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PARKER polt den »Rächer « um Ein Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges Butler Parker sah alles derart deutlich, als würde der harmlos aussehende Vorfall sich in Zeitlupe abspielen. Der seriös aussehende, etwa fünfzig Jahre alte Herr, war ins Stolpern geraten und fiel gegen einen zweiten, ebenfalls seriös aussehenden Passanten, der ein wenig indigniert war, dann jedoch half und den Fall verhinderte. Dabei wechselte die Brieftasche den Besitzer, wie nur ein geschickter Taschendieb sein Metier verstand. Er entschuldigte sich höflich und ging ein wenig unsicher weiter. Der Bestohlene, der überhaupt nichts gemerkt hatte, unterhielt sich inzwischen wieder mit dem jungen Mann, der offenbar sein Sekretär war. Butler Parker, ein Mann undefinierbaren Alters, etwas über mittelgroß, fast schlank, trug den gewohnten schwarzen Zweireiher, die schwarze Melone und hatte sich über den angewinkelten linken Unterarm den Bambusgriff seines altväterlich gebundenen Regenschirms gelegt. Parker war ein Butler, wie er in seiner schon rein äußeren Perfektion eigentlich nur noch in einschlägigen Filmen zu sehen war. Er hatte das undurchdringliche Gesicht eines passionierten Pokerspielers und zeichnete sich in seinen Bewegungen durch Gemessenheit und Würde aus.
Der Taschendieb blieb angewurzelt stehen, als Josuah Parker plötzlich vor ihm stand. »Ich erlaube mir, Mr. Poll, Ihnen einen wunderschönen Tag zu wünschen«, sagte Parker und lüftete höflich seine schwarze Melone. »Mr. Parker?« fragte der Taschendieb und schluckte nervös. »Ein später Nachmittag hier in London, wie man ihn nur selten in dieser Schönheit findet«, redete Parker weiter. »Ich darf doch wohl davon ausgehen, daß die Brieftasche aus echtem Krokoleder ist?« »Wo .. .Wovon reden Sie eigentlich?« fragte Stan Poll und wurde noch nervöser. »Falls Sie einverstanden sind, werde ich die bewußte Brieftasche an den rechtmäßigen Eigentümer zurückgeben«, schlug Josuah Parker gemessen vor. »Ich bin sicher, daß Sie mit meinem Vorschlag übereinstimmen werden, Mr. Poll.« »Bin ich so schlecht gewesen?« fragte der Taschendieb bestürzt. »Auf keinen Fall, Mr. Poll«, beruhigte Parker den Mann, den er recht gut kannte. »Ihre Fertigkeiten stehen immer noch auf hohem Niveau, wenn ich es so ausdrücken darf. Für die nähere Zukunft brauchen Sie keinerlei Befürchtungen zu hegen.« »Mein Pech, daß ausgerechnet Sie hier im Flughafen sind, Mr. Parker.«
Stan Poll reichte dem Butler eine zusammengeknüllte Zeitung, in der sich inzwischen die gestohlene Brieftasche befand. »Werden Sie noch länger bleiben?« »Ich erlaube mir, auf eine Maschine aus New York zu warten«, gab Butler Parker zurück. »Na, die kommt ja schon in knapp fünfzehn Minuten, Mr. Parker. Ich werde solange 'rüber in die Snackbar gehen.« »Sie haben die Taschenuhr des Herrn vergessen, Mr. Poll«, erinnerte Parker höflich. »Richtig.« Stan Poll bekam einen leicht roten Kopf und ließ dann auch noch die goldene Sprungdeckeluhr des Bestohlenen in die Zeitung gleiten. »Reine Vergeßlichkeit.« »Natürlich, Mr. Poll.« Josuah Parker schritt gemessen von dannen und näherte sich dem Bestohlenen. Er wußte, daß er diesen Mann schon mal gesehen hatte, konnte ihn jedoch im Augenblick nicht einordnen. Als er ihm gegenüberstand, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Er hatte es mit Bruce Laudingham zu tun, über den die Zeitungen in den vergangenen Wochen immer wieder berichtet hatten. »Ich bitte um Verzeihung, Sir«, schickte Parker voraus und öffnete dabei die Zeitung, »diese beiden Gegenstände dürften Ihnen gehören, wenn ich nicht sehr irre.« »Meine Brieftasche! Meine Uhr!« Bruce Laudingham sah den Butler verblüfft an. »Wie kommen denn Sie ...« »Mein Name ist Parker, Sir, Josuah Parker«, erwiderte der Butler, der dann allerdings nicht weiterreden konnte. Der junge, drahtige Begleiter
Laudinghams reagierte aggressiv und schnell. Er griff blitzschnell mit beiden Händen nach den Aufschlägen von Parkers schwarzem Zweireiher. Genauer gesagt, er wollte danach greifen, doch dazu kam es nicht. Der altmodische Bambusgriff des Regenschirms schob sich wie durch Zauberei unter das massive Kinn des jungen Mannes, der daraufhin unsicher auf den Beinen stand, während ihm die Tränen in die Augen schossen. Das Blei im Bambusgriff des Regenschirms wirkte sehr nachhaltig. »Man sollte sich doch zivilisiert benehmen«, schlug Parker höflich vor, um sich dann wieder Mr. Bruce Laudingham zu widmen. »Brieftasche und Uhr wechselten irrtümlich den Besitzer, Sir. Ich konnte den Taschendieb vom Unrecht seiner Handlungsweise überzeugen.« »Schon gut, schon gut«, meinte Laudingham abwinkend. »Ah, vielen Dank! Kann ich mich erkenntlich zeigen?« »Keineswegs und mitnichten, Sir«, gab Parker würdevoll zurück. »Sind Sie übrigens sicher, den richtigen Mann verpflichtet zu haben? Hoffentlich besitzt er einen Waffenschein.« Parker lüftete höflich die Melone und schritt gemessen davon, während der junge, drahtige Mann verblüfft nach seiner Schulterhalfter griff und sich vergewisserte, ob die Faustfeuerwaffe noch vorhanden war. Er atmete erleichtert auf, als er das kühle Metall spürte. *
»Ich möchte mir erlauben, Sir, meiner tiefen Freude Ausdruck zu verleihen.« Josuah Parker stand einem schlanken Mann gegenüber, der etwas größer war als er. Der Vierzigjährige trug einen schwarzen Blazer zu grauen Flanellhosen und machte einen sportlichen Eindruck. Er hatte volles, braunes Haar und braune Augen, die ein wenig gerührt wirkten. »Mensch, Parker«, sagte der Mann und trat einen halben Schritt zurück, um den Butler genau zu betrachten. »Sie haben sich ja überhaupt nicht verändert!« »Darf ich mich erkühnen, Sir, dieses Kompliment zurückzugeben?« Parker bemühte sich sichtlich um Würde und. Haltung. »Wir haben uns seit einer kleinen Ewigkeit nicht mehr gesehen, Parker. Wie geht es Ihnen?« »Man erfreut sich bester Gesundheit, Sir. Darf ich das auch bei Ihnen voraussetzen und unterstellen?« »Alles bestens, Parker!« Mike Rander lächelte. »Und ich hatte schon Sorge, Lady Simpson hätte Sie geschafft.« »Mylady ist in der Tat nicht immer einfach zu behandeln, Sir, aber die Zusammenarbeit kann nur als erfreulich bezeichnet werden.« Josuah Parker war inzwischen wieder seiner Gefühle Herr geworden. Immerhin stand er jenem Mann gegenüber, dem er jahrelang ButlerDienste geleistet hatte. Zusammen mit ihm erlebte er manches Abenteuer und löste er viele Kriminalfälle. Mike Rander, ein ausgezeichneter Anwalt, war vor Jahren in die Staaten gefahren, um dort Sozius in einem amerikanischen Anwaltsbüro zu
werden. Nun kehrte er nach England zurück, um hier wieder eine Praxis zu eröffnen. Mike Rander, Junggeselle aus Passion, war finanziell unabhängig und im Grund ein großer, neugieriger Junge geblieben. Mit Agatha Simpson eng befreundet, hatte er seinerzeit Parker gebeten, sich um die ältere Dame zu kümmern. Seine plötzliche Rückkehr nach England hatte er erst vor wenigen Tagen per Telegramm angekündigt. »Ich möchte nicht versäumen, Sir, Grüße von Mylady auszurichten«, sagte Josuah Parker. »Mylady verzichtete bewußt darauf, Sie, Sir, hier am Flugplatz abzuholen.« »Ja, ich weiß, hin und wieder kann sie tatsächlich sehr rücksichtsvoll sein«, spottete Mike Rander. »Was haben Sie, Parker? Irgend etwas nicht in Ordnung?« »Verzeihung, Sir, meine bescheidene Wenigkeit wurde abgelenkt.« Parker beobachtete einen schlanken Mann von etwa dreißig Jahren, der auf den seriösen Herrn zuging, dem Brieftasche und Uhr gestohlen worden waren. »Darf ich fragen, Sir, ob der Herr dort mit Ihnen aus den Staaten gekommen ist?« »Doch - ja, stimmt. Und was ist mit ihm?« »Es scheint sich um das zu handeln, Sir, was man einen Profi nennt.« »Stimmt, Parker.« Mike Rander hatte den Dreißigjährigen blitzschnell gemustert und nickte. »Sogar ein waschechter Profi. Wie ein Panther kurz vor dem Sprung.« »Ein treffender Vergleich, Sir, wenn mir diese Bemerkung gestattet ist.« »Und wer ist der Herr neben dem anderen Burschen?«
»Ein gewisser Mr. Bruce Laudingham, Sir.« »Sind Sie etwa irgendeiner Sache auf der Spur, Parker?« Mike Rander winkte ab. »Streichen Sie das wenigstens für heute! Ich hoffe, Sie haben mir eine Menge zu erzählen. Lady Simpson hat wahrscheinlich schon über mich verfügt, oder?« »Mylady traf in der Tat gewisse Vorbereitungen, Sir«, gab Josuah Parker zu. »Darf ich mir erlauben, mich um das Gepäck zu kümmern, Sir?« »Ich habe nur einen kleinen Koffer. Kommen Sie, Parker, erzählen Sie endlich! Was machen die Gauner und Gangster in London? Ist hier im guten alten England überhaupt noch etwas los?« »Falls Sie sich kriminalistisch zu betätigen wünschen, Sir, werden Sie voll auf Ihre Kosten kommen«, versprach der Butler. »Gewisse Praktiken, wie sie in den Staaten üblich sind, haben inzwischen ihren Weg nach England gefunden.« »Nee, Parker, Detektivarbeit ist nicht mehr«, antwortete Mike Rander. »Man kommt in die Jahre und wird automatisch ruhiger und gesetzter.« »Wie Sie zu meinen wünschen, Sir.« »Mein Bedarf an Abenteuern ist gedeckt, Parker. Vergessen Sie die alten Zeiten!« »Ich werde mich bemühen, Sir.« Parke nickte andeutungsweise, als er zusammen mit Mike Rander zur Gepäckausgabe schritt. Er richtete es so ein, daß er neben den Dreißigjährigen zu stehen kam, der zusammen mit Anwalt Mike Rander aus den Staaten gekommen war.
Der Anwalt lächelte neutral, als Parker umständlich nach dem Koffer langte. Er stieß mit dem Dreißigjährigen zusammen, drückte ihn gegen andere Fluggäste und entschuldigte sich dann wortreich. Der Mann reagierte nur für einen Augenblick gereizt, hatte sich dann aber sofort wieder unter Kontrolle und winkte lässig ab, als Parker sich wortreich entschuldigte. »Ihre Fingerfertigkeit ist noch besser geworden, Parker«, sagte Mike Rander anerkennend, als er mit dem Butler zur Zollkontrolle ging. »Warum haben Sie dem Burschen die Brieftasche abgenommen?« »Sie sind noch keineswegs aus der Übung, Sir«, freute sich Parker andeutungsweise. »Was Ihre Frage betrifft, so möchte ich wissen, warum ein seriöser Mann wie Mr. Bruce Laudingham sich aus den Staaten einen Profi kommen läßt. Damit scheinen sich Entwicklungen anzukündigen, die ich als nicht sonderlich glücklich bezeichnen möchte!« * »Versuchen Sie erst gar nicht, Parker, mich nach alter Manier für einen Kriminalfall zu begeistern«, sagte Anwalt Mike Rander und lächelte amüsiert. »Sie mögen sich nicht geändert haben - aber ich! Diese Masche zieht nicht mehr bei mir. Ich bin seriös geworden.« »Die Herren trennen sich eindeutig, Sir.« Parker deutete auf Bruce Laudingham, der sich draußen vor dem Flughafengebäude von dem Dreißigjährigen knapp verabschiedete. Dieser Mann winkte ein Taxi herbei
und stieg in den Wagen, während Bruce Laudingham und sein jüngerer Begleiter zu einem Rolls-Royce gingen, der in der Nähe des Haupteingangs stand. »Wer ist eigentlich dieser Laudingham, Mr. Parker?« fragte Mike Rander, als er zu dem hochbeinigen Monstrum des Butlers schritt und davor beeindruckt stehen blieb. »Warten Sie mit der Antwort! Der Wagen hat sich ja ebenfalls überhaupt nicht verändert. Die Zeit scheint eine Pause gemacht zu haben.« »Technisch wurde mein bescheidener Wagen selbstverständlich auf den neuesten Stand gebracht«, antwortete Parker höflich. »Er verfügt inzwischen über Zusatzeinrichtungen, die Ihnen ganz sicher neu sind.« »Ich werde diese Zusatzeinrichtungen nicht studieren können, Mr. Parker«, sagte Anwalt Rander und nahm im Fond des Wagens Platz. Es handelte sich um ein ehemaliges, altes Londoner Taxi, das von Eingeweihten eine raffinierte Trickkiste auf Rädern genannt wurde. »Darf ich einer gewissen Betrübnis Ausdruck verleihen, Sir?« fragte der Butler, als er anfuhr. Er folgte wie selbstverständlich dem Taxi, in dem der Dreißigjährige aus den Staaten saß. »Wieso? Habe ich Ihnen auf die Zehen getreten?« »Sie setzten seit einigen Minuten ein >Mr.< vor meinen Namen, Sir.« »Sie sind nicht mehr mein Butler, Mr. Parker«, erinnerte Rander und lachte leise. »Sie sollten sich möglichst umgehend daran erinnern. Die guten alten Zeiten sind vorbei.«
»Sie machen meine bescheidene Person betroffen, Sir.« Parkers Gesicht blieb natürlich auch jetzt ausdruckslos. »Um auf erwähnten Mr. Laudingham zu kommen, Sir, so wäre zu vermelden, daß seine beiden Töchter im Alter von achtzehn und zwanzig Jahren erst vor wenigen Wochen auf tragische Art und Weise zu Tode kamen.« »Scheußliche Sache, Mr. Parker. Und darum läßt er sich einen Profi aus den Staaten kommen?« »Er wird auch von einem jungen Mann begleitet, der einen Revolver in der Schulterhalfter trägt.« »Wie paßt das alles zusammen?« Mike Rander merkte erst mit einiger Verspätung, daß Parker es wieder mal geschafft hatte, ihn fast für einen Kriminalfall zu interessieren. »Stop, Mr. Parker, ich verzichte auf eine Antwort! Wenn, dann soll Lady Simpson sich um diese Dinge kümmern, ich bin als Amateurdetektiv nicht mehr zu aktivieren.« »Wie Sie meinen, Sir, ich werde Ihren Wunsch selbstverständlich respektieren.« »Ich werde mir eine hübsche Wohnung suchen, eine Praxis einrichten und nur noch als Anwalt arbeiten.« »Sie werden mit Sicherheit einige große amerikanische Firmen hier in London juristisch betreuen, Sir?« »Richtig, Mr. Parker.« »Für eine Wohnung wäre bereits gesorgt, Sir. Mylady wartet mit einiger Spannung darauf, wie Ihnen das Haus gefallen wird.« »Welches Haus, Mr. Parker?« Mike Rander beugte sich verblüfft vor. »Es handelt sich um ein Haus ganz in der Nähe von Shepherd's Market,
Sir, wo Mylady ihren Stadtwohnsitz hat. Im Erdgeschoß dieses Hauses befand sich noch vor kurzem ebenfalls eine Anwaltskanzlei, deren Besitzer aus Altersgründen das segnete, was man gemeinhin das Zeitliche zu nennen pflegt. Ich war so frei, dieses Haus im Sinn des neuen Bewohners ein wenig herzurichten.« »Das wird ja immer besser.« Mike Rander ließ sich wieder zurücksinken, »man scheint mich bereits verplant zu haben.« »Dieses Haus wird Ihnen, Sir, mit Sicherheit zusagen. Es handelt sich zudem um eine erstklassige Adresse.« »Die Sie aber nicht ansteuern, Mr. Parker. So gut kenne ich mich in London noch immer aus! Wohin fahren Sie eigentlich?« »Ich erlaube mir, jenem Mann zu folgen, der eindeutig auf eine Einladung Mr. Laudinghams nach London gekommen sein dürfte, Sir. Es ist immer gut zu wissen, wo gewisse Profis ihr Domizil haben.« * »Ich freue mich«, sagte Agatha Simpson und musterte Mike Rander ausgiebig. »Irgendwie haben Sie sich verändert, Mike. Amerika scheint auf Sie abgefärbt zu haben.« Lady Agatha Simpson, eine stattlich aussehende Dame undefinierbaren Alters, an eine Walküre aus einer Wagneroper erinnernd, war eine immens vermögende Frau, die sich praktisch jede Skurrilität leisten konnte. Mit dem Blut- und Geldadel der Insel verschwistert und verschwägert, seit vielen Jahren Witwe, war sie berühmt-berüchtigt
wegen ihrer Ungeniertheit und Robustheit: Sie war auf jeden Fall über sechzig, spielte aber noch mit Leidenschaft Golf und beteiligte sich an Wettbewerben für Sportbogenschießen. Was die letztere Sportart betraf, so war die Lady für ihre Kraft und Phantasie gefürchtet. Sie wählte zum Leidwesen der übrigen Teilnehmer oft andere Ziele als die, die man aufgebaut hatte. Die passionierte Detektivin trug an diesem späten Nachmittag eines ihrer weiten Tweedkostüme, die in Falten und fast sackartig an ihrem Körper hingen. Lady Agatha liebte die Bequemlichkeit über alles, was ihre Kleidung betraf. Ansonsten aber war sie unentwegt in Aktion und tappte von einem Fettnäpfchen ins andere. Sie war nicht nur Amateurdetektivin aus Leidenschaft, sondern schrieb seit langer Zeit auch an einem Bestseller, mit dem sie eine gewisse Agatha Christie in den Schatten stellen wollte. Nun, sie hatte sich zwar von Butler Parker in ihrem Stadthaus in Shepherd's Market ein Studio einrichten lassen und verfügte über sämtliches Büromaterial, das gut und teuer war, jedoch über die Anfangszeile ihres Bestsellers war sie noch nicht hinausgekommen. Genauer gesagt, sie hatte sich bisher noch nicht mal für einen Arbeitstitel entscheiden können. Sie kannte den Anwalt natürlich gut und mochte ihn. Und sie hatte ihn bereits verplant, wie Mike Rander es im Wagen des Butlers vermutet hatte. »Sie sehen blendend aus, Mylady«, meinte Rander und ließ sich widerstandslos an ihren mächtigen Busen ziehen.
»Nun ja, das ist rein äußerlich«, erwiderte die resolute Dame, »mein Kreislauf ist nach wie vor in Unordnung, aber das ist kein Wunder, wenn man von einem Butler namens Parker betreut wird.« »Wie ich hörte, haben Sie im Lauf der Zeit viele Kriminalfälle gelöst, Mylady.« »Und das, obwohl Mr. Parker daran mitwirkte«, entgegnete sie bissig. »Dieser Mann bringt mich mit seiner Korrektheit noch um.« »Was ich ungemein bedauern würde, Mylady«, schaltete Josuah Parker sich ein. »Sie wissen, daß ich für Sie bereits ein passendes Haus reserviert habe, Mike?« Sie nannte ihn ohne Umschweife beim Vornamen. Eine Frau ihres Kalibers konnte sich das leisten. »Möglich, daß ich dort einziehen werde«, sagte Rander vorsichtig. »Papperlapapp, mein Junge, natürlich werden Sie dort einziehen! Und selbstverständlich werden Sie ab sofort meine Vermögensverwaltung übernehmen. Konstruieren Sie irgendeine Geschäftsform, um alles unter Kontrolle zu bringen.« »Darf ich den Tee servieren, Mylady?« fragte Parker. »Und mein Kreislaufmittel«, fügte Agatha Simpson hinzu und nickte. »Kommen Sie, mein Junge, ich muß Ihnen noch Miß Porter vorstellen. Kindchen, wo stecken Sie denn?« Sie kam aus der Bibliothek des altehrwürdigen Fachwerkhauses, das auf den Gewölben einer mittelalterlichen Abtei stand. Kathy Porter war fünfundzwanzig, schlank und ein wenig über mittelgroß. Sie
hatte rotbraunes Haar in der Farbe reifer Kastanien und ein Gesicht, das ein wenig exotisch wirkte. Auf den ersten und zweiten Blick schien die junge Dame zurückhaltend, fast schüchtern. Sie war die Gesellschafterin und Sekretärin der Lady und genoß fast den Status einer Tochter des Hauses. »Ich freue mich«, sagte Mike Rander, der sie mit schnellem und kennerhaftem Blick musterte. »Sie werden sich noch zusätzlich freuen, mein Junge«, warf Lady Agatha ein. »Kathy wird auch für Sie tätig werden. Sie kennt sich in meinen Geschäften gut aus und wird Ihnen sicher eine erstklassige Hilfe sein.« »Muß ich mich abends abmelden, wenn ich mal ausgehen möchte?« fragte Mike Rander ironisch. »Ich hoffe, daß Sie uns dann mitnehmen«, erwiderte Agatha Simpson. »Hoffentlich bringen wenigstens Sie etwas Schwung in unser tristes Dasein. Mit Mr. Parker war da einfach nichts zu machen. Aber wem sage ich das? Sie kennen ihn ja. Am liebsten sitzt er in seinem Labor und tüftelt nutzlose Dinge aus, die hin und wieder auch mal funktionieren. Mike, ich darf und werde Sie so nennen, nicht wahr, Sie schickt der Himmel!« »Der Tee«, meldete Parker und deutete in den Salon des Hauses. »Darf ich übrigens bei dieser Gelegenheit vermelden, Sir, daß der von Mr. Laudingham offensichtlich engagierte Profi ein gewisser Hale Gatters ist?« »Ein Profi, Mr. Parker? Laudingham? Was zeichnet sich da ab?« »Möglicherweise ein neuer Fall, Mylady.«
»Sehr schön.« Sie nickte zufrieden. »Den werden wir mit vereinten Kräften lösen. Chief-Superintendent McWarden wird wieder mal Augen machen, hoffe ich.« »Um Mißverständnissen vorzubeugen, Mylady, ich interessiere mich grundsätzlich nicht mehr für Kriminalfälle«, gab Anwalt Mike Rander zu bedenken. »Ich möchte hiermit allen Anfängen wehren.« »Abwarten mein Junge, abwarten!« Die Hausherrin schob ihn nachdrücklich in den Salon. »Man soll nie nie sagen. Manchmal sind die Dinge stärker als unsere Wünsche. Sie ahnen ja nicht, wie sehr man hinter mir her ist!? Ich hoffe, daß Sie eine schützund hilflose Frau eines Tages nicht im Stich lassen werden.« Mike Rander verzichtete auf eine Antwort, lächelte neutral und musterte verstohlen Kathy Porter, die ihm ausnehmend gut gefiel. Er nahm sich gleichzeitig vor, jedem sich abzeichnenden Kriminalfall in einem möglichst weiten Bogen aus dem Weg zu gehen. Auch eine Agatha Simpson würde es nicht schaffen ihn in neue Abenteuer zu ziehen. Nein sie hatte da nicht die geringste Chance! Er wußte genau, was er wollte... * »Ihr Haus, Sir«, sagte Josuah Parker schon nach wenigen Minuten und deutete mit der Spitze seines UniversalRegenschirms auf einen behäbigen Backsteinbau in der nahen Curzon Street. »Es wird also keine Schwierigkeiten bereiten, Sie für die Zeit des Eingewöhnens ein-wenig zu betreuen.«
»Sie wollen mich betreuen, Mr. Parker?« Mike Rander schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich komme aus den Staaten, falls Sie das vergessen haben sollten. Ein Butler paßt nicht mehr zu mir.« »Das Haus ist vollständig eingerichtet, Sir«, redete Josuah Parker weiter, ohne auf den Einwand des Anwalts einzugehen. »Der bisherige Besitzer war ein begeisterter Segler. Die Einrichtung der privaten Räume erinnert deshalb an die einer riesigen Kapitänskajüte.« »Das Haus liegt verflixt nahe bei Shepherd's Market«, fand Mike Rander skeptisch. »Das riecht alles nach einem gesteuerten Zufall, Mr. Parker.« »Die Adresse für einen renommierten Anwalt könnte nicht besser sein, Sir«, pries Josuah Parker weiter das Haus an. »Man befindet sich in Mayfair, wenn ich darauf verweisen darf. Der Hyde Park liegt praktisch vor der Tür.« »Shepherd's Market ebenfalls«, fügte Rander hinzu. »Mr. Parker, ich denke, wir sollten uns möglichst bald mal zusammensetzen und gewisse Dinge besprechen. Ich habe ...« »Flossen hoch«, sagte in diesem Moment eine etwas heisere Stimme, die zu einem Filmschurken gepaßt hätte, »'rüber da in den Torweg!« Mike Rander war wirklich aus den Staaten gekommen und wußte, was solch eine Aufforderung bedeutete. Er ließ sich auf keine Diskussion ein und hob automatisch die Arme. Aber auch Parker kam dem Wunsch der heiseren Stimme nach. Dann schritt er gemessen zum nahen Torweg.
»Darf man fragen, ob Sie es vielleicht auf Bargeld oder Sachwerte abgesehen haben?« erkundigte sich Parker in seiner höflichen Art. »Auf eine ganz bestimmte Brieftasche«, lautete die Antwort. »Okay, Alterchen, war geschickt gemacht, das mit dem Ding draußen am Flugplatz, aber ich hab's trotzdem nicht gern.« »Demnach habe ich es mit Mr. Hale Gatters zu tun?« Parker hatte den Torweg erreicht und wandte sich langsam um. »Sie reagieren schneller, als ich zu erwarten hoffte.« Er stand dem Superprofi aus den Staaten gegenüber, der von Bruce Laudingham offensichtlich engagiert worden war. Mike Rander verhielt sich neutral und abwartend. Man merkte es ihm förmlich an, daß er sich in diese Affäre nicht hineinziehen lassen wollte. »Hören Sie jetzt genau zu, Parker«, sagte Hale Gatters eindringlich. »Drüben in den Staaten würde ich mit Ihnen Schlitten fahren, klar? Aber hier will ich keinen unnötigen Ärger haben. Ich gebe Ihnen einen Rat: Vergessen Sie mich, sobald Sie mir die Brieftasche zurückgegeben haben! Vergessen Sie mich gründlich! Und kümmern Sie sich nicht um Sachen, die Sie nichts angehen, sonst könnte das tödlich für Sie ausgehen!« »Ihre Brieftasche befindet sich in der Innentasche meines Zweireihers, Mr. Gatters. Ich habe sie vorsorglich mitgenommen.« »Sie ... Sie haben mit mir gerechnet?« Der Superprofi stutzte. »In der Tat, Mr. Gatters!« Parker nickte andeutungsweise. »Meiner bescheidenen Wenigkeit war klar, daß
Sie sich bei Mr. Laudingham nach meinem Namen erkundigen würden.« »Mann, Sie spielen ganz schön mit dem Feuer«, reagierte Hale Gatters gereizt. »Aber schön, das is' Ihr Bier. Wenn Sie mir noch mal in die Quere kommen, dann wird's knapp, klar?« »Sie dürfen versichert sein, Mr. Gatters, daß ich Sie keineswegs unterschätze«, erwiderte der Butler. »Räumen Sie mir die Möglichkeit ein, Ihnen die Brieftasche zurückzugeben?« »Natürlich.« Hale Gatters grinste. »Aber aus der Innentasche holt sie Ihr Begleiter. Und der reicht sie dann weiter, ist das klar? Mit Tricks kann man mir nicht kommen.« »In meiner linken Brusttasche, Sir«, sagte Parker, sich an Mike Rander wendend. »Es schmerzt mich tief, Ihnen Unannehmlichkeiten machen zu müssen.« Mike Rander äußerte sich nicht weiter dazu, langte vorsichtig in die bezeichnete Innentasche und zupfte die Brieftasche des Superprofis hervor, um die ein Gummiband geschoben war. »Legen Sie das Ding dort in die Mauernische!« Hale Gatters war tatsächlich ein Profi, wie sich zeigte. Er hielt auf Distanz und sorgte dafür, daß man ihn nicht überlisten konnte. »So, und jetzt ab durch die Mitte, Leute! Nicht umdrehen, sonst könnte es knallen!« Josuah Parker und Mike Rander verließen den Torweg und schritten weiter die Straße hinunter zu dem Backsteinbau, den Lady Simpson für den Anwalt bereitgestellt hatte. »Sie haben doch hoffentlich nicht erwartet, daß ich aktiv würde, wie?« fragte Mike Rander spöttisch.
»Mitnichten, Sir«, antwortete Parker gemessen, »dies wird die Brieftasche von sich aus besorgen. Ich war so frei, sie ein wenig zu präparieren!« * Der Butler hatte seinen Satz noch nicht ganz beendet, als ein erstickter Aufschrei zu vernehmen war, dem ein schepperndes Geräusch folgte. »Das dürfte die Faustfeuerwaffe gewesen sein, Sir«, deutete der Butler das Geräusch. Er war stehen geblieben und wandte sich langsam zum Torweg um. »Mr. Gatters wird im Moment ein wenig leiden, wenn ich es so umschreiben darf.« »Was haben Sie denn wieder angestellt, Parker?« fragte Mike Rander in der altvertrauten Form, ohne sich dessen bewußt zu werden. Er hatte auf die förmliche Anrede verzichtet. »Die beiden Hälften der Brieftasche, Sir, drückten eine kleine Spiralfeder zusammen, die sich nun entspannt haben dürfte. Damit muß ein wenig von dem Reizpulver in Mr. Gatters Gesicht und besonders in die Augen geraten sein.« Der Butler schritt gemessen zurück zum Torweg und wartete, bis der Superprofi aus der Dunkelheit taumelte und sich dabei die Augen rieb. Er nieste inzwischen in einer Art und Weise, daß es ihn fast von den Beinen riß. »Niesreiz und Tränenfluß werden sich bald geben, Mr. Gatters«, beruhigte Parker den Superprofi. »Sind Sie in der Lage und Verfassung, einige Ratschläge entgegenzunehmen?«
»Da ... Dafür werden Sie bluten, Parker«, schwor Hale Gatters und nieste, was den Wert seiner Drohung nun doch ein wenig minderte. »Dafür jage ich Sie durch die Hölle!« »Sollten Sie nicht das nächste Flugzeug nehmen und zurück in die Staaten fliegen?« schlug Parker vor. »Nach Lage der Dinge werden Sie hier in London kaum Erfolg haben. Sie haben es mit einheimischer Konkurrenz zu tun, Mr. Gatters. Darüber hinaus wird Mord in diesem Land recht empfindlich bestraft.« »Ich bring' Sie um, Parker!« Zur Abwechslung hustete Gatters jetzt ausgiebig. »Mit welchen Mitteln wollen Sie herausfinden, wer die gesuchten Täter sind?« redete Parker weiter. »Nach meiner bescheidenen Ansicht werden Sie mit Härte und Brutalität sogenannte Befragungen durchführen und fragwürdige Geständnisse erpressen, um dann zu morden. Ihre hiesigen Berufskollegen werden mit solchen Methoden nicht einverstanden sein. Sie schaffen nur unnötige Unruhe.« Hale Gatters nieste und hustete schon bedeutend weniger und konzentrierte sich auf Parker. »Wovon reden Sie eigentlich?« fragte er schließlich. »Von der privaten Rachekampagne, die Mr. Bruce Laudingham durchzuführen gedenkt.« »Ich ... Ich weiß nicht, was Sie wollen. Scheren Sie sich zum Teufel, Parker! Aber wir sprechen uns noch!« Er war ein Superprofi und konnte es natürlich nicht lassen. Er war auf Parker eingeschworen und sprang ihn urplötzlich an. Hale Gatters war unge-
mein schnell und benutzte seinen Kopf als Rammbock. Er hatte die erklärte Absicht, ihn in den Leib des Butlers zu jagen. Es blieb bei dieser Absicht... Josuah Parker bewegte sich mit der Eleganz eines Toreros einen halben Schritt zur Seite und ließ den Superprofi an sich vorbeibrausen. Gatters bekam das gar nicht mit, sondern raste inzwischen auf Mike Rander zu, der allerdings keine Lust hatte, sich rammen zu lassen. Der Anwalt reagierte gegen seinen Willen automatisch. Hale Gatters wurde vom linken Fuß des Mannes hart aus dem Kurs gebracht und gebremst. Er vollführte einen halben Salto und blieb dann auf dem Pflaster liegen, nachdem er etwa anderthalb Meter darüber hinweggeschliddert war, wobei sein Bauch als breite Kufe gedient hatte. »Ich möchte mich erkühnen, Sir, meinen tiefen Respekt zu bekunden«, sagte Josuah Parker und lüftete seine schwarze Melone. »Dieser Drehtritt aus der Hüfte heraus schafft meiner bescheidenen Ansicht nach nur ein Meister des Kung-Fu.« »Unsinn, das war reiner Zufall«, spielte Mike Rander die Sache herunter. »Kommen Sie, Mr. Parker, ich möchte nicht noch tiefer in diese Dinge hineingezogen werden. Ich will nur Anwalt sein, sonst nichts!« * Mike Rander war angenehm überrascht. Gegen seinen Willen mußte er zugeben, daß ihm das Haus recht gut gefiel. Die Einrichtung war männlich-
gediegen und bestand aus Mahagonimöbeln, die mal auf einem alter Segelklipper gestanden haben mußten. Es gab viel Messinggerät, wie man es auf Schiffen dieser Art noch antrifft. Die Ledersessel waren massig und bequem, die Teppiche echt und dick. Die Räume im Erdgeschoß, die die Anwaltskanzlei des Vorgängers bargen, schienen noch aus der Zeit der Queen Victoria zu stammen. Seriöser hätten die Räume eines englischen Anwalts gar nicht möbliert sein können. »Sie sind zufrieden, Sir?« erkundigte sich Josuah Parker. »Waren die Räume schon immer so eingerichtet, Mr. Parker? Oder haben Sie nachgeholfen?« »Ein wenig schon, Sir«, räumte der Butler ein. »Darf ich auf die Kellerräume verweisen? Sie befinden sich in einem ausgezeichneten Zustand.« »Kann ich sicher sein, daß es keinen geheimen und unterirdischen Gang gibt, der hinüber in Lady Simpsons Haus führt?« fragte der Anwalt mißtrauisch. »Solch einen Geheimgang gibt es nicht, Sir.« »Das beruhigt mich ungemein. Also gut, Mr. Parker, ich glaube, ich werde das Haus mieten. Über den Preis werde ich mich schon mit ihr einigen, denke ich.« »Mit Sicherheit, Sir.« Parker zeigte nicht, wie zufrieden er war. »Darf ich übrigens darauf verweisen, daß Sie meine bescheidene Wenigkeit über eine Privatleitung direkt erreichen können?« »Wozu sollte ich Sie erreichen wollen, Mr. Parker? Sie sind Lady
Simpsons Butler.« Mike Rander schüttelte lächelnd den Kopf. »Die Zeit der gemeinsamen Abenteuer ist vorüber.« »Dies war mir in der Tat entfallen, Sir.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an, während er auf einen der Telefonapparate deutete, die im Wohnraum und Salon standen. »Die gerade erwähnte Privatleitung wird frei, wenn Sie die Mittelschraube der Wählerscheibe eindrücken.« »Sie geben die Hoffnung wohl nie auf, wie?« »Es könnten Umstände eintreten, Sir, die meine bescheidene Anwesenheit eventuell notwendig erscheinen lassen. Ich darf in diesem Zusammenhang vielleicht auf den Gangster verweisen, der Ihnen möglicherweise gram sein könnte.« »Sie haben gehofft, daß er auf der Bildfläche erschien, nicht wahr?« Mike Rander lächelte und zündete sich eine Zigarette an. Er ließ sich im großen Wohnraum in einem Sessel nieder und nickte, als Parker einladend auf den halbrunden Wandtisch deutete, wo Flaschen und Gläser standen. »Erfreulicherweise ging meine bescheidene Rechnung auf, Sir. Ich darf betonen, daß es offensichtlich um Dinge geht, die mit einem normalen Kriminalfall nichts zu tun haben.« Während Parker das sagte, mixte er Mike Rander einen Whisky mit Soda, aber ohne Eis. »Also gut, ausnahmsweise, Parker«, Rander nahm das Glas entgegen und benutzte wieder die altvertraute Anrede. »Um was geht es eigentlich?« »Mr. Bruce Laudingham, Sir, ist ein recht bekannter und geschätzter Tee-
Importeur, dessen Frau vor Jahren verstarb. Mr. Laudingham hatte zwei Töchter im Alter von achtzehn und zwanzig Jahren mit Namen Jane und Helen. Beide junge Damen studierten hier in London Sprachen und wurden vor etwa zweieinhalb Wochen ermordet aufgefunden.« »Wo, Mr. Parker?« erkundigte sich Mike Rander. »Wohnten die beiden Mädchen im Haus ihres Vaters?« »Nein, Sir, sie hatten eine gemeinsame Wohnung in der Nähe der BBC, genauer gesagt, in der Cleveland Street. Die jungen Damen arbeiteten neben ihrem Studium als freie Mitarbeiterinnen für die Rundfunkgesellschaft und speziell für deren Auslandsdienste.« »Sie wurden also ermordet.« Mike Rander nippte an seinem Drink. »Auf welche Art und Weise?« »Zuerst glaubten die zuständigen Behörden an ein normales Erdrosseln, Sir, später wurden dann aber Drogen in solchen Mengen gefunden, daß auch dadurch der Tod eingetreten sein könnte.« »Drogen welcher Art, Mr. Parker?« »Es handelt sich um sogenannte Amphetamine oder auch Weckamine, Sir, allgemein als Schnellmacher oder auch Speeds bezeichnet.« »Ja, ich kenne das Zeug aus den Staaten her«, antwortete Anwalt Rander. »Man bekommt es ohne Schwierigkeiten, wenn man sich zum Beispiel Appetitzügler oder Schlankmacher verschreiben läßt. Diese Pillen sind teuflisch gefährlich.« »Die beiden jungen Damen gehörten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch nicht mal in die Nähe der Drogenszene, Sir. Und sie
nahmen nachweislich auch keine Appetitzügler, die man in ihren Mägen fand.« »Und wie ist das Zeug dann hineingekommen?« »Dieser Frage, Sir, dürfte Mr. Bruce Laudingham nachgehen wollen, wie zu vermuten ich mir erlaube. Wahrscheinlich hofft er, auf diese Art und Weise die Mörder seiner Töchter zu finden.« »Nach der Art: Ein Mann sieht rot, nicht wahr?« »Mit einem privaten Rache- und Vergeltungsfeldzug ist in diesem Fall durchaus zu rechnen, Sir. Warum sollte ein seriöser Mann wie Mr. Laudingham, sich sonst an einen Profi aus den Staaten gewandt haben? Hier dürfte mit einem wahren Massaker zu rechnen sein.« »Wie kommen Sie denn darauf, Mr. Parker?« »Der Profi aus den Staaten wird ausschließlich an seinem Honorar interessiert sein, Sir, und Mr. Laudingham Täter präsentieren, die vielleicht gar nicht mit den wirklichen Mördern identisch sind.« »Haben Sie darüber schon mit Lady Simpson gesprochen, Mr. Parker?« »Dies wird nach meiner Rückkehr ins Haus der Fall sein, Sir.« »Vergessen Sie's nur nicht!« Mike Rander schüttelte den Kopf. »Ich bin für solche Dinge nicht mehr zuständig. Sie werden es nicht schaffen, mich aus meiner Reserve zu locken, Mr. Parker, Sie nicht!« * »Ich war zufällig in der Nähe und wollte mal auf einen Sprung vorbei-
schauen«, behauptete Chief-Superintendent McWarden und sah Lady Simpson unschuldig an. McWarden war ein untersetzter, ein wenig rundlich wirkender Mann mit leicht hervorquellenden Augen, die ihm das Aussehen eines stets gereizten Bullterriers verliehen. Er leitete im Yard ein Sonderdezernat, das dem Innenministerium direkt unterstellt war. »Sie kommen zu spät, McWarden, ich habe gerade gefrühstückt«, erwiderte die ältere Dame zufrieden. »Ich hätte Ihnen sonst gern eine Kleinigkeit angeboten.« »Davon bin ich überzeugt, Mylady«, gab McWarden zurück und meinte genau das Gegenteil. »Wie ich hörte, haben Sie Besuch aus den Staaten?« »Sie kommen ja ungewöhnlich schnell zur Sache, McWarden«, stellte Agatha Simpson fest, während Parker den obligaten Sherry servierte, was die Lady mit gewohntem Stirnrunzeln zur Kenntnis nahm. »Lassen Sie mich oder Mr. Parker neuerdings beschatten?« »Reiner Zufall, Mylady«, gab der Chief-Superintendent zurück. »Zwei meiner Leute beschäftigen sich mit Mr. Laudingham.« »Sie glauben doch hoffentlich nicht, daß er seine beiden Töchter umgebracht hat«, fragte Lady Agatha bissig. »Zuzutrauen wäre Ihnen ja so etwas!« »Ich traue ihm zu, daß er einen privaten Rachefeldzug führen will«, antwortete McWarden und wandte sich dann an Parker. »Reiner Zufall, nicht wahr, daß Sie neben diesem Mr. Hale Gatters standen, nicht wahr?« »Mr. Hale Gatters, Sir?« fragte Parker nur.
»Ein knallharter Killer aus den Staaten, Mr. Parker. Er scheint von Mr. Laudingham engagiert worden zu sein.« »Wie sollte ein Mann wie Laudingham an einen Killer geraten? « warf Agatha Simpson ungläubig ein. »Den dürfte ihm John Pinster empfohlen oder sogar besorgt haben, Mylady .« »Sie machen es wieder mal spannend, junger Mann.« Sie sah ihn abweisend an und hatte ihn bewußt >junger Mann< genannt. McWarden, gut und gern fünfzig Jahre alt, ärgerte sich immer wieder über solch eine Titulierung. »Wer ist John Pinster?« »Fragen Sie doch Mr. Parker, Mylady! Das ist der junge Bursche, der Laudingham zum Flugplatz begleitete. John Pinster nennt sich Privatdetektiv, aber tatsächlich ist er ein ausgekochter Ganove, dem ich eines Tages ein Bein stellen werde.« »Warum erzählen Sie mir das alles, McWarden? Ich habe zu arbeiten.« Agatha Simpson erhob sich und sah betont zu der uralten Standuhr, die in der Wohnhalle stand. »Mr. Laudingham interessiert mich nicht, auch nicht dieser Killer aus den Staaten.« »Konnte der Kreis der möglichen Täter bereits ein wenig eingekreist werden, Sir?« erkundigte sich Butler Parker. »Oder sollte Mr. Laudingham private Ermittlungen anstellen wollen?« »Jane und Helen Laudingham hatten einen großen Freundes- und Bekanntenkreis«, sagt der Chief-Superintendent. »Nein, offen gesagt, Mr. Parker, wir stehen erst am Anfang unserer Er-
mittlungen, die sehr schwierig sind. Ich kann die Ungeduld Mr. Laudinghams natürlich verstehen, aber er muß sich mit den Tatsachen abfinden.« »Ist damit zu rechnen, Sir, daß gewisse Spuren sich bereits vage abzeichnen?« fragte der Butler höflich. »Bisher leider nicht, Mr. Parker. Und darum befürchte ich ja gerade, daß Laudingham privat ermittelt und private Rache üben wird. Er wird damit zwangsläufig schuldig werden und eines Tages wohl sogar noch unter Mordanklage oder Anstiftung zum Mord stehen. Dieser Mann ist nicht mehr zu bremsen, sein Haß ist stärker als seine Vernunft.« »Sorgen Sie gefälligst dafür, daß Laudingham keine Möglichkeit hat, private Rache zu üben«, schaltete sich die ältere Dame grimmig ein. »Wozu haben Sie denn eigentlich Ihre Beamten? Setzen Sie sie ein und lassen Sie Laudingham überwachen!« »Ich könnte ihn unter Polizeischutz stellen, Mylady«, antwortete McWarden, »aber auch nur dann, wenn ich davon ausgehen müßte, daß die Mörder seiner beiden Töchter ihn ebenfalls umbringen wollen.« »Dann tun Sie halt so«, empfahl Lady Agatha dem ChiefSuperintendent. »Du lieber Himmel, Mann, zeigen Sie doch endlich mal etwas Phantasie und Initiative! Warum wollen Sie einen Menschen schuldig werden lassen, dessen Rachegefühle man doch durchaus verstehen kann.« »Sie schalten sich da nicht zufällig mit ein, Mylady?« erkundigte McWarden sich vorsichtig. »Ich denke an eine altbewährte Zusammenarbeit, verstehen Sie?«
»Mr. Parker, was sagen wir dazu?« Die Hausherrin sah ihren Butler abwartend an. »Mylady könnten vielleicht mal mit besagtem Mr. Laudingham reden«, schlug Parker vor. »Ich fürchte jedoch, daß gewisse Entwicklungen nicht mehr zu verhindern sein werden.« »Schade um Laudingham«, seufzte McWarden. »Ich glaube ja auch nicht, daß man ihn noch mal umpolen kann.« »Sie wollen oder müssen also abwarten, bis er sich schuldig gemacht hat?« Lady Agatha sah den ChiefSuperintendent grimmig an. »Leider, Mylady.« McWarden hob bedauernd die Schultern. »Rechtlich habe ich überhaupt keine Handhabe, gegen Laudingham etwas zu unternehmen.« »Was halten Sie davon, Mr. Parker, wenn Mr. Rander mal mit Laudingham reden würde?« fragte Agatha Simpson. »Richtig, Mr. Rander!« McWarden griff dieses Stichwort prompt auf. »Wie ich hörte, will er hier in London wieder eine Anwaltspraxis eröffnen?« »Machen Sie sich keine Hoffnungen, McWarden, Mr. Rander will nur noch Anwalt sein und sonst nichts. Leider! Amerika scheint ihn vollkommen verdorben zu haben, aber, das ist ja kein Wunder.« »Sie haben früher mit Mr. Rander zusammengearbeitet, Mr. Parker, nicht wahr?« »Ich hatte die Ehre und das Vergnügen, der Butler Mr. Randers sein zu dürfen, Sir.« »Und jetzt? Werden Sie zu ihm zurückkehren? Ich meine, äh, ich will damit auf keinen Fall...«
»Ich bleibe in Myladys Diensten«, antwortete Josuah Parker steif und förmlich. »Die Zeit laßt sich nicht zurückdrehen, wenn es erlaubt ist, diesen Gemeinplatz auszusprechen, Sir. Die Zeiten ändern sich, und wir uns in ihnen.« »Na, ich lasse mich überraschen.« McWarden zeigte deutliche Skepsis. »Ich kenne auch einen Gemeinplatz, Mr. Parker: Die Katze läßt das Mausen nicht!« * Hale Gatters, der Superprofi aus den Staaten, war miserabler Laune. Er hatte eine schlechte Nacht hinter sich und zudem Schmerzen in der rechten Kinnlade. Er konnte sich noch immer nicht erklären, wieso man einen Mann wie ihn mit solch einem miesen Trick außer Gefecht gesetzt hatte, mit einem Trick, der eigentlich aus einem Scherzartikelgeschäft stammen mußte. Und dann dieser Fußtritt! Hale Gatters wußte genau, wie lädiert sein Gesicht aussah, was allerdings nichts mit dem Fußtritt zu tun hatte, den er sich von diesem arroganten Burschen verpassen lassen mußte. Nein, während seiner Rutschpartie über das Pflaster war seine Gesichtshaut ein wenig in Mitleidenschaft gezogen worden. Einige Pflaster zierten es jetzt, Pflaster, die so gar nicht zu seinem Image paßten. Er schaute hoch, als John Pinster an den Tisch trat und ihn erstaunt ansah. Der Privatdetektiv, der für diesen Laudingham arbeitete, stellte sehr bewußt keine Fragen, als er sich an den Tisch setzte. Die beiden Männer hatten sich
in der Snackbar eines Kaufhauses in der City von London getroffen. »Erzählen Sie mir alles über diesen Doppelmord, Pinster«, sagte der Superprofi und bemühte sich um Autorität. »Ich nehme an, Sie haben da ein paar Tatsachen zusammenbekommen, oder? Zeit genug dazu hatten Sie ja.« »Bruce Laudingham ist ein stinkreicher Bursche und spielt in der Wirtschaft 'ne ganz schöne Rolle«, begann der Privatdetektiv und sah sich verstohlen in der großen Snackbar um. Er war von Berufs wegen ein mißtrauischer Mann. »Was ist los?« wollte Hale Gatters wissen. Er war nicht weniger mißtrauisch. »Man kann nie wissen, Gatters«, antwortete John Pinster. »Ich laß mir nich' gern in die Karten schauen. Also, Laudingham ist stinkreich und Witwer. Aus dem Burschen ist noch eine Menge Geld zu holen, wenn man's richtig anpackt.« »Was war mit seinen beiden Töchtern?« Hale Gatters hatte selbstverständlich vor, seinen Auftraggeber nach allen Regeln der Kunst anzuzapfen, doch mit diesem billigen Privatdetektiv aus London wollte er natürlich nicht teilen. »Ich zeige Ihnen gleich die Wohnung, in der sie gefunden wurden«, redete John Pinster weiter. »Sie liegt in der Cleveland Street. Jane und Helen waren ganz normale Mädchen, das steht einwandfrei fest. Nichts mit Drogen oder so. Sie wurden erdrosselt, wie die Polizei zuerst glaubte, doch nach der üblichen Obduktion wurden erhebliche Reste
von Drogen in ihren Mägen gefunden.« »Hasch, Heroin, Morphium?« Hale Gatters kannte sich aus. »Speeds, Gatters, genauer gesagt, Amphetamine, die in diesen Appetitzüglern stecken.« »Hatten die beiden Mädchen Gewichtsprobleme?« erkundigte sich Gatters. »Überhaupt nicht, es waren schlanke Girls. Wissen Sie, was ich annehme?« »Also schön, nehmen Sie mal an, Pinster«, schlug der Superprofi gnädig vor. »Man hat die beiden Mädchen ohne ihr Wissen mit diesen Speeds vollgestopft. Und als sie abkratzten, hat man das kaschiert und Mord vorgetäuscht.« »Könnte so gewesen sein«, sagte der Superprofi. »Nächste Frage also, wer könnte den beiden Girls die Speeds eingetrichtert haben und warum?« »Warum wohl?« Der Privatdetektiv grinste geradezu schmierig. »Um sie auf Touren zu bringen, liegt doch auf der Hand.« »Auf Partytouren, wie?« Hale Gatters war mit dieser Deutung sofort einverstanden. »Wie sah's in der Wohnung der beiden Mädchen aus, als man sie fand? War da was über die Bühne gelaufen, Pinster?« »'ne Party hat dort nicht stattgefunden, Gatters«, erwiderte der Privatdetektiv. »Die Wohnung war aufgeräumt, bis eben auf ein paar Kampf spuren und das aufgebrochene Türschloß.« »Sie sind schon länger am Ball als ich, Pinster«, stellte der Superprofi fest. »Schreiben Sie mir auf, mit wem die beiden Girls verkehrt haben, klar? Freunde, Freundinnen, Kollegen und so weiter, na, Sie wissen ja schon. Und
dann will ich wissen, wen Sie inzwischen im Visier haben, ist das klar?« »Alles vorbereitet.« Der Privatdetektiv nickte und langte in die Innentasche seines Sakkos. Er holte einen zusammengeknüllten Zettel hervor und reichte ihn an Gatters weiter. »Hier steht alles drauf, Namen und Adressen. Mal im Vertrauen, wollen Sie die ganzen Typen nacheinander abklappern?« »Über meine Methoden red' ich grundsätzlich nicht«;; lautete Gatters' Antwort. »Aber soviel kann ich sagen: Ich hab' da'n Spezialverfahren, verstehen Sie, Pinster? Das hat bisher noch immer hingehauen.« Die beiden Männer redeten noch über Bruce Laudinghams, der sie schließlich bezahlte. Hale Gatters' Laune besserte sich von Minute zu Minute. Er hatte die Niederlage der vergangenen Nacht langsam verdrängt. Und er hatte sich zusätzlich vorgenommen, es Parker so schnell wie möglich, und zwar gründlich zu zeigen. Die beiden Ehrenmänner in der Snackbar waren sicher vorsichtige und mißtrauische Menschen, doch sie kamen nicht im Traum auf den Gedanken, daß ihr Gespräch abgehört wurde. An einem kleinen Nebentisch saß eine schon recht verbraucht aussehende Frau, etwa vierzig Jahre alt, und machte einen abgekämpften Eindruck. Sie knabberte Kekse und trank dazu bereits eine zweite Tasse Tee. Kathy Porter hatte wieder mal Maske gemacht. *
»Nicht zu glauben«, sagte Mike Rander und ließ sich von seiner Verblüffung mitreißen. Er befand sich im altehrwürdigen Haus der Lady Simpson in Shepherd's Market und hatte sich gerade die Bandaufzeichnung der Unterhaltung zwischen John Pinster und Hale Gatters angehört. Während er das sagte, schaute er irritiert auf Kathy Porter, die noch immer als verbrauchtmüde Hausfrau vor dem runden Mahagonitisch im Salon der Lady stand. Dann blickte er wieder auf das Aufzeichnungsgerät, das aus dem >Labor< des Butlers stammte. Es handelte sich dabei um einen billig aussehenden Kugelschreiber, wie man ihn zu Dutzenden zu Spottpreisen in Warenhäusern kaufen kann. Dazu gehörte eine kleine Trageschnur, die mittels eines kleinen Steckers mit dem Aufzeichnungsgerät verbunden war. Dieses Tonbandgerät en miniature hatte Kathy Porter eben aus ihrer abgewetzten Handtasche hervorgeholt. Es arbeitete auf der Basis eines Tondrahtes. »Gestochen klare Aufnahme und Wiedergabe«, stellte der Anwalt fest. »Mr. Parker, erstklassige Arbeit. Der Kugelschreiber dürfte so eine Art Richtmikrofon sein, nicht wahr?« »In der Tat, Sir«, antwortete Josuah Parker und deutete eine leichte Verbeugung an. »Halten wir uns nicht mit Nebensächlichkeiten auf«, schaltete sich Lady Agatha gereizt ein. Sie schätzte es nicht sonderlich, wenn Butler Parker zu sehr in den Mittelpunkt des Interesses rückte. Sie war dann schlicht eifersüchtig. »Wir wissen, was dieser Killer aus den
Staaten plant, aber nicht, wie die Leute heißen, die er besuchen will.« »Er trägt die Liste in der rechten Innentasche seines Sakkos«, sagte Kathy Porter. »Zuerst hatte ich vor, mir sie zu besorgen, aber das hätte ihn natürlich sofort alarmiert.« »Unterstehen Sie sich, Kindchen, sich in Gefahr zu bringen«, warnte die ältere Dame und sah Kathy Porter mahnend an. »Diese Liste wäre von unschätzbarem Vorteil, Mylady«, gab Kathy Porter zurück. »Ich denke, ich verabschiede mich.« Mike Rander hatte plötzlich ein unbehagliches Gefühl. Gegen seinen Willen hatte er sich bereits schon zu intensiv mit diesem Fall beschäftigt. »Mylady, wegen der Miete können wir ja zu einem späteren Zeitpunkt reden, ja?« »Und wegen der Verwaltung meines bescheidenen Einkommens«, fügte sie hinzu und nickte. »Ich gehe davon aus, daß Sie das übernehmen werden, mein Junge, nicht wahr?« »Ich stehe Ihnen immer zur Verfügung, Mylady, sofern mich diese Arbeit nicht zu sehr beansprucht. Ich sagte Ihnen ja schon, daß ich einige sehr interessante Klienten aus den Staaten hier vertrete.« »Miß Porter wird Ihnen da zur Hand gehen, Mike. So darf ich Sie doch nennen, nicht wahr? Sie könnten ja mein Sohn sein.« »Es ist mir eine Ehre, so genannt zu werden, Mylady.« »Papperlapapp, mein Junge, übertreiben Sie nicht gleich!« Sie winkte ab. »Ich werde Kathy sowieso kaum beanspruchen, denn ich muß endlich meinen Bestseller schreiben.
Vorher möchte ich nur noch diesen Laudingham vor einer grandiosen Dummheit bewahren. Wie kommen wir an die Liste, Mr. Parker? Warum sollen wir nicht mit dem Material arbeiten, das dieser windige Privatdetektiv bereits zusammengetragen hat?« »Warum sehen Sie mich so betont an, Mylady?« fragte Mike Rander mißtrauisch. »Ich habe ja schon deutlich erklärt, daß ich mich an der Aufklärung von Kriminalfällen grundsätzlich nicht mehr beteilige.« »Können Sie mit einer Kleinstkamera umgehen?« fragte Lady Agatha, ohne auf diesen Einwand überhaupt einzugehen. »Mr. Rander ist ein vorzüglicher Fotograf«, warf der Butler höflich ein. »Diesen kleinen Gefallen, Mike, müssen Sie mir und Miß Porter einfach tun«, sagte die ältere Dame energisch. »Selbstverständlich nur diesen einen, das ist klar. Ich werde mich hüten, Sie in Dinge zu verwickeln, die für Sie zu gefährlich sind.« »Mylady, worauf wollen Sie hinaus?« Mike Rander spürte, wie ein unsichtbares Netz über ihn geworfen wurde. »Passen Sie ein wenig auf Kathy auf«, bat Agatha Simpson beiläufig. »Und helfen Sie ihr, die Liste zu fotografieren. Gatters kennt sie nicht, also hat Miß Porter größere Chancen, an ihn heranzukommen, nicht wahr?« . »Eine Ablehnung wäre sicher sinnlos, Mylady, oder?« Mike Rander seufzte. »Sie wäre es, mein Junge.« Die ältere Dame nickte. »Dieses eine Mal,
Mike, werden Sie mir doch helfen, oder?« * »Das ist doch eine Verschwörung, Miß Porter«, behauptete Mike Rander. Er saß auf dem Beifahrersitz des MiniCooper, den Kathy durch den Verkehr der City steuerte. »Lady Simpson will mich um jeden Preis wieder einspannen in diese Detektivarbeit.« »Sie wollen wirklich nur noch als Anwalt arbeiten, Mr. Rander?« Sie sah ihn flüchtig und lächelnd an. »Das ist meine erklärte Absicht. Sie wissen wahrscheinlich nicht, wie aufregend die Jahre mit Parker waren. Er hat mich seinerzeit von einen Fall in den anderen gehetzt.« »Dafür sorgt jetzt Lady Simpson«, meinte Kathy Porter. Sie hatte sich erneut verwandelt und war jetzt ein kesses Mädchen von etwa fünfundzwanzig Jahren. Sie trug Jeans, einen weiten, hüftlangen Pulli und sah darin sehr sexy, fast ein wenig herausfordernd aus. »Mr. Parker hat alle Hände voll zu tun, um sie zu bremsen.« »Sie ist eine ungewöhnliche Frau.« »Die ich sehr mag«, gestand Kathy Porter. »Das Leben mit ihr ist zwar anstrengend, dafür aber nie langweilig.« »Bleibt für Sie dann noch Zeit fürs Privatleben?« erkundigte er sich etwas zu beiläufig. »Sie meinen, ob ich einen Freund habe, nicht wahr?« »So direkt wollte ich eigentlich nicht fragen.« Er lächelte. »Es gibt da keinen Freund oder ständigen Begleiter«, meinte sie. »Ich
glaube, Mylady würde jeden Mann verbeißen. Ein Wunder, daß sie mich mit Ihnen losgeschickt hat!« »Das war nichts als Taktik, Miß Porter.« Mike Rander lachte leise auf. »Sie sollen meinen Widerstand brechen.« »Ich glaube, der Versuch allein wäre sinnlos.« Sie konzentrierte sich sehr auf den Verkehr. »Unterschätzen Sie sich nicht bewußt«, gab Mike Rander zurück. »Sie wissen genau, daß ich nur wegen Ihnen mitgekommen bin. Aber lassen wir das! Wie haben Sie sich die ganze Geschichte vorgestellt?« »Mr. Parker wird den Killer aus seinem Hotelzimmer locken. Und ich werde diesen Gatters dann in der Hotelhalle abfangen.« »Hört sich alles sehr einfach und unkompliziert an, Miß Porter.« »Ist es auch, Mr. Rander. Mr. Parker hat sich das folgendermaßen vorgestellt.« Sie schaute ihn wieder kurz an und berichtete dann vom Plan des Butlers. »Ich weiß überhaupt nicht, ob ich noch in Übung bin«, sorgte der Anwalt sich, als sie ihm alles erzählt hatte. »Irgendwie habe ich Lampenfieber.« Kathy Porter brauchte darauf nicht mehr zu antworten, denn man hatte inzwischen das Hotel im Stadtteil Pimlico erreicht, in dem der Superprofi wohnte. Es war eine Unterkunft der mittleren Preisklasse, in dem die Anonymität der Gäste gewahrt war. Als Kathy Porter und Mike Rander aus dem Mini-Cooper stiegen, entdeckte der Anwalt das hochbeinige Monstrum des Butlers, das ihnen gefolgt war. Josuah Parker hatte seinen Wagen auf dem Parkplatz neben dem
Hotel abgestellt und schritt würdevoll zum Ein» gang, ohne Kathy Porter oder Mike Rander zur Kenntnis zu nehmen. Der Anwalt, der ja auf keinen Fall wieder in einen Kriminalfall verwickelt werden wollte, folgte mit seiner jungen, reizenden Partnerin, die sich inzwischen eine Sonnenbrille aufgesetzt hatte. Butler Parker hatte inzwischen die Rezeption erreicht und erkundigte sich hier absprachegemäß nach Hale Gatters und ließ sich eine telefonische Verbindung mit dem Superprofi herstellen. Gatters befand sich in seinem Zimmer, wie Parker Sekunden später hörte. Was er dann sagte, bekamen Mike Rander und Kathy Porter nicht mehr mit, denn sie gingen bereits wie selbstverständlich zum Lift, da Parker den Mann der Rezeption ablenkte. Während Parker seine schwarze Melone für einen Moment absetzte, konnte Kathy Porter herausfinden, in welcher Etage der Superprofi wohnte. Zum Abnehmen der Melone hatte der Butler drei Finger benutzt. »Das hier mache ich gegen meine Überzeugung«, stellte Mike Rander fest, als er mit Kathy Porter den Lift betrat, um in die dritte Etage zu fahren. »Und dafür bin ich Ihnen wirklich sehr dankbar, Mr. Rander«, antwortete Kathy Porter und setzte sich eine Sonnenbrille auf. »Allein hätte ich einfach nicht den Mut, so etwas zu riskieren.« »Sie nehmen mich ganz schön auf den Arm.« Mike Rander lächelte amüsiert. »Sie glauben doch wohl nicht, daß ich Ihnen das abnehmen werde, oder?«
* Hale Gatters hatte gerade den Telefonhörer aufgelegt und kratzte sich nachdenklich am Kinn. Daß dieser komische Butler ihn gerade angerufen hatte, war mehr als überraschend gewesen. Woher wußte der Mann, daß er, Gatters, hier abgestiegen war? Und was hatte er ihm da unbedingt mitzuteilen? Der Butler hatte es am Telefon sehr spannend gemacht. Natürlich dachte ein Gangster wie Hale Gatters stets an Rache, wenn man ihm direkt, oder auch nur im übertragenen Sinn ein Bein gestellt hatte. Im Fall dieses Butlers stand da noch eine dicke Rechnung offen, die umgehend beglichen werden konnte. Gatters nahm sich spontan vor, den Butler mit amerikanischen Methoden vertraut zu machen. Noch mal wollte er, Gatters, sich nicht aufs Kreuz legen lassen. Bevor er das Zimmer verließ, vergewisserte er sich, daß seine Schußwaffe in der Halfter war. Er faßte nach seiner Brieftasche und nickte erneut zufrieden. Nach der Panne am vergangenen Abend war er wieder in ihren Besitz gelangt, auch die Schußwaffe stand ihm wieder zur Verfügung. Beide Gegenstände hatte dieser rätselhafte Butler im Torweg zurückgelassen, worüber Gatters sich noch jetzt wunderte. Er schloß sein Zimmer ab und eilte durch den Korridor der dritten Etage zum Lift, dessen Tür sich gerade öffnete. Ein junges, offensichtlich miteinander zerstrittenes Ehepaar kam heraus und belegte sich mit wenig feinen Worten. Die junge Dame mit dem platinblonden Haar war besonders
temperamentvoll und stieß ihren Begleiter gegen den Rahmen der Tür. Dabei geriet sie ein wenig aus dem Gleichgewicht und fiel gegen Gatters. »Hallo«, sagte Gatters gutgelaunt, weil er dicht davor stand, seine Retourkutsche fahren zu können, »ich bin unschuldig, Madam, lassen Sie mich zufrieden, ich bin ein wehrloser Mann!« »Zum Teufel mit euch«, fauchte die Platinblonde und drückte sich wütend von ihm ab. Dann wandte sie sich an ihren Begleiter, der einen ziemlich hilflosen Eindruck machte. »Worauf wartest du noch? Und ich sage dir, daß ich...« Was sie sagen wollte, bekam Gatters nicht mehr mit. Er stand bereits im Lift und wartete darauf, daß sich die Tür schloß. Er zündete eine Zigarette an und fuhr nach unten. Er war eiskalt bis zu den Zehen- und diversen Haarspitzen, er freute sich darauf, diesem Butler gleich eine Lektion erteilen zu können. »Sie sehen einen zerknirschten Menschen vor sich«, begrüßte Parker den Superprofi, der mit schnellen, panthergleichen Schritten auf ihn zugekommen war. »Ich kann nur hoffen, daß Sie nicht nachtragend sind, Mr. Gatters.« »Was wollen Sie? Woher wußten Sie, daß ich hier wohne?« »In Ihrer Brieftasche befand sich eine Zimmerkarte des Hotels, Mr. Gatters«, erwiderte Parker höflich. »Unsinn, sowas gibt es hier nicht. Sie lügen!« »Sie sehen meine bescheidene Wenigkeit erneut zutiefst zerknirscht«, entschuldigte Parker sich erneut. »Um der Wahrheit also die Ehre zu geben,
ich war so frei, Sie vom Flugplatz Heathrow aus zu verfolgen.« »Sie ... Sie haben mich gleich nach der Landung hier in London verfolgt?« Größer hätte die Verblüffung des Gangsters nicht sein können. Mit solch einer Antwort hatte er nun wirklich nicht gerechnet. »Weil der Fall Laudingham meine bescheidene Person beschäftigt«, redete Parker weiter. »Wären Sie damit einverstanden, dort hinüber zur Sitzgruppe zu gehen?« »Was haben Sie mit Laudingham zu tun?« fragte Gatters. Er war mit Parkers Vorschlag einverstanden, zumal diese Sitzgruppe von der Rezeption aus nicht einzusehen war, er den Butler also massiv unter Druck setzen konnte. »Mir scheint, Mr. Gatters, daß Mr. Laudingham einen privaten Rachefeldzug gegen den oder die Mörder seiner beiden Töchter zu führen gedenkt«, sagte Parker gemessen. »Ich möchte dies auch im Auftrag Lady Simpsons um jeden Preis verhindern. Um noch genauer zu sein, Mr. Gatters, Mylady sähe es recht gern, wenn Sie umgehend zurück in die Staaten zurückfliegen würden!« »Ihr seid verrückt«, erwiderte Gatters und lachte ungläubig auf. »Mylady befürchtet nämlich, daß Sie, Mr. Gatters, Mr. Laudingham Täter präsentieren werden, die mit dem Fall vielleicht gar nichts zu tun haben. Ein Mann wie Sie kann doch nur an der schnellen Erlangung seines Honorars interessiert sein.« »So, jetzt bin ich mal dran, Alterchen«, meinte Gatters und beugte sich vor. »Natürlich werde ich nicht verschwinden, ist das klar? Und natürlich
werde ich Laudingham die Mörder servieren. Ich möchte den sehen, der mich daran hindern will. Okay, Sie haben mich da mit Ihrem Begleiter aufs Kreuz gelegt, schön, reden wir nicht mehr davon. Wenigstens nicht hier. Wissen Sie, was das hier ist?« Er langte genußvoll nach seiner Schußwaffe und ... griff ins Leere. * »Falls ich Sie richtig verstanden habe, wollten Sie meiner bescheidenen Wenigkeit etwas zeigen«, erinnerte Parker den immer noch total verblüfften Gangster, dessen Schulterhafter leer war. »Das kann ich ... Also ... Wie ist das nur...« »Leiden Sie unter plötzlichen Artikulationsschwierigkeiten, Mr. Gatters?« fragte Parker mitfühlend. »Das Ehepaar!« Gatters schoß das Blut ins Gesicht, und er wollte sich auf dem Absatz umwenden. Ihm war plötzlich alles klar. Man hatte ihn erneut nach allen Regeln der Kunst geleimt. Er explodierte fast vor Wut. So etwas war ihm seit vielen Jahren nicht mehr passiert. »Sie sollten sich auch um Ihre Brieftasche kümmern, Mr. Gatters«, riet Josuah Parker dem Superprofi. Gatters stutzte, blieb stehen und fingerte nach seiner Brieftasche. Röter hätte sein Gesicht nicht mehr werden können. Eine Steigerung war physisch nicht mehr drin. »Ich sollte Ihnen eine Erklärung geben, Mr. Gatters«, schlug Josuah Parker würdevoll vor. »Im Augenblick wird jene Liste fotokopiert, die Mr. John Pinster Ihnen überreichte.«
Gatters setzte sich. Seine Beine waren plötzlich zu Gummi geworden. »Mylady und auch meine bescheidene Wenigkeit, wir also halten diese Personenliste für eine oberflächliche Arbeit«, setzte Parker dem Gangster auseinander. »Mr. Pinster ist nicht gerade seriös, wenn ich mir diesen Qualitätshinweis gestatten darf. Mylady wird also Sorge dafür tragen, daß die auf dieser Liste genannten Personen von Ihnen möglichst nicht behelligt werden. Es könnte da sonst zu Mißverständnissen, falschen Schlüssen und unüberlegten Handlungen kommen.« »Das... Das Ehepaar arbeitet für Sie?« fragte Gatters mit einer Stimme, die sichtlich belegt war. »In der Tat, Mr. Gatters!« Parker nickte andeutungsweise. »Falls Sie also dennoch nach dieser Pinster-Liste arbeiten wollen, was anzunehmen ist, werden Sie mit gewissen Schwierigkeiten und Überraschungen rechnen müssen.« Gatters hatte sich inzwischen wieder unter Kontrolle. »Schön, Sie arbeiten mit faulen Tricks«, schickte er voraus und bemühte sich um Überlegenheit. »Zweimal haben Sie das geschafft, ein drittes Mal wird's das nicht geben, Parker. Ich kann mich auf 'ne neue Situation schnell einstellen.* »Sie befinden sich in England, Mr. Gatters. Manche Touristen sind der Ansicht, daß die Uhren hier anders gehen.« »Ich werde Ihnen ...« Gatters war aufgesprungen und stand dicht vor einer Tätlichkeit. »Sie sollten Ihre Selbstkontrolle pflegen, Mr. Gatters«, schlug Josuah
Parker vor, der sich völlig unbeeindruckt zeigte. »Sie wollen sich doch nicht an einem müden, alten und relativ verbrauchten Mann vergreifen, oder sollte ich mich da täuschen?« Gatters verzichtete auf Gewalt. Sein Instinkt schrie ihm förmlich zu, nur ja nicht die Fäuste zu ballen und anzuheben. »Da kommt ja bereits das Ehepaar«, redete Parker weiter und deutete mit seiner Schirmspitze auf Kathy Porter und Mike Rander, die in der Hotelhalle erschienen. Mike Rander war mehr als peinlich berührt, als er Parker und den USGangster entdeckte. Er wechselte einige Worte mit Kathy Porter und kam dann zusammen mit ihr zur Sitzgruppe. »Leider war Mr. Gatters nicht bereit, meine bescheidene Wenigkeit zu entführen oder zu kidnappen, wie es wohl im Jargon der Branche heißt«, sagte Parker zu Anwalt Rander. »Er entdeckte leider zu früh das Fehlen seiner vertrauten Schußwaffe.« »Die können Sie jetzt wieder zurückhaben«, meinte Kathy Porter charmant und reichte Gatters die Waffe, die er ziemlich hastig in der Halfter verschwinden ließ. »Sind Sie sicher, keine Chance vertan zu haben?« erkundigte der Butler sich bei ihm. »Sie besitzen wieder eine Waffe, falls Ihnen das entgangen sein sollte.« »Die ist mit Sicherheit entladen«, erwiderte Gatters gereizt. »Und hier wäre Ihre Brieftasche«, redete Kathy Porter weiter. Gatters nahm sie entgegen und musterte Mike Rander.
»Hab' ich Sie nicht in der Maschine von New York nach London gesehen?« fragte er dann. »Keine Ahnung«, erwiderte der Anwalt. »Ist hier alles gesagt worden, was zu sagen war?« »Mr. Gatters scheint die Neigung zu verspüren, vorerst in London bleiben zu wollen«, erklärte. Parker. »Meine Argumente, Sir, scheinen ihn nicht überzeugt zu haben.« »Unsere Wege kreuzen sich noch!« Gatters faßte sicherheitshalber noch mal nach Schußwaffe und Brieftasche, bevor er die Sitzgruppe verließ und zur Rezeption ging. Er sah aus wie ein geschlagener Mann. »Das haben Sie ja herrlich inszeniert, Parker«, meinte Rander grimmig und musterte den Butler. »Wie in alten Zeiten: Ob ich jetzt will oder nicht, ich muß also wieder mitmachen.« »Eine unglückliche Verkettung gewisser Umstände, die sich nicht vermeiden ließ, Sir.« »Eine raffinierte Veranstaltung«, präzisierte Rander. »Ihnen kam's nur darauf an, daß Gatters mich nun ebenfalls aufs Korn nimmt, oder?« »Er hätte eine Verbindung zwischen Ihnen, Sir, und meiner bescheidenen Wenigkeit ohnehin leicht herausgefunden«, meinte Parker würdevoll. »Daraus hätte Mr. Gatters weitere Schlüsse gezogen, wie ich versichern darf. So sind die Dinge für ihn überschaubarer.« »Warum mußte ich nach London zurückkehren?« Rander seufzte in komischer Verzweiflung auf. »Ich hätte das alles doch wissen oder ahnen müssen.« »Mr. Rander ist im öffnen von Türen bemerkenswert erfahren«, schaltete sich Kathy Porter ein.
»Kunststück, wenn man sowas mal von Parker gelernt hat.« Rander lächelte versöhnt. »Ich möchte aber wetten, daß Sie auf meine Hilfe bestimmt nicht angewiesen waren, Miß Porter, oder?« »In diesem Fall wohl nicht, Mr. Rander, es handelte sich um ein einfaches Schloß«, gestand Kathy Porter verschmitzt, um sich dann an den Butler zu wenden. »Wir haben Gatters, wie verabredet, eine falsche Liste in die Brieftasche gesteckt.« »Fragt sich nur, ob er diesen Austausch nicht auf den ersten Blick merkt«, warf Anwalt Mike Rander ein. »Die Namen waren zwar auf einer Schreibmaschine getippt worden, aber das Papier...« »Sein Eifer wird ihn ein wenig unvorsichtig werden lassen«, gab Butler Parker zurück. »Und daß diese Liste falsche Namen und Adressen aufweist, wird er bald erfahren. Ihren Vorschlag, Sir, solch eine falsche Liste zu unterschieben, möchte ich als einen wertvollen Beitrag zu diesem Fall bezeichnen, wenn mir diese Bemerkung gestattet ist!« * »Zu Mr. Laudingham«, sagte Agatha Simpson in ihrer gewohnt knappen und barschen Art, die keinen Widerspruch duldete. »Ich bin Lady Simpson. Worauf warten Sie noch, junger Mann!?« John Pinster, der die Tür spaltbreit geöffnet hatte, nahm unwillkürlich den Köpf zurück, als er so angeraunzt wurde. Er kannte inzwischen einige Zusammenhänge und wußte zum Beispiel, daß ein gewisser Butler
Parker in ihren Diensten stand. Bevor der Privatdetektiv eine Entscheidung treffen konnte, erhielt er einen harten Stoß und flog zusammen mit der Tür schwungvoll in die Diele zurück. Er klatschte samt Türblatt gegen die Wand und war leicht benommen. »Eine Lady Simpson läßt man nicht vor einer Tür warten«, fuhr die ältere Dame ihn an. »Nun reißen Sie sich gefälligst zusammen und melden Sie mich!« John Pinster schüttelte die Benommenheit von sich und ging mit weichen Knien auf eine Zwischentür zu. Als er knapp hinter sich leicht stampfende Schritte hörte, drehte er sich hastig um und prallte auch schon gegen den wogenden Busen der Lady Agatha, der ihm einen zusätzlichen Schub verlieh. Der Privatdetektiv flog gegen die nur angelehnte Verbindungstür und segelte in die Wohnhalle des Hauses. Bruce Laudingham schaute verdutzt in die Höhe. Der Mann um die fünfzig saß vor einem Kamin in einem Sessel und hatte offensichtlich sämtliche Morgenzeitungen gelesen. Um ihn herum lagen Zeitungsseiten. »Was ist denn?« fragte er ungehalten. »Lady ... Lady Simpson«, sagte der Privatdetektiv und deutete schüchtern auf die ältere Dame, die Laudingham kurz zunickte und John Pinster dann mit einer energischen Handbewegung wegschickte. »Sie werden hier nicht mehr gebraucht«, sagte sie. »Tummeln Sie sich, junger Mann, bevor ich mich ärgere!«
John Pinster verzichtete darauf, seinen Arbeitgeber fragend anzusehen. Er beeilte sich ungemein, die Wohnhalle zu verlassen, während der Teeimporteur höflich aufstand. »Lady Simpson?« fragte er verdutzt. Er kannte sie natürlich von offiziellen Anlässen her und wußte, welchen Rang sie in der Gesellschaft einnahm. »Bitte, Mylady, nehmen Sie doch Platz! Darf ich Ihnen etwas anbieten?« »Vernunft«, erwiderte Agatha Simpson barsch. »Und ich bleibe lieber stehen. Bieten Sie mir Vernunft an, Laudingham, bevor Sie geradewegs in eine Katastrophe schliddern.« »Ich verstehe kein Wort, Mylady.« Laudingham hatte ein energisches Gesicht und wußte sicher, wie man sich in geschäftlichen Dingen behauptete, doch jetzt war er ratlos. »Es geht um Ihren privaten Rachefeldzug, Laudingham«, redete Lady Agatha ungeniert weiter. »Ich kann verstehen, daß Sie die Mörder Ihrer beiden Töchter finden wollen, gut! Aber ich kann nicht verstehen, daß Sie private Rache üben wollen. Sie werden unweigerlich in einem Zuchthaus landen.« »Mylady, äh ich finde, daß das meine sehr private Sache ist«, meinte Bruce Laudingham und wurde kühl. »Und wer sagt Ihnen, daß ich so etwas wie einen privaten Rachefeldzug führen will?« »Das sagen mir die Tatsachen!« Lady Simpson deutete auf die Tür, hinter der John Pinster verschwunden war. »Wie können Sie solch einen Burschen engagieren? Wie können Sie sich mit einem Profigangster aus den Staaten einlassen? Sie wissen, daß ich
dieses Subjekt namens Hale Gatters meine.« »Mylady, ich achte Ihren Rang und Ihr Alter«, erwiderte der Teeimporteur und wurde eisig. »Nur darum werde ich Ihnen antworten.« »Mein Alter wollen wir doch möglichst aus dem Spiel lassen«, warf Agatha Simpson gereizt ein. »Werden Sie nicht persönlich!« »Meine beiden Töchter Jane und Helen sind angeblich ermordet worden, und die Polizei fahndet nach einem oder mehreren Tätern«, schickte Bruce Laudingham voraus. »Nach Lage der Dinge werden die Nachforschungen im Sand versickern. Das nehme ich nicht hin, niemals! Ich will die Kerle sehen, die meine Töchter auf dem Gewissen haben! Und ich werde dafür sorgen, daß sie nicht mit einer kleinen Strafe davonkommen oder schon nach wenigen Jahren wieder wegen guter Führung entlassen werden, verstehen Sie? Gut, ich will meine Rache! Das gebe ich ohne weiteres zu. Und kein Mensch dieser Erde wird mich daran hindern, alles zu tun, um die Mörder zur Strecke zu bringen.« »Auch dann, wenn Sie sich ruinieren?« »Selbst dann, Mylady! Mein Leben hat keinen Sinn mehr. Einige junge Playboys aus der sogenannten guten Gesellschaft werden bald durch alle Höllen gehen, verlassen Sie sich darauf!« »Ich mache Ihnen ein Angebot, Mr. Laudingham.« »Sie bemühen sich unnötig, Mylady.« »Sie werden mich anhören, haben Sie mich verstanden?« Lady Agathas Stimme grollte wie ein heranziehendes Gewitter. »Setzen Sie sich!«
»Pinster!« Bruce Laudinghams Stimme überschlug sich. »Pinster, kommen Sie her!« »Soll das heißen, daß Sie mich an die frische Luft befördern wollen?« Lady Simpsons Pompadour geriet in leichte Schwingungen. Der perlenbestickte Handbeutel, wie ihn Damen um die Jahrhundertwende trugen, enthielt den berüchtigten > Glücksbringer < der Dame, dabei handelte es sich um ein echtes Pferdehufeisen, das nur oberflächlich mit dünnem Schaumgummi umwickelt war. »Ich pfeife auf Ihre gesellschaftliche Stellung, ich pfeife auf Ihr Alter«, keuchte der Teeimporteur, der völlig außer Kontrolle geriet. »Ich will keine guten Ratschläge hören, schon gar keinen Trost! Ich will die Mörder meiner Töchter haben! So, und nun gehen Sie, bevor ich Sie 'rauswerfen lasse!« Der Privatdetektiv erschien vorsichtig in der hinteren Tür und sondierte erst mal die Lage. Als Kenner einer gewissen Szene spürte er sofort, daß diese ältere Dame ungemein explosiv und damit auch gefährlich war. »Mylady wollen gehen«, sagte Laudingham, der sich noch mal zusammenriß und zur Höflichkeit zwang. »Mylady bleiben«, erwiderte die ältere Dame. »Verzichten Sie auf Ihre private Rache, Laudingham, dafür werden Mr. Parker und ich Ihnen die Täter beischaffen und dafür sorgen, daß sie vor ein Gericht gestellt werden. Falls Sie damit aber nicht einverstanden sind, Laudingham, werden wir Sie daran hindern, Privatjustiz zu üben.«
»Lady Simpson geht jetzt«, entschied Laudingham. »Pinster, worauf warten Sie noch?« Der Privatdetektiv fürchtete um seinen Ruf. Er setzte sich in Bewegung und griff sicherheitshalber nach seiner Waffe, die sich in der, Schulterhalfter befand. * »Mylady nutzten das Vorrecht des klügeren Menschen und entfernten sich?« fragte Butler Parker eine Stunde später. »Ich benutzte meinen Pompadour«, antwortete die Detektivin und lächelte versonnen. »Gütiger Himmel, er schlug ein wie eine Bombe!« »Mylady wurden ein wenig nachdrücklich?« Parker, Mike Rander und Kathy Porter befanden sich zusammen mit Lady Agatha im Salon ihres altehrwürdigen Stadthauses in Shepherd's Market. Anwalt Rander hatte seine liebe Not, ein Schmunzeln zu unterdrücken. Natürlich kannte er Lady Agatha von früher her, doch inzwischen hatte er vergessen, wie spontan und energisch diese Dame war. Ein außer Kontrolle geratener Bulldozer war harmlos gegen sie. »Das muß man sich mal vorstellen«, begann Lady Agatha grimmig. »Dieser Lümmel von einem Privatdetektiv wollte wahrscheinlich nach seiner Schußwaffe greifen.« »Wogegen Sie einschritten, Mylady?« erkundigte sich Mike Rander gespielt arglos. »Ich habe ihm gezeigt, was Manieren sind«, antwortete Lady Agatha und nickte. »Leider flog er dabei durch die
Glastür und beschädigte anschließend eine Vitrine.« »Und Mr. Laudingham, Mylady?« Parker sah alles deutlich vor sich. Im Haus des Teeimporteurs mußte ein mittelschwerer Orkan gewütet haben. »Er ergriff die Flucht, was ich überhaupt nicht verstehen kann«, erzählte Agatha Simpson weiter. »Wahrscheinlich hätte ich ihm nichts getan. Er rannte ins Obergeschoß seines Hauses und alarmierte von dort die Polizei.« »Die leider zu schnell erschien, Mylady?« fragte Kathy Porter. »Zwei junge Männer wollten sich mir gegenüber aufspielen.« Lady Simpson lächelte milde. »Ein Sergeant und ein Constable. Ich hoffe, Mike, Sie werden mich vor Gericht vertreten.« »Vor Gericht, Mylady?« Mike Rander brauchte eine Sekunde, bis er begriffen hatte. »Sie haben...?« »Zwei harmlose Ohrfeigen«, sagte die ältere Dame wegwerfend. »Völlig harmlose Geschichte! Aber ich lasse mich nun mal nicht beleidigen.« »Ich werde Ihre Verteidigung übernehmen«, versprach Mike Rander. »Kann ich davon ausgehen, daß die beiden Polizisten nicht in einem Spital liegen?« »Wo denken Sie hin, lieber Junge?« Lady Agatha lächelte verzeihend. »Ich bin doch nicht gewalttätig. Die Nase des Sergeanten blutete schon nach wenigen Minuten überhaupt nicht mehr.« Butler Parker, Kathy Porter und Mike Rander tauschten schnelle Blicke aus, während die ältere Dame sich räusperte. »Reden wir nicht mehr über diese Belanglosigkeit«, schlug Agatha Simpson vor. »Laudingham wird also
auf jeden Fall seinen privaten Feldzug führen, daran ist nicht mehr zu zweifeln.« »Und er wird damit eine Reihe von Morden auslösen, die mit dem eigentlichen Fall nichts zu tun haben«, erklärte Josuah Parker. »Es dürfte ein Gebot der Menschlichkeit sein, Mr. Laudinghams Pläne zu durchkreuzen. Sind Sie möglicherweise auch dieser Ansicht, Sir?« »Sie haben mich doch längst gegen meinen Willen in diese Geschichte hineingezogen«, meinte Anwalt Rander. »Also gut, ich werde mitmachen, aber nur dieses eine Mal, damit keine Mißverständnisse aufkommen! Danach beschränke ich mich ausschließlich auf meine Praxis ...« »Ich hätte nicht übel Lust, Laudingham aus der Stadt zu schicken«, warf die Lady ein. »Könnte man ihm nicht irgendeine Reise verordnen, Mr. Parker?« »Von der er ja irgendwann zurückkehren muß, Mylady.« Parker schüttelte unmerklich den Kopf. »Und dann dürften ihm immer noch angebliche Täter vorgestellt werden.« »Ich denke auch, Mylady, daß wir diesen Fall zügig durchziehen sollten«, schaltete Anwalt Mike Rander sich ein. »Es gibt nur eine einzige Möglichkeit, Laudinghams Rachefeldzug zu unterlaufen: Wir müssen den oder die wahren Täter schnell finden.« »Was ich ja gerade gesagt habe.« Agatha Simpson nickte. »Wir werden schneller sein als die Polizei und als die Gangster. Wir werden getrennt marschieren, aber vereint schlagen.«
»Das Wort 'schlagen', Mylady, sollte man dabei vielleicht nicht zu wörtlich nehmen«, meinte Anwalt Rander lächelnd. »Wir besitzen immerhin eine Liste, die Pinster aufgestellt hat. Vielleicht hat er doch besser gearbeitet, als wir annehmen. Die Personen, die er da nennt, sollte man sich in jedem Fall möglichst schnell ansehen.« »Wie gut Sie mich verstehen, mein Junge!« Lady Simpson nickte dem Anwalt anerkennend zu. »Ich wollte das gerade vorschlagen. Nach dem Lunch sollten wir etwas aktiv werden.« Agatha Simpson strahlte. Alles verlief genau nach ihren Wünschen. Und sie hatte es geschafft, Mike Rander in den Fall hineinzuziehen. Darüber hinaus schaute sie mit großem Wohlwollen auf Kathy Porter und den Anwalt. Sie fand, daß es ein schönes Paar war. Auch in dieser Hinsicht mußte in Zukunft noch einiges getan werden... * Der Superprofi aus den Staaten hatte den Aus- und Umtausch der Personenliste nicht bemerkt. Er hielt die Schreibmaschinenseite in der Hand und studierte Namen und Adressen. Pinster hatte zu jedem Namen noch einige Stichworte hinzugefügt, die etwas über den jeweiligen Namensträger aussagten. Hale Gatters nahm diese Stichworte sehr ernst, zumal die Namen und Adressen ihm nichts sagten. Daß diese Stichworte ebenfalls von Parker stammten, der die Anregung Mike Randers aufgegriffen hatte, ahnte er nicht.
Gatters hatte sich nach dem Weggang von Parker und dem jungen Paar unten in der Hotelhalle die Worte des Butlers gründlich durch den Kopf gehen lassen. Ihm war damit immerhin die Möglichkeit eingeräumt worden, zurückzukehren in die Staaten, doch auf der anderen Seite hatte er gerade in New Yorker Branchenkreisen den Mund ein wenig zu voll genommen und davon gesprochen, für einen kleinen Routinejob ein horrendes Vermögen abzukassieren. Nein, er konnte jetzt nach zwei oder drei Tagen nicht wieder in New York auftauchen und von einem Butler namens Parker sprechen, der ihn dazu gebracht hatte, die Rückreise vorzeitig anzutreten. Ein Butler! Nun, gegen seinen Willen stand der Superprofi noch immer unter dem Eindruck dieses seltsamen Mannes. Mit welch einer Offenheit hatte er die Dinge beim Namen genannt und welche Autorität ging von diesem vermaledeiten Engländer aus! Auf der richtigen Seite -und Gatters meinte seine Seite natürlich - hätte ein Mann wie der Butler drüben in den Staaten eine einmalige Karriere machen können. Hale Gatters überflog noch mal die Liste und entschied sich für die Inhaberin einer Boutique in Soho. Sie hieß Norma Falcett und war laut Liste dreißig Jahre alt. Solch eine Frau, schutzlos und allein, ließ sich bestimmt leicht unter Druck setzen und, zum Plaudern bringen. Es gab da schließlich altbewährte und erstklassige Methoden. Diese Norma Falcett würde ihm schnell einiges über die beiden ermordeten Mädchen Jane und Helen Laudingham sagen können.
Hale Gatters verließ sein Hotelzimmer, nachdem er sich vergewissert hatte, daß seine Schußwaffe wieder in Ordnung war. Und sicherheitshalber nahm er noch ein Rasiermesser mit. Auf Frauen, gleich welchen Alters, machte solch ein Schneidegerät stets tiefen Eindruck. Die meisten Frauen erlitten einen Schock oder gerieten in Hysterie, wenn sie damit nur ganz leicht bedroht wurden. Ein Taxi brachte den Superprofi in den Stadtteil Soho, den Gatters vom Namen her kannte. In diesem Vergnügungs- und Amüsierviertel, wie er Soho sich vorstellte, war mit Ärger durch die Polizei nicht zu rechnen. Soho befand sich nach seiner Vorstellung völlig in der Hand der Unterwelt. Er hatte die kleine Boutique, schnell gefunden, blieb vor dem Schaufenster stehen und beobachtete die Blondine hinter der Verkaufstheke. Sie war zierlich und machte einen zerbrechlichen, hilflosen Eindruck. Gatters sah auf keinen Fall, was tatsächlich mit ihr los war. Norma Falcett war die Freundin eines bekannten Nachtclubbesitzers, der Harry Bondson hieß. Vor einigen Jahren noch war der ehemalige Boxer als Catcher aufgetreten und hatte die Massen durch seine Brutalität zur Raserei gebracht. Der Nachtclub dieses Harry Bondson lag direkt neben der kleinen Boutique, aber darauf achtete der Superprofi aus den Staaten verständlicherweise nicht. Er betrat schwungvoll das Geschäft, in dem sich erfreulicherweise außer der Blondine kein Kunde befand und schob betont und in aller Ruhe den Riegel vor.
Er drehte das Schild >Vorübergehend geschlossen< herum und zog das Rollo vor dem Glaseinsatz der Tür herunter. Die Blondine tat auch einiges, doch das bekam der Superprofi nicht, mit: Norma Falcett drückte auf einen Klingelknopf, der in Höhe der Kasse unter der Theke angebracht war und alarmierte damit ihren Freund Harry im Nebenhaus. »Hallo, Süße«, sagte Hale Gatters und schritt langsam auf die Blondine zu. »Wie war's mit 'ner kleinen Quasselei unter vier Augen? Ich hab' da ein paar Fragen, auf die ich 'ne Antwort brauche.« Während er redete, zog er aus der Ziertuchtasche sein Rasiermesser und klappte es nach Gangsterart lässig auf. »Worüber unterhalten?« fragte Norma Falcett und wich offensichtlich entsetzt zurück, was in Wirklichkeit jedoch nicht der Fall war. Sie hatte überhaupt keine Angst, denn ihr Freund Harry hatte ihr einige Tricks aus seiner Catcherzeit beigebracht, die sie souverän beherrschte. »Über 'nen Doppelmord, Süße«, sagte der Profi. »Schon mal von Jane und Helen Laudingham gehört? Ich wüßte gern, von wem sie umgebracht worden sind und wer sie mit Speeds gefüttert hat? Wie wärs denn mit ein paar hübschen Tips?« Er zerschnitt die Luft mit der Schneide des Rasiermessers und schaute sich die Klinge dann interessiert an. Er wußte, wie überzeugend er gerade in solchen Situationen wirkte. *
Mike Rander war einem Nervenzusammenbruch nahe. Er saß neben Agatha Simpson, die ihren Land-Rover durch die Stadt steuerte und die Verkehrsregeln souverän auslegte. Der Anwalt war von Parker seinerzeit stets verwöhnt worden, was Fahrartistik anging, doch die ältere Dame übertraf das alles und erinnerte längst an einen KamikazePiloten, der ohne Rücksicht auf seine Person das Ziel sucht. »Warum so schweigsam, mein Junge?« fragte Lady Agatha gutgelaunt und visierte einen Möbelwagen an, der laut den herrschenden Regeln die Vorfahrt hatte. »Mylady«, schnaufte Mike Rander und klammerte sich fest. »Der Möbelwagen!« »Ist das nicht eine ausgemachte Frechheit?« Die Sechzigjährige grollte und ließ sich nicht beirren und vom eingeschlagenen Kurs abbringen, »der Bursche muß doch sehen, daß hier eine Dame am Steuer sitzt.« »Er denkt vielleicht...« Mehr vermochte Mike Rander nicht zu sagen. Ein Zusammenstoß, dazu noch frontal, war unvermeidbar. Der Anwalt duckte sich und schloß die Augen. Dann hörte er das wütende Kreischen von Bremsen, wildes Hupen und ein zufriedenes Lachen der älteren Dame. Der Anwalt öffnete vorsichtig die Augen. »Man muß diesen Leuten nur beibringen, was Höflichkeit und Rücksicht im Verkehr bedeuten«, sagte Lady Agatha und nickte zufrieden. »Das hat er nun davon!« Mike Rander schaute sich um. Der riesige Möbelwagen stand auf dem Gehweg, nur wenige Zentimeter entfernt von einer Hauswand. Der
Fahrer war ausgestiegen und schüttelte drohend seine Faust. »Wir sind nicht in großer Eile«, stellte Mike Rander fest. »Darum fahre ich ja auch nicht besonders schnell, Mike«, gab die Lady zurück. »Man muß sich stets unter Kontrolle haben.« Während sie diese Feststellung traf, kurvte sie in die nächste Straße und schaffte es, den an sich nicht gerade leichten Land-Rover auf zwei Außenreifen zu stellen. Sie slalomte dann um einen parkenden Lieferwagen herum und trat jäh auf das Bremspedal. Vor dem Kühler des Land-Rovers standen drei Motorradfahrer in schwarzer Lederkleidung, die ihrerseits bremsten und dabei ein wenig aus dem Gleichgewicht gerieten. Sie waren aggressiv, wie sich zeigte. Sie stellten ihre Maschinen vor der Stoßstange des Rovers ab und liefen zur Fahrerseite hinüber. Als sie die ältere Dame am Steuer entdeckten, ergingen die drei jungen, durchaus stämmigen Männer sich in unfeinen Redensarten. Ausdrücke wie >verrückte Ziege< und >altes Fossil< waren in diesem Zusammenhang noch fast als höflich zu bezeichnen. Dann machten sie den grundsätzlichen Fehler, die Fahrertür aufzureißen. Mike Rander war innerlich bereit, die Dame am Steuer vor Tätlichkeiten zu schützen, doch er erlebte ein Wunder. Lady Agatha hatte die Injurien sehr wohl mitbekommen und revanchierte sich mit schlagenden Gegenargumenten. Der erste Motorradfahrer trug einen Schutzhelm, doch der reichte kaum, um die Wucht des Pompadours
zu dämpfen. Nachdem der darin befindliche >Glücksbringer< sich auf den Schutzhelm gelegt hatte, ging der Fahrer in die Knie, verdrehte die Augen und setzte sich auf den Asphalt. Der zweite Fahrer wurde an der linken Schulter erwischt. Der Pompadour versetzte den Getroffenen in eine Art Kreiselbewegung. Der junge Mann schien sich in den Straßenbelag bohren zu wollen, ging dann in die Waagerechte und fiel über den Sitzenden. Der dritte Fahrer wollte noch reagieren und dem Pompadour ausweichen, doch es gelang nur sehr unvollkommen. Der >Glücksbringer< traf ihn zwischen den Schulterblättern. Der junge Mann, durchaus als stämmig zu bezeichnen, schien vom Schub einer Rakete voranbewegt zu werden. Er jagte quer über die Fahrbahn und landete in einem gepflegten Vorgarten. Nachdem er sich in ein Blumenbeet eingegraben hatte, strampelte er mit den Motorradstiefeln in der Luft herum. »War das nicht der Tatbestand der Beleidigung?« erkundigte Agatha Simpson sich daraufhin bei Anwalt Rander. »Der Körperverletzung«, erwiderte Rander, der mehr an die drei Motorradfahrer dachte. »Das auch«, sagte sie und nickte. »Sie sind mein Zeuge, daß diese ungehobelten Subjekte mich aus dem Wagen zerren wollten. Ich habe große Lust, diesen Lümmeln Manieren beizubringen.« »Mylady, man könnte unter Umständen die Gesprächspartner verpassen«, gab Mike Rander hastig zurück.
»Gut, überredet.« Lady Simpson schloß die Fahrertür und hatte die Absicht, die drei vor der Stoßstange parkenden Motorräder niederzuwalzen. Die beiden Fahrer auf der Straße aber schienen das geahnt zu haben. Sie beeilten sich hastig, ihre Zweiräder zur Seite zu schaffen. Dabei warfen sie scheue Blicke auf die ältere Dame am Steuer. »Falls Sie möchten, Mylady, werde ich gern das Steuer übernehmen«, bot Rander seine Hilfe an. »Schnickschnack, junger Freund!« Sie lachte dröhnend. »Ich fühle mich äußerst wohl und freue mich schon auf diese Wohnkommune.« Mike Rander enthielt sich jeden Kommentars. Lady Simpson pflügte weiter durch den Verkehr und steuerte Portland Place an, das Ziel dieser wildverwegenen Fahrt. »Vielleicht sollten Sie davon ausgehen, Mylady, daß die Liste dieses John Pinster sehr willkürlich zusammengestellt wurde. Vielleicht haben die Mitglieder der Kommune mit dem Doppelmord überhaupt nichts zu tun.« »Man wird sehen, junger Freund.« Agatha Simpson passierte die Rundgebäude der BBC und hatte dann schon fast das Ziel erreicht. Mike Rander deutete auf eine schmale Seitenstraße, und die Lady bugsierte ihr Gefährt schwungvoll in diese Straße. Vor einem alten Backsteinhaus, das ein wenig verkommen aussah, parkten bunt und phantasievoll bemalte VWKäfer und andere Kleinwagen. Instinktiv hielt die Detektivin und deutete auf die Fenster des Hauses, die ebenfalls bemalt waren. »Hier muß es sein«, sagte sie. »Sehr hübsch, das alles, nicht wahr? Ich liebe
diese jungen Menschen, die sich nicht weiter um die Konvention scheren. Ich liebe sie, sofern sie mit dem Mord an den beiden Mädchen nichts zu tun haben.« »Sie wollen ganz unverhohlen danach fragen, Mylady?« »Aber selbstverständlich«, gab sie zurück. »Ich bin immer für die direkte Methode. Höflich, aber ohne Umschweife! Sie werden erleben, wie sehr sich das bewährt, junger Freund.« Mike Rander schwante Schreckliches! * »Doppelmord? Speeds?« Die Besitzerin der Boutique sah den Superprofi aus den Staaten aus schreckgeweiteten Augen an." »Wie hießen die beiden Frauen? « »Jane und Helen Laudingham. Noch nie von gehört, wie?« Hale Gatters zerschnitt mit dem Rasiermesser erneut die Luft und lächelte wölfisch. Er hatte dieses Lachen schon vor Jahren vor dem Spiegel geübt und wußte, wie gefährlich es aussah, »'raus mit der Sprache, Süße, aber'n bißchen plötzlich! Wer hat die beiden Girls mit den Speeds gefüttert?« »Speeds?« Norma Falcett tat, als habe sie diesen Ausdruck noch nie gehört, obwohl sie natürlich genau wußte, was damit gemeint war. »Zieh' hier keine blöde Show ab«, sagte Hale Gatters gereizt. »Das sind diese kleinen, hübschen und manchmal bunten Pillen, die aufputschen und manchmal wie Raketen wirken. Erzähl' mir bloß nichts vom Pferd! Wer hat die Speeds
in die beiden Girls gepumpt bis zum totalen Senkrechtstart?« Norma Falcett bemerkte inzwischen, daß ihr Catcherfreund eingetroffen war. Er stand hinter dem schwarzen Vorhang links von der Kasse, zeigte sich aber noch nicht. Dieser schwere Vorhang bewegte sich nur andeutungsweise. Norma Falcett begriff, warum ihr muskulöser Freund noch nicht eingriff. Er schien am Thema, das dieser Mann da anschlug, sehr interessiert zu sein. Über den Doppelmord war in der Presse tagelang ausführlich berichtet worden. Die zierliche Blondine wußte also durchaus, um was es ging. Es wunderte sie nur, daß ein Gangster sich um diesen Fall kümmerte. »Wie ... Wie sind Sie überhaupt auf meinen Namen gekommen?« fragte sie und zeigte weiterhin Angst. »Die beiden Mädchen habe ich doch nur mal auf einer Party gesehen. Mehr war da nicht.« »Da ist mehr gewesen«, behauptete Hale Gatters und fühlte sich vollkommen als Herr der Situation. Er spürte, daß die kleine Blondine gleich auspacken würde. Sicherheitshalber schnitt er die Luft in der Boutique noch mal an und ließ die Klinge des Rasiermessers blitzen. »Wer die Speeds hatte, weiß ich nicht.« Die Blondine zitterte pflichtschuldigst. »Warum sind Sie eigentlich hinter dieser Sache her? Waren Sie mit den Laudingham-Mädchen befreundet?« »Jetzt reicht's mir langsam«, gab Hale Gatters zurück und rückte ein wenig weiter vor. »Is' das hier 'ne Fragestunde? Ich will endlich Namen hören!«
»Nein, bitte nicht!« Sie riß entsetzt die Arme hoch und stand dicht vor dem schweren Vorhang. Hale Gatters war der festen Ansicht, daß die Blondine gleich reden würde. Er fuchtelte aber noch mal mit dem scheußlichen Rasiermesser in der Luft herum und ... wunderte sich plötzlich, als eine Kohlenschaufel von Hand durch den Schlitz des Vorhangs griff und sich um sein Handgelenk legte. Er stöhnte, hatte das Gefühl, eine Schraubzwinge würde sein Gelenk zerdrücken. Dann stöhnte er noch mal und ging in die Knie. Die eben noch so ängstliche Blondine hatte ihm einen Handkantenschlag zugedacht, der nicht von schlechten Eltern war. Gatters empfand diesen Schlag als eine ausgemachte Gemeinheit, doch er war nicht in der Lage, Protest einzulegen. Er sah Sterne und schickte sich an, ihnen umgehend zu folgen. Ein Dampfhammer landete unter seinem Kinn und schleuderte ihn zur Decke der Boutique. Nach diesem kurzen Höhenflug erfolgte leider keine weiche Landung. Der Superprofi klatschte wie ein nasser Lappen zu Boden und glaubte, in einem tiefen Brunnenschacht zu versinken. »Tu's nicht«, sagte Norma Falcett kühl zu ihrem Freund Bondson, der sich den Kunden im wahrsten Sinne des Wortes noch mal zur Brust nehmen wollte. »Er soll ja schließlich gleich noch was erzählen, Harry.« Der mächtige Kleiderschrank neben der zierlichen Blondine nickte folgsam und nahm Abstand von seinem Vorhaben, den Kerl auf dem Boden in seine Bestandteile zu zerlegen.
Norma Falcett war bereits damit beschäftigt, die Taschen des Superprofis zu durchsuchen. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis sie die falsche Liste in Händen hielt, die man Gatters untergeschoben hatte. Sie las ihren Namen weit oben auf dem Namensverzeichnis und reichte es dann an Bondson weiter. »Darüber werden wir uns gleich mit ihm unterhalten«, schlug sie vor. »Vielleicht läßt sich damit 'ne kleine Geldquelle anbohren, Harry. Laß mich nur machen!« * Butler Parker hatte sich für einen gewissen Ray Mulligan entschieden, der im Haus der BBC arbeitete. Welche Funktion er dort innehatte, erfuhr Parker in der Empfangshalle bei der Auskunft. »Sind Sie angemeldet?« fragte eine hübsche Dame. »In Sachen Laudingham«, antwortete Parker und lüftete höflich die schwarze Melone. »Mein Name ist Parker, Josuah Parker.« Sie bat ihn, einen Moment zu warten und telefonierte dann mit dem Büro Mulligan, wie Parker hörte. Der Mann, den er auf der Liste des Superprofis gefunden hatte, mußte immerhin ein recht einflußreicher Mann sein, der hier im Haus eine wichtige Rolle spielte. Die junge Dame kam zu Parker hinüber und drückte ihm eine Art Laufzettel in die Hand. »Sie finden Mr. Mulligan im Auslandsdienst«, sagte sie und deutete auf eine vorgedruckte Skizze auf dem Pa-
pier. »Sie brauchen nur der Linie hier zu folgen.« »Empfangen Sie meinen tief empfundenen Dank«, erwiderte Butler Parker und lüftete erneut seine schwarze Melone. »Gehe ich recht in der Annahme, daß Mr. Mulligan der Redakteur eines speziellen Dienstes ist?« »Er ist für Lateinamerika zuständig«, erwiderte die junge Dame. »Spanisch und Portugiesisch.« »Dann ist es mit Sicherheit jener Mr. Mulligan, der mich erwartet«, behauptete der Butler und machte sich auf den recht komplizierten Weg, Mr. Ray Mulligan zu besuchen. Nach etwa zwanzig Minuten zielstrebigen Suchens hatte der Butler das Büro erreicht. Er klopfte höflich an, trat ein und sah sich einigen Damen und Herren gegenüber, die Zeitungen auswerteten, auf Schreibmaschinen tippten und Tee tranken. »Sie sind Mr. Parker, nicht wahr?« fragte ein Mann, der in der geöffneten Tür zu einem Nebenraum stand. Er mochte etwa dreißig Jahre alt sein, war schlank und sah recht gut aus. Er hatte ein gebräuntes Gesicht, trug einen kleinen, schmalen Schnurrbart und hatte fast schwarze Augen. »Mr. Mulligan, wie ich vermute?« »Kommen Sie herein!« Mulligan deutete in sein Büro und schloß hinter Parker sorgfältig die Tür. Dann baute er sich vor dem Butler auf und sah ihn kritisch und abschätzend an. »Sie kommen wegen der LaudinghamMädchen? Weshalb zu mir? Was ist los?«
»Sie waren so freundlich, Jane und Helen Laudingham hin und wieder zu beschäftigen, nicht wahr?« »Das habe ich der Polizei doch schon alles gesagt, Mr. Parker. Wer sind Sie denn? Hat Mr. Laudingham Sie geschickt? Sind Sie sein Butler?« »Ich habe die Ehre, der Butler Lady Simpsons sein zu dürfen«, schickte Parker voraus. »Mylady arbeitet an der Klärung dieses verabscheuungswürdigen Doppelmordes.« »Mit dem ich nichts zu tun habe, damit das sofort klar gestellt ist«, sagte Ray Mulligan. »Ich habe die Laudingham-Mädchen hin und wieder mal gesehen, ich meine, so auf Parties, aber nähere Kontakte bestanden nicht.« »Es handelte sich um ausnehmend gut aussehende Damen.« »Ich kann mich nicht erinnern, wirklich nicht.« »Dann stimmt es also nicht, Sir, daß Sie noch wenige Stunden vor diesem Mord in der Gesellschaft der beiden Laudingham-Damen gesehen wurden?« »Wann und wo soll das gewesen sein?« Ray Mulligan schüttelte den Kopf. »Das wollte mein Gewährsmann wider Willen leider nicht sagen«, antwortete Parker. »Dieser Gewährsmann ist überhaupt ein recht schwieriger Mensch, wenn ich es so umschreiben darf.« »Schwierig? Ist das irgendein Mitarbeiter aus dem Haus, der mir was anhängen will? Ich sitze hier nämlich auf so eine Art Schleudersessel, verstehen Sie? Ich bin ebenfalls nur freier Mitarbeiter.«
»Mein Gewährsmann, Sir, ist, um genau zu sein, ein Gangster aus den Staaten«, erläuterte Josuah Parker höflich. »Er hat den Auftrag übernommen, den oder die Mörder von Jane und Helen Laudingham zu finden und zur Rechenschaft zu ziehen.« »Für wen? Aha, ich verstehe, für Mr. Laudingham, nicht wahr?« Ray Mulligan war nervös geworden. »Für einen Vater, der Rache üben will und wird«, erklärte Butler Parker. »Und , besagter Gewährsmann ist fest davon überzeugt, daß Sie die beiden Opfer mehr als nur flüchtig kannten. Er glaubt ferner, daß Sie mit den jungen Damen noch kurz vor dem Mord zusammen gewesen sind.« »Nun ja, das könnte schon sein. Wir waren alle auf einer Party«, räumte Ray Mulligan überraschend ein. »Wir feierten den Abschluß einer Spielserie für das Fernsehen, verstehen Sie? Das ganze Haus war voll bis unters Dach.« »Welches Haus, Mr. Mulligan? Dieser Hinweis wäre unter Umständen recht wichtig für Sie, würde ich sagen.« »Es steht in der Mortimer Street, gar nicht weit von hier entfernt. Stew Ratford hat es gemietet, das ist der Regisseur der Serie. Aber fragen Sie mich bloß nicht, wer alles auf dieser Party gewesen ist. Da ging's 'rein und 'raus, wie das bei Parties eben so ist. In dem Haus wohnt er übrigens nicht allein. Ich will mir ja nicht den Mund verbrennen, aber sprechen Sie doch mal mit Chris Nash über die beiden Mädchen. Ich glaube, er war ganz verrückt auf sie.« »Haben Sie darüber bereits mit der Polizei gesprochen, Mr. Mulligan?«
»Natürlich nicht, ich schwärze doch keine Kollegen an.« Ray Mulligan sah den Butler fast empört an. »Bei Ihnen ist das anders, verstehen Sie? Sagen Sie Ihrem Gewährsmann, daß er bei mir an der falschen Adresse ist! Noch einmal: Ich habe mit dem Mord überhaupt nichts zu tun. Und dann sollten Sie sich mal um diese Schauspielerkommune am Portland Place kümmern. Da waren Jane und Helen Laudingham oft, wie ich so gehört habe. Hören Sie, dieser Gangster, wird er Ärger machen? Glauben Sie, daß er hier aufkreuzen wird?« »Mit dieser Möglichkeit sollten Sie rechnen«, antwortete Butler Parker. »Je schneller der oder die Mörder gefunden werden, desto sicherer dürften Sie sein. Darf ich noch mal auf den erwähnten Mr. Chris Nash zurückkommen? Er wohnt also im Haus des Regisseurs Ratford. Wie darf ich ihn einstufen?« »Chris Nash?« Ray Mulligan überlegte kurz. »Tja, wie soll ich Ihnen das erklären, Mr. Parker? Chris Nash ist eine Art Regieassistent von Stew Ratford. Unter uns, ich begreife einfach nicht, wie Ratford so etwas neben sich duldet. Chris Nash ist ein unmöglicher Flegel, ohne jede Manieren. Er erlaubt sich Ratford gegenüber Frechheiten, die einmalig sind. Mehr möchte ich dazu aber nicht sagen.« »Er kannte Jane und Helen Laudingham?« »Da bin ich fast sicher, Mr. Parker.« Ray Mulligan schien sich entschieden zu haben, Chris Nash zu belasten. »Doch, ich weiß es jetzt wieder. Sie waren ein paar Mal zusammen in
dieser Schauspielerkommune. Nash hat die beiden Laudingham-Mädchen dort auch eingeführt. Jetzt dämmert es mir langsam wieder.« »Ihre Hinweise und Andeutungen möchte ich als äußerst interessant und wertvoll einstufen, Mr. Mulligan«, bedankte sich Parker. »Und was ist mit diesem Gangster?« Ray Mulligan war ins Schwitzen gekommen. »Können Sie nicht dafür sorgen, daß der Bursche mich in Ruhe läßt?« »Dafür wird gesorgt werden«, entgegnete der Butler. »Wenn ich die Lage recht beurteile, dürfte der erwähnte Gangster zur Zeit kaum Lust verspüren, weitere Ermittlungen anzustellen, was Sie betrifft.« Butler Parker dachte an die falsche Liste, die man dem Superprofi unterschoben hatte und an die Personen, die er danach besuchen würde. Hale Gatters standen böse Stunden bevor. * Der Superprofi aus den Staaten wußte jetzt wie es ist, durch einen Fleischwolf gedreht zu werden. Es gab wohl kaum einen Knochen in seinem Leib, der nicht schmerzte und angebrochen zu sein schien. Der Gangster saß in einer Ecke des Lagerraums und stierte aus trüben Augen auf den Catcher und die zierliche Blondine. Das saubere Paar war dabei, die Liste zu studieren. Es hatte Hale Gatters ausgiebig befragt und sich nach allen Einzelheiten des Falles Laudingham erkundigt.
In einem Fall jedoch hatte Hale Gatters nicht die Wahrheit gesagt. Er hatte behauptet, die Liste einem gewissen Butler Parker abgejagt zu haben. Gatters wünschte sich nämlich sehnlichst, daß auch dieser verdammte Butler von dem Catcher durch den Fleischwolf gedreht wurde. Geteilter Schmerz war halber Schmerz, wie er fand. »Wie war das mit diesem Butler?« fragte Catcher Bondson und baute sich vor Hale Gatters auf. »Sag' schon, Profi, wie das gewesen ist!« »Schon gut, schon gut«, antwortete der Superprofi nervös, als Bondson nach ihm langen und ihn hochziehen wollte. »Ich sage alles, ich kenne jetzt keine Rücksicht mehr.« »Hau' ihm sicherheitshalber noch eine 'rein«, verlangte die zierliche Blondine. »Später vielleicht«, entschied Catcher Harry Bondson gutmütig. »Nicht immer gleich übertreiben, Norma. Also, wie war das mit der Liste hier?« »Bevor ich ankam, hat dieser Butler sie aufgestellt«, log Hai Gatters. »Ich hab' das von Laudinghams Privatdetektiv Pinster. Der wohnt bei dem Teefritzen und leitet die Suche nach dem Mörder der beiden Girls.« »Und der Butler? Was ist das für ein Typ?« Harry Bondson erinnerte sich dumpf, diesen Namen mehrfach gehört zu haben. »Parker und diese alte Lady machen doch auf Privatdetektiv«, erklärte Hale Gatters weiter. »Und die haben mich eiskalt ins Messer 'reinrennen lassen. Ich meine, das hier mit der Boutique. Ich wette, der Butler hat das absichtlich getan, um mich auszuschalten.«
»Nehmen wir ihm das ab?« Bondson wandte sich an seine zierliche Freundin. »Doch, das schon«, gab sie zurück, »aber hau' ihm endlich noch eine 'rein. Denk an das Rasiermesser!« »Ich ... Ich hätte niemals damit...« Dann jaulte Hale Gatters und hatte keine Gelegenheit mehr, den Satz zu beenden. Der Catcher war dem dringenden Wunsch seiner Freundin nachgekommen und hatte noch mal zugelangt. Hale Gatters wirbelte durch den Lagerraum und blieb dann halb in einer geöffneten Kiste liegen. »Was machen wir mit dem?« fragte Bondson und sah seine Freundin an. »Ich würde ihn am liebsten...« »Nee, kommt nicht in Frage.« Bondson schüttelte energisch den Kopf. »Mord steht nich' auf dem Fahrplan, Norma. Mit sowas geb' ich mich nich' ab.« »Willst du ihn etwa laufen lassen?« »Paßt mir auch nicht, Norma. Ich würde sagen, er wär' in 'nem Krankenhaus am besten aufgehoben, oder?« »Dann könnten wir ihn jederzeit besuchen.« Die Zierliche mit dem goldigen Gemüt war sofort einverstanden. »Und wir nehmen uns dann diesen Butler vor.« »Dann geh' mal für 'nen Moment 'raus«, erwiderte der Catcher. »Ich mach' den Typ abholklar.« »Aber denk' an das Rasiermesser«, schärfte sie ihm ein. »Stell' dir nur mal vor, er hätte mein Gesicht zerschnitten, Harry! Steh' dir das genau vor! Einen Denkzettel könntest du ihm ruhig verpassen.« »Mach' ich schon, Norma.« Er küßte sie. »Du weißt doch, daß ich für dich alles tu', oder?«
Während sie den kleinen Lagerraum verließ, ging der Catcher auf den Superprofi zu, um dessen Einlieferung ins Krankenhaus vorzubereiten. * »Also, Geduld müssen Sie schon haben, Süße«, sagte Chris Nash und lächelte. »Ohne Geduld keine Chance und Karriere. Ratford muß ja bald aufkreuzen.« Kathy Porter hatte sich mit Butler Parker darauf geeinigt, dem Regisseur Stew Ratford einen Besuch abzustatten. Sie befand sich schon seit einer halben Stunde in dem Haus an der Mortimer Street. Es war für sie eine Überraschung, daß sie hier auf diesen Chris Nash gestoßen war. Auf der Liste des Privatdetektivs Pinster war er nämlich nicht verzeichnet gewesen. Chris Nash war vielleicht sechs- oder achtundzwanzig Jahre alt,- mittelgroß und schlank. Er sah durchschnittlich aus, wenn man mal von seinen schräg stehenden Augen absah, die ihm das Aussehen eines Fuchses verliehen. Sein Mund war schmal, und der linke Mundwinkel zuckte fast ununterbrochen. Von diesem Chris Nash ging eine Hektik aus, die etwas mit seinen Nerven zu tun haben mußte. Dieser Mann schien ununterbrochen unter Volldampf zu stehen. Kathy Porter, die mit Stew Ratford gerechnet hatte, wirkte keineswegs herausfordernd wie ein Starlet gängiger Art. Bevor sie Maske gemacht hatte, war das Aussehen der beiden Laudingham-Mädchen von ihr genau studiert worden. Entsprechende
Fotos hatten die Zeitungen hinreichend veröffentlicht. Kathy Porter trug einen weiten, schwingenden Rock, der Taille und Beine besonders betonte. Die Bluse war einfach, aber raffiniert geschnitten und unterstrich ihre Formen, das Make-up war dezent. Die Augen hatte Kathy Porter besonders betont. Auf den Fotos war ihr aufgefallen, daß dies auch Jane und Helen Laudingham getan hatten. Chris Nash erinnerte wirklich an einen Fuchs, der um seine Beute streicht und nur auf die passende Gelegenheit wartet, zupacken zu können. »Glauben Sie, daß Mr. Ratford wirklich Zeit für mich hat?« fragte Kathy Porter. »Dafür werde ich schon sorgen«, meinte der Assistent des Regisseurs und winkte großspurig ab. »Nun nehmen Sie schon endlich 'nen kleinen Schluck, damit Sie sich entkrampfen.« »Ich trinke so gut wie keinen Alkohol«, sagte Kathy Porter, die sich hier als Judy Regent vorgestellt hatte. Sie blieb bei der Rolle, für die sie sich entschieden hatte: Sie war das etwas schüchterne Mädchen aus der Provinz, das sich ein Herz gefaßt hatte, um bei einem Regisseur vorzusprechen. »'n Sherry kann nicht schaden«, sagte Chris Nash. »Nun zieren Sie sich bloß nicht, damit laufen Sie in unserer Branche nur auf!« Er ging zur protzigen Hausbar und goß ihr einen Sherry ein. Sie nippte gehorsam daran und schlug dann die Augen nieder. Chris Nash leckte sich die schmalen Lippen, sein Mundwinkel zuckte noch intensiver. Kathy Porters Zurückhaltung schien ihn zu animieren.
»Verdammt, er kommt!« sagte er dann gereizt, als Schritte im Korridor zu hören waren. Wenig später trat ein etwa fünfzigjähriger Mann ein, der sich bewußt jugendlich kleidete. »Was läuft denn hier?« fragte er. Der Regisseur war leicht angetrunken. Sein onduliertes, aber schütteres Haar war aschblond gefärbt, wie Kathy Porter beiläufig feststellte, als sie wie ein braves Schulmädchen aufsprang und ihn aus großen Augen ansah. »Nachwuchs«, stellte Chris Nash vor und zeigte auf Kathy Porter. »Das ist Judy Regent, die Karriere machen will, Chef.« »Passabel, recht passabel!« Stew Ratford musterte Kathy Porter. »Und wieso kommt sie ausgerechnet zu mir?« »Sie ist mit den LaudinghamMädchen befreundet gewesen«, erwiderte Chris Nash. »Sie haben sich vor ein paar Wochen mal über Film, Funk und Fernsehen unterhalten.« »Bevor ich wieder nach Brighton fuhr«, warf Kathy Porter ein. »Dort wohne ich nämlich.« »Laudingham-Mädchen?« Der auf Jugend getrimmte Regisseur schien mit diesem Hinweis überhaupt nichts anfangen zu können. »Ist ja auch gleichgültig. Ich bin jetzt nicht in Form, Miß, wie war noch der Name?« »Judy Regent, Sir«, gab sie schüchtern und brav zurück. »Ich bin ja so glücklich, daß Sie mich wenigstens ... Also, ich habe ... Ich bewundere Sie!« »Chris, rede du mit dem Mädchen«, sagte der Regisseur, der nun ein wenig schwankte. »Ich bin voll, fürchte ich. Hören Sie, Miß Regent, kommen Sie noch mal vorbei, ja? Chris wird das mit Ihnen ausmachen, klar?«
Stew Ratford schwankte aus dem Zimmer und verschwand wieder im Korridor. »Wie wär's denn mit einer kleinen Sprech- und Talentprobe?« fragte Chris Nash rundheraus. »Der Chef hört auf das, was ich sage. Ich möchte mal sehen, was Sie so zu bieten haben, Judy. Kommen Sie, nehmen Sie noch'n Anheizer. Sie sind ja total verklemmt.« Er ging mit dem leeren Sherryglas noch mal zur Hausbar und füllte es. Kathy Porter war geschmeidig aufgestanden und stand mit wenigen, geräuschlosen Schritten hinter ihm. Sie bekam deutlich mit, daß er aus einer Angustoraflasche ein paar Spritzer in das Sherryglas schüttete". Bevor der Fuchs sich umwandte, stand Kathy Porter schon wieder wie ein braves Schulmädchen vor ihrem Sessel und schien schüchtern und verlegen. * Der Fahrer, der aus dem Taxi stieg, war etwa fünfzig Jahre alt. Er trug eine Lederjacke, eine flache Ledermütze und machte einen recht handfesten Eindruck. Sein Schnauzbart verdeckte fast die, Oberlippe. Dieser Taxifahrer also stand vor dem Haus des Regisseurs Stew Ratford und ging zur Haustür, die offensichtlich nur angelehnt war. Der Mann fand das nach einer blitzschnellen Prüfung heraus und betrat das Gebäude. Er blieb einen Moment stehen, orientierte sich und entdeckte auf einem Sessel in der kleinen Vorhalle
einen leichten Damenmantel. Dann hörte er Musik, Stimmen und marschierte entschlossen auf diese Geräusche zu. Vor einer angelehnten Tür blieb er stehen und schaute in einen großen Wohnraum, aus dem die Disko-Musik kam. Er hörte eine anfeuernde Stimme, dann einen dumpfen Fall. In sein Blickfeld geriet ein junger Mann von etwa sechsundzwanzig Jahren, dessen Gesicht ihn an das eines Fuchses erinnerte. Er kam direkt auf die Tür zu. Der Taxifahrer trat zur Seite und baute sich neben einer Standuhr auf. Der junge Mann mit dem Fuchsgesicht erschien in der Wohnhalle und eilte über die Treppe ins obere Stockwerk. Der Taxifahrer verließ sein provisorisches Versteck und betrat den Raum. Neben einer breiten Couch lag eine junge Frau, deren Bluse weit geöffnet war und einige pikante Einblicke gewährte. Sie nahm jetzt langsam den Kopf herum und sah den Taxifahrer aus glasigen Augen an. Dann erhob sie sich blitzschnell und machte einen völlig klaren und konzentrierten Eindruck. »Gleich dürfte es soweit sein, Mr. Parker«, sagte Kathy Porter zu dem Butler. »Er hat mir etwas in den Sherry getan. Das Mittel befindet sich dort drüben in der Angustoraflasche.« »Haben Sie davon genommen, Miß Porter?« erkundigte Parker sich, der ein wenig Maske gemacht hatte. Er nahm die kleine Flasche an sich. »Nein.« Sie schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich habe ihn abgelenkt und den Sherry dort in die Blumenvase gegossen. Er will jetzt Stew Ratford holen.
Moment, ich glaube, sie kommen bereits...« Butler Parker blieb beherrscht wie stets. Er ging um die breite Couch herum' und verschwand in der Tiefe des Zimmers. Kathy Porter hatte keine Zeit mehr, sich weiter um ihn zu kümmern. Sie nahm wieder die alte Stellung vor der Couch ein und schlüpfte zurück in ihre Rolle. »Die ist high, Chef«, sagte Chris Nash und bugsierte den Regisseur ins Zimmer. »Wenn schon, Chris.« Stew Ratford war noch sichtlich schwach auf den Beinen. »Ich bin nicht in Form. Laß sie in den nächsten Tagen mal kommen.« »Und was mach' ich jetzt mit ihr?« »Sie gehört dir, von mir aus!« Stew Ratford unterbrach sich. »Noch besser, setz' sie an die frische Luft!« »Sie ist high, Chef. So kann ich sie nicht 'rausschicken.« »Dann stell' sie unter die Dusche. Ja, tu' das! Die ganze Sache gefällt mir nicht.« »Die is' doch genau Ihr Typ, Chef, das hab' ich auf den ersten Blick gesehen. Scheu wie'n Reh und unerfahren wie'n Schulmädchen.« »Mir is' schlecht.« Regisseur Stew Ratford schwankte zur Tür und hatte einige Mühe, sich noch mal umzuwenden. »Ruf von mir aus Mulligan an, vielleicht hat der Interesse.« Er verließ den großen Wohnraum und mühte sich über die Treppe nach oben. Der Mann mit dem ausgeprägten Fuchsgesicht blieb vor Kathy Porter stehen und wußte nicht, was er machen sollte.
Er fuhr überrascht zurück, als Kathy Porter plötzlich geschmeidig aufstand und die Bluse schloß. »War das die Methode, mit der Sie Jane und Helen Laudingham behandelt haben?« fragte sie kühl. »Wie ... Wie war das? Wer sind Sie?« Chris Nash wurde nervös. »Womit haben Sie die beiden Mädchen high gemacht?« fragte Kathy Porter weiter. Chris Nash wandte sich unwillkürlich um und sah zur Hausbar. Er entdeckte sofort, daß die Angustoraflasche fehlte. »Rücken Sie die Flasche 'raus«, verlangte er. »Geben Sie sie sofort her!« »Was verabreichen Sie in solchen Fällen?« fragte Kathy Porter weiter. »Nehmen Sie Speeds oder noch härtere Drogen?« »Sind Sie von der... Polizei?« »Schlimmer«, bluffte Kathy Porter. »Ich arbeite für Mr. Laudingham. Er will die Mörder seiner beiden Töchter finden. Und es steht fest, daß sie hier in diesem Haus gewesen sind!« »Niemals! Die sind hier nicht high gemacht worden. Die waren's schon, als sie aufkreuzten, äh, ich meine ...« »Sie waren also hier. Und woher kamen sie? Von wem wurden sie begleitet?« »Jetzt ist aber Schluß!« Chris Nash hatte sich endlich gefaßt und wurde wütend. »Ich laß mich doch nicht ausfragen! Wer bin ich denn!?« »Ein mieser Zulieferer für Ihren Chef«, stellte sie sachlich fest. »Woher kamen die beiden Laudingham-Mädchen, und wer hat sie begleitet?« Chris Nash schien die Absicht zu haben, sich auf Kathy Porter zu stürzen, doch dann verzichtete er darauf. Ihre
lässige und entspannte Haltung warnte ihn. Ein Held war dieser Nash sicher nicht. »Hören Sie, ich mache Ihnen einen Vorschlag«, schickte er voraus, »Sie geben mir das Angustorafläschchen zurück, und ich werde Ihnen ....« »Ich hätte Ihnen sagen sollen, daß Mr. Laudingham einen Gangster aus den Staaten kommen ließ, um diesen Fall zu klären«, antwortete Kathy Porter, die ihn nicht ausreden ließ. »Dieser Mann wird die Fragen anders stellen als ich.« »Wir... Wir haben mit der ganzen Sache überhaupt nichts zu tun«, wiederholte Chris Nash noch mal. »Verdammt, so glauben Sie mir doch! Die beiden Girls waren schon hin, als sie hier auftauchten. Das schwöre ich. Die waren bis zum Rand voll.« »Und wer brachte sie mit?« »Bernie Penton.« Chris Nash rang sich diesen Namen förmlich ab und beging dann den Fehler, über Kathy Porters Schulter hinweg zur Tür zu blicken. Kathy wandte sich halb um und sah sich dem Regisseur gegenüber, der wie ein gereiztes Tier hereinkam. Er schien inzwischen nüchtern geworden zu sein. »Blöder Hund«, fuhr er seinen Assistenten an. »Los, nimm ihr die Flasche weg!« Die beiden Männer drangen auf Kathy Porter ein, die sich nicht von der Stehe rührte und den Angriff in aller Ruhe abwartete. Sie nahm fast gleichgültig zur Kenntnis, daß Stew Ranford nicht vergaß, eine schwere Kristallvase in die Hand zu nehmen, die er eindeutig als Waffe zu benutzen gedachte.
* Bernie Penton war ein Naturbursche, wie aus einem Bilderbuch. Er war groß, durchtrainiert, hatte ein gutmütiges Jungengesicht und Muskelpartien, wie man sie sich ausgeprägter kaum denken konnte. Er trug nur zerbeulte Jeans, mehr nicht. Er sah Lady Simpson und Anwalt Mike Rander spöttisch an. »Ich habe große Lust, Sie 'rauszuwerfen«, sagte er, sich an Mike Rander wendend, der irgendwie aufreizend auf diesen Naturburschen wirkte. Rander trug tadellose Flanellhosen, einen dunklen Blazer und ein weißes Hemd mit Krawatte. »Reden Sie nicht um den heißen Brei herum, junger Mann«, fuhr Agatha Simpson den Naturburschen grollend an. »Sie kennen also die beiden Laudingham-Mädchen, das ist erwiesen. Jeder hier in dieser ... Kommune hat das ausgesagt. Und Sie sind mit den Mädchen in der Mordnacht ausgegangen und unterwegs gewesen.« »Wenn ich schon antworte, dann nur der Polizei, aber doch nicht zwei komischen Amateurdetektiven«, spottete Bernie Penton. Er gab sich wie in seinen beiden Fernsehserien, die man mit ihm als Helden gedreht hatte. Er war bärenstark, überlegen und scheute weder Tod noch Teufel, wenigstens spielte er sich so auf. Und erneut musterte er den Anwalt, der ein wenig gelangweilt eine Zigarette rauchte. »Haben Sie vergessen, daß Mr. Laudingham einen Gangster engagiert hat, der die Mörder meiner beiden Töchter suchen soll?« warf Mike Rander ein. »Begreifen Sie, was da auf Sie zu-
kommt, Mr. Penton? Nach solch einem Besuch werden Sie nicht mehr so aussehen wie jetzt, fürchte ich.« »Sie gehen mir auf die Nerven, Sie Fatzke.« »Ich empfinde ähnlich, was Sie betrifft, Penton, aber ich wollte es aus Höflichkeit nicht sagen.« Damit brannten Bernie Pentons innere Sicherungen durch. Er war es sich und seinem Rollenfach einfach schuldig, seine Muskeln spielen zu lassen. Er drückte sich ab und warf sich mit vorschnellender Faust auf den Anwalt. Mike Rander wechselte kaum seine Haltung. Mit dem linken Unterarm blockte er den ihm zugedachten Schlag souverän ab und ließ dann seine rechte Hand vorschnellen. Sekunden später riß es Penton die Beine unter dem Leib weg. Er legte sich seitlich auf den Parkettboden seines Zimmers und keuchte. Mike Rander klopfte sich lässig einige Aschespuren der Zigarette von seinem Blazer. »Das hier ist die rauhe Wirklichkeit«, erklärte er. »Ich weiß, daß es im Film immer zu Ihren Gunsten ausgeht, aber das dürfte mit dem Drehbuch zusammenhängen.« Bernie Penton hatte sich inzwischen wieder gefangen und sprang hoch wie eine Wildkatze. Er war sportlich tatsächlich durchtrainiert und hatte in fast allen Szenen seiner Fernsehreihen auf ein Double verzichtet. Er fintierte mit der rechten Hand und wollte Mike Rander dann mit einem blitzschnellen Fußtritt außer Gefecht setzen. Der Anwalt wich fast unmerklich zur Seite und hebelte mit seinem linken Fuß den Angriff aus. Bernie
Penton krachte erneut aufs Parkett und blieb diesmal ein wenig länger liegen. Sein Fall war draußen vor der Tür gehört worden, wie sich zeigte. Die Tür wurde aufgerissen, und drei junge Mitglieder der Wohngemeinschaft stürmten herein, um etwas für ihren Bernie Penton zu tun. Lady Agatha strahlte. Ihr Pompadour war bereits in leichte Schwingungen geraten, doch jetzt pendelte er weit durch. Der Glücksbringer« säbelte zwei der Angreifer sofort zu Boden. Sie fielen auf die Knie und streckten anschließend die Arme und Beine weit von sich. Der dritte Mann brachte sich in letzter Sekunde in Sicherheit und griff nach einem Tablett. Was er damit nun genau geplant hatte, ließ sich nicht mehr feststellen, denn die ältere Dame erwies sich als gewiefte Einzelkämpferin. Sie ließ den Pompadour los und gab ihn frei für eine kleine Luftreise. Der perlenbestickte Handbeutel zischte rasant durch die Luft und landete auf der Nase des Tablettbesitzers. Das Tablett löste sich aus den Händen des Angreifers und wurde von Lady Agatha geschickt aufgefangen. Da sie im Moment keine bessere Verwendung dafür hatte, legte sie es dem aufstehenden Bernie Penton auf den Kopf, der sich daraufhin wieder setzte. Mike Rander war so menschenfreundlich, den dritten jungen Mann, dessen Nase sich verbogen hatte, in einen Sessel zu drücken. »Wir wollen uns doch wie zivilisierte Menschen benehmen«, schlug Anwalt Rander vor. »Warum eigentlich?« fragte Lady Agatha grimmig und animiert
zugleich. »Ich bin angegriffen und beleidigt worden. So kann man mit mir nicht umspringen. Mr. Rander, würden Sie mal für einen Moment aus dem Zimmer gehen? Zuviel Rücksicht kann manchmal sehr schädlich sein!« . * »Das ist aber eine nette Überraschung.« Lady Simpson zeigte sich von ihrer sonnigsten Seite und nickte Chief-Superintendent McWarden wohlwollend zu. Sie ging ihm entgegen und musterte den Mann, der stets wie ein gereizter Bullterrier aussah. »Ich komme nicht zufällig vorbei, sondern ich bin dienstlich hier«, antwortete McWarden. »Mylady, es sind da Anzeigen und Beschwerden eingegangen, die ich diesmal nicht decken kann.« »Mr. Parker, ein Gläschen Sherry für meinen lieben Freund McWarden«, flötete Lady Agatha. »Gut sehen Sie aus, lieber McWarden! Sie scheinen in jüngster Zeit einige Erfolgserlebnisse hinter sich gebracht zu haben.« »Wie man's nimmt, Mylady.« McWarden lächelte wider Willen, was bei ihm nicht üblich war, denn Lachen schien ihm grundsätzlich fremd zu sein. »Ich habe den Sergeant und den Constable dazu gebracht, ihre Anzeige gegen Sie zurückzuziehen.« »Diese beiden Männer haben also eingesehen, daß sie mich zutiefst beleidigt haben, wie?« »Beleidigt?« McWarden räusperte sich. »Sie haben diese beiden Männer angefallen, um genau zu sein.« »Mylady war bereits so freundlich, einen Scheck an die Witwenkasse der
Polizei zu übersenden«, schaltete Josuah Parker sich ein, bevor McWarden das Thema weiter ausspinnen konnte. »War ich das?« fragte die ältere Dame verdutzt. »In der Tat, Mylady«, gab Parker zurück. »Richtig, jetzt fällt es mir wieder ein.« Sie nickte und hatte verstanden. »Wie Mr. Laudingham sich verhalten wird, weiß ich allerdings nicht«, redete der ChiefSuperintendent weiter. »Wenn ich den Bericht richtig verstanden habe, will er von Ihnen massiv bedroht worden sein. Auch dieser Privatdetektiv Pinster, der augenblicklich in seinem Haus wohnt, will mißhandelt worden sein.« »Diesen Beweis werden die beiden Herren aber erst noch antreten müssen.« Anwalt Mike Rander meldete sich lächelnd zu Wort. »Gibt es noch weitere Vorwürfe gegen Lady Simpson?« »Da sind drei Rocker, Mr. Rander, die zu Protokoll gegeben haben, von der Lady verletzt worden zu sein!« »Glauben Sie das etwa, Chief-Superintendent?« »Ich schon, aber falls es zu einer Anklage kommt, wird der Richter das kaum verstehen.« »Das will ich meinen.« Lady Agatha nickte zufrieden. »Man sieht doch, daß ich eine schwache und hilflose Frau bin.« »Die Liste ist noch nicht vollständig, Mylady.« McWarden räusperte sich erneut. »Sie waren zusammen mit Mr. Rander in einer Wohnkommune am Portland Place?« »Sehr interessante, nette und junge Menschen.« Agatha Simpson lächelte
froh. »Ich habe mich besonders mit einem Bernie Penton gut unterhalten.« »Er hat zu Protokoll gegeben, Sie hätten ihn fast umgebracht.«; »Was sagen Sie dazu, Mike!?« Lady Agatha sah den Anwalt empört an.»Sie waren doch Augenzeuge. Habe ich gegen Gesetze verstoßen? Bin ich nicht ausgesprochen zurückhaltend gewesen?« »Drei Mitglieder dieser Schauspielerkommune behaupten glatt das Gegenteil, Mylady. Sie mußten ärztlich versorgt werden.« »Ach, Sie meinen dieses kleine und dumme Mißverständnis?« Lady Agatha schmunzelte. »Ich fühlte mich angegriffen und verteidigte mich. Nachher stellte sich heraus, daß ich die Lage falsch beurteilt hatte. Glauben Sie mir, lieber McWarden, wir schieden fast als Freunde.« »Aber nur fast, Mylady.« McWarden grinste endlich wie ein normaler Mensch. Gegen die verbale Komik kam er einfach nicht an. Die kriegerische Dame stellte sich wieder mal als hilfloser Unschuldsengel dar. Und er wußte nur zu gut, wie temperamentvoll sie war. »Sonst noch etwas?« erkundigte sie sich. »Liegt vielleicht auch etwas gegen Kathy Porter und Mr. Parker vor?« »Sie waren ebenfalls unterwegs?« McWarden sah den Butler mißtrauisch an. »Ich schöpfte nur das, was man ein wenig frische Luft zu nennen pflegt, Sir«, gab Josuah Parker würdevoll zurück. »Ich bin mir sicher, keine Konflikte ausgelöst zu haben.« »Dann geht dieser Profi aus den Staaten also nicht auf Ihr Konto?«
»Das sind aber Neuigkeiten!« Lady Agatha spitzte die Ohren. »Meinen Sie diesen Gangster, den Laudingham engagiert hat? Was ist mit ihm?« »Sie wissen es wirklich nicht, Mylady?« »Würde ich sonst fragen, McWarden? Was ist mit diesem Mann? Wie heißt er noch?« »Hale Gatters, Mylady. Er liegt in einem Spital. Eine ungewöhnliche Geschichte, die da passiert ist. Er wurde vor dem Eingang des Spitals quasi ausgesetzt.« »Würde Mr. Parker so etwas je tun, McWarden? Machen Sie sich nicht lächerlich! Was hat dieser Lümmel denn?« »Ein paar lädierte Rippen, Mylady, eine Schulterverrenkung, Prellungen und Stauchungen. Er gibt an, er sei eine Treppe hinuntergestürzt.« »Warum nehmen Sie ihm das nicht ab, McWarden?« erkundigte sich die ältere Dame weiter. »Wie leicht stolpert man heutzutage über eine tückische Stufe. Hale Gatters ist demnach nicht mehr aktionsfähig?« »Mit zwei oder auch drei Wochen Krankenhaus muß er schon rechnen. Sie ahnen nicht zufällig, über welche Stufe er gestolpert sein könnte?« »Sie werden ein Schweigen der hier Anwesenden registrieren, Sir«, schaltete Josuah Parker sich ein. Er dachte sofort an die falsche Liste, die man Hale Gatters unterschoben hatte. Natürlich sagte er davon kein Wort. Interne Dinge brauchte McWarden nicht zu erfahren. »Nun, mir soll's nur recht sein, daß dieser Gangster ausgeschaltet ist«, erklärte der Chief-Superintendent. »Da-
mit dürfte Laudingham seine Privatrache einstellen.« »Sie sollten den gerade erwähnten Herrn nicht unterschätzen, Sir«, warf Josuah Parker ein. »Möglicherweise wird er seine Anstrengungen verdoppeln.« »Dann wird es also höchste Zeit, McWarden, daß Sie endlich den oder die Mörder der beiden LaudinghamMädchen finden«, sagte Agatha Simpson eindringlich. »Haben Sie endlich ein paar brauchbare Spuren entdeckt?« »Kaum.« McWarden zeigte sich erstaunlich zurückhaltend, ein sicheres Zeichen dafür, daß er auf einer heißen Spur war. »Ach, richtig, das aber sollten Sie eigentlich noch wissen, denke ich: Die beiden Laudingham-Mädchen starben eindeutig an einer, Überdosis von Amphetaminen. Erst nach ihrem Tod wurden die Würgemale beigebracht. Das steht inzwischen einwandfrei fest.« »Darf ich fragen, Sir, ob Sie Mr. Laudingham überwachen lassen?« fragte Butler Parker, ohne auf den Hinweis des Chief-Superintendenten einzugehen. Er wollte das Thema Drogen, Amphetamine und Weckamine nicht weiter vertiefen. »Ich lasse ihn direkt überwachen«, räumte McWarden widerwillig ein. »Ich muß schließlich verhindern, daß dieser Mann Amok läuft. Es gefällt mir einfach nicht, daß dieser Privatdetektiv Pinster bei ihm ist. Nach dem Ausfall des Profi Gatters wird Pinster sich bestimmt nach Ersatz umsehen.« *
Kathy Porter hatte an der Unterhaltung im ehrwürdigen Haus der Lady Simpson in Shepherd's Market nicht teilgenommen. Sie tat das, was McWardens Mitarbeiter taten: Sie überwachte diskret das Haus des Mr. Laudingham. Sie befand sich seit etwa einer Viertelstunde vor der Villa des Teeimporteurs und wußte inzwischen, daß der Superprofi Gatters im Krankenhaus lag. Parker hatte ihr das über das Autotelefon mitgeteilt, das sich in ihrem Mini-Cooper befand. Kathy Porter hatte den Zivilwagen mit den beiden Polizeidetektiven längst ausgemacht. Der unauffällige Dutzendford stand etwa fünfzig Meter weiter am Straßenrand, und die beiden Insassen waren möglichst tief in ihre Sitze gerutscht, um nicht gesehen zu werden. Kathy Porter hatte natürlich Maske gemacht. Sie sah aus wie eine fünfunddreißigjährige Frau, die im behördlichen Auftrag Ermittlungen anstellte. Sie sortierte gerade Listen Und Schnellhefter die sie aus einer großen Aktentasche entnommen hatte. Sie schien kurzsichtig zu sein, denn sie trug eine Brille und beugte sich tief über ihre Unterlagen. Sie dachte an Mike Rander. In der Vergangenheit hatte sie von Parker viel über ihn gehört. Der Anwalt und Parker hatten seinerzeit ein Gespann gebildet, das so manches erlebt hatte. Man war in der ganzen Welt herumgekommen und hatte sich mit den unterschiedlichsten Leuten befaßt. Mike Rander hatte ihr auf den ersten Blick gefallen. Er besaß genau jene
britische Zurückhaltung, die so sehr geschätzt wurde. Dazu gehörte wohl auch ein gewisses Phlegma, das er ihr gegenüber an den Tag legte. Er hatte bisher nicht erkennen lassen, ob sie ihm gefiel. Er behandelte sie mit ausgesuchter Höflichkeit, hielt aber auf Distanz. Von Butler Parker wußte sie von zwei Frauen, mit denen er damals besonders eng befreundet gewesen war. Diese beiden Frauen - Sue Weston und Vivi Carlson - waren für ihn mehr gewesen als nur Sekretärinnen. Sie fragte sich, ob drüben in den Staaten oder hier auf der Insel vielleicht eine dritte Frau auf ihn wartete... Nun, das würde sie bald herausfinden, überlegte Kathy Porter. Agatha Simpson hatte klar und deutlich gesagt, daß sie Mike Rander zur Hand gehen sollte, sobald er sich mit der Vermögensverwaltung befaßte. Dies bedeutete eine enge Zusammenarbeit, und Kathy Porter hatte dagegen nichts einzuwenden. Sie fuhr aus ihren Gedanken, als aus dem Haus des Teeimporteurs eine Blondine trat, die auf Kathy Porter einen etwas zu grellen Eindruck machte, was das Make-up anbetraf. Mit dem Instinkt der Frau spürte Kathy Porter, daß die Blondine nicht gerade seriös war. Kathy Porter war gespannt, wie die beiden Detektive im Ford auf sie reagieren würden. Sie reagierten überhaupt nicht! Man hatte sie wahrscheinlich auf Laudingham oder Pinster angesetzt und damit ausschließlich auf Männer fixiert. Mit dieser Frau wußten sie nichts anzufangen. Einer der beiden Männer rutschte aus seinem Sitz zwar
ein wenig hoch und sah der Blondine nach, dann aber ging er prompt wieder auf Tauchstation. Kathy Porter war es gewöhnt, auf eigene Faust zu handeln. Es war eigentlich der ein wenig herausfordernde Gang und das Wiegen in den Hüften, das sie umdisponieren ließ. Diese Blondine paßte nicht in die Villa eines seriösen Teeimporteurs, sie war dort mit Sicherheit schon gar nicht angestellt. Kathy Porters erster Verdacht bestätigte sich, als die Blondine stehen blieb und in ihrer kleinen Umhängetasche kramte. Sie hatte wohl einen Spiegel hervorgeholt und vergewisserte sich, ob sie verfolgt wurde. Diesen Trick kannte Kathy Porter nur zu gut. Als die Blondine hinter der nächsten Straßenecke verschwand, fuhr Kathy Porter mit ihrem Mini-Cooper los und griff nach dem Handmikrofon der Funksprechanlage. Sie gab an Josuah Parker durch, daß sie ihren Plan geändert habe. Als sie um die Straßenecke fuhr, sah sie gerade noch, wie die Blondine in einen Toyota stieg, an dessen Steuer ein Riese von einem Mann saß. Damit wußte Kathy Porter, daß sie auf die richtige Karte gesetzt hatte. Sie war gespannt, wo die Fahrt enden würde. Nach dem Ausfall des Superprofi hatte der Teeimporteur also doch neue Kontakte zur Unterwelt geknüpft... * »Wie is' die Sache gelaufen?« wollte Harry Bondson wissen. Er saß am Steuer des Toyota und fuhr zurück nach Soho.
»Ich hab' mit 'nem gerissenen Burschen namens Pinster gesprochen«, erwiderte die Blondine, die mit der Inhaberin der Boutique identisch war. »Er nennt sich zwar Privatdetektiv, Harry, aber der läßt nichts aus.« »Weiter, weiter«, drängte der ehemalige Catcher und jetzige Nachtbarbesitzer. »Was sagt er zu diesem Typ aus den Staaten?« »Hale Gatters ist ihm völlig gleichgültig«, erzählte Norma Falcett. »Er ist sofort bereit, mit uns zusammenzuarbeiten. Er kann sich nur nicht erklären, wieso Gatters ausgerechnet zu mir gekommen ist, bis ich ihm diese komische Liste zeigte. Du weißt, das Ding, das wir bei Gatters gefunden haben.« »Die war von ihm?« Harry Bondson regte sich sofort auf. »Wie kommt der Kerl dazu, deinen Namen auf so 'ne Liste zu schreiben?« »Hat er ja nicht, Harry«, beruhigte sie ihn. »Er hatte Gatters 'ne ganz andere Liste gegeben. Pinster meint, daß man Gatters die richtige Liste abgeluchst und 'ne andere dagegen ausgetauscht hat.« »Ziemlich kompliziert«, fand der Catcher. »Warum ausgetauscht? Wer kann das getan haben?« »Wer wohl?« Sie sah ihn gereizt an, weil er wieder mal zu langsam dachte. »Natürlich dieser Butler, erinnerst du dich nicht? Der, der für diese Lady arbeitet. Gatters hat davon doch gequasselt, Harry.« »Ach ja.« Der Catcher nickte sicherheitshalber. »Der hat jetzt also die richtige Liste.« »Und wir«, sagte sie schnell, bevor Bondson sich in Gedanken verlor. »Pinster hat mir 'ne Kopie gegeben.
Wir können jetzt richtig loslegen und das große Geld machen.« »Wieviel springt dabei 'raus?« fragte der Catcher. »Zwanzigtausend Pfund, Harry, steh' dir das mal vor!? Zwanzigtausend! Und dafür brauchen wir nur die Burschen zu finden, die die beiden Laudingham-Girls umgelegt haben.« »Nur, ist gut!« Harry Bondson hatte so seine Bedenken. »Und was ist, wenn wir da an Leute geraten, die für uns ein paar Schuhnummern zu groß sind?« »Ich weiß, woran du denkst, Harry.« »Wenn die Mörder zu 'ner Organisation gehören!« Harry Bondson wiederholte es sicherheitshalber noch mal. »Gegen sowas kommen wir nie an.« »Erstens gehören die Mörder zu keiner Organisation, Harry. Warum sollten die sich mit zwei harmlosen Girls befassen, und zweitens kommt's doch immer noch auf uns an, wen wir diesem Teeimporteur servieren. Hast du kapiert?« »Doch, ich glaub' schon, Norma.« Seine Stimme klang nicht sehr überzeugend! »Laudingham will einen oder mehrere Mörder haben, also wird er sie auch bekommen.« »Ach so! Mensch, Norma, wenn ich dich nicht hätte! Du bist verdammt gerissen.« Der Catcher zeigte Begeisterung. »Wir servieren ihm irgendwas von der Liste, kassieren und sind aus dem Schneider.« »Nee, mit Mord will ich nichts zu tun haben, Norma.« Harry Bondson hatte seine Grundsätze. Gegen Körperverletzung hatte er nichts einzuwenden, aber Mord?
»Wir liefern doch nur, Schätzchen«, sagte sie eindringlich. »Der Teetyp besorgt dann den Rest. Mensch, hast du immer noch nicht begriffen, daß er sich rächen will? Noch mal: Wir besorgen nur die Mörder seiner Töchter, mehr nicht.« »Und wenn dieser Privatdetektiv, querschießt, Norma? Schon mal daran gedacht?« »Natürlich, Schätzchen.« Sie lächelte beruhigend. »Ich hab' ihn zu mir eingeladen, zu 'ner Tasse Tee. Sein Pech, wenn du dazwischenplatzt und Krach schlägst. Begriffen? Diesen Pinster lassen wir nach unserer Pfeife tanzen. Der wird dann Laudingham erzählen, was wir wollen.« Sie holte die Kopie der Liste hervor und ging die Namen durch, mit denen sie im Moment nichts anzufangen wußte. »Ich werde die der Reihe nach anrufen«, meinte sie dann. »Wir schnappen uns zwei Typen, nach denen später kein Hahn krähen wird, Schätzchen. Und du wirst dich mal nach diesem Butler erkundigen. Mit 'nem Amateur wirst du doch spielend fertig, nicht wahr?« »Soll mir'n Vergnügen sein.« Er grinste zufrieden. Was sie ihm da vorschlug, verstand er. Er hatte nichts dagegen, Parker krankenhausreif zu schlagen. * »Ich werde mir erlauben, hier zu warten, Sir«, sagte der Butler, als er die hintere Wagentür seines hochbeinigen Monstrums öffnete. Mike Rander stieg aus und reichte Kathy Porter die Hand.
»Sie sollten sich besser um Mylady kümmern«, antwortete Mike Rander lächelnd. »Es ist mir irgendwie unheimlich, daß sie zu Hause bleiben wollte.« »Dieses Gefühl erlaube ich mir mit Ihnen zu teilen, Sir«, gab Parker zurück. »Vielleicht sollte man wirklich zurückfahren.« »Hier kennt uns ja ohnehin niemand«, meinte der Anwalt. »Wir wollen uns doch nur mal diesen Catcher aus der Nähe ansehen. Und zudem habe ich ein Recht darauf, endlich mal etwas zu entspannen.« Er nickte seiner Begleiterin zu. Kathy Porter trug einen dunkelroten Samtanzug, der ihre schlanke Figur unterstrich. Mike Rander hatte sich für einen Smoking entschieden, in dem er blendend und auch ein wenig versnobt aussah. Parker blickte dem Paar fast ein wenig wohlwollend nach, bevor er sich wieder in sein hochbeiniges Monstrum begab. Er hatte sich übrigens noch nicht entschieden, ob er zurück nach Shepherd's Market fahren sollte. Der Nachtclub dieses ehemaligen Catchers hatte einen ganz bestimmten Ruf, wie er inzwischen wußte. Bondsons Lokal unterschied sich in nichts von den vielen anderen Bars in Soho. Es gab viele Nischen, eine lange Bartheke, gedämpftes Licht und eine Musik, die laut genug war, Einzelgespräche untergehen zu lassen. Hinter dem Tresen stand Harry Bondson, der einen Smoking trug. Er residierte dort wie ein kleiner König und wurde angehimmelt von Gaunern und Ganoven. Links vom Tresen war eine etwas größere Nische, deren Wände mit Fotos bedeckt waren. Sie
zeigten Bondson während seiner Zeit als Boxer und Catcher. In Richtung Decke hingen darüber hinaus leicht verwelkte Lorbeer- und Siegeskränze. »Sie ist nicht da«, stehe Kathy Porter fest, als Mike Rander die junge Dame in eine Nische geleitete. »Was mir völlig gleichgültig ist, Miß Porter«, erwiderte Mike Rander und lächelte. »Wir müssen ja nicht unbedingt und ununterbrochen über diesen Fall reden, oder?« »Der Sie überhaupt nicht interessiert, nicht wahr?« Sie setzte sich. »Sie wissen, daß Parker mich gegen meinen Willen in diese Geschichte gehetzt hat.« »Er freut sich riesig, daß Sie mitmachen, Mr. Rander. Ich kenne ihn inzwischen auch ein wenig. Er läßt sich zwar nichts anmerken, aber...» »... aber er träumt noch immer von längst vergangenen Zeiten«, warf der Anwalt ein. »Aber die sind nicht wiederholbar.« Er sah hoch, als Catcher Bondson am Tisch erschien und abschätzendhöflich nach den diversen Wünschen fragte. Man sah ihm deutlich an, daß seiner Meinung nach Gäste wie Kathy Porter und Mike Rander nicht in diese Bar gehörten und auch nicht sonderlich erwünscht waren. Hier wollte man unter sich bleiben. »Was nehmen Sie?« fragte Rander, sich an Kathy Porter wendend. »Haben wir nicht«, sagte Bondson sofort. »Dann nehme ich ...« »Haben wir auch nicht auf Lager«, wiederholte Bondson mit leichter Abwandlung. »Wie wär's, wenn Sie sich
eine andere Bar suchen würden? Wir schließen sowieso gleich.« »Sie haben zuviel zu tun, nicht wahr?« erkundigte sich Mike Rander. Er blieb ruhig und gelassen, wirkte dabei aber auch ein wenig arrogant. »Zuviel zu tun?« Bondson beugte sich vor. Es paßte ihm nicht, daß dieser Mann keine Angst zeigte, wie es sich eigentlich gehörte. »Ich denke an den Job, den Sie für Mr. Laudingham übernommen haben.« Kathy Porter sah den Anwalt aus großen, überraschten Augen an. Mit solch einer Direktheit hatte sie nicht gerechnet. Sie begriff nicht, warum Mike Rander so unverblümt sein Ziel ansteuerte. »Lau... Laudingham?« stotterte Bondson und sehnte sich nach Norma Falcett. Er wußte nämlich nicht, wie er sich verhalten sollte. »Nehmen Sie doch Platz, Mr. Bondson«, lud Mike Rander den Catcher ein. »Oder haben Sie plötzlich kalte Füße bekommen?« Bondson sah nur noch rot. Er pfiff auf alle Vorsicht, beugte sich noch weiter vor und streckte seine Arme aus, um Mike Rander aus der Nische zu heben. Nein, kalte Füße durfte man ihm nicht vorwerfen, da kannte er keine Vorsicht mehr... * Lady Agatha Simpson befand sich auf Kriegspfad. Nachdem Kathy Porter, Butler Parker und Mike Rander das Haus verlassen hatten, stieg die ältere Dame in ihren Land-Rover und fuhr zum Haus des Teeimporteurs.
Sie hatte einen einsamen Entschluß gefaßt, wollte Bruce Laudingham isolieren und ihm so jede Möglichkeit nehmen, den geplanten Rachefeldzug auszuführen. Dazu gehörte ihrer Ansicht nach, daß der Privatdetektiv namens Pinster keinen weiteren Einfluß auf Laudingham ausübte. Mit anderen Worten, Lady Agatha war auf dem Weg, diesen John Pinster zu entführen! Isoliert und ohne Zugang zur Unterwelt, konnte Laudingham nichts mehr unternehmen und mußte sich auf die Arbeit der Polizei verlassen. Darüber hinaus war Lady Simpson der festen Überzeugung, daß es ihr bald gelang, die Mörder der beiden LaudinghamMädchen zu finden. Die Dinge hatten sich bisher recht gut angelassen. Die Lady hatte ihren Plan geheim gehalten, um vor allen Dingen ihren Butler später um so nachhaltiger zu beeindrucken. Die Dinge waren ja so einfach, wenn man sie nur richtig sah. Und eine Lady Simpson sah die Dinge stets richtig! Da sie diesmal sehr zivil fuhr, brauchte sie zwanzig Minuten, bis sie das Haus des Teeimporteurs erreicht hatte. Es war ihr darum gegangen, unterwegs nicht von einem Streifenwagen der Polizei angehalten zu werden. Die geplante Entführung mußte später für einen gewissen McWarden unbeweisbar bleiben. Sie ließ den Land-Rover etwa zwanzig Meter vor Laudinghams Villa stehen und legte den Rest des Weges' zu Fuß zurück. An ihrem linken Handgelenk baumelte der Pompadour, und der Hut auf dem Kopf der älteren Dame erinnerte an eine verwegene Kreuzung aus einem Südwester und
einem Napfkuchen. Dieses seltsame Gebilde wurde von zwei langen, altmodischen Hutnadeln gehalten, die es übrigens in sich hatten, wie in der Vergangenheit schon mancher Gangster hatte feststehen müssen. Es war inzwischen dunkel geworden. Agatha Simpson wußte natürlich, daß Chief-Superintendent McWarden das Haus des Teeimporteurs überwachen ließ, also mußte hier in der Nähe ein gut getarntes Fahrzeug der Polizei stehen. Sie hatte sich vorgenommen, die Insassen dieses Wagens zu überrumpeln. Dies mußte auf eine Art und Weise geschehen, daß sie später nicht gegen sie aussagen konnten. Aus diesem Grund war Lady Simpson vor ihrer Fahrt in Parkers Labor gestiegen und hatte sich dort ein wenig umgeschaut. Am Revers ihres Tweed-Kostüms war ein völlig normal aussehender Kugelschreiber befestigt, dessen Inhalt geeignet war, einen relativ kurzen, aber tiefen Schlaf auszulösen. Nun, sie fand den Wagen und auch die beiden Insassen darin, aber sie schliefen bereits. Sie hingen schlaff und weich in ihren Polstern und machten einen sehr geistesabwesenden Eindruck. Lady Simpson war einen Moment lang irritiert. Schliefen sie, oder war ihnen etwas zugestoßen? Wie sollte sie das herausfinden, wenn sie doch nicht gesehen werden wollte? Sie klopfte mit der Faust gegen die Rückscheibe des Wagens und duckte sich. Sie klopfte erneut, doch im Wagen rührte sich nichts. Den beiden Männern mußte etwas zugestoßen sein!
Agatha Simpson seufzte verärgert. Nun war sie gezwungen, ihre Pläne über den Haufen zu werfen, nun mußte sie sich erst mal um die beiden Männer kümmern. Oder sollte das Nichtreagieren vielleicht nur ein Trick sein? Die Detektivin wurde durch ein feines Geräusch abgelenkt, ein Geräusch, das ihr nicht ganz unbekannt war. Im Haus des Teeimporteurs mußte gerade ein schahgedämpfter Schuß abgefeuert worden sein. Das typische >Plopp< wäre einem Normalbürger mit Sicherheit nicht aufgefallen, doch Lady Agatha verfügte immerhin über gewisse Erfahrungen. Sie kümmerte sich nicht weiter um die beiden Zivilisten im Wagen sondern schritt energisch auf die Villa zu, deren Eingangstür nur angelehnt war. Die ältere Dame drückte schwungvoll die Tür auf und betrat die Diele. Sie hörte ein Stöhnen aus dem Zimmer, das sie bereits von ihrem ersten Besuch her kannte, ging schwungvoll weiter und schien überhaupt nicht mit der Möglichkeit zu rechnen, beschossen zu werden. Dann sah sie Privatdetektiv Pinster ... Er saß vor einem Sessel und hielt sich mit der rechten Hand den linken Oberarm und stöhnte zusätzlich noch, als er die ältere Dame sah. »Wo ist Mr. Laudingham?« fragte sie. »Oben, in seinem Zimmer. Er hat sich da eingeschlossen.« John Pinster versuchte aufzustehen. Dabei rutschte die Schußwaffe aus seinem Schoß. »Wer hat auf Sie geschossen, junger Mann?« fragte die Detektivin weiter.
»Nun reißen Sie sich mal zusammen, Sie werden ja nicht gleich sterben!« »Ich glaube... Ich glaube, es war Ratford«, sagte Pinster. »Ja, ich bin sogar fast sicher.« * Bondson sah immer noch rot. Er hatte seine Arme vorgestreckt und wollte Mike Rander über den Tisch aus der Nische ziehen. Für einen ehemaligen Catcher war das sicher nur eine Kleinigkeit, was das Gewicht des Mannes betraf. Mike Rander war mit diesem Anliften jedoch keineswegs einverstanden. Er stand geschmeidig auf und schlug in die Hände, wie Kathy Porter zuerst zu sehen glaubte. Doch dann merkte sie, daß es da zum normalen Händeklatschen doch einige gravierende Unterschiede gab. Zuerst mal geriet der Hals des Catchers zwischen Randers Hände. Und dann benutzte er keineswegs die Handflächen, sondern seine Handkanten. Der Catcher röchelte diskret, verdrehte die Augen und machte es sich auf dem Tisch bequem, der unter dieser plötzlichen Last ächzte. Danach blieb Bondson ruhig hegen und sah nicht mehr rot. »Scheußlich, diese Zudringlichkeiten«, meinte Rander und lächelte Kathy Porter zu. »Es sieht nach einigem Ärger aus, Miß Porter. Wollen Sie sich nicht besser absetzen?« Mike Rander war um den Tisch herumgegangen und deutete auf die Bewunderer des Catchers, die erst jetzt mitbekommen hatten, was ihrem Idol passiert war. Sie formierten sich zu einem massierten Angriff und ließen
deutlich erkennen, daß sie einiges gegen Mike Rander hatten. Der Anwalt im Smoking hatte es immerhin mit sechs nicht gerade unterernährten Gegnern zu tun, von denen zwei sogar noch Springmesser vorschnellen ließen. Kathy Porter blieb seitlich hinter dem Anwalt stehen und war gespannt, wie er reagierte. Mike Rander hätte die Bar ohne weiteres verlassen können, denn Zeit blieb genug dazu. Und sie, Kathy Porter, machte sich bereit, blitzschnell zur Tür zu laufen, obwohl nun auch dort zwei handfeste Männer erschienen. »Wollen Sie mich etwa angreifen, meine Herren?« fragte Mike Rander lässig und belustigt. Was die Herren im einzelnen sagten, war nicht genau zu verstehen, doch generell muß gesagt werden, daß sie es durchaus wollten. Sie rückten immer näher und schienen sich darauf zu freuen, den versnobten Smokingträger ihre Art von Manieren beizubringen. Mike Rander tat etwas Überraschendes. Er griff nach der schweren, runden Stange, die den Vorhang der Nische trug, und hob diese Stange aus zwei einfachen Haken. Dann ließ er die Ringe des Vorhangs nach unten rutschen, bis das Rundholz frei war. Er legte seine Hände um die Stange, die etwa anderthalb Meter lang war, und lächelte. Kathy Porter kannte sich in der Kunst des Kendo ein wenig aus und trat sicherheitshalber etwas zur Seite. Damit behielt sie auch die beiden Männer unter Sichtkontrolle, die verdutzt stehen geblieben waren und
offenbar nicht wußten, was der Smokingträger mit der langen Rundstange plante. Dann sahen sie es! Mike Rander, eben noch lächelnd, stieß plötzlich einen Urschrei aus, der die Männer stoppte. Dann wirbelte der Stab wie ein Propeller durch die Luft und verwandelte sich in eine Art Riesenventilator. Mit bloßem Auge war überhaupt nicht mehr zu sehen, wo die Enden des Stabes sich jeweils befanden. Doch man spürte es... Die beiden außen stehenden Angreifer erhielten Schläge auf ihre Oberarme, wichen zurück und jaulten betroffen. Die vier anderen setzten zu einer Art gemeinsamem Sprung an und ... gerieten in diesen Riesenventilator. Getroffen an Kopf, Hals, Rumpf und Armen wirbelten sie durcheinander und fanden sich alle auf dem Boden wieder, zugedeckt von umgestürzten Stühlen und Tischen, die sie mit zu Boden gerissen hatten. »Achtung!« rief Kathy Porter dem Anwalt warnend zu. Sie meinte damit die beiden Männer an der Tür, die sich auf Rander stürzten. Sie hielten ebenfalls Messer in ihren Händen und wollten damit sicher nicht nur drohen. Mike Rander wandte sich noch nicht mal um. Mit spielerischer Eleganz stach er mit dem einen Rundstabende nach hinten und traf genau die Leberpartie des ersten Angreifers. Der Mann warf ungewollt sein Messer in die Luft und kniete dann vor Kathy Porter nieder. Der andere Mann wurde von einem Rundschlag mit dem wirbelnden Holz in der Hüfte erwischt und segelte schwungvoll durch die Luft in eine
leere Nische, in der er sich für längere Zeit einrichtete. Harry Bondson war inzwischen wieder zu sich gekommen und stand schwankend vor der Nische. Aus verglasten Augen sah er Mike Rander an, der sich unsichtbare Stäubchen von seinen Jackenärmeln knipste. »Wie fühlen Sie sich?« erkundigte sich der Anwalt lächelnd, als sei überhaupt nichts passiert. »Jetzt in Stimmung, über Laudingham zu reden, Bondson?« Bondson wollte sich liebend gern auf diesen arroganten Burschen stürzen, doch dazu reichte es noch nicht. Er stierte auf die Hilfstruppen, die jammernd und stöhnend in den Mobiliartrümmern herumkrochen. »Was ... Was is' denn hier passiert?« fragte Bondson mühsam. »So gut wie nichts«, meinte Mike Rander. »Haben Sie so etwas wie ein Büro?« »Hinter'm Tresen«, stammelte der Catcher und wollte nach seinem schmerzenden Hals greifen, doch es blieb bei diesem Versuch. Er bekam die Arme einfach nicht hoch. »Dann setzen wir uns doch für einen Moment zusammen«, schlug der Anwalt vor. »Es muß ja keine Dauersitzung draus werden.« »Mr. Rander, sollten wir nicht besser gehen?« sagte Kathy Porter eindringlich. »Ich glaube, da hinter dem Tresen habe ich eben eine Gestalt gesehen. Die wird bestimmt Alarm schlagen.« »Also schön.« Rander war einverstanden. »Bondson scheint ohnedies noch nicht in Stimmung zu sein. Hören Sie, Bondson, ich komme bei Gelegenheit noch mal vorbei. Und
was Laudingham betrifft, so vergessen Sie den Job möglichst schnell. Er wird nichts einbringen.« Kathy Porter hatte hinter dem Vorhang, der den Tresen vom Büro trennte, eine Bewegung registriert. Sie reagierte unmittelbar. Aus dem Handgelenk heraus warf sie einen Aschenbecher wie einen Diskus in Richtung Vorhang. Der Aufprall war hart und löste einen Aufschrei aus. Dann war ein dumpfer Fall zu hören. »Vielen Dank, Miß Porter«, sagte Mike Rander beiläufig. »Ich glaube, wir sollten jetzt wirklich gehen. Hier könnte es gleich ziemlich bleihaltig werden. Bitte schön!« Er deutete auf die Tür und ließ die junge Dame höflich vorausgehen. Nach einem letzten Rundblick folgte Rander' ihr und brachte sie ins Freie. Er tat so, als sei überhaupt nichts passiert und zeigte keine Eile. Er hatte sich auch eindeutig nicht angestrengt, wie sie längst festgestellt hatte. Sein Atem ging ruhig. »Sie scheinen sich für Ihre Rückkehr nach London gut vorbereitet zu haben«, sagte sie, als sie die Straße hinunterschritten. »Aber nein«, erwiderte er und lachte leise. »Ich hatte drüben in den Staaten einen Freund, einen Japaner, der mit Blumen handelt. Er hat mir hin und wieder ein paar Tricks beigebracht. Ich fürchte, das meiste habe ich längst wieder verlernt.« * »Sie schlafen zu wenig, McWarden«, stellte Lady Simpson fest und sah den
Chief-Superintendent fast besorgt an. »Sie sehen ja direkt miserabel aus.« Es war früher Morgen, und die ältere Dame frühstückte. Am Tisch saßen noch Mike Rander und Kathy Porter. Parker servierte leise und diskret wie stets. »War das eine Nacht!« McWarden schielte zum Tisch hinüber. »Bitte, Sir.« Parker rückte für den Chief-Superintendent einen Stuhl an den Tisch. »Sie haben gewiß schon gefrühstückt, wie?« erkundigte die Hausherrin sich vorsorglich. »Dazu blieb mir bisher keine Zeit«, lautete McWardens Antwort. »Und offen gesagt, gegen eine Tasse Tee hätte ich nichts einzuwenden.« »Ein kleines Täßchen Tee wird sich noch finden lassen.« Sie sah Parker sehr betont an, doch der ließ sich wie üblich nicht beeindrucken und legte ein weiteres Frühstücksgedeck auf. Agatha Simpson runzelte daraufhin die Stirn und rückte die Silberplatte mit den pikanten Wurstsorten von McWarden weg. »Ich möchte mich erst mal bei Ihnen bedanken, Mylady«, sagte der ChiefSuperintendent, während der Butler ihn mit Rührei, einigen gerösteten Speckscheiben, Toast und gegrillten Würstchen versorgte. »Meine beiden Mitarbeiter wären ohne Ihre Hilfe nicht so Schnell gefunden worden.« »Wie sind sie eigentlich außer Gefecht gesetzt worden, Sir?« erkundigte sich Mike Rander. »Sie sind schlicht und einfach zusammengeschlagen worden, nachdem man ihnen eine Portion Pfeffer in den Wagen geblasen hatte.«
»Sind die Verletzungen schwer?« wollte Kathy Porter wissen. »Gehirnerschütterung«, meinte McWarden lakonisch. »Die Schußwunde von diesem Privatdetektiv Pinster ist übrigens nicht vorgetäuscht. Steckschuß unter dem Schlüsselbein. Der Mann wird für einige Zeit in einem Spital bleiben müssen.« »Und was sagte Laudingham zu Ihnen, McWarden?« Agatha Simpson hatte sich inzwischen damit abgefunden, daß der ChiefSuperintendent an ihrem Tisch gelabt wurde. »Hat er Ihnen berichtet, daß ich ihm ins Gewissen geredet habe?« »Ins Gewissen geredet, Mylady?« McWarden sah die Detektivin entgeistert an. »Laudingham hat das aber erheblich anders dargestellt.« »Nämlich, McWarden?« Die Lady tat sehr unschuldig. »Er behauptet, Sie hätten ihn beinahe geohrfeigt, Mylady, als er von seinem Plan nicht abrücken wollte.« »Wie schnell und gründlich die Menschen doch übertreiben«, wunderte die ältere Dame sich. »Ich habe ihm allerdings eindringlich ins Gewissen geredet und klar gemacht, daß der oder die Mörder seiner beiden Töchter zum Gegenangriff übergehen. Hoffentlich hat er das endlich kapiert! Der Mann spielt doch inzwischen mit seinem Leben.« »Das habe ich ihm allerdings auch gesagt, Mylady. Vielen Dank, Mr. Parker, ich nehme gern noch eine Tasse Tee. Ich glaube jedoch, Mylady, daß er nicht zur Vernunft zu bringen ist. Er will um jeden Preis seine Rache haben, auch wenn es ihn selbst dabei erwischen sollte.«
»Dieser Privatdetektiv will den Schützen erkannt haben, Sir?« erkundigte sich Anwalt Rander. »Er behauptet, es sei Stew Ratford gewesen.« McWarden nickte. »Falls Sie es noch nicht wissen sollten, das ist ein freiberuflich tätiger Regisseur. Er inszeniert hin und wieder Stücke für die BBC.« »Sie haben ihn selbstverständlich bereits vernommen und ein hieb- und stichfestes Alibi vorgesetzt bekommen, oder irre ich mich da?« »Sie irren sich nicht, Mr. Rander.« McWarden genoß das reichhaltige Frühstück und übersah die mahnenden und einschüchternden Blicke der älteren Dame. »Sein Assistent hat dieses Alibi bestätigt, ein gewisser Chris Nash. Den kennen Sie auch, oder?« »Gibt es noch andere Zeugen?« Mike Rander ging auf die Frage nicht ein. »Zwei junge, sagen wir, Damen«, meinte der Chief-Superintendent. »Sie waren bei Ratford und Nash.« »Sie werden sich bei diesen beiden Herren doch gewiß nach den Laudingham-Mädchen erkundigt haben, oder?« Mike Rander ließ McWarden keine Zeit, weitere Fragen zu stellen. Er übernahm diskret so etwas wie ein Verhör des Chief-Superintendenten. »Und ob ich das getan habe, Mr. Rander! Sie gaben sofort zu, Sie gekannt zu haben. Sie haben sie auch in der fraglichen Mordnacht auf einer Party gesehen, die Ratford veranstaltet hatte. Sie haben auch gesagt, daß Sie, Miß Porter, bereits danach gefragt haben. Sie übrigens auch, Mr. Parker.« »Ein Routinebesuch, Sir«, sagte der Butler würdevoll. »Ich hoffe, die
Herren haben sich nicht beschwert, Sir.« »Gesagt haben sie nichts, aber mich wunderte es doch, daß sie ein paar Pflaster im Gesicht trugen. Nein, nein, beschwert haben sie sich nicht. Oder hätten sie Grund dazu gehabt?« »Nun, sie waren bestrebt, Miß Porter ein kleines Angustorafläschchen zu entreißen«, antwortete Josuah Parker gemessen. »Dabei vergriffen die Herren sich ein wenig in der Wahl ihrer Methoden und Mittel. Ich sah mich zu meinem Leidwesen gezwungen, die Herren zur Ordnung zu rufen.« »Ein Angustorafläschchen?« McWarden wirkte wie elektrisiert. »In dem sich keineswegs Angustora befand, Sir.« Parker hielt es wie durch Zauberei plötzlich in der weiß behandschuhten linken Hand. »Ich habe mir erlaubt, den Inhalt zu analysieren, wobei ich gleich betonen möchte, daß es mir äußerst fern liegt, einem Chemiker vorgreifen zu wollen.« »Und was ist in dem Fläschchen, Mr. Parker?« McWarden hatte den Spritzverschluß aufgeschraubt und schnüffelte am Inhalt. »Benzedrin in gelöster Form, Sir, ein sogenanntes Weckamin.« »Donnerwetter!« McWarden wäre um ein Haar aufgesprungen. »Mit solch einem Zeug ist doch auch der Doppelmord begangen worden!« »In der Tat, Sir«, meinte Josuah Parker. »Ich darf aber gleich darauf verweisen, Sir, daß die Herren Ratford und Nash bestreiten werden, je die Besitzer und Benutzer solch eines Fläschchens gewesen zu sein.« »Juristisch bringt das tatsächlich nichts«, erklärte Anwalt Mike Rander
und nickte bestätigend. »Aber es kann ja nicht schaden, wenn sie die beiden Männer gründlich vernehmen. Vielleicht bekommen sie von ihnen einen entscheidenden Tip, mit wem die Mädchen sonst noch in der Mordnacht zusammen waren.« »Könnte man ja mal versuchen.« McWarden nickte flüchtig. Daß er von Ratford und Nash entsprechende Hinweise bereits erhalten hatte, lag auf der Hand. Die beiden Männer hatten mit Sicherheit auf die SchauspielerKommune und auch Ray Mulligan von der Auslandsabteilung der BBC gehetzt.. Und in diesem Zusammenhang war der Name Bernie Penton bestimmt laut und deutlich genannt worden. Doch, Chief-Superintendent McWarden hatte in den kommenden Stunden und Tagen ausreichend zu tun, um nicht störend auftreten zu können ... * John Pinster machte keinen glücklichen Eindruck, als Butler Parker das Krankenzimmer betrat und höflich seine schwarze Melone lüftete. »Ich erlaube mir, einen freundlichen und schmerzfreien Tag zu wünschen«, sagte der Butler. »Chief-Superintendent McWarden war so freundlich, mir diesen Krankenbesuch zu gestatten.« »Was wollen Sie?« fragte der Privatdetektiv nervös. »Ich bin zu schwach, um Fragen zu beantworten. Ich bin schwer getroffen worden.« »Nun, wir wollen doch nicht gleich übertreiben.« Parker verzog keine Miene. »Nach der Auskunft der
behandelnden Ärzte ist das Geschoß entfernt worden. Komplikationen haben sich nicht ergeben. In einigen Wochen werden Sie wieder aktiv sein, Mr. Pinster, falls der Schütze damit einverstanden ist.« »Was wollen Sie damit sagen?« »Man versuchte schließlich, Sie zu ermorden. Und zudem sind Sie jetzt ein wichtiger Belastungszeuge, Mr. Pinster: Sie haben den Schützen identifiziert, wenn ich den ChiefSuperintendent richtig verstanden habe. Sagten Sie nicht, daß es sich dabei um den Regisseur Stew Ratford gehandelt hat?« »Ich ... Ich kann mich natürlich auch getäuscht haben.« »Mr. Ratfords Alibi ist das, was man hieb- und stichfest nennt, Mr. Pinster. Vorerst wenigstens, um genau zu sein. Sie berichteten Lady Simpson, der Schütze sei über die Terrasse gekommen und dann durch die Tür ins Haus eingedrungen? « »So ist es gewesen. Das habe ich auch schon der Polizei gesagt.« »Sie haben Mr. Laudingham gewarnt und ihm zugerufen, er solle sich einschließen?« »Mehr Zeit hatte ich nicht, denn da schoß der Kerl bereits.« »Und warum suchte er das, was man das Weite nennt?« »Weil die alte Lady erschien. Das war wohl meine Rettung, sonst hätte er sicher noch mal geschossen.« »Haben Sie der Polizei gegenüber den Namen Bondson erwähnt, wenn man fragen darf? Weiß die Polizei von der Existenz einer gewissen Norma Falcett?«
»Wo ... Woher wissen denn Sie...?« Pinster verzichtete darauf, den Satz zu beenden. »Darüber könnte und sollte man sich vielleicht mal später unterhalten«, schlug Josuah Parker vor. »Mr. Bondson war als Ersatz für Mr. Gatters geplant, nicht wahr? Er selbst hat sich angeboten, wie ich vermute.« »Dazu sage ich kein Wort.« Der Privatdetektiv preßte die Lippen fest zusammen. »Mr. Bondson wird seinen Auftrag inzwischen an Mr. Laudingham zurückgegeben haben«, vermutete der Butler höflich. »Sie können natürlich nicht wissen, daß auch er inzwischen ein wenig indisponiert ist.« »Haben Sie dafür gesorgt?« Pinster richtete sich im Bett auf. »Ich hatte leider nicht das Vergnügen«, bedauerte der Butler. »Aber unterhalten wir uns über das eigentliche Thema, Mr. Pinster. Ihnen ist inzwischen natürlich bekannt und bewußt, daß Gatters nach einer falschen Liste arbeitete, nicht wahr? Und Sie wissen, daß Sie Bondson eine Kopie der richtigen Liste gaben.« »Ich sage kein Wort, Mr. Parker. Ich brauche jetzt Ruhe, ich fühle mich hundeelend.« »Ich werde Sie gleich von meiner bescheidenen Gegenwart befreien«, versprach Parker. »Um auf jene Liste zurückzukommen, die Sie zusammengestellt haben, Mr. Pinster. Ich möchte nicht verhehlen, daß Sie in gewissem Sinn eine durchaus gute Vorarbeit geleistet haben.« »Ich bin schließlich Privatdetektiv.« Pinster fühlte sich nun doch ein wenig geschmeichelt. »Die Namen der verdächtigen Personen habe ich mir nicht
aus den Fingern gesogen, darauf können Sie sich verlassen.« »Es sind recht interessante Namen darunter, Mr. Pinster. Ich denke an den Regisseur Stew Ratford, an seinen Assistenten Chris Nash, ich denke an den Schauspieler Bernie Penton und auch durchaus an Mr. Ray Mulligan vom Auslandsdienst der BBC. Damit ist die Liste aber noch längst nicht komplett.« »Sie wollen 'nen gezielten Tip von mir, nicht wahr?« Pinster witterte ein Geschäft. »Solch ein Tip könnte in doppelter Hinsicht wertvoll sein«, gab Butler Parker zurück. »Der Mörder der beiden Laudingham-Mädchen hätte so keine Möglichkeit mehr, sich mit Ihnen zu befassen. Ich hoffe, Sie haben mich gut verstanden.« »Sie glauben also, ich hätte mich auf einen bestimmten Täter festgelegt?« »Davon möchte ich ausgehen, Mr. Pinster.« »Warum habe ich Gatters dann nicht sofort auf ihn gehetzt?« Pinster tat arglos. »Eine gute Frage, auf die ich hoffentlich eine ebenso gute Antwort geben kann, Mr. Pinster.« »Da bin ich aber gespannt.« Pinster legte sich wieder zurück. »Mein Gefühl sagt mir, daß Sie diesen Mann zusätzlich ein wenig zur Kasse bitten wollen«, erwiderte Josuah Parker. »Warum hätte er sonst sofort auf Sie geschossen? Der Mörder der beiden jungen Damen konnte doch logischerweise nur an Mr. Laudinghams Tod interessiert sein, denn Mr. Laudingham ist die treibende Kraft. Aber nein, der Eindringling schoß auf Sie! Aus einer Art Panik
heraus? Sicher nicht! Nein, er schoß, um Sie zum Schweigen zu bringen. Hoffentlich gelingt es diesem Mann nicht, die beiden Polizeiwachen vor Ihrer Tür zu überlisten. Nun, ein Gewehr mit einem Zielfernrohr dürfte unter Umständen auch genügen, Sie im Krankenbett zu erreichen.« Parker hatte seinen Satz noch nicht beendet, als der Privatdetektiv automatisch zum Fenster schaute und sich unbewußt kleiner machte. Von seinem Zimmer aus konnte man quer über einen Vorplatz hinüber auf eine Häuserzeile blicken, in der Büros und Wohnungen untergebracht waren. Etwa hundert Fenster schienen plötzlich gegenüber Pinsters Krankenzimmer zu sein. »Ich wünsche noch erholsame Tage«, verabschiedete sich Parker und lüftete die schwarze Melone. »Vielleicht sollten Sie sich verlegen lassen, Mr. Pinster, wenn ich mir diesen Rat erlauben darf.« Parker verließ das Krankenzimmer und nickte draußen auf dem Korridor den beiden uniformierten Polizisten zu. Er ging zum Lift, schien dann noch etwas vergessen zu haben und kehrte .zum Krankenzimmer zurück. »Nur ein paar Augenblicke«, sagte er. »Ich habe vergessen, Mr. Pinster nach einer Adresse zu fragen.« Er klopfte nicht an, sondern trat einfach ein. Das Bett war leer! Butler Parker wandte sich nach links und entdeckte den Privatdetektiv in einem Sessel, der in einer Ecke zwischen Fenster, Schrank und Wand stand. Der Standort des Sessels bot die Gewähr, von einem Geschoß nicht erreicht zu werden.
»Ein sehr weiser Entschluß, Mr. Pinster«, sagte Parker. »Das Leben kann erschreckend kurz werden, wenn man sich auf Dinge einläßt, die den Tatbestand der Erpressung erfüllen.« * »Sie haben sich verletzt?« fragte Mike Rander beiläufig, nachdem er die Boutique betreten hatte. Er stand der blonden Norma Falcett gegenüber, die ihn unsicher anschaute und sich dann zum bereits erwähnten Klingelknopf bewegte, um ihren Freund zu alarmieren. »Miß Porter konnte unmöglich ahnen, daß hinter dem Vorhang eine Frau stand«, redete Mike Rander weiter. »Ja, rufen Sie ihren Freund herbei, Miß Falcett. Ich möchte ihn ohnehin sprechen.« »Sie sind verdammt arrogant«, sagte sie wütend. »Das sieht nur so aus«, beruhigte Mike Rander sie und lächelte. »Wie geht es Ihrem Freund, Miß Falcett? Ich glaube, wir haben uns in der vergangenen Nacht unnötig Ärger bereitet.« Mike Rander trug graue Flanellhosen, seinen Blazer mit Ziertuch und sah überhaupt ein wenig blasiert aus. Die Blondine wußte, daß solch ein Mann für sie unerreichbar war, und sie wünschte sich, daß Bondson diesen Mann wenigstens jetzt gründlich in den Griff bekam. Bondson erschien auf der Bildfläche. Als er den Anwalt erkannte, stutzte er, um dann geschmeidig um die Verkaufstheke herumzukommen. Er stand augenblicklich unter Dampf und
erinnerte an einen blindwütigen Stier, der die rote Farbe sah. »Ziehen Sie die Bremse an, Bondson«, empfahl Mike Rander lässig und lächelte. »Ich bin in völlig friedlicher Absicht hier.« Bondson schien überhaupt nichts gehört zu haben. Er dachte nur an seine Rache und wollte diesen so tadellos aussehenden Mann aus dem Anzug schälen. Bondson besann sich auf seine Qualitäten, fintierte, wie er es oft im Ring getan hatte und wollte den Anwalt dann mit einem gewaltigen Schwinger zu Boden schicken. Natürlich traf er nicht. Bondson schlug ins Leere und wurde vom mitreißenden Schwung seines Schwingers nach vorn gerissen. Mike Rander ließ ihn passieren und stieß ihm dann einen Fingerknöchel in die rechte Weichseite. Daraufhin keuchte Bondson und nahm auf dem Boden Platz. Norma Falcett hatte die Lade unter der Kasse aufgerissen und griff hastig nach einer Schußwaffe. Sie stöhnte überrascht auf, als ein leichter Schlag ihr Handgelenk traf. Die Waffe polterte zurück in die Lade, die Mike Rander gelassen zurückschob und dann zusperrte. Den Schlüssel warf er irgendwohin in den Raum. »Ich hätte gern die Liste, die Sie von Pinster bekommen haben«, sagte er dann zu Norma Falcett. »In diesem Zusammenhang sollten Sie eigentlich wissen, daß er in der vergangenen Nacht angeschossen wurde. Irgendeiner auf dieser Liste scheint Pinster nicht ausstehen zu können.«
»Was für eine Liste?« fragte Norma Falcett, während Bondson sich mühsam erhob. »Lassen wir doch das Versteckspiel«, schlug Mike Rander vor und zündete sich eine Zigarette an. »Ich bin bereit, einen gewissen Betrag dafür zu zahlen. Sehen Sie doch endlich ein, daß da sonst nichts zu holen ist. Möchten Sie, daß Ihr Freund heimtückisch niedergeschossen wird? Der Mörder schreckt vor nichts zurück.« »Ich ... Ich hasse Sie!« schrie Norma Falcett den Anwalt an. »Warum auch nicht, Miß Falcett?« Rander schmunzelte. »Ich schlage vor, hundert Pfund gegen die Liste. Das ist ein schnelles und sauberes Geschäft.« »Welche Liste?« wiederholte sie noch mal gereizt. »Möchten Sie unbedingt in einen Mordfall verwickelt werden?« erkundigte sich Mike Rander und sah Bondson an, der sich die schmerzende Körperseite vorsichtig massierte. »Hundert Pfund verdient man normalerweise nicht so schnell wie jetzt.« »Gib ihm die Liste«, sagte Bondson leise. »Wir steigen aus, Norma. Gib ihm die Liste, ich hab' die Schnauze voll!« »Ein guter Entschluß«, fand Mike Rander. »Geben Sie Ihrem Herzen und Dekollete einen Stoß, Miß Falcett. Sie werden ab sofort wieder ruhiger leben.« »Woher wissen Sie ...!?« Sie ärgerte sich erneut, griff dann in den tiefen Ausschnitt ihres Kleides und zog ein schmal zusammengefaltetes Stück Papier hervor. Sie reichte es dem Anwalt, der es auseinanderfaltete und schnell einen Blick auf die Namen warf.
»Hier wären die hundert Pfund«, sagte er und griff in die Innentasche seines Blazers. »Ja, Miß Falcett, ich weiß, daß Sie mich hassen, aber Sie werden darüber hinwegkommen, glauben Sie mir. Mr. Bondson, Ihnen möchte ich sagen: Üben und nochmals üben, sonst kommen Sie frühzeitig aus der Form.« Mike Rander nickte den beiden verdutzten Personen zu und schritt dann lässig aus der Boutique. * Sie trug Jeans, eine leichte Bluse und eine Weste. Kathy Porter sah ein wenig keß und unkonventionell aus. Chris Nash, der die Tür geöffnet hatte, brauchte eine Sekunde, bis er sie erkannte. Als das geschehen war, wollte er hastig die Tür ins Schloß drücken und Kathy Porter aussperren. »Nicht doch«, meinte sie gut gelaunt und schob ihre Handtasche zwischen Tür und Rahmen. »Ich bleibe nur ein paar Minuten. Das hier ist übrigens Lady Simpson.« Die ältere Dame stemmte sich mit der Fülle ihres stattlichen Körpers gegen das Türblatt, worauf Chris Nash in die Diele zurückgeworfen wurde. Als er sein Gleichgewicht wieder gefunden hatte, starrte er auf Lady Agatha und schluckte beeindruckt. »Holen Sie diesen Stew Ratford«, verlangte Lady Agatha grollend, »Nein, Miß Porter wird Sie begleiten. Ich halte nichts davon, daß Sie sich durch die Hintertür absetzen, junger Mann.« »Das ... Das ist Hausfriedensbruch«, war in diesem Augenblick von der
Treppe her zu hören. Stew Ratford kam herunter und machte einen wütenden Eindruck. An Hals und Brust klirrten wieder die vielen Kettchen und Schmuckstücke. Er hatte sich auf sehr jugendlich zurecht gemacht. »Verklagen Sie mich, junger Mann«, sagte Agatha Simpson und marschierte auf den Regisseur zu. »Aber dann wird Miß Porter Sie ebenfalls verklagen. Sie wissen, was ich meine.« »Sie hat uns angegriffen und scheußlich zugerichtet«, beschwerte der Regisseur sich. »Weil Sie meiner Gesellschafterin das Angustorafläschchen mir roher Gewalt entreißen wollten.« »Angustorafläschchen?« Ratford grinste jetzt triumphierend. »Wer hat denn das in die Welt gesetzt? Die Polizei war vor einer Stunde hier, ein Chief-Superintendent. Der hat mich auch danach gefragt. Wir wissen von keinem Angustorafläschchen.« »Ich hätte nicht übel Lust, Sie ein wenig zur Wahrheit zu ermahnen«, gab Lady Agatha zurück. Ihr Pompadour geriet in leichte Schwingungen. »Haben Sie Schaf denn noch immer nicht begriffen, daß gerade dieses Fläschchen Sie entlastet?« »Entlastet?« Stew Ratford sah seinen Assistenten erstaunt an. »Wenn Sie die beiden LaudinghamMädchen mit einer Überdosis an Benzedrin umgebracht hätten, wäre das bewußte Fläschchen mit dem Benzedrin längst nicht mehr im Haus gewesen«, redete die .ältere Dame weiter. »Junger Mann, denken Sie hin und wieder mal!«
»Da is' was dran, Chef«, sagte Chris Nash und war ehrlich verblüfft. »Ich weiß, daß Sie Benzedrin benutzen, aber im Fall der beiden ermordeten Mädchen ist das wohl kaum der Fall gewesen«, redete Lady Simpson weiter. »Wir haben mit der Sache überhaupt, nichts zu tun«, versicherte der Regisseur. »Und die Polizei kann uns nichts nachweisen.« »Die beiden jungen Damen kamen also zusammen mit Bernie Penton hierher ins Haus?« faßte Lady Simpson noch mal streng zusammen. »So ist es gewesen«, stimmte Chris Nash zu. »Aber da waren die beiden Mädchen schon vollgepumpt.« »Mit Alkohol«, fügte Stew Ratford hastig hinzu. »Was haben sie hier getrunken?« Lady Simpsons Stimme ließ keine Ausflüchte zu. »Sie haben an 'nem Drink genippt«, antwortete Chris Nash schnell. »In den Sie ein paar Spritzer von diesem Ersatzangustora gegeben haben!« »Aber nein, Madam«, wehrte Chris Nash ab. »Ich hatte doch sofort gesehen, daß die beiden Girls längst auf 'nem Trip waren. Mit denen war nichts mehr anzufangen. Die waren doch überhaupt nicht mehr ansprechbar.« »Wie lange blieben sie?« schaltete Kathy Porter sich ein. »Keine Ahnung.« Stew Ratford hob die Schultern. »Sie ahnen ja nicht, was hier los war. Hier ging's drunter und drüber.« »Aber Sie wissen es!« Agatha Simpson baute sich drohend vor Chris Nash auf und funkelte ihn an. »Antworten Sie möglichst schnell, Sie Lümmel,
sonst vergesse ich meine gute Erziehung!« »Sie zogen wieder mit Bernie Penton los«, gab der Assistent des Regisseurs schnell zurück. »Ich glaube, sie wollten wieder 'rüber in die Wohnkommune. Der war doch ganz scharf auf die beiden Girls!« »Er wußte von dem Angustorafläschchen, nicht wahr?« »Nee, niemals.« Nash wich zurück. »Von welchem Fläschchen?« fragte der Regisseur hastig. »Hier ist sowas nie gewesen. Beweisen Sie das erst mal!« * Butler Parker verzog keine Miene, als er durch das Haus lustwandelte, in dem die Wohnkommune der Schauspieler war. In diesem verrückten Haus gab es so gut wie keine geschlossene Tür, und die Bewohner schienen sich in ununterbrochener Bewegung zu befinden. Sympathisch war, daß sich niemand um den Butler kümmerte, der in seiner äußerst korrekten Aufmachung wie ein Fremdkörper oder Besucher von einem anderen Stern wirkte. Hier in diesem Haus durfte mit Sicherheit jeder seinem eigenen Vogel huldigen. Sie waren alle gleich, doch einer schien gleicher als die übrigen zu sein, wie Josuah Parker bald feststellte.' Am Ende eines Korridors befand sich eine geschlossene Tür. Ein Schild war draußen befestigt worden und verkündete, daß man sich jede Störung verbitte. Parker klopfte an, doch er hörte nichts. Daraufhin bewegte er den Türknauf, aber die Tür ließ sich nicht öff-
nen. Von innen war abgesperrt worden. »Wollen 'se zu Bernie?« hörte er hinter sich eine Stimme. Parker wandte sich um und sah sich einem hübschen Mädchen gegenüber, das zwanzig Jahre alt sein mochte und ein weit wallendes, indisches Gewand trug. »Die Tür ist leider verschlossen«, bedauerte Parker und lüftete die schwarze Melone. »Dann hat er bestimmt Besuch. Mann, sind Sie'n prima ulkiger Vogel.« »Herzlichen Dank für dieses freundliche Kompliment«, gab Parker zurück. »Wird es lange dauern, bis Mr. Penton wieder zu sprechen ist?« »Nö, bestimmt nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »Der hat die Kleine schon gut 'ne Stunde bei sich. Kommen Sie doch solange zu mir 'rein. Ich hab' gerade Kaffee gekocht.« »Die Einladung nehme ich herzlich gern und dankbar an.« Parker folgte ihr in einen kleinen Raum und schaute sich überrascht um. Unter der Zimmerdecke hingen aufgespannte, bunte Regenschirme, an den Wänden waren Fächer in allen Farben angenagelt. Es gab eine breite Sitzinsel und eine Unmenge von Kissen auf dem Boden. Neben dem Fenster stand eine lange Holzbank, wo sich Kaffeemaschine und andere Küchengeräte befanden. »Sind Sie auch vom Bau?« fragte sie. »Ich bin Joy, sagen Sie einfach Joy zu mir.« »Parker, Butler Parker«, stellte er sich vor und nahm auf einem der Sitzkissen Platz. »Ein bemerkenswertes Haus.«
»Hier kann man wenigstens so leben, wie man möchte.« Sie reichte ihm eine Tasse Kaffee. »Kann man das wirklich? Ich meine, verzeihen Sie, ist hier überhaupt so etwas wie ein Privatleben möglich?« »Natürlich. Wer allein sein will, hängt ein Schild an die Tür, und schon hat man seine Ruhe.« »Darum also wollten Jane und Helen hierher ziehen«, meinte Parker und nickte verstehend. »Jane und Helen?« Joy wußte mit diesen Namen nichts anzufangen. »Jane und Helen Laudingham«, erläuterte Parker. »Ihnen muß diese Kommune, wie es wohl heißt, sehr imponiert haben.« »Sind Sie mit den Mädchen verwandt?« Joy saß inzwischen ebenfalls auf einem Kissen. »Nicht direkt, würde ich sagen. Inzwischen haben sie ja leider das Zeitliche gesegnet.« »Die hätten hier niemals 'reingepaßt.« Das Mädchen Joy schüttelte den Kopf. . »Das hab' ich Bernie gleich gesagt. Die waren viel zu bürgerlich, verstehen Sie?« »Aber Bernie Penton teilte diese Ansieht nicht, wie ich vermute?« »Dem wär's wohl egal gewesen. Der schleppt doch sowieso 'ran, was ihm paßt. Bernie ist hier der ungekrönte König. Na ja, kein Wunder, er bezahlt ja auch fast allein die ganze Miete. Und durch ihn bekommen wir hier immer mal'n kleinen Job. Er hat 'nen langen Arm.« »Wie man mir sagte, war er an Jane und Helen Laudingham aber sehr interessiert. Das wundert mich, wenn ich es so ausdrücken darf. Die beiden
jungen Damen waren doch wirklich sehr bürgerlich.« »Das hat ihn ja gerade so gereizt.« Joy lachte amüsiert auf. »Als die damals das erste Mal hier waren, durfte man sie kaum anfassen. Aber das hat sich dann gegeben.« »Gehe ich recht in der Annahme, daß Mr. Ray Mulligan sie hier einführte?« »Das weiß ich nicht, ich weiß nur, daß sie nach ein paar Besuchen immer ganz schön angeturnt waren, ich meine, wenn sie kamen.« »Den Ausdruck >angeturnt< sollten Sie einem alten, müden und relativ verbrauchten Mann ein wenig näher erklären.« »Sie waren high, verstehen Sie? Die waren auf 'nem Trip. Immer noch nicht kapiert? Verflixt, wie soll ich das sonst sagen? Die waren voll.« »Angetrunken, wie ich vermute?« »Das vielleicht auch, aber ich meine mehr Speeds. Ich sehe schon, auch damit können Sie nichts anfangen. Aufheizer, Schnellmacher, geht Ihnen jetzt ein Licht auf?« »Sie meinen Drogen?« »In etwa. Wenn sie kamen, waren sie meist schon ziemlich high. Ich glaube, die haben sich Mut gemacht. Wahrscheinlich wollten sie Bernie imponieren, weil der sie mal fade Gänse oder so genannt hat.« »Woher könnten die beiden Mädchen diese Speeds, wie Sie es auszudrücken beliebten, bekommen haben?« »Von wem? Die bekommt man doch überall. Haben Sie schon mal so'nen Aufheller genommen? Wollen Sie einen haben?«
»Vielleicht später«, sagte Josuah Parker und nickte einem jungen Mann zu, der in der Tür stand. Er trug nur Jeans und hatte einen nackten Oberkörper, auf dem einige blaue Flecken zu sehen waren. Und auch einige Pflaster. »Du quasselst mal wieder zuviel, Joy«, sagte er gereizt, um sich dann Parker zuzuwenden. »Und wer sind Sie?« »Parker ist mein Name, Josuah Parker.« Der Butler war aufgestanden und lüftete höflich seine schwarze Melone. »Ich habe die Ehre und das Vergnügen, der Butler Lady Simpsons sein zu dürfen.« »Lady Simpson!« Bernie Penton schluckte. Dann schaute er sich um. »Ist sie etwa hier im Haus?« »Mylady wird vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt erscheinen«, sagte Parker. »Nur das nicht«, stöhnte Penton. »Von der hab' ich die Nase gründlich voll. Und von Ihnen auch, Mann. Verschwinden Sie, bevor ich grob werde! Haben wir uns verstanden?« »Meine Fragen werden nur wenig Zeit beanspruchen, Mr. Penton«, entgegnete der Butler. »Es geht immer noch um den Mord an den Damen Jane und Helen Laudingham.« »Jetzt reicht es mir aber!« Bernie Penton unterschätzte erneut sein Gegenüber. Er sah nur einen altmodisch gekleideten, überaus korrekten Butler vor sich und gedachte, diesen Mann mit ein paar kräftigen Hieben zu vertreiben. Einige Minuten später hatte er seine Absicht vergessen und saß stöhnend in seinem Zimmer vor einer Couch. Zu den bereits vorhandenen blauen
Flecken waren ein paar neue hinzugekommen. »Sprechen wir über Mr. Ray Mulligan«, schlug Josuah Parker vor. »Ich bin sicher, daß Sie meiner bescheidenen Wenigkeit mit einigen wertvollen Hinweisen dienen können.« * Das Quartett befand sich im altehrwürdigen Haus der Lady Simpson in Shepherd's Market. Butler Parker hatte die Liste vor sich liegen, die man dem Superprofi mit List abgenommen hatte. Und neben dieser Liste lag eine zweite, die Mike Rander sich von dem Catcher Harry Bondson hatte geben lassen. Parker verglich die Namen, las sie laut vor, suchte sie auf den beiden Listen und hakte sie dann ab. Er tat es mit der bei ihm üblichen Sorgfalt und Gemessenheit, was Agatha Simpson fast in Raserei brachte. »Geht es nicht etwas schneller?« fragte sie schließlich. »Ich wette, Sie haben den bewußten Namen längst entdeckt, aber Sie wollen mich nur auf die Folter spannen.« »Ich glaube, Mylady, daß ich inzwischen zu einem Ergebnis gekommen bin«, verkündete Parker und schaute hoch. »Auf der Liste des Mr. Harry Bondson, die er von Mr. Pinster erhielt, fehlt der Name des jungen Schauspielers Bernie Penton.« »Dann wird er also von Pinster erpreßt«, sagte Mike Rander. »Ohne Grund wird dieser Privatdetektiv den Namen Pentons ja nicht ausgespart haben.«
»Wie kamen Sie eigentlich darauf, Mr. Parker, daß Mr. Pinster den Täter erpreßt?« wollte Kathy Porter wissen. »Ein Mann wie Pinster läßt sich solch ein lohnendes Nebengeschäft nicht entgehen«, antwortete der Butler. »Mr. Pinster riskierte dieses Privatgeschäft allerdings erst, als der sogenannte Profi aus den Staaten ausgeschaltet worden war.« »Vermutungen, Vermutungen«, erklärte Lady Simpson. »Und wie wollen wir Penton überführen?« »Mr. Pinster befindet sich bereits in Todesängsten, Mylady«, antwortete Parker höflich. »Er weiß sehr genau, wer auf ihn im Haus Laudingham geschossen hat. Sein Hinweis auf Regisseur Ratford war nur ein Ablenkungsmanöver, wie leicht zu verstehen ist.« »Worauf warten wir eigentlich noch?« fragte Lady Simpson unternehmungslustig. »Warum unternehmen wir nichts?« »Wenn Mylady gestatten, werde ich dies sofort in die Wege leiten.« Butler Parker erhob sich und ging ans Telefon. Er wählte die Nummer des Hospitals und ließ sich dann mit dem Krankenzimmer verbinden, in dem der Privatdetektiv lag. Als die Verbindung hergestellt war, schien die Stimme des Butlers sich plötzlich total verändert zu haben. »Penton hier«, sagte er knapp und im genauen Tonfall des Schauspielers. »Hören Sie, Mann, ich werde gleich mal vorbeikommen, klar? Ich bring' Ihnen was Hübsches mit, Pinster. Ich muß nämlich heute noch nach Frankreich und werd' für die nächsten Wochen nich' mehr zu erreichen sein. Bis gleich!«
»Was soll das?« fragte die ältere Dame. »Wollen Sie etwa als Penton zu ihm fahren? Also, diese Maske schaffen auch Sie nicht, Mr. Parker. Überschätzen Sie sich wieder mal nicht!« »Ich möchte davon ausgehen, Mylady, daß Mr. Pinster den plötzlichen Wunsch verspürt, das Krankenhaus zu verlassen. Und er wird diesem Wunsch umgehend nachgeben.« »Und sich womöglich absetzen?« »Er wird mit Sicherheit nicht weit kommen, Mylady. Chief-Superintendent McWarden wartet nur darauf, daß Mr. Pinster das sucht, was man das Weite nennt.« »Sie ... Sie haben ihn bereits informiert?« Sie funkelte ihn gereizt an. »Dieser Listenvergleich war also nichts anderes als eine Art Show?« »Damit Mr. McWarden seine Vorkehrungen treffen konnte, Mylady«, räumte Josuah Parker ein. »Ich wollte Mylady nicht zumuten, eine banale Überführung und Verhaftung vorzunehmen. Mr. McWarden weiß ohnehin, wem er die Lösung des Falls zu verdanken hat.« »Das möchte ich mir auch ausgebeten haben«, raunzte sie. »Nun gut, soll er also diese Kleinarbeit übernehmen. Sie paßt ja ohnehin zu ihm. Sehr schön, Mr. Parker, Sie haben genau das getan, was ich ebenfalls getan hätte. Hin und wieder haben Sie wirklich einen lichten Moment!« * »Ich möchte mich bei Ihnen bedanken, Mylady«, sagte McWarden eine Stunde später, nachdem Parker ihn in
den Salon geführt hatte. »Wie ich von Mr. Parker erfuhr, haben Sie die Zusammenhänge klar erkannt, ich meine, diese Sache mit den beiden Listen und dem Erpressungsversuch Pinsters an Bernie Penton.« »Es war eine Kleinigkeit, lieber McWarden«, sagte sie huldvoll. »Man muß eben richtig kombinieren können.« »Sind einschlägige Geständnisse bereits abgelegt worden, Sir?« erkundigte sich Josuah Parker. »Penton hat die beiden LaudinghamMädchen mit Speeds vollgestopft, dann mit zu Ratford genommen, wo sie wahrscheinlich zusätzlich noch Speeds aus der Angustoraflasche erhielten, aber das wird sich nicht beweisen lassen. Danach fuhr Penton mit den beiden Mädchen in ihre Wohnung, wo sie von ihm erneut Speeds bekamen. Er hatte die Droge in eine Flasche Whisky gegeben. Als die beiden Mädchen dann einen Kreislaufkollaps bekamen, dachte Penton an seine Karriere und tat nichts, um ihnen zu helfen. Er versuchte, den Mädchen zu helfen, wie er sagte, so mit Kaltwasserduschen und Herzmassagen, aber er rief eben nicht einen Arzt an. Als sie dann starben, täuschte er den Mord vor. Eine scheußliche Geschichte. Die beiden Mädchen könnten wahrscheinlich heute noch leben, wenn er nicht nur an sich gedacht hätte.« »Dann gehen Mulligan, Ratford und Nash also mit heiler Haut aus der Geschichte heraus?« fragte Mike Rander. »Man wird sie kaum unter Anklage stehen können.« McWarden nickte. »Wohl ist mir dabei auch nicht, aber die eigentliche Verantwortung für den
Tod der beiden Mädchen trägt Bernie Penton. Er wollte nicht in die Schlagzeilen kommen, das war ihm wichtiger als ein Anruf bei einem Arzt.« »Ist Mr. Laudingham bereits informiert worden?« wollte Kathy Porter a wissen. »Ich habe eben mit ihm gesprochen.« McWarden nickte. »Hoffentlich gibt er jetzt Ruhe und verzichtet auf weitere Rache. Aber wie ich ihn einschätze, , wird er auf die Entlassung Pentons aus dem Gefängnis warten, um dann erneut Rache zu üben.« »Sollte man ihm nicht sagen, daß seine Töchter immerhin sehr intensiv mit dem Feuer gespielt haben?« Mike Rander sah den Chief-Superintendent ah. »Fest steht doch wohl, daß die beiden Mädchen nicht gerade gezwungen worden sind, diese Speeds zu nehmen.« » »Vielleicht begreift Laudingham das im Lauf der Zeit.« McWarden seufzte. »Im Augenblick aber ist mit ihm kaum zu reden.« »Wie ist dieser Privatdetektiv auf Penton verfallen?« erkundigte sich Kathy Porter. »Pinster hat das bereits gestanden.« Der Chief-Superintendent lächelte unwillkürlich. »Er hat alle Personen der Reihe nach angerufen und seine Erpressungen versucht. Penton biß sofort an. Sie fragen sich, warum ich lächle? Nun, nachdem Mr. Parker im Hospital anrief, wollte Pinster sich sofort absetzen. Er nahm sich noch nicht mal die Zeit, seine Kleidung überzuziehen. Er hatte es schrecklich eilig und warf sich nur einen Bademantel über. Wir erwischten ihn,
als er durch die Küche in den Hinterhof laufen wollte.« »Wo ist das wirkliche Motiv, McWarden?« schaltete sich Agatha Simpson ein. »Warum schluckten diese beiden jungen Dinger Benzedrin? Warum verabreichte Penton ihnen diese Speeds?« »Jane und Helen wollten einfach dazugehören, Mylady«, entgegnete der Chief-Superintendent. »Sie waren recht streng erzogen worden und kamen sich wie ausgeschlossen vor, als sie Kontakt zu diesen Leuten bekamen. Und Penton wollte sie nur auflockern, wie er sagte, er wollte ihre bürgerliche Schale aufknacken. So schrecklich einfach ist das alles.« * Der Superprofi aus den Staaten bewegte sich vorsichtig durch die große Halle des Flugplatzes und litt sichtlich noch unter den Stauchungen und Prellungen. Er schritt langsam zum Rollband. Butler Parker und Mike Rander beobachteten Hale Gatters, der seinerseits von einem gewissen Stan Poll beobachtet wurde. Der Taschendieb schien eine Möglichkeit gewittert zu haben, diesen Mann ein wenig auszunehmen. Stan Poll schaffte es ohne Schwierigkeiten. Es dauerte nur Sekunden, bis der Superprofi seine Brieftasche los war. »Einen wunderschönen Tag erlaube ich mir zu wünschen«, sagte Josuah Parker, als er Stan Polls Weg kreuzte. »Äh, Sie, Mr. Parker!?« Der Taschendieb seufzte. »Was habe ich Ihnen eigentlich getan? Warum sind
Sie hinter mir her, Mr. Parker? Ich bin doch wirklich nur ein kleiner Fisch.« »Ich möchte mir erlauben, mich bei Ihnen zu bedanken«, erwiderte der Butler. »Durch Ihre immer noch sehenswerte Arbeit konnte ein privater Rachefeldzug vermieden werden. Nun, das werden Sie nicht verstehen, aber darauf kommt es auch gar nicht an.« »Sie ... Sie beobachten mich schon seit einiger Zeit?« »So ist es, Mr. Poll.« »Okay, dann werde ich die Brieftaschen wieder zurückstecken«, meinte der Taschendieb. »Es sind aber wirklich nur drei.« »Sind Sie sicher, mein Wertester?« »Nun ja, fünf, aber mehr wirklich nicht. Ich bring' sie also zurück.« »Und nehmen dafür das hier«, schaltete Mike Rander sich ein und griff nach seiner Brieftasche, die ... nicht vorhanden war. Er sah zuerst Poll, dann Parker entgeistert an. »Hier ist Ihre Brieftasche, Sir«, sagte der Taschendieb. »Ich konnte ja nicht' wissen, daß Sie mit Mr. Parker zusammen sind.« »Zum Henker, wann haben Sie sie mir weggenommen?« »Als Sie Zigaretten kauften, Sir. Hier, Ihre Brieftasche, es fehlt garantiert nichts.«
Stan Poll trollte sich, um die anderen Brieftaschen zurückzuerstatten, auch die des Superprofis. »Fünf Brieftaschen. Man sollte es nicht glauben.« Mike Rander lächelte ungläubig. »Wenigstens sieben, Sir«, gab der Butler zurück. »Wenn nicht sogar acht. Aber ich möchte nicht den Richter spielen. Auch ein Mr. Poll hat es heutzutage nicht leicht.« »So menschenfreundlich, Mr. Parker?« »Er wird seit gut fünfzehn Minuten von einem Spezialisten des Dezernats für Taschendiebstahl beobachtet«, sagte Parker. »Ich kann nur hoffen, daß er sämtliche Brieftaschen rechtzeitig zurückgibt.« »Bin ich eigentlich je weg gewesen, Parker?« fragte Anwalt Rander. »Es ist plötzlich alles wieder so wie damals.« »Diese Worte, Sir, erwärmen mein Herz.« »Dennoch, Parker, mit mir können Sie in Zukunft nicht mehr rechnen. Das hier ist eine Ausnahme gewesen. Was Kriminalfälle anbetrifft, so werde ich' sehr enthaltsam sein!« »Wie Sie meinen, Sir«, gab Josuah Parker gemessen zurück und wußte, daß der Anwalt eigentlich nicht die Spur einer Chance hatte, dem nächsten Fall zu entgehen.
ENDE scan: crazy2001 @ 10/2011 corrected: santos22
Günter Dönges schrieb für Sie wieder einen
Nr. 189
PARKER sticht den »Schwarzen Ritter« Dieser Lord war zumindest ein wenig verrückt, denn er ließ alljährlich das große Ritterturnier ausrichten, das nach den uralten Regeln seines noch älteren Geschlechts veranstaltet wurde. Höhepunkt dieser Spiele war das Turnier, in dem gepanzerte Ritter versuchten, sich mit Lanzen gegenseitig aus den Sätteln ihrer Pferde zu stechen. Parkers ungutes Gefühl sollte sich bald bestätigen, nachdem es ihm erst mal gelungen war, Lady Agatha daran zu hindern, als »Ritter« in die Bahn zu gehen. Zusammen mit Mike Rander, der aus den Staaten zurück nach England gekommen war, klärte er einen raffinierten Mord auf, der als Unfall getarnt werden sollt», ater bis es soweit war, Halen die beiden Männer alle Hände voll zu tu«, Lady Agatha daran zu hindern, Morgensterne und Schwerter zu schwingen... Günter Dönges muß es ein Vergnügen bereitet haben, diesen Parker-Krimi zu schreiben, in dem skurrile Typen und handfeste Killer ihr Unwesen treiben. Wer Krimis liest, die Schmunzeln und Hochspannung garantieren, der muß diese Story einfach lesen!