PARKER staubt Millionen ab Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges
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PARKER staubt Millionen ab Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges
Normalerweise hätte Josuah Parker selbstverständlich den Privatweg respektiert, denn fremdes Eigentum war ihm stets heilig. In diesem Fall jedoch nahm er sich die Freiheit, das sperrende Holzgitter zu öffnen, zumal es ohnehin nur nachlässig geschlossen war. Er befand sich auf der Fahrt zum CountryClub von Saffron Waiden, um dort Lady Agatha Simpson abzuholen. Parker hatte sich verspätet und wollte diese Zeit unbedingt wieder einholen. Es dunkelte bereits, doch er brauchte die Scheinwerfer seines hochbeinigen Monstrums noch nicht einzuschalten. Das hatte seiner Schätzung nach noch etwa eine halbe Stunde Zeit. Er schloß das Gatter hinter sich, stieg in seinen Wagen, der mal ein echtes Londoner Taxi war, und fuhr behutsam über den ausgefahrenen Feldweg. Links und rechts des schmalen Weges waren Wiesen, auf denen Kühe grasten. Das sanfte Hügelland nördlich von London tat seinen Augen ausgesprochen wohl. Er genoß die Stille und den Frieden und hielt es nach wie vor für eine gute Idee, ein paar Tage hierzu verbringen. Saffron Waiden war ein hübsches, kleines Landstädtchen in der Nähe der nach Norden führenden Autostraße. Es gab hier noch Wälder, Bäche, idyllische
Landsitze und kleine Dörfer. Das hier war England, wie Parker es im Grunde seines Herzens schätzte. Lady Agatha beteiligte sich an einer Fuchsjagd und mußte inzwischen in den Club zurückgekehrt sein. Er war gespannt, in welch einer körperlichen Verfassung seine Herrin sich ihm präsentieren würde. Eine Fuchsjagd zu Pferde hatte Lady Agatha seit einigen Jahren nicht mehr mitgemacht, und Parker hatte sich erlaubt, sie diskret davor zu warnen. Selbstverständlich war er mit seiner Warnung auf Granit gestoßen. Was eine waschechte Britin sich mal in den Kopf gesetzt hatte, führte sie in fast allen Fällen konsequent durch. Parker drosselte geringfügig das Tempo seines Wagens. Der schmale Weg senkte sich und ging in eine Art Hohlweg über, dessen Ränder mit dichtem Strauchwerk bewachsen waren. Der Butler steuerte auf eine sanfte Kurve zu und erreichte ein kleines Tal, das von einem Bahndamm durchquert wurde. Aber noch in dieser Kurve hielt Parker sein Fahrzeug an und sah zu der Unterführung hinüber. Nun kamen ihm doch Bedenken. Er hätte auf diesen Weg wohl besser verzichtet. Vor dem Bahndamm und der Unterführung standen zwei mittelgroße
Kastenlieferwagen, die eindeutig zur Armee gehörten. Der Butler ahnte, daß er in ein regionales Manöver geraten war und störte. Er hielt Ausschau nach Soldaten, doch sie hatten sich ausgezeichnet getarnt. Möglicherweise beschäftigten sie sich auch mit dem vor einem Signal haltenden Zug den er bisher nicht hatte sehen können. Einige Soldaten in Tarnanzügen standen vor einem Wagen gleich hinter der Lokomotive und schienen etwas zu verladen. Sie besorgten das mit Tempo und Präzision. Jeder Handgriff saß, wie Parker selbst aus dieser Entfernung feststellen konnte. Er ließ sein hochbeiniges Monstrum wieder anrollen, zumal an ein Wenden im Hohlweg nicht zu denken war. Parker fuhr langsam bis zur Unterführung. Neben einem der beiden Kastenwagen erschien ein Uniformierter, der ihn energisch heranwinkte. Butler Parker fuhr etwas schneller und hielt dann wenige Minuten später. Der Soldat entpuppte sich als Colonel. Er trug eine Maschinenpistole, sein Gesicht war geschwärzt. Das Auftreten des Mannes war autoritär, was den Butler insgeheim ärgerte. Seiner Ansicht nach wurden die Angehörigen der Armee schließlich auch von seinem Steuergeld bezahlt. Höflichkeit mußte für die Truppe eine Selbstverständlichkeit sein. Er stieg aus und schritt gemessen auf den Colonel zu. Dazu lüftete Parker seine schwarze Melone. Er sah zum Bahndamm hinauf und spürte plötzlich, daß hier einiges nicht stimmte. Wieso lud man Postsäcke aus? Und warum spürte der Butler plötzlich einen äußerst harten Gegenstand, der ihm gegen das Rückgrat gepreßt wurde?
»Ich verhafte Sie im Namen der Armee«, näselte der Colonel und nickte unmerklich. Er schaute an Parker vorbei und schien die Person zu meinen, die eindeutig hinter dem Butler stand. Josuah Parker reagierte augenblicklich. Es zeigte sich, daß er schnell und geschmeidig sein konnte, wenn es sein mußte. Parker warf sich instinktiv zur Seite und spürte einen scharfen Luftzug, der seine linke Gesichtshälfte traf. Dicht an seiner Schulter vorbei schmetterte der Kolben einer Maschinenpistole durch die Luft. Josuah Parker sah sich im Umwenden einer Frau gegenüber, deren Aussehen ihn staunen ließ. Sie war groß, schlank und trug ein schwarzes Trikot, das an einigen Stellen über der Brust und an den Hüften eingerissen war. Auch ihr Gesicht war nicht zu erkennen. Es verbarg sich hinter einer Wollmütze, die zu einer Art Gesichtsmaske heruntergezogen war. Butler Parker kam zu dem Schluß, daß hier einige Dinge und Verhaltensweisen auf keinen Fall regulär waren. Er besann sich auf seinen Universal-Regenschirm und griff an. * Agatha Simpson saß auf einem großrahmigen und knochigen Wallach, der nicht im Traum daran dachte, sich durch das Gelände jagen zu lassen. Das Pferd hatte sich einem Steinwall genähert, der als eine Art Weidenzaun fungierte, doch der Wallach sträubte sich, das Hindernis zu nehmen. Er spürte seit geraumer Zeit, welche Last sich da im Sattel breitgemacht hatte. Lady Agatha war eine immerhin
stattliche Dame, die seit einigen Jahren beschlossen hatte, sechzig zu bleiben. Sie war groß, hatte eine majestätische Figur und daher auch ein gewisses Gewicht. Der Wallach schnaubte also widerwillig, als die Lady ihn energisch antrieb. Das Pferd war ein erfahrener Vierbeiner. Er wich nach rechts aus und hielt auf ein Gatter zu, das halb geöffnet war. Warum sollte er springen, wenn das Hindernis sich auf wesentlich einfachere Art und Weise nehmen ließ? Lady Agatha aber war eigenwillig und sportbewußt. Sie nahm an dieser typisch englischen Fuchsjagd nicht aus Langeweile teil. Sie wollte sich sportlich stählen und kontrollieren, wie es mit ihrer Fitness aussah. Sie bog den Wallach um ihren Schenkel herum und trieb ihn erneut auf den Steinwall zu. Dazu stieß die ältere Dame anfeuernde Rufe aus, die bei dem Pferd aber keinen Eindruck machten. »Verdammtes Biest«, fluchte Lady Agatha unfein und drastisch, als der Vierbeiner erneut zur Seite ausbrach. Die Stimme war eine überraschende Mischung aus Baß und Bariton. Agatha Simpsons schlechte Laune steigerte sich noch. Sie hatte den Anschluß an ihre Gastgeber längst verloren. Der Schleppfuchs und die Reiter mußten sich längst drüben im langgestreckten Quertal befinden. Von dorther war nämlich das wilde Bellen der Jagdhunde zu hören. Lady Agatha nahm ihre Reitgerte hoch und hatte die feste Absicht, dem Wallach einen Hieb zu versetzen. In diesem Moment aber nahm der Vierbeiner den Kopf herum und schielte seine Reiterin warnend an. Deutlicher und drohender hätte kein Blick ausfallen können.
»Schon gut«, reagierte die ältere Dame einsichtig. »Nun mach aber endlich!« Der Wallach nickte und trabte dann erneut zum Gatter hinüber. Zur Belohnung behielt er anschließend den Trab bei und beförderte Agatha Simpson hinunter ins Tal. Es war ein äußerst kurzer Trab, bei dem der Wallach zusätzlich den Rücken hochdrückte. Die Lady wurde gehörig durchgeschüttelt und nahm sich vor, in Zukunft auf Pferde zu verzichten. Die Technik lag ihr doch wesentlich mehr. Sie freute sich bereits jetzt auf ihren vor dem Country-Club parkenden Wagen. Ein Auto brauchte schließlich nicht überredet zu werden. Als sie samt Pferd um ein kleines Gehölz, kam, entdeckte sie weit vor sich einen Mann, der ihr aufgeregt winkte. Lady Agatha winkte erst mal zurück, da sie diese Gesten mißverstand und nur an einen freundlichen Gruß glaubte. Dann allerdings hörte sie so etwas wie einen Hilferuf. Sofort richtete sie sich auf. Neue Energien durchströmten ihren Körper. Jetzt hatte der Wallach keine Chancen mehr. Sie heizte ihm gründlich ein, ließ ihn die Sporen kosten, auf die sie bisher verzichtet hatte, und preschte zu dem hilferufenden Mann, der in sich zusammengerutscht zu sein schien und nun auf dem Rasen hockte. Der Wallach merkte, daß er jetzt doch besser parieren sollte. Er schwang sich, wenn auch widerwillig, zu einem Galopp auf und trug seine majestätische Reiterin zu dem Mann hinüber. Ächzend stieg die ältere Dame aus dem Sattel, den sie die ganze Zeit über schon verachtet hatte. Auf strammen Beinen
näherte sie sich dem Mann, der die Uniform der Königlichen Eisenbahn trug. »Haben Sie Ihren Zug verpaßt, junger Mann?« erkundigte sich die resolute Sechzigerin und beugte sich zu dem etwa zehn Jahre jüngeren Eisenbahner hinunter. Einen Augenblick später merkte die Lady, daß ihr kleiner Scherz nicht angebracht war. Der Mann war verletzt und stand dicht vor einer Ohnmacht. Die Uniformjacke über seiner linken Brust war blutgetränkt. »Überfall«, keuchte der Verwundete. »Der Zug ist überfallen worden.« * Butler Parker wußte mit seinem Regenschirm gut umzugehen. In seinen Händen war er eine Art Universalwaffe, die er rationell einsetzte. Mit dem bleigefütterten Bambusgriff hakte er sich bei der Maschinenpistole der jungen Frau ein und schleuderte die Waffe dann in einem weiten Bogen ins Gelände. Dabei drehte Josuah Parker sich allerdings, auch noch halb zur Seite um und nutzte den Schwung des Regenschirms, um den Colonel leicht zu lädieren. Der Mann mit dem angeschwärzten Gesicht verbeugte sich tief vor dem Butler und fiel dann auf die Knie. Er verlor seine Maschinenpistole, suchte aber nicht weiter nach ihr. Von einem plötzlichen Schlafbedürfnis erfaßt, legte er sich ins Gras und schloß die Augen. Die junge Frau im schwarzen Trikot hingegen wurde sehr aktiv. Sie hatte mit Sicherheit einige Trainingsstunden in Karate absolviert. Sie brannte darauf, ihre Griffe und Schläge an den Mann zu bringen.
Parker wollte nicht länger stören. Zudem hatte er mitbekommen, daß vom Bahndamm her zwei Männer herbeieilten. Sie kamen ganz sicher nicht, um hier schlichtend einzugreifen. Als die junge Karatekämpferin ihre linke Hand vorschnellen ließ, um damit Parkers Solarplexus zu treffen, nahm der Butler grüßend die schwarze Melone ab. Er nahm sie sogar so ungewöhnlich tief herunter, daß sie erst vor seiner Magenpartie zur Ruhe kam. Die vorschnellende Hand der Kämpferin legte sich auf die Wölbung der Melone, und fast im gleichen Augenblick war ein erstickter Aufschrei zu vernehmen. Parker wunderte das nicht. Ihm war schließlich bekannt, daß die Wölbung seiner konservativen Kopfbedeckung mit zähem Stahlblech gefüttert war. Selbst ein harter Karateschlag war nicht in der Lage, dieses Hindernis zu nehmen. Die junge Frau stöhnte und betrachtete sich äußerst verblüfft ihre verstauchten Finger. Dann schossen Tränen in ihre Augen, die ihr die Sicht nahmen. Ihr Interesse an Parker war erloschen. Sie kümmerte sich nur noch um ihre linke Hand. »Ich möchte betonen, daß ich diese Form der Unterhaltung zutiefst bedaure«, sagte Parker und setzte seine Melone wieder auf. »Darf ich Sie übrigens meines Mitgefühls versichern?« Die junge Frau im schwarzen Trikot beantwortete Parkers Frage mit einem improvisierten Tanz, den sie Vorzugsweise auf dem rechten Bein ausführte. Dabei geriet sie absichtslos in die Nähe des ruhenden Colonels und fiel zu Boden.
»Falls die Phantasie mir keinen schelmischen Streich spielt, 'scheint es sich um einen Überfall auf den Zug zu handeln«, redete der Butler inzwischen weiter. Von Neugier getrieben, schritt er zu einem der Kastenwagen hinüber, dessen Ladefläche geöffnet war. Er entdeckte einige Postsäcke, die offensichtlich plombiert waren. In diesem Augenblick prasselten die ersten Schüsse um ihn herum in den Wiesenboden. Parker beobachtete die beiden Männer, die im Schweinsgalopp herankamen und von der Hüfte aus auf ihn schossen. Dem Butler wurde dadurch der Rückweg zu seinem hochbeinigen Monstrum abgeschnitten. Er erkannte das mit jener Scharfsicht, die ihm eigen war. Um sich also nicht unnötig in Gefahr zu begeben, ging er um den kleinen Kastenwagen herum, setzte sich ans Steuer und ließ den Motor anspringen. Sekunden später ergriff Josuah Parker bereits die Flucht. Gern ließ er seinen Wagen nicht zurück, aber die Verhältnisse zwangen ihn dazu. Ihm blieb wirklich keine andere Wahl. Die beiden Männer verschwendeten zwar noch einige Geschosse an ihn, doch dann stellten sie das Feuer ein. Ihnen schien der Lärm, den sie verursachten, nicht sonderlich zu behagen. Parker schaute in den Seitenspiegel und bemerkte, daß die beiden Schützen sich um den Colonel und die junge Frau kümmerten. Damit befand er sich erst mal in Sicherheit. Er fuhr zurück zum Gatter, nahm sich aber nicht die Zeit, es korrekt zu öffnen. Er durchbrach mit dem Wagen das leichte Bauwerk und jagte dann zurück zur Straße. Da existierte schließlich immer noch eine gewisse Lady Agatha
Simpson, die inzwischen wohl leicht ungeduldig darauf wartete, von ihm abgeholt zu werden. * »Wenn man Sie mal wirklich braucht, sind Sie natürlich nicht da, Mr. Parker«, raunzte Lady Agatha ihren Butler ungnädig an. »Wissen Sie überhaupt, was in der Nähe hier passiert ist?« Lady Simpson vibrierte vor Aktivität. Ihre Augen blitzten unternehmungslustig. Noch hatte sie nicht mitbekommen, mit welch einem Gefährt ihr Butler vor dem Country-Club eingetroffen war. »Meinen Mylady möglicherweise den Überfall auf den fahrplanmäßigen Zug in Richtung London?« erkundigte sich Josuah Parker gemessen und höflich. »Sie wissen davon?« Sie sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an. »Ich hatte den Vorzug, wenn ich es derart umschreiben darf, Augenzeuge des Überfalls zu sein, Mylady.« »Aha.« Die passionierte Detektivin nickte grimmig und ärgerte sich. Parker war ihr wieder mal eine Nasenlänge voraus. »Falls Mylady darauf bestehen, werde ich selbstverständlich die näheren Details schildern.« »Nun zieren Sie sich bloß nicht«, grollte sie und entdeckte jetzt den Armeewagen. »Woher haben Sie denn diesen Kleinlaster?« »Er befand sich im Besitz der Eisenbahnräuber, Mylady.« »Nun ja, ein blindes Huhn findet auch mal ein Korn. Reden Sie endlich!« Parker faßte sich äußerst kurz und schilderte seine Erlebnisse. Von den insgesamt drei Postsäcken und einer klei-
nen Holzkiste sagte er allerdings kein Wort, zumal sie sich auch nicht mehr auf der Ladefläche des Wagens befanden. »Und Sie haben diese beiden Gangster nicht gleich mitgebracht?« wunderte sich die ältere Dame und schüttelte verweisend den Kopf. »Man darf Sie doch wirklich keinen Moment allein lassen, Mr. Parker.« »Wie Mylady meinen.« Parker senkte schuldbewußt den Kopf. »Eine lenkende Hand und ein planender Geist hätten meiner bescheidenen Wenigkeit in der Tat sehr geholfen. Ich muß einräumen und gestehen, daß ich ein wenig in Panik geriet.« »Dachte ich es mir doch.« »Ich fuhr, wenn ich es so ausdrücken darf, ein wenig ziellos durch diesen herrlichen Landstrich.« »Sie haben sich vor lauter Angst verfahren, wie?« Agatha Simpson lächelte etwas abfällig. »So könnte man es allerdings auch ausdrücken, Mylady.« »Macht nichts. Jetzt werde ich diesen Fall in die Hand nehmen, Mr. Parker.« »Das, Mylady, dachte ich mir bereits.« »Ich habe nämlich einen angeschossenen Bahnangestellten gefunden und die Polizei alarmiert. Die Großfahndung nach den Gangstern läuft bereits.« »Sie wird sich, wenn ich das einwenden darf, ein wenig schwierig gestalten.« »Und wieso?« »Nach meinen bescheidenen Beobachtungen findet in dieser Region tatsächlich ein Manöver der Armee statt.« »Was hat das denn mit der Fahndung zu tun, Mr. Parker? «
»Die Gangster benutzen Fahrzeuge, die mit denen der Armee identisch sind, Mylady.« »Ach so!« Jetzt hatte die Detektivin verstanden. »Die Gangster dürften ihren Überfall sehr raffiniert geplant haben, Mylady. Sie trugen Uniformen, um das noch hinzuzufügen.« »Nicht schlecht.« Agatha Simpson nickte anerkennend. »Ist bereits bekannt, Mylady, was man aus dem Zug raubte?« »Bargeld und Goldbarren«, entgegnete Parkers Herrin. »Nach den ersten Ermittlungen muß es sich um eine knappe Million Pfund gehandelt haben.« »Das, Mylady, sollte man als beachtlich ansehen.« »Und so etwas lassen Sie sich durch die Lappen gehen.« Lady Agatha seufzte auf. »Das wäre endlich mal ein Fall für mich gewesen. Eine Neuauflage des Postzugraubes!« »Ich möchte mir erlauben, Myladys Enttäuschung zu teilen.« »Noch ist nicht alles verloren.« Agatha Simpson schöpfte umgehend neue Hoffnung. »Man wird doch wohl Ihr Gesicht erkannt haben, nicht wahr?« »Dies ist mit letzter Sicherheit anzunehmen, Mylady«, lautete die Antwort des Butlers. »Sehr schön«, die ältere Dame freute sich, »und Ihr Wagen mit dem Londoner Kennzeichen ist zurückgeblieben. Wissen Sie, was passieren wird?« »Meiner bescheidenen Wenigkeit kommt ein Verdacht auf, Mylady, den ich als schrecklich bezeichnen möchte.« »Ich überhaupt nicht«, erwiderte die Detektivin. »Man wird Sie natürlich mit allen Mitteln jagen, Mr. Parker. Man
wird versuchen, Sie als lästigen Augenzeugen zu beseitigen. Ist das nicht wunderbar?« »Die Wertung dieser Frage, Mylady, dürfte eine Sache des Standpunkts sein.« »Sie brauchen aber keine Sorge zu haben, Mr. Parker.« Agatha Simpson nickte nachdrücklich. »Ich werde Sie selbstverständlich beschützen. Ihnen passiert überhaupt nichts, verlassen Sie sich darauf!« »Wie Mylady meinen.« Parker deutete eine knappe, höfliche Verbeugung an. Ihm war klar, daß die Dinge wieder mal ins Rollen gekommen waren. * Die Fahrt zurück nach Waldon Castle wurde zu einer Art Hindernisrennen. Überall waren Straßensperren errichtet worden. Immer wieder wurde Parkers hochbeiniges Monstrum angehalten und kontrolliert. Die Aktionen der Polizei waren fieberhaft und hektisch. Noch hoffte sie, die Täter vom Bahndamm stellen zu können. Es zeigte sich, daß die Bahngangster nach einem ausgezeichneten Plan gearbeitet hatten. Inzwischen stand fest, daß die benutzten Fahrzeuge aus einem Depot der Armee gestohlen worden waren. Auch die benutzten Uniformen stammten aus diesem Versorgungslager, das man für die Zeit des Manövers nicht weit vom Country-Club entfernt eingerichtet hatte. Nach intensivem Verhör durch die Polizei hatte Josuah Parker sein hochbeiniges Monstrum wieder abholen und übernehmen können. Er rollte inzwischen auf die nächste Straßensperre zu und sah
auf das Zeltlager links von der Fahrbahn. Auf großen Lastwagen trafen die Soldaten ein, die man zum genauen Durchkämmen des gesamten Geländes eingesetzt hatte. Nach Bekanntwerden des Raubes hatte man die Einheiten sofort in ein einziges großes Suchkommando umfunktioniert. Das Ergebnis lautete bisher Null. Die Täter waren wie vom Erdboden verschwunden. Agatha Simpson genoß auch diese Kontrolle. Sie amüsierte sich fast königlich über den Eifer der Polizisten und hatte sich längst eine eigene Theorie gebildet, nach der die Gangster samt der Beute längst in Sicherheit sein mußten. »Und wissen Sie auch, Mr. Parker, wo sie sind? « fragte sie, als ihr Butler wieder anfuhr. Sie wollte ihre Theorie an den Mann bringen. »Mylady werden mit Sicherheit eine überraschende Lösung gefunden haben«, erwiderte Parker geduldig und höflich. »Diese Eisenbahngangster sind noch mitten unter uns«, redete die Detektivin weiter. »Sie gehören der Armee an und lachen sich jetzt ins Fäustchen.« »Eine bestechende Theorie, Mylady, wenn ich mich erkühnen darf, dies festzustellen. « »Natürlich«, gab Agatha Simpson zurück.:»Ich weiß ja, wie gut ich bin. Diese Gangster stehen wahrscheinlich selbst an einer dieser Straßensperren und amüsieren sich.« »Eine schreckliche Vorstellung, Mylady.« »Und die Beute haben sie wahrscheinlich in irgendwelchen Armeelastwagen versteckt.«
»Es war immerhin ein Colonel, der mich beschoß, Mylady.« »Sehen Sie, Mr. Parker, das ergänzt meine Theorie.« Agatha Simpson nickte zufrieden. »Wir werden unsere Ermittlungen auf die Einheiten beschränken, die am Manöver teilgenommen haben.« »Diese Einheiten werden sich leicht ermitteln lassen, Mylady.« »Was denn sonst!« Sie sah ihn grollend an. »Nun sagen Sie schon endlich, was Sie von meiner Lösung halten?« »Sie klingt sogar, wenn ich steigern darf, äußerst bestechend, Mylady.« »Wir werden der Polizei davon natürlich kein Sterbenswörtchen sagen, Mr. Parker«, schärfte Agatha Simpson ihrem Butler ein. »Dieser Fall gehört mir allein.« »Wie Mylady befehlen«, gab Josuah Parker zurück und konzentrierte -sich noch intensiver auf die Straße. Er überholte einige Lastwagen, die voll mit Müll bepackt waren und nacheinander von der Straße abbogen. Sie steuerten eine Art Müllgrube an, die von Räumern freigedrückt worden war. Dann gab es einen weiteren Aufenthalt vor einer Baustelle. Der Verkehr wurde hier einspurig weitergeleitet. Die Verschalungen für neue Widerlager waren bereits gezimmert worden. Sie brauchten nur noch mit Beton gefüllt zu werden. Von Bauarbeitern war allerdings nichts zu sehen. Sie machten bereits Feierabend und hielten sich in der Nähe ihrer Bau- und Wohnwagen auf. Parker hatte Zeit, sich Myladys Theorie durch den Kopf gehen zu lassen. Sie war seiner Ansicht nach durchaus bestechend. Er hatte noch nicht mal übertrieben. Warum sollte es in der Armee nicht auch Menschen geben, die krimi-
nell waren? Auch die Soldaten Ihrer Majestät waren schließlich nur Menschen aus Fleisch und Blut. Einen moralischen Sonderstatut besaßen sie ganz sicher nicht. »Sie halten mal wieder den ganzen Verkehr auf, Mr. Parker«, raunzte die ältere Dame plötzlich los. Parker schreckte aus seinen Gedanken hoch und fuhr weiter. Im Rückspiegel beobachtete er aus einem vagen Verdacht heraus noch mal die Baustelle. Von dort aus bis hinüber zum Tatort am Bahndamm war es nicht sonderlich weit. Mit einem Fahrzeug ließ diese Distanz sich mit Leichtigkeit schaffen. Er nahm sich sehr privat vor, sich auch noch mal die Baustelle aus nächster Nähe anzusehen. Nach zwei weiteren Straßensperren hatten sie endlich freie Fahrt nach Waldon Castle, wo Lady Simpson zu Gast war. Der schloßähnliche Landsitz lag mitten in einem weiten Tal auf einer kleinen Anhöhe und war von hohen Bäumen umgeben. Grüner und teppichähnlicher hätte man sich keinen Rasen vorstellen können. Waldon Castle strahlte Vornehmheit, Würde und Tradition aus. Vor den Stallgebäuden, die rechts hinter dem Schloß waren, parkten die Autos der Gäste, die zur Fuchsjagd eingeladen worden waren. Josuah Parker hielt vor dem Hauptportal und stieg aus dem Wagen. Er öffnete den hinteren Wagenschlag und reichte Mylady seine schwarz behandschuhte Hand, die sie selbstverständlich ausschlug wie immer. »Lassen Sie das gefälligst«, raunzte sie ihn unwillig an. »Ich bin doch keine alte Frau.« Sie wuchtete sich aus dem Wagen und marschierte zum Eingang hinüber, wo
sie von ihrem Gastgeber bereits erwartet wurde. Butler Parker setzte sich wieder zurück ans Steuer und fuhr sein hochbeiniges Monstrum zu den Stallgebäuden, wo die übrigen Wagen standen. Er war in angenehmer Stimmung, was wohl mit den drei Postsäcken und der recht schweren Holzkiste zusammenhing, die sich in seinem Besitz befanden. * »Ich würde mich gern mit Ihnen unterhalten, Mr. Parker«, sagte Chief-Inspektor Garron, ein schlanker, etwa fünfundvierzigjähriger Mann, der wirklich nicht wie ein Kriminalist aussah. Er gab sich höflich und gelassen, doch seine Augen verrieten ihn. Es waren graue, hellwache und prüfende Augen. »Meine bescheidene Wenigkeit steht Ihnen selbstverständlich zur Verfügung«, antwortete Josuah Parker. Er deutete auf einen der Sessel in der kleinen Wohnung, die sich über der Sammelgarage von Waldon Castle befand. Er war hier sehr bevorzugt von Lady Simpsons Gastgebern einquartiert worden. »Ich muß noch mal auf den Raub zurückkommen, Mr. Parker«, meinte der Chief-Inspektor, während er sich setzte. »Sie sind schließlich der einzige Augenzeuge, den wir haben.« »Ein äußerst glücklicher Umstand, der meine bescheidene Person an den Tatort führte«, sagte Parker und nickte zustimmend. »Sie könnten die Personen beschreiben?« »Nur recht oberflächlich, Sir, wie ich gestehen muß. Ich befand mich in einer
Streßsituation, wie man heutzutage zu sagen beliebt.« »Aber es waren ein Mann in ArmeeUniform und eine Frau, die ein schwarzes Trikot trug, nicht wahr? « »Dies entspricht den Tatsachen, Sir.« »Die Gesichter der beiden Personen waren maskiert? « »Der angebliche Colonel hatte sein Gesicht geschwärzt, die junge Dame trug eine Art Wollmützentarnung.« »Ich kann Ihnen nur gratulieren, Mr. Parker«, schickte der Chief-Inspektor voraus und lächelte andeutungsweise. »Es ist Ihnen immerhin gelungen, einer Gangsterbande zu entwischen.« »Ich bin mir dieses glücklichen Umstandes wohl bewußt, Sir«, gab Parker zurück. »Sie haben sich sogar sehr profihaft geschlagen.« »Sie schmeicheln einem müden, alten und relativ verbrauchten Mann, Sir.« Parker schlug seine Augen bescheiden nieder. »Sie flüchteten mit einem der Armeefahrzeuge. « »Das war der Fall, Sir. Der Rückweg zu meinem Privatwagen war mir leider abgeschnitten worden.« »Auf der Ladefläche dieses Armeewagens haben Sie nicht zufällig irgend etwas entdeckt?« »Versetzen Sie sich in die Lage eines gehetzten Mannes, Sir«, bat Josuah Parker treuherzig. »Von Angst gepeinigt und geschüttelt, erlaubte ich mir, ausschließlich an schnelle Flucht zu denken. Hätte sich auf der Ladefläche denn etwas befinden müssen?« »Vielleicht, Mr. Parker, vielleicht auch nicht.«
»Ich möchte nicht kritisieren, Sir, aber eine erschöpfende Antwort scheint das meiner bescheidenen Ansicht nach nicht zu sein.« »Reden wir Klartext, Mr. Parker.« Der Chief-Inspektor räusperte sich nachdrücklich. »Sie haben einen interessierten Zuhörer vor sich, Sir.« »Die Beute wurde sichergestellt!« Garron nickte. »Die Gangster sind durch Ihr Auftauchen nachhaltig gestört worden. Nach der Schießerei setzten sie sich ab und ließen alles am Bahndamm zurück. Sie ahnten wohl, daß sie mit ihrer Millionenbeute nicht weit kommen würden.« »Ich möchte mich erkühnen, Sie zu beglückwünschen, Sir.« »Die Sache hat allerdings einen kleinen Haken, Mr. Parker.« »Sie spannen mich geradezu auf die Folter, Sir.« »Ein Drittel der gestohlenen und aus dem Zug geschafften Beute fehlt.« »Sie sehen meine bescheidene Wenigkeit erneut bestürzt, Sir.« »Nicht genau ein Drittel. Nach unseren Ermittlungen müssen die Täter Banknoten und Goldbarren im Werte von rund zweihunderttausend Pfund beiseite geschafft haben.« »Ein erkleckliches Sümmchen, wenn ich es so ausdrücken darf, Sir.« »Ein Vermögen, Mr. Parker! Wir fragen uns nun, wo dieses Geld geblieben sein könnte.« »Diese Ihre Fragestellung ist durchaus verständlich und drängt sich einem förmlich auf, Sir, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.«
»Sie wissen nicht zufällig, wo diese zweihunderttausend Pfund sein könnten?« »Man wird sie versteckt haben, Sir.« Parker sah den Chief-Inspektor beflissen an. »Ja, von diesem Denkansatz würde ich ausgehen, wenn ich mir diesen Rat erlauben darf.« »Es handelt sich um drei prall gefüllte Postsäcke mit Banknoten und einer Holzkiste, die mit Goldbarren gefüllt ist.« »Schon allein von den Dimensionen her, Sir, ließe sich diese Restbeute ganz sicher nicht durch die Polizeisperren bringen.« »Das finde ich auch, Mr. Parker. Diese drei Postsäcke und die Holzkiste befanden sich nicht zufällig auf der Ladefläche des Armeewagens, mit dem Sie flüchteten?« »Sie halten mich einer Unterschlagung für fähig, Sir?« Bestürzung war in Parkers Frage. »Ich frage nur, Mr. Parker.« »Lassen Sie es mich folgendermaßen ausdrücken, Sir«, antwortete Butler Parker gemessen. »Als ich den Wagen bei den Behörden ablieferte, war die Ladefläche leer.« »Und ich fragte, ob sie vorher beladen war.« Chief-Inspektor Garron ließ nicht locker. »Falls das nämlich so war, Mr. Parker, würden die geflüchteten Gangster alles daransetzen, sich wenigstens diese zweihunderttausend Pfund zurückzuholen.« »Menschlich durchaus verständlich, Sir.« Parker nickte langsam. »Diese Gangster werden vor Mord und Folter nicht zurückschrecken.« »Daran sollte man in der Tat stets denken.«
»Sie wissen also nichts von den drei Postsäcken und der Holzkiste, Mr. Parker?« »Doch, natürlich, Sir.« »Aha.« Chief-Inspektor Garron nickte zufrieden und sah den Butler erwartungsvoll an. »Sie sprachen ja gerade davon«, erklärte Parker höflich, worauf Garrons Gesicht sich leicht verfinsterte. Er hatte eine andere Antwort erwartet. »Trauen Sie meiner bescheidenen Wenigkeit zu, Sir, diese Teilbeute an die Seite geschafft zu haben? Falls dem so ist, wäre ich außerordentlich betroffen.« »Was ich Ihnen zutraue, werde ich hübsch für mich behalten«, erwiderte Garron gereizt. »Aber Ihrer Gesundheit würde es sehr zuträglich sein, wenn sich die drei Postsäcke und die Holzkiste noch im Lauf der Nacht finden würden. Die Gangster kämen dann wohl nicht auf den Gedanken, sie müßten bei Ihnen suchen.« »So wollen wir dann gemeinsam hoffen, Sir«, lautete Parkers Antwort. »Mir scheint und mich dünkt, daß da Dinge auf meine bescheidene Wenigkeit zukommen, die ich noch nicht in ihrer ganzen Trägweite abzuschätzen vermag.« »Klingt zwar sehr umständlich, trifft aber den Kern der Sache«, schloß Garron grimmig. »Zu Ihrem Begräbnis werde ich mit Sicherheit kommen. Ich bin ein höflicher Mensch.« * Butler Parker brauchte nicht lange zu warten, bis die erste Nachricht eintraf. Etwa eine halbe Stunde nach seinem Gespräch mit Chief-Inspektor Garron
hatte er ein Erlebnis, das ihn ein wenig irritierte. Durch eines der geöffneten Fenster segelte plötzlich ein Gegenstand, der ziemlich unsanft gegen die Zimmerwand prallte und dann über den Boden kollerte. Eine Eierhandgranate! Butler Parker geriet keineswegs in Panik. Er hechtete nicht in Deckung und rannte aus dem Zimmer. Er blieb abwartend stehen und musterte den Fremdkörper, der sich im Wohnraum nicht besonders stilgerecht ausnahm. Er zweifelte nicht eine Sekunde daran, daß es sich nur um eine Übungshandgranate handeln konnte. Er ging von der Tatsache aus, daß er für gewisse Leute viel zu wichtig war, als daß sie ihn hätten umbringen wollen. Parker hob die Eierhandgranate also auf und wog sie nachdenklich in der Hand. Dann ging er zum Fenster hinüber und schaute nach draußen. Zwischen den abgestellten Wagen der Gäste entdeckte er den Verwalter von WaldonCastle, einen gewissen James Halbom. Der Mann war groß, schlank und hielt sich straff wie ein Angehöriger der Armee. James Halbom sah gerade hoch, erkannte Parker und grüßte zurückhaltend. Parker erwiderte diesen Gruß durch ein gemessenes Kopfnicken und fragte sich gleichzeitig, ob James Halbom sich möglicherweise als Leichtathlet betätigt haben mochte. Stammte die Übungshandgranate aus seiner Hand? Hatte er sie durchs Fenster geworfen? Parker wurde abgelenkt. Er sah Chief-Inspektor Garron, der aus der Remise hinter dem Garagengebäude hervorkam. Parker mußte sich blitzschnell entscheiden. Hatte Garron sich
den skurrilen Gag geleistet und die Handgranate geworfen? Wollte er ihn, Josuah Parker, auf die Probe stellen? »Darf ich Ihre wohl an sich kostbare Zeit für einen Augenblick beanspruchen, Sir?« rief Parker nach unten. »Was gibt es denn?« Garron trat unter eine der Außenlampen und war jetzt deutlich zu sehen, während Verwalter James Halbom bereits in der Dunkelheit verschwand. »Man bedachte mich überraschenderweise mit einem militärischen Utensil, Sir.« Während Parker noch redete, präsentierte er dem Chief-Inspektor die Übungshandgranate. »Warten Sie, ich komme 'rauf zu Ihnen.« Garron war sehr schnell. Schon nach wenigen Minuten stand er Parker gegenüber und griff vorsichtig nach dem Sprengkörper. »Es scheint sich um eine Übungshandgranate zu handeln, Sir«, sagte Parker. »Es ist eine«, stellte Chief-Inspektor Garron fest. »Man hat sie in den Wohnraum geworfen?« »Irritierenderweise, Sir.« Parker nickte. »Wie sollte man dieses Wurfgeschoß einordnen und deuten?« »Keine Ahnung, Mr. Parker.« Garron zuckte die Achseln. »Ein verdammt schlechter Scherz.« »Dem würde ich durchaus beipflichten, Sir.« »Ein Scherz ohne tiefere Bedeutung?« Garron sah den Butler zweifelnd prüfend an. »Denken Sie mal an die drei Postsäcke und die Holzkiste, Mr, Parker!« »Was ich hiermit tue, Sir.« Parker verbeugte sich andeutungsweise.
»Vielleicht denken die Gangster, Sie hätten die Teilbeute an die Seite geschafft. « »Dann wäre die Übungshandgranate als eine Art Warnung zu verstehen, Sir? « »Ganz sicher ist das so, Mr. Parker. Sie sehen, das Kesseltreiben gegen Sie beginnt bereits.« »Vorausgesetzt, Sir, die Gangster vermissen tatsächlich einen Teil der Beute. Von dieser Prämisse, wenn ich es so sagen darf, gehen Sie doch aus.« »Sagte ich Ihnen nicht schon, daß ich nicht in Ihrer Haut stecken möchte?« erkundigte sich Chief-Inspektor Garron, wobei er einen sehr zufriedenen Eindruck machte. »Übrigens, ich bleibe in der Nähe. Falls sich noch mehr tut, brauchen Sie sich nur an mich zu wenden.« Er ging zur Tür und nickte dem Butler grüßend zu. »Ihre Handgranate, Sir«, erinnerte Parker diskret und reichte dem ChiefInspektor das Übungsgerät. »Meine Handgranate?« Garron runzelte die Stirn. »Aber gewiß, Sir. Brauchen Sie sie nicht als Beweisstück? Ich überlasse sie Ihnen sehr gern.« * »Das paßt mir aber gar nicht, Kindchen«, räsonierte Agatha Simpson. »Er ist nicht in seiner Unterkunft? Sind Sie da ganz sicher, Kathy?« »Vollkommen, Mylady«, erwiderte Kathy Porter, die Gesellschafterin und Sekretärin. Sie war groß, schlank und langbeinig, hatte wunderschönes, rotbraunes Haar und erinnerte auf den er-
sten und zweiten Blick an ein scheues Reh, Kathy Porter stand schon seit Jahren in Diensten der Lady Simpson und wurde von ihr wie eine Tochter gehalten. Sie hatte sich im Lauf der Zeit auf die Schrullen der älteren Dame eingestellt und wußte Lady Agatha zu nehmen. Darüber hinaus beschützte sie die Sechzigjährige und achtete darauf, daß sie sich nicht in jedes Abenteuer stürzte. Die beiden Frauen kamen sehr gut miteinander aus. Kathy war wie Agatha Simpson eine begeisterte Amateur-Kriminalistin, die von Butler Parker viel gelernt hatte. Wenn es sein mußte, verwandelte sich Kathy Porter in eine wilde Pantherkatze, deren Waffen dann nicht mehr besonders charmant waren. »Parker hintergeht uns, Kindchen«, stellte die ältere Dame grimmig fest. »Das kann ich mir aber kaum vorstellen, Mylady.« »Er spult seinen eigenen Fall ab, Kathy, glauben Sie mir.« »Sie haben einen bestimmten Verdacht, Mylady?« »Er weiß etwas von diesen verschwundenen drei Postsäcken und der Goldkiste.« Agatha Simpson wanderte in ihrem Zimmer auf und ab. Sie ärgerte sich. »Haben Sie Mr. Parker danach gefragt, Mylady?« »Dazu ist es doch gar nicht mehr gekommen, Kindchen. Er ist mir tunlichst aus dem Weg gegangen. Und gerade das macht mich stutzig. Steht sein Wagen vor der Garage?« »Das allerdings nicht, Mylady.« »Aha!« Agatha Simpson nickte triumphierend und wissend. »Mr. Parker befindet sich auf Gangsterjagd, meine
Liebe. Und wir sitzen in diesem verwünschten Schloß herum und langweilen uns-. Aber das nehme ich nicht hin!« »Mylady planen etwas?« fragte Kathy Porter besorgt. Ihr entging nicht das Funkeln in den Augen der Detektivin. Sie machte einen sehr erregten Eindruck. »Besorgen Sie mir einen geländegängigen Wagen, Kindchen«, verlangte Agatha Simpson. »Wir werden Parker folgen.« »Aber wir wissen doch gar nicht, wo er ist, Mylady.« Kathy hatte etwas gegen einen geländegängigen Wagen. Sie kannte die einmalige Fahrtechnik der Lady Simpson. »Wir werden ihn schon aufspüren, Kindchen.« Agatha Simpson deutete auf den kleinen Wandtisch, auf dem Flaschen und Gläser standen. »Reichen Sie mir einen Kreislaufbeschleuniger, meine Liebe!« Kathy seufzte leise, als sie die Medizin für Agatha Simpson zubereitete. Sie füllte einen Schwenker mit gutem alten Kognak und reichte ihn ihrer Herrin. Sie kostete ihn genießerisch, schnalzte mit der Zunge und marschierte dann zur Tür. »Wir werden unsere Suche am Bahndamm beginnen«, sagte Lady Agatha mit ihrem baßgefärbten Organ. »Dann fahren wir die Route ab, die er nach dem Gangsterkontakt genommen hat. Worauf warten Sie eigentlich noch? Besorgen Sie endlich einen Wagen!« Kathy Porter seufzte noch mal vorsichtig und machte sich auf den Weg. Sie wußte, daß ihr einige aufregende Stunden bevorstanden. Sie fuhr schließlich nicht zum ersten Mal mit Agatha Simpson durchs Gelände.
Agatha Simpson genehmigte sich noch einen zweiten Kreislaufbeschleuniger, um richtig in Stimmung zu kommen. Dann prüfte sie ihren Pompadour, in dem sich ein echtes Hufeisen befand, und sah sich nach einer zusätzlichen Waffe um. Die ältere Dame entschied sich für einen Morgenstern, den sie an einer Wand im Vorflur ihrer Räume entdeckte. Es handelte sich um eine raffinierte Waffe. Sie bestand aus einem kurzen Stiel, an dem eine leicht verrostete Kette befestigt war. Diese Kette endete in einem stachelbewehrten Eisenstück von der Größe eines kleinen Balls. So ausgerüstet, machte die Detektivin sich auf den Weg, um dem geheimnisvollen Gehabe ihres Butlers auf die Spur zu kommen. * Die Straßensperren waren aufgehoben worden. Josuah Parker saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und fuhr hinüber zum Camp der Armee. Der Mond arbeitete sich nur hin und wieder durch das dichte, regenschwere Gewölk. Parker passierte die Brückenbaustelle und hielt dann vor dem Gelände, wo das Manövercamp sich befunden hatte. Bis auf einige Zelte und Kommandowagen war kaum noch etwas zu sehen. Auch die Armee war abgerückt und hatte die Suche nach den Eisenbahngangstern aufgegeben. In Höhe der Müllhalde mußte er anhalten. Die zwei Räumer, die er bereits beobachtet hatte, wurden gerade auf Tieflader verladen. Parker machte diese Pause
nichts aus. Er hatte sich eine seiner berüchtigten Zigarren angezündet und genoß das herbe Aroma des Tabaks. Da er allein war, konnte er sich dieses Teufelskraut leisten, wie Lady Simpson diese schwarzen Torpedos nannte. Nach dem Verladen der Räumer fuhr Parker entspannt und innerlich heiter wieder los. Er rechnete fast damit, daß er heimlich verfolgt wurde, wenngleich er bisher noch nichts bemerkt hatte. Früher oder später würde der Kontakt schon hergestellt werden, dessen war er sicher. Vor Antritt der Fahrt hatte Josuah Parker sich die Karte dieser Region genau angesehen. Ihm ging es darum, seine heimlichen Beobachter und Verfolger zu düpieren. Er wollte sie nach allen Regeln der Kunst in die Irre führen. Parker verließ die Straße und brachte sein hochbeiniges Monstrum auf einen Seitenweg, der vor einem kleinen See endete. Dschungelartiger konnte man sich kaum ein Ufer vorstellen. Als Parker ausstieg, ebbte das fröhliche Gequake der Frösche kurz ab, um dann jedoch wieder anzuschwellen. Parker, der die Scheinwerfer seines Wagens ausgeschaltet hatte, machte nur wenige Schritte und blieb dann neben einer Weide stehen. Notgedrungen mußte er seine Zigarre ausdrücken, denn das herbe Aroma hätte ihn sonst wohl mit Sicherheit verraten. Einige Mückenschwärme im Dickicht und Ufergebüsch nahmen das mit echter Erleichterung und Freude zur Kenntnis. Sie waren schon zu einem Früh- und Alarmstart bereit gewesen, nachdem sie die ersten Duftschwaden mitbekommen hatten. Nun aber beruhigten sich die
stechenden und saugenden Insekten und warteten die weitere Entwicklung ab. Sie befanden sich offensichtlich in einem echten Zwiespalt der Gefühle. Natürlich hatten sie Josuah Parker als Opfer längst ausgemacht und sehnten sich nach seinem warmen Blut. Einige Späher, die dieses Opfer umschwirrten, traten aber hastig den Rückflug an, um ihre Schwärme zu warnen. Parker wurde immer noch vom Aroma seiner Spezialzigarren eingehüllt. Diesen Sperrkreis wollten die Stechmücken unnötigerweise nicht durchbrechen, da für sie akute Lebensgefahr bestand. Parker ahnte nichts davon. Er schob sich noch ein wenig tiefer in das Gesträuch und harrte der Dinge, die da hoffentlich kamen. Falls seine Rechnung aufging, mußten die heimlichen Verfolger sich jetzt endlich nähern und vielleicht auch zeigen. Butler Parker wurde überrascht. Plötzlich hörte er ein feines Scharren knapp hinter sich. Er wandte sich um und sah sich einem wolfsähnlichen Hund gegenüber, der ihn aus unheimlichen, furchterregenden Augen anglühte. Der Vierbeiner hatte Spur aufgenommen und sich fast lautlos genähert. Es war ein großes und starkes Tier, daß sich intensiv für Parkers Waden interessierte. Auch die Hüfte des Butlers übte auf den Vierbeiner einen fast magischen Zwang aus. Kurz, Josuah Parker sollte um einige Pfunde Muskelfleisch erleichtert werden, wogegen er verständlicherweise einiges einzuwenden hatte. Doch Parker wußte sich natürlich zu helfen. Er improvisierte aus dem Moment heraus und warf die eben erst ausgedrückte und gelöschte Zigarre in den
Rachen des Untiers, das sofort und automatisch zuschnappte. Danach brauchte Parker sich um nichts mehr zu kümmern. Er wartete die weitere Entwicklung der Dinge in völliger Gelassenheit ab. Er wußte ja, aus welchen Spezialtabaken seine schwarzen Torpedos bestanden. Der Vierbeiner hatte die Zigarre inzwischen geschluckt und horchte in sich hinein. Trotz der schlechten Sichtverhältnisse bekam Josuah Parker deutlich mit, daß das Tier stutzte und dann einen Schluckauf bekam. Die Zigarre schien den Schleimhäuten seines Magens nicht sonderlich gut zu bekommen. Der wolfsähnliche Hund verdrehte die Augen und würgte, doch die Zigarre zeigte Beharrungsvermögen und blieb an ihrem Platz. Dann ging ein Zucken durch den Hund. Die scharfe Magensäure hatte die Zigarre leicht aufgelöst und ihre Wirkstoffe freigesetzt. Der Vierbeiner sprang plötzlich gleichzeitig mit allen Läufen steil in die Luft und schien sich in einem imaginären Lift zu befinden. Dann krachte das schwere Tier zurück auf den Boden und winselte. Parker, ein Tierfreund durch und durch, bedauerte diese Entwicklung durchaus. Doch er beruhigte sich mit der Erklärung, daß er schließlich in akuter Notwehr gehandelt hatte. Der Wolfshund lag nun auf dem Rücken und strampelte mit seinen Läufen in der Luft herum, rülpste dazu ausgesprochen deftig und ging anschließend in Ermangelung einer Wand an einem Baumstamm hoch. Dieses Unternehmen mußte natürlich mißlingen, wie Parker voraussah. Der Hund schaffte vielleicht dreieinhalb Me-
ter, dann aber unterlag er den Gesetzen der Schwerkraft und plumpste zurück auf den weichen Waldboden. Die Zigarre aber wirkte weiter. Angefeuert von ihren Ingredienzien produzierte der Vierbeiner einen Salto rückwärts, was allerdings nicht ganz gelang. Parker hatte schon bessere Vorführungen dieser Art gesehen. Der Wolfshund sah seine Konditionsschwächen schließlich ein, ließ ab von einem weiteren Versuch und brach dann wie ein Wildschwein durch das dichte Unterholz, um sich in die Fluten des Waldsees zu stürzen. Parker war bestürzt, denn er vermutete anfänglich einen Selbstmordversuch, den er sehr bedauert hätte. Dann aber atmete er befreit auf. Der Hund wollte nur trinken. Er kam zurück an die Wasseroberfläche und soff wie ein Kamel, das seit einigen Wüstentagen nichts mehr getrunken hatte. »Tiger«, rief in diesem Moment eine Männerstimme, die dem Butler nicht ganz unbekannt war. »Tiger, was ist denn los? Hierher! Na, komm schon! Was ist denn, Tiger?« Der Wolfshund, der also Tiger hieß, reagierte überhaupt nicht und schmatzte das Wasser in seinen geplagten Magen. Parker trat ein wenig vor und entdeckte dann den Verwalter von Waldon Castle. James Halbom erschien auf dem schmalen Pfad und pirschte an das zugewachsene Ufer. Er hielt eine doppelläufige Schrotflinte in Händen und machte einen wehrhaften Eindruck. Ob er allein war, konnte Josuah Parker noch nicht mit letzter Sicherheit wahrnehmen. Er blieb bei seiner Vorsicht und verzichtete darauf, sich bemerkbar zu machen.
* Agatha Simpson saß am Steuer des Jeep und brauste durch die Nacht. Die resolute Dame fühlte sich rundum wohl und glühte vor Eifer. Sie kümmerte sich nicht weiter um Kathy Porter, die sich mit Armen und Beinen auf dem Nebensitz verhakt und gesichert hatte. Die Lady nahm jedes Schlagloch mit Lust und unterzog den Wagen einem gnadenlosen Test. Wie vorausgeplant, näherte sie sich dem Tatort. Vom Bahndamm aus wollte sie die Fluchtfahrt ihres Butlers nachvollziehen, um daraus dann ihre Schlüsse abzuleiten. Die drei Postsäcke und die Goldkiste gingen der älteren Dame nicht aus dem Kopf. Mehr denn je war sie fest davon überzeugt, daß ihr Butler mehr wußte, als er bisher gesagt und zugegeben hatte. Kathy Porter litt wieder mal Höllenqualen. Um die Gangster nicht unnötig zu warnen, hatte Lady Agatha listigerweise darauf verzichtet, die Scheinwerfer einzuschalten, was der Fahrsicherheit allerdings kaum förderlich war. Doch die ältere Dame verließ sich wieder mal auf ihren sicheren Instinkt und die starken Stoßstangen des Jeeps. Sie verlor kein Wort darüber, als sie ein morsches Weidengatter rammte und total demolierte, sie achtete auch kaum auf die Holztrümmer, die um den Jeep herumflogen. Sie war eine durch Sport gestählte Frau, die über solche Kleinigkeiten souverän hinwegsah. Agatha Simpson pflügte durch ein Rübenfeld und schreckte einen Fuchs auf, der dort auf der Lauer lag. Das Tier konnte sich im letzten Augenblick durch einen hastigen Sprung in Sicherheit bringen und
starrte dann dem nächtlichen Ungeheuer nach, das bereits auf ein Gehöft zu raste. »Mylady, eine Scheune«, bemerkte Kathy Porter. »Eine Scheune? Wo denn, Kindchen?« Agatha Simpson sah sich interessiert nach allen Seiten um, denn sie bemerkte nichts. Der Mond war gerade wieder hinter schweren Regenwolken verschwunden und lieferte kein Licht. »Vor uns, Mylady«, keuchte Kathy und machte sich bereit, aus dem Jeep zu springen. »Was Sie nicht sagen, meine Liebe!« Agatha Simpson bremste und wunderte sich, als die schwere Stoßstange gegen die Längswand besagter Scheune donnerte. Die leichten Bretter waren dieser Begegnung nicht gewachsen, brachen in sich zusammen und schufen so eine Einfahrt für den Jeep. »Hoppla«, sagte die ältere Dame ein wenig verärgert. »War da was, Kindchen?« »Eine Scheune, Mylady«, erwiderte Kathy Porter, sich zur Ruhe zwingend. »Vielleicht sollten Sie zurücksetzen, Mylady.« »Wohin die Leute aber auch bauen!« Lady Agatha schüttelte verwundert den Kopf. »Diese wilde Bauweise müßte glatt verboten werden. Halten Sie sich fest, ich werde zurückfahren!« Sie legte den Rückwärtsgang ein und gab Vollgas, doch der Jeep schien keine Lust mehr zu haben, sich von seiner exzentrischen Fahrerin weiterhin malträtieren zu lassen. Seine Räder drehten durch, und er rührte sich nicht von der Stelle. »Was sagen Sie zu solch einer miserablen Technik?« ärgerte sich Agatha Simpson. »Diese modernen Wagen ver-
tragen nicht mehr den kleinsten Kratzer. Ich werde mich beim Hersteller beschweren. Erinnern Sie mich daran, Kindchen, daß ich morgen einen geharnischten Brief diktieren muß!« »Mylady, ich glaube, wir sind verfolgt worden«, sagte Kathy. Ohne die ältere Dame zu fragen, stellte sie die Zündung ab. Agatha Simpson nahm dies hin, denn sie hoffte auf einen abwechslungsreichen Zwischenfall. » Ein Wagen, nicht wahr? « Sie flüsterte ihrer Meinung nach, doch ihr Baß dröhnte durch die Nacht. »Ein Wagen, Mylady«, bestätigte Kathy Porter. »Wir sollten vielleicht besser den Jeep räumen und uns in Deckung begeben.« »Papperlapapp, Kindchen! Eine Lady Simpson verkriecht sich niemals!« Die stets kriegerisch aufgelegte Dame griff nach ihrem Morgenstern und stieg aus dem Wagen. Sie wollte sich gerade neben dem Fahrzeug aufbauen, als aus der Dunkelheit heraus die Geschoßgarbe aus einer schallgedämpften Maschinenpistole zu hören und auch zu sehen war. Von einer nahen Baumgruppe wurde geschossen, wie das halb verschluckte Mündungsfeuer bewies. »Diese Flegel!« Agatha Simpson war ärgerlich, zumal einige Geschosse dicht neben ihr einschlugen und die hochgestellte Windschutzscheibe des Jeeps zertrümmerten. Die Lady schwang den Morgenstern wie einen Sporthammer, drehte sich insgesamt zweimal um ihre Längsachse und ließ ihn dann durch die Luft sausen. Das mittelalterliche Gerät entpuppte sich als eine gefährliche Waffe. Die schwere, stachelbewehrte Eisenkugel übernahm die Führung, riß die Kette mit
sich und schließlich auch den kurzen Stiel. Sekunden später war ein harter Einschlag zu hören. Glas splitterte, Blech knirschte, und darüber lagerte sich ein erstickter Aufschrei, der in ein Gurgeln und Stöhnen überging. Eine zweite Geschoßgarbe wurde deshalb daran gehindert, sich noch mal in Richtung Lady Simpsons zu bewegen. Die tödlichen Geschosse jagten senkrecht hinauf zum regenverhangenen Himmel und richteten dort keinen weiteren Schaden an. »Treffer!« Agatha Simpson freute sich. »Diesem Lümmel habe ich es gegeben!« »Mylady, bitte!« Kathy versuchte ihre Chefin in Deckung zu ziehen, denn sie glaubte zwei Schatten gesehen zu haben, die in geduckter Haltung zur Scheune rannten. »Nur keine Panik, meine Liebe!« Agatha Simpson glühte vor Eifer und Aktivität. Sie wollte sich den Angreifern entgegenwerfen und hatte das riesige Glück, im richtigen Moment auf das falsche Brett zu treten, das von der Stoßstange aus der Scheune herausgelöst worden war. Dieses Brett schnellte hoch und klatschte gegen ihren ausgeprägten Busen. Die Detektivin schnappte nach Luft und fühlte sich für einen Moment leicht unwohl. Dabei ging sie unwillkürlich in die Knie und entkam so einer Serie von Revolverschüssen, die ihr zugedacht waren. Kathy Porter zerrte die benommene Dame in die Scheune und brachte sie hier erst mal in Sicherheit. Sie wußte aber, daß die Gefahr damit noch längst nicht gebannt war. Sie hatten es mit
Gegnern zu tun, die zu allem entschlossen waren. * James Halbom stand am Ufer des Sees und rief nach seinem Hund. Der Verwalter machte einen im Grund unverdächtigen Eindruck, ja, er schien noch nicht mal zu wissen, daß Parker sich in der Nähe befand. Tiger, wie der Wolfshund hieß, hatte sich inzwischen erfrischt und torkelte an Land. Hechelnd und erschöpft ließ er sich zu Füßen seines Herrchens nieder. Halbom stellte seine doppelläufige Flinte gegen einen dünnen Baumstamm und kümmerte sich um seinen Hund. Parker hingegen kümmerte sich intensiv um das Schrotgewehr und nahm es verstohlen an sich. Dennoch traute er sich nicht aus seinem Versteck hervor. Ihm war nicht ganz klar, ob James Halbom auch tatsächlich allein gekommen war. »Was war denn, Tiger?« erkundigte sich Halbom bei seinem Wolfshund. »Er muß sich erschreckt haben«, ließ der Butler sich vernehmen. Der Verwalter fuhr blitzschnell herum und wollte nach seinem Schrotgewehr greifen, doch er fand es nicht. James Halbom versuchte sich zu orientieren, denn er konnte den Butler nicht sehen. »Wer... Wer ist da?« fragte er schließlich. »Parker, Josuah Parker«, erwiderte der Butler und wechselte sicherheitshalber erneut seinen Standort. Dazu sprach er in die Wölbung seiner Melone hinein. Dadurch wurde die Stimme verzerrt und ließ sich nicht orten.
»Ach Sie sind es!« Erleichterung war in Halboms Stimme zu vernehmen. »Mann, haben Sie mich erschreckt!« »Sie sind auf nächtlicher Pirsch, wie es in der Fachsprache der Jäger wohl heißt?« »Richtig, Mr. Parker. Wo stecken Sie denn? Ich kann Sie nicht sehen.« Josuah Parker hingegen sah ihn deutlich. James Halbom beugte sich zu seinem Wolfshund hinunter und flüsterte ihm einiges ins Ohr. Wahrscheinlich wollte er den Vierbeiner dazu ermuntern, die Spur des Butlers aufzunehmen und ihn dann anzugreifen. Der gute Tiger aber dachte nicht im Traum daran, sich noch mal mit dem Butler anzulegen. Er zog den Schwanz ein und verdrückte sich. »Ein nervöses Tier«, sagte Parker und trat endlich aus seiner Deckung hervor. Er hielt das Gewehr im Unterarm, den Doppellauf auf Halbom gerichtet. »Ich weiß auch nicht, was mit Tiger los ist.« Halbom schielte auf den Doppellauf. »Aus Ihrer nächtlichen Pirsch wird jetzt wohl nichts mehr werden, Mr. Halbom.« »Das ist nur ein Routinegang«, antwortete der Verwalter von Waldon Castle. Und erneut hatte der Butler den Eindruck, daß dieser Mann durchaus mit dem Colonel identisch sein konnte, den er am Bahndamm getroffen hatte. Gestik und Haltung waren sich verblüffend ähnlich. »Sie suchen wahrscheinlich nach Wilderern, wenn ich nicht sehr irre?« »Das ist es, Mr. Parker. Nach Wilderern! Und was machen Sie hier? Die
Seeufer sind ziemlich gefährlich und tückisch. Überall ist Moor.« »Moore faszinieren mich«, gab Parker zurück. »Daher auch mein nächtlicher Spaziergang. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, wie ausgesprochen melodisch und vielfältig das Quaken der Frösche ist?« »Tatsächlich?« James Halbom war an diesem Thema nicht interessiert. Er streckte seine Hand nach der Waffe aus. »Würden Sie mir das Gewehr zurückgeben, Mr. Parker?« »Aber selbstverständlich, Mr. Halbom.« Parker reichte ihm die Waffe und wartete ab, was sich daraus ergab, doch Halbom verhielt sich friedlich. »Ich gehe zurück zum Weg«, sagte er. »Wollen Sie mitkommen?« »Ich schließe mich Ihnen gern an, zumal Sie ein kundiger Führer zu sein scheinen.« Parker war ein wenig enttäuscht darüber, daß Halbom nicht die Katze aus dem Sack ließ. Hatte er bemerkt, daß die Waffe entladen worden war? Oder war Halbom wirklich harmlos und hatte mit den Gangstern nichts zu tun? Die beiden Männer gingen zurück und hielten auf Parkers Monstrum zu. Sie hatten es noch nicht ganz erreicht, als plötzlich zwei ausgesprochen finstere Gestalten hinter dem Wagen auftauchten. Das Mondlicht reichte aus, um die Maschinenpistolen zu erkennen, die sie in ihren Händen trugen. »Flossen hoch«, sagte einer der Männer, die Tarnzeug der Armee trugen und deren Gesichter geschwärzt waren. »Los, Leute, schnell, sonst werden unsere Zeigefinger nervös!«
* »Was war denn, Kindchen?« erkundigte sich Lady Agatha irritiert. Sie schob Kathy Porter zur Seite und setzte sich kerzengrade auf. »Bin ich etwa getroffen worden?« »Nur von einem hochschnellenden Brett, Mylady«, gab Kathy leise zurück. »Draußen vor der Scheune sind zwei Männer.« »Wie schön«, freute sich die ältere Dame und stand auf. »Sie sind bewaffnet, Mylady!« »Blumen werden sie uns bringen wollen«, lautete die Antwort der Agatha Simpson. »Diese Flegel werden wir uns kaufen, meine Liebe.« »Mylady, wir dürften es mit den Eisenbahngangstern zu tun haben.« »Das möchte ich aber auch sehr hoffen, Kindchen. Parker wird sich schwarz ärgern, wenn wir sie zurück 'nach Waldon Castle bringen.« »'rauskommen!« rief in diesem Moment vor der Scheune eine harte, undeutliche Stimme. »Wir räuchern euch aus, wenn ihr nicht sofort auf der Bildfläche erscheint.« »In welch einem Ton wagen Sie es, mit mir zu sprechen?« entrüstete sich Agatha Simpson sehr laut und unwirsch. »Sie scheinen keine Manieren zu haben,« Während sie mit ihrer Baßstimme die Luft vibrieren ließ, nickte sie ihrer Gesellschafterin Kathy ermunternd zu. Kathy hatte sofort verstanden und verschwand in der Feldscheune. Sie schlängelte sich auf die Rückseite vor und suchte hier nach einem passenden Durchschlupf. Sie wollte die Scheune verlassen und sich an die
Gangster heranpirschen. Angst hatte sie überhaupt nicht. Kathy Porter wußte durchaus, was sie sich zutrauen konnte. Sie war eine erfahrene Einzelkämpferin. Sie nutzte den Baß ihrer Chefin, die lautstark schimpfte. Kathy fand einige lose Bretter, drückte sie zur Seite und schlüpfte nach draußen. Sie orientierte sich kurz und kroch dann auf das hohe Unkraut zu, das hinter der Scheune wucherte. Von dort aus wollte sie sich an den Wagen der Gangster heranmachen. Sie kam jedoch nicht weit. Sie hörte hinter sich ein Geräusch, fuhr katzenhaft geschmeidig herum und wollte dem Schlag entgehen, der ihr zugedacht war. Sie schaffte es aber leider nicht mehr. Ein sehr harter Gegenstand legte sich auf ihren Hinterkopf und nahm ihr das Bewußtsein. Als sie wieder zu sich kam, war sie an Händen und Füßen gefesselt. Sie lag bäuchlings auf der Schulter eines starken Mannes, der sie ohne Schwierigkeiten trug. Als Kathy einen Warnruf ausstoßen wollte, merkte sie erst, daß ein Heftpflaster ihren Mund verschloß. Die Gangster hatten an alles gedacht. Kathy ärgerte sich maßlos. Sie hatte die Gegner unterschätzt und war ihnen direkt in die Arme gelaufen. Nun hatte die ältere Dame sicher keine Chance mehr. Man würde sie leicht dazu überreden können, die Scheune zu verlassen. Aber war wirklich bereits alles verloren? Gab es keine Hoffnung mehr, sich aus eigener Kraft zu befreien? Kathy Porter fand instinktiv eine passende Lösung. Sie wandt und krümmte sich auf der Schulter, bis ihr Körper etwas weiter nach unten wegrutschte. Der Mann ließ
sich zwar nicht beeindrucken, merkte aber auch nicht, in welch einer Gefahr er sich befand. Als er es dann merkte, brüllte er auf! Kathy hatte nämlich kräftig zugebissen. Ihre Zähne schlugen sich in die Halsmuskeln des Gangsters, der völlig überrascht wurde. Er warf Kathy wie einen lästigen Gegenstand von seiner Schulter und griff nach der schmerzenden Stelle. Als er sich dann um seine Gefangene kümmern wollte, erlebte er die nächste Überraschung. Kathy Porter hatte sich wie eine Stahlfeder zusammengezogen und ließ ihre gefesselten Beine blitzschnell in Aktion treten. Sie traf die Schenkel des Gangsters oberhalb der Knie und brachte den Mann völlig aus dem seelischen und körperlichen Gleichgewicht. Er fiel nach hinten ins Gras und stöhnte. Kathy aber schlängelte sich fort und verschwand in der Dunkelheit. * Agatha Simpson hatte ihr Wortgefecht inzwischen beendet und den Aufschrei draußen in der Nacht gehört. Ihr war klar, daß Kathy Porter tätig geworden war. Es mußte einen Zwischenfall gegeben haben, der aber zu ihren Gunsten ausgegangen war. Sie stand hinter der Scheunenwand und beobachtete durch einen Bretterspalt die beiden Männer, die sich bereits nahe herangearbeitet hatten. Agatha Simpson griff nach ihrem Pompadour. Er war ihre einzige Waffe, mit der sie allerdings nur einen der beiden Angreifer außer Gefecht setzen konnte. Als sie sich ein wenig zur Seite bewegte, hörte sie zu ihren Füßen ein
Fauchen, dann ein Scharren und Trampeln. Sie stutzte verständlicherweise und fragte sich, was wohl diese Geräusche verursacht haben mochte. Sie bückte sich, wobei sie wegen ihrer Stattlichkeit leise seufzte und .. . fuhr überrascht zurück. Ihre Fingerspitzen hatten eindeutig die Stacheln eines Igels berührt. Agatha Simpson lächelte fast ein wenig teuflisch. Die ältere Dame, die gern improvisierte, wußte nun, daß sie nicht ganz hilfund waffenlos war. Mit diesem Igel ließ sich schon eine Menge anstellen, ohne daß dem Stacheltier etwas passierte. »Wir geben noch dreißig Sekunden«, rief einer der beiden Männer ungeduldig. »Wenn ihr bis dahin nicht draußen seid, wird's hier verdammt heiß werden.« Agatha Simpson schaufelte den ausgewachsenen und sich verständlicherweise sperrenden Igel in ihren hochgeschürzten Rock und fand dann noch einen zweiten. Auch er wanderte in den Rock und rollte sich wie sein Vorgänger. Die Lady marschierte zurück zu jener Stelle, wo der Jeep stand. Sie bewegte sich erstaunlich leise, was man ihrer Fülle kaum zugetraut hätte. Sie freute s eh bereits im vorhinein auf die kommende Auseinandersetzung. Diesen ausgemachten Flegeln wollte sie es zeigen! Die beiden Gangster hatten den Wagen erreicht und bauten sich seitlich neben ihm auf. Sie warteten darauf, daß die beiden Frauen endlich aus der Scheune kamen, dachten aber nicht daran, etwa Feuer zu legen. Möglicherweise vermuteten sie in diesem Holzgebilde Postsäcke und eine Holzkiste, die
mit Goldbarren gefüllt war. Diese Kostbarkeiten wollten sie nicht gefährden. Agatha Simpson griff nach dem ersten Igel, der sich nur noch fester zusammenrollte. Sie spürte die Stachelspitzen, aber die Berührung ließ sich durchaus ertragen. Lady Agatha holte weit aus wie eine Ballwerferin und schleuderte das Stacheltier auf den Gangster, der am weitesten rechts vom Jeep stand. Der Mann wurde völlig überrascht. Wegen der herrschenden Dunkelheit sah er natürlich nichts von diesem seltsamen Wurfgeschoß, das seinerseits ja braunschwarz eingefärbt war. Die Stachelkugel landete genau auf der unteren Gesichtshälfte des Gangsters, und die Stachelspitzen bohrten sich intensiv in Nase, Mund und Kinn. Der Mann brüllte auf, warf seine Maschinenpistole weg und heulte wie besessen. Er rannte zurück, tat seltsame Sprünge und griff nach seinem schmerzenden Gesicht. Der zweite Gangster fuhr herum, feuerte sinnlos in die Scheune hinein und übersah dadurch jenes Wurfgeschoß, das Lady Simpson ihm zugedacht hatte. Der zweite Igel, kaum leichter als sein Partner, klatschte voll ins Genick des Gangsters und bohrte seine Stacheln tief in die Haut. Der Mann produzierte einige unartikulierte Töne, kreischte dann entsetzt und griff nach dem Wurfgeschoß, das er bisher nicht identifiziert hatte. Bruchteile von Sekunden später wußte er es. Er schloß seine Finger um die hochgestellten Stacheln und brüllte. Er riß das seltsame Etwas vom Nacken herunter und warf es weit von sich. Der Igel landete in altem, verrottetem Heu, schniefte zufrieden und trollte sich. Dabei traf er
auf seinen Artgenossen, der hier ebenfalls gelandet war. Gemeinsam suchten sie das Weite und kümmerten sich nicht weiter um die Aufregung, die sie ungewollt verursacht hatten. Agatha Simpson beobachtete die beiden Gangster. Sie suchten ebenfalls das Weite und jagten zurück zu ihrem Wagen, mit dem sie den Jeep der Detektivin verfolgt hatten. Als sie ihn erreicht hatten, vermißten sie ihren dritten Mann. Sie riefen nach ihm, erhielten keine Antwort und pfiffen im übertragenen Sinn auf ihn. Sie ließen den Motor an, wendeten und setzten sich einfach ohne ihren Kumpan ab. Sie suchten und fanden ihr Heil in der Flucht. Agatha Simpson war mit sich äußerst zufrieden. Sie hatte diesen schamlosen und ungezogenen Angriff auf ihre Person erfolgreich abgewehrt. Sie machte sich daran, nach Kathy Porter zu suchen. * Gemessen und würdevoll hob Josuah Parker seine Arme. Gegen zwei Maschinenpistolen konnte er nichts ausrichten. Er sah sich die beiden Männer in der Armee-Tarnkleidung aufmerksam an. Verwalter James Halbom hatte sein Schrotgewehr schleunigst zu Boden geworfen und ergab sich ebenfalls. Als einer der beiden Männer ihn zu sich heranwinkte, zögerte er. »Was . . . Was wollen Sie von mir?« fragte er nervös. »Komm schon, Junge«, sagte der Mann in der Tarnkleidung gereizt. »Mach bloß keinen Ärger!«
James Halbom wollte keinen Ärger machen und haben. Ängstlich ging er auf den Mann zu, der ihn zu sich heranwinkte. Er hatte ihn noch nicht ganz erreicht, als dieser Gangster mit dem Lauf seiner Maschinenpistole blitzschnell zuschlug. James Halbom stöhnte auf und brach zusammen. Er landete zu Füßen des Schlägers und rührte sich nicht mehr. »Ihre Umgangsformen kann man nur als ausgesprochen rudimentär bezeichnen«, stellte Josuah Parker mißbilligend fest. »Warum diese unnötige Brutalität?« »Schnauze«, sagte der Gangster, der den Butler bedrohte. »Es gibt Fernkurse für gute Manieren«, erinnerte Parker, ohne sich beeindrucken zu lassen. »Falls mein Rat erwünscht ist, sollten Sie an solch einem Kurs teilnehmen.« »Noch ein Wort, und es kracht!« »Sind Sie sicher?« erkundigte sich der Butler. »Nach einer alten Lebensweisheit kann nur derjenige reden, der lebt.« »Auch wer angeschossen ist, kann reden. Vielleicht redet er dann pausenlos.« Der Gangster geriet in Wut. Parker sah ein, daß er den Bogen nicht überspannen durfte. »Ihre Argumente haben mich überzeugt«, antwortete er also. »Was kann und muß ich für Sie tun?« »Mitkommen! Und immer schön die Hände auf der Melone lassen, Alter!« Parker fügte sich ins Unvermeidliche. Er hatte seinen Wagen erreicht und hoffte, darin Platz nehmen zu dürfen. Saß er erst mal am Steuer seines hochbeinigen Monstrums, dann hatten diese beiden rüden Gangster keine Chance
mehr. Parkers Wagen war schließlich so etwas wie eine Trickkiste auf Rädern. Seine Erwartungen erfüllten sich leider nicht. Die beiden Gangster kümmerten sich nicht weiter um James Halbom. Sie blieben dicht hinter dem Butler und dirigierten ihn weiter hinauf auf den Feldweg. Im schwachen Mondlicht konnte Parker bald schon einen kleinen Morris entdecken, mit dem die Gangster ihn wohl verfolgt haben mußten. »Los, rein in die Karre, Alter«, sagte der Drahtigere der beiden Schläger und preßte ihm den Lauf seiner Maschinenpistole unsanft gegen die Rippen. »Wir machen jetzt zusammen 'ne hübsche kleine Rundfahrt.« »Wie könnte ich solch einer Einladung widerstehen«, gab Parker gemessen zurück. »Darf ich davon ausgehen, meine Herren, daß Sie zu jenen Männern gehören, die den Postzug ausgeraubt haben?« »Sie dürfen.« Der Gangster, der sich vor das Steuer gesetzt hatte, lachte leise auf. »Und von Ihnen werden wir gleich erfahren, wo die Restbeute geblieben ist. Wetten?« »Es gehört zu meinen Prinzipien, grundsätzlich nie zu wetten«, lautete Parkers Antwort. Er war recht zufrieden. Der ersehnte Kontakt war hergestellt. Mit etwas Glück würde er bald jenem Mann gegenüberstehen, der den Raub inszeniert hatte. * »Sehr hübsch, meine Liebe.« Agatha Simpson hatte ihre Gesellschafterin Kathy Porter gefunden und von den Fesseln befreit. Die beiden Frauen standen jetzt vor einem Mann,
der stöhnte und sich aufzurichten versuchte. Das allerdings gelang ihm nur unvollkommen, denn er litt noch immer unter starken Gleichgewichtsstörungen. Natürlich war der Gangster fuchsteufelswild. Ihm war längst klargeworden, daß ihn eine Frau nach allen Regeln der Kunst ausgetrickst hatte. Noch gab er sich nicht verloren. Er mimte nun ein wenig zusätzliche Hilflosigkeit, um dann ausgerechnet Agatha Simpson anzuspringen. Er hatte die beiden Frauen anvisiert und hielt die ältere Dame für bestens geeignet, eine blitzschnelle Überrumpelung vorzunehmen. Der Mann machte einen Lernprozeß durch. Lady Simpson war nicht die Frau, die sich so einfach überfahren ließ. Wahrscheinlich hatte sie auf solch einen Angriff auch nur gewartet. Als der Gangster sich auf die Lady warf, langte sie mit ihrem Pompadour zu. Das geschah fast spielerisch und sah überhaupt nicht gefährlich aus. Da sich im perlengeschmückten Pompadour jedoch ein echtes Hufeisen befand, erlebte der Gangster noch mal eine herbe Überraschung. Ihm war plötzlich so, als sei er von einem Pferd getreten worden. Er überschlug sich fast und blieb dann japsend liegen. Er hielt sich die linke Kinnlade und wartete darauf, daß sich die weißen Wolken vor seinen Augen lichteten. »Sie Lümmel!« Agatha Simpsons Baßstimme drückte milde Verachtung aus. »Sie haben es mit Damen zu tun, richten Sie sich gefälligst danach! Los, stehen Sie auf!« Der Mann wollte, doch diesmal konnte er wirklich nicht.
»Was machen wir mit diesem Subjekt, Kindchen?« Die resolute Dame wandte sich an ihre Gesellschafterin. »Mr. Parker wird sicher an ihm interessiert sein, Mylady.« »Ärgern wird er sich.« Agatha Simpson lachte leise auf. »Gut, fahren wir zurück nach Waldon Castle. Ich hoffe, daß der Jeep es endlich wieder tun wird.« Kathy hielt die Maschinenpistole des Mannes in Händen und brauchte einen weiteren Angriff nicht zu fürchten. Sie und Lady Agatha ließen dem Gangster noch etwas Zeit, bis er sich endlich aufrichten konnte. »Wir wollen nichts überstürzen, Kindchen.« Agatha Simpson dachte an ihren Butler. »Wir werden diesen Flegel in der Scheune gründlich verhören.« »Von . . . Von mir hören Sie kein Wort«, behauptete der Gangster. Seine Aussprache war recht undeutlich, was aber wohl nur mit dem Hufeisen im Pompadour zusammenhing. »Nun gehen Sie endlich!« Lady Simpson ließ den Pompadour kreisen, worauf der Gangster sich zusammenriß und losmarschierte. Er wollte nicht noch mal von einem Pferd getreten werden. Darüber hinaus war er zu dem Schluß gekommen, daß er es mit zwei Frauen zu tun hatte, mit denen nicht gut Kirschen essen war. In der Scheune angelangt, ließ Lady Agatha sich die Maschinenpistole von ihrer Gesellschafterin reichen. Sie richtete die Mündung mit dem aufgeschraubten Schalldämpfer auf den Gangster. »Wie bedient man solch ein Instrument?« erkundigte sich die ältere Dame bei Kathy Porter.
»Passen Sie auf!« keuchte der Gangster., »Die Dinger gehen verdammt schnell los.« Er bewegte sich zur Seite, um aus dem Mündungsbereich der automatischen Waffe zu gelangen, doch eigenartigerweise folgte Agatha Simpson dieser Bewegung. Und mit ihr folgte die Mündung ... »Warum haben Sie uns eigentlich überfallen?« fragte die Detektivin. »Ich . . . Ich sage kein Wort.« Der Gangster schwitzte Blut und Wasser. Er sah im schwachen Licht der eingedrückten Scheune, daß der Zeigefinger seiner Gegnerin sich gefährlich dem Stecher der Waffe näherte. Im gleichen Moment ratterte ein Feuerstoß aus der Maschinenpistole. Die Geschosse jagten dicht vor den Schuhspitzen des zurückspringenden Gangsters im harten Lehmboden. Der Mann kreischte unmelodisch auf und entpuppte sich wenige Minuten später als ein Plauderer, der kaum noch zu stoppen war. * Der Morris hielt vor der zusammengeschossenen Ruine eines Bauernhauses. Es gehörte zu einem Gelände, auf dem die Armee trainierte. Das Haus war, was Parker sofort erkannte, natürlich nicht durch Artillerie zertrümmert, sondern bereits als Ruine errichtet worden. Hier übten die Soldaten einer Spezialeinheit den Häuserkampf und fanden alles vor, was sich ihnen möglicherweise vielleicht mal tatsächlich präsentierte. Als Parker aus dem Morris stieg, sah er die Umrisse weiterer Ruinen und auch den scheinbar angeschossenen
Turm einer Dorfkirche. Das alles wirkte ungemein echt und bedrückend. Die Gangster hätten sich übrigens für ihre Befragung einen besseren Platz aussuchen können. Die Fahrt hierher hatte fast eine Stunde gedauert. Nach Parkers Schätzung befand man sich jetzt in Halstead, nicht weit von Colchester entfernt. Ihm war bekannt, daß hier ein Trainingszentrum der Armee existierte. Armeemäßig war auch sein Empfang. Seine beiden Begleiter führten ihn in die Ruine des Bauernhauses und dann über eine steile Steintreppe in einen Keller, der als eine Art Kommandostand eingerichtet war. Ihn erstaunte, daß die beiden Gangster fast militärisch salutierten. Der Keller war nur spärlich beleuchtet. Hinter einem alten Küchentisch stand ein untersetzter, aber breitschultriger Mann in Tarnkleidung der Armee. Er grüßte knapp zurück und deutete mit einer Reitgerte auf einen Stuhl, der vor dem Tisch stand. Das Gesicht des gedrungenen Mannes war nicht zu erkennen. Es war aus Gründen der Tarnung geschwärzt. Der buschige Schnauzbart war allerdings nicht zu übersehen. Wahrscheinlich war er nicht echt und diente ebenfalls zur Tarnung. »Es dürfte sinnlos sein, gegen die Behandlung protestieren zu wollen«, stellte Parker fest. Er setzte sich stocksteif auf die Kante des Stuhls, während die beiden Gangster sich hinter ihm aufbauten und ihn nicht aus den Augen ließen. »Ich stelle hier die Fragen! Sie haben nur zu antworten!« Knapp und barsch kam die Antwort des Untersetzten.
»Ihre Fragen werden meine ungeteilte Aufmerksamkeit finden.« »Sie wissen, daß der Hauptanteil der Beute vom Postzugüberfall zurückgelassen werden mußte?« »In der Tat«, erwiderte Parker. »Ich hoffe, daß das bereits eine Frage war.« »Sie sind mit einem knappen Drittel der Beute geflüchtet, Mr. Parker.« »Drei Postsäcke und eine Holzkiste, die, wenn ich das Gewicht richtig einschätzte, mit Goldbarren gefüllt sein mußte.« Parker deutete eine höfliche Verbeugung an. »Wo ist diese Restbeute?« »In Sicherheit, wenn ich es so umschreiben darf.« »Sie wollen die Beute für sich behalten?« »Nach Angaben der Polizei soll es sich um wenigstens zweihunderttausend Pfund handeln.« »Die Ihnen nicht gehören!« »Ihnen allerdings auch nicht, wenn ich die Rechtslage richtig überblicke.« »Sie waren der Aasgeier, der dem Löwen die Beute weggeschleppt hat.« Der Untersetzte ärgerte sich sichtlich. »Ihre Vergleiche zeichnen sich durch Ungewöhnlichkeit aus, wenn ich das bemerken darf.« »Ich habe Ihnen ein faires Angebot zu unterbreiten«, redete der Untersetzte weiter. »Wir zahlen Ihnen für Ihre Auskunft zweitausend Pfund und werden uns nicht weiter um Sie kümmern.« »Welche Auskunft meinen Sie?« Parker tat so, als habe er nicht begriffen. »Wir wollen wissen, wo wir die Restbeute abholen können! Mann, stellen Sie sich nicht dümmer an, als sie's wahrscheinlich sind! Haben Sie immer noch
nicht begriffen, daß Sie mit Ihrem Leben spielen?« »Falls Sie mich töten, werden Sie das Versteck nie erfahren.« »Wer spricht von Mord?« Der Untersetzte lachte leise. »Wir würden die Wahrheit so oder so aus Ihnen herausholen, glauben Sie mir, Mr. Parker! Es dauert nur etwas länger und wird Ihnen wahrscheinlich schrecklich unangenehm sein.« »Sie wollen einen alten, müden und relativ verbrauchten Mann foltern?« »Sie sagen es!« »Das wäre unmenschlich.« »Möglich, aber es bringt uns weiter. Entscheiden Sie sich also! Wir geben Ihnen zehn Minuten Bedenkzeit.« »Wer garantiert meiner bescheidenen Wenigkeit, daß ich die zweitausend Pfund erhalten werde?« »Sie müssen sich da schon auf mein Wort verlassen.« Der Untersetzte deutete mit der Spitze seiner Reitpeitsche auf eine Brettertür rechts vom Küchentisch. Parker verstand, erhob sich und wurde von den beiden Gangstern zur Tür geführt. Hinter ihr befand sich ein kleiner, fensterloser Raum ohne jedes Mobiliar. Als der Butler allein war, ging er mit sich zu Rate. Nach seinem Gefühl war der Untersetzte auch nur ein Handlanger. Identisch mit dem Kopf dieser militärisch geführten Gangsterbande war er ganz sicher nicht. Der Untersetzte führte nur Befehle aus und schien so etwas wie ein Assistent des Gangsterbosses zu sein. Daß diese Gangster versuchen würden, mit allen Mitteln das Versteck der Restbeute aus ihm herauszuholen, war klar. Sie würden selbst vor der Folter
nicht zurückschrecken. In dieser Hinsicht machte der Butler sich keine Illusionen. Es ging ihm darum, Zeit zu gewinnen. Nun hatte er einen ersten Kontakt mit den Eisenbahngangstern hergestellt und wollte ihn nicht sofort wieder verlieren. Vielleicht war es ganz gut, diese Männer ein wenig zu beschäftigen. Parker klopfte mit dem bleigefütterten Griff seines Universal-Regenschirms gegen die Brettertür. Er hörte Schritte und blinzelte wenig später in das grelle Licht einer Taschenlampe. »Das mir gemachte Angebot scheint nach Lage der Dinge akzeptabel zu sein«, sagte er. »Bringen Sie mich zurück zu Ihrem Einheitsführer! Ich bin bereit, eine Aussage zu machen.« * Sie waren an seiner Aussage im Moment nicht interessiert. Der Mann, der die Brettertür geöffnet hatte, schlug sie wieder zu, nachdem er gesagt hatte, man würde sich später mit ihm befassen. Parker nahm das zur Kenntnis und hatte den Eindruck, daß die Gangster ein Problem hatten. Er blieb dicht vor der Brettertür stehen und fand ohne langes Suchen einen geeigneten Spalt, um in den Kommandokeller sehen zu können. Vor dem Küchentisch standen zwei Männer, die er bisher noch nicht gesehen hatte. Selbst im schwachen und trüben Licht war zu erkennen, daß sie so etwas wie einen leichten Unfall hinter sich hatten. Ihre Gesichter waren zerkratzt. »Das darf doch wohl nicht wahr sein«, sagte der Untersetzte gerade wütend.
»Ihr laßt euch von zwei Frauen hereinlegen und in die Flucht schlagen? Wenn der Commander das hört, gibt es einen Riesenkrach. Wie konnte denn sowas passieren?« »Wir . . . Wir verstehen es immer noch nicht«, entschuldigte sich einer der beiden Männer, die ebenfalls Tarnanzüge der Armee trugen. »Wir hatten die beiden Frauen in der Scheune, Captain. Wir brauchten sie nur noch rauszuholen, wirklich, aber dann kam alles anders.« »Wieso sind eure Gesichter zerkratzt?« Der untersetzte Mann, der mit Captain angeredet wurde, ließ sich auf seinem Stuhl nieder. »Diese Alte muß uns das besorgt haben, Captain«, schaltete sich der zweite Gangster ein. »Plötzlich hatte ich so ein komisches Ding im Gesicht. Ich glaube, das muß ein Igel gewesen sein.« »Ein Igel?« Der Captain beugte sich vor und schüttelte ungläubig den Kopf. »Ein Igel«, wiederholte der andere Gangster und nickte. »Das stachelige Ding lebte, Captain. Es hatte 'ne Schnauze, quiekte und fauchte und hatte scharfe Krallen.« »Ein Igel!« Der Untersetzte stand wieder auf und kam um den Küchentisch herum. Er baute sich vor seinen beiden Männern auf und schaute sich die Kratzspuren genauer an. Dabei schüttelte er immer wieder den Kopf. »Und vorher hat sie uns auch noch den Wagen demoliert«, beschwerte sich der Gangster weiter, der zuerst von einem Igel gesprochen hatte. »Sehen Sie sich das Ding mal an, Captain!« Zuerst konnte Josuah Parker den Gegenstand der Beschwerde nicht genau erkennen, dann aber sah er klarer. Der Captain griff nach einem Morgenstern,
der auf dem Tisch lag und hielt ihn unter das Licht. »Es ist nicht zu glauben!« Der Captain ließ die stachelbewehrte Eisenkugel an der verrosteten Kette kreisen. »Und was hat sie damit angerichtet?« »Die Windschutzscheibe ist hin, Captain, und das Lenkrad ist auch noch verbogen worden.« Der zweite Gangster schüttelte sich. »Um ein Haar wäre ich davon voll erwischt worden.«' »Das Gerät stammt aus Waldon Castle«, stellte der Captain fest. »Das sind keine Frauen, das sind Furien« , beklagte sich der zweite Gangster. »Und wo ist der dritte Mann, Leute?« »Den hat es erwischt, Captain.« Der erste Gangster senkte den Kopf. »Der wollte sich die Kleine holen«, schaltete sich der zweite Gangster ein. »Dabei muß er sich verkalkuliert haben. Wir haben nur seinen Aufschrei gehört.« »Und ihr seid einfach so abgehauen?« Die Stimme des Untersetzten wurde rasiermesserscharf. »Wir wären doch sonst auch noch hochgenommen worden, Captain.« »Drei ausgewachsene Spezialisten lassen sich von zwei Frauen hereinlegen.« Der Captain mußte sich setzen. Seine Hände spielten mit dem Morgenstern. »Und wenn er jetzt redet?« »Der wird kein Wort sagen, Sir«, sagte der zweite Gangster hoffnungsvoll. »Ganz bestimmt nicht, Captain«, fügte der andere Gangster hinzu. » Können wir jetzt mal unsere Gesichter verpflastern? Die Stiche tun scheußlich weh.« »Die beiden Frauen werden ihn zur Polizei bringen«, sagte der Captain nachdenklich. »Fahrt sofort nach
Saffron Waiden und paukt ihn 'raus! Ist das klar? Und dann will ich die beiden Megären hier sehen! Eine zweite Panne wird nicht geduldet! Zum Teufel, wir haben es doch nur mit zwei Frauen und einem Butler zu tun! Gegen diese Amateure werden wir doch wohl noch ankommen, oder?« Parker sah, daß nicht nur die beiden igelgeschädigten Gangster den Keller verließen. Nein, auch die beiden Männer, die ihn eingefangen hatten, verließen den Keller. Nur der angebliche oder echte Captain blieb im Keller zurück. Parker kam zu dem Schluß, daß die Minuten seines Aufenthalts hier im Kommandokeller gezählt waren. Er durfte seine beiden Damen nicht allein lassen. * Sekunden später hörte Josuah Parker schallgedämpfte Schüsse, die offensichtlich aus einer Maschinenpistole stammten. Diese Schüsse konnten seiner Ansicht nach nur bedeuten, daß Agatha Simpson und Kathy Porter gar nicht mehr geholt zu werden brauchten. Sie waren freiwillig gekommen und trainierten sich im Nahkampf. Parker spähte noch mal durch den Spalt in der Brettertür. Der angebliche Captain lief gerade zur Kellertreppe, rannte dann zurück und griff nach seiner Maschinenpistole, die in der Nähe des Küchentisches gegen die Wand lehnte. Dann hetzte er zurück und verschwand aus Parkers Sichtbereich. Butler Parker nahm einen Anlauf und warf sich gegen die Brettertür. Sie gab
sofort nach, splitterte und öffnete sich nach einem zweiten Anlauf. Der Butler, stets auf korrektes Aussehen bedacht, klopfte sich erst mal den Staub von seinem schwarzen Zweireiher, bevor er den Keller verließ. Er stand bereits auf den ersten Stufen, als er sich noch mal umwandte und zurück zum Küchentisch ging. Auf der Kante der Tischplatte lag eine Art Kartentasche, die prall gefüllt war. Daneben stand ein tragbares Sprechfunkgerät, das nicht größer war als eine kleine Zigarrenkiste. Parker schaltete das Gerät ein und hätte liebend gern Kontakt mit der Gegenstelle aufgenommen, doch in diesem Moment war oben im Haus das harte Rattern einer schallgedämpften Maschinenpistole zu vernehmen. Parker nahm die Kartentasche und legte sie um seine Schulter. Ergriff nach seinem Universal-Regenschirm und stieg dann über die steile Treppe nach oben, um sich an den Kampfhandlungen zu beteiligen. Der Captain stand knapp neben einem der Ruinenfenster und schickte gerade einen Feuerstoß hinaus in die Dunkelheit. Parker nahm die Spitze seines Regenschirms hoch, um dem Mann einen »Giftpfeil« ins Gesäß zu jagen. Parkers Regenschirm besaß nämlich so etwas wie einen doppelten Boden. Er schützte nicht nur vor den Unbilden der Witterung, er war gleichzeitig auch ein modernes Blasrohr, dessen Pfeile durch Kohlensäuregaspatronen verschickt wurden. Bevor Parker allerdings den Giftpfeil auf die Reise schicken konnte, flankte der Captain über die Fensterbrüstung nach draußen und verschwand in der
Dunkelheit. Parker konnte das nur bedauern, denn gerade an diesem angeblichen Captain war er sehr interessiert. Das Feuer aus den Maschinenpistolen verlagerte sich seiner Schätzung nach zur Dorfkirche hinüber. Parker verließ die Ruine des Bauernhofes und begab sich gemessen und würdevoll dorthin. Natürlich nutzte er jede Deckung, denn einige Querschläger mahnten ihn zur Vorsicht. Er blieb stehen, als er hastige Zurufe hörte, Flüche und Kommandos. All das kam aus einem anderthalbstöckigen Fachwerkhaus, in dessen Erdgeschoß die Andeutungen eines Ladenlokals zu erkennen waren. Parker stieg durch einen schmalen Mauerriß in dieses Ladenlokal ein und brauchte nicht lange nach den Verursachern der Flüche und Kommandos zu suchen. Es handelte sich um die beiden igelgeschädigten Gangster, die hier Position bezogen hatten. Sie standen links und rechts eines zertrümmerten Schaufensters und visierten mit ihren Maschinenpistolen den halb eingestürzten Turm der Dorfkirche an. Im Mondlicht, das ein wenig besser geworden war, sah die Dorfkirche wie ein Scherenschnitt aus. »Sie sind da oben im Turm«, sagte der Mann, der links am Schaufenster stand. »Na und?« gab der andere igelgeschädigte Gangster zurück. »Ich renn' doch nicht über den Vorplatz! Bin ich wahnsinnig?« Parker überhastete nichts. Erneut hob er die Spitze seines Universal-Regenschirms, löste die Schußsperre und schickte seinen ersten Giftpfeil auf die Reise. Er landete haargenau im Ziel. Mit anderen Worten, er bohrte sich zentimeter-
tief in die linke Gesäßhälfte des rechts stehenden Mannes. Der Gangster kiekste auf, fuhr zusammen und griff automatisch nach der mit Sicherheit schmerzenden Einschußstelle. Als seine Finger den Pfeil ertasteten, warf er seine Maschinenpistole weg und geriet in leichte Panik. »Ich . . . Ich hab 'nen Pfeil im Hintern«, rief er seinem Partner zu. . »Red' doch keinen Blödsinn«, gab sein Partner zurück. Dann aber langte auch er nach seinem Gesäß und fand ebenfalls einen stricknadellangen und bunt gefiederten Pfeil in seiner rechten Gesäßhälfte. Daraufhin interessierte auch er sich nicht weiter für seine Maschinenpistole. Er warf sie einfach weg und tanzte ausgelassen auf einem Bein. Der zuerst getroffene Gangster versuchte sich ebenfalls als Solotänzer und hüpfte herum. Seine Bewegungen waren allerdings nicht so geschmeidig wie die seines Vortänzers. Das Gift, mit dem die Pfeilspitzen bestrichen waren, wirkte sehr schnell. Es handelte sich um ein im Grunde ungefährliches Betäubungsmittel, das für einen schnellen Schlaf sorgte. Wie genau die Dosis war, zeigte sich schon nach wenigen Sekunden. Die Bewegungen der beiden Tänzer wurden matter und unkoordinierter. Schließlich rutschten sie in sich zusammen und legten sich auf den Schutt. Sie nahmen ab sofort nicht mehr an diesem nächtlichen Unternehmen teil. Parker stellte die beiden Maschinenpistolen sicher und warf sie in eine dunkle Ecke. Er sicherte die Pfeile, um sie später nach Neubehandlung wieder zu verwenden. Dann lauschte er dem weiteren Gefechtslärm.
Nach seiner privaten Berechnung waren noch der Captain und die beiden Gangster unterwegs, die ihn in den Kommandokeller gebracht hatten. * Lady Agatha Simpson fühlte sich wieder mal in ihrem Element. Die resolute Dame hielt einen Ziegelstein in der rechten Hand und wartete darauf, ihn durch die Luft schleudern zu können. Sie hatte sich unten in der halb zerstörten Dorfkirche eingenistet und hörte über sich die schnellen Schritte ihrer Gesellschafterin. Kathy Porter lockte durch Feuerstöße aus der Maschinenpistole die Gangster in die Kirche. Sie erweckte so den Anschein, als hätten beide Frauen im Turm Posten bezogen. Lady Agatha stand neben einer gemauerten Säule im vorderen Drittel der kleinen Kirche. Von hier aus konnte sie sowohl den Eingang als auch die beiden großen Risse im Längsschiff beobachten. Neben sich hatte sie ein paar weitere Gesteinsbrocken deponiert. Sie wollte die eindringenden Gangster schließlich nicht töten, sondern nur außer Gefecht setzen. Für den Fall des Falles jedoch hing eine der erbeuteten Maschinenpistolen an ihrem Hals. Plötzlich erschien im Eingang eine Gestalt. Sie duckte sich, arbeitete sich über den Schuttberg hinweg und pirschte dann an den Zugang zum Glockenturm. Lady Simpson lächelte erfreut und hob den Arm. Sie spielte in ihrer Freizeit liebend gern Golf, schoß mit dem Sportbogen auf Herrendistanz und verfügte daher über eine gut ausgebildete Muskulatur. Sie wog also den Ziegelstein in der
Hand und schleuderte ihn dann auf den flüchtigen Schatten. Agatha Simpson traf präzise. Der Ziegelstein landete genau zwischen den Schulterblättern des Mannes. Der Gangster absolvierte einen halben Salto vorwärts und schrammte dann einen halben Meter über den Schutt, wobei sein Gesicht sich als Bremse auswirkte. Danach blieb der Angreifer regungslos liegen. Die Lady nickte grimmig. Sie suchte sich den nächsten Ziegelstein und wandte sich ein wenig um. Nach ihrer Berechnung mußte der nächste Angreifer durch einen Mauerriß kommen. Sie war bereit und freute sich auf den zweiten Meisterwurf. Als sie hinter sich ein Geräusch hörte, fuhr sie herum. Agatha Simpson sah sich dem erwarteten Gangster gegenüber. Er hatte sich geschickt an sie herangearbeitet und wohl ein Schlupfloch benutzt, daß sie in der Dunkelheit übersehen hatte. Der Mann war feuerbereit. Schalldämpfer und Mündung seiner Maschinenpistole waren auf ihren stattlichen Körper gerichtet. »Du lieber Himmel, haben Sie mich erschreckt«, sagte die ältere Dame. »Hände hoch«, forderte der Gangster. »Mein . . . Mein Herz!« Lady Simpsons Stimme klang erstickt. Sie schüttelte sich und wollte gehorsam die Arme hochheben, schaffte es jedoch nicht. Sie griff an ihren Busen, sank dekorativ zusammen und hechelte wie nach einem schnellen Lauf. Dann fiel sie tatsächlich nach hinten und wurde ohnmächtig. Diese Ohnmachtsanfälle waren eine ausgesprochene Spezialität der Detektivin. Auf jeder Bühne gezeigt, wären die
Zuschauer in Stürme ehrlicher Begeisterung ausgebrochen. Selbst ausgekochte Mediziner wären auf diese Glanzleistung hereingefallen. Echter konnte kein Herzanfall mit anschließender Bewußtlosigkeit sein .. . Der Gangster war sofort beeindruckt. Der Mann schämte sich fast, die Frau derart erschreckt zu haben. Er stellte seine Maschinenpistole weg und kniete neben der Lady nieder. Er wollte sie aufrichten und etwas für ihren Kreislauf tun. »Sie Lümmel!« Machtvoll war Myladys Baß. Der Gangster hatte sich vom Herzschlag der Dame überzeugen wollen und war an ihren Busen gekommen. Lady Simpson verabreichte ihm eine derbe Ohrfeige und sah ihn dabei strafend an. Der Gangster konnte diesen eindringlichen Blick nicht beantworten, zumal ihm keine Zeit dazu blieb. Die Ohrfeige katapultierte ihn etwa anderthalb Meter durch die Luft bis hinüber zur Wand. Er klatschte gegen sie und rutschte dann an ihr hinunter. Danach blieb er völlig benommen sitzen und stierte seine Gegnerin aus verglasten Augen an. »So etwas Unsittliches«, murmelte Agatha Simpson erbost. »Ich bin doch schließlich keine Sexbombe!« Sie richtete sich auf, horchte in den Turm hinauf und hörte die schnellen Schritte ihrer Gesellschafterin, die über die Stufen nach unten eilte. »Lady Simpson?« fragte Kathy in das Schiff der Dorfkirche. »Was ist denn, meine Liebe?« »Ich habe gerade unseren Jeep gesehen, Mylady. Er fuhr aus dem Dorf.« »Und das haben Sie nicht verhindert, Kindchen?«
»Vom Turm aus, Mylady?« »Keine Haarspaltereien, Kindchen!« Agatha Simpson deutete nacheinander auf ihre Beute. »Zwei dieser Lümmel habe ich außer Gefecht gesetzt. Aber wie kommen wir jetzt zurück nach Waldon-Castle?« »Darf ich mir die Freiheit nehmen, Mylady einen Ersatzwagen anzubieten?« ließ sich genau in diesem Moment Parkers höfliche Stimme vernehmen. »Es handelt sich zwar nur um einen relativ kleinen Morris, aber einer alten Spruchweisheit zufolge ist schlecht gefahren immer noch besser als gut gelaufen!« * »Ich war einem Herzanfall sehr nahe junger Mann«, grollte Lady Simpson und sah Chief-Inspektor Garron strafend an. »Wofür werden Sie eigentlich bezahlt? Sollen Sie nicht harmlose Bürger vor Gangstern schützen?« »Wer sind diese vier Männer?« erkundigte sich Garron. Er überhörte die Beschwerde der Dame und musterte die vier Gangster, die ihm frei Dienststelle geliefert worden waren. Es handelte sich um die beiden igelgeschädigten Ganoven und um jene beiden Männer, die den Butler am Waldsee überrascht und dann entführt hatten. »Sie verweigern jede Aussage, Mr. Garron«, schaltete sich Josuah Parker ein. Er stand höflich schräg hinter seiner Herrin und trat nun vor. »Zudem wollten Mylady, Miß Porter und meine bescheidene Wenigkeit Ihnen nicht vorgreifen.« »Darf ich endlich mal wissen, was eigentlich vorgefallen ist?« Chief-
Inspektor Garron schnappte nach Luft und beobachtete besorgt die beiden Gangster, deren Gesichter zerkratzt und zerstochen waren. Sie machten auf ihn einen sehr müden Eindruck und wurden von ihren beiden Freunden nur mühsam auf den Beinen gehalten. Dennoch rutschten sie in sich zusammen und legten sich vor Garrons Schreibtisch auf den Boden. Sie litten augenscheinlich noch unter dem »Pfeilgift«. Nach dem Intermezzo im Ruinendorf der Armee war das Trio Lady Simpson, Kathy Porter und Butler Parker zurück zum See und dann nach Saffron Waiden gefahren, wo sich die Diensträume der Polizei befanden. Lady Simpson tat dem ChiefInspektor den Gefallen, zur Sache zu kommen. Mit bewegenden und ans Herz greifenden Worten schilderte sie ihr nächtliches Erlebnis. Sie berichtete von den Vorfällen in der Scheune und dann von ihrem Besuch im Trainingscenter der Armee. Anschließend war Parker an der Reihe. »Mich gelüstete, der Natur mein Ohr zu leihen«, schickte er voraus. »Mr. James Halbom wird Ihnen das mit Sicherheit bestätigen können. Er war, wie er mir mitteilte, auf nächtlicher Pirsch. Nach einem kurzen Austausch der Gedanken kam es zu meiner Entführung, unter deren Eindruck ich nach wie vor stehe, falls mich nicht alles täuscht.« »Zu welcher Entführung?« Garron zwang sich zur Ruhe. »Sie gestatten, daß ich ein wenig aushole«, sagte Parker. Dann lieferte auch er seine Geschichte ab, verschwieg aber den Besitz der prallgefüllten Kartenta-
sche. Mit Kleinigkeiten wollte er Garron auf keinen Fall belasten. »Hat Mr. Halbom sich noch nicht bei Ihnen gemeldet?« wunderte der Butler sich abschließend. »Nein, noch nicht. Warten Sie, ich muß das erst mal erledigen. Hoffentlich ist ihm nichts passiert.« Garron telefonierte mit einer Außenstelle und veranlaßte, daß man sich in Waiden Castle nach dem Verwalter des Schlosses erkundigte. Dann schaute er Parker mißtrauisch an. »Sie wollten nur mal so 'raus an den Waldsee?« fragte er. »Wie ich Ihnen bereits sagte.« Parker nickte. »Ich bin ein Liebhaber der Natur.« »Das hat er mir abgeguckt«, mischte sich Lady Simpson ein. »Auch ich liebe Fauna und Flora, oder wie es so heißt. Darum waren Miß Porter und ich ebenfalls unterwegs.« »Und haben anschließend vier Männer außer Gefecht gesetzt?« Garron wollte es natürlich nicht glauben und musterte die vier Helden in Armee-Tarnkleidung, die einen ziemlich niedergeschlagenen Eindruck machten. »Sechs Männer«, korrigierte die Detektivin grimmig. »Zwei konnten leider entwischen.« »Und zwar ein Mann, der mit -Captain« angeredet wurde...«, sagte Parker. ». . . und ein Bursche, den Miß Porter an der Scheune erwischte«, sagte Lady Simpson, ihren Butler unterbrechend. »Wahrscheinlich sind das die beiden Lümmel, auf die es ankommt. Diese vier Subjekte dürften nur Handlanger sein.« »Und Sie glauben, es handelt sich um die Postzuggangster, Mylady?«
»Naturfreunde werden es sein!« Die resolute Dame sah Garron spöttisch an. »Und warum sind diese Gangster hinter Ihnen her?« »Möglicherweise trainieren die Herren für einen nächsten Coup«, schaltete Parker sich gespielt harmlos ein. »Doch das ist nur reine Vermutung.« Das Telefon unterbrach die Unterhaltung. Garron langte nach dem Hörer und nahm eine Meldung entgegen. »James Halbom ist noch nicht zurück nach Waiden Castle gekehrt«, sagte er. »Vielleicht irrt besagter Mr. Halbom durch die Nacht«, mutmaßte Josuah Parker. »Vielleicht steckt er mit den Gangstern aber auch unter einer Decke.« Agatha Simpson wurde deutlich. »Haben Sie nicht mitbekommen, ChiefInspektor, daß dieser Captain einem Commander verantwortlich ist? Könnte Halbom nicht dieser Commander sein?« »Ich schließe überhaupt nichts mehr aus«, sagte Garron und wischte sich über die schweißnasse Stirn. Das Trio, das ihm die vier Gangster geliefert hatte, nervte ihn sehr. »Ich denke, wir sollten für heute erst mal Schluß machen. Ich muß diese vier Männer verhören.« »Gegen die ich offiziell klagen werde«, sagte Lady Simpson. »Aber machen wir wirklich Schluß! Mein Kreislauf ist völlig zusammengebrochen! Ich brauche dringend mein Anregungsmittel!« * »Es waren, wenn ich mich so ausdrücken darf, Mylady, die lautersten Gefühle, die meine bescheidene Wenigkeit veranlaßten, gewisse Tatbestände zu
verschweigen«, schickte der Butler voraus, als er mit seinen beiden Damen im hochbeinigen Monstrum saß, um zurück nach Waiden Castle zu fahren. »Sie wollten mir diesen Fall unterschlagen, Mr. Parker«, grollte die Sechzigjährige. »Darf ich Mylady versichern, daß ich das ungemein bedaure?« »Ich möchte jetzt wissen, was nach dem Überfall passiert ist«, antwortete Lady Agatha. »Sie wurden also Augenzeuge des Überfalls am Bahndamm, setzten sich in einen Armeelieferwagen und brausten los. Was befand sich auf der Ladefläche?« »Mylady werden es gewiß inzwischen erraten haben.« »Ich möchte es aber von Ihnen hören, Mr. Parker.« »Drei Postsäcke, Mylady, dazu noch eine mittelgroße Holzkiste, die mit Goldbarren gefüllt ist.« »Sehr schön.« Agatha Simpson nickte zufrieden. »Das deckt sich mit der Aussage des Flegels, den ich in der Scheune verhört habe. Sie scheinen die Wahrheit zu sagen.« »Die Wahrheit, Mylady, und nichts als die reine Wahrheit.« »Und wo haben Sie diese Teilbeute versteckt?« »Mylady wollen das Versteck tatsächlich erfahren?« »Nun zieren Sie sich nicht unnötig!« »Als Mitwisserinnen könnten Mylady und Miß Porter in allergrößte Gefahr geraten.« »Darunter werden wir nicht gerade zusammenbrechen, nicht wahr, meine Liebe?« Die Lady zwinkerte ihrer Gesellschafterin zu. »Also, Mr. Parker. Wo haben Sie die Teilbeute versteckt? Nein, warten Sie! Lassen Sie mich raten.«
»Wie Mylady wünschen.« »Im Waldsee, nicht wahr? Umsonst sind Sie ja nicht dorthin gefahren, oder?« »Myladys Logik und Kombinationsgabe sind bestürzend«, gab der Butler zurück. »Werden die Banknoten in den Postsäcken nicht naß?« »Sie konnten gegen eindringende Nässe geschützt werden, Mylady. Auf der Fahrt zum Waldsee hatte ich das Glück, eine Brückenbaustelle passieren zu dürfen. Von dorther entnahm ich einige Plastiksäcke, die dann gut zugeschnürt wurden. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit müßten die Banknoten trocken bleiben.« »Dann lassen wir das hübsche Sümmchen erst mal im See«, entschied die ältere Dame. »Einen besseren Köder kann man sich ja gar nicht wünschen.« »Mylady sind ebenfalls dieser Ansicht?« »Selbstverständlich, Mr. Parker. Diese Postzugräuber müssen, ob sie wollen oder nicht, wieder Kontakt mit uns aufnehmen. Sie werden freiwillig niemals auf diese Restbeute verzichten.« »Dieser Ansicht möchte ich mich bescheiden anschließen, Mylady. Es besteht begründete Hoffnung, daß dieser angebliche Captain und jener Mann, der von Miß Porter gebissen wurde, sich erneut vorstellen werden.« »Und über diese beiden Flegel werden wir an den Commander herankommen.« Agatha Simpson nickte zufrieden. »Ich bin gespannt, wer diesen Überfall ausgetüftelt hat.« »Es muß ein Täter mit gewissem Weitblick gewesen sein.«
»Er wußte einmal von dem Geld im Zug, dann vom Manöver der Armee«, faßte die Detektivin zusammen. »Er hat das alles gut aufeinander abgestimmt.« »Nach meinen Informationen, Mylady, verkehrt der Postzug einmal pro Woche mit einer erklecklichen Summe über besagte Strecke«, sagte Josuah Parker. »Diese Fahrt brauchte in der Tat nur mit einem Manöver der Armee in Einklang gebracht zu werden. Daraus läßt sich möglicherweise schließen, daß der Kopf der Gangsterbande aus dieser Region stammen könnte.« »Davon rede ich doch die ganze Zeit«, antwortete Parkers Herrin leicht gereizt. »Wiederholen Sie sich nicht immer, das irritiert mich!« »Wie Mylady befehlen.« Parker lüftete für einen Moment seine schwarze Melone. »Haben Mylady möglicherweise bereits einen bestimmten Verdacht, falls mir diese Frage gestattet ist?« »James Halbom! Oder sind Sie etwa anderer Meinung?« »Der Verwalter von Waiden Castle ist in der Tat ein militärisch straffer Mann, wenn ich es so umschreiben darf.« »Aber Sie halten ihn nicht für den Commander! Das höre ich doch ganz deutlich heraus, Mr. Parker. Sie müssen mir einfach widersprechen, das kenne ich bereits.« »Man weiß leider noch zuwenig von diesem Herrn, Mylady.« »Dann liefern Sie mir gefälligst eine andere Theorie, Mr. Parker. Und setzen Sie sich diesem Halbom auf die Spur. Ich möchte ja nicht gerade Wochen hier auf Waiden Castle verbringen. So schön ist das Schloß nun auch wieder nicht.«
»Das Trainingscenter der Armee, Mylady, und auch das Manöverfeld werden von einer Art Stammpersonal betreut.« »Und das erfahre ich erst jetzt?« »Chief-Inspektor Garron war so entgegenkommend, mir diese Stichworte beiläufig zu liefern. Falls mich nicht alles täuscht, scheint auch er in dieser Richtung zu ermitteln.« »Das klingt eigentlich gar nicht schlecht.« Agatha Simpson nickte nachdenklich. »Warum haben diese Subjekte sich mit militärischen Rängen angeredet? Captain, Commander... Ich glaube, ich sollte mich dieser Stammannschaft einmal widmen, was denken Sie?« »Eine ausgezeichnete Idee, Mylady.« »Sie sind mir etwas zu schnell einverstanden, Mr. Parker.« Die Lady blieb mißtrauisch. »Myladys Logik möchte ich als zwingend bezeichnen. Gleich morgen sollte man sich mit der Stammannschaft befassen. In diesem Zusammenhang sollte man keineswegs vergessen, daß die Postzuggangster sich einiger gestohlener Armeewagen bedienten. Dies dürfte ein weiteres Indiz darstellen.« »Eben.« Die ältere Dame hatte sich endlich beruhigt. »Und was werden Sie morgen tun?« »Wenn Mylady einverstanden sind, möchte ich mich mit Mr. Halbom beschäftigen. Vielleicht steckt er mit den Leuten aus dem Trainingscenter unter einer Decke.« Das hochbeinige Monstrum hatte inzwischen Waiden Castle erreicht. Josuah Parker geleitete die beiden Damen ins Haus und ging dann zurück zum Er dachte ein wenig vergnügt an die elektronische Wanze, die sich in seinem
Wagen befand. Er konnte nur hoffen, daß der Besitzer und Installateur dieser Wanze alles ganz genau mitbekommen hatte. Es ging doch nichts über eine falsche Spur. * Der Morgen graute andeutungsweise, als Josuah Parker schon wieder auf den Beinen war. Er verzichtete auf jedes Licht, als er sich ankleidete. Nach etwa einer Viertelstunde näherte er sich auf äußerst leisen Sohlen seinem Wagen und öffnete den hinteren rechten Wagenschlag. Parker fingerte an der Fußstütze herum und brauchte nicht lange nach der Wanze zu suchen. Der kleine elektronische Sender befand sich unter der Mattenkante und war, wie sich zeigte, von modernster Bauart. Die Gegenseite hatte wirklich nicht gespart. Butler Parker ließ sie in einem Kästchen verschwinden, das er aus seinem Zimmer mitgebracht hatte. Er hatte dieses Kästchen mit Watte ausgeschlagen. Nachdem er die Wanze darin gebettet und den Deckel geschlossen hatte, war sie im wahrsten Sinn des Wortes sprachlos geworden. Obwohl das elektronische Gerät noch auf Sendung stand, vermochte es keine Geräusche mehr zu liefern. Parker schloß die Wagentür und verschwand unter dem Dach der nahen Remise. Er wartete darauf, daß eine Art Elektrotechniker erschien, um sich des Gerätes anzunehmen. Während der ganzen Rückfahrt nach Waiden Castle hatte er von dieser Wanze gewußt.
Anfänglich hatte Parker an einen Sprengkörper gedacht, den man heimlich in den Wagen praktizieren wollte, war dann aber schnell anderer Meinung geworden. Ihm war eingefallen, daß die Gegenseite Informationen, jedoch keine Toten brauchte. Das Aufspüren der Wanze war später dann eine Kleinigkeit gewesen. Nachdem Lady Simpson und Kathy Porter auf dem Rücksitz Platz genommen hatten, war Parker angeblich ein Kugelschreiber aus einer der vielen Westentaschen gerutscht. Als ordentlicher Mensch hatte er nach dem Schreibgerät gesucht und dabei schnell die Wanze gefunden. Er hörte Schritte. An der hinteren Hausecke tauchte eine Gestalt auf, die sich völlig normal bewegte und nichts Geheimnisvolles an sich hatte. Es handelte sich, wie Parker sofort erkannte, um jenen jungen Mann, den er vor Chief-Inspektor Garrons Dienststelle schon mal gesehen hatte. Wer dieser junge Mann war, wußte Parker nicht, doch das ließ sich schnell ändern. Der junge Mann schlenderte an den Wagen des Butlers heran, schaute sich verstohlen nach allen Seiten um und öffnete die hintere rechte Wagentür: Er bückte sich und suchte ganz eindeutig nach der Wanze. »Kann ich Ihnen ein wenig Hilfe anbieten?« erkundigte sich Josuah Parker gemessen, bevor er mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines UniversalRegenschirms zulangte. Er besorgte das kurz und schmerzvoll. Der junge Mann verzichtete auf jede Antwort und kniete vor dem Wagen. Er merkte gar nicht, wie Parker ihn hochhob und dann in den Wagen schob.
Wenig später war Parker bereits unterwegs. Er saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und fuhr in den grauenden Morgen hinein. Die schußsichere Trennscheibe zwischen Fahrersitz und Fond war fest geschlossen. Parker brauchte keine Überraschungen zu befürchten. Er fuhr ein wenig schneller als sonst, denn er wollte sich gewisse Dinge auf keinen Fall entgehen lassen. Er schaute eigentlich recht gern zu, wenn andere Leute hart arbeiteten, und kam auf seine Kosten. Parker ließ den Wagen mit dem Passagier weit oben auf dem Feldweg stehen, beschrieb einen Bogen und näherte sich auf Umwegen dem idyllischen Waldsee. Er rechnete dort fest mit gewissen Aktivitäten. Nun, erfreulicher hätten sie gar nicht sein können. Auf dem morastigen und verschlammten Waldsee wurde ein Kahn bewegt, in dem sich drei Männer befanden. Einer von ihnen stakte den Kahn mit einer langen Stange durch das zähe Gewässer. Die beiden anderen Männer zogen so etwas wie einen Schleppanker durch den See und suchten ganz offensichtlich nach drei Postsäcken und einer Holzkiste. Parker wollte auf keinen Fall stören. Er wandte sich ab und suchte nach dem Fahrzeug, mit dem die Männer zum Waldsee hinausgekommen waren. Seiner Schätzung nach wurde es für eine weitere Suche bald zu hell. Die Männer würden also bald wieder wegfahren. Bei dieser Gelegenheit wollte er sich die Gesichter der Schlammfischer aus nächster Nähe ansehen.
* Schon nach wenigen Schritten hörte Butler Parker einen scharfen Ruf, der einem Kommando glich. Er blieb stehen, drehte sich um und schritt zu seinem Beobachtungsposten zurück. Ein wenig enttäuscht nahm er zur Kenntnis, daß er sich auf der falschen Seeseite befand. Die drei Männer im Kahn verschwanden gerade mit ihrem Wasserfahrzeug im dichten Schilfgürtel, unerreichbar für den Butler. Den Schlammfischern war es inzwischen wohl zu hell geworden. Sie wollten nicht das Risiko eingehen, erkannt zu werden. Parker hätte nur zu gern gewußt, wer die drei Männer im Kahn zurück an Land beordert haben mochte. Wenn ihn nicht alles täuschte, war das aber die Stimme des Mannes gewesen, der im Kommandokeller, mit Captain angeredet worden war. Es dauerte nur einige Minuten, bis der Butler das Geräusch eines hochdrehenden Motors hörte. Damit waren erst mal alle Chancen verspielt, schnell und unkonventionell die Gangster stellen zu können. Er mußte auf eine nächste und bessere Gelegenheit warten. Parker suchte sein hochbeiniges Monstrum auf und schaute kurz auf den Rücksitz. Der junge Mann, inzwischen mit zwei Handschellen an Händen und Füßen gefesselt, sah ihn giftig an. Parker nahm vor dem Lenkrad Platz und entschloß sich zu einer kleinen Rundfahrt. An einen ihm geeignet erscheinenden Platz wollte er sich mit seinem Gast in aller Ruhe unterhalten. Er entschied sich für einen sanften Hügel, der mit Bäumen und hohem
Strauchwerk bestanden war. Parker öffnete die Trennscheibe und drehte sich zu seinem Zwangsgast um. »Man wird Ihnen nicht sonderlich gewogen sein«, schickte er gemessen voraus. »Sie haben auf der ganzen Linie versagt, wie Ihr Captain und Commander es wohl später ausdrücken wird.« »Wo . . . Wovon reden Sie eigentlich? Lassen Sie mich sofort frei! Mann, auf Sie wird noch was zukommen, das kann ich Ihnen sagen! Ich werde Sie verklagen wegen Entführung.« »Darf ich Ihren Namen erfahren?« »Ich heiße Rob Portner und arbeite auf Waiden Castle, damit auch Ihre nächste Frage schon beantwortet wird.« »Als Angestellter, wie ich vermute?« »In der Schloßverwaltung.« »Demnach dürfte Mr. James Halbom Ihr Vorgesetzter sein, oder sollte ich mich irren?« » Er ist es, verdammt! Und nun sperren Sie endlich die blöden Handschellen auf. Wie kommen Sie darauf, mir eins über den Schädel zu geben?« »Von einer elektronischen Wanze wissen Sie natürlich nichts, wie ich unterstellen möchte.« »Wo . . . Wovon reden Sie denn jetzt schon wieder? Was is'n das? Elektronische Wanze? Nie gehört!« »Dann können Sie sie ja auch nicht in meinen Wagen hineinpraktiziert haben.« »Wie käme ich denn dazu? Wann und wo soll ich das denn getan haben?« »Vor der Polizeistation von Saffron Waiden.« »Sie reden vielleicht einen Blödsinn zusammen. Warum sollte ich das getan haben?« »Damit eine vertrauliche Unterhaltung abgehört werden konnte, mit der Ihre
Auftraggeber fest rechneten. Es geht schließlich um drei Postsäcke mit Banknoten und um Gold.« »Beweisen Sie mir erst mal, daß ausgerechnet ich die Wanze in Ihren komischen Wagen gedrückt habe. Das schaffen Sie nie!« »Das sehen Sie vollkommen richtig, Mr. Portner«, räumte Josuah Parker ein. »Ich denke, Sie sollten gehen.« »Na also! Und nun weg mit den Handschellen!« »Stecken Sie Ihre Hände durch den Sprechspalt der Trennscheibe, Mr. Portner.« Parker öffnete die Stahlfessel und bat den jungen Mann, nun auch noch die Füße hochzuheben. Nachdem auch diese Handschellen gelöst waren, schloß Parker die Trennscheibe und fuhr los. »Hallo, was soll denn das?« Die Stimme von Rob Portner wurde leicht schrill. »Ich will 'raus! Wohin wollen Sie denn jetzt noch?« »Es ist mir eine selbstverständliche Pflicht, Mr. Portner, Sie zurück nach Waiden Castle zu bringen«, erwiderte Parker. »Nein, nein, davon lasse ich mich auf keinen Fall abbringen. Ich kann Ihnen den langen Fußmarsch unmöglich zumuten. Alle Welt soll sehen, daß ein Butler Parker sich zu seinen Irrtümern auch öffentlich bekennt. Alle Welt!« Rob Portner pfiff auf diese Höflichkeit. Er suchte nach Türklinken, fand aber keine. Er wollte die Wagenscheibe einschlagen, doch sie bestand aus Panzerglas. Er saß in einem rollenden Gefängnis und sah es endlich auch ein. Er lehnte sich zurück und befaßte sich kauenderweise mit seinen Fingernägeln. Er war sehr nachdenklich geworden.
Daß ihn alle Welt in Parkers Wagen sehen sollte, paßte ihm überhaupt nicht. »Hören Sie, wenn Sie schon glauben, daß ich 'ne Wanze in Ihren Schlitten gesteckt habe, dann bringen Sie mich gefälligst zur Polizei«, sagte er schließlich unnötig laut, denn seine Stimme wurde durch eine Bordsprechanlage ausgezeichnet nach vorn getragen. »Das möchte ich Ihnen auf keinen Fall antun, Mr. Portner.« »Aber ich will zur Polizei, verdammt!« Er schrie fast. »Dem steht nichts im Weg, Mr. Portner. Sie können sich von Waiden Castle aus mit den Behörden in Verbindung setzen. Dort habe ich Sie mit einiger Gewalt zu mir in den Wagen gebeten, und dort sollen Sie auch wieder aussteigen.« »Sie .. . Sie machen mich noch wahnsinnig! Ich will zur Polizei gebracht werden.« »Später, Mr. Portner, später.« »Begreifen Sie doch endlich! Die bringen mich um!« Jetzt war es heraus. Rob Portner war in Panik geraten und hatte nur noch nackte Angst. »Wer wird Sie umbringen?« erkundigte sich Parker sanft und hielt an. »Sollte man sich über dieses Thema nicht ein wenig unterhalten, Mr. Portner?« * »Sie benehmen sich recht eigenartig, Kindchen«, stellte Agatha Simpson erstaunt fest und warf einen kurzen Blick auf ihre Gesellschafterin. »Aber überhaupt nicht, Mylady«, gab Kathy Porter leicht gequält zurück. Sie tat ahnungslos.
»Warum klammern Sie sich dann an den Haltegriffen fest? Fahre ich Ihnen etwa zu schnell?« »Es... Es geht, Mylady.« Kathy schloß die Augen, da wieder eine Kurve auf den Kühler des Wagens zukam, die recht scharf aussah. »Papperlapapp, Herzchen, Sie müssen bei Gelegenheit mal etwas für Ihre Nerven tun«, fand die Lady. »Ich schleiche ja förmlich über die Landstraße.« Lady Agatha war wieder mal unterwegs. Der Morgen war gerade angebrochen, als sie Kathy Porter bereits losgeschickt hatte, einen Wagen zu besorgen. Agatha Simpson wollte so schnell wie möglich auf dem Manöverplatz der Armee erscheinen und sich die Mitglieder der Stammannschaft aus nächster Nähe ansehen. Sie befand sich in Höchstform und sehnte sich nach aufregenden Zwischenfällen aller Art. Die Erlebnisse im Ruinendorf des Trainingscenter klangen in ihr noch immer angenehm nach. »Sie können wieder hinschauen, meine Liebe«, forderte Lady Simpson ihre Begleiterin auf. »Wir haben die Kurve hinter uns. Ich werde übrigens nicht das Gefühl los, Kindchen, daß Sie mir einen besonders lahmen Wagen verschafft haben.« »Der Jeep war nicht fahrbereit, Mylady. Ich mußte den Farmwagen nehmen.« Natürlich hatte Kathy sich bewußt für diesen Wagen entschieden, um kein unnötiges Risiko einzugehen. Hinter dem zerbeulten Fahrerhaus befand sich gleich die Ladefläche, auf der normalerweise Milchkannen standen. Besonders
schnell war dieses Gefährt gerade nicht, aber leider immer noch schnell genug. »Was sagen Sie denn dazu, daß Mr. Parker schon wieder unterwegs ist?« wollte Lady Simpson wissen. »Vielleicht ist er durch etwas alarmiert worden, Mylady.« »Ich traue ihm nach wie vor nicht über den Weg, Herzchen. Hoffentlich hat er mich nicht angelogen.« »In welcher Hinsicht, Mylady?« »Was den Waldsee anbetrifft, Kindchen. Ob er die Postsäcke und die Holzkiste wirklich ins Wasser geworfen hat?« »Ein sichereres Versteck könnte ich mir gar nicht vorstellen, Mylady.« »Sie ahnungsloser – Engel!« Agatha Simpson schüttelte den Kopf. »Mit seiner Geheimniskrämerei treibt er mich noch in den Wahnsinn. Mr. Parker ist ein Dickkopf, wußten Sie das?« »Er ist Mylady treu ergeben.« »Warten wir es ab. Dort kommt die nächste Kurve. Sie können wieder die Augen schließen, Kindchen.« Was Kathy auch umgehend tat, denn ihre Chefin holte alles aus dem alten Wagen heraus, was immer er bringen konnte. Sie jagte verwegen um die Kurve und gab dabei knurrende Laute des Mißbehagens von sich. Der Wagen war wirklich sehr langsam. Sie konnte ihn noch nicht mal andeutungsweise durch diese Kurve driften. Kathy atmete erleichtert auf, als endlich die lange Gerade vor ihnen lag. Am Horizont zeichneten sich bereits die Umrisse des Ruinendorfes ab. Bis zum eigentlichen Camp der Kernmannschaft war es danach nicht mehr weit.
»Sie haben sich noch gar nicht zu meiner Theorie geäußert, Kindchen«, meinte Agatha Simpson. »Offen gesagt, Mylady, ich kann mir kaum vorstellen, daß Armeeangehörige sich verschwören und gemeinsam einen Postzug ausrauben.« »Sie kleines Unschuldslamm! Sind Armeeangehörige etwa bessere Menschen?« Agatha Simpson lachte dröhnend. »Natürlich gibt es unter ihnen auch ausgemachte Ganoven. Das wäre ja noch schöner. Warten Sie es ab! Ich werde diese Pestbeule aufstechen. Verschiedene Herrschaften sollen sich noch wundern...» Das Ruinendorf war erreicht. Agatha Simpson fuhr bewußt langsam und genoß das Chaos, das sie umgab. Voller Vergnügen dachte sie an die herrlich aufregenden Stunden der vergangenen Nacht. Sie waren so ganz nach ihrem Geschmack gewesen und hatten ihren Kreislauf in angenehme Wallung gebracht. Gegen eine Wiederholung hätte sie ganz sicher nichts einzuwenden gehabt. »Mylady!« Kathy Porters Stimme klang ein wenig gepreßt. Sie deutete auf die beiden Armeeangehörigen, die plötzlich auf der Straße erschienen und Maschinenpistolen in Händen trugen. »Sehr hübsch«, kommentierte die Detektivin diese Erscheinung und richtete sich majestätisch auf. »Soll ich diese beiden Lümmel rammen, oder hält man besser an?« »Mylady, die beiden Männer sehen echt aus«, sagte Kathy Porter hastig. »Sie scheinen wirklich zur Armee zu gehören.« »In ein paar Minuten werden wir es genau wissen, Kindchen.« Agatha
Simpson trat energisch auf das Bremspedal. »Sie brauchen übrigens keine Angst zu haben. Ich bin ja schließlich bei Ihnen!« * »Haben Sie die Sperren nicht gesehen?« blaffte sie einer der beiden Männer militärisch an. »Mitkommen!« »Wie reden Sie denn mit einer Dame?« Agatha Simpson blitzte den Sergeant an. »Schlagen Sie nur ja einen anderen Ton an, junger Mann, sonst können Sie was erleben!« »Keine Diskussion! Mitkommen! Ich werde Sie zum Captain bringen.« Der Sergeant beging einen fast tödlichen Fehler. Er griff nach Lady Simpsons Unterarm und wollte sie aus dem Wagen zerren. Er gab sich sehr autoritär und unhöflich. Sekunden später jedoch ging er bereits deutlich in die Knie und zeigte Leistungsschwächen. Er griff nach seiner linken Kinnlade und prüfte verstohlen, ob der Kiefer auch wirklich noch in Ordnung war. Dabei schielte er beeindruckt nach dem Pompadour, von dem er getroffen worden war. Er konnte ja nicht ahnen, was sich in diesem perlenbestickten Handbeutel befand. Der zweite Mann, ein einfacher Soldat, grinste verstohlen. Wahrscheinlich gönnte er seinem Vorgesetzten diesen Niederschlag. Er salutierte, als Agatha Simpson sich an ihn wandte. »Sie dürfen mich zu Ihrem Captain führen, junger Mann«, sagte Lady Agatha großzügig. »Aber wagen Sie es nur nicht, mich etwa anzufassen!« »Ich werde mich hüten, Lady«, erwiderte der Soldat und schaute auf den Sergeant hinunter, der sich gerade wie-
der aufrichtete. »Kommen Sie klar, Sergeant?« »Was geht denn hier vor? « fragte plötzlich eine schneidend scharfe Stimme. Kathy Porter wandte sich um und sah sich einem untersetzten Mann gegenüber, der die Rangabzeichen eines Captain trug. Er salutierte und sah die beiden Frauen neugierig an. »Lady Simpson«, stellte Kathy Portner vor. »Und das ist meine Gesellschafterin, Miß Porter«, sagte die ältere Dame, auf Kathy zeigend. »Haben Sie hier das Kommando?« »Captain Marvels.« Der Offizier salutierte erneut. »Mylady, Sie befinden sich auf gesperrtem militärischem Gelände. Ich muß Ihre Personalien kontrollieren. Wenn Sie mir in den Kommandostand folgen wollen.« »Und wenn ich nicht will?« »Ich bestehe darauf, Mylady.« »Und wenn ich dann immer noch nicht will, Captain Marvels?« »Dann müßte ich Gewalt anwenden lassen. Ich wiederhole noch mal, das hier ist Sperrgebiet! Ohne Sonderausweis kein Zutritt!« »Und wo befindet sich Ihr Kommandant, Captain?« Agatha Simpson wußte natürlich aus Parkers Erzählung, daß der Butler es mit einem angeblichen Captain zu tun gehabt hatte. Sie wußte auch, daß dessen Kommandostand sich in einem Keller befunden hatte. Sie war also auf die Antwort mehr als gespannt. »Der Kommandowagen steht dort drüben hinter der Dorfkirche«, antwortete Captain Marvels. »Sie haben hoffentlich ein paar Ausweise bei sich, Mylady.«
»Ich werde Ihnen schon was Passendes zeigen, Captain. Gehen wir!« Agatha Simpson stieg aus dem Fahrerhaus und schloß sich Captain Marvels an, der vor ihr hermarschierte und wirklich echt aussah. Die beiden anderen Soldaten blieben an der Straße zurück, sahen ihnen aber interessiert nach. Der Sergeant massierte sich noch immer seine lädierte Kinnlade und murmelte Flüche. »Sagen Sie, mein Lieber«, flötete die ältere Dame den Captain fast liebenswürdig an. »Befehligen Sie etwa die Stammannschaft hier, oder gibt es noch zusätzlich einen Colonel oder Commander?« »Ich bin hier der ranghöchste Offizier«, lautete die Antwort, mit der die Detektivin überhaupt nicht zufrieden war. »Dort ist übrigens mein Kommandowagen, Mylady. Wenn Sie sich bitte hineinbemühen wollen.« Kathy Porter wußte nicht, was sie von der ganzen Geschichte halten sollte. War der Captain echt? Entsprach er nicht der Schilderung, die Mr. Parker von jenem Gangster gegeben hatte, mit dem er im Keller der Ruine zusammengetroffen war? Gerieten Sie hier in eine Falle? Befanden sie sich bereits in den Händen der Postzuggangster? Sie schob sich dicht an den Captain heran, um ihn im Fall eines Falles sofort außer Gefecht setzen zu können. Agatha Simpson stieg bereits über die Stufen in den Kommandowagen, wobei Captain Marvels ihr hilfreich seine Hand lieh. Dann folgte erst Kathy Porter. Sie war von ihrer Chefin ein wenig zurückgedrängt worden. Als Kathy Porter ebenfalls im Kommandowagen war, nahm sie ohne weite-
re Aufforderung die Arme hoch. Nein, man brauchte ihr gar nichts mehr zu sagen. Die Mündung der schweren Armeepistole, in die sie schaute, sprach Bände. * »Hauptsache ist doch wohl, Kindchen, daß meine Theorie stimmt«, meinte Lady Simpson eine Viertelstunde später. Ihre Stimme klang erstaunlich zufrieden. »Ich habe ja gleich gesagt, daß ein paar Flegel der Armee diesen Coup gelandet haben.« Kathy Porter antwortete nicht sofort. Sie sah sich erst mal gründlich in dem Bunker um, in den man Lady Simpson und sie gesteckt hatte. Erfreulich war ihre Lage ganz gewiß nicht. Der mit Holzbohlen ausgekleidete Erdbunker war niedrig und verfügte nur über einen einzigen Zugang. Dieser Ein- und Ausgang bestand aus einer sehr solide aussehenden Tür, ebenfalls aus dicken Bohlen. Ohne fremde Hilfe war an eine Flucht überhaupt nicht zu denken. »Reden Sie nicht mehr mit mir, meine Liebe?« erkundigte sich Agatha Simpson. Sie ließ sich auf einer hochgestellten Kiste nieder und schaute in das schwache Licht einer Kerze, die man ihnen als Beleuchtung großzügig zurückgelassen hatte. Natürlich machte sich auch Lady Simpson ihre Gedanken. Sie ärgerte sich grenzenlos darüber, so leichtsinnig in diese Falle getappt zu sein. Butler Parker ahnte hoffentlich, wo er nach ihnen zu suchen hatte. »Man wird uns als Geisel festhalten, bis Mr. Parker das Versteck der Postsäcke verraten hat«, sagte Kathy Porter.
Sie lehnte sich gegen die Wand des Erdbunkers. »Wir sind ihm hoffentlich wichtiger als diese Postsäcke«, meinte Agatha Simpson. Sie wollte noch etwas hinzufügen, doch in diesem Augenblick war draußen vor der schweren Bohlentür ein Geräusch zu vernehmen. »Ob ich es noch mal mit einem schweren Herzanfall versuchen sollte, Kindchen?« fragte sie, sich an Kathy wendend. »Ich kann mich noch dramatisch steigern.« Nun, dazu blieb keine Zeit mehr. Die schwere Tür wurde geöffnet, grelles Licht fiel in den Erdbunker. Agatha Simpson und Kathy Porter schlossen geblendet die Augen und waren für einen Moment hilflos. »Sie da, 'rauskommen!« Die Stimme des Mannes war scharf und schneidend. »Sie da, die Junge!« »Lassen Sie das unschuldige Kind in Ruhe«, regte sich die ältere Dame auf. »I c h werde mitkommen.« »Sie bleiben, Lady. Aber keine Sorge, Sie kommen auch noch an die Reihe.« Kathy Porter löste sich von der Wand, hielt ihren Unterarm schützend vor die Augen und ging zur Tür. Sie beeilte sich, bevor Agatha Simpson Zeit fand, etwas zu unternehmen. Kathy wollte die Dinge nicht noch zusätzlich komplizieren. Allein mit den Gangstern, rechnete sie sich größere Chancen aus. Der Sergeant und der einfache Soldat nahmen sie in Empfang. Man schien sie eindringlich verwarnt zu haben. Sie griffen sehr herzhaft zu, als sie ihre Oberarme umspannten. Bei dieser Gelegenheit erkannte die Gesellschafterin der älteren Dame ein bekanntes Gesicht.
»Mr. Halbom!?« Sie sprach absichtlich laut, damit Lady Simpson den Namen auch mit Sicherheit hörte. »Überrascht?« Der Verwalter von Waiden Castle lachte ironisch. »Sehr«, antwortete Kathy. »Sie sind also der Commander?« »Kleine Schmeichelkatze!« James Halbom lachte erneut und schien geschmeichelt zu sein. »Ziehen Sie hier keine Show ab, Miß Porter! Dazu haben Sie gleich immer noch Möglichkeiten.« Er schloß die schwere Bohlentür und ging voraus. Der Sergeant und der einfache Soldat führten Kathy Porter durch einen langen Keller, dessen Wände aus eisernen Spundbohlen bestanden. Dieser Fußmarsch endete in einem größeren Keller, in dem doppelstöckige Feldbetten, ein paar einfache Spinde, Bänke und ein einfacher Tisch standen. Es roch nach abgestandenem Bier, nach Tabakrauch und Schweiß. Dieser Raum war wohl der Aufenthaltsraum der Postzuggangster, wie Kathy sofort vermutete. »Bindet die Katze erst mal fest«, ordnete James Halbom an. »Und denkt daran, daß sie ein durchtriebenes Luder ist.« Der Sergeant und sein Begleiter zierten sich nicht. Sie fesselten Kathys Handgelenke und drückten ihren Körper anschließend gegen die hintere Stirnwand. Mit Telefonkabel banden sie Kathy dann an einen Pfosten. »Sagt dem Captain Bescheid, daß ich bereits mit dem Verhör beginne«, befahl James Halbom den beiden Männern. Kathy beobachtete ihn. Der Verwalter von Waiden Castle trug ebenfalls Tarnkleidung der Armee und die Rangabzeichen eines Colonels auf den Schultern.
Es paßte Kathy gar nicht, daß gerade der Verwalter sich so ungeniert zeigte und auf jede Tarnung seiner Person verzichtete. Daraus leitete sie ab, daß die Gangster nicht daran dachten, Mylady und sie wieder freizulassen. Wahrscheinlich war ihre Ermordung bereits beschlossene Sache. Diese Gangster mußten einfach daran interessiert sein, jeden Augenzeugen zu beseitigen. »Doch, Miß Porter, Sie haben noch' eine kleine Chance«, ließ James Halbom sich vernehmen. Er schien Kathys Gedanken erraten zu haben. »Sie wollen mich nur täuschen, Mr. Halbom. Oder muß ich Sie mit Colonel anreden?« »Bleiben wir bei Halbom«, erwiderte er lächelnd. »Vielleicht werden Sie eines Tages sogar noch James zu mir sagen.« »Das verstehe ich nicht? Worauf wollen Sie hinaus?« »Auf Ihre Chance, Miß Porter. Sie sind doch nur eine kleine Angestellte, die von dieser Lady Simpson nach allen Regeln der Kunst herumgestoßen und ausgebeutet wird.« »Wieso denn das, Mr. Halbom?« »Angestellte werden immer ausgebeutet, Miß Porter. Mal merken Sie es, mal nicht. Ich habe es schnell gemerkt und daraus meine Schlüsse gezogen.« »Nun ja, besonders gut werde ich nicht bezahlt.« Kathy ging auf dieses Thema sofort ein. »Wo liegt nun meine Chance, Mr. Halbom?« »Sie haben mir auf den ersten Blick gefallen, Miß Porter. Können Sie sich ein sorgenfreies Leben irgendwo in Südamerika vorstellen?«
»Dazu bedarf's keiner großen Phantasie, Mr. Halbom.« Kathy lächelte versonnen. »Aber dazu braucht man Geld«, redete der Verwalter von Waiden Castle weiter. » Sie wissen doch, von welchem Geld ich rede, nicht wahr?« »Natürlich, von dem Geld aus dem Postzug. Aber offen gesagt, Mr. Halbom, wird es denn überhaupt reichen? Zweihunderttausend Pfund sind doch für Sie und Ihre Freunde nicht gerade überwältigend. Sie müssen schließlich teilen.« »Muß ich?« Er lächelte amüsiert. »Und der Captain, der Commander? Dann der Sergeant und dieser andere Soldat? Wer weiß, wer sonst noch mit Geld rechnet. Sie wollen mich nur hereinlegen.« »Sie haben nur noch ein paar Minuten Zeit, sich die Sache zu überlegen«, gab James Halbom zurück. »Gleich kommt der Captain, und der wird andere Seiten aufziehen. Entscheiden Sie sich! Sie haben nur diese eine Chance.« »Und wenn Sie mich nun belügen, Mr. Halbom?« »Der Captain kommt. Schnell! Bekennen Sie Farbe, Kathy! Wollen Sie ermordet werden oder Ihre Chance wahren?« Vor der Tür der Unterkunft waren bereits Schritte und Stimmen zu hören. Kathy schloß für einen kurzen Moment die Augen und nickte dann entschlossen. »Ich riskiere es«, sagte sie hastig. »Ich will leben! Ich will nicht für Lady Simpson sterben.« *
»Halbom hat die ganze Sache aufgezogen«, erzählte Rob Portner bereitwillig. Er hatte sich beruhigt, saß auf dem Rücksitz von Parkers hochbeinigem Monstrum und legte eine Art Geständnis ab. »Sie und ich meinen Mr. James Halbom, den Verwalter von Waiden Castle«, vergewisserte sich Josuah Parker. »Klar, Sir«, sagte der junge Mann. »Und er ist auch der Colonel, nach dem Sie mich eben gefragt haben. Halbom hat einen militärischen Tick, müssen Sie verstehen. Der hat das alles wie bei der Armee organisiert.« »Und aus welchen Personen besteht seine Privatarmee?« fragte Butler Parker weiter. Er spürte, daß der junge Mann nicht log. »Die stammen alle aus der Verwaltung«, kam die überraschende Antwort. »Das heißt, im weitesten Sinn. Da bin ich, da sind zwei Leute aus der Gärtnerei, zwei aus dem Wildgehege und zwei von der Walden-Castle-Farm.« »Sortieren wir diese Personen erst mal«, unterbrach Josuah Parker, der für Klarheit war. »Ihnen dürfte ja nicht unbekannt sein, daß vier Mitglieder der Organisation sich inzwischen in Haftzellen der Polizei befinden. Wer sind diese Personen?« »Das sind die beiden aus der Gärtnerei und die zwei aus dem Wildgehege.« »Sehr schön, das hätten wir also.« Parker nickte wohlwollend. »Sie können fortfahren, Mr. Portner. Sie haben mein Ohr. Sie sind eine Art Assistent von Mr. Halbom?« »Genau. Er trieb mich in Ipswich auf. Ich hatte da 'ne krumme Sache gemacht und war arbeitslos. Ich lernte Halbom in
einer Kneipe kennen, als ich völlig down war. Ein paar Tage später konnte ich bereits in Waiden Castle anfangen. Ich bin nämlich gelernter Buchhalter.« »Sie erwähnten noch zwei weitere Mitglieder der Organisation, Mr. Portner.« »Die sind von der Farm, die zu Waiden Castle gehört, Sir. Einer von ihnen macht auf Sergeant, der andere ist so 'ne Art einfacher Soldat. Halbom hat sich das alles ausgedacht. Bei ihm muß alles streng militärisch zugehen. Aber das sagte ich wohl schon, oder?« »Das macht überhaupt nichts, Mr. Portner. Sie sind ein ungemein anregender Erzähler. Kommen wir zu dem Captain und zu jenem Mann, der Commander genannt wird. Wer sind diese Personen?« »Wer der Commander ist, weiß ich wirklich nicht, Sir. Mein heiliges Ehrenwort!« »Aber mit dem gerade erwähnten Captain wissen Sie etwas anzufangen, nicht wahr? « »Der muß aus dem Armeecamp kommen, Sir.« Rob Portner lachte plötzlich wider Willen auf. Als er den erstaunten Blick des Butlers wahrnahm, zog er ein schuldbewußtes Gesicht. »Ihnen scheint offensichtlich etwas Amüsantes eingefallen zu sein«, vermutete Parker freundlich. »Gestatten Sie mir, daß ich an Ihrer Heiterkeit teilnehme, Mr. Portner.« »Ich . . . Ich mußte gerade an den Burschen des Commander denken, Sir«, erklärte Rob Portner. »War der sauer!« »Gab es dafür einen erkennbaren Grund?« erkundigte sich Josuah Parker höflich.
»Und ob, Sir.« Rob Portner nickte und grinste breit. »Dem hatte eine der beiden Frauen draußen an der Scheune ins Genick gebissen. So was war dem noch nie passiert.« »Das ist jener Mann, der zusammen mit dem Captain aus dem Ruinendorf entfliehen konnte, nicht wahr?« »Genau der, Sir.« »Sie nannten ihn den Burschen des Commander, Mr. Portner. Was kann ein Laie wie meine bescheidene Wenigkeit sich darunter vorstellen?« »Bursche ist vielleicht untertrieben, Sir.« Rob Portner korrigierte sich. »An sich hat er dem Colonel und dem Captain immer die Befehle des Commander überbracht.« »Weil besagter Commander sich nie sehen ließ, wie ich unterstellen darf?« »Genau, Sir. Den Commander hat von uns noch keiner gesehen. Nie! Unsere Befehle haben wir immer nur vom Captain oder vom Colonel erhalten.« »Ein junger und intelligenter Mann wie Sie wird sich gerade darüber gewiß seine eigenen Gedanken gemacht haben.« »Bestimmt, Sir.« Rob Portner nickte. »Ich glaube, der Commander ist einfach zu bekannt.« »Zu bekannt? Er stammt Ihrer Ansicht nach hier aus der Region? Er müßte demnach sehr bekannt sein.« »Hören Sie, Sir, wenn ich Ihnen einen Tip gebe, setzen Sie sich dann bei der Polizei für mich ein?« »Es wird mir ein Vergnügen sein, Mr. Portner. Ich werde nicht versäumen zu erwähnen, daß man nur dank Ihrer Mitarbeit und Hilfe dieses Bubenstück aufklären konnte. Aber nun möchte ich ei-
nen entscheidenden Hinweis bekommen.« »Den werden Sie mir nie abnehmen, Sir.« »Menschliches ist mir. nicht fremd, Mr. Portner. Es scheint sich sogar um einen sehr bekannten Mann zu handeln, wie ich vermute.« »Ich sage nur Lester Mint.« »Aha. Und wer ist dieser Lester Mint?« »Sie kennen Lester Mint nicht?« Rob Portner staunte ehrlich. »Ich hatte noch nicht das Vergnügen, wie ich bekennen muß.« »Das ist doch der augenblickliche Besitzer von Waiden Castle, Sir!« »Sie sehen meine bescheidene Wenigkeit überrascht. Oh, mir scheint, daß mir jetzt das sprichwörtliche Licht aufgeht. Sie meinen Sir Lester, nicht wahr?« »Woher der den Titel hat, weiß ich nicht«, mokierte sich Rob Portner. »Aber ich weiß, wie schwach der Mann auf der Brust ist. Finanziell, meine ich. Als Buchhalter hat man da so seine Einblicke. Die Banken rückten keine Kredite mehr 'raus. Und die Gehälter konnte er in letzter Zeit auch nur so gerade bezahlen. Sir Lester brauchte ganz sicher 'ne ordentliche Geldspritze, sonst müßte er verkaufen.« »Sir Lester hat eine Tochter?« Parker dachte an die junge Dame im schwarzen Trikot, die ihn am Bahndamm bedroht hatte. »Eine Tochter hat er nicht, Sir, aber 'ne Freundin. Die muß er sich in Ipswich aufgegabelt haben.« »Hegen Sie nur einen gefühlsmäßigen Verdacht, Mr. Portner, oder könnten sie eventuell mit weiteren Details aufwarten?«
»Sir Lester und James Halbom haben nächtelang zusammengesteckt. Und die Freundin war immer dabei. Gilda Corby heißt sie, falls Sie den Namen auch noch haben wollen.« Parker nickte. Was er da gerade gehört hatte, war vielleicht der Schlüssel zur Klärung dieses Kriminalfalls. Er gratulierte sich dazu, diesen jungen Mann zu sich in den Wagen geladen zu haben. Er schien einen Vorsprung zu besitzen, den Lady Simpson nie aufholen konnte. »Beenden wir das Gespräch«, schlug Josuah Parker vor, »doch runden wir es noch ab. Wie ist der Name jenes Mannes, der die Befehle des Commander weiterleitet?« »Will Corby, Sir. Er ist der Bruder von Sir Lesters Freundin. Bringen Sie mich jetzt auch wirklich auf dem schnellsten Weg zur Polizei?« . »Sie können sich fest darauf verlassen.« »Ich möchte nicht abgeknallt werden«, sorgte sich Rob Portner. »Das hat man uns nämlich angedroht. Wer quatscht, der wird umgelegt! Und die haben das nicht einfach nur so gesagt!« »In einer Polizeizelle werden Sie Ruhe und Sicherheit finden, Mr. Portner«, versprach der Butler. »Ach, was ich noch fragen wollte. Gibt es so etwas wie ein gemeinsames Versteck? Wo werden zum Beispiel die Armeeuniformen und Waffen gelagert? « »Können Sie sich das wirklich nicht vorstellen, Sir?« »Im Ruinendorf, wenn ich einen Tip wagen darf.« »Im Ruinendorf«, bestätigte der junge Mann, der sich als eine Art Goldgrube an Information erwiesen hatte. »Und zwar unter der Dorfkirche. Der Zugang
liegt unterhalb von der Wandkanzel, rechts vor der Sakristei.« »Beeilen wir uns«, meinte Parker und ließ den Motor seines hochbeinigen Monstrums an. »Für Dorfkirchen habe ich mich eigentlich schon immer interessiert.« * Lady Agatha Simpson ärgerte sich. Sie fühlte sich ein wenig allein und von den Ereignissen um sie herum ausgeschlossen. Dies entsprach nicht ihrem jugendlichen Temperament. Sie wanderte wie ein gefangener Tiger in dem kleinen Erdbunker herum und überlegte, wie sie die Dinge zu ihren Gunsten wenden konnte. Um Kathy Porter machte sie sich im Augenblick keine unnötigen Sorgen. Sie kannte ihre Gesellschafterin und wußte, wie geschickt und clever sie war. Wahrscheinlich versuchte man wieder mal, sie umzudrehen. Das geschah immer wieder. Kathy ging auf solche Versuche stets gern ein und schlüpfte in die Rolle der geschundenen Angestellten. Lady Agatha hatte keine Lust, noch länger untätig in diesem Bunker zu bleiben. Es mußte doch einen Weg geben, diese Gangster hereinzulegen. Sie besaß zwar ihren Pompadour, aber mit ihm ließ sich ohne einen Gegenspieler ja nichts anfangen. Wem hätte sie den perlenbestickten Beutel schon um die Ohren schlagen können? Die ältere Dame brauchte eine Person, mit der sie sich auseinandersetzen konnte. Wütend griff sie nach der Kiste, die ihr als Sitz gedient hatte und schmetterte sie gegen die Bohlentür. Als die Kiste verständlicherweise auseinanderbrach
und sich in ihre einzelnen Bestandteile auflöste, hatte sie die rettende Idee. Lady Agatha zündete ein kleines Feuerchen an. Mit wuchtigen Absatztritten zersplitterte sie die Bretter in kleine Späne, die sie dann mit der Kerze anzündete. Es war eine recht mühsame Arbeit, aber sie sollte sich lohnen, da die kleinen Holzsplitter Feuer fingen und schließlich lustig losbrannten. Agatha Simpson ließ sich dabei ächzend auf die Knie' nieder und sorgte dafür, daß der Rauch durch den unteren Türspalt auf schnellstem Weg hinaus in den Kellergang wehte. Da Lady Simpson über sehr gute Lungen verfügte, wurden diese Rauchschwaden auch tatsächlich tief in den Gang hineingetrieben. Dazu lieferte Lady Agatha eine wahre Hustenorgie, denn ein Teil des Qualms staute sich natürlich auch in dem kleinen Bunker und legte sich auf ihre Lungen. Doch das machte ihr kaum etwas aus. Sie wartete auf den Erfolg ihrer angestrengten Bemühungen. Ein fast schon teuflisch zu nennendes Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie Stimmen und Flüche hörte, die sich immer schneller und intensiver der Bohlentür näherten. Es war soweit. Sie konnte sich auf die Lümmel konzentrieren. Agatha Simpson war eine gerissene Dame. Sie blieb nicht nur am Boden, nein, sie machte sich darüber hinaus noch zusätzlich klein und legte sich flach auf dem harten und auch ein wenig feuchten Boden hin. Sie ahnte die Reaktion der öffnenden voraus. Sie kalkulierte völlig richtig. Die Tür wurde aufgerissen. Eine Taschenlampe versuchte den dichten
Qualm zu durchdringen. Knapp vor Lady Simpson standen zwei stämmige Beine, deren Waden in Wickelgamaschen gehüllt waren. Genau in diesem Moment stach Lady Agatha zu wie eine äußerst giftige Kobra. In ihrer Hand befand sich ihre Hutnadel, die lang, biegsam und auch dazu noch präpariert war. Butler Parker hatte sich seinerzeit dieser Nadel angenommen und sie in seiner Bastelstube in eine gefährliche Waffe verwandelt. Die Spitze der Nadel enthielt ein chemisches Präparat, das für eine gewisse Lähmung und einen schnellen Schlaf sorgte. Der Wickelgamaschenträger jaulte auf wie ein getretener Hund, als die Nadelspitze sich in seiner Wade breitmachte. Er ließ die Taschenlampe fallen und griff instinktiv nach der schmerzenden Stelle. Lady Simpson sorgte für zusätzliche Effekte. Sie rammte mit ihrer fülligen Hüfte gegen die Knie des Mannes, der diesem Ansturm nicht gewachsen war. Der Mann verlor das Gleichgewicht und fiel über den Körper der sehr rüstigen Dame. Agatha Simpson hatte inzwischen den zweiten Gegner ausgemacht. Er stand ein wenig schräg hinter dem wegkippenden Mann und wollte dummerweise seine Maschinenpistole auf Lady Agatha richten. Damit war sie aber überhaupt nicht einverstanden. Sie empfand dies als einen feindlichen Akt. Lady Simpson schlug mit dem Pompadour unter den Lauf der Waffe und wirbelte sie ihm aus der Hand. Bevor der Mann überhaupt zu einer weiteren Reaktion kam, wurde er bereits vom Handbeutel behandelt. Und dies zahlte sich
für ihn und seine Nase nicht sonderlich gut aus. Das Hufeisen faltete sie zur Nase weg in Richtung auf den linken Wangenknochen. Während dem Mann das Wasser in die Augen schoß, stand Lady Simpson stöhnend auf, denn sie war ja nicht mehr der Jüngsten eine. Sie holte aus und verabreichte dem Flegel abschließend noch eine ihrer berüchtigten Ohrfeigen. Das gab dem Mann den Rest. Er flog gegen den Rahmen der Tür, schnaufte und ging dann angeschlagen zu Boden. Er bekam überhaupt nicht mit, daß die ältere Dame ihn mühelos in den Bunker schleifte und neben den ersten Mann legte. Bei dieser Gelegenheit bekam die Detektivin übrigens mit, daß sie den Sergeant und den einfachen Soldaten eingefangen hatte. Sie rüstete sich mit den Beutewaffen auf und bedauerte es sehr, ihren Kreislauf nicht ein wenig stärken zu können, drückte die schwere Bohlentür in den Rahmen und schloß die Riegel. Bis an die Zähne bewaffnet, machte sie sich dann auf den Weg, ihrer Gesellschafterin zu Hilfe zu kommen. Für Lady Agatha Simpson war das Leben plötzlich wieder sehr lebenswert. * So ganz traute er ihr nicht über den Weg. James Halbom, der Colonel der Gangsterorganisation, hatte Kathy Porter mittels einer Handschelle am Haltegriff des Jeeps befestigt. Er saß am Steuer des kleinen und wendigen Wagens und passierte gerade die letzten Häuser des Ruinendorfes.
Angeblich hatte er den eintretenden Captain Marvels niedergeschlagen. Kathy sah die Szene noch ganz deutlich vor sich. Marvels hatte den Kommandowagen betreten und war dann von James Halbom ohne jede Vorwarnung mit einem Handkantenschlag auf die Bretter geschickt worden. Kathy hatte nicht mitbekommen, ob dieser Niederschlag nun echt war oder nicht. Hatte man sie nur täuschen wollen? War das alles ein geschickt abgekartetes Spiel, um sie in Sicherheit zu wiegen? Sollte sie um jeden Preis glauben, daß das Angebot des Verwalters von Waiden Castle echt war? Halbom hielt hinter einer Weggabelung und sah Kathy abwartend an. »Jetzt müssen auch Sie Farbe bekennen, Kathy«, sagte Halbom, der erstaunlicherweise ein wenig nervös wirkte. »Wo befinden sich die Postsäcke und die Goldkiste?« »Im Waldsee«, erwiderte Kathy, die sich an Parkers Geständnis erinnerte, das er Lady Simpson gemacht hatte. Da er vom Waldsee gesprochen hatte, konnten sich ihrer Ansicht nach die Postsäcke und das Gold niemals dort befinden. Kathy kannte den Butler zu gut. Er hätte das wahre und wirkliche Versteck nie verraten, schon allein, um die Damen nicht in Gefahr zu bringen. »Und wo dort?« wollte James Halbom wissen. »Ich werde Ihnen die Stelle zeigen«, versprach Kathy. »Aber vorher müssen Sie dann die Handschellen aufschließen.« »Abgemacht.« Halbom, der Colonel der Gangsterorganisation, schien das für selbstverständlich zu halten. »Ich ver-
gesse nicht, daß wir Partner sind, Kathy.« Die Weiterfahrt verlief schweigend. Halbom konzentrierte sich auf die schmalen Wege, die zum Waldsee führten. Er benutzte Abkürzungen und Feldwege, mied Haupt- und Durchgangsstraßen. Es dauerte gut eine halbe Stunde, bis der See endlich erreicht war. James Halbom parkte den Jeep unter Bäumen ab und setzte ihn rückwärts in dichtes Strauchwerk. Dann löste er die Handschelle und zeigte dabei eine Vorsicht, die nur auf allergrößtes Mißtrauen schließen ließ. Auch er schien Kathy nicht über den Weg zu trauen. »Gehen wir«, sagte er dann und warf die Handschelle neben dem Jeep zu Boden. Er besorgte das mit einem plötzlichen Leichtsinn, der schon wieder verdächtig war. Kathy, die sich gerade entschlossen hatte, James Halbom anzugreifen, hielt sich zurück. Waren sie hier draußen am See wirklich allein? Oder befanden sich vielleicht der Commander und weitere Gangster ganz in der Nähe? »Kann ich Ihnen tatsächlich trauen, Mr. Halbom?« fragte Kathy. »Kann ich Ihnen trauen?« fragte er zurück. »Sie sind mir gegenüber im Vorteil«, beschwerte sich Kathy Porter und deutete auf die Ausbuchtung der Tarnkleidung. »Sie tragen eine Waffe.« »Also schön, weg mit der Waffe!« Er langte in die Tarnkleidung, zog einen mächtigen Revolver hervor und warf ihn ebenfalls zu Boden. »Sind Sie jetzt zufrieden, Kathy? Glauben Sie mir doch endlich, ich will Sie nicht hereinlegen. Hoffentlich Sie mich ebenfalls nicht, sonst würde ich verdammt sauer reagieren. «
Sie traute ihm immer noch nicht. Er hatte sich ihrer Ansicht nach etwas zu schnell von dem Revolver getrennt. Wahrscheinlich besaß er noch eine zweite Waffe. Dennoch tat Kathy Porter so, als sei sie endlich beruhigt. »Wir haben nicht besonders viel Zeit«, drängte James Halbom. »Captain Marvels wird schäumen vor Wut und den Rest der Bande längst losgeschickt haben. Wo ist das Versteck?« »Dort drüben am Angelsteg«, erwiderte Kathy aus dem Stegreif heraus. Sie hatte diesen morschen Steg gerade erst entdeckt. Er kam ihr sehr passend vor. James Halbom vermochte seine Ungeduld nicht länger zu zügeln. Er lief einfach los, ohne sich weiter um Kathy zu kümmern. Sie brauchte sich jetzt nur nach dem Revolver zu bücken und ihn aufzunehmen, und schon beherrschte sie die Situation. Sie mußte sich gehörig zusammennehmen, damit sie es nicht tat. Sie war und blieb mißtrauisch. Langsam folgte sie dem Colonel der Gangsterorganisation, der fast den Anglersteg erreicht hatte. Er blieb stehen und wandte sich zu ihr um. »Wo denn am Steg?« rief er ihr zu. »Am vorletzten Pfosten«, gab sie zurück. »Mr. Parker hat das alles tief in den Schlamm getaucht.« »Dann holen Sie es 'raus, Kathy!« Seine Stimme hatte sich sehr verändert. Sie klang jetzt hart und entschieden. Er hatte plötzlich wie durch Zauberei tatsächlich eine zweite Waffe in der Hand. Die Mündung war selbstverständlich auf Kathy gerichtet. »Was soll denn das?« Kathy mimte Verblüffung und Überraschung. Sie war froh, daß sie sich auf kein Abenteuer
eingelassen hatte. Das alles war also doch nur eine raffinierte Falle gewesen. »Hol die Säcke 'rauf!« Er deutete mit dem Lauf auf den Steg. »Etwas plötzlich, wenn ich bitten darf.« »Sie . .. Sie haben mich von Anfang an hereinlegen wollen?« Sie schien die Welt nicht mehr zu verstehen. »Sie und die anderen.« Er grinste und nickte. »Warum teilen, wenn es auch anders geht? Nun machen Sie endlich, Kathy.« »Und was wird aus mir?« »Nicht mein Problem.« »Sie werden mich anschließend niederschießen. « »Kommen Sie und steigen Sie endlich ins Wasser! Sonst schieße ich wirklich! Ich verliere langsam die Geduld.« Kathy hörte am Ton der schneidend scharfen Stimme, daß James Halbom stark unter Druck stand. Dieser Mann war zu allem entschlossen und bluffte nicht. Kathy ging vorsichtig auf ihn zu, passierte ihn und betrat den brüchigen und morschen Anglersteg. Als sie das Ende erreicht hatte, ließ sie sich vorsichtig hinunter ins Wasser und sah dabei Halbom an, der sie seinerseits nicht einen Moment aus den Augen ließ. Sie zuckte zusammen, als in diesem Augenblick ein schallgedämpfter Schuß fiel. Es handelte sich nur um ein scharfes »Plopp«, da der Schütze mit einem Schalldämpfer arbeitete. James Halbom, der Colonel der Gangsterorganisation, wurde wie von einer mächtigen, unsichtbaren Faust vom Steg hinunter ins Wasser geschleudert. Bevor es über ihm zusammenschlug, war gerade noch sein erstickter Aufschrei zu hören.
* Lady Agatha Simpson stand neben der Wandkanzel in der Nähe der Sakristei und schaute sich um. Ihr Ziel war der Kommandowagen, in dem sich ihrer Ansicht nach Kathy Porter, der Captain und auch der Colonel befinden mußten. Die kriegerische Dame freute sich darauf, den beiden Gangstern eine Überraschung bereiten zu können. Sie stieg über die Schuttberge in der kleinen Dorfkirche und erreichte den Eingang. Von hier aus konnte sie bereits den Kommandowagen sehen. Es waren nur wenige Meter bis dorthin, eine Distanz, die sie im Sturm nehmen wollte. Es war schon ein wenig komisch anzusehen, wie die Sechzigjährige ihre Absicht in die Tat umsetzte. Sie trug natürlich eines ihrer weiten TweedKostüme, die fast bis zu den Waden reichten, derbe Schuhe und eine Jacke, die mehr als bequem ihren Oberkörper einhüllte. Auf ihrem Kopf saß der eigenwillige Hut, der an den Südwester eines Seemanns erinnerte. Lady Agatha hatte eine der beiden erbeuteten Maschinenpistolen in den Hüftanschlag genommen und lief auf den Kommandowagen zu. Ihr Gesicht zeigte einen grimmigen Ausdruck. Nach Lage der Dinge war sie im Augenblick durch nichts aufzuhalten. Der Boden vibrierte diskret unter ihren Schritten, die Holztreppe seufzte, als die Detektivin zur Tür des Kommandowagens eilte. Sie riß sie auf und schob sich in den Wagen, schaute sich kriegerisch nach allen Seiten um und . . . stutzte. Weder von Kathy noch von Captain Marvels oder dem Colonel war etwas zu
sehen. Sie wollte sich schon wieder umwenden und im Ruinendorf nach ihren Gegnern suchen, als sie eine seltsame Entdeckung machte. Ein angezogenes Beinpaar ragte hinter dem Kartentisch hervor. Agatha Simpson kam zu dem völlig richtigen Schluß, daß zu diesem Beinpaar ja wohl auch ein Körper gehörte. Sie ging vorsichtig auf den Kartentisch zu und beugte sich hinunter. »Kommen Sie heraus, Captain«, befahl sie dann mit grollender Baßstimme. »Auf solche dummen Spiele falle ich nicht herein. Los, kommen Sie schon!« Captain Marvels reagierte nicht. Er blieb still unter dem Kartentisch liegen und reagierte auch dann noch nicht, als Lady Simpson ihm den Kolben ihrer Maschinenpistole auf den Fuß fallen ließ. Erst jetzt ging Lady Simpson auf, daß Captain Marvels wohl nicht mehr in der Lage war, auf ihre Wünsche einzugehen. Sie zog ihn an den Beinen unter dem Kartentisch hervor und preßte dann die Lippen fest aufeinander. Der Anblick war nicht schön. Der Captain war aus nächster Nähe erschossen worden. Wenigstens drei Geschosse mußten ihn in der Brust getroffen haben. Lange konnte dieser Mord nicht vorüber sein. Das Blut sickerte noch aus der Wunde. Agatha Simpson richtete sich auf und eilte zurück zur Tür des Kommandowagens. Ihr war klar, daß auch sie sich in höchster Gefahr befand. Der Mörder mußte sich noch ganz in der Nähe befinden. Wahrscheinlich wartete er nur darauf, auch sie aus dem Weg zu räumen. Und dann sah sie wirklich einen Mann, der der mögliche Täter sein konnte.
Er tauchte für einen Moment neben einer Ruine auf, warf sich zu Boden und feuerte dann aus einer Maschinenpistole. Die Geschosse lagen peinlich gut. Dicht neben Lady Simpsons Kopf wurden einige häßliche und lange Holzsplitter aus dem Wagen gerissen. So etwas erboste die Detektivin. Aus der Hüfte heraus schoß sie zurück. Und es zeigte sich wieder mal, wie ernstzunehmen die ältere Dame war. Sie wußte mit solch einer Maschinenwaffe ausgezeichnet umzugehen. Sie beharkte den Schutthügel, hinter dem der Schütze lag, sehr treffsicher. Steinsplitter sirrten hoch, Staubwolken breiteten sich aus. Agatha Simpson nutzte ihre Chance und polterte die Holztreppe des Kommandowagens hinunter. Sie lief keuchend zurück zur Dorfkirche, um von dort aus den Gegner in der Flanke anzugreifen. Sie glühte vor Eifer. Sekunden später hörte sie einen Wagen herankommen. Lady Simpson duckte sich ein wenig und wartete darauf, diesen Wagen unter Beschuß nehmen zu können. Sie war fest entschlossen, ihn mit allen Mitteln zu stoppen. Im letzten Moment schaffte sie es dann gerade noch, ihren Zeigefinger nicht ganz durchzukrümmen. Butler Parker, der dort in seinem hochbeinigen Monstrum um die Hausecke kam, konnte wirklich von Glück sagen, daß sein kostbarer Wagen keine unnötigen Kratzer abbekam. * »Mußten Sie denn ausgerechnet jetzt kommen, Mr. Parker?« grollte die ältere Dame. Sie hatte Josuah Parker zu sich herangewinkt und deutete auf den
Schuttberg, wo sie den Gangster zuletzt gesehen hatte. »Jetzt haben Sie das Wild verscheucht!« »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit zerknirscht«, entschuldigte sich Parker. »Mylady hatten eine Auseinandersetzung?« »Wir sind noch mitten drin, Mr. Parker. Gehen Sie gefälligst in Deckung! Hier treibt sich ein Mörder herum . . .« »Mylady erschrecken mich.« »Er hat diesen angeblichen Captain umgebracht«, berichtete Parkers Herrin. »Die Gangster scheinen sich inzwischen gegenseitig umbringen zu wollen.« »Wogegen im Prinzip nichts einzuwenden wäre, Mylady, obgleich das, wie ich einräumen möchte, ein wenig makaber klingt. Darf ich mich übrigens nach dem werten Befinden von Mylady und Miß Porter erkundigen?« »Kathy ist verschwunden. Wahrscheinlich zusammen mit diesem Gangster, der sich Colonel nennt. Er holte sie aus dem Erdbunker, in den man uns eingesperrt hatte.« »Demnach scheinen Mylady einige bewegende Erlebnisse hinter sich zu haben.« »Später, Mr. Parker, später! Greifen wir uns erst mal diesen Mörder. Hoffentlich hat der Mann sich nicht inzwischen abgesetzt.« Es stellte sich heraus, daß dem so war. Lady Agatha und ihr Butler durchforschten vorsichtig das Ruinendorf, doch von dem Mörder war nichts mehr zu sehen. Reifenspuren hinter dem Schuttberg deuteten darauf hin, daß er sich mit einem Motorrad abgesetzt haben mußte. »Den erwische ich noch«, schwor sich Lady Simpson grimmig. »Dieses Sub-
jekt wird an mir noch viel Freude haben. Wo wollen Sie denn hin, Mr. Parker?« »Ich möchte mir den Toten ansehen, Mylady.« Sie gingen zum Kommandowagen, und Parker sah sich Captain Marvels nachdenklich an. Auf eine Durchsuchung der Taschen verzichtete er. Seiner Ansicht nach hatte der Täter mit Sicherheit das mitgenommen, was ihm hätte gefährlich werden können. »Ich möchte mir erlauben, mich Myladys Ansicht anzuschließen«, sagte Parker, nachdem er sich aufgerichtet hatte. »Die Gangster scheinen sich nun gegenseitig umzubringen.« »Und was bezwecken sie damit? Es geht doch wohl nur um die Beute, oder?« »In der Tat, Mylady.« »Aber sie haben sie doch noch gar nicht.« »Erfreulicherweise, Mylady.« Parker leistete sich den Luxus eines Lächelns. »Nach dem Tod des Captains, der nach meinen Informationen tatsächlich Angehöriger der Armee ist, dürften sich jetzt nur noch drei Personen um die Beute streiten.« »Woher wollen Sie denn das wissen?« »In meinem Wagen befindet sich ein wertvoller Informant, Mylady, dessen Name Rob Portner ist. Er wird Mylady über den Colonel, den Captain und eine junge Dame namens Gilda Corby aufklären können. Mylady werden wahrscheinlich ein wenig schockiert sein.« »Sie machen mich ja direkt neugierig, Mr. Parker.« Agatha Simpsons Augen funkelten. »Kenne ich etwa den Commander? Um den geht's doch wohl, oder?«
»Falls die Information meines Gastes stimmt, müßten Mylady besagten Commander kennen.« »Spannen Sie eine alte Frau nicht unnötig auf die Folter, Mr. Parker. Wer ist dieses Subjekt?« »Mylady werden mit Sicherheit sehr schockiert sein.« »Und ich kenne ihn wirklich?« »Mylady kennen ihn.« Parker nickte. »Sir Lester, nicht wahr?« Nun war Josuah Parker doch ein wenig verblüfft. Mit diesem Hinweis hatte er nicht gerechnet. »Um ein Haar hätten Sie Ihren Mund nicht mehr zugemacht«, freute sich die ältere Dame und sah ihren Butler triumphierend an. »Ich habe also voll ins Schwärze getroffen!« »Darf ich mich erkühnen zu fragen, wieso Mylady auf Sir Lester kommen?« »Geht es nun um ihn oder nicht?« »In der Tat, Mylady! Mein Informant behauptet es wenigstens.« »Ich habe diesen Parvenue eigentlich nie gemocht«, sagte die ältere Dame und verzog geringschätzig ihren Mund. »Hinzu kam, daß dieser. . . Herr mich um Geld anging.« »Dies hatten Mylady meiner bescheidenen Wenigkeit vorenthalten.« »Wenn Sie Geheimnisse haben, Mr. Parker, habe ich meine. Sir Lester bat mich um einen Kredit. Und das schon ein paar Stunden nach unserer Ankunft, stellen Sie sich das mal vor! Die Einladung zur Fuchsjagd war nur gedacht, um mich anpumpen zu können.« »Um welche Summe, Mylady, handelte es sich, wenn mir diese Frage gestattet ist?« »Um hunderttausend Pfund. Schön, eine lächerliche Summe, aber gerade
deswegen belästigt man damit doch nicht einen Gast! So etwas halte ich für Shocking.« »In der Tat, Mylady!« Parker war an Geld nicht interessiert. Die von Agatha Simpson genannte Summe sagte ihm im Grund überhaupt nichts. Sie war für ihn abstrakt. »Und wer ist diese Gilda Corby?« »Sie soll die Freundin Sir Lesters sein, Mylady.« »Ein arrogantes Dummchen, doch sie scheint es faustdick hinter den Ohren zu haben. Wie man sich täuschen kann! Hoffentlich ist Kathy ihr nicht in die Hände gefallen. Was können wir überhaupt für sie tun, Mr. Parker? Wohin könnte sie verschleppt worden sein? Ich hoffe, Sie können mit einer richtigen Antwort dienen. Ich mache mir große Sorgen um Kathy.« »Nach Lage der Dinge, Mylady, wird Miß Porter ihren Kidnapper mit einiger Sicherheit zum Waldsee geführt haben.« »Zum Versteck der drei Postsäcke und der Holzkiste?« »Miß Porter dürfte meine bescheidene Wenigkeit durchschaut haben, Mylady. Sie müßte eigentlich ahnen oder wissen, daß die Teilbeute der Gangster sich dort auf keinen Fall befindet.« »Wie war das?« Agatha Simpson sah ihren Butler vernichtend an. »Sie haben mich demnach also angeschwindelt?« »Wegen einer elektronischen Wanze, Mylady, die sich im Wagen befand. Falls Mylady es wünschen, werde ich auf diese Einzelheiten während der Fahrt zum Waldsee zurückkommen.« »Ich bitte darum!« Lady Simpson grollte. »Warum stehen wir hier noch herum? Das arme Kind braucht bestimmt unsere Hilfe!«
* Das arme Kind, wie Mylady Kathy Porter genannt hatte, tauchte zwischen dem dichten Schilf auf und orientierte sich erst mal. Nach dem Schuß auf den Colonel war Kathy unter Wasser geblieben und genau zum nahen Ufer geschwommen. Sie unterschwamm damit das Blickfeld des Schützen, der James Halbom getötet hatte. Wenigstens hoffte Kathy sehr, daß der Mörder nicht damit rechnete, daß sie genau auf ihn zuschwamm. Das Wasser war kühl, aber nicht kalt. Kathy verhielt sich ruhig und wartete darauf, daß der Mörder sich zeigte. Bisher war er geschickt in Deckung geblieben und suchte wahrscheinlich die Wasseroberfläche nach ihr ab. Im Unterholz nahe des Schilfgürtels rührte sich plötzlich etwas. Der Mörder wagte sich hervor. Kathy zog sich noch mehr zusammen. Falls man sie entdeckte, war es mit Sicherheit um sie geschehen. Sie hörte leichte und schnelle Schritte auf dem Anglersteg und konnte dann nur noch staunen. Auf den brüchigen Holzplanken erschien eine große und schlanke Frau, die ein schwarzes Trikot trug. Sie machte einen sicheren, profihaften Eindruck und trug einen breiten Ledergürtel, in dem ein Tauchermesser steckte. Sie balancierte über den Steg, erreichte sein Ende und ließ sich ohne jedes Zögern ins Wasser hinunter. Damit war für Kathy alles klar. »Colonel« James Halbom war vom Ruinendorf aus verfolgt worden. Seine Unterhaltung und sein Vorschlag an sie waren belauscht worden. Die Mörder waren
daraufhin vorausgeeilt und hatten Halbom aufgelauert. Nun machten sie sich daran, den Schatz zu heben. Daß es sich zumindest um zwei Personen handelte, bezweifelte Kathy nicht einen Moment. Die Frau allein konnte das alles unmöglich geschafft haben. Sie befand sich bereits im Wasser und tauchte. Kathy lächelte wider Willen. Die große und schlanke Frau konnte sich anstrengen und suchen, so lange sie nur wollte, finden würde sie mit Sicherheit nichts. Mr. Parker hatte die drei Postsäcke und die Holzkiste mit Gold nicht hier im See versteckt. Nach Luft schnappend, tauchte die junge Frau wieder auf und schüttelte den Kopf. Dann holte sie tief Luft und verschwand wieder unter der Wasseroberfläche. Dieses Spiel wiederholte sich einige Male, doch alle Versuche endeten ergebnislos. »Ich . . . Ich brauche einen Moment Ruhe«, rief die Frau zum Ufer hinüber. »Ich glaube, daß Halbom hereingelegt worden ist.« »Weitersuchen, weitersuchen«, drängte eine Männerstimme aus dem leider viel zu dichten Unterholz. »Versuch' es noch mal!« Der Besitzer der Stimme ließ sich nicht sehen. Er blieb in Deckung. Natürlich wußte er, daß Kathy Porter sich irgendwo an Land gerettet hatte. Er wollte nicht, daß sie sein Gesicht sah. Kathy kam zu dem Schluß, daß es ein bekanntes Gesicht sein mußte. »Nichts!« Die Stimme der Wassersportlerin klang jetzt erschöpft und verzweifelt zugleich. »Diese Katze hat Halbom bestimmt angelogen. Hier ist weit
und breit nichts als Morast und Schlamm.« »Dann komm wieder 'raus!« Die Stimme des Unsichtbaren klang wütend. »Wir müssen die Sache anders anpacken. Hier wird mir die Geschichte zu mulmig.« Kathy hatte keine Möglichkeit, sich mit der Taucherin zu befassen. Sie war zu weit vom Steg entfernt. Sie konnte froh sein, wenn man sie nicht noch im letzten Augenblick ausmachte. Die junge Frau war inzwischen bereits am Ufer und verschwand im Unterholz. Wenig später war der Motor eines Wagens zu hören. Das Geräusch entfernte sich schnell, und Kathy war heilfroh, endlich aus dem Wasser steigen zu können. Inzwischen machte sich bei ihr doch eine leichte Unterkühlung bemerkbar. Sie wollte sich gerade aufrichten, als sie das Zetern eines Vogels hörte. Aus dem Unterholz flatterte ein Wassertaucher hoch und flüchtete sich hinaus aufs Wasser. Kathy führte ihre gedachte Bewegung nicht aus. Wie erstarrt blieb sie stehen. Um ein Haar wäre sie dem Mordschützen in die Falle gegangen. Er hatte die Abfahrt nur vorgetäuscht. Er wollte sie veranlassen, ihr Versteck aufzugeben. In Wirklichkeit war er im Unterholz zurückgeblieben, um sie doch noch zu erwischen. Das Auto kehrte zurück, wie ein aufheulender Motor deutlich aussagte. Ein mahnendes, fast nervöses Hupen war zu vernehmen. Sekunden später brachen kleine Äste und Zweige im Unterholz. Nun schien der Mordschütze sich wirklich abzusetzen. Das Auto entfernte sich wieder.
Diesmal nahm Kathy sich viel Zeit. Sie wollte nicht noch mal getäuscht werden. Erneut war ein Wagen zu hören, und dann erklang eine sattsam bekannte, grollende Stimme, die nur einer Agatha Simpson gehören konnte. Die Detektivin beschwerte sich unüberhörbar und mäkelte an dem Fahrstil ihres Butlers herum. »Wir wären längst hier, Mr. Parker«, sagte sie gerade unwillig. »Aber Sie bestanden ja darauf, den Wagen selbst zu steuern. Hoffentlich war das nicht ein entscheidender Fehler!« * »Es war ein Fehler!« Lady Simpson und Josuah Parker, die inzwischen den Anglersteg erreicht hatten, blieben sofort stehen. Man brauchte sie gar nicht aufzufordern, die Arme zu heben. Sie taten es freiwillig. Sie wußten, was diese Stimme und Feststellung zu bedeuten hatten. »Irgendwann geht jeder mal in die Falle«, redete die Stimme weiter und nahm einen ironischen Unterton an. »So sieht man sich wieder, Lady Simpson.« »Ich hoffe, daß ich mich umdrehen darf, Sir Lester!« Agatha Simpson wartete die Erlaubnis allerdings nicht ab, sondern wandte sich um und sah sich tatsächlich ihrem Gastgeber gegenüber. Lester Mint war ein etwas dicklicher Mann von fünfundfünfzig Jahren. Er war mittelgroß, hatte ein fleischiges Gesicht und rosige Wangen. Er trug einen Jagdanzug und sah eigentlich recht zivil und friedlich aus. Einen eiskalten Mörder und Gangster hätte man in diesem Mann bestimmt nicht vermutet.
Neben ihm stand die große und schlanke Frau in einem noch triefend nassen Trikot. Sie hielt eine Maschinenpistole in Händen, während Sir Lester sich mit einem Jagdgewehr begnügte. »Sie sind ja noch nicht mal überrascht?« wunderte sich Agatha Simpsons Gastgeber. »Sie sind also der berüchtigte Commander!« Lady Simpson kniff die Augen zusammen. »Es war ihr verdammter Geiz, Mylady«, antwortete Sir Lester leichthin und lächelte. »Sie ersticken in Geld, aber sie hatten noch nicht mal hunderttausend Pfund für mich übrig, um mich vor der Pleite zu bewahren. Da mußte ich eben den Postzug räumen.« »Reden Sie keinen Unsinn, junger Mann!« Agatha Simpsons Stimme grollte. »Diesen Coup hatten Sie von langer Hand vorbereitet. Geben Sie es schon zu! Solch eine Bande, wie Sie sie aufgezogen haben, stellt man niemals in ein paar Tagen zusammen. Der Überfall auf den Zug hatte mit Ihrem Pumpversuch überhaupt nichts zu tun.« »Stimmt, Mylady«, räumte Sir Lester' auflachend ein. »Tja, was machen wir jetzt mit Ihnen? Sie wissen natürlich zuviel.« »Aber nicht alles!« »Sie spielen auf meine Teilbeute an? Lady Agatha, das Versteck erfahre ich innerhalb der nächsten Viertelstunde, wollen wir wetten?« »Und sobald Sie es kennen, werden Sie meinen Butler und mich töten, nicht wahr? « »Weil ich einen gewissen Vorsprung brauche, um England zu verlassen. Das müssen Sie verstehen! Es geht um meine Haut.«
»Wem sagen Sie das!« Eigentlich hätte Sir Lester jetzt ein wenig stutzen müssen. Lady Simpsons Stimme hatte einen schadenfrohen Unterton angenommen. Sie sah nämlich mehr als Sir Lester. Sie und Butler Parker hatten bereits den Mann zur Kenntnis genommen, der sich aus dem Unterholz hervorstahl. Er hielt eine Pistole in der rechten Hand. Auf dem Lauf der Waffe befand sich ein Schalldämpfer modernster Bauart. »Achtung!« rief Parker mahnend. »Hinter Ihnen steht Ihr Mörder!« Sir Lester reagierte überhaupt nicht. Das heißt, er lächelte ironisch und schüttelte dazu den Kopf. »Kommen Sie mir doch nicht mit diesen Mätzchen«, sagte er dann. »Darauf fällt nicht mal ein Gimpel herein.« Bruchteile von Sekunden später erhielt er einen harten Schlag, ging in die Knie und fiel dann der Länge nach auf den Angelsteg. Er war noch nicht tot. Er schaute hoch zu der schlanken, großen Frau, die sich ebenfalls umgewandt hatte, aber nicht im Traum daran dachte, auf den Mann zu schießen. Ja, sie lächelte amüsiert und triumphierend. »Begriffen?« fragte sie dann bösartig und beugte sich zu Sir Lester hinunter. »Endlich kapiert, Lester?« * »Ich sollte wohl unterstellen, daß Sie von Beginn an planten, ihre Partner aus dem Weg zu räumen, nicht wahr?« Parker hatte die Arme längst herunter genommen und stand den Geschwistern Gilda und Will Corby gegenüber.
»Sie sind ein kluges Kerlchen«, erwiderte Will Corby und nickte. »Wer teilt schon, wenn er nicht unbedingt muß?« »Sie sind auch keine Geschwister«, stellte Agatha Simpson grimmig fest. »Sie hätten Einstein Konkurrenz machen können«, meinte Will Corby ironisch. »Sie haben Sir Lester und all die anderen sehr gründlich hereingelegt«, sagte die ältere Dame grimmig. »Wahrscheinlich haben Sie Sir Lester das alles eingeredet. « »Da sind Sie auf dem Holzweg, Lady«, antwortete Will Corby und schüttelte den Kopf. »Stellen Sie diesen Lester bloß nicht als halbes Unschuldslamm hin! Er hatte die Idee mit dem Postzug. Der Bursche war ganz schön raffiniert, fast schon ein Profi.« »Aber Sie sind keine Geschwister.« Wenigstens in einem Punkt wollte die Detektivin recht haben. »Nee, wir sind verheiratet«, lautete die Antwort. »Und in längstens einer Stunde sind wir ganz schön aus dem Schneider. Mit zweihunderttausend Pfund kann man sich schon helfen.« »Darf ich erfahren, ob der angebliche Captain auch auf Ihr Konto geht?« Parker übernahm nun wieder die Befragung. »Der geht auch auf mein Konto.« Will Corby nickte zustimmend. »Der Trottel war tatsächlich bei der Armee. Der hat uns den ganzen militärischen Kram besorgt. Sonst noch Fragen? Ich denke, wir sollten uns jetzt das Geld holen.« »Es befindet sich keinesfalls hier im Waldsee«, entgegnete der Butler. »Das ist mir inzwischen klar. Wohin werden wir also fahren?«
»Zur Brückenbaustelle«, sagte Josuah Parker. »Hoffentlich ist der bewußte Pfeiler inzwischen nicht schon mit Beton zugeschüttet worden.« »Sie haben die Postsäcke und die Goldkiste in einen Brückenpfeiler gekippt?« Will Corby geriet in leichte Erregung. »Dies schien mir das beste Versteck zu sein.« »Mann, wenn das wieder ein Trick ist!« »Sowenig ein Trick, wie der Biß in Ihrem Nacken echt ist«, meinte Josuah Parker und spielte auf das Pflaster im Genick des Mörders an, für den Kathy Porter verantwortlich war. Damit war für den Butler die Unterhaltung beendet. Er hatte die ganze Zeit über mehr gesehen als Gilda und Will Corby. Kathy Porter hatte ihr Versteck im Schilf verlassen und sich dem Butler kurz gezeigt. Danach war sie weggetaucht und wieder verschwunden. Der Butler ahnte jedoch, was seine gelehrige Schülerin plante. Sie würde versuchen, das tödliche Blatt noch mal zu wenden. Und sie wendete es! Plötzlich ging eine recht deutliche Erschütterung durch den brüchigen und morschen Holzsteg. Das faule Holz brach weg und kippte zur Seite. Natürlich wollte Will Corby schießen, doch Josuah Parker nutzte die Verwirrung, um erst mal Lady Agatha in Sicherheit zu bringen. Er besorgte das auf eine sehr einfache, aber wirkungsvolle Art. Er versetzte ihr einen Stoß, worauf seine Herrin die Arme hoch in die Luft warf und dann rücklings ins aufklatschende Wasser fiel.
Ihr fülliger Körper produzierte dabei eine beachtliche Flutwelle, die den morschen Steg zusätzlich erfaßte und restlos einstürzen ließ. Bruchteile von Sekunden später lagen Will und Gilda Corby ebenfalls im Wasser. Josuah Parker hatte das Glück, auf einem kleinen Teilstück des Stegs stehenbleiben zu können. Er strengte sich nicht mehr sonderlich an. Er langte mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms zweimal nachdrücklich zu. Darauf trieben Will und Gilda Corby bewußtlos im Wasser und brauchten von Kathy nur noch an Land gezogen werden. »Das haben Sie absichtlich getan«, schimpfte Lady Agatha, die ans Ufer watete. Sie sah aus wie eine korpulente Seejungfrau. Wasserpflanzen krönten ihren Hut und verliehen ihm einen fast koketten Anstrich. »Über diesen Anschlag werden wir uns noch unterhalten, Mr. Parker.« »Wie Mylady befehlen«, erwiderte Josuah Parker, während er inzwischen Kathy half, die beiden Gangster hinauf ins Trockene zu ziehen. »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit übrigens recht zerknirscht, worauf ich besonders aufmerksam machen möchte.« * »Fahren wir endlich zur Brückenbaustelle, Mr. Parker«, sagte die Detektivin wenig später, als sie neben Parkers hochbeinigem Monstrum standen. »Und dann zu Chief-Inspektor Garron. Wir werden ihm einen gelösten Fall auf den Tisch legen.« »Darf ich mir erlauben, Mylady von einer Fahrt zur Brückenbaustelle abzu-
raten?« fragte der Butler gemessen und höflich, wie es seiner Art entsprach. »Warum denn das? Moment, Mr. Parker, soll das heißen, daß die Beute sich dort gar nicht befindet? « »Ich muß es leider gestehen, Mylady. Ich war so frei, mir ein Ersatzversteck auszusuchen.« »Nämlich? Jetzt möchte ich aber endlich die Wahrheit erfahren.« »Die drei begehrten Postsäcke und die Goldkiste befinden sich auf der Müllhalde der Armee, Mylady.« »Das müssen Sie mir noch mal sagen.« Sie musterte ihn mit grimmigen Blicken. »Dieses Versteck schien mir besonders sicher zu sein, Mylady«, antwortete der Butler. »Wer sucht schon auf einer Müllhalde nach einem Vermögen? Von dieser Grundüberlegung erlaubte ich mir auszugehen.« »Ich werde Ihnen in Zukunft kein Wort mehr glauben, Mr. Parker.« »Mylady würden meine bescheidene Person sehr unglücklich machen«, gab der Butler zurück. »Normalerweise pflege ich mich fast immer einigermaßen an die Wahrheit zu halten, sofern ich sie zu erkennen vermag, wie ich einschränkend hinzufügen müßte.« »Fahren wir«, sagte Parkers Herrin und zupfte sich die letzten Sumpf- und Wasserpflanzen vom Hut. »Chief-Inspektor Garron soll den Rest erledigen und Geld und Gangster einsammeln. Wir werden Waiden Castle noch heute verlassen. Dieses Landleben ist auf die Dauer doch recht eintönig. Hier draußen passiert einfach nichts, was einen ablenken könnte.« »Wie Mylady meinen und befehlen.« Parker tauschte mit Kathy Porter einen
schnellen Blick und nahm sich dann die Freiheit, andeutungsweise zu lächeln. Ihm war klar, daß seine Herrin sich be-
reits nach dem nächsten Kriminalfall sehnte. Ihm erging es ja kaum anders .. . ENDE
scan: crazy2001 @ 08/2011 corrected: santos22
Günter Dönges schrieb für Sie den nächsten
Nr. 157
Parker stellt den Profi-Killer Lady Agatha Simpson geriet in Unruhe, als sich in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis einige überraschende Todesfälle ereigneten. An sich recht gesunde Menschen kamen bei verschiedenen Gelegenheiten um, und in allen Fällen geschah das während sportlicher Betätigung, die an sich nicht gerade als besonders gefährlich zu bezeichnen war. Die kriegerische Dame witterte also prompt einen neuen Kriminalfall und einen aufregenden Stoff für ihren geplanten Bestseller. Butler Parker mußte wieder mal mitmachen, ob er wollte oder nicht. Er konnte seine resolute Herrin schließlich nicht ins Verderben laufen lassen. Notgedrungen schaltete er sich ein und befaßte sich mit den ersten Ermittlungen, die einem Griff ins Wespennest glichen. Über Nacht wurde er zum bevorzugten Wild eines raffinierten Profi-Killers, der einfach nicht zu fassen war. Erst als Kathy Porter sich einschaltete und über eine gewisse Adresse recht unseriöse Wünsche offenbarte, konnten Lady Agatha und ihr Butler zuschlagen und dem Profi-Killer das Handwerk legen. Der Zauberkreis-Verlag legt einen neuen Parker-Krimi vor mit Hochspannung, Witz und spannender Aktion. Kenner lieben Parker und werden sich auch diesen Parker-Krimi auf keinen Fall entgehen lassen.#
Als Neuauflage erscheint Butler Parker Nr. 125
PARKER reizt den »Mann im Frack« ebenfalls von Günter Dönges