Erle Stanley Gardner
Perry Mason und die eiskalten Hände Klassischer Krimi scanned by AnyBody corrected by JaBay Viel z...
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Erle Stanley Gardner
Perry Mason und die eiskalten Hände Klassischer Krimi scanned by AnyBody corrected by JaBay Viel zu kalt für eine frische Leiche ist Marvin Fremont, den der Tod im Bad ereilte. Denn: Er liegt nicht nur in seinem Blut, er liegt auch bis oben hin in Trockeneis. Viel zu kalt für eine junge Dame ist Nancy Banks, die das Glück am Turf überraschte. Denn: Sie setzt nicht nur alles auf einen Außenseiter, sie setzt sich auch ab, ohne ihren Riesengewinn zu kassieren. Viel zu kalt für einen alten Freund ist Leutnant Tragg neuerdings mit Perry Mason. Denn: Der Anwalt deckt offenbar nicht nur Betrüger, Diebe und Mörder, er deckt auch seine Karten nicht auf. Aber Perry Mason weiß, warum. Denn für die übliche Methode ist dieser Fall viel zu heiß. (Backcover) Herausgegeben von Bernd Jost Ullstein Krimi
So wichtig die forensische Medizin für die Öffentlichkeit auch ist - ihre Bedeutung kann noch erhöht werden durch Polizeibeamte, denen es Fähigkeit und Geist erlauben, mit den besten Köpfen der Gerichtsmedizin zusammenzuarbeiten. In Anerkennung seiner Gründlichkeit, Höflichkeit und fast unheimlich anmutenden Geschicklichkeit als Untersuchungsführer und seiner unerschütterlichen Treue zu seinen Idealen widme ich dieses Buch einem von ihnen: dem Deputy Superintendent des Boston Police Department, Joseph B. Fallen. ERLE STANLEY GARDNER (Aus dem Vorwort der Originalausgabe)
Inhalt Inhalt ................................................................................................ 2 1....................................................................................................... 3 2.....................................................................................................13 3.....................................................................................................17 4.....................................................................................................35 5.....................................................................................................41 6.....................................................................................................46 7.....................................................................................................58 8.....................................................................................................69 9.....................................................................................................77 10...................................................................................................88 11...................................................................................................97 12.................................................................................................109 13.................................................................................................116 14.................................................................................................119 15.................................................................................................137 16.................................................................................................143 17.................................................................................................168
1 »Jetzt kommt was ganz Neues, Chef«, meldete Della Street, Perry Masons Privatsekretärin. Mason sah von seinem Buch auf und schüttelte den Kopf. »Es gibt nichts wirklich Neues, Della.« »Diesmal doch. Im Vorzimmer wartet eine Mandantin, die behauptet, sie könne Ihnen nur zwanzig Minuten geben und nicht mehr.« »Sie kann mir zwanzig Minuten geben?« fragte Mason. »So sagt sie.« »Na, das ist allerdings eine neue Masche«, gab Mason zu. »Wie heißt sie, Della?« »Audrey Bicknell.« »Alter?« »Ende Zwanzig.« »Blond, brünett, rothaarig?« »Ein ausgesprochen brünetter Typ, sehr feurig, ausgeprägte Persönlichkeit - so etwas wie ein schwarzer Opal. Sie wird Ihnen gefallen.« »Anständig?« »Ich würde sagen, ja. Aber irgendwie steht sie schrecklich unter Druck. In den zwei oder drei Minuten, die ich mit ihr sprach, hat sie mindestens fünfmal auf die Uhr gesehen. Sie ist Sekretärin, zur Zeit ohne Beschäftigung, ledig und bewohnt ein Apartment. Bisher hat sie es allein finanziert, sucht jetzt aber eine junge Dame mit ähnlichem Beruf, die sich an den Unkosten beteiligt.« »Haben Sie gefragt, warum sie mich sprechen will?« »Ja. Sie sagt, sie habe nur die Zeit, alles einmal zu erklären. Das wolle sie lieber bei Ihnen tun, und die Sache sei ziemlich wichtig.« »Also gut«, erwiderte Mason, »holen wir sie herein, Della. Nur um zu sehen, um was es sich handelt. Ich nehme an, sie ist attraktiv?« -3 -
Della Street zeichnete mit den Händen bedächtig Kurven und Konturen in die Luft. Mason grinste. »Also, worauf warten wir noch, Della?« »Ein Instinkt warnt mich«, entgegnete Della Street. »Ich habe den Eindruck, dieses Mädchen ist es gewöhnt, mit ihrer dynamischen, schillernden Persönlichkeit alle im Sturm zu nehmen. Und sie glaubt offenbar, ihr Auftreten wirke auf einen Mann mehr als auf eine Frau.« »Na gut, wir wollen sehen«, sagte Mason. »Jetzt haben Sie mich so neugierig gemacht, daß ich das Mädchen nicht mehr fortlassen würde, selbst wenn wir dadurch mit unserem VierUhr-Termin ins Gedränge kämen.« »Sie haben genau zehn Minuten«, stellte Della fest. »Und sie will mir zwanzig geben.« Della sah auf die Uhr, ging ins Vorzimmer und kehrte gleich darauf mit Audrey Bicknell zurück. »Miss Bicknell - Mr. Mason«, stellte sie vor. Audrey Bicknell ging Mason mit einer raschen, impulsiven Bewegung entgegen, gab ihm die Hand und sah mit ihren ausdrucksvollen schwarzen Augen lächelnd zu ihm auf. »Sie sind sehr liebenswürdig, Mr. Mason, daß Sie mich gleich empfangen. Ich weiß, man braucht sonst einen Termin, aber meine Sache ist von größter Dringlichkeit, und ich ...« - sie brach ab, um auf ihre Uhr zu sehen, und lächelte - »... muß mich überaus kurz fassen. Ist es Ihnen recht, wenn ich gleich anfange und ... nun, mich nicht erst bei der Vorrede aufhalte?« »Bitte sehr«, sagte Mason. »Ich habe Ihrer Sekretärin schon meinen Namen und meine Adresse angegeben«, fuhr sie fort. »Was ich von Ihnen will, kann ich Ihnen in wenigen Worten sagen. Ich nehme an, Sie besuchen gelegentlich Pferderennen?« »Ja.« »Und kennen sich im Wettverfahren auf der Rennbahn aus?« Mason nickte. -4 -
»Ich habe hier fünf Wettscheine zu je hundert Dollar auf Pferd Nr. 4 mit dem Namen >Landser<, das heute nachmittag im dritten Rennen läuft. Als die Scheine gekauft wurden, stand die Quotenvoraussage fast fünfzig zu eins. Ich denke, eine Wette in dieser Höhe wird die Quote etwas drücken, und ich weiß natürlich, daß die geschätzten Quoten nicht maßgebend sind, aber - nun, auf jeden Fall wird das Pferd viel einbringen.« »Falls es siegt«, sagte Mason. »Oder vielleicht sollte ich sagen, falls es gesiegt hat, denn das Rennen ist inzwischen zweifellos vorbei.« »Falls es gesiegt hat«, wiederholte sie. »Und was soll ich für Sie tun?« fragte Mason. »Ich möchte, daß Sie diese Wettscheine an sich nehmen und aufbewahren. Wenn das Pferd gesiegt hat, lösen Sie die Scheine bitte ein und geben mir das Bargeld gemäß späterer Anweisungen.« »Moment mal«, sagte Mason. »Sie haben diese Wettscheine selbst gekauft?« »Ja.« »Darf ich fragen, ob Sie regelmäßig Rennwetten buchen, ob dies ...« »Es ist das dritte Mal in meinem Leben, daß ich gewettet habe das heißt, auf diese Art. Ich habe gelegentlich zwei Dollar gesetzt durch ...« Sie schlug die Augen nieder. »Durch Buchmacher.« »Wie kamen Sie an die Buchmacher heran?« »Durch einen jungen Mann in dem Büro, wo ich gearbeitet habe. Er wußte, wo man am besten setzt. Manchmal sind wir zu einer regulären Wettannahmestelle gegangen oder auch ... na, ab und zu habe ich eben was gesetzt.« »Nie mehr als zwei Dollar?« »Nein.« »Sie müssen einen recht guten Tip für dieses Pferd gehabt haben«, stellte Mason fest. »Tut das was zur Sache?« -5 -
»Nicht beim Einlösen der Wettscheine. Aber ich versuche, mir ein vollständiges Bild zu machen, damit ich Sie absichern kann und ... nun, offen gesagt, auch mich selbst.« »Soweit es Sie betrifft, ist keine Absicherung erforderlich«, erwiderte sie. »Sie gehen einfach morgen nachmittag zum Wettschalter - dem Schalter, der für die Auszahlung der Gewinnwetten vom Vortag reserviert ist -, legen die Scheine vor, erhalten das Geld und warten auf meine Instruktionen.« »Und wenn das Pferd verloren hat?« fragte Mason. »Dann brauchen Sie auch nicht zur Rennbahn zu gehen«, entgegnete sie lächelnd. »Sie scheinen ziemlich sicher zu sein, daß Ihr Pferd siegen wird oder gesiegt hat.« »Ich würde bestimmt nicht auf einen Versager setzen«, sagte sie. »Aber Sie irren sich, wenn Sie meinen, ich hätte irgendeine Information im voraus gehabt. Ich suche die Pferde intuitiv aus, meist nach ihrem Namen.« »Also gut«, sagte Mason. »Jetzt werde ich Sie einiges fragen. Sie waren auf der Rennbahn, um die Wetten zu buchen und die Tickets zu erhalten?« Sie zögerte einen Moment und sagte dann: »Ja.« »Und Sie haben die Rennbahn verlassen, bevor das Rennen gelaufen war?« Wieder zögerte sie, ehe sie bejahte. »Also wissen Sie jetzt nicht, ob dieses Pferd gesiegt hat oder nicht?« »Nein.« »Aber bei einer geschätzten Quote dieser Art muß Ihr Pferd wohl ziemlich weit unten auf der Liste gestanden haben.« »Das liegt ja auf der Hand. Mr. Mason. Müssen wir meine knappe Zeit in Anspruch nehmen, um das alles noch einmal durchzugehen? Können Sie diese Dinge nicht als gegeben voraussetzen?«
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»Ich wollte Ihnen damit nur zeigen, daß ich die Dinge im Kopf habe«, erwiderte Mason, »denn ich möchte Sie jetzt fragen, warum Sie die Rennbahn verließen, bevor das Rennen gelaufen war. Dieser hohe Einsatz muß Sie doch einen Entschluß gekostet haben. Sie riskierten ein gefährliches Spiel, selbst wenn Sie einen besonders guten Tip hatten. Ein Gewinn muß Ihnen zweifellos sehr viel bedeuten.« »Auch das können Sie als gegeben voraussetzen.« »Warum also sind Sie vorher fortgegangen?« »Das zu erörtern, habe ich keine Zeit. Ich bitte Sie nur, dieses Geld als mein Anwalt für mich zu kassieren. Hier sind zwanzig Dollar Honorarvorschuß. Wenn das Pferd gesiegt hat, werde ich eine Regelung mit Ihnen treffen und Sie für die auf der Rennbahn verlorene Zeit entschädigen. Hat das Pferd nicht gewonnen, brauchen Sie die Wettscheine nur in den Papierkorb zu werfen. In dem Fall haben Sie immerhin zwanzig Dollar für diese Unterredung.« »Wie erreiche ich Sie?« fragte Mason. »Ich werde mich bei Ihnen melden.« »Wann?« »Morgen. Auf welcher Nummer kann ich Sie anrufen?« »Morgen ist Sonnabend. Mein Büro ist geschlossen. Aber die Detektei Drake hat ihre Büroräume in diesem Stock und ist täglich 24 Stunden geöffnet. Rufen Sie die Nummer an, und fragen Sie nach Paul Drake. Er kann mich jederzeit erreichen. Falls das Pferd jedoch gewonnen haben sollte, möchte ich nicht einen ganzen Haufen Geld mit mir herumschleppen. Ich könnte es gegen Bankscheck hinterlegen ...« »Keine Schecks«, unterbrach sie. »Ich brauche Bargeld. Aber bitte keine größeren Noten als Hundert-Dollar-Scheine. Das dürfte wohl kein erhebliches Risiko für einen so berühmten Mann wie Sie sein. Ich nehme an, Sie haben einen Waffenschein?« »Den habe ich.«
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»Dann machen Sie eben Gebrauch davon«, sagte sie augenzwinkernd. »Ich hätte es nicht gern, wenn man Sie überfiele und Ihnen mein Geld abnähme. Seien Sie vorsichtig.« Sie stand plötzlich auf, beglückte Mason mit einem verwirrenden Lächeln und sagte: »Ich danke Ihnen vielmals, Mr. Mason.« Dann drehte sie sich zu Della Street und gab ihr die Hand. »Sie waren so reizend und aufmerksam, Miss Street. Ich weiß das zu schätzen.« Damit eilte sie zur Tür und hinaus auf den Flur. »Moment noch«, rief Mason, »ich möchte ...« Der Knall, mit dem die Tür zufiel, verschluckte seine Worte. »Soll ich sie zurückholen?« fragte Della. Mason schüttelte den Kopf und lächelte. »Ich kann sie fragen, wenn wir sie wiedersehen.« »Glauben Sie, daß wir sie wiedersehen werden?« Mason nickte. »Was für Chancen mag dieses Pferd wohl haben?« fragte Della. »Das Pferd«, erwiderte Mason, »hat schon gesiegt.« »Wieso glauben Sie das?« »Sie hat den Platz erst nach dem Rennen verlassen«, sagte Mason. »Sie ist viel zu aufgeregt, zu angespannt. Ich glaube nicht, daß irgendeine Macht der Welt - außer Lebensgefahr sie von der Rennbahn hätte vertreiben können, nachdem sie fünfhundert Dollar auf Sieg für ein Pferd gesetzt hatte, dessen Gewinnquote auf fünfzig zu eins geschätzt war.« »Ein Bericht vom Rennen wird um 5.30 Uhr im Radio gebracht«, sagte Della Street. »Wir wollten uns ihn mal anhören«. »Können wir tun«, stimmte Mason zu, »aber ich wette schon jetzt mit Ihnen, daß >Landser< das Rennen gemacht hat.« Della Street hob die Augenbrauen. »So sicher sind Sie?« »Die Wetten müssen am Platz gebucht werden«, erklärte Mason. »Es kann erst jeweils nach dem vorhergehenden -8 -
Rennen gesetzt werden. Dann hat also unsere mysteriöse Mandantin ihre Wette über fünfhundert Dollar auf ein Pferd placiert, das ziemlich am Ende der Liste stand. Können Sie sich irgendwelche Umstände vorstellen, die sie bewogen hätten, den Platz vor dem Rennen zu verlassen?« »Höchstens einen Mord«, gab Della Street zu. Mason quittierte diese Bemerkung mit nachdenklichem Stirnrunzeln. »Nun?« fragte sie. »Ich wollte sagen«, fuhr Mason fort, »daß wir >Landsers< Sieg wohl als gegeben voraussetzen können; ebenso dürfen wir annehmen, daß unsere Mandantin auf dem Rennplatz blieb, bis das Ergebnis feststand, daß sie es aber aus irgendwelchen, nur ihr bekannten Gründen nicht wagt, die Gewinnscheine am Wettschalter vorzulegen. Wir können unsere Theorie durch die Feststellung untermauern, daß ein junges Mädchen in mittleren Verhältnissen andernfalls wohl kaum einen Anwalt bemühen würde. Ferner hätte sie, falls etwas passiert war und sie vor dem Rennen fort mußte, die zwanzig Dollar sparen können, indem sie die Rundfunkdurchsage der Rennergebnisse abgewartet hätte und danach zum Anwalt gegangen wäre ... allerdings konnten die Anwaltsbüros dann schon geschlossen sein - wir haben Freitag nachmittag.« »All das ist so logisch, daß Sie mich völlig überzeugt haben«, sagte Della Street. »Das Dumme ist nur«, setzte Mason seine Überlegungen fort, »daß wir hier von >gegebenen Voraussetzungen< ausgehen. Nichts ist gefährlicher in der juristischen Praxis, als Dinge für selbstverständlich zu halten.« Das Telefon läutete. Della nahm ab und legte kurz darauf den Hörer wieder auf. »Ihre Besprechung um vier Uhr fällt aus. Darf ich vorschlagen, daß wir bis 5.30 Uhr Post erledigen und dann die Reportage vom Pferderennen einschalten?« Mason nickte.
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»Wunderbar«, sagte Della lächelnd, »daß wir einiges an Korrespondenz aufholen können. Es wird höchste Zeit.« Mason öffnete einen Ordner mit dem roten Schild DRINGEND und nahm einen Brief heraus. Er überflog ihn kurz und reichte ihn Della hinüber. »Schreiben Sie diesem Mann, ich sei nicht interessiert.« Er las den nächsten Brief, gab ihn Della und bestimmte: »Sagen Sie diesem hier, ich müsse mehr über die näheren Umstände des Falles wissen und besonders über den Zeugen.« Della Street nahm Brief für Brief entgegen und machte sich stenografische Notizen über die Art der Antworten. Um 5.15 Uhr war der Stapel aufgearbeitet. »Hier, dieses Schreiben ist zwar nicht dringend, aber doch einigermaßen wichtig«, versuchte es Della weiter. Mason schüttelte energisch den Kopf. »Für heute reicht's mir mit der Korrespondenz. Ich schreibe gern Briefe an Freunde, aber ich hasse Geschäftspost. Die Antworten kommen ebenso schnell herein, wie die Briefe herausgehen. Holen Sie die Kaffeemaschine, Della, wir wollen uns eine Tasse machen. Und rufen Sie Paul Drake an, ob er rüberkommen und mittrinken will. Sagen Sie ihm, wir wollen eine Aufzeichnung, oder was das ist, vom Pferderennen hören.« Della nickte und ging zum Schrank, in dem die elektrische Kaffeemaschine, der Kaffee, Tassen, Zucker und Sahne aufbewahrt wurden. Dann rief sie Paul Drake an. »Er kommt«, sagte sie. »Angeblich hat er einen tollen Tip für das dritte Rennen und noch eine kleine Wette gebucht.« »Für das dritte?« fragte Mason. »Da läuft doch auch >Landser<.« Della nickte wieder. »Also, wäre es nicht zu charmant, wenn auch Paul Drake einen Tip für >Landser< als Sieger hätte?« »Aha«, sagte Della, als sie Drakes Klopfzeichen an der Tür hörte, »da ist schon unser Glücksritter.« Sie öffnete. -1 0 -
»Tag, Süße«, begrüßte Drake sie. »Wieso das plötzliche Interesse am Rennsport?« Della blickte in Perry Masons Richtung und sagte: »Kein Kommentar.« Mason grinste. »Wir wollen uns nur ein bißchen entspannen, Paul. Die Arbeit artet allmählich in Schinderei aus, nach dem Schema: morgens ins Büro kommen, ringen mit Telefon und Korrespondenz, ins Gericht jagen zur Verhandlung, zurück ins Büro, und . ..« »Es ist herzzerreißend«, stimmte Paul Drake zu. »Aber du hast meine Frage noch nicht beantwortet.« »Seit wann interessierst du dich denn für Pferderennen?« fragte Mason. »Ein Hobby«, erwiderte Drake, »es soll mich vom Geschäft ablenken. Ich übertrete die Gesetze, indem ich einen Buchmacher beschäftige. Zum Rennplatz kann ich nicht gehen. Gelegentlich kriege ich auch einen heißen Tip. Aber du weichst meiner Frage aus: Wie steht es mit deinem Interesse am Rennsport?« »Nur ein Hobby«, echote Mason, »zur Ablenkung vom Geschäft.« »Ich sollte eine Patentgebühr von dir fordern«, sagte Drake. »Haben wir eigentlich Pfannkuchen zum Kaffee, Della?« »Wenn Sie runtergehen und welche holen.« »Ich gehe. Dieser Laden um die Ecke hat sich auf frische Krapfen spezialisiert. Ich nehme Schokoladenguß, Puderzucker und...« »Keinen Schokoladenguß für mich«, unterbrach Della. »Für mich auch nicht«, stimmte Mason ein. »Dann passe ich auch«, sagte Drake widerstrebend. »Wie heißt dein Pferd, Perry?« »Es läuft im dritten Rennen und heißt >Landser<.« »>Landser< !« rief Drake.
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Mason nickte, beobachtete aber Drakes Gesicht genau. Drake warf den Kopf zurück und brach in Gelächter aus. »Was ist denn?« erkundigte sich Mason. »>Landser<«, wiederholte Drake. »Du meine Güte, warum stiftest du dein Geld nicht gleich der Rennleitung, und der Fall ist erledigt? >Landser< hat auch nicht die kleinste Chance. Der hat noch keine Viertelrunde gedreht, wenn der Sieger schon am Ziel ist. Nein, >Donnerwetter< heißt der Gaul, auf den man setzen muß. Du lieber Himmel, Perry, erzähl mir nicht, du spielst einen von diesen Außenseiter-Tips; sie sind keinen Cent wert.« »Ich verstehe wenig davon«, sagte Mason bescheiden. »Das kann man wohl sagen. Du bist auf den ältesten Dreh im Rennsport reingefallen. Jetzt hör zu und laß dich aus erster Quelle informieren: Alle möglichen Sorten von Tips schwirren herum, gute und schlechte. Wenn du einen regulären Tipster beschäftigst, der weiß, daß du seine Tips benutzt, versucht er, dir einen Sieger zu nennen. Bist du aber kein Stammkunde, und der Tipgeber glaubt, er kann dich nur einmal bedienen, dann sucht er dir einen hoffnungslosen Außenseiter aus. Die einzig richtige Methode ist, ein Pferd auf Grund seiner vorherigen Leistungen, des Gewichts, das der Gaul trägt, des Zustands der Bahn und vor allem des Jockeis... Sag mal, Perry, wer war dein Tipster? Kennst du ihn?« »Nein.« »Ein ziemlich schäbig aussehender Kerl, der ...« »Eine elegant gekleidete Frau.« »Eine Frau?« »So ist es.« »Attraktiv?« »Und ob.« »Wie alt?« »Fünf- oder sechsundzwanzig.« Drake lachte wiehernd. »Erzähl das bloß keinem, Perry. Der gerissenste aller Anwälte fällt auf einen Dreh rein, der so alt ist, daß er einen Bart hat. Du kannst wetten, diese Frau hat noch zwei Dutzend weiteren Anfängern denselben Tip verkauft. Als hübsche Puppe kann sie überall aufkreuzen - oh, Perry!« Mason sah auf seine Uhr. »Schönen Dank für die nützlichen Hinweise, Paul. Und jetzt - wenn wir losgehen sollen, diese Krapfen holen . ..« -1 2 -
Drake feixte. »Soll heißen, mach dich besser auf den Weg. Okay, bin schon weg.« Mason sah Della Street an und lachte. »Wir dürfen wohl getrost annehmen, daß Paul Drake nicht auf >Landser< gesetzt hat.«
2 Die Stimme des Sportreporters dröhnte aus dem Lautsprecher: »Im dritten Rennen sind sie los. Ein guter Start. Sie laufen noch dicht gedrängt. >Donnerwetter<, der Favorit, setzt sich an der Außenbahn an die Spitze. >Eisenfresser< ist Zweiter, >Stilles Wasser< Dritter, >Carte Blanche< liegt auf dem vierten Platz. >Landser< ist Fünfter. In der Gegenkurve führt >Donnerwetter< jetzt mit einer Länge. >Stilles Wasser< folgt, >Eisenfresser< ist Dritter. Beim Einbiegen in die Gegengerade führt >Donnerwetter< noch mit einer Länge Vorsprung. >Stilles Wasser< und >Eisenfresser< laufen Kopf an Kopf als Zweite. >Goldgrube< liegt um Halslänge vor >Carte Blanche<.« Drake grinste, holte einen schokoladeüberzogenen Krapfen aus der Tüte und biß hinein. »Sieht so aus, als ob ich den Vogel abgeschossen hätte«, sagte er und mußte im nächsten Moment lachen. »>LandserStilles Wasser< fällt zurück. >Landser< kommt jetzt rasch aus dem hinteren Feld heran. Er hat >Carte Blanche< überholt, jetzt auch >Stilles Wasser<. Er greift >Eisenfresser< an!« Paul Drake legte langsam seinen Schokoladenkrapfen weg, setzte die Kaffeetasse ab und schielte zu Perry Mason hinüber. »>Donnerwetter< und >Eisenfresser< laufen Kopf an Kopf, dann folgt >Landser<. >Stilles Wasser< liegt um Halslänge hinter ihm. >Goldgrube< fällt um eine ganze Länge zurück. Hinter ihr >Carte Blanche<. >Eisenfresser< zieht an >Donnerwetter< vorbei. >Eisenfresser< führt jetzt mit Halslänge, >Donnerwetter< an zweiter, >Landser< an dritter Stelle. >Landser< schiebt sich nach vorn. >Landser< und -1 3 -
>Eisenfresser< laufen Hals an Hals. Und jetzt führt >Landser< mit Halslänge! >Landser< im Finish. >Landser< mit Halslänge! Erster >Landser<, Zweiter >Eisenfresser<, Dritter >Donnerwetter<.« Della Street schaltete das Radio aus. »Jetzt können Sie Ihren Krapfen aufessen, Paul.« Paul Drakes Stimme klang fast ehrfurchtsvoll. »Das ist kaum zu fassen.« Er kaute. »Lassen Sie doch den Kasten an, Della, wir wollen die Gewinnquote hören. Lieber Himmel, der Gaul muß ja die gesamte US-Notenbank auf dem Buckel geschleppt haben. >Landser< - ausgerechnet der! Der hatte doch gar kein Recht zu gewinnen. Das ist das Letzte!« Della Street stellte das Radio wieder an und zückte ihren Bleistift, um die Wettergebnisse zu notieren. Dann gab sie Mason den Zettel. Paul Drake schüttelte den Kopf und pfiff durch die Zähne. »Siebenundfünfzig Dollar für zwei!« rief er. »Macht siebenundzwanzigeinhalb zu eins. Hast du zwei Dollar gesetzt?« Mason lächelte rätselhaft. »Ich hatte nur ein mehr oder weniger geschäftliches Interesse an dem Rennen, Paul.« »Siebenundfünfzig Dollar«, wiederholte Drake andächtig. »Du meine Güte, wißt ihr Unschuldsengel, was das heißt? Wenn jemand den Nerv gehabt hätte, hundert Dollar auf >Landser< zu setzen, hätte er jetzt 2750 draus gemacht.« Drake schüttelte den Kopf, seufzte wehmütig und sagte noch einmal: »2750 Piepen. Und selbst eine Fünfzig-Dollar-Wette hätte ...« »Und wie wäre es bei zwei Dollar gewesen?« unterbrach Mason. Drake lächelte. »Eine Zwei-Dollar-Wette hätte dir 55 Dollar netto eingebracht. Damit wären deine gesamten Spesen auf dem Rennplatz gedeckt gewesen einschließlich Abendessen mit Kerzenlicht, Sekt und einer schicken Puppe, dazu ein -1 4 -
bißchen Tanz ...« Dann schüttelte er energisch den Kopf. »Aber ich hab' ja keine zwei Dollar auf ihn gesetzt, ich hab' sie auf >Donnerwetter< verloren. Dafür verspeise ich jetzt einen Pfannkuchen mit Schokoladenguß. Aber du und Della, ihr werdet jetzt wohl toll ausgehen.« »Keine schlechte Idee, Della«, sagte Mason. »Warum sollten wir nicht bei Kerzenschein soupieren und uns ein hübsches Filet mignon mit gebackenen Kartoffeln leisten?« »Weil meine Figur die Beziehung zu Kartoffeln abgebrochen hat. Sagen Sie junge Erbsen, und die Sache ist perfekt.« Drake seufzte wehleidig. »Nett zu hören, wie die andere Seite lebt«, sagte er und schob seine Tasse zurück. »Na denn, ich hab' noch einen Riesenhaufen Arbeit, ehe ich Feierabend machen kann. Wie bist du eigentlich an den Tip gekommen, Perry?« »Er hat ein neues System«, erklärte Della. »Es scheint unfehlbar zu sein.« Drake bekam große Augen. »Er kümmert sich überhaupt nicht um Odds oder Gewicht«, fuhr Della fort. »Auch nicht um den Zustand der Bahn oder um den Jockei. Er sieht einfach die Liste durch und pickt sich ein Pferd heraus, dessen Name ihm gefällt. Und >Landser< ist ja ein hübscher Name. Er hat so was Solides, Zuverlässiges ...« »Du meine Güte«, rief Drake verächtlich, »ihr Anfänger! Pleite machen werdet ihr mit dieser Methode. Nicht die kleinste Chance habt ihr dabei.« »Wissen wir«, sagte Mason. »Und wie bist du auf >Donnerwetter< gekommen, Paul?« »Auf Grund seiner früheren Leistungen, seines Exterieurs im Führring, seines ... ach, zum Teufel, mir langt's! Jedenfalls werden deine fünfundfünfzig Dollar bald im Eimer sein - bei diesem System.« Mason zog lässig die fünf Hundert-Dollar-Wettscheine heraus. »Ich halte nichts von kleinen Fischen. Das sind Tickets für insgesamt fünfhundert Dollar, auf Sieg.« -1 5 -
Drake betrachtete die Scheine sprachlos. »Über vierzehntausend Dollar«, sagte er beinahe ehrfurchtsvoll. Er sah dem Anwalt in die Augen. »Perry, du hast doch nicht na, jetzt weiß ich Bescheid.« Er riß die Tür auf. »Ehrliche Anstrengung ... hübscher Name - schert euch zum Teufel!« Damit schoß er durch die Tür. Mason lachte zu Della Street hinüber. »Also«, sagte sie, »wohin gehen wir von hier aus?« »Zum Essen«, erwiderte Mason. »Und morgen nachmittag zur Rennbahn. Zum Schalter, an dem die Wettgewinne vom Vortag ausgezahlt werden. Ich werde mit fünf Hundert-Dollar-Scheinen aufkreuzen. Nach Paul Drakes Rechnung muß ich dann wieviel bekommen, Della?« Della Street schrieb eilig ein paar Zahlen hin. »Eine hübsche runde Summe von 14 250 Dollar«, sagte sie. »Darin sind die gesetzten fünfhundert enthalten.« »Das wäre natürlich ein warmer Regen für eine junge Sekretärin ohne Job, die eine Mitbewohnerin für ihr Apartment sucht ... Ich habe übrigens gehört, daß das Finanzamt immer einen Vertreter zur Stelle hat, der Namen und Anschrift der großen Gewinner notiert.« »Wie reizend«, meinte Della, »das reinste Empfangskomitee. Sicher brauchen Sie einen Zeugen?« »Ganz bestimmt.« »Und wir müssen den Gewinn ja persönlich kassieren.« »So ist es«, bestätigte Mason. »Na, und die dringende Korrespondenz haben wir aufgearbeitet. Wir nehmen am besten eine Aktentasche für das Geld mit.« »Ob Sie mir wohl morgen ein Pferd aussuchen, auf das ich wetten kann? Eins mit einem netten, soliden Namen?« »Aber gewiß doch«, versprach Mason, »es wird mir ein Vergnügen sein.«
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3 Mason schlängelte sich durch den dichten Verkehr bis zu den Parkplätzen an der Rennbahn und fand schließlich noch eine Lücke. Er half Della Street aus dem Wagen. Sie gingen zur Haupttribüne. »Haben Sie schon ein Pferd für mich ausgesucht?« fragte Della. »Ein Pferd mit dem richtigen Namen, das sein Bestes geben wird?« »Habe ich«, sagte Mason. »Welches ist es?« »Es heißt >Pound Sterlings<. Klingt das nicht nach dickem Bankkonto?« »Oh, wundervoll«, rief Della. »Und was muß ich tun?« Mason überreichte ihr feierlich zwei Dollar. »Sie gehen zum Wettschalter, sobald er öffnet«, erklärte er, »geben dem Mann zwei Dollar und sagen ihm, Sie wollten auf Nr. 6 setzen. Das ist die Nummer von >Pound Sterlings< «. »Zwei Dollar?« fragte Della Street. »Auf ein Pferd mit solchem Namen? Ein Pferd, das der große Perry Mason ausgesucht hat? Zwei Dollar wären eine Beleidigung! Zehn werde ich setzen.« »Hören Sie, Della«, belehrte Mason sie, »ein Jux ist ein Jux, aber zehn Dollar sind zehn Dollar.« »>Pound Sterling< ist kein Jux«, widersprach sie, »er ist ein dickes Bankkonto. Der Name klingt danach.« »Nach zwei Dollar klingt er.« »Zehn Dollar.« »Zwei.« »Aber wenn er gewinnt, und Sie haben mir die Zehn-DollarWette ausgeredet, wie kämen Sie sich dann vor?« Mason seufzte. »Mit einer Frau zu argumentieren, ist Zeitverschwendung. Also zehn Dollar.« »Abgemacht«, sagte sie. Auf der Haupttribüne fanden sie noch Plätze. Die Wettschalter für das erste Rennen wurden geöffnet. Della Street kehrte vom
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Zehn-Dollar-Schalter mit einem Schein auf >Pound Sterling< zurück. »Auf Sieg«, sagte sie. »Nun, wir könnten auch gleich unsere geschäftlichen Pflichten erledigen«, schlug Mason vor. »Ich gehe zum Schalter, an dem die Gewinne von gestern ausgezahlt werden, und lege die Scheine vor. Sie begleiten mich als Zeugin, falls es zu einem Wortwechsel kommt.«. »Lassen die Leute sich denn auf Gespräche ein?« fragte Della Street. »Nicht der Mann am Schalter«, erklärte Mason. »Aber vielleicht ein anderer.« »Wer?« »Die Person, der unsere Mandantin ausweichen wollte. Kommen Sie.« »Wäre es nicht eine gute Idee«, meinte Della, »wenn ich mit einem Schein zum Schalter ginge und Sie im Hintergrund blieben, um die Lage zu peilen?« Mason schüttelte den Kopf. »Die Instruktionen unserer Mandantin lauten nur, die Scheine einzulösen. Wir können sie genausogut alle gleichzeitig vorlegen, und ich kann es selbst tun. Sollte es Ärger geben, will ich versuchen, die Sache so natürlich wie möglich hinzustellen. Niemand soll sagen können, ich hätte ein schlechtes Gewissen und versuchte deshalb, Sie vorzuschieben.« »Falls etwas passiert, soll ich dann so tun, als kenne ich Sie nicht, und mich abseits stellen?« »Nein«, sagte Mason, »Sie sind meine Sekretärin und besuchen ganz zwanglos mit mir den Rennplatz. Wir amüsieren uns heute nachmittag und kassieren unsere gestrigen Gewinne.« »Auf Wetten, die wir gebucht haben?« fragte Della. »Das sollte man doch annehmen.« »Betonen wir es bei einem Gespräch mit anderen?« »Wir betonen überhaupt nichts. Wir kassieren und gehen wieder. Möglicherweise ist ein Vertreter des Finanzamts da und will Namen und Adresse von mir haben.«, »Und geben Sie ihm die?« »Meinen Namen und die Anschrift - natürlich.« Sie marschierten schweigend zum -1 8 -
Schalter. Mason zog die fünf Scheine heraus und reichte sie durchs Fenster. Der Mann kontrollierte die Wettscheine, sah Mason an und sagte: »Drittes Rennen von gestern, Nr. 4, Siegwette.« Mason nickte. »Wie wollen Sie das Geld?« fragte der Mann. »In großen Scheinen?« »Gern«, antwortete Mason, »aber bitte größer als hundert Dollar.« Der Mann fing an, das Geld abzuzählen, und schob Mason den Stoß Scheine hin. »Bitte sehr«, sagte er. Mason nahm das Geld und öffnete seine Aktentasche. Ein ziemlich kleiner Mann Anfang der Fünfzig mit fahlem Teint, stechenden Augen und nervösen Gesten stürzte auf ihn zu. »Da ist er!« rief er. »Er ist es. Verhaften Sie ihn!« Ein breitschultriger, schwerfälliger Bursche folgte dem kleinen aufgeregten Mann auf dem Fuße. Er zog eine Ausweishülle hervor, öffnete sie und zeigte die Marke. »Polizei.« »Darf ich mal sehen?« fragte Mason. Er nahm dem Mann Hülle und Marke aus der Hand und hielt beides so, daß Della Street die Nummer notieren konnte. »In Ordnung«, sagte er. »Sie sind von der Polizei.« »Woher hatten Sie diese Wettscheine?« fragte der Beamte. »Er weiß genau, woher sie stammen. Von Rodney Banks hat er sie, und es ist mein Geld!« schrie der Kleine. »Halten Sie den Mund«, sagte der Polizeibeamte. »Vielleicht möchten Sie meine Karte sehen«, wandte Mason sich an den Beamten. Der warf einen Blick auf die Karte. »Perry Mason, was? Ihr Gesicht kam mir gleich bekannt vor. Hätte Sie erkennen müssen. Ich habe Fotos von Ihnen in der Zeitung gesehen.«
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»Das Geld«, fuhr der kleine Mann gereizt dazwischen. »Nehmen Sie ihm das Geld ab, Inspektor. Lassen Sie es sich nicht ausreden.« »Mund halten«, befahl der Beamte. Mason drehte sich zu dem aufgeregten Mann um. »Mein Name ist Mason«, sagte er und lächelte ihn aus seiner Höhe freundlich an. »Und wer sind Sie?« »Sie wissen genau, wer ich bin. Ich bin Marvin Fremont.« »Und weshalb glauben Sie, ein Recht auf dieses Geld zu haben, Mr. Fremont?« »Das wissen Sie doch genau. Das Geld stammt aus einer Wette, die Rodney Banks gemacht hat. Und die fünfhundert Dollar, die er setzte, hat er mir unterschlagen. Also, Inspektor, ich will mein Geld.« Der Beamte zögerte. »Los, nehmen Sie es ihm ab. Verhaften Sie ihn. Er ist sein Komplize!« schrie Fremont. Mason lächelte dem unschlüssigen Beamten zu. »Wie heißen Sie?« fragte er. »Sid Burdett.« Der Anwalt streckte die Hand aus. Die beiden tauschten einen Händedruck. »Ich ermittle in einer angeblichen Diebstahls- oder Unterschlagungssache«, erklärte der Beamte. »Fraglos hat Banks das Geld gesetzt. Und es sieht auch sehr danach aus, als ob Banks in die Kasse gelangt hätte. Er arbeitet für Marvin Fremont hier. Das heißt, er hat für ihn gearbeitet.« »Jetzt machen Sie endlich voran, unternehmen Sie was! Holen Sie das Geld«, drängte Fremont den Beamten. »Dazu sind Sie doch da. Er ist Mittäter, sperren Sie ihn ein, zusammen mit dem andern. Da steckt wieder mal so'n krummer Anwalt mit einem Gauner unter einer Decke. Immer die alte ... he, Inspektor, sie schreibt was auf.« »Schon gesehen«, sagte Burdett. -2 0 -
»Meine Sekretärin«, erklärte Mason. »Warum macht sie sich Notizen?« »Ich bin gerade in Gegenwart von Zeugen >krummer Anwalt< genannt worden. Das gibt mir, glaube ich, einen Klagegrund gegen diesen Herrn hier.« »Wovon reden Sie da? Klage?« fragte Fremont. »Wenn hier irgend jemand Grund zur Klage hat, bin ich das. Diese Wette ist mit meinem Geld bezahlt worden.« Burdett fragte Mason: »Ich nehme an, Rodney Bank ist Ihr Mandant?« »Nehmen Sie lieber nichts an«, riet Mason. »Sie meinen, er ist es nicht?« »Das habe ich nicht gesagt.« »Na ja, ich ermittle nur, weiter nichts. Dieser Rodney Bank sitzt wegen Unterschlagung im Gefängnis. Er hatte offenbar häufig gewettet und steckt ganz schön im Schlamassel. Dann bekam er beim gestrigen Rennen einen heißen Tip auf >Landser<. Ich glaube, er ist wirklich in die Stadt gefahren und hat die Kasse ausgeräumt, um die Wette buchen zu können. Fremont hatte aber inzwischen Lunte gerochen. Deshalb kam er zur Rennbahn, um Banks festnehmen zu lassen.« »Wer hat ihn festgenommen?« fragte Mason. »Ich. Wir konnten den Burschen zuerst nicht finden, sahen aber >Landser< groß als Sieger rauskommen. Deshalb haben wir an den Wettschaltern gewartet. Und natürlich ist Banks am Fünfzig-Dollar-Schalter aufgekreuzt und hat ein Ticket vorgelegt. Aber vor der Auszahlung konnte ich zufassen.« »Hat er irgendwelche Aussagen gemacht?« fragte Mason. »Er hat alles bestritten und sich dann ausgeschwiegen.« »Sie haben ihn durchsucht?« »Natürlich.« , »Und keine weiteren Wettscheine gefunden?« »Nein. Nur diesen einen zu fünfzig Dollar.« -2 1 -
»Aber Sie glaubten, es müßten noch weitere vorhanden sein?« »Wir waren ziemlich sicher. Offenbar hat er sie einem Komplizen zugesteckt.« Mason wandte sich Fremont zu. »Wie hoch ist der veruntreute Betrag, Mr. Fremont« »Weiß ich nicht.« »Wieso wissen Sie das nicht?« »Weil alles durcheinander ist.« »Was ist durcheinander?« »Die Bankbücher. Jemand hat mich begaunert. Ich werde meine Bücher prüfen lassen. Aber eins weiß ich genau: Das ganze Geld gehört mir. Wieviel wirklich fehlt, ist egal. Die fünfhundert stammen aus meinem Geschäft und sind gestohlen. Sie gehören mir immer noch.« Mason sagte nachdenklich: »Vielleicht hat Banks so viel gewonnen, daß er alle Fehlbeträge ersetzen kann; vorausgesetzt natürlich, es fehlte tatsächlich etwas, und ich meine jetzt das Geld, das er auf seinen Fünfzig-DollarWettschein gewann.« »Es ist nicht sein Geld, es ist meins«, sagte Fremont. »Ein bißchen verstehe ich auch vom Gesetz. Mein Geld ist es, ich habe Anspruch darauf. Er hat es unterschlagen, und damit wird es nicht sein Geld. Er hat es auf ein Pferd gesetzt und Dusel gehabt. Das ändert die Lage überhaupt nicht, soviel ich weiß. Er steht in meinen Diensten, es ist mein Geld, und auch die Gewinne gehören mir.« »Sie hätten sich besser einen Rechtsanwalt genommen«, stellte Mason fest. »Ich war beim Anwalt.« »Dann hätten Sie sich gründlicher beraten lassen sollen.« »Sperren Sie ihn ein«, forderte Fremont und zupfte Burdett am Ärmel. »Er ist Komplize.« Burdett schüttelte den Kopf. »Ich verhafte diesen Mann nicht. Er ist Rechtsanwalt.« -2 2 -
»Wenn Sie wieder mit Ihrem Anwalt sprechen«, sagte Mason zu Fremont, »fragen Sie ihn gleich, was er von meinen Aussichten auf Schadenersatz hält.« »Schadenersatz?« »Sie haben mich einen >krummen Anwalt< genannt«, klärte Mason ihn auf. Burdett grinste. »Sie . .. Sie Winkeladvokat!« schnaubte Fremont. »Haben Sie das notiert, Della?« fragte Mason. Sie nickte. »Okay, Mr. Fremont«, sagte Burdett, »Sie wissen Bescheid. Gehen Sie zum Anwalt.« »Ich habe schon einen und dazu einen Privatdetektiv. Auf die beiden hätte ich mich verlassen sollen, statt auf Sie. Dabei hat mir der Anwalt erzählt, ich sollte einen Polizeibeamten holen und den Komplizen verhaften lassen. Und jetzt sage ich Ihnen: Wenn diese Moneten mir entgehen, mache ich Sie beide verantwortlich.« »Tun Sie das«, riet Mason. An der Rennbahn wurde es laut. »Sie sind los!« rief jemand. Mason und Della Street ließen Fremont mit dem Beamten stehen und liefen zur Bahn hinüber, um die Pferde zu beobachten. »Eine wundervolle Persönlichkeit, dieser Kerl«, stellte Della fest. »Nicht schlecht - wie Chefs nun mal sind. Ich wollte Sie gerade erinnern, Miss Street, daß Sie dagegen für einen wahrhaft vorbildlichen Chef arbeiten.« Sie lachte und drückte seinen Arm. »Immerhin ein kleiner Trost. Und jetzt feuern Sie bitte >Pound Sterling< an, damit er gewinnt.« »Bei so einem Namen kann er ja gar nicht verlieren«, sagte Mason.
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Sie folgten den Pferden bis zum Finish mit den Augen. Für »Pound Sterling« gab es nicht einmal den Einsatz zurück. »Und das bei diesem Namen«, sagte Della Street enttäuscht. »Versuchen wir unser Glück noch mal beim nächsten Rennen«, schlug Mason vor. »Sie haben jetzt wohl genug von Pferden mit netten, vertrauenerweckenden Namen. Probieren wir's mal mit einem ganz verrufenen Gaul. Hier ist einer im zweiten Rennen: >Falschgeld<. Das ist mal ein Pferd, von dem man nur das Schlimmste erwarten sollte.« »Zwei Dollar auf Sieg«, sagte Della Street. »Geben Sie mir das Geld für die Wette, Della, ich setze für Sie.« Mason ging zum Zehn-Dollar-Schalter. »>Pound Street< hat uns wenig eingebracht. Wie war's mit Nr. fünf, >Falschgeld« »Einmal?« »Zwei«, sagte Mason, »zweimal zehn Dollar auf Sieg.« Der Mann am Schalter nahm das Geld und gab Mason zwei Wettscheine. Er ging zu Della Street auf die Tribüne. »Meinen Sie nicht, Sie brauchen einen bewaffneten Schutz bei all dem Geld, das Sie mit sich schleppen?« fragte sie. »Es ist wirklich eine ganze Stange«, gab Mason zu, »und wir müssen mit Zwischenfällen rechnen. Ich mißtraue jetzt allem und jedem.« »In welcher Hinsicht?« »Das läßt sich nicht voraussagen, aber es sieht ganz so aus, als hätte ich es irgendwie mit einem Betrüger zu tun, als hätte ich Geld in Verwahrung, um das man sich streitet - gelinde gesagt. Man will mich offenbar als Hehler festnageln. Aber wir wollen dieses Rennen noch genießen, Della, und dann verschwinden wir so schnell wie möglich.« Sie beobachteten den erleuchteten Totalisator.
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»Geschätzte Gewinnquote für >Falschgeld< ist zwanzig zu eins«, las Mason ab. »Sie wird wohl etwas fallen, bis die Pferde an die Startmaschine gehen.« »Wie kommt das?« fragte Della. »Hohe Odds wie diese hier verlocken die Leute, nur der Quote wegen zu setzen. Gewöhnlich sind es kleine Wetten, aber es gibt eine ganze Reihe von Leuten, die vielleicht zehn Zweidollarwetten verloren haben und dann ein Pferd suchen, das sich eventuell zehn zu eins auszahlt, damit sie ihre Verluste ausgleichen können.« Mason sah sich in der Menschenmenge auf der Tribüne um und sagte dann leise zu Della: »Da ist unser Freund Marvin Fremont. Er scheint uns nicht aus den Augen zu lassen.« »Er will kein Risiko eingehen, falls Sie leichtsinnig werden und mit >seinem< Geld wetten sollten.« »Die ganze Sache kommt mir höchst sonderbar vor«, sagte Mason. »Oh«, rief Della, »da fallen die Odds. Sie sind herunter auf achtzehn zu eins und jetzt - ach! Fünfzehn zu eins! Ich verstehe wirklich nicht, wie jemand auf ein Pferd mit solchem Namen setzen kann - falls er nicht gerade mit einem >Pound Sterling< auf den Bauch gefallen ist.« »Ich denke«, sagte Mason, »wir verschwinden hier und schließen dieses Geld in unsern Safe.« »Aber wir sehen doch dies Rennen noch?« fragte Della. »Ganz bestimmt. Ich möchte nicht, daß Sie sich einen Anwalt nehmen müssen, um Ihre Wette zu kassieren.« Della Street lachte. Mason gab ihr das Ticket. »Diesmal wollen wir den Gaul genau im Auge behalten und ihm gut zureden - bis zum Sieg.« Sie schwatzten noch eine Weile, bis Della plötzlich sagte: »Da drüben steht Fremont, und jetzt hat er noch zwei andere Männer bei sich.« Mason warf einen Blick über die Schulter. »Wahrscheinlich Verstärkung.« -2 5 -
»Was kann er uns tun?« fragte sie. »Nicht das geringste«, erwiderte Mason. »Aber angenommen, das Geld war unterschlagen?« »Davon wissen wir absolut nichts. Es gibt keine Möglichkeit, diese Wettscheine zu identifizieren. Zwar wird sich der Mann am Wettschalter möglicherweise an die Person erinnern, die eine solch hohe Wette auf einen Außenseiter gebucht hat. Wahrscheinlich sogar - aber er kann das gesetzte Geld nicht identifizieren.« »Wenn sich aber herausstellt, daß die Person, von der die Wette bezahlt wurde, der Betrüger ist?« fragte Della Street. »Dann hätten die Leute einiges zu tun. Sie müßten beweisen, daß der Mann seine Wettscheine mit dem unterschlagenen Geld kaufte. Sie hätten ferner zu beweisen, daß er zu mir kam, daß ich als sein Vertreter handelte, oder daß ich von der Unterschlagung wußte. Und dann müßten sie das Geld einklagen.« »Es sei denn, man verhaftet Sie«, gab Della Street zu bedenken, »in welchem Fall das Geld im Gefängnis beschlagnahmt würde.« »Und«, ergänzte Mason, »dieser Fremont feststellen müßte, daß er viel mehr Wind gemacht hat als geplant. Dann sähe er sich den gleichen Problemen gegenüber, müßte aber in diesem Fall, nämlich in einem Strafprozeß, jeden Punkt unangreifbar beweisen; der Beweis des ersten Anscheins würde nicht genügen . .. Sie sind los, Della.« »Wo ist unser Pferd?« »Nummer fünf.« »Oh!« rief sie, »es liegt nur an dritter Stelle, und jetzt sogar an vierter... Ich fürchte, er macht überhaupt keine Anstrengungen, er hat ja auch keinen ehrlichen Namen.« »Warten Sie doch ab«, sagte Mason. »Er arbeitet sich schon vor, gleich ist er dritter.« »Das muß aber noch viel besser werden - ich habe auf Sieg gesetzt.« -2 6 -
»Na, er schiebt sich doch schon nach vorn. Jetzt läuft er Seite an Seite mit dem dritten. Warten Sie - da sind sie in der Kurve, er ist am dritten Pferd vorbei - er geht aufs zweite los - lauf, Nummer fünf, lauf!« schrie Mason. »Falschgeld« schob sich Zentimeter um Zentimeter an das Pferd auf dem zweiten Platz heran und berührte mit der Nase fast den Favoriten, als das Feld dichtgedrängt auf der Zielgeraden lief. Die Menge war plötzlich still geworden. Und dann wurde der Favorit aus vielen hundert Kehlen angefeuert. Della sprang auf ihren Sitz und stützte sich auf Masons Schultern. »Lauf, lauf, lauf!« schrie sie. »Oh, Chef, ich glaube, er macht's! Nein, doch nicht.« Enttäuscht stieg sie herunter. »Zu dumm, daß ich nicht zwei Dollar auf Platz gesetzt habe, ich hätte gewinnen können.« »Die Entscheidung wird erst durch Zielfoto fallen«, sagte Mason, »so knapp war es. Sie müssen die Aufnahmen entwickeln.« »Wie lange dauert das?« »Es geht schnell. Wir wollen uns schon mal zum Ausgang durchdrängen und sofort verschwinden, wenn wir das Resultat kennen.« »Glauben Sie, wir haben eine Chance?« »Eine gute sogar, zumindest eine Ausgleichschance.« »Eine Ausgleichschance bei einer Quote von fünfzehn zu eins«, sagte Della, »ach, du Jammer, ist das auch was? Warum bleiben wir nicht noch zu den letzten Rennen hier? Vielleicht können wir ...« »Sie vergessen, wozu wir hier sind, Della«, entgegnete Mason. »Sie haben das Wettfieber.« Sie gingen auf den Ausgang zu. »Hier ist ja unser Empfangskomitee wieder«, sagte Della Street.
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Marvin Fremont drängte sich zu ihnen durch. »Sie haben gesagt, ich sollte mir einen Anwalt nehmen. Hier habe ich einen.« Einer der Männer stellte sich vor: »Ich bin Bannister Dowling, Mr. Mason, und vertrete Marvin Fremont.« »Das ist gut«, sagte Mason, »er wird Sie brauchen.« »Und dies ist Moray Hobart von der Detektei Hobart.« »Privatdetektiv, nehme ich an?« fragte Mason. »Jawohl.« »Also gut. Ich habe nur wenig Zeit. Was wollen Sie von mir?« »Geld«, sagte Hobart. »Und zwar sofort, Mr. Mason.« »Sie haben Geld in Verwahrung, das meinem Mandanten gehört«, erklärte Dowling. »Woraus schließen Sie, daß es Ihrem Mandanten gehört?« »Es wurde gestern auf das Pferd gesetzt«, erwiderte Hobart. »Auf welches Pferd?« fragte Mason. »Auf >Landser<.« »Und darum gehört das Geld Marvin Fremont?« »Wir sollten uns richtig verstehen, Mason«, sagte Dowling. »Rodney Banks unterschlug Geld, das meinem Mandanten gehört, um eine Wette auf einen Außenseiter zu buchen. Er hatte ein Defizit in seinen Büchern und wollte es ausgleichen. Eine Außenseiter-Wette war seine einzige Chance. Zu der Zeit waren wir ihm aber schon auf den Fersen. Moray Hobart hier entdeckte ihn am Fünfzig-Dollar-Schalter, als er die Wette auf >Landser< kassieren wollte. Wir vermuten aber, daß er auch noch auf andere Pferde gesetzt hatte.« »Was hat er denn mit den Wettscheinen gemacht?« fragte Mason. »Er hat sie einem Komplizen gegeben, und der gab sie Ihnen.« »Wer war der Komplize?« »Seine Schwester. Sie wurde beim Hundert-Dollar-Schalter gesehen.« -2 8 -
»Warum ließen Sie sie nicht festnehmen?« »Weil sie ihren Gewinn nicht kassierte. Ihres Bruders Verhaftung hatte ihr angst gemacht. Sie ist uns entwischt.« »Sie können das Geld sicherlich identifizieren, das sie setzte?« fragte Mason. »Im wesentlichen. Wir haben allerdings nicht alle Nummern der Scheine.« »Sehr interessant«, stellte Mason fest, »mir geht nur nicht auf, was ich damit zu tun haben soll.« »Wenn das Geld unterschlagen war«, sagte Dowling, »hatte Banks keinen Anspruch darauf; und wenn er den nicht hatte, wurde jeder Betrag, den er gewann, automatisch Eigentum meines Mandanten. Mit anderen Worten, er besaß keinen Rechtsanspruch auf das Geld, sondern hatte es nur treuhänderisch in Verwahrung. Jeder Gewinn gehört meinem Mandanten.« »Eine recht interessante Situation«, entgegnete Mason. »Ich möchte nur sicher sein, daß ich Ihren Standpunkt auch erfaßt habe. Banks war ein Betrüger?« »Ja.« »Aber das Geld, das er gewann, hätte seine Unterschlagung gedeckt?« »Ich glaube es«, sagte Dowling. »Es ist kein Vertrauensbruch, wenn ich erkläre, daß die Summe das Manko bei weitem gedeckt hätte.« »Banks sitzt jetzt im Gefängnis?« »Er wurde wegen Unterschlagung verhaftet. Die Kaution ist auf fünftausend Dollar festgesetzt. Bisher konnte er sie nicht aufbringen.« »Soweit ich verstehe, war die unterschlagene Summe geringer als fünftausend Dollar?« »Das war sie.« »Dann haben Sie nicht die Absicht, ihn Ersatz leisten zu lassen?« -2 9 -
»Gewiß nicht. Das wäre Vertuschen eines Betruges. Mein Mandant beabsichtigt, ihn wegen Unterschlagung zur Rechenschaft zu ziehen.« »Und gleichzeitig den Wettgewinn zu kassieren?« »Natürlich. Das Geld gehört ihm doch.« »Das ist eine interessante Theorie«, sagte Mason. »Aber leider kann ich ihr nicht beipflichten.« »Sie können uns wenigstens sagen, wie Sie in den Besitz der Wettscheine gekommen sind«, erwiderte Dowling. Mason lächelte nur. »Sie müssen wissen«, fuhr Dowling fort, »daß wir uns Ihnen gegenüber fair und gefällig erweisen wollen, Mr. Mason. Aus kollegialem Entgegenkommen gebe ich Ihnen jede Möglichkeit zur Zusammenarbeit. Aber durch die Tatsachen, die ich Ihnen jetzt mitgeteilt habe, sind Sie über die wirkliche Lage ins Bild gesetzt. Sie können zum Hehler werden, was die Unterschlagung angeht, und zum Mitschuldigen bei einem Betrug.« »Vielen Dank«, erwiderte Mason. »Ich fürchte, ich brauche Ihre juristischen Belehrungen nicht. Ich habe ein Büro voller Gesetzbücher und kann selbst nachsehen, falls ich nicht Bescheid wissen sollte.« »Wie Sie wollen«, sagte Dowling verärgert. »Dann schlagen Sie also nach, wodurch man zum Hehler wird. Sie glauben doch nicht im Ernst, daß Sie es sich erlauben können, einen Betrüger zu decken, nur weil Sie Rechtsanwalt sind.« »Ich habe Ihrem Mandanten übrigens auch aus dem Grund einen Rechtsanwalt empfohlen«, sagte Mason, »weil er in Gegenwart von Zeugen diffamierende Äußerungen über mich gemacht hat. Er nannte mich einen Winkeladvokaten und krummen Anwalt.« Dowling sah Fremont an. »Das ist eine Lüge!« verteidigte sich Fremont wütend. »So war das absolut nicht gemeint. Mr. Mason hat mich mißverstanden.
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Ich habe von ganz was anderem gesprochen - von andern Rechtsanwälten.« »Von Mr. Dowling?« fragte Mason. »Gehen Sie ihm nicht in die Falle«, warnte Dowling und hielt die Hand warnend hoch. »Sagen Sie kein Wort mehr. Sie haben schon genug geredet.« »Zu viel«, warf Mason ein. »Gibt es Zeugen dafür?« erkundigte sich Dowling. »Meine Sekretärin und einen Polizeibeamten, dessen Name meines Wissens Sidney Burdett ist.« »Seine Sekretärin«, schnaubte Fremont verächtlich, »die würde natürlich alles aussagen, um .. .« »Seien Sie still«, befahl Dowling. »Lassen Sie ihn nur weiterreden«, sagte Mason, »vielleicht bekommt auch meine Sekretärin noch einen Klagegrund.« »Ich denke, wir setzen diese Unterhaltung in Abwesenheit meines Mandanten fort«, schlug Dowling vor. »Sie werden dabei auch auf meine Anwesenheit verzichten müssen«, erwiderte Mason, »wir warten nur noch auf...« Lichter flammten im Totalisator auf. Die Stimme des Ansagers ertönte: »Nach dem Zielfoto war Sieger im letzten Rennen die Nummer fünf, >Falschgeld<. Zweiter war >Immer Besser<, Dritter >Heissporn<.« Mason wandte sich Della Street zu. »Wir wollen unsere Wetten kassieren, Della, und uns auf den Weg machen. Oder erheben Sie auch Anspruch auf diese Gewinne?« »Halt mal«, rief Fremont. »Nach welchem System wetten Sie?« »Ich habe ein sehr einfaches System«, sagte Mason, »und es ist wirklich unfehlbar.« Fremonts Gesicht verriet lebhafte Neugierde. »Wie funktioniert es?« »Ich denke, Sie überlassen mir hier besser das Gespräch«, wies Dowling ihn zurecht. -3 1 -
Mason lächelte seinen Kollegen an. »Ich wollte Ihrem Mandanten gerade seine Frage beantworten, aber da Sie es für besser halten, daß ich nicht mit ihm rede und er nicht mit mir, wollen wir es dabei lassen. Kommen Sie, Della.« »He, warten Sie doch«, rief Fremont. »Er hat doch nicht an Pferderennen gedacht, er meinte, wir sollen nicht darüber sprechen, was ich gesagt habe - ich meine, was Sie sagten, das ich gesagt haben soll... was ...« »Sind Sie jetzt endlich still?« donnerte Dowling. Mason nahm Della Streets Arm und führte sie zu den Wettschaltern. Sie zog sanft an seinem Arm. »Hier geht's doch lang, Chef«, sagte sie. »Nein«, widersprach Mason. »Sehen Sie sich Ihren Schein an.« »Zehn Dollar!« rief Della. »Aber wieso? Sie müssen mir Ihren gegeben haben.« »Nein, ich habe auch einen. Ich fand, daß wir ein fast unfehlbares System ausgearbeitet haben, und beschloß, etwas mehr zu riskieren. Ich mag Sie nicht zehn Dollar auf einen Verlierer setzen lassen und dann nur zwei auf einen Sieger. Das wäre blamabel.« »Oh, Chef, die Gewinnquote ist ja ...« »Auf Ihr Zehn-Dollar-Ticket kassieren Sie ungefähr - na, wir wollen mal sehen.« Mason legte die Scheine am Schalter vor und erhielt hundertsechzig Dollar für jeden. »Bitte sehr, Della«, sagte er, »das ist doch nicht schlecht für einen einzigen Nachmittag.« Hinter ihnen ertönte Fremonts Stimme: »Hören Sie doch, Mr. Mason, wir können Freunde werden. Ich möchte nur wissen, wie Sie Ihre Pferde aussuchen.« »Nach einem unfehlbaren System«, erklärte Mason. »Aber ich habe der Rennleitung versprochen, es keinem Menschen zu verraten, nur meinem besten Freund, und da kommen Sie kaum in Frage. Gehen wir, Della.« Er führte Della Street zum Wagen. -3 2 -
»Wenden Sie mir jetzt ganz zwanglos das Gesicht zu, Della, als ob Sie mir etwas sagen wollten, und beobachten Sie aus dem Augenwinkel, ob wir verfolgt werden.« Della sah ihn von der Seite an, lächelte strahlend, nickte mit dem Kopf und fragte: »Soll ich mich ganz umdrehen und genau hinsehen? Ich glaube, es ist dieser Detektiv.« »Nein«, sagte Mason, »wir werden ihm eine fröhliche Jagd liefern.« Sie waren bei Masons Wagen angelangt. Er half Della hinein, setzte sich hinter das Lenkrad, knallte die Tür zu und startete. Im Schneckentempo kroch er vorwärts, bis er sich in den Verkehr einordnen konnte. Dann gab er Gas und sah von Zeit zu Zeit in den Rückspiegel. Er schoß an einer Verkehrsampel vorbei, die gerade umsprang, ließ einen Häuserblock hinter sich, bog links ein, rechts und wieder links. Dann wendete er, fuhr ein Stück zurück und parkte schließlich in einer Wohnstraße. »Kommt jemand, Della?« »Nicht die Spur. Alles ist still und friedlich. Hat man uns beschattet?« »Möglich wäre es«, sagte Mason. »Sie werden wahrscheinlich einen Detektiv vor Ihrer Wohnung und einen weiteren vor meinem Büro aufgepflanzt haben. Meine Wohnung zu finden, wird ihnen schwerfallen.« »Was tun wir also?« »Zunächst vermeiden wir das Naheliegende. Wir fahren nicht zum Büro und nicht zu Ihrer Wohnung.« »Aber Sie haben doch das viele Bargeld bei sich«, wandte Della ein. »Und eine Kanone«, sagte Mason und sah sie todernst an. »Aber wenn ein Rechtsanwalt seine Sekretärin am Sonnabendnachmittag zum Pferderennen einlädt und ihr einen Tip für einen Außenseiter gibt, der sich mit hundertsechzig auf zehn Dollar auszahlt, dann dürfte das bestimmt ein Grund zum Feiern sein; sagen wir, Steak - extra dick, halb durchgebraten, -3 3 -
mit Röstzwiebeln, etwas Champagner und vielleicht ein kleines Tänzchen?« »Ich glaube, Sie schätzen die Lage völlig richtig ein«, stimmte Della zu. »Aber was wird mit unserer Mandantin?« »Sie wird zweifellos versuchen, mit uns Verbindung aufzunehmen. Wir wollen Paul Drake informieren und ihn im Lauf des Abends wieder anrufen. Bis wir mit dem Feiern anfangen, sollten wir dann unserer Zahlungsverpflichtung, wie ich es mal nennen will, enthoben sein.« »Aber es ist Ihnen doch mitgeteilt worden, das Geld stamme aus einer Unterschlagung. Was bedeutet das für Sie?« »Man hat mir nur mitgeteilt, ein Mann namens Rodney Banks sei der Unterschlagung beschuldigt. Bis seine Schuld erwiesen ist, muß ich aber zu seinen Gunsten annehmen, daß er unschuldig ist. Ich kenne auch keinen Rodney Banks. Es hat aber niemand behauptet, Audrey Bicknell habe irgendwas unterschlagen. So, Miss Street, und jetzt wollen wir das Geschäftliche vergessen.« »Und die Aktentasche mit all dem Geld?« fragte sie. »Ich werde das Geld rechtzeitig in eine Gürteltasche umpacken und diese Aktentasche mit Zeitungen füllen. Ist Ihre Frage damit beantwortet?« »Schon. Aber was ist mit unserer Mandantin los? Warum ist sie so versessen darauf, ihr Geld in bar zu bekommen? Und was hat sie anschließend damit vor?« »Das sind Dinge, über die unsere Mandantin uns nicht aufzuklären beliebte, Della.« »Ist es nicht gefährlich für sie, eine solche Summe mit sich herumzuschleppen?« »Wahrscheinlich drohen ihr ganz andere Gefahren. Wir wollen Paul Drake anrufen. Dann warten wir ab, was passiert.«
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4 Mason rief aus einer Telefonzelle bei Paul Drake an. »Perry hier, Paul. Wie steht's mit Nachrichten für mich? Hast du welche?« »Und ob«, sagte Drake. »Ich frage mich bloß, woher diese verhängnisvolle Faszination rührt, die du auf Frauen ausübst.« »Was ist los?« »Eine verführerische weibliche Stimme, die einem Wesen namens Audrey Bicknell gehört, hat während der letzten anderthalb Stunden viermal gefragt, ob ich dich erreichen könne, um dir etwas höchst Dringliches auszurichten.« »Was denn?« »Du sollst das Foley Motel anrufen und eine Miss Nancy Banks verlangen.« »Jetzt sofort?« fragte Mason. »Unbedingt. Sie hat am Telefon fast in die Sprechmuschel gebissen. Es sei lebenswichtig, daß sie dich so schnell wie irgend möglich sprechen könne.« »In Ordnung, ich rufe an. Du hörst später von mir. Mach's gut.« Mason legte auf, rief das Foley Motel an und sagte: »Ich möchte bitte Miss Nancy Banks sprechen.« »Moment. Sie hat Nr. 14. Bleiben Sie am Apparat, ich stelle durch.« Gleich darauf vernahm Mason eine lebhafte, ungeduldige Stimme. »Hallo, hallo! Mr. Mason?« »Am Apparat.« »Ich dachte schon, Sie melden sich überhaupt nicht mehr. Sind Sie zur Rennbahn gegangen?« »Ja.« »Haben Sie das Geld abgeholt?« »Welches Geld?« fragte Mason.
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»Sie wissen doch, Mr. Mason, das Geld für die Scheine, die ich Ihnen gab - oh, ich vergaß -, ich nannte Ihnen ja einen anderen Namen. Audrey Bicknell.« »War das ein Deckname?« »Kein Deckname, sagen Sie das nicht. Es war ein Pseudonym.« »Also gut«, erwiderte Mason, »Sie sind Nancy Banks. Und was wünschen Sie?« »Mr. Mason, bringen Sie das Geld bitte zu ... haben Sie es überhaupt bekommen?« »Bevor ich Ihre Frage beantworte, beenden Sie besser Ihren Satz. Sie wollten mir gerade sagen, ich solle das Geld ...« »Richtig. Ich wollte Sie bitten, Kaution für meinen Bruder zu hinterlegen. Er sitzt im Gefängnis, weil man ihm Unterschlagung vorgeworfen hat. Die Kaution wurde auf fünftausend Dollar festgesetzt. Von dem Geld, das Sie auf die Wettscheine kassiert haben, können Sie dort fünftausend Dollar einzahlen und mir dann bitte den Rest bringen.« »Jetzt warten Sie mal«, sagte Mason, »so schnell geht das nun doch nicht. Sie scheinen sich in der Reihenfolge zu irren. Bis jetzt sind Sie für mich nichts weiter als eine Stimme am Telefon, und davon gibt es viele. Wenn die Sache so eilt, will ich es einrichten, daß wir uns treffen können. Dann werde ich Sie als die Person identifizieren, die mir die Wettscheine übergab. Danach bekommen Sie das Geld von mir und geben mir eine Quittung darüber. Wenn ich die Kaution für Rodney Banks hinterlegen soll, müssen Sie mir einen entsprechenden schriftlichen Auftrag erteilen und mir das Geld dafür geben.« »Damit verlieren wir aber eine Unmenge Zeit, Mr. Mason. Sind Sie nicht übertrieben vorsichtig?« »Ich bin Rechtsanwalt«, entgegnete Mason. »Ich verhandle mit einer mir fremden Person. Unter solchen Umständen kann man nicht vorsichtig genug sein. Sagen wir einfach, ich bin vorsichtig - Punkt.«
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»Also gut, wenn Sie auf diese Weise verfahren wollen, müssen Sie schon hierher ins Motel kommen. Ich bin ... ich bin nämlich kaum in der Lage, jetzt auszugehen. Ich war ... ich komme gerade vom Duschen. Bis Sie hier eintreffen, kann ich aber fertig sein. Das wäre die einzige Möglichkeit. Sonst wird mir die Zeit zu knapp.« »Ich komme zu Ihnen«, versprach Mason. »Eine halbe Stunde werde ich aber brauchen.« »Ich warte auf Sie. Sagen Sie, hatten Sie Ärger?« »Nicht nennenswert. Ich werde Ihnen alles berichten.« »Hat jemand versucht, Sie aufzuhalten?« »Wobei?« »Als Sie das Geld kassieren wollten?« »Ja.« »Aber Sie haben es bekommen?« »Ich werde Ihnen die Situation gleich erklären«, sagte Mason. »Aber wenn Sie die Person sind, die mich in meinem Büro aufgesucht hat, brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen vorläufig.« »Oh, Mr. Mason, ich bin ja so froh, so dankbar. Ich hatte schon solche Angst, ich ... Sie kommen sofort?« »Sofort.« »Allein?« »Nein. Meine Sekretärin wird mich als Zeugin begleiten. Ich will kein Risiko eingehen.« »In Ordnung.« Sie lachte leicht. »Seien Sie nur weiter so vorsichtig, wie Sie es für richtig halten. Man kann es Ihnen wohl nicht verdenken.« »In einer halben Stunde«, schloß Mason das Gespräch und legte auf. Genau neunundzwanzig Minuten später erreichten sie das Foley Motel. Er fuhr bis zu Bungalow 14 und half Della Street aus dem Wagen. -3 7 -
Die Tür von Nr. 14 öffnete sich. Das Mädchen, das sich Audrey Bicknell genannt hatte, stand im Eingang, bekleidet mit einem seidenen Hausanzug aus rosa schillernder, enganliegender Hose und rosa-grün bedruckter Jacke, die mit Kristallperlen bestickt war. Sie beschwerten die feine Seide, die jede Rundung oberhalb der Hüften betonte. »Kommen Sie, kommen Sie«, sagte sie und lächelte Della Street zu. »Ich freue mich, Sie wiederzusehen, Miss Street. Bitte treten Sie näher.« Mason nahm die Aktentasche aus dem Wagen und ging in den Bungalow. »Haben Sie es bekommen?« fragte sie. »Ja«, sagte Mason. »Vierzehntausendzweihundertfünfzig Dollar.« Er öffnete die Aktentasche und begann, das Geld auf den Tisch zu zählen. »Oh«, rief sie beim Anblick der gestapelten Geldscheine. »Ich hatte ja keine Ahnung - das ist ja ein ganzer Haufen, nicht wahr?« Er nickte, zählte weiter und stapelte die Geldscheine in Päckchen zu je tausend Dollar. »Bitte sehr«, sagte er schließlich. »Und jetzt unterschreiben Sie mir diese Quittung. Sie besagt, daß Sie das Geld von mir erhalten haben, daß es das gesamte Geld war, das Ihnen zustand, und daß es sich um das vollständige Inkasso handelt, mit dem Sie mich beauftragt haben.« »Sie müssen doch Ihr Honorar abziehen, Mr. Mason«, wandte sie ein. »Stimmt«, sagte Mason. »Aber zunächst will ich Ihnen die gesamte Summe übergeben. Dann zahlen Sie mir meine Gebühr.« »Können Sie mir sagen, wieviel das ist?« »Das kann ich. Es wird ein wenig davon abhängen, was ich hinsichtlich Rodney Banks für Sie tun soll. Dafür brauche ich einen Vorschuß. Ich kann Ihnen aber noch nicht sagen, ob ich -3 8 -
ihn in der Unterschlagungssache vertreten werde. Ich bin bereit, die Kaution einzuzahlen und als Ihr Anwalt aufzutreten. Ich werde jedoch nicht als sein Anwalt handeln - jedenfalls nicht, bevor ich nicht mehr über den Fall weiß.« »Nun, das kann ich Ihnen nicht übelnehmen. Ich vermute, Rod war - also, ich glaube, er war ziemlich unvernünftig. Selbst dann aber kann ich mir die Dinge einfach nicht zusammenreimen, die ihm vorgeworfen werden. Ich glaube, dahinter steckt noch mehr.« »Also gut. Aber jetzt der Reihe nach. Unterschreiben Sie das hier.« Sie unterschrieb die Quittung, die Della Street ihr reichte. »Und ich soll für Rodney Banks Kaution hinterlegen?« »Ja, bitte.« »Wann?« »So schnell Sie es schaffen.« »Es ist eine Kaution festgesetzt worden?« »Ja. Fünftausend Dollar in bar.« »Sie hätten sich an eine Kautionsversicherung wenden können und ...« »Natürlich, ich weiß, aber da muß man eine Risikoprämie zahlen, und ich hatte das Geld nicht.« Mason sah sie scharf an. »Aber Sie hatten fünfhundert Dollar für eine Wette auf einen fast hoffnungslosen Außenseiter.« »Er war nicht hoffnungslos. Er hat gesiegt.« »Na schön, wir wollen nicht streiten. Der Erfolg entscheidet. Ich berechne Ihnen dreihundert Dollar für das Abholen des Geldes. Dann gaben Sie mir die fünftausend Dollar für Rodneys Kaution. Hundertfünfzig Dollar zahlen Sie mir für die Hinterlegung der Kaution. Ich werde sie in Ihrem Namen einzahlen und auch die Quittung für Sie ausstellen lassen. Danach habe ich keine weiteren Verpflichtungen mehr in Zusammenhang mit dem Fall.«
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»In Ordnung, Mr. Mason, völlig in Ordnung. Hier, nehmen Sie das Geld, und ... es ist sehr wichtig, daß Rod noch heute nachmittag herauskommt.« »Warum?« »Nun, es ... es ist eben wichtig, weiter nichts.« »Na gut. Ich gebe Ihnen jetzt eine Quittung über die fünftausend Dollar und meine Gebühren.« Mason nickte Della Street zu, die ihren Block aufschlug, eine Quittung ausschrieb und sie Mason zur Prüfung gab. Er kritzelte seinen Namen auf den Rand, riß das Blatt aus Dellas Stenogrammblock und reichte es dem Mädchen. »Soll ich mich noch einmal bei Ihnen melden, wenn ich ihn herausgeholt habe?« fragte er. »Nein, besser nicht. Sagen Sie, hat jemand versucht, Ihnen zu folgen?« »Ja.« »Aber doch nicht bis hierher?« Ihre Stimme klang ängstlich. »Wir haben Vorsichtsmaßnahmen getroffen, aber nur bis zu meinem Anruf bei Ihnen. Sie hatten es ja so eilig, daß ich nach unserem Telefonat keine Zeit verlieren wollte. Ich fuhr direkt her. Es gibt aber keine Anzeichen, daß uns jemand gefolgt ist.« Sie nickte nachdenklich. »Wenn irgend jemand wüßte, wo ich bin, wäre das . .. höchst unangenehm.« »Und Sie haben beachtlich viel Geld hier herumliegen«, betonte Mason. »Sorgen Sie lieber dafür, daß es sicher untergebracht wird.« »Ja, ja, natürlich. Aber Sie beeilen sich doch, nicht wahr, Mr. Mason? Sie werden Rodney herausholen?« »Ich zahle die Kaution ein«, erwiderte Mason. »Soll ich Ihnen danach wirklich keine Nachricht mehr geben?« »Nein. Wir sind ... wir sind fertig, Mr. Mason. Haben Sie sehr, sehr vielen Dank.« Sie umarmte ihn impulsiv und trat dann etwas befangen zurück.
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»Okay«, sagte Mason. »Wenn Sie das nächste Mal einen guten Tip für ein Pferd mit nettem, zuverlässigem Namen bekommen, dann lassen Sie es mich wissen.« Er nickte Della Street zu. Als sie in den Wagen stiegen, stand die Frau, die sich einmal Audrey Bicknell genannt hatte, in der Tür und sah ihnen nach. Ihr Blick war nachdenklich und ernst. »Na, was halten Sie von ihr, Della?« fragte Mason, als er vom Parkplatz fuhr. »Ich weiß nicht recht«, erwiderte Della Street. »Ich glaube zwar, sie heißt tatsächlich Nancy Banks und ist wahrscheinlich auch Rodney Banks Schwester; aber sie treibt irgendein Spiel. Sie ist bis zum äußersten angespannt, und wenn Sie mich fragen - sie hat Angst.«
5 Perry Mason ging zum zuständigen Beamten im Gefängnis und sagte: »Hier sitzt ein gewisser Rodney Banks wegen Unterschlagung. Die Kaution ist auf fünftausend Dollar bar oder zehntausend Dollar in Form einer schriftlichen Bürgschaft festgesetzt worden. Ich bin Rechtsanwalt Perry Mason und zahle hiermit fünftausend Dollar in bar für meine Mandantin Nancy Banks ein. Wollen Sie bitte eine Empfangsbestätigung für Nancy Banks über fünftausend Dollar Barkaution ausstellen und für die Entlassung von Rodney Banks sorgen.« Der Beamte zählte die fünftausend Dollar gewissenhaft nach, nahm ein Quittungsformular mit Kopien heraus und fragte: »Wie ist die Anschrift von Nancy Banks?« »Über Perry Mason«, sagte der Anwalt. »Ich muß den Namen der Straße einsetzen.« »Sie können die Adresse meines Büros angeben.« Der Beamte zögerte, schrieb dann aber die Quittung aus. »Bei Barkaution geht es wohl in Ordnung.« -4 1 -
»Und jetzt möchte ich auf Rodney Banks Entlassung warten«, sagte Mason. »Legen Sie Ihre Quittung über die Kaution vor, und er wird entlassen«, erwiderte der Beamte. »Ich lege Wert auf prompte Freilassung.« »Es wird alles prompt erledigt. Wir wollen ihn nicht länger als nötig verpflegen. Das Geld garantiert sein Erscheinen bei der Verhandlung - jedenfalls sollte es das.« »Es sollte wohl«, stimmte Mason zu. Dennoch dauerte es etwa zwanzig Minuten, bis der Gefängniswärter Rodney Banks hereinführte. »Guten Tag, Mr. Banks«, sagte Mason. »Ich bin Rechtsanwalt Perry Mason. Ich hatte Auftrag, Sie gegen Kaution herauszuholen, handle jedoch nicht als Ihr Anwalt.« »Aber irgendein Anwalt muß mich vertreten«, erwiderte Banks. »Die haben sich nämlich ein Ding mit mir geleistet. Ich meine, hier im Gefängnis.« »Was denn?« »Mir meinen Wettschein auf ein Rennpferd gestohlen, das gewonnen hatte.« »Jetzt aber Schluß«, sagte der Beamte. »Niemand hat hier was gestohlen. Sie haben eine Beschlagnahmeverfügung erhalten.« »Wieso das?« fragte Mason. »Dieser Bursche hatte einen Wettschein über fünfzig Dollar auf das Pferd >Landser<, das als Nr. 4 gestern im dritten Rennen lief.« »Es hat auch gewonnen. Nach dem Totalisator ist der Schein 1425 Dollar wert«, sagte Banks. Mason sah den Beamten an. »Der Wettschein war bei seinen Sachen, als er eingeliefert wurde, das stimmt. Wir haben ihm eine Quittung für seinen ganzen Kram gegeben.« »Sie haben mir aber den Wettschein nicht zurückgegeben«, protestierte Banks. -4 2 -
»Das konnten wir nicht«, erklärte der Beamte. »Der Wettschein wurde beschlagnahmt, er befindet sich im Gewahrsam des Gerichts. Der entsprechende Vermerk steht in Ihrer Akte, Sache Fremont gegen Banks. Fremont behauptet, Sie hätten das Geld, das Sie auf das Pferd setzten, bei ihm unterschlagen und besäßen den Wettschein nur treuhänderisch.« »Ich hätte den Gewinn kassieren können, und Fremont hätte auch nicht die leiseste Spur von Anspruch gehabt«, entgegnete Banks verächtlich. »Ich weiß nur«, erklärte der Beamte, »daß der Wettschein durch gerichtliche Verfügung beschlagnahmt ist. Sie können ihn im Zivilprozeß herausklagen.« »Aber das berührt nicht die Anzeige wegen Unterschlagung?« fragte Mason. »Offenbar nicht. Diese Sache ist noch nicht entschieden.« »Der alte Bock behauptet, ihm fehlen etwas über tausend Dollar, mehr nicht«, sagte Banks hitzig. »Und wenn er recht hat, hab' ich genug Geld gewonnen, um jeden Cent zurückzuzahlen. Aber er versucht, den Gewinnschein auf das Pferd zu kriegen und dann trotzdem wegen Unterschlagung gegen mich vorzugehen.« »Ich glaube nicht, daß ich Sie als Anwalt vertreten werde, junger Mann«, sagte Mason. »Aber ich will Ihnen einiges erklären. Sie sind durch die Kaution frei, Sie können gehen. Den Gewinnschein hatten Sie ohne Frage in Ihrem Besitz, als Sie verhaftet wurden. Es war ein Wettschein über fünfzig Dollar. Er ist auf Ihrer Quittung über die abgenommenen Sachen vermerkt. Nun haben Sie da die Kopie der gerichtlichen Verfügung, auf Grund deren die Beamten diesen Wettschein sicherstellen mußten. Das Gericht wird den Gewinn beschlagnahmen. Fremont wird einen Prozeß gegen Sie führen, um festzustellen, wem das Geld gehört; außerdem hat er Ihre Verhaftung wegen Unterschlagung erwirkt. Sie kennen jetzt also Fremonts Standpunkt. Wenn Sie das gewonnene Geld benutzen, um den Betrag abzudecken, den Sie laut Fremont unterschlagen haben - wenn es also keinen -4 3 -
Fehlbetrag mehr gibt -, dann ist er unter Umständen schadensersatzpflichtig wegen rechtswidriger Festnahme oder falscher Anschuldigung. Das hängt natürlich vom Beweismaterial und vom Stand der Geschäftsbücher ab. Wenn er sich andererseits darauf berufen kann, daß Sie eine Wette über fünfzig Dollar auf das Pferd >Landser< buchten, und zwar mit unterschlagenem Geld, dann werden Sie unwillentlich sein Treuhänder für alle eventuellen Gewinne. Also ist er immer noch berechtigt, einen Betrag von über tausend Dollar als unterschlagen zu betrachten und gleichzeitig den Gewinn von 1425 Dollar zu beanspruchen.« »Das ist eine Ungerechtigkeit«, protestierte Banks. »Man kann nicht auf zwei Hochzeiten zugleich tanzen.« »Jetzt tun Sie genau das Falsche«, erwiderte Mason. »Sie schwatzen drauflos. Gehen Sie zu Ihrer Schwester, reden Sie mit ihr. Und bedenken Sie, daß Ihre Schwester fünftausend Dollar Kaution für Sie gezahlt hat.« »Woher hatte sie das Geld?« fragte Banks. Mason lächelte. »Ich diskutiere nicht die finanziellen Angelegenheiten meiner Mandanten. Ich kann nur wiederholen: Schweigen Sie lieber, bis Sie mit Ihrer Schwester gesprochen haben, und gehen Sie dann zu einem Anwalt. Ich rate Ihnen, Ihre Schwester jetzt sofort aufzusuchen. Wissen Sie, wo sie ist?« »Ich glaube.« »Wissen Sie, wo sie im Augenblick ist?« »Ich kann sie schon finden.« »Dann tun Sie es sofort«, riet Mason. »Sie sind gegen Kaution frei und können gehen, wohin Sie wollen. Damit ist mein Auftrag erledigt, was Sie betrifft. Ich habe noch anderes zu tun. Viel Glück.« Mason drehte sich um und verließ den Raum. Er fuhr mit dem Lift zum Ausgang hinunter, wo Della Street im Wagen wartete. »Nun?« fragte sie.
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»Der Knoten wird immer dicker. Offenbar haben alle auf >Landser< gesetzt, weil von irgendwoher ein heißer Tip kam. Jetzt stellt sich heraus, daß nur wenig mehr als tausend Dollar unterschlagen wurden und Rodney Banks mit dem Gewinn aus der Wette alles hätte ausgleichen können. Aber Fremont behauptet, die Wette sei mit unterschlagenem Geld bezahlt worden, und weil es aus seiner Kasse stamme, könne er den Gewinn beanspruchen.« »Kann er das?« fragte Della Street. »Kann er denn nicht nur eins von beidem?« »Rein technisch ist er im Recht. Wenn das Geld unterschlagen war, bleibt es sein Geld. Wenn es gewinnbringend angelegt wurde, hat er Anspruch auf den Ertrag.« »Und kann trotzdem wegen der Unterschlagung vorgehen?« »Unterschlagung«, erklärte Mason, »ist eine Straftat. Sie verschafft dem Täter keinen Anspruch auf das Geld. Hat er darauf aber keinen Anspruch, dann hat er auch keinen auf die damit erzielten Gewinne.« »Aber wie steht es mit dem Geld, das unsere Mandantin auf >Landser< gesetzt hat?« »Das ist noch die Frage. Sehr viel hängt von der Unterschlagung ab, auf welche Weise das Geld unterschlagen wurde, und woher es kam. Wenn Rodney seiner Schwester fünfhundert Dollar gab, damit sie auf >Landser< setzte, und wenn Fremont beweisen kann, daß der Betrag bei ihm unterschlagen war, dann hat Fremont Anspruch auf sämtliche Gewinne. Aber er muß vorher viele Dinge beweisen: die Unterschlagung, die Identität des Geldes und wahrscheinlich, daß Rodneys Schwester Teilnehmerin war oder zumindest davon wußte. Eine sehr ungewöhnliche Situation.« »Wußte Rodney, daß seine Schwester auf >Landser< gewettet hatte?« »Schwer zu sagen«, entgegnete Mason. »Rodney Banks ist ein stämmiger, breitschultriger junger Mann. Er hat eine rasche, nervöse Art zu sprechen und sich zu bewegen. Man kann nicht allzuviel über ihn sagen. Ein labiler Typ; man findet ihn häufig -4 5 -
bei jungen Männern, deren Mütter oder Schwestern versucht haben, ihnen die Verantwortung im Leben abzunehmen.« »Mit anderen Worten: Sie mögen ihn nicht und wollen nichts mit ihm zu tun haben?« Mason lächelte. »Sagen wir es so: Ich vertrete ihn nicht. Ich habe seine Schwester vertreten. Und jetzt, Miss Street, da Sie einen namhaften Gewinn beim Pferderennen erzielt haben, wollen wir uns trotz der frühen Stunde einen Cocktail und ein zeitiges Abendessen gönnen. Vergessen wir das dumme Geschäft, die zweifelhaften Mandanten, knauserigen Chefs und Unterschlagungen. Konzentrieren wir uns auf Essen, Rhythmus, Entspannung und Vergnügen.«
6 Es war noch früh, als Perry Mason sich an der Tür ihres Apartmenthauses von Della Street verabschiedete und gemächlich zu seiner Wohnung fuhr. Bei seinem Eintritt läutete das Telefon, Da nur Della Street und Paul Drake die Nummer dieses Anschlusses kannten, durchquerte er eilig das Zimmer und nahm den Hörer ab. »Hallo«, meldete er sich, »was ist los?« Paul Drakes Stimme kam über den Draht. »Deine Mandantin ist völlig durcheinander. Du sollst sofort zu ihr kommen. Sie sagt, es sei furchtbar wichtig, und das >furchtbar< klang echt.« »Ich denke nicht daran, nach Büroschluß noch da rauszujagen«, erwiderte Mason, »bevor ich weiß, was los ist. Ich habe alle Verpflichtungen ihr gegenüber erfüllt. Hat sie dir denn gesagt, was sie so aufregt?« »Irgendwas Schreckliches. Sie war völlig erschüttert. Ruf sie doch wenigstens an«, bat Drake. »Ich glaube, es ist wirklich was passiert.«
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»Wahrscheinlich hat ihr jemand das Geld abgenommen. Also gut, ich ruf sie an.« Mason wählte die Nummer des Foley Motel und verlangte Nancy Banks in Nr. 14. Die Zentrale antwortete. »Tut mir leid, aber die Nummer meldet sich zur Zeit nicht. Gerade kamen schon mehrere vergebliche Anrufe. Ich bin der Verwalter.« »Vielleicht kann ich es in ein paar Minuten noch einmal versuchen?« »Darf ich wissen, wer dort spricht?« fragte der Verwalter höflich, aber fest. Mason zögerte einen Augenblick, bevor er sagte: »Falls sie kommt, sagen Sie ihr bitte, ihr Anwalt hätte angerufen, ja?« »Würden Sie bitte Ihren Namen hinterlassen?« »Mason.« »Doch nicht Perry Mason?« »Genau der.« »Oh, entschuldigen Sie vielmals, Mr. Mason. Ich will schnell rüberlaufen und einen Zettel an ihre Tür stecken. Sie müßte jeden Augenblick zurückkommen. Ich weiß wirklich nicht, wo sie ist. Sie hat schon mehrere Anrufe nicht beantwortet. Ich läute nicht gern durch, wenn jemand nicht im Zimmer ist. Sie wissen, wie's so geht, die Wände sind verhältnismäßig schalldicht, aber ein ständig klingelndes Telefon könnte die Nachbarn stören.« »Ich rufe später noch mal an«, sagte Mason. »Sie können ihr hinterlassen, daß ich angerufen habe und mich in zehn oder fünfzehn Minuten wieder melde.« Mason streckte sich im Sessel aus und zündete eine Zigarette an. Als er die Abendzeitung zur Hand nahm, schrillte das Telefon schon wieder. Er nahm ab und hörte Drakes Stimme. »Perry, das Mädchen hat wahrhaftig Zustände. Sie ist höllisch aufgeregt und sagt, sie muß dich sofort sprechen, du sollst hinkommen, es wäre was Entsetzliches passiert.« -4 7 -
»Wohin kommen, Paul?« »Zum Motel.« »Da ist sie nicht«, sagte Mason. »Der Verwalter sagt, sie meldet sich nicht am Telefon.« »Sie ist aber da«, entgegnete Drake. »Sie hat von dort angerufen. Jedenfalls sagt sie das. Sie will jedes Honorar zahlen, wenn du nur auf der Stelle kommst. Zu dir könnte sie nicht fahren, und es wäre ganz dringend.« »Ach, zum Teufel«, schimpfte Mason, »das springt dabei heraus, wenn man sich mit hysterischen Mandantinnen einläßt ... also gut, Paul, ich fahre schnell raus, und wenn dieses Mädchen nicht da ist, mache ich ihr eine Rechnung auf, daß ihr Hören und Sehen vergeht... Wann gehst du nach Hause?« »Weiß der Himmel«, sagte Drake. »Ich hab' hier einen ziemlich schwierigen Fall. Was soll ich mit Anrufen tun, die eventuell noch für dich eingehen?« »Sag einfach, ich sei vor morgen früh nicht zu erreichen, wenn aber diese Nancy Banks noch mal anruft, dann bin ich unterwegs zu ihr.« Mason seufzte, rückte seine Krawatte zurecht und rief die Hausgarage an, daß er seinen Wagen brauche. Er fuhr im Eiltempo zum Foley Motel. Die Leuchtschilder an der Front des Gebäudes verkündeten: Foley Motel, und darunter: BESETZT. Mason überlegte, ob er im Büro des Verwalters vorsprechen sollte, entschloß sich aber, direkt vor Bungalow 14 zu halten. Er parkte und klopfte an. Obwohl Licht brannte, meldete sich niemand. Stirnrunzelnd versuchte Mason sein Glück mit der Tür, die sich prompt öffnen ließ. Auf dem Fußboden lag ein Zettel: »Miss Banks, Ihr Anwalt hat angerufen und läßt sagen, er wird sich in fünfzehn oder zwanzig Minuten wieder melden.« Mason schloß die Tür und sah sich im Bungalow um. -4 8 -
Er war in demselben Zustand wie bei seinem letzten Besuch ein typisches Motel-Apartment. Auf einem Ständer lag ein Koffer, eine Damenreisetasche stand auf der Frisierkommode vor dem Spiegel. Mason warf einen finsteren Blick auf die Uhr, setzte sich und wartete. In der Stille vernahm er das Ticken des Reiseweckers auf der Kommode, verglich die Zeit und stellte fest, daß der Reisewecker fünf Minuten nachging. Er reckte sich, gähnte, sah wieder auf die Uhr und stand auf, um zu gehen. Als er schon im Begriff war, die Ausgangstür zu öffnen, zögerte er und sah sich noch einmal prüfend um. Sein Blick blieb an der geschlossenen Tür hängen, die offenbar zum Badezimmer führte. Er ging hinüber, klopfte an, erhielt keine Antwort und öffnete. Marvin Fremonts Leiche lag grotesk gekrümmt im Duschbecken. Der Kopf hing schief, die Augen starrten ins Leere, der Unterkiefer klaffte. Sein Hemd hatte vorn einen kleinen roten Fleck, offenbar ein Einschußloch. Mason zögerte, zog dann schnell das Taschentuch heraus, wischte seine Fingerabdrücke vom Griff der Badezimmertür ab und ging rückwärts in den Wohnraum zurück. Er zog die Tür hinter sich zu und hatte das Zimmer halb durchquert, als die Haustür aufgerissen wurde und Nancy Banks hereinstürzte. »Oh, Mr. Mason!« rief sie. »Ich bin ja so froh, daß Sie gekommen sind! Oh, es ist eine solche Erleichterung! Ach ...« Sie griff sich mit der Hand an die Kehle. »Ach, ich bin Ihnen ja so dankbar!« Sie ging auf ihn zu und nahm seine Hände. Ihre Hände waren eiskalt. »Schon gut, schon gut«, sagte Mason. »Was ist denn los? Schnell, erzählen Sie.« »Ich habe Sie angerufen. Ich wollte ...« »Und ich habe zurückgerufen, aber Sie haben sich nicht gemeldet«, erwiderte Mason. -4 9 -
»Ich war nicht da.« »Offensichtlich. Jedenfalls sieht es so aus. Und jetzt sagen Sie mir besser alles.« »Ich fuhr zu meiner Wohnung. Ich ... ich wollte das Geld an einem sicheren Platz aufbewahren.« »Und wo war dieser sichere Platz?« »Ich wollte es in meinem Apartment verstecken und einiges davon einer Freundin in Verwahrung geben ... Ich wollte nicht alles auf einem Haufen haben.« »Okay. Sagen Sie mir alles, und zwar schnell. Was ist passiert? Warum haben Sie mich angerufen?« »Ich bin überfallen worden.« »Was meinen Sie mit >überfallen« »Eben das. Als ich hinter dem Apartmenthaus aus meinem Wagen steigen wollte, richtete jemand eine Pistole auf mich und sagte leise mit rauher Stimme: >Hände hoch!<« »Können Sie ihn beschreiben?« fragte Mason, »Er war - nein, das kann ich nicht.« »Trug er eine Maske?« »Nein, nur so einen dünnen Strumpf überm Gesicht, mit zwei Löchern für die Augen.« »Wie war seine Figur?« »Er war ... er war breit in den Schultern, untersetzt. Ich würde sagen, nach seiner Figur und seinen Bewegungen war er ungefähr ... na, vielleicht vierzig; er könnte aber auch jünger gewesen sein.« »Ich verstehe«, sagte Mason, »und was geschah?« »Ich war zu Tode erschrocken. Das Geld hatte ich in meiner Handtasche. Er hielt mir einfach die Pistole vor und ... ich wollte schreien, aber da drückte er mir die Hand auf den Mund, riß mir die Tasche weg und war verschwunden.« »Mit dem ganzen Betrag?« »Mit allem. Bis auf den letzten Cent ist alles weg, Mr. Mason.« Mason fixierte sie nachdenklich. »Danach riefen Sie mich an?« -5 0 -
»Ja.« »Von wo aus?« »Von meiner Wohnung aus.« »Sie sagten aber doch, Sie seien hier im Motel, nicht wahr? Haben Sie das nicht bei Paul Drake hinterlassen?« »Ja, weil ich Sie hier treffen wollte.« »Haben Sie die Polizei benachrichtigt?« »Um Himmels willen, nein.« »Aber genau das«, sagte Mason und sah sie scharf an, »haben Sie zu tun. Sie müssen die Polizei von dem Überfall unterrichten. Weshalb war es Ihnen so wichtig, daß ich hierher kam?« Ihre Augen wurden rund vor Erstaunen. »Warum das so wichtig war? Du lieber Himmel, Mr. Mason, ein Mädchen wird seinen gesamten Gewinn bei einem Überfall los, und Sie tun, als wäre das unwichtig. Es ist mein absoluter Ruin!« Mason nickte gedankenschwer und wiederholte: »Sie müssen die Polizei benachrichtigen.« »Das kann ich nicht, Mr. Mason. Ich kann es einfach nicht.« »Warum nicht?« »Nun, es gibt... gewisse Gründe dagegen.« »Sie haben einiges von dem Geld gerettet, weil ich die Kaution für Ihren Bruder einzahlte. Die können Sie zurückbekommen.« »Ja«, sagte sie und schlug die Augen nieder. »Ich bestehe noch immer darauf, daß wir die Polizei informieren.« Sie schüttelte heftig den Kopf. »Also gut, wenn Sie dabei bleiben, dann müssen Sie eben gute Miene zum bösen Spiel machen.« Er ging zur Tür, lächelte ihr zu und sagte: »An solche Dinge müssen Sie sich gewöhnen. Schließlich sind sie jetzt immer noch besser dran als vor einigen Tagen. Sie bekommen wenigstens die Kaution zurück.« -5 1 -
»Mr. Mason, ich ... Sie enttäuschen mich.« »Wieso?« »Sie sehen diese Sache so ... so nüchtern und sachlich.« »Ein Raubüberfall ist eine neue Erfahrung für Sie. Zum erstenmal hat Sie jemand bedroht und Ihnen Geld weggenommen. Für die Polizei ist das nichts weiter als Routine, gerade so, als wenn Ihr Chef Sie bäte, mit Bleistift und Stenogrammblock zu erscheinen und einen Brief aufzunehmen. Nun bin ich zwar nicht die Polizei, aber auch ich sehe eine Menge Verbrechen und betrachte sie ziemlich ähnlich. Ich will nicht mit Ihnen streiten und stelle Ihnen nochmals anheim, die Polizei anzurufen. Bei der Beschreibung, die Sie von dem Mann geben können, besteht immer noch die Möglichkeit, daß die Polizei das Geld wieder auftreibt.« »Nein, nein. Das kann ich mir nicht leisten. Ich will die Polizei nicht.« »In Ordnung. Unter diesen Umständen kann ich nur nach Hause gehen, und Sie können nichts weiter tun, als sich schlafen zu legen und ...« »Aber ich habe Angst, hier so allein zu bleiben.« »Wovor denn? Ihr Geld haben Sie verloren. Und sonst gibt es doch nichts, das Sie ängstigen könnte. Oder?« »Nein, ich ... ich glaube nicht.« »Ich kann nicht bei Ihnen bleiben, Sie sind schließlich erwachsen, wissen Sie ... Sagten Sie nicht etwas von einer Freundin, bei der Sie das Geld unterbringen wollten?« »Ja.« »Warum fahren Sie nicht zurück in Ihre Wohnung und bitten Ihre Freundin, die Nacht bei Ihnen zu verbringen, wenn Sie so nervös sind?« »Ich - ja, das ist eine gute Idee, Mr. Mason. Ich glaube, das mache ich. Ich will gleich zusammenpacken.« »Okay«, sagte Mason.
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Sie ging auf ihn zu und gab ihm die Hand, die noch immer eiskalt war. Er spürte das nervöse Zittern, das sie durchlief. »Also schön, tun Sie das.« »Würden Sie - könnten Sie hier warten, während ich packe?« »Tut mir leid«, sagte Mason, »ich habe einen anstrengenden Tag hinter mir. Sie haben jetzt nichts mehr zu befürchten. Packen Sie einfach Ihre Sachen ins Auto, und fahren Sie zurück in Ihre Wohnung.« »Sie könnten doch vielleicht diese wenigen Minuten warten ...« Mason schüttelte den Kopf. »Ich weiß«, sagte sie, »ich verstehe, Sie haben schrecklich viel zu tun und sind sicher sehr abgearbeitet ... und außerdem sind Sie böse auf mich, weil ich die Polizei nicht anrufen will. Ich danke Ihnen also nochmals, Mr. Mason. Haben Sie vielen Dank.« Mason lächelte, klopfte ihr leicht auf die Schulter und ging hinaus. Auf halbem Weg zum Büro des Verwalters hörte er eine Tür schlagen, den Schall laufender Füße und die Stimme der jungen Frau. »Mr. Mason, bitte - oh, bitte!« Der Anwalt drehte sich um. Sie rannte auf ihn zu, warf sich ihm buchstäblich in die Arme und preßte sich in panischer Angst an ihn. »Mr. Mason, bitte ... bitte!« »Was ist denn jetzt schon wieder los?« erkundigte sich Mason. »Etwas Furchtbares - etwas Entsetzliches! Sie müssen ... scht! Wir können es nicht hier besprechen, man könnte uns hören ... Bitte kommen Sie!« »Was Neues?« fragte Mason. »Grauenvoll!« »Was?« »Eine ...« Sie dämpfte die Stimme bis zum Flüstern. »Eine Leiche.« »Wo?« -5 3 -
»Im Duschbecken.« »Sind Sie sicher?« »Ja.« »Mann oder Frau?« »Mann.« »Ist er tot?« »Ich weiß nicht, ich ... ich fürchte, ja. Er sieht tot aus.« Mason drehte sich um, legte einen Arm um die zitternde junge Frau und sagte: »Jetzt beruhigen Sie sich mal, und reißen Sie sich zusammen. Sie hatten keine Ahnung, daß die Leiche dort war?« »Himmel, nein!« »Wie fanden Sie sie?« »Ich wollte doch meine Sachen packen und ... ging ins Badezimmer, und da lag er, völlig zusammengequetscht, im Duschbecken.« »Also, dann müssen wir die Polizei jetzt benachrichtigen.« »Müssen wir wirklich?« »Ja.« »Kann ich gehen, und Sie ...« »Nichts dergleichen können Sie«, unterbrach Mason. »Das wäre das Allerdümmste. Sie müssen hierbleiben und die Suppe auslöffeln.« »Ich ...« »Sie haben Angst vor der Polizei, nicht wahr?« fragte Mason. »Ja, schreckliche.« »Das sollten Sie aber nicht. Die Polizei ist Ihr bester Schutz, wenn Sie nicht schuldig sind ... und Sie sind doch nicht schuldig, oder?« »Nein, natürlich nicht.« »Sie wußten nichts davon, daß dort ein Toter lag?« »Nein.« -5 4 -
Mason hielt ihr die Tür zum Bungalow auf. »Oh, ich grause mich davor, noch einmal hineinzugehen«, sagte sie, »ich . . .« »Das kann ich Ihnen nachfühlen, aber Sie müssen es nun mal durchstehen.« Er schob sie sanft ins Zimmer und stieß die Tür zu. »So, und jetzt geben Sie das Lügen besser auf.« »Wie meinen Sie?« »Sie wußten, daß der Tote hier lag.« Sie sah ihn mit großen Augen entrüstet an. »Aber, Mr. Mason, ich - wie können Sie mich nur so beschuldigen?« Der Anwalt fixierte sie unbewegt. Einen Moment hielt sie seinem Blick stand, dann wichen ihre Augen aus. »Der Grund, weshalb ich herkommen sollte«, sagte Mason, »der Grund, weshalb Ihnen so darum zu tun war, mich in dieses Hotelzimmer zu kriegen, war der Tote hier. Sie wußten von ihm. Entweder haben Sie ihn selbst ermordet oder die Leiche entdeckt. Sie wollten mir nichts davon erzählen; ich sollte derjenige sein, der ihn fand. Sie glaubten, ich würde dann die Polizei rufen. Sie wollten das Zimmer mit dieser Geschichte von einem Überfall betreten und ...« »Die Geschichte mit dem Überfall ist wahr, Mr. Mason.« »Ich glaube es nicht«, entgegnete Mason. »Sie war ein Alibi, ein recht simples, das Sie sich zusammenbrauten, um Ihre Abwesenheit und Ihre Aufregung zu motivieren. Sie riefen mich an, weil Sie wußten, daß die Leiche hier lag. Ich habe Sie aber getäuscht. Anstatt die Polizei zu rufen, tat ich, als wüßte ich nichts von dem Toten.« »Sie ... Sie haben ihn schon gesehen?« »Natürlich.« »Aber Sie haben sich nichts anmerken lassen. Sie ...« »Ich wollte Sie auf die Probe stellen«, erklärte Mason. »Ich wollte sehen, ob Sie aufgeben und mir alles erzählen, oder ob -5 5 -
Sie versuchen, mir dies Lügenmärchen aufzutischen, Sie hätten nichts von dem Toten gewußt, seien ins Badezimmer gegangen, hätten ihn dort entdeckt und seien mir nachgestürzt.« Sie warf sich plötzlich in seine Arme und schluchzte. »War es so?« fragte Mason. »Ja«, gab sie leise zu. »Deshalb habe ich Sie angerufen. Ich ... ich habe den Toten gefunden.« »Wie?« »Was denken Sie denn? Ich war weg, und als ich zurückkam, mußte ich ins Badezimmer gehen, und ... dort lag er.« »Also gut«, sagte Mason, »wir müssen die Polizei benachrichtigen. Die Hauptsache ist, daß Sie mir jetzt die Wahrheit sagen.« »Ich habe sie Ihnen gesagt.« »Die ganze Wahrheit?« »Jawohl.« >Und was war mit dem Raubüberfall?« »Das stimmt. Er ist wirklich passiert.« »Wollen Sie hier im Zimmer warten, während ich die Polizei anrufe?« »Um Himmels willen, nein!« »Wir können nicht vom Büro des Verwalters aus telefonieren«, sagte Mason. »Das gibt noch mehr Ärger. Unten beim Schwimmbecken ist eine Telefonzelle. Haben Sie einen Schlüssel zu diesem Bungalow?« »Ja.« »Dann schließen Sie ab und kommen Sie mit.« Sie gingen am Schwimmbecken vorbei zur Telefonzelle. Mason warf eine Münze ein und wählte die Vermittlung. »Polizeipräsidium bitte«, sagte er. »Notruf.« Er wurde verbunden und meldete sich: »Hier Perry Mason. Bitte das Morddezernat.« -5 6 -
Gleich darauf hörte er Leutnant Traggs Stimme: »Na, na, Perry, was ist jetzt wieder los? Hoffentlich nicht schon wieder ein Mord?« »Offensichtlich doch.« »Wo sind Sie?« Mason erklärte es ihm. »Wo ist der Tote?« »In einem Bungalow hier.« »Sind Sie allein?« »Nein, meine Mandantin ist bei mir.« »Bewohnt sie den Bungalow?« »Ja.« »Wer hat den Toten gefunden?« »Ich.« »Warum hat sie ihn umgebracht - in Notwehr?« »Sie sagt, sie hat ihn nicht getötet.« »Sie haben die Lage des Toten nicht verändert und ihn nicht berührt?« »Nein. Er liegt im Duschraum; das heißt, halb im Duschbecken und halb draußen.« »Und Ihre Mandantin weiß nichts von dem Fall?« »So ist es.« »Warum hat sie Sie dann gerufen?« »Wegen einer anderen Sache.« »Halten Sie sich fern vom Tatort, berühren Sie nichts, hinterlassen Sie nicht noch mehr Fingerabdrücke. Gehen Sie bitte nicht weg, und lassen Sie auch Ihre Mandantin nicht fliehen«, sagte Tragg. »Wir kommen sofort.«
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7 Leutnant Tragg vom Morddezernat trat aus dem Bungalow und ging auf Masons Wagen zu, in dem der Anwalt mit Nancy Banks saß. »Also, junge Frau«, begann er, »Sie bewohnen diesen Bungalow. Weshalb haben Sie ihn gemietet?« »Ich ... ich brauchte einen Platz, wo ich mit Mr. Mason privat sprechen konnte.« »Worüber?« »Über eine geschäftliche Angelegenheit, die hier nichts zur Sache tut.« »Dann wollen wir mal Fraktur reden«, sagte Tragg. »In diesem Bungalow ist ein Mord begangen worden. Wo waren Sie, als das Verbrechen geschah?« »Das weiß ich nicht. Ich weiß nicht, um welche Zeit es passiert ist.« »Wann haben Sie die Leiche entdeckt?« »Als ich zurückkam.« »Woher zurück?« »Aus meiner Wohnung.« »Wo ist Ihre Wohnung?« Sie erklärte es ihm. »Was taten sie dort?« »Ich fuhr hin, um ... um ein paar Sachen zu erledigen - also, ich hatte einiges Geld, über das ich verfügen wollte.« »Was heißt, Sie wollten darüber verfugen?« »Ich wollte es so verwahren, daß man es nicht finden konnte.« »Das klingt ja alles sehr interessant«, sagte Tragg. »Ich würde gern ein bißchen mehr davon hören.« »Moment bitte, Leutnant«, schaltete Mason sich ein. »Einigen wir uns doch gleich darüber, daß diese Befragung kein Anklageverhör ist.« -5 8 -
»Und einigen wir uns auch darüber, daß die Antworten keine Ausweichmanöver sind«, parierte Tragg. »Die Geschichte ist nicht einfach, Leutnant. Miss Banks hat einen Bruder. Dieser Bruder war wegen Unterschlagung verhaftet und ...« »Augenblick«, unterbrach Tragg. »Wenn ich Angaben von Ihnen brauche, Mason, werde ich darum bitten. Jetzt brauche ich aber eine Aussage Ihrer Mandantin. Ich möchte ein paar sehr klare Antworten auf ein paar sehr direkte Fragen. Ich weiß, worauf ich hinauswill. Auch Sie mögen das wissen oder nicht jedenfalls will ich mir nicht von einem spitzfindigen Juristen alles vermasseln lassen, indem er seiner Mandantin die Antworten in den Mund legt.« Mason wandte sich Nancy Banks zu. »Fangen Sie an, Nancy. Berichten Sie ihm alles. Das Schlimmste wäre ein Mißverständnis. Leutnant Tragg ist ein anständiger Kerl, trotz seiner Holzhammermethode bei Vernehmungen.« »Das klingt schon besser«, meinte Tragg. »Also, Miss Banks, kennen Sie diesen Toten?« »Ja.« »Wer ist es?« »Marvin Fremont.« »Standen Sie in Verbindung mit ihm?« »Ich - mein Bruder arbeitete für ihn.« »Was machte Fremont? Welchen Beruf hatte er?« »Er legte Geld an. Er hatte einen Antiquitäten- und Raritätenhandel. Nebenbei kaufte und verkaufte er Grundstücke.« »Sie hatten Ärger mit ihm?« »Mein Bruder.« »Ärger welcher Art?« »Er warf meinem Bruder Unterschlagung vor.« »Gab es noch andere Schwierigkeiten?« -5 9 -
»Mein Bruder ging zum Pferderennen, setzte auf ein Pferd und - nun, Mr. Fremont wollte den Gewinn haben.« »Bekam er ihn?« »Offenbar. Er sorgte dafür, daß mein Bruder ins Gefängnis gesteckt wurde. Dabei nahm man ihm den Gewinnschein weg. Mr. Fremont strengte einen Prozeß an, um das Geld zu bekommen.« Mason wollte etwas sagen, hielt sich aber nach einem Blick von Tragg zurück. »Und Sie konsultierten Perry Mason. Um Ihrem Bruder zu helfen?« »Ja.« »Wozu sonst noch?« »Ich brauchte eine Kaution, das heißt, sie sollte für meinen Bruder gezahlt werden, damit er aus dem Gefängnis kam.« »Wer beschaffte sie?« »Ich.« »Wie?« »Ich setzte beim Rennen auf ein Siegerpferd.« »Auf welches?« »Auf >Landser<.« »Wieviel gewannen sie?« »Ich setzte fünfhundert Dollar auf Sieg und gewann ... na ja, eine recht hübsche Summe. Etwa vierzehntausend Dollar.« »Was taten Sie damit?« »Ich gab die Scheine Mr. Mason, und er holte das Geld für mich ab.« »Was tat Mr. Mason mit dem Geld?« »Er übergab es mir.« »Und dann?« »Dann bat ich ihn, die Kaution von fünftausend Dollar für meinen Bruder einzuzahlen. Ich gab Mr. Mason die fünftausend Dollar zu diesem Zweck und zahlte ihm sein Honorar.« -6 0 -
»Und er hinterlegte die Kaution?« »Ja.« »Was geschah mit dem Rest?« »Den behielt ich.« »Wo ist das Geld jetzt?« »Ich habe es verloren.« »Auf welche Weise?« »Ich wurde überfallen.« »Wann?« »Als ich zu meiner Wohnung fuhr, um es zu verstecken und zu ... nun, um es so unterzubringen, daß nicht alles auf einem Haufen war. Jemand sollte einen Teil davon übernehmen.« »Wer?« »Mrs. Lawton.« »Wie ist ihr Vorname?« »Lorraine.« »Wo wohnt sie?« »Sie hat das Apartment mir gegenüber, auf demselben Flur.« »Was ist ihr Beruf?« »Sie braucht nicht zu arbeiten. Das heißt, sie ist nicht darauf angewiesen. Sie ... sie war verheiratet.« »Unterhalt?« »Ich glaube ja.« »Andere Einnahmen?« »Sie arbeitet in einer Forellenfarm - zeitweise.« »Welche?« »Osgoods Forellenfarm. Sie hat mehrere Teiche. Man kann sich eine Ausrüstung leihen und Forellen angeln. Jede gefangene Forelle wird berechnet. Dort arbeitet sie manchmal. Sie kennt Mr. Osgood, den Besitzer.« »Haben Sie ihr einen Teil des Geldes gegeben?« »Nein.« -6 1 -
»Warum nicht?« »Ich wurde überfallen, bevor ich sie sprechen konnte.« »Was geschah mit dem Geld?« »Der Mann, der mich überfiel, nahm es mir ab.« »Wie heißt das Apartmenthaus?« »The Lockhard.« »Wo liegt es?« »In der Lockhard Avenue.« »Welche Nummer hat Ihr Apartment?« »513.« »Wer war der Mann, der Sie überfiel?« »Ich weiß es nicht.« »Beschreiben Sie ihn.« »Er war ziemlich klein und etwa vierzig Jahre alt, glaube ich. Er trug so einen dünnen Strumpf überm Gesicht mit Augenlöchern darin. Es war dunkel, ich konnte nur seine Augen glitzern sehen. Ich ... ich merkte, daß er Raucher war, weil er nach Tabak roch.« »Hatte er eine Waffe?« »Ja.« »Bekam er das Geld?« »Ja, natürlich. Er nahm es mir ab.« »Woraus schlössen Sie, daß er ungefähr vierzig Jahre alt war?« »Aus der Art, wie er sich bewegte, aus seiner Figur und der Stimme.« »Wo geschah dieser Überfall?« »Wo ich meinen Wagen abstelle, auf dem Parkplatz beim Apartmenthaus. Da parken die meisten Mieter.« »Stellen Sie Ihren Wagen dort regelmäßig ab?« »Ja.« »Parkwächter?« -6 2 -
»Nein. Es ist kein offizieller Platz, nur ein freies Gelände, das dem Hausbesitzer gehört. Er erlaubt den Mietern, dort zu parken.« »Würden Sie den Täter wiedererkennen, wenn Sie ihn sähen?« »Vielleicht - ich bezweifle es aber. Ich habe sein Gesicht überhaupt nicht gut gesehen.« »Wie groß war er?« »Ziemlich klein. Nur zwei oder drei Zentimeter größer als ich.« »Sein Gewicht - ungefähr?« »Nun, das war durchschnittlich, so etwa - na, eben wie das eines Vierzigjährigen.« »Untersetzt?« »Das könnte man sagen.« Tragg griff in die Tasche und zog einen Nylonstrumpf heraus, in den zwei Löcher geschnitten waren. Er zog ihn über den Kopf, und zwar so, daß die Schlitze genau vor den Augen festgehalten wurden. »Sah er so aus?« fragte er. Nancy Banks stieß einen kleinen Schrei aus. »Erinnert Sie das an etwas?« »Sie sehen - Sie sehen genau wie der Mann aus!« »Nun, ich habe Sie nicht überfallen«, sagte Tragg. »Zu Ihrer Information - den Strumpf habe ich dem Toten aus der Tasche genommen.« »Oh!« rief sie aus. »Oh ...« Tragg horchte auf ihren Tonfall. »Überrascht Sie das?« »Ja.« »Sie glauben nicht, daß er es war?« »Ich - der Gedanke wäre mir niemals gekommen.« »Aber er hätte es gewesen sein können?« »Ja.«
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»Gut. Sie verließen Ihre Wohnung und kehrten zu diesem Motel zurück?« »Ja.« »Und da lag der Tote?« »Nun, es ... es war nicht ganz so einfach. Ich fand ihn erst...« »Er war da?« »Ich nehme es an, ja.« »Wann fanden Sie ihn?« »Ich ... ich weiß die genaue Zeit nicht, aber ich rief Paul Drake an, den Detektiv, noch bevor ich ihn fand. Mir war gesagt worden, ich könne Mr. Mason abends über die Detektei Drake erreichen.« »Sie riefen also an?« »Ja.« »Von hier?« »Nein, von einer Telefonzelle an der Straße.« »Meldete sich jemand?« »Ja, ich sprach mit Mr. Drake selbst. Ich sagte ihm, ich müßte Mr. Mason sofort äußerst dringend sprechen.« »Damit meinten Sie den Überfall?« »Ja.« »Aber Sie erreichten Mason nicht sofort?« »Nein.« »Wie lange dauerte es?« »Es schien mir Stunden.« »Aber mindestens eine ganze Stunde?« »Das bestimmt.« »Zwei Stunden?« »Ich weiß nicht. Das glaube ich aber nicht.« »Wo waren Sie während dieser ganzen Zeit?« »Bei der Telefonzelle.« -6 4 -
»Wo ist diese Telefonzelle?« »Bei einer Tankstelle.« »Wo genau?« »Die Adresse kann ich Ihnen nicht sagen.« »War die Tankstelle geöffnet oder geschlossen?« »Geschlossen.« »Könnten Sie sie wiederfinden?« »Wahrscheinlich. Sie liegt an der Landstraße zwischen dem Motel und meiner Wohnung.« »Was geschah dann weiter?« »Nach einer Weile rief Mr. Mason das Büro von Mr. Drake an und bekam meine Nachricht. Dann rief ich wieder Mr. Drake an, der mir sagte, Mr. Mason sei auf dem Weg nach hier.« »Mr. Mason kam also zu Ihnen?« »Ja.« »Und Sie berichteten ihm von der Leiche?« Sie zögerte. »Nun?« fragte Tragg. »Nein«, erwiderte sie. »Nicht sofort.« »Warum nicht sofort?« »Als ich den Toten entdeckt hatte, ging ich hinaus und wartete an einer Stelle, wo ich nach Mr. Mason Ausschau halten konnte. Ich wollte, daß er die Leiche fand. Ich wollte ihm gegenüber so tun, als ob - oh, ich weiß nicht, ich wollte ... mir ein Alibi verschaffen, glaube ich ...« »Sie hatten Angst, daß man Sie verdächtigte?« »Ich ... ich wußte es nicht genau. Ich war ganz außer mir.« »Warum?« »Versetzen Sie sich in ihre Lage, Leutnant«, unterbrach Mason. »Sie sind in Ihrem Zimmer, finden eine Leiche und . ..« »Ich versetze mich durchaus in ihre Lage«, entgegnete Tragg, »und ich werde etwas später auch Ihnen noch einige Fragen -6 5 -
stellen. Ihre Weste ist vielleicht nicht so rein, wie man glaubt. Die Sache könnte einen Haken haben, von dem Sie nichts wissen. Also, Miss Banks, warum fürchteten Sie, man könnte Sie verdächtigen?« »Fremont und ich ... wir konnten uns nicht leiden.« »Aus welchem Grund?« »Wegen der Art und Weise, wie er Rodney behandelte.« »Rodney ist Ihr Bruder?« »Ja.« »Fremont ließ Ihren Bruder wegen Unterschlagung verhaften?« »Ja.« »Sie kannten Fremont?« »Ja, natürlich.« »Und haben oft mit ihm gesprochen?« »Ja.« »Haben Sie auch für ihn gearbeitet?« »Ja.« »Haben Sie gekündigt, oder sind Sie entlassen worden?« »Ich habe gekündigt.« »Warum?« »Aus privaten Gründen.« »Sie fanden Fremonts Leiche in Ihrem Duschbad«, fuhr Tragg fort. »In panischem Schrecken riefen Sie Mason an. Dann gingen Sie hinaus und warteten auf Mason. Was taten Sie sonst noch in dieser Zeit?« »Ich - wieso, ich wartete nur, weiter nichts ... Aber als ich zum erstenmal telefonierte, hatte ich doch den Toten noch nicht entdeckt. Sie bringen mich ganz durcheinander. Ich telefonierte zuerst wegen des Überfalls. Deshalb wollte ich Mr. Mason sprechen. Als ich dann wußte, daß er auf dem Weg zum Motel war, fuhr ich dorthin. Und da fand ich die Leiche. Ich ging wieder hinaus und stellte mich so, daß ich Mr. Masons Ankunft beobachten konnte.« -6 6 -
»Warten Sie mal einen Moment«, sagte Tragg, »und bleiben Sie beide hier.« Er ging in den Bungalow und kehrte mit einem Stück zerrissener Pappe zurück, das an einer Schnur hing. Die Schnur war um seinen Zeigefinger gewickelt. »Haben Sie das schon mal gesehen? Wissen Sie, was es ist? Und wozu es gebraucht wurde?« fragte er Nancy Banks. Sie schüttelte den Kopf. »Wieso? Ich ... ich ...« Sie verstummte. Mason fixierte sie scharf. Ihr Gesicht war verzerrt und schneeweiß, die Augen schreckgeweitet. »Ich glaube, es reicht jetzt mit der Befragung, Tragg«, sagte er. Leutnant Tragg grinste. »Die Antwort auf diese Frage täte weh, was?« »Das habe ich nicht gesagt.« »Aber ich sage das, und das Gesicht Ihrer Mandantin beweist es«, entgegnete Tragg. »Sie wissen, was dies ist, Miss Banks?« Nancy schüttelte den Kopf. »Antworten Sie nicht, Nancy«, riet Mason. »Es ist ganz offensichtlich, daß der Schock und der Druck, unter dem Sie in den letzten Stunden gestanden haben, zuviel für Sie waren. Sie sind am Zusammenbrechen. Ich muß darauf bestehen, daß jetzt nicht weitergefragt wird.« Tragg feixte. »In Ordnung, Perry. Ich habe in den letzten Stunden nicht so unter Druck gestanden und kann die Frage beantworten. Ich werde Ihnen sagen, was es ist: ein Stück von einem Trockeneiskarton. Zu Ihrer Kenntnis: Es wurde der Versuch gemacht, die Tatzeit zu verschleiern. Wer immer Marvin Fremont umbrachte - er wollte den Sachverhalt hinsichtlich der Todeszeit verschleiern und packte die Leiche in Trockeneis. Als der Körper abgekühlt war, wurden alle Eisbehälter entfernt, damit die Polizei glaubte, der Mord sei einige Stunden früher begangen worden. Indessen übersah der Mörder - oder die Mörderin - diesen abgerissenen Teil eines Trockeneiskartons, den wir unter dem Körper fanden. Er war -6 7 -
offenbar vom Behälter abgegangen, als die Trockeneispackung entfernt wurde. Es ist aber noch genug vom Aufdruck übriggeblieben, um einen Teil der Beschriftung zu erkennen. Und wenn wir den restlichen Karton finden, können wir das Stück einsetzen. Wahrscheinlich hätten wir ohnehin Verdacht geschöpft, denn der Fliesenboden in diesem Duschbad war ausgesprochen kalt - ich meine eiskalt. Aber diese Pappe sagt ja alles. Jetzt werde ich Ihnen beiden erzählen, was das bedeutet, und Sie können darüber nachdenken, Miss Nancy Banks. Es heißt, daß dieser Mord wohlüberlegt geplant war, daß er vorsätzlich geschah und mit teuflischer Geschicklichkeit ausgeführt wurde. Und dies eine Stück Karton, zu dem Ihre Mandantin nur den Kopf schüttelt, Mr. Mason, ist ein todsicherer Beweis für das Geschehene. Wenn wir also die Fingerabdrücke Ihrer Mandantin auf diesem Behälter finden, von dem sie angeblich nichts weiß ...« »Vorsicht«, unterbrach Mason ihn, »daß Sie ihr nicht Worte in den Mund legen oder die Tatsachen entstellen. Sie hat nichts dergleichen gesagt.« »Sie hat den Kopf geschüttelt«, sagte Tragg. »Sie hat nicht den Kopf geschüttelt als Antwort auf die Frage, ob sie etwas darüber wüßte. Sie haben sie gefragt, ob sie wisse, was das sei und wofür es gebraucht wurde, und daraufhin schüttelte sie den Kopf.« »Nun, sie kann aber jetzt den Kopf schütteln oder nicken«, beharrte Tragg. »Ich stelle Ihnen die Frage, Miss Banks: Haben Sie diesen Karton schon gesehen? Haben Sie ihn berührt?« »Ich sage Ihnen doch, sie wird keine weiteren Fragen beantworten«, fuhr Mason dazwischen. »Sie braucht nur zu nicken oder den Kopf zu schütteln, das strengt nicht zu sehr an«, sagte Tragg. Mason legte seinen Arm um Nancys Schultern. »Tun Sie gar nichts, Nancy. Schütteln Sie nicht den Kopf, und nicken Sie nicht. Beantworten Sie keine Fragen mehr. Lassen Sie sich nicht fertigmachen. Dies ist die übliche Polizeimethode, eine junge Frau zu vernehmen, wenn sie erregt ist, um ihr Aussagen -6 8 -
zu entlocken, durch die sie sich belastet. Nun regen Sie sich nicht mehr auf, und antworten Sie auf keine Fragen mehr. Schütteln Sie nicht den Kopf, nicken Sie nicht, zucken Sie mit keiner Wimper. Wenn Sie wieder bei Kräften sind und ruhiger werden, geben wir Leutnant Tragg ein Interview und beantworten all seine Fragen. Bis dahin sagen wir kein Wort mehr.« Tragg feixte. »Sie wollen natürlich abwarten, ob man ihre Fingerabdrücke auf dem Karton findet. Dann wissen Sie nämlich, wie der Hase läuft. Also gut. Ich werde Ihnen etwas sagen, Mr. Perry Mason. Was mich betrifft, so werden Sie auf die Frage der Fingerabdrücke erst Antwort bekommen, wenn der Fall bei Gericht anhängig ist. Und da Sie nicht wünschen, daß Ihre Mandantin weitere Fragen beantwortet, weil Sie glauben, jede weitere Befragung sei ein Ausfluß polizeilicher Brutalität, will ich Ihnen mitteilen, daß Ihre Mandantin nicht länger zu bleiben braucht. Sie können sie in ihre Wohnung, in ein Hotel oder sonstwohin bringen. Meine einzige Forderung besteht darin, daß sie sich morgen für weitere Vernehmungen bereithalten muß. Wir möchten nicht, daß sie irgend etwas unternimmt, wodurch sie uns nicht mehr zur Verfügung steht; denn Flucht wäre ein Beweis für ihre Schuld und sicher nicht in Ihrem Sinne, Mr. Mason.« Tragg bedachte beide mit einem wohlwollenden Lächeln, machte kehrt und ging zurück ins Motel.
8 Mason wandte sich Nancy Banks zu. »Bitte, Mr. Mason«, sagte sie, »bitte bringen Sie mich fort von hier, irgendwohin, wo man mich eine Weile nicht finden kann.« Mason startete, fuhr vom Motel zur Hauptstraße und ließ sich vom Verkehr treiben. »Möchten Sie mir was erzählen, Nancy?« fragte er. »Nein.« -6 9 -
»Ich fürchte, Sie werden es müssen. Bevor die Polizei Sie wiederum verhört, muß zwischen uns völliges Einvernehmen herrschen. Verstehen Sie, was passiert, wenn Sie mich belügen? Dann sind alle meine Maßnahmen falsch. Statt Sie von Schwierigkeiten zu befreien, bereite ich Ihnen neue. Die Polizei hat eine Falle ausgelegt, und ich muß wissen, wie schwerwiegend die Sache ist.« »Sie könnte nicht schwerwiegender sein«, sagte sie und fing an zu weinen. »Jetzt hören sie auf damit«, sagte Mason energisch. »Sparen Sie Ihre Tränen für später. Sie können es sich nicht leisten, sich gehenzulassen. Noch sind Sie bis zum äußersten angespannt, und in dem Zustand müssen Sie bleiben, bis Sie mir die Wahrheit erzählt haben. Was ist mit dem Trockeneis?« »Ich weiß nichts davon.« »Sie lügen.« »Sie glauben mir nicht? Niemand glaubt mir. Ich könnte ebensogut das Blaue vom Himmel herunterlügen, wenn jeder so von mir denkt.« Mason erwiderte geduldig: »Ich weiß, Sie haben eine Menge hinter sich, Nancy, aber Sie treiben hier irgendein Spiel mit mir und versuchen dasselbe auch mit der Polizei. Sie kommen damit nicht durch. Ich glaube, Sie wissen doch Bescheid über das Trockeneis. Ich will Ihnen sagen, was ich denke: Sie versuchen, Ihren Bruder zu decken. Sie sind der Meinung, daß Ihr Bruder Fremont getötet hat, und Sie wollen jetzt den Anschein erwecken, Fremont sei schon länger tot, als es wirklich der Fall ist. Sie versuchen den Eindruck hervorzurufen, er sei ermordet worden, während Ihr Bruder im Gefängnis saß. Das könnte Ihrem Bruder ein perfektes Alibi verschaffen.« »Wie in aller Welt kommen Sie darauf?« fragte sie. »Als ich Sie im Bungalow begrüßte«, fuhr Mason fort, »waren Ihre Hände eiskalt. Sie hätten auch nicht kälter sein können, wenn Sie mit Trockeneis hantiert hätten.«
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»Aber, Mr. Mason, das ist ja völlig absurd - also, so was habe ich überhaupt noch nicht gehört! Diese Idee, mir so etwas vorzuwerfen. Wissen Sie denn nicht, daß eine Frau, die furchtbar nervös ist und Angst hat, kalte Hände und Füße bekommt? Du lieber Himmel, wenn Sie schon meine Hände kalt fanden, hätten Sie mal meine Füße fühlen sollen.« »Nancy«, sagte Mason, »ich habe nicht die Absicht, meine Zeit mit Ihnen zu vertrödeln, dazu ist sie zu knapp. Ich sage Ihnen, daß Ihre Geschichte durch und durch faul ist. Sie unterschätzen die Polizei.« »Wieso unterschätze ich sie?« »Die Polizei ist weit raffinierter, als Sie glauben, und ich kenne Tragg lange genug, um zu wissen, daß er uns eine Falle stellt.« »Was für eine Falle?« »Er denkt, wir werden etwas unternehmen, womit wir ihm genau in die Hände spielen... Also, was wissen Sie von dem Trockeneis?« »Wenig. Sehr wenig. Warum?« »An diesem Stück Pappe, das er da hatte, konnte ich zwar nicht den ganzen Aufdruck erkennen, aber ich sah einen Teil des Buchstabens C und den vollen Buchstaben E. Tragg sagte, das Stück stamme von einer Packung Trockeneis, und ich zweifle nicht an seinem Wort.« In einem plötzlichen Wutausbruch rief sie: »Dieses verdammte Trockeneis!« »Was ist los damit?« fragte Mason. »Was bringt Sie dabei so aus der Fassung? Als Tragg etwas von Trockeneis sagte, fielen Sie fast um.« »Na schön«, sagte sie müde. »Ich werde Ihnen wohl die Wahrheit erzählen müssen.« »Das ist bestimmt besser. Sie haben mit dem Trockeneis hantiert, nicht wahr?« Sie zögerte noch. »Ja«, gab sie dann zu. »Warum haben Sie es dorthin gelegt?« -7 1 -
»Das habe ich nicht.« »Aber Sie wußten davon?« »Ja.« »Haben Sie es berührt?« »Mr. Mason, als ich die Leiche entdeckte, war sie bis zum Hals in Trockeneis gepackt und - na ja, es lagen zehn Packungen um den Körper herum; in den Kleidern, im Mantel, unter den Beinen.« »Was taten Sie?« »Ich rief Sie an, und dann nahm ich die Trockeneiskartons und legte sie in meinen Wagen. Ich raste los und suchte einen Ort, wo ich sie loswerden konnte und - also, ich fand einen Gully, in den ich sie warf. Dann fuhr ich zurück zum Motel und wartete auf Sie. Aber inzwischen waren Sie schon angekommen.« »Sie lügen schon wieder«, stellte Mason fest. »Sie hatten gar nicht die Absicht, mir von dem Leichenfund zu erzählen. Ich sollte den Toten selber entdecken.« »Das stimmt«, gab sie zu. »Ich will offen zu Ihnen sein, Mr. Mason. Aber mit dem Trockeneis, da habe ich Ihnen die Wahrheit gesagt.« »Und was war daran so schrecklich belastend für Sie? Warum haben Sie nicht die Polizei gerufen, den Leichenfund gemeldet und sie das Trockeneis finden lassen?« »Weil damit der Verdacht direkt auf mich gefallen wäre.« »In welcher Hinsicht?« »Ich ... ich ...« »Weiter«, drängte Mason, »reden Sie es sich von der Seele.« »Ich hab' mal so eine alberne Bemerkung gemacht, Mr. Mason. Bei einer Party unterhielten wir uns vor ungefähr einer Woche über Mordfälle, und jemand erwähnte, wie die Polizei die Körpertemperatur mißt, um die Tatzeit festzustellen. Ich sagte, dann könnte man ja die Polizei durch Trockeneis täuschen, den perfekten Mord begehen und sich ein Scheinalibi verschaffen.« »Wer hörte zu, als Sie das sagten?« fragte Mason. -7 2 -
»Die ganze Clique. Sie zogen mich damit auf.« »Wer genau?« »Mein Bruder, Lorraine, die Hausverwalterin der LockhardApartments, ihr Freund, eine Freundin von Lorraine und noch ein Mann namens Halstead. Er ist Hauptbuchhalter in der Firma, bei der mein Bruder arbeitet. Dann noch ein Bekannter von ihm. Wir hatten alle schon getrunken.« »Wie kamen Sie auf Trockeneis?« »Weil es bei der Forellenzucht gebraucht wird und ich manchmal mit Lorraine und Rodney hingehe.« »Rodney ist mit Lorraine befreundet?« »Ja.« »Wie eng?« »Ich habe nie danach gefragt. Ich vermute... sie stehen sich recht nahe.« »Wo wohnt Ihr Bruder?« »Er hat eine Junggesellenwohnung in den LockhardApartments.« »Und einen Schlüssel zu Lorraines Wohnung?« »Das weiß ich nicht. Er ist jedenfalls sehr oft da.« Mason seufzte. »Na schön, Nancy. Und jetzt muß ich Sie über einiges informieren. Als erstes sucht die Polizei in einem Fall dieser Art die Gullys ab. Die Erfahrung zeigt, daß Kriminelle sie gern als Versteck benutzen.« »Um Himmels willen! Können wir nicht... können wir nicht hinfahren und diesen Behälter aus dem Gully holen?« »Das können wir nicht«, erwiderte Mason. »Damit gingen wir beide in die Falle. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat Leutnant Tragg das Polizeipräsidium angerufen, und sie suchen jetzt schon die Gullys ab. Sie können wetten, er ließ uns nur deshalb gehen, weil er damit rechnete, daß wir ihm in die Falle gehen. Er hat uns den Strick gegeben und wartet jetzt darauf, daß wir uns aufhängen. Aber so schlecht es auch für uns aussieht, wir wollen die Sache nicht noch verschlimmern. Kommen Sie, Nancy, ich bringe Sie zu Ihrem Wagen zurück, und Sie fahren -7 3 -
nach Hause. Sie werden Ihre Nachbarin Lorraine Lawton bitten, die Nacht über bei Ihnen zu bleiben. Und ich meine das wörtlich. Sie muß über jede Minute Rechenschaft ablegen können. Sie wird beschwören müssen, daß Sie Ihre Wohnung nicht mehr verließen, nachdem Sie sie betreten hatten. Ich werde hinter Ihnen herfahren und feststellen, ob jemand Ihnen folgt. Wenn ich schnell blinke, bedeutet es, daß Sie verfolgt werden. Dann parken Sie und steigen zu mir um. Ich bringe Sie zu Ihrer Wohnung und bleibe bei Ihnen, bis Lorraine kommt.« »Und diese Trockeneiskartons?« »Ich sage Ihnen klipp und klar«, erwiderte Mason, »wenn Sie auch nur den geringsten Versuch unternehmen, die Behälter zurückzuholen, dann sitzen Sie so gründlich in der Tinte, daß ich Sie nie mehr herausziehen kann. Und was ist mit dem Strumpf? Glauben Sie, Marvin Fremont hat den Überfall gedreht?« »Mr. Mason, ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll.« »Der Mann, der Sie überfiel, hätte Marvon Fremont sein können?« »Ja, es wäre möglich.« »Wie lange lag der Überfall zurück? Können Sie ungefähr sagen, wie spät es war?« »Es muß etwa zwei oder drei Stunden hergewesen sein. Ich habe eine Armbanduhr, aber sie geht nie, weil ich fast immer vergesse, sie vor dem Duschen abzunehmen.« »Und wie lange danach gingen Sie in Ihren Bungalow und entdeckten die Leiche?« Sie zögerte. »Heraus jetzt mit der Sprache«, drängte Mason. »Ich muß die Wahrheit wissen.« »Es war ungefähr - zwanzig Minuten, bevor Sie ankamen«, sagte sie. »Mit anderen Worten: Nachdem Sie wußten, daß ich unterwegs zu Ihnen war, nahmen Sie die Trockeneiskartons weg und warfen sie in den Gully?« -7 4 -
»Ja.« »Dann wollen wir hoffen, daß Sie keine Fingerabdrücke auf der Pappe hinterlassen haben.« »Man kann doch von Papier keine Fingerabdrücke abnehmen, nicht wahr?« »Sie scheinen sich mit den Polizeimethoden recht gut auszukennen«, bemerkte Mason. »Ich lese gern Tatsachenkrimis. Ich weiß selbst nicht, warum Verbrechen mich immer fasziniert haben.« »Gut. Ich kann zu Ihrer Bildung beitragen. Es ist unter gewissen Umständen schwierig, Fingerabdrücke auf Papier festzustellen. Das hängt vom Papier und von den Umständen ab. Aber zur Zeit wird eine neue Technik angewandt, mit der man Fingerabdrücke aus der Reaktion von Aminosäuren auf dem Papier entwickeln kann. Manchmal kann man noch mehrere Jahre, nachdem die Finger das Papier berührt haben, Abdrücke erhalten, und sogar sehr gute.« »Das habe ich nicht gewußt«, sagte Nancy Banks. »Wenn die Polizei diese Trockeneiskartons findet, mit Ihren Fingerabdrücken darauf, dann wäre es lebensgefährlich für Sie, die Sache erklären zu müssen; aber ebenso gefährlich wäre eine Verweigerung der Erklärung.« »Sie meinen, ich sitze tief in der Klemme?« »Sehr tief sogar. Und jetzt will ich Ihnen noch was sagen.« »Ja?« »Ich glaube, Sie belügen mich noch immer. Sie wollen jemand decken, wahrscheinlich Ihren Bruder.« »Mr. Mason, ich versuche, Ihnen die Wahrheit zu sagen.« »Gut, ich will nicht mit Ihnen streiten. Ich will Sie nur warnen, Leutnant Tragg hat eine Falle ausgelegt; er rechnet damit, daß Sie die Polizei unterschätzen und direkt hineinlaufen. Und ich warne Sie davor, die Polizei zu unterschätzen. Die Leute sind gefährlich, intelligent, geschickt und vor allem hartnäckig. Ich bringe Sie also jetzt zum Motel zurück und setze Sie in Ihren Wagen. Sie fahren zu Ihrer Wohnung, ich folge Ihnen. Ich -7 5 -
glaube, Tragg rechnet nicht damit, daß ich Sie allein in Ihrem Wagen fahren lasse. Man weiß es aber nicht. Wahrscheinlich glaubt er, ich werde versuchen, Sie direkt zu Ihrer Wohnung zu fahren oder Sie vielleicht woanders zu verstecken. Ich fahre also hinter Ihnen her, wahrscheinlich im Abstand von einer Viertelmeile. Wenn mich jemand überholt und sich zwischen uns setzt, bleibe ich hinter ihm. Wenn er sie beschattet, werde ich ihn überholen und ein paarmal blinken. Also, Nancy, wenn Sie mich blinken sehen, bedeutet es, daß Sie verfolgt werden. Solange meine Lichter hinter Ihnen unverändert sind, ist alles klar. Das könnte auch bedeuten, daß Sie nicht so stark unter Verdacht stehen, wie ich befürchte. Sollten Sie also nicht verfolgt werden, dann hat die Polizei eine Spur gefunden, die in eine andere Richtung weist. Ich sage Ihnen das, damit Sie nicht wach liegen und zum Nervenwrack werden.« »Mr. Mason«, sagte sie, »ich kann gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen bin.« »Am besten«, entgegnete Mason, »sagen Sie mir die Wahrheit und folgen meinen Anweisungen. Und jetzt fahren wir zurück. Sie nehmen Ihren Wagen und steuern Ihre Wohnung an. Ich werde Sie begleiten. Dann holen wir Lorraine und arrangieren alles so, daß Sie von jetzt ab über jede Minute Ihrer Zeit Rechenschaft ablegen können.« »Jawohl«, sagte sie. Ihre Stimme klang ängstlich und unsicher. »Danach muß ich Paul Drake anrufen. Wir werden seine Hilfe brauchen.« Mason ließ Nancy Banks vorausfahren, schwenkte hinter ihr ein und hielt ziemlich gleichmäßig Abstand. Er kontrollierte sorgfältig im Rückspiegel, ob jemand folgte. Es war niemand zu sehen. Die Straße war recht ruhig, doch wußte Mason, daß sie nach zwei Meilen in einen Schnellweg mündete, wo mit starkem Verkehr zu rechnen war. Es bestand durchaus die Möglichkeit, daß Tragg an der Kreuzung dort einen Beamten aufgestellt hatte, der nur darauf wartete, die Verfolgung aufzunehmen.
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Die Schlußlichter an Nancys Wagen verschwanden in einer Kurve. Mason wurde langsamer und beobachtete. Dann gab er Gas und ging in die Kurve. Als die Straße wieder gerade wurde, suchte er vorn die Schlußlichter von Nancy Banks' Wagen. Er fand sie nicht, trat den Gashebel durch und sah auf die kletternde Tachonadel. Eine halbe Meile vor der Kreuzung entdeckte er vorn Schlußlichter und sah noch die Bremslichter aufleuchten, als der Wagen sich der Kreuzung näherte. Dann wurden die Lichter vom Verkehr auf dem Schnellweg verschluckt. Mason selbst hatte weniger Glück. An der Kreuzung dauerte es fast zehn Sekunden, bis er sich in den Verkehrsstrom einordnen konnte; im Gedränge waren die Schlußlichter mittlerweile nicht mehr zu unterscheiden. Er folgte der Hauptstraße bis zur Abzweigung zur Lockhard Avenue und fuhr das kurze Stück bis zu den LockhardApartments.
9 Er fand nur einen Parkplatz zwei Häuserblocks vom Apartmenthaus entfernt, stellte den Wagen ab und ging zu Nancy Banks' Wohnung. Auf sein Läuten erhielt er keine Antwort. Er entdeckte den Namen Lorraine Lawton, drückte den Knopf, nahm den Hörer des Haustelefons ans Ohr und wartete. Kurz darauf meldete sich eine sehr reizvolle Frauenstimme: »Hier spricht Mrs. Lawton. Wer ist dort, bitte?« »Ich weiß nicht, ob Sie von mir gehört haben«, antwortete Mason, »ich bin Perry Mason, der Rechtsanwalt von ...« »O ja, natürlich, Mr. Mason.« »Ist Miss Nancy Banks bei Ihnen?« »Nein, sie ist nicht hier. Möchten Sie heraufkommen?«
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»Ich habe erwartet, Miss Banks bei meiner Ankunft hier vorzufinden. Ich werde noch ein paar Minuten warten und dann mit ihr heraufkommen.« »Oh, das ist fein. Ich würde Sie gern kennenlernen. Ich habe Ihnen einiges zu erzählen.« »Nun, vielleicht komme ich doch lieber gleich herauf?« »Warum nicht? Sie meldet sich ohnehin sofort bei mir, wenn sie nach Hause kommt. Mein Apartment liegt ihrem genau gegenüber.« »Ich bin sofort oben.« Nachdenklich fuhr er mit dem Lift zum fünften Stock und wandte sich nach links. Gerade als er vor Apartment 512 stand, öffnete sich die Tür, und eine junge attraktive Blondine mit blauen Augen lächelte ihn an. »Mr. Mason?« »Ja.« Sie gab ihm die Hand. »Ich bin Lorraine Lawton. Kommen Sie bitte herein.« »Ich nehme doch an, Nancy wird jeden Augenblick eintreffen«, sagte Mason. »Eigentlich verstehe ich gar nicht, wieso sie nicht schon hier ist. Haben Sie nichts von Ihr gehört?« Lorraine Lawton schüttelte den Kopf. »Sie vertreten Rodney, Mr. Mason?« »Nicht Rodney«, erklärte Mason. »Nancy.« »Wozu, in aller Welt, braucht Nancy einen Anwalt?« »Nun, zunächst hatte sie mich beauftragt, für Rodney eine Kaution zu besorgen.« »Eine Kaution für Rodney?« »Ja.« »War sie denn in der Lage, Kaution zu stellen? Hat sie einen Bürgen?« »Es wäre mir lieber, wenn sie Ihnen die Einzelheiten selbst erzählte. Sie wird ja jeden Moment eintreffen. Ich nehme an, -7 8 -
Sie sind eng mit ihr befreundet, ebenso mit Rodney. Hab' ich recht?« »Oh, ganz bestimmt, Mr. Mason, sie hat keine Geheimnisse vor mir - gar keine. Sie können mir unbesorgt alles erzählen. Ich hoffe so sehr, daß Sie Rodney freibekommen. Der Gedanke, daß er im Gefängnis sitzt - also, der macht mir eine Gänsehaut.« »Er ist schon frei«, erwiderte Mason. »Wirklich? Aber er hat mich ja noch gar nicht angerufen«, sagte sie und zog einen Flunsch. »So ein Ekel.« »Dann wird er sich wohl bald melden«, beruhigte Mason sie. »Wahrscheinlich hatte er noch einiges zu erledigen.« »Dieser Fremont«, sagte Lorraine, »ist nach meiner Meinung der schmutzigste Mensch von der Welt. Er ist ein Gauner, er wird Rodney ruinieren. Ich finde, man sollte nur für jemand arbeiten, vor dem man Achtung hat und zu dem man aufblicken kann. Es beeinflußt den Charakter eines Mannes, meine ich, wenn er sich einem unterordnen muß, der ... na ja, ein richtiger Mistkerl ist.« »Sie kennen ihn?« fragte Mason. »Marvin Fremont? Das kann man wohl sagen.« »Ich möchte Sie gern einiges über Nancy fragen«, sagte Mason. »Versteht sie irgendwas von Trockeneis? Wissen Sie, ob sie mal Gelegenheit hatte, damit umzugehen?« Lorraine lachte. »Du meine Güte, Mr. Mason, mit Trockeneis ist sie genau vertraut.« »Wieso das?« »Also«, begann sie, »ich habe da so eine Art Job; es ist kein richtiger Beruf. Ich kann so lange arbeiten, wie ich will, und werde stundenweise bezahlt. Ich helfe nämlich im Betrieb der Osgood-Forellenzucht. Und da draußen brauchen sie natürlich Trockeneis.« »Können Sie mir ein bißchen mehr darüber erzählen?« »Sie haben sicher das Schild schon mal gesehen«, fuhr sie fort. »Es steht an der Abzweigung von der Autobahn: >Osgood-7 9 -
Forellenzucht. 400 Meter. Kein Angelschein erforderlich. Forellen, soviel Sie wollen. Guter Fang wird garantiert.< Na, die Leute kommen also herein, und wir geben ihnen Angelgeräte. Sie gehen zu den Teichen und angeln, und wir berechnen ihnen soundso viel pro Fisch.« »Man kann so viel angeln, wie man will?« fragte Mason. »Genau. Es gibt ein halbes Dutzend Teiche dort. Sie sind durch einen Wasserlauf verbunden und immer mit genug Forellen versehen. Natürlich werden die Forellen gefüttert, sie sind zahm. Wenn sie einen Menschen am Ufer sehen, denken sie, es gibt Futter, und kommen heran. Die armen Viecher wissen ja nicht, daß das Futter manchmal am Angelhaken hängt. Dann werden sie geschnappt.« »Und Sie leiten diesen Betrieb?« »Nein, das nicht. Wir sind drei oder vier Mädchen und dienen als eine Art Lockmittel. Wir werden nach Stunden bezahlt und arbeiten meist sonnabends und sonntags.« »Wieso Lockmittel?« fragte Mason. Sie lachte. »Wir ziehen besonders schicke Badeanzüge an und spazieren da draußen herum, wo man uns von der Straße aus sehen kann. Mit Fischkorb und Angelrute laufen wir durchs Gelände. Manchmal ziehen wir Rock und Bluse über, waten ins Wasser und tun so, als ob unsere Röcke naß würden. Wir kreischen ein bißchen dabei, ziehen die Röcke hoch und zeigen viel Bein und Schenkel und ziehen eine kleine Schau ab. Manchmal will Mr. Osgood natürlich auch mal weg, dann überläßt er uns die Aufsicht. Im Grunde ist nicht viel dabei zu tun. Man notiert einfach die ankommenden Kunden und wiegt ihre Fische, wenn sie wieder gehen.« »Wir sprachen von Trockeneis«, erinnerte Mason. »Ja, das gehört mit zum Geschäft. Wir halten einen Vorrat an Trockeneis in kleinen Pappkartons, speziell für uns gepackt. Es lagert in einem Vorratskeller, und wenn die Leute ihre Forellen mit nach Hause nehmen wollen, verkaufen wir ihnen auch Trockeneis.« -8 0 -
Sie lachte. »Sie würden sich wundern, Mr. Mason, wie viele Angler sich auf uns verlassen. Wir haben sogar Stammkunden. Sie gehen auf Angeltour in die Berge und haben wenig Glück. Auf der Rückfahrt kehren sie bei uns ein, und - glauben Sie mir - das Ganze ist nichts als ein Prestige für diese Leute. Sie sehen keinen Sport darin und wollen es auch nicht als Sport betreiben. Sie gehen einfach zum Wasserlauf und ziehen einen Fisch nach dem anderen heraus. Dann rechnen sie ab, kaufen Trockeneis und fahren nach Hause. Da erzählen sie dann ihren Frauen und Freunden von ihrem wundervollen Forellenfang und was für geschickte Angler sie sind.« »Halten Sie das Trockeneis unter Verschluß?« fragte Mason. »Sicher, der ganze Platz ist nachts und in den frühen Morgenstunden verschlossen.« »Aber Sie haben Schlüssel?« »Ja.« »Nancy auch?« »Ich ... ich glaube, ja.« »Sie hat da draußen zusammen mit Ihnen gearbeitet?« »Ja, sie macht eine schicke Figur im Badeanzug und kann wundervoll schauspielern, wenn ihr Rock naß wird. Die Leute am Ufer kriegen direkt Stielaugen und zücken Fotoapparate. Dann lacht sie und zieht ihren Rock so hoch, wie's nur geht, ohne daß der Fotograf den Badeanzug darunter sieht. Natürlich kriegt doch mal jemand einen Zipfel davon mit und lacht darüber. Nancy ist sehr beliebt. Aber was halten Sie davon, wenn ich Ihnen einen Drink hole?« »Nein, danke«, lehnte Mason ab und sah auf die Uhr. »Ich bin in Unruhe wegen Nancy, und ich habe noch zu tun.« »Aber warum sind Sie ihretwegen beunruhigt?« »Sie sollte mich hier treffen.« »Ach, ihr Zeitgefühl ist völlig verrückt. Ich kann Ihnen sagen, Mr. Mason, wenn Sie sich mit ihr verabreden, kommt sie sicher zwischen fünfzehn und dreißig Minuten zu spät. Machen Sie sich deswegen keine Sorgen.« -8 1 -
»Es war nicht direkt eine Verabredung«, erwiderte Mason. »Wir hatten besprochen, daß sie zu ihrer Wohnung fahren und ich ihr folgen sollte.« »Vielleicht hat sie eine Panne?« »Ich habe unterwegs keinen Menschen mit einer Panne gesehen. Wo ist eigentlich diese Osgood-Forellenzucht?« »Oh, gleich hier unten - ich habe eine Karte, da kann ich's Ihnen zeigen. Man sieht genau darauf, wie man hinkommt, und auch alles über die Unterkünfte.« »Sie haben auch Unterkünfte?« »Auf dem Platz steht nur eine Imbißbar, es gibt Bier und alkoholfreie Getränke. Aber gleich in der Nähe, anderthalb Meilen entfernt, ist ein sehr gutes Motel. Wir empfehlen es immer.« »Wie heißt es?« fragte Mason und nahm die Faltkarte. »The Foley«, sagte sie. »Aha.« Masons Gesicht blieb unbewegt. Er ging zum Fenster, schaute hinaus, blieb dann am Tisch stehen und bemerkte: »Wie ich sehe, haben Sie hier eine Menge Hefte mit Detektivgeschichten.« »Die hat Nancy mir gegeben. Sie ist direkt süchtig nach dem Zeug. Ich hänge nicht daran, aber wenn sie mir die Hefte gibt, sehe ich sie durch und finde manchmal was, woran ich Spaß habe. Nancy verschlingt alles. Komisch, daß Sie nach dem Trockeneis fragen, denn Nancy hat gerade unlängst abends was von einem perfekten Mord mit Trockeneis erzählt. Sie sagte, man könne die Polizei so hereinlegen, daß niemand die Mordzeit feststellen kann; damit hätte man sich dann ein falsches Alibi verschafft, das kein Mensch anzweifeln könnte.« »Ist irgendein Aufdruck auf Ihren Trockeneiskartons?« fragte Mason. »Ja, das Wort >Trockeneis< steht darauf, und wir lassen auch eine kleine Reklame für die Forellenzucht aufdrucken.« Es klopfte. Ein bestimmter Rhythmus in dem Klopfen ließ Lorraine Lawtons Gesicht plötzlich aufleuchten. »Das ist Rod!« rief sie und lief zur Tür. -8 2 -
»Tag, Süße«, sagte Rodney Banks, umarmte und küßte sie. Es wirkte bei ihm wie eine mechanische Geste, ohne große Begeisterung. »Rod, du bist frei!« »Natürlich. Schwesterherz hat mich freigebürgt. Wußtest du das nicht?« »Wie sollte ich? Und dann kommst du zu dieser Nachtzeit hereingeplatzt. Kein Wort hast du mir gesagt, du Ekel. Du hättest doch wenigstens anrufen können.« »Ich hatte noch eine Kleinigkeit zu erledigen... Na so was, Perry Mason, der große Anwalt!« »Hallo, Rodney«, sagte Mason. »Wo ist meine Schwester?« »Ich weiß es nicht. Sie wollte mich hier treffen.« »Sie wird schon aufkreuzen, so etwa mit einer halben bis einer ganzen Stunde Verspätung. Sie hat kein Zeitgefühl.« »Rod, was war denn los?« fragte Lorraine. »Dieser Soundso hat mich einsperren lassen. Behauptete, es fehlte was in meinen Abrechnungen, der alte Aasgeier. Ich möchte am liebsten einen Fettfleck aus ihm machen. Er kann nicht beweisen, daß auch nur ein Cent fehlt, und glaub mir, wenn er vor Gericht geht und versucht, seinen eigenen finanziellen Hintergrund nachzuweisen, dann kriegt er Ärger großen Ärger.« »Aber jetzt geht's dir gut, Rodney?« »Oh, sicher. Aber die Nacht war mies, da unten im Kittchen. Was ist das bloß für 'ne Bruchbude.« »Und warum hast du dich nicht gleich gemeldet, als du herauskamst?« »Ich sage dir doch, ich hatte noch was zu erledigen. Ich mußte noch ein paar Moneten holen.« Er faßte in sein Jackett und zog eine Brieftasche heraus.
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Mason, der die Tasche nachdenklich betrachtete, sagte: »Die hatten Sie aber nicht bei sich, als Sie verhaftet wurden, Rodney.« »Zum Glück nicht«, entgegnete Rodney. »Die hatte ich beiseite geschafft, wo sie sicher war. Ich wußte, wenn ich mit dieser ganzen Penunze zur Rennbahn ging, würde ich alles verwetten. Was mich so verdammt aufregt, ist, daß die Polypen mich meinen Wettschein nicht kassieren ließen, wo ich schon auf einen Außenseiter gesetzt hatte, der Sieger wurde. Was kann ich tun, Mr. Mason? Die sagen, der Wettschein ist gerichtlich beschlagnahmt.« »Sie müssen sich einen Anwalt nehmen«, sagte Mason. »Ich rede ja mit einem.« Mason schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich kann Sie nicht vertreten, Rodney.« »Warum nicht?« »Weil ich Ihre Schwester vertrete.« »Ach Quatsch, meiner Schwester ist das recht. Schwesterherz und ich sind ein und dasselbe.« »Nicht in diesem Fall. Sie nehmen sich besser einen eigenen Anwalt.« »Na, dann los, Lorraine«, sagte Rodney. »Wir gehen aus und feiern ein bißchen... Kommen Sie mit zu einem Schlummertrunk, Mason, oder warten Sie auf Schwesterchen?« »Ich warte noch«, erklärte Mason. »Aber lange kann ich nicht mehr bleiben.« »Also, dann gehen wir jetzt.« »Moment noch. Ich habe eine Neuigkeit für Sie beide: Marvin Fremont ist tot.« »Was?« rief Rodney. Lorraine schnappte kurz nach Luft und trat unwillkürlich einen Schritt zurück. »Sie werden es durch die Polizei oder die Zeitungen ohnehin erfahren«, sagte Mason, »deshalb sehe ich nicht ein, warum -8 4 -
Sie es nicht schon jetzt wissen sollten. Nancy ging ins Foley Motel und mietete dort einen Bungalow. Ich weiß nicht, zu welchem Zweck. Jedenfalls ließ sie mich hinkommen, um ihr einen Geldbetrag zu übergeben. Wieviel es war und woher das Geld stammte, wird sie Ihnen besser selbst erzählen. Es könnte sein, daß sie in das Motel ging, weil sie fürchtete, daß jemand ihr das Geld abnehmen wollte, ich weiß es nicht. Soviel weiß ich jedoch: Marvin Fremont wurde tot in ihrem Bad gefunden. Ermordet. Offensichtlich wurde einmal auf ihn geschossen, eventuell auch mehrmals. Sein Körper lag im Duschbecken.« »Na so was«, sagte Rodney. »Aber was ist mit der Polizei?« fragte Lorraine. »Weiß die Polizei es schon?« »Sie weiß es und hat Nancy vernommen und dann gehen lassen. Nancy sollte direkt hierher kommen.« »Wo waren Sie?« fragte Rodney. »Ich war bei ihr, als die Polizei eintraf, und auch bei der anschließenden Vernehmung. Nachdem sie entlassen war, machten wir aus, daß ich in meinem Wagen hinter ihr fahren sollte, um festzustellen, ob die Polizei ihr folgte. An einer Kurve waren ihre Lichter plötzlich verschwunden. Es ist fast eine SKurve, und ich glaubte, sie sei geradeaus gefahren. Ich gab Gas und sah weit vorn Schlußlichter. Es hätte ihr Wagen sein können, falls sie wirklich gleich nach der Kurve mit Vollgas gefahren wäre.« »Die erste Kurve nach dem Foley Motel?« fragte Lorraine. Mason nickte. »Aber dort ist doch die Abzweigung zur Osgood-Forellenzucht. Ich wette, sie ist zu Osgood abgebogen, während Sie geradeaus fuhren und sie dadurch verloren.« »Aber was machte Marvin Fremont in diesem Motel?« fragte Rodney. »Und was hatte er im Zimmer meiner Schwester zu suchen?« »Ich habe gehofft, daß Sie mir das erklären können«, erwiderte Mason. -8 5 -
Rodney schüttelte den Kopf. »Mir ist das alles völlig neu. Was hat die Polizei dazu gesagt?« »Sie scheint zu glauben, daß Nancy es getan hat.« »Das ist lächerlich«, sagte Rodney. »Nancy kann keiner Fliege was zuleide tun.« »Nancy scheint in letzter Zeit geheimnisvolle Dinge zu treiben, Rod«, bemerkte Lorraine. »Warum ging sie überhaupt in das Motel?« »Damit Mason ihr das Geld für die Kaution bringen konnte«, erklärte Rodney. »Aber woher wußte Marvin Fremont, wo sie war?« »Ja, das ist eben die Frage«, sagte Rodney. Es entstand ein kurzes Schweigen. Dann fuhr Rodney Banks plötzlich hoch: »Mein Gott, wenn Marvin Fremont Nancy gegenüber zudringlich geworden ist, wenn er sich hat einfallen lassen, die Sache mit mir für so was auszunutzen und - Himmel dieser Schweinehund!« »Still, Rod! Er ist tot.« »Es ist mir völlig piepe, ob er tot ist oder nicht. Er war bei Lebzeiten ein Schweinehund und ist tot nichts anderes.« »Rodney, sag das nicht. So redet man nicht von einem Toten.« »Ich rede von Toten genauso, wie es mir paßt... Nein, so was! Endlich hat's jemand dem alten Fremont gegeben. Aber wo ist Nancy bloß? Meinen Sie, daß die Polizei sie geschnappt hat?« »Ich weiß es nicht«, sagte Mason. »Sie sollte die Stadt nicht verlassen und sich für mögliche weitere Vernehmungen zur Verfügung halten. Wenn sie zur Forellenzucht gefahren ist, hat man sie möglicherweise aufgegriffen.« »Und wie passen Sie denn nun ins Bild?« fragte Rodney. »Sie vertreten meine Schwester in dem Mordfall?« »Sie wird bis jetzt noch nicht des Mordes beschuldigt. Ich habe sie in einer anderen Sache vertreten.« »In der Kautionsgeschichte?« »Ja.« -8 6 -
»Verstehe«, sagte Rodney. »Und woher hatte sie das Geld?« »Darüber sprechen Sie lieber mit Ihrer Schwester selbst. Sie müßte jetzt wirklich jeden Augenblick kommen.« Rodney zögerte, sah auf seine Uhr und sagte: »Ach was, Schwesterherz kann allein auf sich aufpassen. Ich kann mir zwar vorstellen, wie sie sich fühlt, aber ich will jetzt mit Lorry durch die Stadt bummeln. Und ich glaube nicht, daß Nancy viel Lust hat, sich anzuhängen... Hör mal, Süße, stell doch das Schnappschloß ein und laß Mr. Mason hier auf Nancy warten. Wir gehen aus.« »Ich mache mir Sorgen um Nancy«, sagte Lorraine. »Was soll man sich da Sorgen machen? Sie paßt schon auf, sie ist eine gute Fahrerin. Falls die Polizei sie noch weiter ausfragt, kann Mason die Sache ja übernehmen... Sagen Sie mal, Mr. Mason, Marvin Fremont hatte da so eine gerichtliche Verfügung, eine Beschlagnahmeverfügung oder so was Ähnliches, und schnappte meinen Gewinnschein auf >Landser< weg. Jetzt ist Fremont tot. Welche Wirkung hat das auf den Streitfall?« »Der Grund für seine Klage wird wahrscheinlich nicht mehr aufrechtzuhalten sein«, erklärte Mason, »aber seinem Nachlaßverwalter wird Gelegenheit gegeben, für ihn als Kläger einzutreten.« »Sie meinen, das Geld ist blockiert?« »Eine Weile lang.« »Zum Teufel mit diesem Blödsinn«, schimpfte Banks. »Dafür hätte ich den alten Geier büßen lassen.« »Sie können versuchen, auf Schadenersatz aus seinem Nachlaß zu klagen, aber auch da würde der Klagegrund kaum genügen.« »Ihr Juristen mit euren ewigen Klagen«, sagte Banks. »Komm, Lorry, laß uns gehen.« »Macht es Ihnen was aus, hier allein zu warten, Mr. Mason?« fragte Lorraine Lawton. »Oder möchten Sie nach drüben in Nancys Wohnung gehen? Ich habe einen Schlüssel.« -8 7 -
Mason sah auf die Uhr. »Ich glaube, unter diesen Umständen gibt es hier nicht mehr viel zu tun für mich. Ich gehe jetzt. Falls einer von Ihnen etwas von Nancy hört oder mich erreichen will, rufen Sie bitte die Detektei Drake an und hinterlassen Sie eine Nachricht. Das Büro ist Tag und Nacht erreichbar, und alle Nachrichten werden mir weitergegeben.« »Okay, sie wird sich schon bei Ihnen melden«, sagte Rodney. »Komm, Lorry, gehn wir tanzen... Nett, Sie mal wieder gesehen zu haben, Mason.«
10 Aus einer Telefonzelle rief Perry Mason Paul Drake an. »Ich möchte nur hören, ob's was Neues gibt, Paul. Wenn nicht, gehe ich nach Hause und mache Feierabend. Meine Mandantin habe ich verloren. Du könntest dich mal umhören.« »Wieso verloren?« »Sie sollte in der Wohnung einer Freundin erscheinen, das hat sie aber nicht getan.« »Polizei?« »Die Polizei hat sie laufen lassen.« »Unfall?« »Glaub' nicht. Möglicherweise hat sie was auf eigene Faust unternommen. Bitte streck deine Fühler aus.« »Okay, mache ich«, versprach Drake. »Inzwischen wartet hier noch was Neues auf dich, das du dir am besten mal ansiehst.« »Was denn?« »Einen Mann namens Larsen E. Halstead, Hauptbuchhalter bei Fremont. Er hat eine Geschichte zu erzählen.« »Kann sie warten?« »Das kann sie, aber wir nicht, denn die Polizei muß sie erfahren. Ich halte den Knaben hier fest, weil ich glaube, daß du seine Geschichte hören willst, bevor die Polizei sie ...« -8 8 -
»Wo ist er?« »In meinem Büro.« »Kannst du ihn festhalten, bis ich komme?« »Ich denke doch. Fünfzehn Minuten lang hab' ich es bereits geschafft.« »Bin schon unterwegs«, sagte Mason. »Und versuch dein Bestes, um herauszukriegen, was mit Nancy Banks passiert ist. Laß bitte deine Polizeiverbindungen spielen.« Mason sprang ins Auto und fuhr rasch zu seinem Bürogebäude. Er parkte auf dem Platz, den er monatlich gemietet hatte, und nahm den Lift zu Paul Drakes Büro. Die Telefonistin sah auf, als Mason die Tür öffnete. Sie lächelte ihm zu und deutete auf Drakes Büro, während sie telefonierte. Mason verstand ihre Geste, riß die Tür auf und lief über den Flur zu Drakes kleinem Büro. Ein leicht gebeugter Mann von Anfang Fünfzig saß auf einem Stuhl. Seine Stahlrandbrille hing ihm so tief auf der Nase, daß er über sie hinwegsehen konnte, wenn er die Augen hob. Er hatte leicht ergrautes Haar und buschige graue Augenbrauen. Seine blaßblauen Augen blickten ruhig und abschätzend drein. Er wirkte zurückhaltend, jedoch nicht schüchtern. Sein Gesicht hatte ausgeprägte Züge. Paul Drake stellte ihn Mason vor. »Dies ist Mr. Halstead, Geschäftsführer in Fremonts Firma. Er hat uns etwas zu berichten.« »Wie bist du mit Mr. Halstead in Verbindung gekommen?« fragte Mason. Drake antwortete ausweichend. »Das ist eine lange Geschichte, Perry, aber ich dachte, Halsteads Information über Fremonts Geschäfte könnte dich interessieren. Am besten berichten Sie Mr. Mason selbst, Halstead«, sagte Drake zu dem Mann auf dem Stuhl. »Es scheint mir ganz zweckmäßig, daß wir alles noch einmal durchgehen.« Halstead räusperte sich und begann: »Ich bin mir meiner Sache nicht ganz sicher. Ich möchte niemand beschuldigen und ...« -8 9 -
»Das geht schon in Ordnung«, unterbrach Drake hastig. »Alles, was Sie uns sagen, ist völlig vertraulich.« »Ich fürchte«, fuhr Halstead fort, »Fremont ist ein Betrüger. Das sollte ich zwar nicht von meinem Arbeitgeber sagen, aber ich kann nicht länger für ihn arbeiten. Die Methoden dieses Mannes sind widerwärtig. Sie wissen, er ließ Rodney Banks wegen Unterschlagung verhaften. Es können Rodney bei seiner Abrechnung vielleicht ein paar Dollar gefehlt haben, aber Fremont hat die ganze Sache bewußt so gedreht. Er ließ Rodney übers Wochenende Geld kassieren, obwohl er wußte, daß Rodney gern zur Rennbahn geht und jedes Wochenende wettet.« Mason tauschte Blicke mit Paul Drake. »Warum hätte er aus einem Angestellten einen Betrüger machen sollen?« fragte er. »Wegen Rodneys Schwester, Miss Nancy. Ihretwegen bin ich gekommen. Ich höre, daß sie Mr. Drake beauftragt hat ... Mr. Drake wollte sich dazu nicht äußern, aber ich sehe natürlich, daß Sie an der Sache interessiert sind, meine Herren, und daß Miss Nancy Ihnen nicht unbekannt ist. Sie hat eine Zeitlang für Fremont gearbeitet. Er konnte die Finger nicht von ihr lassen. Sie ... Sie ohrfeigte ihn und ging. Seitdem hat er immer versucht, wieder irgendwie an sie heranzukommen. Rodney arbeitete weiter für Fremont, auch als seine Schwester ausgeschieden war. Er drohte, Fremont den Kopf einzuschlagen, wenn er jemals wieder Nancy gegenüber zudringlich wurde. Fremont tat das mit einem Lachen ab. Jetzt müßte man etwas tun, um Rodney zu helfen. Seine Verhaftung sollte Nancy nur so weit kriegen, wie Fremont sie haben wollte. Er ist ein Gauner.« »In welcher Hinsicht?« fragte Mason. »Er ist ein Hehler.« »Woher wissen Sie das?« »Ich kam ganz zufällig dahinter. Fremont kauft und verkauft Antiquitäten und befaßt sich stümperhaft mit Spekulationen, hauptsächlich für Grundstücke. Er betreibt ziemlich undurchsichtige Geschäfte, die ich niemals ganz verstanden -9 0 -
habe. Soviel steht fest: Er verkauft im allgemeinen nicht öffentlich. Sie können sich keinen schlampigeren Laden vorstellen; überall häufen sich die Klamotten in wirrem Durcheinander. Das einzig Moderne an dem Laden sind der Safe im Büro und seine Bücher. Er führt eine Anzahl komplizierter Geschäftsbücher. Aber ich bin jetzt zu der Überzeugung gekommen, daß sie überhaupt nichts bedeuten.« »Wieso nicht?« fragte Mason. »Seine Geschäfte, das heißt, seine Hauptgeschäfte tauchen nicht in den Büchern auf. Die nebensächlichen werden aber durch sorgfältige Buchführung ausgewiesen.« »Und was sind seine Hauptgeschäfte?« »Der Mann ist ein Hehler.« »Was verstehen Sie darunter?« »Er kauft alten Schmuck auf, mit altmodischen Fassungen und weniger wertvollen Steinen, beispielsweise Granaten.« »Weiter«, sagte Mason. »Eine Zeitlang hat er sie im Laden, und dann erblüht aus der alten Goldfassung, die einen Granat enthalten hatte, irgendwas anderes. Der Granat verschwindet, und an seiner Stelle prangt ein riesiger Diamant.« »Und dann?« »Dann verhökert er das Ding an so ein Geschäft, das aus altmodischen Fassungen die guten Edelsteine herausnimmt, sie in Platin faßt und weiterverkauft. Die alten Fassungen verschleudern sie billig.« »Und wann sind Sie dahintergekommen?« »Als ich letzte Woche zufällig ein Stück wieder erkannte. Es war eine Goldfassung mit mehreren Granaten gewesen, aber als ich es vorige Woche sah, waren zwei Granaten verschwunden, und an ihrer Stelle saßen funkelnde Diamanten. Die machten das Stück natürlich sehr wertvoll.« »Ich verstehe«, sagte Mason nachdenklich.
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»Weiter«, drängte Drake, »erzählen Sie Mr. Mason auch den Schluß, Halstead.« »Nun, um ein Geschäft dieser Art zu betreiben, Mr. Mason besonders, wenn es nicht in den Büchern erscheint -, braucht man natürlich große Summen Bargeld.« »Und hat Fremont eine solche Summe?« fragte Mason. »Er hat sie, und ich habe sie erst letzte Woche entdeckt. Mir wurde klar, daß meine eigene Rolle bei dieser Sache vielleicht fragwürdig erscheinen kann, weil ich als Buchhalter bei Fremont angestellt bin. Deshalb fing ich an, heimlich Bestand aufzunehmen.« »Wovon?« »Von dem Bargeld.« »Und der Bestand schwankt?« »Das kann man wohl sagen. In einem Geheimtresor im Fußboden waren einmal zwanzigtausend Dollar Bargeld, aber der Betrag schwankte von Tag zu Tag. Manchmal sank er bis auf 6275 Dollar, dann stieg er wieder auf achtzehntausend. Freitag morgens war er auf etwas über zwölftausend gesunken, aber nachdem Fremont ins Büro gekommen war, belief er sich wieder auf über achtzehntausend.« »Was geschieht mit dem Geld?« »Ohne Zweifel wird einiges davon zur Bezahlung der Leute gebraucht, die gestohlene Edelsteine heranschaffen. Aber es könnte auch von jemand anderem herausgenommen werden.« »Was wollen Sie damit sagen?« fragte Mason. »Rodney Banks ist ein lieber Kerl«, sagte Halstead. »Er ist jung und hat die etwas arroganten und unbekümmerten Allüren, die man bei einigen jungen Leuten findet. Fremont behauptet, Banks hätte Geld aus dem Bürosafe unterschlagen. Und da kann ich Auskunft geben. Ich weiß zufällig, daß einer der Hundert-Dollar-Scheine, der am Donnerstagabend noch bei dem Geld im Safe lag, am Freitagmorgen bei dem versteckten Geld im geheimen Fußbodenfach auftauchte.« »Woher wissen Sie das?« fragte Mason. -9 2 -
»Weil ich die Nummer dieses Scheines wußte. Ich habe mir die Nummer von Hundert-Dollar-Scheinen immer aufgeschrieben, seit ich das Versteck im Fußboden entdeckte.« Mason schaute den Mann nachdenklich an. »Sie werden das der Polizei melden müssen«, sagte er. »Ich habe auch die Absicht, zur Polizei zu gehen. Ich will eine reine Weste behalten. Der springende Punkt ist aber, daß man auf gar keinen Fall irgendeine Unterschlagung nachweisen kann, wenn Geld aus dem Safe zu dem Geld im Geheimfach hinzugezaubert wurde. Und damit wäre der Prozeß gegen Rodney Banks geplatzt.« Mason warf einen Blick auf die Uhr. »Moment«, sagte er, »ich will mal sehen, ob ich die Polizei erreichen kann.« Paul Drake zog die Augenbrauen hoch. »Leutnant Tragg?« Mason nickte. Drake nahm den Hörer ab und bat die Telefonistin: »Verbinden Sie mich mit Leutnant Tragg vom Morddezernat.« »Morddezernat?« wiederholte Halstead verwirrt. »Diese Sache läuft doch bei der Abteilung, die sich mit Betrug und Unterschlagung befaßt.« »Jetzt nicht mehr«, klärte Mason ihn auf. »Marvin Fremont wurde heute am frühen Abend im Foley Motel ermordet.« »Was?« rief Halstead aus. »Nancy Banks war dort. Die Leiche wurde in ihrem Zimmer gefunden.« »Das erklärt vieles«, sagte Halstead nachdenklich. »Fremont erzählte mir, er sei überzeugt, daß Nancy etwas von dem unterschlagenen Geld habe; irgendwie wollte er es von ihr kriegen. Er sagte: >Sie wird nicht wagen, zur Polizei zu gehen, ganz egal, was passiert. <« »Moment bitte, Leutnant Tragg«, meldete Drake sich am Telefon. »Perry Mason möchte Sie sprechen.« Er gab Mason den Hörer. »Hallo, Leutnant. Ich wußte nicht, ob Sie schon Feierabend hatten.« -9 3 -
»Wissen Sie nicht, daß wir niemals Feierabend machen?« Traggs Stimme klang gequält. »Ich schicke Ihnen einen Zeugen, falls Sie so lange warten wollen.« »Was für einen Zeugen?« »Einen Mann namens Larsen Halstead, der bei Fremont als Hauptbuchhalter beschäftigt war.« »Den haben wir schon gesucht«, sagte Tragg. »Wir wollen mit ihm reden.« »Halstead ist jetzt bei mir und wird sofort per Taxi zu Ihnen geschickt«, sagte Mason. »Er ist jetzt bei Ihnen?« »Ja.« »Er soll nicht per Taxi kommen. Lassen Sie ihn nicht aus den Augen. Wir schicken einen Funkstreifenwagen.« »Ich bin in Paul Drakes Büro.« »Hab' ich mir schon gedacht«, erwiderte Tragg, »weil Drake anrief. Und ich nehme an, Sie haben den Burschen entsprechend vorbereitet, damit er haargenau das erzählt, was Sie der Polizei weismachen wollen.« »Er hat eine interessante Geschichte«, entgegnete Mason, »und es ist uns völlig schnuppe, ob die Polizei sie glaubt oder nicht. Die Geschworenen werden sie jedenfalls glauben.« »Das ist nett«, sagte Tragg. »Und noch etwas, Perry: Wenn ich zeitweise auch feindselig oder sarkastisch erscheine - ich versuche trotzdem, Ihnen entgegenzukommen. Wir stehen eben auf verschiedenen Seiten des Zauns. Also: Sie sind doch nicht etwa bei Paul Drake, damit er Leute losschickt, um Ihre Mandantin Nancy Banks zu suchen, oder?« »Ich frage mich, wo sie ist«, erwiderte Mason. »Fragen Sie sich nicht mehr«, riet Tragg. »Sie ist bei uns. Zweifellos wird sie bei Ihnen anrufen, sobald sie formell registriert ist, aber es wäre zwecklos, wenn Sie versuchten, sie heute abend zu besuchen. Das Delikt, das ihr vorgeworfen -9 4 -
wird, ist nicht kautionsfähig. Zu Ihrer Information: Sie ist des kaltblütigen Mordes verdächtig.« »Ich dachte, Sie hätten Sie weggeschickt, mit der Weisung, die Stadt nicht zu verlassen. Was hat Sie veranlaßt, Ihren Entschluß zu ändern?« »Ein recht raffinierter Trick Ihrerseits«, sagte Tragg. »Sie haben das Mädchen vom Motel aus losgeschickt und sind ihr gefolgt, um zu sehen, ob ein Streifenwagen hinter ihr her war. Aber wir waren Ihnen dabei um eine Kleinigkeit voraus.« »Inwiefern?« fragte Mason. »Ich fürchte, ich verletze meine Geheimhaltungspflicht, wenn ich Ihnen das sage. Ihre Mandantin kann es Ihnen morgen früh erzählen.« »Sie meinen, es ist noch etwas passiert?« »Nun, gewöhnlich laufe ich zwar nicht herum und posaune Informationen aus, Mason, aber in diesem Fall glaube ich, daß Sie unbeteiligt sind - selbst wenn die Anklagebehörde anderer Meinung ist. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie irgendwas damit zu tun haben, aber vielleicht sollten Sie allmählich Ihre eigenen Interessen wahren.« »Daß ich womit zu tun habe?« fragte Mason. »Mit der Tatsache, daß Ihre Mandantin - während Sie sie begleiteten und nach Polizeiwagen ausspähten - in die Seitenstraße zur Osgood-Forellenzucht einbog, bei der großen Mülltonne vor dem Büro anhielt und fleißig Trockeneiskartons herausfischte, als die Polizei auftauchte und sie fragte, was sie denn da vorhätte.« »Was sagte sie?« fragte Mason. »Das soll sie Ihnen besser selbst berichten«, erwiderte Tragg kühl. »Ich habe Ihnen schon genug erzählt. Der Staatsanwalt geht von der Annahme aus, daß sie auf Ihre Anregung dorthin gefahren ist, um belastendes Beweismaterial zurückzuholen.« »Und die Polizei ist ihr dorthin gefolgt?« »Die Polizei ist nicht ganz so naiv. Als wir den Trockeneiskarton mit dem Teil eines bedruckten Etiketts fanden, forschten wir -9 5 -
telefonisch ein bißchen nach und stellten fest, daß diese Behälter für die Osgood-Forellenzucht bedruckt werden. Dann schickten wir einen Funkstreifenwagen los, um die Mülltonne zu inspizieren. Und in der Tat fanden die Beamten jene weggeworfenen Trockeneiskartons. Ich gab den Leuten Anweisung, den Streifenwagen von der Straße zu fahren, sich im Gebüsch zu verstecken und zu warten. Deshalb habe ich Ihnen das Teilstück des Trockeneisbehälters gezeigt, Ihre Mandantin darüber befragt und Ihnen beiden dann mitgeteilt, Sie könnten gehen, wohin Sie wollten. Natürlich steht der Staatsanwalt jetzt auf dem Standpunkt, sie habe Ihnen erzählt, wo sie die Kartons versteckt hatte. Worauf Sie ihr erklärten, das wäre dämlich von ihr gewesen, und sie sollte die Dinger schleunigst zurückholen, während Sie ihr den Rücken deckten, um sie vor der Polizei zu warnen.« »Schönen Dank für den Tip«, sagte Mason. »Es ist kein Tip, sondern eine dienstliche Gefälligkeit«, stellte Tragg richtig. »Schönen Dank für Ihren Anruf wegen Larsen Halstead. Behalten Sie ihn dort, bis meine Leute auftauchen. Und rein privat hoffe ich, Perry, daß Sie nicht so blöd waren, dem Mädchen das Ausgraben dieser Kartons zu empfehlen. Sie sollten die Leistungsfähigkeit der Polizei höher einschätzen.« »Ich will es versuchen«, versprach Mason. »Davon bin ich überzeugt«, sagte Tragg und legte auf. Drei Minuten später erschien ein uniformierter Polizeibeamter in Drakes Büro. »Larsen Halstead?« fragte er. Halstead stand auf, nickte und sagte: »Hier.« »Sie müssen mit mir kommen«, forderte der Beamte ihn auf. »Jawohl, Sir.« Nachdem Halstead das Büro verlassen hatte, fragte Mason: »Ich hoffe, Paul, du hast das Gespräch aufgenommen?« »Jedes Wort«, sagte Drake. »Hast du nicht gesehen, wie ich auf den Hebel drückte, der das Tonband einschaltet? Was hat
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Tragg dir denn erzählt? Mir scheint, er hat dir einen Schock verpaßt?« »Es war in der Tat so was wie ein Schock«, gab Mason zu. »Du brauchst nicht mehr weiter nach Nancy Banks zu suchen. Sie sitzt wegen Mordverdacht im Gefängnis. Ich gehe jetzt nach Hause und will versuchen zu schlafen. Und du tust am besten dasselbe.«
11 Verweint stand Nancy Banks Perry Mason im Besucherraum des Bezirksgefängnisses gegenüber. »Ich habe Sie belogen«, sagte sie, »ich verdiene Ihre Unterstützung nicht. Ich weiß, Sie werden das Mandat niederlegen, und ich kann nichts dagegen tun. Mir selbst muß ich das zuschreiben.« »Sie sind meine Mandantin, und ich halte zu meinen Mandanten«, beruhigte Mason sie. »Aber Sie sind auch sehr dumm. Und jetzt erzählen Sie mir, was passiert ist.« »Ich habe gelogen.« »Das weiß ich.« »Ich ... ich wollte doch nicht in diese Falle gehen«, sagte sie mit zitternden Lippen. »Wer wollte Sie hereinlegen?« »Das weiß ich nicht. Aber als ich die in Trockeneis gepackte Leiche sah, wußte ich schlagartig, was passiert war: Jemand hatte meine Geschichte, daß man die Polizei über die Todeszeit täuschen könnte, ausgenutzt und wollte mir den Mord unterschieben.« »Wann entdeckten Sie das Trockeneis?« »Gleich nachdem ich die Leiche gefunden hatte.« »Und wann war das?« »Ich ging zum Motel und spürte, daß irgendwas nicht in Ordnung war. Ich hatte die Tür verschlossen, sie stand aber -9 7 -
offen. Mich überkam das unheimliche Gefühl, daß jemand im Zimmer war. Ich hatte Angst.« »Was taten Sie?« »Ich schaute mich im Raum um, öffnete die Badezimmertür, und ... und dann sah ich es.« »Gut. Was taten Sie darauf?« »Ich ging hinaus zu einer Telefonzelle und rief Mr. Drakes Büro an. Danach wartete ich bei der Telefonzelle, bis ich Ihre Nachricht hatte, daß Sie kommen wollten.« »Und was dann?« »Dann ging ich zurück zum Motel, um dort auf Sie zu warten. Ich setzte mich draußen in den Wagen, weil ich nicht allein sein mochte mit... mit dem Ding.« »Was geschah weiter?« »Dann zwang ich mich, ins Zimmer zu gehen und mich zu überzeugen, daß er tot war. Ich hatte nämlich das schreckliche Gefühl, er könnte vielleicht noch leben, während ich draußen saß und ihn verbluten ließ.« »Also schön, Sie gingen hinein. Und dann?« »Ich faßte nach seinem Puls. Meine linke Hand berührte etwas Eiskaltes, und da sah ich das Trockeneis, das Etikett mit dem Aufdruck der Osgood-Forellenzucht. Ich bekam entsetzliche Angst und verlor völlig den Kopf. Warum ich es tat, werde ich niemals begreifen.« »Das spielt jetzt keine Rolle. Was taten Sie?« »Ich nahm das ganze Trockeneis auf, lief damit hinaus und legte es ins Auto. Es war nur eine Fahrt von etwa fünf Minuten bis Osgood, und ich wußte, draußen vor der Forellenzucht stand eine Mülltonne. Sie brauchen Trockeneis auf der Farm. Ich glaubte fest, wenn ich die Kartons in die Mülltonne legte, würde das Eis verdunstet sein, bevor jemand die Packungen entdeckte. Und dann würde man natürlich denken, es seien Kartons, die im Betrieb weggeworfen wurden.« »Weiter.« -9 8 -
»Ich war eben völlig idiotisch. Ich vergaß ganz und gar meine Fingerabdrücke ... Oh, Mr. Mason, wenn Sie mir nur diesmal noch verzeihen können, dann schwöre ich - verspreche ich, daß ich Sie nie, nie wieder hintergehen will.« »Lassen Sie bitte dieses Geschwätz«, sagte Mason. »Ich muß jetzt wissen, was weiter geschah.« »Also, nachdem Leutnant Tragg uns das abgerissene Stück Karton gezeigt hatte und Sie dann von meinen Fingerabdrücken redeten, da war ich einfach starr vor Schreck. Die Kehle war mir wie zugeschnürt. Sie konnten ja nicht wissen, was ich wußte, daß nämlich diese Kartons für die OsgoodForellenzucht einen besonderen Reklameaufdruck haben. Und ich hatte noch einen kleinen Rest vom Aufdruck auf dem Pappstück erkannt, das Tragg in der Hand hielt.« »Er wollte, daß Sie es sahen«, erklärte Mason ihr. »Ich habe Ihnen ja gesagt, es ist eine Falle. Seine Beamten standen bereits draußen bei der Forellenzucht. Sie haben ihm genau in die Hände gespielt.« »Jetzt verstehe ich. Ich war einfach zu blöd.« »Kommen wir zurück auf das, was Sie taten. Sie nahmen die Trockeneiskartons, luden sie in Ihren Wagen, holten sie wieder heraus und warfen sie in die Mülltonne.« »Ja.« »Einfach obenauf?« »Nein, ich langte mit dem Arm hinein und grub einen Schacht nach unten, damit sie auf dem Grund lagen, wo man sie nicht sehen konnte, wenn jemand zufällig hineinschaute. Es waren auch Blutflecke an zwei Behältern.« »Weil Sie mit diesen Kartons hantiert hatten, waren Ihre Hände so eiskalt, als Sie zum Motel zurückkamen?« »Ja. Ich versuchte, mich herauszureden, aber ... mir war gar nicht bewußt, wie kalt meine Hände waren.« »Dann dachten Sie also an die bedruckten Aufkleber, die Blutflecke und die möglichen Fingerabdrücke und beschlossen,
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sofern die Luft rein war und kein Polizeiwagen Ihnen folgte, die Trockeneiskartons zu holen.« »Ja.« »Und was wollten Sie damit tun?« »Ich wollte sie in einen beschwerten Sack legen und in den tiefsten Forellenteich versenken. Ich wollte meine Fingerabdrücke abwischen. Die Polizei konnte die Kartons schließlich doch finden.« »Sie fanden alle zehn Kartons und zogen sie heraus?« »Ja.« »Alle zehn?« »Ja.« »Auch die beiden mit den Blutflecken?« »Ja, alle.« »Was geschah dann?« »Ich wurde plötzlich durch einen Lichtstrahl geblendet, der mir genau in die Augen schien. Ein Mann war hinter mir herangekommen, ich hatte ihn nicht gehört. Ein anderer leuchtete mir direkt ins Gesicht und sagte: >Wir sind Polizeibeamte, Lady. Keine Bewegung.<« »Was taten Sie?« »Ich schrie. Ich hatte mich so entsetzlich erschrocken, ich ... Noch nie in meinem Leben habe ich das erlebt. Mein Herz blieb einfach stehen. Ich war wie verrückt vor Angst.« »Also gut, Sie wurden auf frischer Tat ertappt und hatten ein schlechtes Gewissen. Dann versuchten Sie, sich zu rechtfertigen. Was sagten Sie?« »Mr. Mason, es gab doch nichts zu sagen. Ich versuchte, mir was auszudenken. Meinen rechten Arm hätte ich hingegeben, wenn mir eine geschickte Lüge eingefallen wäre, aber ich fand keine. Wie die Maus in der Falle kam ich mir vor. Ich konnte keinen Ton sagen.« »Natürlich«, sagte Mason, »aber damit ließ man Sie nicht durch. Die Beamten bestanden auf einer Erklärung. Sie fragten, -1 0 0 -
was Sie da bei der Abfalltonne taten und forderten Sie auf, mit der Sprache herauszurücken. Sie sagten Ihnen, wenn Sie eine Erklärung abgeben könnten, würde man diese gern akzeptieren; es läge der Polizei genausoviel daran wie Ihnen selbst, Sie zu entlasten.« »Mr. Mason!« rief sie. »Sie wissen ja genau, was die Leute sagten! Wie kommt das?« »Sie haben dafür ihr Einheitsrezept«, sagte Mason. »Aber was taten Sie? Wie reagierten Sie? Sie müssen doch versucht haben, sich zu rechtfertigen.« »Ich konnte einfach nicht, Mr. Mason. Es gab nichts zu sagen. Ich raffte mich schließlich auf und erklärte ihnen, wenn sie nicht mehr Vertrauen zu mir hätten, wäre jede Äußerung ohnehin zwecklos, und sie sollten mit meinem Anwalt reden.« »Und Sie wurden weiter festgehalten?« »Das kann man wohl behaupten. Sie verhörten mich immer wieder, sie setzten mich ins Polizeiauto, jagten mit mir zum Gefängnis, ließen eine Aufseherin kommen und befragten mich in rollendem Einsatz - stundenlang.« »Und wie verhielten Sie sich?« »Ich blieb stumm. Mir war klargeworden: je mehr ich sagte, desto schlimmer wurde es für mich. Deshalb beschloß ich, überhaupt nicht zu reden. Wahrscheinlich war das falsch.« »Unter diesen Umständen war es das Beste«, sagte Mason und zog nachdenklich die Stirn in Falten, während er die Lage überdachte. »Und jetzt«, brach er abrupt das Schweigen, »erzählen Sie mir, warum Sie auf das Pferd >Landser< setzten. Woher hatten Sie den Tip?« »Ich hatte keinen Tip.« Mason sprang verärgert auf. »Na schön, Nancy. Wir mußten ja irgendwann an einen Scheideweg kommen. Sie haben mich lange genug belogen. Und ich darf sagen, meiner Ansicht nach sind Sie eine recht schlechte Lügnerin. Ich weiß nicht, ob Sie nicht genügend -1 0 1 -
Erfahrung darin haben oder ob Sie den Scharfsinn Ihrer Zuhörer unterschätzen. Aber Sie ...« »Mr. Mason - bitte, bitte«, unterbrach Nancy ihn, »ich sage Ihnen doch die Wahrheit. In diesem Punkt habe ich Ihnen voll und ganz die Wahrheit erzählt.« »Seien Sie nicht albern«, sagte Mason. »Sie hatten einen zwingenden Grund, auf dieses Pferd zu wetten. Kein Mensch, der was von Pferdewetten versteht, hätte von >Landser< einen Sieg erwarteten, sonst wäre die Gewinnquote nicht so hoch gewesen. Wenn eine junge Frau in Ihrer finanziellen Lage fünfhundert Dollar für einen Außenseiter direkt auf Sieg setzt, dann verläßt sie sich nicht einfach auf eine >Vorahnung<.« Mason ging zur Tür. »Warten Sie, Mr. Mason, warten Sie doch bitte. Ich will es Ihnen sagen.« Er blieb stehen und drehte sich halb um. »Ich hatte keine Vorahnung, Mr. Mason. Ich hatte auch keinen Tip. Ich setzte eben ... ich nahm ihn einfach, weil ... also, verstehen Sie nicht... er war das einzige Pferd, auf das ich wetten konnte.« »Nein, das verstehe ich keineswegs«, entgegnete Mason. »Es fällt mir so schwer, es Ihnen zu erklären, Mr. Mason, weil es ein schlechtes Licht auf jemanden wirft, der aber ...« »Weiter.« »Es handelt sich um Rod«, sagte sie. »Um Ihren Bruder?« »Ja. Er ... er hatte mehrere tausend Dollar unterschlagen. Er konnte sie nicht ersetzen, und jemand hatte die Unterschlagung entdeckt.« »Wer?« »Ich glaube, es war Mr. Halstead, der Geschäftsführer der Firma. Ich weiß es aber nicht sicher.« »Woher wußten Sie, daß Ihr Bruder Geld unterschlagen hatte?« -1 0 2 -
»Er sagte es mir am Telefon. Er rief mich an, um sich zu verabschieden. Das nächstemal, sagte er, würden wir uns wahrscheinlich im Gefängnis wiedersehen.« »Und weshalb rief er Sie wirklich an? Was bezweckte er damit?« »Warum glauben Sie, daß er etwas damit bezweckt hat?« »Garantiert hat er das«, sagte Mason. »Was wollte er?« »Er wollte ... Geld.« »Wieviel?« »So viel, daß er seine Unterschlagung decken konnte.« »Gaben Sie es ihm?« »Nein.« »Warum nicht?« »Ich hatte es nicht.« »Was taten Sie?« »Mr. Mason, alles, was ich aufbringen konnte, waren fünfhundert Dollar. Ich hatte sie auf meinem Sparkonto und mir geschworen, sie nicht anzugreifen.« »Schön. Und?« »Für ein Mädchen in meiner Lage gab es nur einen Weg, rasch zu einer großen Summe zu kommen: indem ich nämlich mein Geld zur Rennbahn trug und alles auf irgendein Pferd setzte, das die höchsten Odds hatte; das also, falls es Sieger wurde, genug einbrachte, um die Unterschlagung zu decken.« »Aber, Allmächtiger«, rief Mason, »Sie hätten Ihre Ersparnisse also gut, erzählen Sie weiter. Es klingt absolut verrückt, aber irgendwie scheint es mir logisch.« »Verstehen Sie nicht, Mr. Mason? Es ist absolut logisch. Die fünfhundert Dollar hätten mir nicht das geringste genützt. Mein Bruder brauchte das Geld, eine große Summe, und zwar sofort. Er brauchte sie in bar, und niemand durfte es merken. Rod sagte mir, er hätte Geld aus einem Geheimfach bei der Firma genommen, aus einem versteckten Geldschubfach. Ich fragte -1 0 3 -
ihn immer wieder, ob er damit nicht einen unbedeutenden Betrag meinte. Er antwortete nein, es sei nicht unbedeutend.« Mason kniff die Augen zusammen und überlegte. »Ich bekomme allmählich ein Bild. Erzählen Sie weiter.« . »Mehr ist nicht dran. Ich nahm mein Geld, ging zur Rennbahn und suchte ein Pferd mit den richtigen Odds. Mir war ganz erbärmlich zumute, Mr. Mason. Um Ihnen die Wahrheit zu sagen, ich erhoffte mir nicht die leiseste Chance. Aber ich wußte, meine fünfhundert Dollar konnten Rod auch nicht helfen, und da war es mir egal, ob ich pleite ging: so verzweifelt war ich.« »Eine verflixt riskante Methode, sich für ein Pferd zu entscheiden«, sagte Mason. »Aber in diesem Fall scheint sie funktioniert zu haben.« »Es hat geklappt, Mr. Mason, und ...« »Moment«, unterbrach er. »Rodney setzte fünfzig Dollar auf dasselbe Pferd. Wie kam das?« »Seine Überlegungen waren fast die gleichen. Er brauchte Geld, und das sofort. Weil er aber nur über eine geringe Summe verfügte, setzte er fünfzig Dollar auf einen Außenseiter und fünfzig auf ein Pferd mit guten Chancen.« »Und warum buchten Sie nicht auch eine Fünfzig-DollarWette?« fragte Mason. »Weil ich so viel brauchte, daß ich Rodneys Fehlbetrag decken konnte.« »Wieviel war das?« »Rodney sagt, es sind ungefähr viertausend Dollar.« »Warum setzten Sie dann nicht dreihundert Dollar auf >Landser< und zweihundert auf einen anderen Außenseiter?« »Weil ich genug davon verstehe und weiß, daß die Quoten am Totalisator nicht endgültig sind, nur eine Schätzung.« »Und weshalb haben Sie Ihre Wettscheine nicht eingelöst?« fragte Mason.
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»Ich war auf dem Rennplatz; mein Bruder wußte das nicht. Er hatte auch auf >Landser< gesetzt, was ich erst nach dem Rennen erfuhr. Und dann war ich so aufgeregt, daß ich am ganzen Körper zitterte. Ich ging auf den Schalter zu, wo ich die Hundert-Dollar-Wetten kassieren wollte, und sah meinen Bruder am Nebenschalter mit Mr. Fremont. Sie machten ihm eine schreckliche Szene. Die Polizei war schon da, und - oh, es war entsetzlich.« »Weiter«, sagte Mason. »Sie mußten diesen Wettschalter also beobachtet haben und wissen, daß auch ich Geld auf das Pferd gesetzt hatte und ...« »Kannte Mr. Fremont Sie persönlich?« »Oh, gewiß. Er kannte mich und mochte mich nicht - das heißt, ich meine, er ... na ja, er mochte mich, aber ich kann ... konnte ihn nicht leiden.« »Annäherungsversuche?« fragte Mason. »Annäherungsversuche und Tätscheleien. Er fing an mit väterlich und so. Ich arbeitete für ihn, und er stellte Rodney ein, um mir gefällig zu sein. Eine Zeitlang begnügte er sich mit gelegentlichem Tätscheln und Streicheln, aber dann wurde er zudringlich.« »Daher gaben Sie den Job auf?« »Ja.« »Ihr Bruder sagte Ihnen also, er hätte Geld unterschlagen?« »Ja.« »Und er sagte auch, wieviel?« »Zwischen dreitausendfünfhundert und viertausend Dollar.« »Soweit ich weiß, fehlten aber nur tausend oder fünfzehnhundert«, wandte Mason ein. »Es waren schon mal fast fünftausend. Dann gewann er und deckte den Fehlbetrag zum großen Teil ab. Aber ich wußte, wie explosiv die Lage war. Ich wollte so viel Geld zur Verfügung haben, um ihm aus der Unterschlagungsgeschichte herauszuhelfen und ihn dann von der Geldverlegenheit -1 0 5 -
kurieren, die ihn überhaupt zu diesen Betrügereien getrieben hat.« »Und er konnte nicht zurückzahlen?« »Nein, er war verzweifelt. Er war herunter bis auf seine letzten hundert Dollar und - ich glaube, er wollte noch mehr unterschlagen. Er hatte wohl die gleiche Einstellung wie ich: Alles oder nichts. Aber dann ist etwas passiert. Ich weiß nicht was, jedenfalls war das Geld nicht verfügbar. Er nahm nur hundert Dollar mit zur Rennbahn, sein gesamtes Geld.« Mason ließ sich das durch den Kopf gehen und sagte plötzlich: »Gut, Nancy, ich werde Ihnen jetzt sagen, was Sie zu tun haben: Sie schweigen sich völlig aus. Erzählen Sie keinem Menschen irgend etwas. Würdigen Sie die Polizei keines Wortes. Man wird Ihnen eine reizende Geschichte erzählen, daß Sie wahrscheinlich jemanden schützen wollten, und Sie sollten doch ...« »Oh, aber das haben sie doch schon getan.« »Und Sie haben ihnen nicht von Ihrem Bruder erzählt?« »Kein Wort, die ganze Zeit über.« »Okay. Lassen Sie sich nicht beirren. Sagen Sie nichts, nur, daß ich Sie vertrete, daß man sich wegen Auskünften an mich wenden muß und daß ich die notwendigen Erklärungen abgeben werde. Noch etwas gibt es, wovor ich Sie warnen muß: den Presserummel. Tränendrüsenreporter, Lokal- und Sonderberichterstatter werden anrücken und Sie um ein Exklusiv-Interview bitten. Sie werden Ihnen erzählen, wie nützlich es für Sie und Ihren Prozeß wäre, die Presse auf Ihrer Seite zu haben; und wenn Sie mit ihnen sprächen, werde man versuchen, Sie der Öffentlichkeit im besten Licht zu präsentieren.« »Und das ist alles gelogen?« fragte Nancy. »Nicht unbedingt«, erwiderte Mason. »Einige dieser Reporter sind anständige Kerle. Sie nehmen zwar nicht Partei, soweit es den Fall als solchen betrifft, aber sie versuchen, ihren Lesern ein höchst sympathisches Bild von Ihnen zu vermitteln: von -1 0 6 -
Ihrem Leben, Ihrem Charakter, von dem völlig verwirrten kleinen Mädchen, das noch nie in Schwierigkeiten war, stets als vertrauenswürdige Sekretärin galt und sich jetzt in einen Strudel von Ereignissen gerissen sieht, auf die es keinen Einfluß hat; das arme kleine Mädchen, das im Gefängnis sitzt und auf seinen Mordprozeß wartet. Man wird Sie und Ihre Eigenarten schildern, Ihr Verhalten und alles über Ihr Liebesleben. Einen echten Tränendrüsentext wird man zusammenschustern, der das Mitleid der Öffentlichkeit weckt.« »Aber ich soll ihnen nichts erzählen?« »Was auch geschieht«, sagte Mason, »Sie erzählen keinem Menschen auch nur das geringste. Und das ist absolut endgültig und bindend. Werden Sie das schaffen?« »Ja.« »Es wird Nerven kosten und sture Entschlossenheit.« »Ich kann den Mund halten. Ich habe mein Schuldkonto bei Ihnen schon genug belastet. Wenn Sie mir weiter beistehen, Mr. Mason, will ich alles tun, was Sie mir sagen.« »In Ordnung. Jetzt muß ich weiter. Ein Riesenhaufen Arbeit wartet auf mich. Sie schweigen - das ist im Augenblick Ihr Beitrag zur Sache.« Mason gab der Aufseherin ein Zeichen, daß sein Besuch beendet sei, und fuhr eilig im Fahrstuhl hinunter. Von einer Telefonzelle aus rief er Paul Drake an. »Perry hier, Paul. Ich habe einen Job für dich.« »Schieß los.« »Es ist doch ungesetzlich, Inventur von dem persönlichen Eigentum eines Verstorbenen aufzunehmen, Safes oder sonst etwas zu öffnen, wenn kein Vertreter der Steuerbehörde dabei ist.« »Also?« »Also wird die Polizei zu Fremonts Büro gehen und Bestand aufnehmen, aber nicht, ohne den Taxator für Erbschaftssteuer zu benachrichtigen. Denn sie hat einen Tip, daß sich im Geheimtresor eine große Summe Bargeld befindet.« -1 0 7 -
»Weiter«, sagte Drake. »Der Taxator wird beauftragt werden, einen Vertreter hinzuschicken. Die Polizei wird nervös an den Fingernägeln kauen, bis der Papierkrieg abgewickelt ist.« »Und was hat das mit uns zu tun?« »Es heißt«, sagte Mason, »daß ich anwesend sein möchte, wenn der Geheimtresor geöffnet wird.« »Nicht die leiseste Chance«, erwiderte Drake. »Sie rühren ihn nicht an, wenn du dabei bist. Die Polizei schmeißt dich raus, wenn du auch nur in die Nähe kommst. Du repräsentierst die Verteidigung, und sie denken nicht daran, dir das gesamte Beweismaterial im voraus auf einem Silbertablett zu überreichen.« »Mag sein, daß sie nicht daran denken«, entgegnete Mason, »aber tun müssen sie's trotzdem. Ich weiß zufällig, daß du einigen Einfluß beim Taxator hast. Ruf ihn an und sag, er soll mich als seinen Vertreter bei der Inventur benennen.« »Warum, Perry? Die machen doch sowieso eine korrekte Bestandsaufnahme.« »Weiß ich, aber ich möchte sehen, wie es da aussieht. Ich möchte Zutritt haben und die Lage abschätzen, bevor ich ins Gericht gehe, um Nancy Banks in einem Mordprozeß zu verteidigen.« »Es bringt die Steuerbehörde bei der Polizei in Mißkredit, wenn man dich unterschiebt«, wandte Drake ein. »Nicht unbedingt«, meinte Mason. »Versuch wenigstens mal, dran zu drehen.« »Schön«, versprach Drake zögernd, »ich werde mal antippen. Vielleicht läßt es sich schaukeln, wenn ich genügend Druck dahintersetze, falls ... falls es gesetzlich zulässig ist. Und sollten die Vorschriften dagegenstehen, könnte ich dir wenigstens den Anschein einer Amtsperson verleihen.« »Das ist alles, was ich brauche«, sagte Mason, »den Anschein einer Amtsperson. Ich fahre jetzt zum Büro. Häng dich ans
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Telefon und versuch die Sache zu arrangieren, bis ich angekommen bin.«
12 Mason schob den Schlüssel in die Flurtür seines Privatbüros, drückte das Schnappschloß zurück, öffnete und wurde von Della Street mit einem ermunternden Lächeln empfangen. »Wie macht sich die Sache?« fragte sie. Mason schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung, Della. Wenn ich mit dem Mädchen rede, glaube ich ihr. Sobald ich sie verlasse, kommt es mir vor, daß sie die raffinierteste kleine Lügnerin ist, die ich jemals gesehen habe. Haben wir was von Paul gehört?« »Sie möchten sich melden, sowie Sie hereinkommen.« Mason nickte, und Della Street rief Drakes Büro an. »Er kommt sofort«, sagte sie gleich darauf. »Was ist mit diesem Mädchen?« »Alles klingt so völlig unwahrscheinlich«, erwiderte Mason, »daß es einfach keinen Sinn gibt. Ich höre im Geist die spotttriefende Stimme des Staatsanwalts, wenn er sagt: >Nun, Miss Banks, würden Sie uns bitte noch einmal erzählen, wie Sie bei der Mülltonne verhaftet wurden, während Sie Trockeneiskartons herauszogen, auf denen Sie Ihre Fingerabdrücke befürchteten? Ich glaube, wenn Sie dieses Detail noch einmal klarstellen, kann ich mein Kreuzverhör abschließen.<« »So schlimm?« fragte Della Street. »Viel schlimmer«, entgegnete Mason. Drakes Klopfzeichen ertönte an der Tür, und Della ließ ihn ein. Schon im Türspalt ließ Paul Drake sich vernehmen: »Ich bringe schlechte Nachrichten, Perry.« »Keine Chancen bei der Steuer?«
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»Keine. Sie konnten nicht, selbst wenn sie gewollt hätten. Und sie wollen todsicher nicht - auf keinen Fall mit dem Staatsanwalt dabei.« Mason zog die Stirn in Falten. »Die Polizei geht heute morgen hin, um den Geheimtresor zu öffnen.« »Um welche Zeit?« »Sie müssen ja noch einen Vertreter des Taxators bestellen.« »So viel habe ich geschafft«, sagte Drake, »daß die Leute mir versprachen, die Polizei ein bißchen hinzuhalten und uns vertraulich anzurufen, um welche Zeit die Taxierung stattfindet. Natürlich kann die Polizei jederzeit hingehen und nach Beweismaterial suchen statt nach Vermögen.« »Gewiß«, stimmte Mason zu, »aber wenn eine große Geldsumme im Spiel ist, wird sie so vorsichtig wie möglich vorgehen. Mit den Beweisen eilt es ihr im Moment nicht so. Was hast du übrigens über Fremont, Paul?« »Nur die nackte Statistik. Er war 51, verheiratet, lebte getrennt, keine Scheidung, keine Kinder. Er ...« »Keine Scheidung?« unterbrach Mason. »Nein.« Mason schnippte mit den Fingern. »Seine Witwe. Was weißt du von ihr?« »Inez Fremont«, las Drake aus seinem Notizbuch vor, »beschäftigt als Kassiererin in der Cafeteria Grille & Gold, zur Zeit im Dienst von acht bis vier. Sie ist zehn oder elf Jahre jünger als er und hat ihn vor drei Jahren geheiratet. Seit einem Jahr leben sie getrennt.« Mason stieß seinen Stuhl zurück. »Komm, Paul«, sagte er und wandte sich an Della Street. »Sie gehen besser auch mit, Della. Packen Sie einen Notizblock ein. Und wenn Sie notieren, was ich sage, vermerken Sie bitte sorgfältig, daß ich mich nicht um ein Mandat bemühe und daß ich ihr sage, ich sei der Anwalt der Person, die des Mordes an ihrem Ehemann beschuldigt wird. Kommen Sie.« »In deinem oder in meinem Wagen?« fragte Drake. -1 1 0 -
»In meinem«, entschied Mason. »Ich fahre. Hast du die Adresse der Cafeteria?« »Hier. Willst du vorher anrufen?« Mason zögerte. »Nein, wir versuchen es lieber ohne Vorwarnung. Sie könnte sonst die Polizei anrufen, daß ich auf dem Weg zu ihr bin. Ich will die Polizei nicht auf Ideen bringen.« Sie eilten aus dem Büro zu Masons Wagen. Geschickt bahnte sich der Anwalt seinen Weg durch den dichten Verkehr. Es herrschte kaum Betrieb in der Cafeteria, als sie eintraten und zur Kasse gingen. Die Blondine mit den ruhig abschätzenden grauen Augen schlug das Magazin zu, in dem sie gelesen hatte, als die Gäste sich der Kasse näherten. »Kann ich etwas für Sie tun?« »Sind Sie Inez Fremont?« fragte Mason. Sie schwieg lange, mit undurchdringlicher Miene. Dann antwortete sie: »Ja. Um was handelt es sich?« »Ich bin Perry Mason, dies ist Della Street, meine Sekretärin. Ich darf Ihnen noch Paul Drake vorstellen, Privatdetektiv«, sagte Mason. »Ich will völlig offen sein, Mrs. Fremont. Zunächst, glaube ich, sollten Sie wissen, daß Ihr Mann tot ist und ...« »Darüber bin ich im Bilde«, unterbrach sie. »Die Polizei war hier und wollte wissen, ob ich Angaben machen könnte.« »Konnten Sie das?« »Nein.« »Sie kennen die Umstände, unter denen Ihr Mann starb?« »Ja.« »Soweit ich weiß, lebten Sie getrennt?« »Ja.« »Möchten Sie darüber sprechen?« »Nein.«
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»Mrs. Fremont, ich will meine Karten auf den Tisch legen. Ich vertrete eine junge Frau, Nancy Banks, die zur Zeit beschuldigt wird, Ihren Mann ermordet zu haben. Ich glaube nicht an ihre Schuld, aber die Indizienbeweise gegen sie sind recht schwerwiegend. Ich versuche, nur die Tatsachen festzustellen. Ich will Sie nicht etwa täuschen oder ausnutzen, hätte aber gern ein paar Angaben von Ihnen, falls Sie sich äußern möchten.« »Wenn sie ihn umgebracht hat, verdient sie einen Orden«, stellte Inez Fremont kurz fest. »Ich glaube nicht, daß sie ihn umgebracht hat, Mrs. Fremont. Ich brauche alle erreichbaren Informationen, um ihre Interessen wahrzunehmen.« »Was wollen Sie wissen?« »War Mr. Fremont vorher schon verheiratet?« »Er nicht.« »Aber Sie?« »Ja.« »Und die Ehe ist in die Brüche gegangen?« »Das ist sie.« Mason wartete. Sie wollte etwas sagen, besann sich aber. Nach einigen Augenblicken wurde das Schweigen drückend. »Ich habe nichts zu berichten, das Ihnen weiterhelfen könnte«, sagte Inez Fremont endlich. »Sie können vermögensrechtliche Ansprüche stellen«, erklärte Mason ihr. »Haben Sie einen Anwalt aufgesucht?« »Ich habe keine Ansprüche. Ich mußte eine Verzichterklärung unterschreiben.« »Wieso mußten Sie das?« »Er zwang mich dazu.« »Können Sie mir sagen, auf welche Weise?« »Wissen Sie, Mr. Mason, die ganze Sache geht mir so schrecklich auf die Nerven. Ich möchte sie vergessen, so schnell ich kann.« -1 1 2 -
»Sie haben vor drei Jahren geheiratet?« fragte Mason. »Ungefähr.« »Und Sie haben sich damals geliebt?« »Sehen Sie, Mr. Mason, ich bin vierzig, und man sieht es mir an. Das Leben hat mir übel mitgespielt. Allmählich bin ich da angekommen, wo's schwierig wird, noch Arbeit zu kriegen. Man will jüngere Frauen, die was darstellen. Ich bin ein altes Arbeitspferd, ich will Sicherheit. Jede Frau will Sicherheit. Als ich diesmal heiratete, dachte ich, jetzt hätte ich sie. Und ich glaubte, der Mann liebte mich.« »Das stimmte aber nicht?« fragte Mason. »Mr. Mason, die Heirat war für ihn nur eine geschäftliche Angelegenheit.« Mason hob fragend die Augenbrauen. Wieder entstand ein Schweigen, das sich peinlich lange dehnte. Dann fuhr Inez Fremont fort: »Na schön, weshalb sollte ich's Ihnen nicht erzählen? Also, er hat sich nicht mehr aus mir gemacht als so viel.« Sie schnippte mit den Fingern. »Warum hat er Sie dann geheiratet?« »Weil er wußte, daß in diesem Staat eine Ehefrau nicht gegen ihren Mann aussagen kann. Und weil ich was über ihn wußte, das ihn ins Gefängnis gebracht hätte. Wegen Hehlerei. Er hat mich geheiratet, um mir die Lippen zu versiegeln. All das wußte ich damals noch nicht.« »Aber Sie unterschrieben einen güterrechtlichen Vertrag, bevor Sie heirateten?« fragte Mason. »Erst nach der Trennung.« »Warum? Unter diesen Umständen hatten Sie bestimmt Anspruch auf...« »Das ist eine lange Geschichte«, unterbrach sie. »Ich war närrisch, mir war nicht klar, mit welchem Typ von Mann ich es zu tun hatte. Er war durch und durch grausam, unglaublich schlau - schlau ist nicht der richtige Ausdruck. Gerissen ist besser. Er beschäftigte ständig eine Detektei. Sie ist skrupellos, aber tüchtig. Die Leute blieben mir auf der Spur, sowie ich -1 1 3 -
Fremonts Haus verließ, nur wußte ich das nicht. Sie waren so raffiniert, daß mir nie ein Verdacht kam. Fremont wartete, bis er ein paar peinliche Dinge gegen mich vorbringen konnte, und dann - na, er machte ein großes Drama daraus ... aber lassen wir das. Jedenfalls habe ich diese Vermögensregelung unterschrieben.« »Mrs. Fremont«, sagte Mason, »ich rate Ihnen, auf der Stelle einen Rechtsanwalt aufzusuchen. Schieben Sie es keine Minute auf. Wann sind Sie hier fertig?« »Um vier Uhr nachmittags.« »Mrs. Fremont, bitte nehmen Sie sich einen Anwalt. Warten Sie nicht, telefonieren Sie gleich.« »Was soll der mir nützen?« »Ein Anwalt kann eine ganze Menge nützen.« Sie schüttelte den Kopf. »Er würde nur Geld kosten.« »Es wird behauptet, Ihr Mann hätte einen geheimen Geldfonds besessen. Die Polizei geht heute in das Büro, um dieses Geld zu registrieren.« »Es ist sein Geld. Mit mir hat es nichts zu tun.« »Sie wissen nicht, was dabei herauskommt«, beharrte Mason. »Ich kann Sie leider nicht beraten, aber im allgemeinen kann ein Vertrag, den man unter Zwang eingegangen ist – das heißt, den man wider Willen oder besseres Wissen unterzeichnen mußte -, für ungültig erklärt werden.« Ein plötzlicher Funke leuchtete in Inez Fremonts Augen auf. »Wie wäre es mit Ihnen, Mr. Mason? Ich habe von Ihnen gehört. Würden Sie mich vertreten?« »In einigen Punkten gern«, sagte Mason nach einer kurzen Pause, »aber ich vertrete schon Nancy Banks in der Mordsache. Wenn sich herausstellen sollte, daß Sie, Mrs. Fremont, Ihren Mann umgebracht haben, müßte ich alles nur mögliche tun, um Sie zu überführen, weil ich Nancy Banks vertrete.« Ein schwaches Lächeln ging über Inez Fremonts Gesicht. »Ich hätte ihn umbringen sollen, aber ich war es nicht«, sagte sie. -1 1 4 -
»Ich rate Ihnen dringend zu einem Anwalt. Möglicherweise können Sie beweisen, daß Sie jene Vereinbarung nur unter Zwang anerkannten ... Mr. Drake könnte als Detektiv bei der Bestandsaufnahme im Büro Ihres Mannes als Ihr Vertreter fungieren. Er arbeitet für mich, soweit es die Feststellung des Sachverhalts im Mordfall betrifft. Aber nichts spricht dagegen, daß er auch Tatsachen über Material feststellt, das im Büro Ihres Mannes gefunden wird; besonders, soweit es zeigt, daß Sie der Vereinbarung nur unter Zwang zustimmten.« »Sie glauben, sie könnte für ungültig erklärt werden?« »Ich kann es Ihnen nicht bestimmt sagen«, entgegnete Mason, »und ich bin auch nicht in der Lage, Sie zu beraten. Ich empfehle Ihnen nur, sich einen Anwalt zu nehmen.« Inez Fremont wandte sich an Drake. »Wieviel würde es kosten, wenn Sie dabei sind, sobald das Büro geöffnet und Bestand aufgenommen wird?« Drake warf Mason einen raschen Blick zu und sah ein unmerkliches Kopfnicken. »Nicht sehr viel«, antwortete er. »Fünfzehn Dollar.« Sie zögerte einen Moment, öffnete dann ihre Handtasche und gab dem Detektiv fünfzehn Dollar. »Und Sie werden sich einen Anwalt nehmen?« fragte Mason. »Ich will es mir überlegen. Ein Anwalt nimmt einen Vorschuß. Sie wissen vielleicht nicht, was fünfzehn Dollar für eine berufstätige Frau bedeuten, die in das Alter kommt, in dem die Leute sie von oben bis unten taxieren, wenn sie sich um eine Stellung bewirbt, und sie dann mit Ausreden abspeisen.« »Also gut«, sagte Drake, »ich will sehen, was ich für Sie feststellen kann. Falls ich Ihnen nicht helfen kann, Mrs. Fremont, soll es Sie keinen Cent kosten.« »Ist schon gut, ich erwarte nichts umsonst«, erwiderte sie. Mason nickte Della Street zu, die auf ihrem Notizblock rasch eine Vollmacht ausschrieb. »Unterschreiben Sie das«, bat Drake, »und ich will sehen, was sich tun läßt.« -1 1 5 -
13 Es war drei Uhr nachmittags, als Drake mit dem Bericht über die Durchsuchung von Fremonts Büro bei Mason erschien. »Also, was war los?« fragte Mason. »Ach, das war die merkwürdigste Schau, die ich je gesehen habe.« »War Halstead dabei?« »Natürlich.« »Und zeigte der Polizei den versteckten Tresor?« »Ja. Auf dem Zementfußboden liegt ein kleiner Teppich, der Fußboden ist in Quadrate eingeteilt. Wenn man den Teppich wegnimmt, ist offensichtlich nur gewöhnlicher Boden drunter. Aber in dem mittleren Quadrat sitzt noch ein kleines. Es paßt so haarscharf hinein, daß man kaum erkennt, wo es anschließt. An einer Stelle dieser schmalen Fugen kann man einen ganz feinen Schraubenzieher ansetzen.« »Und dann?« fragte Mason. »Dann hebt sich das kleine Zementquadrat und gibt einen Ring frei. Mit diesem Ring kann man das ganze Karree von 45 Quadratzentimetern direkt rausheben. Darunter kommt eine Metallkassette zum Vorschein. Diese Zementverbindung ist nun so raffiniert gemacht, daß sie genau wie der übrige Fußboden aussieht, wenn die Platte wieder geschlossen ist. Ein Anhaltspunkt wäre höchstens das kleine Viereck darin. Aber die Fuge ist nur eine Haarlinie. Man muß sehr genau hinsehen, wenn man sie entdecken will.« »Aber offenbar hatte Halstead genau hingesehen.« »Wahrscheinlich, weil er mißtrauisch war, weil er was entdecken wollte und genau wußte, wonach er suchte.« »Rodney Banks fand es auch«, sagte Mason. »Wahrscheinlich fand er es, richtig. Bedenke aber, daß vielleicht ein paar Leute Fremont schon beobachtet hatten. Das -1 1 6 -
Büro ist der sonderbarste Platz, den ich je sah. Vor den Fenstern sind Gitter, an der Tür ist außer dem Schloß noch ein riesiger, schwerer Eisenriegel. Die Wände sind dick, und es sollte mich nicht wundern, wenn die Fenster kugelsicher verglast wären.« »Das ist alles nicht so wichtig«, drängte Mason. »Wieviel war denn nun in dem geheimen Versteck?« »Das ist es eben, was dich umwerfen wird, Perry. Es war nicht ein Cent drin.« »Was!« »Nichts. Alles ausgeräumt, ratzekahl.« »Wie kam's?« »Da kann man nur raten. Aber eins sage ich dir: Die Polizei war nicht überrascht.« »Unsinn.« »No, Sir. Tragg nahm es mit der größten Selbstverständlichkeit. Entweder war er vorher schon dagewesen oder aber sie gehen von der Theorie aus, daß jemand die Kiste bereits ausgeräumt hatte. Überrascht war nur Mr. Larsen E. Halstead. Er warf einen Blick hinein, ging auf die Knie und sah hin, als traute er seinen Augen nicht. Dann fing er an, mit den Fingerspitzen alles abzutasten, aber Tragg bremste ihn. Tragg wollte die Kassette auf Fingerabdrücke untersuchen.« »Wie tief ist das Loch?« fragte Mason. »Wahrscheinlich etwa 45 Zentimeter, ich habe es nicht gemessen.« »Und Tragg war nicht überrascht?« »Er zuckte mit keiner Wimper. Sah nur auf den leeren Behälter hinunter. Und dabei fing ich dieses fuchsige Grinsen von ihm auf, mit dem er manchmal die Mundwinkel verzieht. Aber Halstead sagte: >Was in aller Welt .. .< und ging in die Knie, als ob ihn jemand zu Boden geschlagen hätte. Er griff in den Behälter, aber Tragg packte ihn am Arm und sagte: >Keine Fingerabdrücke, bitte.<« »Was antwortete Halstead?« -1 1 7 -
»Halstead sah zu Tragg auf und sagte: >Darauf kommt es jetzt nicht mehr an. Meine Abdrücke sind schon da. Ich hatte mir ja das Geld angesehen und es gezählt. Ich wußte doch, daß es da war.<« »Und Tragg?« »Tragg grinste nur schlau und antwortete: >Aber, Mr. Halstead, wir wollen nicht noch mehr Fingerabdrücke von Ihnen haben, sondern versuchen, Abdrücke, die sonst jemand hinterlassen hat, nicht zu verschmieren.<« »Was geschah dann?« »Sie nahmen Bestand auf, so die übliche Art von Inventaraufnahme, und schlossen wieder ab. Halstead nahmen sie mit. Sie wollen seine Aussage über irgendeine Phase des Falles; Näheres konnte ich nicht feststellen.« »Gab es Ärger wegen deiner Anwesenheit?« fragte Mason. »Es fehlte nicht viel, und sie hätten mich rausgeschmissen. Dann zeigte ich ihnen die schriftliche Vollmacht von Mrs. Fremont und sagte, ich verträte die Witwe, und einer von den Polypen warf mir unsaubere Praktiken vor. Ich sagte ihm, davon könne keine Rede sein, es gäbe keinen Grund, warum ich nicht Ermittlungen für dich anstellen und gleichzeitig noch andere Klienten haben könne. Darauf rief Tragg alle beiseite, zu einer kurzen Rücksprache. Dann kam er auf mich zu und sagte, er hätte Verständnis für meine Situation, er wüßte, ich sei ein ehrlicher Kerl und ein anständiger Detektiv, und sie hätten nichts gegen meine Anwesenheit. Weiter sagte er noch, ich solle Mrs. Fremont klarmachen, daß die Polizei mir in jeder Weise entgegengekommen wäre, denn sie sei genauso daran interessiert, die Sache aufzuklären. Und jede Person, die Mrs. Fremonts Interessen wahrnähme, könne auf größtes Entgegenkommen seitens der Polizei rechnen.« »Also, ich weiß nicht, was ich daraus schließen soll«, sagte Mason. »Da steckt irgendwas dahinter, das wir nicht kennen. Die Polizei muß noch andere Informationen haben.« »Ist das überraschend?« fragte Drake. -1 1 8 -
»In diesem Fall nicht.« »Na, so steht es also bisher. Weißt du mehr?« »Sie wollen gleich die Geschworenen entscheiden lassen. Eine Vorverhandlung könne die Sache nur verzögern, denken sie.« »Und du wirst dich natürlich um Aufschub bemühen?« fragte Drake. »Ich werde das Beweismaterial sehr sorgfältig prüfen. Ich erhalte ja eine Kopie der Liste von Zeugen, die vor den Geschworenen aussagen; vielleicht kann ich sie ein bißchen zum Narren halten, Paul.« »Auf welche Weise?« »Schon mal beim Tauziehen zugesehen?« fragte Mason. »Wo die eine Seite plötzlich ein ganzes Stück nachgibt und dann, wenn die Gegner alle nach hinten umgekippt sind, das Tau so spielend einholt, als ob es gar keine Gegenpartei gäbe? So werde ich auch Hamilton Burger, unserm geliebten Bezirksanwalt, viel Tau geben.« »Wieviel?« fragte Drake. »Genug, daß er sich dran aufhängen kann.« »Das kann gefährlich werden«, warnte Drake. »Hamilton Burger ist ein hartnäckiger und wendiger Streiter.« »Ich weiß«, sagte Mason nachdenklich, »aber ich habe schon eine Idee.«
14 Richter Navarro Miles warf Hamilton Burger, dem Bezirksanwalt, einen nachdenklichen Blick zu und begann: »Es ist Sache der Angeklagten, sich über die Geschworenen zu äußern.« Mason erhob sich. »Ich darf dem Gericht bekanntgeben, daß wir zur Zeit von unserem Recht der Ablehnung keinen Gebrauch machen möchten. Wir sind mit der Geschworenenbank voll und ganz einverstanden.« -1 1 9 -
»Sehr wohl. Die Geschworenen werden vereidigt«, entschied Richter Miles. Die Geschworenen standen gemeinsam auf, hoben die rechte Hand und schworen, gerecht und wahrheitsgemäß über den Streit zwischen dem Staat von Kalifornien einerseits und Nancy Banks andererseits zu befinden. Richter Miles fixierte Hamilton Burger abermals. »Vermute ich richtig, daß der Staatsanwalt beabsichtigt, in diesem Fall persönlich aufzutreten?« »Ja, Euer Gnaden. Mein Vertreter, Robert Calvert Norris hier, wird mich unterstützen. Ich habe jedoch die Absicht, den Fall vorwiegend selbst abzuwickeln.« Richter Miles' Gesicht verriet Neugierde. »Aus Gründen, die sich mit fortschreitender Verhandlung ergeben werden«, erklärte Hamilton Burger weiter, »wird dies ein sehr bedeutsamer, ein einzigartiger Fall sein; ein Fall, in dem der rechtmäßig gewählte Staatsanwalt dieses Bezirks gezwungen sein wird, persönlich einzugreifen. Es sind Rechtsfragen damit verknüpft, die wahrscheinlich einen Präzedenzfall schaffen werden. Mit Erlaubnis des Gerichts wird jetzt mein Kollege, Mr. Norris, den Geschworenen den Fall einleitend vortragen.« »Beginnen Sie«, sagte Richter Miles. Norris, ein hochgewachsener, schlanker Mann mit gewellter kastanienbrauner Haarmähne, großen blauen Augen und bewußt würdevollen Allüren, schritt feierlich nach vorn und stellte sich vor die Geschworenen. »Wenn es dem Gericht und Ihnen, meine Damen und Herren Geschworenen, recht ist, wird mein Eröffnungsbeschluß sehr kurz sein. Ich will nur die Tatsachen umreißen, die wir zu beweisen hoffen, und Ihnen unsere Theorie erläutern.« Er hielt inne, straffte die Schultern, starrte die Geschworenen feierlich an und fuhr fort: »Wir wollen beweisen, daß der Bruder der Angeklagten, Rodney Banks, bei dem verstorbenen Marvin Fremont beschäftigt war und ihm einen erheblichen Geldbetrag -1 2 0 -
unterschlug. Der größte Teil dieses Geldes wurde für Rennwetten ausgegeben. Fremont entdeckte die Unterschlagung und folgte Rodney Banks zur Rennbahn. Er stellte fest, daß Rodney eine Wette auf ein Pferd namens >Landser< gebucht hatte, einen Außenseiter, der Sieger wurde. Als Banks seine Wette kassieren wollte, bestand Marvin Fremont darauf, die Wette sei nicht mit Rodney Banks, sondern mit seinem, Fremonts, Geld bezahlt worden, und deshalb habe Fremont Anspruch auf den Gewinn. Banks wurde wegen Unterschlagung verhaftet. Das, meine Damen und Herren Geschworenen, gab Anlaß zu einem Mord. Wir wollen Ihnen nicht vormachen, daß Marvin Fremont, der Tote, ein Engel war. Er war es nicht. Die Beweise werden sogar das Gegenteil ergeben. Fremont war in unerlaubte Geschäfte verwickelt. Zu diesem Zweck hatte er eine große Summe Bargeld zur Verfügung, die er in seinem Büro versteckt aufbewahrte. Rodney Banks, der Bruder der Angeklagten, hatte dieses Versteck ausfindig gemacht. Als ihm klar wurde, daß seine Unterschlagung entdeckt worden war, spielte er seine Trumpfkarte aus; er meinte, wenn schon, denn schon - wie man so sagt. Nachdem man ihn gegen Kaution aus dem Gefängnis freigelassen hatte, ging er prompt ins Büro und räumte das Versteck restlos aus. Er wollte das Geld als Verhandlungsgrundlage benutzen. Da er wußte, daß Fremont die Höhe des Betrags nicht bekanntgeben konnte, ohne zu erklären, warum sich das Geld überhaupt dort befand, da er ferner wußte, daß Fremont mit sich handeln lassen würde, nahm Rodney Banks seelenruhig das gesamte Geld. Das veranlaßte Marvin Fremont, die Angeklagte im Foley Motel aufzusuchen, wo sie registriert war. Es liegt in der Nähe der Osgood-Forellenzucht. Diese Forellenzucht besteht aus einer Reihe von Teichen. Sie sind durch einen Flußlauf verbunden. Sportler können dort angeln und müssen jede gefangene Forelle bezahlen. Die Osgood-Forellenzucht war Lorraine Lawton bekannt, einer Freundin der Angeklagten, die dort arbeitete, sowie der Angeklagten selbst; sie half gelegentlich in diesem Betrieb aus, indem sie einen auffallenden Badeanzug anlegte. Damit die Angler ihre Forellen nach Hause nehmen -1 2 1 -
können, ohne daß sie ihnen verderben, hält der Betrieb sich einen Vorrat an Trockeneis. Die Angeklagte besaß Schlüssel zu der gesamten Anlage. Sie ging ins Foley Motel, um sich dort mit ihrem Bruder zu treffen. Fremont ließ sie beschatten. Er wußte, wo sie sich befand. Wir kommen nun zu einem Kapitel des Falles, das wir nach Möglichkeit gern verschwiegen hätten. Ich muß Ihnen aber offen sagen, meine Damen und Herren Geschworenen - wir können es nicht. Rodney Banks wettete nicht nur mit unterschlagenem Geld, er gab auch etwas davon seiner Schwester mit der Anweisung, es auf das Pferd >Landser< zu setzen. Die Schwester buchte fünf EinhundertDollar-Wetten auf dieses Pferd. Als sie jedoch sah, daß ihr Bruder bei dem Versuch, seine Wettscheine einzulösen, festgenommen wurde, verließ sie panikartig die Rennbahn, lief zu Perry Mason ins Büro und übergab ihm ihre Wettscheine, damit er sie am nächsten Tag für sie kassierte. Mr. Mason holte tatsächlich den Gewinn auf jene Scheine ab und überbrachte ihn der Angeklagten zum Motel - obgleich man ihm mitgeteilt hatte, daß die Wettscheine mit unterschlagenem Geld gekauft waren. Marvin Fremont ging zu dem Motel. Wahrscheinlich wurde er ausfallend; die Leichenschau ergab, daß er stark getrunken hatte. Die Angeklagte erschoß ihn, die Leiche lag im Duschbad. Wir kommen jetzt zu einem interessanten Abschnitt des Falles. Die Angeklagte versuchte, das Verbrechen zu vertuschen. Da sie wußte, daß die Polizei die Todeszeit durch Messen der Körpertemperatur feststellen lassen kann, beschloß sie, den Anschein zu erwecken, der Mord hätte viel früher stattgefunden. Sie ging zur nahe gelegenen OsgoodForellenzucht, besorgte sich eine große Menge Trockeneis und packte den Körper des Verstorbenen kaltblütig in dieses Eis. Dann wartete sie das Sinken der Körpertemperatur ab, und als sie glaubte, das Mittel habe gewirkt, rief sie ihren Anwalt, Perry Mason, an und bat ihn ins Motel. Nachdem man ihr versichert hatte, Perry Mason sei auf dem Wege zu ihr, nahm sie die Trockeneiskartons, von denen sie wußte, daß sie gewirkt haben mußten, von der Leiche ab, brachte die Kartons zurück zur Osgood-Forellenzucht und legte sie dort in eine Mülltonne. Die Beweisaufnahme wird ferner ergeben, meine Damen und -1 2 2 -
Herren Geschworenen, daß die Angeklagte - alarmiert durch die Entdeckung des Tricks mit dem Trockeneis - zu der Mülltonne zurückkehrte, und zwar zu einem Zweck, den die Beweise ans Licht bringen werden und der zur Ermittlung eines der wichtigsten Indizien des Falles führte. Kraft dieser Beweise, meine Damen und Herren Geschworenen, wird die Staatsanwaltschaft einen Schuldspruch wegen Mordes fordern. Wir haben es hier mit einem vorbedachten, überlegten Mord zu tun. Mit einem heimtückischen Mord. Mord aus niedrigen Beweggründen. Mord aus Habgier und um eine andere Straftat zu verdecken. Am Schluß der Beweisaufnahme werden Sie mir zustimmen, denke ich, daß die Anklage ihren Fall über jeden Zweifel hinaus begründet hat. - Ich danke Ihnen.« Robert Norris drehte sich um und ging zum Tisch der Staatsanwaltschaft zurück. Hamilton Burger hielt mit seiner Genugtuung über diese gelungene Eröffnung nicht zurück. Er schüttelte seinem Vertreter die Hand und bedachte ihn mit einem strahlenden Lächeln. Richter Miles fragte Perry Mason: »Wünscht die Verteidigung eine einleitende Erklärung abzugeben?« »Die Verteidigung möchte sich das vorbehalten«, sagte Mason. »Gut. Rufen Sie Ihren ersten Zeugen vor«, forderte Richter Miles die Staatsanwaltschaft auf. Robert Norris rief einen Geometer auf und legte eine Karte der Grundstücke vor, aus der die Entfernung zwischen der OsgoodForellenzucht und dem Foley Motel ersichtlich war. Sie betrug nur anderthalb Meilen. Die Karte wurde als Beweisstück Nr. 1 der Anklage eingeführt. Norris vernahm den Gerichtsarzt, der aussagte, daß der Tod praktisch auf der Stelle eingetreten und durch ein Geschoß aus einem .38-Kaliber-Revolver verursacht worden sei. Es habe das Herz durchschlagen. Während dieser Zeuge über anatomische Einzelheiten befragt wurde, wandte Mason sich an Nancy Banks und flüsterte: »Nancy, Sie müssen mir endlich die Wahrheit sagen. Waren -1 2 3 -
Sie gemeinsam mit Ihrem Bruder an der Unterschlagung beteiligt?« »Nein.« »Was für ein Beweisstück hat man in der Mülltonne entdeckt, das uns überraschen soll?« »Die Trockeneisbehälter«, flüsterte sie. Mason schüttelte den Kopf. »Das ist bekannt, und sie wissen auch, daß wir darüber im Bilde sind. Hier handelt es sich um etwas Neues, das nur sie wissen, wir aber nicht.« »Ich habe keine Ahnung«, sagte sie. »Mehr kann da gar nicht gewesen sein.« »Keine weiteren Fragen«, verkündete Robert Norris dramatisch. »Sie können mit dem Kreuzverhör beginnen.« Mason klopfte Nancy Banks beruhigend auf die Schulter und sah den Zeugen an. »Doktor, Sie haben ausgesagt, daß Sie das Geschoß fanden?« »Jawohl, Sir.« »Und Sie übergaben es der Polizei?« »Ja, Sir.« »Wo fanden Sie es?« »In einer Ecke des Duschbeckens, wo der Körper so zusammengesunken lag, wie er nach dem Schuß gefallen war.« »Sie übergaben diese Kugel der Ballistischen Abteilung der Polizei?« »So ist es, Sir. Das heißt, ich gab sie Leutnant Tragg vom Morddezernat, und er gab sie den Ballistikern weiter.« »Nun«, fuhr Mason fort, »woher wußten Sie, daß es die tödliche Kugel war?« Der Arzt lächelte. »Es war die einzige Kugel dort, und sie war glatt durch den Körper gegangen.«
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»Woher wollen Sie wissen, daß der Mann direkt im Duschbad getötet wurde?« »Weil der Tod auf der Stelle eintrat, und zwar dort, wo der Körper zu Boden stürzte.« »Woher wissen Sie, daß er dort fiel?« »Die Leiche wurde dort gefunden.« »Das Geschoß war ganz durch den Körper hindurchgegangen?« »Ja.« »Und wurde im Duschbad gefunden?« »Jawohl, Sir.« »Also folgerten Sie, als Sie zur Untersuchung der Leiche gerufen wurden, der Mann müsse an der Stelle erschossen worden sein, wo er gefunden wurde, und die im Duschbad entdeckte Kugel müsse die tödliche gewesen sein?« »Nun, das waren wohl ganz natürliche Folgerungen.« »Mit anderen Worten«, sagte Mason, »Sie äußern hier Schlußfolgerungen und keine Tatsachen.« »Aber meine Folgerungen sind logisch.« »Ihre Überlegungen überfuhren keinen Angeklagten, nur Tatsachen können das. Also, Sie wissen nicht, ob der Mann, dessen Leiche Sie im Duschbad vorfanden, dort getötet wurde, nicht wahr?« »Na ja - wissen kann ich es nicht. Ich war nicht anwesend, als geschossen wurde.« »Genau. Es ist nämlich trotz Ihrer Annahmen möglich, daß der Mann außerhalb des Motels erschossen und dann ins Duschbad gebracht wurde.« »Das wäre aber kaum logisch.« »Es ist jedoch möglich. Beantworten Sie die Frage bitte mit ja oder nein. Besteht die Möglichkeit?« »Ja, sie besteht.« Der Zeuge zögerte einen Moment und fügte hinzu: »Aber es ist nicht logisch.« -1 2 5 -
»Warum nicht?« »Weil kein Blut auf dem Fußboden war. Die einzige Blutspur war im Duschbecken, Pulverspuren haben ergeben, daß der Schuß aus etwa sieben Zentimeter Entfernung abgegeben wurde. Es wäre für jede andere Person schwierig gewesen, und ganz unmöglich für eine junge Frau wie die Angeklagte, die Leiche durch das Motel in den Duschraum zu tragen.« »Da Sie also annehmen, die Angeklagte habe das Verbrechen begangen, nehmen Sie auch an, daß die Leiche nicht durch das Zimmer getragen worden sein konnte?« fragte Mason. »Das sagte ich soeben.« »Sie berufen sich auf eine Menge Mutmaßungen, Doktor. Sie bekunden keine Tatsachen, sondern Schlußfolgerungen. Sie gehen von der Voraussetzung aus, daß die Angeklagte den tödlichen Schuß abgegeben hat. Hieraus ziehen Sie die Schlüsse für Ihre Aussage.« »Es sind aber logische Schlüsse«, beharrte der Zeuge. »Sie können den Sachverhalt durch kein anderes logisches Mittel erklären.« »Und warum sollte der Verstorbene in das Motelzimmer gekommen sein, sich an der Angeklagten vorbeigeschlichen haben und direkt unter die Dusche gegangen sein?« »Das kann ich Ihnen nicht sagen.« »Können Sie sich irgendeinen logischen Grund dafür denken?« »Das kann ich nicht. Ich bin hier, um Tatsachen zu bezeugen und keine Vermutungen.« »Und doch besteht Ihre gesamte Aussage nur aus Vermutungen«, sagte Mason. »Mit Erlaubnis des Gerichts beantrage ich, die Aussagen dieses Zeugen aus dem Protokoll zu streichen.« Richter Miles entschied: »Ich lehne den Antrag ab, weise aber die Geschworenen an, die Schlußfolgerungen des Zeugen hinsichtlich dessen, was geschehen sein kann, nicht zu beachten. Die Geschworenen sollen die Aussage dieses Zeugen nur insoweit zur Kenntnis nehmen, als sie -1 2 6 -
grundlegende Tatsachen und medizinische Fakten betreffen, die im Bereich seiner Sachkunde liegen. Das Gericht streicht hiermit alle anderen Aussagen und weist die Geschworenen an, sie nicht zu berücksichtigen.« »Einschließlich der Aussage über das tödliche Geschoß?« fragte Mason. »Gewiß«, bestätigte Richter Miles. »Der Zeuge weiß nicht, ob es die tödliche Kugel war. Die Staatsanwaltschaft ist berechtigt, die Anwesenheit der Leiche im Duschraum aufzuzeigen. Sie ist berechtigt, die Todesursache anzugeben. Sie ist berechtigt, das Vorhandensein eines Geschosses im Duschraum nachzuweisen. Sie darf aufzeigen, daß es das einzige Geschoß im Duschraum war. Alles übrige jedoch sind Schlüsse, die die Geschworenen zu ziehen haben und nicht der Zeuge.« »Oh, Euer Gnaden«, sagte Hamilton Burger »ich bin der Ansicht, mein verehrter Herr Kollege beginnt Haare zu spalten.« »Und das Gericht ist der Ansicht, der Zeuge sollte Tatsachen bekunden und keine Schlußfolgerungen ziehen«, erwiderte Richter Miles scharf. »Es bleibt bei meiner Entscheidung.« »Ich erlaube mir einzuwenden, daß ich das Gericht nicht für berechtigt halte, die Aussagen eines Zeugen in dieser Weise zu sieben und den Geschworenen zu sagen, welchen Teil davon sie berücksichtigen können und welchen nicht.« »Meine Entscheidung geht sogar weiter«, entgegnete Richter Miles, »denn ich habe einen Teil seiner Aussage gestrichen. Und nun, Herr Staatsanwalt, möchte ich Zeit sparen. Wenn Sie mir mit formaljuristischen Argumenten über die Befugnisse des Gerichts kommen, werde ich dem Antrag der Verteidigung stattgeben und die gesamte Aussage löschen. Wenn Sie das aber vermeiden wollen, dann fahren Sie bitte fort.« Burger, dessen Gesichtsfarbe seine Empörung deutlich verriet, setzte sich langsam. »Leutnant Tragg in den Zeugenstand«, rief Robert Norris.
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Tragg trat vor. Seine Haltung drückte die beflissene Verbindlichkeit eines Mannes aus, der vom Steuerzahler beschäftigt wird und seine Pflicht erfüllt. Er sagte aus, Perry Mason habe ihn telefonisch benachrichtigt, in der Motelkabine seiner Mandantin - der Angeklagten in dieser Verhandlung - sei im Duschraum eine Leiche entdeckt worden; er, Tragg, sei sofort hingefahren und habe die Leiche vorgefunden; gemeinsam mit dem Arzt, der soeben ausgesagt habe, habe er den Toten untersucht; im Duschbad hätten sie ein Geschoß gefunden, und zwar nur eines; dieses Geschoß habe er bei sich. Er holte die Kugel hervor und übergab sie als Beweisstück. Weiter führte Tragg aus, er habe das Geschoß den Ballistikern übergeben und den Schießtests beigewohnt; die Tests hätten ergeben, daß das Geschoß tatsächlich aus einem .38er Revolver abgegeben wurde; er habe diesen Revolver mitgebracht und wolle ihn als Beweis vorlegen. Mason wandte sich Nancy zu. »Wo hat man diese Waffe gefunden?« fragte er. »Weiß ich nicht«, flüsterte sie. »Ich habe sie niemals gesehen.« »Wir beantragen, diesen Revolver als Beweisstück einzuführen«, sagte Norris. »Einen Augenblick bitte«, schaltete Mason sich ein und sprang auf. »Ich habe ein paar Fragen hinsichtlich des voir dire.« »Bitte sehr. Sie können den Zeugen über das voir dire bezüglich dieser Waffe befragen, Mr. Mason«, bestimmte Richter Miles. »Woher haben Sie die Waffe?« fragte Mason. Leutnant Traggs Gesicht drückte engelhafte Unschuld aus. »Ein Polizeibeamter hat sie mir übergeben.« »Wissen Sie, woher der Polizeibeamte sie hatte?« »Nur vom Hörensagen«, erwiderte Tragg. »Und ich kann natürlich nicht Zeugnis vom Hörensagen ablegen.«
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»Sie waren persönlich, zusammen mit dem Sachverständigen für Ballistik, an den Versuchen mit dieser Waffe und diesem Geschoß, das im Duschraum gefunden wurde, beteiligt?« »Jawohl, Sir. Das war ich.« »Und Sie sind, wie ich glaube, Experte in der Identifizierung von Schußwaffen?« »Ich betrachte mich als solchen, wenn ich auch nicht offizieller Sachverständiger bin. Ich war aber dabei, als die Versuche mit dieser Kugel an Hand eines Vergleichsmikroskops gemacht wurden. Ich werde sie lieber >Duschbad-Kugel< und nicht >tödliche Kugel< nennen. Sie wurde mit einer Testkugel aus diesem Revolver verglichen, den ich hier in der Hand habe. Ich prüfte sie unter dem Vergleichsmikroskop und kann ohne Bedenken erklären, daß meiner Ansicht nach die DuschbadKugel aus dieser Waffe hier abgefeuert wurde und aus keiner anderen.« »Haben Sie die Registrierung dieses Revolvers nachgeprüft?« fragte Mason. »Jawohl, Sir.« »Und wer hat ihn gekauft? Für wen war er eingetragen?« »Der Revolver«, sagte Tragg mit leutseligem Lächeln, »wurde von Marvin Fremont gekauft. Er war auf einem Waffenschein genau bezeichnet, den wir nach seinem Tod bei Mr. Fremont fanden.« »Mit anderen Worten: Fremont hat sie gekauft und einen Waffenschein mit der Begründung beantragt, er müsse manchmal große Geldbeträge mit sich führen und brauche Schutz?« »Genau.« »Aber Sie wissen nicht, wo dieser Revolver gefunden wurde?« fragte Mason. »Nur vom Hörsensagen«, erklärte Tragg und grinste vergnügt. Mason wandte sich dem Richter zu. »Damit sind meine Fragen nach dem voir dire beendet, Euer Gnaden. Ich habe nichts -1 2 9 -
gegen die Übernahme der Waffe als Beweisstück einzuwenden.« Mason setzte sich und flüsterte mit Nancy Banks. »Das war es, Nancy, was sie in der Mülltonne draußen fanden.« »Nein, nein«, antwortete sie mit angstgeweiteten Augen, »es kann nicht wahr sein, es ...« »Was wollen Sie eigentlich damit erreichen, daß Sie mich die ganze Zeit über belügen und mich in eine Lage bringen, in der ich im dunkeln kämpfen muß?« fragte Mason gereizt. »Ich tue mein Bestes, um Ihnen zu helfen, aber Ihre Lügen habe ich jetzt satt.« »Was fanden Sie sonst noch, Leutnant?« fragte Norris, als die Formalitäten erledigt waren und der Revolver ein Schild mit der Bezeichnung >Beweisstück B der Anklage< erhalten hatte. »Als ich meine Hände unter den Körper legte«, sagte Leutnant Tragg, »bemerkte ich, daß der Fliesenfußboden im Duschraum kalt war - sehr, sehr kalt.« »Kühler, als in einem Kachelbad zu erwarten?« »Viel kühler. Außerdem fühlten sich auch die Kleider des Verstorbenen kalt an.« »Und was unternahmen Sie, um dies alles zu überprüfen?« »Der Arzt hatte ein Fieberthermometer bei sich, um die Körpertemperatur zu messen, und es gab auch eins im Motel. Das benutzte ich. Das Thermometer zeigte auf dem Fliesenboden + 4,5 Grad Celsius. Als ich es in die Bekleidung des Verstorbenen steckte, waren es + 5,2 Grad. Die Temperatur im Raum betrug + 20,4 Grad Celsius.« »Mit demselben Thermometer gemessen?« »Jawohl, Sir.« »Haben Sie das Thermometer anschließend auf seine Genauigkeit geprüft?« »Ich prüfte es eine Stunde lang, sobald ich wieder im Polizeipräsidium war.« »Und was stellten Sie fest?« -1 3 0 -
»Abgesehen von der kleinen, aber völlig zulässigen Abweichung war es genau.« »Fanden Sie sonst noch etwas?« »Ja. Nachdem die ungewöhnliche Temperatur meine Aufmerksamkeit erregt hatte, forschte ich weiter und fand ein Stück Pappe, das von einem Behälter abgerissen war.« »Haben Sie das Stück Pappe mitgebracht?« »Ja.« Tragg holte es heraus und legte es als Beweis vor. »Was taten Sie danach?« »Dann«, fuhr Tragg fort, »ging ich zu Perry Mason und seiner Mandantin, der Angeklagten in dieser Verhandlung, und sagte ihnen, daß dieses Stück Pappe meiner Meinung nach ...« »Moment bitte«, unterbrach Norris. »Ich will Ihre Meinung zu diesem Zeitpunkt noch nicht hören. Ich will nur wissen, was Sie sagten.« »Ich verstehe. Also ich erklärte ihnen, und zwar beiden, daß dieses Stück Pappe von einem Karton Trockeneis abgerissen worden sei, und fragte sie, ob sie irgendwas darüber wüßten.« »Und was wurde geantwortet?« »Die Angeklagte schüttelte den Kopf, aber dann riet ihr der Anwalt, nichts zu sagen - nicht mal den Kopf zu bewegen.« »Ich glaube, Euer Gnaden«, sagte Norris, »hiermit ist mein direktes Verhör dieses Zeugen zunächst abgeschlossen. Ich werde ihn wahrscheinlich später wieder aufrufen. Im Moment möchte ich jedoch nicht weitergehen. Ich überlasse den Zeugen der Verteidigung für ihr Kreuzverhör.« Leutnant Tragg, ein gefährlicher Gegenspieler, wandte sich mit wachsamen Augen, jedoch freundlich lächelnd Perry Mason zu. Mason, der sich der Falle bewußt war, die man ihm gelegt hatte, gab sich ebenso verbindlich. »In Anbetracht der Tatsache, daß der Ankläger offenbar beabsichtigt, diesen Zeugen später in anderem Zusammenhang noch einmal zu vernehmen, bitte ich das Gericht, auch mein Kreuzverhör zurückstellen zu dürfen. Sollte der Ankläger jedoch entgegen seiner Erklärung den Zeugen nicht ein zweites Mal verhören, -1 3 1 -
behalte ich mir das Recht vor, ihn später zum Kreuzverhör aufzurufen.« »Bewilligt«, stimmte Richter Miles zu. »Das scheint mir nur fair. Rufen Sie Ihren nächsten Zeugen vor, Herr Staatsanwalt.« Norris versuchte vergeblich, seine Enttäuschung zu verbergen. Er hielt eine Flüsterkonferenz mit Hamilton Burger. Burger als alter Hase erkannte indessen, daß Norris seine Sache gefährdete, indem er den Ärger über Masons Taktik offen zur Schau trug. Er schob Norris sanft beiseite und verkündete: »Der nächste Zeuge der Anklage ist Stanley Moulton.« Der Name wurde zum Flur weitergegeben. »Stanley Moulton!« rief eine Stimme draußen. Einen Augenblick später trat Moulton, der im Zeugenzimmer gewartet hatte, durch die Flügeltür ein und ging zum Zeugenstand. Wie die einleitende Befragung ergab, war Moulton als Polizeibeamter am Abend des Tat-Tages zum Dienst im Funkstreifenwagen eingeteilt worden. Befragt, ob er bestimmte Instruktionen erhalten habe – wobei die Art dieser Instruktionen nicht erwähnt wurde -, gab er an, jawohl, das sei der Fall gewesen. Auf die Frage, was er als erstes getan habe, erklärte er, er sei mit hoher Geschwindigkeit zur Osgood-Forellenzucht gefahren, habe seinen Wagen in einer Nebenstraße geparkt und sei zurückgegangen, um im Gebüsch Posten zu beziehen, etwa in zehn Meter Entfernung von einer Mülltonne. »Nun«, begann Norris, »sahen Sie die Angeklagte an diesem Abend?« »Ja.« »Wo?« »Bei der Mülltonne.« »Waren Sie zu dieser Zeit allein?« »Nein, Sir. Ein zweiter Beamter war bei mir.« -1 3 2 -
»Um welche Zeit sahen Sie die Angeklagte?« »Wir sahen sie das erste Mal um 22.16 Uhr. Wir verhafteten sie um 22.21 Uhr.« »Was tat sie dort?« »Sie kam in einem Auto an, parkte so, daß die Scheinwerfer die Mülltonne beleuchteten, ließ den Motor laufen und stieg aus. Dann sah sie sich um, blieb lauschend stehen und ging direkt zur Mülltonne.« »Was wollte sie dort?« »Sie nahm zunächst mehrere Gegenstände heraus und fing dann an, auch Pappkartons herauszuziehen. Diese Kartons waren, wie sich herausstellte, zum Teil mit Trockeneis gefüllt.« »Das wußten Sie zu dem Zeitpunkt aber nicht?« »Noch nicht. Wir stellten es jedoch nach wenigen Minuten fest.« »Sie sagten, sie zog diese Kartons heraus?« »Ja.« »War ein Karton dabei, der einen besonderen Riß hatte?« »Ja.« »Und nahmen Sie diesen Karton an sich?« »Ja.« »Was taten Sie mit diesem Karton und dem abgerissenen Pappstück, das vorhin von Leutnant Tragg als Beweisstück vorgelegt wurde?« »Ich prüfte die beiden Stücke, ob sie zusammenpaßten.« »Haben Sie den Pappkarton jetzt bei sich?« »Ja, Sir.« »Wollen Sie ihn bitte vorlegen.« Der Zeuge öffnete eine Aktentasche und nahm einen rechteckigen zerrissenen Karton heraus. »Und jetzt, Mr. Moulton«, fuhr Norris fort, »gebe ich Ihnen hier das abgerissene Stück Pappe, das uns als Beweisstück C der Staatsanwaltschaft vorliegt. Ich bitte Sie, dem Gericht das -1 3 3 -
Beweisstück C und diesen Karton zu zeigen und zu demonstrieren, ob das abgerissene Stück an den Riß paßt.« »Jawohl«, sagte der Zeuge und fügte die beiden Stücke aneinander, wobei er sich bemühte, den Karton so zu handhaben, daß die Geschworenen sehen konnten, wie das abgerissene Stück haargenau in den zerrissenen Karton paßte. »Alsdann bitte ich das Gericht, diesen Karton als Beweisstück D der Anklage zuzulassen«, sagte Norris. Richter Miles blickte fragend zu Mason hin. Mason, der die Augen der Geschworenen auf sich gerichtet sah und wußte, daß dieses vernichtende Beweisstück die Beschuldigte an den Mord kettete, wie kein anderes Indiz es zwingender hätte tun können, versuchte, seiner Stimme einen gleichgültigen und fast gelangweilten Klang zu geben. »Aber gewiß, Euer Gnaden. Die Verteidigung hat nichts dagegen. Wir sind mit der Einführung dieses Beweises durchaus einverstanden.« »Beschlossen«, sagte Richter Miles. »Der Karton wird als Beweisstück D der Anklage zugelassen.« »Mit Erlaubnis des Gerichts«, fuhr Norris fort, »möge es den Geschworenen jetzt gestattet sein, die Beweisstücke D und C selbst in die Hand zu nehmen und sich zu überzeugen, wie die beiden Stücke ineinanderpassen.« »Wir erheben nicht den geringsten Einwand«, erklärte Mason, bevor Richter Miles sich äußern konnte. Masons Tonfall und sein Verhalten deuteten an, daß er gar nicht überrascht war, daß er das alles lange vorausgesehen hatte und im Grunde für belanglos hielt. Die Geschworenen indessen, die beide Pappstücke entgegennahmen und erkannten, wie das abgerissene Beweisstück C haargenau das fehlende Stück des Kartons ersetzte, sahen einander vielsagend an. Einer oder zwei nickten gedankenschwer. Nachdem die Geschworenen die Beweisstücke zurückgegeben hatten, sagte Robert Norris - der sich wie jeder im Gerichtssaal -1 3 4 -
bewußt war, was er mit diesem dramatischen Augenschein erreicht hatte: »Und jetzt, Mr. Moulton, frage ich Sie, was Sie nach der Festnahme der Beschuldigten taten.« »Wir sagten ihr, daß wir sie unter Mordverdacht zum Polizeipräsidium mitnehmen müßten.« »Was erwiderte sie darauf?« »Sie sagte, sie wolle keine Erklärung abgeben. Perry Mason sei ihr Anwalt, und wenn wir etwas über den Fall wissen wollten, sollten wir uns an ihn wenden.« »Was taten Sie daraufhin?« »Wir setzten sie in den Polizeiwagen. Ich ging zurück zur Mülltonne, um weiter nachzusehen.« »Fanden Sie etwas?« »Ja.« »Wo?« »Am Boden der Mülltonne.« »Was war es?« »Ein Revolver vom Kaliber .38.« »Haben Sie die Nummer dieses Revolvers notiert?« »Ja.« »Dann bitte ich Sie, den als Beweisstück B vorgelegten Revolver zu prüfen und seine Nummer mit derjenigen des von Ihnen gefundenen zu vergleichen.« Der Zeuge zog ein Notizbuch aus der Tasche, nahm den Revolver entgegen und verglich sorgfältig und höchst eindrucksvoll jede einzelne Ziffer. Dann sah er auf und nickte. »Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?« fragte Norris. »Die Nummern stimmen überein. Es ist der Revolver, den ich in der Mülltonne fand.« Norris lächelte triumphierend. »In welchem Zustand befand sich der Revolver, als Sie ihn fanden, Mr. Moulton?« »Eine leere Kammer stand vor dem Hahn. In den anderen Kammern der Trommel lagen scharfe Patronen.« -1 3 5 -
»Nun, Mr. Moulton, Sie sind mit Feuerwaffen vertraut. Auch mit diesem speziellen Waffenfabrikat, einem Smith & WessonRevolver, Kaliber .38?« »Ja, Sir, das bin ich.« »Und diese leere Hülse, die Sie fanden, lag unter dem SchlagStück, sagen Sie?« »Ganz recht. Der Revolver ist ein Selbstspanner. Die leere Hülse lag in Schußposition. Anders ausgedrückt: Die Waffe war mit sechs Patronen voll geladen gewesen. Eine davon war abgefeuert worden, und ihre Hülse war noch in der gleichen Lage wie während des Schusses.« »Kreuzverhör«, rief Norris triumphierend. »Nanu?« sagte Mason, scheinbar erstaunt über die bloße Vermutung, es könne ein Kreuzverhör in Frage kommen. »Wir haben keine Fragen an diesen Zeugen.« »Kein Kreuzverhör?« fragte Norris ungläubig. »Bestimmt nicht«, erwiderte Mason schnippisch. »Rufen Sie Ihren nächsten Zeugen«, sagte Richter Miles. Hamilton Burger schaute vielsagend auf die Uhr. »Wir nähern uns allerdings dem Dienstschluß«, besann sich der Richter. »Ich denke, das Gericht wird die Sitzung für heute vertagen. Meine Damen und Herren Geschworenen, das Gericht stellt Sie nicht unter Aufsicht, sondern entläßt Sie nach Hause. In unserem Staat ist uns das freigestellt. Jedoch warnt das Gericht Sie, diesen Fall mit niemandem und auch nicht untereinander zu besprechen. Ferner darf er nicht in Ihrer Gegenwart diskutiert werden. Es ist Ihnen nicht erlaubt, Zeitungsartikel darüber zu lesen, Radiooder Fernsehberichte über die Verhandlung zu hören. Sie dürfen sich keine Meinung bilden oder zum Ausdruck bringen, bevor Ihnen der Fall endgültig zur Beschlußfassung vorgelegt wird. Das Gericht vertagt sich bis morgen früh 9.30 Uhr.« Mason atmete insgeheim tief aus und löste die Hände, die er in nervöser Spannung fest zusammengepreßt hatte.
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15 Perry Mason, Della Street und Paul Drake saßen im Anwaltsbüro. Die Stimmung war düster. »Tut mir leid, Perry«, sagte Drake, »aber ich sehe nicht den geringsten Ausweg. Hier kann tatsächlich nichts mehr helfen. Es ist so ein Fall, von dem Staatsanwälte träumen. Burger hat Indizien, an denen nicht zu rütteln ist - die Revolverkugel, das abgerissene Stück vom Trockeneiskarton und ihre Verbindung mit der Beschuldigten, die man auf frischer Tat überraschte, als sie die Waffe in die Mülltonne versenkte.« Mason ließ sich im Stuhl zurückfallen, das Kinn auf die Brust gesenkt; er starrte gedankenschwer die Schreibunterlage an. Dellas Blick wanderte von Mason zu Drake und zurück zu Mason. In ihren Augen lag Mitgefühl für die schwierige Lage ihres Chefs. »Noch ist Hamilton Burger nicht auf Rosen gebettet«, sagte Mason. »Es gibt noch ein paar Kleinigkeiten, die zu seiner Theorie einfach nicht passen.« »Sorge dich nicht um seine Theorie«, riet Drake. »Er hat dir heute nur die erste Ladung verpaßt. Morgen wird er die zweite abschießen. Und bei Gericht munkelt man, die zweite würde wirklich ein Volltreffer. Er will dich fix und fertig machen. Darum erscheint er auch persönlich. Er will seinen Triumph bis zum letzten auskosten.« »Warum sollte Fremont wohl in den Duschraum dieses Mädchens gegangen sein?« fragte Mason. »Weil sie ihn reinlockte«, erwiderte Drake. »Weshalb sollte er sich denn von seinem Revolver getrennt haben? Er trug ihn doch bei sich.« »Wo trug er ihn?« fragte Drake. »Wahrscheinlich in der Hüfttasche. Oder in einer zu diesem Zweck an den Hosenbund geschneiderten Tasche.«
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»Sie könnte ihn mit dem alten Heulsusentrick weichgemacht haben: um Gnade flehend, die Arme um ihn geschlungen; vielleicht hat sie vor ihm gekniet, die Hände unter sein Jackett geschoben, dann kam sie mit der Kanone wieder hoch und ...« »Und was?« fragte Mason. »Und schoß.« »Warum?« »Weil er ihrem Bruder keine Chance geben und sich nicht auf die Rückzahlung des unterschlagenen Geldes einlassen wollte.« »Von Rückzahlung war gar nicht mehr die Rede«, wandte Mason ein. »Der Bruder war doch zurückgekommen und hatte längst alles ausgeräumt. Damit hatten sie ihr Druckmittel. Sie besaßen wahrscheinlich fünfzehn- bis zwanzigtausend Dollar von Fremonts Geld. Hätte Fremont Rodney ins Gefängnis geschickt, hätte er niemals einen Cent von diesem Geld wiedergesehen. Nein, Paul, das mag die Theorie des Staatsanwalts sein - hoffentlich ist sie es, denn ich kann sie durchlöchern.« »Du kannst aber nicht so viele Löcher reinbohren, daß sie nicht mehr dichthält«, widersprach Drake. »Bedenke, Perry, diesen Fall kannst du nicht durch Kreuzverhör der Zeugen gewinnen. Das Beweismaterial ist hart, kalt und mathematisch genau. Wahrscheinlich wird die Anklage dir morgen nachmittag die ganze Sache in den Schoß kippen, und dann mußt du dich umdrehen und sagen: >Nancy Banks, treten Sie bitte in den Zeugenstand<. Dann muß sie aber eine Geschichte erzählen, die wirklich überzeugt. Und glaub mir, die muß eine ganze Ecke besser sein als alles, was du bis jetzt von ihr gehört hast.« »Wie kommst du darauf?« fragte Mason. »Zunächst mal durch den Ausdruck auf deinem Gesicht.« Mason stand auf und begann, hin und her zu marschieren. »Das Vertrackte dabei ist, daß Nancy mit einem andern Anwalt besser gefahren wäre. Mit so einem Fall sollte nicht ich mich befassen.« -1 3 8 -
»Warum nicht?« fragte Drake. »Weil ich mich immer an die Wahrheit halte«, erklärte Mason. »Ich gehe den Dingen gern auf den Grund. Das ist schön und gut, wenn man einen Mandanten hat, der unschuldig ist. Bei einem Mandanten aber, der ein Verbrechen begangen hat, liegen die Dinge anders - selbst wenn es eine Menge mildernde Umstände gibt. Viele Strafverteidiger lassen sich von ihren Mandanten den Hergang der Sache gar nicht erzählen. Sie warten ab, bis sie sehen, welches Beweismaterial die Anklage hat. Dann suchen sie die Lücken darin, und erst dann lassen sie ihren Mandanten im Zeugenstand eine Geschichte erzählen, die sich mit dem Tatbestand deckt und die schwachen Stellen in der Anklage so gut ausnutzt, daß sie überzeugend klingt. Und das bringt den Ankläger höllisch in Verlegenheit. Natürlich empfehlen solche Anwälte ihren Mandanten nicht, sie sollen im Zeugenstand einen Meineid schwören. Aber sie weisen sie darauf hin, daß - falls ihre Geschichte zufällig so und so lauten sollte - die Geschworenen sie ihnen wahrscheinlich abnehmen. Der Mandant ist gewitzt genug, seine Schlüsse daraus zu ziehen.« »In diesem Fall könnte Nancy aber keine Geschichte erzählen, die irgendwie von Nutzen wäre«, erwiderte Drake. »Das weiß ich nicht. Nebenbei ist sie eine recht wohlgeformte junge Frau und macht einen durchaus guten Eindruck.« »Gewiß, gewiß«, gab Drake zu. »Das wirkte, als es noch keine Frauen unter den Geschworenen gab. Jetzt sitzen aber auch Frauen im Schwurgericht, und die sehen sich die Mädchen verdammt genau an. Zeigen sie zuviel Bein, haben sie sich die Stimmen der weiblichen Geschworenen verscherzt. Zeigen sie überhaupt kein Bein, sind die Männer nicht beeindruckt.« »Sie braucht kein Bein zu zeigen«, sagte Mason. »Sie könnte eine Geschichte erzählen, die der Wahrheit vielleicht ziemlich nahe kommt.« »Zum Beispiel?« »Sie ging zum Motel, um sich dort mit ihrem Bruder zu treffen.« »Glaubst du das?« -1 3 9 -
»Ich bin überzeugt davon. Es ist die logische Erklärung. Sie fuhr zum Motel und ließ mich die Kaution hinterlegen. Sie glaubte, man würde ihren Bruder beschatten, um auch ihren Gewinn zu beschlagnahmen, wie man es bei Rodney getan hatte. Sie wollte mit Rodney sprechen und genau feststellen, was er vorgehabt, wieviel er unterschlagen hatte und wie seine Lage nun aussah.« Drake schnippte mit den Finger. »Natürlich«, rief er, »das ist die Erklärung für die ganze Sache. Der Bruder ging hin. Fremont kam dazu. Sie kriegten Streit. Der Bruder sagte zu Fremont: >Bringen Sie mich ins Gefängnis, und Sie sehen keinen Cent von Ihren zwanzigtausend Dollar wieder. Außerdem werde ich dem Finanzamt erzählen, was ich weiß, und die Burschen von der Einkommensteuer haben Sie vierundzwanzig Stunden danach beim Kragen.<« »Und dann?« fragte Mason. »Dann ging Fremont auf ihn los, Jung-Rodney landete eine Faust in Fremonts Magen, trieb ihn ins Duschbad und ...« »Was dann?« »Ja, dann«, fuhr Drake etwas lahm fort, »zog Fremont die Kanone, Rodney Banks nahm sie ihm ab und erschoß ihn.« »Wie nahm ihm denn Banks die Waffe weg?« erkundigte sich Mason. »Dein Fremont steht jetzt im Duschbad und richtet den Revolver auf Banks. Also, wie bewegt sich Banks auf Fremont zu und nimmt ihm die Kanone weg, ohne erschossen zu werden?« »Dabei muß das Mädchen eine Rolle gespielt haben«, meinte Drake. »Sie muß nach dem Revolver gegriffen oder Fremonts Aufmerksamkeit abgelenkt haben.« »Na schön. Erzähl weiter, Paul.« Drake wollte etwas sagen, besann sich aber. »Verflixt, Perry, ich müßte mehr Zeit haben, um mir die Story auszudenken ...« Da schnippte plötzlich Mason mit den Fingern. »Was ist?« fragte Paul Drake. »Hast du eine Idee?«
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»Mir ist gerade eingefallen, warum Hamilton Burger in diesem Fall persönlich erscheint.« »Weshalb?« »Erinnerst du dich, daß er ein paar Bemerkungen machte, der Fall werde eine Angelegenheit zur Sprache bringen, die die Gegenwart des rechtmäßig gewählten Anklagevertreters erfordere?« Della Street nickte. »Darüber habe ich mir Notizen gemacht.« »Was sagte er noch genau?« fragte Mason. Della Street öffnete ihr Notizbuch, blätterte und las vor: »>Ja, Euer Gnaden. Mein Vertreter, Robert Calvert Norris hier, wird mich unterstützen. Ich habe jedoch die Absicht, den Fall vorwiegend selbst abzuwickeln ... Aus Gründen, die sich mit fortschreitender Verhandlung ergeben werden, wird dies ein sehr bedeutsamer, ein einzigartiger Fall sein; ein Fall, in dem der rechtmäßig gewählte Staatsanwalt dieses Bezirks gezwungen sein wird, persönlich einzugreifen. Es sind Rechtsfragen damit verknüpft, die wahrscheinlich einen Präzedenzfall schaffen werden .. .<« »Das ist entscheidend«, rief Mason. »Er ist nur da, um Straffreiheit zu gewähren.« »Wie meinst du?« »Er wird Rodney Banks als Zeugen vorladen.« »Du lieber Himmel! Du meinst, Banks wird gegen seine Schwester aussagen?« »Es wird ihm nichts anderes übrigbleiben. Burger wird ihn nach der Unterschlagung fragen. Rodney wird erklären, er verweigere die Aussage, weil die Antwort ihn belasten könne. Daraufhin wird Burger sich erheben und beim Richter beantragen, er möge Banks zur Aussage auffordern und ihm erklären, sofern speziell die Straftat betroffen sei, über die er aussagen solle, werde die Anklagebehörde ihm volle Straffreiheit zusichern.« »Und dann muß Rodney die Frage beantworten?« fragte Della Street. -1 4 1 -
Mason nickte. »Es ist ein relativ neues Gesetz.« »Und das brächte sie in eine Lage, die ...« »Mir absolut den Wind aus den Segeln nimmt«, sagte Mason. »Paul, geh bitte ans Telefon. Du hast doch einen Detektiv auf Rodney Banks angesetzt?« Drake nickte. »Laß ihm Bescheid geben, er soll mit Banks Fühlung nehmen, auf freundschaftliche Art; oder verschaffe einer besonders aparten Mitarbeiterin von dir Gelegenheit, Rodneys Bekanntschaft zu machen und ihm den Tip zu geben, daß der Staatsanwalt ihn in den Zeugenstand bringen und ihn zur Aussage zwingen will, indem er ihm Straffreiheit zusichert.« »Welchen Zweck soll das haben? Dann haut er doch einfach ab, oder?« Mason lächelte. »Es wird ihn zumindest vorbereiten, so daß man uns nicht völlig platt vor Überraschung findet.« »Rodney hat einen Anwalt«, sagte Drake, »einen Burschen namens Jarvis N. Gilmore.« »Jarvis? Soso.« Mason lächelte. »Du kennst ihn?« »Ich habe von ihm gehört und weiß, wie er arbeitet. Zu deiner Information, das N steht für einen sehr ungewöhnlichen zweiten Vornamen - Nessel -, und Jarvis ist ein Knabe, der die Staatsanwälte zu pieken versteht. Ich selbst bin verhaßt, soviel ich weiß, aber man respektiert mich, weil ich auf der Wahrheit bestehe. Mit Jarvis ist das ein bißchen anders. Sie fürchten seine Methoden und verlieren so gut wie jeden Fall, in dem er verteidigt.« »Schön«, sagte Drake, »und Rodney Banks war also bei Gilmore.« »Deshalb hat auch Gilmore heute nachmittag ein paarmal bei der Verhandlung hereingeschaut. Ich will dir was sagen, Paul, wir können die ganze Sache platzen lassen. Geh in eine Telefonzelle, wo der Anruf nicht zurückverfolgt werden kann, und läute mal bei Jarvis Gilmore durch.« -1 4 2 -
»Jetzt um diese Zeit?« fragte Drake. »Natürlich. Bei dem kannst du jederzeit anrufen. Mein Nachttelefon ist nicht registriert, aber bei Jarvis Gilmore ist das anders. Er hat eine Tag- und eine Nachtnummer, und mehr noch, es meldet sich sogar zu jeder Tages- und Nachtzeit jemand. Er freut sich über Anrufe.« »Okay. Was soll ich sagen?« »Verstell deine Stimme. Sag ihm, du seist ein guter Freund und wüßtest, daß der Staatsanwalt seinen Mandanten als Zeugen vernehmen und ihn durch Zusicherung von Straffreiheit zur Aussage zwingen wolle.« »Und dann?« »Dann hängst du auf, gehst raus und vergißt, daß du ihn jemals angerufen hast«, sagte Mason feixend. »Das könnte unseren Freund Burger vor ein Problemchen stellen.« »Du meinst, so gut ist Jarvis Gilmore?« fragte Drake. »Ich meine, so schlecht ist Jarvis Gilmore. Und nun mach voran, Paul.«
16 Richter Miles bestieg die Bank und nahm Platz. Der Gerichtsdiener rief: »Bitte alles setzen!« »Die Angeklagte ist anwesend, und alle Geschworenen sind zugegen, meine Herren«, stellte Richter Miles fest. »Sind Sie bereit, mit der Verhandlung zu beginnen?« »Jawohl, Euer Gnaden«, sagte Hamilton Burger. »Ja, Euer Gnaden, wir sind bereit«, meldete Mason. Norris erhob sich. »Larsen E. Halstead in den Zeugenstand!« Halsteads Name wurde auf dem Korridor ausgerufen. Kurz darauf erschien er im Gerichtssaal, ging zum Zeugenstand und wurde vereidigt. »Sie waren in den letzten Monaten vor Marvin Fremonts Tod bei ihm beschäftigt?« »Ja.« -1 4 3 -
»Sind Sie bekannt mit Rodney Banks, dem Bruder der Angeklagten?« »Ja.« »Wo lernten Sie ihn kennen?« »Er arbeitete auch für Marvin Fremont.« »Welche Aufgaben hatten Sie?« »Nun«, sagte Halstead und sah über seine Brille hinweg zu den Geschworenen hin, »ich war Buchhalter, Bürovorsteher, hatte die Einkommensteuererklärungen zu machen und allgemeine Arbeiten zu erledigen.« »Und worin bestanden Rodney Banks' Aufgaben?« »Er war Kassierer, Verkäufer und so was wie ein Faktotum. Fremonts Geschäft war ungewöhnlich; man konnte die Leute da nicht richtig eingliedern, weil der ganze Laden in kein Schema paßte.« »Ich verstehe«, sagte Norris. »Und in welchem Umfang wurden Bargeschäfte getätigt?« Halstead schürzte nachdenklich die Lippen. »In weit größerem Umfang, als ich vermutete«, antwortete er schließlich. »Diese Angabe ist ziemlich ungenau«, sagte Norris und wandte sich den Geschworenen zu, um sicherzustellen, daß sie den Zusammenhang erfaßten. »Ich will anders fragen: Hatte der Verstorbene große Barbeträge in seinem Büro?« »Sehr große Beträge.« »Wurden die Geschäftsbücher so geführt, daß diese Geldbeträge daraus zu ersehen waren?« »Nein, Sir. Diese Gelder wurden in bar aufbewahrt, es war sozusagen nicht registriertes Geld. Niemand wußte von seiner Existenz - niemand, außer Fremont.« »Wo wurde es aufbewahrt?« »An zwei Plätzen. Einer war der Safe, der andere ein Geheimfach unter dem Teppich, unter einer Zementplatte, die man herausheben konnte.«
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»Ich zeige Ihnen hier eine Fotografie des Fußbodens in dem Büro und frage Sie, ob Sie angeben können, welcher Ausschnitt dieses Bodens das Zementstück ist, auf das Sie Bezug nehmen.« »Dieses hier.« »Jetzt zeige ich Ihnen die Fotografie einer aus dem Fußboden gehobenen Zementplatte und frage Sie, ob es die von Ihnen beschriebene ist oder nicht.« »Sie ist es.« »Und was befindet sich unter dieser Platte?« »Eine Metallkassette, fest einzementiert.« »Und was war in dieser Kassette, als Sie sie zuletzt sahen?« »Nichts.« »Ich meine, das vorletztemal.« »Da waren 18 690 Dollar drin.« »Sie haben nachgezählt?« »Das habe ich.« »Warum?« »Weil ich gerade die Einkommensteuer-Erklärung aufmachte und ich auf keinen Fall an einer falschen Steuererklärung beteiligt sein wollte. Sofort, nachdem ich dieses Bargeld entdeckt hatte, beschloß ich, Mr. Fremont danach zu fragen. Ich wollte hören, wie er das erklären würde. Und dann wollte ich ihn bitten, mir zu zeigen, wo dieses Barvermögen in seinen Büchern aufgeführt war.« »Taten Sie das?« »Nein, Sir.« »Weshalb nicht?« »Mr. Fremont wurde ermordet, ehe ich Gelegenheit hatte, ihm die Sache zu unterbreiten.« »Wann war das, als Sie das Geld zählten und etwas über achtzehntausend Dollar dort fanden?« »Am Freitag, kurz vor Mittag.« -1 4 5 -
»Machten Sie sich Aufzeichnungen?« »Ja. Ich wollte versuchen, die Ein- und Ausgänge an Hand einiger Geldscheine zu prüfen. Es waren zum größten Teil Zehn-und Zwanzig-Dollar-Noten, auch allerlei Fünfer und gelegentlich ein Fünfziger dabei. Aber auch mehrere HundertDollar-Scheine befanden sich darunter, und ich notierte mir die Nummern von vier dieser Noten.« »Haben Sie die Nummern bei sich?« »Ja.« »Wollen Sie uns diese bitte zeigen und sie den Geschworenen nennen, wobei Sie Ihr Gedächtnis durch Ihre Notizen auffrischen können.« »Die Nummern der Scheine sind L04824084A, L01324510A, G06300382A und K00460975A.« »Wann schrieben Sie sie auf?« fragte Norris. »Als ich das Geld zählte.« »Und an welchem Tag war das?« »Das war am Zweiten.« »Am Tag vor dem Mord?« »Ja, das stimmt.« »Zu welcher Zeit, sagten Sie?« »Kurz vor Mittag. Gegen 11.35 Uhr, würde ich sagen. Ich habe die Uhrzeit nicht notiert, aber Mr. Fremont ging um 11.30 Uhr weg.« »Wissen Sie, wohin?« »Er sagte nur, er käme an diesem Nachmittag nicht mehr zurück. Wohin er ging, weiß ich nicht.« »Kreuzverhör«, sagte Norris. »Fragen habe ich vielleicht nicht«, entgegnete Mason, »aber ich möchte natürlich die Notizen des Zeugen sehen.« »Wir haben durchaus nichts dagegen«, sagte Norris. Mason trat vor. Halstead übergab ihm ein kleines Notizbuch, das Eintragungen in der pedantisch genauen Handschrift eines -1 4 6 -
gelernten Buchhalters aufwies. Die Nummern der HundertDollar-Noten, die der Zeuge zu Protokoll gegeben hatte, waren so deutlich geschrieben, daß jeder Irrtum ausgeschlossen war. Mason prüfte die Notizen kritisch und gab dem Zeugen das Buch zurück. »Keine Fragen«, sagte er gleichgültig. Norris wandte sich an den Richter. »Wir möchten den Polizeibeamten Moulton noch einmal vernehmen, wenn das Gericht erlaubt.« »Bitte sehr«, sagte Richter Miles. »Mr. Moulton in den Stand.« Der Beamte erschien. »Sie sind bereits vereidigt«, ermahnte ihn der Richter. »Treten Sie in den Zeugenstand.« Norris näherte sich dem Zeugen, zog einen Hundert-DollarSchein aus der Tasche und sagte: »Mr. Moulton, ich übergebe Ihnen hier eine Hundert-Dollar-Note. Ich mache Sie auf die Nummer aufmerksam, die K00460975A lautet, und frage Sie, ob Sie diese Hundert-Dollar-Note schon gesehen haben. Bitte vergleichen Sie die Nummer sorgfältig, bevor Sie die Frage beantworten.« Moulton zog ein Notizbuch aus der Tasche, hielt Schein und Buch nebeneinander, richtete sich auf und sagte: »Ja, die habe ich schon gesehen.« »Und wo?« »Ich fand sie bei Rodney Banks.« »Ist Rodney Banks Ihres Wissens mit der Angeklagten verwandt?« »Er ist ihr Bruder.« »Machte er irgendwelche Angaben darüber, woher der Schein stammte?« »Moment bitte«, unterbrach Mason. »Gegen diese Frage wird Einspruch erhoben, da sie Zeugnis vom Hörensagen verlangt.« »Dem Einspruch wird stattgegeben.«
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»Es war nur eine einleitende Frage, Euer Gnaden«, sagte Norris. »Ich werde sie so stellen, daß sie mit ja oder nein beantwortet werden kann.« »Unter diesen Umständen entscheidet das Gericht, daß die Frage mit ja oder nein beantwortet werden darf. Verstehen Sie, Mr. Moulton, die Frage lautet einfach: Machte er Ihnen Angaben darüber, wo er den Geldschein erhalten hatte? Sie können jetzt mit Ja oder Nein antworten.« »Ja«, sagte Moulton. »Sprachen Sie später, nach jener Erklärung, mit der Angeklagten, Nancy Banks?« fuhr Norris fort. »Ja.« »Gaben Sie in ihrer Gegenwart eine Erklärung ab?« »Ja.« »Wie lautete diese Erklärung?« »Einspruch«, unterbrach Mason wieder. »Die Antwort erbrächte keine zulässigen Beweise. Die Frage ist also untauglich, unerheblich und nicht sachdienlich. Es ist gleichgültig, was der Beamte zu Nancy Banks sagte.« »Das ist mir klar, Euer Gnaden«, erwiderte Norris, »aber ich möchte einen Zusammenhang aufzeigen. Es soll ersichtlich werden, daß er ihr etwas mitteilte, und ihre Antwort auf diese Mitteilung ist das, was ich als Beweis beibringen möchte.« »Ich will so weit gehen, den Zeugen über diese Mitteilung aussagen zu lassen«, entschied Richter Miles. »Jedoch nur auf die Versicherung des Anklägers hin, daß die Angeklagte eine Antwort gab, die der Ankläger für sachdienlich hält.« »Ich versichere es dem Gericht.« »Damit wird der Einspruch abgelehnt. Beantworten Sie die Frage.« Moulton sagte: »Ich teilte ihr mit, ihr Bruder habe behauptet, dieser Hundert-Dollar-Schein sei Teil eines Betrags, den sie ihm gegeben hätte.« »Und was sagte sie darauf?« fragte Norris. -1 4 8 -
»Einspruch, da untauglich, unerheblich und nicht sachdienlich«, sagte Mason. »Abgelehnt.« »Sie antwortete, sie hätte dazu nichts zu sagen. Ihr Anwalt, Perry Mason, würde alle Angaben für sie machen.« »Warten Sie mal«, sagte Richter Miles. »Ich habe diese Aussage auf Grund der Versicherung des Anklägers zugelassen, die Antwort werde sachdienlich sein. Ich hatte angenommen, die Antwort wäre ein Eingeständnis der Beschuldigten gewesen, daß es sich so verhalten hätte; aber diese Antwort hier ist weit davon entfernt. Selbstverständlich hat ein Beschuldigter das Recht, Polizeibeamten gegenüber nichts auszusagen. Nach nochmaliger Überlegung will ich meine Entscheidung ändern. Ich lasse diese Antworten aus dem Protokoll streichen und weise die Geschworenen an, sie nicht zu beachten.« Hamilton Burger sprang auf und ließ erkennen, daß er diese Situation vorausgesehen harte. »Unter diesen Umständen«, sagte er, »bitten wir Mr. Moulton, den Stand zu verlassen. Ich rufe als Zeugin Lorraine Lawton auf.« Als Lorraine Platz genommen hatte, begann Norris: »Sie heißen Lorraine Lawton und wohnen in dem Apartment, das dem der Angeklagten gegenüberliegt. Sie waren anwesend, als der Polizeibeamte Moulton Rodney Banks befragte, woher er das bei ihm gefundene Geld hatte?« »Ja.« »Sie hörten, was Rodney Banks antwortete?« »Ja.« »Was sagte er, woher das gesamte Geld in seiner Brieftasche stammte? Was sagte er, wer es ihm kurz zuvor an jenem Abend gegeben hatte?« »Einspruch!« rief Mason. »Untauglich, unerheblich, nicht sachdienlich. Die Frage verlangt Zeugnis vom Hörensagen.« »Stattgegeben«, entschied Richter Miles in scharfem Ton. »Das ist alles«, sagte Norris. -1 4 9 -
»Kein Kreuzverhör.« Lorraine Lawton verließ den Stand. »Rodney Banks bitte«, rief Burger. »Sie rufen Rodney Banks als Ihren Zeugen auf?« fragte der Richter. »Jawohl, Euer Gnaden.« »Rodney Banks in den Zeugenstand!« verkündete der Gerichtsdiener. Banks betrat den Gerichtssaal in Begleitung eines kleinen flinken Mannes, der dem Zeugen geschäftig vorauseilte und sich dem Richter vorstellte. »Ich bin Jarvis N. Gilmore, Euer Gnaden, und darf bitten, in das Protokoll aufzunehmen, daß ich Rodney Banks vertrete.« »In Ordnung, Mr. Gilmore«, erwiderte Richter Miles. »Das Protokoll wird Sie ausweisen.« »Heben Sie die rechte Hand zum Eid«, wies Gilmore seinen Mandanten an. Rodney Banks trat vor und wurde vereidigt. Er nahm seinen Platz im Zeugenstand ein, gab Namen und Adresse an und sah herausfordernd zum Staatsanwalt hinüber. Hamilton Burger wandte sich Rodney Banks zu. »Erinnern Sie sich daran, wie Sie wegen Unterschlagung verhaftet wurden?« »Ja.« »Und gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt wurden?« »Ja.« »Stimmt es, daß Sie am Tag Ihrer Freilassung von Ihrer Schwester, der Angeklagten in dieser Verhandlung, einen Geldbetrag erhielten?« »Einspruch - die Frage ist untauglich, unerheblich und nicht sachdienlich«, schaltete Mason sich ein. »Ferner ist sie suggestiv und betrifft eine Angelegenheit, die keineswegs mit diesem Fall zu tun hat.« -1 5 0 -
»Wir wollen mit der Frage eine Verbindung schaffen«, entgegnete Hamilton Burger. »Und was den Zeugen angeht, ist er offensichtlich ablehnend eingestellt; also bin ich berechtigt, Suggestivfragen zu stellen.« »Das Gericht läßt die Beantwortung dieser Frage zu, sie soll jedoch mit ja oder nein beantwortet werden«, bestimmte Richter Miles. »Erhielten Sie also bei der Gelegenheit Geld von Ihrer Schwester?« donnerte Hamilton Burger. »Ja.« »Ich zeige Ihnen hier einen Hundert-Dollar-Schein mit der Nummer K00460975A und frage Sie, ob er ein Teil des Geldes war, das Sie von Ihrer Schwester erhielten.« »Ich verweigere die Aussage mit der Begründung, daß die Antwort mich belasten könnte.« »An jenem Tag sahen Sie dann anschließend den Polizeibeamten Stanley Moulton?« »Na, ich glaube, das war später, kurz nach Mitternacht. Es war schon Sonntag früh, am Vierten, als ich Moulton sah.« »Und bei dieser Gelegenheit präsentierte Moulton einen Durchsuchungsbefehl für Ihre Wohnung, nicht wahr?« »Ja.« »Er durchsuchte Ihr Apartment?« »Ja.« »Und beschlagnahmte einen Hundert-Dollar-Schein bei Ihnen?« »Ja.« »Nun denn«, sagte Hamilton Burger. »Woher hatten Sie diesen Hundert-Dollar-Schein?« »Moment, Moment, warten Sie!« ließ Jarvis Gilmore sich vernehmen, während er eilig vorlief und sich behende zwischen den Staatsanwalt und den Zeugen zwängte. »Ich rate Ihnen, diese Frage nicht zu beantworten, da die Antwort Sie belasten könnte.« -1 5 1 -
»Auf Anraten meines Rechtsanwalts«, echote Rodney Banks, »verweigere ich die Aussage mit der Begründung, daß sie mich belasten könnte.« Richter Miles schaltete sich ein. »Augenblick. Ich werde jetzt selbst ein paar Fragen stellen. Mr. Banks, haben Sie Ihrem Anwalt, Mr. Gilmore, mitgeteilt, wie Ihre Antwort auf diese Frage lauten würde?« »Jawohl, Sir.« »Haben Sie ihm auch die näheren Umstände offenbart?« »Ja, Sir.« »Und Mr. Gilmore hat Sie belehrt, daß Sie sich durch die Beantwortung der Frage belasten würden?« »Jawohl, Sir.« Zu Gilmore gewandt, fuhr Richter Miles fort: »Sie haben Ihrem Mandanten geraten, diese Frage nicht zu beantworten, da die Antwort ihn belasten würde, und Sie sind mit dem Fall voll vertraut?« »So ist es, Euer Gnaden.« »Unter diesen Umständen«, erklärte der Richter, »kann der Zeuge nicht gezwungen werden, die Frage zu beantworten.« »Mit Erlaubnis des Gerichts darf ich darauf hinweisen«, sagte Hamilton Burger, »daß es eine verhältnismäßig neue Bestimmung gibt und daß ich beabsichtige, danach vorzugehen. Hier habe ich eine Eingabe an Euer Gnaden vorbereitet, mit der Bitte, dem Zeugen die Beantwortung der Frage zu befehlen ungeachtet der Tatsache, daß die Antwort ihn, formal gesehen, belasten könnte. Ich habe eine schriftliche Erklärung aufgesetzt, in der ich dem Zeugen Straffreiheit gewähre für jede Straftat, an der er sich im Zusammenhang mit der Entgegennahme dieses Geldes beteiligt haben könnte. Ich darf das Gericht bitten, den Zeugen in dieser Sache unverzüglich zu vernehmen, ihn zu belehren, daß ihm Straffreiheit gewährt wird, und ihn aufzufordern, die Frage zu beantworten.«
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»Lassen Sie mich das Schriftstück sehen«, sagte Richter Miles. »Ich nehme an, Sie haben eine Kopie für den Verteidiger und den Zeugen?« »Und auch für den Vertreter des Zeugen«, ergänzte Hamilton Burger, während er dem Richter das Papier übergab und mit schwungvoller Geste Kopien an Gilmore, Mason und Rodney Banks verteilte. Richter Miles las sorgfältig. »Diese Urkunde, Mr. Gilmore, sieht vor, daß Rodney Banks Straffreiheit für jede Übertretung oder Straftat gewährt wird, die aus der Entgegennahme gestohlenen Gutes von seiner Schwester herrühren könnte.« »Das reicht nicht aus«, sagte Gilmore. »Der Staatsanwalt hat eine Frage gestellt. Er kann den Zeugen nicht zwingen, diese Frage zu beantworten, sofern er nicht ausdrücklich erklärt, daß dem Zeugen völlige Straffreiheit für jede Straftat gewährt wird, die durch die Beantwortung dieser Frage aufgedeckt wird.« »Wenn Rechtsanwalt Gilmore weiterliest«, erwiderte Hamilton Burger, »wird er feststellen, daß im folgenden Absatz der von ihm angesprochene Punkt erfaßt ist. Ich habe einen Standardtext benutzt. Den speziellen Absatz, dessen Fehlen Mr. Gilmore soeben rügte, habe ich eingefügt. Wie Sie dem Formular entnehmen können, ist Straffreiheit für jede Straftat zugesichert, die durch die Beantwortung der Frage aufgedeckt wird.« »Gut«, sagte Richter Miles. »Ich werde den Zeugen vernehmen. Mr. Banks, es ergibt sich, daß Mr. Hamilton Burger, der, wie das Gericht Ihnen bestätigt, der rechtmäßig gewählte, qualifizierte und amtierende Staatsanwalt dieses Bezirks ist, Ihnen auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen und seiner Befugnisse völlige Straffreiheit für jede Straftat gewährt hat, die als Ergebnis der Beantwortung dieser Frage aufgedeckt werden kann. Deshalb versichert Ihnen das Gericht jetzt, daß Ihnen Straffreiheit bewilligt worden ist. Sie können daher nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht länger das Zeugnisverweigerungsrecht in Anspruch nehmen. Ich belehre Sie, daß Sie jetzt verpflichtet sind, die Frage zu beantworten.« -1 5 3 -
Banks sagte »Jawohl, Sir.« »Übersehen Sie die Situation?« fragte der Richter. Banks sagte: »Jawohl, Sir.« »Gut. Die Frage lautet, woher Sie den Hundert-Dollar-Schein hatten, den der Polizeibeamte Moulton bei Ihnen beschlagnahmte.« »Ich darf das Gericht bitten«, schaltete sich Mason ein, »die Frage nicht frei wiederzugeben. Ich meine, der Protokollführer sollte sie dem Zeugen vorlesen.« »Also gut, der Protokollführer wird die Frage vorlesen«, sagte Richter Miles leicht gereizt. »Sie werden feststellen, daß das Gericht die Frage im wesentlichen korrekt zitiert hat.« Er blickte nach diesen Ausführungen mißbilligend zu Perry Mason hinüber. »Jawohl, Euer Gnaden«, sagte Mason mit gebührender Bescheidenheit. »Der Protokollführer wird jetzt die Frage vorlesen«, kündigte Richter Miles an. Der Protokollführer las vor: »Nun denn, woher hatten Sie diesen Hundert-Dollar-Schein?« »Sie haben die Frage verstanden?« fragte der Richter den Zeugen. »Ja, Sir.« »Dann antworten Sie.« Rodney Banks sah Gilmore an. »Muß ich antworten?« »Sie müssen. Das Gericht hat es angeordnet. Es ist Ihnen Straffreiheit für jede Straftat zugesichert, die als Ergebnis Ihrer Antwort aufgedeckt wird.« Der Zeuge sagte: »Ich nahm diesen Hundert-Dollar-Schein Marvin Fremont aus der Tasche, nachdem ich ihn ermordet hatte.« »Was!« brüllte Hamilton Burger und sprang auf. Rodney Banks schwieg. -1 5 4 -
Jarvis Gilmore grinste affektiert und machte eine leichte Verbeugung in Richtung Burgers. »Ich darf bitten, den Protokollführer diese Antwort nochmals vorlesen zu lassen«, sagte Perry Mason. »Ich möchte mich nicht nur vergewissern, daß sie im Protokoll enthalten ist, sondern auch sichergehen, daß ich sie verstanden habe und daß auch die Geschworenen sie verstehen.« »Moment!« schrie Hamilton Burger. »Ich wünsche, daß diese Antwort aus dem Protokoll gestrichen wird. Das ist nicht die Antwort, die - also, das ist nicht die richtige Antwort ... Der Zeuge hat das Geld von seiner Schwester, und er schwört jetzt einen Meineid, um seine Schwester freizupauken.« »Mit Erlaubnis des Gerichts«, sagte Perry Mason, »bezeichne ich diese Bemerkung des Staatsanwaltes als ungebührlich. Der Herr Ankläger stellt hier Behauptungen vor den Geschworenen auf, die nicht bewiesen sind.« »Genau«, bestätigte Richter Miles nervös. »Die Geschworenen sollen die letzte Bemerkung des Staatsanwalts außer acht lassen. Sein Verhalten darf als ungebührlich bezeichnet werden. Die Geschworenen werden ermahnt, dieser Sache keine Beachtung zu schenken. - Und jetzt, meine Herren, worum geht es hier eigentlich?« »Zunächst darf ich das Gericht bitten«, sagte Mason, »den Protokollführer die Antwort des Zeugen vorlesen zu lassen.« »Ich protestiere«, rief Hamilton Burger. »Es ist - ja, diese Sache erfordert ein Disziplinarverfahren vor dem Beschwerdeausschuß der Anwaltskammer. Diese Anwälte, die offenbar voraussahen, was ich vorhatte, haben sich da an Machenschaften beteiligt - ja, es ist geradezu grotesk!« »Soll das heißen«, erkundigte sich Mason, »daß der Staatsanwalt dagegen protestiert, den Protokollführer einen Teil des beurkundeten Verhandlungsergebnisses vorlesen zu lassen?« »Ich stelle den Antrag, die Antwort des Zeugen zu löschen!« schnauzte Burger. »Sie soll gestrichen werden, bevor sie verlesen wird.« -1 5 5 -
»Wir sind in einer höchst ungewöhnlichen Situation«, stellte Richter Miles fest. »Ich kann dem Vertreter der Anklage durchaus nachfühlen, daß er sich überrumpelt vorkommt. Wie aber in der vorangegangenen Diskussion dargelegt wurde, ist die Zusicherung von Straffreiheit schriftlich festgehalten. Und es findet sich auf diesem Formular auch die Erklärung, daß dem Zeugen Straffreiheit für jede Straftat gewährt wird, die durch die Beantwortung der Frage aufgedeckt werden könnte.« »Wenn das Gericht gestattet«, sagte Mason, »möchte ich den Antrag wiederholen, den Protokollführer Frage und Antwort verlesen zu lassen.« Richter Miles warf Mason einen finsteren Blick zu, sah Jarvis Gilmore grinsen und forderte den Protokollführer gereizt auf: »Lesen Sie schon - lesen Sie beides, Frage und Antwort.« Der Protokollführer las die Frage: »Nun denn, woher hatten Sie diesen Hundert-Dollar-Schein?« Dann blätterte er in seinem Block und las weiter: »Die Antwort lautete: Ich nahm diesen Hundert-Dollar-Schein Marvin Fremont aus der Tasche, nachdem ich ihn ermordet hatte.« »Dieser Zeuge hat einen Meineid geschworen«, wiederholte Hamilton Burger. »Er bekam den Hundert-Dollar-Schein von seiner Schwester, und er weiß das ganz genau.« »Damit haben wir wiederum einen Fall von Ungebühr seitens des Staatsanwalts«, stellte Mason fest, »der sich über nicht bewiesene Tatsachen den Geschworenen gegenüber äußert.« »Es ist wiederholtes ungebührliches Verhalten«, sagte der Richter. »Ich belehre den Herrn Staatsanwalt, daß er sich beherrschen und seine Geistesgegenwart bewahren sollte. Die Geschworenen ermahne ich wiederum, Erklärungen des Staatsanwalts keine Aufmerksamkeit zu schenken, sofern sie nicht durch Beweise gestützt sind. Wollen Sie eine falsche Verhandlungsführung rügen, Mr. Mason, auf Grund der neuen Lage?« Mason unterdrückte ein Lächeln. »Nein, Euer Gnaden. Ich darf das Gericht lediglich bitten, den Staatsanwalt zu verwarnen.« -1 5 6 -
Richter Miles schien besorgt zu überlegen. »Vielleicht sollte man in Anbetracht all dieser Umstände doch von einem falschen Verfahren sprechen«, sagte Hamilton Burger hoffnungsvoll. Mason erwiderte: »Ich meine, die Angeklagte ist vor Geschworene ihres Standes gestellt worden und hat ein Recht auf einen Freispruch gerade durch diese Geschworenen.« »Ich werde aber gegen diesen Zeugen Anklage wegen Meineides erheben«, schnaubte Hamilton Burger. »Ein erneutes Beispiel von ungebührlichem Verhalten, Euer Gnaden«, sagte Mason. »Der Staatsanwalt benutzt seine Amtsstellung, um einen Zeugen einzuschüchtern und vor Gericht gemachte Aussagen abzuwerten.« Richter Miles gestattete sich ein Schmunzeln. »Ich glaube nicht, daß der Zeuge eingeschüchtert ist«, erwiderte er. »Jedoch ermahne ich den Staatsanwalt wiederum zu bedenken, daß wir uns in einem Strafverfahren befinden, daß die Geschworenen anwesend sind und daß diese Situation - wenn sie auch ziemlich beispiellos sein dürfte - trotz allem das Resultat einer Maßnahme der Staatsanwaltschaft ist. Nun, Herr Staatsanwalt, haben Sie noch Fragen an diesen Zeugen?« »Ganz bestimmt sogar!« blaffte Hamilton Burger. »Ich meine«, fuhr Richter Miles fort, »es wird besser für das Gericht sein, sich jetzt fünfzehn Minuten zurückzuziehen und den Anwälten beider Seiten Gelegenheit zu geben, ihr Gleichgewicht wiederzufinden und sich auf die neue Entwicklung einzustellen. Das Gericht legt eine Pause von fünfzehn Minuten ein.« Der Richter hatte kaum die Bank verlassen, als Hamilton Burger wutschnaubend zum Zeugentisch stürzte. »Damit kommen Sie mir nicht durch!« schrie er Gilmore an. »Ich werde Sie vor die Geschworenenkammer bringen, nicht vor den Beschwerdeausschuß der Anwaltskammer, nein, vor die Geschworenenkammer. Ich werde Sie anklagen lassen wegen Verabredung zum Meineid und wegen Begünstigung in -1 5 7 -
einem Mordfall. Sie wissen genauso gut wie ich, daß dieser junge Mann das Geld von seiner Schwester erhielt; aber Sie drängten mich in eine Position, in der ich ihm Straffreiheit zusicherte, und dann drehten Sie die Sache so, daß ich durch die Antwort erledigt war.« »Bitte sehr, bringen Sie mich vor die Geschworenen«, entgegnete Gilmore. »Verfolgen Sie Rodney Banks wegen Meineid. Um einen Meineid zu beweisen, werden Sie zunächst mal beweisen müssen, daß er Fremont nicht getötet hat. Das wird einen großartigen Schauprozeß geben: Der Staatsanwalt des Bezirks versucht nachzuweisen, daß ein Mann einen Mord nicht begangen hat! Und der Mann behauptet, er habe ihn begangen! Wahrhaftig, dieser Schau sehe ich mit dem größten Vergnügen entgegen.« »Stimmt das? Müßten Sie beweisen, daß er den Mord nicht begangen hat?« fragte ein Zeitungsreporter Hamilton Burger. Burger wirbelte herum und wurde genau in diesem Augenblick mit Blitzlicht verewigt. Ein fröhlicher Fotograf eilte mit dem Schnappschuß eines völlig außer Fassung geratenen Staatsanwalts hinaus. »Beruhigen Sie sich doch, Hamilton«, sagte Mason. »Solche Zur-Schau-Stellung führt zu gar nichts.« Burger holte tief Luft und erwiderte: »Von Ihrer Seite hätte ich eine derartige Taktik allerdings nicht vermutet.« »Von meiner Seite ist gar nichts geschehen«, entgegnete Mason. »Aber das alles nützt Ihnen nichts. Sie sind in eine Falle gelaufen - wollen Sie drin bleiben, oder wollen Sie lieber herauskommen und den Fall fortsetzen? Vielleicht kann ich Ihnen helfen.« »Da gibt's nichts mehr fortzusetzen.« Mason rückte näher und hakte sich bei dem zornigen Anklagevertreter ein. »Wenn Sie so weiterreden, sind Sie bald mit Ihrer Karriere am Ende. Nun versuchen Sie mal, die Sache zu bewältigen. Seien Sie vernünftig.«
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»Es ist mir unerträglich, daß ich mich von solch schäbigem kleinen Winkeladvokaten habe reinlegen lassen. Wir alle kennen Gilmore. Der Bursche hat bei einer Anstiftung zum Meineid nicht mehr Hemmungen als einer, der die Straße überqueren will.« »Immer mit der Ruhe, nur nicht mehr aufregen«, sagte Mason. »Jetzt nehmen Sie einen Schluck Wasser, setzen ein Lächeln auf, und wir machen weiter mit unserem Fall.« »Mit welchem Fall?« fragte Burger. »Der ist doch erledigt - bis auf das Geschrei.« »Und das Geschrei machen Sie«, sagte Mason. »Kühlen Sie sich ab, lassen Sie mich Rodney Banks ins Kreuzverhör nehmen. Zeigen Sie der Öffentlichkeit nicht, daß Gilmore Sie überrumpelt hat.« »Ich wußte, daß er krumme Dinger macht«, sagte Burger, »aber ich hätte nicht gedacht, daß er so weit gehen würde.« »Sie wissen ja nicht, daß er Rodney Banks zu dieser Aussage angestiftet hat. Nun beruhigen Sie sich, nur keine Aufregung mehr. Ich sehe Sie nicht gern so . ..« Burger holte noch einmal tief Luft. »Also gut. Bloß, verdammt noch mal, ich habe Sie doch in Verdacht, daß Sie irgendwie den Finger in diesem Kuchen hatten.« »Hatte ich«, feixte Mason. »Aber nicht den Daumen. Und der Daumen, der holt die Pflaumen - falls Sie Ihren Kinderreim noch wissen.« Hamilton Burger sah ihn starr an und ging dann steifbeinig davon. Er fegte die Zeitungsreporter mit einem kurzen »Kein Kommentar« beiseite und marschierte zur anderen Ecke, um sich mit Leutnant Tragg zu besprechen. Nachdem die Nachricht von der sensationellen Entwicklung dieser Verhandlung inzwischen bekanntgeworden war, begann sich der Saal mit Gerichtsangestellten, Reportern und Pressefotografen zu füllen. Nach etwa zwanzig Minuten kehrte Richter Miles zur Bank zurück. -1 5 9 -
»Ich stelle fest, daß mehrere Herren von der Presse anwesend sind«, sagte er. »Während der Anwesenheit der Geschworenen, der Angeklagten oder meiner selbst dürfen keine Aufnahmen gemacht werden. Auf dem Korridor kann fotografiert werden, ebenso im Gerichtssaal nach Sitzungsschluß. Bitte sehr, Herr Staatsanwalt, fahren Sie fort.« »Ich habe keine weiteren Fragen an diesen Zeugen«, erwiderte Hamilton Burger. »Ich darf dem Gericht aber unterbreiten, daß die auf meine Frage erfolgte Antwort offensichtlich zur Unterstützung seiner Schwester gegeben wurde, der Angeklagten in dieser Verhandlung, statt zur Klärung der Streitfragen. Ich bitte das Gericht, diesen Mann in Untersuchungshaft zu nehmen.« »Das Gericht ist weder befugt, ihn zu diesem Zeitpunkt zu verhaften, noch befaßt es sich mit diesem Streit. Die Geschworenen erhalten das Beweismaterial und werden ihren Spruch fällen, wenn die Zeit gekommen ist. Mr. Banks, Sie haben ausgesagt und sind freigestellt.« »Mir ist Straffreiheit für den Mord gewährt worden?« fragte Banks. »Das Gericht will sich über den rechtlichen Aspekt der Situation nicht äußern, soweit es Sie betrifft«, sagte Richter Miles mit offensichtlichem Widerwillen. »Sie haben einen Anwalt, der Sie vertritt - einen Anwalt«, fügte der Richter mit einer Art grollender Bewunderung hinzu, »der durchaus fähig zu sein scheint, Ihre Interessen wahrzunehmen. Sie dürfen den Zeugenstand verlassen, Mr. Banks.« »Einen Augenblick bitte noch«, sagte Mason, »ich habe das Recht, den Zeugen ins Kreuzverhör zu nehmen.« Richter Miles zögerte kurz und erwiderte dann nachdenklich: »Ja, das haben Sie.« Perry Mason schätzte den Zeugen vorsichtig ab. »Sie haben beim Pferderennen gelegentlich Wetten gebucht?« »Am Wochenende, ja.«
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»Und Sie hatten bei Ihrem Arbeitgeber Geld unterschlagen, um Ihre Wettverluste auszugleichen?« »Ich darf unterbrechen, Euer Gnaden«, schaltete Gilmore sich ein. »Ich erhebe Einspruch gegen diese Frage, da der Zeuge sich durch die Beantwortung belasten könnte und da sie unerhebliche, nicht zur Sache gehörige Fakten betrifft, die mit der gegenwärtigen Streitfrage in keinem Zusammenhang stehen. Ich weise meinen Mandanten, den Zeugen, hiermit an, die Frage nicht zu beantworten, weil die Antwort ihn belasten würde.« »Glauben Sie, Banks, die Antwort auf diese Frage würde Sie belasten?« fragte der Richter. »Ja, Euer Gnaden.« »Unter diesen Umständen und im Hinblick auf die Formulierung der Frage ist das Gericht allerdings der Ansicht, daß es den Zeugen nicht zur Beantwortung zwingen kann - es sei denn, der Staatsanwalt würde auch hier völlige Straffreiheit gewähren. Ist die Anklage hieran interessiert?« »Die Anklage ist nicht daran interessiert«, erwiderte Hamilton Burger. »Die Anklage ist bereits einmal ausgeschaltet worden durch so ein Fangballspiel zwischen Mason, Gilmore und Banks. Ich bin nicht nur uninteressiert daran, diesem Zeugen weitere Straffreiheit zu gewähren, sondern beabsichtige sogar, den Zeugen wegen jeder Straftat zu belangen, die er innerhalb dieses Gerichtsbezirks begangen hat, sofern sie nicht unter die heute zugesicherte Straffreiheit fällt.« Noch einmal verlor Hamilton Burger fast die Beherrschung. »Ich werde ihn wegen Unterschlagung verfolgen, oder wegen Schnellfahrens und Spuckens auf den Bürgersteig!« »Unter diesen Umständen«, wiederholte Richter Miles mit leichtem Lächeln, »gibt es bestimmt keine Begründung, mit der das Gericht den Zeugen zur Aussage zwingen kann.« »Und als Sie wußten«, setzte Mason sein Kreuzverhör fort, »daß Ihnen Entdeckung drohte, gingen Sie zu dem
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Geheimfach, das Sie im Büro gefunden hatten, und räumten das gesamte Bargeld aus, nicht wahr?« »Nicht antworten! Antworten Sie nicht!« fuhr Gilmore dazwischen. »Die Antwort wird Sie belasten.« Er wandte sich dem Richter zu: »Ich muß diese Form eines Kreuzverhörs ablehnen. Der Verteidiger weiß sehr wohl, was er tut. Er bringt meinen Mandanten in große Gefahr. Das Gericht hat die Erklärung des Staatsanwalts gehört...« »Sie brauchen deswegen keine Rede zu halten«, erwiderte Richter Miles, »erheben Sie Einspruch.« »Ich erhebe Einspruch gegen diese Frage, da die Antwort meinen Mandanten belasten würde, und ich rate meinem Mandanten, nicht zu antworten.« »Den Umständen entsprechend«, entschied Richter Miles, »ist die Einstellung des Zeugen berechtigt. Das Gericht sieht keinen Grund, ihn zur Aussage zu zwingen.« »Damit ist mein Kreuzverhör beendet«, schloß Mason. »Oh, Euer Gnaden«, klagte Hamilton Burger, »die Sache ist hoffnungslos. Sie wird zur Farce. Die Staatsanwaltschaft ist der Ansicht ...« Mason stand auf und unterbrach: »Darf ich eine Frage an das Gericht einschalten?« »Was ist?« fragte der Richter. »Ich glaube, Mr. Mason, den Interessen Ihrer Mandantin wäre am besten gedient, wenn Sie den Staatsanwalt mit seiner Erklärung fortfahren ließen. Wie ich die Lage beurteile, will er einen Antrag stellen.« »Bevor er diesen Antrag stellt«, erwiderte Mason, »möchte ich gern einen Zeugen noch einmal vorrufen und ins Kreuzverhör nehmen.« »Welchen Zeugen?« »Mrs. Lorraine Lawton.« Hamilton Burger wollte protestieren, setzte sich aber plötzlich mit listiger Miene wieder hin.
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»Wird seitens der Staatsanwaltschaft Einspruch erhoben?« fragte der Richter. »Kein Einspruch«, erklärte Burger. Richter Miles sah Mason nachdenklich an. »Ich möchte feststellen, Herr Verteidiger, was Ihre Mandantin angeht, scheint der Fall gegenwärtig ein Stadium erreicht zu haben, in dem das Kreuzverhör einer Zeugin der Anklage schwerlich ihre Position verbessern kann.« »Ich verstehe, Euer Gnaden«, sagte Mason. »Aber darf ich im Interesse der Angeklagten feststellen, daß sie keinen formellen Freispruch aus verfahrenstechnischen Gründen oder unter irgendwelchen anderen Umständen wünscht, die einen Makel auf ihrem Namen hinterlassen würden. Die Angeklagte möchte die Wahrheit nachweisen, die volle Wahrheit.« »Jetzt reicht es uns allmählich mit dem Feuerwerk«, spottete Hamilton Burger. »Lassen Sie Ihre Predigten lieber ausfallen. Fangen Sie an, rufen Sie die Zeugin zurück, und passen Sie auf, daß Sie in keine Falle gehen.« »Die Bemerkungen des Staatsanwalts sind durchaus unangebracht«, tadelte Richter Miles. »Ich habe Verständnis für die schwierige Lage, vor die sich die Anklagebehörde gestellt sieht, beabsichtige jedoch nicht, deshalb die Würde des Gerichts leiden zu lassen. Lorraine Lawton bitte in den Zeugenstand.« Als Lorraine Lawton den Saal betrat, sagte er: »Sie brauchen nicht erneut vereidigt zu werden, Sie haben bereits geschworen. Bedenken Sie, daß Sie unter Eid aussagen. Mr. Mason hat Sie zum Kreuzverhör aufgerufen. Beginnen Sie, Mr. Mason.« »Sie sind mit der Angeklagten befreundet?« fragte Mason. »Ja.« »Und mit ihrem Bruder?« »Ja.« »Sie arbeiten in der Osgood-Forellenzucht?« »Ja.« -1 6 3 -
»Das ist alles bereits festgestellt«, mischte sich Hamilton Burger ein. »Es ist nur eine Einleitung, um zu zeigen, daß ich die Zeugin nicht überfahren will.« »Weiter«, sagte Richter Miles. »Sie sahen Rodney Banks am Abend des Dritten, nachdem er gegen Kaution aus dem Gefängnis entlassen worden war?« »Ja.« »Sie wußten, daß Rodney Banks Sie verließ, um sich mit seiner Schwester in Bungalow 14 des Foley Motel zu treffen, eines Motels, das Ihnen bekannt ist und das in der Nähe der Forellenzucht liegt, wo Sie gelegentlich arbeiten?« »Ja.« »Gingen Sie an jenem Abend zur Osgood-Forellenzucht?« »Ich ... ich ... diese Frage möchte ich nicht beantworten.« »Gingen Sie zur Osgood-Forellenzucht und holten ein paar Packungen Trockeneis?« fragte Mason. »Ich . ..« »Warten Sie«, unterbrach Mason und hob die Hand. »Bevor Sie diese Frage beantworten, will ich Ihre Aufmerksamkeit auf gewisse Tatsachen lenken. Rodney Banks hat den Mord an Marvin Fremont zugegeben. Es ist ihm vom Staatsanwalt Straffreiheit gewährt worden. Nun denn, Ihr Verhalten mag an sich gesetzwidrig gewesen sein, ich glaube aber, die Behörden sind daran interessiert, den Sachverhalt aufzudecken, und werden Ihnen entgegenkommen, wenn Sie die absolute Wahrheit sagen ... Also, gingen Sie an jenem Abend zur Osgood-Forellenzucht?« »Ich ... ich glaube nicht, daß ich diese Frage beantworten sollte. Es würde mich belasten.« »Das kommt darauf an«, sagte Mason. »Wenn Sie die Leiche von Marvin Fremont fanden, wenn Sie glaubten, Rodney Banks hatte ihn getötet, und wenn Sie dachten, Sie könnten die Leiche in Trockeneis packen, um ihn zu schützen, dann haben Sie eine Straftat begangen. Es bleibt jedoch immer eine -1 6 4 -
Angelegenheit Ihres Gewissens. Denn für Rodney ist Straffreiheit zugesichert worden.« »Ganz so war es nicht«, sagte Lorraine Lawton. »Ich wußte, daß Rodney sich in einer gefährlichen Stimmung befand, was Marvin Fremont anging. Ich wußte auch, Rodney hatte erfahren, daß Marvin Fremont Nancy aufsuchen wollte, denn er kannte ihren Aufenthalt. Und ich hatte Angst vor dem, was Rodney tun konnte ... Natürlich hatte ich Rodney nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis schon gesehen, aber später taten wir so, als ob wir uns noch nicht getroffen hätten. Ich ging zum Motel. Die Tür war offen, Nancy nicht da. Rodney auch nicht. Ich trat ein und fand die Leiche im Duschraum. Anscheinend war Fremont erst seit kurzem tot. Ich bekam Angst. Dann sah ich, daß der Körper in Trockeneis gepackt war, und mir fiel wieder ein, wie Nancy uns erzählt hatte, daß nach der Körpertemperatur die Todeszeit bestimmt wird. Ich dachte ... ja, ich glaubte, Rodney hätte ihn umgebracht und Nancy wäre zu Osgood gegangen, hätte Trockeneis geholt und um die Leiche gepackt, um Rodney ein Alibi zu verschaffen. Da habe ich natürlich die Polizei benachrichtigt.« »Ich danke Ihnen«, sagte Mason. »Das ist alles.« Hamilton Burger sprang auf. »Also, ich habe das Gefühl, daß ... nun, ich habe keine Fragen mehr.« »Dann möchte ich Larsen E. Halstead noch einmal aufrufen und ihm eine oder zwei weitere Fragen stellen«, kündigte Mason an. »Ich habe nichts dagegen«, sagte Hamilton Burger und sah Mason mit nachdenklichen Augen an, die neu erwachten Respekt ausdrückten. »Rufen Sie Larsen Halstead wieder in den Stand«, befahl der Richter. »Und ich darf sagen, meine Herren«, fuhr er fort, »ich stimme mit Mr. Mason überein: Wenn wir der Sache auf den Grund kommen können, soweit die Angeklagte betroffen ist, dann klärt das vielleicht nicht nur die ganze Lage, sondern ist letzten Endes auch im Sinne der Gerechtigkeit. Ich empfehle diesen Gedanken der Anklagebehörde zur Erwägung.« -1 6 5 -
Larsen Halstead trat in den Zeugenstand, rückte seine Brille zurecht und blickte über sie hinweg zu Perry Mason hin. »Sie haben ausgesagt, als Sie das geheime Geldfach zuletzt sahen, habe es 18 690 Dollar enthalten?« »Das stimmt, ja « »Sie notierten die Nummern von vier Einhundert-DollarScheinen, die darin waren?« »Ja.« »Einschließlich des Hundert-Dollar-Scheins, der jetzt hier als Beweisstück vorliegt, Nr. K00460975A?« »Ja.« »Und Sie sagten, Mr. Fremont hatte das Büro für den Rest dieses Tages verlassen?« »Ja. Es besteht aber auch die Möglichkeit, daß er - und nicht Rodney - später an diesem Tag zurückkehrte und das Geld herausnahm. Vielleicht auch am folgenden Morgen, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß das Geld vorhanden war, als ich das Fach zuletzt sah, aber verschwunden, als ich mit der Polizei hinging.« »Und weil Sie das Geld kontrollieren wollten, sahen Sie ein paar größere Scheine in dem Haufen durch und notierten die Nummern?« »Ja.« »Auf einem Notizblatt?« »Ja.« »Und die Nummer K00460975A ist in der Liste enthalten, zusammen mit den Nummern von drei anderen Hundert-DollarScheinen?« »Ja.« »Darf ich bitte diese Liste sehen, die Sie aufgestellt haben«, sagte Mason. »Ich möchte die Nummern prüfen.« Der Zeuge zog verdrießlich seine Brieftasche heraus, sah sie durch und entnahm ihr ein kleines Notizbuch. »Einen Augenblick«, sagte Mason, »Sie hatten das Notizbuch in diesem Fach der Brieftasche?« »Ja.« »Darf ich das Fach bitte sehen?« -1 6 6 -
Der Zeuge übergab Mason auch die abgetragene Lederbrieftasche. Mason öffnete sie und zog einen Hundert-Dollar-Schein heraus. »Nun, die Nummer auf diesem Hundert-Dollar-Schein lautet L04824084A. Und hier ist noch ein Hundert-Dollar-Schein, G06309382A. Und da haben wir einen dritten mit der Nummer L0132 ...« Der Zeuge griff ruckartig nach der Brieftasche und den HundertDollar-Scheinen, die der Anwalt in der Hand hielt. Mason riß die Tasche zurück, hielt sie außer Reichweite und fuhr fort: »Ich wiederhole: Hier ist ein weiterer Hundert-DollarSchein, Nr. L01324510A. Nun denn, wenn Sie nichts mit dem Mord zu tun hatten, wenn die Scheine noch in jenem Fach waren, als Sie das Büro verließen, wie kommen dann diese Hundert-Dollar-Scheine in Ihre Brieftasche?« Halstead starrte Mason an, von panischem Schrecken gepackt. »Ich vermute, ich ... ich nehme an, ich muß mich geirrt haben. Ich muß wohl diese Hundert-Dollar-Scheine in meine Brieftasche gesteckt haben, statt sie in den Tresor zurückzulegen. Ich war dabei, die Nummern zu notieren, und da muß ich die Scheine versehentlich gefaltet und in meine Brieftasche getan haben, als ich das Notizbuch zuklappte und zurücksteckte.« »Aber dann«, sagte Mason, »müssen Sie auch den HundertDollar-Schein Nr. K00460975A gehabt haben, der hier als Beweisstück eingeführt wurde.« »Ja, das muß ich wohl.« »Wie aber konnte dieser Schein im Besitz von Rodney Banks gewesen sein, als er von dem Polizeibeamten Moulton durchsucht wurde, wenn Sie ihn nicht in der Zwischenzeit heimlich in seine Brieftasche gezaubert hatten?« »Ich ... ich - da muß irgendwie ein Irrtum mit der Nummer passiert sein.« »Nein, Halstead«, sagte Mason, »der Irrtum lag bei Ihnen. Sie hatten vor, den Geheimtresor auszuräumen und Fremont zu -1 6 7 -
berichten, Rodney Banks habe das Geld genommen. Als dann Fremont Ihre Untreue entdeckte und Sie mit vorgehaltenem Revolver zwang, das Geld herauszugeben, versetzten Sie ihm einen plötzlichen Stoß, der ihn rückwärts in den Duschraum hineinwarf. Dadurch ging der Revolver los, und die Kugel durchschlug sein Herz. Oder haben Sie bewußt versucht, in den Besitz der Waffe zu gelangen, um ihn zu ermorden?« »Nein, nein, das hab' ich nicht! Bestimmt nicht. Es war ein Unfall - ich weigere mich, noch mehr Fragen zu beantworten. Irgendwo ist da ein Irrtum - man hat mich hereingelegt.« Einen Augenblick lang wurde es so still, daß man das Ticken einer Uhr hätte hören können. Dann brach der Tumult im Saal los. »Verhaften Sie diesen Mann«, befahl Richter Miles. »Das Gericht zieht sich für eine weitere Viertelstunde zurück.«
17 Mason, Della Street, Paul Drake und Nancy Banks saßen im Anwaltsbüro zusammen. Fast hysterisch rief Nancy: »Mr. Mason, ich begreife noch immer nicht, wie Sie das gemacht haben!« Mason lächelte Della Street zu. »Ich bin nicht mal sicher, ob ich es selbst begreife.« »Können Sie mir nicht erzählen, was passiert ist, damit ich das alles verstehe?« bat sie. »Ihr Bruder«, begann Mason, »hatte nicht den geheimen Geldvorrat entdeckt, den Fremont im Büro versteckt hielt. Aber er wußte von dem Geld im Safe, in dem zeitweise mehrere hundert Dollar waren. Fremont führte Ihren Bruder bewußt in Versuchung, indem er ihn Freitagnachmittag, nachdem die Banken geschlossen waren, Geld kassieren und es bis Montagmorgen aufbewahren ließ. Er wußte, daß Ihr Bruder oft zur Rennbahn ging und in bescheidenem Umfang wettete. Irgendwann trat das Unvermeidliche ein, und Rodney >lieh< -1 6 8 -
sich etwas von Fremonts Geld für eine Wette. Nach einer Weile wurden diese Anleihen zur Gewohnheit, und als Rodney dann eine Pechsträhne hatte, war guter Rat teuer. Genau da aber beschloß Fremont, die Falle zuschnappen zu lassen.« »Warum bloß?« fragte Nancy. »Weil Fremont immer noch ein Auge auf Sie hatte, Nancy, und Ihnen nie verzeihen konnte, daß Sie ihn geohrfeigt und im Stich gelassen hatten. Er beschloß, Sie zu zwingen, daß Sie ihn um Gnade bitten mußten. Er wußte, wieviel Sie von Ihrem Bruder halten und meinte, wenn er ihn einsperren ließe, würden Sie ihn, Fremont, anflehen, sich mit einer Entschädigung zufriedenzugeben und die Anzeige fallenzulassen. Als Fremont dachte, seine Pläne kämen zum Tragen, wandte Rodney sich an Sie, Nancy. Sie setzten auf einen Außenseiter, Rodney tat gleichzeitig dasselbe. Das Pferd wurde Sieger, und prompt tauchte Fremont mit der Behauptung auf, der Gewinn gehöre ihm, weil die Wette mit bei ihm unterschlagenem Geld bezahlt worden sei. Er war wütend, daß Ihnen so ein Treffer gelungen war, daß ich die Wettscheine für Sie kassiert hatte und daß er mich nicht hatte so weit bluffen können, daß ich ihm das Geld herausgab. Fremont wußte, daß ich Ihnen den Betrag abzüglich meiner Gebühr aushändigen würde, ebenso rechnete er damit, daß Sie Ihren Wagen auf dem Parkplatz beim Apartmenthaus abstellten. Er machte sich eine Strumpfmaske und überfiel Sie zweifellos in der Meinung, das Geld gehöre sowieso ihm, und es sei kein Verbrechen, sich zu nehmen, was einem gehöre. Nach dem Überfall stellte er jedoch fest, daß es beträchtlich weniger war als die erwarteten vierzehntausend Dollar. Er dachte nicht daran, daß Sie fünftausend Dollar Kaution für Rodney gezahlt oder ihm einen Teil des Gewinns gegeben hatten, sondern glaubte, Sie hätten noch einen ganzen Haufen versteckt. Irgendwie, wahrscheinlich durch sein Detektivbüro, erfuhr er, daß Sie im Foley Motel wohnten und ging hin, um auch den Rest zu holen. Was niemand in Erwägung zog, war der Umstand, daß Halstead, der von dem Geld in Fremonts Geheimtresor wußte, den Zeitpunkt für günstig hielt, jetzt die ganze Geldkassette -1 6 9 -
auszuräumen, da der Verdacht ja auf Rodney fallen mußte. Fremont indessen hatte Halstead im Verdacht und beschuldigte ihn, das Geld gestohlen zu haben. Halstead folgte Fremont zum Motel. Über das, was dort geschah, haben wir nur Fremonts Aussage. Aber offenbar stimmt seine Geschichte, denn der Augenschein deckt sich damit. Halstead schlug Fremont einen Handel vor, bei dem es ihm darum ging, das Geld behalten zu dürfen. Die Anzeige gegen Rodney sollte zurückgenommen werden, und Halstead wollte den Behörden nicht verraten, daß Fremont gestohlenes Gut entgegennahm und ein Hehler ersten Ranges war. Die Sache verlief aber nicht planmäßig. Die beiden Männer bekamen Streit. Fremont zog den Revolver. Halstead wollte sich auf die Waffe stürzen und sie wegstoßen, bevor Fremont schießen konnte. Fremont ging rückwärts in den Duschraum, rutschte aus, fiel hin, und dabei entlud sich der Revolver. Zu dem Zeitpunkt rangen die beiden miteinander, und die Kugel traf Fremont ins Herz. Halstead geriet in Panik. Er mußte sich absichern. Da er sich Ihrer Bemerkung über Trockeneis und Körpertemperatur erinnerte und die OsgoodForellenzucht kannte, fuhr er dorthin. Zunächst versteckte er den Revolver in der Mülltonne. Dann knackte er das Schloß, holte Trockeneis und packte es um Fremonts Leiche. Anschließend schmuggelte er in Ihres Bruders Brieftasche, in der dieser eine eiserne Reserve aufbewahrte und deren Platz er kannte, einen der numerierten Hundert-Dollar-Scheine ein. Diese Scheine hatte er benutzen wollen für den Fall, daß er Rodney hineinziehen mußte, um sich selbst eine saubere Weste zu bescheinigen.« »Wie kamen Sie auf den Verdacht, daß Halstead die anderen Scheine in der Brieftasche hatte?« fragte Della Street. »Durch die Art und Weise«, erklärte Mason, »wie ihre Nummern ins Notizbuch eingetragen waren. Es waren lange Zahlen, aber jede war sauber geschrieben, wie gestochen, jeweils eine Zahl auf eine Linie des Notizbuches. Ein Mann, der am Fußboden hockt, hätte die Nummern nicht so sauber schreiben können. Dazu mußte er am Tisch sitzen und den Arm auf eine ebene Fläche stützen. Deshalb kam mir der Gedanke, daß Halstead -1 7 0 -
sich diese Hundert-Dollar-Scheine angeeignet und die Nummern notiert haben mußte. Er glaubte sich nämlich schützen zu können, indem er ein paar Scheine in Rodneys Brieftasche schmuggelte und, falls sich Gelegenheit bot, die anderen unter Nancys Sachen versteckte, wo man sie finden mußte. Das Ganze war ein Risiko, jedoch - es hat sich gelohnt, genauso wie das Risiko mit >Landser<.« Nancy warf impulsiv die Arme um Mason. »Es hat sich wahrhaftig gelohnt!« Mason grinste. »Jetzt ganz besonders.«
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