wütende Stimme des Falken. „Ergeben Sie sich, Miß, oder ich mache Sie fertig!“ Sie dachte nicht im Traum daran, eine Antwort zu geben und so ihren momentanen Standort zu verraten. Kathy atmete vorsichtig und flach. Selbst ihr Atmen durfte sie nicht verraten. „Ich weiß genau, wo Sie sind“, rief der Falke wütend. „Der nächste Schuß trifft!“ Aber Kathy Porter ließ sich nicht bluffen. Sie rührte sich nicht vom Fleck. Jetzt kam alles nur darauf an, wer die besseren Nerven hatte. Der Falke hatte sie nicht: Er schoß noch mal, öffnete dann die Tür, die nach draußen in die Kälte führte und floh, denn die Flucht war ihm lieber als dieses Duell. Kathy rührte sich immer noch nicht. Sie war mißtrauisch. Der Falke war nicht zu unterschätzen. Dieser Gangster war voller Tücke. Jetzt kam es auf eine Minute mehr oder weniger auch nicht mehr an. Wie richtig sie sich Verhalten hatte, zeigte sich wenig später. Plötzlich schmetterte der Gangster die Tür weit auf und schoß mehrmals in den Raum. Ihm ging es wohl um einen Zufallstreffer. Wahrscheinlich hatte er damit gerechnet, daß sie wieder auf den Beinen war und sich frei im Wohnraum bewegte.
„Geben Sie auf“, rief der Falke leise. „Ihre letzte Chance, Miß!“ Kathy Porter verzog ihr Gesicht zu einem amüsierten Lächeln. Sie wußte bereits, daß sie gesiegt hatte. Dieser mißtrauische Fuchs kam ganz sicher nicht zurück in seinen Bau. Er wollte nicht noch mal überrascht werden. Nun, er war so unhöflich, die Tür nicht wieder zu schließen, als er sich endgültig absetzte. Kälte drang wie eine Lawine in den Raum ein. Kathy hörte das Knirschen schneller Schritte, die sich entfernten. Der Falke hatte aufgegeben. „Nun, Kindchen?“ ließ Agatha Simpson sich in diesem Moment von der Falltür her vernehmen. „Haben Sie dieses Subjekt endlich in die Flucht geschlagen?“ „Es sieht so aus, Mylady“, gab Kathy zurück und atmete befreit auf. „Warten Sie, ich werde Ihnen heraufhelfen.“ „Ich bin doch keine alte Frau“, antwortete Lady Agatha schnaufend und ächzend. „Und machen Sie gefälligst die Tür zu! Es zieht ja wie Hechtsuppe!“ * „Ich möchte Sie auf keinen Fall unnötig quälen“, sagte Josuah Parker höflich. „Aber ich möchte Sie auf der anderen Seite auch nicht unterbrechen.“ „Ich ... Ich habe doch noch gar nichts gesagt“, keuchte die junge Frau und kratzte sich an der linken Hüfte. „Das werden Sie nun aber bestimmt tun“, prophezeite der Butler und hielt die kleine Medizinflasche absichtlich hoch. Er beugte sich etwas vor, um die Aufschrift besser lesen zu können. „Wenn ich das Rezept richtig deute,
Madam, handelt es sich um ein juckreizstillendes Mittel. Ist es etwa für Sie gedacht?“ „Bitte“, flehte die junge Frau, die sich jetzt die rechte Hüfte kratzte. Ihr war überhaupt nicht bewußt, daß sie nach wie vor völlig nackt war. Der Mann, der ihr die Medizin besorgt hatte, kam inzwischen wieder zu sich, wurde von Parker aber schnell wieder eingeschläfert. Der Butler benutzte dazu den bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms. Schon ein ganz leichter Schlag genügte vollkommen, um den Mann zurück ins Land der bunten Träume zu schicken. „Nun zur Sache, Madam“, schlug der Butler vor. „Wer sind Sie? Wo, vor allen Dingen, haben Sie die Leiche von Larry Hatwick versteckt? Das Mittel hier in der Flasche scheint übrigens erstaunlich schnell zu wirken, wenn man der Beschriftung glauben darf.“ „Larry steht draußen“, sagte die junge Frau hastig. „Sie setzen mich in einiges Erstaunen“, erwiderte Parker. „Muß ich annehmen, daß er erneut als Schneemann verpackt worden ist?“ „Ja, er steckt in einem Schneemann“, lautete die gequälte Antwort. „Irgendwo mußten wir ihn ja schließlich lassen.“ „Das ist ein Grund, dem ich mich nicht verschließen möchte“, antwortete der Butler. „Aber die bewußte Beute haben auch Sie und Ihr Begleiter noch nicht gefunden, oder?“ „Die Juwelen sind einfach weg“, klagte die junge, nackte Frau und befaßte sich mit ihrem rechten Oberschenkel. „Geben Sie mir endlich die Medizin! Ich halte es nicht mehr aus.“
„Es kann sich nur noch um Sekunden handeln“, tröstete der Butler die junge Frau. „Bleiben wir vorerst beim Thema. Wer sind Sie und Ihr Begleiter? Woher wußten Sie von Larry Hatwicks Beutezug?“ „Earl war mit ihm befreundet“, sagte die junge Frau und deutete auf ihren immer noch träumenden Begleiter. „Er bekam 'raus, was Larry plante und blieb ihm auf den Fersen. Earl hatte aber keine Ahnung, daß Larry vom Falken getötet worden war.“ „Sie kennen den Falken?“ „Wir haben früher mal für ihn gearbeitet.“ „Sollte er nicht einen normalen, bürgerlichen Namen haben?“ „Er hat eine „Firma für Gebrauchtwaren. Er heißt eigentlich John Hardow und wohnt in London.“ „Und die Herren Pete und Hale sind seine Angestellten, wenn ich das richtig sehe?“ „Warum fragen Sie noch, wenn Sie schon alles wissen!“ Sie sah verlangend auf die Medizinflasche. „Sofort“, tröstete Parker die junge Frau, „nur noch ein ganz klein wenig Geduld. Und wer sind Sie?“ „Hazel Fitchen, ich bin Earls Freundin.“ „Und Sie stahlen Larry Hatwick aus dem Schneemann, den...“ ,,'... den Sie und diese große Frau da gebaut hatten“, bestätigte die junge Dame und nickte eifrig. „Wir hatten sie oben vom Wald aus genau beobachtet.“ „Damit dürften alle Klarheiten restlos beseitigt sein“, meinte Josuah Parker belustigt und reichte der jungen Frau die Flasche. „Ich wünsche Ihnen ein gutes Gelingen.“
Er grüßte höflich und schritt dann würdevoll zurück nach draußen. Parker steuerte die Rückseite des eigentlichen Hotels an und ignorierte den erstaunten Blick des Nachtportiers. „Eine Stadtleitung, wenn ich bitten darf“, sagte er zu dem Mann. „Das heißt, stellen Sie mir eine Verbindung mit der Polizei her und bitten Sie Inspektor Molpers an den Apparat.“ Parker hatte nicht die Absicht, sich mit der Bergung von Larry Hatwicks Leiche zu befassen. Dazu waren schließlich die Behörden da. Das erstreckte sich auch auf die Verhaftung des Pärchens im Hotelbungalow. Mit Kleinigkeiten gab Josuah Parker sich selten ab. * „Nun brechen Sie nicht gleich in Tränen aus, Mr. Parker“, raunzte Lady Agatha ihren Butler an, der sich etwas tiefer als üblich verbeugte und grüßte. Er war in das Ferienhaus der Lady zurückgekehrt und hier auf seine beiden ebenfalls gerade zurückgekehrten Damen gestoßen. „Ich muß meiner übergroßen Freude Ausdruck verleihen“, erwiderte Parker. „Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit, äh, also ...“ „Schon gut, schon gut, Parker.“ Milde lag in Agatha Simpsons Stimme. „Ich bin ja ebenfalls glücklich, daß uns allen nichts passiert ist. Leider ist uns nur der Falke entwischt.“ „Der wird in der Nähe herumstreichen, Mylady.“ Parker hatte sich bereits wieder vollständig unter Kontrolle. „Könnte man daraus nichts machen?“ Agatha Simpson vibrierte vor Tatendrang.
„Der Falke dürfte sich im Zustand einiger Verwirrung befinden, nachdem er eine peinliche Niederlage einstecken mußte“, redete der Butler weiter. „Vielleicht läßt diese Verwirrung ihn die gewohnte Vorsicht vergessen.“ „Nun rücken Sie schon endlich mit Ihrem Plan heraus, Mr. Parker!“ „Wenn Mylady gestatten, werde ich die Einzelheiten während der kleinen Ausfahrt hinunter zum See zur Sprache bringen.“ „Worauf warten wir noch?“ „Ich müßte noch mal kurz in den Anbau, Mylady, um einiges Handwerkszeug zu besorgen.“ Parker kehrte nach wenigen Minuten mit einer langstieligen Axt zurück. Lady Simpson stellte keine Fragen. Sie wollte so schnell wie möglich den Kontakt mit dem Falken. Sie hatte mit ihm noch eine Rechnung zu begleichen. Parker holte sein hochbeiniges Monstrum. Und genau das war ein kritischer Augenblick. Der Falke war seiner Schätzung nach in der Nähe. Der Gangster konnte auf den Gedanken kommen, seine schallgedämpfte Waffe zu verwenden. Parker wußte ja nicht, in welch einem Zustand sich der Gangster befand. In seiner Wut über die erlittene Niederlage konnte der Mann zu einem Amokläufer geworden sein. Erst als der Wagen dicht vor dem Hauseingang stand, atmete der Butler beruhigt auf. Die beiden Damen konnten ungeniert einsteigen und brauchten einen heimtückischen Schuß nicht zu befürchten. Die Scheiben des hochbeinigen Monstrums bestanden ja aus Panzerglas.
Parker setzte sich ans Steuer und ließ sein Privatgefährt anrollen. Nun war er sicher, daß der Falke folgen würde. Der Gangster war einfach dazu gezwungen, wenn er überhaupt noch eine kleine Erfolgschance haben wollte. * Lady Simpson und Kathy Porter waren im Wagen zurückgeblieben. Josuah Parker ging über den glatten, vereisten Landungssteg, erreichte dessen Ende und ließ sich vorsichtig auf das Eis des zugefrorenen Sees hinunter. Er hatte die lange Stielaxt mitgenommen und machte sich nun daran, an einem aus dem Eis hervorragenden Pfosten ein Loch in die Eisdecke zu schlagen. Ein aufmerksamer Betrachter mußte den Eindruck gewinnen, daß Parker keineswegs nur an Frischwasser interessiert sein konnte. Es sah so aus, als wolle er etwas bergen, was sich unter der Eisdecke des Sees befand. „Dort kommt er, Mylady“, sagte Kathy, die den nahen Wald sehr intensiv beobachtet hatte. Sie deutete auf den Skifahrer, der in einem wahren Höllentempo an den Baumstämmen vorbeiwedelte und auf die Eisdecke zuhielt. Das mußte der Falke sein, der sich im letzten Moment doch noch seine Beute holen wollte. In der vom Mond aufgehellten Dunkelheit sah der steil abfahrende Skifahrer jetzt tatsächlich wie ein Falke aus, der sich im Sturzflug auf den See zubewegte. Agatha Simpson reagierte augenblicklich. Sie ließ den Motor anspringen, schob den ersten Gang ein und gab Vollgas.
Das hochbeinige“' Monstrum tat einen wilden Sprung nach vorn und raste ebenfalls zum See hinunter. Der Skifahrer hatte inzwischen das Eis erreicht und wurde mit Schwung weit nach vorn getragen. Doch inzwischen befand sich auch Parkers Monstrum auf der Eisdecke und schnitt dem Skifahrer den Weg ab. Der Falke merkte, was die Glocke geschlagen hatte. Er stemmte sich gegen seine ursprüngliche Richtung, wollte zurück in den schützenden Wald, doch er hatte nicht mit den Fahrkünsten der alten Dame gerechnet. Sie riß das Steuer ruckartig herum und ließ das Heck des Monstrums herumwirbeln. Der Falke sah sich gezwungen, zum See hin auszuweichen. Er schoß, doch in seiner Aufregung traf er noch nicht mal den Wagen. Sekunden später war bereits alles vorüber. Das linke Hinterrad des hochbeinigen Monstrums fuhr über die hinteren Skibretter. Der Falke löste sich aus der Bindung, da er gewaltsam abgebremst worden war. Er tat einen Hechtsprung nach vorn, segelte ein paar Meter durch die Luft und landete dann klatschend auf dem Eis. „Es ist wohl nicht richtig, diesen Gangster zu überfahren, wie?“ erkundigte sich Agatha Simpson ,bei ihrer Gesellschafterin. „Die Polizei hätte wahrscheinlich etwas dagegen“, erwiderte Kathy lachend. * Parker hatte Inspektor Molpers am Fuß des Übungshanges entdeckt und
winkte ihm diskret mit seinem altväterlich gebundenen Regenschirm zu. Dann stieß er sich mit dem einzigen Skistock, über den er verfügte, ab und fuhr auf seinen Brettern nach unten. Auf halber Strecke betätigte er so etwas wie eine Notbremse. Das konnte doch nicht wahr sein! Auf hochgestellten Skibrettern, die von Skistöcken gehalten wurden, lag eine reizend aussehende Schönheit, die nur einen knappen Bikini trug. Parker wäre mit Sicherheit dennoch an dieser Schönheit vorbeigefahren, wenn sich in ihrer Brust nicht ein Dolch befunden hätte. So etwas ließ ihn natürlich stutzen. Vorsichtig' näherte er sich dem Opfer und ging sofort in Abwehrstellung, als ein junger Mann hinter einem kleinen Schneebuckel auftauchte. „Aus dem Bild, Mann“, schrie ihn der junge Mann, eine Kamera in den Händen haltend, an. „Sie sehen mich ein wenig konsterniert“, bekannte Parker würdevoll. „Mich auch“, sagte der junge Mann. „Gehen Sie doch endlich aus dem Bild! Ich mache Aufnahmen für Kriminalbücher. Wetten, daß Sie sich darauf etwas komisch ausmachen werden?“ „Nun hauen Sie endlich ab“, sagte die ermordete Schönheit und richtete sich ein wenig auf, „Ich hab' schon eine Gänsehaut. Ist ganz schön kalt hier draußen.“ Parker lüftete seine schwarze Melone und bewegte sich aus dem Bild. Er fand die Szene zwar makaber, aber irgendwie paßte sie zu dem Fall, den er gerade hinter sich hatte. „Ich hörte von Lady Simpson, daß Sie hier oben auf dem Übungshang sind“,
begrüßte Inspektor Molpers ihn, als Parker unten angelangt war. „Mylady dürften immer noch ein wenig gereizt sein“, meinte Parker. „Mylady ärgern sich über die Tatsache, daß sämtliche Gangster, inklusive Miß Nelly Bronsom, verhaftet worden sind, daß die Juwelen hingegen nach wie vor verschwunden bleiben.“ „Haben Sie sich deswegen aus dem Staub gemacht, Mr. Parker?“ Inspektor Molpers lächelte. „Der Wahrheit die Ehre, Sir, das war der Grund.' Ich wollte dem Groll Myladys aus dem Weg gehen.“ „Sie können zurückkommen. Sie grollt nicht mehr.“ „Mylady haben sich beruhigt?“ „Die Juwelen sind gefunden worden, Mr. Parker.“ Inspektor Molpers grinste jetzt froh. „Und zwar von uns, von der Polizei!“ „Wenn Sie erlauben, Sir, werde ich mich zugleich freuen und auch wundern. Darf man nähere Einzelheiten erfahren?“ „Larry Hatwick befand sich tatsächlich im dritten Schneemann“, sagte der Inspektor. „Als wir seine Leiche untersuchten,, fanden wir unter seiner Fußsohle eine Einschreibequittung. Er hat die Juwelen als Päckchen nach Inverness an eine Deckadresse abgeschickt. Sie sind bereits sichergestellt worden. „Dann werde ich mich Mylady nähern“, entgegnete der Butler. „Im Grunde genommen, und darauf möchte ich ganz besonders verweisen, ist es ja Mylady zu verdanken, daß dieser Fall überhaupt an das Tageslicht kam.“ „Wie meinen Sie das, Mr. Parker?“ „Ohne Myladys kindlicher Lust an einer gemeinsamen Rodelfahrt wäre die
Leiche des Mr. Larry Hatwick wahrscheinlich nie gefunden worden.“ „Ich möchte Sie um etwas bitten, Mr. Parker.“ Inspektor Molpers sah den Butler eindringlich an. „Sie dürfen sich meiner bescheidenen Wenigkeit anvertrauen, Sir.“ „Rodeln Sie nicht mehr mit ihr“, schloß der Inspektor. „Wer weiß, was sonst noch alles passiert!“ „Diese Bitte, Sir, sollten Sie an Mylady richten“, gab der Butler zurück und sah an Inspektor Molpers vorbei hinüber zum Auslaufplatz des Übungshanges. „Wenn meine Augen mich nicht sehr trügen, nahen Mylady samt einem Rodelschlitten.“ „Irgendwie bedauere ich Sie, Mr. Parker.“ Molpers griente nur noch. „Wetten, daß Lady Simpson Sie zu einer Schußfahrt durch den Eiskanal einladen wird?“ „Sir, das möchte ich allerdings nicht hoffen“, erwiderte Butler Parker erschrocken. Während er sich noch mit Molpers unterhielt, ging er auf seine Herrin zu, die wieder in ihrem etwas zu prall sitzenden Skidress war und einen außerordentlich unternehmungslustigen Eindruck machte. „Sie wissen also schon Bescheid“, sagte sie zu Parker und nickte Molpers nur knapp zu. „Der Fall ist somit restlos geklärt“, bestätigte der Butler. „Der Rest war ja wirklich nur noch langweilige Routine“, stellte die Detektivin fest. „So, Mr. Parker, nun haben wir endlich Zeit, uns etwas zu vergnügen.“ „Wie Mylady wünschen und befehlen.“
„Ein tröstlicher Gedanke“, erwiderte Josuah Parker gequält. „Mylady bestehen auf einer Rodelfahrt durch den Eiskanal?“ „Natürlich“, erwiderte die unternehmungslustige Dame begeistert. „Es wird Ihnen gefallen, Mr. Parker!“ „Wie Mylady meinen“, lautete Parkers Antwort. Dann folgte er seiner Herrin, die bereits munter losmarschierte. Ihm war klar, was ihn erwartete.
„Wie wäre es denn mit der Rodelbalm?“ fragte Lady Agatha lachend. „Sie soll sehr rasant sein und damit genau das Richtige für mich.“ „Mylady sind sicher?“ Parker schluckte. „Keine Sorge, Mr. Parker“, schaltete sich da Inspektor Molpers genüßlich ein. „In Aviemore gibt es erstklassige Ärzte, die auch auf Knochenbrüche spezialisiert sind.“ ENDE
scan: crazy2001@ 08/2011 corrected: santos22
Günter Dönges schrieb für Sie den nächsten
Krimi Nr. 152:
PARKER pokert mit Pistolen Für Geister, Spuk und übersinnliche Wahrnehmungen war Lady Agatha Simpson immer zu haben. Butler Parker hingegen hielt nicht besonders viel von diesen Dingen, denn sie ließen ihn stets Blut und Wasser schwitzen. Seine Herrin stürzte sich in solchen Fällen nämlich immer Hals-über-Kopf in die verrücktesten Abenteuer. War ihr Kreislauf erst mal so richtig beschleunigt worden, gab es für sie kein Halten mehr. So war es auch, als einer ihrer vielen Verwandten sie um Hilfe bat. In seinem ansehnlichen Landsitz stifteten einige skelettartige Gespenster Nervosität, um dann zu Mord überzugehen. Mylady machte sich sofort auf den Weg und lief prompt in eine raffinierte Falle, die nur ihr allein galt. Sie war schließlich eine vermögende Dame, deren Erbe einige verschuldete Menschen wieder flüssig machen sollte. Diese lieben Verwandten arbeiteten allerdings nicht nur mit gespensterhaften Erscheinungen, nein, sie hatten sich auch ein paar erstklassige Killer besorgt. Diesen gingen jedoch prompt die Augen auf, als Josuah Parker in Aktion trat und seinerseits übersinnliche Erscheinungen produzierte. Tief griff der Butler in seine Trickkiste und scheuchte die Killer samt ihren Auftraggebern durch unheimliche Nächte, bis er sie Mylady präsentieren konnte. Sie langte dann äußerst herzhaft zu und setzte den Schlußakkord. Der Zauberkreis-Verlag veröffentlicht einen neuen Parker-Krimi, in dem es wieder mal turbulent, spannend und witzig zugeht. Liebhaber von Hochspannung und Humor werden voll auf ihre Kosten kommen.
In unserer Neuauflage erscheint als Butler Parker Nr. 120
PARKER gipst die Hale ein ebenfalls von Günter Dönges