Parker sticht den »Schwarzen Ritter« Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges »Sehr h...
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Parker sticht den »Schwarzen Ritter« Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges »Sehr hübsch«, sagte Agatha Simpson und griff nach dem mittelalterlichen Morgenstern, der an der langen, gekalkten Wand der Warfen- und Rüstkammer hing. »Wirklich, so etwas müßte man sich für gewisse Ausflüge in den Wagen legen.« »Ein Originalstück, Mylady«, gab Lord William Battleford Auskunft. »Es stammt noch aus der Zeit der Kreuzzüge.« Lady Agatha nickte und wog das mittelalterliche Relikt in der rechten Hand. Es handelte sich um eine Eisenkugel, mit bösartig aussehenden Spitzen an der Oberfläche. Diese Eisenkugel hing an einer soliden Kette, die an einem kurzen Stiel aus Eichenholz befestigt war. Mylady schwang diese Kampfwaffe versuchsweise, worauf Parker sich erst mal sicherheitshalber hinter einer soliden Säule verbarg. Er kannte die Unternehmungslust seiner Herrin nur zu gut. Lady Agatha Simpson, mit dem Blut- und Geldadel der Insel verschwistert und verschwägert, war eine stattlich aussehende Dame, die die Sechzig überschritten hatte, nun aber schon seit Jahren ihre Geburtstage ignorierte und nicht mehr feierte. Sie erinnerte stets an eine Walküre, was ihre majestätische Fülle betraf, und trug ihr übliches, viel zu weites
Tweed-Kostüm, bequeme und folglich auch völlig unmodische Schuhe und dazu einen Hut, der eine verwegene Kreuzung aus einem Südwester und einem Napfkuchen darstellte. Lady Agatha, sehr vermögend, ritt ein Steckenpferd besonderer Art: Sie befaßte sich mit Kriminalfällen und machte den dafür zuständigen Behörden Konkurrenz. Darüber hinaus arbeitete sie schon seit geraumer Zeit an der Niederschrift eines Bestsellers. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, einer gewissen Agatha Christie den Rang abzulaufen. Bisher hatte sie sich allerdings noch nicht mal für ein spezielles Thema entschließen können. Die skurrile Dame schwang also den Morgenstern und schien sich in die mittelalterliche Waffe geradezu verliebt zu haben. Josuah Parker hüstelte diskret und wollte Lord William Battleford ein wenig mahnen und warnen. Parker hielt es für angebracht, daß der Besitzer dieser Waffensammlung umgehend eine geeignete Deckung aufsuchte. Waffen in der Hand der Lady führten meist zu mehr oder weniger folgenschweren Zwischenfällen. »Wird solch ein Morgenstern geworfen?« erkundigte Agatha Simpson sich bei Lord William. »Weniger, Mylady, weniger.« Lord Battleford wich zwei Schritte zurück.
»Man schlug damit im Nahkampf auf seinen Gegner ein.« »Bemerkenswert, sehr nett.« Die Lady versuchte das mit einem unsichtbaren Gegner und wurde vom Schwung dieses Schlages ein wenig nach vorn gerissen. Sie fing sich jedoch ab und entschied sich dafür, den Morgenstern über ihrem Hut kreisen zu lassen. »Mylady sollten bedenken, daß die Kette vielleicht an- oder durchgerostet sein könnte«, warnte Josuah Parker in seiner typisch würdevollen und gemessenen Art. Er trug seinen üblichen schwarzen Zweireiher, einen Eckkragen und eine schwarze Melone. Über dem angewinkelten linken Unterarm hing sein altväterlich gebundener Regenschirm, der eindeutig aus der Zeit der Jahrhundertwende zu stammen schien. Butler Parker war ein Mann undefinierbaren Alters, etwas über mittelgroß und nicht gerade dürr. Er hatte das undurchdringliche Gesicht eines professionellen Spielers und war ein Mensch, der sich stets unter Kontrolle hatte. »Sehr schwungvoll«, stellte Agatha Simpson inzwischen fest und ließ trotz Parkers Warnung den Morgenstern weiter kreisen. So kam es, wie es kommen mußte: Die angerostete Eisenkette war der Fliehkraft nicht gewachsen und löste sich aus der Halterung des kurzen Stiels. Die dornengespickte Eisenkugel sauste wie ein Geschoß durch die ganze Rüstkammer und krachte gegen eine schmale Seitentür. Der Effekt war beachtlich. Unter dem Aufprall splitterten die Bohlen, dann staubte es, und anschließend verschwand der Morgenstern
hinter der Tür. Dort irgendwo mußte er einen Landeplatz in einer Vitrine gefunden haben. Man hörte das Splittern von Glas. »Mylady«, stöhnte Lord William und schnappte nach Luft. »Was ist denn?« Sie sah ihn grollend an. »Wie können Sie mir solch ein schadhaftes Gerät aufzwingen?« »Ich dachte ... Äh... Sie würden…« »Papperlapapp, William«, redete sie weiter, »Haben Sie sich nicht so! Die morsche Tür wird ja wohl noch zu ersetzen sein, oder?« »Gewiß, Mylady, aber...« Lord William Battleford, etwa sechzig Jahre alt, untersetzt und rundlich, wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Hinter der Tür befindet sich immerhin meine Porzellansammlung, alles wertvolle Stücke aus verschiedenen Manufakturen.« . »Mr. Parker, werfen Sie gleich mal einen Blick auf den Scherbenhaufen«, sagte die ältere Dame und wandte sich an ihren: Butler. »Und besorgen Sie mir umgehend solch einen Abendoder Morgenstern. So etwas fehlt noch in meiner Sammlung.« »Wie Mylady wünschen.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an und lüftete dazu seine schwarze Melone. »Waren Mylady mit dem Gewicht dieses Gerätes zufrieden?« »Doch das Ding ist recht handlich«, gab sie zurück. »Wissen Sie, besorgen Sie mir gleich zwei oder drei davon. Ein gewisser Vorrat kann nicht schaden.« *
»Ich hasse diesen verdammten Zirkus«, sagte Peter Battleford und verzog angewidert sein rundliches Gesicht. »Jedes Jahr macht der alte Herr hier auf Geschichte und Rittertum.« »Nehmen Sie aktiv daran teil?« erkundigte Mike Rander sich. Der Anwalt trug einen dunklen Blazer zu grauen Flanellhosen und sah darin sportlichleger aus. Er war vor einigen Wochen aus den Staaten zurück nach England gekommen, um hier wieder als Anwalt zu arbeiten. Darüber hinaus hatte Lady Simpson ihm die Verwaltung ihres »Haushaltsgeldes« übertragen. In früheren Jahren hatte Josuah Parker für Mike Rander als Butler gearbeitet und war dann zu Lady Simpson übergewechselt, als der junge Anwalt in die Staaten gegangen war. Mike Rander, etwa um die vierzig Jahre alt, hatte Kriminalabenteuern abgeschworen und sich fest vorgenommen nie wieder in einen Fall einzugreifen. Sein Aussehen unterstrich diese Absicht. Wie ein Draufgänger a la James Bond sah er wirklich nicht aus. Er war der gut erzogene, zurückhaltende Gentleman mit tadellosen Manieren, der auf manche Menschen leicht versnobt wirkte. Mike Rander hatte volles, dunkelbraunes Haar und graubraune Augen. Er war schlank, von normaler Größe und hatte ein gut geschnittenes Gesicht. Als Dressman für elegante Herrenmoden hätte er mit Sicherheit jederzeit einen Dauerjob bekommen. »Natürlich muß ich an diesen scheußlichen Turnieren teilnehmen«, beantwortete Peter Battleford Mike
Randers Frage. »Was bleibt mir den anderes übrig Mr. Rander? Ich bin schließlich der einzige männliche Battleford.« »Sie reiten tatsächlich mit Rüstung und Lanze auf ihre Gegner los?« Mike Rander verzog leicht angewidert das Gesicht. »Und hebe sie aus den Sätteln.« Peter Battleford seufzte. »Sie ahnen ja nicht, was mich das kostet.« »Trainingsschweiß, nehme ich an.« »Unsinn, Geld, bares Geld! Ich bezahle selbstverständlich meine Gegner, damit sie mir keinen Ärger machen.« »Das ist natürlich eine elegante Lösung.« Der Anwalt lächelte mokant. »Eine verdammt teure Lösung.« Peter Battleford winkte ab. »Manch einer macht sich eben teuer.« »Sie sind damit bisher immer zurechtgekommen? « »Geld überzeugt immer, Mr. Rander.« Peter Battleford grinste ein wenig schäbig. »Und falls nicht, dann ... « »Dann-?« Mike Rander fragte wirklich nur aus Höflichkeit, wie man ihm deutlich ansah. Ihn schien das ganze Thema nicht weiter zu interessieren. »Wollen Sie sich den Turnierplatz mal ansehen, Mr. Rander?« Peter Battleford ging auf die Frage des Anwalts nicht näher ein. »Sagen Sie, mir kommt da gerade ein Gedanke: Hätten Sie nicht Lust, sich auf einen Gaul zu schwingen und gegen mich anzutreten?« »Schreckliche Vorstellung.« Mike Rander wischte sich einige unsichtbare Stäubchen vom Ärmel seines Blazers. »Ich hasse aktiven Sport, höchstens mal etwas Tennis, darf aber nicht in
Wettkampf ausarten. Aber Sie bringen mich da auf eine Frage. Gegen wen treten Sie denn als Erbe des Hauses Battleford an? Kann sich da jeder als Gegner melden?« »Das fehlte noch.« Peter Battleford sah Mike Rander empört an. »Da könnte ja jeder Stallknecht kommen. Nein, nein, die Gegner müssen schon zur Society gehören, aber möglichst Adel und so. Sie hätten wirklich keine Lust?« »Ich hasse unnötige Anstrengungen.« Mike Rander hob abwehrend die Arme. »Zudem kreist kein blaues Blut in meinen Adern.« »Aber Sie gehöre zur Society, wie ich weiß. Hören Sie, Mike - ich darf Sie doch so nennen, nicht wahr? - Ich würde mich bei Gelegenheit revanchieren.« »Haben Sie etwa zu wenig Gegner?« erkundigte Mike Rander sich lächelnd. »Ich darf Sie doch Peter nennen, nicht wahr?« »Selbstverständlich, Mike. Nein, nein, Gegner sind schon vorhanden, aber Jahr für Jahr dieselben. Wir brauchen neue Namen und frisches Blut.« »Von Blut hätten Sie nicht reden dürfen, Peter.« Mike Rander schüttelte sich. »Das war genau das falsche Stichwort.« »Die Sache ist absolut ungefährlich, Mike, wirklich. Lassen Sie sich meinen Vorschlag noch mal durch den Kopf gehen! Wir reden noch darüber, einverstanden?« Sie hatten den Turnierplatz erreicht. Er befand sich hinter dem alten Schloß und bestand aus einer langen Holztribüne, die bereits im Stil des Mittelalters geschmückt war. Über der
Ehrenloge erhob sich ein schwerer Baldachin. Eine lange Holzbarriere trennte einen breiten Sandstreifen in zwei gleiche Hälften. Der Sand war strahlend weiß und mit Sägespänen und. Kunststoffflocken angereichert. »Das wäre das verdammte Schlachtfeld«, sagte Peter Battleford und ... stierte dann aus hervorquellenden Augen auf einen daumendicken Bolzen, der knapp neben ihm in einem schweren Holzpfosten zitterte! Dieser Bolzen schien mit großer Kraft bewegt worden zu sein. Mike Rander dachte unwillkürlich an eine gewisse Lady Simpson und fragte sich insgeheim, ob sie nicht vielleicht mit einer Armbrust gespielt hatte. Peter Battleford hatte sich inzwischen von seinem Schock erholt und zeigte sportliche Qualifikation. Er sprintete zu der Pforte, die in die übermannshohe Schloßmauer eingelassen war. * Mike Rander hielt den Bolzen in der Hand und sah ihn genau an. Das Geschoß war eindeutig mit einer Armbrust durch die Luft befördert worden. Der daumendicke Holzschaft besaß am hinteren Ende vier kleine Stabilisierungsflossen, die Spitze aus Eisen war nadelscharf. Hier handelte es sich um eine Waffe, die unbedingt tödlich war, wenn sie ihr Ziel traf. Mike Rander war klar, daß ihm dieser Bolzen nicht zugedacht worden war. Man hatte ihn eindeutig auf den jungen Lord Battleford abgefeuert, der inzwischen längst hinter der Pforte
verschwunden war. Sein Tempo war beachtlich gewesen. Mike Rander hörte das Schnauben eines Pferdes. Er wandte sich um und ... zweifelte einen Moment an seinem Verstand. Das, was seinen Augen sich darbot, konnte nur mit einem Zeitsprung zu tun haben, wie er in Science-fictionRomanen beschrieben wurde. Hinter der langgestreckten Tribüne preschte ein Reiter hervor, der ins Mittelalter gehörte. Er saß auf einem Pferd, das eine Art Umhang trug, der fast bis zu den Fesseln reichte und tief schwarz war. Im Sattel saß ein gepanzerter Ritter, der eine Stechlanze eingelegt hatte, deren Spitze eindeutig auf ihn nämlich auf Mike Rander - gerichtet war. Dieser Ritter, dessen Rüstung ebenfalls tiefschwarz war, hatte das Visier seines Helmes heruntergelassen: Oben auf dem Helm wippte ein tiefroter Federbusch. Der schwarze Ritter kam schnell näher. Seine Absichten waren keineswegs friedlicher Art, wie Mike Rander fand. Der Anwalt maß die Entfernung hinüber zur Mauerpforte und schätzte seine Chancen ab, sie noch zu erreichen. Er hätte es nicht geschafft, die Entfernung war einfach zu groß. Mike Rander nahm hinter dem Holzpfosten Deckung und wartete auf das Näherkommen des schwarzen Ritters, der wie der Sendbote des Todes aussah. Der Holzpfosten war übrigens recht dick, doch er reichte nicht aus, Randers Körper voll zu decken. Der Anwalt, der sich im Gegensatz zu seinem langjährigen Aufenthalt in den Staaten hier in England ein relativ
ruhiges Leben vorgestellt hatte, war wenig erbaut davon, von einer Turnierlanze aufgespießt zu werden. Das konnte bereits in den nächsten Augenblicken der Fall sein. Der schwarze Ritter hatte die Schnelligkeit seines schwarz behangenen Pferdes noch gesteigert und galoppierte auf sein Zielobjekt zu. Mike Rander hatte keine Waffe bei sich. Wahrscheinlich hätte sie ihm jetzt auch nichts mehr genutzt, denn die Lanze schoß plötzlich vor und ... zischte dicht an seinem Oberkörper vorbei in die leere Luft. Dann jagte das Pferd bereits vorüber, wurde durchpariert und auf der Hinterhand geradezu brutal herumgerissen. Der schwarze Ritter schien darauf versessen zu sein, Mike Rander niederzustechen. Der Anwalt hatte inzwischen seine erste Überraschung überwunden. Während der Ritter ihm noch ungewollt den Rücken zuwandte, schlüpfte Rander aus seinem Blazer und warf ihn sich locker über die Schulter. Er blieb am Pfosten stehen und wartete auf den zweiten Lanzenritt. Es war soweit! Der Sendbote des Todes hatte sein Pferd inzwischen in die richtige Position gebracht und gab dem Tier brutal die Sporen. Es steilte hoch, nahm wieder Fahrt auf und raste heran. Die vertrackte Lanze wurde gekonnt in der Armbeuge des schwarzen Ritters gehalten. Diese Erscheinung aus dem Mittelalter wußte damit offensichtlich ausgezeichnet umzugehen. Mike Rander nahm wieder hinter dem Pfosten Deckung und wirkte verängstigt. Als das Pferd nur noch wenige Meter entfernt war, als die
Lanzenspitze ihn bedrohlich anvisierte, riß Mike Rander seinen Blazer von den Schultern und wedelte ihn wie die Capa eines Stierkämpfers durch die Luft. Seine Rechnung ging voll auf. Das schwarze Pferd scheute prompt und steilte hoch. Der schwarze Ritter verlor seine Turnierlanze und hatte alle Mühe, mit dem scheuenden Vierbeiner fertig zu werden. Mike Rander sah zu der Tribüne hinüber und tat es dem jungen Lord Battleford nach: Er spurtete wie ein Leistungssportler los und hielt auf die Ehrenlogen zu, die von dem Baldachin überdeckt wurden. * »Gütiger Himmel, Mike, Sie sind weggelaufen?« Agatha Simpson schnaufte mißbilligend, sah den Anwalt strafend an und schüttelte dann den Kopf. »Ich war nicht gerade versessen darauf, Mylady, mich abstechen zu lassen«, antwortete Mike Rander. »Dieser schwarze Ritter befand sich eindeutig im Vorteil.« »Ich wäre geblieben! Was sagen Sie dazu, Mr. Parker?« Lady Agatha sah ihren Butler abwartend an. »Wäre ich geblieben?« »Mit letzter Sicherheit, Mylady«, erwiderte Parker gemessen. »Bitte, Mike, da hören Sie es.« Sie nickte ihrem Getreuen wohlwollend zu. »Mylady hätten die Distanz bis zu den Logen nie geschafft«, fügte der Butler erklärend hinzu.
»So genau wollte ich es gar nicht wissen?« Sie grollte. Ihr Blick wurde eisig. »Ein schwarzer Ritter!« Lord William schüttelte den Kopf. »Ich kann mir das nicht erklären. Wer sollte ein Interesse daran haben, Sie, Mr. Rander, niederzureiten?« »Sollte er noch mal auftauchen, werde ich ihn danach fragen, Mylord«, versprach der Anwalt. »Dramatisieren wir den Vorfall aber nicht, vielleicht wollte sich irgend jemand einen etwas makabren Spaß leisten.« »Das war ein Mordversuch«,sagte Lady Agatha sehr nachdrücklich. »Und im Grund galt er mir!« »Ihnen, Mylady?« Mike Rander wunderte sich, um dann den Butler hilfesuchend anzusehen. »Mylady sehen auch meine bescheidene Wenigkeit ein wenig überrascht«, ließ Parker sich vernehmen. »Ich habe Sie schließlich eingeladen, mit nach Chiltern Castle zu kommen, Mike«, erklärte Lady Simpson in der ihr eigenen, umwerfenden Logik. »Also galt der Anschlag mir. William, ich möchte mir sofort die Pferdeställe ansehen. Irgendwo muß dieses Pferd ja stehen. Was will ich mir noch zusätzlich ansehen, Mr. Parker?« »Die Rüstkammer, Mylady«, schlug der Butler vor. »Man darf wohl davon ausgehen, daß die Rüstungen und Waffen für das Turnier zentral im Schloß gelagert werden.« »Danach wollte ich gerade fragen.« Lady Agatha nickte. »Kommen Sie doch endlich, William, wir haben keine Zeit zu verlieren! Diesem schwarzen Ritter will ich Auge in Auge gegenüberstehen.«
»Wer hat Zutritt zu der Rüstkammer?« erkundigte Anwalt Rander sich bei Lord Battleford. »Mein Verwalter, ein gewisser Steward Rayl, ein tüchtiger Bursche.« »Verwaltern traue ich nie, William«, meinte die ältere Dame grimmig. »Und warum nicht, Mylady?« wollte der Lord wissen. »Lesen Sie keine Krimis?« Sie schaute ihn mißbilligend an.« In diesen Romanen sind meist die Verwalter die Täter. Sie haben immer Dreck am Stecken.« »Rayl ist ein ausgezeichneter Mann«, widersprach der Lord diesem Vorurteil. »Er arbeitet schon seit vier Jahren für mich;« »Und was tat er vor dieser Zeit, William?«' Lady Agatha schoß sich bereits auf den Verwalter ein. »Sie sind eben zu gutgläubig. Sie können dem Himmel dankbar sein, daß ich hier bin. Diesen Mann werde ich mir sehr genau ansehen.« Der perlenbestickte Pompadour an ihrem linken Handgelenk geriet in leichte Schwingungen. In diesem Handbeutel, wie ihn die Damen um die Jahrhundertwende trugen, befand sich Myladys »Glücksbringer«, ein echtes Pferdehufeisen, das nur oberflächlich mit dünnem Schaumstoff umwickelt war. Es war, wenn man so will, eine moderne1 Version jenes Morgensterns, mit der die Detektivin erst vor fünfzehn Minuten so selbstverständlich umging. »Da wäre noch etwas«, sagte Mike Rander, bevor Lady Agatha losmarschieren konnte. »Auf Lord Peter wurde ein Armbrustbolzen abgeschossen.«
»Ist er verletzt?« fragte Lord Battleford mit leicht belegter Stimme. »Erfreulicherweise nicht, Mylord«, antwortete der Anwalt. »Ihr Sohn kann wirklich Von Glück sagen, daß ihm ...« Ein Aufschrei draußen vor dem Fenster der großen Wohnhalle hinderte Mike Rander daran, den Satz zu beenden. Man hörte schnelle Schritte, dann Stöhnen und sah schließlich einen etwa fünfundzwanzigjährigen Mann, der in die Wohnhalle taumelte.. Der Ärmel seines Jacketts war blutverschmiert, der linke Oberarm hing schlaff am Körper des jungen Mannes herab. »Zum Henker, Rayl, was ist passiert?« fragte Lord William. »Ein Bolzen... Eine Armbrust«, stöhnte der Mann, der offensichtlich der Verwalter war. »Ich . . Ich bin angeschossen worden.« * »Nun reißen Sie sich mal zusammen, junger Mann«, raunzte die ältere Dame den Angeschossenen an. »Lassen Sie mal sehen! Ich war im Krieg Sanitäterin und Pflegerin und für meine Behandlung berühmt.« Den Grund für diese Berühmtheit erfuhr der Verwundete Sekunden später am eigenen Leib. Lady Agatha ging nicht gerade schonend oder gar liebevoll mit ihm um. Sie zerriß den Ärmel, dann das durchblutete Hemd und sah sich die Wunde fachmännisch an. »Nur ein harmloser Streifschuß«, stellte sie dann fest. »Nur dann, wenn eine akute Lungenentzündung dazu kommt, könnte die Sache ernst werden.«
Rayl tröstete das im Moment nicht sonderlich. Er ließ sich auf einem Stuhl nieder und stöhnte, als die Detektivin sich die Wunde genauer ansah und ihrem Butler dann zunickte. »Verbandzeug«, forderte sie und schien sich über diesen Zwischenfall zu freuen, »ich werde einen Preßverband anlegen.« »Haben Sie den Schützen gesehen?« erkundigte sich Lord Battleford inzwischen. »Nein, Mylord«, erwiderte Rayl, während er Mylady mißtrauisch anstarrte. »Sind Sie sicher, Mylady, daß ich nicht besser einen Arzt aufsuchen sollte?« »Unsinn, falls Jod im Haus ist, junger Mann.« »Was ist passiert?« Peter Battleford betrat die große Wohnhalle und lief auf Rayl zu. »Mann, was ist denn mit Ihnen los, Jack?« »Armbrust«, wimmerte der Mann, der also Jack Rayl hieß. »Mich hat da eben ein Bolzen erwischt.« »Auf mich ist ebenfalls geschossen worden, alter Herr«, sagte Peter Battleford. »Mr. Rander war dabei.« »Er hat's uns gerade erzählt.« Lord Battleford wandte sich zu dem Anwalt um, der inzwischen jedoch die Wohnhalle unauffällig verlassen hatte. »Junge, was geht hier vor? Wer spielt mit diesen tödlichen Dingern?« »Keine Ahnung, Vater.« Peter Battleford schüttelte den Kopf und schien einen schnellen und warnenden Blick mit Jack Rayl auszutauschen, wie Lady Agatha zu bemerken glaubte. »Sie sind der Verwalter?« fragte sie den jungen Mann.
»Das ist mein Vater«, erwiderte Jack Rayl. »Ich arbeite in der Hotelbranche in London. Ich komme nur zu den Turnieren herüber, Mylady. Bitte, könnten Sie meinen Arm loslassen? Der steckt wie in einer Schraubzwinge.« »Seien Sie gefälligst nicht so zimperlich«, raunzte sie den Sohn des Verwalters an. »Ich muß schließlich die Blutung stoppen.« »Könnte man Sie mit Peter verwechselt haben?« fragte Lord Battleford den Sohn des Verwalters. »Wahr... Wahrscheinlich«, stöhnte Jack Rayl und atmete dankbar auf, als Parker mit einem Verbandkasten erschien. Er schaffte es, Mylady abzulenken und den Verband anzulegen. Lady Agatha wanderte grimmig in der Wohnhalle umher und musterte dann die beiden jungen Männer. Jack Rayl war gut einen halben Kopf größer als Peter Battleford, sportlicher und trug Stiefel mit Breecheshosen. Von einer Verwechslung konnte schon rein äußerlich keine Rede sein. Der Schütze hatte sehr bewußt und gezielt sowohl auf Peter Battleford als auch auf Jack Rayl geschossen. Aber welche Rolle spielte dann der schwarze Ritter? War er mit dem Armbrustschützen identisch? Warum hatte er versucht, Mike Rander niederzustechen? Anwalt Mike Rander kam in die Wohnhalle zurück und schüttelte in Richtung Agatha Simpson den Kopf. »Ich habe das Pferd gefunden«, sagte er. »Schweißnaß und ziemlich abgetrieben, aber mehr war nicht zu sehen.« »Und was ist mit der Rüstkammer?« fragte sie.
»Die müßte man mir erst mal zeigen. Ich kenne mich hier auf Chiltern Castle nicht aus, Mylady.« »Hinter allem steckt dieser schwarze Ritter«, vermutete die energische Dame und wandte sich an Lord Battleford. »Könnte er versuchen, das Turnier verhindern zu wollen? Wann findet es genau statt?« »Am Wochenende, Mylady; in zwei Tagen.« Lord William sah seinen Sohn prüfend und nachdenklich an. »Ich frage mich, ob ich diesmal auf das Schauspiel verzichten sollte. Wer weiß, was noch alles passiert? Hier muß doch ein Verrückter am Werk sein!« »Oder ein sehr zielstrebiger Mensch, Mylord, der genau weiß, was er will«, warf Josuah Parker ein. »Sie nehmen mir mal wieder das Wort von den Lippen, Mr. Parker.« Lady Agatha nickte. »Selbstverständlich werde ich das Geheimnis klären. Ich hatte eigentlich vor, nach dem Tee zurück nach London zu fahren, aber jetzt halte ich es für meine Pflicht, Ihnen zur Seite zu stehen. Sie können sich darauf verlassen, William, daß ich diesen schwarzen Ritter erwischen werde.« * Butler Parker sah sich in der Rüstkammer etwas genauer um. Es war schon recht beachtlich, was Lord Battleford zusammengetragen hatte. Jedes Museum in England hätte sich um die waffentechnischen Schätze gerissen. Allein die Sammlung mittelalterlicher Rüstungen war ein Vermögen wert. Darüber hinaus gab es Hieb- und Stoßdegen,
schwere Zweihänder, Richtschwerter, dann Armbrüste, Steinschloß- und Radschloßgewehre, Arkebusen und schwere Reiterpistolen. Steward Rayl, der Verwalter des Schlosses und der umliegenden Güter, kannte sich bestens aus. Der fünfzigjährige Vater des leicht angeschossenen Jack Rayl war ein zurückhaltender Mann, der dem Butler gerade die Armbrüste zeigte. »Sie werden sicher mit schnellem Blick feststellen können, ob eine Armbrust fehlt, wie ich hoffe«, sagte Parker. Steward Rayl tat dies und schüttelte dann den Kopf. »Nichts fehlt«, sagte er. »Ob solch eine Waffe benutzt wurde, läßt sich nicht feststellen?« fragte Parker weiter. »Doch, das müßte man eigentlich merken«, erwiderte Rayl und wartete Parkers Aufforderung erst gar nicht ab. Er kontrollierte jede Armbrust an der Wand und wandte sich anschließend an Parker. »Keine Armbrust ist benutzt worden«, erklärte er. »Mit keiner dieser Waffen ist auf den jungen Lord oder auf meinen Sohn geschossen worden.« »Und woran erkennt man das?« fragte Parker. »Ich selbst halte die Waffen in Ordnung, Mr. Parker. Ich müßte Schleifspuren auf den Schäften sehen, aber ich sehe sie nicht.« »Ein Bolzen, aus solch einer Waffe abgeschossen, wäre tödlich?« »Darauf können Sie sich verlassen, Mr. Parker.« Der Verwalter nickte. »Die Bolzen von diesen schweren Armbrüsten hier durchschlagen glatt einen leichten Brustpanzer.«
»Sie haben selbstverständlich keine Ahnung, wer aus welchen Gründen auf den jungen Lord und auf Ihren Sohn geschossen haben könnte?« »Wenn ich das nur wüßte, Mr. Parker!« Steward Rayl atmete schwer. »Ich halte diese Jahresturniere ohnehin für gefährlich.« »Steht nicht fest, daß der junge Lord das Lanzenstechen stets gewinnt?« Butler Parker hatte seine diesbezüglichen Informationen von Anwalt Mike Rander. »Der junge Lord ist eben sehr gut«, meinte der Verwalter ausweichend. »Dennoch, es kann immer zu einem schweren Unglück kommen. Es braucht ja nur mal ein Pferd im entscheidenden Moment zu scheuen. Ich darf gar nicht daran denken.« »Sind die Gegner des jungen Lord bereits namentlich bekannt, Mr. Rayl?« »Wie schon seit Jahren, Mr. Parker. Sie werden bis zum Wochenende hier eintreffen.« »Wird es nur Lanzenstechen geben?« »Für dieses Jahr ist noch ein Schwerterkampf ausgeschrieben worden.« »Wird der junge Lord sich auch in dieser Disziplin versuchen, Mr. Rayl?« »Sein Vater besteht darauf, Mr. Rander.« Der Verwalter seufzte. »Mein Sohn Jack trainiert schon seit Wochen mit ihm.« »Aber auch diese Gegner stehen bereits fest, wie ich vermute?« »Das ist richtig, Mr. Parker.« »Alles Freunde und Bekannte der Familie Battleford?« »Natürlich, Mr. Parker.«
»Ich würde gern einen Blick in die Liste der jeweiligen Gegner des jungen Lord werfen«, sagte Josuah Parker. »Ich gehe davon aus, daß Sie auch diese Dinge vorbereiten.« »Ich überlasse möglichst nichts dem Zufall, Mr. Parker.« »Und doch scheinen der Armbrustschütze und der schwarze Ritter Sie zu irritieren, wenn ich nicht sehr irre, Mr. Rayl. Sie ahnen nicht zufällig, wer diese beiden Männer sein könnten? Oder handelte es sich möglicherweise nur um eine einzige Person?« »Keine Ahnung.« Steward Rayl hob bedauernd die Schultern. »Möchten Sie sich noch etwas umsehen?« »Seien Sie meines bescheidenen Dankes gewiß, Mr. Rayl. Alte Waffen erwecken stets mein Interesse. Ich werde später abschließen und Ihnen den Schlüssel der Rüstkammer überbringen.« »Sie finden mich im Verwalterbüro, Mr. Parker. Darf ich Sie etwas fragen?« »Es ist mir eine Ehre, Ihnen antworten zu dürfen.« »Werden Lady Simpson und Mr. Rander hier auf Chiltern Castle bleiben?« »Mit Sicherheit, Mr. Rayl. Lady Simpson wird selbstverständlich das Geheimnis des schwarzen Ritters lösen.« »Hoffentlich verschätzt sich die Lady da .nicht. Könnten Sie sie nicht überreden -, nach London zurückzureisen?« »Der Versuch allein wäre schon eine unnötige Energieverschwendung, Mr. Rayl«, erwiderte Josuah Parker wahrheitsgemäß.
»Mr. Rander scheint nicht gerade ein Held zu sein, oder irre ich mich da?« »Darf ich fragen, warum Sie Zweifel hegen, Mr. Rayl?« »Ich will mir kein Urteil anmaßen, aber er ist wohl etwas zu schnell vor diesem schwarzen Ritter weggelaufen, oder?« »Mr. Rander geht Auseinandersetzungen muskulärer Art stets aus dem Weg«, antwortete Josuah Parker höflich. »Dies gilt auch für meine bescheidene Person.« Während Josuah Parker diese Feststellung traf, wog er eine schwere Wurflanze in der rechten Hand, die er aus einer Wandhalterung genommen hatte. Verwalter Steward Rayl, wich unwillkürlich zurück, als der Butler sie aus dem Handgelenk quer durch die wirklich nicht kleine Rüstkammer in Richtung Tür schleuderte. Die Spitze der Wurflanze bohrte sich mit Vehemenz in die Bohlen. Die Tür schwang unter der Wucht der Wurflanze ruckartig nach außen. Dann war ein unterdrückter Schrei zu hören, danach ein Klirren, als sei ein Gegenstand aus Metall auf dem Steinfußboden gelandet. »Ich bitte, mein Benehmen entschuldigen zu wollen.« Parker lüftete höflich die schwarze Melone und schritt ohne Hast zur Bohlentür, die fast halb geöffnet war! Mit der Spitze seines UniversalRegenschirms drückte er sie vollends auf und verursachte ungewollt ein scharrendes Geräusch auf dem Boden. Der Butler warf einen kurzen Blick in den langen, ein wenig düsteren Korridor und kümmerte sich dann um den Bolzen, der eindeutig zu einer Armbrust gehörte.
Sie und der Träger dieser Waffe waren leider nicht mehr zu sehen. Doch damit hatte der Butler auch nicht gerechnet. Die von ihm geschleuderte Wurflanze hatte erst mal einen heimtückisch abgefeuerten Schuß verhindert. * »Warum haben Sie nicht noch einen Augenblick warten können?« grollte Lady Simpson. »Sie hätten dieses Subjekt dann wahrscheinlich mit der Lanze erwischt.« »Mylady, das wäre bestimmt nicht mit einem leichten Kratzer abgegangen«, warf Mike Rander zu Parkers Schutz ein. »Mein bescheidenes Wissen um solch eine Konsequenz, Sir, veranlaßte mich, die Lanze vorzeitig zu werfen«, sagte Josuah Parker. »Immer diese unnötigen Rücksichtnahmen!« Lady Agatha ärgerte sich. »Sie hätten den Kerl ja nicht zu durchbohren brauchen. Sie haben also ein Geräusch an der Tür zur Rüstkammer gehört?« »In der Tat, Mylady! Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, daß Gefahr im Verzug war, wenn ich es so ausdrücken darf.« »Warum habe ich nicht mal das Glück, auf solch ein Subjekt zu stoßen«, seufzte die ältere Dame. »Dieser schwarze Ritter scheint mich nicht ernst zu nehmen....« »Mylady, ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen.« Mike Rander warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Wir sollten zurück nach London fahren. Wir könnten in knapp
einer Stunde wieder in Shepherd's Market sein.« »Ausgeschlossen, Mike!« Die resolute Sechzigerin schüttelte störrisch den Kopf. »Dieser Fall ist ganz nach meinem Geschmack. Endlich mal keine normalen Gangster, sondern düstere Geheimnisse. Was meinen Sie, Mr. Parker, wird es hier auf Chiltern Castle Gewölbe geben, Familiengrüfte und sonstige nette Dinge?« »Mit dem Vorhandensein solcher Baulichkeiten ist durchaus zu rechnen, Mylady.« »Mylady, warum verständigen wir nicht die Polizei?« fragte Anwalt Rander gelangweilt. »Soll sie sich mit dem schwarzen Ritter herumschlagen.« »Ich soll wohl das Turnier übermorgen versäumen?« Lady Simpson sah Anwalt Rander empört an. »Haben Sie vergessen, Mike, daß hier ein mittelalterliches Lanzenstechen und ein Schwertkampf ausgetragen werden? Wann bekommt man so etwas schon mal zu sehen? Ich werd Ihnen etwas anvertrauen.« Butler Parkers Gesicht blieb selbstverständlich ausdruckslos, obwohl er bereits ahnte, was Lady Agatha ihnen mitzuteilen gedachte. Mike Rander schien ebenfalls etwas zu ahnen, doch er hüstelte nervös. »Ich werde mich an diesem Turnier beteiligen«, redete die ältere Dame weiter. »Anonym, natürlich Mr. Parker, besorgen Sie mir eine passende Rüstung und ein Pferd!« »Aber Mylady«, protestierte Mike Rander. »Wie leicht kann da was passieren!« »Dann müssen meine Gegner sich eben in acht nehmen«, erwiderte die
ältere Dame unternehmungslustig. »Ich werde sie der Reihe nach aus den Sätteln stechen.« Mike Rander sah Agatha Simpson bereits in einer Rüstung zu Pferde und kam gegen seine aufsteigende Lachlust einfach nicht an. Er wandte sich hastig ab und schützte einen leichten Hustenreiz vor. Butler Parker hingegen hatte sich völlig unter Kontrolle, wenn man von dem leichten Beben seiner Nasenflügel absah. Auch er sah Lady Simpson in einer Ritterrüstung auf dem Turnierplatz. Er war froh, sich abwenden zu können, als angeklopft wurde. Er schritt schneller als gewöhnlich durch das Gästezimmer und öffnete die Tür. Der Verwalter Rayl nickte ihm zu. »Die Angestellten sind unten in der Wohnhalle versammelt«, meldete Rayl. »Ohne Ausnahme, Mr. Rayl?« erkundigte sich Parker. »Ohne Ausnahme, selbst mein Sohn Jack ist gekommen. Nur der Gärtner fehlt.« »Der Gärtner?« Agatha Simpson schnaufte vor Erregung. »Sehr aufschlußreich, finden Sie nicht auch, Mr. Parker? »Wieso aufschlußreich?« erkundigte sich Mike Rander. »Sie sollten mehr Kriminalromane lesen.« Lady Agatha setzte sich unternehmungslustig in Bewegung. »Die Verwalter und Gärtner sind immer verdächtig!« »Aber Mylady!« protestierte Steward Rayl. »Ich bin Verwalter.« »Seit vier Jahren«, antwortete Lady Simpson. »Und wo waren Sie vorher?
Nein, ich will's .gar nicht wissen, ich möchte es selbst herausfinden.« Butler Parker entging nicht das nervöse Zucken im Gesicht des Verwalters, der sich wortlos umwandte und die Tür verließ. Parker fragte sich, ob Lady Simpson hier vielleicht einen Zufallstreffer gelandet hatte. * Mylady schritt die Front ab. Ein Kommandeur hätte seine Truppe nicht eindrucksvoller besichtigen können. Die altere Dame maß die Versammelten, die in einer langen Reihe standen, mit abschätzenden und prüfenden Blicken. Butler Parker und Mike Rander waren neben der großen Freitreppe zurückgeblieben und schauten von hier aus diesem Schauspiel zu. Lord William Battleford hatte sich hinter einem langen Tisch aufgebaut und wußte nicht so recht, was er von der ganzen Sache halten sollte. Mylady überging die Stubenmädchen und das weibliche Personal der Küche. Sie konzentrierte sich ausschließlich auf die Herren der Schöpfung und sorgte allein durch ihre eisigen Blicke dafür, daß den Männern die Ironie dieser Besichtigung nicht bewußt wurde. Der Chefkoch und seine Brigade, die aus vier Unterköchen bestand, duckten sich förmlich. Dann waren da einige männliche Hausangestellte, die unwillkürlich Haltung annahmen, als Agatha Simpson sie passierte. Die Stallknechte, die zuerst an Protest gedacht hatten, sagten jetzt kein Wort, so imponierend wirkte die Lady. Dann waren da noch einige Handwerker aus
dem nahen Wendover, doch auch sie dachten nicht daran, gegen diese Musterung aufzubegehren. Lady Agatha war enttäuscht, wie man ihr deutlich ansah. Sie hatte gehofft, irgendwo eine blutige Nase zu entdecken oder ein paar Schrammen im Gesicht eines der Männer, doch Verletzungen gab es nicht zu sehen. Die schwere Bohlentür, die von der Wurflanze zurückgeschmettert worden war, schien keine sichtbaren Verletzungen hinterlassen zu haben. Zu allem Überfluß erschien dann sogar noch der Gärtner in Begleitung von zwei Mitarbeitern. Der Obergärtner entschuldigte sich. Er war draußen auf dem Turnierplatz gewesen und hatte dort einige Blumenarrangements für die Tribünen hergerichtet. Weder er noch seine beiden Mitarbeiter wiesen Blessuren auf. »Hier treibt sich ein Subjekt herum, das als schwarzer Ritter erscheint«, erklärte Agatha Simpson jetzt mit dunkler Stimme, die fast schon an einen Baß erinnerte. »Dieses Subjekt glaubt, Angst und Schrecken verbreiten zu können. Ich möchte dem Lümmel sagen, daß eine Lady Simpson sich nie ins Bockshorn jagen läßt. Der schwarze Ritter, der hin und wieder auch noch mit einer Armbrust schießt, soll sich vorsehen. Ich kann ziemlich ärgerlich werden, wenn man mich belästigt, ich bin schließlich nur eine schwache Frau, auf die man Rücksicht nehmen sollte.« Agatha Simpson schritt erneut die Front ab und suchte in den Gesichtern nach Schuldbeweisen. Mike Rander hatte sich eine Zigarette angezündet und warf dem Butler einen Blick zu.
»Haben Sie's mitbekommen?« fragte er leise. »Myladys Hinweis auf einen schwarzen Ritter hat in der Tat eindeutig erkennbare Reaktionen ausgelöst, Sir«, antwortete Parker. »Bei dieser Figur scheint es sich wohl um eine mehr oder weniger bekannte Erscheinung zu handeln.« »Hat einer von Ihnen den schwarzen Ritter schon mal gesehen?« schloß Mylady inzwischen ihre Besichtigung. Schweigen auf der ganzen Linie war die einzige Antwort, einige Angestellte senkten die Blicke und wirkten verlegen. Sekunden später waren einige recht spitze Schreie zu hören. Sie stammten von den weiblichen Angestellten, die wie aufgescheuchte Hühner durcheinanderliefen und offensichtlich Angst hatten. Auch die männlichen Angestellten waren beeindruckt, wie Mike Rander sah. Butler Parker hatte die Ursache der, heillosen Verwirrung bereits ausgemacht. Vor dem geöffneten Fenster der großen Wohnhalle stand ein Pferd mit einer tiefschwarzen und fessellangen Schabracke. Im Sattel saß jener schwarze Ritter, den Lady Simpson gerade erwähnt hatte. Das Visier seines schwarzen Helms war geschlossen. Es war eine unheimliche Erscheinung, die selbst im Ruhezustand Angst und Entsetzen auslöste. Allerdings nicht bei Lady Simpson. Sie hatte ihren perlenbestickten Pompadour bereits in Schwingungen versetzt und ließ ihn im geeigneten Moment los. Das Wurfgeschoß mit dem »Glücksbringer« zischte durch
die Wohnhalle, dann durch das Fenster und nahm Kurs auf den schwarzen Ritter, der im letzten Moment gerade noch den schwarzen Schild hochreißen konnte. Der Pompadour klatschte gegen den Schild, hatte aber nur soviel Wucht, daß der schwarze Ritter ein wenig aus dem Gleichgewicht geriet. Dann gab er seinem Pferd die Sporen und war Bruchteile von Sekunden später verschwunden. * »Sie erzählen mir jetzt etwas über die schwarzen Ritter, William«, verlangte Lady Simpson nach einer Viertelstunde, als die allgemeine Aufregung sich gelegt hatte. Die Angestellten von Chiltern Castle waren an ihre Arbeitsplätze zurückgekehrt. Lady Simpson, Mike Rander und Lord William befanden sich in der Bibliothek des Schlosses und konnten sich hier ungestört unterhalten. Butler Parker hatte sich höflich bei Lady Simpson entschuldigt, um sich ein wenig die Füße zu vertreten. Lady Agatha war diesem Wunsch mit großem Wohlwollen nachgekommen. Sie hoffte natürlich, daß Parker brauchbare Spuren entdeckte. »Der schwarze Ritter gehört eigentlich in den Mittelpunkt einer alten Legende«, gab Lord Battleford zurück. »Sie wissen doch, Mylady, daß jedes Schloß hier in England seine eigene Geschichte hat.« »Zu Chiltern Castle gehört also der schwarze Ritter«, fragte Anwalt Rander.
»Ersparen Sie mir Einzelheiten«, bat Lord William. »Der schwarze Ritter tauchte eines Tages während eines Turniers auf und stach alles aus den Sätteln. Woher er kam, wußte kein Mensch, aber in der Legende heißt es, er sei der ermordete Bruder des damaligen Besitzers gewesen. In diesem Zusammenhang muß ich noch sagen, daß der Bruder bereits als Säugling ermordet wurde. Er war so eine Art Nachkömmling aus der zweiten Ehe des damaligen Lord William.« »Wie wurde er umgebracht?« wollte Lady Simpson wissen. »Man fand ihn eines Tages im Wald, zerfetzt von wilden Hunden. Wie er dorthin kam, ist nie ergründet worden. In der Legende heißt es jedoch, sein älterer Bruder aus erster Ehe des damaligen Lord Battleford habe den Säugling im Wald ausgesetzt.« »Eine ziemlich verworrene Geschichte«, meinte Anwalt Rander gelangweilt. »Das ist sie auch, Mr. Rander«, bestätigte der jetzige Lord William. »Neuerdings aufgetaucht ist der schwarze Ritter während des vergangenen Turniers. Er war plötzlich auf dem Turnierplatz, und kein Mensch wußte, wer er war und woher er kam.« »Und was stellte dieser schwarze Ritter an?« »Er fegte alles aus dem Sattel, Mylady«, sagte Lord William. »Wir mußten das Turnier abbrechen.« »Gab es damals Verletzte?« erkundigte Mike Rander sich. »Leider, Mr. Rander, Knochenbrüche, Quetschungen und böse Fleischwunden. Die Polizei schaltete sich so-
gar ein, doch der schwarze Ritter war und blieb verschwunden. Das heißt, genauer gesagt, seit dieser Zeit erscheint er angeblich in sturmgepeitschten Nächten, wie die Leute hier sagen. Sie sagen auch, es sei der Geist dieses Säuglings. Lächerlicher Unsinn! Meiner Ansicht nach erlaubt sich irgend jemand aus der Gegend einen üblen Scherz und will mir meine Jahresturniere kaputt machen.« »Wer könnte daran interessiert sein, Lord William?« fragte Mike Rander beiläufig. »Ich habe keine Ahnung, Mr. Rander. Und ich sage Ihnen auch gleich, daß ich nicht weiß, wer mit dieser Armbrust herumschießt. Ich stehe vor einem Rätsel!« »Dieses Rätsel werde ich in einigen Tagen gelöst haben«, versprach die ältere Dame. »Sie sagten eben, irgend jemand versuche, Ihre Turniere zu sabotieren, Lord William«, schaltete Mike Rander sich wieder ein. »Haben Sie in der Vergangenheit mal einen Bewerber vom Turnier ausgeschlossen?« »Wie.. .Wie kommen Sie denn darauf, Mr. Rander?« Lord Battleford fühlte sich plötzlich nicht wohl in seiner Haut, wie man ihm deutlich ansah. »Haben Sie, oder haben Sie nicht!?« Lady Agatha sah ihren Gastgeber gereizt an. »Das liegt lange 'zurück.« Lord William lächelte verkrampft. »Damals habe ich tatsächlich einen Bewerber ausschließen müssen. Das dürfte jetzt zwei Jahre her sein.« »Und wen schlossen Sie vom Turnier aus? Lassen Sie sich gefälligst
nicht jedes Wort einzeln abringen!« Lady Simpson grollte verärgert. »Wem haben Sie damals auf die Füße getreten, William?« »Gary Radlett, Mylady, aber er wohnt längst nicht mehr hier.« »Lenken Sie nicht ab! Wer ist dieser Gary Radlett?« »Ein aufdringlicher Bursche! Er ist der Sohn einer Malerin, die in einem kleinen Cottage drüben in den Chiltern Hills wohnte. Aber auch Miß Radlett lebt längst wieder in London, glaube ich wenigstens.« »Welchen Beruf übte dieser Gary Radlett aus?« forschte Mike Rander weiter nach. »Keinen.« Lord Battleford schien plötzlich gut informiert zu sein. »Er lag seiner Mutter auf der Tasche, war ein Spieler und Weiberheld, war und ist in meinen Augen ein Gauner, vorsichtig ausgedrückt. Aber wenn Sie glauben, daß er als schwarzer Ritter auftritt, dann muß ich Sie enttäuschen.« »Er wollte sich immerhin am Turnier beteiligen«, erinnerte Mike Rander. »Er hatte danach einen Autounfall, glaube ich. Das muß im vergangenen Jahr passiert sein. Er kann sich nur noch in einem Rollstuhl fortbewegen, wie ich gehört habe. Nein, nein, Gary Radlett scheidet als schwarzer Ritter aus.« »Sie haben ihn also nach diesem Autounfall gesehen, Sir William?« Mike Rander sah den Hausherrn fast desinteressiert an. Er fragte wohl nur aus Höflichkeit, um Lady Agatha einen Gefallen zu tun.
»Nun ja, nicht gerade gesehen, aber ich erfuhr davon. Vergessen wir diese Geschichte, ja?« »Wo denken Sie hin, William? Vergessen? Sagten Sie Rollstuhl?« Lady Agatha war wie elektrisiert. »Rollstuhl«, wiederholte Lord Battleford und nickte. »Irgendwas mit dem Rückgrat.« »Was natürlich nur vorgetäuscht ist.« Die Detektivin wußte es wieder mal ganz genau. »Diese Lähmung ist nur simuliert; In Wirklichkeit braucht Gary Radlett überhaupt keinen Rollstuhl. Er dient ihm nur zur Tarnung.« »Woher wissen Sie das?« fragte Lord Battleford verdutzt. »So etwas liest man doch in jedem Krimi«, klärte Lady Agatha ihn auf. »So etwas kommt in jedem einschlägigen Film vor. Rollstühle, lieber William, sind immer sehr verdächtig!« * Josuah Parker lustwandelte durch die Ställe und warf einen Blick auf die Pferde. Ein erneut schweißnasses Tier war nicht auszumachen. Der schwarze Ritter schien sich an anderer Stelle bedient zu haben. Vielleicht hatte er das besagte Pferd irgendwo versteckt. Die landwirtschaftlichen Gebäude, die zu Chiltern Castle gehörten, standen ein gehöriges Stück abseits vom Schloß und waren durch übermannshohe Taxushecken vom Herrensitz getrennt. . Natürlich dachte der Butler im Zusammenhang an den schwarzen Ritter weder an Spuk noch an einen makabren Scherz. Seiner bescheidenen Ansicht nach wurde hier eine ganz be-
stimmte Atmosphäre erzeugt und so aufgeladen, daß ein späterer Mord fast schon selbstverständlich wirkte. Oder aber- es war die zweite Möglichkeit hier sollten gewisse Leute in eine wilde Panik gesteigert werden, um irgendwelche Leistungen zu erbringen. Wer sollte hier in Angst und Schrecken gejagt werden? Lord William, dessen Sohn Peter, oder handelte es sich vielleicht um Jack Rayl, den Sohn des Verwalters, auf den ja ebenfalls sehr gezielt geschossen worden war? Parker war zusammen mit Lady Simpson und Anwalt Rander nicht gerade zufällig nach Chiltern Castle gefahren. Lord William hatte die ältere Dame gebeten, sich das Jahresturnier anzusehen, und sie nachdrücklich daran erinnert, daß sie ihm noch einen zugesagten Besuch schuldete. War diese Einladung nur ein Vorwand gewesen, damit die Lady Bekanntschaft mit dem schwarzen Ritter schließen konnte? Es war immerhin kein Geheimnis, daß die ältere Dame in ihrer reichlich bemessenen Freizeit sich mit der Aufklärung von Verbrechen befaßte. Die Quote ihrer Erfolge war erstaunlich hoch, wie man "weiterhin wußte. Sollte Lady Simpson jetzt die Gewähr dafür bieten, daß das Lanzenstechen ohne Zwischenfälle veranstaltet werden konnte? Butler Parker hatte eine Art Vorwerk erreicht. Es handelte sich um einen ehemaligen Wachturm, der ein gutes Drittel seiner ursprünglichen Höhe verloren hatte. Angelehnt an diesen massiven Turm stand ein gedrungen
aussehendes Steinhaus, das offensichtlich nicht bewohnt war. Parker wunderte sich überhaupt nicht, als er plötzlich das gedämpfte Wiehern eines Pferdes hörte. Im ersten Augenblick dachte Parker natürlich an den schwarzen Ritter. Lauerte ihm die unheimliche Erscheinung auf? Falls ja, konnte dieser bösartige Ritter sich nur hinter dem Steinhaus aufgebaut haben und wartete noch auf den besten Moment, seine Lanze auf ihn zu richten. Erneutes Wiehern ... Josuah Parker bereitete sich auf einen plötzlichen Angriff vor und leitete einige Verteidigungsmaßnahmen ein. Er war absolut nicht waffenlos, wie es den Anschein hatte. Parker besaß zum Beispiel eine Kollektion völlig normal aussehender Kugelschreiber, die es jedoch in sich hatten. Auch - sein altväterlich gebundener Regenschirm besaß so etwas wie ein Innenleben. Der Schirmstock war hohl und konnte beliebig in eine Art Blasrohr oder Gewehrlauf verwandelt werden. Es hing davon ab, welche Geschosse er zu verwenden gedachte. Butler Parker hatte auf keinen Fall vor, bei einem etwaigen Angriff das Weite zu suchen. Er hoffte sogar, daß der schwarze Ritter sich zeigte. Vielleicht war es so möglich, diese Erscheinung schon innerhalb der nächsten Minuten zu entlarven. Das Pferd wieherte, doch der schwarze Ritter ließ sich nicht blicken. Traute er diesem skurril aussehenden Butler nicht über den Weg? Ahnte er, daß ein Angriff mit einer bösen Niederlage enden würde? Butler Parkers Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf das leicht baufällige
Steinhaus, dessen Dachziegel zum Teil weggerutscht waren. Dieses schadhafte Dach war ein idealer Hochstand für den heimtückischen Schützen, der so freigebig mit seinen Armbrustbolzen umging. Auch mit solch einer bösen Überraschung rechnete Josuah Parker. Was konnte er gegen solch einen Bolzen tun? Genügte es, sich auf seine guten Reflexe zu verlassen? War ein Armbrustbolzen nicht erheblich schneller? Butler Parker verließ sich nicht auf seine Reflexe, sondern entschied sich für einen seiner vielen Kugelschreiber. Er hatte ihn unauffällig aus einer der Westentaschen gezogen und ließ ihn scheinbar ungeschickt zu Boden fallen, nachdem er den Halteclip nachdrücklich in die passende Vertiefung der Verschlußkappe gedrückt hatte. Das Resultat war frappierend. Der Kugelschreiber landete auf dem Boden und ... produzierte in Sekunden eine Nebelwolke, die den Butler völlig verschwinden ließ. Parker genierte sich nicht, gleichzeitig in die Knie zu gehen, um so einem etwaigen Bolzen zu entgehen. Er hörte knapp über und neben sich ein zischendes Geräusch, dann einen dumpfen Einschlag. Mit der Nebelwolke, die vom leichten Wind abgetrieben wurde, bewegte sich Parker zum Steinhaus und wartete darauf, Hufgetrappel zu vernehmen. Er konnte nur hoffen, daß der Schütze mit dem schwarzen Ritter identisch war, der jetzt versuchte, zu Pferd einen Angriff zu wagen. Sekunden später wußte Parker, daß er sich in diesem Punkt gründlich geirrt hatte. Er hatte das Steinhaus
erreicht, dessen Umrisse im sich auflösenden Nebel deutlich zu erkennen waren. Der schwarze Ritter griff zwar an, doch nicht zu Pferd. Er stand mit erhobenem Schwert auf der Türschwelle und marschierte mit knirschenden Beinschienen auf den Butler los. Der Gepanzerte hatte eindeutig die Absicht, Parker in zwei Stücke zu teilen, ein Vorhaben, das der Butler nicht sonderlich schätzte. * »Ein sehr interessanter Fall, nicht wahr?« fand Lady Agatha und nickte Anwalt Rander wohlwollend zu. »Wie gut, daß ich Lord Williams Einladung angenommen habe, finden Sie nicht auch?« »Ich bin nach wie vor dafür, die Polizei zu verständigen«, erwiderte Mike Rander desinteressiert. Er befand sich im Zimmer, das man Lady Agatha zur Verfügung gestellt hatte. Es war ein sehr großes Zimmer mit einem Balkon, ausgestattet mit kostbarem Mobiliar. Rander trat auf den Balkon und sah über die Brüstung nach unten. Man befand sich im ersten Stock des Schlosses. Es war eine Kleinigkeit, an den dicken Mauerquadern hochzusteigen. »Wozu brauchen wir die Polizei, mein Junge?« fragte Lady Simpson verächtlich. »Haben wir nicht schon eine Reihe verdächtiger Personen ausgemacht? Denken Sie an den Verwalter, an den Gärtner, der verschwunden ist, denken wir an diesen Gary Radlett, der angeblich an einen Rollstuhl gefesselt ist! Klassische Täter, wenn Sie mich fragen, Mike! Wir brauchen uns nur
für den richtigen Mann zu entscheiden.« »Sie haben bereits einen bestimmten Verdacht, Mylady?« Mike Rander kehrte in das Gästezimmer zurück. »Ich habe eine Theorie, Mike«, sagte sie. »Hier handelt es sich um eine Familientragödie, daran zweifle ich keinen Moment, hier handelt es sich um einen Racheakt.« »Interessanter Aspekt, Mylady.« Mike Rander lächelte unverhohlen. »Sie sollten etwas mehr Phantasie und Einfühlungsvermögen besitzen, mein Junge.« Sie hatte es sich seit Randers Ankunft in London angewöhnt, ihn wie ihren Sohn zu behandeln und anzureden. »Nehmen wir diesen Gary Radlett. Seine Mutter war oder ist Malerin und hat hier in der Nähe in einem Cottage gewohnt, das Lord William gehört. Für mich ist das bereits eine komplette Geschichte.« »Ich bin Anwalt, Mylady, kein Schriftsteller.« »Diese Malerin war selbstverständlich mit Lord William liiert«, erklärte die Detektivin mit der allergrößten Selbstverständlichkeit. »So etwas spüre ich einfach. Er hat sie eines Tages verlassen, denn sie lebt jetzt in London. Der Sohn dieser Malerin rächt nun seine Mutter und tritt als schwarzer Ritter auf.« »Rächen, Mylady?« Mike Rander sah Agatha Simpson leicht verdutzt an. »Und welches Motiv hat er?« »Lord William hat Gary Radletts Mutter dem Elend preisgegeben oder guter Gott, Mike, kleben Sie nicht so an Kleinigkeiten! Fest steht, daß der angebliche Rollstuhlfahrer in
Wirklichkeit quicklebendig ist und sich nun rächen will.« »Demnach halten Sie den Verwalter und verschwundenen Gärtner nicht mehr für schuldig?« »Das habe ich nicht gesagt, Mike. Bleiben wir erst mal bei diesem verschwundenen Gärtner. Er steckt mit dem schwarzen Ritter unter einer Decke und kennt dessen Geheimnis.« »Wie der Verwalter, Mylady, dessen Sohn angeschossen wurde?« Mike Rander lächelte erwartungsvoll. Er war auf die Fortsetzung dieser Geschichte gespannt. »Sehr richtig, Mike. Auch der Verwalter weiß Bescheid, oder besser gesagt, dessen Sohn Jack. Er erpreßt den angeblichen schwarzen Ritter und hat dafür eine erste Quittung erhalten. Wollen Sie etwa bestreiten, daß sich hier Steinchen für Steinchen zu einem überzeugendem Mosaik zusammenfügt?« »Vor Gericht wäre dies keine Beweisführung, Mylady, entschuldigen Sie meine Offenheit!« Rander schüttelte den Kopf. »Ich glaube einfach nicht an eine Familientragödie mit einer parallelen Erpressung.« »Aha, Sie haben also ebenfalls eine Theorie, wie?« »Wenn überhaupt, Mylady, dann glaube ich an ein handfestes Ganovenstück. Mehr kann ich dazu nicht sagen.« Während Mike Rander redete, stand er in der Balkontür und sah auf den weiten Park. Plötzlich stutzte er und trat mit schnellen Schritten an die Brüstung. Er sah ein Pferd, das eine fessellange, tiefschwarze Schabracke trug und reiterlos über den gepflegten
Rasen galoppierte. Es war ein unheimliches Bild, das eigentlich in einen Alptraum gehörte. * Das Visier des schwarz gepanzerten Ritters war geschlossen. Nur ein schmaler Sehschlitz gewährte dem Angreifer die nötige Sicht, eine Tatsache, die Parker sofort zur Kenntnis nahm. »Ich erlaube mir, einen besonders guten Tag zu wünschen«, sagte Josuah Parker in seiner unvergleichlich höflichen Art und lüftete grüßend die schwarze Melone. »Muß und sollte ich davon ausgehen, daß Ihre Absichten nicht gerade friedlicher Natur sind?« Der schwarze Ritter war ehrlich überrascht, wie man deutlich merkte. Mit solch einer Ansprache hatte er sicher nicht gerechnet. Das erhobene Schwert blieb vorerst in der Luft. »Ich möchte keineswegs aufdringlich erscheinen«, redete Parker weiter, »darf ich davon ausgehen, daß Sie hin und wieder auch mit einer Armbrust schießen?« Der schwarze Ritter hatte sich inzwischen auf die neue Situation eingestellt und ... schlug kommentarlos zu. Josuah Parker wich geschickt, aber ohne jede Hast zur Seite. Das Schwert zischte an ihm vorbei und landete funkensprühend auf den Steinplatten vor der Tür. »Könnte man sich möglicherweise sachlich miteinander unterhalten?« fragte Parker weiter, als sei nichts geschehen. Der schwarze Ritter hielt davon überhaupt nichts. Er wußte mit dem
Schwert gut umzugehen und versuchte einen zweiten Schlag anzubringen. Parker wich verständlicherweise erneut aus. Diesmal zischte das Schwert noch dichter an seinem Körper vorbei. »Ich frage mich ernstlich, warum ich mir Ihren Unwillen zugezogen habe«, stellte der Butler fest. »Sie werden sicher verstehen, daß ich mich gezwungen sehe, etwas für meine bescheidene Person zu tun.« Während Parker noch redete, hielt er einen Patentkugelschreiber in der rechten, schwarz behandschuhten Hand und richtete die Spitze dieses seltsamen Schreibgeräts auf den schmalen Sehschlitz des schwarzen Ritters. Der Mann aus dem Mittelalter wurde voll erwischt. Aus der Spitze des Kugelschreibers sprühte eine wasserhelle Flüssigkeit, die es jedoch, was ihre chemische Zusammensetzung betraf, in sich hatte. Der feine Spray drang mühelos durch den Sehschlitz in den Helm und verursachte darin einige Verwirrung. Zuerst hustete der schwarze Ritter, dann bellte er förmlich. Er schien unter plötzlicher Luftnot zu leiden und warf erst mal das bösartige Schwert aus der Hand. Dann griffen seine gepanzerten Hände nach dem Visier, um es möglichst schnell zu öffnen. Parker konnte das durchaus verstehen. Der Spray aus dem Kugelschreiber reizte die Schleimhäute der. Augen und Nase. Der Husten schüttelte den schwarzen Ritter inzwischen derart, daß die gesamte Panzerung in allen Scharnieren rasselte.
Parker hatte den Bambusgriff seines Universal-Regenschirms vorgeschoben und drückte mit diesem Griff das Visier beharrlich in die geschlossene Stellung. Der schwarze Ritter, der inzwischen nichts mehr sah, riß und zerrte am Visier, ohne es jedoch hochschieben zu können. Parker war noch immer gegen eine vorzeitige Öffnung. Die Augen des schwarzen Ritters sollten sich erst mal ausgiebig mit Tränen füllen. Der Gepanzerte taumelte zurück, stolperte über die an sich gar nicht so hohe Türschwelle, verlor das Gleichgewicht und landete dann rücklings auf dem Steinfußboden des Hauses. Zappelnd wie eine auf dem Rücken gedrehte Schildkröte blieb das Relikt einer streitbaren Vergangenheit auf dem Boden hegen und hustete noch ein wenig intensiver. »Sie dürfen versichert sein, daß ich diese Entwicklung ungemein bedaure«, sagte Josuah Parker. »Ich hatte Ihnen, wenn Sie sich erinnern, Verhandlungen angeboten.« Der schwarze Ritter gab Quietschtöne von sich, die Parker nicht recht zu deuten vermochte. Bevor er sich jedoch näher mit dem jetzt Hilflosen befaßte, vergewisserte er sich, daß er nicht von einem zweiten Ritter belästigt wurde. Dies war nicht der Fall, man war und blieb unter sich. »Komm', mein Schwert, schneide das Eisen«, zitierte Josuah Parker, der sich in der Opernliteratur auskannte. Er spielte damit auf einen gewissen Siegfried an, der in einer Wagneroper sich in einer ähnlichen Situation befand. Butler Parker verzichtete allerdings darauf, die schwarze
Brünne des Ritters zu durchtrennen, er begnügte sich erst mal damit, das Visier hochzuschieben und zitierte erneut. »Das ist kein Mann«, stellte er mit einem einzigen Blick fest und sah auf das tränenüberströmte Gesicht einer Frau, deren prächtige Locken allerdings nicht blond waren, sondern ebenfalls schwarz. * »Der Tränenfluß wird sich gleich mit Sicherheit geben«, verhieß er der jungen Frau, die seiner Schätzung nach etwa fünfundzwanzig Jahre zählte. »Ich ... Ich könnte Sie umbringen.« Seine Gegnerin war wütend. »Ein fast schon verständlicher Wunsch, Madam«, gab Parker zurück und richtete die gar nicht strahlende Maid ein wenig hoch. »Wodurch habe ich mir Ihren Unwillen zugezogen, wenn man fragen darf.« »Sie.. .Sie haben alles verpatzt«, fauchte sie und wollte sich die Tränen von den Wangen wischen, was wegen der gepanzerten Hände allerdings schier unmöglich war. »Sprechen Sie jetzt davon, meine bescheidene Person mit dem Schwert ausschalten zu wollen?« »Ach was!« Die Frau hatte sich inzwischen ein wenig gefaßt. »Ich wollte Sie ja gar nicht treffen.« »Demnach waren die beiden Schwertstreiche nur als eine Art intimer Begrüßung gedacht, Madam?« »Zum Henker mit Ihnen!« Sie saß jetzt aufrecht auf dem Steinboden Und zerrte die Eisenhandschuhe von den Fingern. »Ich wollte Sie doch nur erschrecken. «
»Sie waren beeindruckend«, räumte Josuah Parker ein. »Mr. Rander wird meine Ansicht teilen, wie ich vermute.« »Mr. Rander? Wer ist das?« Sie hatte endlich ihre Hände frei und beschäftigte sich mit dem Brustpanzer. Sie schien sich mit ihrer Situation abgefunden zu haben, doch der Butler blieb auf der Hut. Er schätzte unliebsame Überraschungen überhaupt nicht. »Mr. Rander ist jener Mann, auf den Sie ein Lanzenstechen veranstalteten, Madam«, gab Parker zurück. »Auf dem Turnierplatz, wenn ich erinnern darf.« »Ich war nicht auf dem Turnierplatz«, erwiderte sie wütend. »Sollte es demnach einen zweiten schwarzen Ritter geben?« »Das weiß ich nicht. Helfen Sie mir doch endlich hoch!« »Sollte man nicht vielleicht erst den Helm ein wenig anliften?« »Ja, nun machen Sie doch endlich!« Die Frau war wütend und ungeduldig. Butler Parker kam ihrem Wunsch nach und beschäftigte sich mit dem schweren Eisenhelm. Es dauerte eine Weile, bis er ihn endlich auf dem Steinboden abstellen konnte. Sie hatte langes, schwarzes Haar und ein etwas herbes Gesicht. Sie war im landläufigen Sinn nicht gerade eine Pin-up-Schönheit, aber sie strahlte Persönlichkeit aus. »Ihr Erscheinen vor dem Fenster der Wohnhalle war Ihr erster Auftritt als schwarzer Ritter?« erkundigte sich Parker. »Natürlich.« Sie sah ihn wütend an. »Was haben Sie mir da eigentlich in die Augen gesprüht? Das war unfair!«
»Ein vielleicht verständlicher Fehler«, meinte Parker, der nicht recht wußte, ob die junge Frau naiv war oder nur einfach raffiniert. »Darf man fragen, Madam, woher die Rüstung stammt?« »Aus dem Museum natürlich. Ich habe sie mir heimlich ausgeborgt.« »Aus einem Museum?« Parker blieb vorsichtig. »Aus dem Museum in Wendover«, sagte sie. »Und das Pferd stammt aus unserem Stall, damit Sie's gleich wissen.« »Das bringt meine bescheidene Wenigkeit darauf, Sie nach Ihrem Namen zu fragen, Madam.« »Sagen Sie mal, wer sind Sie eigentlich? Sie reden so eigenartig.« »Mein Name ist Parker, Josuah Parker«, antwortete er. »Ich habe die Ehre und das Vergnügen, der Butler Lady Simpsons sein zu dürfen.« »Ach so, Sie sind ein Butler.« Die Frau lächelte ein wenig verkrampft. »So sehen Sie auch aus.« »Ein Butler, der höflichst um Ihren Namen bittet«, erwiderte Parker. »Ich bin Maud Symond«, sagte sie. »Mein Vater hat ein Gestüt drüben bei Tring. Sie brauchen die nächste Frage erst gar nicht zu stellen. Ja, ich wollte diesen Peter Battleford an der Nase herumführen. Und wissen Sie auch, warum?« »Sie werden meiner bescheidenen Wenigkeit mit Sicherheit eine plausible Erklärung liefern, vermute ich.« Parkers Gesicht blieb unbeweglich. »Dieses arrogante Miststück hat mich bloßgestellt und durch den Dreck gezogen«, brauste sie wütend auf. »Und dafür wird er auch in Zukunft
noch einiges erleben, darauf kann er sich fest verlassen!« »Sie sind sicher, daß ihm ein schwarzer Ritter nicht behagen wird, Miß Symond?« »Darauf können Sie sich verlassen.« Sie hatte inzwischen den Brustpanzer gelöst und legte ihn neben sich auf den Boden. »Vor einem Jahr erschien auf diesem albernen Turnier ein schwarzer Ritter und hat eine ganz hübsche Aufregung verursacht. Peter Battleford konnte damals von Glück sagen, daß er gegen ihn nicht anzutreten brauchte, sonst hätte es ihn erwischt.« »Und wer war nun jener schwarze Ritter?« »Das weiß ich nicht, wahrscheinlich aber auch irgend jemand, der eine Stinkwut auf Battleford junior hat. Davon gibt es hier in der Gegend genug Leute.« »Peter Battleford scheint demnach nicht das zu sein, was man gemeinhin beliebt nennt?« »Er ist ein arroganter Schwätzer, der sich eine Menge auf nichts einbildet, ein Muttersöhnchen und verwöhnter Laffe.« »Er hat demnach auch potentielle Feinde, die ihm durchaus ein mehr oder weniger großes Leid wünschen?« »Das haben Sie aber fein umschrieben.« Sie lächelte zum ersten Mal. »Leid? Sie wünschen ihm die Pest an den Hals! Denken Sie doch nur mal an dieses Lanzenstechen? Er kauft sich doch sämtliche Gegner - entweder mit Geld oder mit Drohungen.« »Drohungen? Das wäre ein recht interessantes Stichwort.« »Ich habe schon zuviel gesagt«, meinte sie. »Kann ich jetzt gehen,
oder wollen Sie die Sache hier an die große Glocke hängen? Falls ja, werden Sie noch einige Überraschungen erleben. Ich habe hier eine Menge Freunde.« »Ich darf mir erlauben, Ihnen einen guten Heimweg zu wünschen, Madam.« Parker deutete zur Tür hinüber. »Auf Ihr Pferd werden Sie allerdings verzichten müssen. Falls mich nicht alles täuscht, hat es sich schon vor knapp zehn Minuten selbständig gemacht.« »Verdammt, das hat mir gerade noch gefehlt«, ärgerte sie sich. »Na ja, da kann man nichts machen. Ich werde die Rüstung hier lassen und später abholen. Und noch mal, Mr. Parker, ich wollte Ihnen nur Angst machen, treffen mit dem Schwert wollte ich nicht.« »Selbstverständlich nicht, Miß Symond«, antwortete Parker höflich und gemessen. »Dazu können Sie mit solch einem Gerät nun doch zu gut umgehen, wie ich beobachten konnte.« Er lüftete seine schwarze Melone und verließ das halb verfallene Steinhaus. Er war jedoch so vorsichtig, die Melone in der Hand zu halten. In einem kleinen Spiegel, der in der Wölbung seiner Melone angebracht war, beobachtete er Maud Symond, die hastig nach ihrem Schwert griff und ihm katzenhaft, geschmeidig und schnell folgte. * Sie kam nicht weit. Während der Butler sich noch umwandte, stolperte die wehrhafte Miß Symond über einen Fuß, der sich ihren Beinen störend in den Weg stellte. Sie
verlor das Gleichgewicht und landete auf den Steinplatten vor der Haustür. Dabei verlor sie das gezückte Schwert, das über die Platten glitt und dann im Kies steckenblieb. »Das tut mir leid, Madam«, sagte Anwalt Mike Rander, der erschienen war. Er beugte sich zu der schwarzhaarigen Frau hinunter und half ihr hoch. »Haben Sie sich verletzt?« »Was ich ebenfalls tief bedauern würde«, warf Josuah Parker ein.« Wollten Sie mir noch etwas sagen, Miß Symond?« Sie wußte nicht recht, was sie mit Mike Rander anfangen sollte, der sich eine Zigarette anzündete und sie interessiert musterte. Mike Rander sah tatsächlich aus wie ein Snob. »Verdammt, das haben Sie absichtlich getan«, fuhr Maud Symond den Anwalt an. »Ja und nein«, gab er zurück. »Ich sah ein Schwert, das auf den Rücken Mr. Parkers gerichtet war, aber ich konnte ja nicht ahnen, daß es von einer Dame geschwungen wurde.« »Wer sind Sie eigentlich? Was mischen Sie sich in Dinge, die Sie überhaupt nichts angehen?« »Eine berechtigte Frage!« Mike Rander lächelte mokant. »Mr. Rander, Anwalt aus London«, stellte der Butler vor. »Miß Maud Symonds, Tochter eines hiesigen Gestütsbesitzers.« »Dann gehört Ihnen dieses kostümierte Pferd?« Mike Rander deutete zur Hausecke hinüber. Dort stand das Pferd mit der fessellangen Schabracke und scharrte mit den Vorderhufen. »Ich griff es irgendwo dort drüben im Park auf.«
»Ein erfreulicher Umstand, wenn ich so sagen darf«, warf Parker ein. »Sie werden nicht zu Fuß zurück nach Tring gehen müssen, Miß Symond.« Sie sah Parker und Rander vernichtend an, ging zum Pferd hinüber und schwang sich in den Sattel. »Ihre Rüstung, Miß Symond«, erinnerte Parker. »Darf ich mir erlauben, Sie Ihnen zu reichen?« Die junge Dame schien ein wenig jähzornig' zu sein. Sie gab ihrem Pferd die Sporen und jagte davon. Sie war nach wenigen Augenblicken hinter dem alten Turm verschwunden. »Hier scheint es ja recht turbulent zugegangen zu sein«, vermutete der Anwalt lächelnd. »In der Tat, Sir! Miß Symond hegte die Absicht, mich mit einem Schwert anzugreifen und wohl auch zu treffen, obwohl sie das Gegenteil behauptete.« »Ist Symond ihr tatsächlicher Name?« »Die Antworten auf meine diesbezüglichen Fragen kamen schnell und ohne jedes Stocken, was allerdings keinen Beweis darstellt. Sicherheitshalber habe ich der Dame einen Mini-Sender an der Oberarmschiene angebracht.« »Worauf warten wir dann noch, Mr. Parker? Holen Sie Ihren Wagen, bleiben wir der jungen Dame auf der Spur.« »Sollte man Lady Simpson verständigen, Sir?« »Besser nicht, Mr. Parker. Sie ist ohnehin mit einigen Theorien beschäftigt. Holen Sie den Wagen so unauffällig wie möglich.« »Sie interessieren sich für diesen Fall, Sir?« Parkers Frage ließ eine schüchterne Hoffnung erkennen. Ihm
war schließlich bekannt, daß Mike Rander es nach seiner Rückkehr strikt abgelehnt hatte, sich je wieder mit einem Kriminalfall zu beschäftigen. »Nur beiläufig und ausnahmsweise«, meinte Rander lächelnd. »Machen Sie sich nur keine übertriebenen Hoffnungen, Mr. Parker! Ich werde hier auf Sie warten.« Josuah Parker schritt zurück in Richtung Chiltern Castle, um sein hochbeiniges Monstrum zu holen, das in einer Remise hinter dem Schloß stand. Mike Rander rauchte eine Zigarette und bückte sich nach dem Schwert, das noch auf dem Kies lag. Als er sich aufrichtete, hörte er hinter sich ein Geräusch, wandte sich und ... sah sich einem schwarzen Ritter gegenüber, der es ausgesprochen eilig hatte, mit seinem Schwert auf den Anwalt einzuschlagen. * »Wenn ich Ihnen schon helfen soll, William, dann brauche ich Informationen«, sagte Agatha Simpson. Sie hatte ihr Gästezimmer verlassen und den Schloßherrn aufgesucht, der sich in der Bibliothek aufhielt. Lord Battleford stand vor einer großen Wandtafel, auf der die Tribüne und die zentrale Ehrenloge aufgezeichnet waren. Er war damit beschäftigt, kleine Namensschilder herumzuschieben. »Mylady?« sagte er überrascht. »Informationen? Sie wissen soviel, wie ich weiß, nicht mehr und nicht weniger. Ich habe keine Ahnung, wer hier mit Armbrustbolzen schießt und wer den schwarzen Ritter spielt. Wissen Sie, daß ich bereits mit dem
Gedanken spiele, das Jahresturnier abzublasen?« »Hatten Sie mit Gary Radletts Mutter, dieser Malerin, ein Verhältnis, William?« Agatha Simpson war bekannt dafür, daß sie die Dinge stets ungeniert beim Namen nannte. »Ein.. Ein Verhältnis?« stotterte Lord Battleford. »Also gut, Sie hatten eine Liaison mit ihr.« Die Lady nickte. »Ihre Gegenfrage hat Sie bereits verraten. Warum trennten Sie sich von Mrs. Radlett?« »Mylady, ich muß doch sehr .. .Äh ... Also, wirklich ...« »Papperlapapp, William, zieren Sie sich nicht! Sie war also Ihre Geliebte! Warum kam es zur Trennung vor zwei Jahren? Ich werde es Ihnen sagen! Sie weigerten sich, Mrs. Radletts Sohn Gary am Jahresturnier teilnehmen zu lassen. War es nicht so?« »Mylady, was hat das alles mit dem schwarzen Ritter zu tun?« protestierte Lord Battleford nervös. »Dazu später mehr, William. Sie ließen diesen Gary nicht teilnehmen, weil er Ihrer Ansicht nach nicht die gesellschaftliche Qualifikation besaß.« »Er besaß sie absolut nicht, Mylady.« »Horrender Blödsinn«, urteilte Lady Simpson abfällig. »In welchem Jahrhundert leben Sie eigentlich, William? Schön, das ist Ihre ,Sache, jeder blamiert sich so gut wie er kann. Zurück zu diesem Gary Radlett. Nein, jetzt rede ich! Und Sie werden mir zuhören und nur dann nicken, wenn ich Sie dazu auffordere.« Lord Battleford wußte, wie temperamentvoll die ältere Dame war. Er hatte sie allerdings noch nie in voller Aktion
erlebt. Er wich zurück und nahm hinter dem langen und schweren Eichentisch sicherheitshalber voll Deckung. »Sie ließen Gary Radlett also nicht auftreten, worauf es zum Streit zwischen Mrs. Radlett und Ihnen kam. Daraufhin trennte Mrs. Radlett sich von Ihnen und reiste für immer zurück nach London. So, jetzt können Sie von mir aus nicken!« Lord Battleford nickte unwillkürlich. »Gehen wir weiter«, raunzte Lady Simpson ihren Gastgeber an. »Vor einem Jahr erlitt Gary Radlett einen schweren Unfall und muß seit dieser Zeit angeblich einen Rollstuhl benutzen. Nein, jetzt brauchen Sie natürlich nicht zu nicken, William, das ist bereits eine gesicherte Tatsache. Sie haben ihn im Rollstuhl gesehen?« »Irgendwas mit dem Rückgrat«, murmelte Lord Battleford und senkte den Blick. »Glauben Sie mir, Mylady, ich habe Mrs. Radlett sofort finanzielle Hilfe angeboten.« »Die abgelehnt wurde.« »Ich bin förmlich hinausgeworfen worden«, beklagte Lord William sich. »Ich hätte Sie wahrscheinlich die Treppe hinuntergeworfen«, sagte die ältere Dame, »aber bleiben wir bei den Tatsachen, William. Vor einem Jahr war also dieser Unfall, Vor einem Jahr aber auch das Erscheinen des schwarzen Ritters hier auf dem Jahresturnier, oder?« »Ich . .Ich sehe da keinen Zusammenhang, Mylady.« »Kunststück, Sie sind phantasielos, William! Der schwarze Ritter war selbstverständlich jener Gary Radlett, der sich angeblich nur noch in einem Rollstuhl fortbewegen kann.«
»Aus .. .Ausgeschlossen! Der schwarze Ritter vor einem Jahr stach alles aus dem Sattel, was sich ihm zum Kampf stellte.« »Warum auch nicht? Gary Radlett braucht keinen Rollstuhl, haben Sie das denn immer noch nicht begriffen? Er hat sich auf seine Weise für die damalige Beleidigung gerächt. Und wahrscheinlich war er sogar ganz versessen darauf, sich Ihren Jungen vorzunehmen, William. Ich wette, die beiden haben sich nie besonders verstanden, wie?« »Nun ja, Peter ist in einer gewissen Tradition aufgewachsen und - .« »Er hat Ihre Liaison mit Mrs. Radlett nie gebilligt, oder?« »Nicht so direkt, Mylady, aber....« »Und es gab da ein paar Auseinandersetzungen zwischen Ihrem Sohn und Gary Radlett, nicht wahr? Nun antworten Sie endlich, William, ich habe meine Zeit nicht gestohlen.« »Ein paar harmlose Auseinandersetzungen, das stimmt schon.« »Die wie endeten, William?« Sie sah ihn streng an. »Sagen Sie die Wahrheit -oder ich verschaffe sie mir an anderer Stehe!« »Gary war Peter überlegen. Und da kam Peter auf den Gedanken, Jack Rayl einzuschalten. Was damals genau vorgegangen ist, weiß ich nicht.« »Ich ahnte es.« Die Detektivin nickte sehr zufrieden. »Kommen wir auf diesen Gärtner zu sprechen, William. Wie heißt er und seit wann arbeitet er für Sie?« . »Er heißt Steve Durham, Mylady, und arbeitet auch seit etwa vier Jahren für mich.« »Wie alt ist dieser Steve Durham, William?«
»Etwa dreißig, glaube ich. Er hat früher für den Earl of Duncan gearbeitet, ein ausgezeichneter Mann.« »Lenken Sie gefälligst nicht ab, William! Auch er hatte sich seinerzeit mit diesem Gary Radlett angelegt, nicht wahr?« »Ich habe gerüchtweise davon gehört, Mylady -.« »Nämlich was?« bohrte die ältere Dame ungeniert nach. »Ihr Sohn Peter hat auch den Gärtner auf Gary Radlett gehetzt, nicht wahr?« »Gehetzt, Mylady, was für ein Ausdruck! Er bat ihn wahrscheinlich um Hilfe. Sie haben ja keine Ahnung, wie stark und sportlich Gary Radlett war.« »Kommen wir auf seinen Unfall zu sprechen, William.« Sie sah ihn prüfend an und bemerkte, daß dieses Thema ihm noch unangenehmer war. »Wann und wo passierte er?« »Jetzt muß ich aber wirklich protestieren, Mylady«, brauste Lord William, auf. »Genieren Sie sich nicht, William, protestieren Sie, aber beantworten Sie dann meine Frage! Noch mal: Ich kann mir diese Information auch an anderer Stelle verschaffen, aber es ist möglich, daß sie dann eine wesentlich andere Färbung bekommt.« »Der Unfall passierte vor etwa einem Jahr, sagte ich doch schon.« Lord William wand sich sichtlich. Das ganze Thema war ihm äußerst unangenehm, wie man von» seinem Gesicht ablesen konnte. »Wo passierte dieser Unfall?« hakte die ältere Dame unerbittlich nach. »Hier in der Nähe, Mylady. Ich glaube, bei Tring ist es gewesen, auf der Landstraße nach Luton.«
»Lassen Sie mich raten, William!« Agatha Simpson sah den Lord jetzt fast freundlich an. »Die genauen Umstände dieses Unfalls konnten nicht festgestellt werden, oder? Und Gary Radlett konnte keine Angaben machen, wie? Er kam wahrscheinlich von der Straße ab, wie ich vermute?« »So ist es damals gewesen, Mylady. Sie haben schon Erkundigungen eingezogen?« »Weder Ihr Sohn noch Jack Rayl oder der Gärtner Steve Durham hatten mit diesem Unfall etwas zu tun.« »Wie sollten sie, Mylady!« Lord William sah die Detektivin treuherzig an. »Kein Mensch hier wußte doch, daß Gary Radlett noch mal nach Wendover zurückkommen würde.« »Der Verursacher des Unfalls konnte nie ermittelt werden, oder irre ich mich?« »Ich glaube, daß die Polizei die Akten geschlossen hat.« »Ich werde sie wieder öffnen«, versprach die Lady grimmig. »Wahrscheinlich ahnen Sie wie ich, William, wer diesen Unfall verursacht hat. Und der schwarze Ritter weiß es ebenso. Er ist nun dabei, seine Rechnungen zu präsentieren. Ein hübscher Fall, wirklich. Ich bin Ihnen direkt dankbar, daß Sie mich eingeladen haben, William. Vielleicht werde ich aus diesem Stoff einen Krimi Bestseller machen!« * Butler Parkers Wagen wurde nicht ohne Grund als hochbeiniges Monstrum bezeichnet. Es handelte sich um ein ehemaliges Londoner Taxi älterer Bauart, dessen technisches Innenleben
allerdings nach den ausgefallenen Vorstellungen des Butlers umgestaltet worden war, Dieser Wagen mit dem eckigen Aufbau und dem museumsreifen Aussehen war zu einer raffinierten Trickkiste auf Rädern geworden. Zu der rasanten Geschwindigkeit kam noch die Geländegängigkeit eines allradangetriebenen Spezialwagens hinzu. Dies alles sah man dem Wagen selbstverständlich nicht an, ganz zu schweigen von zusätzlichen technischen Einrichtungen, um Mitgliedern der Unterwelt das Leben schwer zu machen. Mit diesem Fahrzeug erschien Parker vor dem Steinhaus und sah sich nach Mike Rander um, den er hier zurückgelassen hatte. Zu seiner Überraschung aber konnte er den Anwalt nicht ausmachen. Der Butler sah sich also gezwungen, seine Stimme zu erheben und nach dem Vermißten zu rufen. Er tat ahnungslos, obwohl ihm jetzt einige Kleinigkeiten auffielen. Der Kies vor den Steinplatten an der Tür war nachhaltig zerwühlt worden. Hier schien sich ein hartnäckiger Kampf abgespielt zu haben. Parker hatte Mike Randers Namen zweimal gerufen, als er im Haus ein Geräusch hörte. »Sind Sie es möglicherweise, Sir?« fragte er und ging zur Tür. Er hatte sie noch nicht ganz erreicht, als er sich plötzlich einem gepanzertem Ritter gegenübersah, der schwungvoll mit einem langen Schwert hantierte. Um Maud Symond konnte es sich nach Parkers Ansicht nicht handeln, sie war wesentlich kleiner. Hier schien ein neuer Ritter die Bühne-betreten zu
haben, einer, der gut mit seinem Instrument umzugehen wußte, wie sich bald zeigen sollte. »Haben Sie zufälligerweise Mr. Rander gesehen?« erkundigte sich Parker in der ihm eigenen und überaus höflichen Art. Er schien das- Aussehen des Kämpfers gar nicht zur Kenntnis genommen zu haben. Der schwarze Ritter gab keine Auskunft. Er schwang sein Schwert und marschierte zielstrebig auf den Butler zu. Das Visier auch dieses Ritterhelms war geschlossen. Es gab hier allerdings keinen Sehschlitz, sondern nur kleine Sichtlöcher, die in das Visier eingelassen waren. »Ich möchte sicherheitshalber betonen, daß ich in durchaus friedlicher Absicht hier stehe«, fügte Parker seinem ersten Satz hinzu. »Wollen Sie das bitte zur Kenntnis nehmen?« Der Ritter nahm es nicht zur Kenntnis. Er drosch auf den Butler ein, schnell und gezielt. Parker mußte zur Seite springen, um nicht getroffen zu werden. Er nahm übrigens mit einiger Befriedigung zur Kenntnis, daß das lange Schwert keine Blutspuren aufwies. »Sie scheinen etwas gegen meine bescheidene Wenigkeit zu haben«, vermutete Parker. »Ich bedaure dies zutiefst, wie ich Ihnen versichern darf.« Der schwarze Ritter schlug erneut zu. Butler Parker hütete sich, seinen Universal-Regenschirm als Waffe einzusetzen, denn ein einziger Schwertstreich hätte genügt, um den Regenschutz in zwei Teile zu trennen.
Parker bemühte einen seiner Patentkugelschreiber und sprühte in Richtung des perforierten Visiers. Nach der bisherigen Erfahrung hustete auch dieser Ritter und vergoß wahre Krokodilstränen, denn der Spray hatte es wirklich, in sich. Doch es geschah nichts. Noch nicht mal diskretes Räuspern war zu vernehmen. Der Ritter verlor auch nichts von seiner Zielstrebigkeit. Er holte zum dritten Schlag aus, fintierte und wartete, um den Butler schwer zu treffen oder gar zu töten. »Sie bringen meine bescheidene Wenigkeit in eine äußerst peinliche Lage«, schickte Parker voraus, »ich hasse Gewalt, um es mal grundsätzlich zu sagen. Sie aber zwingen mich, nun doch ein wenig aktiv zu werden.« Der schwarze Ritter glaubte an den richtigen Zeitpunkt, fintierte erneut und ließ sein langes Schwert niedersausen. * Josuah Parker entging auch diesem Schlag, doch er suchte nun sein Heil in einer schnellen Absetzbewegung. Sein Ziel war das hochbeinige Monstrum, dessen Fahrertür erfreulicherweise noch geöffnet war. Der schwarze Ritter war keineswegs schlecht zu Fuß. Trotz der schweren Panzerung verlor er kaum an Boden. Parker hatte seinen Privatwagen erreicht und ... drückte mit der Spitze seines Universal-Regenschirms auf einen der vielen Knöpfe, die im Armaturenbrett eingelassen waren. Das Resultat war irgendwie belustigend, wie ein unbeteiligter Zuschauer vielleicht geurteilt hätte. Das hochbei-
nige Monstrum schien zu husten. Gleichzeitig mit diesem seltsam schnarrenden Geräusch, das wohl von einer Pumpe herrührte, quoll eine öligschwarze und ungemein kompakte Rauchwolke aus einem dicken Stahlrohr, das neben dem Auspuff angebracht war. Daraufhin wurde der schwarze Ritter noch schwärzer! Die ölige Rußwolke hüllte ihn ein und raubte ihm die Sicht. Der schwarze Ritter blieb sofort wie geblendet stehen und drosch wütend nach allen Seiten. Parker setzte sich ans Steuer seines Wagens und betätigte den Anlasser. Er sorgte erst mal dafür, daß sein Wagen aus der Reichweite des Schwertes kam. Dann hielt er an, stieg wieder aus und ging um die ölige Rußwolke herum, peinlich darauf bedacht, daß sein weißer Eckkragen nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde. Der Ritter taumelte aus der .Wolke hervor und litt offensichtlich unter gewissen Schwierigkeiten. Er hatte das Visier hochgeschoben und nestelte an einer Motorradbrille, deren Gläser total verschmiert waren und ihm jede Sicht nahmen. Nun verstand Parker auch nachträglich, warum sein Augenspray nicht wirken konnte. Der schwarze Ritter schien mitbekommen zu haben, wie Parker seinen Vorgänger außer Gefecht gesetzt hatte. Der Butler hätte nun nach dem Schwert greifen können, das der Ritter inzwischen wütend weggeworfen hatte. Die Versuchung, es zu tun, war für ihn riesengroß, doch er hielt sich unter Kontrolle und benutzte nur seinen Regenschirm.
Er drehte ihn um und brachte den bleigefütterten Bambusgriff in Aktion, um den Ritter zu Fall zu bringen. Er hakte den Griff hinter den linken Unterschenkel des Mannes und zog nur kurz und nachdrücklich. Der Gepanzerte brüllte wütend auf, kämpfte um sein Gleichgewicht, verlor diesen Kampf und landete krachend auf dem hochstäubenden Kies. »Ich hatte Ihnen gewisse Unannehmlichkeiten angekündigt«, sagte Parker. »Sie sollten sich jetzt nicht beschweren. Nun, der Ritter hielt sich keineswegs an diesen Rat, sondern fluchte ausgiebig, versuchte auf die Beine zu kommen und schlug zurück in den Kies, da Parkers Regenschirm immer im richtigen Moment eingesetzt wurde. Während dieser Versuche hielt Parker den Steinbau unter Sichtkontrolle. Da war immer noch eine Armbrust, die tödliche Bolzen verschoß. Parker hatte nicht die geringste Lust, sich von solch einem Bolzen erwischen zu lassen. Seine Aufmerksamkeit galt erneut dem Dach des Hauses. Dort oben, zwischen den nackten Dachsparren und den fehlenden Ziegeln, konnte sich durchaus ein Schütze verborgen halten. Der schwarze Ritter hatte inzwischen die hinderliche Motorradbrille abgerissen und weggeworfen. Er konnte seinen Gegner jetzt klar erkennen und geriet in zusätzliche Wut, als er sah, wie gelassen, höflich und abwartend Parker vor ihm stand. Er wäre ihm mit Sicherheit liebend gern an die Gurgel gesprungen, doch die Ritterrüstung
hinderte ihn daran. Sie war einfach zu schwer. »Wäre es jetzt nicht an der Zeit, sich über Mr. Rander zu unterhalten?« erkundigte sich Parker. »Wenn Sie den sehen wollen, müssen Sie schon mitkommen, und zwar verdammt schnell.« Der schwarze Ritter schien plötzlich eine Lösung seines Problems gefunden zu haben. »Sie wollen mich natürlich in eine Situation bringen, die für meine Wenigkeit aussichtslos ist. Ist das möglicherweise richtig?« »Los, helfen Sie mir hoch«, sagte der schwarze Ritter. »Wir nehmen ihre Schrottkiste da, vielleicht schaffen wir's dann noch.« »Was, wenn man fragen darf?« »Daß Ihr Begleiter nicht gekillt wird«, lautete die Antwort. »Beeilen Sie sich, Mann, sonst ist es zu spät!« Parker beeilte sich. * »Welche Richtung bevorzugen Sie?« erkundigte sich Parker, während er sein hochbeiniges Monstrum in Fahrt brachte. »Erst mal 'rüber zur Hauptstraße«, verlangte der schwarze Ritter, der inzwischen seinen Helm abgestreift hatte. »Und dann in Richtung Tring. Ich sage Ihnen rechtzeitig Bescheid, wo Sie abbiegen müssen.« »Darf ich fragen, warum man Mr. Rander umzubringen gedenkt?« »Er hat zuviel gesehen.« Die Antwort befriedigte den Butler nicht. »Sie, um nur ein Beispiel zu nennen?« »Mich!« Während der helmlose schwarze Ritter das sagte,
hielt er plötzlich eine modern aussehende Waffe in der Hand. Es handelte sich um einen kurzläufigen Revolver, der geradezu einen bissigen Eindruck machte. Es war eine Waffe, wie sie von gewissen Mitgliedern der Unterwelt benutzt wurde. »Sollte die Schlußfolgerung lauten, daß man Sie auf keinen Fall später identifizieren darf?« »Sehr schön ausgedrückt.« Der schwarze Ritter grinste. »Demnach sind Sie in einer gewissen Kartei vertreten, die nur der Polizei zugänglich ist?« »Warum sagen Sie nicht Verbrecherkartei?« höhnte der Mann. »Ich wollte und möchte Ihre Gefühle schonen«, entgegnete der Butler höflich. »Warum haben Sie Mr. Rander nicht gleich im Steinhaus umgebracht, wenn man fragen darf? Dem Image des schwarzen Ritters wäre solch ein Mord doch sehr entgegengekommen.« »Sie fragen zuviel. Sie sind der Butler dieses Rander?« »Ich habe die Ehre, der Butler Lady Simpsons zu sein.« »Hm, habe ich schon gehört. Die alte Schreckschraube glaubt, so 'ne Art Privatdetektiv zu sein, wie?« »Mylady war bisher stets erfolgreich.« »Sie soll froh sein, wenn sie wieder heil zurück nach London kommt.« »Die Luft in und um Chiltern Castle scheint der Gesundheit nicht förderlich zu sein, wie ich vermute.« »Richtig vermutet. Sie heißen Parker, nicht wahr?« »Ein sogenannter Allerweltsname.« »Ich muß ihn schon mal gehört haben.« Der schwarze Ritter mit dem
modernen Revolver überlegte, schüttelte dann aber den Kopf. »Fällt mir im Moment nicht ein, aber vielleicht weiß da mein Kumpel besser Bescheid.« »Jener Kumpel, in dessen Gewalt Mr. Rander sich zur Zeit befindet, nehme ich an.« »Ohne ihn hätte dieser Rander mich geschafft.« Der schwarze Ritter lachte leise. »Falls meine mathematischen Kenntnisse mich nicht verlassen haben arbeiten Sie mit einem Partner?« »Macht sich meist gut.« Der schwarze Ritter nickte. »Sie wollen mich ausholen, wie?« »Ich werde mir alle erdenkliche Mühe geben«, gestand Josuah Parker gemessen. »Ihr Partner ist jener geheimnisvolle Mann, der mittels einer Armbrust Bolzen verschießt?« »'ne Spezialität von ihm, ein Tick. Mir ist 'ne richtige Kanone lieber.« »Sie stehen nicht zufällig im Sold einer gewissen Miß Maud Symond?« »Die Kleine, die Sie 'reingelegt haben, Parker?« Der schwarze Ritter schüttelte den Kopf. »Darf ich meiner Verwunderung darüber Ausdruck verleihen, wieso Sie so schnell über eine Motorradbrille verfügten?« »Die stammt von meinem Kumpel, der ist mit 'nem Motorrad und 'nem Seitenwagen unterwegs.« »Ihre Offenheit ist geradezu bestürzend, wenn ich das sagen darf.« Nun schwieg der schwarze Ritter. Butler Parker gab sich keinen Illusionen hin. Diese Offenheit hatte ihre Gründe. Wahrscheinlich planten der schwarze Ritter und sein Partner, alle Mitwisser umzubringen. Man hatte es
also mit Killern zu tun, die gegen entsprechendes Honorar mordeten. Die Ortschaft Tring kam in Sicht. Der Mann neben Parker deutete auf einen Feldweg, der zwischen sanften und bewaldeten Hügeln verschwand. »Soll ich dort einbiegen?« fragte der Butler sicherheitshalber. »Richtig, Parker! Und keine Zicken, wenn Sie gerade noch mal davonkommen wollen.« »Ein Mann in meiner Position ist es gewöhnt, sich an Anordnungen zu halten«, erwiderte Parker bescheiden. »Darf ich Sie übrigens bitten, sich einen festen Halt zu verschaffen? Die Federung meines Wagens läßt gewisse Wünsche offen, von der Polsterung der Sitze mal ganz zu schweigen.« Während Parker diese Warnung aussprach, trat sein linker Fuß auf einen kleinen Knopf, der auf dem Bodenbrett versteckt angebracht war. »Aautsch«, sagte der Killer daraufhin und zuckte zusammen. »Mann, der Sitz drückt sich ja schon durch.« »Die Polsterfedern«, entschuldigte sich der Butler höflich. »Wie Sie bemerken, ist der Wagen schon ein wenig betagt.« »Da hat mich was gepiekt«, fluchte der Beifahrer und rieb sich die linke Kehrseite. Parker antwortete nicht, sondern ließ sein hochbeiniges Monstrum absichtlich durch einige ausgeprägte Schlaglöcher rollen. Ihm kam es darauf an, den Killer abzulenken .. . * Mike Rander ärgerte sich.
Er saß in einer Ecke der fast leer geräumten Küche des niedrigen Bauernhauses und war nicht in der Lage, etwas für seine Befreiung zu tun. Er war an Händen und Füßen gefesselt, aber das war es nicht allein. Auf einer umgestülpten Kiste saß ein etwa dreißig Jahre alter Mann. Er sah recht eigenartig aus, fast wie eine Karikatur, trug Knickerbocker, einen Pullover und darüber ein Sportjackett. Den dünnen Regenmantel aus Plastik hatte er ausgezogen. Seine altmodische Brille lag auf einer Schirmmütze. In seinen Händen hielt der Mann eine Armbrust, die jedoch nicht gespannt war. Der Fremde sah durchschnittlich und friedlich aus. In ihm hätte man niemals einen Gangster vermutet, der er in Wirklichkeit war. Mike Rander verfügte leider bereits über einschlägige Erfahrungen. Dieser Naturfreund, so sah er tatsächlich aus, hatte ihn hierher in das verlassene Haus gebracht, und zwar im Seitenwagen eines älteren Motorradgespanns. Die Fahrt war alles andere als angenehm gewesen. »Sagen Sie schon endlich, was Sie vorhaben?« fragte Mike Rander erneut. »Sind Sie sicher, den richtigen Mann erwischt zu haben?« »Und ob!« Der Naturfreund lächelte beruhigend. »Ich habe aber mit den Battlefords überhaupt nichts zu tun.« »Aber Sie haben meinen Partner und mich gesehen, das reicht bereits.« »Das. .Das hört sich nicht gut an.« Rander war froh, daß der bisher schweigsame Mann endlich antwortete.
»Ihr Pech, daß Sie zu neugierig waren.« »Warum kann man nicht miteinander reden? Ich bin sicher, daß ich Ihre Geldforderungen erfüllen kann.« »Um Geld geht's gar nicht, Mann! Geschäftsprinzip!« »Ich . .Ich verstehe. Sie sind ... « »Sagen Sie's ruhig, ich bin nicht empfindlich. « »Killer etwa?« »Sie treffen den Nagel auf den Kopf.« »Sie arbeiten für Geld. Ich habe Geld, also warum arbeiten Sie nicht für mich?« »Der eine Auftrag kam eben früher rein. Immer sauber bleiben, ist wichtig in unserem Beruf.« »Da Sie's nicht auf mich abgesehen haben, auf wen hat man Sie dann angesetzt? Auf den jungen Battleford?« »Was bringt das schon, wenn Sie's wissen?« Der Mann, der wie ein Naturfreund aussah, winkte lässig ab. »Ich glaube, wir bekommen Besuch.« »Tatsächlich, ein Wagen!« Mike Rander spitzte die Ohren. Er hatte auch einen Automotor gehört und wußte dieses kernige Geräusch richtig einzuordnen. Es konnte sich nur um Parkers hochbeiniges Monstrum handeln. Der Killer stand auf und trat vor eins der leeren Fenster. Dann wandte er sich zu Mike Rander um. »Ihr Butler kommt«, sagte er gelassen. »Jetzt ist es gleich überstanden.« »Wollen Sie etwa auch Mr. Parker umbringen?« »Natürlich.« Der Naturfreund zuckte die Achseln. »Das ist unser Job.«
Er griff nach einem Fernglas und beobachtete für einen Moment den Wagen. Dann nickte er zufrieden. »Scheint alles nach Plan zu laufen«, meinte der Anwalt bitter. »Natürlich«, erwiderte der Killer. »Fehler darf man sich in unserem Beruf nicht leisten. Übrigens, Sie brauchen keine Angst zu haben: Wir bringen das gleich schnell und sauber hinter uns, mein Wort darauf. Wir sind schließlich keine Sadisten.« »Wie beruhigend«, seufzte Mike Rander auf. »Vielen Dank für die trostreichen Worte!« * »Das ging ja wie geschmiert, Dany«, sagte der Armbrustschütze und nickte dem schwarzen Ritter zu, der aus dem Wagen stieg. »In der Tat«, erwiderte der schwarze Ritter und schlug mit seiner eisernen Hand andeutungsweise zu. Der Armbrustkiller wurde voll am Kinn erwischt und absolvierte daraufhin einen leichten Steigeflug, der nach anderthalb Metern jedoch abrupt endete. Anschließend kam es zu einer Bruchlandung. Der Armbrustkiller legte sich auf den Boden vor dem alten Bauernhaus und rührte sich nicht mehr. Der schwarze Ritter betrat den Küchenraum des verlassenen Bauernhauses und verbeugte sich andeutungsweise in Richtung Mike Rander. »Darf ich unterstehen, Sir, daß es Ihnen den Umständen entsprechend gut geht?« erkundigte er sich. »Parker?« Mike Rander richtete sich auf und starrte den schwarzen Ritter an.
»Ich werde die unzeitgemäße, aber in diesem Fall recht passende Maskerade sofort wieder ablegen, Sir«, versprach der schwarze Ritter und streifte den Helm ab. »Die Besitzer und Träger solcher Rüstungen müssen seinerzeit nicht gerade angenehm gelebt haben.« »Ich hab's doch gewußt!« Mike Rander zeigte deutlich, wie erleichtert er war. Er lächelte Parker an und wartete ungeduldig darauf, die Fesseln los zu werden, Butler Parker erreichte das innerhalb einiger Sekunden und entledigte sich dann der übrigen Rüstung. Mike Rander reckte und dehnte sich, zündete eine Zigarette an und verließ dann mit dem Butler das Haus. »Ein Killer«, sagte Rander und deutete auf den Armbrustschützen in Knickerbocker. »Eine vorzügliche Tarnung, nicht wahr?« »Nur in einschlägigen Fernsehfilmen sehen Killer wie Killer aus, Sir.« »Und wen haben Sie da mitgebracht?« Mike Rander deutete auf Parkers Beifahrer, der die schwarze Melone des Butlers trug. »Ebenfalls das, was man einen Killer nennt, Sir. Es dürfte sich um einen schwarzen Ritter handeln, mit dem Sie, Sir, bereits einen gewissen Umgang pflegten.« »Und den ich geschafft hätte; wenn dieser verflixte Armbrustschütze mich nicht von hinten angegriffen und niedergeschlagen hätte.« »Dies ist mir inzwischen bekannt, Sir. Darf ich raten, die beiden Männer erst mal sicher zu verwahren?« Mike Rander war mit diesem Vorschlag mehr als einverstanden. Butler Parker und er schafften die beiden
Männer in das Haus und verbanden sie mittels einer privaten Handschelle aus Parkers Besitz. Josuah Parker trug zu diesem Zeitpunkt selbstverständlich wieder die schwarze Melone und sah korrekt aus wie immer. Anschließend besichtigte er das Motorradgespann, das hinter dem Haus stand und ebenfalls dem Aussehen des angeblichen Naturfreundes glich. Es handelte sich um ein leicht betagtes Modell, das aber ausgezeichnet zu der Maske des Armbrustkillers paßte. »Haben Sie irgendwie herausgebracht, für wen diese beiden Kerle arbeiten?« erkundigte sich Rander. »Das, Sir, ließ sich leider nicht eruieren«, gab Parker zurück. »Der Plan eines Doppelmordes hingegen wurde keineswegs abgestritten. Die beiden Männer fürchten um ihre Identität. Sie haben sich von einer Person engagieren lassen, um während des Jahresturniers ihren Auftrag ausführen zu können.« »Hinter wem sind die nun her, Parker?« Mike Rander verzichtete auf das »Mr.«, worüber der Butler sich insgeheim freute. Die Anrede erinnerte an alte Zeiten, als er zusammen mit dem jungen Anwalt Kriminalfälle gelöst hatte. »Eine von mir diesbezüglich gestellte Frage wurde leider nicht beantwortet, Sir«, entgegnete Parker. »Die Anschläge könnten allerdings dem jungen Lord Battleford gelten.« »Daran denke ich auch schon die ganze Zeit.« Rander nickte nachdenklich. »Er scheint sich eine Menge Feinde gemacht zu haben.« »Was machen wir jetzt mit den beiden Killern?« Mike Rander deutete auf die Männer. Dany, der schwarze
Ritter, schlief noch fest, was seinen besonderen Grund hatte. Es war nicht die Spitze einer schadhaften Polsterfeder gewesen, die sich in sein Gesäß gedrückt hatte, sondern ein speziell entwickelter Dorn, der per Knopfdruck durch die Polsterung nach oben schoß und wie eine Spritze wirkte. Dieser Hohldorn, etwa dem Giftzahn einer Schlange nachempfunden, enthielt ein Betäubungsmittel, das ungewöhnlich schnell wirkte. Der Armbrustschütze hingegen war wieder zu sich gekommen und belauerte förmlich den Anwalt und Butler Parker. »Es wäre sinnlos, Sir, sie der Polizei übergeben zu wollen«, antwortete der Butler höflich. »Im sogenannten Endeffekt würde Aussage gegen Aussage stehen.« »Das meine ich allerdings auch«, sagte der Armbrustschütze. »Ich schlage so 'ne Art Einigung vor. Was halten Sie davon?« »Und wie soll die aussehen?« fragte Mike Rander. »Wir vergessen, daß es uns gibt.« »Das hört sich allerdings etwas zu simpel an«, meinte Rander und lächelte. »Nicht so simpel, wie Sie meinen. Wir vergessen Sie, Sie vergessen uns. Ich hoffe, Sie haben mich genau verstanden.« »Und bei nächster Gelegenheit, die sich so ergibt, sorgen Sie dann nachträglich dafür, daß es Mr. Parker und mich nicht mehr gibt, wie?« »Werden Sie bloß nicht beleidigend«, regte sich der Armbrustschütze auf, der nur mühsam reden konnte, denn er litt noch unter
dem Wangenstreich des Butlers. »Wenn wir 'ne Abmachung treffen, halten wir sie auch ein.« »Sie werden also nicht sagen, wer Sie engagiert hat?« »Ausgeschlossen, sitzt nicht drin!« Der Armbrustschütze in Knickerbockern schüttelte vorsichtig den Kopf, um seinen geschwollenen Kiefer zu schonen. »Sie werden auch auf keinen Fall verraten, wen Sie umbringen sollen,, vermute ich?« »Diskretion ist bei uns selbstverständlich.« »Werden Sie nach diesem .. . Unfall Ihren Auftrag zurückgeben?« »Natürlich nicht! Wir haben bereits eine Anzahlung kassiert, damit ist das Geschäft rechtsverbindlich.« »Sie haben Grundsätze, Donnerwetter, das muß man aber sagen!« »Mein Partner und ich sind keine billigen Ganoven.« »Ich habe Sie doch richtig verstanden: Sie würden weder auf Mr. Parker noch auf mich schießen?« »Sie glauben mir etwa nicht?« Der Armbrustkiller war fast empört. »Mr. Rander und meine bescheidene Wenigkeit glauben Ihnen durchaus«, schaltete Josuah Parker sich ein. »Ich darf Ihnen versichern, daß es sich um keine höfliche Floskel handelt. Aber Sie werden gewiß verstehen, daß Mr. Rander verpflichtet ist, erkennbaren Schaden abzuwenden.« »Sie werden's bereuen, auf meinen Vorschlag nicht eingegangen zu sein.« »Das Leben ist voll von Überraschungen«, philosophierte der Butler höflich. »Lady Simpson wird Ihnen mitteilen, was mit Ihnen geschehen wird. Es wäre
unverzeihlich, wollen!«
sie
übergehen
zu
* Die Funkzeichen des kleinen Minisenders waren laut und deutlich zu vernehmen. Anwalt Rander bediente den Empfänger aus dem Labor des Butlers, der sich auch und gerade in funktechnischen Dingen sehr gut auskannte. »Der Sender muß drüben in Tring stehen«, sagte Mike Rander nach etwa zehn Minuten. »Miß Maud Symond scheint demnach mehr oder weniger die Wahrheit gesagt zu haben«, antwortete Parker, der das hochbeinige Monstrum steuerte. Im Kofferraum des Wagens lagen die beiden Killer. Sie hatten es darin zwar ein wenig eng, konnten sich aber eigentlich nicht beklagen. Ein gewisser Komfort war durchaus vorhanden. Der Kofferraum war immerhin mit einem Teppich ausgeschlagen. »Sie haben es wieder mal geschafft, nicht wahr?« fragte Mike Rander und musterte seinen früheren Butler. »Wie darf ich Ihre Bemerkung interpretieren, Sir?« erkundigte sich der Butler gemessen. »Sie haben mich wieder in einen Kriminalfall verwickelt, obwohl Sie genau wissen, daß ich mit solchen Dingen nichts zu tun haben will.« »Die Verhältnisse übten einen gewissen Zwang aus, Sir«, entschuldigte sich Parker. »Darf ich daran erinnern, daß die Fahrt nach Chiltern Castle nur für den Besuch des
Jahresturniers und Lanzenstechens gedacht war?« »Wobei Lady Simpson und Sie mir verschwiegen haben, daß Lord Battleford damit einen Nebenzweck verfolgte.« »Sein Hinweis auf den schwarzen Ritter klang mehr nach einer Anekdote, Sir.« »Ich weiß, ich weiß, um Ausreden waren Sie noch nie verlegen. Aber das eine sage ich Ihnen: Das ist das letzte Mal, daß ich bei einem Kriminalfall mitmache.« »Wie Sie wünschen, Sir.« »Sie werden mich nicht mehr aufs Glatteis führen, Mr. Parker.« »Sie können sich fest auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen,- Sir. Darf ich übrigens fragen, wen Sie für den Auftraggeber der beiden Killer halten?« »Vielleicht ist es diese Maud Symond, Mr. Parker. Sie scheint auf den jungen Lord gar nicht gut zu sprechen zu sein.« »In diesem Zusammenhang, Sir, erhebt sich 'die wohl und wahrscheinlich berechtigte Frage, wie eine junge Frau wie Miß Symond an die Adresse von zwei Berufskillern gekommen ist.« »Da bin ich überfragt.« Mike Rander zuckte die Achseln. »Berufskiller sind nur auf sehr komplizierte Art und Weise zu engagieren, Sir, wie Sie sich vielleicht noch erinnern können.« Mike Rander schaltete den Empfänger wieder ein und prüfte die Einfallstärke des Mini-Senders. Der Zeigerausschlag auf dem kleinen Gerät war noch intensiver geworden. Rander deutete auf einen breiten Weg, der zu beiden Seiten mit hohen Bäumen be-
pflanzt war. Dieser Weg führte schnurgerade zu einem behäbig aussehenden Landsitz. »Gestüt Symond«, las der Anwalt halblaut, als sie ein Hinweisschild passierten. »Gleich dürften wir es geschafft haben, Parker.« Parker ließ sich erneut nicht anmerken, wie sehr er es schätzte, derart vertraulich angeredet zu werden. Das alte Verhältnis, das früher mal zwischen ihnen bestand, stellte sich langsam wieder her. Der Anwalt schien die Erinnerung an seinen langjährigen Aufenthalt in den Staaten von Tag zu Tag immer mehr zu vergessen. Es dauerte nur noch wenige Minuten, bis sie das Gestüt erreicht hatten. Sie stellten den Wagen auf dem Parkplatz vor dem Landsitz ab und gingen dann zu dem Wohnhaus. Sie hatten es noch nicht ganz erreicht, als ihnen bereits Maud Symond entgegenkam. »Was wollen Sie denn hier?« fragte sie gereizt. »Wir wollten Ihnen die Mühe abnehmen, die Reste Ihrer Rüstung abzuholen«, sagte Mike Rander lächelnd. »Mr. Parker wird sie Ihnen gleich geben.« »Sie haben mir nicht geglaubt, nicht wahr?« Sie sah den Butler ärgerlich an. »Nicht unbedingt und ausnahmslos, Miß Symond«, antwortete der Butler und lüftete höflich die schwarze Melone. »Darüber hinaus möchte ich wieder den Mini-Sender an mich nehmen, den ich Ihnen mit auf den Weg gab.« »Mini-Sender?« Sie schaute Parker entgeistert an.
»Er befindet sich an Ihrer rechten Oberarmschiene, Madam«, redete Parker weiter. »Ein kleiner Magnet sorgt nachhaltig dafür, daß er nicht abfällt.« »Sie . .Sie spionieren mir nach?« »Hätten wir nicht allen Grund dazu?« schaltete Mike Rander sich ein. »Aber lassen wir das, Miß Symond. Im Grund wollen wir Sie nur warnen.« »Sie können mir überhaupt nichts verbieten!« »Das hegt nicht in meiner Absicht«, erklärte Mike Rander lässig. »Sie scheinen allerdings nicht zu wissen, daß es noch einen zweiten Ritter gibt, der die Gegend unsicher macht.« »Einen . . .einen zweiten Ritter!?« Ihre Überraschung konnte nicht gespielt sein, wie Rander fand. »Dieser zweite Ritter wird von einem Armbrustschützen begleitet«, redete der Anwalt weiter. »Und beide Figuren sind zusätzlich noch mit Revolvern ausgestattet.« »Sie ...- bluffen doch nur!« »Sie dürfen versichert sein, Madam, daß Mr. Rander keineswegs blufft«, sagte Josuah Parker. »Die beiden Männer sind das, was man in Unterweltskreisen Berufskiller nennt. Möglicherweise haben Sie solch eine Bezeichnung schon mal in einem Fernsehstück gehört.« »Berufskiller? Hier bei uns auf dem Land!? Das ist doch Unsinn. Wer sollte sie geholt haben? Moment mal, sind die etwa auf diesen Peter Battleford angesetzt worden?« Sie hatte ihren Satz noch nicht beendet, als sie andeutungsweise lächelte. Die Vorstellung allein, daß Peter Battleford in arge Schwierigkeiten geriet, schien sie zu freuen.
»Hat Peter Battleford sich wirklich derart verhaßt gemacht?« erkundigte sich Mike Rander. »Miß Symond, bitte, hier handelt es sich nicht um einen Kriminalfilm, sondern um die rauhe Wirklichkeit. Es sieht so aus, als sollte Peter Battleford umgebracht werden.« »Ich habe nichts dagegen!« Sie sah Rander und Parker kalt an. »Eine Einstellung, die ich zumindest als ein wenig ungewöhnlich bezeichnen möchte«, stellte Josuah Parker fest. »Kommen Sie ins Haus«, sagte sie plötzlich und wirkte freundlicher. »Ich glaube, ich sollte Ihnen die ganz Geschichte erzählen.« »Herzlichen Dank für die Einladung«, meinte Rander beiläufig. »Verschonen Sie aber meinen Vater mit allem«, bat sie. »Treten Sie als Pferdekäufer auf! Meinem Vater geht es nicht besonders gut. Und sein Zustand hat mit der Sache zu tun, über die ich jetzt reden werde.« Sie drehte sich auf dem Absatz um und betrat das Haus. Mike Rander und Josuah Parker folgten ihr, standen dann in einer großen Vorhalle undsahen sich drei stämmigen Männern gegenüber, die keinen besonders freundlichen Eindruck machten. Sie hielten Reitpeitschen in ihren Händen und warteten offensichtlich darauf, daß Maud Symond ihnen ein Zeichen gab. Nur eine Sekunde später wurde es gegeben! * Agatha Simpson war verärgert.
Sie wartete schon geraume Zeit darauf, daß Mike Rander und Butler Parker zurückkamen. Sie hatten bisher kein Lebenszeichen von sich gegeben. Die ältere Dame fühlte sich von den aktuellen Ermittlungen ausgeschlossen. Dabei hatte sie soviel zu berichten! Ihrer Ansicht nach war der Fall eigentlich schon gelöst. Es ging nur darum, Erkundigungen über diesen Gary Radlett einzuholen, der angeblich an den Rollstuhl gefesselt sein sollte. Die Detektivin glaubte nicht daran. Der Sohn jener Malerin, mit der Lord William seinerzeit liiert gewesen war, Gary Radlett also, trieb sich ihrer Ansicht nach als schwarzer Ritter um das Schloß herum und suchte nach einer passenden Gelegenheit sich für einiges zu rächen. Ihrer Meinung nach ging es nicht nur um Mrs. Radlett, sondern um einige Bösartigkeiten, die Peter Battleford veranlaßt haben mußte. Der Autounfall ging bestimmt auf seine Kosten, und der Gärtner Durham und der Verwaltersohn Jack Rayl mußten ihm dabei geholfen haben. Wahrscheinlich hatten Jack Rayl und der Gärtner Durham diesen Unfall gezielt provoziert und waren dafür von Peter Battleford bezahlt worden. Lord William Battleford mochte über die Einzelheiten wohl nicht Bescheid wissen, reimte sich aber wohl verschiedene Dinge zusammen. Nun fürchtete der Lord um das Leben seines Sohnes Peter. Nur darum hatte er Lady Simpson nach Chiltern Castle eingeladen, um dem angeblichen schwarzen Ritter das Handwerk legen zu lassen.
Agatha Simpson hatte leicht gereizt ihr Gästezimmer verlassen. Als sie unten in der Wohnhalle erschien, lief ihr der Verwalter Rayl über den Weg. »Ich muß Lord Battleford sprechen«, sagte sie energisch. »Ich bedaure, Mylady«, erwiderte Steward Rayl, »Seine Lordschaft sind nach Wendover gefahren. Kann ich irgendwas für Sie tun?« »Wann wird Lord William zurückkommen?« »Dies wurde mir nicht gesagt, Mylady.« »Und sein Sohn Peter? Wo steckt er?« »Ich lasse sofort nach ihm suchen, Mylady.« »Und Ihr Sohn? Wo hält er sich auf?«, »Ich nehme an, drüben in den Wirtschaftsgebäuden, Mylady. Soll ich ihn holen?« »Unsinn. Hat der Gärtner sich endlich gemeldet?« »Steve Durham, Mylady? Nein, bisher nicht.« »Nun gut, ich brauche einen Wagen. Was haben Sie mir zu bieten?« »Mylady, nur einen Land-Rover«, sagte Steward Rayl. »Dieser Wagen ist für eine Dame wohl ungeeignet.« Der Verwalter hatte keine Ahnung, daß Lady Simpson einen solchen Wagen in London fuhr. Sie schätzte die Robustheit dieses Gefährtes im allgemeinen Straßenverkehr. »Schaffen Sie mir diesen Rover herbei«, befahl sie streng. »Ich bin keine Porzellanpuppe.« »Der Wagen sieht nicht sehr einladend aus, Mylady.« »Ich will ja nicht an einem Schönheitswettbewerb teilnehmen. Los, kommen Sie, zeigen Sie mir den Wagen!«
»Wenn Mylady mir bitte folgen würden?« Auch Rayl gab sich höflich. »Seine Lordschaft wird aber bestimmt in einer halben Stunde wieder zurück sein, dann könnten Mylady den Rolls Royce übernehmen.« »Wieso wird er in einer halben Stunde zurückkommen? Eben wußten Sie doch noch gar nicht, wann Lord William hier erscheint? Hören Sie, junger Mann, ich hasse es, wenn man mich verärgert.« »Mylady, ich vermute ja nur, daß ... « »Schnickschnack, kommen Sie! Sagen Sie, Rayl, Sie kannten doch diesen Gary Radlett, nicht wahr?« »Flüchtig, Mylady.« Steward Rayl gab sich verschlossen. »Ihr Sohn kannte ihn ebenfalls?« »Das nehme ich an, Mylady. Dort hinüber, zur Remise.« »Auch dieser Gärtner Steve Durham kannte ihn natürlich, streiten Sie es nicht ab!« »Das könnte ich gar nicht, Mylady. Alle hier wissen, daß Durham diesen Radlett kannte.« »Und was war das für ein junger Mann?« »Ein Spieler, würde ich sagen, Mylady. Ich glaube, daß er damals nicht viel getaugt hat.« »Im Gegensatz zu seiner Mutter, wie? Sie war mit Lord Battleford befreundet, sagen wir.« »Darüber weiß ich so gut wie gar nichts, Mylady.« Steward Rayl deutete auf den zerbeulten Land-Rover, der unter dem Dach der Remise stand. »Wieso Gary Radlett vor einem Jahr den Unfall erlitt, wissen Sie selbstverständlich auch nicht.«
»Ich las darüber in der Zeitung, Mylady.« »Sie glauben fest daran, daß Gary Radlett sich nur noch in einem Rollstuhl fortbewegen kann?« »Mylady, wie kommen Sie darauf?« Steward Rayl sah die ältere Dame irritiert an, aber auch ein wenig abschätzend. »Denken Sie darüber nach, Rayl!« Sie lächelte. »Es könnte doch sein, daß Gary Radlett sich hier in der Nähe von Chiltern Castle aufhält, aber nicht gerade in einem Rollstuhl!« »Das wäre .. .äh .. .Aber er kann doch nicht...« »Sie stottern überzeugend, Rayl. Der Gedanke daran, daß Gary Radlett sich hier ohne Rollstuhl aufhält, macht Sie nervös.« »Warum sollte er... Ich meine, er hat hier doch nichts mehr .... « »Sind Sie so sicher? Vielleicht will er hier einiges erledigen, Rayl, Machen Sie sich keine Gedanken darüber, daß der Gärtner Durham verschwunden ist? Vielleicht ist er auf Gary Radlett gestoßen? Und vielleicht passiert das auch noch Ihrem Sohn Jack.« »Mylady, ich weiß nicht, worauf Sie anspielen?« Steward Rayl nagte äußerst nervös an seiner Unterlippe. »Ich denke an den Unfall, den Gary Radlett hier hatte, Rayl. Und ich denke an den Auftritt des schwarzen Ritters vor einem Jahr. Welcher Zeitraum lag zwischen dem Unfall und dem Erscheinen des schwarzen Ritters?« »Ich glaube, das waren ein paar Monate, Mylady.« »Präziser, Rayl, drücken Sie sich gefälligst genauer aus!«
»Zwischen dem Unfall und dem Erscheinen des schwarzen Ritters lagen gut und gern vier Monate, Mylady.« Rayl nahm unwillkürlich Haltung an. »Das paßt.« Lady Agatha nickte grimmig. »In drei oder vier Monaten kann man sich von einem Autounfall wieder erholt haben. Wie war das vor einem Jahr auf dem Turnierplatz? Der schwarze Ritter erschien und fegte alles aus dem Sattel, bis auf Peter Battleford.« »Das Turnier mußte abgebrochen werden, und der schwarze Ritter war plötzlich wie vom Erdboden verschwunden.« »Hatte Gary Radlett hier in der Gegend Freunde? Ich denke jetzt an eine Freundin, Rayl. Strengen Sie Ihren Kopf gefälligst an!« »Darüber weiß ich nichts, Mylady.« Steward Rayl war nicht mehr ganz bei der Sache und fuhr plötzlich wie unter einem unsichtbaren Peitschenhieb zusammen. Dann starrte er fast ungläubig auf einen Armbrustbolzen, der dicht neben ihm im Pfosten der Remise vibrierte. Nach einigen Sekunden stöhnte Rayl auf und ... rannte davon, ohne sich weiter um Lady Simpson zu kümmern. »Armes Würstchen«, sagte die ältere Dame verächtlich und befaßte sich mit dem Armbrustbolzen, den sie nur mit großer Mühe aus dem Holz zerren konnte. Dann setzte sie sich ans Steuer des Rover, als sei überhaupt nichts geschehen. Sie hatte sich vorgenommen, nach Wendover zu fahren und sah keine Veranlassung, darauf zu verzichten. *
Die drei stämmigen Männer waren Angestellte des Gestüts, wie deutlich zu sehen war. Sie trugen Stiefel, Breecheshosen und graue Pullover. Mit ihren Reitpeitschen wußten sie sicher gut umzugehen. Sie bildeten einen Halbkreis und kamen langsam auf Mike Rander und Josuah Parker zu, der sich zu Maud Symond umwandte, die schnell zur Seite trat. »Handelt es sich hier möglicherweise um einen unfreundlichen Akt, Miß Symond?« fragte der Butler in seiner unnachahmlich höflichen Art. »Peitscht ihnen die Schnüffelei aus dem Leib«, rief die junge Dame den drei Reitknechten zu. »Sie stehen auf Battlefords Seite.« »Ich glaube, hier handelt es sich um ein Mißverständnis, Miß Symond«, fügte Mike Rander hinzu und schnippte fast gelangweilt einige unsichtbare Stäubchen vom linken Ärmel seines dunklen Blazers. »Stellen Sie das später fest«, sagte sie und lachte bitter. »Los, Jungens, nur keine Hemmungen!« Die zeigten sie nun wirklich nicht. Sie peitschten versuchsweise einige Male mit den Schlaginstrumenten durch die Luft und nickten sich dann gegenseitig zu.' Sekunden später gedachten sie, auf Parker und Mike Rander einzudreschen. Sie hatten sich die Sache wohl erheblich einfacher und leichter vorgestellt, vor allen Dingen im Hinblick auf die beiden Männer, die so gar nicht wie ernstzunehmende Gegner aussahen. Parker war ein Mann, der wirklich keinem Hochleistungssportler glich.
Mike Rander hingegen erinnerte an einen versnobten Gesellschaftslöwen, was seine Kleidung noch unterstrich. Der Butler hatte seinen UniversalRegenschirm vom linken Unterarm genommen und ließ ihn am Griff in der Hand pendeln. Als der erste Hieb mit der Reitpeitsche auf ihn niederzischen sollte, umfaßte seine rechte, schwarz behandschuhte Hand die Spitze des Regenschirms. Fast beiläufig blockte er den Hieb schon in der Luft ab und ließ den Bambusgriff dann frei. Er schwang herum und landete auf dem, linken Oberarm des Angreifers, der vor Schmerz aufstöhnte. Die Bleifüllung im Bambusgriff tat ihre prompte Wirkung und machte den Arm so gut wie bewegungsunfähig. Der Angreifer wich zurück und wollte dann noch mal zuschlagen. »Es widerstrebt mir, Schmerzen verursachen zu müssen«, kommentierte der Butler seine Verteidigung, »Aber Sie zwingen mich leider dazu.« Auch den zweiten Schlag blockte er mit dem Schirm ab, der erneut herumschwang und den rechten Oberarm des Mannes traf, der daraufhin erst mal die Reitpeitsche wegwarf und sich dann krümmte. Parker wandte sich dem zweiten Angreifer zu, der von Mike Rander abließ. Dieser zweite Mann hatte mitbekommen, was seinem Freund und Berufskollegen widerfahren war, und wollte helfend eingreifen. Er schlug eine andere Taktik ein und drosch in geradezu rasendem Wirbel mit seiner Reitpeitsche auf den Butler ein. Er wollte ihm jede Möglichkeit der Abwehr nehmen. Butler Parker wehrte all diese Hiebe mit dem quer gehaltenen Schirmstock
ab und wurde nicht ein einziges Mal getroffen. Dann, als der Angreifer ein wenig ermüdete und wohl auch verzweifelte, stach Parker mit der Spitze des Regenschirms gezielt zu. Er traf den Solarplexus des Mannes, der sich daraufhin ebenfalls krümmte und keine Lust mehr zeigte, sich am weiteren Geschehen zu beteiligen. Parker wandte sich Mike Rander zu, der sich mit dem dritten Angreifer befaßte. Der Anwalt hatte in einen Blumentopf gegriffen und seinem Gegner eine Handvoll Humus ins Gesicht geworfen, was diesen ungemein irritierte. Mike Rander schlug ihm mit der Handkante aufs Gelenk, worauf die Reitpeitsche zu Boden fiel. Der Mann brüllte auf, wischte sich die Blumenerde aus den Augen und wollte seine Fäuste als Waffe benutzen. Es blieb bei diesem Vorhaben. Mike Rander wartete, bis der Mann auf Reichweite heran war und benutzte noch mal seine linke Handkante, um den Gegner zu Boden zu schicken. Dann wischte er sich einige Erdkrumen von den Händen und sah zu Maud Symond hinüber. »Wo, bitte«, fragte er höflich, »kann man sich hier die Hände waschen?« Er schien die Schrotflinte in den Händen der jungen Frau völlig zu übersehen. Der Doppellauf war auf ihn und Butler Parker gerichtet. »Nehmen Sie die Hände hoch«, sagte Maud Symond leise. Ihr Gesicht hatte einen maskenhaft starren Ausdruck angenommen. »Hände hochnehmen?« Mike Rander schien überrascht zu sein.
»Ach so, Sie würden sonst schießen, wie?« »Darauf können Sie sich verlassen!« »Mr. Parker, kommen wir dem Wunsch der Dame nach«, sagte Mike Rander und hob andeutungsweise die Arme. »Reicht das, Miß Symond?« »Sind Sie auch mit der Haltung meiner Arme und Hände zufrieden?« erkundigte Josuah Parker sich gemessen. Auch er hatte die Hände leicht hochgenommen. »Rüber zur Tür dort!« Maud Symond deutete mit dem Gewehrlauf auf eine Tür im Hintergrund. »Eine falsche Bewegung, und ich schieße. Jeder hier wird beschwören, daß Sie eingedrungen sind.« »Es ist wohl sinnlos, mit Ihnen vernünftig zu reden, wie?« fragte der Anwalt. »Gehen Sie!« Maud Symond ging ein paar Schritte zurück und hielt auf Distanz. Sie wollte sich nicht überraschen lassen. »Und was befindet sich hinter dieser Tür dort?« begehrte Mike Rander zu wissen. »Die Kellertreppe«, sagte sie und fuhr herum, als eine Seitentür heftig aufgestoßen wurde. Mit der Geschmeidigkeit einer Großkatze war Mike Rander sofort vor ihr und drückte den Lauf nach oben. Maud Symond schrie wütend auf und wollte ihm das Gesicht zerkratzen, sie hatte die Waffe sofort losgelassen und reagierte schnell. Sie zerkratzte nur die Luft. »Kann und darf ich Ihnen mit einem an sich harmlosen Beruhigungsmittel dienen?« fragte Josuah Parker höflich. Maud Symond sah sich wie rasend um und griff nach einem Schürhaken, der
an einem Gesteh neben dem Kamin hing. »Maud!« fuhr eine herrische Stimme dazwischen. »Maud, laß das endlich!« Sie blieb stehen, senkte den ausgestreckten Arm und schluchzte dann auf. Mike Rander und Josuah Parker blickten auf den Mann, der in einem Rollstuhl saß und sich langsam näherte. * Der etwa Fünfundfünfzigjährige konnte unmöglich Gary Radlett sein. »Mr. Symond?« fragte Mike Rander. »Robert Symond«, antwortete der Mann im Rollstuhl und nickte. Er sah auf die drei angeschlagenen Männer und scheuchte sie mit einer energischen Handbewegung aus der Halle. »Das ist Mr. Parker, ich bin Mike Rander«, sagte der Anwalt. »Um es gleich zu sagen, Mr. Symond, wir sind Gäste auf Chiltern Castle, aber wir sind nicht eingeladen worden, um gegen Ihre Tochter zu arbeiten.« »Selbst wenn, was könnten wir schon tun?« fragte Robert Symond wegwerfend. »Wo das Geld ist, ist auch das Recht.« »Dem widerspreche ich entschieden«, erwiderte Anwalt Mike Rander. »Gut, es gibt ärgerliche Ausnahmen, aber scheren Sie nicht alles über einen Kamm!« Die drei Reitknechte stahlen sich inzwischen aus der Halle und waren nicht gut zu Fuß. Maud Symond sah den Butler und den Anwalt plötzlich interessiert und auch ein wenig ungläubig an. War ihr aufgegangen, daß sie sich geirrt hatte?
»Ich möchte mich für meine Tochter entschuldigen«, redete Robert Symond weiter. »Sie ist manchmal etwas .. .impulsiv.« »Vater, laß dich nicht einwickeln«, sagte Maud im bereits bekannten, wütenden Tonfall, »ich weiß mehr als du!« »Wollen Sie mit in mein Arbeitszimmer kommen?« bat Robert Symond, ohne auf die Bemerkung seiner Tochter einzugehen. »Erwarten uns dort weitere Reitknechte?« erkundigte sich Mike Rander. »Ich wußte von der ganzen Sache nichts, meine Herren. Maud, du kommst mit!« »Ich will die ganzen Lügen nicht hören.« Sie schüttelte den Kopf. »Sie scheinen an Vorurteilen zu hängen, wie?« fragte Anwalt Rander. »Sie können später ja noch immer einige Reitknechte hereinbitten«, schlug Josuah Parker vor, während Robert Symond bereits seinen Rollstuhl zurück ins Zimmer bewegte, aus dem er gekommen war. Maud Symond sah Parker aus schmalen, nachdenklichen Augen an, bevor sie folgte. »Wir sind auf die Battlefords nicht besonders gut zu sprechen«, begann der Gestütsbesitzer, als. Maud die Tür geschlossen hatte. »Dafür gibt es selbstverständlich Gründe.« »Reden Sie jetzt von Lord William oder von seinem Sohn Peter?« fragte Mike Rander, zündete eine Zigarette an und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Ecke eines Rollschrankes. Von hier aus konnte er die beiden Fenster überblicken, die auf einen weiten Innenhof führten.
»Ich spreche in erster Linie von Peter Battleford«, meinte Robert Symond. »Aber ich meine auch durchaus seinen Vater, der ihn deckt und alles tut, um ihn noch üppiger werden zu lassen.« »Spielen Sie auf diese Jahresturniere an? »Die sind doch ein einziger Hohn«, urteilte Robert Symond. »Peter Battleford kauft seine Gegner oder schüchtert sie ein. Ich nehme an, daß auch sein Vater daran beteiligt ist, aber ich kann's nicht beweisen.« »Sag' diesen beiden Herren doch, wie sie dir mitgespielt haben, Vater«, fuhr Maud Symond dazwischen. »Du sitzt ja nicht zum Vergnügen im Rollstuhl, nicht wahr? »Ich könnte nie beweisen, daß dieser Autounfall von Peter Battleford veranlaßt worden ist.« Robert Symond winkte resignierend ab. »Ich weiß ja noch nicht mal, wer damals den Wagen gesteuert hat und wem er gehörte.« »Diesen Vorfall sollten Sie vielleicht ein wenig ausführlicher behandeln, Sir«,, schlug Butler Parker vor. »Ich werde es Ihnen erzählen«, sagte Maud Symond aufgebracht. »Vor zwei Jahren wurde mein Vater zum Jahresturnier eingeladen. Eine reine Verlegenheitslösung, weil zwei eingeladene Teilnehmer nicht erschienen. Nein, Vater, das werde ich erzählen. Du wirst mich nicht daran hindern. Peter Battleford kam sofort zur Sache und wollte meinen Vater kaufen. Er sollte sich aus dem Sattel heben lassen. Er versprach zuerst den Ankauf einiger Pferde, dann lockte er mit einer größeren Geldzahlung, aber mein Vater lehnte das ab. Er wollte es
diesem Großmaul mal gründlich zeigen. Und er sagte es ihm auch.« »Daraufhin kam es zu einem Unfall?« fragte Parker. »Mein Vater wurde während eines Ausritts zusammengefahren. Brutaler geht es einfach nicht. Als er drüben im Gelände war, schoß ein Wagen aus einem schmalen Waldweg und rammte das Pferd, auf dem mein Vater saß. Was daraus wurde, sehen Sie ja! Mein Vater wird nie wieder gehen können.« »Geschah das vor oder nach dem Turnier?« »Vor dem Turnier, Mr. Parker. Und nun raten Sie mal, wer hinter diesem Verbrechen steht? Wer hatte Angst davor, daß mein Vater sich nicht so einfach aus dem Sattel stechen ließ? Wer, wer frage ich!?« »Ich möchte fast unterstehen, daß Sie von Peter Battleford reden, Miß Symond«, antwortete Parker gemessen. »Wer sonst sollte das veranlaßt haben!« Sie sprach jetzt leise. »Peter Battleford ist es gewesen, dafür verwette ich meinen Kopf.« »Könnte er am Steuer dieses Wagens gesessen haben?« »Das hat er doch gar nicht nötig.« Sie schüttelte den Kopf. »Und außerdem ist er viel zu feige.« »Er hat also Helfershelfer, die ihm treu ergeben sind?« »Jack Rayl und Steve Durham. Der Sohn des Verwalters und der Gärtner. Die tanzen doch nach seiner Pfeife.« »Gibt es dafür bestimmte Gründe, Miß Symond?« »Geld, was sonst? Er schmiert sie, er hat doch genug davon.«
»Glauben Sie, daß sein Vater von diesen Machenschaften weiß?« Mike Rander hatte jetzt die Frage gesteht. »Natürlich weiß er Bescheid, Mr. Rander. Sie haben sehr bemerkenswerte Freunde, finden Sie nicht auch?« »Sagt Ihnen der Name Gary Radlett etwas, Miß Symond?« bohrte Mike Rander weiter. »Er gehörte mit zum Kreis um Peter Battleford, bis es zum Krach kam, als man ihm die Teilnahme am Turnier verweigerte. Er war nicht standesgemäß genug, verstehen Sie?« »Er erlitt ebenfalls einen Autounfall, nicht wahr?« »Vor einem Jahr.« Sie nickte. »Ich glaube, er lebt jetzt irgendwo in London.« »Sie haben keine Verbindung zu ihm, Miß Symond?« »Ich habe ihn kaum gekannt«, sagte sie. »Er interessiert mich auch nicht. Ich will diesem Peter Battleford nur das Leben sauer machen.' Das Leben hier draußen soll ihm zur Hölle werden!« »Sie haben keine Angst, daß Peter Battlefords Freunde sich mit Ihnen befassen könnten, Miß Symond? Ich meine jetzt Jack Rayl und den Gärtner Steve Durham.« »Auch ich habe Freunde. Und mein Vater ebenfalls. Es gibt hier in den Chiltern Hills viele Leute, die den Battlefords die Pest an den Hals wünschen, wenn Sie's genau wissen wollen.« »Maud, das alles bringt doch nichts«, warf Robert Symond ein. »Ich werde so oder so nie wieder gehen können.«
»Sie planen, Peter Battleford umzubringen?« fragte Mike Rander rundheraus. »Aber nein.« Sie schüttelte den Kopf und lächelte spöttisch. »Ich will ihm nur das Leben zur Höhe machen. Mit seinem Tod ist mir nicht gedient, Mr. Rander, dazu bin ich viel zu rachsüchtig!« * »Ein Armbrustbolzen?« fragte Mike Rander überrascht. Er und Butler Parker hatten Lady Simpson auf der Straße nach Wendover zufällig getroffen. Es war bereits dunkel geworden. Sie hatten die beiden Wagen auf einer Wiese neben der Straße abgestellt und gingen langsam zu einer Feldscheune, die nur in Umrissen erkennbar war. »Er wurde wahrscheinlich auf diesen Verwalter abgefeuert«, sagte die ältere Dame. »Er lief davon wie ein Hase, dieser Kümmerling.« »Wer könnte ihn abgeschossen haben?« Mike Rander war noch immer verblüfft. »Maud Symond kann es nicht gewesen sein, auch nicht die beiden Killer.« »Killer?« Lady Agatha spitzte die Ohren. »Was spielt sich da hinter meinem Rücken ab, Mike? Mr. Parker, ich verlange umgehend Auskunft. Sie wollen diesen Fall wohl ohne mich lösen, wie? Aber daraus wird nichts, weil es nichts mehr zu lösen gibt.« »Mylady haben den echten schwarzen Ritter bereits ausfindig machen können?« fragte Josuah Parker. »So gut wie!« Sie nickte. »Mir ist alles klar, es gibt keine Geheimnisse
mehr. Meine Theorie ist auf der ganzen Linie bestätigt worden. Sagte ich nicht schon, daß man's in den Fingerspitzen haben muß? Ohne Phantasie, Mr. Parker, wird man nie ein erfolgreicher Detektiv.« »Und wer, wenn ich höflichst fragen darf, ist der echte schwarze Ritter?« erkundigte sich der Butler. »Na, wer schon? Gary Radlett selbstverständlich. Das sagte ich ja bereits von Anfang an. Eine andere Möglichkeit bot sich doch überhaupt nicht an.« »Sie glauben, Gary Radlett hält sich hier in den Chiltern Hills auf, Mylady?« warf Mike Rander ein. »Natürlich! Aber lenken Sie nicht ab, Mike! Wie war das gerade mit den beiden Killern, die den Bolzen nicht abgeschossen haben können? Was sind das für Männer?« Mike Rander erstattete der Detektivin mit knappen Worten Bericht von dem, was sich inzwischen ereignet hatte. Als er damit fertig war, sah Lady Agatha ihn leicht verärgert an. »Während ich also mit Logik diesen Fall löse, schlagen die Herren sich mit Killern herum«, stellte sie fest. »Von dieser Maud Symond mal ganz zu schweigen.« »Diese Konstellation, Mylady, ergab sich rein zufällig«, sagte Josuah Parker. »Wo stecken die beiden Killer?« »Im Kofferraum meines bescheidenen Wagens, Mylady.« »Und sie wollen nicht sagen, wer sie engagiert hat?« »Sie verweigern jede Auskunft, Mylady.«
»Aber nicht mehr lange, Mr. Parker! Ich glaube, die beiden Subjekte kennen noch nicht meine Verhörtechnik.« »Mit Sicherheit nicht, Mylady.« »Sie werden sie aber kennenlernen! Aber das hat noch ein paar Minuten Zeit. Dann stammt der Bolzen, der auf Steward Rayl abgefeuert wurde, also weder von den beiden Killern noch von Miß Symond, das ist doch sonnenklar.« »In der Tat, Mylady!« Parker nickte höflich. »Er ist von Gary Radlett abgeschossen worden.« Agatha Simpson legte sich sofort fest. »Ich sagte Ihnen ja gleich, daß er bestimmt keinen Rollstuhl benutzen muß. Ich werde Ihnen noch etwas sagen und es später auch beweisen: Gary Radlett steckt mit dieser Maud Symond unter einer Decke. Wahrscheinlich hält Gary Radlett sich auf dem Gestüt auf.« »Das klingt tatsächlich plausibel«, meinte Anwalt Rander und sah den Butler verblüfft an. »Sie hat wegen der Geschichte mit ihrem Vater allen Grund, Peter Battleford zu hassen. Diesen Haß auf Battleford hat auch Gary Radlett. Also tut man sich zusammen und nimmt den jungen Lord aufs Korn.« »Und den Gärtner Durham, der eigenartigerweise verschwunden ist«, sagte Lady Simpson. »Entweder hat er sich aus Angst abgesetzt, oder aber er ist bereits ermordet worden.« »Der Schuß auf den Sohn des Verwalters Rayl würde ebenfalls in diese Theorie passen.« Mike Rander war überzeugt. »Warum sagen denn Sie nichts, Mr. Parker?« Lady Agatha sah ihren Butler grimmig an. »Es paßt Ihnen mal
wieder nicht, wie elegant ich einen Kriminalfall löse, nicht wahr?« »Wenn es gestattet ist, möchte ich mir erlauben, Myladys Gedankenführung zu bewundern«, schickte Parker voraus. »Aber sollte man sich nicht vielleicht Gedanken darüber machen, wo Mrs. Radlett sich zur Zeit befindet? Falls Gary Radlett an einen Rollstuhl gefesselt ist, müßte er doch in der Nähe und Obhut seiner Mutter sein.« »Deswegen wollte ich ja nach Wendover«, antwortete Lady Simpson. »Ich werde Kathy anrufen. Sie soll sofort die erforderlichen Ermittlungen anstehen.« »Dieses Gespräch, Mylady, dürfte sich erübrigen«, sagte der Butler. »Ich war bereits so frei, Miß Porter zu informieren.« »Wann ist das geschehen?« Die Detektivin ärgerte sich, daß Parker ihr zuvorgekommen war. »Vor etwa zwanzig Minuten, Mylady«, lautete Parkers Antwort. »Ich benutzte das Telefon des Gestüts Symond. In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, daß Miß Maud Symond mit Sicherheit mein Gespräch abhörte. Ich erlaubte mir derart laut zu sprechen, daß Sie einfach mithören mußte.« »Und wenn sie Radlett jetzt warnt?« Agatha Simpson schüttelte den Kopf. »Haben Sie hoch nie etwas von Taktik gehört, Mr. Parker?« »Falls Gary Radlett sich hier irgendwo aufhält, Mylady, dürfte er jetzt auf dem schnellsten Weg zurück nach London fahren und in seinem Rollstuhl Platz nehmen, um den Schein zu wahren. Damit hat Miß Porter die Gelegenheit, sich mit ihm
und seiner Mutter in Verbindung zu setzen.« »Und was ist damit gewonnen?« Lady Simpson hatte noch nicht ganz verstanden. »Miß Kathy Porter wäre in der Lage, später Gary Radlett beschreiben zu können. Wahrscheinlich wird sie sogar ein paar Fotos von ihm schießen. Ich erlaubte mir, Miß Porter diese Anregung zu geben.« »Genau das hatte auch ich vor«, behauptete die ältere Dame jetzt. »Ich war so frei, Myladys Taktik zu erahnen«, sagte Josuah Parker, ohne eine Miene zu verziehen. »Mylady dürfen versichert sein, daß ... - « »Stop, Mr. Parker!« Mike Rander deutete hinüber zur Feldscheune. »Haben Sie das gerade gesehen?« »Was denn, Mike?« fragte die Detektivin. »Eine Gestalt, glaube ich.« »Wenn meine Sinne mich nicht trügen, Sir, riecht es nach Feuer und Rauch«, stellte Parker gemessen fest. »Es ist vielleicht ratsam und empfehlenswert, sich die Feldscheune ein wenig anzusehen. Sie dürfte auf keinen Fall durch einen Akt der Selbstentzündung in Brand geraten sein.« * »Sie haben Steve Durham gefunden?« fragte Lord William eine Stunde später und sah Lady Simpson entgeistert an. »Ist er... Ich meine, in welchem Zustand ... Sie wissen schon, was ich meine, Mylady.« »Mr. Parker, berichten Sie«, forderte die Detektivin ihren Butler auf. »Der Zustand Mr. Durhams ist als desolat zu bezeichnen«, sagte Josuah
Parker. »Die Ärzte in Luton hegen gewisse Zweifel, das Leben Ihres Gärtners erhalten zu können, Mylord.« »Das ist ja schrecklich.« Lord William Battleford schüttelte den Kopf und wandte sich wieder der älteren Dame zu. »Sie sagen, Sie haben ihn in einer Feldscheune gefunden?« »Völlig entkräftet, halb verhungert und verblutet«, wiederholte Lady Simpson. »Er war verschnürt wie ein Paket. In seiner aufgerissenen Hüfte befand sich ein Armbrustbolzen.« »Der...Der schwarze Ritter!« Lord Williams Gesicht zeigte nervöse Zuckungen. »Wie Sie meinen, William.« Agatha Simpson lachte kurz und ironisch auf. »Dieser schwarze Ritter wollte den Gärtner sogar noch rösten. Reiner Zufall, daß wir vorbeikamen. Normalerweise würde Steve Durham gar nicht mehr existieren.« »Hat er bereits Aussagen machen können?« , »Daran ist vorerst überhaupt nicht zu denken, William. Die Polizei wird wenigstens eine Woche warten müssen, bis sie Fragen stehen kann. Wenn überhaupt.« »Ich frage mich, ob ich das Turnier nicht absagen sollte.« »Sie müssen natürlich damit rechnen, daß der schwarze Ritter uneingeladen erscheinen wird, William«, stichelte die ältere Dame. »Im vergangenen Jahr ist das ja bereits schon mal der Fall gewesen, nicht wahr?« »Ich könnte natürlich auch Polizeischutz anfordern«, überlegte Lord William halblaut. »Die Einladungen sind bereits verschickt. Eine Absage
würde ein heilloses Durcheinander verursachen.« »Wird Ihr Sohn Peter auf dem Turnierplatz erscheinen?« schaltete Mike Rander sich ein. »Selbstverständlich, Mr. Rander.« Lord Battleford nickte. »Das ist ja schon so etwas wie Tradition.« »Da fällt mir gerade ein, daß Sie auch mal Mr. Symond zum Turnier eingeladen haben, nicht wahr?« Agatha Simpson sah den Lord spöttisch an. »Wir bekamen nicht genügend Nennungen zusammen. Und Mr. Symond ist ein durchaus ehrenwerter Mann, der fast dem Landadel gleichzusetzen ist.« »Er erlitt vor dem Turnier einen Autounfall?« »Bedauerlicherweise, Mylady. Für ihn sprang seinerzeit Steve Durham ein. Diese Entscheidung fiel mir nicht leicht, Sie verstehen! Er ist schließlich Gärtner.« »Wie konnten Sie nur, William!?« Die ältere Dame schaute den Lord gespielt Vorwurfsvoll an. »Ein Gärtner! Dieser Mann war und ist doch nicht satisfaktionsfähig.« »Was sollte ich denn machen, Lady Simpson?« Lord Battleford hatte die Ironie überhaupt nicht mitbekommen. »Das Programm mußte doch reibungslos abgewickelt werden.« »Steve Durham wurde von Ihrem Sohn förmlich aus dem Sattel gefegt, nehme ich an?« Mike Rander schmunzelte. »Wie? Aus dem Sattel? Äh, natürlich ...« »Womit Ihre Welt dann wieder in Ordnung war, nicht wahr?« fragte die Detektivin bissig.
»Sehr wohl habe ich mich bei diesem sagen wir, frommen Betrug wirklich nicht gefühlt«, bekannte Lord William. »Sie entschuldigen mich, ja? Ich muß diese Geschichte mit Durham meinem Sohn erzählen.« »Sie entschuldigen uns hoffentlich auch, William«, sagte Lady Agatha. »Ich werde bis zum Turnier sicherheitshalber nach London zurückfahren. Hier ist es mir zu gefährlich geworden. Ich habe etwas gegen Armbrustbolzen.« »Aber Sie werden zum Turnier hier sein, Mylady?« Lord William erhob keine Einwände gegen die plötzlich beschlossene Abreise. »Selbstverständlich, William«, flötete Agatha Simpson schon fast zu freundlich. »Ich werde mir dieses Schauspiel doch nicht entgehen lassen. Ich rechne fest damit, daß der schwarze Ritter erscheint.« * »Das ist Freiheitsberaubung«, beschwerte sich der Killer. Er war von Josuah Parker aus dem Kofferraum geholt worden und schaute sich neugierig in der Garage um. »Was soll das?« fragte der zweite Killer, der mit Vornamen Dany hieß. Auch er sah sich neugierig um. »Mylady bietet Ihnen eine gewisse Form der Gastfreundschaft an«, antwortete Josuah Parker. »Wo sind wir hier?« fragte der Naturfreund in Knickerbockern. »In London«, gab Parker höflich Auskunft. »Ich werde Ihnen gleich einen kleinen Imbiß servieren.« Die beiden Berufskiller waren immer noch an ihren Händen gefesselt
und hatten keine Chance, sich mit dem Butler befassen zu können. Zudem waren sie Profis genug, um solch einen Versuch erst gar nicht zu riskieren. Sie hatten längst eingesehen, daß sie sich in der Hand von Gegnern befanden, die ihnen im Moment wenigstens überlegen waren. »Dort entlang, wenn ich höflichst bitten darf?« Parker hatte in der Garage hinter dem altehrwürdigen Fachwerkhaus in Shepherd's Market eine schmale Seitentür geöffnet. Hinter ihr befand sich eine Treppe, die nur aus wenigen Stufen bestand und einen völlig harmlosen Eindruck machte. Die beiden Berufskiller marschierten los und dachten nicht im Traum daran, daß eine Überraschung auf sie wartete. Als sie beide auf den Stufen waren, drückte Parkers rechter Zeigefinger auf einen kleinen Knopf über dem Lichtschalter, was einiges zur Folge hatte. Die eben noch normal aussehende Treppe wurde zu einer seifenglatten Rutschbahn. Wie in einem Streifen aus den Tagen des Stummfilms klappten die Stufen einfach weg und gaben den Füßen keinen Halt mehr. Die beiden Profikiller stießen Kiekser aus und segelten durch eine schmale Öffnung in einen Keller. Sie landeten übrigens recht weich auf einer Schaumstoffmatte. Sie erhoben sich, starrten irritiert in die Gegend und wußten nicht, was sie von dieser Rutschpartie halten sollten. In ihrer ganzen Laufbahn als Gangster war ihnen so etwas noch nie passiert, fühlten sie sich noch nie so auf den Arm genommen. »Was . .Was soll das, Dany?« fragte der Naturfreund.
»Da is' 'ne Tür, Ben«, erwiderte der andere Killer. »Mal sehen, was dahinter ist?« »Wieder so'n Blödsinn«, fand Ben und schüttelte den Kopf. »Bleiben wir hier.« »Ich seh' mal nach.« Dany ging zur Tür und stieß sie mit dem linken Fuß vollends auf. Er blickte in einen schmalen Korridor, der sauber und unschuldig aussah. An seinem Ende befand sich eine zweite, allerdings geschlossene, Tür. »Das ist 'ne Falle«, warnte Ben, der jetzt neben Dany auftauchte. »Wahrscheinlich klappte da der Boden wie 'ne Falltür nach unten weg.« »Reden Sie gefälligst keinen Unsinn«, hörten sie in diesem Moment die energische und dunkel gefärbte Stimme einer Frau. Die hintere Tür öffnete sich, und Agatha Simpson war zu erkennen. »Ich habe keine Lust, mit Ihnen Geisterbahn zu spielen. Worauf warten Sie noch?« Dany und Ben marschierten los. Ben, der Mann in den Knickerbockern, hatte die Führung durch den schmalen Korridor übernommen. Seine Neugier war geweckt worden. Er blieb allerdings für einen Moment stehen, als er hinter der Lady den Butler ausmachte. »Mylady möchte Ihnen einige Fragen stehen«, sagte Parker, als die beiden Profikiller in einem mittelgroßen Raum standen. »Sie wissen, es geht darum, für wen Sie arbeiten.« »Strengen Sie sich erst gar nicht an, Lady«, sagte Ben abfällig. »Wir reden nicht.«
»Geschäftsprinzip, sonst hätten wir schon längst einpacken können«, fügte Dany hinzu. »Sehen Sie sich die Kiste dort an!« Agatha Simpson ging auf die Bemerkungen der beiden Killer nicht ein und deutete mit ihrer rechten Hand auf einen länglichen Kasten, der auf einem Gesteh an der Wand stand. Er war grau lackiert und besaß auf der Oberseite einen etwa zwanzig Zentimeter langen Schlitz, durch den man seine Hände stecken konnte. Der Schlitz wurde von einer entsprechend großen Hartgummiplatte verschlossen. Lady Simpson ließ ihren perlenbestickten Pompadour auf die Platte aus Hartgummi fallen worauf diese sich nach unten wegdrückte. »Ich habe eine kleine Überraschung vorbereitet«, sagte die ältere Dame freundlich, während sie den Pompadour wieder hob. Die Gummiplatte pendelte zurück in ihre alte Stellung und schloß die längliche Öffnung. »Überraschung?« fragte Killer Dany. »Was. .Was ist in der Kiste?« fragte Killer Ben. »Das ist eben die Überraschung«, erwiderte die Detektivin. »Vielleicht ist die Kiste leer, vielleicht aber auch nicht. Es handelt sich um ein kleines Experiment - und auch um eine Mutprobe.« »Wieso Mutprobe?« fragte Dany. »Was müssen wir tun?« fügte Ben hinzu. »Sie werden nacheinander die Hände in die Kiste schieben«, antwortete Lady Simpson. »Auf dem Boden der Kiste befindet sich ein Klingelknopf. Sobald Sie ihn gedrückt haben, ertönt ein Zeichen.«
»Und dann?« fragte der Killer namens Dany. »Können Sie gehen, falls Sie's noch können«, lautete die Antwort der Lady. »Was ist in der Kiste?« fragte Ben nervös. »Wollen Sie sich um jede Überraschung bringen?« Agatha Simpson lächelte den Profikiller freundlich an. »Ich bin nicht scharf auf Überraschungen«, meinte Ben gereizt. »Wir können gehen, sobald wir geklingelt haben?« wiederholte Dany hingegen noch mal. »Mein Wort als Dame darauf!« Lady Simpson nickte. »Ich sagte Ihnen ja schon, es handelt sich um eine Mutprobe.« »Und wenn wir nicht klingeln?« Dany hüstelte nervös. »Dann wartet die nächste Überraschung auf Sie«, flötete Lady Agatha mit bestrickender Freundlichkeit. »So, Mr. Parker, wir werden diesen Mann dort mit vor die Tür nehmen.« Sie hatte auf Dany gedeutet, der die Nerven verlor und sich wie rasend auf Agatha Simpson stürzte, was ihm jedoch nicht bekam. Die Lady drückte ihm den Pompadour auf die Nase, die sich daraufhin verformte. Dany taumelte und konnte anschließend von Butler Parker vor die Tür gebracht werden. Dort ließ der Profikiller sich greinend auf dem Boden nieder. »Wird er in die Kiste greifen, Mr. Parker? Was glauben Sie?« Lady Agatha wandte sich an Parker. »Ich wage nicht, Mylady, diese Frage zu beantworten«, gab Josuah Parker zurück. »Wird er in die Kiste greifen?« Sie sah den Profikiller an, der vorsichtig
an seiner leicht geschwollenen Nase fingerte. »Ich werd' niemals 'reingreifen«, sagte Dany. »Weiß der Satan, was drin ist!« »Nichts«, antwortete Lady Simpson, »aber das weiß Ihr Partner natürlich nicht. Soll ich Ihnen sagen, was er in der Kiste vermutet?« »Sch ... Schlangen!?« »Richtig«, bestätigte Lady Simpson. »Daran denkt man eigenartigerweise immer zuerst.« * Kathy Porter, Gesellschafterin und Sekretärin der Lady Agatha Simpson, war etwa fünfundzwanzig Jahre alt, wie jeder Mann geschätzt hätte. Sie bot einen durchaus erfreulichen Anblick und hatte kastanienbraunes Haar mit einem leichten Rotschimmer. Die junge Dame erinnerte auf den ersten und zweiten Blick an ein scheues Reh, aber sie konnte sich innerhalb von Sekunden in eine wilde Pantherkatze verwandeln, wenn die Lage es erforderte. Sie war in fast allen Künsten ostasiatischer Selbstverteidigung mehr als nur gut bewandert und darüber hinaus eine wahre Künstlerin, ihr Äußeres zu verwandeln. Fast ohne Hilfsmittel konnte sie in die Haut eines anderen Menschen schlüpfen und Verwirrung anrichten. Für Agatha Simpson war sie schon längst keine Angestellte mehr. Die ältere Dame bemutterte sie und hatte sie nach der Rückkehr Mike Randers aus den Staaten ihm als eine Art Sekretärin zugeteilt. Der junge Anwalt war mit der Verwaltung von Myladys
Vermögen beauftragt worden, wobei Kathy Porter behilflich sein sollte. Von Parker hatte Kathy Porter viel über Mike Rander gehört. Sie war nicht enttäuscht worden, als er nach London zurückkehrte. Sie schätzte seine Zurückhaltung und seine trockene Art. Kathy saß am Steuer ihres MiniCooper und fuhr zusammen mit Mike Rander in den Stadtteil Pimlico, wo, wie sie herausgefunden hatte, Gary Radlett lebte. »Seine Mutter hat dort eine kleine Galerie eingerichtet«, berichtete Kathy Porter während der kurzen Fahrt in Richtung Themse. »Gary Radlett lebt bei ihr.« »Und was treibt er so?« wollte Mike Rander wissen. »Er leitet die Galerie, wie ich hörte«, lautete ihre Antwort. »Ich hatte leider nicht genug Zeit, mich dort schon mal umzusehen, Mr. Rander.« »Hauptsache, daß Sie die Radletts überhaupt gefunden haben.« »Das war relativ leicht«, meinte sie lächelnd. »Eigentlich war's sogar kinderleicht. Ich habe im Telefonbuch nachgesehen, aber als ich in der Hugh Street war, hatte die Galerie leider schon geschlossen.« »Lassen wir uns überraschen, Miß Porter. Laut Lady Simpson ist Gary auf einen Rohstuhl gar nicht angewiesen. Sie vermutet, daß er der eigentliche schwarze Ritter und Drahtzieher ist.« »Auf Chiltern Castle muß es bisher turbulent zugegangen sein, wie?« »Wir konnten uns nicht beklagen.« Rander nickte. »Aber die eigentliche Hauptvorstellung werden Sie noch
mitbekommen, Miß Porter, nämlich das große Jahresturnier.« Sie hatten die Hugh Street bereits erreicht, ließen den kleinen Mini-Cooper weit vor der Galerie am Straßenrand stehen und legten den Rest des Weges zu Fuß zurück. »Dort drüben ist es«, sagte sie und deutete auf ein Haus, dessen Front schwarz lackiert war. Es glänzte im Schein der Laternen und sah sehr abweisend und vornehm aus. Schaufenster gab es in diesem Haus nicht. Nur ein Bronzeschild neben dem Eingang wies auf die Galerie hin. »Scheint niemand zu Hause zu sein«, sagte Rander. »Kein Licht zu sehen!« »Eigenartig, nicht wahr?« »Finde ich auch, Miß Porter. Ein Mann, der an den Rohstuhl gefesselt ist, müßte um diese Zeit in seinen vier Wänden sein. Sehen wir uns doch mal die Rückseite des Hauses an.« Das war leichter gesagt als getan. Die Häuser standen hier dicht nebeneinander eine Toreinfahrt war weit und breit nicht zu sehen. »Und wenn wir einfach klingeln, Mr. Rander?« »Jetzt, fast um Mitternacht?« Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht recht, irgendwie widerstrebt mir das. Aber, Moment mal.. .Sehen Sie doch!« Kathy Porter sah es natürlich auch. Auf der Außentreppe, die ins Souterrain des Hauses führte, erschienen zwei Männer. Sie erreichten die Fahrbahn und gingen zu einem am Straßenrand parkenden Wagen. »Ziemlich ungewöhnliche Art, das Haus zu verlassen, finden Sie nicht auch, Miß Porter?« »Wahrscheinlich kommt man auch so ins Haus hinein, Mr. Rander.«
»Sollte man mal versuchen.« Er nickte. »Bleiben Sie besser zurück, Miß Porter!« »Auf keinen Fall!« Sie schüttelte den Kopf. »Lady Simpson hat mir aufgetragen, ein wenig auf Sie zu achten, weil Sie sich ja noch nicht eingelebt haben.« »Ich habe noch nicht mal eine Waffe bei mir.« »Ich selbstverständlich auch nicht, Mr. Rander, wenn man von ein paar Dingen absieht, ohne die ich laut Mr. Parker nie ausgehen darf.« »Sie mögen ihn, nicht wahr?« Er lächelte. »Ich .. .verehre ihn, Mr. Rander! Die beiden Männer sind übrigens gerade weggefahren.« »Schon mitbekommen, so sehr bin ich noch nicht aus der Übung, Miß Porter.« Sie überquerten die Straße, schritten über die Treppe zum Souterrain des Hauses und blieben vor einer ebenfalls schwarzlackierten Tür stehen. Mike Rander legte sein Ohr gegen die Türfüllung, konnte jedoch nichts hören. Dann entschloß er sich, den Klingelknopf zu drücken. Es dauerte eine Wehe, bis man ein schwaches Geräusch hörte. Ein kleines Viereck in der Tür öffnete sich, das Gesicht eines Mannes war zu sehen. »Hallo«, meinte Rander und schien plötzlich einen Schwips zu haben,« auf die Tür, mein Bester, die Nacht fängt gerade erst an.« Er wirkte überzeugend, ein wenig versnobt, sehr selbstsicher und auch eine Spur herablassend. Kathy Porter hatte Mike Rander so noch nie erlebt. Sie staunte, wie blitzschnell er einen völlig anderen Ton anschlagen konnte.
»Sofort, Sir!« Die Tür öffnete sich, und Mike Rander trat mit seiner Begleiterin in einen sparsam erleuchteten Vorflur. Auch hier war nichts zu hören. Kathy Porter schien plötzlich ebenfalls einen Schwips zu haben und fiel gegen den Mann, der die Haupttür sorgfältig wieder schloß. Sie spürte sofort, daß er eine Schulterhalfter mit Inhalt trug, doch sie hatte keine Möglichkeit, an die Waffe heranzukommen. Kathy drückte sich von ihm ab und machte sich bereit, ihn blitzschnell außer Gefecht zu setzen, falls er die Waffe zog. »Wir sind Ihnen empfohlen worden?« fragte der Türsteher, sich an Mike Rander wendend. »Zum Teufel, ja«, gab der Anwalt zurück. »Wie sonst hätte ich hierher gefunden!« »Darf ich das Losungswort hören, Sir?« »Natürlich«, gab Mike Rander zurück. »Was ist mit Ihnen, Mann? Ist Ihnen schlecht?« Der Türsteher taumelte, griff sich an die Stirn und verdrehte die Augen, wie selbst bei dieser recht schwachen Beleuchtung deutlich zu sehen war. »Er muß sich an meinem Ring verletzt haben«, sagte Kathy Porter. »Nein, Mr. Rander, Sie brauchen nichts zu tun, er wird es nicht schaffen. Ich kenne das!« Der Türsteher wollte tatsächlich nach seiner Waffe greifen, doch die Bewegungen waren unkoordiniert. Er seufzte, schielte Mike Rander dann ausgiebig an und ... rutschte an der Wand entlang zu Boden. »Er hat sich an Ihrem Ring verletzt?« fragte Rander.
»Ein sogenannter Borgia-Ring«, erwiderte sie. »Er stammt aus Mr. Parkers Labor.« »Verstanden! Der Dorn war präpariert, wie?« Rander lächelte. »Dieser Ring löst viele Probleme, bevor sie zu echten Problemen werden«, sagte sie. »In etwa zwanzig Minuten ist der Mann wieder in Ordnung. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.« »Und warum haben Sie ihn außer Gefecht gesetzt?« »Weil er eine Waffe trägt und ich damit rechnete, daß er nach einem Losungswort fragen würde, Mr. Rander. Sie wissen doch, Butler Parker ist ein sehr guter Lehrmeister!« Mike Rander öffnete die nächste Tür und .. .sah sich einem Mann gegenüber, der in einem Rollstuhl saß und sie neutral anlächelte. Hinter ihm hatten sich zwei Männer aufgebaut, die Rander eben noch gesehen hatte. Es waren genau die beiden Herren, die gerade erst das Haus verlassen hatten! * »Ihr Partner Ben scheint sich viel Zeit zu lassen«, stellte Lady Simpson nach einigen Minuten fest. »Es wird ihm doch nichts passiert sein?« »Sie meinen ... Sie sagten doch ... Die Kiste soll doch leer sein«, erwiderte der Profikiller namens Dany. »Myladys Gast leidet vielleicht unter einer gewissen Entschlußlosigkeit«, warf Josuah Parker gemessen ein. »Wollen Sie nachsehen?« Mylady hatte sich an den Killer gewandt und deutete auf die Tür.
»Nee, ich werde mich hüten.« Dany winkte ab. »Ich trau' dem Braten nicht.« »Wenn Sie erlauben, Mylady, möchte ich einen Blick in den Raum tun«, ließ Josuah Parker sich vernehmen. »Seien Sie vorsichtig!« Die Detektivin rückte deutlich zur Seite, und der Profikiller tat es ihr unwillkürlich nach. Parker wartete, bis die Tür frei war, dann öffnete er sie spaltbreit und nahm den Universal-Regenschirm in die rechte Hand. Mit der Spitze dieses Schirms fuhr er nach unten zum Boden, als rüste er sich, etwas blitzschnell in den Raum zu befördern. Langsam drückte er die Tür soweit auf, bis er einen Blick in den Raum werfen konnte. Dann schloß er hastig die Tür und wandte sich zu Lady Agatha um. »Nun?« fragte sie gespannt. »Ein überraschender und erstaunlicher Mut«, meldete er. »Er. .Er hat 'reingegriffen?« fragte der Profikiller Dany fast ungläubig. »In der Tat!« Parker nickte andeutungsweise. »Für uns alle schlägt irgendwann mal die Stunde, wenn ich das jetzt und hier feststehen darf.« »Er ist...« Dany schluckte und wich noch weiter zurück. »Er schläft«, sagte Butler Parker mild. »Schläft? Soll das heißen...!?« Der Killer schluckte noch nachdrücklicher. »Er schläft«, wiederholte Parker. »Ich darf beruhigend vermerken, daß Ihr Partner einen friedlichen Eindruck macht, aber Sie werden sich ja gleich selbst davon überzeugen können.«
»Keine Macht der Erde bringt mich in den Raum und an die Kiste!« »Sie haben immerhin die Möglichkeit, frei zu kommen«, erinnerte der Butler höflich. »Darauf pfeife ich! Von mir aus können Sie mich für den Rest meiner Tage hier festhalten. Da geh' ich niemals 'rein!« »Sie fürchten sich, junger Mann!?« Lady Agatha musterte den Killer streng. »Da sind Schlangen drin«, stöhnte Dany und wich noch weiter zurück. »Ich weiß es jetzt ganz genau! Da sind Schlangen drin! Sie wollen mich umbringen!« »War das nicht auch Ihre Absicht, wenn ich höflichst erinnern darf?« Parker sah den Killer abwartend an. »Aber .. .Aber doch nicht so, Ben und ich arbeiten sauber, verstehen Sie?« »Auf Wunsch und gegen Honorar«, stellte Parker klar. »Sie haben immerhin den Auftrag übernommen, Lady Simpson umzubringen. Von meiner bescheidenen Wenigkeit mal ganz zu schweigen.« »Mit Ihnen hatte das doch überhaupt nichts zu tun«, sagte der Killer hastig. »Sondern?« Agatha Simpson deutete auf die Tür. »Wem galt Ihr Auftrag?« »Peter Battleford«, sagte der Killer noch hastiger. »Jack Rayl und Steve Durham.« »Und wer bezahlt Sie dafür?« »Das .. .Das wußte nur Ben«, redete der Killer sich schnell heraus. »Er hat immer die geschäftlichen Dinge geregelt.« »Und wer fesselte den Gärtner, nachdem man ihn mit einem
Armbrustbolzen niedergeschossen hatte?« »Der. .Der junge Lord«, lautete die überraschende Antwort. »Mein Ehrenwort, Lady, der junge Lord ist das gewesen! Ben und ich haben's genau gesehen. Er hat ihn einfach abgeschossen und dann in so 'ne Art Scheune geschleppt ...« * »Sie sind Gary Radlett, nicht wahr?« fragte Mike Rander, ohne sich seine Überraschung anmerken zu lassen. »Gary Radlett.« Der Mann im Rollstuhl nickte. »Und Sie sind Mike Rander, wie?« »Richtig. Miß Symond scheint Sie umgehend benachrichtigt zu haben.« »Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, sagte Gary Radlett und deutete dann auf Kathy Porter. »Und wer ist das?« »Miß Porter, Lady Simpsons Sekretärin.« »Und wer sind die beiden Männer hinter Ihnen?« wollte nun wieder der Anwalt wissen. »Mitarbeiter«, lautete die lakonische Antwort. »Ich glaube, wir unterhalten uns in meinem Büro, ja? Wir wollen doch die übrigen Gäste nicht stören.« »Sie haben Gäste?« »Ein paar Freunde und bekannte. Wir spielen hier etwas Roulett und Poker. Man ist ganz unter sich.« »Sie haben eine Art Nachtclub ohne Lizenz aufgezogen?« »Warum auch nicht?« Gary Radlett lächelte. »Irgendwie muß der Mensch ja leben.« »Und das alles unter dem Deckmantel der Galerie?«
»Warum soll ich's abstreiten, Rander? Kommen Sie! Ich denke, wir haben eine Menge zu bereden.« Kathy Porter hatte den Mann im Rohstuhl genau gemustert. Gary Radlett mochte dreißig Jahre alt sein und sah ein wenig dicklich aus. Sein Gesicht war leicht gedunsen, die Augen darin hart, der Mund überraschend schmal. »Sie haben meinen Türsteher hoffentlich nicht umgebracht«, meinte er, als er seinen Rohstuhl in Bewegung setzte. »Er wird in fünfzehn Minuten wieder kräftig auf den Beinen stehen«, versicherte Mike Rander, übersah die beiden Männer und blieb dicht neben Radlett, während einer der beiden Begleiter eine Seitentür öffnete. Wenig später befand man sich in einem üppig ausgestatteten Büro. »Nehmen Sie Platz!« Gary Radlett deutete auf eine Sitzgruppe. »Ich nehme an, Sie kommen wegen einiger Auskünfte.« »Einzelheiten sollten wir uns ersparen«, schlug der Anwalt vor. »Die Vorgeschichte, die sich draußen bei Chiltern Castle abgespielt hat, ist uns ja allen bekannt.« »Und jetzt möchten Sie wissen, ob ich mich wirklich nur in einem Rollstuhl fortbewegen kann, wie?« »Anders gefragt, könnten Sie draußen in den Chiltern Hills als schwarzer Ritter aufgetreten sein oder nicht.« »In meinem Zustand!?« Radlett deutete auf seine Beine. »Lady Simpson geht davon aus, daß Sie sich sehr wohl ohne Rollstuhl bewegen können, Mr. Radlett. Sie hält Sie auch für den wirklichen schwarzen Ritter! Und sie glaubt ferner, daß Sie
zwei Profikiller nach Chiltern Castle geschickt haben...« »Aber Beweise dafür hat die Lady natürlich nicht.« »Es handelt sich um eine Theorie.« Rander lächelte desinteressiert. »Danach wollen Sie Rache an Peter Battleford nehmen.« »Ich glaube, ich hätte allen Grund dazu, Rander, finden Sie nicht auch? Sie haben doch sicher die Geschichte von meinem Unfall gehört, oder?« »Für die wohl Jack Rayl und der Gärtner Durham verantwortlich zeichnen.« Rander nickte. »Ich könnte es nie beweisen«, entgegnete Gary Radlett. »Aber ich nehme an, daß sie von Peter Battleford angestiftet worden sind.« »Der Gärtner Durham hegt schwer verletzt in einer Klinik in Luton. Er ist von einem Armbrustbolzen erwischt worden und wäre um ein Haar in einer Feldscheune verbrannt. Scheußliche Geschichte.« »Sie tut mir überhaupt nicht leid!« Gary Radlett deutet wieder auf seine Beine. »So ähnlich dürfte auch Mr. Symond denken, Sie wissen, der Besitzer des Gestüts. Von Miß Maud ganz zu schweigen ... Sie haßt Peter Battleford, aber das wissen Sie ja.« »Peter Battleford ist kein erfreulicher Typ«, antwortete Gary Radlett versonnen. »Wissen Sie, daß er seinem Vater damals die Höhe heiß gemacht hat, sich von meiner Mutter zu trennen? Er hat da sogar ein paar miese Geschichten und Lügen über sie verbreitet. Dieser Peter Battleford schreckt vor nichts zurück.« »Sie sind da zurückhaltender, Radlett?«
»Sie spielen auf zwei Killer an, von denen Sie eben gesprochen haben? Selbst wenn ich sie engagiert haben sollte, würden sie niemals reden.« »Sie sind zur Zeit Gast der Lady Simpson und Butler Parkers.« »Ach nee!?« Gary Radlett war ehrlich überrascht. »Wie ist denn das passiert?« »Es ergab sich so.« Rander lächelte. »Sie waren also nicht draußen in den Chiltern Hills?« »In einem Rollstuhl, etwa?« Gary Radlett lächelte abweisend. »Ihre Lady Simpson irrt sich gewaltig: Ich muß einen Rollstuhl benutzen. Wie Miß Symonds Vater. Aber damit muß man sich eben abfinden.« »Wer mag dann auf Steward Rayl einen Armbrustbolzen abgeschossen haben?« fragte der Anwalt kopfschüttelnd. »Zu diesem Zeitpunkt wurden die beiden Killer bereits von Lady Simpson und Butler Parker betreut, zu diesem Zeitpunkt unterhielt ich mich mit Maud Symond und ihrem Vater. Sie werden begreifen, Radlett, daß wir zwangsläufig an Sie denken mußten. Aber Sie können den Rollstuhl ja nicht verlassen.« »Das wird Ihnen jeder Arzt bestätigen, Rander. Leider, leider!« »Und Ihre beiden Mitarbeiter dort?« »Haben natürlich für diese Zeit ein hieb- und stichfestes Alibi, Rander, was dachten denn Sie?« »Natürlich, wie konnte ich das nur übersehen, Radlett.« Spott lag in der Stimme des Anwalts. »Sie haben sich nach allen Seiten hin völlig abgesichert.« »Aber Sie haben dabei übersehen, daß Lady Simpson eine energische Dame ist«, schaltete Kathy Porter sich
ein. »Die beiden Killer werden reden, Mr. Radlett! Sie können sich fest darauf verlassen!« »Sie möchten jetzt wohl, daß ich Sie hier festhalte, um Sie dann gegen die Killer auszutauschen, wie?« Radlett schüttelte den Kopf.« Warum sollte ich? Ich habe keine Lust, auf Ihr Spiel einzugehen. Sie können meinen kleinen Club hier jederzeit ungeschoren verlassen. Was scheren mich zwei Killer, mit denen ich überhaupt nichts zu tun habe?« * »Das war ein sogenannter Schuß in den Ofen«, stellte Agatha Simpson verärgert fest. »Sehen Sie mich nicht so an! So sagt man doch, nicht wahr?« Man befand sich im Salon des altehrwürdigen Hauses in Shepherd's Market und besprach die allgemeine Lage. »Recht hübsch ausgedrückt, Mylady«, fand Mike Rander und lachte.« An Gary Radlett kommen wir nicht heran. Bevor wir gingen, wies er noch darauf hin, daß auch sein Alibi unangreifbar ist.« »Braucht er nun einen Rollstuhl oder nicht?« wollte die Detektivin wissen. »Er hat uns förmlich aufgefordert, bei seinen Ärzten Erkundigungen einzuziehen«, warf Kathy Porter ein. »Ich glaube, Mylady, daß er sich ohne diesen Rollstuhl nicht fortbewegen kann.« »Aber Maud Symond hat ihn doch eindeutig vorgewarnt, nicht wahr?« »Mit Sicherheit, Mylady.« Mike Rander nickte. »Aber auch das läßt sich natürlich nicht beweisen.«
»Das gefällt mir alles nicht.« Die Sechzigerin grollte. »Wie kann man diese Nuß knacken? Mr. Parker, Sie halten sich wieder mal bemerkenswert zurück. Hoffentlich ist Ihnen inzwischen etwas eingefallen.« »Mylady dürfen versichert sein, daß meine bescheidene Wenigkeit nach Lösungen sucht.« »Laut diesem Killer Dany hat der junge Lord auf den Gärtner geschossen«, faßte Agatha Simpson die bisher bekannten Ergebnisse zusammen. »Warum sollte er das getan haben?« »Dafür hätte ich eine Erklärung anzubieten, Mylady«, ließ Josuah Parker sich vernehmen. »Dann bieten Sie an, Mr. Parker!« Sie musterte ihn ungeduldig. »Meiner bescheidenen Ansicht nach wollte der Gärtner Durham in Anbetracht der akuten Ereignisse das tun, was man gemeinhin aussteigen zu nennen pflegt.« »Das könnte schon sein.« Mike Rander nickte nachdenklich. »Peter Battleford fürchtete, Durham könne sich an die Polizei wenden, also schoß er ihn nieder und wollte dann später sogar noch die Scheune anzünden.« »Gut, akzeptiert.« Die ältere Dame sah sich in der Runde um. »Genau das wollte ich auch gerade sagen. Und wer schoß auf den Verwalter Rayl? Oder vielleicht sogar auf mich? Können Sie mir auch dafür eine Erklärung anbieten, Mr. Parker?« »Darf ich mir gestatten, erneut auf Peter Battleford hinzuweisen, Mylady?« »Peter Battleford?« Agatha Simpson sah Parker entgeistert an. »Warum sollte er das getan haben?«
»Er könnte davon ausgehen, daß Mr. Rayl die näheren Zusammenhänge kennt, die sich auf zwei fast gleichartige Unfälle beziehen und deren beide Opfer je in einem Rollstuhl sitzen.« »Sehr gut, Sie haben mir wieder mal das Wort von der Zunge genommen, Mr. Parker.« Die Hausherrin nickte ihrem Butler wohlwollend zu. »So langsam lernen Sie logisch denken.« »Vielen Dank, Mylady!« Parkers Gesicht blieb ausdruckslos. »Natürlich hat Peter Battleford auch in diesem Fall geschossen«, wiederholte Lady Simpson noch mal nachdrücklich. »Das liegt ja auf der Hand! Er hat Steward Rayl warnen wollen. Vielleicht hatte er sogar vor, ihn zu töten. Oder etwa auch mich?« »Es dürfte erwiesen sein, daß Peter Battleford, Jack Rayl und Steve Durham durch das maskierte Auftauchen einiger schwarzer Ritter verdammt nervös geworden sind«, warf Mike Rander ein. »Hinzu kommen dann noch diverse Bolzenschüsse. Wie wäre es, wenn wir uns mal mit diesem Jack Rayl unterhalten würden?« »Sehr gut, Mike, Sie haben meine geheimsten Gedanken erraten«, behauptete Agatha Simpson. »Wir werden zurück nach Chiltern Castle fahren.« »Was soll mit den beiden Gästen geschehen, Mylady?« erkundigte sich Josuah Parker. »Schon im Interesse ihrer Gesundheit sollten Sie hier im Haus bleiben«, erwiderte die ältere Dame. »Wie leicht könnten sie sonst von ihrem Auftraggeber aus dem Weg geräumt werden.«
»Ein Akt der Menschlichkeit«, pflichtete Parker seiner Herrin bei. »Und wenn man sie mit nach Chiltern Castle nimmt, Mylady?« ließ Kathy Porter sich vernehmen. »Gary Radlett scheint keine Angst zu haben, daß sie ihm etwas am Zeug flicken können. Vielleicht hat er sie tatsächlich nicht gekauft. Dann aber muß ihr Auftraggeber sich im Schloß oder im Symond-Gestüt befinden.« »Sehr hübsch, Kindchen.« Agatha Simpson lächelte anerkennend. »Wir Frauen finden wieder mal die beste Lösung. So werden wir es machen. Die beiden Killer dürfen sich noch mal ein wenig an der frischen Luft tummeln.« »Wie haben sie das Verhör eigentlich überstanden?« erkundigte sich Mike Rander. »Ausgezeichnet, Sir«, sagte Josuah Parker. »Sie glaubten tatsächlich, im Kasten würden sich Reptilien befinden. Unter diesem Eindruck und auch mit ein wenig Psychologie kam es zu der Aussage, der junge Lord habe den Gärtner Durham niedergeschossen.« »Wir wüßten längst mehr«, grollte die ältere Dame. »Aber nein, Mr. Parker hatte etwas dagegen, daß ich schärfer nachfragte. Unnötige Rücksicht, finde ich. Subjekte dieser Art kann man nicht hart genug anfassen! Und ich werde es nachholen, wenn unsere Fahrt nach Chiltern Castle uns nicht weiter bringt!« *
Das hochbeinige Monstrum erschien am anderen Tag nach Mittag wieder auf Chiltern Castle. Hier hatte sich inzwischen viel getan. Die normalen Parkplätze waren bereits besetzt, und selbst auf einigen Wiesen hinter dem Schloß standen die Wagen der Besucher in dichter Folge. Das Jahresturnier des Lord Battleford hatte viele Gäste angezogen, die sich ein mittelalterliches, stilechtes Lanzenstechen auf keinen Fall entgehen lassen wollten. »Ich freue mich, daß Sie schon wieder zurückgekommen sind, Lady Simpson«, sagte Lord William, der sich um seinen Gast kümmerte. »Ihre Zimmer stehen Ihnen selbstverständlich wieder zur Verfügung. Gott sei Dank, das Schloß ist groß genug.« »Halb England scheint sich hier ein Stelldichein zu geben«, erwiderte Agatha Simpson anerkennend. »Das Turnier wächst sich immer mehr zu einem einmaligen gesellschaftlichen Ereignis aus«, entgegnete Lord William stolz. »Drüben auf dem Turnierplatz wird bereits geübt. Sie können sich das Training gern ansehen.« »Ich werde mich erst etwas erfrischen«, sagte sie. »Ist Ihr Sohn Peter auch schon auf dem Turnierplatz?« »Natürlich, Mylady. Sie wissen doch, daß er morgen Schwerstarbeit zu leisten hat.« »Der schwarze Ritter ist nicht wieder erschienen?« warf Mike Rander ein. »Ich denke, daß der Spuk vorbei ist«, meinte Lord William. »Mylady, bitte, entschuldigen Sie mich, die Gäste!« Er verbeugte sich und ging einigen Herrschaften entgegen, die gerade mit
einem Rolls Royce gekommen waren. Steward Rayl erschien und sah die ältere Dame konzentriert und ernst an. »Darf ich Sie in Ihr Zimmer führen?« fragte er und sah dann kurz auf Kathy Porter. »Ihre Begleiterin, Mylady?« »Sie wird in meinem Zimmer schlafen«, meinte die ältere Dame, »das wird sich doch hoffentlich einrichten lassen, wie?« »Aber selbstverständlich, Mylady.« »Wie geht es Ihrem Sohn Jack, Rayl?« »Ah, sehr gut, Mylady.« Steward Rayls Gesicht zuckte ein wenig. »Und wie geht es dem Gärtner Durham?« bohrte die Detektivin ungerührt weiter. »Sein Zustand ist unverändert, Mylady, ich habe erst vor einer halben Stunde noch mit der Klinik telefoniert.« »Im Vertrauen, Rayl, rechnen Sie mit dem Auftauchen des schwarzen Ritters?« »Ich hoffe, Mylady, daß es dazu nicht kommen wird. Diesmal werden wir die Turnierteilnehmer besonders sorgfältig kontrollieren und alle Zufahrtswege zum Platz sperren lassen.« »Ein weiser Entschluß, Rayl. Und was werden Sie im Hinblick auf Armbrustbolzen unternehmen?« »Lord Battleford hat auf meinen Vorschlag hin einige Privatdetektive engagiert, die aufpassen werden, Mylady.« »Hoffentlich passen die auch auf einen gewissen Gary Radlett in London auf, Rayl. Auch daran gedacht?« »Auch daran, Mylady«, räumte Steward Rayl ein. »Ich glaube, daß das menschenmögliche getan wurde, um Zwischenfälle zu verhindern.«
»Nun, Sie werden ja wissen, wen Sie im Auge behalten müssen, Rayl«, schloß Agatha Simpson und sah den Verwalter von Chiltern Castle spöttisch an. »Ach, da wäre noch etwas. Ist mal wieder auf Sie geschossen worden?« »Nein, Mylady«, antwortete Rayl. »Ich glaube wirklich, daß so etwas nicht mehr geschieht.« »Sie haben immer noch keine Ahnung, wer das gewesen sein könnte? Miß Symond scheidet ja aus. Sie war nachweislich nicht in der Nähe von Chiltern Castle. Auch zwei dubiose Männer kommen dafür nicht in Betracht, sie konnten zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr schießen. Sie sind immer noch ahnungslos?« »Gewiß, Mylady.« Steward Rayl hüstelte. »Nun, ich wünsche Ihnen Gesundheit«, meinte die Detektivin. »Ihnen und auch Ihrem Sohn Jack. Wo finde ich ihn übrigens?« »Auf dem Turnierplatz, Mylady. Er leitet das Training.« »Und betreut den jungen Lord, nicht wahr?« »So ist es, Mylady.« »Dann ist ja alles in bester Ordnung, Rayl.« Sie lächelte geheimnisvoll. »Warten wir also alle auf den schwarzen Ritter. Ich glaube nämlich, daß er trotz aller Vorsichtsmaßnahmen noch erscheinen wird.« * Es war schon ein bemerkenswertes Bild. Auf dem Turnierplatz tummelten sich Ritter in den verschiedensten Rüstungen. Sie saßen zu Pferd und
machten sich mit den Eigenarten ihrer Tiere vertraut. Sie trabten oder galoppierten entlang der Barriere, balancierten die langen Lanzen und probten die Schilde aus. Zu Zweikämpfen kam es allerdings noch nicht, die sollten erst am kommenden Morgen stattfinden. Aber gefährlich sah dieses mittelalterliche Schauspiel bereits jetzt aus. Die meisten jungen Ritter hatten echte Schwierigkeiten, sich in den Sätteln zu halten. Mike Rander und Kathy Porter schlenderten auf Peter Battleford zu, der sich mit einigen Rittern unterhielt. Der junge Lord trug einen Brustpanzer und hielt ein Schwert in der Hand. Er führte das große Wort und schien sich in seinem Element zu fühlen. Er zeigte gerade, wie man ein solches Schwert einsetzt. Als er Mike Rander und seine Begleiterin entdeckte, löste er sich sofort aus der Gruppe und kam auf sie zu. Er musterte Kathy Porter unverhohlen, was übrigens mehr als verständlich war. Sie trug einen Hosenanzug, in dem sie wie ein Knappe aussah. »Ich dachte, Sie wollten erst morgen zurückkommen?« wunderte er sich. »Bitte, Mike, wollen Sie mich nicht vorstellen?« »Miß Porter, das ist Peter Battleford«, sagte der Anwalt. »Miß Porter ist die Gesellschafterin Lady Simpsons.« »Wenn Sie morgen zusehen, werde ich mir besondere Mühe geben«, versprach er sofort. »Kann da nichts passieren?« erkundigte sie sich.
»Aber nein.« Er schüttelte den Kopf. »Die Schwerter sind stumpf, die Lanzen haben gewisse Bruchstehen, die automatisch auf einen bestimmten Druck ansprechen und wegknicken.« »Dennoch!« Sie schüttelte sich. »Und die Pferde?« »Tragen gepolsterte Schabracken, Miß Porter. Es kann eigentlich nichts passieren.« »Falls nicht gerade Armbrustbolzen durch die Gegend schwirren, Peter.« Mike Rander lächelte. »Malen Sie bloß nicht den Teufel an die Wand! Sagen Sie, hätten Sie nicht Lust, mit mir einen Gang zu gehen?« »Einen was, bitte?« »Einen Gang, Mike. So mit einem Schwert?« »Sie wissen doch, daß ich ein völlig unsportlicher Mensch bin.« »Nur versuchsweise, Mike. He, Jack, kommen Sie doch mal her!« Jack Rayl, der Sohn des Verwalters, trat näher und nickte Kathy Porter und Mike Rander knapp zu. »Eine Rüstung für Mr. Rander«, befahl der junge Lord. »Wir werden einen Gang machen« »Wenn Sie mir bitte dort hinüber ins Zelt folgen wollen?« Jack Rayl deutete auf ein viereckiges, altertümlich wirkendes Spitzzelt. »Ich hasse unnötige Anstrengungen«, sagte der Anwalt. »Bitte, Sir, ich möchte so etwas mal sehen«, bat Kathy Porter. »Also schön, aber ich werde wahrscheinlich mächtig verprügelt werden.« Mike Rander folgte dem Sohn des Verwalters, während Peter Battleford sich intensiv um Kathy Porter bemühte.
Es dauerte etwa zehn Minuten, bis Mike Rander wieder erschien. Er trug einen Brustpanzer und einen Helm, dessen Visier noch geöffnet war. Seine Hände wurden von schweren Eisenhandschuhen umschlossen, die Arme von Eisenmanschetten geschützt. »Ich werde langsam beginnen, Mike«, sagte Peter Battleford.»Sie werden sehen, es ist ganz leicht.« Der junge Lord schloß sein Visier und nahm sein Schwert hoch. »Lachen Sie möglichst nicht zu laut, Miß Porter«, bat der Anwalt, der sein Visier ebenfalls schloß. »Und besuchen Sie mich hin und wieder im Krankenhaus.« Für solch einen Aufenthalt schien der junge Lord aber gerade sorgen zu wollen. Ohne jede Vorwarnung drosch er plötzlich auf Mike Rander ein, der um ein Haar getroffen worden wäre. Um die beiden Kämpfenden bildete sich prompt ein Kreis neugieriger Zuschauer. Peter Battleford holte mächtig aus und dachte nicht daran, den Anwalt vorsichtig mit dieser neuen Materie vertraut zu machen. Man merkte deutlich, daß er ihn demütigen und wohl auch schlagen wollte. Nun, er hatte die Rechnung ohne Mike Rander gemacht... Der Anwalt fing einen Schwerthieb mit dem Rundschild ab und teilte seinerseits aus. Er erwischte die Schulterschiene des jungen Lord, der unter der Wucht des Schlages leicht in die Knie ging. Als Peter Battleford leises Gelächter hörte, verlor er die Übersicht. Er schlug, fintierte und zeigte, daß er mit dem Schwert umzugehen wußte. Er
trieb den Anwalt zurück, landete einige Treffer, mußte dann aber wieder voll einstecken. Das Blatt wendete sich. Mike Rander parierte einen Stoß, schlug das Schwert zur Seite und knallte den Schild gegen den Ritterhelm seines wütenden Angreifers, der das Gleichgewicht verlor und taumelte. »Ganz hübsch«, hörte man Mike Rander sagen. »Ist das schon alles, Peter? Das habe ich mir komplizierter vorgestellt?« Die Äußerung brachte den jungen Lord in Hämisch. Er hatte sich wieder gefaßt und griff erneut an. Doch diesmal blieb der Anwalt stehen, wich keinen Zentimeter zurück und parierte alle zugedachten Schläge mit der spielerischen Eleganz eines Florettfechters. Die Schwere des Schwerts schien ihm überhaupt nichts auszumachen. Peter Battlefords Schläge wurden bereits schwächer, wie man sehen konnte. Er stolperte, als der Anwalt vorwärts marschierte und ... fiel dann über seine eigenen Füße. Wütend landete er hinten im Sand und mußte amüsiertes und schadenfrohes Gelächter über sich ergehen lassen. »Und jetzt?« fragte Mike Rander. Er hatte das Visier hochgeschoben und sah auf Peter Battleford hinunter. »Sagen Sie mir, wie es weiterzugehen hat, Peter! Sie wissen, ich bin blutiger Laie...« »Das war's«, keuchte Peter Battleford und konnte nur dank der Hilfe einiger Zuschauer aufstehen. »Und Sie wollen noch nie ein Schwert geführt haben?« »Höchstens mal ein Florett, Peter.«
»Rayl, Rayl«, rief der junge Lord. »Verdammt, wo steckt er denn?« Er rief noch mehrfach nach dem Sohn des Verwalters, doch Jack Rayl war wie vom Erdboden verschwunden. Kathy Porter übrigens auch. * »Was soll das heißen?« fragte Jack Rayl und starrte auf den Browning in Kathy Porters Hand. »Fahren Sie«, forderte sie ihn auf. »Und glauben Sie mir, ich werde schießen!« »Wer, zum Henker, sind Sie?« »Fahren Sie schön langsam weiter, Rayl! Das alles geschieht nur, damit Sie nicht von einem Armbrustbolzen erwischt werden wie Ihr Freund Steve Durham.« »Durham? Bolzen? Was soll das alles?« »Das werde ich Ihnen später sagen, Mr. Rayl.« »Wohin jetzt?« Sie hatten das Schloß bereits hinter sich gelassen und befanden sich auf der Straße nach Wendover. »Ich glaube einfach nicht, daß Sie schießen würden.« »Lassen Sie's doch darauf ankommen?« Sie lächelte spöttisch. »Denken Sie an Steve Durham! Der fühlte sich auch zu sicher!« »Haben Sie ihn etwa..? Verdammt, wer sind Sie!?« »Das werden Sie noch früh genug erfahren. Und was Durham betrifft, so habe ich ihn angeschossen. Das wissen Sie doch genau.« »Was soll ich wissen?« »Wen Durham auf dem Gewissen hat, Jack Rayl. Haben Sie eigentlich
keine Angst, daß Ihnen auch so etwas blühen könnte?« »Sie wollen mich in eine Falle locken, wie?« »Da stecken Sie doch bereits drin, Jack Rayl. Denken Sie an Gary Radlett und Symond. Wieso kam es damals zu den Unfällen? Und wer möchte jetzt Mitwisser aus dem Weg räumen?« Jack Rayl ließ es darauf ankommen. Er hielt und öffnete die Wagentür. »Schießen Sie doch«, forderte er Kathy Porter auf. »Das wagen Sie doch nie!« »Das stimmt«, antwortete sie und... setzte ihm ihre Handkante blitzschnell in die Beuge zwischen Hals und Schulter. Der Sohn des Verwalters starrte sie daraufhin mehr als erstaunt an und rutschte dann auf dem Fahrersitz zusammen. »Endlich«, murmelte sie erleichtert. »Es wurde ja auch langsam Zeit, Mr. Rayl.« Sie zerrte ihn auf den Beifahrersitz und legte ihm Handschellen an, die Parker ihr mitgegeben hatte. Dann stieg sie aus dem Wagen und wartete, bis hinter einer Straßenbiegung das hochbeinige Monstrum des Butlers auftauchte. »Ich darf davon ausgehen, daß alles nach Plan verlaufen ist?« erkundigte Parker sich. Er war ausgestiegen und lüftete seine schwarze Melone. »Zuerst war er schockiert, als ich ihm im Rüstzelt den Browning zeigte«, berichtete Kathy Porter, »aber dann kam alles so, wie Sie es vorausgesagt hatten.« »Der junge Lord sucht inzwischen schier verzweifelt nach seinem Turnierleiter«, berichtete der Butler. »Wenn Sie erlauben, Miß Porter,
werde ich Mr. Jack Rayl jetzt umladen, um es mal so drastisch auszudrücken.« Parker war stark, wie sich wieder mal zeigte. Es kostete ihn kaum etwas, den jungen Mann aus dem Fahrerhaus des Kleinlasters zu ziehen und in den Fond des hochbeinigen Monstrums zu transportieren. »Den Rüstwagen sollte man hier stehen lassen«, schlug Parker vor.« Er wird für Unsicherheit sorgen. Darf ich Sie jetzt bitten, Miß Porter, Platz zu nehmen.« »Wie war Mr. Rander als Ritter?« erkundigte sie sich lächelnd. »Überzeugend, Miß Porter! Er sorgte dafür, daß Peter Battleford sich mit Sicherheit in seinen Privaträumen aufhalten wird, um seine Blessuren zu pflegen.« »Diesen Kampf hätte ich mir liebend gern angesehen, Mr. Parker.« »Möglicherweise gibt es eine Neuauflage, Miß Porter«, deutete der Butler an. »Auf der Ladefläche des Rüstwagens befinden sich Schwerter und Rüstungen. Man sollte vielleicht eine gewisse Grundausstattung mitnehmen.« Was Parker dann umgehend besorgte. * Am Ortseingang von Wendover hielt Parker vor einer Telefonzehe. Steif und gemessen begab er sich hinein und wählte nacheinander verschiedene Nummern, um jedesmal den im Grund gleichen Hinweis zu geben. Kathy Porter auf dem Beifahrersitz schaute lächelnd zu. Sie wußte inzwischen, welchen Plan Josuah Parker
verfolgte. Er wollte endlich klären, für wen die beiden Profikiller arbeiteten. Und er wollte herausfinden, wer den Bolzen auf den Verwalter Rayl abgefeuert hatte. Es dauerte nur wenige Minuten, bis Parker wieder aus der Telefonzehe trat. «Sie haben Ihre Minen gelegt, Mr. Parker?« fragte sie, als er sich wieder ans Steuer setzte. »Es ist zu hoffen, Miß Porter, daß sie auch zünden werden«, antwortete er. »Der Weg zu einem gewissen verlassenen Bauernhaus ist nicht besonders gut. Ich bitte, dies entschuldigen zu wollen.« Er bog von der Hauptstraße ab und benutzte den Weg zu dem Bauernhaus, in dem die beiden Profikiller Quartier bezogen hatten, als sie noch frei gewesen waren. Vor dem Bauernhaus angekommen, öffnete er den relativ bequemen Kofferraum und ließ die beiden Killer Ben und Dany aussteigen, die sich sehr überrascht umschauten. »Sie werden gütigst verzeihen«, sagte Parker höflich. »Aber ich muß Sie leider als Köder verwenden.« »Was meinen Sie damit?« fragte Dany. »Was soll das?« wollte auch Ben wissen. »Ich habe ihren mutmaßlichen Auftraggeber angerufen«, erklärte Parker. Er deutete in das Bauernhaus. »Meiner bescheidenen Schätzung nach wird der Auftraggeber bald erscheinen. Er vermutet übrigens, daß sie Mr. Rayl entführt haben. Diese Kombination wird ihn unwiderstehlich anziehen.« »Und dann?« fragte Dany. »Wird Ihr Auftraggeber sicher ein Blutbad anrichten wollen«, redete der Butler weiter. »Die Polizei soll dann
später glauben, Sie, meine Herren, hätten sich gegen- und wechselseitig umgebracht.« »Sind Sie wahnsinnig!?« Ben wich zurück. »Wollen Sie uns umbringen?« »Das wird sich hoffentlich vermeiden lassen«, meinte Parker gemessen, »an meinen bescheidenen Bemühungen soll es nicht fehlen.« »Und wenn wir Ihnen sagen, wer uns gekauft hat?« fragte Dany. »Dennoch müßte ich die Probe aufs Exempel machen«, schloß Parker. »Sie könnten mich ja möglicherweise belogen haben. Wenn Sie sich jetzt ins Haus begeben würden? Es soll doch alles recht hübsch und einladend arrangiert werden!« * Der schwarze Ritter hatte sich dem alten, halb zerfallenen Bauernhaus genähert und parierte sein Pferd. Er blickte sich mißtrauisch um und trabte dann langsam zu dem Gemäuer. Als er es fast erreicht hatte, stieg er aus dem Sattel und langte in eine Satteltasche. Statt einer Armbrust zog er eine kurzläufige Maschinenpistole hervor, die er durchlud und entsicherte. Dann rückte er sein Schwert zurecht und marschierte weiter. Das Visier des schwarzen Ritters war übrigens geschlossen. Es war nicht andeutungsweise zu erkennen, wer sich in dieser Rüstung befand. Er erreichte eines der Fenster und warf einen Blick in den Raum, der einst als Küche gedient hatte. Er hörte Stimmen, pirschte weiter, näherte sich der rahmenlosen Türöffnung und
nahm die Maschinenpistole in Hüftanschlag. Es war schon ein seltsames Bild, das der schwarze Ritter bot. »Rayl?« rief er dann. Die Stimme klang wegen des geschlossenen Visiers sehr undeutlich. »Hier«, erwiderte eine nicht weniger undeutliche Stimme. »Hier, im Keller!« Der schwarze Ritter schob sich ins Haus, tat ein paar Schritte und näherte sich dem Kellerabgang. Doch weiter kam er nicht, denn die Fußbodenbretter unter seinen Füßen gaben nach. Während der schwarze Ritter ungewollt eine Geschoßgarbe gegen das an sich schon schadhafte Dach abfeuerte, brach er in einer Wolke aus Staub und Dreck nach unten in den Keller. Sekunden später war alles sehr ruhig. »Er hat sich hoffentlich nichts getan, Mr. Parker«, sagte Kathy Porter. Sie erschien zusammen mit dem Butler in der Tür, die in einen Nebenraum führte. »Dies wäre außerordentlich bedauerlich«, erwiderte Butler Parker. »Aber ich möchte sicherheitshalber erst mal einen Kugelschreiber opfern.« Er zog einen seiner vielen PatentKugelschreiber aus seiner Westentasche, drückte den Halteclip ein und warf den Schreiber dann in den Keller. »Es empfiehlt sich jetzt, ein wenig die frische Luft aufzusuchen», sagte er. »Die Wirkung ist ungemein schlaf fördernd.« Parker verließ mit Kathy Porter das Bauernhaus und deutete mit der Spitze seines Regenschirms hinüber auf einen Hügel.
»Noch ein schwarzer Ritter?« fragte Kathy Porter überrascht. »Mylady«, korrigierte der Butler. »In Begleitung Mr. Randers.« Er hatte richtig gesehen. Das Pferd, auf dem seine Herrin saß, war durchaus stämmig zu nennen, doch es litt sichtlich unter dem Gewicht seiner Reiterin. Als Lady Agatha das Bauernhaus erreichte, seufzte das Pferd erleichtert auf. Es stöhnte dann vor Freude, als Agatha Simpson aus dem Sattel stieg. »Haben wir ihn?« fragte sie, während Mike Rander ihr folgte. »Der Täter befindet sich im Keller, Mylady«, sagte Butler Parker. »Wenn Sie erlauben, werde ich ihn jetzt bergen.« »Sie wissen noch nicht, wer es ist?« »Ich wollte Mylady nicht vorgreifen.« »Es ist natürlich ... - Also . . .Wer ist es eigentlich? Ich bin im Moment ein wenig erschöpft.« »Der junge Lord, Mylady«, sagte der Butler wie selbstverständlich.»Er engagierte die beiden Profikiller. Sie hatten die Aufgabe, seine Mitwisser Durham und Jack Rayl umzubringen, die damals zusammen mit ihm die
bereits bekannten Unfälle produzierten.« »Das war mir die ganze Zeit über natürlich bekannt, Mr. Parker.« »Daran zweifelte ich keinen Moment, Mylady«, gab der Butler gemessen zurück. »Die beiden ProfiKiller haben vor dem Eintreffen des jungen Lord bereits einschlägige Geständnisse abgelegt. Zweifel sind nicht mehr vorhanden.« »Dann ist Gary Radlett unschuldig?« »Wie Mylady es schon immer voraussagten. « »Auch diese Maud Symond.« »Auch dies sagten Mylady ja voraus«, bestätigte Parker in seiner höflichen Art. »Logik ist eben alles«, meinte Agatha Simpson. »Holen Sie dieses verkommene Subjekt aus dem Keller, Mr. Parker. Was meinen Sie, wäre das ein Stoff für meinen Bestseller?« »Vielleicht sollten Mylady auf den nächsten Fall warten«, schlug Josuah Parker vor. »Ich möchte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unterstehen, daß solch ein neuer Fall nicht lange auf sich warten lassen wird!«
ENDE
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Günter Dönges schrieb für Sie wieder einen neuen
Nr. 190
Parker tappt ins »Teufels-Dreieck« Natürlich befaßte sich Lady Agatha, allem Übersinnlichen stets zugetan, auch mit dem berüchtigten Bermuda-Dreieck, in dem Schiffe und Flugzeuge verschwanden und immer noch verschwinden sollen. Als eine entfernte Verwandte dort auf der Strecke blieb, setzte sich die Detektivin zusammen mit Mike Rander und Butler Parker in Marsch, um diese Geheimnis zu lösen. Gegen seinen Willen tappte Butler Parker prompt in das Teufels-Dreieck und geriet an Menschen, die im Umgang mit Mordwaffen nicht gerade zimperlich waren. Er bekam es auch mit Menschen zu tun, die viel von übersinnlichen Dingen hielten und Bücher darüber schrieben. Bis auch dieser skurrile Kriminalfall gelöst werden konnte, schlugen die Wogen mehr als hoch. Günter Dönges verfaßte einen neuen Parker-Krimi, in dem wie üblich gelacht werden darf, ohne auf Hochspannung und Nervenkitzel verzichten zu müssen. Wer einen Krimi schätzt, der nicht nach den üblichen Spielregeln geschrieben wurde, sollte sich diesen spannungsgeladenen Spaß nicht entgehen lassen. In der Neuauflage erscheint ©Butler Parker Nr. 158
PARKER mimt den Augenzeugen von Günter Dönges