PARKER stoppt den Untergang der Welt
Günter Dönges Es waren zwei ältliche, adrett gekleidete Frauen, die vor der Haus...
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PARKER stoppt den Untergang der Welt
Günter Dönges Es waren zwei ältliche, adrett gekleidete Frauen, die vor der Haustür standen und keine Ahnung hatten, daß sie von der Optik einer versteckt angebrachten Kamera erfaßt wurden. In ihren Händen hielten sie kleine Broschüren, die in Prospekthüllen ver packt waren. Gefährlich sahen die beiden Frauen nicht aus, doch der Butler war vorsichtig. Immer wieder versuchten Kriminelle, in das altehrwürdige Haus der Lady Simpson einzudringen, um alte Rechnungen zu begleichen. Dabei ließen sich die Gangster stets viel einfallen, um die Hausbewohner übertölpeln zu können. »Darf man sich nach Ihren Wünschen erkundigen?« fragte Par ker über die Wechselsprechanlage nach draußen. Die Frauen zuckten synchron zusammen, als sie Parkers Stim me hörten, und wirkten ein wenig verunsichert. »Wir… wir kommen vom Orden des neuen Lebens«, sagte dann die stämmigere der beiden und gab sich einen Ruck. »Wir bringen die Botschaft.« Die Hauptpersonen: Rufus Zodiak scheffelt als Wissender Millionenbeträge. Harvey Dalton zieht als Sekretär eines dubiosen Ordens die Fäden. Al Kerrings bietet sich auch als Hersteller von Zweitschlüsseln an. Red Waldon installiert eine Drogen-Dollar-Waschanlage. Lady Agatha Simpson besucht eine gewisse Lichthalle und er fährt vom nahen Ende der Welt. Butler Parker verzichtet auf eine Millionenspende. »Wie ausgesprochen schön für Sie, meine Damen«, antwortete Josuah Parker. Er stand vor dem geöffneten Wandschrank in der Wohnhalle des Hauses und beobachtete die Besucherinnen, die auf dem Monitor gestochen klar zu sehen waren. »Die Zeit ist kurz«, redete die Frau weiter, »das Ende ist nahe.« »Eine Ansicht, die relativ weit verbreitet ist«, meinte der Butler. Er hörte hinter sich die energischen Schritte Lady Simpsons und 2
trat zur Seite. »Mein Ende ist nahe, Mister Parker?« fragte sie interessiert. »Trachtet man mir wieder mal nach dem Leben?« Agatha Simpson, die das sechzigste Lebensjahr überschritten hatte, war dennoch eine ungemein rüstige Dame von majestäti scher Erscheinung. Sie baute sich vor dem im Wandschrank ein gebauten Monitor auf und schaute sich die beiden Frauen an. »Eindeutig«, stellte sie dann fest und nickte nachdrücklich. »Geschickt getarnte Profis, Mister Parker. So etwas sieht man auf den ersten Blick! Lassen Sie sie herein, ich werde wieder mal ein Exempel statuieren.« »Wie Mylady zu wünschen geruhen.« Parker betätigte über die Fernbedienung in seiner Hand den elektrischen Türöffner und ließ die beiden Verkünderinnen eintreten. Dabei passierten sie eine im Türrahmen eingelassene Schleuse, die sie auf vorhandene Waffen abtastete. Die Suche fiel negativ aus, wie Parker feststellte. Die beiden Frauen wirkten ein wenig gehemmt, als sie den ver glasten Vorflur betraten. Sie blickten neugierig auf Butler Parker und Lady Agatha, die ihnen gefährlich freundlich und leutselig zuwinkte. »Richten Sie sich auf einen Überfall ein, Mister Parker«, warnte die ältere Dame ihren Butler. »Man wird dem zu begegnen wissen, Mylady«, versicherte Par ker ihr und ließ die Glastür zur Wohnhalle hin aufspringen. Die Frauen traten näher, die kleinere der beiden knickste höflich. »Mein Ende ist nahe, hörte ich?« fragte Lady Agatha. »Mylady wünschen dazu Einzelheiten zu hören«, fügte der But ler hinzu. »Unser aller Ende ist nahe«, korrigierte die größere Frau und präsentierte der Hausherrin eine Prospekthülle. »Und dieses Ende wird fürchterlich sein.« »Wir gehören zum Orden des neuen Lebens«, erklärte die klei nere Frau hastig. »Wir retten, was noch zu retten ist.« »Und was kostet das?« wollte Lady Agatha wissen, der man die Sparsamkeit von drei bis vier Schotten nachsagte. »Es kostet gar nichts«, erwiderte die größere Frau. »Wir werden Ihnen sogar etwas schenken.« Sie hob ihr Handtäschchen und öffnete den Bügelverschluß. Butler Parker hatte bereits auf Vorsicht umgeschaltet und war 3
bereit, etwaige Angriffe im Keim zu ersticken. Die Frau holte aber nur einen Plastikschlüssel hervor, den sie auf der flachen Hand darbot. »Ihr Schlüssel zum ewigen Glück«, sagte sie mit fast bebender Stimme. »Öffnen Sie damit das Schloß Ihrer Gleichgültigkeit.« Agatha Simpson räusperte sich explosionsartig, ein sicheres Zeichen dafür, daß sie sich zu ihrer angeblichen Gleichgültigkeit näher äußern wollte, doch der Butler schaltete sich schnell ein. »Wo, bitte, meine Damen, findet man den Orden des neuen Le bens?« fragte er in seiner höflichen Art. »Unsere Lichthalle finden Sie in Queens Park«, lautete die Ant wort der Angesprochenen. »Sie sind herzlichst eingeladen, uns zu besuchen.« »Ich werde kommen«, machte Lady Agatha deutlich. »Zeigen Sie den Schlüssel«, hörte die ältere Dame, »und man wird Sie einlassen. Sehr viel Zeit haben Sie aber nicht mehr, das Ende ist nahe!« * »Das alles ist doch nichts als eine versteckte Drohung, Mister Parker«, entrüstete sich die ältere Dame etwa eine halbe Stunde später. Sie war aus dem Obergeschoß gekommen, in dem sich ihre privaten Räume befanden. Sie hatte einen weiten Umhang über ihr Tweed-Kostüm gelegt und machte einen sehr energi schen Eindruck. »Ich werde den Dingen sofort auf den Grund ge hen.« »Eine Untersuchung des Plastikschlüssels, Mylady, ergab kein Resultat«, meldete Parker, ein etwas über mittelgroßer, alterslos erscheinender Mann, der das Urbild eines hochherrschaftlichen englischen Butlers darstellte. »Man wollte mich neugierig machen und hat es geschafft«, re dete die ältere Dame resolut weiter. »Ich werde diese Herausfor derung annehmen.« »Mylady glauben nach wie vor an eine Falle?« erkundigte sich Parker. »Selbstverständlich, Mister Parker«, lautete ihre Antwort. »Diesmal gehen meine Gegner sehr subtil vor. Darum schickten sie auch diese beiden Frauen. Sie haben hoffentlich mitbekom 4
men, wie durchtrieben sie waren, oder?« »Die Damen machten, mit Verlaub gesagt, eher einen etwas naiven Eindruck, Mylady«, gab Parker zurück. »Sie besitzen eben keine Menschenkenntnis«, mokierte sie sich. »Aber dafür können Sie schließlich nichts, Mister Parker. So etwas kann man nicht lernen, das muß man eben haben. Inzwischen haben Sie wohl die Broschüre durchgelesen?« »Ein frömmelndes Traktat, Mylady, das vom baldigen Ende die ser Welt spricht. Man beruft sich auf Weissagungen aus dem Mit telalter und auf einen gewissen Rufus Zodiak.« »Und wer ist das?« Agatha Simpson wirkte ungeduldig, als Par ker sich in gemessener Ruhe seinen schwarzen Covercoat über zog und nach Melone und Regenschirm griff. »Mister Rufus Zodiak, Mylady, wird in dem erwähnten Traktat als der >Wissende< vorgestellt, was immer man auch darunter verstehen mag.« »Dieses Subjekt muß ich sehen, Mister Parker.« Sie schritt e nergisch Richtung Vorflur und wartete ungeduldig, bis Parker die Haustür geöffnet hatte. Mylady nahm im Privatwagen des Butlers Platz, einem ehemaligen Londoner Taxi, das einen recht betagten Eindruck machte und von dem technisch wohl nichts mehr zu er warten war. Tatsächlich aber verbarg sich unter dem schwarz lackierten Blech eine Fülle von Überraschungen, die Parker ersonnen hatte. Unter der eckigen Motorhaube wartete ein Rennmotor nur darauf, Leistung zeigen zu dürfen. »Sehr viel Aufwand, um mich in eine Falle zu locken«, amüsier te sie sich. Sie hatte sich von Parker die Prospekthülle reichen lassen und blätterte im Traktat. »Das alles sieht fast echt aus.« »Mylady dürften es tatsächlich mit einer sogenannten EndzeitSekte zu tun haben«, gab Josuah Parker zurück. »Die Medien berichten in jüngster Zeit immer wieder von solchen Sekten.« »Es gibt mehrere davon?« staunte sie. »Dem scheint in der Tat so, Mylady. Im Zeitalter der Massen vernichtungsmittel dürften sehr viele Menschen von Angst befal len sein.« »Und was verlangen diese Sekten von ihren Mitgliedern? Ich habe keine Lust, die Broschüre zu lesen, Mister Parker.« »Man verlangt die Aufgabe aller irdischen Güter, um es allge mein auszudrücken, Mylady. Der Orden des neuen Lebens macht 5
da keine Ausnahme, wie aus der Broschüre hervorgeht.« »Moment mal, Mister Parker.« Ihre Stimme nahm einen entrüs teten Klang an. »Aufgabe aller irdischen Güter? Soll das heißen, daß man seinen Besitz verschenken soll?« »Keineswegs und mitnichten, was den Orden des neuen Lebens betrifft, Mylady«, antwortete Parker, der sich eingehend infor miert hatte. »Den Verkauf der jeweiligen irdischen Habe über nimmt der Orden, der aus dem Erlös die sogenannte Zuflucht baut.« »Was ist denn das schon wieder?« Agatha Simpson schnaufte. »Unter der Zuflucht sollten Mylady sich eine Art überdimensio nal großen Schutzraum vorstellen, in dem man gemeinsam den Weltuntergang überstehen will.« »Das ist doch reiner Humbug, Mister Parker.« »Falls Mylady unbedingt darauf bestehen, wird meine Wenigkeit natürlich widersprechen«, gab der Butler in gewohnter Höflichkeit zurück, während er erneut in den Rückspiegel blickte und den Austin beobachtete, der ihnen hartnäckig folgte. * Am Steuer des kleinen Austin saß ein Mann, der etwa vierzig Jahre zählte. Er trug eine Lederjacke und eine Sonnenbrille, die wegen der Lichtverhältnisse keineswegs angebracht war. Der Himmel war grau, die Sonne nur zu erahnen und mit Regen schauern war fest zu rechnen. Parker hatte keine Ahnung, warum der Mann ihnen folgte. Ob er mit den beiden weiblichen Botschaftern des neuen Lebens zu tun hatte, mußte erst noch herausgefunden werden. Aus diesem Grund beschloß Parker, den Fahrer zu stellen und ihm einige Fra gen vorzulegen. Dazu steuerte er eine der vielen Tiefgaragen in der City an und tat so, als hätte er die Absicht, einem bekannten Warenhaus ei nen Besuch abzustatten. Der Austin folgte beharrlich, bewegte sich über die Wendel hin unter ins erste Tiefgeschoß der Garage und war dann plötzlich verschwunden. Der Fahrer wollte sicher so schnell wie möglich den Wagen verlassen und sich dann so aufbauen, daß er die In sassen des ehemaligen Taxis in Höhe der Aufzüge abfangen 6
konnte. Der Butler kam ihm jedoch zuvor. Er hatte eine Parktasche gefunden und verständigte sich kurz mit Lady Agatha, die nur zu gern bereit war, eine Probe ihres schauspielerischen Talents abzugeben. Sie blieb im Wagen sitzen und beklagte laut eine Perlenkette, die sie im Fond verloren hat te. Sie forderte den Butler gereizt auf, gefälligst umgehend nach dieser Kostbarkeit zu suchen. Josuah Parker aber war längst unterwegs. Er hielt sich in Deckung der vielen abgestellten Wagen und war im trüben Licht des Parkdecks wegen seiner schwarzen Berufs kleidung kaum auszumachen. In weitem Bogen pirschte er sich an die Fahrstühle heran und suchte nach dem Austin-Fahrer. Der Mann stand ahnungslos hinter einem Betonpfeiler, hielt a ber noch keine Waffe in Händen. Er setzte sicher auf seine Schnelligkeit und konnte übrigens gut Lady Simpsons Räsonieren hören, die gerade deutlich machte, es müßten noch einige Perlen auf dem Wagenboden liegen. »Sollten Sie die Orientierung verloren haben?« erkundigte sich Parker bei dem Beobachter und tippte ihm mit der Spitze seines Universal-Regenschirmes auf die Schulter. Eine gereizte Schlange hätte nicht schneller und gefährlicher re agieren können. Der Mann wirbelte herum und hielt ein Wurfmesser in der rech ten Hand. Er holte knapp aus und wollte Parker attackieren, doch er war für den Butler einfach zu langsam. Fast beiläufig schlug Parker ihm das Messer aus der Hand und stach dann mit der Schirmspitze zu. Er traf den rechten Brustmuskel des Mannes, der unterdrückt aufschrie und sich krümmte. Bevor er sich wieder aufrichten konnte, setzte Parker ihm den bleigefüllten Bambusgriff seines Regendachs auf den Hinterkopf. Daraufhin verbeugte sich der Mann noch wesentlich tiefer, kniete und rollte dann seitlich auf den Beton. Josuah Parker untersuchte ihn mit gewohnter Schnelligkeit, entdeckte noch eine Schußwaffe und ein zweites Messer. Er nahm seine schwarze Melone ab, holte aus der Wölbung eine PlastikFessel und verschnürte damit die Handgelenke des Unbekannten. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis der Mann wieder zu sich kam. Er stöhnte, räusperte sich und blickte den Butler dann aus 7
leicht verglasten Augen an. »Hoffentlich bringen Sie Verständnis für meine Handlungsweise auf«, schickte Parker voraus. »In Anbetracht der Umstände aber bot sich meiner Wenigkeit keine Alternative an.« Der Mann schwieg und schloß die Augen. »Lady Simpson lädt Sie zu einer kleinen Ausfahrt ein«, setzte der Butler hinzu. »Dazu sollten Sie sich zum Wagen hinüber be mühen.« Der Mann bemühte sich. * »Könnten Sie sich unter Umständen entschließen, Angaben zu Ihrer Person zu machen?« fragte Josuah Parker. Der AustinFahrer hatte den Kofferraum verlassen und blickte sich unauffällig um. Er befand sich wieder in einer Garage, doch sie war klein und bot höchstens vier Fahrzeugen Platz. Parker benutzte den Raum eines Restaurantbesitzers, der ihm verpflichtet war und ihm die Garage ohne Fragen zur Verfügung gestellt hatte. Man war hier unter sich und hatte keine Störungen zu befürchten. Wo dieser Raum sich befand, konnte der Fahrgast allerdings nicht feststellen. Es gab keine Fenster. »Sie können mich mal«, erwiderte der Mann lässig. »Hoffentlich bestehen Sie nicht unbedingt darauf«, meinte Jo suah Parker. »Aber selbst dann müßte ich Ihr Angebot ablehnen.« »Mann, Sie haben keine Ahnung, worauf Sie sich da einlassen«, warnte der Austin-Fahrer ihn. »Ein Hinweis, den man in solchen und ähnlichen Situationen immer wieder zu hören bekommt«, gab Parker zurück. »Sie hat ten die Absicht, Lady Simpson und meine Wenigkeit zu Überfallen und zu schädigen?« »Verdammt, aus welchem Jahrhundert stammen Sie eigent lich?« brüllte der Unbekannte. »Knipsen Sie die verdammte Fes sel durch… und beeilen Sie sich damit!« »Sie verfügen über ein beachtliches Maß an Naivität«, stellte der Butler höflich fest. »Warum sollte man sie freisetzen?« »Weil Sie nur dann noch ‘ne kleine Chance haben, mit heiler Haut davonzukommen.« »Sie vertreten demnach eine Organisation, die mächtig ist?« 8
»Warten Sie’s doch mal ab. Man wird mich vermissen und weiß, wer für mein Verschwinden verantwortlich ist.« »Man wird Ihren an den Nachmittag gelegten Leichtsinn mit Si cherheit mißbilligen.« »Wieso Leichtsinn, Mann?« »Sie benahmen sich, um der Wahrheit die Ehre zu geben, wie ein sprichwörtlicher blutiger Anfänger.« »Wie reden Sie eigentlich?« staunte der Austin-Fahrer und wirk te irritiert. »Wie es meinem Berufsstand zukommt«, antwortete Josuah Parker. »Wie Sie wissen, bin ich Butler.« »Das… das nehme ich Ihnen nicht ab. Sie sind ein ganz gerisse ner Hund, sonst hätten Sie mich nicht erwischt.« »Sollte es sich gerade um ein verstecktes Kompliment gehan delt haben?« »Und weil Sie kein Butler sind, Mann, wissen Sie verdammt ge nau, wie man in unserer Branche reagiert.« »Würden Sie meine Wenigkeit freundlicherweise aufklären?« »Für einen, der verschwindet, kommen zwei.« »Schluß jetzt mit dieser Alberei«, schaltete Lady Agatha sich ein. Sie kam um Parkers Wagen herum und zog eine Hutnadel aus dem Gebilde einer phantasievollen Hutmacherin. Diese Hutnadel erinnerte an einen soliden Bratspieß und schien scharf zu sein. Lady Agatha unterstrich diesen Eindruck noch da durch, daß sie die Spitze vorsichtig mit der Kuppe ihres linken Zeigefingers prüfte. »Mylady haben die Absicht, eine Aussage zu erzwingen?« fragte Butler Parker und wirkte bereits im vorhinein andeutungsweise schockiert. Zur Unterstreichung seiner Befürchtungen wies er auf die Hutnadel. »Ich habe einfach keine Lust, meine Zeit zu vergeuden«, erwi derte die ältere Dame. »Sorgen Sie dafür, daß dieses Subjekt nicht schreien kann.« »Mylady denken an einen Knebel?« »Hauptsache, man hört ihn gleich nicht.« Sie wirkte ungeduldig und blickte den Austin-Fahrer abschätzend an. »Wie lange, Mister Parker, wird er durchhalten?« »Dies dürfte von jenen Körperpartien abhängen, die Mylady zu akupunktieren gedenken.« »Moment mal, Leute, was soll das? Was habt ihr vor?« Der Aus 9
tin-Fahrer wurde sichtlich nervös. »Mylady wird an Ihnen eine sogenannte Akupunktur vorneh men«, erwiderte der Butler höflich. »Was… was heißt das?« Der Mann wurde ein wenig atemlos, denn er hatte bereits begriffen. »Sie sollten es abwarten«, empfahl Parker ihm. »Möglicherweise werden Sie alles schnell hinter sich gebracht haben.« Lady Agatha baute sich vor dem auf dem Boden sitzenden Mann auf und musterte ihn eingehend. »Was halten Sie von seinem linken Oberschenkel, Mister Par ker?« erkundigte sie sich bei ihrem Butler. »Mylady sollten vielleicht daran denken, daß man sehr leicht ei ne Arterie treffen kann.« Parkers Ton war sachlich. »Stopp, Leute«, keuchte der Austin-Fahrer. »Die Sache hat sich erledigt. Ich bin für Curd Olbart unterwegs.« »Und wie lautet Ihr Auftrag?« fragte der Butler. »Ich soll euch mal kurz schockieren.« »Mit einem Wurfmesser oder einer Faustfeuerwaffe?« »Damit hätt’ ich nie gearbeitet«, behauptete der Mann eindring lich und verzog das Gesicht, als einige Schweißperlen seine Augen erreichten. »Sie werden sicher wissen, wer dieser Mister Olbart ist«, meinte Parker. »Auch die Nennung seiner Adresse könnte nicht scha den.« »Olbart hat ‘ne Tankstelle in Bloomsbury«, kam prompt die Antwort, der die genaue Adresse folgte. »Um was es ihm geht, weiß ich nicht, ich wollte ihm nur einen Gefallen tun.« »Sie warteten seit wann vor Myladys Haus?« lautete Parkers nächste Frage. »Höchstens ‘ne halbe Stunde.« Der Austin-Fahrer antwortete schnell und präzise. »Eigentlich wollte ich ins Haus, aber denn tauchten da zwei ulkige Typen auf, zwei Frauen.« »Die Ihnen natürlich unbekannt waren und sind?« »Klar doch. Hören Sie, Lady, können Sie nicht endlich dieses verdammte Ding da wegnehmen?« »Hoffentlich haben Sie mich nicht nach Strich und Faden belo gen, junger Mann«, sagte Lady Agatha. »Aber das werde ich ja bald wissen.« »Mylady und meine bescheidene Wenigkeit werden Mister Ol bart einen Höflichkeitsbesuch abstatten«, kündigte Parker an. 10
»Bis zur gemeinsamen Rückkehr werden Sie sich noch ein wenig gedulden müssen.« »Olbart wird alles abstreiten«, sorgte sich der Austin-Fahrer. »Nur im Ansatz«, beruhigte Parker den Profi. »Mylady weiß be reits jetzt, daß er der Wahrheit die Ehre geben wird.« * Die Tankstelle des Curd Olbart befand sich auf einem Hinterhof und war nur durch eine lange, schlauchartige Zufahrt zu errei chen. Man sah bereits auf den ersten Blick, daß sie nicht gerade gut besucht wurde. Die verschmutzten Zapfsäulen rosteten still vor sich hin. Curd Olbart entpuppte sich als ein fetter, untersetzter Mann von etwa fünfundvierzig Jahren, der aber einen durchaus gutmütigen Eindruck machte. Er lag förmlich in einem abgewetzten Strohses sel und schien auf Zufallskunden zu warten. Als Mylady und Par ker sein Büro betraten, ließ er ungemein verblüfft das Magazin sinken, in dem er gelesen hatte. »Man erlaubt sich, einen ausgeglichenen Nachmittag zu wün schen«, sagte der Butler und lüftete höflich die schwarze Melone. »Wer… wer sind Sie?« wollte Olbart wissen und nahm die Füße vom Schreibtisch. »Sie haben die Ehre und den Vorzug, einige Fragen Lady Simp son beantworten zu dürfen«, gab der Butler zurück. »Mein Name ist Parker… Josuah Parker.« Olbart wußte mit diesen Namen durchaus etwas anzufangen. Sein Gesicht bemühte sich zwar um noch mehr Gutmütigkeit, doch seine Augen beteiligten sich nicht daran. Er stand auf und fragte nach den Wünschen seiner Besucher. »Man überbringt Grüße eines Mannes, der einen Austin fuhr«, antwortete Parker auf die Frage. »Sie werden sicher genau den Namen dieses Mannes kennen, wie zu vermuten ist.« »Ich verstehe kein Wort«, behauptete Olbart und schob sich an einen Aktenbock heran, auf dem Zeitungen und Zeitschriften sich türmten. »Sollten Sie vielleicht auf der Suche nach einer geeigneten Waf fe sein?« fragte Parker. Olbart zuckte zusammen wie ein ertapp ter Dieb, rang sich ein breites Lächeln ab und… warf sich dann 11
mit seiner nicht unbeträchtlichen Fettmasse auf den Aktenbock. Dabei verschätzte er sich, was seinen Schwung und seine Lan dung betraf. Er stieß den Aktenbock um und stürzte mit ihm zu Boden. Dabei löste sich aus dem Zeitschriftenberg eine Schuß waffe und segelte über den Betonfußboden in Richtung Wand. Parker stieß die Waffe mit der Spitze seines Schirmes aus des Mannes Reichweite und bot Mylady danach einen Platz an. Sie setzte sich in einen zweiten Sessel, nachdem sie ihn auf seine Tragfähigkeit mißtrauisch gemustert hatte. »Verdammt…« gurgelte Olbart, der sich mühsam hochsetzte. Er blickte Mylady und Parker fast haßerfüllt an. »Keine vulgären Äußerungen, junger Mann«, tadelte Lady Agat ha ihn umgehend. »Sie hatten also die Absicht, auf mich zu schießen?« »Unsinn«, beteuerte Olbart, der sein Gesicht wieder einigerma ßen unter Kontrolle gebracht hatte und sich um ein breites Lä cheln bemühte. »Ich dachte nur, das hier wär’n Überfall… Ich bin im vergangenen Monat nämlich schon mal überfallen und ausge raubt worden.« »Schlechte Ausreden finde ich beleidigend, junger Mann«, sagte Agatha Simpson. »Und auf Beleidigungen reagiere ich stets mit entsprechenden Ohrfeigen.« »Ich bin wirklich schon mal…« Er hatte keine Chance mehr, sei nen Satz zu beenden. Lady Agatha langte herzhaft zu und ver schob mit ihrer flachen Hand die rechte Wange des Mannes. Ol bart gluckste auf, lehnte sich gegen die Wand und blickte Mylady verblüfft an. »Mylady hatte Sie gewarnt, Mister Olbart«, erinnerte Josuah Parker. »Würden Sie sich jetzt zu dem Mann äußern, den Sie auf Mylady und meine Wenigkeit ansetzten?« »Ich… ich weiß von keinem Mann«, erklärte Olbart und schob sich seitlich weg, um aus der Reichweite von Myladys Hand zu kommen. »Deshalb hatten Sie sicher auch die feste Absicht, nach Ihrer Waffe zu greifen, Mister Olbart«, stellte Parker fest. »Keine Fragen mehr, Mister Parker«, verlangte die ältere Dame resolut und zog ihre Nadel aus dem Hutgebilde. »Dieses verkom mene Subjekt wird gleich freiwillig erzählen. Man kennt das ja inzwischen.« Olbart hatte schwache Nerven und eine gut ausgebildete Phan 12
tasie. Lady Agatha und Parker brauchten ihm erst gar nicht anzu deuten, was ihn unter Umständen erwartete. Olbart hob abweh rend die Hände und machte sich klein, was allerdings wegen sei ner Korpulenz bereits im Ansatz mißglückte. »Barry Wayters hat mich dafür bezahlt«, sagte er. »Ich hab nur den Mann für die Überwachung von Ihnen besorgt. Mehr weiß ich auch nicht.« Dann nahm er schnell den Kopf herum, als in der schmalen Zu fahrt ein Hupsignal ertönte. Sein Gesicht zeigte Hoffnungsfreude. * Es waren zwei junge Männer, die munter ins Büro stürmten und ein wenig ratlos waren. Sie sahen sich einem Butler gegenüber, der höflich die schwarze Melone lüftete. Und sie hatten es noch zusätzlich mit einer resolu ten, nicht gerade jungen Dame zu tun, die eine Schußwaffe in ihrer rechten Hand hielt, deren Lauf auf sie gerichtet war. »Was ist denn hier los?« fragte einer der beiden und blickte zu Olbart hinunter, der noch immer auf dem Betonboden saß. »Treten Sie bitte näher«, forderte Parker sie auf. »Sie werden sicher mithelfen können, einige Mißverständnisse aufzuklären.« »Und ich werde schießen, falls man mich angreift«, sagte Agat ha Simpson und lächelte gefährlich. »Macht keinen Blödsinn, Jungens, kommt rein«, rief Olbart ih nen mit leicht heiserer Stimme zu. »Ich hab bereits von Wayters gesprochen.« Die beiden Männer kamen zögernd näher und blieben dann vor der Wand stehen. Sie ließen Mylady nicht aus den Augen. Sie war ihnen eindeutig unheimlich. »Zurück zu Ihnen, Mister Olbart«, schickte Parker voraus. »Wie lautete Ihr Auftrag?« »Wir sollten die Lady und Sie hochnehmen, mehr nicht.« »Und aus welchem Grund, Mister Olbart? Sie werden doch si cher Fragen gestellt haben.« »Sie sollen ‘nen Freund von Wayters vor ein paar Wochen rein gelegt haben.« »Und wie heißt dieser Freund, um auch dies noch zu klären?« »Dennis Keefing.« 13
»Habe ich diesen Namen schon mal gehört, Mister Parker?« er kundigte sich die ältere Dame bei Ihrem Butler. »In der Tat, Mylady. Mister Keefing ließ sogenannte LuxusLimousinen stehlen, überarbeiten und ins Ausland schaffen. Er befindet sich zur Zeit in Untersuchungshaft.« »Richtig, dieser Lümmel nahm mir doch die Vorfahrt, war es nicht so?« »Bei der anschließenden Karambolage, Mylady, stellte sich her aus, daß die Daimler-Limousine gerade frisch gestohlen worden war.« »Sie sah nach dem Zusammenstoß nicht mehr besonders gut aus«, erinnerte die ältere Dame und lächelte versonnen. »Ich schlitzte dem Wagen die ganze Längsseite auf, nicht wahr?« »Ein Schneidbrenner hätte kaum präziser arbeiten können, My lady«, bestätigte der Butler. »Mister Keefing scheint nach Lage der Dinge recht nachtragend zu sein.« »Davon weiß ich nichts«, schaltete Olbart sich ein. »Wie gesagt, ich wollte Keefing nur einen Gefallen tun.« »Mittels einiger Wurfmesser?« fragte Parker. »Wieso Wurfmesser?« Olbart staunte übertrieben. »Was ist jetzt mit uns?« fragte einer der beiden jungen Männer und gab sich ungeduldig. »Können wir endlich tanken oder aber abhauen?« »Wir haben mit der ganzen Sache nichts zu tun«, fügte der zweite Tankwillige hinzu. Parker schritt gemessen zum Fenster des Büros und blickte nach draußen auf den kleinen Innenhof. Er staunte nicht schlecht, als er eine teure Bentley-Limousine entdeckte, mit der die Männer offensichtlich gekommen waren. »Das is’ nicht unser Schlitten«, meinte der erste junge Bursche hastig. »Wie sollten Sie sich auch solch ein Luxusgefährt leisten kön nen?« gab Parker zurück. »Mylady wünscht zu erfahren, für wen Sie diesen Wagen bewegen?« »Für… für Mister Bellers«, sagte der Angesprochene. »Der wo unter welcher Telefonnummer zu erreichen ist, um auch dies zu klären?« »Bellers wohnt in Clerkenwell«, schwindelte der junge Mann eindeutig weiter. »Seine Nummer hab ich momentan nicht.« »Es steht Ihnen frei, sie im Telefonbuch nachzuschlagen.« 14
»Okay, mach ich«, lautete die Antwort. Der junge Mann bückte sich nach dem dicken Telefonbuch, das ebenfalls auf dem Boden gelandet war, hob es auf und… griff Lady Agatha an. Er erlebte eine böse Überraschung. * Die passionierte Detektivin schoß natürlich nicht, doch sie hin derte den Angreifer nachdrücklich daran, sich zu entwickeln. Sie trat ihm schlicht und einfach gegen das linke Schienbein, worauf der Getroffene aufheulte und sich quer über Olbart legte. Der zweite junge Mann wollte sich auf den Butler werfen, doch er wurde fast wie beiläufig von Parkers Schirmspitze gestoppt. Der junge Mann wurde kreidebleich, nachdem ihn die Schirmspit ze in Höhe seines Nabels gebremst hatte. Er hüstelte trocken, schnappte nach Luft und kniete nieder. »Nun reißen Sie sich gefälligst zusammen!« dröhnte Mylady mit ihrer dunklen und mächtigen Stimme. »Noch ist Ihnen ja über haupt nichts passiert. Doch dies wird sich bald ändern.« »Die Herren werden jetzt sicher in der Verfassung sein, Anga ben zum Bentley zu machen«, vermutete Parker. »Und zwar ein bißchen plötzlich«, grollte Mylady. »Sie haben den Wagen wo gestohlen?« lautete Parkers Frage. Er bluffte, doch er wußte gleichzeitig, daß er auf der richtigen Spur war. »In… in Queens Park«, stöhnte der junge Mann, dessen Schien bein schmerzte. »Und wem gehört dieser Wagen?« »So ‘nem Spinner«, entgegnete er eifrig, als Mylady sich vor ihm aufbaute. »Was soll und muß Mylady sich darunter vorstellen?« »Na, so ein verrückter Spinner«, fuhr der junge Mann fort. »Der macht auf Weltuntergang und so.« Parker war längst hellhörig geworden. »Sprechen Sie von Mister Rufus Zodiak?« wollte er wissen. »Keine Ahnung.« Der junge Mann zuckte die Achseln. »Der Schlitten stand da auf ‘nem privaten Parkplatz vor ‘nem ehemali gen Kino…« »Mister Parker, ich möchte sofort wissen, was ich davon halte?« 15
forderte Mylady den Butler auf. »Der sprichwörtliche Zufall, Mylady, dürfte hier eine Weiche ge stellt haben«, .antwortete Parker. »Und die Herren Wayters und Olbart dürften die Fahrzeug-Umgestaltungen des Mister Dennis Keefing fortsetzen.« »Das liegt doch längst auf der Hand, Mister Parker«, behauptete sie. »Das war mir sofort klar.« »Mylady haben die Absicht, sich in Ihrer Werkstatt ein wenig umzusehen«, sagte Parker in Richtung Olbart. »Da werden Sie nichts finden«, erwiderte Olbart. »Und wohin sollte der Bentley gebracht werden?« »Ich weiß überhaupt nicht, warum die hier mit dem Wagen auf gekreuzt sind«, verwahrte sich Olbart und blickte die beiden Männer wütend an. Sie hatten sich vor der Wand niedergelassen und reagierten ihrerseits mit wütenden Blicken. »Sie haben die freie Wahl, junger Mann«, meinte die ältere Da me und blickte den Bentley-Beweger an, der von Parkers Schirm spitze getroffen worden war. »Soll ich Ihr rechtes oder linkes Schienbein streicheln?« »Wir sollten genau hier den Bentley abliefern«, gab der junge Mann wütend zurück und blickte erneut Olbart an. »Mehr war für uns nicht drin.« »Und Olbart hat uns nach Queens Park geschickt«, fügte der zweite Bentley-Fahrer hinzu. »Lügen, nichts als Lügen«, beteuerte der Fette hastig und blick te den Butler treuherzig an. »Sie werden mit Sicherheit in wenigen Minuten Schwierigkeiten mit Ihrer Gesundheit bekommen«, prophezeite Josuah Parker. »Mylady ist nicht gewillt, sich belügen zu lassen.« Sie spielte er neut mit ihrer Hutnadel und förderte auf diese Weise die Aussa gefreude. Olbart streckte zum zweitenmal seine Hände abweh rend aus. »Wayters wollte den Bentley hier später abholen«, erklärte er nun überaus eifrig. »Lady, bitte, nehmen Sie diese verdammte Nadel endlich weg.« »Und nun, Mister Parker?« Sie wandte sich an ihren Butler. »Sie haben hoffentlich endlich erkannt, daß es hier um Auto-Diebstahl geht, oder?« »Vielen Dank für diesen Hinweis, Mylady.« Parkers Gesicht blieb glatt und ausdruckslos wie stets. »Vor der geplanten Weiterfahrt 16
sollte man die drei Personen vielleicht daran hindern, zu schnell wieder aktiv zu werden.« »Das ist ihre Sache, Mister Parker.« Sie wirkte bereits gelang weilt. »Mit solchen Details gebe ich mich nicht ab.« Parker hielt inzwischen seine Spraydose in Händen und bediente damit die drei Männer, bevor sie überhaupt begriffen, was mit ihnen geschah. Nacheinander versorgte er sie mit einer kleinen, aber intensiven Dosis aus dem Spray-Zylinder und brauchte nur einige Augenblicke zu warten, bis die Kerle einen völlig gelösten Eindruck machten. Parkers Spezialspray sorgte dafür, daß alle Behandelten sich entspannten und in Tiefschlaf fielen. Danach hatte der Butler keine Schwierigkeiten mehr, sie mit seinen Plas tikfesseln zu versorgen. * »Wo bleiben Sie denn, Mister Parker?« fragte Agatha Simpson leicht gereizt, als Parker auf dem kleinen Innenhof erschien. »Meine Wenigkeit schaffte die drei Personen in ein fensterloses Gelaß, Mylady, dessen Tür einem Ausbruchsversuch erheblichen Widerstand leisten dürfte.« »Sehr schön.« Sie nickte und deutete dann auf den Bentley. »Ein hübscher Wagen, nicht wahr?« »Den man seinem Besitzer zurückgeben sollte, Mylady.« »Sie kennen den Mann?« wunderte sie sich. »Es handelt sich um Mister Rufus Zodiak, Mylady.« »Habe ich diesen Namen nicht schon mal gehört?« Sie runzelte die Stirn. »Mister Rufus Zodiak leitet den Orden des neuen Lebens, Myla dy«, erinnerte der Butler. »Für ihn arbeiten die beiden Frauen, die Mylady einen Besuch abstatteten.« »Ich weiß, ich weiß.« Sie winkte ungeduldig ab. »Und woher sind Sie so sicher?« »Meine Wenigkeit rief drüben vom Büro aus in der sogenannten Lichthalle an, Mylady. Man bestätigte meiner Wenigkeit, daß der Bentley inzwischen vermißt würde.« »Ein recht guter Einfall«, lobte sie verhalten. »Also gut, ich werde den Bentley chauffieren, Mister Parker, und Sie werden hinter mir bleiben.« 17
»Mylady kennen den Standort der sogenannten Lichthalle?« »Ich werde ihn schon finden«, meinte sie optimistisch. »Wo liegt die Halle noch?« »In Queens Park, Mylady.« Parker rechnete bereits jetzt mit ei nigen Überraschungen während der Fahrt. »Wenn es erlaubt ist, sollte man den Wagen vorher vielleicht kurz durchsuchen.« »Papperlapapp, das kostet nur Zeit«, widersprach sie. »Der Gesprächspartner in der Lichthalle erkundigte sich angele gentlich nach einer Collegemappe auf dem Rücksitz, Mylady. Er dürfte dies nicht ohne Grund getan haben.« »Also gut.« Sie schnaufte verächtlich. »Aber was bringt das schon, Mister Parker?« Der Butler verzichtete auf eine Antwort, zumal er die angespro chene Collegemappe bereits auf dem Boden vor den Rücksitzen ausgemacht hatte. Er öffnete den hinteren Wagenschlag und hol te die Mappe, die aus teurem Leder bestand, nach draußen. Er betätigte den Reißverschluß und zog einige schmale Klarsichthül len hervor, in denen Papiere untergebracht waren. »Nun, Mister Parker, was sagt mir das?« wollte sie wissen, wäh rend der Butler die Papiere durchblätterte. »Es dürfte sich um Kontenaufstellungen handeln, Mylady«, be antwortete Parker die Frage. »Demnach zu urteilen, muß es sich um nicht unerhebliche Beträge handeln, die bei diversen Banken untergebracht sind.« »Zahlen, Mister Parker, Zahlen«, verlangte sie. »Sechs- bis vielleicht siebenhundertfünfzigtausend Pfund, Myla dy.« Parker hatte den Betrag oberflächlich addiert. »Sehr hübsch«, lobte sie. »Das ist kein Kleingeld. Daher also kann er sich den Bentley leisten, Mister Parker. Ich werde selbst verständlich Finderlohn beanspruchen, Mister Parker.« »Für den Bentley, Mylady«, schlug Parker vor. »Die Unterlagen hingegen werden Mylady sicher in Verwahrung nehmen.« »Tatsächlich?« staunte sie, gab sich dann einen Ruck und nickte nachdrücklich. »Genau das wollte ich gerade sagen. Diese Unter lagen können noch recht wertvoll werden.« »Myladys Weitblick ist immer wieder rühmenswert«, erklärte Josuah Parker und erntete dafür ein leutseliges Lächeln seiner Herrin.
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»Harvey Dalton«, stellte der drahtige Mann sich vor und zeigte ein berufsmäßig gewinnendes Lächeln. »Ich bin Mister Zodiaks Sekretär.« »Oder auch des sogenannten Wissenden, Mister Dalton?« fragte Parker. »Richtig, Mister Parker«, bestätigte Dalton. »Sie haben also den Bentley gefunden? Darf man erfahren, wie es dazu kam?« »Aber durchaus.« Parker deutete ein Kopfnicken an, schwieg dann aber. »Und wie kam es dazu?« »Dies, Mister Dalton, werden Mylady und meine Wenigkeit dem sogenannten Wissenden selbst erklären.« »Tut mir leid, aber Mister Zodiak ist momentan nicht zu errei chen.« »Der Bentley ebenfalls nicht«, schnappte Lady Agatha ungedul dig. »Wo steckt denn Ihr Arbeitgeber, junger Mann?« »Der Wissende hält gerade seine abendliche Zwiesprache mit den Sendboten der Mächtigen.« »Jeden Abend?« erwiderte Lady Agatha erstaunt. »Fast jeden Abend«, bestätigte Harvey Dalton. »Es kommt dar auf an, ob die Mächtigen Kontakt aufnehmen wollen.« »Und wer, bitte, wenn man fragen darf, sind diese Mächtigen?« schaltete Parker sich ein. »Eben die Mächtigen«, reagierte Dalton wie selbstverständlich. »Nur der Wissende allein weiß, wer sie sind.« »Das klingt nach Humbug, junger Mann«, spöttelte Agatha Simpson. »Ist aber die reine Wahrheit, Lady«, antwortete Dalton ernst. »Das Ende ist nahe.« »Dann wird man zu einem späteren Zeitpunkt noch mal zurück kommen«, schlug Parker vor, »falls vor dem Ende natürlich noch Zeit bleibt.« »Einen Moment noch.« Dalton, der seine Besucher in einem Bü ro im Hinterhaus der Lichthalle empfangen hatte, baute sich ne ben der Tür auf und lächelte wieder gewinnend. »Darf ich an die Collegemappe erinnern? Sie haben sie doch im Wagen gefunden, nicht wahr?« »Ist sie wichtig?« fragte Lady Agatha. 19
»Es sind persönliche Unterlagen des Wissenden«, meinte Dal ton. »Habe ich etwas gefunden, Mister Parker?« Sie blickte ihren Butler fragend an. »Mylady und meine Wenigkeit vermögen sich nicht zu erin nern«, erwiderte Josuah Parker. »Für die Rückgabe dieser Unterlagen wird der Wissende sicher einen guten Finderlohn zahlen.« Dalton war ein wenig nervös ge worden. »Um welche Unterlagen handelt es sich denn?« fragte Parker. »Geschäftliche Papiere«, entgegnete Dalton. »Für den Nichtein geweihten sind sie völlig wertlos.« »Dann sollte und wird ein möglicher Verlust vermutlich leicht zu verschmerzen sein«, stellte Parker fest und lüftete die schwarze Melone. Er geleitete Lady Agatha hinaus, über einen weiten Hof und zurück zu seinem Wagen. Dalton blieb an der Tür stehen und blickte ihnen nach. Parker ging davon aus, daß Dalton sich das Kennzeichen des hochbeini gen Monstrums gut einprägte. »Sie haben sich viel zu schnell abspeisen lassen, Mister Parker«, räsonierte die ältere Dame, als sie im Fond des Wagens saß. »Ich hätte darauf bestanden, diesen Wissenden zu sehen.« »Man wird sich sicher recht bald in irgendeiner Form melden, Mylady«, versprach Josuah Parker. »Wahrscheinlich wird Mister Dalton bereits aktiv sein.« »Sie rechnen mit einer Verfolgung?« hoffte sie umgehend. »Oder mit einem baldigen Besuch in Shepherd’s Market«, ant wortete der Butler. »Mister Dalton geht sicher davon aus, daß Mylady sich im Besitz der Unterlagen befinden.« »Und was ist nun mit meinem Plastikschlüssel?« fragte sie. »Ich will mir diese komische Halle ansehen.« »Die Lichthalle«, präzisierte Parker. »Der Schlüssel zum ewigen Glück wird sie noch an diesem Abend gegen acht Uhr öffnen, My lady.« »Ach nein.« Sie war etwas konsterniert. »Und woher wissen Sie das?« »Im Büro des Mister Dalton befindet sich eine große Wandtafel, Mylady, auf der die Stunden der Botschafts-Verkündigungen an gegeben sind. Danach findet die nächste Versammlung in etwa anderthalb Stunden statt.« 20
»Und ich werde dabei sein«, kündigte Mylady nachdrücklich an. »Diesen Unsinn werde ich mir aus nächster Nähe ansehen.« »Wenn es erlaubt sein sollte, wird meine Wenigkeit Mylady be gleiten«, antwortete Parker. »Aus Gründen der Tarnung sollte man vielleicht sein Äußeres ein wenig verändern.« »Sehr gut.« Sie war voll und ganz einverstanden. »Selbst Sie, Mister Parker, werden mich nicht wiedererkennen. Ich war schon immer eine Meisterin der Maske.« * Man interessierte sich schon sehr bald für die beiden Bewohner des altehrwürdigen Fachwerkhauses in Shepherd’s Market. Das zweistöckige Haus, das auf den labyrinthartigen Gewölben einer ehemaligen Abtei aus dem Mittelalter stand, wurde zur Straße hin flankiert von Fachwerkbauten, die sich alle in Myladys Besitz be fanden, jedoch nicht bewohnt wurden. Sie bildeten zusammen mit dem querstehenden Hauptbau einen nicht gerade kleinen Vorplatz, der zur Straße hin durch eine Sandsteinmauer und ein dazugehöriges Gittertor abgeschirmt wurde. Inmitten der lärmenden Millionenstadt war dies hier quasi eine Oase der Stille, die man in London kaum vermutet hätte. Es handelte sich um zwei seriös aussehende Männer, die das geöffnete, zweiflügelige Gittertor passiert hatten und die sicher nicht wußten, daß sie damit bereits eine unsichtbare Sperre durchschritten. Im Haus war der Besuch durch ein Signal gemel det worden. Butler Parker stand bereits vor dem geöffneten Wandschrank neben dem verglasten Vorflur und begutachtete die beiden Männer, die auf dem Kontroll-Monitor deutlich zu erken nen waren. Sie trugen dunkle Anzüge, weiße, geschlossene Kragen, wie man sie bei Geistlichen sah und transportierten in ihren Händen schwarze Aktenköfferchen. Sie schritten schnurstracks zum über dachten Hauseingang und läuteten. »Darf man sich nach den speziellen Wünschen der Herren er kundigen?« fragte Parker über die Wechselsprechanlage nach draußen. Ihm war nicht entgangen, daß einer der Seriösen be reits die Fernsehkamera unter dem spitzgiebeligen Dach des Vor baus entdeckt hatte. 21
»Wir kommen im Auftrag Mister Zodiaks«, sagte einer der bei den höflich. »Könnte man Lady Simpson sprechen?« »Dies läßt sich sicher einrichten.« Parker machte Ihnen klar, daß er sie auf dem Umweg über die Fernsehkamera beobachtete. Er betätigte den elektrischen Türöffner und ließ die beiden Besu cher eintreten. Sie erschienen im verglasten Vorflur und hatten von hier aus ungehinderten Blick in die Wohnhalle mit dem riesi gen Kamin. Waffen hatten sie übrigens nicht mitgebracht, wie die Sonde im Türrahmen Parker signalisiert hatte. Der Butler blieb dennoch vorsichtig. Noch öffnete er nicht die Glastür, um sie in die Wohn halle einzulassen. Dafür aber wollten sie es tun. Die beiden Seriösen waren recht sportlich und schnell. Kraftvoll drückten sie sich ab und warfen sich förmlich auf die Glastür. Ei ner von ihnen griff nach dem Türknauf, drehte ihn und mußte feststellen, daß die Tür auf diese Weise nicht zu öffnen war. Der zweite Mann war zurückgesprungen, nahm einen Anlauf und warf sich mit aller ihm zur Verfügung stehenden Wucht gegen die Glastür und ging wohl davon aus, sie sprengen zu können. Er erlebte eine herbe Enttäuschung. Der Vorbau samt Tür bestand aus schußsicherem Panzerglas und rührte sich nicht. Der Mann wurde zurückgeworfen, verlor dabei das Gleichgewicht und fiel seitlich zu Boden. Als er sich auf richtete, rieb er sich die schmerzende Schulter. »Sie wirken ein wenig ungestüm«, sagte Parker über die Wech selsprechanlage in den Vorraum. »Hoffentlich wird Mister Zodiak Ihr Vorgehen billigen.« »Zodiak? Nie gehört«, sagte der erste Seriöse. »Dann dürfte meine bescheidene Wenigkeit sich verhört ha ben«, gab der Butler zurück. »Messen Sie diesem Namen mög lichst keine Bedeutung bei, meine Herren.« »Das war’s dann auch schon«, sagte der erste Mann und wand te sich zur Haustür, die hinter ihm und seinem Begleiter unhör bar’ ins Schloß geglitten war. Er wollte sie öffnen und erlebte die nächste Überraschung. Sie rührte sich nicht. »Wir möchten verschwinden«, sagte er in Richtung Parker. »Ohne Mylady gesprochen zu haben?« fragte der Butler. »Okay, wir kommen wegen ‘ner Collegemappe«, sagte der Mann gereizt. »Und Sie dürften es bereits wissen.« 22
»Mylady und meine Wenigkeit müssen bedauern. Sie befand sich nicht im Bentley, wie man Mister Dalton bereits sagte.« »Wir werden es ausrichten.« »Einem Mister Zodiak, den Sie doch angeblich nicht kennen?« »Streiten wir ab, falls ‘ne andere Person aufkreuzen sollte. Auch der Polizei gegenüber.« »Und wie würden Sie der Polizei gegenüber Ihren Besuch erklä ren?« »Wir wollen Versicherungen verkaufen. So einfach ist das.« »Die entsprechenden Unterlagen haben Sie sicher in Ihren Ak tenkoffern, wie anzunehmen ist.« »Klar doch.« Der Mann lächelte spöttisch. »Sie arbeiten für eine bestimmte Versicherung oder Agentur?« »Auch das ist klar. Bei uns stimmt alles.« »Bis auf das Ungeschick der Herren, was das schnelle Eintreten betraf.« »Können wir jetzt endlich abhauen?« »Sie werden sich gedulden müssen, bis Mylady das Dinner ein genommen hat.« »Überspannen Sie den Bogen nicht, Parker«, warnte der Mann ihn. Sein Partner war inzwischen damit beschäftigt, die leicht ver renkte Schulter vorsichtig zu bewegen. »Sie fühlen sich nach wie vor als überlegen?« »Ewig können Sie uns hier ja nicht festhalten, Parker. Und was sitzt denn sonst noch für Sie drin? Sie und die Lady sind schließ lich Amateure, die sich überschätzen.« »Wie Sie zu meinen belieben.« Josuah Parker hob die Fernbe dienungsanlage in seiner Rechten und betätigte einen der vielen Schalter. Dann hörte er einen doppelten Aufschrei und sah, wie die beiden Männer ihre Arme in die Luft warfen und durch die Falltür nach unten sackten. Sekunden später schloß sich der Par kettboden des Vorflurs wieder und sah ungemein solide aus. Von den beiden Besuchern war weder etwas zu sehen noch zu hören. * »Ich will Diät halten, Mister Parker, aber keineswegs verhun gern«, tadelte Lady Agatha den Butler, der das Dinner servierte. 23
Er reichte eine klare Brühe und deckte anschließend einige Warmhalteplatten auf. Parker zeigte seiner Herrin Roastbeef, ein wenig Lamm und Fisch. Dazu wollte er Kroketten, diverse Gemüse und Salate rei chen. Er konnte mit einer Nierenpastete dienen, mit Schweinelendchen und mit einem Rumkuchen. »Die Kalorien wurden genau berechnet, Mylady«, erklärte der Butler. »Dabei müssen Sie sich vertan haben«, räsonierte sie. »Ich ha be schließlich einen harten Tag hinter und noch eine anstrengen de Nacht vor mir.« »Auf Wunsch, Mylady, kann jederzeit nachgereicht werden.« »Das hört sich schon besser an. Haben meine Gegner sich be reits gemeldet?« »Sie befinden sich zur Zeit in der Fallgrube unter dem Vorflur, Mylady.« »Und das erfahre ich erst jetzt? Man wollte mich ermorden?« »Vielleicht nicht direkt, Mylady, man interessierte sich sehr in tensiv für die Collegemappe. Es handelte sich um zwei Besucher.« »Ich werde sie mir nach dem Dinner vornehmen, Mister Parker. Man hat sehr schnell herausgefunden, wer ich bin und wo man mich finden kann, nicht wahr?« »Mister Dalton dürfte sich das Kennzeichen meines Wagens ge merkt haben, Mylady.« »Erfreulich, daß Sie es ebenfalls so sehen, Mister Parker«, ant wortete sie leutselig. »Ich höre wieder mal, daß Sie mitdenken. Weiter so!« »Meine Wenigkeit wird sich immerfort strebend bemühen, Myla dy.« Parkers Gesicht blieb glatt und ausdruckslos. »Was macht dieses verkommene Subjekt, das mich in der Ga rage überfallen wollte?« fragte sie weiter und nickte wohlwollend, als Parker ihr wieder vorlegte. »Er wurde in Myladys Sinn der Freiheit zurückgegeben«, erwi derte der Butler. »Nach seinem Hinweis auf Mister Olbart war mit keinen weiteren Informationen zu rechnen. Er war überaus be glückt, als er den Kofferraum des Wagens verlassen durfte und strebte hier vom Haus schleunigst der Durchgangsstraße zu.« »Wie leichtsinnig von Ihnen, Mister Parker«, tadelte sie umge hend. »Aber ich werde dieses Mal darüber hinwegsehen.« »Im Zusammenhang mit Mister Olbart wurde auch auf einen 24
gewissen Mister Barry Wayters verwiesen, Mylady«, erinnerte der Butler diskret. »Mister Wayters dürfte sich wie Mister Keefing auf den Diebstahl von Autos spezialisiert haben.« »Auch diesem Lümmel werde ich noch das Handwerk legen«, versprach ‘ sie. »Jetzt geht es mir erst mal um diesen falschen Propheten, Mister Parker. Alles zu seiner Zeit. Wann werde ich das Haus verlassen?« »Sobald Mylady Maske gemacht haben.« »Dazu brauche ich höchstens eine halbe Stunde«, erklärte sie. »Ob die knappe Zeit auch für Sie reichen wird, weiß ich natürlich nicht.« Sie hatte ihren Rumkuchen verspeist und war beim Mokka. »Mylady haben sich bereits für eine bestimmte Maske entschie den?« fragte der Butler. »Ich werde als biedere Hausfrau erscheinen«, antwortete die äl tere Dame. »Lassen Sie sich überraschen.« »Mylady werden überzeugend wirken.« »Und als was wollen Sie auftreten, Mister Parker?« »Als Taxifahrer, Mylady, falls dies genehm ist.« »Nun ja, man wird sehen.« Sie trank die kleine Mokkatasse leer, stand auf und bewegte ihre Fülle hinüber in die riesige Wohnhalle. Von dort schritt sie majestätisch wie eine regierende Königin ins Obergeschoß. Parker begab sich zum Wandschrank neben dem Vorflur und schaltete die hausinterne Fernsehanlage ein. Er aktivierte eine Kamera, die einen umfassenden Einblick in die Fallgrube gewähr te. Die beiden angeblichen Versicherungsvertreter lagen auf wei chen und nachgiebigen Schaumstoff-Streifen und schienen sich in ihr Schicksal ergeben zu haben. Als Parker sich über die Wechsel sprechanlage diskret räusperte, waren sie sofort hellwach. »Wie lange sollen wir hier noch liegen?« fragte der Mann, der sich die Schulter verrenkt hatte. Seine Stimme klang gereizt. »Dies, meine Herren, hängt von Ihren Aussagen ab, was Ihren Auftraggeber betrifft«, antwortete Josuah Parker. »Sie wissen doch verdammt genau, Parker, wer uns geschickt hat«, sagte der andere Mann wütend. »Wer genau hat die Herren hierher geschickt?« »Dalton«, lautete die Antwort. »Aber der wird alles abstreiten, wie wir auch.« 25
»Sie kamen eindeutig ohne Waffen auf der Basis von Metall«, schickte der Butler voraus. »Sie verließen sich demnach auf Ihre Muskeln?« »Probieren Sie’s doch mal aus«, lautete die spöttische Antwort. »Sie werden erleben, daß man keine Waffen braucht, um Leute zu überreden.« »Und dazu zu bringen, eine gewisse Collegemappe auszulie fern?« »Genau, Parker, genau! Aber wir sprechen uns noch. Uns legt man nur einmal rein.« »Sie haben Zeit und Gelegenheit, sich in Ihren Gedanken damit zu befassen«, gab Josuah Parker zurück. »Geben Sie Ihrer Phan tasie also unbegrenzten Raum.« Parker schaltete die hausinterne Fernsehanlage ab und ging ins Souterrain des Hauses, in dem sich seine privaten Räume befan den. Er brauchte nur knapp fünf Minuten, bis er Maske gemacht hatte. Und es zeigte sich wieder mal, mit wie wenigen Hilfsmitteln er auskam. Er entschied sich für eine abgewetzte Lederjacke, für eine alt modische Stahlbrille und für einen Schal, um seinen weißen Eck kragen zu verbergen. Dann tauschte er die schwarze Melone ge gen eine Ledermütze und war bereit, der Lichthalle des Mister Zodiak einen Besuch abzustatten. Als Parker die große Wohnhalle erreichte, kam Lady Agatha als biedere Hausfrau über die geschwungene Freitreppe nach unten. Auf ihrem Kopf saß ein zerknautschter Topfhut. Sie trug einen weiten Hänger-Mantel über ihrem Kostüm und hatte sich für hohe Stöckelschuhe entschieden. Den Pompadour hatte sie in eine große Handtasche gesteckt, und Parker war sicher, daß wenigstens zwei Hufeisen in ihm un tergebracht waren. Myladys Make-up beeindruckte. Sie hatte sich rote Lippen angemalt und die Wangen ausgiebig gepudert. Sie schwenkte ein wenig herausfordernd ihre nicht ge rade schmalen Hüften, als sie die Treppe hinter sich hatte. »Nun, Mister Parker, jetzt sind Sie überrascht, nicht wahr?« fragte sie. »Überrascht und zugleich ungemein tief beeindruckt, Mylady«, erwiderte Josuah Parker. Sie erinnerte ihn an eine altgediente Bordsteinschwalbe, die bereit war, auf Kundenfang zu gehen. 26
Doch das sagte er ihr natürlich nicht. * Die Lage der Lichthalle war Parker bekannt. Erst vor kurzem waren er und Mylady mit dem Bentley dorthin gefahren und hatten sich mit dem Sekretär des sogenannten Wis senden unterhalten. Die Lichthalle selbst war in einem ehemaligen Lichtspiel-Theater untergebracht. Nichts deutete daraufhin, daß der Orden des neuen Lebens sich hier eingerichtet hatte. Die ehemalige Fassade des Kinos war nicht verändert worden, zumal sie pompös genug war. Es gab eine Menge kleiner Türm chen und Scheingiebel. Die Überdachung zur Eingangshalle reichte fast bis an den Rand der Straße. In dem strahlend hellen Raum drängten sich die Su chenden, die sich für ein neues Leben nach dem baldigen Weltun tergang interessierten. »Sie haben einen Schlüssel?« fragte einer der Ordner, als Lady Agatha und Butler Parker sich einem der drei Zugänge zum In nenraum näherten. »Aber nur einen«, erwiderte Josuah Parker und zeigte seinen Schlüssel zum ewigen Glück. »Geht in Ordnung«, lautete die Antwort. »Der ist gut für zwei Personen.« »Wie lange dauert das alles?« wollte Parker wissen. Er bemühte sich um eine recht knappe Sprache, die seinem Aussehen ent sprach. »Gut zwei Stunden«, hörte er. »Aber Sie werden sich nicht langweilen, Bruder.« Lady Agatha drängte weiter, zwängte sich mit ihrer Fülle durch die Suchenden und erkämpfte sich im Mittelblock des ehemaligen Parketts zwei Plätze an der Gangseite. »Das ist ja direkt abenteuerlich«, wunderte sie sich und wandte sich halb um. Die Plätze in dem ehemaligen, nicht gerade kleinen Lichtspiel-Theater waren fast schon besetzt. Dann öffnete sie ihre Handtasche, holte eine Packung Kartoffel-Chips hervor, riß sie auf und knabberte ungeniert und nicht gerade leise. Parker fotografierte inzwischen mit seinen Augen die Bühne und 27
staunte über den Aufwand, der dort getrieben wurde. Den Hinter grund füllte ein riesiger Orgel-Prospekt, davor gab es verschiedene Ebenen, die mit gemischten Chören besetzt waren. Die Orgel produzierte weihevolle Klänge, die gemischten Chöre lieferten dazu getragene Weisen. Einige Lichtspender tauchten die Bühne in magische Beleuchtung und sorgten für die passende Atmosphäre. Die männlichen und weiblichen Mitglieder der Chöre trugen lan ge, weiße und wallende Gewänder und zeigten einheitliche Frisu ren. Sie bestanden aus goldgelben Perücken, die bis zu den Schultern reichten. Zusammen mit den glitzernden Bordüren auf den Gewändern erinnerten die Chormitglieder an Rauscheengel. »Schwester, bitte keine vulgären Naschereien«, hörte Mylady plötzlich hinter sich. Sie wandte sich um und erblickte eine müt terlich aussehende Frau, die etwa fünfzig Jahre zählte. Sie trug ebenfalls ein langes Gewand und langte dann wie selbstverständ lich nach der Packung mit den Kartoffel-Chips. Sie hätte es besser nicht getan. Lady Agatha schlug ihr sanft auf die Hand und blitzte sie an. »Finger weg«, grollte sie. »Schwester, bitte…!« Die Ordnerin zuckte zusammen und blick te verdutzt auf ihre Hand. Dann rang sie sich ein Lächeln ab und präsentierte der älteren Dame ein Bastkörbchen, das mit Gold rand durchwirkt war. In diesem lagen pralinenartige, in Cellophan verpackte Naschereien. »Für mich?« fragte Lady Agatha in versöhnlichem Ton. Sie war tete die Antwort nicht ab und griff nach dem Körbchen. »Nur eins pro Person«, schränkte die Ordnerin ein. Sie hatte sich inzwischen für ein Lächeln entschieden. »Nun gut.« Lady Agatha griff erneut zu und versorgte sich,und zusätzlich noch etwa fünf andere Personen. Dann nickte sie wohlwollend und übersah die Ordnerin, die irritiert schien und nicht wußte, wie sie sich verhalten sollte. »Sie stören, meine Liebe«, raunzte Lady Simpson sie an, als sie nicht weiterging. Die Ordnerin wollte etwas sagen, doch in diesem Augenblick brauste die mächtige Orgel auf und machte jede Unterhaltung unmöglich. Die Lichtspender wurden zu einem einzigen Lichtbün del, das auf eine Art Tor gerichtet war, das sich quälend langsam öffnete. Die Chöre schwangen sich zu einem jauchzenden Schrei 28
auf und huldigten dem Wissenden, der jetzt bedächtig durch das Tor schritt. »Sehr hübsch«, meinte Lady Agatha zu Parker, »aber etwas aufdringlich, finden Sie nicht auch?« * »Die Zeit ist kurz… das Ende sehr nahe«, verkündete Rufus Zo diak mit eindringlicher Stimme. »Und es wird ein schreckliches Ende sein, Schwestern und Brüder.« Nach dieser etwas pauschalen Behauptung setzte die Orgel wie der ein und lieferte rauschende Akkorde. Der Chor folgte diesem Beispiel und sang vielstimmig und durchaus gekonnt die Worte des Wissenden nach. Lady Agatha war recht angetan und wickelte die erste Nascherei aus. Sie lehnte sich zurück und fuhr dann allerdings zusammen, als die Orgel und der Chor mit einem wilden Aufschrei endeten. Der Wissende mochte etwa fünfundvierzig sein, war etwas über mittelgroß und fast schlank. Er trug einen schneeweißen Anzug, der von einem erstklassigen Schneider stammte, und ein goldfar benes Rüschenhemd. An seinen Fingern glitzerten Goldringe, die förmlich Strahlen warfen, als Rufus Zodiak etwas eindringlicher wurde. Er stand vor einem Mikrofon und deutete abwechselnd mit beiden Zeigefingern in die Menge. Überzeugend sprach er von den Mächtigen, die die verkommene Welt zu reinigen gedachten. Er geißelte die Gleichgültigkeit der Menschen, redete von der Bestrafung der Ignoranten und von der letzten Chance, die der Orden des neuen Lebens anzubieten hat te. Er erwähnte die Zuflucht und ließ sich über die Nutzlosigkeit des Materiellen aus. Er beherrschte sein Fach, wie Parker neidlos anerkannte. Rufus Zodiak wüßte sehr genau, wann er seinen Ton zu dämp fen hatte, wann er flüstern mußte, wann er die Stimme wieder in eine Peitsche zu verwandeln hatte. Es gelang ihm mühelos, die Versammelten in Massenhysterie zu versetzen. Die ersten spitzen Schreie aus dem großen Kreis der Zuhörer waren zu vernehmen, Schluchzen und Stammeln. Einige Leute liefen taumelnd wie in Trance zur Bühne, wurden hier aber von bereitstehenden Ordnern abgefangen und quasi liebevoll wegge 29
führt. Immer dann, wenn der Wissende eine Verschnaufpause einleg te, dröhnte die Orgel und sangen die Chöre. Der Wissende war der zentrale Punkt, um den sich alles beweg te. Er hatte sich inzwischen mit einem Handmikrofon versorgt, das aus reinem Gold zu bestehen schien. Er lief mit schnellen, kleinen Schritten an der Rampe entlang, stand immer genau im Kegel der Scheinwerfer und beschwor eindringlich die Zuhörer. Der Wissende hämmerte ihnen ununterbrochen ein, daß das Ende nahe und die Zeit kurz sei. Er sprach vom Strafgericht, von der Endzeit und von einer Zuflucht, auf die er allerdings nicht näher einging. Lady Agatha befaßte sich weiter mit ihrer Nascherei und wollte sie unbedingt auch genießen. Sie hatte die übrigen Pralinen selbstverständlich nicht weitergegeben, sondern für sich zurück behalten. Als sie die erste aus der Umhüllung schälte und sie sich in den Mund schieben wollte, griff Josuah Parker höflichst ein. »Mylady nehmen gewiß an, daß das Naschwerk möglicherweise präpariert ist«, sagte er. »Machen Sie keinen Unsinn.« Sie war verdutzt. »Mylady rechnen mit Beeinflussungen aller Art«, unterstellte der Butler ihr weiter. »Selbstverständlich.« Sie hatte sich entschieden und nickte ent schlossen. »Ich werde diese Dickmacher als Beweisstücke mit nach Hause nehmen.« Dann aber ließ sie sich wieder ablenken. Der Wissende rief inzwischen zur Einkehr auf, verlangte von den Anwesenden, jeden irdischen Ballast von sich zu werfen, und kam dann sehr eindringlich auf die Spende für den Ausbau der großen Zuflucht zu sprechen. Sofort erschien ein kleines Heer von adrett gekleideten jungen Damen, die golddurchwirkte Bastkörbchen bereit hielten und die Spenden einsammelten. »Scheußlich«, sagte Agatha Simpson und musterte eine Samm lerin, die schnurstracks auf sie zukam. »Das ist doch die reinste Schnorrerei, Mister Parker.« »Mylady sind keineswegs verpflichtet, eine Spende zu geben«, beruhigte Parker sie. »Weiter, weiter, Kindchen.« Lady Agatha legte die hohle Hand über das Körbchen und gab vor, einen Geldschein gespendet zu 30
haben. Parker hingegen schüttelte nur den Kopf, als das junge Mädchen ihn auffordernd anblickte. »Jede Gabe wird zehnfach zählen«, ermunterte die Sammlerin. »Ich habe für meinen Begleiter bereits mitbezahlt«, schaltete Lady Simpson sich ein. Die Sammlerin nickte und ging weiter. Und es war schon fast unheimlich, mit welcher Begeisterung die Endzeit-Gläubigen die Pfundnoten in den Bastkorb warfen und dabei verschiedentlich sogar jauchzten. Der Wissende hatte sich längst zurückgezogen. Die Orgel dröhn te wieder, die Chöre sangen schnelle Melodienfolgen. Von der Decke des ehemaligen Lichtspiel-Theaters senkte sich eine riesige Leinwand herab, auf der in aller Breite und Farbe die wütenden Ausbrüche eines Vulkans zu sehen waren. Kochende, spritzende Lavaströme beherrschten das Bild. Sie flossen mit unheimlicher Schnelligkeit einen Hang hinunter und stürzten über eine Felsklippe in aufgewühlte Brandung. Die Bild sequenzen wechselten. Andere Lavaströme ergossen sich in einen Wald, wobei Baum für Baum verschlungen wurde. Immer dann, wenn die Orgel und die Chöre aussetzten, war die donnernde Stimme des Wissenden zu vernehmen, der erneut darauf verwies, daß das Ende nahe sei. * Sie standen in der Höhe seines hochbeinigen Wagens, rauchten Zigaretten und gaben sich ungemein harmlos. Es handelte sich um zwei mittelgroße, schlanke Männer, etwa dreißig Jahre alt. »Was ist denn, Mister Parker?« erkundigte sich Lady Agatha un gehalten, als der Butler sie abrupt über die Straße dirigierte und ein Restaurant ansteuerte. »Mylady werden sicher bereits wahrgenommen haben, daß man Mylady sehnlichst erwartet.« »Erwartet? Mich? Wie kommen Sie denn darauf? Denken Sie an meine Maske. Kein Mensch wird mich wiedererkannt haben.« »Dennoch dürften zwei Personen männlichen Geschlechts auf Mylady warten.« »Und was jetzt? Moment mal, meinen Sie etwa die älteren Män ner rechts von der Laterne?« »Fast, Mylady«, antwortete Parker. »Mylady denken natürlich 31
auch an die beiden wesentlich jüngeren Männer in den dunklen Straßenanzügen.« »An die selbstverständlich auch«, behauptete sie schleunigst. »Sie fielen mir sofort auf. Ich werde also erst mal einen Imbiß zu mir nehmen?« Sie war mit diesem Intermezzo durchaus einverstanden. Das Restaurant, festlich beleuchtet, schien zum Gesamtkomplex der Lichthalle zu gehören. Viele Versammlungsteilnehmer überquer ten ebenfalls die Straße und hielten auf die Lichterpracht zu. »Was ist denn das?« Lady Agatha bremste jäh ihren Schwung, als sie den Eingang des Lokals erreicht hatte. »Auf Mylady warten streng vegetarische Speisen«, antwortete der Butler. Er deutete auf die beiden Tafeln links und rechts, die Agatha Simpson schon längst zur Kenntnis genommen hatte. »Außerdem wird kein Alkohol ausgeschenkt.« »Lächerlich«, grollte sie »Bieten Sie mir umgehend ein anderes Lokal an, Mister Parker. Nach dieser Show brauche ich direkt ei nen Kreislaufbeschleuniger.« »Dazu müßte man zum Wagen zurück gehen, Mylady.« »Ich werde diese beiden Subjekte überrumpeln, Mister Parker. Woher weiß man übrigens, daß es Ihr Wagen ist? Ich wette, Mis ter Parker, Sie bilden sich da wieder etwas ein. Sie neigen zu Ü berreaktionen.« »Vielleicht wurden Mylady und meine Wenigkeit beobachtet, als man das Haus in Shepherd’s Market verließ.« »Daran hätten Sie aber denken müssen, Mister Parker.« »Was durchaus der Fall war, Mylady«, gestand Josuah Parker. »Die Hartnäckigkeit, mit der man Mylady beschattet, deutet ein deutig darauf hin, daß die Unterlagen aus dem Bentley ungemein wichtig sein müssen.« »Eine Aufstellung von Spendengeldern, wie?« Sie lachte nicht gerade leise. »Diesem Wissenden schaufelt man das Geld ja förmlich ins Haus und in den Hals.« »Es dürfte sich weniger um die Summe handeln, Mylady, als vielmehr um die Banken und Kontennummern.« »Das sagte ich ja bereits«, meinte sie lässig. »Falls aber nicht, wußte ich es sofort, Mister Parker. Was ist nun mit den beiden Subjekten?« »Man wird umgehend dafür sorgen, daß sie von einem momen tanen Unwohlsein befallen werden«, versprach Josuah Parker. 32
»Mylady sollten inzwischen vielleicht ein kleines Bad in der Menge nehmen.« »Ich werde Ihnen unauffällig folgen«, meinte sie störrisch. »Al lein kommen Sie ja doch nicht zurecht.« Josuah Parker ließ sich erst gar nicht auf eine Diskussion ein, sondern querte erneut die Straße und schob sich inmitten vieler Versammlungsteilnehmer an die beiden Wartenden heran, die inzwischen eindeutig nervös geworden waren. Sie hatten sich getrennt und warteten darauf, die Benutzer des hochbeinigen Wagens in die Zange nehmen zu können. Parker verschwand in einem Hauseingang und aktivierte seine Gabelschleuder, die er selbstverständlich mitgenommen hatte. Um nicht unnötig Verletzungen hervorzurufen, entschied er sich für eine mittelhart gebrannte Ton-Erbse, legte sie in die Leder schlaufe, spannte die beiden Gummistränge und brachte den Mann am Wagen dazu, sich eine Sekunde später auf den Gehweg zu legen. Der zweite Wartende, der weiter vorn an einer Hauswand stand, sackte wenig später ebenfalls in sich zusammen. Mit traumwand lerischer Sicherheit hatte der Butler seine Miniatur-Geschosse auf den Weg und ins Ziel gebracht. Er stand bereits bei dem Mann, der erfreulicherweise neben dem hinteren Wagenschlag auf dem Gehweg lag. Der Butler wandte sich an einige Anhänger der Endzeit. »Wahrscheinlich ein kleiner Kreislaufzusammenbruch«, sagte er zu einigen Frauen und Männern, die auf den Liegenden natürlich aufmerksam geworden waren. »Man sollte ihn schleunigst zu ei nem Arzt bringen. Wenn Sie freundlicherweise helfen würden?« Er sperrte die hintere Wagentür auf und ließ den Mann auf die hintere Sitzbank verfrachten. Lady Agatha nahm inzwischen auf dem Beifahrersitz Platz und blickte schadenfroh auf den Mann an der Hauswand, der gerade wieder zu sich kam und sich ungläubig an den offensichtlich schmerzenden Hinterkopf faßte. Josuah Parker bedankte sich bei den Hilfreichen, nahm am Steuer Platz und verließ mit seinem hochbeinigen Gefährt den Dunstkreis der Lichthalle. »Darf man davon ausgehen, daß Mylady mit meiner Wenigkeit zufrieden waren und sind?« fragte er dann seine Beifahrerin. »Das wird sich noch zeigen, Mister Parker«, gab sie zurück. »An ihrer Stelle hätte ich auch dieses zweite Subjekt noch mitgenom 33
men.« »Was Kosten verursacht haben dürfte, Mylady.« »Eine Lady Simpson scheut keine Ausgaben, Mister Parker, wenn es darum geht, Verbrechen aufzuklären.« Sie räusperte sich diesmal Verhaltener als sonst und fügte hinzu: »Es muß sich na türlich alles in einem bestimmten Rahmen bewegen. Ich bin ge gen jede Verschwendung.« Der Fahrgast kam wieder zu sich, wie Parker im Rückspiegel beobachtete. Der Mann langte verstohlen nach seiner Schulter halfter und zog einen kurzläufigen Revolver hervor. Er richtete sich weiter auf und bewegte sich vorsichtig nach vorn. Er merkte allerdings erst jetzt, daß die Trennscheibe zwischen den Vorder sitzen und dem Rückraum des Wagens geschlossen war. Er klopfte mit dem Lauf energisch gegen die Scheibe. »Was, bitte, steht zu Diensten?« erkundigte sich Parker über die wageninterne Sprechanlage. »Sofort umdrehen«, verlangte der Fahrgast und richtete den Lauf der Waffe auf Lady Agatha, »sofort, oder es knallt!« »Genieren Sie sich nicht«, schlug Josuah Parker vor. »Sie wer den feststellen, daß die Scheibe schußfest ist. Falls Sie an einem tückischen Querschläger interessiert sein sollten, steht es Ihnen durchaus frei, einen Schuß abzufeuern.« Mister Revolverheld genierte sich. * »Wie… wie bin ich hier reingekommen?« wollte der Fahrgast ei ne Stunde später wissen. Er saß auf der Kante einer Bettcouch, die in einem von Myladys Gästezimmern stand. »Während der Fahrt wurden Sie von einem unwiderstehlichen Schlafbedürfnis erfaßt«, beantwortete Parker die Frage und stellte ein kleines Tablett ab, auf dem sich ein Teller mit Sandwiches und ein Becher Tee befanden. »Es kostete einige Arbeit, Sie in diesen Raum zu schaffen.« »Schlafbedürfnis?« Der Mann runzelte die Stirn. »Richtig, ich sackte plötzlich weg. Haben Sie da was in den Wagen geblasen?« »Wie auch immer«, meinte der Butler und ging auf die Frage nicht näher ein. Natürlich hatte er vom Fahrersitz aus den Mitfah rer mit einer Dosis Lachgas bedacht, um ihn später ohne Schwie 34
rigkeiten ins Haus einladen zu können. »Sie glauben doch wohl nicht, daß ich auspacken werde, oder?« Der Mann lächelte abfällig. »Meine Wenigkeit geht davon aus, daß Sie schweigen werden«, sagte der Butler. »Also können Sie mich gleich abhauen lassen«, fuhr der Gast des Hauses fort. »Aus mir bringen Sie nichts raus.« »Betrachten Sie sich als Gast des Hauses«, schickte der Butler voraus. »Es wird Ihnen an nichts fehlen. Das Fernsehgerät ist übrigens intakt. Sie brauchen sich nur zu bedienen.« »Was heißt hier Gast des Hauses?« Der Mann war aufgestanden und schätzte den Butler mit schnellen Bücken ab. Er kam zu ei nem guten Ergebnis. Parker sah nicht gerade wie ein harter Ein zelkämpfer aus. »Mylady gewährt Ihnen freie Kost und Logis«, erwiderte Parker auf die Frage. »Und… und wann kann ich raus?« »Darüber wird Mylady befinden. Sie hatten immerhin die Ab sicht, Lady Simpson und meine Wenigkeit zumindest zu belästi gen.« »Keine Ahnung, wovon Sie da reden.« »Der Revolver in Ihrer Schulterhalfter redete eine mehr als deutliche Sprache.« »Wo… wo ist mein Partner?« Der Mann wechselte das Thema. »Er blieb neben der Lichthalle zurück und erfreut sich der Frei heit.« »Er wird mich finden und hier seine Show abziehen.« »Dazu müßte er erst wissen, wohin man Sie verbracht hat.« »Und ob der das weiß! Und er wird bestimmt nicht allein auf kreuzen. Ersparen Sie sich also Ärger und lassen Sie mich raus. Ich pfeife auf die Sandwiches und den Tee.« Er hatte noch nicht völlig ausgesprochen, als er sich bereits von der Bettcouch abdrückte und sich auf den Butler warf. Er hatte die feste Absicht, Parker mit einer rechten Geraden zu Boden zu schicken und hätte seinen Schlag vielleicht auch angebracht, wenn da nicht das Serviertablett gewesen wäre. Parker hob es im richtigen Augenblick und ließ die Faust des Mannes dagegen klatschen. Der Faustkämpfer brüllte auf, als seine Fingerknöchel sich ein wenig stauchten. Er krümmte sich und schnappte verzweifelt 35
nach Luft. Dann blickte er wie hypnotisiert auf die Faust, deren Finger er nicht mehr bewegen konnte. »Nasse und kühlende Umschläge werden gewisse Wunder be wirken«, schlug Josuah Parker ihm vor. »Im Badezimmer dort finden Sie Handtücher und auch kaltes Wasser.« »Mann, wer sind Sie eigentlich?« wollte der Hausgast nach einer Weile wissen. »Wie hat man Mylady und meine Wenigkeit Ihnen beschrie ben?« fragte der Butler. »Ihr… ihr sollt aufgeblasene Amateure sein«, lautete die Ant wort. »Es steht Ihnen frei, diese Ansicht zu revidieren«, gab Parker zurück und deutete eine Verbeugung an. »Ihr Auftraggeber hat Sie und Ihren Partner aber eindeutig falsch informiert, was Ihren Auftrag betraf. Sie werden jetzt gewisse und unangenehme Kon sequenzen ziehen müssen.« Parker ging, bevor der Gast des Hauses antworten konnte. »Al Kerrings«, stellte der Mann sich vor, der gerade angerufen hatte. »Ich wette, Sie können mit meinem Namen nichts anfan gen.« »Sie rufen sicher kaum an, um eine Wette vorzuschlagen, Mis ter Kerrings«, antwortete der Butler. Er befand sich in seinen pri vaten Räumen im Souterrain des Hauses. Lady Agatha hatte sich nach dem Ausflug in die Lichthalle in ihren Räumen im Oberge schoß des Hauses niedergelassen. »Ich hatte Ihnen zwei Freunde auf den Hals geschickt, als Sie aus der Lichthalle kamen, Parker.« »Die Dinge nahmen keineswegs jenen Verlauf, Mister Kerrings, den Sie erhofften, wie Sie inzwischen wissen.« »Einer der beiden Idioten war gerade bei mir und hat sich aus geweint, Parker.« »Er hätte sich nachdrücklich beschweren sollen, Mister Kerrings. Sie haben Ihren beiden Freunden wahrscheinlich wissentlich vor enthalten, wie gefährlich es ist, sich mit Lady Simpson anzule gen.« »Und vor allen Dingen mit Ihnen, Parker.« Kerrings lachte amü siert. »Offen gesagt, ich wußte auch nicht, daß die Lady und Sie keine Amateure sind.« »Sie üben sich in der Kunst der Schmeichelei, Mister Kerrings.« »Sie wissen längst, daß ich für eine dritte Person aktiv gewor 36
den war, oder?« »Sollte Mister Harvey Dalton sich hilfesuchend an Sie gewandt haben, Mister Kerrings?« »Richtig, Parker, Sie haben die Zusammenhänge klar durch schaut.« »Ein Eingeständnis hinsichtlich des Mister Dalton, das erstaun lich ist.« »Ich rufe natürlich nicht ohne Grund an, Parker. Inzwischen weiß ich mehr über Ihre Lady und Sie. Ich schlage Ihnen ein Ge schäft vor.« »Mylady ist ungemein zurückhaltend, wenn es um Geldausga ben geht.« »Sie sind hinter Dalton her, ich hinter Geld, Parker. Über Dalton könnte ich Ihnen eine Menge Material zuspielen.« »Das nicht billig sein wird.« »Die Ausgabe wird sich aber lohnen, Parker. Aus diesen Unter lagen geht hervor, wer Dalton wirklich ist.« »Der Sekretär des sogenannten Wissenden, nicht wahr?« »Dalton hat Verbindungen in Richtung Südamerika, Parker. Muß ich noch deutlicher werden?« »Meine Wenigkeit bitten darum, Mister Kerrings.« »Drogen, reicht das Stichwort?« »Ein Aspekt, den man interessant nennen dürfte.« »Dalton schleust eine Menge Geld nach Europa und wäscht Dro gen-Dollars über den Orden des neuen Lebens. Das muß aber jetzt als Hinweis reichen, Parker. Kommen wir ins Geschäft?« »An welche Summe belieben Sie zu denken, Mister Kerrings?« »Eine Million Pfund… Moment, die braucht natürlich nicht Ihre Lady zu bezahlen, nein, die zweigen Sie für mich ab.« »Meine Wenigkeit versteht kein Wort, um der Wahrheit die Ehre zu geben, Mister Kerrings.« »Dalton erwartet wieder eine Sendung Drogen-Dollars, die Sie abfangen könnten. Ich schätze, da werden rund zehn Millionen fällig sein, mir aber reicht die eine Million.« »Darf man fragen, warum nicht Sie die zehn Millionen an sich bringen wollen? Der Effekt wäre doch erheblich größer.« »Ich bin nicht so gerissen wie Sie, Parker. Holen Sie für mich die Kastanien aus dem Feuer, dafür liefere ich Ihnen Dalton ans Messer.« »Ihre Offenheit ist geradezu erstaunlich.« 37
»Die Einzelheiten erfahren Sie von mir in etwa einer Stunde, Parker. Wir treffen uns dann in Soho, Sie haben’s also gar nicht so weit. Prägen Sie sich die Adresse gut ein und kommen Sie al lein. Wenn Sie mich aufs Kreuz legen wollen, haben Sie mit Zitro nen gehandelt.« Bevor Parker rückfragen konnte, wurde auf der Gegenseite auf gelegt. Vorher aber nannte Kerrings noch schnell die Adresse. * »Das ist natürlich eine Falle, Mister Parker«, sagte Lady Agatha streng. »Ich verbiete Ihnen, Ihr Leben aufs Spiel zu setzen.« »Wenn Mylady erlauben, möchte meine Wenigkeit sich Myladys Ansicht vollinhaltlich anschließen.« »Sie fahren nur dann nach Soho, wenn ich Sie begleite«, fügte sie hinzu. »Ohne mich sind Sie diesem Gangster hilflos ausgelie fert.« »Der Hinweis auf Drogen-Dollars erweckt Myladys Interesse?« »Selbstverständlich, Mister Parker. Was sind Drogen-Dollars? Nicht, daß ich es nicht wüßte, aber ich möchte doch gern hören, ob Sie sich ein richtiges Bild davon machen.« »Bei den Drogen-Dollars, Mylady, handelt es sich um Geld, das aus dem Groß- und Kleinverkauf von Drogen aller Art herrührt«, erläuterte der Butler ihr umgehend. »Es handelt sich nach offiziel len Schätzungen um Milliarden, die man waschen muß, damit man sie legal einsetzen kann, ohne daß die jeweiligen Behörden Verdacht schöpfen.« »Aha.« Sie nickte und fügte dann hastig hinzu. »Richtig, Mister Parker. Selbst ich hätte es kaum besser erklären können. Und was könnte der Orden des neuen Lebens mit diesen DrogenDollars zu tun haben?« »Der Orden und sein Wissender, Mylady, werden mit großen und kleinen Spenden bedacht, die in der Regel anonym sind. Man kann also beliebig hohe Summen als Spendenaufkommen dekla rieren und damit waschen, wie es in Fachkreisen heißt. Das heiße Geld aus dem Drogengeschäft wird plötzlich zum Spendengeld, das man legal verwenden kann.« »Ich höre mit Freude, daß auch Sie endlich die wirklichen Zu sammenhänge durchschaut haben«, sagte sie und nickte wohl 38
wollend. »Dieser Orden ist eine Filiale der Drogen-Mafia.« »Ohne es vielleicht zu wissen, Mylady.« »Was soll das heißen, Mister Parker?« »Die vielen Gutgläubigen dürften von den Machenschaften kaum etwas ahnen, Mylady.« »Keine Einzelheiten, Mister Parker«, bat sie sich aus. »Sie kom plizieren nur unnötig. Für mich ist dieser Scharlatan von der Büh ne ein Gangster. Und ihm werde ich das Handwerk legen. Wir fahren natürlich nach Soho. Wie nannte sich der Anrufer noch?« »Al Kerrings, Mylady, eine Person, die meiner Wenigkeit unbe kannt ist.« »Das macht ja nichts, Mister Parker.« Sie vibrierte vor Energie. »In knapp einer Stunde werde ich sehr genau wissen, wer dieses Subjekt ist. Wann werde ich fahren?« »In einer halben Stunde, Mylady?« »Gut, ich werde pünktlich unten sein, Mister Parker.« Sie winkte ihm huldvoll zu und brachte ihre majestätische Fülle über die ge schwungene Freitreppe nach oben. Parker begab sich ans Telefon und rief einen gewissen Horace Pickett an. Vor Jahren hatte Pickett als Taschendieb gearbeitet und war ein Meister seines Fachs gewesen. Seine »Kundschaft« hatte nur aus Menschen bestanden, die den Verlust einer gut gefüllten Briefta sche verschmerzen konnten. Nach einer Begegnung mit Parker, der ihm das Leben rettete, hatte Pickett seinen Lebenswandel geändert und stand nun auf der Seite des Gesetzes. Seine Verbindungen zur kriminellen Sze ne leisteten aber auch jetzt noch gute Dienste. Er wußte stets, wen man anzusprechen hatte, wenn Informationen nötig waren. Horace Pickett fungierte längst als wertvoller Helfer des Butlers. Er verehrte Lady Simpson und bewunderte Parker, dem er treu ergeben war. Horace Pickett meldete sich umgehend nach dem Durchwählen seiner Telefonnummer. »Könnten Sie aus dem Stegreif etwas über einen gewissen Al Kerrings sagen, Mister Pickett?« fragte der Butler. »Aber ja doch, Mister Parker«, lautete die prompte Antwort. »Kerrings hat in Soho einen Schlüsseldienst. Der Mann ist gefähr lich, wenn Sie mich fragen. Hinter seinem Geschäft unterhält der Mann eine Agentur für Schläger. Kerrings arbeitet für Kredithaie und Spielhöllen.« 39
»Könnte er etwas mit der Drogen-Szene zu tun haben, Mister Pickett?« »Nur indirekt, Mister Parker«, redete Pickett weiter. »Er vermie tet seine Leute, wenn fällige Gelder nicht gezahlt werden.« »Sagt Ihnen möglicherweise auch der Name Harvey Dalton et was?« »Im Moment nicht, Mister Parker. Harvey Dalton? Habe ich be reits gespeichert. Ich werde mich mal Umhören.« »Mylady und meine Wenigkeit werden in etwa fünfzig Minuten in Soho sein, um Mister Kerrings einen Besuch abzustatten.« »Dann wäre ich an Ihrer Stelle aber sehr vorsichtig, Mister Par ker«, warnte der ehemalige Eigentumsübertrager. »Haben Sie etwas dagegen, daß ich mich diskret einschalte?« »Meine Wenigkeit möchte Sie davon keineswegs abhalten, Mis ter Pickett«, gab der Butler zurück. »Aber bringen Sie weder Ihre, Freunde noch sich in Gefahr.« »Das machen wir schon.« Pickett lachte leise. »Ich werde sofort ein paar Weichen stellen. Wissen Sie, Kerrings ist nicht gerade überall beliebt.« Parker wechselte noch einige Worte mit Pickett, legte auf und ging dann hinunter in seine reichhaltig ausgestattete Werkstatt, die er gern Labor nannte. Hier versorgte er sich mit einigen Ge genständen, die ihm recht sinnvoll erschienen. * Al Kerrings’ Schlüsseldienst deckte sich mit der Adresse, die Parker am Telefon genannt worden war. Das kleine Geschäft in einem schmalen Haus einer engen Seitenstraße sah geradezu einladend und freundlich aus. Reklameschilder links und rechts vom Eingang versprachen schnelle Hilfe, falls man Zweitschlüssel aller Art brauchte. Obwohl die offizielle Ladenzeit längst vorüber war, hielten sich im Lokal noch zwei Angestellte auf. Einer von ihnen stand hinter der kleinen Verkaufstheke und sor tierte offenbar Rechnungen. Der zweite Mann, der einen grauen Kittel trug, saß vor einer Art Fräsmaschine und war gerade dabei, einen Schlüssel zu kopieren. Man konnte völlig ungehindert in das Geschäft sehen. Verdächtiges war nicht zu erkennen. 40
In Soho herrschte um diese Zeit ein reges Treiben. Es waren vor allen Dingen die Touristen von nah und fern, die die Straßen bevölkerten und sich wohl lustvoll grausten. In ihrer Vorstellung war Soho ein Stadtteil der Sünde und des Lasters. Es gab hier eine Vielzahl von Bars und Weinstuben, von SexKinos und Clubs, doch alles war wohltemperiert und auf den Ge schmack der Besucher abgestimmt, die das wirkliche Soho wohl nie richtig kennenlernten. Mehr oder weniger leichte Damen, Ta schendiebe, kleine Gauner und Abstauber trieben sich herum, doch man hütete sich, die Polizei unnötig aufmerksam zu ma chen. Besonders gute Geschäfte machten die vielen Restaurants, die jeden nationalen Geschmack zufriedenstellen konnten. Die Küche des Mittelmeerraums war vertreten, Nah- und Fernost boten Spe zialitäten an, die kontinentale Küche lockte mit regionalen Spei sen. Josuah Parker hatte sein hochbeiniges Gefährt auf einem Park platz abgestellt und war mit Mylady zu Fuß weitergegangen. Sie wurden von einem hochgewachsenen Mann überholt, der einen Trenchcoat und einen Traveller-Hut trug. Dieser Mann, der sich gerade hielt, schob sich dicht an Parker vorüber. »Zwei Männer in der Weinstube rechts vor dem Schlüssel dienst«, sagte der Überholende, »zwei weitere Typen in der ge genüberliegenden Eisdiele.« Es war Horace Pickett, der bereits hervorragende Arbeit geleis tet und die Szene zusammen mit seinen Freunden ausgespäht hatte. Der ehemalige Eigentumsübereigner marschierte stramm weiter und gab den Weg frei für einen Nachfolger, der sich eben falls an Parker heranschob und ihn dann überholte. »Im Hinterraum zwei Männer«, flüsterte er, ohne die Lippen da bei zu bewegen. »Wie werde ich vorgehen, Mister Parker?« wollte die ältere Da me von Parker wissen. Sie hatte die Auslage des Schlüsseldiens tes bereits ausgemacht und war nun nicht mehr zu halten. »Könnte man Mylady für eine kurze Weinprobe interessieren?« erkundigte sich der Butler. »Erst die Arbeit, dann das Vergnügen, Mister Parker«, gab sie streng zurück. »Bezähmen Sie Ihre Sinneslust!« »Die vorgeschlagene Weinprobe wäre bereits ein Teil der zu er wartenden Arbeit, Mylady. Zwei Männer dort warten darauf, daß 41
Mylady den Schlüsseldienst aufsuchen.« »Woher wollen Sie das so genau wissen?« mokierte sie sich. »Mister Pickett war so freundlich, darauf zu verweisen«, antwor tete der Butler. »Mylady werden ihn gewiß gesehen haben.« »Selbstverständlich«, behauptete sie. »Er hat Sie eben auf dem Parkplatz informiert, nicht wahr?« »So könnte man durchaus sagen, Mylady«, entgegnete der But ler. »Mylady haben ein scharfes Auge.« »Ich weiß, Mister Parker«, lobte sie sich umgehend. »Mir ent geht so leicht nichts. Also gut, ich werde zuerst die beiden Lüm mel in der Tee-Stube ausschalten.« »Sehr wohl, Mylady«, gab der Butler zurück und verzichtete auf eine Korrektur, was die Ortsangabe betraf. * Die kleine Weinstube war kaum größer als ein normaler Wohn raum. An der Längswand gab es ein Regal, das mit Weinflaschen aller Art gefüllt war. Vier kleine Steh-Tische warteten auf gefüllte Weingläser. Hinter dem Tresen an der Querwand stand ein stämmiger Mann, der etwa vierzig Jahre zählte. Er gab sich französisch, trug eine Baskenmütze und zeigte einen schmalen Oberlippenbart. Über der Cordhose und dem weißen Hemd lag schützend eine grüne, lange Winzerschürze, das passende Utensil, um eine Weinflasche zu öffnen. Seine Fürsorge galt drei Touristen, die einen Steh-Tisch besetzt und bereits ausgiebig getrunken hatten. Sie lärmten und waren fröhlich. Dann gab es noch zwei weitere Besucher der Weinstube. Sie verhielten sich merkwürdig ruhig und sprachen intensiv mit einander. Als Mylady und Parker den Raum betraten, unterbra chen sie augenblicklich ihre Unterhaltung und wollten aggressiv werden. Einer von ihnen griff unter sein Jackett und hatte nach Parkers Meinung die feste Absicht, nach einer Waffe zu greifen. Dazu ließ es der Butler erst gar nicht kommen. Er funktionierte seine schwarze Melone in eine Frisbee-Scheibe um, und sie schwirrte in sanftem Bogen durch den Raum. Sie schien sich zuerst überhaupt nicht für diesen Mann zu interessie ren, doch dann schwenkte sie plötzlich und landete mit der Kante 42
auf der Nasenwurzel des Greifenden. Nach diesem Kontakt verzichtete der Mann auf seine Waffe. Er produzierte einen Laut, den man nur als gurgelnd bezeichnen konnte, riß weit die Augen auf und fiel rücklings gegen das Wein regal. Dabei löste er eine große, bauchige Flasche aus ihrem Stand, die oben auf dem Regal thronte. Sie kippte nach vorn, senkte sich und… knallte auf den Kopf des zweiten Mannes, der ebenfalls eine Waffe ziehen wollte. Die Flasche blieb intakt, auch der Kopf, doch der Aufprall reich te, um auch diesen Mann außer Gefecht zu setzen. Er ging in die Knie, schielte seinen Partner kurz an und nahm dann der Länge nach auf dem gefliesten Boden Platz. Erst jetzt rutschte die bauchige Flasche weiter nach unten und zerschellte. Die Touristen hatten das Gefühl, hier wohl doch zu stören. Sie lärmten plötzlich nicht mehr, sondern verließen fluchtartig die Weinstube. Der Wirt griff unter den Tresen und zog eine Art Baseballschlä ger hervor, den er wohl für Gäste bereit hielt, die sich etwas zu ungeniert verhielten. Sein Griff war schnell und geübt, aber eben doch nicht schnell genug. Lady Agatha fühlte sich attackiert und reagierte entsprechend. Sie ließ den Pompadour fliegen und gab ihn an den langen Leder schnüren frei. Der kleine Handbeutel, gefüllt mit einem Hufeisen, setzte sich auf die Brust des Mannes, der hörbar schnaufte und verzweifelt nach Luft schnappte. Er bekam einen feuerroten Kopf und legte sich dann über ein aufgebocktes Sherry-Faß. »Wagen Sie es nicht noch mal, eine wehrlose Frau angreifen zu wollen, junger Mann«, grollte die ältere Dame. »Ich könnte sonst womöglich etwas ärgerlich werden.« Sie ging um den kleinen Tresen herum und begutachtete die Lage des Mannes. Er hing wie ein nasser Lappen über dem Faß und war nicht fähig, auf Myladys Hinweis einzugehen. Butler Parker hatte inzwischen die beiden Männer entwaffnet und je eine schallgedämpfte Pistole gefunden. Er nahm die Waf fen an sich und ließ sie in den Taschen seines schwarzen Cover coats verschwinden. Anschließend versorgte er die Männer mit Plastikfesseln, die er um ihre Handgelenke schnürte. Falls sie ver suchten, sich davon zu befreien, erreichten sie nur, daß die Fes seln sich noch intensiver zusammenschnürten. 43
Parker entdeckte hinter einem schmalen Vorhang rechts vom Tresen eine Tür, die in einen Hinterraum führte. Er schleifte beide Männer dort hinein und legte sie vor einen Tisch. Anschließend versorgte er auch den Betreiber der Weinstube und alle drei Män ner mit einer kleinen Dosis Spray, der aus einem AluminiumZerstäuber stammte. Rein äußerlich sah der Zylinder aus, als enthalte er ein Medikament zur Bekämpfung des Schnupfens. Parker konnte sicher sein, daß die Männer eine halbe Stunde fest schlafen würden. Er verfügte längst über entsprechende Er fahrung und Richtwerte. »Und jetzt zum Schlüsseldienst, Mister Parker«, sagte die passi onierte Detektivin unternehmungslustig und ließ ihren Pompadour schwingen. »Vorher werde ich aber diesen Sherry probieren. Ich fürchte, mein Kreislauf ist ein wenig in Unordnung geraten.« Parker kümmerte sich sofort darum. Er nahm ein Glas vom Bord und füllte es mit Sherry. Nachdem er es Mylady gereicht hatte, roch sie kritisch am Inhalt und nickte durchaus anerkennend, als sie den ersten Schluck getan hatte. »Nicht unbedingt schlecht«, konstatierte sie und trank das Glas leer. »Ich werde später noch mal darauf zurückkommen, Mister Parker. Sie brauchen mich keineswegs daran zu erinnern.« Der Butler, der vorn an der Tür stand, blickte zum Schlüssel dienst hinüber und entdeckte Horace Pickett, der gerade zurück kam und dabei kurz seinen karierten Traveller-Hut lüftete. »Mylady werden nach wie vor in der Lage sein, die Personen des Schlüsseldienstes zu überraschen«, sagte der Butler. »Mister Pi ckett gab gerade ein entsprechendes Zeichen.« »Der gute Pickett«, sagte sie versonnen. »Ich denke, ich sollte ihn zu einem Glas Sherry einladen, sobald ich den Schlüsseldienst ausgeräumt habe.« Sie setzte ihre nicht unbeträchtliche Fülle energisch in Bewe gung und hielt auf das kleine Ladenlokal zu. Parker folgte diskret wie stets. * Der Butler hatte die beiden Männer in der Eisdiele natürlich nicht vergessen. Was sie anging, verzichtete er darauf, sie auszu schalten. Vom Schlüsseldienst aus hatte man einen recht guten 44
Blick auf dieses Etablissement. Wahrscheinlich hielt man Blick kontakt untereinander. Die Männer im Schlüsseldienst durften nicht vorzeitig gewarnt werden. »Wären Mylady unter Umständen mit dem Einsatz einer Licht blitz-Bombe einverstanden?« erkundigte sich Parker bei seiner Herrin, die er inzwischen eingeholt hatte. »Und was soll das bringen?« fragte sie. »Die Personen im Schlüsseldienst dürften danach ein wenig verunsichert sein, Mylady, was ihre Bewegungsabläufe betrifft.« »Nun gut, ich will Ihnen diesen Spaß nicht unnötig verderben«, meinte sie großzügig. »Aber ich verlange, daß ich nicht auch noch geblendet werde.« »Mylady sollten sich abwenden und fest die Augen schließen«, riet der Butler ihr. Man hatte inzwischen den Schlüsseldienst er reicht. Parker wandte sich halb um und warf einen Blick auf die Eisdiele. Dort war man längst auf das skurrile Paar aus Shepherd’s Mar ket aufmerksam geworden. Zwei Männer standen im Eingang zur Eisdiele und schleckten Eis. Sie machten einen etwas desinteres sierten Eindruck. Tatsächlich warteten sie wohl nur darauf, sich mit Mylady und Parker befassen zu können. Der Butler hielt bereits einen seiner Patent-Kugelschreiber in den schwarz behandschuhten Händen und steckte eine Art Wür felzucker auf die Spitze des Schreibgerätes. Bevor er die Tür zum Schlüsseldienst öffnete, aktivierte er die Zündladung im Kugel schreiber, drückte auf den Halte-Clip und warf die Kombination Kugelschreiber-Würfelzucker in das Ladenlokal. Dann wandte er sich jäh ab und preßte die Augen fest zusammen. Dennoch wurde er fast geblendet. Die Miniatur-Lichtblitzbombe schien heller zu sein als tausend Sonnen. Parker war stehengeblieben und bewahrte Mylady im letzten Moment davor, gegen den Mast einer Straßenlaterne zu laufen. Er schob sie diskret um dieses Hindernis herum und kümmerte sich erst mal um die beiden Speiseeis-Freunde. Sie standen wie versteinert in der Tür der Eisdiele und hatten jede Orientierung verloren. Sie waren ohne Vorwarnung von dem Lichtblitz getroffen worden. Parker dirigierte die ältere Dame in das Geschäftslokal und drückte sie behutsam auf einen Stuhl. Dann baute er sich neben 45
der Tür auf, die in den Hinterraum führte. Die beiden Wartenden darin hatten natürlich die Türglocke ge hört und wollten nachsehen, ob es etwas für sie zu tun gab. Der erste Mann schob sich in das Ladenlokal und… verfiel prompt ins Stolpern, als der Butler ihm den bleigefüllten Bambusgriff seines Schirmes auf die Stirn setzte. Der Mann taumelte zurück und fiel gegen den nachdrängenden zweiten. Bevor er die ungewollte Last abschütteln konnte, hatte es auch ihn voll erwischt. Mit seinem Regenschirmgriff brachte Parker ihn dazu, zu Boden zu gehen. »Was, zum Teufel, ist eigentlich passiert?« stöhnte der Mann, der vor der kleinen Fräsmaschine saß. Er rieb sich verzweifelt die Augen und tastete danach mit ausgestreckten Händen suchend in der Luft herum. »Man wünscht einen freundlichen Abend«, grüßte der Butler ü beraus höflich und wandte sich dann an den Mann, der rechts an der Theke stand und beide Hände vor die Augen gelegt hatte. »Mister Al Kerrings, wie zu vermuten ist?« »Kerrings«, bestätigte der Mann. »Was ist passiert? Wer sind Sie?« »Parker mein Name, Josuah Parker«, gab der Butler zurück. »Mylady und meine Wenigkeit sind erschienen, um Sie zu einer nächtlichen Ausfahrt abzuholen. Sie werden sich diesem Anerbie ten wohl kaum entziehen wollen, nicht wahr?« »Nun kommen Sie schon, junger Mann, bevor ich ungeduldig werde«, fügte Agatha Simpson hinzu. »Oder muß ich Ihnen erst Beine machen?« Sie versetzte ihm einen ordentlichen Rippenstoß, worauf Al Ker rings sich in Richtung Eingangstür bewegte und zwar mit einer Schnelligkeit, die ihn fast aus dem Tritt brachte. * »Das ist Kidnapping«, beschwerte sich Al Kerrings nach etwa zehn Minuten. Er hatte gerade im Fond des hochbeinigen ParkerWagens Platz genommen und konnte endlich wieder einigerma ßen sehen. Mylady und der Butler hatten ihn zu dieser Ausfahrt eingeladen, und Kerrings war ohne jeden Widerstand gefolgt. 46
»Es steht Ihnen frei, Mister Kerrings, sich später bei der Polizei zu beschweren«, gab Josuah Parker zurück, »falls Sie dazu noch in der Lage sein sollten.« »Wie… wie meinen Sie das?« wollte Kerrings wissen. Er war mittelgroß, ein wenig dicklich und zeigte Nervosität. Sein rundes Gesicht war stark gerötet. »Wie verfährt man in Ihren Kreisen mit mißliebigen Personen, Mister Kerrings?« »In meinen Kreisen? Ich verstehe kein Wort.« »Ich werde Ihnen gleich Nachhilfestunden geben, junger Mann«, kündigte die ältere Dame gefährlich freundlich an. »Sie werden dann schnell begreifen, was gemeint ist.« Sie saß neben Parker auf dem Beifahrersitz und machte einen zufriedenen Eindruck. »Was wollen Sie überhaupt von mir?« fragte Kerrings über die Sprechanlage nach vorn. Parker hatte sie wegen der geschlosse nen Trennscheibe eingeschaltet. »Vielleicht erinnern Sie sich, Mister Kerrings, daß Sie Mylady In formationen über einen gewissen Mister Harvey Dalton anboten.« »Informationen? Ich habe nie mit Ihnen oder der Lady gespro chen.« »Demnach kennen Sie weder Mister Dalton noch Mister Rufus Zodiak?« »Wer sollen denn die Leute sein?« Kerrings blieb bei seiner ge spielten Ahnungslosigkeit. »Da hat sich irgendein Typ meinen Namen ausgeliehen.« »Das werde ich in einer halben Stunde genau klären, junger Mann«, ließ die ältere Dame sich vernehmen. »Hoffentlich haben Sie starke Nerven.« »Was… was hat das mit meinen Nerven zu tun?« Seine Stimme wurde ein wenig schrill. »Was haben Sie mit mir vor?« »Sie werden sich mit einiger Sicherheit bald fragen, ob es einen Sinn gehabt hat, Mister Dalton zu decken, Mister Kerrings«, ant wortete der Butler. »Wer ist Dalton?« fragte Kerrings erneut, diesmal aber bereits mit weniger Nachdruck. »Eine Person, für die Sie tätig werden wollten, was Mylady und meine Wenigkeit betrifft.« »Wollen Sie mir etwa den dritten Grad verpassen?« Kerrings machte sich Mut und lachte, was allerdings gepreßt und unglaub 47
haft klang. »Man wird nur jene Methode anwenden, Mister Kerrings, derer sich Ihre Mitarbeiter bedienen«, beruhigte Parker den Fahrgast. »Sie wissen also, was Sie erwartet.« Kerrings wurde still und lehnte sich zurück in die Polster der hinteren Sitzbank. »Sie bluffen doch nur«, sagte er endlich. »Wie Sie zu meinen belieben, Mister Kerrings«, entgegnete Par ker gemessen. »Sie dürfen versichert sein, daß man Sie keines wegs in Angstpsychose versetzen möchte.« »Selbst wenn ich zugebe, daß Dalton mich angeheuert hat, wird er das alles abstreiten.« Kerrings schien sich mit den Methoden seiner Mitarbeiter gedanklich befaßt zu haben. »Was genau sollten Sie bewirken, Mister Kerrings?« wollte der Butler umgehend wissen. Er wußte, daß Kerrings seinen Wider stand aufgegeben hatte. Dieser Mann wollte keineswegs so be handelt werden wie jene Personen, mit denen seine Mitarbeiter sich befaßt hatten. »Wir sollten die Lady und Sie nach Wapping schaffen. In eine leerstehende Lagerhalle am Kai.« »Und was sollte dort geschehen?« »Ich sollte mich nach ‘ner Collegemappe erkundigen.« »Wie nachdrücklich, um auch diesen Teil Ihres Auftrags noch zu klären, Mister Kerrings?« »Na ja, eben mit allen Mitteln und so… Aber soweit hätte ich’s nie kommen lassen, das müssen Sie mir abnehmen.« »Um es noch mal zu wiederholen, Mister Kerrings: Ihr Auftrag geber war und ist Mister Harvey Dalton?« »Dalton«, bestätigte der Gangster. »Er hatte mich angerufen.« »Sie haben ihn nicht gesehen?« »Er hatte angerufen«, wiederholte Kerrings. »Demnach muß der Name Dalton Ihnen allerdings einiges sa gen, Mister Kerrings? Warum gingen Sie sofort auf seinen Wunsch ein?« »Natürlich kenne ich Dalton.« Er lächelte wider Willen. »Dalton war noch vor anderthalb Jahren Manager von einigen Nachtclubs in London. Und davor hat er als Anlageberater gearbeitet.« »Was halte ich von dieser Aussage, Mister Parker?« fragte A gatha Simpson bei ihrem Butler an. »Mylady fragen sich sicher, auf welche Weise Mister Harvey Dal 48
ton in den Dienst des sogenannten Wissenden trat«, gab Josuah Parker zurück. »Richtig«, bestätigte die ältere Dame sofort. »Sie haben es er faßt, Mister Parker, Sie wissen endlich, worauf es mir ankommt.« Das Gesicht des Butlers blieb glatt und ausdruckslos. * »Ich habe nicht die Absicht, hier eine Pension zu eröffnen«, sagte Lady Agatha am anderen Morgen. Sie war aus dem Oberge schoß des Hauses gekommen und betrat den kleinen Salon, um ihr Frühstück einzunehmen. »Mylady beherbergen zur Zeit vier Gäste«, erwiderte der Butler. »Es handelt sich dabei um die beiden angeblichen Versicherungs vertreter, die in der Fallgrube landeten, um einen der beiden jun gen Männer, die Mylady vor der Lichthalle abzufangen gedachten und schließlich um Mister Kerrings.« »Glauben Sie etwa, ich hätte die Übersicht verloren?« entrüste te sie sich und musterte das Frühstück. Parker diente mit frisch gepreßtem Orangensaft, Rührei mit kroß gebratenem Schinken, gebackenen Nierchen in einer pikanten Sherry-Sauce, etwas Stockfisch, diversen Brotsorten, Butter und einigen Marmeladen. »Sie haben die Bratwürstchen vergessen, Mister Parker«, tadel te sie. »Meine Wenigkeit erlaubte sich, an Myladys Diätplan zu den ken.« »Ich will ja nicht im Rekordtempo abnehmen, Mister Parker«, räsonierte sie und nahm Platz. »Ich entscheide mich übrigens für Kaffee… Aber zurück zu diesen Subjekten in meinem Haus. Wie lange werde ich sie festhalten?« »Mylady gehen davon aus, daß Mister Dalton früher oder später versuchen wird, diese vier Personen zu befreien. Sie alle arbeite ten schließlich für ihn und könnten ihm mit entsprechenden Aus sagen gefährlich werden.« »Nun gut.« Sie beschäftigte sich mit dem Rührei und ließ sich dazu mit Butter bestrichenen Toast reichen. »Aber verwöhnen Sie meine Gäste nicht zu sehr. Sie wissen, daß ich mit jedem Penny rechnen muß.« »Meine Wenigkeit wird dafür sorgen, daß die vier Herren ihre 49
körperlichen Systeme erhalten können«, versprach Josuah Parker und nahm unmittelbar darauf zur Kenntnis, daß das hausinterne Alarmsystem sich meldete. Der Butler entschuldigte sich bei Lady Agatha, begab sich ohne Hast in die Wohnhalle und schaltete den Kontroll-Monitor ein. Auf dem Bildschirm war ein dunkler Austin zu sehen, dessen Kennzeichen Parker sofort einzuordnen wußte. »Chief-Superintendent McWarden macht Mylady seine Aufwar tung«, informierte Parker seine Herrin, die einen gereizten Laut ausstieß. »Das ist doch wieder typisch für ihn«, räsonierte sie. »Er weiß genau, daß ich um diese Zeit frühstücke.« Josuah Parker empfing McWarden, einen untersetzten, stierna ckigen Mann von etwa fünfundfünfzig Jahren, der an einen stets leicht gereizten Bullterrier erinnerte. McWarden leitete im Yard ein Sonderdezernat, das sich mit dem organisierten Verbrechen befaßte. Er war ein vorzüglicher Krimi nalist, brauchte aber immer wieder mal die Hilfe des Butlers und der älteren Dame. Während er an Vorschriften gebunden war, konnte das Paar aus Shepherd’s Market sich frei entfalten. »Mylady geruhen zu frühstücken«, sagte Parker, als er McWar den zum Salon führte. »Ich weiß«, erklärte der Yard-Mann und lächelte boshaft. »Und ich werde mich gern einladen lassen.« Sie hatte seinen Halbsatz mitbekommen und verzog das Ge sicht. Sie nickte kühl, als McWarden grüßte und bot ihm fast wi derwillig einen Platz an. »Ich nehme an, Sie haben bereits gefrühstückt«, eröffnete sie den Dialog. »Keineswegs, Mylady.« »Wie schade für Sie.« Agatha Simpson dachte nicht daran, ihn einzuladen. »Wenn ich ehrlich sein soll, Mylady, kämen mir eine Tasse Kaf fee und ein paar Happen gerade recht.« McWarden verhielt sich absichtlich sehr unenglisch. »Sie neigen zur Fülle, mein Lieber«, tadelte sie. »Ein zweites Gedeck«, schaltete Parker sich ein. Er legte es auf und erntete von Mylady einen geradezu vernichtenden Blick. »Das Rührei ist total versalzen, der Fisch halbgar und die Nier chen sind überwürzt«, warnte sie den Chief-Superintendent. 50
»Ich bin kein Feinschmecker, Mylady.« McWarden lächelte und ließ sich von Parker bedienen. Lady Agatha verfolgte sein Tun mit Mißtrauen und Sorge. »Sind Sie an einem neuen Fall interessiert, Mylady?« fragte McWarden, bevor zuviel Adrenalin in ihre Blutbahn geriet. »Sie kommen allein wieder mal nicht weiter, wie?« schnappte sie boshaft und erleichtert zu. »Es geht um einen Mann, der seine Mitmenschen nach allen Re geln der Kunst ausnimmt«, informierte der Chief-Superintendent. »Er nennt sich der Wissende und leitet den Orden des neuen Le bens.« »Müßte ich diesen Orden kennen?« fragte Lady Agatha vorsich tig. »Ich denke schon, Mylady.« McWarden lehnte sich zurück. »Sie und Ihr Butler wurden vor der Lichthalle dieses Wissenden in Queens Park gesehen. Man behauptet sogar Sie hätten einen Mann weggeschafft, dem schlecht geworden war.« »Was man sich nicht alles so erzählt?« wunderte, sich die ältere Dame. »Sie waren sogar in der Lichthalle, Mylady«, fügte McWarden weiter an. »Was halten Sie von diesem Zodiak?« »Mylady bezeichnete dies alles als ausgemachten Humbug, Sir«, schaltete der Butler sich ein. »Sie waren nur rein zufällig in dieser Endzeit-Show?« »So sollte und könnte man durchaus sagen, Sir.« »Sie waren in der vergangenen Nacht auch in Soho?« McWar den genoß seinen Triumph. »Wurden Mylady und meine bescheidene Wenigkeit auch dort gesichtet und beobachtet, Sir?« »In einem Schlüsseldienst und in einer Weinstube muß einiges passiert sein«, zählte McWarden auf. »Und seit dieser Zeit wird ein gewisser Kerrings vermißt.« »Lassen Sie mich etwa beschatten, McWarden?« grollte die älte re Dame. »Ganz sicher nicht, Mylady, aber ich habe da so meine V-Leute, die eine Menge registrieren.« »Mylady wurden in der Tat auf den Orden des neuen Lebens aufmerksam«, schickte Parker voraus. »Aber Sie, Sir, sind sicher in der Lage, mit Details aufwarten zu können.«
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*
»Rufus Zodiak stammt aus Manchester und zog dort vor Jahren einen Hilfsdienst für die Dritte Welt auf«, berichtete der ChiefSuperintendent, der von Parker inzwischen mit Kaffee versorgt worden war. »Er sammelte Gelder und transferierte diese Beträge angeblich in Richtung Südamerika. Es stellte sich dann heraus, daß alles ausgemachter Schwindel war. Zodiak selbst hielt sich wohl für die Dritte Welt und sahnte zu seinen Gunsten ab. Man kam ihm auf die Schliche und stellte ihn unter Anklage. Er wurde zu zwei Jahren verurteilt, ging in die Berufung und kam dann mit einer kleineren Geldstrafe davon.« »Es gelang ihm demnach, die Schuld auf eine andere Person abzuwälzen, Sir?« »Richtig, Mister Parker«, bestätigte McWarden. »Er beschuldigte seinen Partner, einen gewissen Manners, der gestand, die Unter schlagungen vorgenommen zu haben.« »Mister Manners entzog sich der Strafverfolgung durch die Flucht?« »Sie haben eine gute Nase. Nach seinem Schuldbekenntnis brach er aus dem Untersuchungsgefängnis aus und ist seitdem verschwunden. Zodiak aber war aus dem Schneider, zahlte die Geldstrafe und tauchte dann unter, bis er hier in London seinen Orden gründete.« »Warum verbieten Sie diesem Subjekt nicht, solchen Humbug zu veranstalten?« fragte die Hausherrin vorwurfsvoll. »Wie sollten wir? Wir haben keine gesetzliche Handhabe, Myla dy. Aber wir wissen, daß er seine Schäfchen gründlich ausplün dert.« »In der Lichthalle wurden mit Sicherheit erstaunliche Beträge gespendet, Sir«, wußte der Butler. »Und diese Veranstaltungen finden fast Abend für Abend statt«, redete der Chief-Superintendent weiter. »Wir wissen von Mitglie dern des Ordens, die ihren ganzen Besitz verkauft und den Erlös dem Wissenden gespendet haben.« »Der für eine ominöse Zuflucht sorgen will, Sir.« »Zodiak baut in der Gegend von Croydon ehemalige Luftschutz bunker als Zuflucht aus, Mister Parker.« McWardens Gesicht nahm einen spöttischen Ausdruck an. »Es gibt dort tatsächlich 52
eine riesige Baustelle, die er seinen Gläubigen zeigt.« »Mylady geht davon aus, Sir, daß Mister Zodiak dieses Gelände aufgekauft hat.« »Einen ehemaligen Feldflugplatz«, bestätigte McWarden. »Und jetzt soll ich also diesen Schwindler entlarven, mein lieber McWarden?« warf die ältere Dame ein. »Sind Sie nicht bereits dabei, Mylady?« reagierte der ChiefIntendent. »Mylady sammelt Informationen«, meinte der Butler. »Dabei fiel der Name eines gewissen Harvey Dalton.« »Den hätte ich mit Sicherheit noch erwähnt«, entgegnete McWarden und nickte. »Dalton ist ein gerissener Bursche, daran besteht überhaupt kein Zweifel. Und er ist gefährlich dazu. Seien Sie vor ihm auf der Hut.« »Das gilt allerdings auch für ihn, was mich betrifft«, ließ die äl tere Dame sich kriegerisch vernehmen. »Ich werde Ihnen aus der Patsche helfen, mein lieber McWarden. Allein kommen Sie ja doch nicht zurecht.« »Durch Dalton hat der Orden eine andere Qualität bekommen«, berichtete der Chief-Superintendent weiter. »Ich gehe davon aus, daß er sich längst in der Hand einer internationalen Organisation befindet.« »Sie denken an die Mafia, Sir?« »Sein Orden ist die ideale Waschanlage für Drogen-Gelder«, bestätigte McWarden. »Was gespendet wird, ist kaum nachzukon trollieren. Zodiak kann jede beliebige Summe nennen, man muß sie ihm abnehmen. Es ist also verdammt leicht, illegales Geld als Spendenaufkommen auszuweisen und so zu waschen.« »Wäre es vorstellbar, Sir, daß Mister Rufus Zodiak nur noch Strohmann der Drogen-Mafia ist?« »So sehe ich es tatsächlich, Mister Parker«, gab der ChiefSuperintendent zurück. »Kennen Sie ihn bereits?« »Er wird mich noch heute kennenlernen«, versprach die Detek tivin. »Schade, daß ich nicht dabei sein kann«, bedauerte McWarden und lächelte wissend. »Aber bitte, seien Sie sehr vorsichtig und sichern Sie sich ab, was übrigens diesen Kerrings betrifft, werde ich vorerst keine Fragen stellen. Das gilt auch für den Burschen, dem Sie vor der Lichthalle geholfen haben. Ich kann schließlich nicht jeden Bericht meiner Leute lesen.« 53
»Was wären Sie ohne mich, mein Bester«, machte Mylady ihm seufzend und boshaft zugleich deutlich. »Sie würden doch nur an einer Kreuzung in der City den Verkehr regeln.« * »Was hatten Sie denn noch mit dem guten Mister McWarden an der Tür zu bereden, Mister Parker?« fragte die ältere Dame, als sie in den hochbeinigen Wagen des Butlers stieg. »Meine Wenigkeit war so frei, Mister McWarden einige Süßigkei ten anzubieten, die Mylady in der Lichthalle an sich nahmen.« »Sie verwöhnen diesen Mann zu sehr«, tadelte sie. »Meine Wenigkeit bat in diesem Zusammenhang um eine che mische Analyse der Süßigkeit«, erklärte der Butler. »Die selbstverständlich nichts bringen wird, Mister Parker«, wußte sie bereits im vorhinein. »Auf der anderen Seite pflegen Mylady niemals etwas grund sätzlich auszuschließen«, behauptete der Butler. »Das ist völlig richtig.« Sie nickte nachdrücklich. »Man hat mir noch niemals vorhalten können, ich würde vorschnell urteilen.« »Solch eine Behauptung käme einer Beleidigung gleich, Myla dy.« Parker hatte am Steuer Platz genommen und lenkte sein Gefährt zur Durchgangsstraße. Er hatte vor, nach Croydon zu fahren, um sich dort die Baustelle der Zuflucht anzusehen, für die der Orden des neuen Lebens sammelte. Er hatte sich von ChiefSuperintendent McWarden die genaue Lage des ehemaligen Feld flugplatzes bezeichnen lassen. »Werde ich bereits verfolgt?« erkundigte sich Lady Agatha. »Noch nicht, Mylady, aber man dürfte nicht lange darauf war ten«, entgegnete der Butler. »Nach dem Verschwinden des Mister Kerrings und der beiden angeblichen Versicherungsvertreter könnte Mister Dalton jede Möglichkeit nutzen, Mylady in seine Gewalt zu bringen.« »Sehr schön«, freute sie sich. »Dann werde ich ja wohl eine recht unterhaltsame Fahrt haben.« Sie räkelte sich auf dem Rücksitz zurecht und schloß die Augen, um über ihren anstehenden Fall ausgiebig zu meditieren. Parker brauchte nicht lange auf die ersten sanften Schnarch- und Pfeif töne zu warten. Mylady beschäftigte sich intensiv mit ihrem Fall. 54
Josuah Parker besorgte dies auf seine Weise. Er dachte an Al Kerrings, der erstaunlicherweise am Telefon von Drogen-Dollars gesprochen hatte. Sein Hinweis deckte sich genau mit dem, den Chief-Superintendent McWarden geliefert hatte. Warum war Kerrings wohl derart offen gewesen? Hatte er die Absicht, den Wissenden und Dalton aus dem Geschäft zu bringen? Hatte er es vielleicht aus Rachsucht getan? Oder war Kerrings seiner Sache völlig sicher gewesen, daß er Mylady und ihn abfangen könnte? Für den Butler war es klar, daß er sich mit Kerrings gerade über diesen Punkt noch mal gründlich unterhalten mußte. Während seiner Überlegungen hatte Parker immer wieder auf merksam in den Rückspiegel geblickt und machte jetzt tatsächlich einen Verfolger aus. Eine Honda-Limousine folgte seinem hoch beinigen Gefährt bereits seit drei Straßeneinmündungen. Aus guten Gründen hatte Parker keine der südlichen Ausfall straßen gewählt und noch immer nicht die Themse überquert. Er wollte nicht, daß man auch nur verdachtsweise auf den Gedanken kam, daß vielleicht Croydon das Ziel sein könnte. Parker war klar, daß er den Honda auf elegante Art und Weise lahmlegen mußte. * Der Butler bog in Richtung Flughafen Heathrow ab und lotste seinen Verfolger nach Westen. Er wußte inzwischen, daß er es mit zwei männlichen Insassen im Honda zu tun hatte, Männer, die einen völlig seriösen Eindruck machten und wie Geschäftsleute aussahen. Der Beifahrer las sogar in einer Zeitung, um keinen Verdacht aufkommen zu lassen. Parker bog nach einiger Zeit von der breiten Autostraße nach Norden ab und tauchte unter im Gewirr vieler Straßen und grauer Häuserzeilen. Als Kenner des Großraumes von London wußte er bereits genau, wo er den Honda auflaufen lassen konnte. Er dach te an eine hübsche Kiesgrube, die längst geschlossen war und jetzt von jungen Motorradfahrern frequentiert wurde, die sich hier im Geländefahren übten. Der Fahrer des Honda war keineswegs ein Anfänger. Er hatte inzwischen wohl herausgefunden, daß er entdeckt wor 55
den war. Er ließ sich nicht zurückfallen, sondern rückte sogar dichter auf und legte es dann darauf an, Parker zu verunsichern. Er hupte, setzte zu Überholmanövern an und blieb dann wieder zurück. Er rechnete mit einem Fahrfehler des Verfolgten. Parker erreichte die kiesbedeckte Zufahrt zur Grube, die mit tie fen Schlaglöchern und entsprechenden Pfützen übersäht war. Absichtlich lenkte er sein hochbeiniges Gefährt in eine wasserge füllte Spurrinne und betätigte einen der vielen Kipphebel auf dem Armaturenbrett seines Wagens. Während das Wasser hochspritzte, fielen aus einem unter dem Wagenboden angebrachten Blechkasten einige sogenannte Krä henfüße in die Spurrinne und warteten darauf, sich in die Reifen des nachfolgenden Wagens bohren zu können. Wegen der Gischt konnte der Fahrer des nachfolgenden Honda nichts davon ausma chen. So kam es, wie es nach Parkers Berechnung auch kommen mußte. Vehement jagte der Honda ebenfalls durch die Spurrinne, zumal er keine Ausweichmöglichkeit hatte. Sekunden später kam er be reits aus der Spur, schlingerte nachhaltig und stellte sich dann quer. Er schob sich über den kiesbedeckten Weg und blieb in ei ner zweiten, breiten Wasserlache stehen. »Was ist denn, Mister Parker?« erkundigte sich die ältere Dame. Sie hatte ihre Meditation beendet und blickte sich neugierig um. »Mit Myladys Erlaubnis wurde soeben ein verfolgender Honda mattgesetzt«, berichtete Parker. »Die Insassen dürften sich mit Sicherheit nasse Füße holen.« »Das klingt nicht übel.« Sie nickte wohlwollend und wandte sich halb um. Sie sah, wie die beiden Männer aus dem Wagen stiegen und einen wütenden Eindruck machten. »Reicht das bereits?« wollte sie wissen. »Mylady wissen natürlich, daß die Männer Schußwaffen tragen.« »Dann tun Sie etwas dagegen«, verlangte sie. »Ich will die bei den Lümmel verhören.« Parker hatte bereits gehalten und harrte der Dinge, die da viel leicht noch kamen. Die beiden Insassen des Honda hatten sich die Hosenbeine hochgekrempelt und gingen um ihren Wagen herum. Parker schätzte, daß wenigstens zwei Reifen inzwischen luftleer waren. Die Krähenfüße hatten sich wieder mal bewährt. 56
Josuah Parker öffnete die Wagentür und lüftete höflich die schwarze Melone in Richtung Honda. Die beiden Männer blickten zurück, verzichteten jedoch aus ver ständlichen Gründen auf einen Rückgruß und redeten hastig mit einander. Sie diskutierten wahrscheinlich die Möglichkeit, hier draußen auf dem relativ freien Feld einen Schuß abzufeuern. Rechts von der Kiesgrube, die teilweise mit Wasser gefüllt war, standen bereits die ersten einfachen Reihenhäuser. Die Männer winkten. Sie hatten sich für eine neue Taktik ent schieden und gaben sich harmlos und hilfsbedürftig. Sie rechne ten wohl mit der Ahnungslosigkeit und Naivität ihrer Opfer. Parker winkte gemessen zurück. »Wir haben ‘ne Panne«, rief einer der Männer. »Das Leben ist voller Überraschungen, wenn man so sagen darf«, rief der Butler verhalten zurück. »Können Sie uns abschleppen?« »Wenn Sie darauf bestehen…« Parker hielt längst seine Gabel schleuder in der rechten Hand und wartete auf die richtige Ent fernung. Die beiden Männer kamen näher, schüttelten und schleuderten durch heftige Fußtritte in die Luft das Wasser aus ihren Schuhen und… wollten dann zur Sache kommen. Sie zogen schallgedämpfte Pistolen. * Nur einer von ihnen schaffte es, noch einen Schuß abzufeuern, doch genaues Zielen wurde ihm erheblich erschwert. Parker hatte seinerseits die erste Ton-Erbse aus der Leder schlaufe der Schleuder entlassen und selbstverständlich genau getroffen. Der Mahn links vom Honda sackte haltlos zusammen und behinderte dabei seinen Partner. Dessen Schuß »ploppte« hoch in die Luft und richtete weiter keinen Schaden an. Bevor er den zweiten Schuß lösen konnte, traf ihn die zweite Ton-Erbse des Butlers. Der Mann warf die Waffe weg, allerdings nicht freiwillig, sondern notgedrungen. Parkers Geschoß hatte seine Hand voll erwischt. Der Schmerz mußte beachtlich sein. Der Getroffene gab noch nicht auf. Er hechtete nach der Waffe, landete klatschend in einer kleine 57
ren Pfütze und grabschte nach seiner Waffe, deren Lauf aus der Wasserlache ragte. Nein, er schaffte es nicht… Eine dritte Ton-Erbse traf seinen Hinterkopf und ließ ihn reglos werden. »Durchaus annehmbar«, meinte die ältere Dame. »Langsam verstehen Sie es, mit der Schleuder umzugehen, Mister Parker.« »Ein noch so verhaltenes Lob aus Myladys Mund wiegt schwerer als Gold und Uran«, erwiderte Josuah Parker. Er setzte sich in Bewegung, um die beiden Männer zu bergen. Um sich keine nassen Füße zu holen, benutzte er den Bambus griff seines Universal-Schirmes, um die Männer auf den halbwegs trockenen Kies zu ziehen. Anschließend versorgte er sie mit Plas tikfesseln. »Werde ich die beiden Lümmel mitnehmen?« fragte Lady Agat ha. »Es genügt sicher, Ihre Taschen zu durchsuchen, Mylady.« Par ker machte sich mit schnellen Fingern an die Arbeit, zog auch zwei Brieftaschen hervor, die allerdings nur Bargeld enthielten. Vor Antritt der Fahrt schienen die beiden Verfolger alle Papiere entfernt zu haben, die Rückschlüsse auf ihre Person zugelassen hätten. Sie kamen langsam wieder zu sich und zeigten sich verstockt. Aber sie waren durch und durch sauer, wie es die Umgangsspra che ausdrückt. »Bringen Sie ein wenig Verständnis für die Handlungsweise meiner Wenigkeit auf«, bat Parker sie in seiner höflichen Art. »Mylady wünscht übrigens zu erfahren, in wessen Auftrag Sie die Verfolgung durchführten.« Sie antworteten mit ausgesuchten Schimpfworten und Andeu tungen. »Genug«, entschied Agatha Simpson. »Sie haben es schließlich mit einer Dame zu tun. Mister Parker, versenken Sie diesen Wa gen! Und die beiden Lümmel dazu!« »Mylady denken in diesem Zusammenhang an die kleinen Grundseen in der Kiesgrube?« »Sind sie tief genug?« wollte sie wissen. »Dies ist allerdings der Fall, Mylady.« »Dann machen Sie sich an die Arbeit, Mister Parker. Lassen Sie den Wagen dort über den Abhang nach unten kippen.« 58
»Seid ihr wahnsinnig? Das ist doch Mord… Doppelmord!« kreischte der Honda-Fahrer, der zuerst niedergestreckt worden war. »Und was hatten Sie vor, wenn man fragen darf?« erkundigte sich der Butler. »Wir… wir hätten doch niemals auf euch geschossen«, log der Mann. »Wir sind doch keine Mörder.« »Als was würden die Herren sich definieren?« »Wir sollten euch nur nach Wapping in ‘nen alten Lagerschup pen bringen.« Der Mann wirkte kaum weniger aufgeregt als sein Partner. »Und in wessen Auftrag sollte diese Verbringung stattfinden?« »Für Red Waldon«, kam blitzschnell die Antwort. »Das sind doch alles nur ausgemachte Lügen, Mister Parker«, entrüstete sich die ältere Dame nachdrücklich. »Sorgen Sie um gehend dafür, daß die beiden Mörder unten im Wasser landen.« »Wo kann man Mister Red Waldon finden?« fragte der Butler. »Er wird doch sicher eine Adresse haben.« »Red Waldon leitet den Objektschutz der Lichthalle«, lautete die verblüffende Antwort. »Er allein hat uns die verdammte Suppe eingebrockt.« »Mylady wünscht noch zusätzlich zu erfahren, seit wann Mister Red Waldon diesen Objektschutz aufgebaut hat und leitet.« »Seit einigen Monaten. Er ist extra aus den Staaten rüberge kommen und möbelt alles neu auf.« »Keine weiteren Fragen«, beendete Lady Agatha das Hin und Her. »Ich will die beiden Mörder endlich unten im Wasser sehen.« »Vielleicht ohne den Wagen, Mylady?« schlug Josuah Parker vor. »Nun gut«, meinte sie. »Ich bin kein Unmensch, Mister Parker. Aber fliegen sollen sie. Ich habe nicht umsonst um mein Leben gezittert.« Sie war ganz Tragödin und wirkte ungemein überzeugend. * Sie drückten sich ab wie plumpe Frösche und sprangen nach unten. Sie hatten sich bis zur letzten Sekunde geweigert, die et wa sieben bis acht Meter zu überwinden, doch als Mylady mit ei 59
ner Hutnadel nachgeholfen hatte, waren sie zu echten Turmsprin gern geworden. Einer von ihnen zeigte eine etwas verunglückte Bauchlandung und verschwand dann unter der Wasseroberfläche. Nach wenigen Augenblicken tauchte er wieder auf, spuckte Wasser und arbeite te sich mit wilden Beinschlägen ans Ufer heran. Der zweite Honda-Fahrer sprang ein wenig zu kurz, landete auf dem steilen Kieshang, überschlug sich mehrmals und klatschte rücklings ins Wasser. Auch er spuckte ausgiebig Wasser, als er wieder an die Oberfläche kam. Er legte sich auf den Rücken und trieb sich mit ebenfalls wilden Beinschlägen ans Ufer. »Ich hatte mir mehr davon versprochen, Mister Parker«, sagte die ältere Dame enttäuscht. »Die Herren dürften ihre Lektion gelernt haben, Mylady«, gab der Butler zurück. »Einer Weiterfahrt steht nun nichts mehr im Weg.« »Und die beiden Subjekte?« protestierte Agatha Simpson. »Sie können diesen Waldner, oder wie immer er auch heißen mag, ja verständigen.« »Sie werden allerdings außerstande sein, sich hinsichtlich Myla dys Ziel zu äußern.« »Nun ja.« Sie räusperte sich explosionsartig und blickte wieder nach unten. Die beiden Honda-Fahrer lagen erschöpft auf dem flachen Kiesstrand, den sie erreicht hatten und schnappten nach Luft. Ihre Hände waren nach wie vor gefesselt. Noch hatten sie keine Möglichkeit, zu ihrem Wagen zurückzukommen. Um aus der Kiesgrube zu steigen, mußten sie einen langen Umweg machen. Parker führte Mylady zu seinem hochbeinigen Monstrum zurück, ließ sie im Fond Platz nehmen und setzte sich ans Steuer. Er fuhr hart am Rand der Kiesgrube weiter und erreichte eine zweite Zu fahrt. »Ich hätte große Lust, diesen Waldner zu besuchen«, sagte die ältere Dame plötzlich. »Er hat schließlich den beiden Subjekten aufgetragen, mich zu ermorden.« »Myladys Wunsch wird meiner Wenigkeit Befehl sein.« »Sie sind auch dafür?« staunte sie verhalten. »Zumal man Mylady gerade jetzt kaum erwarten dürfte«, ant wortete der Butler. »Mister Waldon wird ungemein überrascht sein.« »Waldner oder Waldon«, meinte sie verächtlich, »was sind 60
schon Namen, Mister Parker? Er kommt aus den Staaten?« »Aus Südamerika, Mylady, wie man meiner Wenigkeit vor dem gemeinsamen Sprung noch anvertraute.« »Und daher kommen sicher auch die Drogen-Dollars, Mister Parker.« Sie war wie elektrisiert. »Wer würde es schon wagen, Mylady zu widersprechen«, fragte Parker. »Ein enger Zusammenhang ist keineswegs auszuschlie ßen.« »Natürlich nicht.« Sie nickte zufrieden und nachdrücklich zugleich. »Ich habe eben einen besonders gut entwickelten Blick für die großen Linien eines Falles, Mister Parker. Also auf zu die sem Wackner oder so. Der Lümmel wird sein blaues Wunder erle ben.« * Bei Tageslicht sah man mehr als deutlich, daß die Lichthalle des Ordens früher mal ein Lichtspiel-Theater war. Ohne magische Anstrahlung der Straße sah die Front des Hauses grau und wenig einladend aus. Rollgitter verschlossen den Eingang. Butler Parker steuerte sein hochbeiniges Monstrum in die nächs te Seitenstraße, hielt und orientierte sich. Es gab einen Hinterhof, eine hohe Mauer und zwei kleine Eisentüren, die früher wohl als Notausgang des Kinos gedient hatten. Parker fuhr langsam weiter, sondierte die enge Umgebung der Lichthalle und erreichte auf der Parallelstraße ein Bürogebäude, das sich fest in der Hand des Ordens befand. Die Fenster waren einheitlich gekennzeichnet und trugen Schriftbänder. In goldenen Lettern kündeten sie vom Orden des Neuen Lebens. Die vierte Seite des rechteckigen Grundstücks mit den Bauten bildete eine hohe Hauswand ohne Fenster. Der Wissende und sei ne Helfer hatten sich ein gutes Objekt ausgesucht. Unbefugtes Betreten oder auch Beobachten war so gut wie ausgeschlossen. »Ich werde die Sperrschranke am Bürohaus durchbrechen«, sagte die Detektivin resolut. »Ihr Wagen wird das doch wohl durchhalten, nicht wahr?« »Man könnte sich auch höchst offiziell bei dem Wissenden an melden, Mylady.« »Auch das«, räumte sie ein. »Aber es ist dann nicht so drama 61
tisch, Mister Parker.« »Auf den Wissenden und seine Helfershelfer wird ein regulärer Besuch geradezu unheimlich wirken, Mylady. Zusätzlich wird man natürlich gewisse Hoffnungen wecken.« »Hoffnungen?« fragte sie erstaunt. »Mylady und meine Wenigkeit endlich vereinnahmen zu kön nen.« »Darauf wollte ich gerade hinweisen, Mister Parker.« Sie lächel te wohlwollend. »Erfreulich, daß Sie sich meiner Betrachtungs weise anschließen.« Josuah Parker umrundete noch mal einen Teil des Komplexes und stellte seinen hochbeinigen Wagen dann vor dem Bürogebäu de ab. Er lieh der älteren Dame seine hilfreiche Hand und führte sie zum Eingang des Bürohauses. Eine mütterlich wirkende, etwa fünfzig Jahre alte Frau saß hin ter dem Anmeldetisch in der Empfangshalle und bedachte Mylady und den Butler mit einem fast schon penetranten, milden Lächeln. »Man erlaubt sich, einen wunderschönen Tag zu wünschen«, grüßte der Butler und lüftete die schwarze Melone. »Lady Simp son hat eine Verabredung mit Mister Harvey Dalton.« »Nehmen Sie doch bitte Platz«, gab die Mütterliche sanft zu rück. »Ich werde Sie sofort anmelden.« Lady Agatha blieb stehen und musterte die Bilder in der Halle, die ein wenig aufdringlich wirkten. Es handelte sich um Katastro phen-Fotos aller Art, die wohl darauf hinweisen sollten, daß das Ende nahe war. Sie entdeckte Aufnahmen von Vulkanausbrüchen, Bilder von Überschwemmungen, Brandkatastrophen und Erdbeben. Und ü berall waren Sprüche angeheftet, die tatsächlich auf das nahe Ende dieser Welt verwiesen. »Hier dürfte es sich um die Baustelle der sogenannten Zuflucht handeln, Mylady«, sagte der Butler, der eine spezielle Fotoecke entdeckt hatte. Es war schon recht beeindruckend, was man da abgelichtet hat te. Die Baustelle schien riesig zu sein, oder aber man hatte sie geschickt fotografiert. Große Schwenkkräne beförderten Fertig bauteile durch die Luft, es gab da tiefe Baugruben und Grundriß zeichnungen. »Lady Simpson?« Es war Harvey Dalton, der plötzlich in der Halle erschien. Er befand sich in Begleitung eines wohl gleichaltri 62
gen Mannes, der einen fast desinteressierten Eindruck machte. Dieser Mann trug einen dunkelgrauen Anzug und verfügte über Muskeln, die der gut geschnittene Anzug nicht völlig verdecken konnte. »Mister Waldon?« fragte Parker. »Richtig«, bestätigte Daltons Begleiter. Seine Augen wurden plötzlich hellwach. Er konnte sich ausrechnen, woher Parker sei nen Namen kannte. »Wie schön, daß Sie gekommen sind, Lady Simpson«, sagte Dalton und lächelte andeutungsweise. »Ich fürchte, es hat da in jüngster Zeit einige bedauerliche Mißverständnisse gegeben, die man nun aber ausräumen sollte. Darf ich Sie ins Besprechungs zimmer bitten? Ich könnte Ihnen dann einige Erfrischungen an bieten.« »Das hört sich recht erfreulich an«, gab die Detektivin zurück. »Und zu dieser Unterhaltung wünsche ich Ihren Propheten zu se hen. Wie heißt er noch, Mister Parker?« »Es handelt sich um Mister Rufus Zodiak, Mylady«, unterrichte te Josuah Parker seine Herrin. »Er gilt in speziellen Kreisen auch als der Wissende.« * »Die Zukunft sei mit euch«, grüßte Rufus Zodiak seine Gäste. Dalton und Waldon hatten Mylady und Parker per Lift hinauf in ein Penthouse gebracht und dem Wissenden vorgestellt. »Sie haben sich ja für die Zukunft gerüstet, junger Mann«, meinte die ältere Dame. »Ihre Bankkonten sind recht beachtlich.« Rufus Zodiak lächelte neutral. Der Wissende, wie er sich nannte und nennen ließ, trug einen schwarzen Anzug und erinnerte an einen Geistlichen der anglika nischen Kirche. Seine Bewegungen waren beherrscht. Er residier te in einem großen Büro, das an das eines Managers erinnerte. Es gab hier nur Chrom und Glas. Die Wände waren holzvertäfelt und trugen einige Sinnsprüche des Ordens. Die Lettern dieser Sinnsprüche waren aus Bronze und wirkten sehr vornehm. »Sie sprechen von Geld, Mylady«, sagte Rufus Zodiak jetzt. »Ein gutes und wichtiges Thema! Unser Orden braucht noch viel mehr Geld. Es gilt, die Zuflucht auszubauen. Viel Zeit bleibt uns 63
nicht mehr. Die Mächtigen warnen immer eindringlicher.« »Darf man erfahren, Sir, wer die Mächtigen sind?« erkundigte sich der Butler höflich. »Sie sind bereits unter uns«, vertraute der Wissende ihm um gehend an. »Sie haben bereits alle Vorbereitungen für die endgül tige Abrechnung getroffen.« Harvey Dalton und Red Waldon machten einen sichtlich gelang weilten Eindruck. Sie hatten sich rechts vom Arbeitstisch des Wis senden aufgebaut und hörten sicher Sätze, die sie bereits in- und auswendig kannten. »Und auf welche Art und Weise rechnen Sie mit dem baldigen Untergang der Welt?« lautete Parkers nächste Frage. »Sie wird in Feuer und Wasser verschwinden«, wußte der Wis sende. »Denken Sie an Atlantis. Dies war die erste Warnung der Mächtigen. Sie wollen aber jetzt nicht mehr länger zusehen, wie die Menschen den ihnen anvertrauten Globus schänden.« »Sie sprachen freundlicherweise von einer gewissen Zuflucht«, erinnerte Josuah Parker. »Wie viele Personen werden sie darin unterbringen können? Ihr Orden des neuen Lebens soll ja recht zahlreiche Mitglieder haben.« »Es wird für alle gesorgt werden«, lautete die etwas vage Ant wort. »Der Kern der Gläubigen braucht sich keine Sorgen zu ma chen. Wer glaubt, der wird nicht untergehen.« »Und wer auch nur andeutungsweise zweifelt, der wird ster ben?« »Zweifel bedeutet Tod«, sagte Rufus Zodiak. »Das sage ich auch immer wieder in meinen Verkündigungen.« »Es heißt hinter vorgehaltener Hand, man könne sich einen Platz in der letzten Zuflucht erkaufen, Mister Zodiak.« »Lächerlich.« Zodiak winkte energisch ab. »Nur der Glaube al lein zählt.« »Man behauptete noch zusätzlich, Ihr Orden sei eine Geld waschanlage für Drogen-Dollars, Mister Zodiak.« »Eine der üblichen Unterstellungen, Mister Parker«, verteidigte der Wissende sich. »Wir sind umgeben von Verleumdern, doch die Wahrheit wird siegen. Um auf die Zuflucht zurückzukommen: Das Spendenaufkommen ist derart gewaltig, daß wir weitere Zu fluchten bauen werden, in England, Schottland und Wales. Wir müssen die uns noch verbleibende Zeit nutzen.« »Ihr Sekretär Dalton vermutet, Mylady und meine Wenigkeit 64
würden sich im Besitz gewisser Bankunterlagen befinden, Mister Zodiak.« »Das sind weltliche Dinge, um die ich mich nicht kümmern kann und werde«, entgegnete der Wissende und lächelte versonnen. »Ich habe völlig andere Sorgen.« »Dann wissen Sie natürlich auch nicht, daß man versucht, My lady und meine Wenigkeit umzubringen?« »Der Mensch bildet sich viel ein, wenn er nicht im Glauben steht, Mister Parker.« »Sie arbeiteten mal für die sogenannte Dritte Welt, Mister Zodi ak?« »Eine Aktion, die im Ansatz gut war, aber nicht die letzte Wahr heit beinhaltete, Mister Parker. Inzwischen weiß ich, was ich weiß.« Rufus Zodiak schloß die Augen und schien in eine Art Trance zu verfallen. Er wiegte seinen Oberkörper und stieß dazu Laute aus, die an verhaltenes Stöhnen erinnerten. »Der Wissende darf jetzt nicht weiter gestört werden«, flüsterte Harvey Dalton und deutete in Richtung Tür. »Vielleicht gibt es wieder einen Kontakt mit den Mächtigen.« »Wir sollten gehen«, fügte der Leiter des Objektschutzes hinzu. Red Waldon gab sich ebenfalls stark beeindruckt und besorgt. »Guten Kontakt, wenn meine Wenigkeit so sagen darf.« Parker deutete eine Verbeugung in Richtung Rufus Zodiak an und ging dann mit Agatha Simpson zur Tür. »Das Ende ist nahe«, war noch zu hören, bevor die Tür sich hin ter ihnen schloß. »Man sollte dies natürlich nicht zu wörtlich nehmen«, meinte Parker höflich. * »Was immer man auch über Waldon und mich gesagt haben mag, Mylady, es ist gelogen«, beteuerte der Sekretär des Wis senden, als man wieder im Fahrstuhl war, um nach unten zu fah ren. »Es steht fest, daß wir Gegner haben, die uns verleumden wollen.« »Der Wissende deutete dies bereits an«, bestätigte der Butler. »Selbstverständlich haben Sie bisher keine einzige Person auf 65
Mylady und meine Wenigkeit angesetzt.« »Wer so etwas behauptet, der lügt einfach«, warf Waldon ein. »Dies unterstellten Mylady bereits zwei Honda-Fahrern«, meinte der Butler. »Sie wurden ein wenig aufdringlich und mußten daher zur Ordnung gerufen werden.« »Sie haben selbstverständlich hinterlassen, daß Sie hier in der Zentrale des Ordens zu erreichen sind, nicht wahr?« »In der Tat«, antwortete der Butler. »Nach einer bestimmten Frist würde man Mylady und meine Wenigkeit durchaus vermis sen und gezielte Nachforschungen anstellen.« »Sie trauen uns nicht, wie?« Waldon lachte leise. »Dies trifft in der Tat den Kern der Sache«, bestätigte der But ler. »Schließlich haben Sie einige ernste Versuche unternommen, um an Unterlagen heranzukommen, die Sie bei Mylady vermu ten.« »Da redet man Ihnen was ein«, behauptete der Leiter des Ob jektschutzes. »Es kann gar keine Unterlagen geben, die dem Or den schaden könnten.« »Ein Standpunkt, den nicht alle teilen, denen man bisher in die ser Sache begegnete«, fand Parker. Man hatte inzwischen die Halle erreicht und verließ den Fahrstuhl. »Angenommen, ich habe diese Unterlagen«, sagte die ältere Dame plötzlich. »Angenommen, ich würde sie an die Zeitungen weiterreichen. Was ist dann?« »Von welchen Unterlagen reden Sie eigentlich, Mylady?« fragte Harvey Dalton und tat ahnungslos. »Die sich in einer Collegemappe befinden, junger Mann. Sie selbst haben davon gesprochen.« »Ich kann mich wirklich nicht erinnern. Aber es ist möglich, daß Sie mich falsch verstanden haben.« »Wie sind Sie überhaupt an den Bentley des Wissenden ge kommen?« fragte Waldon. »Der oft zitierte Zufall war so freundlich, Mister Waldon.« »Der Bentley wurde eindeutig hier vor dem Komplex gestoh len.« »War der Wagen nicht abgeschlossen?« fragte Parker. »Eben nicht. Oder doch?« Waldon blickte Harvey Dalton an. »Ich habe den Fahrer bereits zur Verantwortung gezogen«, er klärte der Sekretär des Wissenden. »Aber was geschehen ist, ist eben geschehen. Haben Sie noch Fragen, Mylady, was den Orden 66
betrifft?« »Fragen, was die Person des Mister Waldon angeht«, schaltete der Butler sich ein. »Ist es richtig, daß Sie noch vor einigen Wo chen in Südamerika lebten?« »Das ist nun wirklich kein Geheimnis«, meinte Waldon. »Ich folgte dem Ruf des Wissenden und bereitete mich auf den Welt untergang vor.« Er amüsierte sich eindeutig, als er die Floskeln des Wissenden wiederholte. »Sollten Sie vielleicht doch noch die Collegemappe finden, Mis ter Parker, dann informieren Sie mich bitte«, warf Harvey Dalton ein. »Und noch etwas: Wer auch immer versuchen wird, die Lady und Sie umzubringen, er tut dies auf eigene Rechnung und ganz sicher nicht im Auftrag des Ordens.« »In dieser Collegemappe müssen sich demnach wohl doch Un terlagen befinden, die von erheblicher Brisanz sind«, meinte Jo suah Parker. »Könnte es sich dabei wohl um Bankunterlagen handeln? Gingen aus ihnen gewisse geheime Kontenbewegungen hervor? Offen gesagt, Sie dürften das ungeteilte Interesse Myla dys geweckt haben.« »Das kann man wohl sagen«, bestätigte die ältere Dame ge nußvoll. »Sie haben mich neugierig gemacht.« * Josuah Parker wurde abgelenkt. Ein älterer Mann unterhielt sich laut mit der mütterlich ausse henden Empfangsdame und verlangte den Wissenden zu sehen. »Er empfängt heute nicht«, sagte die Mütterliche, die jetzt gar nicht mehr so mütterlich wirkte. Ihre Stimme klang scharf. »Aber das sagte ich Ihnen doch bereits. Der Wissende ist unterwegs.« »Sollten Sie sich da nicht im Irrtum befinden?« fragte der Butler und schritt gemessen auf sie zu. »Vor wenigen Minuten erst war Mister Zodiak in der Lage, Mylady und meine Wenigkeit zu emp fangen.« »In… in Gedanken unterwegs«, sagte die scheinbar Mütterliche hastig und recht geistesgegenwärtig. »Er ist im Haus?« wollte der Mann wissen. Er mochte sechzig Jahre alt sein, war mittelgroß und trug einfache Kleidung. Sein 67
Gesicht war zorngerötet. »Daran besteht überhaupt kein Zweifel«, bestätigte der Butler. Neben ihm tauchte Dalton auf und wollte Parker abdrängen. »Sie werden sich einen Moment gedulden müssen«, meinte der Butler zu ihm und wandte sich wieder dem Besucher zu. »Sollten Sie eine Beschwerde führen wollen, Sir?« »Ich will meine Spende zurückhaben«, erwiderte der Mann ge reizt. »Ich habe alles verkauft, was wir besaßen. Und alles haben wir dem Orden gespendet… Aber von wegen Endzeit und Weltun tergang! Das Datum ist längst überschritten.« »Sie regeln das am besten mit unserem Sekretariat«, schlug Harvey Dalton vor. »Oder gleich hier, junger Mann«, verlangte die ältere Dame, die natürlich hellhörig geworden war. »Wann, wenn man fragen darf, erwarteten Sie Ihren Weltunter gang?« erkundigte sich der Butler bei seinem Besucher. »Der war vor einem halben Jahr fällig, aber nichts hat sich ge tan. Und jetzt sind meine Frau und ich auf Hilfe angewiesen, weil wir dem Orden alles vermacht haben.« »Wie interessant, vor einem halben Jahr?« reagierte Lady Agat ha genußvoll. »Vor einem halben Jahr«, wiederholte der Besucher. »Wissen Sie, ich bin der Sprecher unserer Vereinigung. Wir alle wollen unser Geld zurückhaben.« »Sie haben dies sicher bereits wiederholt angemahnt, nicht wahr?« wollte Parker wissen. »Ich werde das regeln, Sir«, schaltete Dalton sich wieder ein. »Wir unterhalten uns gleich in meinem Büro. Ich möchte erst noch unsere Besucher zur Tür bringen.« »Ich bleibe selbstverständlich«, gab die resolute Dame zurück. »Ich will schließlich wissen, was hier gespielt wird.« »Haben Sie etwa auch gespendet?« fragte der Besucher. »Falls ja, Madam, dann sind Sie bereits aufs Kreuz gelegt worden, das garantiere ich Ihnen. Das ganze Gerede vom Weltuntergang ist doch nichts anderes als Schwindel, um den Leuten Geld aus den Taschen zu ziehen.« »Jetzt ist aber Schluß«, verlangte der Leiter des Objektschut zes. Red Waldon griff nach dem Oberarm des Besuchers und woll te ihn wegzerren, doch er übersah dabei die Wachsamkeit der älteren Dame. 68
Sie trat ihm formlos und kraftvoll gegen das linke Schienbein, worauf Waldon sichtlich unter Gleichgewichtsstörungen litt. Er stöhnte vor Schmerz, ließ den Oberarm natürlich los und hüpfte dann auf dem vorerst noch intakten Bein herum. »Seien Sie nicht albern, junger Mann«, raunzte Mylady ihn an. »Und wagen Sie es nicht noch mal, sich an diesem hilflosen Mann zu vergreifen.« »Ich muß doch sehr bitten«, wiegelte Harvey Dalton ab. »Ich verspreche Ihnen, daß wir alles zu Ihrer Zufriedenheit regeln werden.« »So plötzlich, obwohl Sie seit Monaten überhaupt nicht auf un sere Briefe reagiert haben?« wunderte sich der Besucher. »Das nehme ich Ihnen nicht mehr ab. Sie wollen mich doch nur hinhal ten.« »Wieviel haben Sie leichtsinnigerweise gespendet, junger Mann?« fragte Lady Agatha ihn. Wenn es um Geld ging, war sie hellwach und stets sehr interessiert. »Meine Frau und ich haben rund einundvierzigtausend Pfund gespendet«, lautete die Antwort, »und die anderen Leute aus unserer Vereinigung auch so in diesem Rahmen.« »Gibt es Spendenquittungen, mein Guter?« fragte Lady Agatha weiter. »Nee, so was hat’s nie gegeben.« »Da hören Sie es doch«, schaltete Dalton sich triumphierend ein. »Jeder kann hier aufkreuzten und behaupten, gespendet zu haben. Das ist doch nichts anderes als ein geschickt inszenierter Trick.« »Wie viele Personen gehören Ihrer Interessenvertretung an?« wollte Josuah Parker wissen. »Wir sind dreiundzwanzig«, gab der Besucher zurück. »Aber es gibt noch mehr Vertretungen, das weiß ich ganz genau. – Und wir alle wollen unser Geld zurück.« »Ich werde gegen Sie klagen«, brauste Dalton wütend auf. Wal don hüpfte nicht mehr herum, sondern telefonierte, wie Parker mitbekam. Er richtete sich auf ein Intermezzo ein und baute sich so auf, daß er die Türen links von den beiden Fahrstuhlschächten unter Sichtkontrolle behielt. »Können Sie beweisen, daß Sie spendeten, Sir?« fragte Parker den Mann. »Fragen Sie doch mal meine Kinder und unsere Nachbarn«, lau 69
tete die ein wenig klägliche Antwort. »Die haben uns doch alle für verrückt gehalten und gewarnt. Hätten wir doch nur darauf ge hört! Aber der Wissende hat uns alle besoffen geredet. Wir sind vor Angst damals fast umgekommen.« »Man bot Ihnen Unterkunft in der Zuflucht an, Sir?« lautete Parkers nächste Frage. »Für uns alle«, erwiderte der Besucher. »Ich werde Ihren Fall positiv regeln«, versprach Harvey Dalton eindringlich. »Dann tun Sie’s gefälligst auch, junger Mann«, fuhr Lady Agat ha ihn umgehend an. »Jetzt und hier. Ich will Bargeld sehen.« »Nun, so einfach geht das nicht«, bedauerte Dalton. »Aber wenn der Herr vielleicht mit mir nach oben fährt und…« »Alles zu mir in mein Büro«, kommandierte Waldon dazwischen. Sein Befehl richtete sich an vier handfest aussehende Glaubens brüder, die keineswegs brüderlich aussahen. * Die Handfesten glaubten mit Sicherheit, leichtes Spiel zu haben. Sie schwärmten aus und verzichteten darauf, Waffen auszupa cken und zu zeigen. Für sie war dies alles eine Frage von wenigen Sekunden. Die Mütterliche stand hinter ihrem Empfangstresen und hatte sich klein gemacht. Groß und majestätisch hingegen wirkte Lady Agatha. Was da auf sie zukam, war ganz nach ihrem Geschmack. Sie hatte ihren perlenbestickten Pompadour bereits in kräftige Schwingung versetzt. Parker baute sich vor dem Besucher auf und schirmte ihn mit seinem Körper ab. »Keine Gewalt«, beschwor Dalton die vier Männer. »Wir werden wahrscheinlich beobachtet.« »Das kann man ändern«, rief Waldon und humpelte zum ver glasten Eingang. Er langte nach einigen Schnüren und löste sie von ihren Haken. Daraufhin schepperten Lamellen-Jalousetten herunter und nahmen die Sicht in das Innere der Empfangshalle. »Keine Gewalt«, warnte Harvey Dalton erneut. Seine Stimme klang beschwörend. »Schafft sie endlich weg«, brüllte Waldon wütend. Die vier Glaubensbrüder wollten zupacken, doch sie erlebten 70
kurz nacheinander eine mehr als peinliche Niederlage. Lady Agat ha legte ihren Pompadour mit dem darin befindlichen Hufeisen auf den Kopf eines der vier Männer. Der verlor daraufhin jedes Gleichgewichtsgefühl und kurvte ver stört durch die Empfangshalle. Dabei kollidierte er mit einem Pfei ler, knallte mit der Stirn gegen die Stoffbespannung und ging zu Boden. Dem zweiten Mann trat Mylady mit der Vehemenz eines Fuß ballspielers gegen den linken Fußknöchel. Der Mann schnaufte erregt, verbeugte sich unwillkürlich vor La dy Simpson und kassierte dafür von ihr eine Ohrfeige, die nicht von schlechten Eltern war. Er fiel auf die Knie und handelte sich danach noch einen Fußtritt gegen das Hinterteil ein. Wie von einer unsichtbaren Treibladung angetrieben, segelte er über die blank polierten Steinfliesen auf Waldon zu, der gerade noch hastig zur Seite sprang und sich so in Sicherheit brachte. Josuah Parker war selbstverständlich nicht untätig geblieben. Er hatte aus seinem Universal-Regenschirm eine Art KendoStock gemacht und wehrte damit die ihm zugedachten Fausthiebe geschickt und kraftvoll ab. Dann aber ging er zum Gegenangriff über und benutzte in blitzschnellem Wechsel sowohl die Schirm spitze als auch den Bambusgriff als Hieb- und Stichwaffe. Dem waren die beiden Männer nicht gewachsen. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis sie ausgepumpt und entnervt auf dem Steinboden saßen und stöhnten. Der Besucher stand wie angewurzelt neben einem Pfeiler und starrte Mylady und Parker an, als hätte er es mit Erscheinungen aus einer ande ren Welt zu tun. Harvey Dalton schniefte und hob abwehrend die Arme, als Par ker auf ihn zuschritt. Es war auffallend, wie korrekt und unbetei ligt der Butler aussah. Er schien sich, was den Sitz seiner Klei dung betraf, überhaupt nicht bewegt zu haben. »Die Methoden Ihres Ordens kann man nur als außerordentlich beachtlich bezeichnen«, sagte Parker zu Dalton. »Was Sie mal eingenommen haben, geben Sie verständlicherweise nicht beson ders gern wieder zurück, auch wenn die Prophezeiungen des Wis senden sich nicht erfüllen.« »Das alles sind Mißverständnisse«, erklärte Dalton noch mal. »Der Mann dort wird die Aussagen und Hinweise des Wissenden völlig falsch verstanden haben.« 71
»Reden Sie doch keinen Blödsinn«, wehrte sich der Besucher ärgerlich. »Mehr als einmal hat der Wissende vom Weltuntergang gesprochen. Er hat sogar ein Datum genannt.« »Auch das Jahr, junger Mann?« erkundigte sich Lady Agatha si cherheitshalber. »Natürlich, Madam, auch das Jahr. Dieses Jahr nämlich. Und das kann ich beschwören.« »Dann ist es dem Wissenden eben gelungen, doch eine Frist he rauszuschinden«, deutete Dalton diesen Vorgang. »Natürlich… So ist es gewesen. Er hat nach dem betreffenden Datum immer wie der erklärt und verkündet, durch seine Fürsprache hätten die Mächtigen die Frist verlängert.« »Was für ein Humbug«, mokierte sich die ältere Dame und sah den Besucher kopfschüttelnd an. »Solch einen Blödsinn haben Sie tatsächlich geglaubt?« »Wir alle waren doch wie betrunken«, entschuldigte sich der Besucher. »Und jetzt sind wir unser Geld los… Meine Frau und ich haben unser Reihenhaus verkauft… Auch unseren Wagen. Wir… wir wollten doch nicht umkommen.« »Einundvierzigtausend Pfund«, erinnerte Josuah Parker und blickte Dalton an. »Das… das wird geregelt«, versprach Dalton erneut. »Jetzt und hier und sofort«, verlangte die resolute Dame, »und zwar in meiner Gegenwart!« »Und was ist mit den anderen Leuten?« fragte der Besucher, der für sich und seine Freunde Morgenluft witterte. »Ich habe die Liste als Kopie bei mir.« »Also noch zweiundzwanzig weitere Geschädigte«, errechnete die Detektivin umgehend. »Die anderen Personen müssen selbst kommen«, antwortete Dalton verzweifelt. »Haben Sie überhaupt entsprechende Voll machten? Ich kann Ihnen doch unmöglich… Woher weiß ich denn überhaupt, wieviel jeder auf Ihrer Liste da gespendet hat. Das wächst ja ins Uferlose aus.« »Jetzt ist aber Schluß«, war in diesem Moment Red Waldons schrille Stimme zu vernehmen. Er humpelte nach vorn und richte te den schallgedämpften Lauf einer Pistole auf Parker. »Jetzt ist Schluß der Vorstellung! Hände hoch und Klappe halten, sonst wird’s hier großen Ärger geben!« »Waldon, sind Sie wahnsinnig?« fuhr Dalton ihn beschwörend 72
an. »Das frage ich mich allerdings auch«, ließ Agatha Simpson sich durchaus zustimmend vernehmen. * Waldons Energieausbruch währte nur zwei Sekunden. Als dann plötzlich ein bunt gefiederter Pfeil in seinem Oberarm vibrierte, verlor er die Nerven und warf die Waffe weg. Danach tastete er mit der gesunden Rechten nach dem Blasrohrpfeil und schnaufte nachdrücklich. Dieses seltsame und ungewöhnliche Geschoß stammte aus dem hohlen Schirmstock des Butlers. Angetrieben von komprimierter Kohlensäure, war der Blasrohrpfeil fast unhörbar durch die Luft gezischt und hatte sein Ziel erreicht. »Damit ist für Sie die Endzeit gekommen, junger Mann«, stellte Agatha Simpson fest. »Ein… ein Pfeil«, stotterte Waldon. »Sie merken aber auch alles, junger Mann«, antwortete Mylady schadenfroh. »Gehen Sie davon aus, daß er vergiftet ist.« »Vergiftet?« Waldon verfärbte sich zusätzlich. »Blasrohrpfeile sind meistens vergiftet«, klärte sie ihn weiter auf. »Aber warten Sie’s ab, junger Mann, Ihnen wird gleich der Schweiß ausbrechen.« »Gift«, Waldon stöhnte und ging in die Knie. »Tun Sie doch end lich was dagegen!« »Sie haben mit Sicherheit noch eine gute Viertelstunde vor sich«, beruhigte Parker ihn gemessen. »Sie sollten also keine un nötige Hast an den Vormittag legen, Mister Waldon.« »Gift?« fragte nun auch Dalton. »Möchten Sie davon überzeugt werden?« erkundigte sich der Butler. »Nein, nein«, beteuerte Dalton. »Hören Sie, ich mache Ihnen einen Vorschlag: Wir fahren jetzt rauf in mein Büro. Und dort werde ich dem Mann seine Spende zurückzahlen.« »In bar, junger Mann«, verlangte Lady Agatha. »Selbstverständlich«, antwortete Dalton und nickte heftig. »Und die anderen Personen werden dann Zug um Zug abgefunden, das verspreche ich.« 73
»Worauf warten wir noch?« wollte die Detektivin wissen. »Und die übrigen Betrogenen?« fragte der Besucher. »Die wenden sich an mich, junger Mann«, meinte Lady Agatha. »Ich werde für ihre Interessen eintreten, sagen wir, für zehn Pro zent.« »Mylady scherzten«, warf Parker ein, als der Besucher zusam menzuckte. »Aber nur ansatzweise«, grollte die ältere Dame und bedachte ihren Butler mit eisigem Blick. »Ich werde schließlich Zeit und Geld für diese Leute opfern.« »Sie erhielten bereits sehr viele Schreiben, in denen man Spen den zurückforderte?« fragte Parker den Sekretär des Wissenden. »Einige gibt es immer«, redete Dalton sich heraus. »Die Pfeile können durchaus vergiftet sein«, warf die ältere Dame ein. »Wir haben’s mit einer ganzen Welle von Rückrufen zu tun«, gestand Dalton. »Die Leute verstehen einfach nicht, daß der Wis sende es erreicht hat, die Endzeitfrist zu verlängern.« »Schon gut, junger Mann, verschonen Sie mich mit diesem Nonsens«, grollte Agatha Simpson. »Zahlen Sie jetzt diesen Mann aus. Und ich werde dabei sein.« »Und… und was ist mit mir?« rief Waldon mit gepreßter Stim me. »Ich kann mich kaum noch bewegen.« »Dann sollten Sie auch nicht versuchen, an Ihre Schußwaffe zu gelangen«, schlug der Butler ihm vor. Er ging zu Waldon hinüber und nahm die Waffe an sich. »Das Gegenmittel«, beschwor Waldon den Butler. Sein Gesicht war bereits schweißbedeckt. »Lassen Sie die Tablette im Mund zergehen«, antwortete der Butler. Er entnahm seiner Pillendose eine weiße Tablette und reichte sie Waldon, »aber bewegen Sie sich möglichst überhaupt nicht. Entspannen Sie sich und bleiben Sie vollkommen ruhig lie gen, sonst verteilen Sie das Gift unnötig in Ihrem Körper.« Waldon schob sich die Tablette in den Mund und schüttelte sich. Er ahnte nicht, daß er eine Magentablette auf Bitterkräuter-Basis einnahm. Da sie aber scheußlich schmeckte, glaubte er natürlich an die versprochene Heilung. * 74
»Mit Myladys Erlaubnis.« Parker blieb im Fahrstuhl, als die Etage unter dem Penthouse erreicht war. »Ich werde die Geldübergabe kontrollieren«, sagte sie und nick te dem Butler gewährend zu. Parker fuhr weiter nach oben und erreichte das Dach, auf dem das komfortable Penthouse des Wis senden stand. »Da sind Sie ja endlich«, sagte der Mann, als Parker ausstieg. Rufus Zodiak trat hinter einer Zimmerpalme hervor und richtete den Lauf seiner schallgedämpften Schußwaffe auf ihn. »Mister Waldon informierte Sie per Telefon, nicht wahr?« »Vor ein paar Minuten, als unten der ganze Zauber losging«, bestätigte der Wissende. »Kommen Sie, Parker, gehen wir in mein Büro. Von dort aus haben wir einen herrlichen Blick auf die Stadt.« »Sie sind erzürnt, was meine Person betrifft?« »Überrascht, Parker, überrascht. Ich hätte nie vermutet, daß Sie solch einen Wirbel veranstalten würden.« »Mylady und meine Wenigkeit haben Ihre Pläne ein wenig ge stört, wie zu vermuten ist?« »Sie besitzen die Collegemappe und damit meine Bankunterla gen«, erwiderte Rufus Zodiak. »Sobald ich alles zurückhabe, kön nen die Lady und Sie tun, was immer Sie wollen.« »Die Auflistung der Bankkonten ist für Sie demnach äußerst wertvoll?« »Das wissen Sie doch längst, sonst hätte sich mich nicht so um sie bemüht.« »Meine Wenigkeit könnte bereits Kopien angefertigt haben.« »Die werden Sie mir auch geben, Parker, verlassen Sie sich darauf. Und dafür wird Ihre Lady sorgen.« »Und falls Mylady darauf nicht eingehen wird, Mister Zodiak?« »Dann werden Sie über die Brüstung meines Dachgartens fallen und sich den Hals brechen, Parker. So einfach ist das.« »Fürchten Sie nur eine Veröffentlichung der Bankunterlagen, Mister Zodiak? Meine Wenigkeit kann sich dies kaum vorstellen.« »Es geht um die einzelnen Konten, Parker, aber das werden Sie ja längst erkannt haben. Es geht mir gar nicht um die verbuchten Summen. Dann befinden sich da noch Code-Nummern auf den Papieren, die die Öffentlichkeit nicht unbedingt erfahren und ken 75
nen muß.« »Sie waschen also tatsächlich Drogen-Dollars?« »Die auch«, bestätigte Rufus Zodiak. »Wir nehmen hier eine Mixtur vor, verstehen Sie?« »Sie verwaschen im wahrsten Sinn des Wortes die Spenden Ih rer Anhänger mit dem Geld der Drogen-Mafia?« »So ist es, Parker. Und ich kann Ihnen sagen, daß ich das ei gentlich gar nicht plante. Aber dann kam Waldon, der mir das Messer der Mafia an die Kehle setzte. Ich habe schnell begriffen… und dann mitgemacht. Die Mafia hat zu gute Argumente. Eigent lich wollte ich bei meinem Orden bleiben, der wirft genug ab.« »Ihnen ist natürlich hinlänglich klar, daß Sie wirklich nur die Ahnungslosigkeit und die Angst Ihrer Mitmenschen ausnutzen, nicht wahr, Mister Zodiak?« »Dummheit muß meiner Meinung nach bestraft werden«, erwi derte der Wissende. »Was soll ich machen? Die Leute schleppen mir freiwillig ihr Geld ins Haus und bedanken sich noch dafür, daß ich es überhaupt annehme.« »Ihr Treiben erfüllt zumindest den Tatbestand des Betruges, Mister Zodiak.« »Diese Absicht muß man mir erst mal nachweisen. Wissen Sie, ich glaube ja an das, was ich sage.« Zodiak lachte leise. »Im Augenblick zahlt Ihr Sekretär Dalton einundvierzigtausend Pfund an einen Geschädigten zurück, Mister Zodiak.« »Wenn schon, was sind schon einundvierzigtausend Pfund? Sie haben ja keine Ahnung, was pro Endzeit-Abend so alles zusam menkommt.« »Es gibt Interessengemeinschaften, die Sie verklagen wollen und auch werden.« »Sie alle werden Ihre Klagen entweder zurückziehen oder vor Gericht verlieren, Parker. Wir haben da unsere Methoden.« »Sie setzen Klagende unter körperlichen Druck?« »Nur, wenn alles nicht mehr hilft«, fügte Rufus Zodiak hinzu. »In den meisten Fällen reicht es bereits, wenn ich mich mit den Klägern unterhalte. Ich habe meine Erfahrungen gemacht.« »Sie sind von ungewöhnlicher Offenheit, Mister Zodiak.« »Ich kann sie mir leisten, Parker. Was immer Sie auch wissen, Sie werden dieses Wissen nicht anbringen können, ich brauche nur alles abzustreiten. Falls man mich vor Gericht stellt, werden ganze Heerscharen von Anhängern auf die Straßen gehen und für 76
mich sprechen. Sie wissen doch hoffentlich, was Massenpsychose ist, wie?« »Sie sind ein ungewöhnlich geschickter Betrüger.« »Das fasse ich als Kompliment auf«, gab Zodiak zurück. »So, und jetzt werden Sie Ihre Lady anrufen und ihr sagen, daß sie die Unterlagen zurückschafft.« »Könnte es sein, daß Sie ohne die Code-Nummern nicht in der Lage sind, an die erwähnten Konten heranzukommen, Mister Zo diak?« »Ich dachte, Sie hätten das bereits begriffen.« Der Wissende lä chelte. »Sobald ich die Papiere und damit die Codes habe, werde ich die Konten abräumen und das Geld neu plazieren.« »Auch das Geld der Drogen-Mafia.« »Auch dieses Geld, Parker.« »Wie lange werden Sie vom nahen Ende sprechen, Mister Zodi ak? Haben Sie in dieser Hinsicht bestimmte Pläne?« »Noch wäscht es sich ganz gut«, meinte der Wissende spöt tisch. »Und noch grassiert die Angst vor dem nahen Ende. Wir werden also erst mal weitermachen wie bisher. Aber machen Sie sich nicht unsere Sorgen, Parker.« »Würde es Ihnen reichen, wenn meine Wenigkeit Ihnen die Fo tokopien der Unterlagen reicht?« »Natürlich, Parker. Mir geht es nur um die Codes.« »Dann beugt meine Wenigkeit sich Ihren nachdrücklichen Wün schen.« Parker griff in seinen Mantel, zog langsam, um Zodiak nicht nervös werden zu lassen, seine Brieftasche hervor und… warf sie dem Wissenden zu. Zodiak fiel prompt auf diesen an sich recht alten Trick herein. Instinktiv wollte er die Brieftasche auffangen, schaffte es auch, aber brachte auf diese Art und Weise den Lauf der Waffe aus der Richtung. Eine Sekunde später war Rufus Zodiak waffenlos. * »Glauben Sie etwa, Sie würden damit durchkommen?« fragte der Wissende wütend. Er trug bereits Plastikfesseln und saß in einem Sessel. »Sie denken sicher an die Mafia, nicht wahr?« fragte der Butler. 77
»Worauf Sie sich verlassen können.« »Daraus wird sicher später mal ein Fall, Mister Zodiak«, gab der Butler zurück. »Jetzt geht es erst mal darum, die Geschädigten abzufinden.« »Sie… Sie wollen die Konten abräumen?« »Man kennt ja die Code-Nummern«, erwiderte der Butler. »Mehr dazu braucht es nicht, Mister Zodiak.« »Die Mafia wird mich umbringen. Das wissen Sie verdammt ge nau.« »In einem Gefängnis dürften Sie relativ sicher sein, Mister Zodi ak.« »Niemals! Und auch das wissen Sie, Parker. Der Arm der Mafia reicht überall hin. Ich bin bereits jetzt ein toter Mann.« »Sie scheinen endlich zu begreifen und nachvollziehen zu kön nen, was Endzeit-Angst ist«, entgegnete der Butler höflich. »Wie stellen Sie sich eine Lösung vor?« »Ich… ich bin bereits jetzt ein toter Mann, Parker«, wiederholte er. »Die Mafia wird mir den Reinfall nie verzeihen. Es geht doch längst um viele Millionen Dollars. Das, was Sie da in der College mappe gefunden haben, sind doch nur Monatseinzahlungen und entsprechende Bestätigungen. Tatsächlich ist wesentlich mehr auf den Konten.« »Um welch eine Gesamtsumme könnte es sich Ihrer Ansicht nach handeln, Mister Zodiak?« »Dreißig Millionen«, lautete die verblüffende Antwort. »Parker, Sie haben doch keine Ahnung, in welchen Mengen diese DrogenDollars hier reingeschafft werden. Die Mafia erstickt im Geld, sie braucht unbedingt Geldwäschereien, um wenigstens einen Teil dieser verrückten Summen legalisieren zu können.« »Darum spähte man Ihren Orden auch als Waschanlage aus, nicht wahr?« »Das war der Grund. Parker, ich mache Ihnen einen Vorschlag. Sie können ein stinkreicher Mann werden.« »Vielleicht liegt dies gar nicht in meiner Absicht.« »Bei Geld wird jeder Mensch schwach.« »Sie scheinen nur einen gewissen Teil der Menschheit zu ken nen.« »Eine Million für Sie, Parker, glatt auf die Hand. Oder wegen mir auch zwei Millionen. Darauf kommt’s doch nicht mehr an. Haupt sache, Sie rücken die Codes raus und vergessen, was Sie gehört 78
haben.« »Aber die Mafia wird nicht vergessen, was Sie mir sagten.« »Das regele ich schon mit Waldon. Das ist der Verbindungs mann, wie Sie längst wissen. Der spielt mit, er bekommt sonst ja auch Ärger mit seinen Leuten. Wie gesagt, einige Millionen spie len überhaupt keine Rolle.« »Meine Wenigkeit wird Ihnen einen Gegenvorschlag machen«, antwortete Josuah Parker. »Mylady wird Sie und die Herren Wal don und Dalton freisetzen. Sie haben dann die Möglichkeit, sich völlig frei zu bewegen.« »Wie… wie soll ich das verstehen?« Er hatte in Wirklichkeit be reits sehr gut verstanden. »Sie können hier auf der Insel bleiben, den Kontinent aufsuchen oder sogar rund um den Globus reisen«, erläuterte der Butler. »Sie werden nur immer vorsichtig und schnell sein müssen. Wie sagten Sie doch? Der Arm der Mafia ist mächtig.« »Warum wollen Sie auf die Millionen verzichten?« fragte Zodiak verzweifelt. »Sie sollten lernen, was es heißt Angst zu haben und in Angst zu leben«, fuhr der Butler höflich fort. »Sie versetzen seit Mona ten viele Mitmenschen in Angst und Schrecken und haben sich darüber amüsiert. Jetzt werden Sie und Ihre Mitarbeiter sich mit dem Problem einer schnellen Endzeit befassen müssen.« * Der Besucher, der seine einundvierzigtausend Pfund zurücker halten hatte, weinte Tränen der Freude. Er bedankte sich immer wieder überschwenglich bei Mylady und Parker. »Bis zur nächsten Dummheit, junger Mann«, sagte die ältere Dame. »Ich gehe davon aus, daß sie nicht lange auf sich warten lassen wird.« »Das wird meiner Rose und mir nicht wieder passieren«, gab der Mann überglücklich zurück. »Haben Sie was dagegen, daß ich sofort gehe?« »Mylady besitzen die Liste der Personen, die ihre Spenden zu rückwünschen?« erkundigte sich der Butler. »Selbstverständlich, Mister Parker«, sagte sie, »und ich werde dafür sorgen, daß die Leute ihr Geld zurückerhalten.« 79
Agatha Simpson blickte dem Überglücklichen nach, der schnel len Schrittes die Straße hinunterging. Dann erkundigte sie sich bei Parker nach den Vorgängen im Penthouse. »Die Herren Zodiak, Dalton und Waldon werden sich bald be freien können und dann wahrscheinlich eine Gruppenreise hinüber auf den Kontinent tätigen, Mylady.« »Gesucht und gejagt von der Mafia?« »So könnte und müßte man in der Tat sagen, Mylady. Vorher aber sollte man vielleicht Chief-Superintendent McWarden ver ständigen. Er könnte seinerseits die drei Männer überwachen las sen.« »Und dabei einige Mafiosi erwischen, nicht wahr?« »Dies käme einem durchaus erfreulichen Nebeneffekt gleich, Mylady«, lautete Parkers Antwort. »Nun gut, dann werde ich abräumen«, freute sie sich und schritt energisch zum Ausgang. »Hoffentlich werde ich nicht unter der Last der Verantwortung zusammenbrechen. Was geschieht übrigens mit dem Geld, das ich nicht unterbringen kann? Es soll ja um viele Millionen gehen?« »Man wird dieses Geld der Krone überweisen, Mylady.« »Papperlapapp«, sagte sie entrüstet. »Ich werde es spenden. Es gibt genügend Organisationen, die Geld brauchen. Ich weiß, daß mir da einiges einfallen wird. Vorerst aber werde ich das Geld treuhänderisch verwalten.« »In Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden«, schränk te der Butler ein. »Und ich verlange dafür nur einen geringen Prozentsatz«, schwärmte sie munter weiter. »Ich werde natürlich Unkosten ha ben.« Parker verzichtete auf eine Klar- und Richtigstellung. Er wollte Mylady nicht enttäuschen und ihre momentane Euphorie dämp fen. Manchmal erinnerte sie ihn, was Geld betraf, an eine gewisse Ente, deren höchste Lust es war, in Geld zu baden.
ENDE Nächste Woche erscheint BUTLER PARKER Band 410 Curd H. Wendt
PARKER setzt die Fotobande matt 80
Das Problem, mit dem Finanzberater Fred D. Hüll hilfesuchend zu Lady Simpson kommt, ist ausgesprochen heikel: Bei einem Bordellbesuch ist er heimlich fotografiert worden und soll jetzt 50.000 Pfund für die Negative bezahlen. Die passionierte Detekti vin läßt sich nicht lange bitten und stürzt sich mit lustvoller Ve hemenz ins Milieu der roten Laternen. Josuah Parker, ihr Butler, geht bedächtiger zu Werke. Dafür findet er heraus, daß Hull kei neswegs der gestrauchelte Musterknabe ist, für den er sich aus gibt. Hinter seinem Versuch, Bordellbesitzer Tom Cutter das Handwerk zu legen, stehen massive Brancheninteressen. Mit Phantasie, Geduld und Mut geht Parker den verschwommenen Spuren nach, schaltet Bombenleger, Heckenschützen und Mes serhelden aus, ehe endlich die Handschellen klicken. »Ich werde noch ein wenig meditieren, Mister Parker«, sagte Agatha Simpson. »Mein Bestseller wird ohnehin verfilmt, da kann ich das Drehbuch gleich mitverfassen.« »Ein ebenso einleuchtendes wie beeindruckendes Verfahren«, entgegnete der Butler. »Meine Wenigkeit wundert sich allerdings, daß Myladys Konkurrenz noch nicht auf diese Idee gekommen ist.« »Dazu bedarf es eines unkonventionell denkenden Geistes, Mis ter Parker«, wurde er umgehend belehrt. »Und wer außer mir hat den schon?« Lady Agatha hielt falsche Bescheidenheit für einen gravierenden charakterlichen Mangel, unter dem sie natürlich nicht litt. Sie hatte gerade den ersten Treppenabsatz erreicht, als die Türglocke sich meldete. »Wer könnte das sein?« überlegte sie. »Für einen Besuch ist es viel zu früh. Ich wundere mich, was manche Leute für Manieren haben.« »Eine gewisse Verwilderung der Sitten und Gebräuche, Myla dy«, pflichtete Josuah Parker ihr bei, der inzwischen den verglas ten Vorflur betreten hatte. In der Wand befand sich die bekannte Schalttafel, über die man Draußenstehende beobachten konnte. Parker aktivierte den Monitor, der ein gestochen scharfes Bild lieferte. Vor dem überdachten Eingang stand ein junger Mann. Ein riesiger Blumenstrauß verdeckte ihn fast.
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