Parkers Sturzflug in die »Hölle« Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges »Die Manier...
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Parkers Sturzflug in die »Hölle« Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges »Die Manieren eines Neandertalers dürften im Vergleich zu Ihrem Benehmen noch wohltuend gewesen sein«, stellte Butler Parker tadelnd fest. Er war von zwei Individuen in die Zange genommen worden, die ihm rücksichtslos die Läufe ihrer Schußwaffen gegen die Rippenpartie drückten. »Half die Klappe«, sagte der Mann, der links von Parker stand. »Du möchtest wohl gelöchert werden, wie?« fragte der Mann rechts. Parker ging auf diese Frage nicht weiter ein. Er befand sich mit seinen beiden Begleitern in der Tiefgarage eines Bürohauses und war ihnen im Augenblick hilflos ausgeliefert. Sie hatten ihm in der Nähe seines hochbeinigen »Monstrums« aufgelauert und ihn tatsächlich überrascht. Parker ärgerte sich, nicht vorsichtig genug gewesen zu sein, doch er zeigte es nicht. Sein Gesicht blieb glatt und ausdruckslos wie immer. Er hatte sich bereits wieder völlig unter Kontrolle. »Wir haben 'ne Nachricht für dich«, sagte der linke Mann. »Und für die Alte«, fügte der andere Mann hinzu. »Darf ich davon ausgehen, daß Sie Lady Agatha Simpson meinen?« erkundigte Parker sich.
»Eure Kleine ist hochgenommen worden«, redete der linke Mann weiter. »Miß Kathy Porter, wie ich vermuten muß?« Parkers Augen verengten sich kaum merklich. »Sie wird zu 'nem Eiszapfen werden, wenn ihr nicht schaltet«, warf der Wortführer lässig ein. »Ihr müßt euch mächtig beeilen, wenn sie gewisse Sachen überleben soll.« »Darf ich um nähere Einzelheiten bitten?« fragte Parker. »Wo befindet sich Miß Porter?« »In der Schweiz, Mann, das wissen Sie doch.« Der Linke lachte leise auf. »Und genau da werdet ihr erwartet.« »Erst mal in Davos«, setzte der Rechte hinzu. »Alles weitere dann da. Ist das klar?« »Sie sehen meine bescheidene Wenigkeit hilflos und verlegen«, gab Josuah Parker zurück. »Könnten Sie Ihre Worte möglicherweise noch mal wiederholen?« »Er hat 'ne lange Leitung«, stellte der Rechte fest. »Wahrscheinlich müssen wir ihn erst mürbe klopfen«, vermutete der Linke und schlug ohne jede Vorwarnung zu. Er hatte die erklärte Absicht, dem Butler einen Hieb auf den Magen zu versetzen und führte sie auch teilweise aus. Es war allerdings sein Pech, daß seine
nackte, ungeschützte Faust ausgerechnet auf dem Bambusgriff von Parkers Regenschirm landete. Da dieser Bambusgriff mit Blei ausgegossen war, wurde die zuschlagende Faust erheblich geprellt und verformt. Der Mann brüllte überrascht auf und irritierte seinen Partner, der nicht wußte, was da gerade gespielt worden war. Als er sich dann auf den Butler konzentrieren wollte, stieß der bereits erwähnte Bambusgriff an sein Kinn und brachte der Lade das Zittern bei. Anschließend setzte der Getroffene sich auf den harten Zementboden der Tiefgarage, stierte den Butler an und kippte dann im Zeitlupentempo nach hinten. »Ich bin untröstlich«, sagte Josuah Parker, bevor er den Mann behandelte, der sich die Hand massierte. Nach dieser Versicherung des Mitgefühls zog Parker seine schwarze Melone und setzte die Wölbung auf die Stirn des Mannes. Diese Wölbung war innen mit Stahlblech gefüttert. Die Berührung fiel dementsprechend aus. Der Begrüßte gurgelte diskret, verdrehte die Augen und fiel um wie ein gefällter Baum. Parker sammelte die Schußwaffen ein und kümmerte sich anschließend um die beiden Botschafter. Er verstaute sie mit erstaunlicher Leichtigkeit im Fond seines hochbeinigen Monstrums, verriegelte auf elektrischem Weg die hinteren Türen, setzte sich ans Steuer und verließ die Tiefgarage. Ihm ging es darum, sich in aller Ruhe mit den beiden Männern zu unterhalten. Sie hatten
ihm wahrscheinlich noch weitere Dinge zu berichten. Das Stichwort Kathy Porter hatte Parker unruhig werden lassen. Die junge Dame dieses Namens war seine erklärte Schülerin und darüber hinaus die Sekretärin und Gesellschafterin der Lady Agatha Simpson. Sie befand sich tatsächlich in der Schweiz, um dort eine erkrankte Freundin zu besuchen. Kathy Porter war vor zwei Tagen nach Zürich geflogen und wollte in weiteren zwei Tagen wieder zurück nach London kommen. Inzwischen schien sich mit ihr einiges getan zu haben, was Parker als nicht mehr regulär bezeichnen konnte. »Den dritten Grad für diese Subjekte«, verlangte Lady Agatha grimmig. Sie war eine hochgewachsene, majestätisch wirkende Dame, die seit Jahren beschlossen hatte, nicht älter als sechzig zu sein. Lady Agatha Simpson, mit dem englischen Blutund Geldadel verschwistert und verschwägert, bestach durch ihre unorthodoxe Art und ihr Draufgängertum. Darüber hinaus betätigte sie sich als leidenschaftliche Amateurdetektivin, die grundsätzlich keiner Gefahr aus dem Weg ging. »Der erwünschte dritte Grad, Mylady, erübrigt sich, wenn ich darauf verweisen darf«, antwortete Parker. »Die beiden Gäste waren so frei, uns bereits entsprechende Erklärungen abzugeben.« »Und die lauten?« Lady Agatha war in größter Sorge. Kathy Porter war für sie so etwas wie eine Tochter.
»Die beiden Herren im Keller heißen Joe Grambus und Hale Stint«, berichtete Parker gemessen. »Sie entstammen der Londoner Unterwelt und wurden vor knapp zwei Stunden durch ein Ferngespräch aus der Schweiz damit beauftragt, meine bescheidene Wenigkeit in der bereits geschilderten Form zu unterrichten. Mehr wissen sie nicht zu sagen.« »Diese Lümmel lügen«, grollte die ältere Dame. »Sie haben nicht energisch genug gefragt, Mr. Parker, aber das kennt man ja von Ihnen. Sie sind zu weich!« »Wie Mylady meinen.« Parker deutete eine leichte Verbeugung an. »Ich werde diesen Subjekten die Daumenschrauben anlegen«, verkündete die resolute Dame schnaufend. »Es geht um Kathy, Mr. Parker, falls Sie das vergessen haben sollten.« »Dies, Mylady, ist meiner bescheidenen Person durchaus bewußt. In der nächsten halben Stunde wird man mehr über die Herren Grambus und Stint wissen, wie ich versichern darf.« »Was ich mir auch ausgebeten haben möchte, Mr. Parker.« »Ich möchte Mylady nicht in zusätzliche Unruhe versetzen«, schickte Josuah Parker voraus. »Der Hinweis auf die Schweiz ließ und läßt meine bescheidene Person allerdings stutzen.« »Was Sie nicht sagen!« »Darf ich Mylady vorher noch einen Kreislaufbeschleuniger servieren?« »Wird es so schlimm werden?« »Mylady werden eine Stütze brauchen«, vermutete Parker und
versorgte seine Herrin mit einem doppelten Kognak. Nachdem sie einen großen Schluck genommen hatte, sah sie ihn ungeduldig an. »Reden Sie doch schon endlich«, grollte sie. »Sie ahnen, in wessen Hand das gute Kind sich befindet?« »Mylady können sich an Mr. Paul P. Peawood erinnern?« »Peawood?« Agatha Simpson nahm noch einen Schluck, um sich Bruchteile von Sekunden später fast zu verschlucken. Der Name hatte bei ihr gezündet. »Peawood«, wiederholte Parker. »Mylady zerschlugen vor Jahresfrist die Organisation dieses Herrn, der einige Reedereien terrorisieren ließ und hohe Erpressungsgelder einstrich.« »Und der mir leider entwischte«, erinnerte Mylady sich wehmütig. »Er entkam im letzten Moment und setzte sich ins Ausland ab.« »Er schwor Mylady Rache, wenn ich daran erinnern darf.« »Sie glauben, Peawood sitzt in der Schweiz und hat Kathy in der Gewalt? « »Nur eine Vermutung, Mylady.« »Wie kommen Sie ausgerechnet auf diesen Peawood, Parker?« Mylady stärkte erneut ihren angegriffenen Kreislauf. »Jeder andere rachsüchtige Gangster würde versuchen, Mylady hier in London zu schaden«, antwortete Parker. »Mr. Peawood hingegen ist als verschlagen bekannt. Zudem dürfte er an dem leiden, was man Größenwahn und Selbstüberschätzung nennt. Er hat seine Gegner nie einfach nur umgebracht, sondern war dafür
bekannt, daß er sich sadistisch zu nennende Morde ausdachte.« »Ein unangenehmer Bursche«, fand Lady Agatha. »Den man auf keinen Fall unterschätzen darf, Mylady.« »Sie nehmen also an, er will uns stilvoll irgendwo in der Schweiz umbringen?« »Das ist leider zu vermuten, Mylady.« Parker wollte noch mehr zu diesem Thema sagen, doch in diesem Augenblick meldete sich das Telefon. Parker ging an den Apparat, meldete sich und hörte einen Moment zu. Dann legte er auf, nachdem er sich höflich bedankt hatte und wandte sich der Detektivin zu, die ihn ungeduldig anschaute. »Die Herren Grambus und Stint gehörten einwandfrei zu Mr. Peawoods damaliger Organisation in Southampton«, berichtete Parker. »Mein Gewährsmann hat nicht die geringsten Zweifel. Er warnt vor diesen beiden Typen, Mylady. Sie sind seiner Ansicht nach bekannt für ihre Hinterlist, Grausamkeit und Tücke.« »Sie werden bald wissen, wofür ich bekannt bin«, gab die ältere Dame grimmig zurück. »Mr. Parker, ich habe das Gefühl, daß ich sehr ärgerlich werde!« * Joe Grambus und Hale Stint sahen aus wie andere normale Mitbürger auch. Grausamkeit und Tücke hätte man ihnen kaum zugetraut. Sie besaßen durchschnittlich geformte Gesichter und keinesfalls grausam blickende Augen. Im Moment
blickten diese Augen sogar ängstlich drein, denn Lady Simpson hatte den Kellerraum betreten, den Butler Parker für sie reserviert hatte. »Ich würde gern mehr über Mr. Peawood und Miß Porter erfahren«, begann die ältere Dame und setzte den runden, geschlossenen Korb aus Weidengeflecht ab. »Was soll der Unsinn hier?« fragte Grambus und überspielte seine Besorgnis. »Für das hier wird Ihre Sekretärin ganz schön Ärger bekommen«, drohte Stint vorsichtig. Er wußte nicht, was er von Agatha Simpson halten sollte. »Was habe ich Ihnen gesagt, Mr. Parker? Sie beschimpfen mich, diese Lümmel!« Die Detektivin wandte sich zu Parker um, der hinter ihr aufgetaucht war. »Wahrscheinlich ahnen die Herren noch nicht mal in ihren kühnsten Träumen, was Mylady als Beitrag zur allgemeinen Unterhaltung mitgebracht haben«, erwiderte Parker gemessen. »Lassen Sie uns sofort 'raus«, verlangte Grambus. Sein Ton wurde bereits härter. »Mit uns kann man sowas nicht machen«, beschwerte sich Stint. Die beiden Gangster befanden sich in einem mehr als sparsam eingerichteten Raum. Sie saßen auf zwei niedrigen Hockern und waren an Händen und Füßen gefesselt. Fenster gab es in diesem Raum nicht. »Mr. Parker, zeigen Sie diesen Subjekten, was sie erwartet«, grollte Agatha Simpson in Richtung Parker. Sie deutete auf den Weidenkorb.
»Mylady, darf ich um Vergebung bitten«, schickte der Butler voraus und wich ostentativ zurück, wobei er eine abwehrende Haltung einnahm. »Mylady wissen, daß meine bescheidene Person gegen Schlangen allergisch ist.« »Papperlapapp.« Die ältere Dame blitzte ihren Butler an. »Sie sollen ja nur den Deckel aufklappen.« »Mylady unterschätzen vielleicht die Schnelligkeit und Giftigkeit diverser Reptilien«, lautete Parkers respektvolle Antwort. »Wie war das?« fragte Grambus. »Sagten Sie Reptilien?« vergewisserte sich Stint, dem sofort der Schweiß ausbrach. Er zog seine Beine unwillkürlich an. »Vipern«, sagte Lady Simpson. »Ich halte sie in einem Terrarium. « »Schlangen?« Grambus kümmerte sich ebenfalls um seine Beine und zog sie an seinen Körper heran. Er schluckte und starrte auf den noch geschlossenen Weidenkorb. »Nun haben Sie sich nicht so«, fuhr die resolute Dame die beiden Gangster an. »Wenn Sie sich nicht unnötig bewegen, wird Ihnen schon nichts passieren.« »Wo ... Worauf wollen Sie eigentlich 'raus?« fragte Stint. »Auf Informationen«, gab Lady Agatha zurück. »Sie scheinen meinem gutmütigen Butler gegenüber nicht offen gewesen zu sein. Sie müssen mehr wissen.« »Ehrenwort, sonst nichts«, stotterte Grambus. »Wir wissen nur das, was wir gesagt haben«, versicherte Stint hastig.
»Machen wir die Probe auf s Exempel.« Agatha Simpson griff mit spitzen Fingern nach dem einfachen Verschluß des Körbchens, öffnete ihn und stieß den Deckel dann blitzschnell auf. Gleichzeitig brachte sie sich in Sicherheit und zog sich in Richtung Kellertür zurück. Grambus und Stint stöhnten miteinander um die Wette, konzentrierten ihre Blicke auf den Korb und fuhren zurück, als der Kopf einer ersten Schlange langsam hervorkam. »N... Nein«, keuchte Grambus. »N... Nicht«, stotterte Stint. »Es sind drei Vipern«, erklärte die furchtlose Lady. »Mr. Parker, die Schlangengabel, bitte.« Parker reichte seiner Herrin die verlangte Gabel. Es handelte sich um einen langen Stock, der unten in drei Zinken endete. Lady Simpson ging auf Distanz, als die zweite Schlange sich sehen ließ, die erste überholte und langsam aus dem Weidenkorb glitt. »Hiiilfe«, stöhnte Grambus. »Das ist... Mord«, brüllte Stint. »Wo befindet sich Miß Porter?« erkundigte sich Lady Simpson, ohne auf diese Anschuldigungen einzugehen. »Überlegen Sie sich die Antwort! Sie haben unter Umständen nicht mehr viel Zeit, fürchte ich.« * Als die dritte Schlange aus dem Korb kroch, brachen die beiden Gangster im übertragenen Sinn zusammen.
»Wir sagen alles«, lenkte Grambus mit überraschend heiserer Stimme ein. »Was Sie wollen«, fügte Stint unnötigerweise hinzu. »Aber stopfen Sie die Biester zurück in den Korb!« Agatha Simpson wußte mit der Schlangengabel sehr geschickt umzugehen. Sie scheuchte die drei neugierigen Reptilien zurück in Richtung Korb und nickte den beiden Männern dann grimmig zu. »Sie sollten jetzt vielleicht reden«, ließ Parker sich höflich vernehmen. »Wo wird Miß Porter festgehalten?« »Das wissen wir wirklich nicht«, antwortete Grambus hastig. »Wir sind nur vom Chef angerufen worden und haben genau das bestellt, was wir ausrichten sollten.« »Aber wir können uns denken, wo Peawood steckt«, redete Stint weiter. »Er hat sich damals in die Schweiz abgesetzt.« »Und wo befindet sich dort sein derzeitiges Domizil?« lautete Parkers nächste Frage. »Sein was?« gab Grambus zurück. »Sein Domizil, sein gegenwärtiger Aufenthaltsort«, erläuterte Josuah Parker. »In Davos«, sagte nun Stint. »Er hat sich dort ein Haus gemietet. Mehr wissen wir auch nicht.« »Unter welchem Namen wohnt Mr. Peawood dort?« »Er... Er bringt uns um, wenn wir das verraten«, sorgte sich Grambus. »Der läßt uns auseinandernehmen«, fürchtete auch Stint. »Es hat keinen Sinn, Mr. Parker, diese Lümmel sind noch zu verstockt.« Agatha Simpsons
Schlangenstock langte nach einer Viper und schob das nervöse Tier wieder in Richtung Grambus und Stint, die fast gleichzeitig stöhnten. »Stop, Lady«, bat Grambus. »Er nennt sich da drüben in der Schweiz Canters.« » »Genau«, bestätigte Stint. »Canters, Richard Canters.« »Wieso konnte er Sie vor zwei Stunden so ohne weiteres erreichen?« »Weil... Weil wir immer noch mit ihm in Verbindung stehen.« Grambus beobachtete intensiv die schlanke, lange Schlange, die sich für seine Beine zu interessieren schien. »Weil... Weil wir Sie beobachten«, bekannte Stint. »Schon seit 'nem Jahr. Das ist die reine Wahrheit.« »Man erfrecht sich, mich zu beobachten?« Lady Simpsons Stimme klang wie entferntes Donnergrollen. »Was sagen Sie dazu, Mr. Parker? Das ist noch die Höhe!« »In der Tat, Mylady«, pflichtete der Butler seiner Herrin bei, um sich dann wieder den beiden Gangstern zuzuwenden. »Sie erhielten während dieser Zeitspanne nicht den Auftrag, Mylady und meine bescheidene Wenigkeit anzugreifen?« »Nie«, versicherte Grambus. »Sie hat er für sich reserviert«, plauderte Stint weiter aus. »Sie wissen doch, er hat 'ne Stinkwut auf Sie!« »Sie haben demnach gemeldet, daß Miß Porter in die Schweiz gereist ist?« Darauf wollten die beiden Gangster nicht antworten, doch als
zwei Schlangen sich wieder auf sie zubewegten, nickten Grambus und Stint gleichzeitig und im Takt. »Sie haben also eine bestimmte Adresse und Telefonnummer benutzt, um Mr. Peawood zu verständigen«, faßte Parker zusammen. »Auch diese Angäben sollten Sie noch machen.« Sie reagierten entsprechend. Parker nahm Notiz und prägte es sich ein. »Bis wann sollen Sie das vornehmen, was man im militärischen Sinn eine Vollzugsmeldung nennt?« fragte er weiter. »Mr. Peawood möchte doch mit Sicherheit von Ihnen erfahren, daß Sie Mylady und meine bescheidene Person verständigt haben, nicht wahr?« »Bis zwölf Uhr«, gestand Grambus. »Und dann sollten Sie Mylady und meiner Wenigkeit folgen?« »Stimmt«, räumte Stint ein. »Achtung, Lady, die Schlange! Das Biest will mir an die Waden!« »Stellen Sie sich gefälligst nicht so an!« Agatha Simpson angelte mit dem Schlangenstock nach einer besonders vorwitzigen Viper, hob sie auf und ... griff nach ihr. Sie behandelte sie ohne jede Scheu und Angst und duldete es, daß das Reptil sich um ihre Hand ringelte. Dann stopfte sie die Schlange in den Korb. Ähnlich verfuhr sie mit den beiden übrigen Kriechtieren. »Haben Sie noch nie Ringelnattern gesehen?« fragte sie dann kopfschüttelnd. »Völlig harmlos und ungiftig, das sieht man doch auf den ersten Blick!«
* »Hier May Trent«, meldete sich eine schwache Stimme. »Bitte, mit wem spreche ich?« »Mein Name ist Parker, Josuah Parker«, antwortete der Butler, »Miß Trent, läßt es sich einrichten, Miß Porter zu sprechen?« Parker hatte Kathy Porters Freundin in der Schweiz angerufen und war gespannt, was er zu hören bekam. »Ach, Mr. Parker!« Kathy Porters Freundin wirkte erleichtert. »Ich wollte gerade Sie anrufen.« »Aus einem aktuellen Anlaß, Miß Trent?« »Wegen Kathy. Sie ist, ja, wie soll ich es sagen, sie ist die ganze Nacht über nicht nach Hause gekommen. Und jetzt ist es fast schon wieder Mittag.« »Ihre Freundin hat nicht hinterlassen, wohin sie zu gehen gedachte?« fragte Parker weiter. »Nein, Mr. Parker, sie wollte nur einen Spaziergang machen. Ich würde am liebsten die Polizei verständigen. Hoffentlich ist Kathy nichts passiert.« »Darf ich mir erlauben, Ihnen einen Rat zu geben, Miß Trent?« »Aber natürlich, Mr. Parker.« »Lassen Sie die Polizei vorerst aus dem Spiel, Miß Trent! Ich werde mir die Freiheit nehmen, umgehend zu Ihnen in die Schweiz zu kommen.« »Sie glauben auch, daß Kathy etwas passiert ist?« »Das möchte ich nicht unbedingt sagen, Miß Trent. Machen Sie sich aber keine Sorgen!«
»Wann könnten Sie denn hier sein, Mr. Parker?« »Mylady und meine bescheidene Wenigkeit könnten morgen bereits in Luzern sein, Miß Trent.« »Gut, ich werde dann warten. Soll ich die Polizei wirklich nicht verständigen?« »Möglicherweise erübrigt sich das, Miß Trent. Nähere Erklärungen dazu folgen bei Ihnen in Luzern.« Nachdem Butler Parker noch einige Worte der Beruhigung gesagt hatte, legte er auf und wandte sich Lady Simpson zu, die aufmerksam zugehört hatte. »Warum können wir erst morgen in Luzern sein?« fragte sie und schüttelte den Kopf. »Ich will ja schließlich nicht zu Fuß dorthin gehen.« »Eine taktische Maßnahme, Mylady, wenn ich es so ausdrücken darf. Falls Mylady zustimmen, sollte man natürlich sofort aufbrechen und die Reise antreten.« »Das hört sich schon besser an. Ich werde einen Privat-Jet nehmen.« »Dies wollte ich Mylady gerade vorschlagen. Man könnte dann noch heute in der Schweiz sein und das Terrain sondieren.« »Und was geschieht mit diesen Subjekten im Keller?« »Man sollte sie tunlichst den Behörden überantworten, Mylady.« »Gut, das ist Ihre Sache, Mr. Parker.« Mylady war einverstanden. »Aber sollten diese Lümmel sich nicht gegen Mittag bei Peawood melden?« »Dies, Mylady, könnte man vielleicht unmöglich machen. Etwas
Ungewißheit würde Mr. Peawood nicht schaden.« »Wird das Kathy schlecht bekommen?« vergewisserte die passionierte Detektivin sich. »Dies scheint ausgeschlossen, Mylady«, antwortete der Butler. »An Gangstern wie Grambus und Stint ist Mr. Peawood nicht gelegen, ihm geht es einzig und allein um Mylady, wenn ich es so ausdrücken darf.« »Ich möchte dann in einer Stunde fliegen«, verlangte Agatha Simpson. »Ich möchte diesen Peawood nicht warten lassen. Sorgen Sie dafür, Mr. Parker, daß dieses Individuum einige herbe Überraschungen erleben wird!« »Mylady können sich auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen«, gab der Butler zurück. »Ich werde mir erlauben, über die normale Grundausstattung hinaus zusätzliche Ausrüstung mitzunehmen.« * Grambus und Stint fühlten sich überhaupt nicht wohl. Sie waren fast gleichzeitig zu sich gekommen, hatten Kopfschmerzen und fühlten sich von Duftwolken umgeben, die man selbst beim besten Willen noch nicht mal als herb bezeichnen konnte. »Wo sind wir?« fragte Grambus. Er tastete in der ägyptischen Finsternis herum und zuckte zurück, als seine Fingerspitzen eine schleimig-feuchte Ziegelwand berührten. »Hier stinkt's wie in 'ner Kloake«, stellte Stint fest und schnüffelte hörbar.
»Und irgendwo rauscht Wasser.« Grambus streckte erneut und sehr zögernd seine Hand aus. »Wie sind wir hier 'reingekommen?« wollte Stint wissen. »Dieser Butler hat uns betäubt«, erinnerte sich Grambus. »Das Zeug muß im Tee gewesen sein, den er uns nach der Schlangengeschichte spendiert hat.« »Den Kerl bringe ich um«, schwor Stint. »Wo sind wir?« »Keine Ahnung, aber der Gestank ist schrecklich.« Grambus hatte die feuchte Ziegelwand wieder ertastet und stand vorsichtig auf. Bruchteile von Sekunden später stöhnte er. Er hatte sich den Kopf gestoßen und ließ sich schleunigst wieder nieder. Dann fuhr er zusammen, als er einen Fluch hörte, der in ein kräftiges Plantschen überging. »Hale, was ist?« brüllte Grambus. »Ist was passiert?« »Ich sitz' bis zum Bauch in 'ner stinkenden Brühe«, kam die halberstickte Antwort. »Mensch, Joe, wir sitzen in 'ner Kanalisation.« »Wie war das?« Grambus arbeitete sich ein wenig vor, spürte, daß sein Gesäß abglitt, schlug hilfesuchend mit den Armen um sich und landete ebenfalls in einer zähen Brühe, die penetrant stank. »Jetzt weißt du Bescheid«, hörte er Stint neben sich sagen. »Der Butler hat uns in 'ne Kanalisation gebracht.« »Daß kann er doch nicht machen.« Grambus ekelte sich. »Hat er aber gemacht.« Stint war weniger pingelig. »Dafür bring' ich den Butler um.«
»Hatten wir schon.« Grambus hatte wieder festen Boden unter seinen Schuhsohlen und inzwischen die Wand eines Kanalsschachts berührt. »Wir müssen weg von hier.« »Und wohin?« Stint rutschte aus und schlug der Länge nach zurück in das Abwasser, das über seinem Kopf zusammenschlug. »Irgendwohin«, sagte Grambus. »Komm', wir müssen uns aneinander festhalten.« »Und wo ist der Ausgang?« Stint geriet in Panik. »Keine blasse Ahnung.« Grambus nahm die Wanderung auf und setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Zu seiner Überraschung konnte er sich voll aufrichten. »Haben wir kein Licht?« fragte Stint hustend und spuckend. »Mensch, daß wir daran nicht früher gedacht haben.« Grambus blieb stehen und fingerte nach seinem Gasfeuerzeug. Doch als er es anzünden wollte, kamen ihm Bedenken. »Und wenn's hier sowas wie Grubengas gibt?« fragte er. »Dann fliegen wir in die Luft.« »Hier herrscht doch'n ganz netter Luftzug«, beruhigte Stint ihn und ließ bereits sein Feuerzeug aufflammen. Im Schein der Gasflamme konnten die beiden Gangster sich endlich orientieren. Fast andächtig nahmen sie den fast zwei Meter hohen und zwei Meter breiten Kanalschacht zur Kenntnis, in dem sie sich befanden. Sie wateten bis zu den Knien in einer undefinierbaren Brühe, deren Strömung beachtlich war.
»Mensch, ist das groß«, wunderte Stint sich. »Sei mal still!« Grambus hatte ein Geräusch gehört. »Da schmatzt doch was«, fand Stint und bekam sofort eine Gänsehaut. »Ratten«, sagte Grambus. »Warum steigen wir eigentlich nicht da 'rauf auf das Betonband? Da ist's wenigstens trocken.« Die beiden Gangster kletterten aus der Brühe und benutzten jetzt das Betonband, das etwa einen halben Meter breit war. Doch schon nach wenigen Schritten blieben sie erneut stehen. »Das schmatzt immer lauter«, sorgte sich Stint. »So laut können Ratten nicht sein.« »Vielleicht ein Krokodil«, sagte Grambus. »Du spinnst wohl, wie?« Stint lachte auf, doch dieses Lachen klang nicht echt. »Haste davon noch nicht gelesen?« Grambus zog seine Schußwaffe. »In den Abwasserkanälen von New York schwimmen Krokodile 'rum. Die sind als Babykrokodile einfach 'runter in die Kanäle gespült worden, als sie zu groß wurden.« »Ich sag', was ich weiß!« Grambus ging zögernd und vorsichtig weiter, während die Gasflamme kleiner und schwächer wurde. »Hier kommen wir nie wieder 'raus!« Stint verlor den Mut. »Wir müssen uns bemerkbar machen.« »Und wie?« fragte Grambus. Statt einer Antwort feuerte Stint in schneller Reihenfolge drei Schüsse in die Dunkelheit. Die Geschosse
prallten irgendwo an den Ziegeln ab und jaulten als Querschläger in die Dunkelheit. * »Wann werden wir landen?« fragte Agatha Simpson ungeduldig. Sie befand sich zusammen mit Butler Parker an Bord eines kleinen achtsitzigen Privat-Jets, den Parker gemietet hatte. Sie flogen hoch über den Wolken und hatten den Kanal längst hinter sich. »Ich werde mich sofort beim Piloten erkundigen«, antwortete der Butler. »Nein, lassen Sie, Mr. Parker!« Lady Agatha erhob sich. »Ich selbst werde mit dem Mann reden. Ich möchte doch zu gern mal diesen Jet fliegen.« »Mylady beabsichtigen, den Jet zu handhaben?« fragte Parker zurück. Sein Gesicht blieb zwar auch jetzt ausdruckslos, doch in seiner Stimme schwang so etwas wie erste Panik mit. »Natürlich«, antwortete sie. »Sie wissen doch, daß ich eine begeisterte Pilotin bin.« »Dieser Jet hier, Mylady, ist mit Sicherheit keine Sportmaschine.« »Eben, Mr. Parker, eben. Er fehlt noch in meiner Sammlung.« Die ältere Dame marschierte nach vorn zum Cockpit und verschwand hinter der schmalen Tür, durch die sie sich mit einiger Mühe durchgezwängt hatte. Parker schickte ein diskretes Stoßgebet gen Himmel und konnte nur hoffen, daß der Pilot sich Myladys Wunsch widersetzte.
Sicherheitshalber legte Parker sich den Sicherheitsgurt an. Wie gut seine Vorsichtsmaßnahme war, sollte sich schon sehr bald zeigen. Der Jet machte plötzlich einen abrupten Hüpfer nach oben, legte sich bedrohlich auf die Seite und schmierte dann über die rechte Tragfläche nach unten ab. Mylady hatte also doch das Steuer übernommen und versuchte sich als Jet-Pilotin. Parker, ein Mann mit bekanntermaßen starken Nerven, erlebte im Anschluß an diese erste Kunstflugfigur weitere Überraschungen. Der abschmierende Jet wurde nämlich nicht nur abgefangen, sondern mit der Nase voran hoch gen Himmel gerissen. Parkers Magen rotierte wie ein Kreiselkompaß, der außer Kontrolle geraten war, produzierte eine gewisse Übelkeit, die der Butler schmerzhaft empfand. Parker kannte leider nur zu gut die stille Leidenschaft von Lady Simpson. Sie war der Ansicht, jede Technik beherrschen zu können und überschätzte sich dabei stets. Was nun die Fliegerei anbetraf, so überschätzte sie sich darin besonders. Parker nahm Zuflucht zu einem passenden Stoßgebet, versuchte sich zu orientieren und schaffte es nicht. Mylady drehten nämlich inzwischen eine gerissene Rolle und ließ den Jet dabei gründlich durchsacken. Die Magennerven meldeten Parker unmittelbar darauf, daß ihm bald sehr schlecht werden würde. Durch den starken Andruck war es ihm fast
unmöglich, sich den Angstschweiß von der Stirn zu wischen. Er schloß die Augen, um dem blitzschnellen Wechsel von Himmel- und Erdsicht zu entgehen. Und er schämte sich ungemein, als ihm ein diskreter Rülpser widerfuhr. »Nun, wie war ich?« hörte er dann irgendwann später die Stimme seiner Herrin. »Traumhaft, Mylady, wenn mir diese Umschreibung gestattet ist«, rang der Butler sich ab. »Sie sehen blaß aus«, fand Lady Agatha, die ihren Butler prüfend musterte. »Nur ein Widerschein des Lichts, Mylady.« Parker holte tief Luft. »Darf man fragen, Mylady, wie die beiden Piloten auf Myladys Kunstflug reagierten?« »Diese Grünschnäbel«, gab sie verärgert zurück. »Sie haben mich gebeten, das Cockpit zu verlassen.« »Unverzeihlich«, murmelte Parker ohne jeden Nachdruck. »Und sie sahen genau so gelbgrün aus wie Sie, Mr. Parker«, schloß die ältere Dame. »Sehr komische Lichtverhältnisse hier oben, finden Sie nicht auch?« Parker verzichtete auf eine Antwort. * Es war später Nachmittag, als der Jet in Zürich landete, von wo aus es per Auto nach Luzern gehen sollte. Butler Parker und Lady Simpson waren in Eile. Schon per Sprechfunk vom Jet aus hatte Parker einen Mietwagen angefordert, der aufgetankt auf dem
Parkplatz vor dem Flughafengebäude stand. Parker sorgte mit Diplomatie und Geschick dafür, daß seine Herrin sich nicht unnötig mit den Zollbeamten herumstritt, wie sie es gern tat. Gepäck hatten sie ohnehin kaum dabei, und was erforderlich war, sollte an Ort und Stelle eingekauft werden. Die Überraschungen aber, auf die Agatha Simpson setzte, waren ohnehin so klein und sahen derart unverdächtig aus, daß selbst der mißtrauischste Zollbeamte keinen Verdacht geschöpft hätte. »Ich werde selbstverständlich fahren«, sagte die resolute Dame, als man den Mietwagen erreicht hatte. Wohlgefällig schaute sie auf den Land-Rover, der sich ihr präsentierte. »Darf ich Mylady darauf aufmerksam machen, daß hier in der Schweiz der sogenannte Rechtsverkehr herrscht?« deutete Parker diskret an. »Sehr hübsch und interessant«, freute sie sich daraufhin und nickte wohlwollend. »Das wird für mich eine völlig neue Erfahrung sein.« »Möglicherweise auch für die Schweizer, Mylady«, warnte Josuah Parker. »Papperlapapp, Mr. Parker!« Sie schaute ihren Butler strafend an. »Wollen Sie mir etwa absprechen, daß ich schnell schalten kann?« »Das, Mylady, würde ich mir nie erlauben.« »Dann öffnen Sie gefälligst den Wagen!« Parker schlug in Gedanken ein Kreuz, sperrte die Türen auf und wartete, bis Agatha Simpson am
Steuer Platz genommen hatte. Sie startete, kuppelte und fuhr an. Selbstverständlich vergaß sie, daß Rechtsverkehr herrschte, und raste frohgemut einem ahnungslosen Eidgenossen entgegen, der sich an die gültigen Verkehrsregeln hielt. Der Mann riß seinen Wagen herum, um dem drohenden Zusammenstoß zu entgehen, fuhr über eine schmale Verkehrsinsel und landete anschließend vor der Säule einer Parkplatzuhr, die sich tief vor dem Kühler seines Wagens verbeugte. »Haben Sie diesen Flegel gesehen?« grollte Agatha Simpson in Richtung Parker. »Der Herr war mit Sicherheit ein wenig irritiert«, erläuterte Parker. »Mylady benutzten die falsche Straßenseite.« »Richtig«, räumte sie ein. »Aber es dauert nicht mehr lange, bis ich mich an diese kontinentalen Sitten gewöhnt habe.« »Mylady sollten vielleicht anhalten«, empfahl der Butler. »Der Fahrer hat seinen Wagen nicht ganz unter Kontrolle halten können.« »Ein blutiger Anfänger wahrscheinlich.« »Zudem nähern sich zwei Streifenbeamte auf Motorrädern«, fügte der Butler hinzu. »Die meinen doch hoffentlich nicht uns, oder?« Mylady gab nach und hielt. Wahrscheinlich hatte sie nun doch ein schlechtes Gewissen. »Man wird Mylady ein Strafmandat überreichen«, prophezeite Parker. »Darüber hinaus ist wohl auch noch mit einer Anzeige auf Schadenersatz zu rechnen.«
»Erledigen Sie diese Kleinigkeiten für mich«, verfügte Lady Agatha. »Und im Notfall verlange ich meinen Botschafter zu sprechen, machen Sie das diesen Leuten deutlich klar, Mr. Parker.« Es dauerte eine halbe Stunde, bis Josuah Parker die Formalitäten erledigt hatte. Nur dank seiner gemessenen Höflichkeit und eines Schecks ließ der Autofahrer sich beruhigen und verzichtete auf eine Schadenersatzklage. Nachdem Parker auch noch das Bußgeld entrichtet hatte, setzte er sich wie selbstverständlich ans Steuer, das von Lady Agatha erstaunlicherweise wortlos geräumt worden war. »Wieso sprechen Sie diese Rachensprache?« fragte sie, als Parker die Fahrt fortsetzte und zwar auf der richtigen Straßenseite. »Fremdsprachen, Mylady, waren und sind mein Hobby«, antwortete der Butler. »Ich spreche grundsätzlich nur Englisch«, verkündete die eigenwillige Dame. »Alles andere ist reine Zeitvergeudung.« »Wie Mylady meinen.« »Können Sie nicht etwas schneller fahren?« verlangte sie nach einer Weile ungeduldig. »Wie hieß noch Kathys Freundin in Luzern?« »May Trent, Mylady. Sie wohnt in der Altstadt am Ufer der Reuß.« »Kennen Sie dieses Mädchen?« »Es wurde von Miß Kathy Porter erwähnt, Mylady. Persönlich ist Miß Trent mir nicht bekannt.« »Hoffentlich weiß sie inzwischen mehr«, sagte Lady Agatha. »Falls nicht, fahren wir sofort weiter nach Davos und klopfen diesem Peawood
gehörig auf die Finger. Ich sterbe inzwischen fast vor Langeweile!« * »Gut, daß Sie schon da sind«, sagte die junge Dame und gab sofort die Tür zu ihrer kleinen Wohnung frei. »Sie sind bestimmt Lady Simpson und Butler Parker, nicht wahr?« »Miß Trent, wenn ich nicht irre?« entgegnete der Butler. »May Trent«, stellte die junge Dame sich vor. Sie war mittelgroß, schlank und trug einen Bademantel. »Kathy hat sich noch immer nicht gemeldet. Ihr ist bestimmt etwas passiert.« »Das wird sich alles schon finden«, erklärte Lady Simpson und sah sich ungeniert- neugierig in der kleinen Wohnung um, die freundlich eingerichtet war. Durch die beiden geöffneten Fenster des Wohnraumes sah man hinunter auf die Dächer alter Häuser, auf Erker und Giebel. »Darf ich Ihnen etwas anbieten?« fragte May Trent. »Ich brauche die Kaffeemaschine nur einzuschalten.« »Kaffee mit Kognak könnte nicht schaden«, erwiderte Lady Agatha und nickte zustimmend. »Aber dann erzählen Sie uns von Kathy, Miß Trent.« May Trent ging hinüber in die winzig kleine Küche, schaltete die Kaffeemaschine ein und hob hilflos die Schultern. »Viel gibt es da nicht zu erzählen«, bedauerte sie. »Kathy wollte sich ein wenig die Stadt ansehen.« »Wann verließ Miß Porter Ihre Wohnung?« erkundigte Parker sich.
»Das war gegen Abend«, lautete die Antwort. »Es war aber noch hell. Ich wurde erst unruhig, als sie zum Abendessen nicht zurückkehrte. Dann habe ich Stunde für Stunde gewartet, aber sie kam nicht, sie rief noch nicht mal an. Und als ich Sie verständigen wollte, riefen Sie ja schon aus London an.« »Machte Miß Porter einen unruhigen Eindruck?« wollte Parker weiter wissen. »Nein, ganz sicher nicht.« May Trent schüttelte den Kopf. »Da war nichts, was mir aufgefallen wäre. Sie ging und ist bis jetzt nicht zurückgekommen. Hätte ich die Polizei nicht doch informieren sollen? Vielleicht liegt sie in einem Krankenhaus. Mich würde man dann bestimmt nicht verständigen, sie hatte ja nichts bei sich, was auf meine Adresse hindeutet.« »Kathy liegt bestimmt nicht in einem Krankenhaus«, schaltete Lady Agatha sich ein. »Sie ist, sagen wir, von einem Bekannten eingeladen worden.« »Das begreife ich nicht.« May Trent wußte mit diesem Hinweis nichts anzufangen. »Warum hat sie mich dann nicht verständigt? Und woher wissen denn Sie das?« »Genauer gesagt, Miß Trent, Ihre Freundin dürfte entführt worden sein«, präzisierte der Butler. »Entführt?« May Trent war völlig verblüfft. »Leider«, redete Parker weiter. »Aber Mylady werden Miß Porter freikaufen, wie es wohl heißt.« »Darauf können Sie sich verlassen, Miß Trent!« Die ältere Dame nickte grimmig. »Kathy wird nichts
passieren. In ein paar Tagen werden Sie sie bestimmt wiedersehen. Wie wäre es jetzt mit einer Tasse Kaffee?« »Natürlich, entschuldigen Sie!« May Trent ging in die winzig kleine Küche hinüber und erschien wenig später mit einem Tablett, auf dem Geschirr und die Glaskanne mit Kaffee standen. Sie servierte, während Butler Parker sich um den Kognak kümmerte. Er holte eine lederumhüllte und flache Flasche aus einer der Innentaschen seines schwarzen Zweireihers und reichte seiner Herrin den obligaten Kreislaufbeschleuniger. »Sehr aromatisch«, lobte Lady Agatha, nachdem sie sich gelabt hatte. Sie meinte offensichtlich den Kognak, nicht den Kaffee. Aus Höflichkeit trank sie dann aber auch von dem Kaffee und stärkte anschließend erneut ihren Kreislauf. Parker, der seine Tasse leer getrunken hatte, lehnte sich entspannt zurück und wollte weitere Fragen stellen, doch er verspürte dazu plötzlich keine Lust mehr. Er kämpfte gegen ein dringendes Schlafbedürfnis an, schloß und öffnete die Augen im Wechselspiel und nahm fast gleichgültig zur Kenntnis, daß Mylady bereits eingeschlafen war und erste Schnarchtöne produzierte. »Der Flug wird Sie sicher angestrengt haben«, hörte er May Trents Stimme. Sie kam wie durch dicke Watte und war weit entfernt. Parker wollte höflich antworten, doch ein Gähnkrampf machte das zunichte. Er schloß die Augen, rutschte gegen Myladys Schulter
und... war ebenfalls in Morpheus Armen. Er bekam offensichtlich nicht mehr mit, daß May Trent zum Telefon ging und eine Nummer wählte. »Es ist soweit«, sagte sie. »Es ging leichter, als ich dachte. Und das wollen Profis sein? Da kann man doch nur lachen!« * »Licht!« Gangster Joe Grambus jubelte förmlich auf und aktivierte neue Kräfte. Schon seit Stunden befand er sich mit seinem Partner Stint unten in der Kanalisation. Sie waren herumgeirrt und hatten schon lange jede Orientierung verloren. Nun aber sahen sie Licht. Sie wateten längst wieder durch die Abwässer und hatten sich inzwischen auch an die penetranten Duftnoten gewöhnt. Sie waren keinem kleinen oder großen Krokodil begegnet, wie Joe Grambus befürchtet hatte. Sie hatten es wirklich nur mit Ratten zu tun gehabt deren Größe schon an die von Kaninchen herankam. Die beiden Gangster hatten es jetzt sehr eilig. Der Lichtschein wurde immer stärker und zog sie magisch an. Nach etwa fünf Minuten erreichten sie einen senkrecht nach oben führenden Schacht, der offensichtlich zu einer Straße Verbindung schuf. In die Betonwand eingelassene U-Eisen führten hinauf. Stint war schneller als Grambus. Er langte mit vor Aufregung zitternden Händen nach den U-Eisen
und arbeitete sich nach oben. Die Rettung war nahe! Endlich konnten sie diese scheußlich riechende Unterwelt verlassen und wieder frische Luft atmen... Hale Stint erreichte ein Abdeckgitter und stemmte sich mit aller Kraft dagegen. Er wollte es mit seiner rechten Schulter aus dem Rahmen drücken. »Mach' doch endlich«, rief Joe Grambus, der seinem Partner nachgestiegen war. »Das Ding sitzt eisern fest«, rief Stint keuchend. »Laß mich mal 'ran!« Grambus war voller Ungeduld. Er zerrte an den Beinen seines Freundes und wartete, bis Stint nach unten gekommen war. Dann eilte er über die U-Eisen nach oben und versuchte seinerseits sein Glück. »Das Gitter ist festgeschweißt«, rief er, um dann in sinnloser Wut mit der rechten Faust gegen die daumendicken Eisenstäbe zu hämmern. »Wir kommen hier nicht raus.« »Wir müssen rufen«, schlug Hale Stint vor. »Kannst du wenigstens was hören?« »'ne Straße kann das nicht sein«, meinte Grambus nach einer Weile. »Ist verdammt still da draußen, Hale.« »Dann müssen wir eben brüllen, bis uns jemand hört!« Die beiden Gangster holten tief Luft und strapazierten dann ihre Lungen. Sie riefen, schrien und brüllten. Sie ließen ihre Stimmbänder in allen Frequenzen vibrieren, doch von einer Antwort
jenseits des Absperrgitters war keine Rede. »Haben wir noch Patronen?« fragte Stint. »In meiner Kanone sind noch zwei«, antwortete Grambus, der inzwischen sehr heiser geworden war. »Ich hab' auch noch eine«, rief Stint. »Joe, wir müssen die abfeuern, dann wird uns bestimmt einer hören.« Die beiden Gangster, die inzwischen fast nebeneinander auf den U-Eisen standen, feuerten ihre drei Schüsse durch die Gitterstäbe und warteten auf eine Reaktion. »Das gibt's doch nicht«, stöhnte Stint nach einer Weile. »Die Schüsse muß man doch gehört haben!« »Wenn man bloß erkennen könnte, wo wir sind«, sagte Grambus wütend. »Ich kann nur den Himmel sehen.« Er wollte noch weitere Feststellungen treffen, doch dazu kam es nicht mehr. Irgend etwas schlurfte und surrte auf das Gitter zu. Sekunden später ergoß sich eine Woge von schmutzigem und nach Schmieröl riechendem Wasser über sie. Die beiden Gangster brüllten vor Zorn und schrien erneut aus voller Kehle. »Hallo«, meldete sich jenseits der Gitterstäbe plötzlich eine verdutzt klingende Stimme. »Hallo, ist da einer?« »Hol' uns hier 'raus?« schrie Grambus. »Hiiilfe!« Ein Gesicht erschien oben am Gitter.
»Wie... Wie kommt ihr denn da 'rein?« fragte der Mann, der nach unten schaute. Er war begreiflicherweise leicht verwirrt. »Wir haben uns verlaufen«, erklärte Grambus wütend. »Wir wollten nach Schottland, du Idiot, aber wir müssen den falschen Weg genommen haben!« * »Ich muß mich doch sehr wundern, Mr. Parker«, sagte Lady Agatha und musterte ihren Butler mit strengem Blick. »Wie konnte Ihnen nur so etwas passieren?« »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit zerknirscht und beschämt«, gestand Parker. »Ich hatte von Anfang an einen gewissen Verdacht«, redete die ältere Dame weiter. »Ich war sogar mißtrauisch.« »Davon weiß ich hingegen leider nichts zu berichten«, räumte Josuah Parker ein. »Ich hielt die junge Dame durchaus für Miß May Trent.« »Dieses kleine Luder hat Sie nach allen Regeln der Kunst 'reingelegt.« Lady Agatha schien sich darüber ehrlich zu freuen. Ihrer Stimmlage war das durchaus zu entnehmen. Es machte ihr wohl nichts aus, daß auch sie die Leidtragende war. »Mr. Peawood scheint seine Weichen sehr nachhaltig gestellt zu haben«, bemerkte der Butler. »Die Frage ist zu stellen, was aus der richtigen Miß May Trent geworden ist.« »Die Frage stellt sich, wie wir wieder frei kommen«, antwortete die
Detektivin grimmig. »Wo stecken wir überhaupt?« »Es scheint sich um eine Art Almhütte zu handeln. Myladys Einverständnis vorausgesetzt, werde ich mir gestatten, die hinderlichen Fesseln zu beseitigen.« Parker hatte sich in dem düsteren Raum umgesehen. Seine Einschätzung der Lage schien richtig zu sein. Durch ein schmales Fenster fiel wenig Mondlicht in ihr Gefängnis, dessen Wände aus dicken Holzbohlen bestanden. Parker hatte bereits auch eine offene Kochstelle entdeckt, spärliches, rustikales Mobiliar und eine niedrige Tür. Es war für ihn eine Kleinigkeit, sich seiner Fesseln zu entledigen, die seine Hände und Füße zusammenhielten. Anschließend kümmerte er sich um Lady Simpson, die sich jetzt aufrichtete und verärgert wirkte. »Wie sind wir hierher geschafft worden?« wollte sie wissen. Sie trat ans Fenster und sah nach draußen. »Sieht tatsächlich nach einer einsamen Almwiese aus, Mr. Parker.« »Der von der angeblichen Miß Trent servierte Kaffee muß präpariert gewesen sein«, mutmaßte der Butler. »Anschließend wird man Mylady und meine bescheidene Person in einem Wagen hierher gebracht haben.« »Sie wissen doch auch, daß Peawood dahinter steckt, nicht wahr? « »Davon muß man ausgehen, Mylady.« Parker nickte andeutungsweise. »Verblüffend, erstaunlich und beunruhigend zugleich ist die
Tatsache, daß man Mylady und meine Wenigkeit nicht besser und nachdrücklicher außer Gefecht setzte.« »Wie soll ich denn das nun wieder verstehen?« Die Detektivin schüttelte verständnislos den Kopf. »Dieses Subjekt überschätzt sich und ist leichtsinnig. Das könnte der Grund sein.« »Mr. Peawoods Gründe dürften anderer Natur sein, Mylady.« »Schön, aber darüber unterhalten wir uns vor der Hütte«, gab sie ungeduldig zurück. »Worauf warten wir eigentlich noch?« Die resolute Dame ging zur Tür und griff nach der schweren Holzverriegelung. »Mylady, bitte nicht!« Parkers Stimme klang nachdrücklich und warnend. Myladys Hand zuckte zurück. Sie wandte sich ihrem Butler zu und trat dann einen Schritt von der Tür zurück. »Was haben Sie denn?« wollte sie wissen. »Wollen Sie hier etwa übernachten?« »Keineswegs, Mylady.« Parker schüttelte den Kopf. »Ich gehe allerdings davon aus, daß die Tür in irgendeiner Art und Weise böse Überraschungen bietet.« »Können Sie sich nicht etwas deutlicher ausdrücken?« »Das Verlassen der Hütte, Mylady, erscheint meiner Wenigkeit als etwas zu einfach. Hier könnte es sich durchaus um eine Einladung handeln, die in den Tod führt.« »Sie haben eine verrückte Phantasie, Mr. Parker!« Lady Agatha wich einen weitern Schritt von der Tür zurück. Ihre Phantasie war auch
nicht gerade unterentwickelt. »Was könnte hinter der Tür sein? Drücken Sie sich gefälligst präziser aus!« »Eine Sprengladung, Mylady, um nur eine von vielen Möglichkeiten anzudeuten.« »Und wie wollen Sie herausfinden, ob das stimmt?« »Man könnte das Fenster benutzen, Mylady, um die Hütte zu verlassen.« »Und warum tun Sie's nicht endlich?« »Es besteht allerdings auch die Möglichkeit, Mylady, daß das Fenster entsprechend präpariert ist.« »Zuzutrauen wäre das diesem Peawood.« Die Detektivin ließ sich auf einem einfachen Schemel nieder. »Wie wäre es denn mit dem Dach? Besonders solide sieht es nicht aus.« »Ein wertvoller Beitrag und Hinweis, Mylady.« Parker sah zu den Dachsparren hoch, die die dicken Holzschindeln trugen. »Mehr habe ich nicht anzubieten, Mr. Parker.« Agatha Simpsons Stimme war wieder ungeduldig geworden. »Das heißt, wir können hier auch wurzeln schlagen.« »Ich möchte davon ausgehen, Mylady, daß Mr. Peawood sich irgendwo in der Nähe aufhält und die Almhütte beobachtet. Er dürfte sich in einem Zustand freudiger Erwartung befinden.« »Er hofft, daß wir einen Fehler begehen?« »Dies, Mylady, dürfte seinen sadistischen Neigungen voll und ganz entsprechen.« »Also, was werden wir tun?« Parker verzichtete auf eine Antwort. Er ging zur Tür, griff mit seiner schwarz behandschuhten
Hand nach dem schweren Holzknebel und ... drückte die Tür auf, als sei von einer lebensgefährlichen Situation niemals die Rede gewesen. Es geschah nichts! * »Ausgezeichnet«, sagte der kleine, schlanke und drahtig aussehende Mann. Er nickte anerkennend und setzte sein Fernglas für einen Moment ab. »Haben Sie das mitbekommen, Füllers?« »Klar, Chef«, antwortete der Mann, der Füllers hieß. Er war untersetzt, kräftig und hatte ein grob geschnittenes Gesicht. »Auch die Feinheit?« vergewisserte sich der drahtige Mann und nahm wieder das Glas hoch. »Welche Feinheit, Chef?« Steve Füllers war ein wenig ratlos. »Er ist durch die Tür gekommen, Füllers.« Der Drahtige lächelte. »Jeder andere Mensch hätte sie wie die Pest gemieden und auch das Fenster.« »Ich bestimmt, Chef«, räumte Steve Füllers ein. »Sie wären durch das Schindeldach nach draußen gestiegen, oder?« »Wahrscheinlich, Chef.« Füllers zuckte die Achseln. »Und wären dann in die Luft gepustet worden!« Der Drahtige lehnte sich zurück. Er saß auf einem umgestürzten Baumstamm und amüsierte sich königlich. »Begreifen Sie jetzt, warum ich Parker und Lady Simpson hierher gelockt habe?«
»Sie spielen Katz-und-Maus mit den beiden Typen, klar.« Steve Füllers nickte. »Sehr anregend, Füllers.« Der Drahtige schüttelte den Kopf, als sein untersetzter Begleiter das Gewehr hob. »Lassen Sie das! Für einen Schuß sind Parker und Lady Simpson mir nun doch zu schade.« Der Drahtige war Paul P. Peawood. Beherrschend in seinem hohlwangigen Gesicht waren die Hakennase und die dunklen Augen. Von diesem Mann gingen Fanatismus und Bedrohung aus. Selbst wenn er lächelte, waren seine Augen daran nie beteiligt. »Ich könnt' die beiden Typen in ein paar Sekunden umlegen«, sagte Steve Füllers enttäuscht. »Ich weiß, Füllers, ich weiß!« Paul P. Peawood nickte. »Aber der ganze Spaß hat doch gerade erst angefangen. Die Hütte dort drüben war ein erster Test.« »Haben Sie gewußt, daß die da durch die Tür nach draußen kommen würden, Chef?« »Ich habe es gehofft.« Peawood nahm das Fernglas wieder hoch und beobachtete weiter. »Ich bin nicht enttäuscht worden. Wahrscheinlich geht diese Reaktion auf Parkers Konto. Er denkt kraus, verstehen Sie? Parker versucht, sich in meine Gedankenwelt zu versetzen. « »Und wenn er das immer schafft, Chef?« »Er wird es nicht immer schaffen, Füllers .« »Sie kennen den Burschen besser als ich, Chef. Ich bin immer für 'nen schnellen Schlußstrich. Nur kein unnötiges Risiko!«
»Diesen Schlußstrich, Füllers, können wir jederzeit ziehen, verlassen Sie sich darauf! Ich denke, wir fahren zurück.« »Sie ahnen bestimmt schon, was dieser Butler jetzt tun wird.« »Grambus und Stint werden ihm längst verraten haben, daß ich in Davos wohne. Parker wird also dort erscheinen. « Paul P. Peawood stand auf und ging mit schnellen, energischen Schritten hinunter zum nahen Feldweg, wo ein Jeep stand. Er setzte sich auf den Beifahrersitz und ließ sich dann von seinem Leibwächter Füllers hinunter ins Tal bringen. Er hatte sich eine Zigarre angezündet und beschäftigte sich in Gedanken mit Parker und Agatha Simpson. Er freute sich auf weitere Begegnungen. An einer schnellen Erledigung dieser Affäre war ihm nicht gelegen. Er wollte mit seinen beiden verhaßten Gegnern spielen und sie durch alle Höllen jagen. Peawood fühlte sich ihnen haushoch überlegen und sah sich als Marionettenspieler, der die Fäden fest in Händen hielt. Er wollte seine Rache genießen. Parker und Lady Simpson hatte er es schließlich zu verdanken, daß seine Organisation in England zerschlagen worden war. Und nur zu gut erinnerte er sich an seine Flucht. Er war gehetzt und gejagt worden wie ein Wild. Dafür sollten Parker und Lady Simpson jetzt zahlen. »Sorgen Sie dafür, Füllers, daß die Sprengladungen auf dem Schindeldach wieder verschwinden«, sagte er plötzlich. »Das heißt, meiner
Schätzung nach wird Parker das wohl besorgen und dort an der Hütte warten. Kommando zurück, Füllers! Das Gesetz des Handelns bleibt bei mir.« »Wollen wir ihm nicht 'ne kleine Überraschung bereiten, Chef?« erkundigte sich Füllers. »Bis die beiden Typen in Davos sind, könnte doch noch 'ne Menge passieren, wie?« »Ich werde mir etwas einfallen lassen, Füllers.« Peawood lächelte boshaft. »Parker und Lady Simpson dürfen nicht mehr zur Ruhe kommen. Sie müssen sich schließlich freuen, wenn ich mit ihnen Schluß mache. Sie müssen mir auf den Knien dafür danken!« * »Natürlich wußte ich gleich, daß die Tür ungefährlich ist«, sagte Agatha Simpson mit der großen Selbstverständlichkeit, während sie sich von der Wand löste, an der sie automatisch Deckung genommen hatte. Man sah ihr deutlich an, daß der Schreck ihr noch in den Gliedern saß. »Eine kleine Spielerei des Mr. Peawood«, antwortete Parker. »Mit weiteren Überraschungen dürfte fest zu rechnen sein, Mylady.« »Peawood will uns das Fürchten lehren, wie?« »In der Tat, Mylady! Er forderte zu einem tödlichen Schachspiel heraus.« »Wogegen Sie hoffentlich etwas unternehmen werden, Mr. Parker.« »Mylady dürfen sich auf meine bescheidene Person verlassen«, gab
Parker zurück. »Der Weg zurück ins Tal könnte bereits weitere Prüfungen bringen.« »Sie glauben, dieses Subjekt würde uns auflauern?« »Indirekt, Mylady. Ich möchte meinen, daß Mr. Peawood vorerst nicht an einem gezielten Schuß aus dem Hinterhalt interessiert ist.« »Sondern?« »Er möchte wahrscheinlich Mylady und meine Person in den Zustand einer intensiven Nervenzerrüttung versetzen. « »Dieses Individuum kennt meine Nerven nicht, Mr. Parker.« Ihre Stimme grollte schon wieder. »Wir werden es Peawood mit gleicher Münze heimzahlen. Das bitte ich mir aus.« »Fühlen Mylady sich dem nächtlichen Fußmarsch gewachsen?« »Was für eine Frage!« Sie sah ihn strafend an. »Dieser kleine Spaziergang wird mir gut tun. Worauf warten wir noch?« »Mylady erlauben, daß man sich über den Rückweg einig wird.« »Das gibt's doch überhaupt nichts zu überlegen«, antwortete die ältere Dame. »Dort ist der Weg.« »Der im übertragenen Sinn mit Überraschungen gepflastert sein könnte.« »Dann nehmen wir eben einen anderen Weg.« »Genau darauf könnte Mr. Peawood aber ebenfalls setzen, Mylady.« »Dann marschieren wir eben einfach durchs Gelände.« »Was beschwerlich werden dürfte, Mylady.«
Parker deutete hinunter in die Dunkelheit des Tals. Die Lichter der Ortschaften waren längst eingeschaltet und machten deutlich, wie weit man zu gehen hatte und wie steil dieser Weg werden würde. »Es gäbe noch eine weitere Möglichkeit, Mylady«, ließ Parker sich vernehmen. »Sie wollen mir doch wohl nicht zumuten, hier oben zu übernachten, wie?« »Ein Vorschlag, den ich wärmstens empfehlen möchte, Mylady. Ein Feuer ließe sich schnell anzünden.« »Und was haben wir davon, wenn wir bleiben?« »Die Pläne Mr. Peawoods könnten so durchkreuzt werden. Den Abstieg könnte man darüber hinaus zu einer Zeit in Angriff nehmen, den Mylady selbst bestimmen kann.« »Also schön.« Sie war erstaunlicherweise sofort einverstanden. »Sie müssen ja immer Ihren Kopf durchsetzen. Sorgen Sie für ein Feuer!« »Und für eine bequeme Lagerstatt, Mylady.« Parker hatte sich die Situation schnell, aber gründlich überlegt. Er war nicht bereit, auf Peawoods Pläne einzugehen. Er traute diesem Gangster alles zu. Wahrscheinlich ließ Peawood die Abstiegsroute überwachen. Seine Kreaturen warteten nur darauf, in seinem Sinne zu handeln und für Verwirrung und Angst zu sorgen. Parker brachte seine Herrin in die kleine Almhütte zurück und sorgte für ein Feuer. Dann stieg er ohne große Mühe auf das Schindeldach und fand hier einige raffiniert angebrachte Sprengkörper. Sie
waren durch ein Geflecht von Kontaktschnüren miteinander verbunden. Bei öffnen und Hochdrücken der Schindeln wäre es mit Sicherheit zur Zündung gekommen. Parker barg die Sprengkörper, entsicherte sie und nahm sie dann mit zurück in die Hütte. Er wollte die Sprengkörper bei passender Gelegenheit gegen Peawood einsetzen. »Ob er versuchen wird, uns hier zu überraschen?« fragte. Lady Agatha, nachdem sie die Sprengkörper besichtigt hatte. »Ein Mann wie Mr. Peawood, Mylady, ist nur schwer auszurechnen«, gestand Josuah Parker. »Gewisse Sicherheitsvorkehrungen dürften durchaus angebracht sein.« »Und dann müssen wir wohl abwarten.« Agatha Simpsons Gesicht nahm einen grimmigen Ausdruck an. »Ich habe es gar nicht gern, Mr. Parker, herumgestoßen zu werden.« »Dieses Mißbehagen, Mylady, betrifft auch meine bescheidene Wenigkeit«, antwortete der Butler. »Darf ich mich für einige Minuten beurlauben?« »Wohin wollen Sie?« »Man sollte für einige Abwehrwaffen sorgen, Mylady«, lautete Parkers Antwort. »Mr. Peawood könnte ungeduldig werden und zurückkommen. Dafür sollte man gerüstet sein.« * Die junge Dame, die sich als May Trent ausgegeben hatte, befand sich
in einer luxuriösen Hotelsuite und hatte sich gründlich verwandelt. Sie trug einen eleganten Hausanzug und trug jetzt aschblondes Haar. Sie beobachtete Paul P. Peawood, der auf dem Balkon des Salons stand und über den See blickte. In der rechten Hand hielt er ein Funksprechgerät, das er gerade abgeschaltet hatte. Peawood kam ins Zimmer zurück. »Sie sind in der Hütte geblieben und haben ein Feuer angezündet«, sagte Peawood. »Sie werden da warten, bis es wieder hell geworden ist«, antwortete die junge Frau. Sie hieß Judy Glaston und war die Vertraute des Gangsters. »Deine Leute werden sich die Beine in den Bauch stehen.« »Dafür wird Parker keine gute Nacht haben«, sagte Peawood. »Er rechnet natürlich mit einem Überfall da oben auf der Alm.« »Ein seltsamer Mensch, dieser Parker.« Judy Glaston ging zu Peawood hinaus auf den Balkon. »Er ist doch nicht nur ein Butler, oder?« »Wie kommst du denn darauf?« »Er ist ein Herr, anders kann ich das nicht ausdrücken. Wieso macht er sich nicht selbständig? Dieser Parker könnte doch machen, was immer er will, er würde stets Spitze sein.« »Nun übertreibe nicht gleich«, gab Peawood zurück. »Du denkst doch ähnlich«, redete Judy Glaston weiter. »Würdest du dich sonst so mit ihm einlassen?« »Wir werden ihn bald selbst fragen können«, entgegnete Peawood. Er war nachdenklich geworden. »Gut, ich wundere mich auch, warum er
bei dieser verschrobenen Lady als Butler arbeitet.« »Könntest du ihm nicht ein Angebot machen?« »Ein Angebot?« »Für dich zu arbeiten, Paul.« »Ausgeschlossen!« Peawood schüttelte den Kopf. »Dazu hasse ich ihn viel zu sehr.« »Du bist der Chef.« Sie lächelte. »Oder solltest du nur eifersüchtig auf Parker sein?« Er sah sie eindringlich an, und seine Augen glühten förmlich. Der Mann wurde zu einem schmalen Strich. »Sag' so etwas nie wieder«, lautete dann die leise Antwort. »In deinem Interesse, Judy, sag' so etwas nie wieder! Mit einem Mann wie Parker spiele ich nur!« »Schon gut, Paul.« Sie merkte, daß sie zu weit gegangen war. »Du bist ihm natürlich haushoch überlegen. Was ist eigentlich mit dieser Lady los?« Er hatte sich abgewendet und sah über den Vierwaldstätter See hinaus. Es dauerte seine Zeit, bis er sich wieder unter Kontrolle hatte. Er lächelte nun ironisch, als er seiner Freundin antwortete. »Lady Agatha Simpson«, zählte er auf. »Eine Frau, deren Vermögen man kaum schätzen kann. Sie kann sich leisten, was immer sie sich wünscht. Sie ist 'ne skurrile Mischung aus Marktweib und Dame. Und sie hält sich für eine Detektivin dazu. Ohne ihren Butler würde sie schon längst nicht mehr leben.« »Und Kathy Porter, Paul?« Sie fragte bewußt beiläufig, doch Peawood bekam durchaus mit, wie
brennend interessiert sie an dieser Frau war. »Eine sagenhafte Frau«, erwiderte er gezielt boshaft. »Einsame Rasse und Klasse. In allen Sätteln gerecht. Sie ist eine Frau mit vielen Gesichtern. So etwas wie sie hätte ich gern in meiner Organisation.« »Dann dreh' doch sie um«, lautete ihre Antwort. »Wann kann ich mir dieses Wundertier mal ansehen, Paul?« »Bald schon«, sagte er und lachte in sich hinein. »Du wirst Augen machen, Judy. Sie ist wirklich Spitze.« Sie ging in den Wohnraum zurück und wußte schon jetzt, daß sie diese Kathy Porter ablehnte. Sie schaltete das Fernsehgerät ein, doch sie konnte sich auf die Musiksendung, die dort gesendet wurde, nicht konzentrieren. Paul P. Peawood hatte sein kleines Funksprechgerät zur Hand genommen, schaltete es ein und fragte bei seinem Außenposten an, was es Neues gebe. Er rief diese Außenstelle wiederholt an, doch sie meldete sich nicht. Und in diesen Minuten des Wartens hatte der Gangster plötzlich das Gefühl, daß nicht alles so lief, wie er es sich vorher ausgerechnet hatte. Oben in den Bergen mußte seinen beiden Leuten eine Panne passiert sein! * Parkers Waffe bestand aus einer völlig regulären Gabelschleuder, wie Halbwüchsige sie gern verwenden.
Er hatte sie sich mit seinem superscharfen Taschenmesser aus einem Strauch herausgeschnitzt und zurechtgestutzt. Aus dem Schweißband seiner schwarzen Melone stammten die beiden Gummistränge und die Lederschlaufe zum Einlegen diverser Geschosse. Hilfsmittel dieser Art trug der Butler stets bei sich. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß man zu jeder Zeit gerüstet sein mußte. Als Geschosse gedachte er kleine Steine zu verwenden, die er neben der Almhütte reichlich gefunden hatte. Effektiver und lautloser konnte man sich wohl kaum eine Waffe vorstellen, falls sie sich in den Händen eines Meisters befand. Und Parker war ein Meister, wie sich bald zeigte. Es hatte sich bei Mylady noch mal entschuldigt und war dann in der Dunkelheit untergetaucht. Parker hatte sich auf die Pirsch begeben, um Gangster zu jagen. Er wollte einem etwaigen Angriff zuvorkommen. Dank seiner schwarzen Berufskleidung verschmolz er mit der Dunkelheit. Parker bewegte sich mit der Geschmeidigkeit und Lautlosigkeit eines erfahrenen Indianers. Die Natur war ihm nicht fremd, obwohl er sonst in einer Millionenstadt lebte. Zwei Wege führten regulär nach unten ins Tal: Da war einmal der breite Weg, der durchaus von einem Jeep befahren werden konnte. Dann gab es noch einen schmalen Pfad, der wesentlich steiler war. Parker hatte sich für diesen Pfad entschieden, denn dort hoffte er Beute zu machen.
Nach etwa zehn Minuten - er pirschte sich gerade an einen scharfen Knick heran - blieb er stehen und baute sich hinter einer dicken Fichte auf. Zigarettenrauch war ihm entgegengetrieben. Hinter dem Knick mußte einer von Peawoods Leuten stehen, der natürlich der Versuchung nicht widerstanden hatte, sich eine Zigarette anzuzünden. In der reinen Bergluft hier oben waren diese Rauchschwaden fast schon eine Beleidigung und konnten einfach nicht > übersehen < werden. Butler Parker wich nach links aus, stieg ein wenig hangwärts und schlug einen kleinen Bogen. Ihm kam es darauf an, den Zigarettenraucher in der Flanke zu erwischen. Zudem wollte er erst mal herausfinden, ob es sich nur um einen Posten handelte, oder ob Peawood dort mehrere Männer aufgestellt hatte. Nach wenigen Minuten wußte der Butler Bescheid. Es handelte sich um einen Mann, der es sich neben einem Strauch bequem gemacht hatte. Der Mann fühlte sich sicher und rauchte ungeniert. Er dachte noch nicht mal daran, die Glutzone der Zigarette hinter der hohlen Hand zu verbergen. Er konnte sich wahrscheinlich überhaupt nicht vorstellen, hier überrascht zu werden. Parker sah noch mehr. Der Mann verfügte über ein Gewehr mit Zielfernrohr. Sogar der Schalldämpfer war nicht vergessen worden. Nachdrücklicher hätte man den schmalen Pfad nicht blockieren können ...
Butler Parker holte seine Geheimwaffe aus der Innentasche seines Zweireihers, griff nach einem kleinen Stein, der rund und flach war, legte ihn in die Lederschlaufe und spannte die beiden Gummistränge. Er visierte den Mann dort unten am Strauch an und schickte das Geschoß rasant auf die Reise. Der Erfolg war frappierend. Der Mann, seitlich am Kopf getroffen, blieb zuerst noch für Bruchteile von Sekunden starr sitzen, dann aber legte er sich im Zeitlupentempo nach hinten und warf sich dem Tiefschlaf in die Arme. * »Wo haben Sie sich denn die ganze Zeit herumgetrieben?« fragte Lady Agatha verärgert, als Parker wieder in der Almhütte erschien. »Mylady werden verzeihen, meine bescheidene Wenigkeit befand sich auf einer Art Pirsch«, gab Parker zurück. »Ich darf hinzufügen, daß sie erfolgreich verlief.« »Das hört sich schon besser an. Und wen oder was haben Sie erbeutet, Mr. Parker?« »Zwei Personen männlichen Geschlechts, Mylady. Sie blockierten sowohl den Pfad als auch den Hauptweg.« »Und wo stecken diese Lümmel jetzt?« »Im Holzschuppen hinter der Hütte, Mylady.« »Wie, Sie haben die Kerle bereits hierher gebracht?« Agatha Simpson konnte sich nur noch wundern.
»Ich wollte sie nicht etwaigen Unbilden der Nacht ausliefern, Mylady.« »Ich habe aber gar nichts gehört?« Die Detektivin staunte weiter. »Ich bemühte mich um Lautlosigkeit, Mylady«, antwortete der Butler. »Und ich habe aufgepaßt wie ein Luchs«, wunderte sich die Sechzigerin. »Na ja, möglicherweise kann ich auch kurz eingenickt sein. Was sind das für Lümmel?« »Zwei handfeste Profis, wenn ich es so umschreiben darf. Sie waren ausgezeichnet bewaffnet, wie ich ergänzend hinzufügen möchte.« »Und was geschieht jetzt mit den beiden Lümmeln?« »Man sollte sich nicht weiter um sie kümmern, Mylady.« »Damit sie uns später Ärger bereiten? Das gefällt mir überhaupt nicht! Können wir sie nicht außer Gefecht setzen? Ich meine, für eine begrenzte Zeit?« »Mylady haben bestimmte Vorstellungen?« fragte der Butler gemessen und höflich. »Dafür sind Sie zuständig«, erklärte sie kategorisch. »Mit solchen unwichtigen Dingen befasse ich mich nicht.« »Es gäbe da' eine bestimmte Möglichkeit, Mylady, die aber erst noch einer genauen Überprüfung bedarf.« »Dann überprüfen Sie, Mr. Parker! Und dann möchte ich zurück in die Stadt. Glauben Sie, daß der Weg jetzt frei ist?« »Davon erlaube ich mir auszugehen, Mylady. Wenn es
gestattet ist, werde ich mich für einige Minuten beurlauben.« Die ältere Dame hatte nichts dagegen. Sie ging aber hinüber in den kleinen, niedrigen Schuppen, in dem sich die beiden Gangster befanden, die inzwischen wieder zu sich gekommen waren. Parker hatte sie an Händen und Füßen gefesselt. Sie blinzelten in das Licht der Kerze, die Lady Agatha mitgenommen hatte. Und dann beging einer der beiden Männer einen Kardinalfehler. Er trat mit seinen gefesselten Beinen nach der Besucherin. Sekunden später bereute er es sehr. Agatha Simpson hatte ihm eine Ohrfeige verpaßt, die nicht von schlechten Eltern war. Der Mann sackte halb betäubt zurück und schnappte nach Luft. »Flegel«, kommentierte die Lady diesen Angriff auf ihre Person. »Was erlauben Sie sich eigentlich? Sie haben es mit einer älteren, hilflosen Dame zu tun.« »Ich ... Ich habe nichts getan«, sagte der zweite Gangster schnell. Er duckte sich und suchte Deckung. »Schade«, meinte Agatha Simpson grimmig. »Wo wird Miß Porter festgehalten? Kommen Sie mir ja nicht mit faulen Ausreden! Sie werden eine ungefähre Ahnung haben.« »Das ... Das weiß nur der Chef«, gab der Angesprochene hastig zurück und beobachtete Lady Simpsons Hand. »Und der redet nur mit Füllers.« »Halt's Maul, du Idiot!« Der Geohrfeigte sah seinen Partner giftig an.
»Was soll denn das?« Lady Simpsons Stimme grollte, bevor die Sechzigerin noch mal nachdrücklich zulangte. Der Mann mit dem giftigen Blick kassierte eine neue Ohrfeige und sah nur noch Sterne. »M... Mehr weiß ich nicht«, stammelte der zweite Mann beeindruckt. »Wer ist Füllers?« wollte Lady Agatha wissen. »Reden Sie schnell, sehr schnell, ich glaube nämlich, daß ich sonst ärgerlich werde!« »Steve Füllers«, folgte die überhastete Antwort prompt. »Er ist die rechte Hand vom Chef.« »Peawood also, der sich hier in der Schweiz Richard Canters nennt?« »Sie wissen's ja schon«, seufzte der Mann erleichtert auf. »Ich ... Ich habe nichts gesagt.« »Und wo finde ich diesen Füllers unten in der Stadt?« Agatha Simpson rieb die Innenflächen ihrer Hände betont gegeneinander. Deutlicher konnte eine Geste kaum sein. »Ehrlich, Madam, ehrlich, Ehrenwort, ich weiß es nicht.« »In 'ner Pension in der Altstadt«, ließ sich überraschenderweise der Geohrfeigte vernehmen. »Der Laden heißt >Zum Pilatus<. Da wohnen auch wir.« »Bitte, es geht doch«, freute die ältere Dame sich. »Warum nicht gleich so?« Sie hätte sich liebend gern noch weiter und intensiver mit den beiden Gangstern unterhalten, doch Parker kehrte zurück und traf die erforderlichen Vorbereitungen, um die beiden Männer wenigstens für eine gewisse Zeit aus dem Verkehr zu ziehen.
* Nach einer knappen Stunde befanden Lady Simpson und Butler Parker sich wieder in Luzern. Sie hatten den Jeep der Gangster benutzt, den Parker auf dem Almweg auf halber Strecke gefunden hatte. Bequemer hätte ihr Abstieg also gar nicht sein können. »Wir werden sofort zu dieser Pension fahren«, schlug die Detektivin vor. »Ich möchte mit diesem Steve Füllers ein ernstes Wort reden.« »Mylady befürchten keine Falle?« fragte Parker. »Eine Falle?« Agatha Simsons Frage klang verdutzt. »Die Auskunft hinsichtlich der Pension wurde meiner bescheidenen Ansicht nach ein wenig zu bereitwillig gegeben«, erklärte Parker. »Und was sollen wir nun Ihrer Ansieht nach tun?« »Ich möchte davon ausgehen, Mylady, daß Mr. Peawood sich hier in Luzern aufhält.« »Wegen der Geschichte mit der falschen May Trent und wegen der Almhütte?« »In der Tat, Mylady! Mr. Peawood ist für seinen luxuriösen Lebensstil bekannt. Er könnte also durchaus in einem der großen Hotels hier in Luzern abgestiegen sein.« »Das klingt nicht schlecht, Mr. Parker.« Sie nickte wohlwollend. »Gut, versuchen wir es. Fragen wir nach einem Mr. Richard Canters.« »Mylady wollen nicht der Ruhe pflegen?«
»Papperlapapp, Mr. Parker! Ich fühle mich taufrisch. Wo fangen wir an?« »Man sollte tunlichst systematisch vorgehen, Mylady.« »Dann tun Sie's, Mr. Parker. Beginnen wir dort drüben an der Kurpromenade. Die Hotels sehen akzeptabel aus.« Parker war einverstanden. Er steuerte das erste Gebäude an, um genau vor dem pompösen Eingang anzuhalten. Der Portier erschien unter dem Baldachin und starrte entsetzt auf den alten Jeep. Ein Gefährt dieser Art war hier wahrscheinlich noch nie aufgetaucht. Er wollte schon mißbilligend sein Gesicht verziehen und entsprechende Worte formulieren, als er Butler Parker und Lady Agatha Simpson richtig wahrnahm. Der Mann schluckte und bekam unwillkürlich einen roten Kopf. Als geschulter Mann seines Faches war ihm sofort klar, daß er um ein Haar einen Kardinalfehler begangen hätte. Seine Verbeugung fiel noch tiefer aus als sonst. »Mylady suchen nach einem gewissen Mr. Richard Canters«, sagte Parker gemessen. »Mr. Carters könnte möglicherweise hier abgestiegen sein. Prüfen Sie das, bitte!« Der Portier machte auf dem Absatz kehrt und rannte förmlich zurück in die große Empfangshalle. »Ein Treffer ist unwahrscheinlich«, sägte Lady Simpson zu Parker. »Es wäre zu schön, um wahr zu sein.« Der Portier kam zurück und verschluckte sich fast vor Eifer. Er
nickte zu Lady Simpsons Überraschung. »Er wohnt hier?« fragte die ältere Dame. »Wohnte, Mylady, wohnte«, korrigierte der Portier. »Mr. Canters und seine Sekretärin sind vor etwa einer halben Stunde abgereist.« »Miß Norma Dale?« fragte Parker, um den richtigen Namen herauszulocken. »Miß Judy Glaston«, sagte der Portier. »Richtig.« Parker nickte gewährend. »Wohin die Herrschaften gereist sind, ist unbekannt?« »Sie wollten nach Genf«, antwortete der Portier. »Die Post soll dorthin ins >Palace< nachgeschickt werden. Da wäre noch etwas.« »Und zwar?« Agatha Simpson wurde schon wieder ungeduldig. »Sind Madam Mylady Simpson?« fragte der Portier. »Natürlich.« Sie beherrschte sich. »Dann werden Mylady von Mr. Canters in Genf im >Palace< erwartet«, redete der Portier weiter. »Das soll Mylady ausgerichtet werden.« »Schön, guter Mann!« Die Detektivin ließ sich ihre Überraschung nicht anmerken. Sie nickte Parker zu, der daraufhin eine Banknote von ansehnlichem Wert an den Portier weiterreichte. Der gute Mann verbeugte sich noch immer, als der Jeep längst die Auffahrt verlassen hatte und wieder auf der Straße war. »Was sagen Sie zu dieser ausgemachten Frechheit?« wollte Parkers Herrin wissen.
»Mr. Peawood, alias Canters scheint das gerochen zu haben, Mylady, was man gemeinhin Lunte zu nennen pflegt«, gab Josuah Parker zurück. »Mr. Peawood oder Canters, um seinen Namen zu verwenden, den er hier in der Schweiz benutzt, möchte für Verwirrung sorgen.« »Sie glauben also nicht, daß er nach Genf gefahren ist?« »Dies, Mylady, möchte ich entschieden bestreiten. Mr. Canters dürfte sich in Richtung Davos abgesetzt haben.« »Dann auf nach Davos, Mr. Parker, aber nicht in diesem scheußlichen Wagen.« »Man könnte in den Land-Rover umsteigen, Mylady, der sicher noch vor dem Haus stehen dürfte, in dem Miß Porters Freundin wohnt.« »Diesem Lümmel werde ich es zeigen!« Mylady ärgerte sich. »Aber da ist noch etwas, Mr. Parker. Was ist aus dieser richtigen May Trent geworden? Hoffentlich ist diesem Mädchen nichts passiert.« »Meiner bescheidenen Vermutung nach, Mylady, dürfte Miß Trent bereits wieder in ihrer Wohnung sein.« »Was Sie nicht alles wissen wollen!« Agatha Simpsons Stimme klang gereizt. »Wie ich bereits anzudeuten wagte, Mylady, handelt es sich nur um eine Vermutung.« Während dieser munteren Unterhaltung hatte Parker den Jeep in die Altstadt gesteuert und näherte sich der schmalen Straße, in der das bewußte Haus stand. Der Land-Rover stand noch an Port und Stelle.
»In ihrer Wohnung brennt tatsächlich Licht«, stellte Agatha Simpson verblüfft fest. »Aber Miß Trent muß natürlich nicht zu Hause sein«, warnte der Butler. »Wer denn sonst?« »Mitarbeiter des Mr. PeawoodCanters«, gab Parker würdevoll zurück. »Man sollte stets davon ausgehen, daß Myladys Gegner Überraschungen liebt. Eine gewisse Vorsicht ist also durchaus anzuraten.« * »Aus Ihnen soll einer klug werden«, stellte die resolute Dame leicht verwirrt und auch verärgert fest. »Eben erst haben Sie noch behauptet, May Trent könne durchaus in ihrer Wohnung sein.« »Gewiß, Mylady, aber vielleicht nicht allein und unkontrolliert.« »Warum haben Sie das nicht gleich gesagt. Sie soll uns unter Umständen also anlocken?« »Eine klarere Sicht der Dinge, Mylady, könnte auch meine bescheidene Person nicht bieten«, lautete Parkers gemessene Antwort. »Und wie finden wir das alles heraus?« »Die Feuerwehr und die Polizei werden Mylady dabei helfen«, sagte Josuah Parker, der weitergefahren war und in einer Nebenstraße vor einer Telefonzelle stoppte. »Sie wollten die Behörden doch heraushalten?« Lady Agatha wurde gereizt.
»Die Behörden werden nicht erfahren, Mylady, daß sie als Myladys Werkzeug benutzt werden.« »Sie wollen mit einem Trick arbeiten?« Agatha Simpson schmunzelte schon wieder. Sie war schnell zu versöhnen. »Ein besorgter Bürger wird die eben erwähnten Dienststellen anrufen und dort gewisse Vermutungen und Besorgnisse äußern.« Parker stieg aus dem Jeep, legte sich den bleigefüllten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms über den linken Unterarm, prüfte den korrekten Sitz seiner schwarzen Melone und schritt dann in die Telefonzelle. Er rief zuerst die Feuerwehr an. Mit den täuschend nachgeahmten, kehligen Rachenlauten eines Einheimischen alarmierte der Butler den Rettungsdienst und ließ deutlich durchblicken, seiner Ansicht nach handele es sich in der Wohnung einer gewissen May Trent um den Versuch eines Selbstmordes mit Gas. Danach - er ließ Gegenfragen nicht zu - verständigte der Butler die Polizei. Auch in diesem Fall zeigte sich, wie erstklassig seine Sprachkenntnisse waren. Er nannte natürlich auch die Adresse der May Trent, legte auf und schritt würdevoll zurück zum Jeep. »Dank der bekanntermaßen guten Organisation müßte mit dem Erscheinen der Retter in spätestens fünf Minuten zu rechnen sein«, berichtete er dann seiner Herrin. »Wahrscheinlich wird es sich aber auch nur um drei Minuten handeln.
Möchten Mylady der Rettungsaktion zusehen?« »Was dachten denn Sie?« Parker setzte sich ans Steuer und bugsierte den Jeep zurück in die bereits bekannte Altstadtstraße. Er parkte hinter einem hier abgestellten Lieferwagen und holte mit feierlicher Bewegung seine unförmige Sprungdeckeluhr aus einer der vielen Taschen seiner Weste. »Zweieinhalb Minuten, Mylady«, verkündete er wenig später und nickte andeutungsweise anerkennend. »Man sollte bei Gelegenheit einen lobenden Leserbrief an die hier erscheinenden Zeitungen senden, wenn ich mir diesen Hinweis erlauben darf.« »Ich habe andere Sorgen!« Agatha Simpson war ausgestiegen, hatte sich neben dem Jeep aufgebaut und beobachtete die drei Fahrzeuge der Polizei und Feuerwehr, die in schnellem Tempo heranbrausten. Sie wurden gefolgt von einem Krankenwagen, der kaum langsamer war. Die Insassen der Fahrzeuge sprangen aus ihren Wagen und verschwanden im Haus. Als Lady Simpson sich nach Parker umsah, war er nicht mehr zu sehen. Er tauchte aber bald darauf vor dem Haus auf, grüßte in Richtung seiner Herrin und verschwand ebenfalls im Haus. Die ältere Dame war wütend. Sie wußte natürlich, daß Parker sie bewußt ausgespielt hatte. Er mußte natürlich wieder mal auf eigene Faust handeln. Ungeduldig wartete die Detektivin ab. Nach etwa fünf Minuten erschienen die Rettungsfachleute.
Sie waren wohl inzwischen davon überzeugt worden, daß es sich um einen falschen Alarm gehandelt hatte. Parker hingegen war nicht zu sehen. Er hatte sich in dem Haus offenbar geschickt eingenistet. * Josuah Parker wartete, bis die Rettungswagen nicht mehr zu hören waren. Danach stieg er vom oberen Treppenabsatz, der zum Speicher führte, hinunter und baute sich vor der Wohnungstür auf. Er pochte laut und ungeniert gegen das Türblatt. Dazu produzierte er weiter Schwyzertütsch. Die Täuschung war perfekt. Im Innern der Wohnung hatte man angenommen, es handele sich wohl um eine abschließende Rückfrage. Schritte näherten sich, eine Sicherheitskette wurde klirrend ausgehakt und dann die Tür geöffnet. Parker sah sich einem runden, schwammigen Gesicht gegenüber. Der Besitzer dieses Gesichtes wollte eine Frage stellen, doch Parker ließ ihm keine Zeit dazu. Mit dem bleigefütterten Bambusgriff klopfte er gegen die niedrige Stirn des Mannes, der daraufhin seine Augen verdrehte und zu Boden gefallen wäre, wenn der Butler ihn nicht aufgefangen hätte. Parker trat ein, deponierte den Mann neben der kleinen Flurgarderobe und ging auf die nur angelehnte Tür zu, die in den Wohnraum führte. Er hatte erneut Glück. Ein zweiter Mann kam neugierig näher und wollte
wahrscheinlich nachsehen, was es vorn an der Wohnungstür gab. Der Mann schaute nicht nach. Der Bambusgriff von Parkers Universal-Regenschirm trat erneut in Aktion. Der Mann stierte den Butler daraufhin aus großen Augen an, um anschließend auf dem Fußboden Platz zu nehmen. Parker hatte aber schon die Tür weit aufgestoßen und einen schnellen, prüfenden Blick in den Wohnraum geworfen. In einem Sessel saß eine junge Dame. Sie machte einen nervösverängstigten Eindruck und staunte dann deutlich erkennbar. So etwas wie Erleichterung stahl sich in ihr Gesicht. »Mr. Parker?« fragte sie zögernd. »Parker, Josuah Parker«, stellte der Butler sich vor und lüftete höflich seine schwarze Melone. »Miß May Trent, wenn ich nicht sehr irre?« »Ich ... Ich habe Sie gleich erkannt.« Sie stand schnell auf und lächelte. »Kathy hat mir von Ihnen erzählt.« »Sie sehen vor sich einen müden, alten und relativ verbrauchten Mann, der sich geschmeichelt fühlt«, gestand Parker. »Ich darf dabei wohl davon ausgehen, daß diese Berichte über meine bescheidene Person nicht gerade negativ ausfielen?« »Ich... Ich könnte Sie umarmen.« May Trent deutete auf den auf dem Fußboden ruhenden Mann. »Er und der andere da draußen haben mich hier festgehalten.« »Was die Umarmungen anbetrifft, Miß Trent, so sollte man sie auf einen späteren und günstigeren Zeitpunkt verschieben«, schlug
Josuah Parker würdevoll vor. »Man hatte Sie entführt, wie ich annehmen möchte?« »Kurz nach Mittag, Mr. Parker. Sie standen plötzlich in meiner Wohnung und brachten mich erst vor einer Stunde wieder hierher zurück. Wissen Sie, daß man auf Sie und Lady Simpson gewartet hat?« »Dies, Miß Trent, war zu erwarten. Wohin, wenn ich fragen darf, verbrachte man Sie nach der Entführung?« »Die beiden Männer fuhren mit mir zu einem Campingplatz und hielten mich in einem Wohnwagen fest.« »Sie würden diesen Campingplatz wiederfinden? « »Aber selbstverständlich.« Sie nickte. »Er liegt an der Straße nach Andermatt.« »Wurden Sie belästigt oder bedroht?« »Nein, eigentlich nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber ich hatte sehr große Angst. Sie hatten mir versprochen, mich ab morgen wieder freizulassen.« »Ihnen werden gewisse Gesprächsund Unterhaltungsfetzen der beiden Männer sicher nicht entgangen sein.« »Ich weiß mit Sicherheit, daß sie nach Davos wollten.« »Über Einzelheiten sollte man sich später unterhalten«, schlug Josuah Parker vor. »Darf ich Ihnen vorschlagen, Miß Trent, vorerst diese Wohnung aufzugeben?« »Sie glauben, daß hier ...?« »Mit weiteren Besuchen könnte durchaus zu rechnen sein«,
antwortete Butler Parker. »Zudem möchte ich mir die Freiheit nehmen, Sie Mylady vorzustellen.« »Und was geschieht mit den beiden Männern?« May Trent deutete auf einen der beiden, der gerade wieder zu sich kam, aber noch keinen Gesamtüberblick gewinnen konnte. »Sind Sie damit einverstanden, ihnen hier eine Art Gastrecht zu gewähren?« »Ich verstehe nicht ganz.« »Wird dieses Haus von Besuchern sehr frequentiert? Wer, außer Ihnen, wohnt noch hier?« »Im Erdgeschoß ein Lehrerehepaar, aber das ist in Urlaub gefahren.« »Und wer bewohnt die Etage unter Ihnen, Miß Trent?« »Ein Rentier, doch der kommt erst morgen gegen Mittag aus Basel zurück.« »Sehr schön.« Parker machte einen durchaus zufriedenen Eindruck. »Der Dachboden ist geräumig?« »Eng und dunkel.« Sie schüttelte sich betont. »Dort steht nur altes Gerümpel herum.« »Erfreulich, Miß Trent. Das ist genau der richtige Aufenthaltsort für Ihre beiden Entführer. Sie werden dort völlig ungestört sein, denke ich!« * Er beherrschte sich, doch es kostete ihn große Mühe. Paul P. Peawood, der Gangsterchef, der sich gern überschätzte, zwang sich sogar zu einem Lächeln, nachdem seine
rechte Hand, Steve Füllers, Bericht erstattet hatte. »Wer spielt hier eigentlich mit wem Katz' und Maus?« erkundigte sich Judy Glaston ironisch. »Bisher dürfte dieser Parker nach Punkten vorn liegen.« »Stimmt irgendwie, Chef«, meinte Steve Füllers. »Die beiden Jungens oben auf der Alm haben wir bisher noch nicht gefunden. Weiß der Henker, wo Parker sie verstaut hat.« »Und die Falle in der Wohnung der kleinen Trent hat ebenfalls nicht funktioniert«, warf Judy Glaston ein. »Auch diese beiden Männer sind wie vom Erdboden verschwunden.« Paul P. Peawood, seine Freundin Judy Glaston und Steve Füllers saßen in einem feudalen deutschen Markenwagen und fuhren in Richtung Davos. Steve Füllers steuerte. »Grambus und Stint lassen nach wie vor nichts von sich hören«, fügte er jetzt hinzu. »Sie sind wie vom Erdboden verschwunden. « »Na und?« Paul P. Peawood, alias Canters, rang sich erneut ein überlegenes Lächeln ab. »Es paßt mir durchaus in den Kram, daß Parker ein paar kleine und unwichtige Teilerfolge errungen hat.« »Wirklich?« erkundigte seine Freundin sich süffisant. »Das wird ihn in Sicherheit wiegen und leichtsinnig machen«, hoffte Peawood. »Aber ob er will oder nicht, er wird in meinen Netzen landen.« »Könnten die Jungens nicht verraten haben, daß wir in Davos unser Hauptquartier bezogen
haben?« Steve Füllers war weniger optimistisch als sein Chef. »Wer Verrat übt, muß sterben.« »Schön, nachher vielleicht, Chef, aber das ändert nichts daran, daß Parker Bescheid wissen kann.« »Er weiß Bescheid!« Judy Glaston war sich ihrer Sache vollkommen sicher. »Wetten, daß er nicht nach Genf fahren wird?« »Daran glaube ich auch nicht.« Die rechte Hand Peawoods schüttelte den Kopf. »Der Butler wittert doch sofort Lunte, wenn der Hotelportier davon spricht.« »Wer jagt eigentlich wen?« erkundigte Judy Glaston sich noch einmal. »Ich bin dafür, daß wir Parker und die Lady bei nächstbester Gelegenheit zum Teufel schicken«, schlug Steve Füllers vor. »Wir sollten kein unnötiges Risiko eingehen.« »Er soll vor mir im Staub kriechen, dieser Parker!« Peawood sprach leise, doch der Haß in seiner Stimme war nicht zu überhören. »Er soll meine Schuhe ablecken, er soll vor Angst winseln. Diesen anmaßenden Kerl will ich ganz klein sehen. Nein, nein, es bleibt bei meinem Plan. Davon gehe ich nicht ab.« »Und was ist mit Davos?« wollte Füllers wissen. »Gehen wir tatsächlich zurück ins Chalet?« »Darüber kann man reden.« Peawood nickte langsam. »Wir können unser Haus in eine Falle umfunktionieren. Daran habe ich schon die ganze Zeit über gedacht.« »Hoffentlich ist Parker nicht schneller als wir«, warf Judy Glaston
ein. »Zuzutrauen wäre ihm das schon.« * Die beiden Gangster von der Alm waren natürlich längst wieder zu sich gekommen, aber sie schätzten das nicht sonderlich. Sie fühlten sich überhaupt nicht wohl in ihrer Haut. Sie froren sichtlich, litten unter Schwindelanfällen und wagten kaum eine Bewegung. Ihre Aussicht war einmalig schön. Sie konnten tief hinunter ins Tal sehen und auch auf die weit entfernten Lichter von Luzern. Es war ihnen jedoch unmöglich, sich auf diese Lichter zuzubewegen, die Sicherheit, Wärme und ein Essen bedeuteten. Die beiden Männer, die von Parkers Gabelschleuder außer Gefecht gesetzt worden waren, hingen in einer Art überdimensional großem Tragebeutel, der aus einem ziemlich weitmaschigen, aber soliden Netz bestand. Dieses Netz wiederum hing an vier Drahtseilen, die mit ihren Schlaufen in einem Haken endeten. Der Haken gehörte zu einer Laufkatze, deren zwei Rollen über ein Trageseil liefen, falls sie bewegt wurden. Das aber war schon seit einigen Stunden nicht mehr der Fall. Die Laufkatze war blockiert und stand eisern fest. Das Netz schaukelte im kühlen Nachtwind mehr oder weniger sanft und kitzelte die Magennerven der beiden Gangster. Diese ganze Anlage - einfach und praktisch konstruiert - gehörte zu einer Art Lastenseilbahn, die von
dem Almbauer errichtet worden war, um vor allen Dingen Käse ins Tal zu befördern. Ein gewisser Josuah Parker hatte diese Anlage ein wenig zweckentfremdet, um die beiden Gangster für eine gewisse Zeit aus dem Verkehr zu ziehen. Natürlich hatten sie bereits ausgiebig geschrien, um sich tief unten im Tal bemerkbar zu machen, doch von einer Reaktion war bisher nichts zu spüren gewesen. Wahrscheinlich war ihr Gebrüll doch zu leise gewesen, um die Bauernhöfe hinter dem Wald zu erreichen. Die beiden Gangster sprachen nicht mehr miteinander. Sie hatten sich nichts mehr zu sagen. Sämtliche Flüche und Verwünschungen waren bereits ausgiebig geäußert worden. Zudem waren die beiden Männer inzwischen stockheiser. Sie hingen wie nasse Säcke im Netz und haderten mit Parker, ihrem Chef Peawood und mit ihrem Schicksal. Später dann, als am nächtlichen Himmel sich ein erstes Morgenlicht ankündigte, gerieten sie sogar noch in Schwierigkeiten. Dies hing mit einigen sehr neugierigen Bergdohlen zusammen, die auf diese seltsame Fracht aufmerksam geworden waren. Diese Dohlen, kluge, freche Vögel, die vor Menschen kaum Respekt hatten, umschwärmten den Netzinhalt und ließen sich auf dem Tragseil nieder. Hin und wieder starteten sie kleinere Angriffe und attackierten die beiden Gangster, die wütend um sich schlugen, jedoch nichts auszurichten vermochten. Die beiden Gangster von der Alm saßen wehrlos im Netz und büßten ausgiebig für Sünden, die sie
begangen hatten. Dann strapazierten sie erneut ihre angegriffenen Stimmbänder und riefen um Hilfe. * Zwei andere Gangster waren inzwischen ebenfalls heiser geworden. Sie bevölkerten einen mit Gerümpel vollgestopften Dachboden und waren an Händen und Füßen gefesselt. Wem sie das zu verdanken hatten, war ihnen natürlich klar: Das hier ging auf das Konto von Butler Parker, gegen dessen Regenschirmgriff sie gelaufen waren. Auch diese beiden Gangster hatten sich inzwischen nichts mehr zu sagen. Auch sie hatten geflucht, geschimpft. Drohungen ausgestoßen und blutige Rache geschworen. Inzwischen fiel ihnen nichts mehr ein. Sie resignierten und wußten nicht, wie man sie je aufspüren sollte. Ihre Stimmen waren bisher von dem Gerümpel geradezu verschluckt worden. Einige Mäuse hatten jeden Respekt vor ihnen verloren und tummelten sich um die beiden Gangster herum. Sie piepsten, huschten und genossen es sichtlich, daß diese riesigen Zweibeiner ihnen nichts anhaben konnten. Als sich nach Stunden endlich ein wenig Licht durch eine fast vor Staub blinde Dachluke in den Raum stahl, schöpften die beiden Gangster neue Hoffnung. Sie brüllten um Hilfe, trampelten mit ihren Schuhabsätzen gegen die Dielenbretter des Dachbodens und ließen sich keuchend vor Erschöpfung zurückfallen, als sie Geräusche
hörten, die sie niemals übertönen konnten. Unten auf der Straße war so etwas wie eine Dampframme in Bewegung gesetzt worden. Wahrscheinlich wurde in nächster Nähe des Hauses eine Straße ausgebessert. Das Geräusch füllte bald schon den Dachboden aus und marterte die Trommelfelle der beiden Gangster. Da wußten sie, daß mit einer Befreiung vorerst überhaupt nicht zu rechnen war. Sie sahen sich bereits als abgenagte Skelette und schluchzten mehr oder minder trocken auf. * Joe Grambus und Hale Stint befanden sich auf dem Flug nach Zürich. Nach entnervenden Märschen durch die Kanalisation von London und nach ihrer glücklichen Rettung hatten sie noch einige zermürbende Stunden auf einer Polizeistation verbracht, wo man ihnen neugierige und indiskrete Fragen stellte. Nach ihrer Entlassung - sie hatten sich mit faulen Ausreden herausgemogelt - suchten sie Anschluß an die Organisation von Paul P. Peawood. Von Zürich aus wollten sie weiter nach Davos. Sie wollten aber vor allen Dingen nach einem gewissen Butler Parker suchen, der sie durch die Hölle hatte marschieren lassen. Die beiden Gangster standen noch immer unter dem Schock dessen, was sie in der Unterwelt erlebt hatten. Ja, und sie stanken, um es klar und deutlich zu sagen. Obwohl sie sich fast eine gute Stunde unter einer
Dusche immer wieder eingeseift und abgespült hatten, trugen sie noch die Düfte der Kanalisation mit sich herum. Auf den Protest einiger Fluggäste hin hatte man sie weit hinten in das Heck der Maschine verbannt, doch das half nicht viel. Zwei besorgte Stewardessen hantierten immer wieder mit Spraydosen und sprühten Waldesdüfte in die Maschine. Grambus und Stint schämten sich und kamen sich wie ausgestoßen vor. »Sobald wir in Zürich sind, müssen wir's noch mal versuchen«, sagte Stint. »Wo kann der Chef nur stecken?« wunderte sich Stint. »Ob der sein Haus in Davos bereits aufgegeben hat?« »Möglich ist alles.« Grambus nickte. »Vielleicht sitzt dieser Butler ihm bereits im Nacken.« »Zu gönnen wär's ihm«, seufzte Stint auf. »Warum konnte der Chef uns auch nicht warnen? Er muß doch gewußt haben, wie gerissen der Butler ist.« »Behalt' das lieber für dich«, warnte Grambus seinen Freund und Partner. »Du weißt doch, wie schnell Peawood auf die Palme klettert.« »Was Parker angeht, hat er uns ins Messer laufen lassen.« »Und dafür werden wir uns speziell mit Parker befassen«, erklärte Grambus. »Dem zahle ich alles Penny für Penny heim.« Die beiden Gangster schwelgten in Drohungen und Wunschvorstellungen. Ein mittelalterlicher Folterknecht wäre errötet, wenn er all das hätte hören können, was Grambus und Stint sich
an Qualen für Parker ausdachten. Solch ein Mann hätte von diesen beiden Gangstern noch sehr viel lernen können, denn ihre Phantasie war beachtlich. Ihr Selbstgefühl steigerte sich von Viertelstunde zu Viertelstunde. Und es machte ihnen schon nichts mehr aus, wenn eine der Stewardessen erschien, um erneut eine ausgiebige Dosis Waldeslust zu versprühen. * Parker hatte den Land-Rover verlassen und schritt gemessen zum Eingang des Campingplatzes. Er hatte die Absicht, sich den Wohnwagen der Gangster anzusehen, in dem May Trent festgehalten worden war. Parker hoffte, einige wichtige Spuren entdecken zu können. Vielleicht hatte er sogar das Glück, Hinweise darauf zu finden, wo Kathy Porter festgehalten wurde. Natürlich war Parker ungemein vorsichtig. Der Wohnwagen konnte inzwischen längst präpariert worden sein. Er konnte eine raffinierte Falle sein, die nur darauf wartete, über ihm zuschnappen zu können. Einem Mann wie Paul P. Peawood war alles zuzutrauen. Nach einigen Niederlagen würde Peawood seiner bescheidenen Ansicht nach die Methoden verschärfen. Der Wohnwagen war ein moderner Zweiachser, der von außen einen unverdächtigen Eindruck machte. Hinter den Bergen glomm das erste Tageslicht auf. Parker blieb neben einem anderen Wohnwagen stehen und nahm sich Zeit. Seine Augen
suchten den Zweiachser sorgfältig ab. Parker interessierte sich aber auch für die nähere Umgebung des Wagens. Hatten sich irgendwo weitere Gangster aufgebaut, die auf sein Erscheinen warteten? Mußte Peawood nicht von der Annahme ausgehen, daß seine Leute den Standort des Wohnwagens verraten hatten? Konnte er sich nicht denken, daß May Trent ebenfalls geredet hatte? Ließ ein Paul P. Peawood sich also solch eine Möglichkeit entgehen? Parkers Geheimwaffe entschied. Der Butler legte einen handlichen Kieselstein in die Lederschlaufe seiner Gabelschleuder, strammte die beiden Gummistränge und setzte das Geschoß auf eines der Fenster. Scheppernd und klirrend barst die Fensterscheibe. Splitter flogen durch die Luft und regneten zu Boden. Parker verschwand hinter der Deckung und wartete noch einen Moment ab. Wenn jetzt irgendeiner im Wohnwagen war, dann mußte er erscheinen. In der näheren Umgebung flammte in einigen anderen Wohnwagen Licht auf. Aufgeschreckte Camper öffneten Wagentüren und Fenster, riefen sich Fragen zu, beruhigten sich wieder und legten sich dann zurück in ihre Betten. Nach etwa zehn Minuten herrschten wieder Ruhe und Frieden. Parker beschrieb einen Bogen, pirschte sich näher an den Zweiachser heran und stand dann vor der Tür. Das Schloß war für ihn kein Problem, so etwas öffnete er praktisch mit einer Haarnadel, wenn es sein mußte. Doch er überhastete
nichts. Er horchte in sich hinein. Da war so etwas wie eine innere Alarmanlage, die sich leise, aber unüberhörbar meldete. Mit diesem Schloß und mit dieser Tür war etwas nicht in Ordnung. Peawood, alias Canters, hatte hier mit Sicherheit seine Visitenkarte hinterlassen. Parker verließ den Wohnwagen und griff nach einer der Waffen, die er ja inzwischen erbeutet hatte. Er wollte einen schallgedämpften Schuß auf das Schloß setzen und dann abwarten. * »Mein Gott, was war denn das?« May Trent war zusammengefahren und sah Lady Simpson entsetzt an. »Das hörte sich nach Mr. Parker an, Kindchen«, antwortete die ältere Dame. »Das war doch eine Explosion, Mylady .« »Na und? Das paßt zu Mr. Parker.« Lady Agatha hatte nichts von ihrer Ruhe verloren. »Haben Sie denn keine Angst, daß ihm etwas passiert sein könnte?« »Sie kennen Mr. Parker nicht.« Agatha Simpson lächelte verzeihend. »Sehen Sie doch, da scheint etwas zu brennen.« Ein Lichtschein war jetzt über den Wohnwagen des Campingplatzes zu sehen, der sich schnell ausweitete. Irgendwo schrillte eine Alarmglocke. Rufe und Stimmen waren zu vernehmen, Menschen erschienen zwischen den Hauszelten und Wohnwagen. »Zur Sorge besteht kein Anlaß«, war dann Parkers Stimme zu
vernehmen. Sie klang beherrscht und höflich wie stets. May Trent fuhr herum und starrte den Butler an, der sich dem Land-Rover auf einem Umweg genähert hatte. »Was haben Sie denn jetzt schon wieder angestellt, Mr. Parker?« erkundigte die ältere Dame sich. »Dieser Brand geht auf das Konto des Mr. Peawood«, antwortete Josuah Parker. »Wie ich vermutete, ließ er das Türschloß zum Wohnwagen präparieren. Es handelte sich um eine Sprengladung kleineren Kalibers, die aber äußerst unangenehm hätte werden können.« »Und wie haben Sie das herausgefunden?« erkundigte die Detektivin sich. »Durch einen schallgedämpften Schuß, Mylady, den ich auf das Schloß setzte«, erläuterte der Butler. »Dadurch wurde die Sprengladung im Wageninnern animiert, sich frei zu entfalten.« »Demnach war Peawood also hier?« »Mit Sicherheit, Mylady. Und daraus geht hervor, daß er in Richtung Davos fährt.« »Er scheint jetzt stärkere Saiten aufzuziehen, nicht wahr?« »Dem, Mylady, möchte ich voll und ganz beipflichten«, sagte Josuah Parker. »Mr. Peawood scheint bereits das Stadium einer gewissen Nervosität erreicht zu haben.« »Haben Sie etwas aus dem Wohnwagen bergen können?« »Nur wenige Kleinigkeiten, Mylady, da das Feuer sich sehr schnell ausbreitete.« »Zeigen Sie her, Mr. Parker.« Lady Agatha beugte sich über die Dinge,
die der Butler geborgen hatte. May Trent schüttelte verwirrt den Kopf. Sie wußte mit dem, was sie sah, nichts anzufangen. Sie sah einige Päckchen, die offensichtlich Lebensmittel enthielten und von Parker wohl aus einem Kühlschrank hervorgeholt worden waren. Dann entdeckte sie noch eine Handvoll zusammengeknüllter Papiere, die nur aus einem Abfalleimer oder Papierkorb stammen konnten. »Ein Sortieren und Sichten, Mylady, sollte man vielleicht an anderer Stelle vornehmen«, schlug Josuah Parker vor. »Dieser Ort hier dürfte bereits in den nächsten Minuten schon recht ungastlich werden.« Parker umschrieb damit sehr höflich die Tatsache, daß die Sirenen von Polizei und Feuerwehren deutlich zu hören waren. Die Bewohner des Campingplatzes hatten selbstverständlich die zuständigen Behörden alarmiert. Agatha Simpson widersprach nicht. Sie schob sich zurück auf den Rücksitz des Land-Rover. May Trent nahm neben ihr Platz. Parker setzte sich ans Steuer und fuhr in den herangrauenden Morgen hinein. May Trent bewunderte diesen Mann, den so gar nichts aus der Fassung zu bringen vermochte. Immerhin hatte er doch gerade erst einen fast schon mörderischen Anschlag klug durchkreuzt und überstanden. Dies schien er bereits völlig vergessen zu haben. »Peawood wird in Davos natürlich auf uns warten«, sagte Agatha Simpson. . »In der Tat, Mylady«, antwortete der Butler. »Sein
Vorsprung dürfte kaum aufzuholen sein.« »Wollen wir uns in seinem Haus überhaupt umsehen?« »Wie Mylady bereits andeuteten, dürfte das kaum etwas bringen«, erklärte Parker. »Aber vielleicht ist Miß Trent jetzt in der Lage, sich an scheinbar beiläufige Bemerkungen der beiden Gangster zu erinnern? Es käme auf jede Kleinigkeit an, wie ich betonen möchte.« »Ich sagte ja schon, daß die beiden Männer nach Davos wollten«, sagte May Trent. »Mir ist inzwischen auch eingefallen, daß sie von einem gewissen Chef und von einem Mann namens Canters sprachen. Und auch der Name Judy Glaston ist gefallen. Sie scheint eine Freundin dieses Canters' zu sein.« »Können Sie sich an weitere Ortsnamen erinnern?« fragte Parker. »Nicht direkt«, gab May Trent zurück. »Die beiden Männer sprachen aber auch über etwas, was sie Magazin nannten.« »Ein Vorratslager?« schaltete die Detektivin sich ein. »Ich weiß es nicht«, bedauerte May Trent. »In diesem Zusammenhang fiel auch der Name >Galerie<, aber bestimmt nicht im Sinn irgendeiner Ausstellung. Es muß da auch eine Tal- und Bergstation gegeben haben.« »Gegeben haben? Diese Stationen existieren nicht mehr?« Parker hatte wieder die nächste Frage übernommen. »Genau, es gab sie mal«, stimmte May Trent zu. »Die beiden Männer sprachen davon, daß sie wiederaufgebaut werden sollen.«
»Können wir damit etwas anfangen, Mr. Parker?« wollte Agatha Simpson wissen. »Es handelt sich um beachtenswerte Hinweise«, antwortete Josuah Parker höflich. »Vielleicht liefern die Abfallpapiere deutlichere und ergänzende Erläuterungen.« »Nun zu meiner Gesellschafterin, Kathy Porter«, sagte die ältere Dame und beugte sich zu May Trent hinüber. »Hoffentlich können Sie uns da mit einem Tip weiterhelfen, Miß Trent. Sie wissen, ich bin in größter Sorge.« »Da muß ich leider passen, Mylady«, gab May Trent zurück. »Dieser Name ist überhaupt nicht gefallen. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wo meine Freundin stecken könnte.« »Dann werde ich jetzt ausgiebig nachdenken«, verkündete die resolute Dame und räkelte sich in ihrer Wagenecke zurecht. Sie schloß die Augen und konzentrierte sich. Wenig später waren zwar einige halblaute Schnarchtöne zu vernehmen, doch die waren wohl nur der Ausdruck höchster Versunkenheit. »Mr. Parker, glauben Sie, daß meine Freundin Kathy noch lebt?« May Trent hatte sich vorgebeugt und sprach leise, um Lady Agathas Meditation nicht zu stören. »Dies, Miß Trent, möchte ich als sicher unterstellen«, antwortete der Butler in beruhigendem Ton. »Miß Porter ist für unseren Gegner ein wertvoller Köder, auf den er freiwillig sicher nicht verzichten
wird. Vorerst braucht man sich wohl kaum unnötige Sorgen zu machen.« * In Davos angekommen, einem der bedeutendsten Wintersportplätze der Schweiz, ließ Butler Parker den beiden Damen im Hotel, in dem er Quartier gemacht hatte, ein ausgiebiges Frühstück servieren. Er selbst beteiligte sich nicht daran und interessierte sich für die Dinge, die er aus dem brennenden Campingwagen geborgen hatte. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß in Papierkörben und Abfalleimern sich oft wichtigere Tathinweise befanden, als in den Aussagen befragter Personen. Parker hatte sich mit den zusammengeknüllten Packungen, Einschlagpapieren und Tragetaschen, die man zerrissen hatte, in sein Zimmer zurückgezogen. Er ging mit wissenschaftlicher Gründlichkeit an die Arbeit, faltete die Papierfetzen auseinander, glättete sie und setzte sie wie ein Puzzle zusammen. Parker arbeitete dennoch schnell und gründlich. Er wollte seine Herrin noch während des Frühstücks informieren. Natürlich hatte er sich bereits zusätzlich unterrichtet. Parker wußte inzwischen, in welchem Chalet hier in Davos ein gewisser Richard Canters wohnte. Diese Ermittlung hatte ihn nur eine Banknote gekostet, die er beim Chefportier des Hotels eingesetzt hatte. Dieser versierte Mann hatte seine Beziehungen auch in Richtung Fremdenpolizei spielen lassen und
war schnell fündig geworden. Er ahnte natürlich nicht, um was es ging. Er ging von der Tatsache aus, Butler Parker interessiere sich für eine neue Stellung. Dieses Chalet war übrigens vom Balkon aus gut zu sehen. Es lag an einem bewaldeten Hang und war über eine schmale Zufahrtstraße leicht zu erreichen. Das Gelände um dieses Chalet herum war steil und wohl nur schwer zu begehen. Paul P. Peawood, alias Richard Canters, hatte offensichtlich dafür gesorgt, daß er nicht im Handstreich überrascht werden konnte. Die schmale Zufahrtstraße war vom Chalet aus gut einzusehen und nach Bedarf zu blockieren. Parker glaubte nicht, daß Kathy Porter dort oben in dem flachgiebeligen Holzhaus festgehalten wurde. Er glaubte ferner nicht, daß Peawood noch im Chalet wohnte. Der Gangsterchef mußte natürlich davon ausgehen, daß die Lage dieses Hauses inzwischen längst preisgegeben worden war. Der Butler verspürte nicht die geringste Lust, diesem Wohnhaus einen Besuch abzustatten. Wahrscheinlich warteten dort weitere mörderische Überraschungen auf den ungebetenen Besucher. Als Parker in der Frühstückshalle erschien, stärkte die Lady gerade ihren angegriffenen Kreislauf. Sie genoß einen doppelten französischen Kognak und war bester Laune. Die Strapazen der nächtlichen Fahrt hatte sie längst überwunden. »Hoffentlich bringen Sie gute Nachrichten«, begrüßte sie Butler Parker.
»Mylady werden zufrieden sein«, antwortete Parker und blieb höflich neben dem Tisch stehen. »Setzen Sie sich, Mr. Parker!« »Mylady, einem Butler geziemt es nicht...« »Schnickschnack, Mr. Parker, setzen Sie sich endlich, sonst werde ich mich ärgern müssen!« »Wie Mylady befehlen.« Parker nahm Platz und saß kerzengerade, als habe er einen Ladestock verschluckt. »Reden Sie schon endlich!« Sie nippte am Kognak und lehnte sich zurück. »Es ließen sich einige wertvolle Hinweise eruieren, Mylady«, schickte der Butler voraus. »Die Auswertung der Papierfetzen und des Verpackungsmaterials deutet auf einen Ort namens Dürrboden.« »Und wo liegt das?« fragte die Detektivin. »Etwa dreizehn Kilometer südöstlich von Davos, Mylady. Es gibt dort einen kleinen einfachen Gasthof, wie mir versichert wurde. Die Verpackung einiger Stückchen Würfelzucker deutet auf diesen Wirtschaftsbetrieb hin. Ich möchte allerdings nicht unterschlagen, daß die Gangster eindeutig in dem Ort Monstein eingekauft haben.« »Und wo liegt das nun wieder?« »Man kaufte Frischbutter, Aufschnitt und Weißbrot«, redete der Butler weiter. »Die Verpackungsaufschriften der betreffenden Geschäfte weisen auf den Ort Monstein hin.« »Langweilen Sie mich nicht, Mr. Parker«, gab Lady Agatha gereizt zurück. »Keine Details, wenn ich
bitten darf. Wo liegt dieses Monstein?« »An der Straße nach Tiefenkastel, Mylady. Es muß sich um eine landschaftlich äußerst reizvolle Gegend handeln.« »Gibt es dort so etwas wie eine Galerie, Magazin oder Tal- und Bergstation?« »Diese Frage lasse ich zur Zeit klären«, schloß Parker. »Und was tun wir jetzt?« erkundigte sich Agatha Simpson. »Ich denke nicht daran, die Hände in den Schoß zu legen. Da ist immer noch das Chalet dieses Peawood.« »Von einem Besuch dort, Mylady, würde ich mir erlauben abzuraten.« »Sie rechnen mit Überraschungen?« Myladys Augen zeigten Interesse. »Mit bösartigen, Mylady. Mr. Peawood dürfte inzwischen auf eine härtere Gangart umgeschaltet haben.« »Und falls nicht? Und wenn Kathy sich nun in diesem Haus befindet?« »Darf ich mich erkühnen, Mylady eine Alternative vorzuschlagen?« »Sie wollen mich natürlich ablenken, nicht wahr? Aber darauf falle ich nicht herein.« »Inzwischen dürfte es den Gangstern in Luzern und London gelungen sein, wieder frei über ihre Zeit verfügen zu können, Mylady.« »Was gehen mich diese Lümmel an?« »Sie werden hierher nach Davos eilen, Mylady, um Kontakt mit ihrem Chef aufzunehmen.« »Nun ja, das kann ich mir vorstellen.«
»Man sollte herausfinden, Mylady, wohin diese sechs Herren sich wenden werden. Wahrscheinlich werden sie Mr. Peawoods Chalet meiden und sich dorthin begeben, wo Mr. Peawood sich momentan aufhält.« »Und wie wollen Sie die Flegel aufspüren?« »Es kommt nur eine einzige Zufahrtstraße in Betracht, Mylady, die man leicht unter Sichtkontrolle nehmen könnte.« »Dann sollten Sie das übernehmen, Mr. Parker. Ich brauche jetzt etwas Entspannung, ich bin schließlich kein Teenager mehr.« »Wie Mylady meinen.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an und verließ den Frühstückstisch. Er war hellhörig geworden. Er kannte die ältere Dame in- und auswendig. Wenn sie von ihrem Alter sprach und angeblich eine Verschnaufpause brauchte, dann standen in Wirklichkeit Alleingänge und Aktivitäten bevor. Parker beschloß, sehr wachsam zu sein, was seine Herrin anbetraf. * »Ich kenne doch Parker«, meinte Peawood überheblich. »Er wird auf die Ankunft der Leute aus Luzern warten. Ins Chalet wird er nie gehen. Er kann sich doch an fünf Fingern ausrechnen, daß dort Gefahr lauert.« »War 'ne prächtige Idee, Chef, die Jungens als Köder anzubieten«, schmeichelte Peawoods rechte Hand. Steve Füllers war von Luzern aus angerufen worden. Er hatte seinem Chef gerade berichtet, was seinen
Leuten zugestoßen war. Sie hatten sich endlich befreien können, beziehungsweise waren aus dem Netz eines Lastenlifts befreit worden. Peawood, Steve Füllers und Judy Glaston hatten in Davos ein Ausweichquartier bezogen, das unter einem weiteren Aliasnamen vorsorglich gemietet worden war. Füllers hatte den Mitarbeitern eingeschärft, offen und ungeniert hierher nach Davos zu kommen. Sie sollten es darauf anlegen, von Butler Parker gesehen zu werden, hatten aber die Order, ihn und Lady Simpson nicht zu belästigen. Scheinbar ahnungslos sollten sie dafür sorgen, daß Parker ihnen folgte und so in die eigentliche Falle tappte. Zu den vier Männern, die Parker in Luzern ausgeschaltet hatte, waren nun noch Joe Grambus und Hale Stint aus London gestoßen. Auch sie hatten sich unter der Geheimnummer gemeldet, die sie für den Fall eines Falles benutzen sollten. Die beiden Gangster, die die Kanalisation von London ausgiebig besichtigt hatten, wollten von Zürich aus eine kleine Zubringermaschine benutzen und sofort nach Davos weiterfliegen. Peawood versammelte seine Streitmacht um sich und wollte zum letzten Schlag ausholen. »Hoffentlich geht Parker auf seine Pläne ein«, ließ Judy Glaston sich vernehmen. »Die Sache mit dem Wohnwagen hat ja nicht ganz geklappt, oder?« »Er muß sich an meine Leute hängen, ob er will oder nicht«, erwiderte Peawood. »Wie will er
sich sonst an mich heranpirschen? Schön, er weiß wahrscheinlich, daß sie ihn in eine Falle locken wollen, doch er muß dieses Risiko eingehen, Judy. Das alles ist ein ganz einfaches Rechenexempel.« »Daß er sich mit der Polizei zusammentun könnte, kommt dir erst gar nicht in den Sinn?« »Parker doch nicht! Er wird die Polizei aus dem Spiel lassen. Wie immer!« »Ich kann mir nicht helfen, Paul, ich habe ein ungutes Gefühl«, gestand Judy Glaston. »Bist du sicher, daß er nicht bereits weiß, wo wir jetzt wohnen?« Steve Füllers' Reaktion war beachtlich. Er marschierte automatisch zu einem Fenster und sah nach draußen. Er baute sich seitlich am Fensterrahmen auf und zog seine Automatik, als sei bereits mit einem Angriff zu rechnen. Sein Respekt vor dem Butler mußte sehr groß sein. Paul P. Peawood ließ sich von der Nervosität seiner rechten Hand anstecken. Auch er stand auf, verließ die Nähe des Balkonfensters und merkte dann mit Verspätung, wie unsicher auch er war. Er räusperte sich verlegen, zündete sich eine Zigarette an und bemühte sich um ein neutrales Lächeln. »Draußen ist alles in Ordnung, Chef«, meldete Füllers. »Natürlich ist alles in Ordnung«, fuhr Peawood ihn an. »Dieses Haus kennen doch nur wir drei.« »Bist du sicher?« stichelte Judy Glaston. Es tat ihr gut, Peawood
weiter zu verunsichern. Sie haßte längst seine Überheblichkeit. Er kam sich stets wie ein kleiner Gott vor. »Deinen Leuten ist aber immerhin die Telefonnummer von hier bekannt, oder?« »Das stimmt allerdings, Chef«, warf Füllers ein. »Ich glaub' ja nicht, daß die Jungens die verpfiffen haben, aber ...« »Wollt ihr mir etwa beibringen, wie man strategisch denkt?« brauste Peawood auf. »Das überlaßt besser mir!« »Ich möchte ja nur, daß du dich in aller Ruhe mit Parker befassen kannst«, antwortete Judy Glaston gespielt besorgt. »Gut, wir werden uns ins Magazin zurückziehen«, entschied Peawood plötzlich zu ihrer Überraschung. »Füllers bleibt hier und hält Kontakt mit seinen Leuten. Judy, wir fahren sofort los.« »Einverstanden«, sagte sie und lächelte. »Dann kann ich mir ja endlich mal diese Kathy Porter ansehen.« »Ich schenk' sie dir«, lautete seine Antwort. »Mach' mit ihr, was du willst, sterben muß sie ja ohnehin.« * Sie hatte es längst aufgegeben, die Stunden oder Tage zu zählen. Sie befand sich in einer Art Kasematte, deren Wände und Decke aus nacktem und feuchtem Gestein bestanden. Der erstaunlich große, aber niedrige Raum hatte kein Fenster. Es existierte nur eine schwere Stahltür, die an das Schott
eines Bunkers erinnerte. Selbst mit einem Schneidbrenner war dieser Tür wohl kaum beizukommen. Erhellt wurde der Raum von einer der Kerzen, die zu ihrem Vorrat gehörten. Auf einem Tisch in einer Ecke des Raumes stapelten sich Lebensmittelkonserven. Es gab einen großen Plastikbehälter, der mit Wasser gefüllt war. Auf dem Boden daneben standen Kartons mit Fruchtsaftdosen. Kathy Porter hatte sich mit ihrer Lage inzwischen abgefunden. Nach einer gewissen Zeit der Angst und auch Panik hatte sie sich wieder unter Kontrolle. Sie kam sich zwar noch immer wie lebendig begraben vor, aber sie setzte auf einen gewissen Josuah Parker. Früher oder später würde er hier erscheinen und sie befreien. In wessen Gewalt sie sich befand, wußte sie. Paul P. Peawood hatte sich nach dem Erwachen aus der Ohnmacht kurz hier in diesem Gefängnis sehen lassen und mit ihr gesprochen. Er hätte angekündigt, daß sie schon bald mit Besuch rechnen könne. Sie, Kathy Porter, war der Köder, um Butler Parker und Lady Simpson in die tödliche Falle laufen zu lassen. Kathy Porter, die junge, langbeinige Frau, die über eine erstklassige Figur verfügte, war eine wahre Verwandlungskünstlerin. Auf den ersten Blick hin wirkte sie wie ein scheues Reh, wozu ihr kupferrotes Haar beitrug. Dieser erste Eindruck täuschte jedoch. Sie war erfahren in allen Künsten der ostasiatischen Selbstverteidigung und hatte von
Butler Parker eine große Anzahl Tricks gelernt. Sie wußte sich ihrer Haut sehr wohl zu wehren. Gerade deshalb ärgerte sie sich auch immer wieder darüber, wie einfach und wirkungsvoll man sie gekidnappt hatte. Gut, sie hatte gerade hier in der Schweiz wirklich nicht mit einem Überfall gerechnet, aber Butler Parker hatte ihr immer wieder eingeschärft, stets mit Überraschungen zu rechnen. Ein Tourist hatte sie in Luzern angesprochen, ein harmlos und durchschnittlich aussehender Mann, dem man den Gangster wirklich nicht ansah. Sekunden später war es bereits geschehen. Ein zweiter Passant hatte ihr den Lauf einer Schußwaffe gegen den Rücken gepreßt und sie eingeladen, in einen bereitstehenden Wagen einzusteigen. Im Wagen hatte sie aus einer Taschenflasche trinken müssen. Es war ihr klar, daß der Inhalt dieser Flasche mit einem starken Schlafmittel versetzt war. Unter dem Eindruck der Schußwaffe aber hatte sie gehorsam getrunken und war prompt in einen stundenlangen Schlaf gefallen. Zu sich gekommen war sie erst während der Fahrt in einem kleinen 2 CV mit Kastenaufbau, aber zu diesem Zeitpunkt hatte man sie bereits an Händen und Füßen gefesselt und ihr vorerst jede Chance genommen. Die Kasematte, in die man sie eingesperrt hatte, gehörte zu einem alten, längst aufgegebenen Heeresmagazin. Ohne fremde Hilfe war ein Entkommen unmöglich. Damit hatte sie sich abgefunden. Sie
hatte noch nicht mal die Möglichkeit, sich mit einem ihrer Entführer anzulegen. Man hatte sich bisher nicht mehr um sie gekümmert. Sie verpflegte sich selbst, und für ihre Bedürfnisse gab es weit hinten in dem Raum ein chemisches Klosett, wie es für Campingsportler angeboten wurde. Kathy Porter hatte die Zeit totgeschlagen, so gut es eben ging. Sie hatte Gymnastik betrieben, um ihren Körper in Form zu halten. Sie hatte sich dazu gezwungen, in bestimmten Abständen Rechenaufgaben zu lösen. Und immer wieder hatte sie sich dabei ertappt, an der schweren Tür zu lauschen. Doch dieses Schott ließ keinen noch so leisen Laut durch. Kathy Porter lag auf dem schmalen Militärbett, einem Eisengestell ohne jeden Komfort. Sie starrte in das Kerzenlicht und reagierte mit erheblicher Verspätung, als plötzlich die schwere Tür leise aufgedrückt wurde. Geistesgegenwärtig aber schloß sie jetzt die Augen und stellte sich schlafend. Vielleicht bot sich jetzt doch noch eine Möglichkeit, dieses Gefängnis zu verlassen. Durch den Vorhang ihrer Wimpern -sie hatte sehr vorsichtig die Augenlider angehoben - erkannte sie eine mittelgroße, schlanke Frau, die sie neugierig beobachtete. Kathy Porter spürte den Haß, der von dieser Frau ausging. Sie stahl sich vorsichtig tiefer in die Kasematte, doch nun zeigte sich, daß sie nicht allein war. In ihrer Begleitung befanden sich zwei stämmige Männer, die einen
wachsam-gespannten Eindruck machten. »Steh' auf«, sagte die Frau mit spöttischer Stimme. »Laß das Theater!« Kathy Porter täuschte Schlaftrunkenheit vor, bewegte sich, richtete sich ein wenig auf, blinzelte und tat dann sehr überrascht. Sie fuhr hoch und starrte die drei Personen an. Kathy war eine erstklassige Schauspielerin. Sie täuschte einen Schock vor, schluchzte auf und schlug die Hände vors Gesicht. Vor Erleichterung schienen die Nerven mit ihr durchzugehen. Sie schwenkte die Beine vom Bett, stellte sie auf den Boden und... schnellte sich dann unvermittelt nach vorn. Ihr Angriff kam völlig überraschend. Die Frau schrie auf, die beiden Männer stürzten sich auf sie, doch Kathy rollte sich auf dem harten Boden ab, unterlief sie und stand bereits an der Tür, bevor die beiden Mariner sich auf die neue Situation einstellen konnten. Kathy Porter wischte durch die nur halb geöffnete Tür und zerrte sie hinter sich in den Stahlrahmen. Sie hörte das Peitschen einiger Schüsse und spürte auch den Luftzug eines der Geschosse dicht an ihrer linken Halsseite. Aber sie schaffte es. Die Tür schwang zu, sie warf sich mit ihrem ganzen Körpergewicht auf den langen Verschlußhebel und sicherte das Schott. Keuchend blieb sie stehen. Dann stieg ein Lachen in ihr auf, ein Lachen, in dem ein wenig Hysterie mitschwang. Nun löste sich ihre
Nervenanspannung. Sie lehnte die Stirn gegen die kalte, feuchte Tür und ahnte nicht, daß sie interessiert beobachtet wurde. Sie glaubte sich gerettet, doch sie hatte nur genau das getan, was Paul P. Peawood von ihr erwartet hatte. * Parker wartete fast zwei Stunden, bis endlich ein Hubschrauber einschwebte. Er landete auf dem privaten Landeplatz eines international bekannten Hotels und entließ gut ein Dutzend Reisende. Wie der Butler es erwartet hatte, befanden sich darunter auch die beiden Gangster Joe Grambus und Hale Stint. Butler Parker hatte darauf verzichtet, an der Straße, die von Norden aus nach Davos führte, auf die vier Gangster aus Luzern zu warten. Nach seinen Berechnungen würden sich die beiden Männer aus London hier in Davos mit ihnen treffen, um Zeit zu sparen. Parker hatte damit natürlich gepokert, doch dieses Spiel war vorerst gewonnen. Grambus und Stint sonderten sich sofort von den übrigen Flugreisenden ab und belegten ein Taxi. Sie fuhren in die Innenstadt und stiegen vor einer Telefonzelle aus. Grambus rief an, brauchte nur knapp zwei Minuten und ging dann auf Stint zu, der bereits ungeduldig gewartet hatte. Sie redeten miteinander und gingen zu Fuß weiter. Sie steuerten ein kleines .Hotel an, das in einer Seitenstraße lag. Und sie wurden bereits erwartet, wie sich zeigte. Auf
der Terrasse saßen vier Bekannte an einem Tisch, vier Männer, mit denen Parker sich bereits in Luzern ausgiebig befaßt hatte. Zwei von ihnen hatten die Nacht in einem Transportnetz verbracht, die beiden anderen auf dem Dachboden von May Trents Wohnung. Die sechs Männer begrüßten sich knapp, steckten die Köpfe zusammen und tauschten nun wahrscheinlich ihre Erlebnisse aus. Sie ließen Rotwein auffahren und hatten sich viel zu sagen, was Parker durchaus verstehen konnte. Sie hatten schließlich einiges hinter sich. Parker wäre von ihnen nicht erkannt worden. Mit wenigen Mitteln hatte er sein Aussehen verändert. Er saß am Steuer eines VW-Käfers, hatte sich ein viel zu weites und buntes Touristenhemd über den schwarzen Zweireiher geknöpft und die Melone gegen einen Tirolerhut getauscht. Eine Sonnenbrille sorgte für zusätzliche Tarnung. Der Butler glich einem der vielen Touristen, auf die man hier in Davos nicht achtete. Er war gespannt, was die sechs Partner machen würden. Warteten sie auf einen Einsatzbefehl? Präsentierten sie sich absichtlich auf der Terrasse, um auf sich aufmerksam zu machen? Sollten sie Mylady und ihn in die Falle locken? Parker fragte sich, ob es nicht ratsam war, die sechs Gangster noch mal außer Gefecht zu setzen. Ließ sich das mit einem einfachen Trick bewerkstelligen? Bevor er zu einem Entschluß gekommen war, hatten die Gangster ihre Zeche bezahlt, verließen die
Terrasse und marschierten einträchtig hinüber zum nahen Parkplatz. Sie setzten sich in einen VW-Bus und fuhren los in Richtung Davos-Dorf. Das konnte nur bedeuten, daß sie ins Dischmatal wollten, genauer gesagt wohl nach Dürrboden. Genau von dorther stammte die Verpackung des Würfelzuckers, die Parker aus dem brennenden Campingwagen geborgen hatte. Der Butler verfolgte den VW-Bus in respektvollem Abstand, bis seine Vermutung bestätigt wurde. Der VW-Bus bog in das enge Tal ab und verschwand bald schon hinter der ersten Kehre. Parker war weitergefahren und folgte nicht. Er blieb auf der Durchgangsstraße und schaute in den Rückspiegel. Würde der VW-Bus wieder erscheinen? Das war nicht der Fall! Die Minuten verrannen, doch die sechs Gangster ließen sich nicht sehen. Waren sie tatsächlich ahnungslos gewesen? Hatten die Männer ihn doch nicht in eine Falle locken wollen? Befanden sie sich auf dem Weg zu Peawoods Versteck? Parker kannte das Dischmatal nicht. Er wußte nur von der Karte her, daß es etwa dreizehn Kilometer bis hinauf nach Dürrboden waren. Gab es dort außer dem Gasthof noch andere Häuser? Existierte vielleicht das Magazin, von dem May Trent gesprochen hatte? Gab es dort eine Galerie? Lauerten die Gangster vielleicht an einer günstigen Stelle auf etwaige Verfolger? Josuah Parker mußte jetzt einen Entschluß fassen. Er versetzte sich in
die Gedankenwelt seines Gegners Peawood. Was mochte dieser raffinierte Bursche sich einfallen lassen? Diese sechs Gangster im VW-Bus waren eine einzige Verlockung und Herausforderung. Hatten sie nicht zu deutlich auf sich aufmerksam gemacht? Butler Parker wendete seinen Käfer und fuhr zurück nach Davos. Hinter den ersten Häusern hielt er, stellte den VW hinter einer Scheune ab und stieg aus. Dann wartete er geduldig. Parker war ein Mann, der grundsätzlich nichts überhastete und viel Geduld aufzubringen vermochte. * »Sie können die Tür wieder öffnen«, hörte Kathy Porter. Sie fuhr herum, doch in der Dunkelheit konnte sie nichts erkennen. Sie duckte sich unwillkürlich, ihre Nerven vibrierten. »Ich sehe Sie genau, Miß Porter«, redete die kühle, spöttische Stimme weiter. »Sie wissen doch, es gibt Gewehre und Infrarotzielgeräte.« »Sind ... Sind Sie Peawood?« fragte Kathy. »Das wissen Sie doch. Schinden Sie keine Zeit, Miß Porter! Auf Tricks falle ich grundsätzlich nicht herein.« Sie wußte, daß er nicht bluffte. Bestimmt hatte der Gangsterchef sie im Visier. »Sie haben gewonnen!« Sie seufzte auf und hob resignierend die Schultern. Sie schien sich mit der neuen Situation abgefunden zu haben, doch in Wirklichkeit wollte
Kathy Porter nicht auf stecken. Sie griff nach dem langen, schweren Querhebel und... warf sich dann geschmeidig zurück. Sie hörte einen Schuß, das Aufjaulen eines Querschlägers, rollte sich über die linke Schulter ab und rannte los. Sie lief einfach in die Dunkelheit hinein und konnte nur hoffen, daß sie nicht gegen eine Querwand prallte. Ein zweiter Schuß! Der Querschläger sirrte pfeifend durch die Luft und klatschte weit vor ihr gegen Felsgestein. Kathy rollte sich bereits wieder nach einem Hechtsprung ab, prallte mit der Schulter gegen feuchtes Gestein, warf sich zurück und spurtete weiter. Auf ihrem erhitzten Gesicht spürte sie einen kalten, starken Luftzug, der ihr entgegenblies. Der Gang hier schien also nicht blind zu enden. »Achtung, der Brunnenschacht!« Peawoods Stimme überschlug sich fast. Kathy bremste sich ab, suchte Kontakt mit der Felswand, stolperte und spürte die Angst, die Besitz von ihr ergriff. Gab es diesen Brunnenschacht wirklich? Würde sie abstürzen? »Kommen Sie zurück«, forderte Peawood sie auf. »Es hat keinen Sinn, wenn Sie nicht Selbstmord begehen wollen.« Da hob sie die Arme zum Zeichen der Aufgabe. Sie drehte sich um und ging zurück, immer Kontakt mit der Wand haltend. Nach einigen Metern blieb sie stehen und horchte, doch sie hörte nur das Wasser, das von der Stollendecke zu Boden tropfte.
Peawood verhielt sich vollkommen still. »Sind ... Sind Sie noch da?« rief sie. Die jetzt ersehnte Antwort blieb aus. »Mr. Peawood?« rief Kathy erneut. »Mr. Peawood, so melden Sie sich doch. Wo sind Sie?« Er antwortete nicht. Er genoß ihre Verwirrung und wollte offensichtlich ihre Angst aufheizen. Kathy rührte sich nicht von der Stelle. Beobachtete er sie noch durch das Zielgerät? Sie preßte die Lippen fest aufeinander und ... ging zurück. Sie wollte ihn herausfordern und zwingen, sich zu melden. Doch Peawood reagierte nicht auf ihre Richtungsänderung. Kathy Porter tastete sich an der Wand entlang und setzte vorsichtig einen Schritt vor den anderen. Nach ihrer Schätzung hatte sie inzwischen die Stelle erreicht, an der Peawoods Warnung sie traf. Sie ging noch langsamer und blieb wie starrt stehen, als ihr linker Fuß ins Leere trat. War hier der Rand des Brunnenschachts? Der kalte Luftzug blies ihr ins Gesicht. Er kam eindeutig von unten. Kathy setzte sich, streckte den Fuß weiter aus und fand festen Halt. Der Fuß schien eine ins Gestein gehauene Treppenstufe berührt zu haben. Sie rutschte weiter nach vorn, tastete mit dem anderen Fuß weiter nach unten und fand die nächste Treppenstufe. Peawood hatte sie also nur geblufft. Hier führte eine Treppe
nach unten. Und Sekunden später fanden ihre Hände dann auch ein eisernes Geländer, das ihr zusätzliche Sicherheit verlieh. Nun stieg sie weiter, so schnell sie nur konnte, doch sie dachte unentwegt an Peawood. Warum hatte er die Verfolgung aufgegeben? Warum hatte er nicht auf sie geschossen? War ihm vielleicht etwas zugestoßen? Sie hatte die Treppe hinter sich gebracht, erreichte einen tieferen Gang und ... schloß geblendet die Augen, als plötzlich eine Taschenlampe eingeschaltet wurde, deren Schein sie voll traf. »Sehr lobenswert«, sagte Peawood ironisch. »Sie haben mich nicht enttäuscht. Hoffentlich muß ich meine Meinung nicht so schnell ändern.« * »Hier haben diese Subjekte also Butter, Aufschnitt und Weißbrot gekauft«, sagte die ältere Dame. Sie stieg aus dem Land-Rover und merkte erst jetzt, daß ihre Begleiterin halb ohnmächtig auf ihrem Sitz hing. »Was ist denn, Miß Trent? Ist Ihnen nicht gut?« »Die ... Die Fahrt, Mylady«, antwortete May Trent mit schwacher Stimme. »Wir sind recht schnell vorangekommen.« Mylady nickte zufrieden. »Normalerweise fahre ich ja zügiger, aber ich wollte Sie nicht ängstigen.« May Trent verzichtete auf jeden Kommentar. Sie war in Angstschweiß gebadet. Agatha Simpson war wie ein weiblicher
Hell-driver über die wirklich enge und kurvenreiche Strecke gebraust. Mehr als einmal hatte May Trent das Gefühl gehabt, im freien Flug das enge Tal des Landwassers zu überqueren. Sie glaubte, um einige Jahre gealtert zu sein und litt noch an Schwindelanfällen, als sie endlich aus dem Wagen war und sich am Kotflügel festhielt. Agatha Simpson schaute sich bereits neugierig in dem kleinen Dorf um und deutete dann auf einen Kolonialwarenladen. »Dort werden wir mehr erfahren«, hoffte sie. Dann lachte sie leise und triumphierend auf. »Mr. Parker wird sich wundern, wie ich meine Zeit genutzt habe.« »Hätte man Mr. Parker nicht besser eine Nachricht hinterlassen sollen, Mylady?« fragte May Trent besorgt. »Papperlapapp, Kindchen, Sie reden wie Ihre Freundin Kathy. Sie kennen Parker nicht. Ich werde Ihnen mal etwas anvertrauen: Er glaubt, auf mich aufpassen zu müssen! Daß ich nicht lache! Ich bin es, die ihn vor Dummheiten bewahrt. Was wäre er ohne mich!« »Aber wenn er Sie jetzt im Hotel sucht, Mylady?« »Soll er sich Sorgen machen. Haben Sie denn nicht mitbekommen, daß er mich auf Eis legen wollte? Parker will grundsätzlich alles allein erledigen, doch da spiele ich nicht mit! Aber zu Ihrer Beruhigung, sobald ich mehr weiß, werde ich im Hotel anrufen und ihm ausrichten lassen, wo wir sind.« Agatha Simpson, die stets unternehmungslustige, sechzig Jahre alte Dame marschierte auf den altertümlichen Kolonialwarenladen
zu und musterte dabei die hinter dem Dorf aufsteigenden Bergmassive. »Sehr beachtlich«, kommentierte die Detektivin die Aussicht, »aber auf die Dauer langweilig, finden Sie nicht auch?« »Langweilig, Mylady?« wunderte sich May Trent. »Nun, nichts als Berge«, sagte Lady Agatha. »Da lobe ich mir doch mein England. So, jetzt aber zur Sache. Die Fragen überlassen Sie mir, Miß Trent. Verhöre sind meine Spezialität.« Sie betrat majestätisch den Kolonialwarenladen und sah sich einer jungen Frau gegenüber, die sie erwartungsvoll begrüßte. »Ich suche das Magazin?« begann Lady Simpson ohne Umschweife, quasi mit der Tür ins Haus fallend. »Sie können mir da bestimmt weiterhelfen, nicht wahr?« »Das Magazin?« fragte die junge Verkäuferin. »Und die Galerien«, fügte Lady Agatha hinzu. »Da müssen Sie aber noch ein gutes Stück zu Fuß weiter«, lautete die selbst für Lady Simpson überraschende und prompte Antwort. »Aber ob Sie da hinaufkommen, Madam, bezweifle ich sehr.« »Sie kennen also das Magazin und die Galerien?« vergewisserte Agatha Simpson sich noch mal. Sie konnte es noch immer nicht fassen, einen Haupttreffer gezogen zu haben. »Natürlich, Madam«, lautete die Antwort der jungen Frau, die ein recht gutes Englisch sprach, wenn auch mit einem harten Akzent. »Es war früher mal ein Militärmagazin,
so eine Art Fort. Aber das ist schon lange her.« »Dann existieren also auch nicht mehr die Tal- und Bergstation?« »Davon stehen nur noch die Gittermasten«, erklärte die junge Frau und hob bedauernd die Schultern. »Das soll aber alles wieder aufgebaut und hergerichtet werden.« »Das Magazin ist wieder vom Militär übernommen worden?« »Von einem Privatmann, Madam. Der möchte dort oben ein Sportzentrum einrichten, wie man so hört.« »Sie scheinen davon aber nicht viel zu halten, wie?« Lady Simpson konnte herzlich und einladend lächeln, wenn sie nur wollte. Und jetzt wollte sie es. »Sie kennen das Magazin nicht, Madam.« Die Verkäuferin lächelte. »Die Galerien, Kasematten und Stollen sind tief in den Stein geschlagen worden. Dort oben ist alles feucht und kalt. Es wird ein Vermögen kosten, das alles wieder in Ordnung zu bringen.« »Lebt der neue Besitzer oben, junge Frau?« »Er ist mit einer Gruppe von Bauspezialisten dort, Madam, die alles besichtigen und vermessen.« »Sein Name ist Zügli, nicht wahr?« »Canters, Madam, wenn ich den Namen richtig verstanden habe.« »Natürlich, wo hatte ich nur meine Gedanken. Und wie kommt man nun hinauf ins Magazin?« »Es gibt nur einen steilen und schmalen Weg, Madam. Ich würde Ihnen nicht raten, ihn zu gehen. Er ist sehr gefährlich.« »Kann man den Besitzer anrufen?«
»Nein, eine Telefonleitung gibt es nicht. Auch keine Elektrizität. Ich könnte, wenn Sie etwas ausrichten lassen wollen, einen Boten hinaufschicken.« »Das hat Zeit, junge Frau. Kann ich von hier aus nach Davos anrufen?« »Drüben ist die Poststation, Madam.« »Sie waren sehr liebenswürdig zu einer älteren Frau«, bedankte Lady Simpson sich. »Ein Gasthaus wird es hier doch auch geben, nicht wahr?« »Gleich hinter der Poststation, Madam.« Agatha Simpson verschenkte ein dankbares, freundliches Lächeln und verließ den Laden. Draußen sah sie ihre Begleiterin triumphierend an. »Was sagen Sie jetzt, Miß Trent?« Sie schnaufte vor Erregung und Tatendrang. »Parker wird vor Neid platzen, daß ich den Schlupfwinkel dieses Peawood ausfindig gemacht habe.« »Glauben Sie, daß Kathy dort oben im Magazin festgehalten wird?« »Natürlich, Miß Trent, nichts ist logischer. Ich hätte große Lust, diesem Peawood einen Besuch abzustatten.« »Allein, Mylady?« May Trent sah die ältere Dame erschrocken an. »Warum denn nicht? Mit Lümmeln dieser Art bin ich bisher immer noch fertig geworden.« »Mylady, bitte, tun Sie das nicht«, warnte May Trent. »Dieser Mr. Peawood wird ja nicht allein dort oben in der alten Festung sein.« »Gut, rufen wir Parker an.« Agatha Simpson zügelte ihre Ungeduld. »Aber wenigstens den Anfang des
Weges möchte ich mir doch mal ansehen. Das kann auf keinen Fall schaden.« Durch ihren bekannten Übereifer verschob sie den Telefonanruf und marschierte erst mal hinüber zur ehemaligen Talstation, die hinter dem kleinen Dorf zu sehen war. Daß sie ihren Gegnern dadurch geradezu freiwillig in die Arme lief, ahnten weder sie noch May Trent. * »Du hast sie mir geschenkt«, erinnerte Judy Glaston wütend. »Wieso darf ich sie jetzt nicht haben?« »Weil die Lage sich geändert hat«, antwortete Peawood und lächelte unergründlich. Er befand sich in einer Kasematte, die einst als Kommandozentrale gedient hatte. Dieser ebenfalls ins Gestein gehauene Raum war noch recht wohnlich eingerichtet und trocken. Es gab hier noch das ursprüngliche Mobiliar wie Arbeitstische, Aktenschränke aus Stahlblech, Stühle und einige Feldbetten, die durch dicke Schlafsäcke bequem hergerichtet worden waren. »Das sind doch Ausreden, Paul«, vermutete Judy Glaston. »Du kennst die neusten Nachrichten nicht«, gab er lässig zurück. »Weißt du, wen Füllers erwischt hat?« »Etwa Butler Parker?« »Lady Simpson«, redete Peawood weiter. »Diese raffinierte Alte war unten in Monstein. Weiß der Henker, wie sie hierher gefunden hat.« »Und Parker?«
»Nicht dabei, aber darauf kommt es jetzt gar nicht an, Judy. Der wird auch noch auftauchen.« »Und wenn er die Polizei alarmiert, Paul?« »Kann er doch nicht riskieren. Er weiß doch, wie ich reagieren würde.« »Da bin ich aber gespannt.« »Bevor die Polizei hier oben ist, sind Kathy Porter und Lady Simpson für immer verschwunden. Und genau das weiß er. Nein, nein, er wird allein kommen, verlaß' dich darauf!« »Wo steckt diese schrullige Alte jetzt?« »Sie wird raufgebracht. Sie ist unten in Monstein von Füllers entdeckt worden. Er hat sie und diese kleine Trent herzlichst eingeladen, sich doch mal das Magazin aus nächster Nähe anzusehen.« »Und sie kommt freiwillig mit?« »Was will sie denn machen?« Peawood lachte auf. »Sie weiß doch, daß es ihrer Sekretärin sonst schlecht geht. Zudem weiß Füllers mit einer Kanone umzugehen. Hör' jetzt auf mit der Fragerei, vermies' mir die Laune nicht. Lady Simpson hier im Magazin! Genau so habe ich mir das vorgestellt.« Paul P. Peawood befand sich in euphorischer Stimmung. Seine Rechnung ging nach einigen Fehlschlägen nun doch auf. Er war der Sieger auf der ganzen Linie. Ihm konnte keiner das Wasser reichen. Er ließ die Marionetten nach Belieben zappeln. Ihn hielt es nicht länger in der ehemaligen Kommandozentrale. Er ging hinaus in den langen
Verbindungsstollen durch die Schleusen und erreichte dann eine der Außengalerien. Von hier aus konnte er durch schmale Scharten hinunter ins Tal sehen. Er war von Steve Füllers per Sprechfunk verständigt worden und hatte ihm daraufhin die beiden Männer entgegengeschickt, die ständig hier im Magazin waren und Kathy Porter bewacht hatten. Es dauerte geraume Zeit, bis er endlich seine verhaßte Feindin erblickte. Agatha Simpson schnaufte über den wirklich schmalen, ins Gestein geschlagenen Pfad auf die Eingangskaverne zu. Sie machte einen recht erschöpften Eindruck, was bei diesem Weg auch kein Wunder war. Hinter ihr ging May Trent, die für Peawood unwichtig war. Hinter den beiden Frauen stiegen Füllers und die beiden Männer nach oben. »Herzlich willkommen«, rief Peawood Lady Simpson entgegen, als die ältere Dame endlich in dem höhlenartigen Eingang zum Magazin stand. »So sieht man sich wieder, Mylady. Ich muß sagen, Sie haben mich nicht enttäuscht.« »Sie Flegel«, grollte ihn die Detektivin an. »Ich kann ja verstehen, daß Sie schlecht gelaunt sind«, antwortete Peawood, ohne Ärger zu zeigen. »Hat es Ihnen denn keinen Spaß gemacht, wieder mal Jagd auf mich zu machen?« »Ihnen wird man bald andere Flötentöne beibringen«, sagte Lady Agatha gereizt. »Ich hätte große Lust, Sie zu ohrfeigen.«
»Das würde Miß Porter aber gar nicht gut bekommen, abgesehen davon, daß ich das Geheimnis Ihres Pompadours ja bereits kenne.« Peawood deutete auf den perlenbestickten Handbeutel, der an Lady Agathas linkem Handgelenk baumelte. In diesem Pompadour befand sich bekanntermaßen ein echtes Pferdehufeisen. Peawood hatte seinerzeit innige Bekanntschaft damit machen müssen. Obwohl Peawood nicht allein war, wich er sicherheitshalber einen Schritt zurück, um aus Myladys Reichweite zu gelangen. Ihm war die Sportsnatur der Dame nur zu bekannt. »Wie geht es Miß Porter?« fragte Agatha Simpson. »Gut, wirklich, Mylady. Sie wird sich freuen, Sie zu sehen. Sie braucht gerade jetzt Trost. Sie hat einen mißlungenen Fluchtversuch hinter sich.« »Bringen Sie mich zu ihr!« »Die Befehle, Mylady, erteile ich hier«, entgegnete Peawood überheblich. »Wie haben Sie nach Monstein gefunden? Das würde mich ehrlich interessieren.« »Parker hat das herausgefunden.« »Dann ist mit seiner Ankunft also auch noch zu rechnen?« »Lassen Sie sich überraschen, Peawood!« »Hier wird es keine Überraschungen geben. Sehen Sie doch nach unten, Mylady!« Peawood deutete in das enge Tal, dann auf den Weg, den Agatha Simpson gerade erst hinter sich gebracht hatte. »Das hier ist der einzige Zugang zum Magazin.«
»Hören Sie auf mit Ihrem Geschwätz, Peawood! Bringen Sie mich zu Miß Porter, ich kann Ihr Gesicht nicht mehr sehen!« Peawood war versucht zuzuschlagen. Jähzorn flammte in ihm auf. Wie er diese Frau doch haßte! Selbst jetzt wirkte sie überlegen, und er kam sich klein und unbedeutend vor. »Auch sie werden noch tausend Tode sterben«, sagte er leise und eindringlich. »Auch Sie werden noch um Gnade und um einen schnellen Tod winseln, Mylady, das verspreche ich Ihnen!« * Nach einer halben Stunde tauchte der VW-Bus wieder auf. Er passierte jene Stelle, an der Parker sich als Beobachter aufgebaut hatte. Er fuhr zurück zum kleinen Hotel, wo die sechs Gangster wieder ausstiegen und auf der Terrasse Platz nahmen. Damit war für den Butler alles klar. Die Fahrt hinüber ins Dischmatal in Richtung Dürrboden war nur eine Art Lockfahrt gewesen. Die sechs Gangster hatten gehofft, verfolgt zu werden. Da sich aber keine Verfolger gezeigt hatten, präsentierten sie sich wieder auf der Terrasse und boten sich erneut als Blickfang. Butler Parker wußte damit, daß das Dischmatal für ihn nicht mehr in Betracht kam. Er setzte sich in seinen gemieteten VW-Käfer und fuhr auf Umwegen zurück zum Hotel, in dem er Lady Simpson und May Trent zurückgelassen hatte.
Nein, Mylady war schon seit geraumer Zeit außer Haus, hieß es dort am Empfang. Mylady war im Land-Rover weggefahren, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Parker ließ sich seine Unruhe nicht anmerken. Insgeheim hatte er so etwas befürchtet. Der Tatendrang seiner Herrin war ja kaum zu stoppen. Sie war also auf eigene Faust losgefahren, um den Kampf mit Peawood aufzunehmen, Parker schalt sich einen Narren, daran nicht gedacht zu haben. Im Grund trug er die Schuld daran, daß die Lage sich damit komplizierte. Lady Simpson neigte erfahrungsgemäß dazu, in jede nur erdenkliche Falle zu laufen ... Parker, der sich inzwischen natürlich wieder optisch in einen Butler rückverwandelt hatte, setzte sich wieder in den VW-Käfer und verließ das Hotel. Agatha Simpson, so vermutete er, konnte sich nur in Monstein befinden. Wahrscheinlich hatte sie sich den Namen dieses kleinen Dörfchens recht gut gemerkt. Bevor Josuah Parker die, Fahrt nach Monstein antrat, traf er einige Vorbereitungen. Hinsichtlich der Stichworte >Galerie< und >Magazin< waren ihm vom Hotelportier einige wichtige Hinweise geliefert worden. Parker wußte jetzt, daß es hinter und oberhalb von Monstein ein ehemaliges Armeemagazin gab, das in früherer Zeit sogar ein Gebirgsfort gewesen war. Parker erstand eine Pocketkamera mit eingebautem ElektronenBlitzlichtgerät. Sie paßte ohne
Schwierigkeiten in eine der vielen Westentaschen und verlangte kaum Platz. Ferner besorgte er sich eine Rolle dünner Nylonschnur und fand dann zu seiner ehrlichen Freude in einem Papierwarenladen noch eine kleine Auswahl von Feuerwerkskörpern, die noch vom vergangenen Neujahrsfest stammten. Parker kaufte diese Reste en bloc ein und ließ sich dann noch einen Plastikbeutel geben, der mit bunten Tonmurmeln gefüllt war. Als er Davos bereits verlassen wollte, kam er an einer Autowerkstatt vorbei. Sofort hatte er eine zusätzliche Idee. Er kaufte drei kleine Spraydosen, mit deren Inhalt man Lackschäden an Autos beseitigen konnte. Er füllte gleich an Ort und Stelle kleine Ballen von Putzwolle in Plastikbeutel, die er dann mit Schmieröl tränken ließ. Der Verkäufer schluckte, als der Butler anschließend vier flache Plastikspritzdosen mit Reinungsbenzin verlangte. »Wollen Sie Molotow-Cocktails herstellen?« fragte der junge Mann hinter der Theke. »Ein probates Mittel gegen Ratten und Maulwürfe«, erwiderte Parker würdevoll. »Es wird von den zuständigen Landwirtschaftskammern wärmstens empfohlen. Wußten Sie das nicht?« »Ach so!« Der junge Verkäufer beruhigte sich etwas. »Kann ich Ihnen sonst noch etwas verkaufen?« »Eine Taschenlampe könnte nicht schaden«, gab Parker zurück. »Ja, und ein handliches Brecheisen würde ebenfalls von Nutzen sein.«
»Da können die Ratten und Maulwürfe sich aber auf was gefaßt machen«, vermutete der junge Mann, während er die beiden Gegenstände herbeischaffte. »Man muß methodisch vorgehen«, antwortete Parker gemessen. Er beglich die Rechnung, setzte sich in den VW-Käfer und fuhr weiter in Richtung Monstein. Noch weit vor dem kleinen Dorf ließ er den Wagen auf einem Parkplatz für Touristen stehen, ging zu Fuß weiter und erklomm einen bewaldeten Hang, um sich eine erste Übersicht zu verschaffen. Dazu benutzte er ein Fernglas, das er von Anfang an bei sich gehabt hatte. Das, was er sah, wirkte nicht sehr ermutigend. Hinter Monstein verlief ein schmaler Fahrweg, der vor der fast senkrecht aufsteigenden Wand eines Felsmassivs endete. Durch die Optik konnte er den in den Stein geschlagenen Pfad erkennen, der sich in Diagonalkehren nach oben wandte. Der Weg, wohl nur für Bergsteiger und Maultiere gedacht, endete vor einer Kaverne, durch die man in das eigentliche Magazin kam. Das Felsmassiv stand isoliert und wurde durch tiefe Schluchten von den übrigen Bergen getrennt. Dieses ehemalige Fort war schier uneinnehmbar, wie Parker konstatierte. Wer den schmalen Zufahrtpfad kontrollierte, hatte nichts zu befürchten. Die Spitze dieses isoliert stehenden Massivs war eine Art Hochplateau, das allerdings kleiner war als ein Fußballplatz. Und eben war dieses Plateau gewiß nicht. Es gab dort
schroffe Felsnadeln, Krüppelwald und dazwischen mächtige Felsbrocken. Parker schwenkte das Fernglas nach links. Vom Dorf aus erstreckten sich Bergwälder, Almwiesen und Geröllfelder bergan. Dahinter erhoben sich die Zwei- und Dreitausender des Gesamtmassivs. Nein, einen besseren Schlupfwinkel hätte Peawood sich gar nicht wünschen können. Dort oben im Magazin konnte er schalten und walten, wie es ihm beliebte. Parker beobachtete noch mal das Hochplateau. Ein Mann wie Peawood verfügte sicher über eine Möglichkeit, um sich dennoch, im Falle eines Falles, schnell absetzen zu können. Der Butler vermutete dort oben einen Hubschrauber obwohl er davon wegen der ungünstigen Perspektive nichts sehen konnte. Er wollte gerade das Glas abnehmen, als er eine vage Bewegung links im Blickfeld wahrnahm. Voller Interesse beobachtete er dann den Drachensegler, der von einer der Almwiesen abwärts schwebte. Im Gestänge dieses Drachenseglers hing ein Mensch, der das seltsame Fluggerät souverän beherrschte und immer wieder in elegante Kurven legte. Lautlos schwebte dieser fliegende Mensch talabwärts auf Monstein zu, kurvte um ein Waldstück herum, segelte am Magazin vorüber und verschwand dann hinter einem Felsvorsprung. Parker war beeindruckt. Als technisch interessierter Mensch wußte er
natürlich von diesem Sport, der gerade in den Bergen mit Leidenschaft betrieben wurde. Er hatte davon gehört, daß man mit solchen Fluggeräten wahre Rekordstrecken zurücklegen konnte. Als er zurück zum VW-Käfer gehen wollte, erschien der ihm bereits bekannte VW-Bus. Die sechs Gangster hatten wohl die Geduld verloren und kehrten in ihr Hauptquartier zurück. Sie fuhren durch das kleine Dorf und hielten auf das Felsmassiv zu. Bald darauf sah Parker sie durch sein Fernglas. Die sechs Männer stiegen hintereinander bergan und brauchten ihre Zeit, bis sie dann endlich in der Kaverne verschwunden waren. * »Natürlich wird Mr. Parker uns hier herausholen«, sagte Agatha Simpson im Brustton der Überzeugung. Sie befand sich zusammen mit May Trent und Kathy Porter in der Kasematte, in der man Kathy bisher festgehalten hatte. »Wie er das Problem lösen soll, Mylady, ist mir unbegreiflich.«, sagte May Trent. »Sie haben doch gesehen, wie uneinnehmbar dieses Magazin ist.« »Parker kennt keine Hindernisse«, behauptete Lady Agatha. »Optimistisch bin ich nun auch gerade nicht«, warf Kathy Porter ein. »Selbst wenn er es schaffen sollte, hierher ins Fort zu kommen, würde er sich in diesem Labyrinth verlaufen.«
»Wie kann man nur so kleingläubig sein.« Agatha Simpson schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Weiß er überhaupt, wo wir sind?« fragte May Trent. »Natürlich weiß er das.« Die Lady nickte. »Wenn ich schon dieses Magazin gefunden habe, dann wird Parker es erst recht finden. Ich bin mir sogar sicher, daß er bereits in der Nähe ist.« Die Freundinnen Kathy Porter und May Trent sagten nichts. Sie saßen auf dem schmalen Feldbett und schauten dem Gewaltmarsch zu, den die ältere Dame durch die Kasematte absolvierte. Ihr Bewegungsdrang zeigte deutlich, wie sehr sie innerlich unter Druck stand. »Wir müssen uns einen Plan zurechtlegen«, redete die Detektivin weiter und blieb vor den beiden jungen Frauen stehen. »Wenn Peawood sich hier bücken läßt, müssen wir ihn überwältigen.« »Damit rechnet er, Mylady«, antwortete Kathy Porter. »Kindchen, wo ist Ihr Optimismus geblieben?« wunderte Agatha Simpson sich und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. Dann aber nahm sie neben den beiden jungen Frauen Platz und stierte in das schwache Kerzenlicht. Sie gestand sich ein, daß es mit ihrem Optimismus auch nicht weit her war. Parker war diesmal bestimmt überfordert. Nur mit einer Armee war diesem Peawood noch beizukommen. *
»Parker weiß längst, wo wir stecken«, sagte Paul P. Peawood zu seiner rechten Hand Steve Füllers. »Wahrscheinlich befindet er sich bereits unten in Monstein.« »Und weiß inzwischen, daß er keine Chance hat«, meinte Füllers. »Wir könnten ihn doch verständigen«, schaltete sich Judy Glaston ein. »Eben nicht, Judy.« Peawood wußte es wieder mal besser. »Wir wollen seine Nerven noch ein wenig strapazieren. Er soll sich den Kopf zerbrechen, wie er vorgehen kann.« »Wird er nicht freiwillig kommen? Man braucht ihm doch nur zu sagen, daß die drei Frauen hier sind.« »Dazu ist immer noch Zeit, Judy. Du hast keinen Sinn für Feinheiten. Mit der Brechstange denken kann jeder.« »Vielen Dank für das Kompliment«, entgegnete sie wütend. »Du wirst deine Kathy Porter schon noch bekommen, Judy.« Peawood lächelte gönnerhaft. »Ich möchte die drei Frauen gern mal durch die Stollen hetzen. Im Fall Kathy Porter war das doch schon recht anregend.« »Soll ich das vorbereiten, Chef?« erkundigte sich Steve Füllers eifrig. »Erst möchte ich wissen, wo Parker ist.« Peawood schüttelte den Kopf. »Kommen Sie, Füllers, wir gehen 'rauf aufs Plateau! Nehmen Sie Ferngläser mit!« Sie stiegen über Galerien, Treppen und Stollen nach oben, bis sie den Ausstieg erreicht hatten. Dieser Stollen endete vor einem mächtigen Felsklotz, der die jetzt
weggesprengten Stahlschleusen tarnte. Die beiden Männer traten ins Freie und schlenderten durch die kleine Mulde, in der ein Hubschrauber stand, der Platz hatte für vier Personen. Dieser Hubschrauber war durch Tarnnetze gegen Sicht von oben geschützt. Peawood und Füllers gingen bis an den steil abfallenden Rand des Plateaus und sahen durch ihre Gläser dann nach unten. Sie suchten die wenigen Gassen des kleinen Dorfes nach einem gewissen Butler Parker ab, doch sie konnten nichts entdecken. »Wie schätzen Sie den Butler ein, Chef?« fragte Füllers. »Wird er einen Versuch riskieren?« »Natürlich, Füllers. Und auf diesen Versuch freue ich mich.« »Was würden Sie an seiner Stelle tun, Chef?« »Was würden denn Sie an seiner Stelle machen, Füllers? Lassen Sie Ihre Phantasie mal spielen!« »Tja, schwer zu sagen, Chef.« Füllers Gesicht machte deutlich, wie angestrengt er nachdachte. »Der Pfad nach oben bietet keine Chance. Und sonst? An den Felswänden kommt man nicht hoch. Moment, ich hab's! Ich würde einen Hubschrauber nehmen.« »Und?« Peawood lächelte überlegen. »Ich würde einen Hubschrauber nehmen und auf dem Plateau landen.« »Heimlich, still und leise, wie?« »Ach so!« Füllers senkte den Kopf. »Mit einem Hubschrauber würde er sich ankündigen«, urteilte der
Gangsterchef. »Streichen Sie ihn also!« »Schön, ich würde mit 'nem erfahrenen Bergsteiger an der Wand hochgehen.« »Dazu brauchen Sie einen ganzen Klempnerladen, wie die Bergsteiger sagen, nämlich Hammer, Mauerhaken und so weiter. Diesen Krach würde man deutlich hören.« »Also gut, Chef, ich passe. Ich bleib' also unten.« »Und kommen freiwillig 'rauf«, entschied Peawood. »Und genau dazu will ich Parker bringen. Er soll freiwillig in sein Verderben laufen. Ich will ihn psychologisch fertig machen.« »Wie würden Sie denn an Parkers Stelle handeln, Chef?« »Was soll diese Frage? Ich würde nie in solch eine Situation kommen, Füllers. Und wenn, dann würde ich mich nicht rühren, verstehen Sie jetzt? Ich würde mich unsichtbar machen und mir sehr viel Zeit nehmen.« »Wie soll ich das verstehen, Chef?« »Ich würde auf die Neugier der Leute setzen, die hier im Magazin sind. Wenn ich mich nicht zeige, dann werden die Leute hier im Magazin früher oder später die Geduld verlieren und sich eine Blöße geben.« »Moment mal, Chef, ist Parker nicht schon dabei, genau das zu tun?« fragte Füllers. * Butler Parker hatte es sich bequem gemacht.
Er genoß die warme Sonne, saß im dichten Unterholz und delektierte sich an den Künsten der Drachenflieger. Er hatte das kleine Dorf Monstein hinter sich gelassen, war bergan gestiegen und schien jedes Interesse an Lady Simpson, Kathy Porter und May Trent verloren zu haben. Was man ihm bot, war allerdings sensationell. Oben auf den steilen Felsklippen, also noch oberhalb des ehemaligen Forts, trainierten und flogen junge Männer. Sie hatten dort ein Camp aufgeschlagen und nutzten die hier stetigen und kräftigen Aufwinde. Es gab Anfänger, die nur kleine Sprünge riskierten und schon nach kurzer Luftfahrt wieder auf der abfallenden Wiese landeten. Es gab aber auch Könner, die sich mutig von den Klippen in die Tiefe stürzten, sich abfingen, hochtragen ließen und dann parallel zu den Klippen dahinglitten wie übergroße Adler. Einige schafften es sogar, wieder zurück zum Startplatz zu gelangen. Andere waren wieder nur an Weite interessiert. Sie legten sich mit ihren Drachengleitern auf die Luft und schwebten tief hinunter ins Tal. Sie überflogen Monstein und drehten dann noch vor der Durchgangsstraße wieder ein, bis sie auf einem Acker landeten. Diese Flug-leistungen waren imponierend. Parker, der sich als Drachenflieger noch nie versucht hatte, studierte eingehend diese Flugtechniken. Er prägte sich jedes Detail ein und speicherte es in seinem Gehirn.
Theoretisch flog auch er und übte alle Arten des Drachenfliegens. Ihm fiel auf, daß die Sportler das Magazin mieden. Parker verstand dies nicht, denn die Distanz von den Steilklippen bis hinunter zum ehemaligen Fort war nicht übermäßig lang. Fürchteten die Flugsportler, dort auf dem Plateau nicht landen zu können? Hatten sie Angst vor den Felsnadeln oder Gesteinsklötzen? Erst später ging dem Butler auf, warum dieses Plateau nicht angeflogen wurde. Es waren die beiden Reste von Gittermasten, die dort oben standen und eine Kollision förmlich heraufbeschworen. Diese Konstruktionen gehörten zur ehemaligen Bergstation der Seilbahn. Sie machten einen gezielten Landeanflug fast unmöglich. Nachdem Parker sich ausgiebig informiert hatte, streckte er sich im weichen Moos aus und schlief auf Vorrat. Er hatte nämlich vor, in der kommenden Nacht aktiv zu werden. * Am spätem Nachmittag wurde der Flugbetrieb eingestellt. Durch sein Fernglas beobachtete Parker die jungen Sportler, die mit drei Jeeps talabwärts fuhren. Sie hatten wohl vor, unten in Monstein zu Abend zu essen. Butler Parkers Zeit war gekommen. Er wartete, bis die Jeeps in einem Taleinschnitt verschwunden waren. Dann setzte er sich in Bewegung und stieg hinauf zum Lagerplatz der Dra-
chenflieger. Die Sonne stand bereits recht tief. Parker war überrascht, wie lang der Weg war. Er mußte, was er vorher nicht hatte sehen können, durch eine weite Talmulde, die einen kleinen Bergsee und weite Almwiesen aufzuweisen hatten. Dann aber ging es steil nach oben. Parker brauchte fast eine Stunde, bis er das Lager der Drachensportler erreicht hatte. Zu seiner Freude war es unbewacht. Die Flugdrachen waren demontiert worden und standen nebeneinander hinter einem Felsband. Es gab einige Zelte mit Schlafsäcken und Vorräten. Parker spürte den stetigen Aufwind, der an den Klippen hochstrich. Er war derart stark, daß er mit dem bleigefütterten Bambusgriff seine schwarze Melone festhalten mußte. Parker ging zurück zu den zusammengelegten Fluggeräten und wählte den Drachen aus, der seiner Schätzung nach die größte Spannweite besaß. Dann machte er sich daran, diesen Gleiter zusammenzusetzen, was sich als nicht gerade einfach erwies. Parker verfügte jedoch über technischen Sachverstand. Nach einigen Fehlversuchen hatte er den Drachen endlich zusammengesetzt, hob ihn versuchsweise in die Luft und ... wurde im gleichen Moment bereits zu Boden gerissen und ein Stück über den Boden geschleift. Der Aufwind hatte die Seidenbespannung aufgebläht und hochgerissen. Parker setzte das Gerät ab und trat an den Rand der Steilklippe. Er schaute hinüber auf das Plateau des
ehemaligen Forts und holte tief Luft. Die Entfernung war plötzlich riesengroß, das Tal schien in die Abgründe einer Hölle zu stürzen. War es nicht Selbstmord, diese Distanz mit dem Flugdrachen überbrücken zu wollen? Er hatte schließlich keine Erfahrung und war dem Zufall hilflos ausgeliefert. Er ging zurück, schnallte sich die Gurte um, griff nach dem Trapezgestänge und duckte sich. Er stemmte sich gegen den Aufwind, lief los, schloß die Augen und ... warf sich in die Luft. Auch ein Butler Parker war nur ein Mensch. Sein Herz stand für einen Moment lang still. Dann hätte er am liebsten vor Angst laut geschrien. Er riß die Augen auf, sah, wie er nach unten durchsackte und . .. dann nach oben gerissen wurde. Der Aufwind hatte den Flugdrachen voll erfaßt und spielte mit ihm. Parker war nicht in der Lage, das Fluggerät zu steuern. Hilflos baumelte er herum, kam sich vor wie ein nasser Sack, sah, wie die Steilwände bedrohlich und rasend schnell näher heranrückten, legte sich instinktiv auf die Seite und erlebte eine echte Überraschung. Der Gleitdrachen übernahm diese Bewegung, schwenkte nach rechts und stabilisierte sich. Parker wurde kühner. Er schaukelte ein wenig in den Gurten herum, verlagerte probeweise und wiederholt sein Gewicht und fand schnell heraus, daß der Drachen diese Bewegungen nachahmte. Parker wurde noch kühner,
orientierte sich und merkte, daß er sich total verflogen hatte. Er segelte am Plateau vorüber und hielt auf das eigentliche Gebirgsmassiv zu, was er natürlich nie geplant hatte. Dann sah er plötzlich gar nichts mehr. Er segelte direkt in die untergehende Sonne hinein und wurde völlig geblendet. Parker vollführte eine weite Kurve, bis er die Sonne wieder im Rücken hatte, wurde hochgerissen und sah dann unter sich das Plateau, dem seine Luftreise galt. Es gelang ihm jedoch nicht, Kurs darauf zu halten. Eine Böe riß ihn zur Seite, er fiel ab, segelte auf eine Wiese zu und hörte plötzlich Schüsse, die er sich zuerst nicht erklären konnte. Dann aber entdeckte er unter sich auf einer Wiese einen Mann, der mit einem Gewehr auf ihn zielte. Sekunden später war Parker hinter einem Felsturm, stieg wie in einem Fahrstuhl senkrecht nach oben, sah vor sich das ersehnte Plateau, wollte eine gekonnte Ziellandung vornehmen und ... krachte mit dem linken Flügel gegen die Reste eines Mastes. Und dann wunderte Parker sich nur noch... Er lebte nämlich und wollte es einfach nicht glauben! * Bevor Butler Parker das Magazin betrat - er hatte den Eingang inzwischen entdeckt - entstaubte und ordnete er seinen schwarzen Zweireiher. Dann legte er den Griff
seines Universal-Regenschirms korrekt über den linken Unterarm, setzte sich die schwarze Melone zurecht und stieg in das Fort ein. Natürlich hatte er vorher einige zusätzliche Vorbereitungen getroffen. Das Reinungsbenzin befand sich jetzt in den Plastikbeuteln, die die ölgetränkte Putzwolle enthielten. Mit der Taschenlampe leuchtete er seinen Weg aus und konnte sich dabei an Spuren halten, die auf dem Stollenboden deutlich zu erkennen waren. Es ging über Treppen, Galerien und Gänge steil und tief in den Berg hinein. Parker, der wieder festen Boden unter den Füßen hatte, hatte nun keine Bedenken mehr. Als er Musikfetzen und Stimmen hörte, blieb er stehen. Er schaltete die Taschenlampe aus und pirschte sich vorsichtig weiter, bis er eine nur angelehnte Stahltür erreicht hatte. Zigarettenrauch kitzelte seine Nasenschleimhäute. Parker warf einen Blick in den großen Raum und sah seine sechs Gangster, die um einen Tisch saßen und aus Konserven aßen. Die Gangster waren bester Stimmung. Natürlich fühlten sie sich vollkommen sicher hier in diesem ehemaligen Fort. Parker ging jedem unnötigen Streit aus dem Weg. Er drückte die Tür vorsichtig zu, vermißte aber einen Riegel oder ein Schloß, um sie zusperren zu können. Doch ein Josuah Parker wußte sich auch jetzt zu helfen. Er schob die Stahlzwinge seines UniversalRegenschirms unter die untere Kante der Stahltür, daß sie wie ein Keil
wirkte, der die Tür erst mal zuhielt. Dann bemühte er einen seiner Patent-Kugelschreiber. Dieser Kugelschreiber sah aus wie ein echtes Schreibgerät, doch er hatte es in sich. Er enthielt eine Thermitfüllung, die, einmal gezündet, wie ein MiniaturSchweißgerät wirkte. Parker verdrehte die beiden Hälften des Kugelschreibers gegeneinander und drückte die sofort sprühende und gleißende Spitze zwischen Tür und Rahmen. Das Resultat war frappierend. Die Thermitfüllung entwickelte ungeheure Hitzegrade. Das Stahlblech der Tür und der Stahl des Rahmens schmolzen und gingen eine innige Verbindung miteinander ein. Glühende Stahltropfen sickerten und rannen nach unten und bildeten zusätzliche Schweißtropfen, die Tür und Rahmen zusammenfügten. In der Kasematte war man jetzt aufmerksam geworden. Schwere Körper warfen sich gegen die Eisentür, die jedoch nicht nachgab, da der als Keil wirkende Regenschirm die Tür fest im Rahmen hielt. Inzwischen erkaltete auch die etwa fünfzehn Zentimeter lange Schweißnaht und machte ein Aufbrechen unmöglich. Butler Parker hob seinen Regenschirm auf, legte ihn sich wieder korrekt über den linken Unterarm und schritt gemessen weiter. Um das Fußvolk des Mr. Peawood brauchte er sich nun nicht mehr zu kümmern. Er brachte eine weitere Treppe und Galerie hinter sich, hörte laute, schnelle Schritte und preßte sich in eine Mauernische. Er holte eine der
kleinen Lackspraydosen hervor und wartete ab. Nach wenigen Sekunden schon brauste ein Mann heran, der eine Maschinenpistole in Händen hielt. Er war durch die beißenden Dämpfe der Thermitladung alarmiert worden und wollte die Ursache dieser intensiven Rauchentwicklung ergründen. Parker erledigte dieses Problem mit dem Bambusgriff seines Universal-Regenschirms. Er ließ den Mann passieren, hakte dann wie ein Schäfer mit dem Griff nach der Wade des Dahineilenden und ließ ihn gründlich stolpern. Der Mann warf die Maschinenpistole weit in die Dunkelheit hinein, warf sich ihr nach und landete klatschend auf dem Steinboden der Galerie. Bevor er sich aufrichten konnte, legte Parker ihm den bleigefütterten Griff auf die Stirn. Daraufhin gab der Mann erst einmal Ruhe. Parker zog ihn in die Mauernische, ließ ihn dort niederhocken und ging dann weiter. Die Maschinenpistole nahm er selbstverständlich mit. * »Immer noch nichts zu sehen«, sagte Füllers. Er stand zusammen mit Peawood und Judy Glaston vorn in der Kaverne und schaute durch sein Fernglas nach unten ins Dorf. »Wer wartet jetzt eigentlich auf wen?« erkundigte sich Judy Glaston ironisch. »Er wird es in der Nacht versuchen«, meinte Peawood. »Gehen wir zurück in die Messe.«
»Und wenn er sich dann immer noch nicht blicken läßt?« wollte Judy Glaston wissen. »Rufen wir ihn im Hotel an.« Peawood war schlechter Laune. Bisher war er immer hoch nicht auf seine Kosten gekommen. Er wollte noch etwas sagen, doch plötzlich nahm Füllers ruckartig den Kopf herum, schnupperte und deutete in den Eingangsstollen. »Rauch«, sagte er überrascht. »Da scheint was zu brennen.« »Riecht nach öl«, fügte Judy Glaston hinzu. »Diese Idioten«, fuhr Peawood auf. »Wahrscheinlich haben sie irgendwelchen Unsinn angestellt. Los, schnell!« Sie liefen in den Eingangsstollen und husteten bald um die Wette. Fetter, öliger Qualm schlug ihnen entgegen. Sie kämpften sich weiter in das Magazin hinein, bis Füllers endlich eine Deutung fand. »Das kommt aus der Messe«, sagte er überrascht. »Was kann denn da brennen? Das begreife ich nicht!« Peawood, Füllers und Judy Glaston schoben sich vorsichtig an die geöffnete Stähltür heran, aus deren spaltbreiter Öffnung die Rauchschwaden in den Hauptstollen drangen. Füllers mußte, ob er wollte oder nicht, als erster hinein. Er blieb knapp neben der Tür stehen und deutete auf eine Handvoll Putzwolle, die lichterloh brannte und schrecklich qualmte. »Parker«, sagte Judy Glaston automatisch. »Quatsch!« Peawood fuhr sie wütend an.
»Und was ist das da?« Judy Glaston hustete und deutete auf die weiß gekalkte Wand. »Parker war hier«, las Füllers. Diese drei Worte standen groß und deutlich auf der Wand. Der rote Lack glänzte noch frisch. »Das gibt's doch nicht«, brüllte Peawood. »Parker war hier! Parker war hier! Wie soll er denn ins Magazin gekommen sein, he? Hier scheint sich irgend jemand einen dummen Streich erlaubt zu haben.« »Keineswegs und mitnichten«, sagte in diesem Moment Parker von der Tür her. Peawood, Füllers und Judy Glaston fuhren herum und stierten den Butler fassungslos an, der grüßend seine schwarze Melone lüftete und dann die Tür ins Schloß warf. Füllers jagte sofort los, warf sich gegen die Tür, doch sie saß eisern im Rahmen fest. Peawood stemmte sich gegen den langen Schließhebel und schaffte es auch, ihn hochzuschieben, doch die Tür rührte sich nicht. Dafür war ein fast giftiges Zischen zu hören, und der Stahlrahmen färbte sich in Höhe des Schlosses glutrot. »Was... Was bedeutet das?« fragte Peawood. Seine Stimme klang sehr heiser. »Was bedeutet das? Was bedeutet das?« höhnte Judy Glaston. »Das bedeutet, daß Parker uns festgesetzt hat, du Idiot!« Peawood verlor die Nerven, erlitt einen ausgeprägten Tobsuchtsanfall und schlug auf seine Freundin Judy ein, die zu Boden ging. Als Peawood nach ihr treten wollte, entdeckte Füllers den Kavalier in und an sich.
Er holte aus, versetzte seinem Chef einen Kinnhaken und schickte ihn zu Boden. »Dieser Idiot«, schluchzte Judy Glaston. »Ich habe ihm ja gleich gesagt, daß er gegen diesen Parker keine Chance hat. Reiner Größenwahnsinn von ihm, sowas zu versuchen.« »Und wir stecken fest«, sagte Füllers wütend. »Na und?« gab sie zurück. »Ich bin froh, wenn dieser Irre endlich wieder hinter Schloß und Riegel kommt.« Wen sie meinte, war klar zu erkennen. Sie deutete auf Paul P. Peawood. * »Sie haben sich wieder mal sehr viel Zeit gelassen«, tadelte Lady Simpson, als Parker die schwere Eisentür zur Kasematte geöffnet und seine schwarze Melone höflich gelüftet hatte. »Mylady mögen gütigst entschuldigen«, erwiderte Parker würdevoll. »Hier im Magazin gab es noch einige Dinge zu regeln.« »Sitzen diese Lümmel fest?« erkundigte sich die Detektivin. »Ohne Ausnahme, Mylady«, sagte Parker. »Darf ich mich nach dem Befinden Myladys erkundigen?« »Ich glaube, mein Kreislauf ist etwas in Unordnung geraten, Mr. Parker.« Butler Parker wußte zu helfen. Aus der Innentasche seines schwarzen Zweireihers holte er die bekannte, lederumspannte Taschenflasche hervor, schraubte den flachen Silberbecher ab und goß
einen Kognak ein, den man durchaus als doppelt und dreifach bezeichnen konnte. Während die ältere Dame etwas für ihre Gesundheit tat, blickte Parker in Richtung Kathy Porter und May Trent. »Alles in Ordnung, Mr. Parker«, beruhigte Kathy Porter den Butler.« Ich wußte nicht, wie Sie es schaffen würden, aber ich wußte, daß Sie kommen würden!« »Vielen Dank für dieses Vertrauen«, entgegnete Parker. »Ich sah mich allerdings gezwungen, mich in einer Sportart zu versuchen, die ich als ausgesprochen heikel bezeichnen möchte.« »Sind Sie an der Steilwand hochgekrochen?« erkundigte sich Agatha Simpson. »Ich brauche übrigens noch ein Tröpfchen, Mr. Parker.« »Wie Mylady wünschen.« Parker goß nach. »Die Steilwand, Mylady, schied aus technischen Gründen aus, zumal ich annehme, daß meine bescheidene Wenigkeit nicht ganz schwindelfrei ist.« »Schön, Sie sind also geflogen«, spöttelte Parkers Herrin. »In der Tat, Mylady«, pflichtete Parker ihr bei. »Und zwar mittels eines Drachens, wenn ich es so ausdrücken darf.« »Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?« »Ich war so frei, mich eines Drachengleiters zu bedienen«, erläuterte der Butler. »Eine Erfahrung, die ich zwar nicht mehr missen möchte, aber eine Sportart, der ich mich wahrscheinlich nicht verschreiben werde.«
Als er näher berichtet hatte, sahen die drei Frauen ihn fast schon bewundernd an. »Nicht schlecht«, sagte Agatha Simpson schließlich. »Man fliegt also wie ein Vogel?« »Einem Vogel ähnlich, Mylady«, antwortete Parker. »Mr. Parker, haben Sie alle Gangster hier im Magazin ausgeschaltet?« erkundigte Kathy Porter sich betont. Sie ahnte, worauf die ältere Dame hinaus wollte. »Wenn ich aufzählen darf«, schickte Parker voraus. »Da sind Mr. Peawood, Miß Glaston und Füllers, ferner die sechs Männer in der Kasematte und die beiden Gangster, die ich in den Galerien nacheinander ausschalten konnte.« »Und was geschieht mit ihnen?« »Man sollte sie bei passender Gelegenheit den Behörden übergeben.« »Kann man denn etwas gegen sie ausrichten?« fragte May Trent. »Das Waffenarsenal allein hier im Magazin reicht zu einer Anklage aus«, beruhigte Parker sie. »Sie, Miß Trent, werden wohl kaum als Zeugin auftreten müssen, falls Sie nicht darauf bestehen.« »Und man kann mit solch einem Drachen jedes Ziel anfliegen?« fragte die Detektivin dazwischen. »Ich verzichte auf eine Anzeige«, meinte May Trent. »Ich möchte das alles schnell vergessen.« »Dann könnten wir ja jetzt gehen«, schlug Kathy Porter vor. »Wo befindet sich dieses Camp der jungen Drachenflieger?« fragte Agatha Simpson betont und bereits lautstärker.
Butler Parker und Kathy Porter tauschten einen schnellen Blick miteinander aus und enthielten sich jeden Kommentars. Lady Simpson als Schwalbe! Eine fülligere Schwalbe konnte man sich wohl nicht vorstellen. Josuah Parker, der sich stets unter, Kontrolle hatte, wandte sich schnell ab, damit Mylady sein Schmunzeln nicht mitbekam. Sie sah nur ein leichtes Vibrieren seiner Schultern, als er gegen sein Lachen ankämpfte und dachte sich erfreulicherweise nichts dabei.
»Es wird inzwischen aufgelöst sein, Mylady«, schwindelte Parker. »Papperlapapp«, grollte sie los. »Sie werden mich dorthin führen, Mr. Parker. Diese Drachenflieger werde ich mir mal aus der Nähe ansehen.« »Sie wollen doch nicht etwa auch fliegen, Mylady?« sagte May Trent ahnungslos. »Was dachten denn Sie?« lautete die prompte Antwort. »Trauen Sie mir so etwas nicht zu, Kindchen? Mr. Parker, sorgen Sie dafür, daß ich solch einen Drachen bekomme. Ich möchte auch wie ein Vogel schweben, der Schwalbe gleich.« ENDE
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Günter Dönges schrieb wieder einen neuen
Nr. 166
Mit Melone, Schirm und Panzer Das Unternehmen war generalstabsmäßig vorbereitet: Der aufgrund einer Neuentwicklung gebaute Panzer sollte entführt und außer Landes gebracht werden. Die Gangster wollten dazu unbedingt ein Großraumflugzeug einsetzen und einige Geiseln in Form hoher Militärs mitnehmen. Mit einer Panne war bei diesen Burschen eigentlich kaum zu rechnen, wenn Butler Parker und Lady Agatha nicht gewesen wären. Sie eröffneten eine Art Privatkrieg gegen die >Panzerbeschaffer<, wobei Lady Simpson sich wieder mal durch ihre technischen Fähigkeiten auszeichnete. Butler Parker hatte alle Mühe, seine energische Herrin zu bremsen, bevor er die raffinierten und entschlossenen Gegner im wahrsten Sinn des Wortes niederwalzen konnte. Günter Dönges schrieb einen neuen Parker-Krimi, in dem wieder gelacht und geschmunzelt werden darf, in dem aber auch die Freunde der Hochspannung voll auf ihre Kosten kommen. In der Neuauflage erscheint ©Butler Parker Nr. 134
PARKER setzt die »Viper« matt ebenfalls von Günter Dönges