Erle Stanley Gardner PERRY MASON
und Die Vertauschten Waffen Kriminalroman
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Erle Stanley Gardner PERRY MASON
und Die Vertauschten Waffen Kriminalroman
scanned by AnyBody corrected by JaBay Ein Mädchen und fünf Revolver. Kann das gutgehen? Einer liegt neben den starren Fingern der Leiche. Schon lange. Der zweite liegt in einem sicheren Versteck. Aber nicht lange. Den dritten schmuggelt Rechtsanwalt Perry Mason ein. Kurzerhand. Den vierten und fünften zieht sein Gegner je nach Bedarf. Und den kürzeren. Denn Mason kennt sich mit Revolvern aus - und mit Revolvermädchen. Doch beide haben es leider so an sich, daß sie unvermutet losgehen. Manchmal sogar nach hinten. (Backcover) ISBN 3 548 01421 6 Titel der amerikanischen Originalausgabe THE CASE OF THE SINGING SKIRT Übersetzt von Günter Eichel NEUAUFLAGE DER DEUTSCHEN ORIGINALAUSGABE im Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M - Berlin - Wien © by Erle Stanley Gardner Übersetzung © by Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M - Berlin - Wien Alle Rechte vorbehalten Printed in Germany 1971 - Gesamtherstellung Ebner, Ulm
Inhalt Inhalt ................................................................................................ 2 1....................................................................................................... 3 2....................................................................................................... 6 3.....................................................................................................18 4.....................................................................................................30 5.....................................................................................................43 6.....................................................................................................54 7.....................................................................................................76 8.....................................................................................................83 9.....................................................................................................94 10.................................................................................................101 11.................................................................................................127 12.................................................................................................132 13.................................................................................................170 14.................................................................................................183 15.................................................................................................192
1 George Anclitas sah Ellen Robb mit dem abschätzenden Blick eines Viehhändlers an, der ein paar Zuchtkühe besichtigt. »Schwarze Strümpfe«, sagte er. Ellen nickte. »Lange schwarze Strümpfe, bis hierher«, sagte George und deutete mit einer Handbewegung auf seine Hüften. »Strumpfhosen«, fügte Slim Marcus beiläufig hinzu. »Das ist mir völlig schnuppe, wie die Dinger heißen«, sagte George. »Aber seidig-schwarzen Glanz müssen sie haben, wenn sie die Beine möglichst eng und hoch hinauf umspannen.« »Das ist die Masche«, sagte Slim. »Strumpfhosen.« »Und der Rock«, fuhr George fort und blickte Ellen abwägend an, »kurz, kürzer, am kürzesten, und mit einer winzigen weißen Schürze. Du weißt doch: nicht viel größer als ein Taschentuch, mit viel Spitze und großer Schleife hinten.« »Also heute abend?« fragte Slim. »Heute abend nehmen wir ihn aus«, sagte George. »Restlos?« »Warum sollen wir mittendrin aufhören?« Und zu Ellen sagte George: »Dich mag er besonders. Er frißt dich mit den Augen, wenn du dein Röckchen anhast. Sobald dein Auftritt zu Ende ist, schnappst du dir also den Bauchladen und kommst her. Aber schön auf der Seite des Tisches bleiben, wo er dich auch sehen kann; und ihn immer ablenken, solange ich dir kein Zeichen gebe.« »Und vergiß nicht das Zeichen!« sagte Slim. »George fährt sich mit der rechten Hand über den Kopf, als streiche er sich das Haar zurück.« George hob seine gepflegte Hand, fuhr sich damit über das schwarzgerollte Haar und probte den verabredeten Trick.
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»In diesem Augenblick«, erklärte Slim weiter, »kommst du sofort rechts an unseren Tisch, aber stellst dich hinter ihn. Und jetzt paß genau auf. Wenn er nur zwei Paare oder meinetwegen auch drei hat, sagst du: >Möchten Sie eine Zigarette, Mr. Ellis?< Das darfst du aber bloß sagen, wenn er höchstens drei Paare hat. Falls du ganz geschäftsmäßig >Zigarren, Zigaretten< rufst, und zwar zweimal, hat er sämtliche Bilder einer Farbe, aber wenn du es nur einmal sagst, fehlt ihm nur der Bube.« »Und wenn er sämtliche Bilder von mehr als einer Farbe hat«, fiel George ein, »oder vier gleiche Bilder, dann sagst du, du hättest keine ...« Zum erstenmal machte Ellen Robb den Mund auf. »Nein!« Die beiden Männer sahen sie ungläubig an. »Das mache ich nicht, George. Ich singe und zeige den Leuten meine Beine; aber euch zu helfen, wenn ihr Helman Ellis oder irgend jemand anderen ausnehmen wollt - ohne mich!« »Den Teufel wirst du!« sagte George. »Vergiß nicht, daß du hier angestellt bist, Schwester. Dies ist mein Laden, und du tust, was ich befehle. Was ist denn mit dir los? Hast du dich etwa in diesen Kerl verknallt?« Und nach einer kurzen Pause fügte er weniger grob hinzu: »Außerdem sollst du es auch nur, wenn ich das Zeichen gebe, Ellen. Ich glaube gar nicht mal, daß es überhaupt nötig ist. Wahrscheinlich schaffen wir es bei diesem Säugling auch auf die kalte Tour. Aber er mag dich. Er frißt dich fast mit den Augen auf. Allein deinetwegen taucht er doch immer wieder hier auf. Und wir haben ihn bisher ganz schön gemästet; erst hat er ein bißchen verloren, dann haben wir ihn ein bißchen gewinnen lassen, und wieder hat er ein bißchen mehr verloren. Dafür wissen wir jetzt wenigstens genau, wie er spielt. Aber heute abend sitzen noch ein paar andere mit am Tisch, und dadurch wird die Sache natürlich etwas schwieriger.« »Ich mache nicht mit«, wiederholte Ellen Robb. »Verdammter Mist!« sagte Slim. -4 -
George stieß seinen Stuhl zurück, sprang auf, und sein Gesicht war vor Wut dunkelrot. Dann holte er tief Luft und lächelte. »Also gut«, sagte er. »Zieh' dich an. Wenn du nicht willst - ich werde dich bestimmt nicht zwingen. Es bleibt also bei deiner Singerei. Vergiß das andere. Wir schaffen es auch ohne dich was, Slim?« Slim schien diese jähe Veränderung in Georges Benehmen nicht ganz geheuer zu sein. »Na ja«, sagte er, »sicher ... wahrscheinlich, wenn du es glaubst, George. Sicher werden wir ihn auch so vors Blatt kriegen.« »Das kannst du glauben«, murrte George. »Also vergiß das von vorhin, Ellen. Und zieh dich jetzt an. Und denk an die schwarzen Strümpfe.« Lautlos verließ Ellen Robb das Zimmer. Slim Marcus starrte auf ihre Hüften, bis der grüne Vorhang sich hinter ihr geschlossen hatte. »Gebaut ist sie ganz ordentlich«, sagte George. »Aber das ist nur für die Kundschaft, als Köder.« »Verdammt noch mal! Was ist eigentlich los?« polterte Slim. »Ich dachte vorhin, du hättest sie in der Hand und sie hätte zu parieren, sonst...« Anclitas schüttelte den Kopf. »Es wäre bei dem >sonst< geblieben«, sagte er. »Das Mädel ist nämlich nicht auf den Kopf gefallen.« »Und was ist jetzt?« forderte Slim Antwort. »Wer hat hier eigentlich zu bestimmen?« »Wir«, sagte George, »aber wir wollen ihr nicht verraten, daß wir diesem Ellis heute abend fünf Tausender abnehmen - und dann weiß sie es, rennt zu Ellis' Frau und verrät ausgerechnet ihr, daß das Spiel abgekartet war. Du weißt selbst, was dann passiert.« »Und nun?« fragte Slim. »Jetzt«, erklärte George Anclitas, »da sie sich weigert mitzumachen, ist sie für mich erledigt. Aber warum die
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Geschichte so plötzlich regeln? Wenn ich jemanden los sein will, dann richtig und für immer.« »Und was hast du jetzt vor?« »Hereinlegen werde ich sie«, antwortete George, und sein Gesicht rötete sich wieder. »Ich werde ihr nachweisen, daß sie gestohlen hat, und dann zum Teufel mit ihr! Die Drohung, sie einsperren zu lassen, genügt. Ich werde ihr das Fahrgeld nach Arizona geben unter der Bedingung, innerhalb vierundzwanzig Stunden unseren Staat zu verlassen. Sie weiß nämlich schon viel zuviel. Wir müssen ihr einen schlechten Ruf anhängen. Erinnerst du dich noch an das Mädel, das wir damals einsperren ließen? Die sitzt heute noch!« »Glaubst du eigentlich, daß wir Ellis auch ohne Tricks ausnehmen können?« fragte Slim. »Warum denn nicht? Das ist uns doch schon mehr als einmal geglückt, oder?« Slim nickte. »Na also. Nun mach dir bloß keine Gedanken.« »Das tue ich auch gar nicht. Ich möchte bloß sichergehen.« »Und das ist bei unserem Gewerbe immer etwas schwierig«, sagte George.
2 Della Street, die Privatsekretärin Perry Masons, stand in der Tür, die vom Privatbüro des Anwalts in den Gang hinausführte, an dem das Empfangszimmer lag. Ein amüsiertes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. Schließlich spürte Mason, daß sie sich nicht von der Stelle rührte, und blickte von dem Buch auf, in dem er las. »Sie haben immer gesagt«, bemerkte Della Street gerissen, »Fälle, in die junge und alleinstehende Mädchen verwickelt wären, lägen nicht auf Ihrer Linie.«
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»Stimmt«, bemerkte Mason nachdrücklich. »Ich will dramatische Fälle, Fälle, an denen ich die menschliche Natur studieren kann.« »Aber im Vorzimmer sitzt ein derartiger Fall«, sagte Della Street. »Mit einer phantastischen Figur und anderen Reizen«, fügte sie boshaft hinzu. Mason schüttelte den Kopf. »Wir sind völlig ausverkauft, Della. Und Sie wissen, daß mir Routine-Angelegenheiten keinen Spaß machen. Ich ...« Irgend etwas in ihrem Verhalten löste bei Mason eine verzögerte Reaktion aus. »Um was, sagten Sie, handelt es sich?« »Um eine fabelhafte Figur.« Mason schob das Buch zur Seite. »Verraten Sie mir noch eins, handelt es sich um ein attraktives Mädchen?« »Um ein sehr attraktives«, sagte Della Street. Mason grinste. »Meinen Sie damit, daß sie aufregend ist?« »Aufregend?« wiederholte Della Street nachdenklich. »Ich würde sagen: hinreißend!« »Wie alt?« »Vierundzwanzig, fünfundzwanzig, vielleicht auch sechsundzwanzig.« »Figur?« »Atemberaubend.« »Name?« »Ellen Robb, ehemaliges Fotomodell, jetzt Sängerin in einem Nachtklub und gleichzeitig Zigarettenverkäuferin.« »Herein mit ihr!« rief Mason. »Sie werden einen einmaligen Auftritt erleben«, warnte Della Street ihn. »Sie ist kostümiert.« »Das sind die meisten Frauen«, sagte Mason und fügte dann hinzu: »Zumindest, wenn sie ein Büro betreten.« »Dieses Mal«, bemerkte Della Street, »ist es aber doch anders.« -7 -
Mason legte die Finger seiner linken Hand auf das rechte Handgelenk und beobachtete dabei seine Armbanduhr. »Puls hundertzwanzig«, sagte er, »Atmung beschleunigt und flach. Wie lange lassen Sie mich noch warten, Della? Erst reizen Sie mein Interesse bis zur Unerträglichkeit, und dann...« »Wie hoch war der Puls?« fragte sie. »Hundertzwanzig.« »In genau fünf Sekunden«, sagte Della Street, »messen Sie ihn noch mal, und wenn er dann nicht auf hundertachtzig gestiegen ist, dürfen Sie mein Gehalt kürzen.« Sie verschwand für einen Augenblick und kehrte dann mit Ellen Robb zurück. Fragend blickte Mason auf die selbstsichere junge Frau im großkarierten Mantel. »Mr. Mason, das ist Miss Robb«, sagte Della Street, und dann wandte sie sich an Ellen. »Wenn Sie Ihren Mantel ausziehen wollen, um Mr. Mason sehen zu lassen, was Sie mir vorhin zeigten ...« Ellen Robb schlug den Mantel auseinander. Della Streets Hände griffen nach dem Kragen und nahmen dem Mädchen den Mantel ab. Anmutig und ohne die geringste Befangenheit stand Ellen Robb vor Mason. Sie trug einen knappsitzenden Pullover, einen Rock, der etwa zwanzig Zentimeter oberhalb der Knie aufhörte, und schwarze Strumpfhosen. Eine kleine Schürze in der Größe eines Taschentuchs und mit reichlich Spitze umsäumt war um ihre Taille gebunden. Ohne es zu wollen, machte Mason große Augen. »Miss Robb«, erläuterte Della Street, »gewann bei einem Schönheitswettbewerb den ersten Preis einschließlich einer Fahrt nach Hollywood, einer Probeaufnahme und eines gewissen Anspruchs auf Publicity.« »Eine Probeaufnahme?« fragte Mason.
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Ellen Robb lächelte und sagte: »Sie gehörte zur Publicity. Später habe ich nie wieder etwas gehört. Ich glaube manchmal, daß überhaupt kein Film in der Kamera war.« »Und die Reise nach Kalifornien?« »Die gab es tatsächlich«, sagte sie. »Ich mußte nur warten, bis das Flugzeug nicht voll besetzt war. Aber schön war es trotzdem.« Und dann fügte sie noch hinzu: »Solange es dauerte.« »Wann hörte es auf?« »Vor etwa sechs Monaten.« »Was haben Sie seitdem gemacht?« »Verschiedenes.« »Zuletzt«, sagte Della Street, »war sie als Zigarettenverkäuferin und Sängerin in Rowena beschäftigt.« »Rowena«, sagte Mason nachdenklich, »das ist doch die kleine Stadt, wo...« »Wo alle Spiele, die nicht mit dem Gesetz in Konflikt kommen, durch eine städtische Verordnung zugelassen sind«, sagte Della Street, »Der Ort ist gerade so groß, daß er derartige Verordnungen erlassen kann. Die gesamten Ausgaben der Stadt werden von den Spielsalons und durch die Bestrafung unaufmerksamer Touristen aufgebracht, die nicht auf die Geschwindigkeitsbegrenzung in den einzelnen Stadtvierteln achten.« »Die gesamte Polizei«, ergänzte Ellen Robb lächelnd, »besteht aus einem einzigen Mann. Wenn er sich im Osten der Stadt aufhält, achtet er streng darauf, mindestens einen Strafzettel während der Fahrt in den Westteil auszustellen. Alle Leute, die in dieser Zeit in Richtung Osten fahren, bleiben unbehelligt, einerlei wie rasend sie fahren. Wenn die Polizei sich anderer seits im Westen der Stadt aufhält, ist es besser, wenn die gleichen Leute nur im Schneckentempo dahinkriechen, weil sie sonst eine Vorladung bekommen.« »Wenn ich richtig verstanden habe, ist der Beamte also äußerst unparteiisch«, sagte Mason. -9 -
»Vollkommen unparteiisch. Ob er nun in Richtung Osten oder Westen fährt - jedesmal wird nur ein einziger Fahrer aufgeschrieben. Da der Bezirk ziemlich klein ist, hat der Beamte auch Gelegenheit, diese Quote zu steigern.« »Ich stelle jedenfalls fest, daß Sie Humor haben«, sagte Mason. »Und da Della alles für den dramatischen Auftritt der Hauptperson dieses Falles vorbereitet hat, können Sie sich jetzt ruhig hinsetzen und mir erzählen, was Ihnen Kummer macht.« Ellen Robb ging ganz ungezwungen durch das Büro, ließ sich in dem großen Ledersessel nieder, schlug ihre langen Beine übereinander und sah Perry Mason lächelnd an. »Schließlich«, sagte sie, »habe ich mich langsam daran gewöhnt, mich so anderen Leuten zu zeigen. Manchmal haben die Leute mich derart angestarrt, daß ich glaubte, es würde mir auch nicht das geringste ausmachen, mitten auf dem Broadway in einer gläsernen Badewanne zu baden ... Auch das könnte mich nicht hindern, dumm und verrückt zu sein, Mr. Mason.« »Und in welcher Beziehung sind Sie dumm und verrückt?« fragte der Anwalt. »Vor fünf Monaten«, antwortete sie, »bekam ich eine Stellung bei George Anclitas. Er hat ein Lokal in Rowena, einen kleinen Nachtklub mit einem Nebenzimmer, in dem erlaubt gespielt wird.« »Und wann endete Ihre Beschäftigung dort?« »Gestern abend, und zwar sehr plötzlich.« »Was war los?« »George und Slim Marcus, seine rechte Hand, waren ...« »Slim?« fragte Mason. »In Wirklichkeit heißt er Wilton Winslow Marcus, aber genannt wird er immer nur Slim.« »Weiter«, sagte Mason und sah, daß Della Street die Namen notierte. »Ich sollte eine krumme Sache mitmachen. Sie wollten mich hinter einem Neuling postieren, und ich sollte ihnen angeben, welche Karten er in der Hand hatte.« -1 0 -
»Und das haben Sie getan?« »Eben nicht.« »Was passierte daraufhin?« »Ich hätte es mir vorher überlegen sollen«, sagte sie. »George ist gefährlich. Er ist jähzornig, und gestern war er ausgesprochen wütend. Ganz plötzlich hatte er sein schmieriges und dreckiges Grinsen aufgesetzt und meinte, es sei alles in Ordnung, sie kämen auch ohne mich zurecht.« »Kam man dann ohne Sie zurecht?« »Das weiß ich nicht. Ich war nicht mehr lange genug da.« »Was geschah also - mit Ihnen, meine ich?« fragte Mason. »George sagte, dem Mädel von der Kasse sei schlecht geworden, und er müsse sie nach Hause schicken. Ich sollte die Kasse übernehmen; dafür sollten ein paar meiner Auftritte ausfallen. Und dann fehlten plötzlich hundertzwanzig Dollar.« »Für die Zeit, die Sie an der Kasse saßen?« »Ja.« »War das Geld wirklich verschwunden oder ...« »Das Geld war weg. Die Abrechnung stimmte einfach nicht.« »Wie kam das?« »Offen gesagt: ich weiß es nicht, Mr. Mason. Ich glaube, George hatte irgendwie seine Finger drin, als er die Kasse abrechnete, bevor er sie mir übergab. George ist sehr flink und hat eine geschickte Hand. Er kann die Karten von unten oder auch jede zweite geben, und es ist fast unmöglich, ihn dabei zu erwischen. Ich glaube, daß er etwas Ähnliches machte, als er die Scheine in der Kasse mit mir durchzählte. Ich weiß nur, im ganzen fehlten hundertzwanzig Dollar, als ich die Abrechnung machte.« »Wer hat es gemerkt?« »Ich.« »Und was taten Sie daraufhin?«
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»Ich ging sofort zu George und erzählte es ihm - das heißt, ich ließ es ihm durch eine Kellnerin sagen. Er saß gerade bei einem Spiel.« »Und was passierte?« »Er schmiß mich raus. Ich hatte noch ungefähr hundert Dollar von ihm zu bekommen; davon gab er mir vierzig Dollar. Nach seiner Meinung reichte es, aus der Stadt zu verschwinden. Er drohte, mich anzuzeigen, wenn ich den Bundesstaat nicht in vierundzwanzig Stunden verlassen hätte. Eine Diebin nannte er mich und noch verschiedenes anderes ...« »War jemand dabei?« fragte Mason. »Ein paar Leute im Lokal haben es bestimmt gehört«, antwortete sie. »Er sprach nicht gerade leise.« »Kennen Sie ihre Namen?« »Nur ein paar. Sadie Bradford war dabei.« »Wer ist das?« »Eines der Mädchen, die überall einspringen müssen, mal in der Damentoilette, mal in der Garderobe. Manchmal arbeitet sie auch im Büro des Motels.« »Ein Motel gibt es also auch?« fragte Mason. »Ja. George und Slim sind Besitzer von zwei ganzen Straßenvierteln. Ein Motel mit Swimming-pool, eine Forellenzucht, ein Nachtklub mit Bar und dann noch so eine Art Casino gehören dazu. Ein Teil der Gebäude ist modern, andere sehen wacklig aus und sind altmodisch. Der Nachtklub zum Beispiel war ursprünglich eine Scheune. George hat sie ausgebaut, einiges hineingesteckt, aber die Atmosphäre einer Scheune bewahrt, und jetzt heißt das Lokal The Big Barn.« »Könnte man Sadie als Zeugin anführen?« »Das weiß ich nicht. Immerhin verdient sie bei George ihre Brötchen.« »Was geschah, nachdem er Sie als Diebin bezeichnet und Sie aufgefordert hatte, den Bundesstaat zu verlassen?« fragte Mason. -1 2 -
»Ich wollte meine Straßensachen aus dem Schrank holen, aber er sagte, daß das, was im Schrank sei, als Beweis zu bleiben hätte und daß er annähme, ich hätte dort Geld versteckt. Er gab mir nur meinen Mantel, und ich mußte verschwinden.« »Eine ziemlich merkwürdige Art, Angestellte zu entlassen«, sagte Mason. »Er hatte dabei eine bestimmte Absicht«, entgegnete Ellen Robb. »Wollte er die Sachen als Pfand behalten ?« »Das auch. Aber während der letzten Wochen hatten sie immer mit Helly Ellis gepokert - sein richtiger Vorname ist Helman, Helly ist nur sein Spitzname.« »Und dieser Helman Ellis war dann wohl auch derjenige, dem Sie in die Karten sehen sollten?« »Ja. Gestern abend hatten sie beschlossen, Ellis endlich auszunehmen, und George hatte natürlich Angst, daß ich verraten würde, was für eine Rolle ich dabei spielen sollte, und daß es deswegen Ärger geben würde. Deshalb benutzte er die Gelegenheit, mich hineinzulegen, mich möglichst geräuschvoll rauszuwerfen und mir nur so viel Geld zu geben, um aus der Stadt zu verschwinden. Meine Sachen wollte er in einen Koffer packen und an das Greyhound Bus Depot in Phoenix, Arizona, nachschicken. Dort sollte ich sie abholen.« »Und was ist, wenn er Ihren Schrank ausräumt?« fragte Mason. Sie blickte ihn offen an. »Sie kennen George nicht«, sagte sie. »Aber ich. Wenn er meinen Schrank ausräumt, tut er es nur vor Zeugen und findet dabei bestimmt ein ganzes Bündel Geldscheine.« »Saßen Sie zum erstenmal an der Kasse?« »Nein, das habe ich schon ein paarmal getan.« »Hat schon einmal was gefehlt?« »Das glaube ich sicher«, antwortete sie, »aber nie beim Bargeld. Ich habe mehrere Male gehört, wie George sich beklagte, daß die Abrechnungen kleiner würden, obgleich das Geschäft gut ginge. Er deutete an, irgend jemand unterschlage -1 3 -
Geld, indem er nur einen Teil der Rechnungen durch die Registrierkasse laufen lasse. Er drohte sogar, Privatdetektive holen und alle mit einem Lügendetektor untersuchen zu lassen.« »Demnach war er also bei seinen Angestellten nicht allzu beliebt«, meinte Mason. »So kann man es nennen«, sagte Ellen Robb trocken. »Und irgend jemand hatte also Geld unterschlagen?« fragte Mason. »Er schien es zu glauben, und meiner Meinung nach hat er damit wahr scheinlich sogar recht.« »Könnten der oder die Betreffenden vielleicht auch in Ihrem Fall beteiligt gewesen sein?« Sie schüttelte den Kopf. »Die meisten Unterschlagungen sind in der Bar vorgekommen. Die Leute, die an der Bar sitzen, bezahlen sofort; wenn nun sehr viel los ist und der Barmixer von vier oder fünf Gästen gleichzeitig kassiert, kann er falsche Beträge auf der Kasse registrieren, ohne daß es auffällt.« »Haben Sie auch an der Bar gearbeitet?« »Gestern abend nicht. Ich hatte die Hauptkasse. Solange ich Dienst hatte, hatte ich auch den einzigen Schlüssel für die Kasse - wenigstens soll es angeblich der einzige Schlüssel sein. Dabei sitzt man auf einem Stuhl, und die Gäste kommen mit ihren Schecks, oder die Kellnerinnen kommen und schreiben die Rechnungen für ihre Tische aus. Dann nimmt man das Geld in Empfang und gibt das Wechselgeld heraus.« »Konnten Sie nicht ebenfalls kleine Beträge unterschlagen, wenn Sie wollten?« fragte Mason. »An der Hauptkasse hat man mehr mit Schecks zu tun. Die Kellnerinnen geben ihre Bestellungen schriftlich weiter und behalten einen Durchschlag; diese Durchschläge werden bei der Abrechnung verglichen. Theoretisch muß die Hauptkasse einen Betrag aufweisen, der der Gesamtsumme jener Rechnungen entspricht, die die Kellnerinnen ausgestellt haben.
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Aber trotzdem gibt es Möglichkeiten, kleinere Beträge unter den Tisch fallen zu lassen.« »Wie denn?« fragte Mason. »Durch Bluffen, zum Beispiel.« »Bluffen?« »Ein Gast bezahlt seine Rechnung selbst an der Kasse. Die Rechnung beträgt zwei Dollar fünfundachtzig; er bezahlt mit einem Zwanzig-Dollar-Schein. Man rechnet zum Schein die einzelnen Beträge noch einmal durch, plötzlich scheint irgend etwas mit dem Schlüssel der Registrierkasse nicht zu stimmen, und man konzentriert sich ganz auf den Fehler. Schließlich bucht man zwei Dollar fünfundachtzig, und ohne scheinbar allzu genau hinzusehen, gibt man erst fünfzehn Cents heraus, dann zwei Ein-Dollar-Scheine, dann einen Fünf-Dollar-Schein, dann starrt man in die Kassenschublade, und in neun von zehn Fällen steckt der Gast das Wechselgeld ein und geht. Wenn er plötzlich zögert, einfach stehenbleibt, nimmt man zwei FünfDollar-Scheine und gibt sie ihm mit einem strahlenden Lächeln; dann beschäftigt man sich wieder mit der Schublade.« »Sie scheinen sämtliche Tricks zu kennen«, meinte Mason nachdenklich. »Einige kenne ich bloß vom Hörensagen«, antwortete sie. »Und singen tun Sie also auch?« »Ja.« »Dann lassen Sie uns mal etwas hören«, sagte Mason. Sie legte den Kopf zurück, sang einige Zeilen eines Schlagers, hörte wieder auf und sagte: »Morgens bin ich immer etwas heiser. Ich singe gern, ich liebe Musik, schon immer, aber wenn man immer in völlig verqualmten Räumen singen muß, geht das auf die Dauer auf die Stimmbänder.« Mason nickte und betrachtete prüfend das Gesicht der jungen Frau. »Ihr Leben ist also ein ziemliches Auf und Ab gewesen?« fragte er. -1 5 -
»Meistens ein Ab«, sagte sie. »Aber ich gebe nicht auf. Wahrscheinlich werde ich wieder als Modell arbeiten. Man kann dabei ganz gut verdienen - nur weiterkommen nicht.« »Was hält man in Rowena von George Anclitas?« bohrte Mason weiter. »Das hängt davon ab, wen Sie fragen. Der Friedensrichter ist völlig von ihm abhängig. Mit Miles Overton, dem Polizeichef, steckt er auch irgendwie unter einer Decke. In den offiziellen Kreisen ist sein Ruf unantastbar. Ein paar Leute mögen ihn nicht besonders, aber sie dienern alle vor ihm. Er hat sehr viel Macht.« »Ich glaube«, sagte Mason, »wir sollten uns trotz der vielen Arbeit aufmachen und diesen George Anclitas besuchen. Kennen Sie zufällig seine Telefonnummer?« »Rowena 6 94 81.« Mason nickte Della Street zu. »Verbinden Sie mich bitte mit Anclitas, Della. Mal sehen, was er dazu meint.« Wenige Augenblicke später gab Della Street, als sie durchgewählt hatte, Perry Mason ein Zeichen. Mason nahm den Hörer ab. »George Anclitas?« fragte er. »Klar«, sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung. »Wer ist da? Was wollen Sie?« »Hier ist Perry Mason. Ich bin Rechtsanwalt.« »Und? Was will ein Rechtsanwalt von George Anclitas?« »Ich möchte Sie sprechen.« »Um was geht es?« »Um eine Angestellte.« »Wer ist das?« »Ellen Robb, eine Sängerin.« »Ach, diese Schlampe. Was ist mit der?« »Ich komme zu Ihnen hinaus«, sagte Mason. »In etwa einer halben Stunde bin ich bei Ihnen. Miss Robb wird mich begleiten. Ich verlange die Herausgabe ihres gesamten -1 6 -
persönlichen Besitzes, ich verlange femer das ihr noch zustehende Gehalt, über das übrige reden wir anschließend.« »Schön, schön«, sagte George. »Jetzt will ich Ihnen mal etwas sagen. Wenn Sie Ellen Robb mitbringen, lasse ich sie sofort verhaften. Wenn sie die nächsten sechzig Tage unbedingt hinter Gittern sitzen will - Platz ist genügend da. Sagen Sie ihr nur, daß ich für sie ein Begrüßungskomitee auf die Beine stellen werde.« »Wie Sie wollen«, sagte Mason. »Wenn Sie sie von einem Komitee empfangen lassen wollen, können Sie bei der Gelegenheit auch gleich zehntausend Dollar von Ihrem Konto abheben.« »Zehntausend Dollar? Wovon reden Sie eigentlich?« »Im Namen Ellen Robbs werde ich Anklage erheben wegen Diffamierung, wegen Verleumdung und falscher Beschuldigung. Sollten Sie zehntausend Dollar in bar bereit haben, werde ich Miss Robb eventuell raten, eine finanzielle Entschädigung anzunehmen und auf eine strafrechtliche Verfolgung zu verzichten.« »Verdammt noch mal! Wovon reden Sie eigentlich?« brüllte Anclitas in das Telefon. »Von den geschäftlichen Dingen, die ich mit Ihnen besprechen will«, sagte Mason und legte den Hörer auf. Über seinen Schreibtisch hinweg blickte der Anwalt in Ellen Robbs aufgerissene Augen. »Wollen Sie nicht lieber Ihren Mantel überziehen, damit wir fahren können?« Sie holte tief Luft. »So hat noch kein Mensch mit George Anclitas geredet. Meinetwegen können wir sofort fahren.« Mason nickte Della Street zu. »Nehmen Sie einen Stenogrammblock mit, Della.«
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3 The Big Barn in Rowena war ein zweistöckiger Fachwerkbau, dessen Vorderseite einer Scheuneneinfahrt ähnelte. Das große Scheunentor war halb geöffnet. Unmittelbar hinter dem Tor war eine Zwischenwand gezogen, die mit Stroh verkleidet war, wodurch der Eindruck entstand, es handele sich um eine mit Garben vollgestopfte, riesige Scheune. Unter anderem gehörte auch ein Motel zu dem Betrieb. An der Straße verkündete ein Schild: »Forellenzucht. Vermietung von Angelgerät. Verkauf von Köder. Kein Angelschein erforderlich.« Perry Mason parkte, half Della Street sowie Ellen Robb aus dem Wagen und ging dann auf die geöffnete Tür des Nachtklubs zu. Nach dem hellen Sonnenlicht draußen schien das Innere des Gebäudes in undurchdringliche Dunkelheit gehüllt zu sein. In dieser Dunkelheit bewegten sich ein paar Schatten. »Ich bin Miles Overton, der Polizeichef von Rowena«, sagte eine männliche Stimme. »Was wollen Sie hier?« Ellen Robb unterdrückte einen Aufschrei. »Wo ist George Anclitas?« fragte Mason. »Ich bin hier.« George Anclitas drängte sich streitlustig nach vorn; seine tiefliegenden Augen funkelten Mason feindselig an. Masons Augen hatten sich schnell an das Dämmerlicht gewöhnt. »Mein Name ist Perry Mason. Ich bin Rechtsanwalt«, sagte er. »Ich vertrete Miss Ellen Robb. Sie haben Miss Robb gestern abend hinausgeworfen, ohne ihr Gelegenheit zu geben, ihre Sachen mitzunehmen. In erster Linie möchten wir daher die ihr gehörenden Sachen aus dem Schrank holen.« »Gut, gut«, sagte George. »Sie wollen an ihren Schrank. Der Polizeichef ist gerade hier. Er wird den Schrank durchsuchen.« »Ohne Durchsuchungsbefehl wird es leider nicht möglich sein.«
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»Das glauben Sie vielleicht«, sagte der Polizeichef. »Wenn Ellen Robb die Schranktür aufmacht, werde ich einen Blick hineinwerfen. Dieses Haus gehört George Anclitas. Er hat mir die Erlaubnis erteilt, jeden Teil seines Hauses wie ich will zu durchsuchen.« »Der Schrank ist Eigentum meiner Klientin«, entgegnete Mason. »Hat sie das schriftlich?« fragte George. »Er wurde ihr als Aufbewahrungsort überlassen«, erwiderte Mason. »Solange sie hier arbeitete. Jetzt arbeitet sie nicht mehr hier. Ich verlange Einsicht, ich will sehen, was er enthält, und ich wette, ein Teil des Geldes, das bei der Abrechnung fehlte, fällt mir entgegen.« »Sie meinen«, sagte Mason, »Ellen Robb hat Geld aus der Kasse genommen, ist an ihren Schrank gegangen, hat aufgeschlossen, das Geld in den Schrank getan und dann wieder abgeschlossen?« »Wo soll sie es denn sonst gelassen haben?« fragte George. Mason sah seine Klientin an und kniff ein Auge leicht zu. »Das«, sagte er, »ist die Frage.« »Und damit haben Sie verdammt recht«, bellte George. »Haben Sie einen Schlüssel zum Schrank?« fragte Mason. »Warum sollte ich denn?« »Ich dachte, Sie hätten vielleicht einen Hauptschlüssel, der zu allen Schränken paßt.« »Da haben Sie sich eben getäuscht.« »Sie können diesen Schrank also nicht öffnen?« »Natürlich nicht. Den Schlüssel habe ich ihr gegeben. Sie hat ihn in der kleinen Handtasche, die sie unter dem Mantel versteckt. Ich habe selbst gesehen, wie sie ihn in die Handtasche steckte.« »Also konnten Sie den Schrank nicht öffnen?« »Natürlich nicht. Den Schlüssel hat sie doch.« -1 9 -
»Wie«, konterte Mason, »wollten Sie dann die Sachen herausholen und sie nach Phoenix schicken?« George zögerte einen Augenblick: »Ich hätte einen Schlosser kommen lassen.« »Laß dich nicht mit ihm ein, George«, sagte der Polizeichef. »Er will dir doch bloß ein Geständnis entlocken.« »In erster Linie«, sagte Mason, »möchte ich die Sachen meiner Klientin abholen. Ich mache Sie schon jetzt darauf aufmerksam: jeder Versuch, die Sachen meiner Klientin ohne einen Durchsuchungsbefehl zu untersuchen, wird als gesetzwidrige Verletzung der Rechte meiner Klientin angesehen. Ferner verlange ich von Mr. Anclitas eine Entschuldigung für die Bemerkungen, mit denen er die Ehrlichkeit meiner Klientin anzweifelte. Eine derartige Entschuldigung wird von meiner Klientin nicht als Schadenersatz angesehen, aber wir sind der Ansicht, daß der Schaden dadurch gemindert wird.« George wollte etwas sagen, aber der Polizeichef kam ihm zuvor. »Nicht aufregen, George. Wo ist Jebley?« »Das möchte ich auch wissen«, ärgerte sich Anclitas. »Ich habe meinen Anwalt hierherbestellt. Diese Schlampe taucht hier plötzlich mit einem Anwalt auf, aber ich habe auch einen. Ich ...« Die Tür öffnete sich. Einen Augenblick lang drang helles Licht herein, und von dem hellen Hintergrund hoben sich ein kräftiger Hals, die Schultern eines Ringkämpfers und ein dichter kraushaariger Haarschopf ab. Die Tür schloß sich wieder; der Schattenriß entpuppte sich als ein Mann von etwa siebenunddreißig Jahren mit dunkler Hornbrille, einem zähnefletschenden Grinsen und harten, prüfenden Augen. »Das hier«, verkündete George Anclitas, »ist Jebley Alton, der City Attorney von Rowena. Der Beruf des City Attorneys ist kein Hauptberuf. Er hat noch Privatklienten. Dazu gehöre ich.« George wandte sich an seinen Anwalt. »Jeb«, empörte er sich, »der Mann heißt Mason. Er behauptet, Rechtsanwalt zu sein und ...« -2 0 -
Er wurde von Altons Zwischenruf unterbrochen: »Etwa Perry Mason?« Mason nickte. Alton streckte ihm seine Hand entgegen. »Menschenskind! Ich freue mich, Sie endlich kennenzulernen. In der Hall of Justice habe ich Sie schon ein paarmal gesehen, und einige Ihrer Fälle habe ich sehr aufmerksam ver folgt.« Altons Finger drückten Masons Hand. »Verbrüderung könnt ihr später feiern«, brüllte George. »Dieser Mason vertritt die Frau, die mich erpressen will, und ...« »Langsam, George, langsam«, warnte Alton. »Nimm die Angelegenheit doch nicht so tragisch.« »Ich soll sie nicht tragisch nehmen? Ich werde dir helfen!« »Das hier ist Perry Mason«, sagte Alton, »einer der berühmtesten Strafverteidiger des Landes.« »Na und?« sagte Anclitas. »Er vertritt ein Weibsbild, das versucht, mich zu erpressen. Sie behauptet, ich hätte sie als unehrlich bezeichnet!« »Aber, aber, so etwas würde George niemals tun«, lächelte Alton zu Mason. Sich verbeugend, wandte er sich dann an Della Street, drehte sich noch ein Stückchen weiter und sah Ellen Robb an. »Ach ja«, bemerkte er, »die kleine Zigarettenverkäuferin.« »Das ist sie«, sagte George. »Welche sie?« »Die den ganzen Ärger hier ausgelöst hat. Ellen Robb, die hier.« »In diesem Lokal«, sagte der Polizeichef, »ist seit längerem regelmäßig Geld gestohlen worden. George hat mich gebeten, die Angelegenheit zu untersuchen.« Skeptisch und prüfend wanderte Altons Blick zu dem Polizeichef. »Die Durchsuchungsbestimmungen sind ziemlich kompliziert, Chef«, warf Alton ruhig ein. »Verschiedene Entscheidungen des Obersten Gerichts von Kalifornien haben die Sache auch nicht gerade vereinfacht. Ich werde mich der Angelegenheit selbst annehmen.« -2 1 -
Mason wandte sich an Ellen Robb. »Haben Sie den Schlüssel zu Ihrem Schrank bei sich?« Sie nickte. »Holen Sie ihn heraus«, forderte Mason auf. Sie griff unter ihren Pullover und hielt dann eine kleine Geldtasche in der Hand; sie öffnete sie und nahm einen Schlüssel heraus. »Also dann los«, sagte Mason. Ellen Robb ging voraus. Hinter ihr folgten Mason und Della Street, anschließend kam der Polizeichef. George Anclitas, der sich nach vorn drängen wollte, wurde von Jebley Alton zurückgehalten, der eine Hand auf den Arm seines Klienten gelegt hatte, ihn plötzlich in eine Ecke zog und sehr leise, jedoch unheimlich schnell auf ihn einredete. Ellen führte die übrigen in einen Raum, an dessen Tür das Schild »Für Angestellte« hing, dann durch eine mit einem Vorhang verhängte Tür mit der Aufschrift »Damen« und blieb schließlich vor einem Schrank stehen. »Schließen Sie auf«, sagte Mason. Sie steckte den Schlüssel in das Schloß und öffnete die Schranktür. In dem Schrank befanden sich ein billiger Koffer, ein Paar Schuhe, ein Kleid und ein Regenmantel. »Gehört das alles Ihnen?« fragte Mason. Sie nickte. »Wollen Sie die Sachen in den Koffer packen?« »Ich habe sie im Koffer mitgebracht, und genauso nehme ich sie wieder mit«, sagte sie. »Haben Sie noch andere Sachen hier?« »Ja.« »Wo?« »Wir Mädchen wohnten in einem Raum des Motels. Wir haben da geschlafen. Es ist eine Art Schlafsaal. Sadie Bradford, ein anderes Mädchen, und ich schliefen da. Gestern abend ließ er mich meine Sachen nicht holen. Richtig rausgeschmissen hat er mich.« -2 2 -
»Packen Sie jetzt lieber die Sachen ein«, sagte Mason. Sie nahm den Koffer aus dem Schrank und klappte den Deckel hoch. »Ich glaube, Miss Robb ist es lieber, wenn sie sich ungestört umziehen kann«, sagte Mason. »Miss Street, meine Sekretärin, wird hierbleiben und...« Mason unterbrach sich, weil Ellen Robb plötzlich erschrocken aufgeschrien hatte. »Was ist denn?« fragte er. Instinktiv wollte sie den Kofferdeckel zuklappen, beherrschte sich dann aber. »Lassen Sie mich mal sehen«, sagte Mason. »Mich auch«, drängte sich der Polizeichef nach vorn. »Was ist denn, Ellen?« Ellen Robb klappte den Kofferdeckel ganz zurück und zog das Gummiband nach vorn, das die eine Tasche im Kofferfutter zusammenhielt. Ein Bündel Geldscheine war flüchtig in die Tasche gestopft worden. »Das Geld nehme ich an mich«, sagte der Polizeichef sofort. Mason machte eine Bewegung, so daß sich seine Schulter zwischen den Beamten und den Koffer schob. »Zuerst werden wir es zählen«, entgegnete er. Ellen Robb blickte fragend und verängstigt zu ihm hoch; dann zählte sie mit zitternden Fingern das Geld. »Fünfhundertachtundsechzig Dollar«, sagte sie schließlich. »Gut«, meinte Mason. »Diesen Betrag werden wir mit dem noch ausstehenden Lohn und unseren sonstigen Forderungen an George Anclitas wegen Diffamierung verrechnen.« George, der den Raum in Begleitung von Alton ruhig betreten hatte, schien etwas sagen zu wollen; aber in genau demselben Augenblick wurde der Vorhang an der Tür so heftig beiseite gerissen, daß die Schiene fast herunterfiel. Eine Frauenstimme rief wütend: »Diffamierung, so! Das ist wirklich zum Lachen! Eine Krähe hackt der andern doch kein Auge aus!« -2 3 -
Mit haßerfülltem Blick funkelte sie Ellen an, bis sie sich an George wandte. »Aber ich bin nicht hergekommen, um mich mit dieser Ehebrecherin zu unterhalten, sondern um Sie zu sprechen. Was haben Sie mit meinem Mann angestellt?« »Aber Mrs. Ellis!« George trat einen Schritt vor und lächelte herzlich. »Das hier - wir - eigentlich haben wir gar nicht geöffnet. Ich hatte nur Besuch bekommen ... Kommen Sie mit, ich werde uns ein Gläschen besorgen.« Sie übersah die ausgestreckte Hand des Mannes und wütete: »Sie haben meinem Mann im Falschspiel das Geld weggenommen. Ich habe keine Lust, das mir noch länger mit anzusehen. Er hat mir erzählt, gestern abend hätten Sie ihm sechstausend Dollar abgenommen. Soviel Geld haben wir nun auch wieder nicht! Ich lasse es mir einfach nicht gefallen, meinen Mann wie einen dummen Jungen zu behandeln! Ich will das Geld zurückhaben.« »Das Geld wollen Sie zurückhaben?« fragte George ungläubig. »Ja - Sie haben ganz richtig verstanden. Ich will es zurückhaben.« George besänftigte: »Ihr Mann hat gestern abend hier ein privates Spielchen gemacht, Mrs. Ellis. Wie es ausging, weiß ich nicht. Ich denke mir, er hat dabei verloren. Wieviel etwa? Darum habe ich mich nicht gekümmert. Ich kann Ihnen dagegen versichern, daß das Spiel in Ordnung war. Ich war selbst beteiligt. Wenn wir abends mit unseren Gästen ein kleines Spielchen machen und ihnen die Chance geben, den ganzen Laden hier zu gewinnen, und wenn sie dann Pech hatten und wir geben ihnen am nächsten Tag das verlorene Geld zurück, dann dauert's nicht lange, und ich kann an der nächsten Straßenecke Schnürsenkel verkaufen.« Er lachte bei dieser Vorstellung; aber nur sein Mund lachte, während seine Augen sie aufmerksam beobachteten. »Meiner Ansicht nach wäre das genau das Richtige für Sie«, erboste sich Mrs. Ellis. »Ich will das Geld zurückhaben. Mein Mann hat das Geld verdient, ich kann es besser verwenden, als -2 4 -
es ausgerechnet Ihnen in die Klauen zu geben. Ich habe wirklich keine Lust, euch lausigen Gaunem unser Geld in den Rachen zu schmeißen, und ihr verschwindet dann damit.« »Ich hoffe«, warnte der Polizeichef, »Sie nicht wegen Hausfriedensbruch verhaften zu müssen, Mrs. Ellis. Wenn Sie weiterhin derartige beleidigende Äußerungen in der Öffentlichkeit machen, wird mir nichts anderes übrig bleiben.« »Sie!« fuhr sie auf ihn los. »Sie dämlicher Trottel! Sie stecken doch mit diesen Leuten unter einer Decke! George Anclitas hat Sie doch schon lange in seiner Hand! Wenn er es nicht erlaubt, dürfen Sie doch noch nicht einmal husten! Ausgerechnet Sie wollen mir sagen, was ich tun darf?« »Sie gebrauchen in der Öffentlichkeit harte und gemeine Wörter«, bullerte der Polizeichef. »Bis jetzt bin ich überhaupt noch nicht gemein geworden«, erwiderte sie. »Aber ich bin kurz davor, und wenn ich dann erst anfange, werden Sie Dinge zu hören bekommen, die Ihnen wahrscheinlich die Sprache verschlagen, Sie ... Sie ...« »Einen Augenblick, bitte«, unterbrach Mason sie. »Vielleicht kann ich Ihnen in dieser Angelegenheit behilflich sein.« »Wer sind Sie denn eigentlich?« Mrs. Ellis drehte sich zu Mason um und betrachtete ihn kampflustig. »Sie ... ich habe schon Aufnahmen von Ihnen gesehen ... jetzt weiß ich: Sie sind Perry Mason. Würden Sie meinen Fall gegen diese Gauner übernehmen?« Mason lächelte und schüttelte den Kopf. »Es liegt nicht auf meinem Gebiet«, erwiderte er, »und außerdem bin ich augenblicklich vollkommen besetzt. Ich möchte Ihnen jedoch vorschlagen, sich einen anderen Anwalt zu nehmen.« »Was wollen Sie eigentlich damit sagen?« brüllte Jebley Alton wütend. »Sie wissen doch genau, daß auch ein Anwalt hier nichts ausrichten kann. Man kann kein beim Spiel verlorenes Geld zurückfordern. Das ist eine der grundlegendsten Tatsachen des Gesetzes.«
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»Stimmt genau, Jeb«, bestätigte George. »Nun sorge endlich dafür, daß dieser Kerl seinen Mund hält oder verschwindet. Sehr einfach zu behaupten, ein Anwalt könne das Geld zurückholen, aber er selbst traut sich nicht.« »Haben Sie ein Notizbuch bei sich?« fragte Mason Mrs. Ellis. Sie sah ihn verblüfft an und sagte schließlich: »Doch, in meiner Handtasche.« »Dann schreiben Sie sich folgendes auf und teilen Sie es Ihrem Anwalt mit. Auch Sie, Mr. Alton, sollten sich vielleicht einmal näher mit diesem Thema befassen.« »Das habe ich bereits«, sagte Alton. »Was wollen Sie uns eigentlich weismachen? Ellis kann sich nicht hinsetzen und spielen, um gewinnen zu wollen, und dann am nächsten Tag das verlorene Geld zurückfordern!« »Mrs. Ellis«, wurde Masons Stimme eindringlicher, »wenn Sie das, was ich Ihnen jetzt sage, Ihrem Anwalt mitteilen, sieht die ganze Geschichte erheblich anders aus. Die kalifornische Rechtsprechung kennt eine besondere Situation. Spielschulden können normalerweise nicht zurückverlangt werden, und da jedes Spiel gegen die allgemeinen Grundsätze verstößt, mischen sich die Gerichte in Streitigkeiten dieser Art nicht ein. Wie Ihr Anwalt Ihnen jedoch bestätigen wird, kennen wir hier in Kalifornien das sogenannte Gemeinschaftsvermögen: das durch die gemeinsamen Bemühungen der beiden Ehegatten erst nach der Eheschließung erworbene Vermögen, dessen Erhaltung und Verwaltung dem Ehemann obliegt. Bei geschäftlichen Transaktionen geht man von der Voraussetzung aus, daß seine Entscheidungen auch für die Ehefrau bindend sind. Der Ehemann hat jedoch nicht das Recht, das gemeinschaftliche Vermögen zu verschleudern, ohne auf seinen Ehepartner Rücksicht zu nehmen. Wenn demnach Ihr Mann das gemeinschaftliche Vermögen beim Spiel verloren hat, sind Sie sehr wohl in der Lage, es zurückzubekommen.« »Wovon, zum Teufel, reden Sie eigentlich?« polterte Jebley Alton. »Damit wäre jedes Spiel doch einfach erledigt.« -2 6 -
Aufgeregt sagte Mrs. Ellis: »Wenn das Gesetz einer Ehefrau wirklich erlaubt, die Spielverluste des Ehemannes wieder zurückzufordern, dann wird es hier in Rowena ein gewaltiges Reinemachen geben. Ich kenne ungefähr ein Dutzend Frauen, die über die Art, wie ihr Bankkonto sich langsam auflöst, mit der Zeit wahnsinnig werden. Das ganze Geld taucht bloß immer wieder in den Händen dieser Leute auf, denen Spelunken wie diese hier gehören.« »Das läßt sich denken«, bestätigte Mason. »Die Situation enthält sehr große Möglichkeiten. Vielleicht hat Ihr Anwalt sogar die Absicht, vor einem der örtlichen Frauenvereine zu erscheinen und einen Vortrag über die kalifornische Rechtsprechung sowie über die Verwaltung des Gemeinschaftsvermögens zu halten.« »Ich bin Ihnen so von Herzen dankbar, Mr. Mason«, sagte Mrs. Ellis. »Dazu haben Sie nicht den geringsten Anlaß«, wehrte Mason ab. »Der Kerl ist verrückt«, sagte George Anclitas zu Mrs. Ellis. »Ich habe keine Ahnung, warum er Ihnen solche Sachen in den Kopf setzt; aber ich kenne mich in den Gesetzen ebenfalls aus. Ich bin schon eine ganze Zeit in diesem Gewerbe und ...« Seine Stimme versiegte, als er flüchtig zu Jebley Alton hinüber sah und dessen Gesichtsausdruck erblickte. »Was ist denn, verdammt noch mal, los, Jeb!« schnauzte er. »Du glaubst doch nicht etwa, daß an diesem Blödsinn was dran ist, oder? Ich weiß genau, wie die Bestimmungen über die Veranstaltungen von Spielen lauten!« Nachdenklich erwiderte Jebley Alton: »Anscheinend geht es um das Gemeinschaftsvermögen. Es kann gut möglich sein, daß das Gesetz irgendeinen Kniff enthält, der ... Ich werde mal schnell ins Büro gehen und mir dieses Problem selbst ansehen.« »Tun Sie das«, sagte Mason. »Es ist hochinteressant.«
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George wandte sich an Mrs. Ellis. »Hören Sie zu, Mrs. Ellis«, sagte er. »Wir beide werden uns nicht gegenseitig die Schädel einschlagen. Mein Anwalt wird sich jetzt erst mal mit der Sache befassen. Sie brauchen sich also wirklich keinen Anwalt zu besorgen, genausowenig brauchen Sie in irgendeinem Frauenklub die Rede auf diese Angelegenheit zu bringen. Beides wäre völlig sinnlos.« Mrs. Ellis lachte dunkel. »Ein wirklich seltsames Zusammentreffen«, sagte sie. »Zufällig muß ich für den Rowena Women's Club das Unterhaltungsprogramm für die nächsten drei Monate zusammenstellen. In zehn Tagen findet unsere regelmäßige Monatsversammlung statt; ich hatte mir schon das Gehirn zermartert, ein wirklich unterhaltsames Programm von allgemeinem Interesse zu finden. Jetzt aber habe ich eins, das alle auf die Beine bringen wird. Bestimmt gibt es hier Dutzende von Frauen, die wissen wollen, wie sich das Gesetz über das Gemeinschaftsvermögen besonders bei Spielverlusten auswirkt.« »Und jetzt«, Mason machte eine knappe Verbeugung vor George Anclitas und dessen Anwalt, »sollten wir vielleicht lieber draußen im Wagen warten, bis sich unsere Klientin angekleidet hat. Sie kann ihre Sachen zusammen packen und sie später irgendwann abholen lassen.« Mason wandte sich an Ellen Robb. »Ich bin überzeugt, daß Sie keine neuen Aufregungen mehr erleben werden, Miss Robb.« »Was ist mit dem Geld?« fragte sie und deutete auf den Koffer. »Merken Sie sich den Betrag«, erwiderte Mason. »Betrachten Sie es als Abschlagszahlung auf die Beträge, die George noch an Sie zu zahlen hat. Fahren Sie in ein Hotel, nehmen Sie sich dort ein Zimmer und geben Sie mir Bescheid, wo Sie gelandet sind.« »In dem Augenblick, in dem Sie weggehen, wird man mich verhaften«, bangte sie. »Das glaube ich kaum«, erwiderte Mason lächelnd. »Ich glaube vielmehr, daß man Sie äußerst rücksichtsvoll behandeln wird.«
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Mason drehte sich so, daß die anderen ihn nicht sehen konnten, und kniff das eine Auge leicht zu. »Miss Robb, mich interessiert in erster Linie, daß dem Recht genüge getan wird, nicht so sehr mein Honorar. Ich kann es nicht leiden, wenn Menschen ungerecht behandelt werden, weil sie selbst leider keinen Einfluß haben. Falls Sie von sich aus zu einer gütlichen Regelung mit George Anclitas kommen wollen, bin ich selbstverständlich einverstanden. Tun Sie, was Sie für richtig halten, und machen Sie sich wegen meines Honorars keine Gedanken. Unkosten sind Ihnen nicht entstanden. Wenn man sich Ihnen gegenüber jedoch unpassend benehmen oder Ihnen sogar drohen sollte, rufen Sie mich bitte sofort in meinem Büro an.« Mason griff nach Dellas Arm, und zusammen verließen sie The Big Barn. Der Anwalt lachte leise, als sie Rowena hinter sich ließen. »Irgendwie habe ich das Gefühl, Della, daß wir kurz nach der Rückkehr ins Büro einen Anruf von Ellen Robb bekommen werden.« »Weil sie wissen will, auf welcher Basis sie sich einigen soll?« »So ungefähr«, sagte Mason. »Und was haben Sie sich vorgestellt?« »Sie soll nehmen, was sie bekommen kann«, antwortete Mason. »Ich glaube, George Anclitas hat sich den Denkzettel hinter die Ohren geschrieben. Ellen Robb hat einen anständigen Ausgleich für ihren Hinauswurf - und das in einem Aufzug, der lediglich aus einem Pullover und Strümpfen bestand.« »Das hat ihr nicht viel ausgemacht«, sagte Della Street. »Sie ist es gewöhnt, in der Öffentlichkeit so zu erscheinen. Es gefällt ihr sogar.« »Na, na«, sagte Mason, »machen Sie unsere Klientin nicht allzu schlecht.«
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»Hätten Sie das alles im Interesse der Gerechtigkeit auch getan, wenn es sich dabei um einen Mann gehandelt hätte?« fragte Della Street. Mason überlegte einen Augenblick und sah sie dann an. »Verdammt noch mal - nein!« gab er schließlich zu. »Strumpfhosen«, sagte Della, »können für ein Mädchen wirklich eine große Hilfe sein.«
4 Perry Mason schloß die Tür zu seinem Privatbüro auf. Della Street, die gerade die Post sortierte, sah lächelnd auf. »Na, Della«, sagte der Anwalt, »ich bin gespannt, welche Abenteuer uns dieser Tag bringen wird.« »Hoffentlich nichts, was Sie von dem Brief in dem Fall Rawson oder von dem Briefstapel ablenkt, den ich mit >Dringend< bezeichnet habe und auf den ich Sie schon seit zwei oder drei Tagen aufmerksam zu machen versuche.« Mason seufzte und griff nach dem Aktenordner mit dem Vermerk >Dringend<, den Della griffbereit hingelegt hatte. Er klappte ihn auf, las schnell den obersten Brief durch, warf ihn Della zu und sagte: »Schreiben Sie ihm, daß es mir unmöglich ist, nach San Francisco zu kommen und an der Verhandlung teilzunehmen, Della.« Della Street zog ihre Augenbrauen leicht hoch. »Ich weiß«, bemerkte Mason. »Sein Angebot ist nicht übel, aber ich habe keine Lust, in diesem Fall mit ihm zusammenzuarbeiten. Er soll angeblich etwas zu eifrig für seine Klienten eintreten, besonders bei der Beschaffung von Zeugen, die irgendein Alibi auf ihren Eid nehmen. Worum geht es im nächsten, Della?« Leise summte Della Streets Telefonapparat. Della nahm den Hörer ab. »Ja, Gertie?« Dann sah sie Mason an und lächelte. »Ihre Freundin Ellen Robb, der singende Rock -3 0 -
mit den langen Beinen, sitzt draußen. Sie möchte wissen, ob es möglich ist, Sie zu sprechen. Sie ist sogar bereit, den ganzen Vormittag draußen zu warten, wenn Sie nur ein paar Minuten Zeit für sie hätten. Gertie meint, sie wäre ziemlich aufgeregt.« »Selbstverständlich habe ich für sie Zeit«, erwiderte Mason. »Sie möchte noch ein paar Minuten warten«, gab Della Street in den Hörer Bescheid. »Mr. Mason will sehen, ob es sich ermöglichen läßt.« Mason schob den Berg dringender Briefe zurück. »Ich dachte, wir hätten vielleicht gerade noch Zeit, die obersten zwei Briefe schnell zu erledigen. Beide sind sehr dringend«, seufzte Della Street und fügte dann noch hinzu: »Dieses Mal wird Miss Robb vermutlich ganz normal bekleidet sein.« »Sie mögen sie wohl nicht, was, Della?« »Sie hat irgend etwas an sich«, sagte Della Street. »Mehr als nur ihre Kurven.« »Aber schon die allein gefallen Ihnen nicht?« »Es ist noch etwas anderes, Chef«, überlegte Della Street. »Offen gesagt: ich weiß nicht, was es ist.« »Ist sie vielleicht falsch?« »Man hat das Gefühl, sie ist ... ach, ich weiß es nicht. Das Mädchen hat keine Scheu, sich anderen zu zeigen. Sie macht eine bezaubernde Figur und ein Paar wunderschöne Beine zu Geld. Sie benutzt sie richtig. Ihre Singstimme ist zwar ganz niedlich, reicht jedoch nicht weit. Ihre Figur ist das Beste, was sie hat.« »Und damit spielt sie sich nach vorn?« fragte Mason. »Sie schillert - das ist es«, gab Della Street zu. »Eine Frau mit einer derartigen Figur, die in einem derartigen Lokal auftritt, ist natürlich zu allem fähig, und ... Eigentlich wäre es doch ganz interessant zu erfahren, woher sie eigentlich stammt, wie sie dazu gekommen ist, auf diese Weise ihr Geld zu verdienen.« »Sie meinen also, Ellen Robb hat vermutlich schon einiges hinter sich?« fragte Mason. -3 1 -
»Ja ausgenommen die Erfahrungen einer Sonntagsschullehrerin«, meinte Della Street trocken. »Und Sie warnen mich also, damit ich mich nicht von einem Paar wunderschöner Beine hinreißen lasse und den Überblick verliere?« »Es sind nicht nur die Beine«, spöttelte Della Street. »Ich habe das Gefühl, daß sie ihren ganzen Körper einsetzt, um das zu erreichen, was sie will.« »Aber heute«, sagte Mason, »wird sie wie ein normaler Mensch angezogen sein.« »Möglich wäre es schon«, gab Della Street zu. »Aber ich wette, daß sie vorn sehr tief ausgeschnitten geht und im Laufe der Unterhaltung bestimmt eine Gelegenheit findet, sich über Ihren Schreibtisch zu beugen.« »Das wäre denkbar«, schmunzelte Mason. »Räuspern Sie sich also bitte, wenn sie es tut.« »Warum?« »Damit ich den Überblick nicht verliere«, grinste Mason. »Und jetzt holen Sie sie herein, Della, damit wir nachher noch die dringenden Briefe erledigen können.« Della Street nickte, verließ das Büro und kam nach kurzer Zeit mit Ellen Robb zurück. Ellen Robb trug einen Rock, der eng um die Hüften saß, um dann in feinen Fältchen aufzuspringen. Bei jeder Drehung weitschwingend, gab er den Blick auf die Knie frei. Ihre Seidenbluse betonte die scharfen Kurven. Am unteren Ende des tiefen V-förmigen Ausschnitts steckte eine schwere Brosche. »Ach, Mr. Mason«, sagte sie impulsiv. »Ich habe ein ganz schlechtes Gewissen, weil ich einfach hierherkomme und Ihnen Ihre Zeit stehle, aber ich brauche wirklich dringend Ihren Rat.« »Wegen der Einigung mit George?« fragte Mason. Sie deutete mit ihren Schultern eine Bewegung an. »George ist lamm fromm«, lächelte sie. »Er war so nett zu mir, wie ich ihn -3 2 -
noch nie erlebt habe. Er hat sich sogar bei mir bedankt, Mr. Mason. Tatsächlich: er hat sich bei mir bedankt.« »Wofür?« fragte Mason und deutete auf einen Sessel. Ellen Robb setzte sich und schlug fast im gleichen Augenblick ein Bein übers andere. »Er hat sich bedankt, weil ich ihm gezeigt hätte, was er doch für ein Schurke ist. Er gab zu, aus Gewohnheit immer nur das zu tun, was ihm paßte, so daß er anderen Menschen gegenüber grob wäre, daß er nun aber versuchen wolle, diese Eigenschaft abzulegen. Er bat mich, nicht weg zugehen, sondern zu bleiben, und erhöhte mein Gehalt um fünfundzwanzig Dollar.« »Pro Woche?« fragte Mason. »Ja, pro Woche.« »Und Sie haben eingewilligt?« »Für die allernächste Zeit.« »Dann ist zwischen Ihnen und George alles wieder in Ordnung?« Sie nickte. »Weswegen wollten Sie mich dann eigentlich sprechen?« »Wegen der Sache mit Ellis.« »Was ist damit?« »Ich fürchte, Sie haben Mrs. Ellis etwas in den Kopf gesetzt.« »Genau das hatte ich auch beabsichtigt«, sagte Mason. »Es geht dabei um ganz andere Dinge als um juristische Fragen, Mr. Mason. Zwischen Mr. Ellis und dessen Frau besteht ein Bruch. Er glaubt, er würde den Eindruck eines Schwächlings machen, wenn er von seiner Frau das Geld, das er verloren hat, zurückverlangt.« Etwas ungeduldig meinte Mason: »Ich habe versucht, Ihnen zu helfen, Miss Robb, weil ich spürte, daß man Ihnen Unrecht getan hatte; ich kann mich jedoch nicht auch noch mit den Schwierigkeiten Ihrer sämtlichen Bekannten befassen.« Ellen Robb rutschte auf ihrem Sessel nach vorn, bis sie nur noch auf der Kante saß. Dann beugte sie sich vor und legte ihre -3 3 -
Hände auf die Lehne von Masons Drehstuhl. »Bitte, Mr. Mason«, sagte sie, »so habe ich es doch auch gar nicht gemeint.« Della Street räusperte sich. Mason sah Ellen Robb an und warf dann Della Street einen Blick zu. »Also was ist, Miss Robb?« fragte er. »Ich möchte so gern, daß Sie mich verstehen, Mr. Mason, daß ich ... Ich bin nur zu Ihnen gekommen, weil ich ... ja, weil Sie es bestimmt verstehen.« Sie seufzte und richtete sich auf, sah auf ihre Knie, zog den Rocksaum hinunter und bekannte: »Helly ist durchgedreht.« »Wer ist Helly?« fragte Mason. »Helman Ellis, ihr Mann.« »Ach so. Und was hat er gemacht?« »Sehen Sie, Mr. Mason«, erklärte sie. »Meinetwegen habe ich keine Illusionen mehr. Ich bin so etwas wie eine Schaufensterauslage, eine Art Lockvogel. Ich habe eine anständige Figur und weiß es. Ich zeige sie auch anderen Leuten, man verlangt es von mir. Das gehört zu meinem Beruf.« »Und Helly, wie Sie ihn nennen, weiß es mittlerweile ebenfalls?« fragte Mason. »Sagen wir: es ist ihm aufgefallen! Von Anfang an ist es ihm aufgefallen. Gestern abend hat er... Mr. Mason, gestern abend hat er mich gefragt, ob ich mit ihm wegfahren würde. Er wollte alles hinwerfen und irgendwo ganz von vorn anfangen.« »Und was haben Sie dazu gesagt?« »Ich habe mich geweigert.« »Und?« fragte Mason etwas ungeduldig. »Damit sind wir bei dem springenden Punkt angekommen«, sagte sie. »Nadine Ellis hat sich einen Anwalt genommen, einen Mr. Gowrie. Kennen Sie ihn?« »Darwin Gowrie?« fragte Mason. »Darwin C. Gowrie«, wiederholte sie. -3 4 -
»Ich habe von ihm gehört«, erinnerte sich Mason. »Er ist, glaube ich, Scheidungsanwalt.« »Das stimmt. Mr. Gowrie hat mich heute morgen angerufen. Er wollte mich sprechen. Er sagte, er wäre Nadines Anwalt - ich dachte natürlich, es handle sich um diese Entscheidung, die Sie erwähnt hatten; ich konnte mir allerdings nicht vorstellen, warum er gerade mich sprechen wollte. Ich dachte, er wollte George sprechen.« »Aber Sie sind dann zu ihm gegangen?« »Ja, und in Wirklichkeit wollte er mich anscheinend über Helly aus fragen.« »Er wollte also einen Beweis wegen der Scheidung haben?« »Das weiß ich nicht. Er fragte mich nach meinen Beziehungen zu Helly, wie lange ich ihn schon kenne, wie oft er im Klub gewesen sei, ob er mich bemerkt hätte und ... naja, ob er sich mir genähert hätte.« »Hat er das?« fragte Mason. »Natürlich.« »Und das haben Sie diesem Gowrie auch gesagt?« »Nein.« »Sie haben also gelogen?« »Ja, ich habe gelogen?« »Überzeugend?« fragte Mason. »Das hoffe ich«, meinte sie. »Heißt es nicht immer, jede Frau... daß es gewisse ethische Gesetze gibt über ...« »Eine Art von Berufsgeheimnis?« fragte Mason. »So ähnlich.« »Ich weiß nicht, weshalb Sie zu mir gekommen sind«, meinte Mason. »Weil ich Ihren Rat brauche.« »In welcher Sache?« »Ich möchte zu Mrs. Ellis gehen und ihr alles sagen.« »Was wollen Sie ihr sagen?« -3 5 -
»Daß das, was sie von Helman und mir denkt, nicht stimmt und daß sie sich nicht lächerlich machen soll. Sie ist zu beneiden um ihren Mann. Sie sollte lieber alles tun, daß er bei ihr bleibt. Ich habe es schon zu oft erlebt, daß Frauen sich wegen irgendwelcher Kleinigkeiten scheiden lassen und es nachher bitter bereuen.« »Wenn ein Mann sich einer anderen Frau nähert, ist das also eine Kleinigkeit.« »Natürlich. Das machen doch alle - das heißt: fast alle, und ein Mann, der es nicht tut, der kann mir gestohlen bleiben. Den meisten ist es sowieso gar nicht ernst damit. Bei ihnen ist es nur die normale biologische Reaktion.« »Und das wollen Sie Mrs. Ellis klarmachen?« »Nicht gerade das, aber... das, was eine Ehe ausmacht.« »Sie scheinen diese Dinge ziemlich genau zu kennen«, sagte Mason. »Ich habe es bereits hinter mir«, winkte sie ab. »Und dabei die falschen Karten ausgespielt?« fragte Mason. »Ausgerechnet die Karten, die ich niemals hätte ausspielen dürfen«, bemerkte sie. »Auf diese Weise habe ich einen ungeheuer anständigen Mann verloren. Wenn ich nur soviel Vernunft gehabt hätte, alles zu tun, damit er sich auf sein Zuhause gefreut hätte, wäre er bei mir geblieben. Statt dessen habe ich ihm das Leben zur Hölle gemacht und ihn förmlich in die Arme dieses Flittchens getrieben, die ihn bis zum letzten ausgenutzt hat.« »Aber dann kam er zu Ihnen zurück?« fragte Mason. Sie schüttelte den Kopf. »Warum denn nicht?« »Das ist jetzt nicht so wichtig«, sagte sie. »Na schön«, verzichtete Mason. »Was wollen Sie also wissen?« »Ob Sie glauben, daß ich unter diesen Umständen zu Mrs. Ellis gehen und ihr genau sagen ... daß ich meine Karten vor ihr -3 6 -
offen auf den Tisch legen soll. Ich will ihren Mann gar nicht. Bestimmt nicht. Er ist... ich mache mir nichts aus ihm, das ist alles.« »Aber er macht sich einiges aus Ihnen?« »Anscheinend.« Und dann fügte sie noch hinzu: »Das ist bei neunzig Prozent der übrigen Gäste nicht anders. Sonst wäre ich doch nicht schon fünf Monate dort ... Helly tut mir richtig leid. Ab und zu habe ich ihm einen rein schwesterlichen Rat gegeben. Ich würde so gern mit ihr sprechen. Ich...« Das Telefon läutete. Della Street meldete sich, hielt ihre Hand über die Sprechmuschel und betonte: »Es ist für Sie persönlich, Mr. Mason.« Mason zog fragend die Augenbrauen hoch. »Soll ich das Gespräch in die Bibliothek legen?« »Das ist nicht nötig«, erwiderte Mason. »Wer ist denn da?« »Ein Rechtsanwalt«, antwortete Della Street. Durch irgend etwas in ihrer Stimme aufmerksam gemacht, zögerte Mason plötzlich. »Ist es ...« Sie nickte nur. »Dann kann ich es auch erledigen. Mal sehen, was er will.« Mason nahm den Hörer seines Apparates ab, und Della legte einen kleinen Hebel um, durch den die beiden Apparate miteinander verbunden wurden. »Hallo«, sagte Mason. »Perry Mason?« fragte eine Männerstimme. »Ja.« »Hier ist Darwin C. Gowrie, Mr. Mason.« »Ach, Sie sind es, Mr. Gowrie.« »Ja, ich rufe wegen Mrs. Helman Ellis an - das heißt: in Verbindung mit einer Angelegenheit, über die Sie sich gestern mit Mrs. Ellis unterhielten.« »Was kann ich für Sie tun?« fragte Mason. -3 7 -
»Sie haben Mrs. Ellis gestern auf eine hochinteressante Rechtslage aufmerksam gemacht«, meinte Gowrie. »Und ich habe direkt ein schlechtes Gewissen, wenn ich mich jetzt vor einen Frauenklub hinstelle und Ihnen den Ruhm wegschnappe. Wären Sie unter diesen Umständen nicht bereit, ebenfalls hinzukommen, damit jeder weiß, daß Sie mich darauf aufmerksam gemacht haben?« »Oh, nein!« sagte Mason. »Wenn das alles ist, was Ihnen Kummer bereitet, dann haben Sie von mir aus völlig freie Hand. Erzählen Sie den Frauen ruhig, was mit der Sache los ist. Meinen Namen brauchen Sie nicht einmal zu erwähnen.« »Ich habe einen Präzedenzfall nachgeschlagen«, erwiderte Gowrie. »Es ist wirklich hochinteressant und eine ausgesprochen logische Auslegung des Gesetzes. Aber haben Sie sich eigentlich ausgemalt, was passiert, wenn dies in der Öffentlichkeit bekannt wird? Es bedeutet, daß das Spielgeschäft erledigt ist. Keiner dieser Leute ist in der Lage, eine derartige Situation einfach hinzunehmen.« »Da ich für George Anclitas nur das Beste wollte, habe ich natürlich ein bißchen dick aufgetragen«, sagte Mason. »Genaugenommen ist es eine Entscheidung, gegen die Berufung eingelegt werden kann. Ich könnte mir vorstellen, daß der Oberste Gerichtshof oder das Oberste Bundesgericht nicht ganz soweit geht.« »Ich verstehe«, sagte Gowrie, »aber diese Entscheidung ist nun einmal veröffentlicht worden. Die Spieler werden sich jetzt damit auseinandersetzen müssen. Wie sind Ihrer Meinung nach wohl die Auswirkungen, wenn ein verheirateter Mann nach Las Vegas fährt, dort mit wirklich hohen Einsätzen spielt und dabei vielleicht achtzig- oder hundert- oder hundertfünfzigtausend Dollar des Gemeinschaftsvermögens verliert?« Ziemlich ungeduldig erwiderte Mason: »Das weiß ich doch nicht. Darüber kann man sich immer noch Gedanken machen, wenn es soweit ist. Wenn Sie es genau wissen wollen, Gowrie: ich habe hier einen ganzen Stapel von ungewöhnlichen Entscheidungen, bei denen ich das Gefühl habe, daß ich sie bei -3 8 -
passender Gelegenheit vielleicht anführen kann. Was jedoch nicht bedeutet, daß ich nun krampfhaft nach einer Gelegenheit dazu suche. Nehmen Sie zum Beispiel den Fall, daß jemand einen anderen nieder schießt und ihm eine tödliche Verletzung beibringt. Bevor diese Verletzung jedoch tatsächlich zum Tode führt, kommt ein anderer und gibt einen weiteren Schuß auf das Opfer ab, und das Opfer stirbt unmittelbar in Folge dieses zweiten Schusses. Wer ist hier wohl des Mordes schuldig?« Gowrie überlegte eine Weile: »Beide.« »Falsch. Es existieren ein paar sehr begründete Entscheidungen, die gegenteiliger Auffassung sind. Der eine Fall war in Arkansas: Ein Mann versetzte seinem Opfer einen Stich ins Herz; ein zweiter versetzte dem Opfer einen tödlichen Schlag auf den Kopf. Schuldig gesprochen wurde der zweite.« »Was!« rief Gowrie ungläubig. »Doch, doch«, sagte Mason. »Hier in Kalifornien existiert ebenfalls eine schon länger zurückliegende Entscheidung, die zu dem gleichen Ergebnis kam.« Gowrie wurde plötzlich ganz aufgeregt. »Hören Sie zu, Mason. Ich möchte Ihnen keineswegs ins Gehege kommen, aber nachdem Sie mich auf diese Fälle hingewiesen haben, könnte ich sie eigentlich selbst heraussuchen. Aber würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn Sie mir der Einfachheit halber die Aktenzeichen angeben könnten, falls Sie sie haben?« Mason machte Della Street ein Zeichen. »Einen kleinen Moment, Gowrie.« Della Street klappte ein kleines Register auf, überflog die Eintragungen, nahm dann eine Karte heraus und reichte sie Mason. »Ich habe sie schon, soweit sie auf meiner Karte stehen. Da ist der Fall Dempsey: 83 Ark. 81; 102 S. W. 704. Dann der Fall Ah Fat: 48 Cal. 61. Schließlich der Fall Duque: 56 Tex. Cr. 214; 119 S. W. 687.«
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»Das ist allerhand«, regte Gowrie sich auf. »Gesetzt der Fall, ich würde auf Sie schießen, Ihnen eine tödliche Verletzung beibringen, ebenfalls würde ein anderer auf Sie schießen, dessen Schuß ebenfalls tödlich ist, würde ich dann der Anklage auf Mord entgehen ?« »Das möchte ich nicht unbedingt behaupten«, überlegte Mason. »Ich sagte nur, Sie können dann nicht wegen Mordes verurteilt werden - es sei denn, beide Täter handelten übereinstimmend nach einem gemeinsamen Plan, die Tat wäre das Ergebnis einer gemeinsamen Verschwörung oder erfolgte im Verlauf eines Verbrechens. In diesen Fällen hätten Sie sich so oder so - eines Mordes schuldig gemacht. In allen anderen Fällen besagt die Entscheidung meiner Ansicht nach jedoch klar und deutlich: wenn eine Person eine tödliche Verletzung erhielt, jedoch noch nicht tot war, und ein anderer unabhängig vom ersten eine Verletzung verursachte, die unmittelbar zum Tode führt, dann ist der zweite Täter des Mordes schuldig. Ich habe dies jedoch nur als Erläuterung dafür erwähnt, daß ich einen ganzen Stapel ungewöhnlicher Entscheidungen besitze, und die Entscheidung über die Spielverluste gehört zufälligerweise auch dazu. Meinetwegen können Sie sie beliebig verwenden. Da wir gerade bei diesem Thema sind, Gowrie: Ihre Klientin Nadine Ellis glaubt, daß Ellen Robb Ehebruch mit ihrem Mann begangen hat und...« »Keineswegs, keineswegs!« unterbrach Gowrie ihn. »Ich fürchte, Miss Robb hat einen völlig falschen Eindruck bekommen. Ich gebe zu, ihr ein paar Fragen im Zusammenhang mit Helman Ellis gestellt zu haben; genauso offen gestehe ich aber auch, nicht die geringste Ahnung zu haben, was Mrs. Ellis eigentlich vorhat. Es besteht kein Zweifel daran, daß Ellis häufig in The Big Barn war, weil er sich für Ellen Robb interessierte. Ich gebe dem Mädchen nicht die geringste Schuld daran. Ich werfe ihr nicht einmal vor, irgend etwas Unrechtes getan zu haben. Aber als Anwalt von Mrs. Ellis hätte ich natürlich gern genauer gewußt, was sich überhaupt abgespielt hat. Sie können Ihrer Klientin sagen, Mr. -4 0 -
Mason, ich hätte den Eindruck gehabt, sie sei nicht ganz offen zu mir gewesen. Unter den gegenwärtigen Umständen nehme ich es ihr nicht einmal übel; wenn sie jedoch die Absicht hat, sich mit Mrs. Ellis in Verbindung zu setzen, glaube ich, dürfte Mrs. Ellis sehr großzügig und sehr verständnisvoll sein.« »Genaugenommen«, gab Mason zu, »hatte meine Klientin genau diese Absicht. Sie hatte vor, Mrs. Ellis aufzusuchen und sich mit ihr auszusprechen.« »Meiner Ansicht nach wäre das eine wunderbare Idee«, antwortete Gowrie. »Als Anwalt von Mrs. Ellis haben Sie keine Einwände?« »Nicht die geringsten!« »Na schön«, endete Mason. »Dann beschäftigen Sie sich erst mal mit Ihrem Vortrag vor dem Frauenklub. Ich werde meiner Klientin wahrscheinlich den Rat geben, Mrs. Ellis zu besuchen.« Mason legte den Hörer auf und wandte sich an Ellen Robb. »Sagen Sie, Miss Robb, warum gehen Sie eigentlich nicht sofort zu Mrs. Ellis und erzählen ihr einen Teil von dem, was Sie mir eben erzählt haben? Erwähnen Sie Mr. Ellis nicht allzuhäufig, unterhalten Sie sich mit ihr einmal über das Problem der Ehe. Ich bin überzeugt, daß Sie über diese Dinge ziemlich gründlich nachgedacht haben.« »Das habe ich allerdings«, räumte sie ein. »Viele schlaflose Nächte habe ich darüber nachgedacht.« »Gut«, endete Mason. »Sie fahren also zu Mrs. Ellis, und ich werde mich wieder an die Arbeit machen.« Sie schien von der knappen Art, in der Mason das Gespräch beendete, verletzt zu sein. »Ich habe jetzt Geld, Mr. Mason. Ich möchte Sie für Ihre Bemühungen bezahlen.« Mason zögerte einen Augenblick. »Fünfzig Dollar«, rechnete Della Street aus. Ellen Robb griff nach ihrer Handtasche und holte zwei Scheine über zwanzig Dollar und einen über zehn Dollar heraus. -4 1 -
»Wenn Sie mich in mein Büro begleiten wollen«, bat Della Street, »werde ich Ihnen gleich eine Quittung ausstellen.« »Wahrscheinlich können Sie diese Summe im Augenblick erübrigen«, fragte Mason. »Sind Sie eigentlich zu einer gütlichen Einigung gekommen?« »Man hat mir das Geld geschenkt, Mr. Mason. Eine gütliche Einigung war es nicht. Ich sollte damit meine Auslagen bezahlen und ...« »Haben Sie irgend etwas unterschrieben?« fragte Mason. Sie schüttelte den Kopf. »George sagte, mein Wort genüge ihm.« Mason nickte. »Wenn Sie jetzt bitte mitkommen wollen«, unterbrach Della Street die beiden. »Ich gebe Ihnen dann gleich die Quittung.« Als Della in Masons Büro zurückkehrte, griff der Anwalt zu dem Aktenordner mit den dringenden Briefen. »Finden Sie nicht, daß fünfzig Dollar etwas reichlich waren?« fragte er. »Zweihundertfünfzig hätte ich verlangen sollen«, meinte Della Street. »Sie scheinen völlig vergessen zu haben, daß Sie eine Überlandfahrt machten und sich einen halben Tag um die Ohren schlugen, außerdem hatte sie auch noch die Unverschämtheit, hier plötzlich aufzutauchen! Denken Sie immer an das, was ich Ihnen jetzt sage, Chef: Das Mädchen kann einmal zu einer Landplage werden. Ellen Robb hat ein Auge auf Sie geworfen.« »Auf mich?« fragte Mason. »Ausgerechnet auf Sie! Und Sie haben nicht einmal so reagiert, wie sie es sonst von den Männern gewöhnt ist. Sie haben sicher gemerkt, wie sie sich nach vorn beugte, als sie ihre Hände auf die Lehne Ihres Sessels legte?« »Allerdings«, gab Mason zu. »Das war auch ihre Absicht. Nur deswegen hat sie es getan. Ich will Ihnen noch etwas sagen. Sie kann ziemlich gut stenographieren. Als Sie mit Gowrie telefonierten, hat sie mitgeschrieben.« -4 2 -
»Was!« rief Mason ungläubig aus. »Es stimmt.« »Sind Sie überzeugt, daß sie stenographiert hat?« fragte Mason. »Unbedingt«, sagte Della Street. »Die Spitze ihres Bleistifts konnte ich zwar nicht sehen, aber ich konnte beobachten, wie sich ihre Schultern bewegten, und ich würde sogar sagen, daß sie ausgezeichnet und schnell stenographiert und Ihre ganze Unterhaltung mit Gowrie mitgeschrieben hat.« »Das ist allerdings äußerst interessant«, überlegte Mason, und seine Augen verengten sich. »Glauben Sie, daß Gowrie rein zufällig anrief und sein Anruf ausgerechnet während der Anwesenheit von Ellen Robb ein völlig zufälliges Zusammentreffen war?« »Kaum«, erwiderte Della Street.
5 Perry Mason schloß die Tür zu seinem Privatbüro auf und stellte fest: Della Street hatte Besuch von Paul Drake, dem Inhaber der Drake Detective Agency, und sie trank mit ihm zusammen Kaffee. »Tag, Perry«, grüßte Drake. »Della erzählte gerade von dem Fall in Rowena. Eine ziemliche Schweinerei ist das dort. Die ganze Stadt wird von den Lokalbesitzern beherrscht. Es ist eine wohlhabende kleine Gemeinde, wenn man nur an das Geld denkt, das von außerhalb in die Stadt strömt; aber dieser Anclitas, mit dem du dich in die Haare gekriegt hast, ist ein ziemlich übler Bursche.« »Wieso?« »Allzuviel weiß ich nicht von ihm«, antwortete Drake. »Aber eins ist bekannt: daß mit ihm nicht gut Kirschen essen ist. Er greift sofort zu unsauberen Mitteln. Den City Attorney und den Polizeichef hat er sowieso in der Hand. Ich weiß nicht, ob du -4 3 -
dich noch daran erinnerst, aber vor etwa einem Jahr wurde in der Presse mal von einem Fall berichtet.« »In den er verwickelt war?« »Ja. Er hatte Anklage gegen ein Mädchen erhoben, das bei ihm gearbeitet hatte, und behauptete, sie hätte Geld aus der Kasse gestohlen, und dazu noch einen Revolver. Der Revolver wurde dann auch bei ihr gefunden; das Mädchen behauptete allerdings, das Ganze wäre nur ein Komplott. Der Fall wurde untersucht. Ich vermute, das Mädel hat Marihuana geraucht. Die Polizei fand bei ihr nämlich nicht nur den gestohlenen Revolver, sondern auch Marihuana. Der Polizeichef, Georges Freund, nahm dem Mädchen daraufhin die Fingerabdrücke ab und grub mit deren Hilfe beim FBI eine Akte aus, die bewies, daß das Mädchen schon früher wegen eines Rauschgiftdelikts verurteilt worden war.« »Und was passierte dann?« fragte Mason interessiert. »Soweit ich mich erinnere, wurde das Mädel verknackt, stieß jedoch wilde Beschuldigungen gegen George aus und behauptete, die ganze Geschichte wäre abgekartet gewesen. Ich würde die Burschen etwas im Auge behalten, Perry, und vergiß nie, die ganze Stadt ist von ihnen abhängig. Wenn du Ärger mit George Anclitas hast, laß deinen Wagen in Rowena um Himmels willen nie vor einem Löschhydranten auf der Straße stehen, du sitzt für die nächsten sechs Monate bestimmt hinter Gittern. Und wenn man dich einmal erwischt, ohne daß irgendwelche Zeugen in der Nähe sind, wird man dich wegen Widerstand gegen einen Beamten belangen und es auf Grund von Schrammen beweisen, die du im Gesicht hast.« »Reizende Zustände scheinen dort zu herrschen«, meinte Mason. »Das kann man wohl sagen«, meinte Drake. »Aber ich gehe jetzt lieber, Perry. Und du fängst sofort an zu diktieren.« Mitten in Masons Diktat läutete plötzlich Della Streets Apparat. »Hallo«, meldete sie sich, hörte eine Weile zu, verdeckte dann die Sprechmuschel mit der einen Hand und sagte zu Perry Mason: »Ihre Freundin.« -4 4 -
Mason zog die Augenbrauen hoch. »Ellen Robb«, fügte Della Street hinzu. »Wir haben schon genug Zeit an sie verschwendet«, beschloß Mason. »Sie kann doch nicht einfach hier aus und ein gehen, ohne vorher anzu fragen. Gertie soll ihr ausrichten, ich hätte zu tun, ich empfinge Besucher nur nach vorheriger Verabredung und... Vielleicht gehen Sie selbst hinaus, Della, und sagen es ihr. Ich möchte nicht, daß sie glaubt, ich würfe sie hinaus.« »Dann werde ich sie hinauswerfen«, bemerkte Della Street. Sie schob ihren Stuhl zurück, verließ das Büro, und Mason, der weiter diktieren wollte, studierte den Brief, den er gerade beantwortete. Nach etwa dreißig Sekunden fing er an, ungeduldig zu werden. Er legte den Brief hin, nahm eine Zigarette aus dem silbernen Kasten, der auf dem Tisch stand, und zündete sie gerade an, als Della Street zurückkam. »Vielleicht bin ich doch etwas grausam gewesen«, meinte sie. »Was ist denn?« fragte Mason. »Dieses Mal«, erzählte Della Street, »bringt sie eine Geschichte und ein blaues Auge.« »Wie ist sie denn zu dem blauen Auge gekommen?« »Durch George.« Masons Gesicht verdüsterte sich. »Ich fürchte fast«, grunzte er, »George hat langsam einen ordentlichen Denkzettel verdient.« »Daß Sie so reagieren würden, hatte ich mir gedacht.« »Wie ist sie angezogen?« fragte Mason. »Genauso wie gestern«, lächelte Della Street. »Und wahrscheinlich wird sie sich auch wieder vorbeugen und ihre Hände auf die Lehne Ihres Sessels legen. Aber ... ich glaube, Chef, man muß Mitleid mit ihr haben. Sie hat schon eine ganze Menge erlebt, und das einzige, was sie vorzuweisen hat, ist nun einmal ihre Figur. Außerdem hat irgend jemand schon einen Revolver in ihre Tasche gelegt.« »Einen Revolver?« fragte Mason. Della Street nickte. -4 5 -
»Dann ist also anzunehmen«, sagte Mason lächelnd, »Sie haben sie nicht weggeschickt.« Della Street schüttelte den Kopf. »Ich sagte, es wäre eventuell möglich, Sie zu sprechen, aber Sie hätten heute vormittag sehr viel zu tun, und eigentlich wäre es üblich, sich vorher zu verabreden - aber vielleicht wäre es doch möglich. Sie ist ziemlich aufgeregt.« »Dann hören wir uns die Geschichte einmal an«, meinte Mason. »Diese Sache mit dem Revolver - das ist mir völlig unklar. Sagen Sie ihr, sie möchte hereinkommen. Aber ich warne Sie, Della: dieses Mal werde ich sie durch die Mangel drehen!« Wenige Augenblicke später erschien Della Street wieder und schob Ellen Robb vor sich her. Ellen Robb versuchte ein schiefes Grinsen. »Hübsch sehe ich wohl nicht gerade aus«, und damit betastete sie das geschwollene Auge. »Wir wollen uns jetzt nicht unnötig mit Äußerlichkeiten aufhalten«, befahl Mason, »sondern gleich zur Sache kommen. Was war los?« »Das weiß ich nicht. George war gestern abend wahnsinnig schlecht gelaunt. Sobald ich irgend etwas sagte, fuhr er mich an, und schließlich wurde es mir zu bunt, und da habe ich ihm gesagt, ich wollte mir von ihm nichts gefallen lassen. Daraufhin brüllte er mich fürchterlich an.« »Was meinen Sie damit?« fragte Mason. »Ein Anwalt würde es wahrscheinlich als Gebrauch von lauten und gemeinen Wörtern bezeichnen.« »Und dann?« »Dann sagte er etwas, das ich nicht auf mir sitzen lassen wollte, und ich gab ihm eine Ohrfeige, und ... den Beweis für das, was dann kam, trage ich jetzt mit mir herum.« »Hat man Sie daran gehindert, Ihre Sachen zu packen?« »O nein. Ich bin weggegangen und mit einem Taxi in ein anderes Hotel gefahren. Als ich dann heute morgen meine -4 6 -
Sachen auspackte, sah ich auch in meine Reisetasche und ... ja, da lag dann ein Revolver drin.« »Was für ein Revolver?« Ellen Robb öffnete ihre Handtasche. »Dieser hier«, sagte sie. »Ich glaube bestimmt, daß es einer von denen ist, die im Lokal verteilt sind. Drei oder vier hat er, und zwar liegen sie bei den verschiedenen Kassen. Dieser hier sieht ganz genauso aus. Was soll ich jetzt machen?« Mason griff nach dem Revolver und nickte Della Street zu, die ihren Stenogrammblock bereithielt. »Ein Smith & Wesson, Kaliber .38, mit der eingestanzten Nummer C 48 809«, diktierte er. Er drehte vorsichtig die Trommel heraus und stellte fest: »In der Trommel befindet sich eine leere Patronenhülse.« Er legte die Waffe auf die Tischplatte, nahm sie nach wenigen Sekunden jedoch wieder an sich und schob sie in die rechte Jackettasche. »Nehmen wir einmal an, man hat diesen Revolver in Ihre Reisetasche getan«, folgerte Mason. »Wann könnte es geschehen sein: vor oder nach Ihrer Auseinandersetzung mit George Anclitas?« »Vorher. In dem Augenblick, in dem er mich schlug, drehte ich mich um, ging an meinen Schrank und holte meine Sachen heraus. Anschließend ging ich noch in mein Zimmer und packte alles in die Tasche.« »Hätte er in der Zeit, als Sie Ihre persönlichen Sachen aus dem Schrank nahmen, in Ihr Zimmer gehen können?« »Möglich wäre es wohl gewesen, aber irgendwie glaube ich es nicht. Ich weiß nicht. Ich stelle mir vor ... es ist so schwer zu sagen, Mr. Mason, aber ich habe das sichere Gefühl, daß George fest entschlossen war, einen Streit mit mir anzufangen und mich auf diese Weise loszuwerden. Ich glaube, die ganze Sache war sorgfältig geplant und vorbereitet.« »Haben Sie inzwischen mit Mrs. Ellis gesprochen?« »Ich habe es versucht, traf sie aber nirgends an.« -4 7 -
»Was meinen Sie mit >versuchen« »Sie haben eine Jacht. Ich bin zuerst zu ihrem Haus gefahren und wollte mit ihr sprechen. Ich hörte jedoch, sie und ihr Mann wollten mit der Jacht losfahren und wären wahrscheinlich bereits an Bord, um alles vorzubereiten. Ich ging also zur Jacht, aber an Bord war sie auch nicht.« »Haben Sie die Jacht betreten?« »Ja. Ich nahm mir ein Boot, bin hinausgerudert, bin mehrere Male um die Jacht herumgefahren und habe ihren Namen gerufen. Dann bin ich an Bord geklettert. Aber es war niemand da. Ich dachte eine Zeitlang nach und kam dann zu dem Schluß, beide hätten Frieden geschlossen, da sie doch zusammen losfahren wollten, und es sei für alle wahrscheinlich das beste, wenn ich nichts sagte.« »Das war vor Ihrer Auseinandersetzung mit George?« »O ja, lange vorher. Die Auseinandersetzung war doch erst gegen halb elf; allerdings hatte ich die ganze Zeit schon das Gefühl, daß George von dem Augenblick an, als ich zur Arbeit kam, nach einem Vorwand suchte, mir eine herunterzuhauen.« »Wann fing Ihre Arbeit an?« »Um acht.« »Hören Sie zu, Miss Robb«, sagte Mason. »Sie sind in Stenographie ausgebildet, nicht wahr?« Sie schien überrascht zu sein. »Ja. Woher wissen Sie das?« »Sie haben gestern mitstenographiert, was ich am Telefon sagte.« Sie wurde rot, schien verwirrt, um schließlich zu sagen: »Also gut - ja. Ich ... Sie sprachen von mir, und ... Also Sie sprachen mit dem Anwalt von Mrs. Ellis, und ich wollte mir nur merken, was Sie sagten.« »Sie deuteten gestern an, Sie wären verheiratet gewesen?« Sie nickte. »Wollen Sie mir mehr darüber erzählen?« fragte Mason. »Nein.« -4 8 -
»Später ist es Ihnen nicht allzu gut ergangen?« »Das kann man wohl sagen. Ich war damals vierundzwanzig Jahre alt und hielt mich für sehr erfahren. Ich hatte einen Schönheitswettbewerb gewonnen und sah mich schon als Filmschauspielerin in Hollywood. Ich hatte einen wirklich guten Mann, und wahrscheinlich war ich mir in allem zu sicher. Als ihn dann die Unruhe packte und er jeden Abend woanders hinging, spielte ich das eifersüchtige Eheweib in Vollendung. Ich nörgelte dauernd an ihm herum, zankte mit ihm und machte ihm das Zuhause zur Hölle. Direkt in ihre Arme habe ich ihn getrieben. Aber das habe ich Ihnen schon gesagt.« »Und dann?« fragte Mason. »Dann war mir alles völlig egal. Ich zog los und versuchte, von allem, was bisher war, wegzukommen. Ich merkte, eine wirkliche gute Stellung als Stenotypistin war ziemlich schwer zu bekommen. Deshalb ging ich als Garderobenfräulein zum Green Swan. Man bekam dort nur einen kleinen Prozentsatz der eingenommenen Gelder, aber George interessierte sich plötzlich für mich. Er merkte, wie gern ich sang, und bot mir eine gute Stellung mit Gehalt und die Möglichkeit, alle Trinkgelder für mich zu behalten... Hören Sie, Mr. Mason. Ihre Zeit ist kostbar. Wenn ich versuchen wollte, Ihnen meine ganze Laufbahn zu schildern, würde das länger dauern, als ich bezahlen könnte.« »Sind Sie jemals mit dem Gesetz in Konflikt geraten?« »Noch nie.« Mason drehte sich zu Della Street um und sagte dabei: »Entschuldigen Sie uns einen Augenblick, Miss Robb, aber ich möchte eben noch schnell ein Gespräch erledigen.« Er ging um seinen Tisch herum, öffnete die Tür zur Bibliothek und nickte Della Street zu, die sofort aufstand. Dann zog er die Tür hinter sich zu. »Und?« fragte Della. »Es gefällt mir nicht«, überlegte Mason. »Ich habe das Gefühl, man lockt mich in eine Falle.« -4 9 -
»Wer? Ellen Robb?« fragte sie. »George Anclitas«, erwiderte Mason, »und das paßt mir nicht.« »Wie kommen Sie darauf?« »Als ich Montag vormittag zum erstenmal auf der Bildfläche erschien, war George wütend auf mich. Er merkte jedoch, in eine Situation geraten zu sein, aus der er nicht heraus konnte, und daß es für ihn sinnlos wäre, sich zu sträuben oder wütend zu werden. Aus diesem Grunde setzte er alles auf meine Schwäche.« »Auf Ihre Schwäche?« fragte Della Street. »Genau das«, meinte Mason. »Es wäre besser, wenn ich ein hartgesottener Anwalt wäre. Ich hätte zugunsten meiner Klientin einen Vergleich vorschlagen, ein Drittel der Summe für mich verlangen und den entsprechenden Vertrag von beiden unterschreiben lassen sollen. Statt dessen überließ ich es ihr, sich mit George zu einigen, damit sie mir nichts zu bezahlen brauchte, und verschwand wieder. Gerade das war für George jedoch eine vom Himmel gesandte Gelegenheit. Er fing an, Miss Robb zu reizen. Zuerst überwand er sich heldenhaft und entschuldigte sich bei ihr; damit erreichte er, daß sie blieb. Aber die ganze Zeit war er schon fest entschlossen, sie in eine Situation zu manövrieren, in der sie nichts als Ärger haben würde, und wenn ich versuchen würde, ihr zu helfen, würde es mir genauso gehen.« »Der Revolver?« fragte sie. »Ich nehme an, daß er ihr demnächst wegen Diebstahls eines Revolvers einen Prozeß anhängen wird. Vielleicht hat er sogar Rauschgift zwischen ihre Sachen geschmuggelt.« »Und wann wird George seine Falle zuschnappen lassen?« »Wenn ich irgend etwas zugunsten Ellen Robbs unternommen habe.« »Haben Sie das denn überhaupt vor?« »Aber sicher. Ich muß es sogar, um ihre Interessen und auch mein Gesicht zu wahren. Wichtig bei allem ist, Della, daß ich mich auf eine Sache eingelassen habe, die den Interessen der -5 0 -
Spielhöllenbesitzer genau entgegengesetzt ist und bei ihnen einen Aufruhr verursachen könnte. Und damit sind sie gar nicht einverstanden. Irgendwie wollen sie versuchen, mir eins auszuwischen, und Ellen Robb bietet ihnen dazu die Möglichkeit. Schon die ganze Art, nach der die Geschichte ablief, deutet darauf hin, daß alles sorgfältig geplant ist, und zum Überfluß verschaffte er ihr noch ein blaues Auge.« »Sie hat ihm schließlich zuerst eine Ohrfeige gegeben«, betonte Della Street. »Nachdem er sie genügend gereizt hatte«, setzte Mason hinzu. Der Anwalt schwieg ein paar Minuten nachdenklich. »Della«, meinte er schließlich, »wir haben doch eine ganze Revolversammlung im Safe - Waffen, die mir hin und wieder von Klienten übergeben wurden. Ob wohl eine Smith & Wesson dabei ist - eines dieser kurzläufigen Polizeimodelle?« »Das glaube ich bestimmt.« »Bringen Sie das Ding doch mal her«, bat Mason. Della Street ging zum Safe und kehrte nach wenigen Minuten mit dem Revolver zurück. Der Anwalt nahm eine der Patronen heraus, entfernte das Geschoß, schüttete das Pulver aus der Hülse, schob die Hülse wieder in die Trommel, ging zum Wandschrank, in dem verschiedene Mäntel hingen, und drückte den Abzug durch, so daß das Zündhütchen explodierte. Dann steckte er den Revolver in seine linke Jackettasche und ging wieder in sein Büro zurück. »Es tut mir leid, daß Sie etwas warten mußten, Miss Robb«, entschuldigte er sich. »Das macht doch nichts.« »Ist Ellen Robb eigentlich Ihr richtiger Name oder ein Künstlername?« »Wenn Sie es genau wissen wollen, Mr. Mason: kein Mensch kennt mich unter einem anderen Namen als dem der Ellen Robb. Der Mann, mit dem ich einmal verheiratet war, ist inzwischen ein ganz großer Geschäftsmann geworden. Ich -5 1 -
möchte seinen Namen nicht in den ... nicht mit dem in Verbindung bringen, was ich tue.« »Wie sollte die Angelegenheit eigentlich weitergehen?« fragte Mason und zündete sich geistesabwesend eine Zigarette an. »Ich wollte mit dem Bus nach Arizona fahren. In Phoenix wurde mir eine Stellung angeboten. Eine Bekannte hat in einem Nachtklub die Konzession als Fotografin, und ich kann dort als Zigarettenverkäuferin und zugleich aushilfsweise als Garderobenfräulein unterkommen. Aber was soll ich jetzt mit dem Revolver machen?« Mason griff in seine linke Jackettasche, nahm den vorhin dort hineingesteckten Revolver heraus und wog ihn in der Hand, als überlegte er, was er damit nun anfangen könnte. »Ich habe etwas dagegen, daß Sie ihn bei der Polizei abliefern«, überlegte er. »Ich habe den Eindruck ... ja, ich weiß nicht... schließlich können wir keinen Ärger gebrauchen.« Der Anwalt schob ihr die Waffe hinüber. »Vielleicht ist es besser, wenn Sie ihn erst einmal bei sich behalten, Ellen. Aber vergessen Sie nicht, daß Sie ihn uns gezeigt und alles erzählt haben.« »Soll ich ihn in meiner Handtasche aufbewahren?« »Um Himmels willen - nein! Sie haben doch keinen Waffenschein«, rief Mason. »Legen Sie ihn wieder in Ihre Reisetasche, und zwar so, wie Sie ihn fanden.« »Und was soll ich dann machen?« »Bewahren Sie ihn als Beweis auf«, befahl Mason. »Sie haben also keine Ahnung, wie er in die Tasche gekommen ist?« »Nicht die geringste Ahnung.« »Na schön - mehr können Sie im Augenblick nicht tun. Ich werde jetzt gegen Anclitas Klage erheben. Wo sind Sie in der nächsten Zeit zu erreichen?« »Im Surf and Sea Motel in Costa Mesa, Zimmer 19.« »Fahren Sie jetzt ins Motel zurück. Ich möchte immer genau orientiert werden, wo Sie erreichbar sind. Wenn Sie abreisen sollten, geben Sie mir bitte Bescheid.« -5 2 -
»Wenn Sie Anklage erheben, werden Sie sicher noch Geld haben wollen«, sagte sie. »Es ist...« Mason schüttelte den Kopf. »Unnötig. Es sei denn, es kommt irgend etwas Neues hinzu. Das andere ist erledigt. Behalten Sie das Geld, bis es soweit ist. Sie fahren jetzt zum Motel zurück und warten ab. Was ist übrigens mit Helman Ellis? War er dabei, als die Auseinandersetzung zwischen Ihnen und George stattfand?« »Nein.« »Sie sagten vorhin, Sie hätten erfahren, daß er und seine Frau gemeinsam eine Fahrt unternehmen wollten. Wissen Sie, wann die beiden endgültig losgefahren sind?« »Das weiß ich nicht. Helly war gestern abend vor der Auseinandersetzung mit George noch in The Big Barn. Er erzählte, seine Frau hätte ihm das Beiboot weggenommen, so daß er an Bord der Jacht festgesessen hätte. Sie hatten sich gestritten.« »Bleiben Sie mit mir in Verbindung«, sagte Mason. »Ich möchte jederzeit wissen, wo ich Sie erreichen kann.« Impulsiv gab sie ihm die Hand. »Danke, Mr. Mason«, sagte sie. »Das werde ich Ihnen nie vergessen.« »Ich wohl auch nicht«, fügte Mason hinzu. Della Street brachte sie zur Tür, gab ihr die Hand und kam dann zu Mason zurück. »Haben Sie die Revolver vertauscht?« fragte sie. »Allerdings.« »Und sie hat nichts davon gemerkt?« »Hoffentlich nicht«, meinte Mason. »Und hoffentlich war ich nicht unhöflich. Woher hatten wir eigentlich den Revolver, den ich ihr gegeben habe, Della? Und was war mit ihm?« »Nach unseren Unterlagen«, referierte Della Street, »ist der Revolver ein Smith & Wesson Special, Kaliber .38, mit der Nummer I33 347. Vielleicht erinnern Sie sich noch, wie George Spencer Ranger zu uns kam, weil er sich von Ihnen vertreten lassen wollte, Sie fragten ihn, ob er eine Waffe bei sich hätte. -5 3 -
Er sagte, er hätte immer eine Waffe bei sich, aber einen Waffenschein besäße er nicht, weil er keinen brauchte, da er in Arizona zum Deputy Sheriff gewählt worden wäre. Sie rieten ihm damals, die Waffe lieber bei uns zu hinterlegen. Und das war der gleiche Revolver, den Sie Ellen Robb eben gaben.« »Na schön«, sagte Mason. »Bringen Sie den anderen zu Paul Drake. Sagen Sie ihm, er solle erst die Nummer nachprüfen und den Revolver dann zu Maurice Halstead, dem Ballistiker, bringen, mit dem er zusammenarbeitet. Halstead soll mit dem Revolver ein paar Probeschüsse abgeben und die Geschosse aufbewahren. Anschließend möchte ich die Waffe wieder zurück haben. Sie schließen sie dann wieder in den Safe. Falls George Anclitas gegen Ellen Robb Klage wegen Diebstahls eines Revolvers erheben sollte, falls daraufhin ein Durchsuchungsbefehl ausgestellt wird und man die Waffe zwischen ihren Sachen findet, wird er natürlich annehmen, daß alles reibungslos so abläuft, wie er es eingefädelt hat.« »Aber dann werden Sie ihm den Teppich unter den Füßen wegziehen?« fragte Della. »Genau das werde ich tun.« »Was ist dann aber mit dem Revolver, der zwischen Ellen Robbs Sachen gelegt wurde?« Mason grinste. »Wenn Paul Drakes Nachforschungen ergeben, daß es sich um George Anclitas' Revolver handelt, wird dieser Revolver sich eines Tages wieder in George Anclitas' Lokal befinden, und kein Mensch kann beweisen, daß er vorübergehend nicht dort gewesen ist.« »Ist denn das rechtmäßig?« »Ich kenne kein Gesetz«, erwiderte Mason, »das verbietet, dem Eigentümer einen verlorenen Gegenstand zurückzuerstatten.«
6 Als Della Street von Paul Drakes Büro zurück war und den Revolver dort abgegeben hatte, meinte Mason: »Jetzt wollen -5 4 -
wir einmal Gowrie anrufen, Della. Ich möchte gern wissen, wie es ihm heute vormittag geht.« Della Street stellte die Verbindung her und nickte dann Perry Mason zu. Mason nahm den Hörer ab. »Hallo, Gowrie - hier ist Perry Mason.« »Ach, Sie sind es, Mr. Mason. Wie geht es Ihnen?« »Danke, gut. Wir, meine Sekretärin und ich, würden gern zu Ihrem Vortrag vor dem Frauenklub in Rowena kommen, Gowrie. Vielleicht läßt man uns nicht hinein, aber wenn Sie uns als Gäste einladen, wird es wohl keine Schwierigkeiten machen.« Gowrie zögerte einen Augenblick. »Sind Sie noch da?« fragte Mason. »Doch, doch«, antwortete Gowrie, »ich versuche nur, meine Gedanken etwas zu ordnen.« »Was ist denn mit Ihren Gedanken los?« wollte Mason wissen. »Warum müssen Sie sie denn erst ordnen?« »Ich werde den Vortrag in Rowena nicht halten.« »Nicht?« »Nein.« »Warum nicht?« »Aus einem ganz bestimmten Grund: Mrs. Ellis hat die Vereinbarungen nicht bestätigt, die wir getroffen hatten.« »Was meinen Sie damit?« »Ich sollte für den Vortrag vor dem Frauenklub ein Honorar bekommen, und im Zusammenhang mit ihrem eigenen Fall wollte sie mir ein Pauschalhonorar zahlen.« »Und sie hat also nicht gezahlt?« »Nicht einen Cent. Abgesehen davon kann ich sie nirgends erreichen. Ich finde sie nicht. Anscheinend ist sie mit ihrer Jacht unterwegs. Unter diesen Umständen rief ich die Präsidentin des Rowena Women's Club an und teilte ihr mit, daß der Vortrag verschoben werden müsse.« -5 5 -
»So sieht es also aus?« fragte Mason. »Ja, so sieht es aus«, bestätigte Gowrie. »Sie wissen doch selbst Bescheid, Kollege. Als Anwalt kann man seine Ratschläge schließlich nicht kostenlos verteilen.« »Na schön«, schloß Mason. »Rufen Sie mich doch bitte an, wenn Sie irgend etwas über Mrs. Ellis erfahren sollten, ja?« Mason legte den Hörer auf. »Haben Sie das gehört, Della?« Sie nickte. »Im Augenblick«, meinte Mason, »läßt sich wohl nichts weiter tun.« »Ausgenommen die Post«, fand sie. »Wir haben immer noch einen ganzen Stapel wichtiger Briefe zu erledigen.« Mason seufzte, griff nach den Briefen und verbrachte den restlichen Tag damit, die Antworten zu diktieren. Am späten Nachmittag hörten sie von der Tür her Paul Drakes Klopfzeichen. Della Street stand auf und ließ ihn herein. Paul Drake machte es sich in dem weichen Lehnsessel bequem, der in Masons Büro stand, und sagte: »Der Revolver, den ich überprüfen sollte, ein .38er Smith & Wesson mit der Nummer C 48 809 ...« »Was ist mit dem?« »Er gehört zu den vier Revolvern, die an ein und demselben Tage von W. W. Marcus - vollständiger Name: Wilton Winslow Marcus - gekauft wurden. Er soll so eine Art stiller Teilhaber von George Anclitas und dessen Lokalen in Rowena sein. Dieses Restaurant dient als Tarnung für eine Spielhölle.« »Konzession?« fragte Mason. »Offenbar keine. Die beiden haben den Polizeichef von Rowena in der Hand. Dieser Mann hat sie zu einer Art von Sonderbeamten ernannt. Anscheinend ist sowohl Anclitas als auch Marcus so etwas wie ein Spezialist. Auf diese Weise können sie Waffen tragen, ohne eine andere schriftliche Legitimation zu besitzen als ihren Ausweis als Sonderbeamte.« -5 6 -
»Und dieser Revolver gehört zu den vieren, die damals gekauft wurden?« Drake nickte. »Na schön. Und sonst?« »Ich ließ von einem Sachverständigen mehrere Schüsse abgeben und dann dieselben Patronen wieder einsetzen, die sich in der Trommel befanden, als der Revolver mir ausgehändigt wurde.« »Und die Geschosse der Probeschüsse sind unmißverständlich gekennzeichnet worden?« Drake nickte. »Gut«, sagte Mason. »Wo ist der Revolver jetzt?« Drake holte ihn aus der Tasche und übergab ihn Mason. »Paß bloß auf, daß du damit keine Schwierigkeiten bekommst«, warnte er. »Wieso denn Schwierigkeiten, Paul?« »Wenn ich das wüßte! Aber ... du scheinst doch bestimmt anzunehmen, daß mit diesem Ding irgendein Verbrechen begangen worden ist.« »Wie kommst du denn ausgerechnet darauf?« »Sonst hättest du wohl kaum Probeschüsse abgeben lassen.« »Vielleicht wollte ich lediglich genaue Angaben über diesen Revolver haben.« »Was meinst du damit, Perry?« Mason zog die Schreibtischschublade auf, holte ein langes und spitzes Werkzeug heraus, dessen Ende zu einem kleinen Haken umgebogen war, und erklärte: »Mit diesem Ding macht man Stahlgravuren, Paul.« Dann schob er es in den Lauf des Revolvers, zog es langsam wieder heraus und wiederholte den ganzen Vorgang noch einmal. »Was soll das?« fragte Drake. »Wenn man jetzt einen Schuß abgibt, weist das Geschoß zusätzliche und sehr unterschiedliche Kennzeichen zu den -5 7 -
Geschossen auf, die vorher mit dem Revolver abgefeuert wurden. Stimmt das?« »Wenn du ganz sichergehen willst, würde ich noch ein paar Kratzer mehr in den Lauf machen«, sagte Drake. Mason befolgte seinen Rat. »Genügt es jetzt?« »Davon bin ich überzeugt«, sagte Drake. Mason zog die Schreibtischschublade wieder auf und legte den Revolver hinein. Drake beobachtete ihn nachdenklich. »Du weißt hoffentlich, daß es gesetzwidrig ist, Beweise zu verfälschen?« »Beweise wofür?« fragte Mason. »Das weiß ich doch nicht«, gab Drake zurück. Mason grinste. »Kein Mensch kann von uns verlangen, Hellseher zu sein, Paul. Wenn du dich immer danach richten würdest, dürftest du nie irgend etwas verändern. Du dürftest kein Stück Papier aufheben und wegwerfen; du dürftest auch keinen schmutzigen Teller abwaschen. Immer würdest du ein Beweisstück verändern oder sogar vernichten. Ein Gegenstand wird erst dann zu einem Beweisstück, wenn du weißt oder Grund zu der Annahme hast, daß er auf irgendeine Weise mit einem Verbrechen in Zusammenhang steht.« »Du hast aber keinen Grund zu der Annahme, daß dieser Revolver mit einem Verbrechen in Zusammenhang steht?« »Nicht den geringsten!« äußerte Mason bestimmt. »Ich schütze damit lediglich einen Klienten.« »Und das soll genügen?« fragte Drake. »Es wird vielleicht dazu beitragen«, erwiderte Mason. »Ich habe mich auf ein Spiel eingelassen, bei dem ich nicht weiß, welche Karten bisher ausgespielt worden sind; außerdem weiß ich nicht, welche Farbe Trumpf ist.« »Viel Vergnügen«, wünschte Drake. »Bin ich vielleicht froh, daß ich kein Rechtsanwalt zu sein brauche. Noch etwas, Perry, weil ich sonst nämlich nach Hause gehe?« »Im Augenblick nicht.« -5 8 -
Drake stand auf, schlenderte langsam zur Tür, blieb dann jedoch stehen, drehte sich um und blickte Mason an. »Diese Sache in Rowena könnte übel werden«, betonte er. »Ziemlich viel Geld ist in die Geschichte verwickelt.« »Ich weiß«, sagte Mason. Drake zögerte noch einen Augenblick, zuckte dann die Schultern, öffnete die Tür und ging hinaus. Della Street sah Mason an und zog fragend ihre Augenbrauen hoch. »Jetzt wissen wir immerhin«, frohlockte Mason, »daß George Anclitas dieser Revolver gehört. Ich möchte ihn in das Lokal zurückbringen. Wir müssen dazu ...« Der Anwalt wurde von dem Läuten des Telefons unterbrochen. »Das ist Gertie«, sagte er. »Sehen Sie doch einmal nach, was los ist, Della.« Della Street nahm den Hörer ab. »Ja, Gertie?« horchte sie. »Einen Augenblick.« Sie sah Mason an. »Mr. Helman Ellis ist draußen. Es sei sehr wichtig, daß er Sie möglichst bald sprechen könne. Er wisse zwar, daß die Bürozeit vorüber sei, möchte jedoch Bescheid haben, ob Sie ihn trotzdem sofort empfangen könnten.« Mason zögerte, überlegte und entschloß sich schließlich: »Gut holen Sie ihn herein, Della.« »Ich komme hinaus«, gab Della Street Gertie Bescheid und legte den Hörer zurück. »Erledigen Sie erst das übliche«, ordnete Mason an. »Lassen Sie sich seinen Namen geben, genaue Adresse und die Telefonnummer, unter der er zu erreichen ist. Und dann bringen Sie ihn her.« Della nickte und verließ das Zimmer. Wenige Minuten später kam sie zurück. »Mr. Mason - Mr. Ellis.« Mason erhob sich, um seinen Besucher zu begrüßen. Ellis war groß und vielleicht Ende Zwanzig. Er hatte hochliegende Wangenknochen und daher ein fast slawisch wirkendes Gesicht, einen breiten und schmalen Mund sowie strahlend blaue Augen. Er wirkte hager. -5 9 -
Als die beiden Männer sich die Hand gaben, umschlossen seine Finger sehr kraftvoll Masons Hand. »Nehmen Sie Platz«, bat Mason. »Kann ich irgend etwas für Sie tun?« »Das weiß ich nicht«, erwiderte Ellis. »Es hängt davon ab, wieweit Sie dazu in der Lage sind.« »Ich vertrete Ellen Robb.« »Deswegen bin ich hier«, antwortete Ellis. »Was macht Ihnen Kummer?« »Meine Frau.« »Scheidungsfälle übernehme ich nicht«, wehrte Mason ab. »Ich versuche, mich auf meine Aufgaben als Verteidiger zu spezialisieren.« »Meine Frau«, sagte Ellis schlicht, »will Ihre Klientin umbringen.« Mason zog die Augenbrauen hoch. »Grund zur Eifersucht besteht nicht«, betonte Ellis, »aber meiner Meinung nach ist meine Frau vorübergehend wahnsinnig geworden.« »Kommen wir zu den Tatsachen«, lenkte Mason ab. »Sie haben in The Big Barn häufig gepokert, und Sie haben ziemlich hoch verloren, nicht wahr?« »Das stimmt.« »Ihrer Frau ist diese Vorstellung nicht gerade sympathisch?« »Jeder Frau ist die Vorstellung unsympathisch, daß ihr Mann pokert und dabei Geld verliert.« »Und Ellen Robb war in The Big Barn kaum zu übersehen, nicht wahr?« »Dafür hatte man ausreichend gesorgt«, erklärte Ellis. »Und mit der Zeit interessierten Sie sich für sie?« Ellis holte tief Luft und erwiderte: »Mr. Mason, ich liebe sie.« »Und trotzdem sagten Sie eben, Ihre Frau hätte keinen Grund zur Eifer sucht?« »Ich will es anders ausdrücken, Mr. Mason. Ich hatte ... ich habe es bisher für mich behalten.« »Sie meinen, Ihrer Ansicht nach haben Sie es bisher für sich behalten«, sagte Mason. »Was wollen Sie damit sagen?« »Eine Frau spürt derartige Dinge schon von weitem«, erläuterte Mason. »Wenn Sie sich also in Ellen Robb verliebt haben, können Sie überzeugt sein, daß Ihre Frau wußte, an Ihren
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Besuchen in The Big Barn müsse mehr sein als nur der Wunsch zu pokern.« »Von meinen wirklichen Gefühlen weiß sie gar nichts«, sagte Ellis, »weil ich es selbst erst vor kurzem merkte und dabei erkannte, daß ich mich verliebt hatte.« »Sie wußte es schon vor Ihnen«, sagte Mason, »denn weshalb wäre sie sonst eifersüchtig geworden?« »Sie war schon immer eifersüchtig. Sie ist auf jede Frau eifersüchtig, die ich mehr als einmal ansehe.« »Kam so etwas häufiger vor?« »Nicht mehr als üblich.« »Also schön. Erzählen Sie, was passiert ist.« »Ich wußte, daß Nadine, meine Frau, sich in eine entsetzliche Erregung und Spannung hineinsteigerte. Beim Pokern hatte ich zwar Geld verloren - aber ich konnte es mir leisten. Doch machte sie eine Szene. Sie werden diese Dinge kennen - aber eines konnte ich dabei nicht vertragen: daß sie mich zum Betrüger stempeln. Mr. Mason, wenn Nadine tatsächlich Klage gegen George Anclitas wegen der Beträge eingereicht hat, die ich beim Pokern verloren habe, dann bin ich hier und überall als Gauner und Betrüger gebrandmarkt!« »Angenommen nun, es wurde falsch gespielt?« »Das ist natürlich etwas ganz anderes. Wenn man tatsächlich beweisen könnte, daß falsch gespielt wurde, dann sieht die ganze Sache völlig anders aus.« »Gut. Und was ist nun passiert?« fragte Mason. »Erzählen Sie nur das Wichtigste.« »Ich erfuhr, daß meine Frau in The Big Barn eine Szene gemacht hatte. Ich erfuhr ferner, daß Sie ihr einen juristischen Rat gegeben hatten, der sie in die Lage versetzte, das von mir verlorene Geld zurückzubekommen. Ich erfuhr schließlich, daß sie sich einen Anwalt genommen und diesen beauf tragt hatte, Klage zu erheben. Aus diesem Grunde teilte ich Nadine mit, daß wir uns über diese Dinge gründlich aussprechen müßten. Wir beschlossen, gemeinsam eine Fahrt mit unserer Jacht zu unternehmen. Auf diese Weise wären wir ungestört geblieben und hätten versuchen können, alles zu regeln. Schon früher -6 1 -
hatten wir es so gemacht, wenn eine Krise entstanden war, und immer war alles wieder gut geworden.« »Wie lange sind Sie verheiratet?« fragte Mason. »Sieben Jahre.« »Schön. Erzählen Sie weiter. Was geschah dann?« »Wir verließen das Haus, um zur Jacht zu fahren. Den Nachbarn teilten wir mit, daß wir wahrscheinlich am nächsten Tag, vielleicht aber auch erst am übernächsten, zurückkommen würden. Aus diesem Grunde kauften wir auf der Fahrt zur Jacht noch einige Vorräte ein. Anscheinend erschien kurz nach unserer Abfahrt von zu Hause Ellen Robb. Sie wollte meine Frau sprechen. Die Nachbarn sagten ihr, daß wir zur Jacht gefahren wären. Ellen fuhr ebenfalls hin, mietete sich ein Boot und ruderte zum Ankerplatz der Jacht hinaus. Sie fuhr einige Male um die Jacht herum und rief ein paar mal. Dann machte sie das Boot an der Jacht fest und kletterte an Bord. Als sie niemanden antraf, stieg sie wieder ins Boot und ruderte zurück. Das war jedoch der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte. Während Ellen an Bord der Jacht war, hat sie offensichtlich ein Taschentuch verloren, in dem ihr Name eingestickt war. Als wir die Jacht dann betraten und in die Kajüte gingen, da ... da fand meine Frau Ellens Taschentuch. Und das löste alles nun folgende aus. Meine Frau war außer sich. Sie weigerte sich, mich auch nur anzuhören. Als das alles passierte, hatte ich natürlich noch keine Ahnung, wie Ellens Taschentuch auf die Jacht gekommen war. Ich glaubte, irgend jemand hätte es heimlich hingebracht. Ich versuchte, meiner Frau klarzumachen, daß irgend jemand versuchte, mich damit in einen schlechten Ruf zu bringen, daß vielleicht meine Mitspieler versuchten, sie selbst auf diese Weise von dem Gedanken abzubringen, das von mir verlorene Geld zurückzufordern.« »Und dann?« »Nadine war wie verrückt. Mr. Mason, sie wurde vorübergehend wahnsinnig. Sie nahm den Revolver ...« -6 2 -
»Welchen Revolver?« frage Mason. »Den Revolver, den wir immer an Bord der Jacht ließen - als Schutz während der Fahrt oder auch im Hafen.« »Sonst haben Sie keine Waffe bei sich?« »Nein. Den Revolver ließen wir immer auf der Jacht, denn sonst hätten wir ihn doch nie gebraucht. Ich weiß, daß schon verschiedentlich Jachten überfallen worden sind, die im Hafen lagen - meistens von jungen Rowdies, die dann ziemlich gemeine Sachen anstellten: die Männer fesselten, den Frauen übel mitspielten, Geld stahlen und so weiter.« »Um welche Art von Revolver handelte es sich?« fragte Mason. »Smith & Wesson.« »Woher haben Sie ihn?« »Ich bekam ihn geschenkt.« »Von wem?« »Von George.« »Von George Anclitas?« »Ja.« »Erinnern Sie sich an die Fabrikationsnummer des Revolvers?« »Um Himmels willen, nein!« »Wie kam George dazu, Ihnen den Revolver zu schenken?« »George und ich hatten uns schon seit mehreren Wochen angefreundet. Ich machte gern ein Spiel und ... na ja, wir spielten mit verschiedenem Erfolg: manchmal gewann ich, manchmal George, wir freundeten uns an. Zufällig bekam ich diesen Revolver einmal zu Gesicht, als George sich mit seinem Teilhaber über Waffen unterhielt. Sie hatten gerade irgendeine Wette abgeschlossen. George erklärte, er hätte mehrere Revolver im Lokal verteilt, so daß bei einem Überfall jeder sofort einen Revolver zur Hand hätte. Ich sagte bei dieser Gelegenheit, ich beabsichtigte, mir für die Jacht einen Revolver zu beschaffen, weil ich gerade gelesen hatte, daß eine Gruppe von drei Rowdies ein Boot überfiel, den Besitzer fesselte und ... Wenigstens drückte er mir damals sofort den Revolver in die Hand und meinte, ich könnte ihn behalten.« »Wo befindet sich dieser Revolver jetzt?« »Das sagte ich bereits: Nadine hat ihn an sich genommen.« »Sie nahm den Revolver an sich, gut. Aber was passierte danach?« »Sie sagte, sollte ich mich mit meiner Mätresse an Bord der Jacht treffen, werde sie alles tun, um es zu verhindern. Sie sagte, es -6 3 -
gäbe ein ungeschriebenes Gesetz, sie müsse Ellen töten. Es war eine entsetzliche Szene. So wie bei dieser Gelegenheit habe ich sie noch nie erlebt. Sie war ausgesprochen wahnsinnig geworden.« »Was tat sie dann?« »Sie sprang in das Beiboot, ruderte weg und ließ mich allein auf der Jacht zurück.« »Haben Sie nichts getan, um es zu verhindern?« »Versucht habe ich es natürlich. Wenn ich dicht genug an sie herangekommen wäre, Mr. Mason, hätte ich sie bestimmt niedergeschlagen und ihr den Revolver abgenommen - aber dafür war sie zu gerissen. Sie hielt mich in einer bestimmten Distanz und bedrohte mich mit dem Revolver. Ich bin überzeugt, sie wollte mich töten. Zu diesem Zeitpunkt war sie fest entschlossen, mich an Bord der Jacht zu beseitigen, dann Ellen zu erschießen und anschließend Selbstmord zu verüben.« »Aber warum ließ sie Sie allein auf der Jacht zurück?« »Weil sie fürchtete, ich würde sonst Ellen zu warnen versuchen.« »Weiter«, sagte Mason. »Was geschah dann?« »Das ist alles, was ich weiß. Sie ruderte in dem Beiboot an Land. Ich saß auf der Jacht fest, und zwar bis gegen halb zehn. Dann erst gelang es mir, eine andere Jacht auf mich aufmerksam zu machen und an Land zu kommen.« »Hätten Sie denn nicht den Motor Ihrer Jacht anlassen und an den Pier fahren können?« »Das war aussichtslos«, sagte Ellis. »Sie hatte doch den Zündschlüssel mitgenommen. Ich hatte extra ein Sicherheitsschloß anbringen lassen, so daß der Motor ohne Zündschlüssel einfach nicht anzulassen war. Ein Elektriker hätte die Zündung vielleicht kurzschließen können, ohne das Sicherheitsschloß aufzubrechen, aber ich kenne mich in diesen Dingen nicht aus, und außerdem bin ich nicht einmal überzeugt, daß es überhaupt möglich ist. Das Schloß hatte ich anbringen
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lassen, damit die Jacht nicht gestohlen werden konnte und damit kein Mensch zum Spaß damit herumfahren konnte. Es ist übrigens keine besonders große Jacht, Mr. Mason. Sie ist nur knapp dreizehn Meter lang. Dafür ist sie sorgfältig und mit sehr viel Luxus ausgestattet worden, ich habe eine ganze Menge Geld ausgegeben, um sie behaglich einzurichten.« »Also schön«, wiederholte Mason. »Um halb zehn waren Sie wieder an Land. Und dann?« »Dann versuchte ich, meine Frau zu finden, was mir jedoch nicht gelang. Ich fuhr schließlich zu Ellen, um mit ihr zu sprechen, aber ohne sie unnötig aufzuregen. Ich sagte nur, sie solle vorsichtig sein, meine Frau befände sich auf dem Kriegspfad. Daraufhin machte ich mich wieder auf die Suche nach Nadine. Erst heute morgen tauchte meine Frau kurz zu Hause auf. Sie stieß neue Drohungen aus. Sie sagte, ich hätte mich mit Ellen Robb heimlich an Bord der Jacht getroffen und sie würde das ganze Boot nach Fingerabdrücken untersuchen lassen, um es auch beweisen zu können. Außerdem sagte sie, nach ihrem Gefühl wartete Ellen auf der Jacht, wenn das stimmte, brächte sie sie um.« »Was taten Sie daraufhin?« »Nichts. Ich wußte doch, daß Nadine auf einer völlig falschen Spur war. Deshalb ließ ich sie ruhig gehen ... Ich wollte Ihnen jedoch Bescheid sagen, daß meine Frau sich in einem Zustand befindet, in dem sie zu allem fähig ist, damit Sie Schritte unternehmen können, um Ellen zu schützen.« »Wissen Sie, daß Ellen Robb und George Anclitas eine Auseinanderset zung hatten?« »Um was ging es denn?« »Er warf sie hinaus und schlug ihr ein Auge blau«, berichtete Mason. »Was?« rief Ellis und richtete sich auf. »Er hat ihr ein Auge blau geschlagen«, wiederholte Mason. -6 5 -
»Dafür werde ich ihn umbringen«, tobte Ellis los. »Das ... das ist flegelhaft, gemein, hinterhältig ...« Ellis verstummte, und sein Mund war nur noch ein schmaler, verkniffener Strich. »Im Auftrag von Miss Robb«, fügte Mason hinzu, »werde ich Anklage gegen George Anclitas und Konsorten erheben, und zwar verlange ich sechstausend Dollar Schadenersatz wegen Diffamierung und tausendfünfhundert Dollar Schmerzensgeld.« »Mr. Mason«, gab Ellis zu, »ich bin jetzt doch überzeugt, daß damals falsch gespielt worden ist. Ich glaube, daß ... ich glaube, daß Ellen Ihnen einiges erzählen könnte. Und ich werde mich an George Anclitas rächen. Wenn er Ellen geschlagen hat, werde ich ihn so verprügeln, wie er es in seinem ganzen Leben noch nicht erlebt hat. Ich werde ...« »Und welchen Eindruck wird es machen, wenn Ihre Frau auf Scheidung klagt und Ellen Robb als Scheidungsgrund benennt?« fragte Mason. Ellis' Gesicht verriet seine Bestürzung. »Es gibt nun einmal Dinge, die Sie berücksichtigen müssen«, meinte Mason trocken. »Hören Sie zu«, bat Ellis. »Ich will in dieser Angelegenheit tun, was ich kann, Mr. Mason. Ich möchte - ich möchte die Kosten übernehmen, die Ihnen durch die Anklageerhebung gegen George Anclitas entstehen.« »Und wie würde sich ausgerechnet das bei einer Scheidung ausnehmen?« fragte Mason. Ellis zögerte und sagte schließlich: »Gut. Ich habe in The Big Barn rund zehntausend Dollar verloren. Heute bin ich überzeugt, daß falsch gespielt wurde. Wenn Sie in meinem Auftrag versuchen wollen, diese zehntausend Dollar zurückzuholen, zahle ich Ihnen fünfzig Prozent der zurückerhaltenen Summe und sämtliche Unkosten, die Ihnen dabei entstehen. Sie können Detektive einsetzen oder sonst tun, was Sie für richtig halten.«
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»Für diesen Auftrag komme ich von vornherein nicht in Frage«, lenkte Mason ab. »Ich habe bereits Ihre Frau beraten kostenlos natürlich - und ihr gesagt, daß sie den Betrag, der zum Gemeinschaftsvermögen gehört und der beim Spiel verloren wurde, vermutlich zurückbekommen könnte, ungeachtet der Tatsache, ob nun falsch gespielt wurde oder nicht.« »Dazu möchte ich nur eines sagen«, meinte Ellis. »Sie haben in Rowena einen ziemlichen Wirbel ausgelöst. George ist zu fast allem bereit, damit diese Information nicht in die Öffentlichkeit dringt. Sie wissen wahrscheinlich, daß meine Frau die Absicht hatte, einen Anwalt namens Gowrie auf einer Versammlung über dieses Thema sprechen zu lassen und daß George diesen Mann prompt bestach.« Mason zog die Augenbrauen hoch. »Ihn bestach?« »Ja - aber natürlich nicht direkt. Er ging nicht einfach zu Gowrie und bot ihm Geld für den Fall, daß der Vortrag nicht stattfände. Gowrie hat jetzt nur ein paar neue Klienten mit einigermaßen bedeutenden Aufträgen, die ihm vermutlich zu verstehen gaben, daß sie sehr betrübt wären, wenn er ausgerechnet über dieses Thema vor dem Frauenklub von Rowena sprechen würde.« »Mir erzählte er«, meinte Mason, »daß er Ihre Frau nicht erreichen könne.« »Davon bin ich überzeugt; er wollte ihr jedoch lediglich mitteilen, daß er den Vortrag verschieben müsse - aus Zeitmangel. Wahrscheinlich wollte er ihr außerdem mitteilen, daß er nach gründlichem Studium der Dinge zu dem Entschluß gekommen sei, das Thema wäre nicht ganz passend.« »Woher wissen Sie das alles?« »Er hat mit mir telefoniert. Und er war zu dieser Ansicht gekommen«, erklärte Ellis. »Na schön«, versicherte Mason. »Ich werde mir Ihre Informationen einmal durch den Kopf gehen lassen. Sollten Sie Kontakt mit Ihrer Frau bekommen, dann geben Sie mir bitte sofort Nachricht.« -6 7 -
»Sagen Sie, Mason: ist Ellen in Sicherheit? Das interessiert mich vor allem. Können Sie für ihre Sicherheit garantieren?« »Für die Sicherheit eines anderen kann ich nie garantieren«, gab Mason zurück. »Und die Polizei?« »Kann es auch nicht«, erwiderte Mason. »Wenn die Polizei versuchen würde, jeder Frau, der von einer eifersüchtigen Ehefrau der Tod angedroht ist, einen Leibwächter mitzugeben, blieben nicht genug Beamte übrig, um den Verkehr zu regeln.« »Aber sie befindet sich doch in akuter Gefahr!« »Das ist möglich«, antwortete Mason. »Sie ist jedoch ziemlich gut versteckt. Ich werde sie für die nächste Zeit auch weiterhin versteckt halten, und ich bin Ihnen für Ihre Mitteilungen äußerst dankbar.« »Sie scheinen die Angelegenheit sehr kaltblütig zu betrachten«, ereiferte Ellis sich. »Ellen Robb ist eine hübsche, eine süße und liebe junge Frau. Oh, ich weiß genau, daß sie schon einiges hinter sich hat, aber im Grunde ist sie eine großartige, junge, liebe, anständige Frau und... Mason, Sie können sich doch nicht einfach bequem hinsetzen und zusehen, wie meine Frau mit einem Revolver in der Hand herumläuft?« »Wo hält sich Ihre Frau jetzt vermutlich auf?« »In Arizona, nehme ich an. Nach allem, was geredet wurde, wollte Ellen eine Stellung in Phoenix annehmen, in einem Nachtklub. Sie hatte irgend welche Verbindungen dorthin, und wahrscheinlich ist Nadine ebenfalls hingefahren. Wenn Ellen noch hier sein sollte, hoffe ich von Herzen, daß Nadine in Arizona ist - vielleicht hat sie sich etwas beruhigt, bis sie zurückkommt.« »Wir werden sehen, was sich dabei tun läßt«, überlegte Mason. »Ich werde mein möglichstes versuchen, um meine Klientin zu schützen. Aber begreifen Sie bitte, daß wir in einer derartigen Situation keinen vollkommenen Schutz bieten können; das kann selbst die Polizei nicht.«
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»Hören Sie, Mr. Mason«, bat Ellis, »wenn die Polizei sie nicht schützen kann, können wir vielleicht ein paar private Leibwächter engagieren. Ich werde alle Kosten übernehmen egal, was es kostet; bewaffnete Leute, die Tag und Nacht auf sie aufpassen.« »Und wie wird sich das bei einem Scheidungsprozeß ausnehmen?« fragte Mason. Ellis dachte über die Bemerkung des Anwalts nach. »Allem Anschein nach sind mir also die Hände gebunden«, resignierte er und erhob sich. »Ich möchte jedoch wiederholen, Mr. Mason, daß sich Ihre Klientin in einer akuten Gefahr befindet - und ich auch.« Mason nickte nur. Ellis schien immer noch nicht gehen zu wo llen, aber Mason erhob sich und deutete damit an, daß die Unterhaltung beendet wäre. Kaum hatte Ellis das Büro verlassen, als Mason Della Street ansah. »Holen Sie schnell Paul Drake, Della, falls er noch nicht nach Hause gegangen ist. Er soll sofort rüberkommen.« Es war noch nicht einmal eine Minute vergangen, als Drake in Masons Büro saß. »Ellen Robb wohnt im Surf and Sea Motel in Costa Mesa«, unterrichtete ihn Mason. »Sie ist unter ihrem wirklichen Namen eingetragen. Möglicherweise schwebt sie in Gefahr. Eine aufgebrachte Ehefrau ist anscheinend auf der Suche nach ihr, und bewaffnet ist diese Frau auch.« »Leibwache?« fragte Drake. »Leibwächter«, befahl Mason, »und zwar zwei oder noch mehr, und ohne daß sie irgend etwas merkt. Ich möchte, daß das Motel überwacht wird. Deine Leute sollen sich so aufbauen, daß sie Ellen Robbs Apartment-Zugang dauernd beobachten können. Sollte irgendeine Frau nach Ellen Robb fragen oder sollte überhaupt eine Frau auftauchen, müssen deine Leute sofort eingreifen. Wenn die Frau etwa siebenundzwanzig Jahre alt, rothaarig und gut gebaut, wenn auch nicht gerade üppig, ist, -6 9 -
sollen deine Leute sie unter irgendeinem Vorwand aufhalten, und wenn die Frau sich Nadine Ellis nennt - also Mr. Ellis' Frau ist -, haben deine Leute in Aktion zu treten.« »Wieviel Aktion?« »Das hängt von den Umständen ab«, erwiderte Mason. »Vielleicht läßt sie sich ablenken, und wenn nicht, dann ... dann laßt sie nicht aus den Fingern. Sollte diese Frau mit Ellen Robb sprechen, hat mindestens einer deiner Leute dabei zu sein. Ich möchte sichergehen, daß Mrs. Ellis keine Gelegenheit findet, plötzlich einen Revolver zu ziehen und in der Gegend herumzuknallen.« »Das ist klar«, stimmte Drake zu. »Das ist für uns nichts Neues. Ich habe dafür ein paar gute Leute. Aber es geht natürlich ins Geld. Wie lange soll das Ganze ungefähr dauern?« »Solange die Möglichkeit besteht, daß etwas Derartiges passiert«, ant wortete Mason. »Und wie lange könnte es ungefähr dauern?« »Bis wir Mrs. Ellis gefunden haben und klarer sehen.« »Gut«, sagte Drake. »Wird sofort erledigt.« Als Drake gegangen war, wandte Mason sich an Della Street. »Jetzt besteht also nur noch das Problem mit dem Revolver.« »Was meinten Sie damit?« »George Anclitas hatte zu Beginn vier Revolver«, zählte Mason auf. »Einen verschenkte er - bleiben drei. Einer tauchte dann zwischen den persönlichen Sachen der Ellen Robb auf. Voraussichtlich wird George behaupten, daß er gestohlen ist. Demnach hat er immer noch zwei Revolver.« »Und was wollen Sie damit sagen?« fragte Della Street. »Ich möchte die vier Revolver nicht durcheinanderbringen«, erklärte Mason. »Der District Attorney behauptet schließlich immer wieder, ich brächte bei den Verhandlungen immer neue Revolver zum Vorschein, um mit ihnen herumzujonglieren und ...« »Und genau das haben Sie auch diesmal wieder getan«, stellte Della Street fest. -7 0 -
»Das habe ich tatsächlich. Aber wäre es nicht nett, wenn George Anclitas zu seiner maßlosen Überraschung feststellt, daß ausgerechnet Ellen Robb einen seiner Revolver gestohlen hat? Natürlich wird er sich sofort einen Durchsuchungsbefehl beschaffen und ihr Gepäck durchstöbern lassen; die Beamten werden natürlich die Waffe finden, und George wird Ellen verklagen lassen. Der Fall kommt vor Gericht, und wenn dann der Revolver als Beweis vorgelegt wird, werde ich darum bitten, daß die Fabrikationsnummer nachgeprüft wird. Dabei wird man feststellen, welche Nummern Georges Revolver haben und daß der Revolver, der sich in Ellens Gepäck fand, überhaupt nicht aus dem Lokal des George Anclitas gestohlen ist.« »Und dann?« lächelte Della. Mason grinste vergnügt. »Dann werden wir George Anclitas zum zweitenmal wegen Diffamierung verklagen. Vielleicht lernt er noch, eine Frau nicht nach Lust und Laune zu behandeln und zu verprügeln.« »Angenommen jedoch«, überlegte Della Street, »man kommt dahinter, daß Sie George Anclitas' Revolver hier aufbewahren?« »Wie kommen Sie denn nur darauf!« rief Mason. »So etwas würde mir nicht einmal im Traum einfallen! Ich habe doch schon gesagt, daß wir ihn seinem Besitzer zurückerstatten werden, sobald wir wissen, wem er gehört.« »Sie wollen ihn ihm also zurückgeben?« fragte sie augenzwinkernd. »Ich habe gesagt, daß wir ihm die Waffe zurückerstatten«, erwiderte Mason grinsend. »Haben Sie schon einen Plan?« fragte sie. »Unten in dem Lokal«, entwarf er seinen Plan, »tut man in die Drinks runde Eisstückchen, die etwa zweieinhalb Zentimeter Durchmesser und in der Mitte ein Loch haben, und ...« »Weiter«, drängte Della Street, als Mason sich unterbrach und anfing; unterdrückt zu lachen.
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»Ich nehme an«, überlegte Mason, »daß das Eis in einem Rohr entsteht. Es gibt Anlagen, bei denen ein doppelwandiges Rohr mit Wasser gefüllt, das Wasser zum Frieren gebracht, das Eis dann aus dem Rohr herausgezogen und in Stücke geschlagen wird. Angenommen, Della, Sie gingen einmal hinunter und redeten mit den Leuten, ob man Ihnen nicht ein Stück von ... von ungefähr fünfundzwanzig Zentimetern geben könnte?« Della Street schaute ihn eine Zeitlang fragend an. Dann lächelte sie plötzlich. »Ich gehe schon. Wahrscheinlich wollen wir das Beweisstück auf Eis legen.« »Ganz im Gegenteil«, betonte Mason. »Wir werden ein hartes Herz zum Schmelzen bringen. Nehmen Sie einen Schuhkarton mit, Della, und füllen Sie ihn zur Hälfte mit Trockeneis.« Della Street nickte und verschwand. Mason wanderte wieder hin und her, als Della Street - einen Schuhkarton unter dem Arm - zurückkehrte. »Haben Sie es?« fragte Mason. Sie nickte, griff in den Karton mit Trockeneis und holte eine fünfundzwanzig Zentimeter lange Eisstange hervor. »Sehr schön«, sagte Mason. »Jetzt wollen wir mal sehen, ob es stark genug ist.« Der Anwalt holte den Revolver heraus, den Ellen Robb ihm gegeben hatte, schob die Eisstange durch den Abzugsbügel, stellte dann zwei Stühle mit den Rückenlehnen zueinander und hängte den Revolver so dazwischen, daß die Eisstange auf den beiden Lehnen auflag. »Ausgezeichnet!« Er war befriedigt, baute alles wieder ab und legte die Eisstange in den Karton zwischen das Trockeneis. »Was jetzt?« fragte Della Street. »Jetzt«, Mason geriet in Bewegung, »fahren wir nach Rowena. Ich halte hinter The Big Barn, und zwar in der Nähe des Eingangs zum Motel. Sie steigen aus, gehen am Motel vorbei, um den Swimming-pool herum und durch den Hintereingang in The Big Barn. Dann gehen Sie zur Damentoilette ...«
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»Immer mit dem Schuhkarton unter dem Arm?« fragte Della Street. Mason schüttelte den Kopf. »Bis dahin haben Sie eine Handtasche. Die Tasche ist mit Trockeneis gefüllt und enthält ferner diese Eisstange und den Revolver. Auch den Hohlraum im Eis füllen wir mit Trockeneis aus. Sie gehen also in die Damentoilette und sehen zu, wo der Revolver sich am besten verstecken läßt: entweder ganz hoch oben in einer Ecke, indem Sie die Eisstange über Eck auf die Zwischenwände legen, oder noch besser, wenn Sie ein Waschbecken finden, dessen Leitungen nicht verkleidet sind. Das müßte eigentlich möglich sein. In diesem Fall legen Sie die Eisstange zwischen die beiden Abstellhähne, die sich unter dem Becken befinden: einer für Heißwasser, der andere für Kaltwasser.« »Und dann?« fragte sie. »Nach einer bestimmten Zeit, die von der Temperatur abhängt, schmilzt die Eisstange, und der Revolver fällt auf den Boden. Das Eis wird zu Wasser, und irgend jemand findet dann den Revolver.« »Und wird man das Ganze nicht mit uns in Verbindung bringen?« fragte Della. »Wenn Sie es richtig anstellen«, überlegte Mason, »und dazu um diese Zeit durch den Hintereingang gehen, wird kein Mensch Sie sehen. Am liebsten würde ich Sie gar nicht darum bitten, Della, aber ich bin Anwalt, habe einen Ruf zu verlieren, habe Interessen zu vertreten, die denen von George Anclitas entgegengesetzt sind, und kann es mir nicht leisten, mit ihm zu sprechen, ohne daß sein Anwalt dabei ist. Außerdem möchte ich, daß der Revolver ausgerechnet in der Damentoilette gefunden wird.« »Weshalb?« fragte sie. »Weil sich dort immer jemand von den Angestellten befindet«, erklärte Mason, »und weil die Damentoilette unmittelbar neben dem Hintereingang liegt, durch den man zum Motel kommt. Sie können unbemerkt hinein schlüpfen, warten, bis jemand kommt, verstecken den Revolver, geben der Angestellten ein Trinkgeld -7 3 -
und kommen wieder zurück. Ich warte im Wagen auf Sie. Wir werden das Innere der Eisstange mit Trockeneis füllen, so daß sie nicht so schnell schmilzt. Wenn der Revolver herunterfällt, wird entweder die Angestellte ihn bemerken, oder aber ein weiblicher Gast wird ihn finden, und zwar wenige Minuten, nachdem er auf den Boden gefallen ist. Wenn wir Glück haben, wird die Angestellte beschwören, daß der Revolver erst seit höchstens vier Minuten dort gelegen haben könnte.« »Aber bis dahin werden wir schon lange wieder weg sein?« fragte Della Street. »Schon lange«, lachte Mason. »Begehe ich damit ein schweres Vergehen?« »Ich habe Ihnen vorhin schon gesagt, daß wir lediglich einen verlorenen Gegenstand zurückerstatten. Das ist sehr lobenswert.« »Und nicht Unterschlagung von Beweisen?« »Beweis wofür?« »Für einen Diebstahl.« »Ich habe nichts gestohlen«, grinste Mason. »Und wie ist es mit Ellen Robb?« »Sie ist eine Klientin von mir.« »Sie ist eine Klientin von Ihnen«, sagte Della Street nachdenklich, »aber begehen Sie wegen dieses Mädchens nicht gleich Selbstmord! Ellen Robb weiß genau, auf welcher Seite das Brot mit Butter bestrichen ist, und sie läßt sich kein Brot andrehen, das nicht mit Butter bestrichen ist.« Mason spöttelte: »Was bedeuten soll, daß sie alle Menschen einwickelt?« - »Und besonders ihren Anwalt«, fügte Della Street hinzu. »Meiner Meinung nach sollten Sie bei dieser Gelegenheit etwas mehr an sich denken.« Mason nickte zustimmend. »Deswegen will ich den Revolver doch gerade dahin zurückbringen, wo er hingehört.« »Was wird George Anclitas wohl sagen, wenn er erfährt, daß der Revolver in der Damentoilette gefunden wurde?« -7 4 -
»Das«, meinte Mason, »hängt ganz von dem ab, was er vorhat.« »Glauben Sie denn, daß George Anclitas Ellen Robb wegen Diebstahls verklagen will?« Masons Stirn legte sich in tiefe Falten. »Ich gäbe etwas drum, Della, wenn ich die Antwort auf diese Frage schon wüßte. Als er den Revolver zwischen Ellens Sachen stopfte, war ich überzeugt, daß er genau das wollte; aber worauf wartet er denn noch? Er wartet irgend etwas ab. Aber was?« »Vielleicht will er erst wissen, wo sie jetzt ist?« überlegte Della Street. »Das bezweifle ich - und noch etwas anderes macht mir Kummer.« »Was denn?« »Angenommen, er hat etwas ganz anderes vor?« »Was könnte es denn sein?« »Das weiß ich nicht«, sorgte sich Mason. »Ich möchte jedenfalls, daß er diesen Revolver zurückbekommt. Ich möchte, daß der Revolver in der Damentoilette gefunden wird, und zwar von seiner Angestellten. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird der Fund ihr einen gewaltigen Schrecken einjagen: Sie wird Lärm schlagen, und ... George wird jedenfalls mit Bestimmtheit erfahren, daß sein Revolver wieder da ist. Und sein Verdacht wird natürlich auf sie fallen. Er wird ferner zu dem Schluß kommen, daß er mit seiner Klage gegen Ellen Robb zu lange gewartet hat. Sie hat den Revolver gefunden, und es ist ihr irgendwie gelungen, ihn zurückzubringen. George wird schnauben.« »Wann fahren wir?« fragte Della Street. »Gehen Sie erst noch in das Handtaschengeschäft an der Ecke«, trug er ihr auf, »und besorgen Sie eine Ledertasche, in die wir die Eisstange, das Trockeneis und den Revolver hineintun können. Anschließend fahren wir.«
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7 Perry Mason ließ den Wagen langsam ausrollen. »Alles klar, Della?« Della Street legte ihre Hand auf den Türgriff. »Alles klar.« »Noch eins«, erläuterte Mason. »Es besteht natürlich eine geringe Möglichkeit, daß irgend etwas bei Ihnen oder hier schiefgeht; wenn man Sie erwischt, lassen Sie mich holen. Ich komme sofort, und dann werden wir schon weitersehen. Ich werde dann feststellen, daß Sie meine Instruktionen befolgten und daß ich einen Revolver zurückerstattete, der meiner Klientin untergeschoben worden ist. Das ist der Punkt, von dem wir immer ausgehen. Jetzt passen Sie auf, Della. Ich möchte nicht, daß Sie irgend etwas riskieren. Sollte etwas nicht klappen, verschwinden Sie sofort; ich werde dann gleich kommen und die Verantwortung übernehmen. Verstanden?« Sie zögerte einen Augenblick, bis sie schließlich nickte. »Außerdem noch folgendes: auf gar keinen Fall nehmen Sie die Verant wortung auf sich, falls Sie in Schwierigkeiten geraten. Andererseits kann es auch passieren, daß hier draußen irgend etwas schiefgeht, daß man mich hier draußen erkennt. Ich fahre nachher um den Block und warte mit eingeschaltetem Licht dort drüben in der Allee. Wenn die Scheinwerfer brennen, ist alles in Ordnung; Sie kommen dann hin und steigen ein ... Die Scheinwerfer können Sie vom Swimming-pool aus erkennnen. Sollte jedoch irgend etwas schiefgehen, schalte ich die Scheinwerfer aus. Wenn Sie also zum Swimming-pool kommen und sehen, daß die Scheinwerfer ausgeschaltet sind, bleiben Sie, wo Sie sind. Verstanden?« »Und wie lange soll ich da bleiben?« fragte sie. »Bis Sie sehen, daß die Scheinwerfer wieder brennen. Dann kommen Sie sofort zum Wagen.« »Und wenn es länger dauert, zum Beispiel mehr als eine halbe Stunde?« »Dann suchen Sie sich eine andere Möglichkeit, mit der Sie zurückfahren können. Nehmen Sie einen Bus oder halten Sie einen Wagen an.« »Gut«, schloß sie. »Dann also los.« -7 6 -
Sie öffnete die Wagentür, stieg aus, ging am Eingang zum Motel vorbei und machte einen Bogen um den Swimming-pool. Mason fuhr um den Block herum, kam zur Allee, bog ein und fuhr dann noch ein Stück weiter bis er das eine Ende des Swimming-pools erkennen konnte. Dann stellte er den Motor ab und wartete mit eingeschalteten Scheinwerfern. Der Anwalt starrte so gespannt zum Swimming-pool hinüber, daß er darüber vergaß, den Rückspiegel im Auge zu behalten, so daß er den Wagen nicht sah, der dicht hinter ihm hielt. Zwei Männer stiegen aus und standen plötzlich neben Mason. »Das ist der Anwalt, von dem ich dir schon erzählt habe«, erklärte Miles Overton, der Polizeichef. Mason fuhr zusammen, drehte sich dann zur Seite und sagte gelassen: »Hallo, Chef.« »Ich wollte sie mit einem Freund von mir bekannt machen Mr. Mason«, stellte der Chef vor. »Das hier ist Ralston Fenwick.« Ein vierschrötiger, stiernackiger Mann mit lächelndem Mund und kalten grünen Augen streckte ihm seine fleischige Hand entgegen, an der ein Brillant gleißend funkelte. »Guten Abend, Mr. Mason. Ich freue mich, Sie kennenzulernen.« »Was machen Sie eigentlich hier?« fragte der Polizeichef. »Ich parke«, erwiderte Mason gelangweilt und schaltete die Scheinwerfer seines Wagens aus. »Ich wollte mir die Gegend einmal ansehen, um mir ein Bild von dem Lokal machen zu können.« »Wieso?« fragte der Chef. »Meine Klientin wird George Anclitas auf siebentausendfünfhundert Dollar verklagen. Haben Sie das ganz überhört?« »Ich hatte es gehört«, gab der Polizeichef zurückhaltend zu. Fenwick gab dem Polizeichef einen leichten Stoß in die Seite, stützte sich mit dem Unterarm auf Masons Wagen und sah den Anwalt lächelnd an. »Ich lasse mich hier auch gerade -7 7 -
orientieren, Mr. Mason. Ich wollte mir die Gegend auch einmal ansehen. Und anschließend wollte ich zu Ihnen und mich mit Ihnen unterhalten.« »So?« »Ja.« »Und was wollten Sie von mir?« fragte Mason. »Ach, ich mache ein bißchen in Public Relations«, meinte Fenwick. »Für eine Gesellschaft. George Anclitas gehört auch zu dieser Gesellschaft.« »Und um welche Gesellschaft handelt es sich?« fragte Mason. Fenwick grinste. »Wenn ich es Ihnen sagte, wären Sie auch nicht klüger. Es ist ein hochklingender Name. Aber warum schleichen wir beide eigentlich wie Katzen um den heißen Brei, Mason? Die Gesellschaft setzt sich aus Männern zusammen, die zum Spielgewerbe gehören.« »Ach so«, schaltete Mason. »Sie haben anscheinend merkwürdige juristische Ansichten«, fuhr Fenwick fort, »aber auf Grund Ihrer Situation, Mr. Mason, und auf Grund der Tatsache, daß Sie ein ziemlich schlauer Anwalt sind, können uns Ihre Ansichten erheblich schaden.« »Es handelt sich nicht um meine Ansichten«, erklärte Mason. »Es sind Ansichten der Gerichte des Staates Kalifornien.« »Das habe ich bereits begriffen«, konterte Fenwick. Mason sah, wie Della Street mit schnellen Schritten am Swimming-pool entlangkam, zum Wagen herüberblickte und plötzlich merkte, daß die Scheinwerfer ausgeschaltet waren und zwei Männer sich mit Perry Mason unterhielten; dann ging sie um den Swimming-pool herum und verschwand wieder. »Wissen Sie«, mahnte Fenwick, »diese Gesellschaft ist ganz hübsch einflußreich. Das heißt: eine Menge mächtig netter Leute sind Mitglied der Gesellschaft, und das kommt hier nicht oft vor. Und die Mitglieder sind nicht nur aus Kalifornien, sondern auch aus Nevada, und haben ...«
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»Soweit ich verstehe«, stellte Mason fest, »kümmern Sie sich also um die gesetzgeberischen Interessen der Spielunternehmen.« »Unter anderem!« sagte Fenwick. »Wissen Sie, Mason, viele Leute wollen den Spieluntemehmern an den Kragen; dabei sind sie gar nichts Böses. Spielen ist eine Möglichkeit, Gefühle abzureagieren. Alle Leute spielen, auf der ganzen Welt wird gespielt. Verhindern kann man es nicht. In den Gefängnissen und Zuchthäusern wird genauso gespielt wie innerhalb der großen Hilfsorganisationen. Selbst die Damen der Gesellschaft spielen innerhalb ihrer Bridgezirkel. Und ich will Ihnen noch etwas sagen, Mason. Das Spiel ist ein gutes Geschäft. Es bringt das Geld in Umlauf. Es fördert die Gemütlichkeit, und für eine Gemeinde ist es ein verdammt gutes Geschäft. Nehmen Sie als Beispiel einmal Rowena. Sie wären sprachlos, wenn Sie wüßten, wieviel Geld durch das Spiel in diese Stadt strömt. Von überallher kommen die Leute, um ein Spielchen zu machen - und lassen ihr Geld hier.« »Sie meinen also, der Spielbetrieb ist für die Gemeinde eine gute Sache«. forschte Mason, »das heißt für diejenigen Bürger, die die Gemeinde dar stellen?« »Genau das. Langsam kommen Sie dahinter.« »Dann spricht doch eigentlich nichts dagegen, den verheirateten Frauen zu erzählen, daß der Ehemann zwar die Verwaltung des Gemeinschaftsvermögens innehat, daß er es jedoch nicht verspielen kann. Wenn ein Spielhalter den Anteil der Ehefrau am Gemeinschaftsvermögen gewinnt, kann er ihn nicht behalten.« Das Lächeln verschwand von Fenwicks Gesicht. »Das, Mason, steht nun wieder auf einem ganz anderen Blatt. Sie bringen alles durcheinander. Das habe ich nicht gesagt, und dieser Ansicht sind wir keineswegs. Ich bin überzeugt, daß Sie bei einem genauen Studium des Gesetzes selbst merken werden, daß Sie sich irren, und offen gesagt: ich würde es begrüßen, wenn Sie sich ausgiebig mit diesen Dingen beschäftigten. Das braucht natürlich seine Zeit, -7 9 -
Mr. Mason. Sie sind Anwalt, und wir hoffen nicht, daß Sie sich diese Mühe umsonst machen. Meine Gesellschafter brauchen hier einen Repräsentanten, und dazu würden wir Sie gern engagieren, damit Sie uns in juristischen Fragen beraten können. In erster Linie denken wir daran, daß Sie sich etwa ein Jahr Zeit nehmen und alle Entscheidungen studieren, die sich mit Spieluntemehmen und Glücksspielen beschäftigen. Wir sind bereit, Ihnen dafür etwa - na, sagen wir einmal: fünfzehntausend im Jahr zu zahlen.« Mason grinste. »Wozu brauchen Sie dazu ausgerechnet mich, Fenwick? Sie haben doch Gowrie schon engagiert.« Fenwick riß die Augen auf. »Woher wissen Sie das?« fragte er. Mason lächelte versteckt. »Also gut«, endete Fenwick. »Schließlich sind wir beide keine kleinen Kinder mehr. Überlegen Sie sich meinen Vorschlag in Ruhe, Mr. Mason.« Mason schüttelte den Kopf. »Ich habe auch so schon genug zu tun«, sagte er. »Nicht nur als Strafverteidiger, sondern auch sonst.« »Sie kennen allerdings Dinge, die sehr viel Sand in die Maschinerie unserer Organisation streuen würden«, gab Fenwick zu. »Was denken Sie: man holte mich ans Telefon und sagte, ich solle sofort und auf der Stelle herkommen, und zwar so schnell wie möglich. Ich war auf Urlaub, unten in Acapulco, und hatte eine sehr reizende und verständnisvolle Begleiterin bei mir. Und bumms - da kam das Telefonat, und was für eins! Sofort die nächste Maschine nehmen, nach Rowena kommen, mit George Anclitas reden, mit Perry Mason reden, mit Darwin Gowrie reden, mit Mrs. Helman Ellis reden!« »Anscheinend haben Sie sich ziemlich beeilt«, meinte Mason. »Und wie ich mich beeilt habe. Aber wenn es nötig ist, komme ich auch ohne Schlaf aus, und zwar längere Zeit hindurch.« Fenwick zögerte einen Augenblick und sah dann Mason offen an. »Also, warum auch nicht?« sagte er schließlich. »Ich habe selbstverständlich auch mit Gowrie gesprochen.« -8 0 -
»Und was ist mit Mrs. Ellis?« »Ich suche sie noch«, räumte Fenwick ein. »Nur deswegen treibe ich mich doch noch hier herum. Wir finden sie nicht. Sie hat sich mit ihrem Mann in die Haare gekriegt. Ihr Mann nimmt an, daß sie in Arizona war. Aber heute früh ist sie zurückgekommen, ist dann sofort auf die Familienjacht und abgebraust.« »Wohin?« fragte Mason. »Wenn ich das bloß wüßte. Vielleicht nach Ensenada, was weiß ich. Ich habe sofort ein paar Leute hingeschickt, nach Ensenada und nach Catalina. In dem Moment, in dem das Boot auftaucht, klettere ich ins Flugzeug und werde mit ihr reden. Ich wollte inzwischen bei Ihnen im Büro anrufen und mich ansagen. Aber dadurch, daß ich Sie hier getroffen habe, habe ich eine Menge Zeit gespart.« »Mrs. Ellis ist also in Arizona gewesen?« fragte Mason. »Richtig. Aber sie ist nicht lange geblieben. Die Person, die sie suchte, war nicht da, wo sie hätte sein sollen. Irgendwoher hatte Mrs. Ellis einen Tip bekommen, und jetzt ist sie ziemlich wütend wieder hier. Sie glaubt, man hätte sie bewußt auf eine falsche Spur gehetzt.« »Wer hatte ihr den Tip gegeben?« fragte Mason. »Das weiß ich nicht. Ich habe es nur gehört - ein Gerücht, wie man es oft irgendwo aufschnappt.« Fenwick streckte seine fleischige Hand aus. »Sie wissen jetzt also, was los ist, Mason. Überlegen Sie es sich - aber falls Sie zuviel anderes zu tun haben und die Nachforschungen nicht übernehmen können, werden meine Gesellschafter hier in Rowena sicherlich Dinge unternehmen, die Ihren Arbeitsplan etwas durcheinanderbringen.« »Mit anderen Worten: falls ich so verdammt viel zu tun habe, soll ich in meinem Büro bleiben und mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern.« »So ungefähr.« Fenwick grinste und ergriff Masons Hand.
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Der Polizeichef tippte mit zwei Fingern an seine Hutkrempe und ging zum Polizeiwagen zurück. Fenwick folgte ihm. Der Wagen fuhr an, rollte an Masons Wagen vorbei und bog dann nach links ab. Mason schaltete die Scheinwerfer ein. Della Street wurde plötzlich wieder sichtbar und blieb am Rand des Swimming-pools stehen. Mason ließ den Motor an, fuhr die Allee hinunter und hielt in ihrer Nähe. Mit schnellen Schritten war Della Street neben dem Wagen, riß die Tür auf und ließ sich hinfallen. »Alles in Ordnung?« fragte er. »Ja«, antwortete sie. »In der Toilette war noch eine andere Frau. Als sie sich mit der Angestellten unterhielt, machte ich mich an die Arbeit. Ich fand ein Waschbecken mit freiliegenden Leitungen und hängte den Revolver so über die Absperrhähne, wie Sie es beschrieben. Der Revolver ist nur zu sehen, wenn man sich hinhockt und nach oben sieht.« »Sehr schön«, sagte Mason. »Dann können wir also los.« »Ich sah vorhin, daß Sie Gesellschaft hatten.« »Den Polizeichef und einen Lobbyisten der Spielunternehmer«, sagte Mason. »Und was wollten die Spielunternehmer von Ihnen?« »Mich engagieren«, grinste Mason. »Sie sind der Ansicht, daß ich zuviel arbeite. Sie würden uns gern die Kosten eines längeren Urlaubs erstatten und uns eine Zeitlang außer Gefecht setzen.« »Was haben Sie darauf geantwortet?« fragte Della Street. »Daß ich zu tun hätte.« »Und was jetzt?« fragte sie. »Jetzt nichts wie weg aus Rowena - und zwar schnell!«
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8 Am Donnerstagnachmittag, als Della Street gerade nicht im Büro war, läutete auf Masons Schreibtisch das Telefon mit der Geheimnummer. Mason, der wußte, daß außerhalb des Büros allein Paul Drake die Nummer kannte, legte das Buch hin, in dem er gerade las, und nahm den Hörer ab. »Hallo, was ist los?« Drakes Stimme, die vor Aufregung undeutlich war, klang aus dem Hörer. »Perry, hast du schon von deiner Klientin im Fall Rowena gehört?« »Von Ellen Robb?« »Ja.« »Ich habe den ganzen Tag noch nichts von ihr gehört, Paul. Warum?« »Dann rufe sie an«, sagte Drake. »Was ist passiert?« »Genau weiß ich es noch nicht. Aber einiges kann ich dir jetzt schon sagen.« »Los.« »Mrs. Ellis ist mit der Jacht losgefahren, mit unbestimmtem Ziel.« »Das weiß ich«, rief Mason. »Ich habe mit einem Lobbyisten der Spielunternehmer gesprochen, der die Jacht bereits suchen läßt. Seiner Ansicht nach müßte sie in Ensenada oder Catalina ankommen.« »Dazu folgendes«, berichtete Drake. »Irgendwann im Laufe des heutigen Vormittags hat ein U-Boot, ziemlich weit von der Insel Catalina entfernt, ein Boot in verbotenen Gewässern ausgemacht. Das Boot treibt steuerlos. Das U-Boot rief die Jacht an, erhielt keine Antwort und schickte ein Kommando an Bord. Der Führer des Kommandos stellte fest, daß die Kajüte verschlossen war, die Benzintanks leer waren und niemand an
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Bord zu sein schien. Er brach die Kajütentür auf und merkte sofort, was passiert war.« »Und was war das?« »Ein Mord.« »Weiter«, drängte Mason. »Die in der Kajüte liegende Leiche hatte schon eine Zeitlang da gelegen. Es war die Leiche von Mrs. Ellis. Anscheinend hatte sie versucht, sich zu wehren. Verschiedene Anzeichen deuteten auf einen Kampf hin. Der Revolver, mit dem sie sich offensichtlich gewehrt hatte, lag neben ihrer Hand. Ein Schuß war aus ihm abgegeben worden. Der Revolver war gespannt und wieder schußbereit. Die Leiche wies zwei Schußverletzungen auf, beide anscheinend in der Brust. Jede der beiden hätte in wenigen Minuten zum Tod geführt. Die Leiche lag in einer großen Blutlache, und in der Kajüte herrschte ein ziemliches Durcheinander. Außerdem führt eine Spur von diesem Mord zu Ellen Robb. Um was es sich dabei handelt, weiß ich noch nicht, aber soweit ich verstanden habe, wird sie von der Polizei gesucht. Man hat ihren Steckbrief durchgegeben und startet eine Suchaktion.« »Sonst noch etwas?« fragte Mason. »Das ist alles.« »Gut. Ich werde mich mit der Angelegenheit beschäftigen. Wo bist du jetzt?« »Im Büro.« »Bleibe erst mal da«, befahl Mason. »Und sorge dafür, daß ein paar Leute sich bereithalten. Hast du schon Ellen Robbs Motel überwachen lassen?« »Das ist erledigt.« »Hast du schon etwas gehört?« »Vor einer Stunde. Sie ist im Motel.« »Besucher?« »Anscheinend ist sie unschuldig wie ein neugeborenes Kind, wenn deine Frage bedeutet, ob sie Helman Ellis im Motel unterhalten hat.«
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»Das meinte ich vor allem«, betonte Mason. »Sonst noch etwas?« »Nein, nichts.« »Ich fahre jetzt zu ihr, Paul«, erklärte Mason, »und vielleicht ist es doch besser, wenn du deine Leute sofort wieder zurückziehst. Sollte die Polizei erscheinen und feststellen, daß dort Privatdetektive Wache bezogen haben, wird man die Leute wahrscheinlich ausfragen. Vielleicht ist es besser, wenn wir auf diese Fragen gar nicht erst zu antworten brauchen.« »In Ordnung«, antwortete Drake, »wird sofort erledigt.« Mason rief daraufhin Gertie in der Vermittlung an. »Wenn Della zurückkommt, soll sie meinen Anruf abwarten, Gertie. Ich habe dringend außerhalb zu tun. Und streichen Sie alle Verabredungen für die nächsten eineinhalb Stunden.« Er griff nach seiner Aktentasche, setzte seinen Hut auf, verließ das Büro und fuhr zum Surf and Sea Motel in Costa Mesa. Dort klopfte er an die Tür des Zimmers 19. »Wer ist da?« hörte er Ellen Robb fragen. »Mason«, antwortete der Anwalt. »Oh!« Und einen Augenblick später: »Ich bin noch nicht empfangsfähig, Mr. Mason.« »Dann ziehen Sie sich etwas über«, drängte Mason. »Es ist wichtig.« »Wie wichtig?« fragte sie, und auf einmal klang ihre Stimme verstört. »So wichtig, daß ich selbst hergekommen bin«, betonte Mason. Ellen Robb schloß die Tür auf. »Kommen Sie herein.« Mason betrat das Zimmer. »Sie dürfen mich aber nicht so genau ansehen«, sagte Ellen Robb. »Mir macht es nichts aus - wenn es Sie nicht stört. Haben Sie die Papiere - mitgebracht, die ich unterschreiben soll?« »Die Papiere habe ich bei mir«, sagte Mason. »Ich möchte, daß Sie jetzt zweierlei tun.« »Was denn?« »Die Klageschrift unterschreiben und sich anziehen.« »Und was zuerst?« -8 5 -
»Erst die Unterschrift.« Sie setzte sich auf den Stuhl, der vor der Frisierkommode stand, griff nach den Papieren, die Mason ihr hinhielt, und meinte: »Ich kann also ruhig unterschreiben?« »Das können Sie«, versicherte Mason. »Sie verklagen George und Marcus auf siebentausendfünfhundert Dollar. Unterschreiben Sie, ziehen Sie sich dann an, und anschließend können Sie die Klageschrift genau durchlesen.« Sie unterschrieb und schob dann ihren Stuhl zurück. »Wollen Sie mit mir reden, während ich mich anziehe?« Mason zögerte einen Augenblick. »Es ist besser, wenn Sie nicht wissen, worum es geht. Ziehen Sie sich erst mal an. Und vergessen Sie vor allem eins nicht: sollte irgend etwas passieren, bevor wir hier weg sind, bin ich lediglich hergekommen, damit Sie diese Papiere unterschreiben.« Verblüfft sah sie ihn an, während sie sorgfältig die Seidenstrümpfe über ihre langen Beine streifte und ein Kleid über den Kopf zog. »Sie tun aber sehr geheimnisvoll«, sagte sie. »Ellen, ich verlange noch etwas von Ihnen. Ich möchte, daß Sie mir die Wahrheit sagen.« »In welchem Punkt?« »Haben Sie etwas mit Helman Ellis gehabt?« »Warum?« »George Anclitas behauptet es. Und Slim Marcus ebenfalls.« »Ausgerechnet Slim!« fuhr sie auf. »Ausgerechnet dieser Kerl, der seit dem Moment, als ich in The Big Barn anfing, hinter mir her war und immer wieder betonte, daß ich nur weiterkäme, wenn ich mich mit den Leuten gut stünde, die mir dabei behilflich sein könnten, und ...« »Lassen wir das jetzt«, brach Mason ab. »Ich rede von Ellis.« »Ellis«, zögerte sie. »Ich glaube, er war ... sagen wir: fasziniert.« »Und Sie?« fragte Mason. »Haben Sie ihm tüchtig eingeheizt?« -8 6 -
»Ich habe ihn gefoppt. Das wurde von mir verlangt. Ich ...« Ein Klopfen drang von der Tür her. Sie sah Mason überrascht an und fragte: »Wer ist da?« »Polizei«, antwortete die Stimme von Leutnant Tragg. »Machen Sie bitte auf. Wir möchten Ihnen ein paar Fragen stellen.« »Es ist soweit«, stellte Mason fest. Sie knöpfte hastig ihr Kleid zu. Mason ging zur Tür, öffnete sie und sagte: »Na, Leutnant, wie geht es Ihnen?« »Sie?« staunte Tragg. »Wen haben Sie denn sonst hier erwartet?« Tragg holte tief Luft. »Das hätte ich mir allerdings denken können. Wo ist Ellen Robb?« »Ich bin Ellen Robb. Was ist los?« Tragg betrachtete sie von Kopf bis Fuß. »Kennen Sie einen Helman Ellis, aus Rowena?« »Ja. Warum?« »Und dessen Frau Nadine?« »Ja.« »Hatten Sie irgendwann Streit mit Nadine?« »Einen Moment«, warf Mason ein. »Bevor Sie meine Klientin mit Fragen überhäufen, möchten wir doch wissen, was das alles eigentlich soll?« »Das kann ich mir vorstellen«, bellte Tragg. »Sie haben also keine Ahnung, was? Was haben denn eigentlich Sie hier zu suchen, wenn Sie nicht einmal wissen, was los ist?« »Ich habe im Namen von Miss Robb Klage gegen Anclitas und dessen Teilhaber wegen Körperverletzung eingereicht, außerdem wegen Ausweisung aus ihrem Zimmer und außerhalb des Kündigungstermins in die grausame und kalte Welt, als sie sich lediglich in ihrer Berufskleidung befand, einem Paar Strumpfhosen und einem äußerst unschuldigen Aussehen. Falls Sie die Einzelheiten wissen wollen: Ich habe -8 7 -
die Klageschrift gerade fertiggestellt und bin hierhergekommen, damit Miss Robb sie unterschreiben kann.« »Wir möchten uns das Zimmer ansehen«, forderte Tragg. »Haben Sie einen Durchsuchungsbefehl?« »Ja - hier.« »Und was suchen Sie?« fragte Mason. »Eine Mordwaffe, falls Sie es noch nicht wissen sollten!« »Wer ist denn ermordet worden?« fragte Mason. Tragg lächelte und schüttelte den Kopf. »Hören Sie«, wandte Ellen Robb ein, »Sie können doch nicht einfach ...« »Mund halten, Ellen«, befahl Mason. »Reden tue ich.« »Das glauben Sie vielleicht«, schnob Tragg. »Sie verschwinden jetzt.« »Erst wenn die Durchsuchung beendet ist«, sagte Mason. »Los, fangen Sie an«, beauftragte Tragg einen unauffällig gekleideten Mann, der mit ihm zusammen gekommen war. Tragg setzte sich auf das Bett und blickte von Mason zu Ellen Robb. »Daß wir Sie hier angetroffen haben, ist bestimmt ein reiner Zufall gewesen. Kann ich mal die Papiere sehen, die Sie eben unterschrieben haben wollen?« Mason öffnete seine Aktenmappe, holte die Papiere heraus und sagte: »hier, Leutnant.« Leutnant Tragg betrachtete aufmerksam die Unterschrift Ellen Robbs. »Aussehen tut es allerdings, als hätte sie gerade eben erst unterschrieben. Vielleicht stimmt es sogar. Ich ...« »Leutnant!« sagte der unauffällig gekleidete Mann. Tragg drehte sich um. »Hier.« Tragg stand unbeweglich vor der Tasche und starrte auf den Revolver hinunter. »Schön, schön. Und was ist das hier?« fragte er schließlich. »Genaueres weiß ich auch nicht«, sagte Ellen Robb aus. »Diesen Revolver fand ich zwischen meinen Sachen, als ich von George Anclitas weggegangen war.« »Wann war das?« »Dienstag nacht.« »Und heute morgen haben Sie ihn erst bemerkt?« »Ja.« -8 8 -
»Und was taten Sie daraufhin?« »Im Augenblick wollen wir uns die Antworten auf alle Fragen nach diesem Revolver sparen«, meinte Mason. »Warten wir damit, bis wir wissen, warum Leutnant Tragg sich für die Waffe interessiert.« »Ich bin an ihr interessiert«, gab Tragg Auskunft, »weil es sich hier um einen Smith & Wesson, Kaliber .38, handelt und weil ich Näheres über ihn erfahren möchte.« »Meine Klientin fand den Revolver in ihrem Gepäck«, sagte Mason. »Sie unterrichtete mich sofort über ihren Fund. Ich gab ihr den Rat, den Revolver erst einmal dort zu lassen.« »Sie weiß also gar nichts, weder woher er stammt noch sonst irgend etwas? Und ihr selbst gehört der Revolver auch nicht?« »Sehr richtig. Sie fand ihn zwischen ihren Sachen. Offensichtlich hat ihn irgendwer in die Tasche gelegt.« »Wie nett.« Leutnant Tragg lächelte sarkastisch. »Wie reizend, daß Ellen Robb zufällig auch einen Anwalt hat. Und welch ein glücklicher Zufall, daß Sie gerade hier sind.« »Was ist an dem Revolver denn so wichtig?« fragte Mason. »Das werden wir Ihnen später erzählen«, erwiderte Tragg. »Dann möchte ich Ihnen einen kleinen Rat geben«, mahnte Mason. »Damit Sie Ihre Nase nicht zu tief hineinstecken, Tragg, würde ich an Ihrer Stelle keine Feststellungen über diesen Revolver treffen, bis Sie nicht genau wissen, worüber Sie eigentlich reden.« »Was wollen Sie damit sagen?« »Ich glaube, Sie werden selbst feststellen, daß dieser Revolver völlig bedeutungslos ist.« »Was soll das heißen: völlig bedeutungslos?« »Genau das, was ich gesagt habe. Noch deutlicher kann ich nicht werden. Ich gebe Ihnen lediglich einen persönlichen und freundschaftlichen Rat, Leutnant.« »Herzlichen Dank«, sagte Tragg. »Ohne Ihre persönlichen und freundschaftlichen Hinweise wäre ich meinem Posten wohl schon lange losgewor den, Perry.« -8 9 -
»Diesmal ist mein Rat vielleicht wichtiger, Tragg, als Sie im Augenblick annehmen.« »Weshalb? Was wissen Sie?« »Noch nicht allzuviel. Aber immerhin besteht die Möglichkeit, daß ich etwas mehr weiß als meine Klientin.« »Wollen Sie sie dadurch vielleicht aus der Geschichte heraushalten?« fragte Tragg. »Vielleicht zum Besten aller Beteiligten«, gab Mason zu. »Miss Robb, dürfte ich Ihnen vielleicht die Fingerabdrücke abnehmen«, fragte Tragg, »damit ich sie mit einigen Aufnahmen vergleichen kann?« Ellen Robb sah Mason fragend an. »Lassen Sie ihn ruhig.« Tragg öffnete die Tasche, die er bei sich hatte, holte ein kleines Gerät zur Abnahme von Fingerabdrücken heraus und betrachtete schließlich das Ergebnis seiner Arbeit durch ein Vergrößerungsglas. Dann blickte er zu Ellen Robb hoch. »Wußten Sie, daß Helman Ellis eine Jacht mit dem Namen Cap's Eyes besaß?« Sie nickte. »Waren Sie irgendwann an Bord der Jacht?« »Ja.« »Wann zum letztenmal?« »Dienstag abend.« »Um welche Zeit?« »Das weiß ich nicht genau. Es muß gegen ... in der Dämmerung.« »Was machten Sie an Bord der Jacht?« »Ich suchte Mrs. Ellis.« »Fanden Sie sie?« »Es war niemand an Bord. Ich hatte gehört, daß sie und ihr Mann zusammen wegfahren wollten. Und vorher wollte ich noch mit ihr sprechen.« -9 0 -
»Worüber wollten Sie mit ihr sprechen?« »Über verschiedene Dinge. Über ... also, wenn ich ganz ehrlich bin: ich wollte mich mit ihr über ihren Mann unterhalten.« »Weshalb denn ausgerechnet über ihren Mann?« »Weil ich glaubte, sie wäre auf mich eifersüchtig.« »Warum?« »Ich arbeitete in The Big Barn, und ihr Mann war häufig da.« »Haben Sie sich mit ihm unterhalten?« »Natürlich habe ich mit ihm gesprochen. Das gehörte schließlich zu meinen Aufgaben: damit die Gäste sich wohl fühlten.« »Und Mrs. Ellis hatte etwas dagegen?« »Offen gesagt: das weiß ich nicht. Ich hörte nur, daß sie eifersüchtig wäre, und deshalb wollte ich mit ihr reden.« »Warum?« »Ich wollte ihr sagen, daß sie absolut keinen Grund zur Eifersucht hätte.« »Daher gingen Sie also an Bord der facht?« »Ja.« »Und hatten diesen Revolver bei sich?« »Nein.« »Nicht?« »Nein, bestimmt nicht. Das war doch, bevor der Revolver in meine Tasche gesteckt wurde.« »Woher wissen Sie das?« »Weil ich ... also das war nämlich, bevor ich den Revolver in der Tasche entdeckte.« »Das klingt schon besser. Wissen Sie, wann er hineingesteckt wurde?« »Nein, bestimmt nicht.« »Und The Big Barn haben Sie also abends verlassen?« »Ja, aber es war schon später.« -9 1 -
»Und Mrs. Ellis haben Sie auf der Jacht nicht angetroffen?« »Nein.« »Haben Sie Mr. Ellis am gleichen Abend noch gesehen?« »Doch, später, kurz vor dem Krach mit George Anclitas.« »Haben Sie ihm erzählt, daß Sie seine Frau gesucht hätten?« »Er erzählte mir, daß seine Frau mich gesucht hätte, und ich sagte, es läge absolut kein Grund vor, auf mich eifersüchtig zu sein.« »Und was sagte Helman daraufhin?« »Er sagte, seine Frau bekäme öfter völlig unbegründete Eifersuchtsanfälle, und dann wäre es aussichtslos, mit ihr zu reden. Er sagte, er hätte vorgehabt, sie auf eine Kreuzfahrt mitzunehmen, aber sie hätte das Beiboot genommen und wäre wieder an Land gefahren.« »Und wann war das?« »Das war Dienstagabend.« »Haben Sie ihn gestern abend auch gesprochen?« »Einen Moment«, griff Mason ein. »Ich finde, daß Sie jetzt genügend Fragen gestellt haben, Leutnant.« »Einverstanden«, antwortete Leutnant Tragg vergnügt. »Ich möchte Miss Robb nur noch eine einzige Frage stellen. Haben Sie irgendwann die Kajüte der Cap's Eyes, also der Jacht des Mr. Ellis, betreten?« »Irgendwann?« »Ja - irgendwann.« »Nein.« »Sie kannten die Jacht?« »Ja.« »Und Sie waren auch an Bord der Jacht?« »Ich ... Ja, einmal war ich mit Helman zusammen an Bord, als er mir die Jacht gezeigt hat.« »Waren Sie damals auch in der Kajüte?« »Ich ... es ist möglich.« -9 2 -
»Wann war das?« »Ach, das ist schon länger her.« »Wie lange?« »Zwei Wochen.« »Haben Sie an Bord der Jacht Nadine Ellis umgebracht?« »Ob ich Nadine Ellis umgebracht habe? Wovon reden Sie eigentlich?« »Ich rede von einem Mord«, sagte Tragg. »Haben Sie Nadine Ellis am Mittwoch gesprochen und sie umgebracht?« »Um Himmels willen - nein! Das habe ich nicht - Warum denn auch? Ist sie ... soll das heißen, daß sie ... ?« »Ich möchte Ihnen jetzt ein paar Anweisungen geben, Ellen«, fing Mason an. »Beantworten Sie keine einzige Frage mehr. Sie haben Leutnant Tragg bisher sehr offen, ehrlich und direkt geantwortet. Leutnant Tragg hat also keinen Grund, Sie einzuschüchtern, Sie zu erschrecken, ins Kreuzverhör zu nehmen oder das Verhör zu verschärfen. Wenn jedoch Leutnant Tragg meint, daß Sie ihn begleiten sollten, dann tun Sie es. Aber sagen Sie unter gar keinen Umständen auch nur noch ein einziges Wort. Reden Sie mit keinem Wort mehr über diesen Fall oder über Ihre Beziehungen zu George Anclitas, über die Klage, die wir gegen ihn einreichen, oder über sonst irgend etwas - es sei denn in meiner Anwesenheit, wenn ich Ihnen die Anweisung gebe, eine Aussage zu machen.« »Das war's dann wohl«, schloß Tragg. »Sie haben Ihre Ansprache gehalten, Mason. Wir können also aufbrechen. Es bestand immerhin die Möglichkeit, daß wir eine Erklärung gefunden hätten, die Miss Robb eine Menge Unannehmlichkeiten erspart hätte. Aber angesichts Ihrer Anweisungen wird sie jetzt zum Headquarters mitkommen müssen.« »Das ist sehr schön«, antwortete Mason. »Sie wird zum Headquarters mitkommen ... Wie lange wollen Sie sie da behalten?«
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»Wahrscheinlich, bis wir den Revolver genau untersucht haben«, erwiderte Tragg. »Und bis wir die Geschosse dieses Revolvers mit den Geschossen verglichen haben, mit denen Mrs. Ellis getötet wurde.« »Dann beeilen Sie sich damit. Begleiten Sie ihn, Miss Robb. Halten Sie gegenüber den Reportern den Mund. Reden Sie mit niemandem. Schweigen Sie einfach zu allem. Sie haben bereits ausgesagt. Und wenn Leutnant Tragg meint, daß Sie wieder gehen könnten, rufen Sie mich sofort an.« »Sie wollten wohl sagen: falls«, sagte Tragg, »und nicht: wenn.« Mason grinste. »Schon wieder haben Sie mich nicht richtig verstanden, Leutnant. Ich sagte >wenn<, und ich meinte >wenn<.«
9 Mason, der in seinem Zimmer auf und ab wanderte, sagte hin und wieder etwas zu der sehr aufmerksam zuhörenden Della Street. Da Della wußte, daß der Anwalt lediglich laut überlegte, tat sie alles, um ihm das Denken zu erleichtern. Manchmal nickte sie, manchmal lauschte sie mit gespannter Aufmerksamkeit, und manchmal warf sie eine überlegte Frage dazwischen. »Das erklärt wahrscheinlich auch«, grübelte Mason gerade mitten im Gehen, »warum sie sich nicht weiter um den Revolver gekümmert haben.« »Wer?« fragte Della Street. »George Anclitas«, erwiderte Mason. »Er wollte Ellen Robb ein Verbrechen anhängen - gut. Dabei ging es jedoch nicht um so eine einfache Sache wie den Diebstahl eines Revolvers.« »Dann mußte er also wissen, daß ein Mord begangen war?« »Ja.« »Woher konnte er es wissen?« -9 4 -
»Es gibt nur eine Möglichkeit«, antwortete Mason. »Er muß sie selbst umgebracht haben. Er muß sie mit dieser Waffe erschossen und den Revolver anschließend in Ellen Robbs Tasche gesteckt haben.« »Dann wurde Mrs. Ellis demnach umgebracht, bevor der Revolver in Ellens Besitz gelangte?« »So muß es gewesen sein«, überlegte Mason und ging weiter hin und her. Nach einiger Zeit wagte Della Street wieder eine Frage. »Wie aber steht es dabei mit uns?« Mason blieb abrupt stehen, schnippte mit den Fingern: »Verdammt!« Della Street zog fragend ihre Augenbrauen hoch. »Von dieser Seite aus habe ich die Sache noch gar nicht angesehen. So lange der Revolver nur ein gestohlener Gegenstand war, hatten wir jedes nur erdenkliche Recht, ihn seinem rechtmäßigen Besitzer wieder zurück zuerstatten, und das konnten wir, indem wir ihn wieder in das Lokal brachten, in welchem er sich bisher befand. Wenn dieser Revolver jedoch ein wertvolles Beweisstück ist ...« Mason verstummte und nahm seine Wanderung wieder auf, die Lider vor Konzentration halb gesenkt. »Haben wir dann nicht die Pflicht, den Beweis der Polizei zu melden?« fragte Della Street. Mason nickte, sagte dann jedoch kurz und bündig: »Wir haben aber auch die Pflicht, unsere Klientin zu schützen.« »Und wenn das Beweisstück erst in ihren Besitz kam, als das Verbrechen bereits begangen war ... ?« »Wenn man es aber nun nicht glaubt, Della?« »Dann natürlich ...« Jetzt war Della Street es, die sich mitten in einem Satz unterbrach und überlegte. »Eben«, unterstrich Mason. »Damit sitzen wir in einer ganz üblen Situation.«
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»Kann ich denn nicht allein die Verantwortung übernehmen?« fragte Della Street. »Schließlich war ich es doch, die den Revolver zurückgebracht hat.« »Sie handelten entsprechend meinen Anweisungen«, wurde Mason ärgerlich. »Werden Sie jetzt nicht albern. Ich habe die Verantwortung übernommen, und wenn man jemanden verantwortlich machen kann, dann allein mich - mich allein! Haben Sie verstanden?« »Die Tatsachen«, sagte sie, »sprechen für sich. Der Revolver wurde von mir zurückgebracht.« »Ich nehme dafür die Verantwortung auf mich«, gab Mason fest zurück. »Vergessen Sie es also nicht. Und versuchen Sie nicht, sich aus einem Gefühl der Loyalität heraus in diese Geschichte hineinziehen zu lassen. Verdammt noch mal! Alles kommt nur daher, daß ich nicht weiß ... Angenommen, sie sagt nicht die Wahrheit?« »Wer?« »Unsere Klientin.« »Sie könnte also auch lügen?« fragte Della. »Natürlich kann sie das. Und sie gehört zu dem Typ, der es auch tut. Sie ist eine junge Frau, die durch ihre Erfahrungen auf der Schattenseite des Lebens gewitzt ist. Sie kennt das Leben, und zweifellos hat sie gelernt, daß jeder auf sich allein angewiesen ist. Das ist ein Grundsatz jener Kreise, zu denen sie gehört.« »Dann hat sie den Revolver in The Big Barn gestohlen, ist zu der Jacht hinausgefahren, und statt - wie sie behauptet - dort niemanden vorzufinden, hat sie eine Aussprache mit Nadine Ellis gehabt und sie ermordet. Dann ist sie hierhergekommen, hat Ihnen den Revolver übergeben und die Geschichte erzählt, wie sie ihn in ihrem Gepäck fand.« »Sehr richtig«, sagte Mason. »Zu diesem Zeitpunkt war Mrs. Ellis bereits tot, und ihre Leiche befand sich an Bord der Jacht.«
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»In diesem Fall«, überlegte Mason, »erhebt sich die Frage: Wie kam die Jacht in die Gewässer um Catalina Island?« Della Street dachte eine Zeitlang über diese Frage nach. »Die Jacht war noch im Hafen festgemacht, als Sie die beiden Revolver vertauscht hatten?« Mason grinste. »Anders ist es nicht möglich«, sagte er, »und darüber werden sich Hamilton Burder, der District Attorney, und Leutnant Arthur Tragg von der Mordkommission noch den Kopf zerbrechen können. Diese Tatsache, Della, beweist die Unschuld unserer Klientin, und sie beweist darüber hinaus auch unsere Unschuld.« »Was aber wird der District Attorney denken?« fragte Della Street. »Man hat einen Revolver im Besitz von Ellen Robb gefunden, hält diesen Revolver für die Mordwaffe, nimmt dies als Basis für alle weiteren Überlegungen, übergibt dem Ballistiker die tödlichen Geschosse zur Untersuchung und stellt dann plötzlich fest, daß sie überhaupt nicht zu diesem Revolver gehören.« »Zu welchem Revolver aber könnten sie gehören?« fragte Della Street. Mason massierte mit den Fingerspitzen seine Kinnlade. »Wenn ich das nur wüßte«, grübelte er. »Es scheint unmöglich zu sein, daß die Geschosse zu dem Revolver gehören, den wir in The Big Barn zurückbrachten ... aber wenn es doch so sein sollte ... wenn sie doch zu diesem Revolver gehören, Della, dann sieht es für uns ganz böse aus.« »Was hätten wir dann zu tun?« »Wenn ich das nur wüßte. Wenn ich nichts sage, mache ich mich vielleicht eines schweren Verbrechens mitschuldig, bin ich damit - um es juristisch auszudrücken - ein Mittäter nach der Tat, und zwar bei einem Mord.« »Und wenn Sie nun zur Polizei gingen und alles erzählten?« »Wenn ich zur Polizei ginge und alles erzählte«, erklärte Mason, »würde man mir doch nicht glauben. Man wird vielmehr annehmen, ich versuche lediglich, die Polizei in eine raffiniert -9 7 -
gestellte Falle zu locken und die Staatsanwaltschaft von der Spur abzubringen. Auch dann säße ich immer noch in der Klemme, diesmal wegen Verrats der Interessen einer Klientin.« »So, wie ich es sehe«, sagte Della Street, »bleibt uns im Augenblick nichts anderes übrig, als den Bericht abzuwarten, den die Polizei von der ballistischen Abteilung über die Geschosse bekommt.« »Stimmt genau«, bestätigte Mason. »Wenn sich herausstellt, daß die Geschosse, die zum Tode von Mrs. Ellis führten, nicht aus diesem Revolver stammen, dann erhebt sich die Frage, ob sie von dem Revolver stammten, den wir Ellen Robb wegnahmen. Ist dies nicht der Fall, dann ist für uns alles in Ordnung. Andernfalls sitzen wir allerdings restlos fest.« »Läßt sich das denn feststellen?« fragte Della Street. »Das läßt sich sehr einfach feststellen«, erwiderte Mason, »weil ich Paul Drake glücklicherweise zu einem Ballistiker schickte und Probeschüsse aus dem Revolver abgeben ließ. Die Geschosse befinden sich bei uns. Paul Drake kann uns Aufnahmen der tödlichen Geschosse verschaffen, und auf diese Weise können wir die Merkmale vergleichen. Es gibt zwar sehr viel bessere Möglichkeiten, aber unter den gegenwärtigen Umständen genügt es auch so. Mit anderen Worten: wenn die Testgeschosse nicht mit den tödlichen Geschossen übereinstimmen, haben wir freie Hand; wenn sie mit ihnen jedoch übereinstimmen, wissen wir immer noch nicht hundertprozentig Bescheid. Aber wenn auf der Aufnahme genügend Kennzeichen deutlich sind, wissen wir wenigstens, daß eine Möglichkeit besteht, daß die tödlichen Geschosse aus diesem Revolver stammen.« »Und dann?« fragte Della Street. »Dann werden wir in den sauren Apfel beißen müssen«, sagte Mason. »Eigentlich müßten wir bald von Paul erfahren, ob ...« Von der Tür her klang Drakes Klopfzeichen. Mason nickte Della Street zu, sie öffnete die Tür und ließ Paul Drake herein. Mason war mitten im Zimmer stehengeblieben, als er Drakes Klopfen gehört hatte, begrüßte den Detektiv mit einem Kopfnicken und fragte: »Gibt es Neues, Paul?« -9 8 -
»Ich habe etwas dagegen, der Überbringer schlechter Nachrichten zu sein«, erwiderte Drake, »aber wenn die ballistischen Untersuchungen ergeben, daß Nadine Ellis durch ein Geschoß getötet worden ist, das aus dem in Ellen Robbs Sachen gefundenen Revolver abgeschossen wurde, dann hat das Mädel nicht die geringste Chance mehr.« »Und andernfalls?« fragte Mason. »Andernfalls wird man wahrscheinlich ebenfalls Klage gegen sie erheben«, sagte Drake, »aber die Sache wird dann keineswegs todsicher sein.« »Ich kann mir nicht vorstellen, welche Beweise die Polizei hätte«, sagte Mason und zog die Stirn kraus. »Reden tun sie natürlich nicht darüber«, sagte Drake. »Aber nach allem, was ich im Headquarters aufschnappen konnte, scheint man überzeugt zu sein, stichfeste Beweise zu besitzen - und wenn die ballistischen Untersuchungen ergeben, daß Nadine Ellis mit dem Revolver erschossen wurde, der bei Ellen Robb gefunden wurde, dann kann auch der beste Anwalt nichts mehr ausrichten. Dann wäre auch für dich die Sache völlig hoffnungslos.« »Na schön«, seufzte Mason. »Dann möchte ich dir vertraulich etwas sagen. Zu dem Revolver, der bei Ellen Robb gefunden wurde, können die Geschosse nicht passen. Ich würde die Angelegenheit jetzt einmal von diesem Gesichtspunkt aus anpacken; mal sehen, was deine Nachforschungen dann ergeben.« »Du meinst, die Schüsse wurden nicht aus diesem Revolver abgegeben?« »Aus diesem Revolver wurden sie nicht abgegeben.« »Bist du sicher, Perry?« »Ganz sicher.« »Dann sieht die Sache allerdings etwas anders aus«, meinte Drake. »Aber paß mal auf, Perry: hundertprozentig sicher kann man nie sein. Weißt du denn so genau, ob jemand die Wahrheit sagt oder ob er lügt? Und das besonders bei einem Mädel wie -9 9 -
Ellen Robb! Sie kann sehr überzeugend lügen. Sie versteht es meisterhaft, dir die Augen zu verbinden.« »Mir verbindet kein Mensch die Augen, Paul«, lehnte Mason ab. »Die Geschosse werden nicht zu dem Revolver passen.« »Das ist immerhin etwas. Wenigstens das wissen wir also genau. Wenn sie nicht zu dem Revolver passen, bedeutet das für den District Attorney einen ausgesprochenen Tiefschlag.« »Dann wird er sich eben auf einen Tiefschlag gefaßt machen müssen.« Drake schien nachzudenken. »Und du hast nur einen einzigen Grund für deine Überzeugung, Perry?« »Wieso, Paul?« »Du hast mir doch einen Revolver gegeben, den ich zu Maurice Halstead bringen sollte, Perry.« »Und was ist damit?« fragte der Anwalt. Drake schwieg nachdenklich. »Nun?« fragte Mason drängend. »Hör mal zu, Perry«, sagte der Detektiv. »Wenn du jetzt wieder mit verschiedenen Revolvern herumjonglierst, und wenn der Revolver, den ich zu Halstead brachte, nun doch die Mordwaffe sein sollte ... also gut, Peny, ich kann nicht mehr mitmachen. So weit kann ich nicht gehen.« »Das hat auch niemand von dir verlangt, Paul.« »Ich hätte es dir schon damals sagen sollen.« »Wann?« »Als ich wußte, daß die Sache dadurch ganz anders aussah.« »Lassen wir es also dabei«, sagte Mason. »Perry, ich habe die ganze Nacht kein Auge zugemacht«, sagte Drake. »Dann würde ich eine Schlaftablette nehmen, Paul.« »Das würde auch nichts helfen. Menschenskind, Perry - weißt du eigentlich, was du tust?«
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»Mich bedrückt nicht, was ich jetzt tue«, betonte Mason, »sondern was ich getan habe.« »Was soll ich also jetzt anfangen, Perry?« »Abwarten, bis du ganz genaue Nachrichten hast«, gab Mason zur Ant wort. »Maurice Halstead wird sich auch den Kopf zerbrechen, wenn er die Zeitungen liest«, meinte Drake. »Soll er, Paul«, sagte Mason. Das Telefon läutete. Della Street nahm den Hörer ab. »Ja?« Dann wandte sie sich an Paul. »Für Sie.« »Das wird das Ergebnis der ballistischen Untersuchung sein«, sagte Drake. »Ich hatte im Büro Bescheid gesagt, daß ich hier wäre, falls der Bericht käme, und daß man mich sonst in Ruhe lassen sollte.« Drake griff nach dem Hörer. »Hallo? ... Aha ... Ist das sicher? Kein Irrtum möglich? ... Soso, das ist allerdings sehr interessant ... Schön, ich komme gleich wieder zurück. Bis nachher.« Drake legte den Hörer auf, blickte Mason nachdenklich an und sagte: »Warum bist du eigentlich so verdammt sicher, daß die Geschosse nicht zu dem Revolver passen, Perry?« Mason grinste. »Vielleicht bin ich ein Hellseher oder ein Wahrsager, Paul.« »Darum«, sagte Paul, »würde ich die Kristallkugel wegschmeißen und es einmal mit Kaffeesatz probieren. Das Geschoß, das den Tod der Nadine Ellis verursachte, stammt aus dem Revolver, der sich in Ellen Robbs Besitz befand, als sie von der Polizei verhaftet wurde.«
10 Donovan Fraser, ein verhältnismäßig neu gewählter und ziemlich ehrgeiziger District Attorney, erhob sich und wandte sich an das Gericht.
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»Wenn das Gericht erlaubt, möchten wir beweisen, daß die in dieser Verhandlung beschuldigte Ellen Robb versuchte, die Ehe der verstorbenen Nadine Ellis zu zerstören; daß sich zwischen den beiden Frauen verständlicherweise ein gespanntes Verhältnis entwickelte. Ebenfalls liegt der Beweis vor, daß die Beschuldigte die Jacht, die Mr. und Mrs. Ellis gehört, heimlich und in verbrecherischer Absicht betrat, da sie genau wußte, Mrs. Ellis befand sich an Bord. Daß sie zweimal auf Nadine Ellis schoß und daß sie, nachdem sie sich vom Tod ihrer Gegnerin überzeugt hatte, die Jacht loswarf, die Motoren anließ und die Jacht Kurs auf das offene Meer nehmen ließ, weil sie überzeugt war, die natürlichen Gefahren der Schiffahrt würden bei einem so kleinen Boot mit Sicherheit zum Untergang führen, einschließlich der an Bord befindlichen Toten. Wir werden ferner beweisen, der auf Nadine Ellis abgegebene tödliche Schuß wurde aus einem Revolver abgegeben, der sich im Besitz der beschuldigten Ellen Robb befand, und wir werden beantragen, daß die Beschuldigte dem ordentlichen Gericht überwiesen wird.« Richter Staunton Keyser blickte nachdenklich zu dem jungen Mann hin unter. »In einer Vorverhandlung brauchen Sie zu Beginn derartige Feststellungen nicht zu treffen, Mr. District Attorney. Meiner Ansicht nach geht es hier einfach um die Frage, ob ein Verbrechen verübt wurde und ob Grund zu der Annahme besteht, daß die Beschuldigte dieses Verbrechen beging.« »Ich weiß, Euer Gnaden«, erwiderte Fraser, »aber angesichts der allbekannten Taktik des Verteidigers, der immer versuchte, den Fall bereits in der Vorverhandlung groß aufzuziehen, glaubte ich, dem Gericht mitteilen zu müssen, welche Absicht wir verfolgen.« »Dann fangen Sie jetzt bitte an«, forderte Richter Keyser, »und kümmern Sie sich nicht um die Taktik des gegnerischen Anwalts. Legen Sie Ihre Beweise vor. Rufen Sie Ihren ersten Zeugen auf.«
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Fraser rief den Kommandanten des Küstenwachtbootes nach vorn. »Ist Ihnen eine Jacht mit dem Namen Cap's Eyes bekannt?« »Jawohl.« »Sind Ihnen die der Küstenwache vorliegenden Registrierdokumente bekannt, aus denen der Eigentümer dieser Jacht festzustellen ist?« »Jawohl, Sir.« »Wem gehört die Jacht?« »Helman Ellis.« »Hatten Sie Gelegenheit, die Jacht am Donnerstag, dem elften dieses Monats, zu besichtigen?« »Dazu hatte ich Gelegenheit, Sir.« »Wollen Sie bitte die näheren Umstände erklären.« »Wir wurden von der Navy benachrichtigt, daß die Jacht steuerlos und mit einer ermordeten Frau an Bord auf offener See trieb. Ich rief das FBI sowie das Büro des Untersuchungsrichters an. Dann bekam ich die Anweisung, Dr. Andover Calvert zu der Jacht hinauszubringen, außerdem noch einen Vertreter des Gerichts und einen Agenten des FBI. Wir mußten etwas warten, bis diese drei Männer kamen. Anschließend flogen wir nach Catalina Island, gingen an Bord eines Hochseepatrouillenbootes und fuhren mit hoher Fahrt zu der uns mitgeteilten Position der Jacht. Dann führten wir eine Besichtigung des Bootes durch. Soll ich erzählen, was wir vorfanden?« »Ja, in großen Zügen.« »Der Treibstofftank der Jacht war leer. Die Jacht trieb in einem Gebiet, das der Navy als Manövergebiet vorbehalten ist und in dem sich kleine Fahrzeuge nicht aufhalten dürfen. In der Kajüte lag die Leiche einer Frau. Wir haben sie mehrere Male fotografiert.« »Haben Sie diese Aufnahmen bei sich?« »Jawohl.« -1 0 3 -
»Wir möchten sie als Beweise vorlegen.« »Kein Einspruch«, sagte Mason. »Sehr schön.« Richter Keyser fuhr fort: Wie viele Aufnahmen sind es?« »Sieben.« »Dann werden wir sie also als Beweisstück Nummer eins bis sieben bezeichnen. Fahren Sie fort.« »Was machten Sie dann?« »Nach Beendigung der Besichtigung nahmen wir die Jacht in Schlepp und brachten sie in den Hafen ein.« »Kreuzverhör«, ordnete Fraser an. Mason erhob sich und trat näher an den Zeugen heran. »Wie lange sind Sie schon bei der Küstenwache, Captain?« »Mehr als zwanzig Jahre.« »Kennen Sie sich in den Gewässern um Südkalifornien gut aus?« »Doch, Sir.« »Auch in den Gewässern, in denen die Jacht gefunden wurde?« »Nur im großen und ganzen. Unser eigentliches Aufgabengebiet befindet sich mehr in Küstennähe.« »Ich verstehe. Aber im großen und ganzen sind Ihnen die Gewässer bekannt, und besonders kennen Sie sich also in dem Gebiet zwischen der Küste und dem Punkt aus, an dem die Jacht aufgefunden wurde?« »Jawohl, Sir.« »Die Jacht befand sich also in einiger Entfernung jenseits von Catalina Island?« »Jawohl, Sir.« »Welche Möglichkeit«, fragte Mason, »besteht für den Fall, daß die Jacht aus dem Jachthafen von Los Angeles oder aus dem Deep Sea Cruising Jacht Club in der Nähe von Long Beach auslief, wobei die Steuerung der Jacht so festgestellt war, daß -1 0 4 -
das Boot nur geradeaus fahren konnte, und dann den Punkt erreichte, an dem sie unbeschädigt aufgefunden wurde - ohne anderen Schiffen aufzufallen, obwohl die Jacht weder irgendwelche Vorschriften einhielt noch Positionslichter gesetzt hatte, entsprechend der Annahme, daß sich außer der Leiche einer Frau niemand an Bord befand?« »Früher würde ich gesagt haben, daß die Möglichkeit ziemlich gering wäre«, gab der Captain zu. »Aber hier haben wir nun eine feststehende Tatsache. Ungeachtet aller Möglichkeiten hat die Jacht diese Strecke tatsächlich zurückgelegt.« »Wenn ich unterbrechen darf, Euer Gnaden«, warf Fraser ein, »aber ich weiß nicht, was dieses Kreuzverhör bezweckt. Ich weiß nicht, was der Verteidiger damit erreichen will.« »Das Kreuzverhör entspricht den Vorschriften«, sagte Richter Keyser. »Außerdem ist die Frage bereits beantwortet.« »Wie groß war der Fahrbereich der Jacht? Wie weit konnte sie mit vollen Tanks ungefähr fahren?« »Wir wissen gar nicht, ob der Tank voll war«, warf Fraser dazwischen. »Es handelt sich hier um ein Kreuzverhör«, sagte Richter Keyser. »Er kann sämtliche Fragen über die Jacht stellen, die er will. Das Gericht ist, offen gesagt, ebenfalls daran interessiert. Es geht um eine ziemlich wichtige Phase des vorliegenden Falles. Zumindest ist das Gericht dieser Ansicht.« »Der Aktionsradius ist vom Wind, von der Strömung und von den Wetterbedingungen abhängig, aber mit vollen Treibstofftanks dürfte er etwa ... ja, er würde etwas weiter reichen als der Punkt, an dem die Jacht aufgefunden wurde.« »Sie nehmen demnach an, daß die Tanks nicht voll waren, als die Jacht auslief. Ist das richtig?« »Jawohl.« »Besaß die Jacht eine Art von Steuermechanismus, der sie auf Kurs hielt?« »Ja. Es gibt verschiedene Steuermechanismen, mit denen eine Jacht auf einem bestimmten Kurs gehalten werden kann. Einige -1 0 5 -
sind ziemlich kompliziert; mit Hilfe eines Kompasses wird die Jacht auf einen bestimmten Kurs gebracht und auf diesem Kurs gehalten. Andere sind sehr viel einfacher; mit ihnen wird die Jacht auf demjenigen Kurs gehalten, auf den sie mit der Hand gebracht worden ist.« »Angenommen, Sie wären in Long Beach an Bord der Jacht gewesen und hätten die Jacht in jene Richtung bringen wollen, in der sie später von der Navy ausgemacht und von Ihnen selbst aufgefunden wurde - hätten Sie die Möglichkeit gehabt, die Steuereinrichtung so festzustellen, daß die Jacht in diese eine Richtung fuhr, und zwar so lange, bis der Brennstoff ausgegangen war?« »Ich glaube, daß es möglich sein könnte, weil ich weiß, daß es getan wurde.« »Mußte die Jacht von ihrem Anlegeplatz aus unmittelbar an Catalina Island vorbeifahren, um den Punkt zu erreichen, an dem sie aufgefunden wurde?« »Nicht unbedingt.« »Was meinen Sie damit?« »Meiner Ansicht nach war es für die Jacht vielleicht schwierig, jedoch nicht unmöglich, blind durch den ganzen Hochseeverkehr zu fahren, ohne bemerkt zu werden. Es könnte möglich gewesen sein, daß die Jacht bis zum südlichen Ende der Insel gekommen ist und nach Erschöpfung der Treibstoffvorräte dahin getrieben ist, wo sie schließlich aufgefunden wurde.« »Sie glauben, daß es so gewesen ist?« »Ich bin überzeugt, daß es so war.« »Dann glauben Sie auch, daß der Mörder nach dem Auslaufen der Jacht nicht mehr an Bord war?« »Nur wenn es ein ungewöhnlich guter Schwimmer war.« Richter Keyser krauste die Stirn, als unter den Zuhörern ein Kichern laut wurde. »Wie sind die Möglichkeiten, daß die Jacht diese Strecke zurücklegte, ohne jeden Zusammenstoß und ohne durch Wind -1 0 6 -
oder Strömung vom Kurs abgebracht zu werden, so daß sie nicht in Schwierigkeiten geriet?« »Das hängt davon ab, was Sie unter Schwierigkeiten verstehen. Wenn der Kurs erst einmal festgelegt war, daß er an Catalina Island vorbeiführte, konnte kaum etwas dazwischenkommen.« »Mit Ausnahme kleinerer Schiffe, die ihren Kurs kreuzten?« »Jawohl.« »Ist dieser Faktor dabei wesentlich?« »Es kommt darauf an. Es hängt davon ab, wann die Jacht auslief und unter welchen Bedingungen.« »Die Jacht hatte auch keine Positionslichter gesetzt?« »Nein.« »Deutet das darauf hin, daß die Jacht nur tagsüber gefahren ist?« »Entweder das, oder aber die Navigationsbestimmungen waren mißachtet worden.« »Und wenn die Jacht dabei entdeckt worden wäre, wäre doch wohl irgend etwas unternommen worden?« »Jawohl.« »Die Jacht wurde also in verbotenen Gewässern gefunden?« »Jawohl.« »Ist es bei der Navy üblich, in diesem Gebiet mit Hilfe des Radars kleinere Fahrzeuge aufzuspüren, die eventuell in das Gebiet eingedrungen sein könnten?« »Das glaube ich schon.« »Wenn also die Person, die die Jacht in Fahrt setzte, dabei die Absicht hatte, das Boot verschwinden zu lassen, hätte sie sich wohl nicht gerade dieses Gebiet ausgesucht?« »Nur dann nicht, wenn dem Betreffenden bekannt war, daß es sich hier um verbotene Gewässer handelt.« »Und wenn der Betreffende die Jacht auf diese Weise verschwinden lassen wollte, hätte er die Tanks auffüllen -1 0 7 -
können; dann wäre die Jacht, bevor die Vorräte erschöpft waren, beträchtlich über den Punkt hinausgekommen, an dem sie dann aufgefunden wurde?« »Jawohl, Sir, natürlich unter Berücksichtigung der Tatsache, ob der Mörder überhaupt noch Gelegenheit hatte, sich um den Inhalt der Tanks zu kümmern. Vielleicht hatte er es mit der Leiche an Bord nicht gewagt, die Tanks aufzufüllen - oder wenn der Mord nachts verübt wurde, hatte er vielleicht auch keine Gelegenheit dazu.« »Danke«, sagte Mason, »das war alles.« »Ich bitte, Dr. Andover Calvert aufzurufen«, meldete sich Donovan Fraser. »Ich werde Dr. Calverts Qualifikation innerhalb des Kreuzverhörs nachprüfen«, sagte Mason vergnügt. »Aber fangen Sie erst einmal ruhig an und stellen Sie ihm die rein technischen Fragen.« Fraser betrachtete Mason einigermaßen überrascht, ergriff dann jedoch ziemlich schnell diese günstige Gelegenheit. »Meinetwegen«, sagte er. »Sie wollen also herausfinden, ob Dr. Calvert mit dem Büro des Untersuchungsrichters zusammenarbeitet, ob er Pathologe ist und nicht nur ein hervorragender Arzt, sondern auch ein Fachmann auf allen Gebieten der Gerichtsmedizin?« »Das gehört zu den Rechten des Kreuzverhörs«, nickte Mason. »Ich werde seine allgemeinen Qualifikationen nachprüfen, und zwar im Kreuzverhör.« »Gut. Lassen Sie sich vereidigen, Dr. Calvert«, wies Fraser den Arzt an. Dr. Calvert hob die rechte Hand, wurde vereidigt und betrat den Zeu genstand. »Sie gingen also am Donnerstag, dem elften, an Bord der Cap's Eyes?« »Ja.« »Das war auf hoher See?« »Ja, Sir.« »Und was fanden Sie dort vor?«
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»Die Tür der Kajüte, die mit einem an der Innenseite angebrachten Schnappschloß versperrt gewesen war, war vor unserer Ankunft bereits aufgebrochen worden. Sowe it ich orientiert bin, war sie von Angehörigen der Marine aufgebrochen worden, die an Bord gegangen waren, bevor die Küstenwache benachrichtigt wurde.« »Weiter«, sagte Fraser. »Was fanden Sie in der Kajüte vor?« »In der Kajüte entdeckten wir die Leiche einer Frau von ungefähr achtundzwanzig Jahren. Die Verwesung hatte bereits eingesetzt; ich schätze, daß die Frau bereits zwischen vierundzwanzig und achtundvierzig Stunden tot war. Die Frau lag auf dem Rücken am Boden der Kajüte. In der Nähe ihrer Hand lag eine geöffnete Handtasche, dicht neben ihrer rechten Hand lag ein gespannter Revolver des Fabrikats Smith & Wesson. Aus diesem Revolver war ein Schuß abgegeben worden, dann war die Waffe wieder gespannt worden, anscheinend als Vorbereitung für einen weiteren Schuß.« »Fanden Sie auch das bei dem einen Schuß abgefeuerte Geschoß?« »In der Holzverkleidung der Kajüte, und zwar in der Nähe der Tür, fanden wir ein Geschoß, das im Holz steckte. Ich nehme an, daß es bereits ballistisch untersucht wurde und daß sich dabei herausstellte, daß es aus jener Waffe abgefeuert worden war, die auf dem Boden der Kajüte in der Nähe der Toten lag.« »Anschließend untersuchten Sie dann den Leichnam dieser Frau?« »Ja, das habe ich, Sir.« »Und was stellten Sie dabei fest?« »Ich stellte fest, daß die Frau durch Revolverschüsse getötet worden war. Zwei Geschosse waren in den Brustkasten eingedrungen, etwas oberhalb und seitlich vom Herzen. Beide Einschüsse waren weniger als vier Zentimeter voneinander entfernt und die Einschußkanäle verliefen - allgemein gesprochen - parallel.« »Handelte es sich dabei um Durchschüsse oder um Steckschüsse?« »Das eine Geschoß war abgelenkt worden -1 0 9 -
und steckte in einem Wirbel. Das andere war durch den Körper hindurchgegangen; es fand sich in den Kleidern der Toten. »Ihrer Ansicht nach waren diese beiden Geschosse die Todesursache?« »Ja.« »Kreuzverhör«, sagte Fraser zu Perry Mason. Mason erhob sich und ging auf den Zeugen zu. Sein Verhalten wirkte gelassen, und seine Stimme klang ruhig, als führe er eine Unterhaltung. »Also zwei Geschosse, Doktor?« »Ja.« »Welches verursachte die tödliche Verletzung, Doktor?« »Beide verursachten tödliche Verletzungen.« »Welche führte aber zum Tod?« »Beide hätten zum Tod führen können.« »Verzeihung, Doktor. Ich fragte nicht, welches Geschoß zum Tod führen konnte, sondern welches Geschoß tatsächlich zum Tode führte.« »Beide verursachten tödliche Verletzungen.« »Wollen Sie damit sagen, daß beide Geschosse den Tod verursachten?« »Ja.« »Wollen sie damit auch sagen, daß man zweimal sterben kann?« »Das habe ich damit nicht gemeint.« »Was haben Sie dann gemeint?« »Ich meine, daß jedes dieser beiden Geschosse den Tod verursacht haben kann.« »Wie weit lagen die beiden Einschüsse auseinander?« »Knapp vier Zentimeter.« »Und welches Geschoß war zuerst abgefeuert worden?« »Das kann man nicht sagen.« -1 1 0 -
»Waren die Geschosse sofort tödlich?« »Das hängt davon ab, was Sie unter >sofort< verstehen?« »Gut. Was verstehen denn Sie darunter?« »Wenn ich >sofort< sage, dann meine ich >augenblicklich<.« »Verursachte also eines der Geschosse eine augenblickliche tödliche Verletzung?« »Beide Geschosse verursachten eine tödliche Verletzung.« »Wann trat der Tod nach dem ersten Schuß ein?« »Das weiß ich nicht. Mehr als höchstens ein paar Minuten später kann es nicht gewesen sein.« »Denken Sie dabei vielleicht an etwa fünf Minuten?« »Vielleicht.« »Zehn Minuten?« »Vielleicht.« »Fünfzehn Minuten?« »Das halte ich für unwahrscheinlich. Genaugenommen glaube ich, daß der Tod nach zwei bis drei Minuten eintrat.« »Und welches Geschoß verursachte den Tod?« »Euer Gnaden«, sagte Fraser und sprang auf. »Gegen diese Art von Kreuzverhör erhebe ich Einspruch. Diese Fragen wurden bereits gestellt und beantwortet.« »Sie wurden bereits gestellt«, sagte Mason, »sie wurden jedoch noch nicht beantwortet.« »Außerdem sind sie unsachlich, unerheblich und unwesentlich, und erreicht wird dadurch auch nichts«, fuhr Fraser fort. »Ich möchte vom Verteidiger gern erfahren«, sagte Richter Kreyser, »ob er glaubt, daß diese Fragen auf einen besonderen Punkt zielen oder sich beziehen.« »Ich halte es für äußerst wichtig«, erwiderte Mason, »jetzt herauszufinden, wie die Ermordete starb, wann sie starb und woran sie starb. Meiner Ansicht nach ist dies bei jedem Mord wichtig.«
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»Aber wenn ein Täter zwei Schüsse abgibt, ist es doch unwichtig, welcher Schuß zuerst abgegeben wurde und welche Verletzung den Tod verursachte«, sagte Richter Keyser. »Woher können wir denn wissen, daß der Täter zwei Schüsse abgab?« fragte Mason. Richter Keyser blickte Mason überrascht an. »Unterstellen Sie, daß es zwei Täter waren?« fragte er. »Das weiß ich, offen gesagt, nicht«, erwiderte Mason. »Als juristischer Vertreter dieser Beschuldigten unterstelle ich im Augenblick lediglich, daß ich das Recht habe, sämtliche Tatsachen dieses Falles herauszufinden.« »Der Einspruch ist abgelehnt«, sagte Richter Keyser. Ärgerlich meinte Dr. Calvert: »Ich möchte dem Gericht und den Parteien gegenüber folgendes feststellen. Es waren zwei Geschosse. Eines dieser Geschosse durchschlug eine Herzkammer. Ich halte es für möglich, daß dieses Geschoß fast augenblicklich zum Tode führte. Das andere Geschoß traf etwas weiter links. Es ging am Herzen vorbei, hätte jedoch ebenfalls innerhalb weniger Minuten zum Tode geführt. Das ist meine Ansicht zu diesen Fragen.« »Sehr schön«, sagte Mason. »Bezeichnen wir also das Geschoß, das am Herzen vorbeiging, als Geschoß Nummer eins, und das Geschoß, das eine Herzkammer durchschlug, als Geschoß Nummer zwei. Welches Geschoß wurde nun zuerst abgefeuert?« »Das weiß ich nicht.« »Ich bin der Ansicht, daß diese Frage unsachlich, unerheblich und unwesentlich ist«, warf Fraser ein. »Hier handelt es sich einfach darum, daß der Anwalt sich verzweifelt an den Strohhalm verfahrenstechnischer Einzelheiten klammert.« Richter Keyser schüttelte den Kopf. »Ich bin der Ansicht, daß es sich hier um einen interessanten Punkt handelt. Ich weiß zwar nicht, was die Beweisaufnahme sonst noch ergeben wird, aber wenn die Verteidigung bei der Verfolgung dieser Spur ein -1 1 2 -
bestimmtes Ziel vor Augen hat, wäre es der Beklagten gegenüber ausgesprochen unfair, ihr das Recht zu dieser Art von Kreuzverhör zu bestreiten. Aus diesem Grunde lehnte ich den Einspruch ab.« »Welches Geschoß verursachte den Tod, Doktor?« »Das weiß ich nicht. Das hängt ganz davon ab, in welcher Reihenfolge die Schüsse abgegeben wurden.« »Wenn das Geschoß«, sagte Mason, »das wir als Nummer zwei bezeichnen, zuerst abgefeuert wurde und das Geschoß Nummer eins erst nach einer gewissen Zeit abgefeuert wurde sagen wir: etwa drei Minuten später -, würden Sie annehmen, daß dieser Schuß auf eine Tote abgegeben wurde. Ist das richtig?« »Wenn Sie einen derartigen Fall überhaupt für möglich halten, würde ich sagen: ja.« »Wenn das Geschoß Nummer eins zuerst abgefeuert wurde nach wie langer Zeit dürfte der Tod dann eingetreten sein?« »Meiner Meinung nach etwa drei bis fünf Minuten später.« »Aber vielleicht auch erst nach zehn Minuten?« »Ja.« »Angenommen nun, daß das Geschoß Nummer eins zuerst und Geschoß Nummer zwei unmittelbar danach abgefeuert wurde: wurde der Tod dann von Geschoß Nummer zwei verursacht?« »Das dürfte wahrscheinlich sein.« »Sowohl Geschoß Nummer eins als auch Geschoß Nummer zwei wurden sichergestellt?« »Ja. Beide Geschosse fanden sich bei der Toten.« »Und was machten Sie mit ihnen?« »Ich übergab sie dem Ballistiker Alexander Redfield.« »Was teilten Sie dem Sachverständigen dabei mit?« »Daß es die beiden Geschosse wären, die bei der Leiche der Nadine Ellis gefunden worden wären.« »Zu diesem Zeitpunkt hatten Sie die Leiche bereits identifiziert?« -1 1 3 -
»Sie war bereits identifiziert worden, so daß ich Mr. Redfield gegenüber diese Feststellung treffen konnte.« »Gaben Sie dem Sachverständigen beide Geschosse?« »Ja.« »Hatten Sie sie irgendwie gekennzeichnet?« »Ja, durch ein kleines geheimes Zeichen.« »So daß Sie sie also wiedererkennen können?« »Ja.« »Ich nehme an«, sagte Mason, »daß die Staatsanwaltschaft die Geschosse hier hat und sie in Kürze als Beweis vorlegen wird. Ich finde, daß Dr. Calvert sie bereits jetzt identifizieren sollte.« »Das können wir genauso gut«, unterbrach Fraser, »wenn der Zeuge Redfield bestätigt, daß die von ihm vorgelegten Geschosse die gleichen sind, die ihm von Dr. Calvert übergeben wurden.« »Ich würde die einzelnen Glieder der Kette gern miteinander in Verbindung bringen«, sagte Mason, »und ich glaube, dazu auch berechtigt zu sein.« Ärgerlich erwiderte Fraser: »Wenn das Gericht erlaubt - aber ich wurde gewarnt, daß ich gerade mit dieser Verzögerungstaktik der Verteidigung immer zu rechnen hätte. Schließlich handelt es sich hier nur um eine Vorverhandlung, und ich habe nicht die Absicht, mich beteiligen zu lassen, wenn die Verteidigung diese Verhandlung zu einem dramatischen Schauspiel machen will.« »Ich mache die Verhandlung nicht zu einem dramatischen Schauspiel«, wehrte Mason ab. »Ich fordere lediglich, daß der Zeuge kurz die Geschosse identifiziert, die er in seiner Aussage erwähnte.« »Meiner Ansicht nach befindet sich die Verteidigung im Recht«, sagte Richter Keyser. »Sie haben doch bestimmt die Absicht, Mr. District Attorney, die Geschosse in wenigen Minuten selbst vorzulegen, nicht wahr?«
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»Diese Absicht habe ich schon«, gab Fraser zu, »aber ich habe keine Lust, mir von der Verteidigung vorschreiben zu lassen, was ich zu tun und zu lassen habe.« »Ich möchte doch bitten«, sagte Richter Keyser. »Offensichtlich wird dadurch doch nichts geändert. Warum legen Sie die Geschosse nicht vor, wenn Sie sie hier haben? Liegt irgendein Grund vor, sie noch nicht zu zeigen oder sie noch nicht zeigen wollen?« »Nein, Euer Gnaden.« »Dann wollen wir sie doch vom Zeugen identifizieren lassen.« Fraser, der sich nur mühsam beherrschte, wandte sich an Alexander Redfield, den ballistischen Sachverständigen, der unmittelbar hinter ihm saß, und ließ sich von diesem ein Glasröhrchen geben. Dann ging er zum Zeugenstand und gab das Glasröhrchen dem Arzt. »Ich übergebe ihnen jetzt zwei Geschosse, Doktor. Ich fordere Sie auf, sich die beiden Geschosse genau anzusehen und zu sagen, ob es sich dabei um die bei der Toten gefundenen Geschosse handelt oder nicht.« Dr. Calvert zog ein Vergrößerungsglas aus der Tasche, betrachtete die beiden in dem Glasröhrchen befindlichen Geschosse und nickte dann bedächtig. »Es sind die gleichen Geschosse«, bestätigte er. »Beide weisen mein geheimes Kennzeichen auf.« »Wie sieht dieses Kennzeichen aus?« fragte Mason. »Wo ist es?« »Ich möchte darüber nichts sagen«, erwiderte Dr. Calvert. »Es ist ein sehr kleines Zeichen und hat den Zweck, jene Geschosse wiederzuerkennen, mit denen ich bei den von mir durchgeführten Obduktionen zu tun habe.« »Dann bringen Sie also bei sämtlichen Geschossen, mit denen Sie zu tun haben, das gleiche Zeichen an?« fragte Mason. »Das ist richtig.« »Warum?«
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»Damit ich sie wiedererkennen kann. Damit sie nicht mit den Geschossen durcheinander geraten, die bei anderen Obduktionen vorgefunden werden. Auf diese Weise weiß ich immer sofort Bescheid.« »Ich verstehe«, sagte Mason. »Sie bringen also bei sämtlichen Geschossen, mit denen Sie zu tun haben, genau das gleiche Zeichen an?« »Genau das habe ich bereits betont!« sagte Dr. Calvert barsch. »Darf ich dann fragen, mit wie vielen Geschossen Sie im Laufe eines Jahres auf Grund der von Ihnen durchgeführten Obduktionen zu tun haben?« »Das kann ich nicht sagen. Das ist sehr verschieden und hängt ganz von der Zahl der Obduktionen, von der Zahl der Ermordungen durch Erschießen und von anderen Faktoren ab.« »Wie groß ist ungefähr die Anzahl der Geschosse, mit der Sie auf Grund der Obduktionen jährlich zu tun haben. Etwa fünfzig?« »Durchschnittlich? Nein.« »Vielleicht fünfundzwanzig?« »In manchen Jahren können es etwa fünfundzwanzig gewesen sein. Aber als Durchschnitt würde ich es nicht bezeichnen.« »Dann vielleicht etwa zwölf?« »Das könnte hinkommen.« »Und die einzige Möglichkeit, die Geschosse wiederzuerkennen, ist also Ihr geheimes Zeichen?« »Ja. Mehr brauche ich dazu auch nicht.« »Das mag vielleicht für Sie selbst zutreffen, Doktor. Meiner Ansicht nach sind diese beiden Geschosse jedoch lediglich als Geschosse identifiziert, mit denen Sie irgendwann einmal zu tun hatten - nicht aber als jene Geschosse, die Sie bei der Obduktion der toten Nadine Ellis fanden.« »Ich weiß aber, daß es die gleichen sind.« »Woher?« -1 1 6 -
»Durch Augenschein, durch die Form, durch das Kaliber.« »Aus welchem Grunde ist es denn dann überhaupt nötig, daß Sie sie mit Ihrem geheimen Zeichen versehen?« »Damit jeder Irrtum ausgeschlossen ist.« »Und dabei handelt es sich immer um das gleiche Zeichen, das Sie im Jahr durchschnittlich an einem Dutzend Geschosse und in manchen Jahren sogar an fünfundzwanzig Geschossen anbringen?« »Euer Gnaden!« empörte sich Fraser. »Das hat mit einem Kreuzverhör nun wirklich nichts mehr zu tun! Die eigentliche Frage wurde gestellt und beantwortet. Jetzt handelt es sich allein um einen Versuch, den Zeugen einzuschüchtern.« Richter Keyser sah nachdenklich zu Mason hinüber; dann wandte er sich an den Zeugen. »Haben Sie nicht noch irgend etwas anderes, vielleicht eine Aufschrift oder etwas Ähnliches, verwendet, das beweist, daß es sich bei diesen Geschossen um jene handelt, die auch zu diesem Fall gehören?« »Ich habe sie Alexander Redfield übergeben«, sagte Dr. Calvert. »Damals befanden sie sich auch in einem Glasröhrchen, und dieses Röhrchen trug eine Nummer, das heißt ein kleines Etikett, auf das eine Nummer geschrieben war. Es war die laufende Nummer der von uns bearbeiteten Fälle. Befände sich dieses Etikett noch auf dem Glasröhrchen, würde mit Sicherheit fest stehen, daß es sich hier um die entsprechenden Geschosse handelt.« »Das Etikett mit der Nummer ist jedoch entfernt worden?« fragte Richter Keyser. »Anscheinend. Ich sehe allerdings, daß das Etikett, das sich jetzt auf dem Glasröhrchen befindet, die Handschrift Mr. Redfields trägt.« »Also gut«, sagte Richter Keyser. »Fahren Sie in Ihrem Verhör fort, Mr. Mason. Dem Staatsanwalt möchte ich vorher jedoch noch sagen, daß die Geschosse in dem vorliegenden Fall in einen erheblich engeren Zusammenhang gebracht werden müssen, ehe sie als Beweis anerkannt werden können.« -1 1 7 -
»Diese Absicht habe ich bereits«, bemerket Fraser, »sobald ich nur die Möglichkeit dazu bekomme.« »Sie werden noch ausreichend Möglichkeiten bekommen«, sagte Richter Keyser. »Fahren Sie fort, Mr. Mason.« »Nehmen wir an«, sagte Mason, »daß es sich tatsächlich um jene Geschosse handelt, die Sie bei der Obduktion der toten Nadine Ellis vor fanden. Welches Geschoß wurde zuerst abgefeuert?« »Ich habe bereits gesagt, daß ich es nicht weiß.« »Dann will ich die Frage anders formulieren«, fuhr Mason fort. »Wir bezeichnen die Geschosse mit den Nummern eins und zwei. Welches dieser Geschosse hier trägt die Nummer eins und welches die Nummer zwei?« »Das weiß ich nicht.« »Das wissen Sie nicht?« »Nein.« »Sie haben die beiden Geschosse nicht so gekennzeichnet, daß Sie sie unterscheiden können?« »Aber nein. Beide Geschosse wurden bei der Obduktion gefunden. Beide wären tödlich gewesen - ich meine: jedes Geschoß hätte allein den Tod verursachen können. Ich tat sie in ein Glasröhrchen, klebte das Etikett mit der laufenden Nummer auf das Röhrchen - es war, glaube ich, die Nummer CI22 - und gab das Röhrchen persönlich an Mr. Redfield weiter.« Redfield erhob sich lächelnd, wollte etwas sagen, überlegte es sich dann jedoch anders und setzte sich wieder. »Mit anderen Worten, Doktor«, wiederholte Mason. »bei den Schußverletzungen der Nadine Ellis zeigte sich, daß die eine, bei der das Geschoß durch einen Teil des Herzens gegangen war, fast sofort zum Tode geführt hätte. Der zweite Schuß führte zu einer Verletzung, die innerhalb weniger Minuten zum Tode geführt hätte. Können Sie uns vielleicht angeben, welches dieser beiden Geschosse welche Verletzung verursachte?« »Ich habe gar nicht erst versucht, die beiden Geschosse auseinanderzu halten. Beide haben das gleiche Kaliber, beide -1 1 8 -
wurden aus der gleichen Waffe abgefeuert. Ich kann jedoch sagen, daß das mit der Nummer zwei bezeichnete Geschoß, das Herz durchschlug, in der Wirbelsäule steckenblieb und dadurch etwas abgeplattet ist. Ich sehe hier, daß eines dieser Geschosse ebenfalls etwas abgeplattet ist, und aus diesem Grunde würde ich sagen, daß dieses Geschoß aller Wahrscheinlichkeit nach jenes Geschoß ist, das ich als Nummer zwei bezeichnete: jenes Geschoß, das das Herz durchschlug.« »Haben Sie bei der Obduktion den Weg der beiden Geschosse genau verfolgt?« fragte Mason. »Und zwar durch den ganzen Körper?« »Bei der einen Verletzung verfolgte ich den Schußkanal vom Einschuß bis zum Herzen, bei der anderen vom Einschuß bis zu den Hauptblutgefäßen. Ich darf vielleicht jedoch sagen, daß ich die beiden Schußkanäle nicht vollständig auseinanderhielt oder auseinanderhalten konnte -, weil die Leiche schon derart in Verwesung übergegangen war, daß es einfach unmöglich war, die beiden Schußkanäle durch den ganzen Körper hindurch einzeln zu verfolgen.« »Und Sie können also nicht sagen, welches Geschoß zuerst abgefeuert worden ist?« »Sehr richtig«, sagte Dr. Calvert. Und unwillig fügte er plötzlich noch hinzu: »Der Grund dafür, Mr. Mason, liegt darin, daß ich ein Mann der Medizin und kein Medizinmann bin.« »Sie wissen aber auch nicht genau«, fuhr Mason höflich fort, »ob die hier vorliegenden Geschosse mit jenen identisch sind, die Sie bei der Obduktion der toten Nadine Ellis fanden. Sie wissen lediglich, daß es sich hier um zwei Geschosse handelt, mit denen Sie bei irgendeiner Obduktion zu tun hatten.« »Ich fand diese beiden Geschosse bei der Obduktion der Nadine Ellis und übergab sie Mr. Redfield am Abend des zwölften«, sagte Dr. Calvert. »Danke«, schloß Mason das Verhör, »das genügt.«
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»Keine weiteren Fragen«, sagte Fraser. »Sie können den Zeugenstand wieder verlassen, Doktor. Als nächsten Zeugen rufe ich Alexander Redfield auf.« Mit einem leichten Lächeln betrat Redfield den Zeugenstand. »Sie heißen Alexander Redfield und arbeiten als ballistischer Sachverständiger für die staatlichen Behörden?« fragte Fraser. »Das stimmt.« »Kennen Sie Dr. Andover Calvert, den Zeugen, der eben ausgesagt hat?« »Ich kenne ihn.« »Haben Sie ihn am oder um den zwölften dieses Monats gesehen?« »Das habe ich.« »Hatten Sie zu diesem Zeitpunkt auch eine Unterhaltung mit Dr. Calvert?« »Ja.« »Hat Dr. Calvert Ihnen bei dieser Unterhaltung etwas übergeben?« »Ja.« »Worum handelte es sich?« »Um zwei Geschosse.« »Und was machten Sie mit diesen zwei Geschossen, Mr. Redfield?« »Ich legte sie in ein Glasröhrchen, versiegelte das Röhrchen und kennzeichnete es. Dann schloß ich das Glasröhrchen in ein besonderes Fach jenes Safes, der in meinem Büro steht.« »Verglichen Sie die beiden Geschosse nicht mit anderen Geschossen?« »Nicht zu diesem Zeitpunkt.« »Wann geschah das?« »Später, als man mir eine Waffe übergeben und mich aufgefordert hatte, aus dieser Waffe ein paar Probeschüsse abzugeben.« -1 2 0 -
»Und welche Waffe war dies?« »Es war ein Revolver vom Typ Smith & Wesson mit sechs Zentimeter langem Lauf.« »Kennen Sie die Nummer dieser Waffe?« »Ja. Es war die Nummer I33 347.« »Haben Sie die Waffe bei sich?« »Ja.« »Dann zeigen Sie die bitte.« Redfield griff in seine Aktenmappe und holte den Revolver heraus. »Ich bitte, diesen Gegenstand zu kennzeichnen«, forderte Fraser. »Er erhält das Kennzeichen Beweisstück B«, sagte Richter Keyser. »Sie erhielten also von Dr. Calvert zwei Geschosse. Ich frage Sie, ob Sie diese beiden Geschosse ebenfalls bei sich haben?« »Ich habe sie Ihnen gerade gegeben.« »Hier sind sie. Können Sie uns sagen, ob es sich um die gleichen Geschosse handelt, die Dr. Calvert Ihnen übergab?« »Es sind die gleichen Geschosse.« »Woher wissen Sie das?« »Seit dem Zeitpunkt, an dem Dr. Calvert sie mir gab, befinden sie sich bei mir in Gewahrsam.« »Und sind auch immer in dem Glasröhrchen gewesen?« »Nein, Sir. Ich habe sie mehrmals herausgenommen, um Vergleiche anzustellen und Vergleichsaufnahmen zu machen.« »Haben Sie die Geschosse je aus der Hand gegeben?« »Nein, Sir. Sie befanden sich von dem Zeitpunkt an in meinem Gewahrsam, als Dr. Calvert sie mir übergab, und bis zu dem Zeitpunkt, als ich sie Ihnen vor einer Minute gab.« »Ich bitte, die Geschosse als Beweisstück C zu kennzeichnen«, sagte Fraser. -1 2 1 -
»Beide Geschosse unter einer einzigen Nummer?« fragte Mason. »Sie befinden sich zusammen in einem Glasröhrchen.« »Ich schlage vor, daß sie gesondert gekennzeichnet werden«, sagte Mason, »Ich stelle fest, daß das eine Geschoß an der Spitze etwas abgeplattet ist, vermutlich durch Aufprall auf einen ziemlich festen Gegenstand. Das andere Geschoß weist kaum eine Deformierung auf. Ich schlage daher vor, das deformierte Geschoß als Beweisstück C-1, das andere als Beweisstück C-2 zu bezeichnen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich mitteilen, daß ich - um die Verhandlung zu beschleunigen - eventuell einverstanden sein werde, sowohl den Revolver als auch die Geschosse als Beweisstück anzuerkennen, wodurch die Notwendigkeit besteht, sie jetzt bereits zu kennzeichnen und später als Beweise zu vereinnahmen.« »Die Staatsanwaltschaft«, sagte Fraser, »ist damit einverstanden. Die Geschosse werden als Beweisstück C-1 und C-2 gekennzeichnet.« Dann wandte er sich an den Zeugen. »Haben Sie Versuche mit dieser Waffe, Beweisstück B, angestellt?« »Ja.« »Und haben Sie die aus diesen Versuchen stammenden Geschosse mit den Geschossen Beweisstücke C verglichen?« »Ja.« »Was stellten Sie dabei fest?« »Die Geschosse wurden aus diesem Revolver abgefeuert«, behauptete Redfield. »Ich habe eine vergleichende mikroskopische Aufnahme gemacht, aus der hervorgeht, daß die Geschosse sich genau gleichen und auch die Rillen übereinstimmen.« »Würden Sie diese Aufnahmen bitte vorlegen.« Redfield holte eine Fotografie heraus. »Ich bitte diese Aufnahme als Beweisstück D zu vereinnahmen.« »Kein Einspruch«, sagte Mason. -1 2 2 -
»Kreuzverhör«, sagte Fraser. Redfield, der von Mason schon verschiedentlich ins Kreuzverhör genommen worden war, blickte den Anwalt erwartungsvoll an und ließ sich auf dem Stuhl nieder, der sich im Zeugenstand befand. Sein Gesichtsausdruck deutete an, daß er die Absicht hatte, sich jede Antwort genau zu überlegen um sich nicht zu unüberlegten Zugeständnissen hinreißen zu lassen. »Ich sehe nur eine einzige Aufnahme«, griff Mason an. »Es handelt sich hier jedoch um zwei Geschosse.« »Diese Aufnahme zeigt das Geschoß Beweisstück C-2. Da das andere Geschoß deformiert war und es erheblich schwieriger gewesen wäre, die Kennzeichen zu vergleichen, habe ich das Geschoß nicht fotografiert.« »Sie sind jedoch restlos überzeugt, daß die Geschosse aus dem Revolver abgefeuert worden sind, der als Beweisstück B vorliegt?« »Ja ... das heißt, ich möchte hierzu noch etwas sagen. Mit dem deformierten Geschoß habe ich keine detaillierten Versuche angestellt. Detaillierte Versuche habe ich nur mit dem unversehrten Geschoß angestellt, und dann habe ich diese Aufnahme gemacht, damit unzweifelhaft feststeht, daß das Geschoß aus der Waffe Beweisstück B abgefeuert worden ist.« »Sie nehmen also an, daß beide Geschosse mit dem gleichen Revolver abgefeuert wurden«, folgerte Mason. »Das ist richtig.« »Nachgeprüft haben Sie es jedoch nicht?« »Ich habe das deformierte Geschoß nicht in dem gleichen Ausmaß untersucht wie das andere.« »Sie haben es also doch untersucht?« »Ja, das heißt ... einen Moment, Mr. Mason. Wenn Sie ganz genau sein wollen, kann ich nicht beschwören, daß ich beide Geschosse gründlich untersucht habe. Ich weiß, daß ich ein unversehrtes Geschoß untersucht habe, und ich weiß, daß ich ein deformiertes Geschoß in dem Ausmaß untersucht habe, -1 2 3 -
daß ich feststellen konnte, es handelte sich dabei um Geschosse des gleichen Kalibers, des gleichen Gewichts sowie um die Tat sache, daß beide mit einem Smith & Wesson abgefeuert wurden. Das läßt sich auf Grund des Winkels und des Abstands der Rillen sagen. Hinsichtlich der Rillen habe ich jedoch nur jenes Geschoß gründlich untersucht, das als Beweisstück C-2 bezeichnet wird.« »Einen Augenblick«, unterbrach Richter Keyser. »Wir wollen die Dinge doch realistisch betrachten, Mr. Mason. Spielt dieser Punkt denn wirklich eine so große Rolle?« »Ich halte ihn für eminent wichtig, wenn das Gericht erlaubt«, betonte Mason. »Ich glaube, beweisen zu können, daß das aus diesem Revolver abgefeuerte Geschoß - vorausgesetzt, daß dies überhaupt der Fall war -, daß also dieser auf Nadine Ellis abgegebene Schuß eine bereits Tote traf. Die in diesem Verfahren Beschuldigte ist des Mordes angeklagt. Mord ist das gesetzwidrige Töten eines menschlichen Wesens, und zwar mit Vorsatz. Wenn mit diesem Revolver ein Schuß auf Nadine Ellis abgegeben wurde, als diese bereits tot war, dann ist die Beschuldigte mit Sicherheit nicht eines Mordes schuldig. Das heißt: der Beweis, der sie eines Mordes überfuhren soll, würde nur nachweisen, daß die Beschuldigte auf einen Leichnam geschossen hat.« »Das ist purer Unsinn!« rief Fraser hitzig aus. »Bei dieser Verhandlung brauchen wir lediglich zu beweisen, daß Nadine Ellis ermordet worden ist und daß die in der Leiche gefundenen Geschosse mit einem Revolver abgefeuert wurden, der sich im Besitz der Beschuldigten befand.« »Eines der Geschosse«, sagte Mason. »Das ist nur eine Frage der genauen Untersuchung«, sagte Fraser. »Ich will zugeben, daß die Staatsanwaltschaft es selbst für besser gehalten hätte, wenn der ballistische Sachverständige Alexander Redfield sich die Zeit und die Mühe genommen hätte, beide Geschosse zu untersuchen. Da das eine Geschoß jedoch leicht deformiert ist und beide offenbar mit dem gleichen Revolver abgefeuert wurden, gab er sich -1 2 4 -
damit zufrieden, nur eines der beiden Geschosse genau zu untersuchen. Da wir lediglich nachzuweisen haben, daß ein Verbrechen begangen wurde und kein vernünftiger Grund zu der Annahme besteht, die Beschuldigte hätte das Verbrechen nicht verübt, begnügen wir uns damit, diesen Revolver sowie dieses Geschoß als Beweis vorzulegen und die Beweisaufnahme von uns aus damit abzuschließen.« »Einen Augenblick, bitte«, unterbrach Richter Keyser. »Das Gericht ist sich nach alter Gewohnheit der Tatsache bewußt, daß die Verteidigung in der Vorverhandlung keine Beweise beibringt, und wenn die Verteidigung dies tut, lehnt das Gericht sie normalerweise ab - es sei denn, daß die Unschuld der Beklagten dadurch in eindeutiger Weise nachgewiesen wird. Das Gericht ist sonst der Ansicht, daß Beweisstreitigkeiten vor einem ordentlichen Gericht ausgetragen werden sollten, damit ein Fall nicht länger verhandelt zu werden braucht, wenn die Staatsanwaltschaft die Schuld unwiderlegbar nachgewiesen hat. Heute haben wir jedoch einen Fall vor uns, wo eine junge Frau - würde ihr Fall an das ordentliche Gericht überwiesen wahrscheinlich längere Zeit in Haft bleiben würde, bevor ihr Fall zur Verhandlung käme. Ihr Ruf würde in Mitleidenschaft gezogen, das Erlebnis würde ihr psychisch schaden. Dieses Gericht hat daher nicht die Absicht, diese junge Frau lediglich auf Grund technischer Verfahrensfragen dem länger dauernden Verfahren auszusetzen. Wenn Mr. Mason dem Gericht versichert, er könne wahrscheinlich die Tatsache beweisen, daß dieses Geschoß nur nach Eintreten des Todes abgefeuert sein könnte, dann glaubt das Gericht, daß Mr. Redfield auch das andere Geschoß daraufhin untersuchen sollte, ob es mit dem gleichen Revolver abgefeuert wurde.« »Wir erheben dagegen keinen Einspruch«, sagte Fraser. »Wir stellen jedoch fest, daß das Ergebnis lediglich in einer Verzögerung und in ausführlichen Presseberichten bestehen wird - beides Dinge, wie sie die Verteidigung sich sehnlichst wünscht.« -1 2 5 -
»Ich muß doch sehr bitten!« griff Richter Keyser ein. »Es besteht nicht der geringste Anlaß zu persönlichen Bemerkungen, und wenn Sie schon genau sein wollen, dann liegt der Fehler - wenn überhaupt - bei der Anklage. Die Verteidigung hat das Recht zu verlangen, daß wissenschaftliche Beweise entsprechend geprüft und vorgelegt werden. Mr. Redfield, wie lange werden Sie brauchen, um das etwas deformierte Geschoß zu untersuchen und fest zustellen, ob es aus diesem Revolver, Beweisstück B, abgefeuert wurde oder nicht?« Redfield zögerte. »Ich arbeite augenblicklich an einem äußerst dringenden Fall«, überlegte er, »und habe meine Arbeit nur unterbrochen, um zur Verhandlung zu erscheinen. Ich kann zusagen, daß das Ergebnis bis zum späten Nachmittag vorliegen wird; ob es früher möglich sein wird, kann ich mit Bestimmtheit nicht sagen.« »Ich unterbreche die Verhandlung also bis heute nachmittag, drei Uhr dreißig. Versuchen Sie, ob Sie bis dahin fertig sein können, Mr. Redfield. Sollte es nicht möglich sein, werden wir die Verhandlung auf morgen vertagen. Ich würde diesen Fall jedoch gern heute zum Abschluß bringen, und ich glaube, daß die Untersuchung des Geschosses von besonderer Wichtigkeit ist... Soweit ich verstanden habe, kann die Staatsanwaltschaft beweisen, daß sie die Waffe Beweisstück B im Besitz der Beschuldigten fand, so daß zumindest hier keine Zweifel bestehen.« »Das ist richtig«, sagte Fraser. »Schön. Ich unterbreche die Verhandlung bis heute nachmittag, drei Uhr dreißig«, Richter Keyser erhob sich. »Der Zeuge wird wieder hier erscheinen, und die Verteidigung wird mit der Beschuldigten ebenfalls anwesend sein. Die Beschuldigte bleibt in Haft.« Ellen Robb krallte ihre Finger in Masons Robenärmel. »Mr. Mason, wie um Himmels willen .. . Die sind verrückt! Ich habe Nadine Ellis nicht erschossen. Ich habe nie mit dem Revolver geschossen. Ich ...!« -1 2 6 -
»Nehmen Sie sich zusammen«, befahl Mason und warf ihr einen warnenden Blick zu. »Sagen Sie jetzt nichts. Vielleicht werden die Reporter versuchen, irgend etwas aus Ihnen herauszubekommen. Oder die Polizei wird Sie wegen des Revolvers verhören. Halten Sie bei allem immer nur den Mund. Aber eins möchte ich Ihnen noch sagen: lügen Sie mich nicht dauernd an.« »Ich lüge Sie nicht an.« »Sie haben aber gelogen«, betonte Mason. Sie schüttelte den Kopf. »Wenn mit diesem Revolver ein Schuß auf die Leiche von Nadine Ellis abgegeben worden ist, dann hat es jemand getan, bevor der Revolver zwischen meine Sachen kam, und ihn daran anschließend erst hineingesteckt.« Mason sah prüfend ihr Gesicht an. Sie erwiderte offen seinen Blick. »Großes Ehrenwort!« sagte sie. »Das«, schloß Mason, »war vielleicht doch nicht einfach so daher gesagt. Wenn Sie mich aber anlügen, sieht die ganze Situation vielleicht erheblich ernster aus, als Sie glauben.« Mason nickte der Polizeibeamtin zu, damit sie Ellen Robb wieder in ihre Obhut nähme, und verließ mit Della Street den Gerichtssaal.
11 In dem kleinen privaten Speiseraum des Restaurants, in dem Perry Mason, Della Street und Paul Drake häufig während der Mittagspause aßen, saß das Trio um den Tisch. »Ich verstehe wirklich nicht, warum du jetzt so maßlos überrascht zu sein scheinst«, meinte Paul Drake zu Mason. »Ich habe dir schon vor einiger Zeit gesagt, daß deine Klientin kein lilienweißer Engel sei. Meiner Ansicht nach lügt sie wie gedruckt.« »Es ist noch viel schlimmer, Paul«, sagte Mason. »Was soll das heißen?« -1 2 7 -
»Ich werde dir ein großes Geheimnis verraten«, gestand Mason. »Wenn der Mord tatsächlich mit diesem Revolver verübt worden ist, bin ich per sönlich in den Fall verwickelt.« »In welchen Fall?« »In den Mord.« »Ausgerechnet du!« rief Drake ungläubig. »Nenne es Mitschuld nach der Tat oder Unterdrückung von Beweisen oder wie du sonst willst, Paul. Ich glaube aber einfach nicht, daß dieser Revolver bei einem Verbrechen verwendet werden konnte.« »Trotzdem war es so«, versicherte Drake. »Beweise liegen vor.« Mason, dessen Gesicht vor Konzentration erstarrt war, achtete nicht auf Drakes Worte; vielleicht hatte er sie gar nicht gehört. Drake wandte sich an Della Street. »Das eben habe ich nicht verstanden. Ich habe zwar schon mehrmals erlebt, daß das Eis erheblich unter ihm gekracht hat, aber so wie jetzt habe ich ihn noch nie erlebt.« Della Street schüttelte warnend den Kopf und deutete damit an, daß Drake über dieses Thema nicht mehr sprechen sollte. »Was wurde eigentlich aus dem Revolver, den ich zur Untersuchung weggebracht habe, Perry?« fragte Drake. »Eingetragen war er auf den Namen George Anclitas.« »Frage jetzt nicht soviel«, sagte Mason, »sondern iß.« Der Kellner brachte ihre Bestellungen, und Mason aß schweigend. »So.« Drake schob nach einiger Zeit den Teller von sich. »Vielen Dank für die Einladung, Perry. Ich habe allerdings schon erlebt, daß es dabei vergnügter zuging.« Mason knurrte zum Zeichen, daß er Drake verstanden hatte. »Na, dann werde ich mich lieber wieder an die Arbeit machen.« Darauf verließ Drake den Raum.
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Della Street sah Mason besorgt an, wollte etwas sagen, unterließ es dann jedoch wieder. Als hätte er ihre Gedanken gelesen, sagte Mason: »Ich weiß, daß Sie jetzt fieberhaft überlegen, was mir Kummer macht. Am meisten sorgt mich, ob die Anklage mir eine Falle gestellt hat und ob ich hineingegangen bin, oder ob sie den ganzen Fall für so eindeutig klar gehalten hat, daß kein Mensch sich weitere Gedanken darüber zu machen braucht.« Della Street schüttelte den Kopf. »Hamilton Burger hat zwar auch seine Fehler, aber so dumm ist er nun auch wieder nicht. Einen Fall, bei dem Sie den Beschuldigten vertreten, wird er niemals für eindeutig klar halten.« »Immerhin«, überlegte Mason, »hat er Donovan Fraser hingeschickt. Fraser ist ein junger und ehrgeiziger Streber, ein verhältnismäßig unerfahrener Anwalt. Er möchte sich möglichst schnell seine Sporen verdienen und sich bewähren, und wahrscheinlich ist er etwas streitsüchtiger, als er es nach fünf Jahren Erfahrung als Ankläger noch sein wird. Aber warum hat Hamilton Burger ausgerechnet diesen Mann als Gegenspieler für mich ausgesucht? Er hat doch ein paar alte Hasen in seinem Büro, die beachtlich gute Anwälte sind?« »Ist Fraser denn kein guter Anwalt?« »Das glaube ich schon. Wichtig ist nur, daß er verhältnismäßig unerfahren ist, und in diesem Beruf gibt es nun einmal Dinge, die man nur durch Erfahrung lernen kann.« »Und nur aus diesem Grunde glauben Sie, daß er Ihnen eine Falle gestellt hat?« »Es ist nicht der einzige Grund«, erklärte Mason. »Kummer macht mir auch, daß man bei der Vorbereitung dieser Verhandlung anscheinend so viel als gegeben ansah - und das kann ich mir einfach nicht vorstellen.« »Wieso?« »Zum Beispiel«, fuhr Mason fort, »ist dieser Revolver, den man Ellen Robb abnahm, bis zu diesem Stadium der Verhandlung nur irgendeine Waffe. Anscheinend hat man sich nicht die -1 2 9 -
Mühe gemacht, die Herkunft des Revolvers herauszufinden. Und das kann ich einfach nicht begreifen.« »Aber schließlich wurde er in ihrem Besitz gefunden, und dann stellte man fest, daß auch das bei der Obduktion gefundene Geschoß zu dem Revolver paßt. Wenn Sie selbst District Attorney wären, würden Sie bestimmt Ihre Leute genauso in die Verhandlungen schicken und sagen: die Sache kann einfach nicht schiefgehen; auch wenn Perry Mason auf der Gegenseite steht, ist es völlig undenkbar, daß Tatsachen auftauchen, die den Richter veranlassen könnten, das Verfahren nicht an das ordentliche Gericht zu überweisen.« Mason nickte. »Nun?« fragte Della Street. »Einverstanden«, gab Mason zu, »aber irgendwie habe ich das Gefühl, daß man mir vielleicht doch eine Falle gestellt hat. Es ist fast unvorstellbar, daß die Nummer des Revolvers nicht genau nachgeprüft und der Eigentümer ermittelt wurde. Aber gut. Wenn ... wenn man jedoch jetzt auf einmal herausfindet, daß diese Waffe sich in meinem Besitz befand - was dann?« »Dann«, sagte Della Street, »sind Sie fertig!« »Das glaube ich auch«, gab Mason resigniert zu. »Mit anderen Worten: nehmen wir an, daß Ellen gerissen ist. Nehmen wir ferner an, daß sie zu mir ins Büro kam und mir das Märchen erzählte, sie wäre an Bord der Jacht gewesen, um Nadine Ellis zu sprechen, sie jedoch nicht angetroffen habe; sie hätte eine Auseinandersetzung mit George Anclitas gehabt und wäre von The Big Barn weggegangen, um dann einen Revolver in ihrer Reisetasche zu finden und nicht zu wissen, was sie damit anfangen sollte. Angenommen, sie hätte mir das alles lange vor der Ermordung der Nadine Ellis erzählt. Nachdem sie mir das alles vorgeschwindelt hatte und meiner Sympathie sicher war, ging sie hin, ermordete Nadine Ellis und ...« »Halten Sie das denn für möglich?« fragte Della Street. »Hatte sie denn genügend Zeit dazu? Vergessen Sie nicht, daß sie die ganze Zeit unter Beobachtung stand, und zwar durch Drakes
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Leute. Sie glaubten, daß irgend jemand vielleicht Unruhe stiften könnte.« »Daran versuche ich schon die ganze Zeit zu denken«, erklärte Mason. »Von dem Augenblick jedoch, als sie hier wegging, bis zum Beginn der Überwachung durch Drakes Leute ist jedoch einige Zeit vergangen. In dieser Zeit hätte sie sehr leicht zu der Jacht hinausfahren und Nadine Ellis umbringen können. Ist sie nun ein gerissenes Biest, die mich auf den Arm genommen hat, oder ist sie tatsächlich das Opfer eines teuflischen Komplotts? Und wenn es ein Komplott ist: wie konnte es überhaupt in Szene gesetzt werden? Was weiß Hamilton Burger, der District Attorney, darüber? Läßt er mir noch eine Chance in der Hoffnung, daß ich mir selbst den Strick um den Hals lege, und was muß ich in dieser Situation angesichts der Tatsache tun, daß man von mir erwartet, meine Klientin zu vertreten und keine Beweise, die sich gegen sie richten, preiszugeben?« »Das« sagte Della Street, »ist eine ziemlich lange Aufstellung von Fragen.« »Und sehr viel hängt davon ab, die richtigen Antworten zu finden«, grübelte Mason. »Was tun wir also jetzt?« fragte Della Street. »Wir nehmen meinen Wagen und fahren dahin, wo uns niemand kennt, niemand uns fragt und niemand uns bis drei Uhr dreißig mit Vorladungen oder ähnlichen Dingen belästigt. Dann fahren wir zum Gericht und versuchen ohne Rücksicht auf irgendwelche Folgen, die Geschichte so lange hinauszuzögern, bis die Verhandlung unterbrochen wird, ohne daß ein Spruch gefällt wird. Dann haben wir bis morgen früh zu überlegen, was weiter geschehen soll.« Della Street nickte und schob ihren Stuhl zurück. »Wenn wir um drei Uhr dreißig wieder im Gerichtssaal sitzen«, sagte Mason, »und es sich tatsächlich ergeben sollte, daß Mr. Hamilton Burger, der District Attorney persönlich, zu der Verhandlung erschienen ist, dann wissen wir genau, daß man -1 3 1 -
mir tatsächlich eine Falle gestellt hat und daß ich in diese Falle gegangen bin.«
12 Perry Mason hatte sein Erscheinen im Gerichtssaal sorgfältig so abgepaßt, daß es wenige Sekunden vor drei Uhr dreißig war, als er die Pendeltüren aufstieß. Der Gerichtsdiener, der auf die Uhr starrte, drückte auf einen Knopf und gab damit Richter Keyser das Zeichen, daß alles zur Verhandlung bereit wäre. Zwei Reporter stürzten auf Mason zu. »Mr. Mason, Mr. Mason ...« Der Gerichtsdiener stieß seinen Stock auf den Boden. Alle Anwesenden erhoben sich. Mason ging an den Reportern vorüber und starrte unverwandt auf die Flagge, die hinter dem Richtertisch hing, als Richter Keyser den Saal betrat und seinen Platz einnahm. »Das Gericht«, stellte Richter Keyser fest, »legt großen Wert darauf, diese Verhandlung möglichst noch heute nachmittag abzuschließen. Ist Mr. Redfield hier und bereit, in den Zeugenstand zu kommen?« »Ja, Euer Gnaden«, meldete sich Fraser und sah zu der Tür hinüber, die in den Raum führte, in welchem die Zeugen warteten. Die Tür öffnete sich. Alexander Redfield erschien, und in seiner Begleitung befand sich Hamilton Burger, der District Attorney. Mason wußte, was Burgers Erscheinen zu bedeuten hatte, ließ sich jedoch nicht das geringste anmerken. Richter Keyser war dagegen sichtlich überrascht. »Sie sind persönlich zu dieser Verhandlung erschienen, Mr. District Attorney?« fragte er. »Ja, Euer Gnaden - persönlich«, antwortete Hamilton Burger.
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Der Richter wollte etwas sagen, hatte es sich dann jedoch anders überlegt, wandte sich statt dessen an Redfield und meinte: »Mr. Redfield, Sie hatten inzwischen Gelegenheit, das andere Geschoß zu untersuchen und mit den Geschossen zu vergleichen, die Sie selbst versuchsweise mit dem Revolver Beweisstück B abgefeuert hatten. Wurde das Geschoß - Ihrer Meinung als Sachverständiger nach - ebenfalls aus diesem Revolver abgefeuert?« »Nein«, mußte Alexander Redfield zugeben. Richter Keyser konnte einen unfreiwilligen Ausruf der Überraschung nicht unterdrücken. »Was?« fragte er. Redfield schüttelte den Kopf. »Es wurde nicht aus dem Revolver abgefeuert. Der Schuß wurde zwar ebenfalls aus einem Smith & Wesson abgegeben, aber nicht aus dem Revolver, der hier als Beweisstück B gilt.« »Das erste Geschoß dagegen ist aus diesem Revolver abgefeuert worden?« »Ja. Das Geschoß Beweisstück C-1 wurde nicht aus dem Revolver abgefeuert, dagegen jedoch das Geschoß Beweisstück C-2. Die Numerierung der Geschosse erfolgte während der Aussage des Arztes; sie bedeutet jedoch nicht, daß die Geschosse auch in dieser Reihenfolge abgefeuert wurden. Unglücklicherweise erhielt dadurch das von Dr. Calvert zuerst erwähnte Geschoß die Nummer C-2, während das zweite von ihm erwähnte Geschoß die Nummer C-1, erhielt. Um weitere Verwirrungen zu vermeiden, werde ich jedes Geschoß mit seiner Beweisnummer benennen.« Richter Keyser strich sich mit der Hand über den Kopf, sah dann Burger an und blickte schließlich zu Mason hinüber. »Möchten die Parteien dazu Stellung nehmen?« Mason schüttelte den Kopf. »Wir möchten in diesem Augenblick noch nicht dazu Stellung nehmen, Euer Gnaden«, verzichtete auch Hamilton Burger. »Einen Augenblick noch«, begann Richter Keyser. »Über eines sollten wir uns von vornherein klar sein, Mr. District Attorney: Die Beweisaufnahme hat bisher unmißverständlich gezeigt, daß -1 3 3 -
ein Verbrechen verübt worden ist. Es gibt - vielleicht sollte ich lieber sagen: es gab - Beweise dafür, daß die Beschuldigte dieses Verbrechen begangen haben konnte. Die Waffe, die bisher als Mordwaffe bezeichnet werden konnte, wurde in ihrem Besitz gefunden. Jetzt sind allerdings etwas unmögliche Umstände bei der Verhandlung aufgetreten. Durch Zeitmangel und auf Grund der bereits aufgetretenen Verwesung war es dem Arzt nicht möglich, bei der Obduktion festzustellen, welches Geschoß zuerst abgefeuert worden ist. Jedes der beiden Geschosse hätte zum Tode führen können. Dem Arzt ist es auch nicht möglich, auch nur schätzungsweise den Zeitraum anzugeben, der zwischen dem ersten und dem zweiten Schuß vergangen ist. Wenigstens hat die Verteidigung bereits angedeutet, daß sie sich teilweise auf die Annahme stützen wird, eines der Geschosse sei erheblich später als das andere abgefeuert worden, so daß der Tod bereits eingetreten wäre, bevor dieses Geschoß abgefeuert wurde.« »Ich verstehe, Euer Gnaden«, sagte Hamilton Burger. »Aber wir haben die Beweisaufnahme noch nicht abgeschlossen und haben nicht die Absicht, uns auf die bisher vorgelegten Beweise zu beschränken. Wir haben vielmehr die Absicht, weitere Beweise beizubringen.« Richter Keyser lehnte sich zurück. »Also schön«, sagte er. »Ich stelle fest, daß das Gericht sehr damit einverstanden ist. Ich hatte gehofft, daß weitere Beweise beigebracht würden. Das war auch der Grund für die Unterbrechung, so daß wir die Meinung Mr. Redfields hören konnten. Fahren Sie also bitte fort.« »Ich glaube, Mr. Mason hat den Zeugen gerade ins Kreuzverhör genommen«, meinte Hamilton Burger. »Das ist richtig«, sagte Richter Keyser. »Haben Sie innerhalb des Kreuzverhörs noch Fragen, Mr. Mason?« »Ich habe noch eine ganze Reihe von Fragen«, kündigte Mason an. »In diesem Fall«, griff Hamilton Burger wieder ein, »bitte ich um die Erlaubnis, Mr. Redfield vorübergehend aus dem Zeugenstand nehmen zu dürfen, damit ich einen anderen -1 3 4 -
Zeugen aufrufen kann, dessen Aussagen meiner Ansicht nach verschiedene mit dem Revolver Beweisstück B zusammenhängende Fragen klären können. Auf die Aussage dieses Zeugen lege ich heute nachmittag besonderen Wert.« »Ich erhebe keinen Einspruch«, sagte Mason. »Ich bin im Gegenteil sehr damit einverstanden, die Vernehmung Mr. Redfields so lange hinauszuschieben, bis dem Gericht zusätzliche Beweise vorliegen.« »Gut«, verfügte Richter Keyser. »Das Gericht ist einverstanden. Rufen Sie Ihren nächsten Zeugen auf, Mr. District Attorney.« Hamilton Burger sah Mason an. »Ich rufe Darwin C. Gowrie in den Zeugenstand.« Ein Beamter öffnete die Tür zum Zimmer, in dem die Zeugen warteten, und Gowrie betrat den Gerichtssaal. »Kommen Sie nach vorn und lassen Sie sich vereidigen, Mr. Gowrie«, sagte Hamilton Burger. Gowrie kam vor und hob die rechte Hand. »Sie sind Rechtsanwalt und bei den hiesigen Gerichten zugelassen?« »Das stimmt.« »Ich frage Sie, ob Ihnen Perry Mason, der Vertreter der Verteidigung, bekannt ist?« »Ja.« »Ich frage Sie, ob Sie am neunten dieses Monats ein Telefongespräch mit Perry Mason führten?« »Ja.« »Machte Mr. Mason dabei Ihnen gegenüber gewisse Bemerkungen hinsichtlich bestimmter ungewöhnlicher Entscheidungen in Fällen, bei denen es um eine Anklage wegen Mordes ging?« »Ja.« »Wie verlief das Gespräch?« »Einen Moment, bitte«, warf Richter Keyser ein. »Ich stelle fest, daß vom Verteidiger kein Einspruch erhoben wird; das Gericht -1 3 5 -
ist jedoch nicht in der Lage, den Zweck dieser Aussage zu erkennen.« »Wenn das Gericht erlaubt«, betonte Hamilton Burger, »wird der Zusammenhang sehr schnell deutlich. Von seiten der Staatsanwaltschaft handelt es sich um einen wesentlichen Punkt, den ich klären möchte.« »Innerhalb einer Vorverhandlung?« fragte Richter Keyser. »Gerade deswegen, Euer Gnaden«, betonte Hamilton Burger. »Ich möchte doch feststellen, daß wir vor Abschluß dieser Beweisaufnahme unmißverständlich eine Verbindung nachweisen werden, die den Verteidiger nicht unethischer Methoden, sondern einer tatsächlichen Mitschuld überführt der Mittäterschaft nach der Tat.« »Einen Augenblick«, warf Richter Keyser ein. »Diese Feststellung, Mr. District Attorney, wird natürlich ausführlich publiziert werden. Das Gericht glaubt jedoch, daß diese Feststellung zu diesem Zeitpunkt vollkommen unnötig war.« »Ich wollte dem Gericht lediglich meinen Standpunkt klarlegen.« »Gut«, fügte sich Richter Keyser, »die Feststellung ist nun einmal gemacht worden und kann nicht rückgängig gemacht werden. Ich möchte jedoch feststellen, Mr. District Attorney, daß das Gericht in dem Fall, daß die Beweise nicht ausreichen sollten eine derartige Feststellung zu diesem Zeitpunkt als ernstlichen Fehlgriff, wenn nicht sogar als Mißachtung des Gerichts auslegen wird.« »Ich bin mir sämtlicher Möglichkeiten, die sich daraus ergeben können, bewußt«, sagte Hamilton Burger, »und ich habe die Feststellungen wissentlich und nach sorgfältiger Überlegung getroffen. Sollte ich meine Behauptungen nicht beweisen können, bin ich bereit, mich einem Verfahren wegen Mißachtung des Gerichts zu unterwerfen.« »Also gut - fahren Sie fort.« Hamilton Burger wandte sich an den Zeugen. »Haben Sie sich Notizen über Ihre Unterhaltung mit Perry Mason gemacht?« »Ja, Sir.« »Und darf ich fragen, warum?« -1 3 6 -
»Weil die Unterhaltung äußerst ungewöhnlich und für einen Anwalt sehr interessant war.« »Worum ging es bei dieser Unterhaltung?« »Mr. Mason sprach von bestimmten juristischen Dingen, die völlig ungewöhnlich sind und mit denen er sich hin und wieder beschäftigte.« »Worum ging es bei dieser Unterhaltung hinsichtlich dieser juristischen Dinge?« »Zu der Unterhaltung war es gekommen, weil Mr. Mason einer Klientin von mir gesagt hatte, daß Gemeinschaftsvermögen, das beim Spiel verloren wurde, von dem anderen Partner zurückgefordert werden könnte. Es war ein bemerkenswert ungewöhnlicher Grundsatz, und ich wollte mich deshalb noch einmal bei Mr. Mason vergewissern, ob ich ihn nicht falsch verstanden hätte.« »Ging es in dieser Unterhaltung auch noch um andere Dinge?« »Ja.« »Erzählen Sie.« »Mr. Mason sagte, ich hätte ihn keineswegs falsch verstanden. Anschließend sagte er, er besäße einen ganzen Stapel ungewöhnlicher Entscheidungen.« »Erwähnte er dabei auch Mordfälle?« »Ja. Er sagte, es gäbe Entscheidungen, nach denen eine Person, die einen tödlichen Schuß abgäbe - also einen Schuß, der zwangsläufig den Tod verursacht -, nicht des Mordes schuldig sei, wenn eine zweite Person vor Eintritt des Todes einen weiteren Schuß auf das Opfer abgäbe und dieser Schuß zum sofortigen Tod führt.« »Können Sie das genaue Darum und auch den genauen Zeitpunkt dieses Telefongesprächs angeben?« »Das kann ich zufällig, weil in meinem Büro sämtliche Nummern notiert werden, die ich anrufe, sowie auch die Dauer des Gesprächs. Ich habe nämlich festgestellt, daß ich einen erheblichen Teil meiner Zeit mit telefonischen Beratungen verbringe, für die wir nichts verlangen, und ...« -1 3 7 -
»Das ist hier nicht wichtig«, sagte Hamilton Burger. »Ich frage Sie, ob Sie das genaue Datum und den genauen Zeitpunkt des Gesprächs angeben können, und Sie bejahten die Frage. Nennen Sie also bitte Datum und Zeitpunkt.« »Das Telefongespräch fand am neunten, morgens um halb zehn, statt.« »Wollen Sie uns bitte noch die Aktenzeichen nennen, die Mason damals angab?« »Er nannte den Fall Dempsey, 83 Ark. 81, 102 S. W. 704, dann den Fall Ah Fat, 48 Cal. 61, und schließlich den Fall Duque, 56 Tex. Cr. 214,119 S. W. 687.« »Kreuzverhör«, sagte Hamilton Burger zu Mason. »Woher wußten Sie, daß Sie mit mir telefonierten?« fragte Mason. »Ich hatte die Nummer Ihres Büros gewählt, hatte dann der Person, die sich meldete, gesagt, daß ich Sie sprechen wollte, dann waren Sie am Apparat.« »Erkannten Sie meine Stimme?« »Damals nicht. Ich hatte Ihre Stimme noch nie gehört. Inzwischen habe ich sie gehört und weiß, daß Sie derjenige waren, mit dem ich damals telefonierte.« »Sie wissen jedoch nicht, in welchem Zimmer ich telefonierte das heißt, Sie wissen nicht, ob ich damals in meinem Privatbüro, im Empfangszimmer, in der Bibliothek oder sonstwo war?« »Nein, Sir.« »Und Sie wissen ebenfalls nicht, ob ich allein war oder ob sich sonst noch jemand in meiner Nähe befand.« »Nein, Sir - woher sollte ausgerechnet ich das wissen?« »Das ist alles«, schloß Mason. »Ich habe keine Fragen mehr.« »Rufen Sie Ihren nächsten Zeugen auf«, wurde Richter Keyser ungemütlich. »Leutnant Tragg«, sagte Hamilton Burger. Leutnant Tragg betrat den Gerichtssaal und kam nach vorn. -1 3 8 -
»Sie nahmen die Beschuldigte am Dienstag, dem elften, in Gewahrsam, Leutnant?« »Jawohl.« »Hatten Sie einen Haftbefehl?« »Ja.« »Und auch einen Durchsuchungsbefehl?« »Ja.« »Fanden Sie einen Revolver im Besitz der Beschuldigten?« »Ja.« »Beschreiben Sie ihn bitte.« »Es war ein Smith & Wesson, Kaliber .38, brünierter Stahl, Polizeimodell mit kurzem Lauf, Nummer I33 347.« »Ich lenke Ihre Aufmerksamkeit auf das Beweisstück B und frage Sie, ob Sie diesen Revolver schon irgendwann gesehen haben?« »Das habe ich. Es ist der Revolver, den ich im Besitz der Beschuldigten fand.« »Haben Sie Papiere im Besitz der Beschuldigten gefunden?« »Ja. Ich fand diese Notiz, in Stenogramm geschrieben. Ich kann das Stenogramm lesen. Hier steht: Mord kann nicht nachgewiesen werden, wenn zwei dabei verwendete Waffen zu verschiedener Zeit tödliche Verletzungen verursachen, Dempsey 83 Ark. 81 102 S. W. 704, Ah Fat 48 Cal. 61, Duque 56 Tex. Cr. 214 119 S. W. 687.« »Ich beantrage«, sagte Hamilton Burger, »das diese Notiz als Beweisstück G gekennzeichnet wird. Um die verschiedenen Beweise nicht durcheinanderzubringen, möchte ich dazwischenliegende Buchstaben für andere Waffen freihalten. Ich werde in Kürze beweisen, daß dieser Zettel die Handschrift der Beklagten trägt.« »Kein Einspruch«, erklärte Mason. »Kreuzverhör!« bellte Burger. »Keine Frage«, verzichtete Mason. -1 3 9 -
»Mein nächster Zeuge ist Loring Crowder«, sagte Hamilton Burger. Wieder öffnete sich die Tür zum Zeugenzimmer, und ein eleganter, ziemlich untersetzter Mann von Ende Vierzig betrat den Gerichtssaal, hob die rechte Hand, wurde vereidigt, nahm im Zeugenstand Platz und blickte Hamilton Burger an. »Sie heißen Loring Crowder«, sagte Hamilton Burger, »und sind im Spirituosenhandel tätig?« »Ja, das stimmt.« »Ich zeige Ihnen jetzt einen Revolver, in dieser Verhandlung als Beweis stück B gekennzeichnet, und fragte Sie, ob Sie diesen Revolver schon einmal gesehen haben.« Crowder griff nach dem Revolver, drehte ihn hin und her, las auf merksam die Nummer und sagte: »Darf ich in meinen Notizen nachsehen?« »Bitte sehr«, erlaubte Hamilton Burger, »wenn Sie uns vorher sagen, worum es sich dabei handelt.« »Es handelt sich um ein Notizbuch, in das ich die Nummer eines Revolvers eingetragen habe, den ich im Valleyview Hardware and Sporting Goods Store kaufte.« »Sehen Sie in Ihrem Notizbuch nach«, verfügte Hamilton Burger. Crowder schlug sein Notizbuch auf und betrachtete dann den Revolver. »Es ist derselbe Revolver«, sagte er. »Ich habe ihn vor etwa zweieinhalb Jahren in dem erwähnten Laden gekauft, und zwar brauchte ich ihn für mein eigenes Geschäft.« »Und was machten Sie dann mit ihm?« »Vor etwa einem Jahr gab ich ihn einem Freund.« »Wie hieß dieser Freund?« »Ich gab ihn meinem Freund George Spencer Ranger. Mr. Ranger hatte Schwierigkeiten, und ...« »Das interessiert hier nicht«, unterbrach Hamilton Burger ihn. »Ich möchte nur den Weg dieses Revolvers zurückverfolgen. Sie gaben ihn also Ihrem Freund George Spencer Ranger?« -1 4 0 -
»Ja.« »Schenkten Sie ihm den Revolver oder hatten Sie ihn nur verborgt?« »Ich hatte ihn nur verborgt!« »Und gab Mr. Ranger Ihnen den Revolver wieder zurück?« »Nein, Sir. Er gab ihn nicht zurück. Er erzählte mir, daß er ihn an ...« »Was er erzählte, spielt hier keine Rolle«, unterbrach Hamilton Burger. »Ich frage Sie lediglich, ob er Ihnen die Waffe zurückgab.« »Nein, Sir, er gab sie nicht zurück.« »Das ist alles«, endete Hamilton Burger. »Kreuzverhör!« »Keine Fragen«, verzichtete Mason. »Mein nächster Zeuge ist George Spencer Ranger«, sagte Hamilton Burger. Wieder öffnete ein Beamter die Tür zum Zeugenzimmer, und Ranger, ein großer und etwas schlaksig daherkommender Mann von etwa fünfundvierzig Jahren mit dunklem Haarschopf sowie schwarzen buschigen Augenbrauen, betrat den Gerichtssaal. »Heben Sie die Hand hoch, damit Sie vereidigt werden können«, verfügte Hamilton Burger. Der Zeuge wurde vereidigt, nannte Namen und Adresse, setzte sich in den Zeugenstand, sah Richter Keyser an und erklärte: »Ich möchte klarstellen, daß ich gegen meinen Willen hier bin. Ich wurde von einem Beamten vorgeladen, der mich verhaftete und mich zwang, ihn zu begleiten. Ich sage also nicht freiwillig aus.« »Das ändert diesmal überhaupt nichts«, stellte Richter Keyser fest. »Wenn Sie auf Grund einer Vorladung hierhergebracht wurden, sind Sie jetzt einmal hier und als Zeuge benannt. Sie haben die Pflicht zur Aussage.«
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»Wenn das Gericht erlaubt«, fügte Hamilton Burger hinzu, »handelt es sich hier um einen widerspenstigen Zeugen. Es wird daher nötig sein, einige einleitende Fragen zu stellen.« »Fahren Sie mit der Vernehmung fort«, sagte Richter Keyser. »Mit der Art und der Notwendigkeit einleitender Fragen können wir uns befassen, wenn es soweit ist und Einspruch erhoben wird.« »Kennen Sie Loring Crowder?« »Ja, Sir.« »Borgte Loring Crowder Ihnen vor einiger Zeit einen Revolver des Fabrikats Smith & Wesson?« Der Zeuge dachte einen Augenblick nach und sagte dann: »Ja.« »Haben Sie Mr. Crowder den Revolver zurückgegeben?« »Nein.« »Wo befindet sich der Revolver jetzt?« »Das weiß ich nicht.« »Was taten Sie mit dem Revolver?« »Ich ... ich gab ihn ab.« »Wem?« »Mein Anwalt meinte, es wäre besser, wenn ich ihm den Revolver gäbe.« »Wie hieß Ihr Anwalt?« »Wie hieß er?« fragte Hamilton Burger betont. »Wir wissen es bereits. Es war Perry Mason, nicht wahr?« »Ja.« »Ich zeige Ihnen jetzt einen Revolver vom Fabrikat Smith & Wesson, der als Beweisstück B gekennzeichnet ist und die Nummer I33 347 hat, und frage Sie, ob es dieser Revolver war.« »Das weiß ich nicht«, sagte der Zeuge.
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»Sehen Sie ihn sich genau an«, sagte Hamilton Burger. »Nehmen Sie ihn in die Hand.« Der Zeuge streckte die Hand aus, betrachtete die Waffe, gab ihn Hamilton Burger zurück und sagte: »Ich weiß es immer noch nicht.« »Na schön. Versuchen wir es andersherum. Sie bekamen damals von Loring Crowder einen Revolver, nicht wahr?« »Ja.« »Und diesen Revolver übergaben Sie Perry Mason?« »Ja.« »Wann war das?« »Als mein Fall zur Verhandlung kam - vor rund sechs Monaten.« »Hat Perry Mason Ihnen diesen Revolver jemals zurückgegeben?« »Nein.« »Zum letztenmal haben Sie diesen Revolver also gesehen, als Sie ihn Perry Mason übergaben?« »Ja.« »Und der Revolver, den Sie ihm damals übergaben, war also derselbe, den Sie von Loring Crowder erhalten hatten?« »Ja.« »Weist nun dieser Revolver irgendwelche Kennzeichen auf, durch die er sich von jener Waffe unterscheidet, die Loring Crowder Ihnen damals gab?« »Das kann ich nicht sagen. Ich weiß nicht mehr, wie der Revolver damals aussah.« »Es könnte also derselbe Revolver sein?« »Vielleicht.« »Wenn Sie den Zeugen ins Kreuzverhör nehmen wollen?« sagte Hamilton Burger. »Keine Fragen«, verzichtete Mason. »Anschließend«, sagte Hamilton Burger, »möchte ich Helman Ellis, den Ehemann der Ermordeten, aufrufen.« Wieder wurde die Tür zum Zeugenzimmer geöffnet, und der Beamte rief: »Helman Ellis.« -1 4 3 -
Ellis betrat den Gerichtssaal, warf Ellen Robb einen Blick zu, ließ sich dann vereidigen und setzte sich in den Zeugenstand. »Sie heißen Helman Ellis«, fragte Hamilton Burger, »und waren mit Nadine Ellis verheiratet, nicht wahr? Zu ihren Lebzeiten war sie Ihre Ehefrau?« »Ja.« »Und die Jacht Cap's Eyes, auf der die Leiche gefunden wurde, gehört Ihnen?« »Ja.« »Wann haben Sie Ihre Frau zum letztenmal lebend gesehen?« »Ich sah sie kurz noch am Mittwoch, dem Zehnten, frühmorgens.« »Wo war das?« »Bei uns in der Wohnung, und zum letztenmal sah ich sie, als sie im Wagen saß.« »Wo?« »In Rowena, in unserer Garage.« »Hatten Sie sich mit ihr unterhalten?« »Nur ganz kurz.« »Woraus bestand die Unterhaltung?« »Ich sagte, daß ich ihr verschiedenes erklären wollte. Sie erwiderte, daß Erklärungen keinen Sinn mehr hätten und die Dinge jetzt einen Punkt erreicht hätten, an dem es sinnlos wäre, noch darüber zu sprechen.« »Und dann?« »Ich versuchte weiterhin, sie zu überreden, merkte dann jedoch, daß es nutzlos war. Ich versuchte, den Revolver, den sie bei sich hatte, an mich zu bringen. Sie sagte dabei, daß sie sich scheiden lassen würde.« »Um welche Zeit war das?« »Kurz vor sechs.« »Erklären Sie die Situation bitte etwas genauer.« »Am Abend vorher, also Dienstag abend, wollte ich eine kleine Fahrt mit unserer Jacht unternehmen. Sie wollte mich begleiten. Wir fingen an, uns zu streiten. Plötzlich zog sie einen Revolver und ließ mich allein auf der Jacht zurück. Sie sagte noch, sie würde nach Arizona fahren und >meine Geliebte< umbringen. Erst um halb zehn kam ich an Land. Nachdem ich Ellen gewarnt hatte, ging ich nach Hause und betrat die Wohnung, ohne daß es jemand merkte. Ich schlief angekleidet auf der Couch. Um dreiviertel sechs kam meine -1 4 4 -
Frau zurück. Sie war mit dem Wagen unterwegs gewesen. Und sie ließ den Motor laufen, als sie in ihr Zimmer ging, um irgendwelche Sachen zu holen. Ich folgte ihr zum Wagen. Sie sagte, sie wäre überzeugt, ich hätte sie nur auf eine falsche Spur setzen wollen, als ich angedeutet hätte, >meine Geliebte< wäre nach Arizona gefahren. Sie sagte, sie wüßte jetzt, wo die Beschuldigte wäre und daß ich die ganze Nacht mit ihr auf der Jacht zusammengewesen wäre. Sie sagte, die Beschuldigte wäre an Bord der Jacht gewesen, weil sie glaubte, ich wäre auch dort. Und sie sagte, sie würde ihr den Pistolengriff ins Gesicht schlagen, damit ihre Schönheit für immer zum Teufel wäre.« »Was erwiderten Sie darauf?« »Nichts. Ich war nicht ein einziges Mal mit der Beschuldigten an Bord der Jacht zusammengetroffen. Ich wußte, daß meine Frau völlig falsche Vorstellungen hatte. Deshalb ließ ich sie fahren. Außerdem dachte ich, daß sie sich vielleicht beruhigen würde, wenn sie ihren Irrtum entdeckte. Sie hatte auch gesagt, daß sie die Fingerabdrücke, die sich in der Kajüte befänden, genau untersuchen lassen würde. Da ich wußte, daß sich keine Fingerabdrücke der Beschuldigten finden lassen würden, hielt ich es für das beste, meine Frau in Ruhe zu lassen, damit sie sich selbst von ihrem grundlosen Mißtrauen überzeugen konnte.« »Was geschah dann?« »Sie fuhr weg.« »Und hatte die Absicht, zu Ihrer Jacht zu fahren?« »Ja.« »Haben Sie sie danach noch lebend wiedergesehen?« »Nein«, antwortete Ellis. »Kreuzverhör«, sagte Hamilton Burger. »Am gleichen Mittwoch kamen Sie dann später zu mir ins Büro?« fragte Mason. »Ja.« -1 4 5 -
»Und erzählten mir von der Auseinandersetzung auf der Jacht?« »Ja.« »Und von der eben erwähnten Begegnung mit Ihrer Frau?« »Ja.« »Das ist alles«, sagte Mason. »Weiter habe ich keine Fragen mehr.« »Einen Moment«, griff Hamilton Burger ein, »dafür habe ich noch ein paar Fragen.« Er erhob sich und sah den Zeugen an. »Hatten Sie Gelegen heit, im weiteren Verlauf des Mittwochs noch nach Ihrer Jacht Cap's Eyes zu sehen?« »Ja.« »Wann war das?« »Um die Mittagszeit.« »Lag die Jacht an ihrem üblichen Ankerplatz?« »Nein, Sir - sie war verschwunden.« »Wann haben Sie die Jacht wiedergesehen?« »Als die Polizei sie zurückbrachte.« »Und wann haben Sie Ihre Frau wiedergesehen?« »In der Leichenhalle.« »Ich zeige Ihnen jetzt einen Revolver, der neben der Leiche Ihrer Frau lag, als man sie auf der Jacht entdeckte. Ich stelle fest, daß dieser Revolver im Aussehen mit jenem Revolver identisch ist, der hier als Beweisstück B gekennzeichnet ist und die Nummer I33 347 trägt. Ich möchte diese Waffen jetzt nicht immer mit ihren Nummern bezeichnen, sondern werde diese Waffe den Ellis-Revolver nennen, weil er in der Kajüte Ihrer Jacht gefunden wurde und weil Sie ihn vermutlich als Ihr Eigentum wiedererkennen werden.« »Das kann ich, Sir«, sagte Ellis. »Diesen Revolver hat George Anclitas mir gegeben.« »Und was taten Sie mit diesem Revolver? Hatten Sie ihn immer bei sich?« -1 4 6 -
»Nein, Sir - bei mir hatte ich ihn nie. Ich ließ ihn zu unserem persönlichen Schutz an Bord der Jacht.« »Ihre Frau wußte, daß der Revolver an Bord war?« »Ja.« »Wo lag er gewöhnlich?« »In der Kajüte, in einer Schublade.« »Wissen Sie, ob Ihre Frau den Revolver am Dienstag an sich genommen hatte? War es der Revolver, den Sie meinten, als Sie vorhin aussagten, Ihre Frau hätte einen Revolver gezogen?« »Ja, Sir.« »Wir beantragen, daß dieser Revolver als Beweisstück E gekennzeichnet wird, Euer Gnaden«, forderte Hamilton Burger. »Im Augenblick wollen wir ihn noch nicht als Beweismittel einbringen, weil wir damit warten wollen, bis einwandfrei festgestellt ist, daß dieser Revolver tatsächlich in der Kajüte der Cap's Eyes gefunden wurde.« »Gut«, stimmte Richter Keyser zu, »die Waffe wird also lediglich gekennzeichnet.« »Im Augenblick habe ich keine Fragen mehr«, sagte Hamilton Burger. »Ich stelle jedoch fest, daß die Zeit ziemlich weit fortgeschritten ist. Mein nächster Zeuge, George Anclitas, ist zu dieser Verhandlung vorgeladen worden. Er ist Geschäftsmann, Besitzer eines Lokals in Rowena, zu dem verschiedene Unternehmen gehören, die unter einer einzigen Verwaltung zusammengefaßt sind: ein Motel, eine Forellenzucht, ein Swimming-pool, ein Nachtklub sowie ein Raum für gesetzlich zulässige Spiele. Für Mr. Anclitas bedeutet es eine große Härte, hier zu sein, und deshalb bitte ich das Gericht um Erlaubnis, meinen derzeitigen Zeugen zurückziehen und statt dessen Mr. Anclitas aufrufen zu dürfen. Die Aussagen, die Mr. Anclitas zu machen hat, werden nicht lange dauern, und auf diese Weise können wir seine Vernehmung heute nach mittag beenden, so daß er morgen nicht noch einmal herzukommen braucht.« -1 4 7 -
Fragend blickte Richter Keyser zu Perry Mason hinüber. »Erhebt die Verteidigung dagegen Einspruch?« »Kein Einspruch«, sagte Mason. »Von mir aus ist alles in Ordnung.« »Rufen Sie George Anclitas herein.« Ein Beamter öffnete die Tür zum Zeugenzimmer. George Anclitas erschien. Beim Verlassen des Zeugenstandes kam Helman Ellis vor Ellen Robb vorbei, lächelte ihr aufmunternd zu und verschwand im Zeugenzimmer. Den Kopf hoch erhoben, marschierte George Anclitas mit der straffen Haltung eines Soldaten zum Zeugenstand, drehte sich mit beinahe militärischer Präzision um, wurde vereidigt und setzte sich schließlich. »Sie heißen George Anclitas? Sie sind einer der Besitzer von The Big Barn in Rowena?« fragte Hamilton Burger. »Ja, Sir.« »Kennen Sie die Beschuldigte?« »Ja, Sir.« »War sie bei Ihnen beschäftigt?« »Ja, Sir.« »Wie lange?« »Ungefähr vier bis fünf Monate.« »Und worin bestand ihre Tätigkeit?« »Sie sang, verkaufte, wenn nötig, Zigarren und Zigaretten und griff ein, wo Hilfe fehlte.« »Wann endete diese Beschäftigung?« »Sie ging am neunten abends.« »Warum ging sie?« »Ich hatte sie hinausgeworfen.« »Warum?« »Es handelt sich hier um eine Vorverhandlung«, unterbrach Richter Keyser. »Aber solange ich nicht weiß, was diese Dinge -1 4 8 -
mit der Verhandlung zu tun haben, sehe ich ihre Bedeutung nicht ein, zumal die Antwort geeignet sein könnte, ein Charakterbild der Beschuldigten zu zeichnen, das durch feindlich gesonnene Augen gesehen ist.« »Ich halte die Frage für wichtig, Euer Gnaden, und werde den Zusammenhang gleich herstellen«, wehrte Hamilton Burger ab. »Kein Einspruch von seiten der Verteidigung«, sagte Mason. »Meinetwegen kann er seine Fragen stellen.« »Beantworten Sie also meine Frage«, wiederholte Hamilton Burger. »Sie brachte das Lokal in einen schlechten Ruf. Sie hatte eine Geschichte mit Helman Ellis, und Mrs. Ellis kam dahinter . . .« »Einen Augenblick, bitte, einen Augenblick«, rief Richter Keyser dazwischen. »Der Zeuge bezieht sich bei seiner Aussage ganz offensichtlich auf Gerüchte.« »Ich halte die Aussage für eine Schlußfolgerung des Zeugen, die auf eigenen Beobachtungen beruht«, betonte Hamilton Burger. »Ich halte es für ein Gerücht«, wehrte Richter Keyser ab. »Lassen Sie mich dem Zeugen ein paar Fragen stellen. Woher wissen Sie, daß die Beschuldigte mit Helman Ellis irgend etwas zu schaffen hatte?« »Weil ich sie erwischt habe.« »Sie haben die beiden erwischt?« »Ja, als sie sich umarmten.« »Und woher wissen Sie, daß Mrs. Ellis davon erfahren hatte?« »Weil sie der Beschuldigten, dieser Ellen Robb, eine Szene gemacht hat.« »Waren Sie dabei?« »Ich war dabei.« Richter Keyser blickte Perry Mason an, und seine Stirn war nachdenklich gefurcht. »Na schön«, sagte er, »fahren Sie fort.« »Haben Sie Helman Ellis einen Revolver gegeben?« »Ja.« »Was für einen Revolver?« »Einen Smith & Wesson, Kaliber .38, mit kurzem Lauf.« »Ich zeige Ihnen einen Revolver, der als Beweisstück E gekennzeichnet ist, und frage Sie, ob dies der Revolver ist?« Anclitas sah den Revolver an und sagte: »Das ist er.« »Wie
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lange ist es her, daß Sie Helman Ellis diesen Revolver gaben?« »Ungefähr sechs Wochen.« »Kreuzverhör«, gab Hamilton Burger den Zeugen frei. »Bevor ich mit dem Kreuzverhör beginne, Euer Gnaden«, setzte Mason hinzu, »möchte ich fragen, ob dieser Revolver, Beweisstück E, untersucht wurde und die Geschosse mit dem tödlichen Geschoß Nummer eins verglichen worden sind.« Richter Keyser nickte. »Diese Frage scheint mir logisch zu sein. Wurden die Geschosse verglichen, Mr. District Attorney?« »Bestimmt nicht!« fuhr Hamilton Burger auf. »Und warum nicht?« fragte Richter Keyser. »Das war doch nicht nötig! Mit diesem Revolver, Beweisstück E, wurde auf den Angreifer geschossen. Ein aus diesem Revolver abgefeuertes Geschoß steckte in der Holzverschalung der Kajüte neben der Tür. Und aus dem Revolver war nur ein einziger Schuß abgegeben worden.« »Trotzdem«, bestand Richter Keyser auf seiner Meinung, »hätte der Revolver von einem ballistischen Sachverständigen untersucht werden müssen, besonders angesichts der Tatsache, daß ein Geschoß existiert, dessen Herkunft unerklärlich ist - oder genauer: von dem wir nicht wissen, aus welchem Revolver es abgefeuert wurde. Meiner Ansicht nach hätte die Untersuchung rein routinemäßig erfolgen müssen.« »Bisher«, verteidigte sich Hamilton Burger, »hatten wir den Eindruck, daß die beiden tödlichen Geschosse aus dem Revolver abgefeuert wurden, der sich im Besitz der Beschuldigten befand, dem Revolver Beweisstück B.« »Das ist verständlich«, meinte Richter Keyser, »aber meiner Ansicht nach sollte doch ein Vergleich mit dem ungeklärten Geschoß durchgeführt werden, also mit dem leicht deformierten Geschoß.« »Jawohl, Euer Gnaden.« »Es wird mittlerweile deutlich, daß wir diesen Fall heute nicht mehr zu einem Abschluß bringen können. Ich schlage daher vor, daß der ballistische Sachverständige die notwendigen Versuche durchführt und das Ergebnis morgen früh vorlegt.« -1 5 0 -
»Ja, Euer Gnaden«, sagte Hamilton Burger. »Dann beginnen Sie jetzt mit dem Kreuzverhör, Mr. Mason.« »Vor der Entlassung«, begann Mason, »kam es zu einer Auseinandersetzung mit der Beschuldigten, nicht wahr?« »Ich weiß nicht, was Sie damit meinen - eine Auseinandersetzung!« sagte Anclitas. »Sie griff mich an.« »In welcher Weise?« »Mit Fäusten und Fingernägeln.« »Und Sie schlugen die Beschuldigte?« »Ich wehrte mich.« »Sie schlugen sie?« »Ich habe schon mal gesagt: Ich habe mich gewehrt!« »Sie schlugen sie?« »Was sollte ich denn sonst tun. Mich einfach hinstellen und mir das Gesicht zerkratzen lassen? Ich versuchte, sie abzuwehren!« »Sie schlugen sie?« »Meinetwegen - dann habe ich sie eben geschlagen!« rief Anclitas. »Danke«, sagte Mason. »Ich glaube, Sie versetzten ihr einen Schlag aufs Auge.« »Das weiß ich heute nicht mehr. Ich haute ihr eine herunter.« »Später sahen Sie jedoch, daß sie ein blaues Auge hatte?« »Das habe ich allerdings gesehen.« »Und Sie sind auf siebentausendfünfhundert Dollar Schadenersatz verklagt worden, weil Sie die Beschuldigte angegriffen haben?« »Ich erhebe Einspruch, Euer Gnaden«, bellte Hamilton Burger. »Das ist kein Kreuzverhör. Die Frage ist unsachlich, unerheblich und unwesentlich.« Richter Keyser lehnte sich, offenbar interessiert, nach vorn und sah George Anclitas aufmerksam an. »Der Einspruch ist abgelehnt«, bestimmte er. »Die Antwort charakterisiert den Zeugen.« »Beantworten Sie die Frage«, sagte Mason. -1 5 1 -
»Meinetwegen, ich bin also verklagt worden. Aber Klage kann jeder Anwalt erheben. Und sie hat noch nichts gekriegt und wird auch nichts kriegen!« »Sie wollen also alles tun, damit sie nichts bekommt?« »Jawohl! Sie haben mir bloß irgend etwas vorgeworfen, damit ich klein beigebe. Aber eins will ich Ihnen heute schon sagen, Mr. Mason. Nicht einen einzigen Cent werden Sie aus mir herausholen!« »Und das hat zur Folge, daß Sie mich nicht leiden können?« fragte Mason. »Da Sie mich danach fragen und ich unter Eid stehe«, brüllte Anclitas, »will ich Ihnen folgendes sagen: Sie können mir ein für allemal gestohlen bleiben!« »Dann«, sagte Mason, »sehen Sie sich doch einmal diesen Revolver an, ob es der gleiche ist, den Sie Helman Ellis gaben.« »Ja.« »Die Nummer sehen Sie sich nicht an?« »Das brauche ich nicht. Ich kenne den Revolver.« »Wieso kennen Sie ihn so genau?« »Also hören Sie zu«, versuchte Anclitas zu erklären. »Mein Teilhaber kaufte vier Revolver, und zwar auf einmal. Er kaufte sie im Hunting and Fishing Store in Rowena. Dann brachte er sie mit und gab sie mir.« »Können Sie sich noch an die Nummern erinnern?« »Wozu soll ich denn die Nummern wissen?« brummte Anclitas mißmu tig. »Soll ich etwa die ganze Zeit mit den Nummern im Kopf herum rennen?« »Die Revolver sahen sich genau gleich?« fragte Mason. »Völlig gleich. Es war eine Sonderbestellung.« »Ihr Teilhaber ging in das Geschäft und nahm sie mit?« »Ich hatte sie bestellt, und nachdem das Geschäft mitteilte, daß die Revolver gekommen wären, schickte ich Slim Marcus sie holen.« -1 5 2 -
»Äußerlich waren die vier Revolver sich also genau gleich?« »Ja.« »Wie können Sie dann behaupten, daß dies der Revolver war, den Sie Helman Ellis gegeben haben? Wie können sie ihn von den anderen unter scheiden, wenn Sie sich nicht einmal die Nummer gemerkt haben?« »Weil ich den Revolver kenne.« »Aber woran können Sie ihn erkennen?« fragte Mason. »Was unter scheidet ihn von den anderen?« »Dieser Revolver hat zum Beispiel an der Vorderseite eine kleine Kerbe.« »Und sonst?« »Ich glaube, nichts.« »Wo befinden sich die anderen drei Revolver?« »Bei mir.« »Wo?« »Natürlich in meinem Lokal. Ich schleppe nicht immer drei Revolver mit mir herum - je einen in der Hüfttasche und einen in der Jackettasche!« höhnte Anclitas. »Wenn das Gericht erlaubt«, unterbrach Mason, »aber ich sehe, daß es Zeit ist, die Nachmittagsverhandlungen zu beenden. Ich möchte den Zeugen auffordern, morgen früh wieder hier zu erscheinen und die übrigen drei Revolver mitzubringen.« Mit einem Gesicht, das vor Ärger rot angelaufen war, sprang Hamilton Burger auf. »Das, Euer Gnaden, ist nun wieder ein Trick, der für Perry Mason typisch ist. Es ist bereits bekannt, daß Perry Mason bei irgendwelchen Verhandlungen immer neue Revolver von irgendwoher ans Tageslicht fördert. Und dann jongliert er mit ihnen herum, bis sich kein Mensch mehr auskennt. Diese drei Revolver, die Mr. Anclitas besitzt, haben mit diesem Fall aber nicht mehr zu tun als jene Revolver, die beim Hunting and
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Fishing Store in Rowena unter Glas und sicherem Verschluß liegen.« »Ich bin geneigt, mich der Ansicht des District Attorney anzuschließen«, sagte Richter Keyser. »Ich sehe keinen Sinn in dieser Aufforderung.« »Der Zeuge«, führte Mason aus, »hat den Revolver wiedererkannt, den er Helman Ellis gab, indem er feststellte, daß sich an der Vorderseite dieses Revolvers eine kleine Kerbe befände. Andere Merkmale wären nicht vor handen.« »Mehr als dieses eine Kennzeichen braucht er unter diesen Umständen doch auch gar nicht!« bluffte Hamilton Burger. Unvermittelt drückte Mason dem District Attorney den Revolver in die Hand. »Gut«, sagte er, »wenn Sie dieser Ansicht sind, zeigen Sie mir und dem Gericht doch diese Kerbe!« »Tun Sie das doch selbst!« rief Hamilton Burger. »Ich lasse mir von Ihnen keine Befehle geben!« Mason wandte sich an Anclitas. »Vielleicht, Mr. Anclitas, sind Sie so freundlich, verlassen einen Augenblick den Zeugenstand, kommen zu mir herüber und zeigen mir die Kerbe an der Vorderseite, so daß auch das Gericht und der District Attorney sie sehen können.« »Dem Gericht kann er sie zeigen«, warf Hamilton Burger ein. »Dem District Attorney braucht er sie jedoch nicht erst zu zeigen. Der District Attorney weiß, um welchen Revolver es sich hier handelt. Der District Attorney möchte dem Gericht gegenüber jedoch feststellen, daß sehr darauf geachtet werden sollte, diese Kennzeichen nicht zu beseitigen. Augenblick lich hat die Verteidigung nur zwei verschiedene Revolver, aber wenn man ihr auch nur die leiseste Möglichkeit...« »Ich muß doch sehr bitten«, unterbrach Richter Keyser kalt. »Derartige Feststellungen sind völlig unangebracht. Der Zeuge kommt jetzt vor und zeigt dem Gericht die an der Vorderseite des Revolvers befindliche Kerbe.« Anclitas ging nach vorn. »Eigentlich ist es gar keine richtige Kerbe, sondern nur eine Kratzstelle im Metall. Wir hatten uns -1 5 4 -
nämlich gestritten, ob man mit einer Nagelfeile auch Stahl feilen könnte, und dann habe ich die Feile an dieser Stelle angesetzt. Ich . ..« Anclitas verstummte plötzlich, starrte auf den Revolver, drehte ihn hin und her, hielt ihn in das Licht und sagte schließlich: »Naja - wahrscheinlich ist die Stelle etwas abgegriffen. Es war ja auch keine richtige Kerbe, nur eine kleine Stelle, an der das brünierte Metall abgekratzt war.« Richter Keyser beugte sich vor. »Ich sehe aber nicht eine einzige Stelle, an der die Metallbräune abgekratzt ist.« »Ich auch nicht«, gab Anclitas zu. »Und trotzdem«, sagte Mason, »war dies das einzige Kennzeichen, auf das Sie sich verließen, als Sie unter Eid aussagten, es handele sich um den seinerzeit Helman Ellis gegebenen Revolver.« »Aber er wurde doch auf seiner Jacht gefunden, oder?« »Die Frage ist«, sagte Mason, »wieso ausgerechnet Sie so fest überzeugt sind.« Anclitas drehte den Revolver immer noch hin und her. »Ich weiß genau, daß es derselbe ist. Ich weiß genau, daß er es ist, bloß ... ich kann im Moment die Stelle nicht finden, wo das Metall von der Feile zerkratzt worden ist.« Mason tastete sich vorsichtig weiter. »Wir wollen einmal sehen, ob ich Sie richtig verstanden habe, Mr. Anclitas. Sie kauften seinerzeit vier Revolver auf einmal.« »Ja.« »Und einen dieser Revolver gaben Sie Helman Ellis?« »Das habe ich schon ein halbes dutzendmal gesagt.« »Und es war ein Streit entstanden über die Frage, ob eine Nagelfeile hart genug ist, um auf Metall Spuren "zu hinterlassen?« »Ja, Sir.« »War darüber eine Wette abgeschlossen worden?« »Ja, Sir.« -1 5 5 -
»Mit wem?« »Mit meinem Teilhaber Slim Marcus.« »Wie hoch war die Wette?« »Fünfzig Dollar.« »Können Sie sich noch erinnern, wie es dazu kam?« »Euer Gnaden«, unterbrach wiederum Hamilton Burger, »diese Dinge sind völlig unsachlich, unerheblich und unwesentlich. Das hat überhaupt nichts mit dem Kreuzverhör zu tun. Ganz offensichtlich versucht der Verteidiger nur, die Verhandlung in die Länge zu ziehen, damit sie vertagt wird, damit er sich neue Fragen an Mr. Anclitas zurechtlegen kann. Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß es für Mr. Anclitas sehr hart wäre, noch einmal zu erscheinen .. .« Richter Keyser unterbrach ihn. »Wir haben noch ein paar Minuten Zeit, Mr. District Attorney. Die Frage der Identifizierung dieser Waffe ist angeschnitten worden, der Zeuge hat festgestellt, daß er sie allein auf Grund einer Schramme wiedererkannte, die sich an der Vorderseite des Revolvers befand und von einer Nagelfeile herrührte; aus diesem Grund bin ich der Ansicht, daß die Verteidigung sich im Recht befindet. Der Einspruch ist ab gelehnt. Beantworten Sie die Frage, Mr. Anclitas.« »Also«, erzählte Anclitas, »wir sprachen über die verschiedenen Revolver, und ich machte den Vorschlag, sie zu kennzeichnen, da wir vier Revolver besaßen und man sie nur auf Grund ihrer Nummern auseinanderhalten konnte. Deshalb machte ich den Vorschlag, die Zeichen auf den Lauf der Revolver einzufeilen: eine Kerbe für den ersten, zwei beim zweiten, drei beim dritten und vier beim vierten. Slim Marcus, mein Teilhaber, hielt die Idee für gut. Aber wir konnten keine Feile finden. Deshalb sagte ich, ich würde zum Friseur nebenan gehen und mir eine Nagelfeile borgen, und Slim Marcus sagte daraufhin, eine Nagelfeile wäre dazu nicht hart genug. Wir stritten uns darüber, und ich wettete fünfzig Dollar.« -1 5 6 -
»Und dann?« fragte Mason. »Dann nahmen wir den Revolver, gingen zum Friseur, borgten uns eine Nagelfeile, machten das Zeichen an die Vorderseite des Revolvers, und ich kassierte die fünfzig Dollar.« »Und anschließend wurde Ihre Idee, die verschiedenen Revolver zu kennzeichnen, auch ausgeführt?« »Nein. Slim regte sich gewaltig über die verlorene Wette auf und glaubte, ich hätte ihn angeführt. Er warf mir vor, ich hätte das mit der Nagelfeile schon vorher ausprobiert und nur deswegen mit ihm gewettet.« »Sie haben ausgesagt, daß Sie Helman Ellis den Revolver gegeben hätten, der an der Vorderseite gekennzeichnet gewesen wäre?« »Ich hätte es beschwören können.« »Wie kam es eigentlich dazu?« »Nach der Sache mit der Wette brachte ich den Revolver wieder zur Theke zurück, wo er unter der Kasse aufbewahrt wurde, damit wir uns bei einem Überfall wehren könnten. Helman Ellis stand zufällig an der Theke, wie ich den Revolver hinbrachte, und wollte wissen, ob ich ihn einem Gast abge nommen hätte, der nicht bezahlen wollte - wenigstens machte er darüber irgendeinen Witz, ein Wort gab das andere, er bewunderte den Revolver, und schließlich gab ich ihm das Ding. Ich hatte das Gefühl, daß es sich bezahlt machen würde. Helman Ellis war nämlich langsam so etwas wie ein Stammgast geworden, und - ich kann es schließlich ruhig sagen: ich wollte ihm einen Gefallen tun.« »Warum?« fragte Mason. »Weil ich ein Lokal habe«, sagte Anclitas ärgerlich, »und weil ich An meinen Gästen verdiene.« »Dann steht Ihrer Ansicht nach eindeutig fest, daß Sie Helman Ellis jenen Revolver gaben, der an der Vorderseite mit der Feile gekennzeichnet war?« »Ja.«
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»Und trotzdem können Sie dieses Kennzeichen jetzt nicht mehr finden. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, wollen Sie Ihre Aussage daraufhin abändern und feststellen, daß Sie Helman Ellis diesen Revolver gegeben haben?« »Ich habe nichts zu ändern«, brummte Anclitas vor sich hin. »Das hier ist der Revolver, der auf Ellis' Jacht gefunden wurde; damit ist es der Revolver, den ich Ellis gegeben habe.« »Aber das Kennzeichen an der Vorderseite ist nicht mehr vorhanden.« »Vielleicht ist es abgegriffen worden.« »Eine andere Möglichkeit, die Revolver zu unterscheiden, haben Sie nicht?« »Das kann ich, wenn ich sie sehe.« »Als Sie vorhin aussagten, gaben Sie als einzige Begründung für die Identifizierung des Revolvers an, Sie ...« »Euer Gnaden«, unterbrach Hamilton Burger, »diese Frage wurde bereits gestellt und beantwortet, und zwar mehr als einmal. Der Zeuge hat nach bestem Wissen ausgesagt. Die Tatsachen kennen wir jetzt. Mehr werden wir auch dann nicht erfahren, wenn der Verteidiger sich noch länger mit dem Zeugen herumstreitet. Ich . ..« Ein Gerichtsbeamter hatte den Gerichtssaal betreten, näherte sich jetzt Hamilton Burger und zupfte ihn am Ärmel. Burger drehte sich ärgerlich um, sah das aufgeregte Gesicht des Beamten und wandte sich an den Richter. »Einen Augenblick bitte, Euer Gnaden. Ich bitte, mich für ein paar Minuten zu entschuldigen. Anscheinend ist etwas Wichtiges eingetreten.« Burger unterhielt sich flüsternd mit dem Beamten. Zuerst schien er, seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, dem Beamten einfach nicht glauben zu wollen; dann wirkte er vollkommen überrascht, als der Beamte weiter flüsternd auf ihn einredete, breitete sich langsam ein Grinsen auf dem Gesicht des District Attorneys aus. Plötzlich nickte er dem Beamten zu und wandte sich wieder an das Gericht. -1 5 8 -
»Wenn das Gericht erlaubt, aber in diesem Fall ist plötzlich ein höchst wichtiger Gesichtspunkt aufgetaucht. Als nächsten Zeugen rufe ich Perry Mason in den Zeugenstand.« »Das geht nicht«, sagte sofort Richter Keyser, sah dann Hamilton Burgers Gesichtsausdruck und fügte hinzu: »Es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die nur vom Verteidiger geklärt werden können. Es dürfte jedoch völlig ausgeschlossen sein, daß er als Zeuge gegen seine Mandantin auftritt.« »Zufälligerweise«, höhnte Hamilton Burger, »und zugleich als Begründung meiner Handlungsweise hat es den Anschein, daß einem gewissen Maurice Halstead, einem sehr fähigen Sachverständigen für Feuerwaffen, von einem Beauftragten Perry Masons ein Revolver überbracht worden ist mit dem Auftrag, Versuchsschüsse mit diesem Revolver abzugeben. Als sich herausstellte, daß die beiden in dieser Verhandlung wesentlichen Geschosse aus verschiedenen Revolvern abgefeuert worden sind, setzte Mr. Halstead sich mit meinem Büro in Verbindung und sagte aus, daß er zwar die Beziehungen zu seinem Klienten nicht beeinträchtigen wollte, daß er sich jedoch auch nicht der Unterdrückung von Beweisen schuldig machen wolle. Er bat Mr. Redfield, den ballistischen Sachverständigen, der in dieser Ver handlung bereits als Zeuge aufgetreten ist, um eine vertrauliche Untersuchung der Geschosse, die aus Mr. Halsteads eigenen Versuchen stammten. Sollten sie jedoch zu der Mordwaffe gehören und damit beweiswürdig sein, wollte Maurice Halstead sich nicht dem Vorwurf aussetzen, Beweise unter schlagen zu haben.« Burger wandte sich an Perry Mason und sagte bedeutungsvoll: »Es ist ein Unglück, daß nicht jeder eine so hochstehende Auffassung von seinen beruflichen Pflichten besitzt!« Offensichtlich interessiert, beugte Richter Keyser sich gespannt nach vorn. »Weiter, Mr. District Attorney. Vermeiden Sie jedoch persönliche Anspielungen. Sagen Sie, was Sie dem Gericht mitzuteilen wünschen, da es sich hier immer noch um eine Vorverhandlung handelt.«
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»Die bei den Versuchen des Maurice Halstead abgefeuerten Geschosse aus dem Revolver, den Perry Mason ihm übergab, stimmen vollständig mit dem Geschoß überein, das bei dieser Verhandlung als Geschoß Nummer zwei bezeichnet wird - mit jenem Geschoß also, das wir bisher nicht identifizieren konnten. Wir haben demnach folgende Situation, Euer Gnaden: Eines der tödlichen Geschosse wurde allem Anschein nach aus einem Revolver abgefeuert, der sich im Besitz von Perry Mason befand; das zweite Geschoß - das eventuell erst einige Zeit nach dem Eintritt des Todes abgefeuert wurde - gehört also zu einem Revolver, den Mr. Perry Mason in Gewahrsam hatte. Die Beteiligung des Anwalts ist damit klar. Die Beschuldigte kam zu Perry Mason mit einem Revolver, aus dem ein tödlicher Schuß auf Nadine Ellis abgegeben worden war. Ich will in diesem Stadium noch keine Anklagen vorbringen, aber allem Anschein nach verschwand dieser Revolver unter sehr geheimnisvollen Umständen aus dem Besitz der Beschuldigten, und die Beschuldigte erhielt statt dessen einen Revolver, der ihr nur von Perry Mason gegeben worden sein kann. Und zumindest ist es eine Beteiligung, daß sie angewiesen wurde, sofort an den Schauplatz des Verbrechens zurückzugehen und einen zweiten Schuß auf die Leiche des Opfers abzugeben. Diese Vorgänge zu einem Zeitpunkt, als der Anwalt sich mit Gerichtsentscheidungen in Fällen beschäftigte, bei denen zwei Personen tödliche Schüsse auf einen Dritten abgaben, sprechen für sich. Es bleibt jedem Anwalt überlassen, einer eines Verbrechens angeklagten Person Ratschläge zu erteilen und zu versuchen, die Rechte dieser Person wahrzunehmen; es ist jedoch unvorstellbar, daß ein Anwalt bei einem Mord zum Komplicen wird. Der Anwalt ist schon seit längerer Zeit verdächtigt worden. Dieses Mal existieren durch einen glücklichen Zufall Beweise dafür, daß ...« »Wenn ich bitten darf, Mr. District Attorney!« unterbrach Richter Keyser ihn. »Unterlassen Sie sämtliche Feststellungen -1 6 0 -
hinsichtlich des Verteidigers. Wenn Sie die Angelegenheit vor die Berufskammer bringen wollen, können Sie es ohne weiteres tun. Wenn Sie den Verteidiger vor die Grand Jury zitieren wollen und die Frage, ob der Verteidiger sich mitschuldig gemacht hat oder nicht, von der Grand Jury klären lassen wollen, haben Sie auch dazu das Recht. Vor diesem Gericht haben Sie sich jedoch darauf zu beschränken, das Gewicht der Beweismittel zu erörtern. Ich will jedoch feststellen, daß die von Ihnen vorgebrachten Tatsachen eine sicherlich ausreichende Begründung dafür sind, Mr. Mason in den Zeugenstand zu rufen. Mr. Mason ist als Zeuge zu vernehmen und wird als Zeuge der Anklagebehörde vereidigt.« »Einen Moment, Euer Gnaden«, sagte Mason mit unbewegtem Gesicht. »Ungeachtet dessen, was der District Attorney durch mich beweisen will, bleibt doch die Tatsache, daß ich die in diesem Verfahren Beschuldigte vertrete und daher das Recht habe, diese Verhandlung vorschriftsmäßig zu führen. Der Zeuge George Anclitas wird von mir gerade ins Kreuzverhör genommen. Der Zeuge wurde außer der Reihe aufgerufen, weil der District Attorney feststellte, daß es für den Zeugen eine besondere Härte darstellen würde, wenn er morgen noch einmal zur Verhandlung hierherkommen müsse. Ich bestehe darauf, das Kreuzverhör dieses Zeugen zu Ende führen zu können.« »Demgegenüber gebe ich zu bedenken, Euer Gnaden«, empörte sich Hamilton Burger, »daß es sich hier lediglich um einen Vorwand handelt, um Zeit zu gewinnen. In Wirklichkeit hat der Verteidiger das Kreuzverhör bereits abgeschlossen. Jede jetzt noch gestellte Frage ist nichts anderes als eine Wiederholung.« »Es hat den Anschein, daß die Vernehmung zu einem logischen Abschluß gekommen ist«, führte Richter Keyser aus. »Das Gericht stellt fest, daß es nicht die Absicht hat, dieses Kreuzverhör über Gebühr verlängern zu lassen. Zweifellos ist der Verteidiger jedoch im Recht. Der Zeuge Anclitas wurde -1 6 1 -
außer der Reihe und auf Verlangen des District Attorneys aufgerufen, weil es für den Zeugen eine besondere Härte bedeuten würde, morgen noch einmal zu erscheinen. Die Verteidigung ist berechtigt, das Kreuzverhör abzuschließen, bevor ein neuer Zeuge aufgerufen wird - besonders angesichts der Tatsache, daß dieser Zeuge auf Wunsch des District Attorneys außer der Reihe aufgerufen wurde.« Hamilton Burger fügte sich dieser Entscheidung nur widerstrebend. »Dann möchte ich hiermit unmißverständlich zu verstehen geben, daß ich sehr genau aufpassen werde, damit das Kreuzverhör nach den strengen Vorschriften der Beweisaufnahme durchgeführt und nicht dazu benutzt wird, die Verhandlung in die Länge zu ziehen.« »Schön«, sagte Richter Keyser. »Fahren Sie fort, Mr. Mason.« »Sie sind also überzeugt«, fragte Mason, »daß es sich bei dem Revolver, den Sie Helman Ellis gaben, um den gleichen handelt, den Sie mit einer Nagelfeile kennzeichneten?« »Einspruch, da die Frage bereits gestellt und beantwortet wurde sowie nicht dem Kreuzverhör entspricht«, warf Hamilton Burger sofort ein. »Genehmigt«, schnappte Richter Keyser zu. »Wann haben Sie den Revolver zum letztenmal gesehen«, fragte Mason, »bevor der District Attorney Ihnen die Waffe zeigte?« »Einspruch, da die Frage bereits gestellt und beantwortet wurde sowie nicht dem Kreuzverhör entspricht.« Wiederum war Hamilton Burger da. »Abgelehnt!« »Beantworten Sie die Frage«, befahl Mason. »Als ich sie Helman Ellis gab.« »Und Sie sind überzeugt, daß es derselbe Revolver ist?« »Einspruch wegen Wiederholung, da bereits gefragt und beantwortet.« »Genehmigt.« -1 6 2 -
»Sie kennen nicht die verschiedenen Nummern der vier Revolver, die Sie gekauft haben?« »Einspruch, da unsachlich, unerheblich und unwesentlich, nicht dem Kreuzverhör entsprechend sowie bereits gefragt und beantwortet«, griff Burger zu. »Der Einspruch ist genehmigt«, entschied Richter Keyser. »Kennen Sie heute oder kannten Sie damals, als Sie Helman Ellis die Waffe gaben, die Nummer dieses Revolvers?« »Einspruch, da unsachlich, unerheblich und unwesentlich sowie nicht dem Kreuzverhör entsprechend.« »Der Einspruch ist abgelehnt.« »Nein, die Nummer gerade dieses Revolvers kannte ich nicht«, gab Anclitas zu. »Ich habe sie mir nicht angesehen. Was ich weiß, habe ich bereits gesagt. Ich habe ihm den Revolver gegeben - mehr weiß ich nicht.« »Hatten Sie Gelegenheit, sich die übrigen drei Revolver, die in Ihrem Besitz blieben, genau anzusehen?« fragte Mason. »Einspruch, da nicht dem Kreuzverhör entsprechend«, wiederholte Hamilton Burger. »Abgelehnt.« »Nein, ich habe sie mir nicht angesehen.« »Dann möchte ich vorschlagen«, sagte Mason, »daß Sie sich die drei übrigen Revolver während der Verhandlungspause sorgfältig daraufhin ansehen, ob nicht einer der drei an der Vorderseite ein Kennzeichen auf-weist - ein von einer Nagelfeile herrührendes Kennzeichen, wie Sie es vorhin beschrieben.« »Das ist ein Vorschlag des Verteidigers«, widersprach Hamilton Burger, »den Sie natürlich nicht zu befolgen brauchen. Ich gebe dem Gericht zu bedenken, daß dieser Zeuge nach bestem Wissen ausgesagt hat.« »In der Erinnerung des Zeugen kann jedoch die Folge der Ereignisse vielleicht etwas durcheinandergeraten sein«, überlegte Richter Keyser. »Fest steht meiner Ansicht nach aber, daß er einen der vier Revolver an Helman Ellis weitergab. -1 6 3 -
Die neben der Leiche der Nadine Ellis gefundene Waffe war ein Revolver, der an George Anclitas oder dessen Teilhaber verkauft worden war. Irgendwelche Fragen nach dem Kennzeichen auf der Vorderseite machen auf das Gericht keinen Eindruck. Es ist ganz offensichtlich, daß der Zeuge sich in der Reihenfolge der Ereignisse vollkommen natürlich irrte, und wenn nicht nachgewiesen werden kann, daß das Fehlen des an der Vorderseite befindlichen Kennzeichens von wesentlicher Bedeutung ist, wird das Gericht sich nicht weiter darum kümmern. Wenn sich jedoch herausstellen sollte, daß sich ein derartiges Kennzeichen tatsächlich an der Vorderseite eines jener drei Revolver befindet, die im Besitz dieses Zeugen verblieben, dann kann die Situation dadurch geklärt werden, daß hier ein natürlicher Irrtum vorliegt. Das Gericht erkennt jedoch nicht den Sinn dieser Streitfrage - es sei denn, daß damit die Grundlage für das Kreuzverhör gelegt wird, dem der Zeuge dann vor dem ordentlichen Gericht unterzogen wird.« »Ich möchte jetzt genau wissen«, sagte Mason, »was im einzelnen mit den Revolvern geschah. Sie haben vier Revolver gekauft. Ich möchte wissen, wo Sie sie aufbewahrten.« »Euer Gnaden«, wurde Hamilton Burger immer aufgeregter, »darf ich Einspruch erheben - darf ich bitte Einspruch erheben? Das hier ist kein Kreuzverhör. Wenn dem Verteidiger erlaubt ist, nach dem Aufbewahrungsort der vier verschiedenen Revolver zu fragen, und den Zeugen darüber ins Kreuzverhör zu nehmen, ob er weiß, daß es auch bestimmt dieselben Revolver sind, ob er weiß, daß sie sich zu einem bestimmten Zeitpunkt an einer bestimmten Stelle befanden - dann kommen wir überhaupt nicht mehr zu einem Ende. Der Verteidiger will offensichtlich Zeit gewinnen, und mit diesen Dingen vergeht die Zeit. Es sind nur noch ein paar Minuten bis zur Unterbrechung dieser Verhandlung.« »Obgleich das Gericht die Absicht hat«, erläuterte Richter Keyser, »streng auf die Einhaltung der Vorschriften für die Beweisaufnahme und das Kreuzverhör zu achten, hat das Gericht keineswegs die Absicht, die Beschuldigte ihrer Rechte zu berauben, nur weil eine Situation entstanden ist, in der der -1 6 4 -
Verteidiger sehr gut den Wunsch haben kann, Zeit zu gewinnen, um sich selbst vorzubereiten. Das Gericht möchte der Staatsanwaltschaft gegenüber betonen, daß die Möglichkeit zu dem, was der District Attorney mit >Zeit gewinnen< bezeichnet, in dem Augenblick nicht mehr existieren würde, wenn die Staatsanwaltschaft Perry Mason in den Zeugenstand gerufen hätte, ohne ihre Feststellungen in einer öffentlichen Verhandlung zu treffen.« »Ich hielt es für mein Recht, ihn aufzurufen«, gab Hamilton Burger etwas einfältig zu, »Ich hatte vergessen, daß er technisch das Kreuzverhör mit George Anclitas noch nicht abgeschlossen hatte.« »Das«, gab Richter Keyser zurück, »war Ihr Fehler, nicht der des Gerichts. Das Gericht möchte in dieser Angelegenheit gerecht bleiben. Das Gericht gibt zu, daß der gegenwärtige Stand der Beweisaufnahme angesichts der Feststellungen, die von der Staatsanwaltschaft anscheinend genau nach geprüft worden sind, auf eine äußerst ernste Situation hindeutet. Daher ist das Gericht jetzt zu dem Entschluß gekommen, die Verhandlung nach einer Unterbrechung abends fortzusetzen, denn eine Verzögerung könnte dahin zielen, den Rechten der Parteien Abbruch zu tun. Fahren Sie also mit dem Kreuzverhör fort, Mr. Mason. Der Zeuge hat die Frage zu beantworten. Der Einspruch ist abgelehnt.« »Ich bitte darum, daß der Protokollführer die Frage wiederholt«, fing Mason an. Der Protokollführer las die Frage noch einmal vor: »Ich möchte jetzt genau wissen, was im einzelnen mit dem Revolver geschah. Sie haben vier Revolver gekauft. Ich möchte wissen, wo Sie sie aufbewahrten.« »Ein Revolver wurde bei der Kasse an der Theke aufbewahrt«, zählte Anclitas auf. »Einer befand sich bei der Anmeldung im Motel, und einer lag im Speisezimmer.« »Und der vierte?« -1 6 5 -
»Der vierte war immer in Reserve. Manchmal hatte ich ihn bei mir, wenn ich die Einnahmen abends mit nach Hause nahm. Manchmal aber auch nicht. Er lag nur so herum und - na ja, wahrscheinlich kann man sagen, daß er in Reserve war. Deshalb habe ich ihn auch Helman Ellis gegeben.« »Versuchten Sie jemals, die Revolver auseinanderzuhalten?« fragte Mason. »Waren die Revolver oder die Futterale irgendwie bezeichnet?« »Futterale gab es nicht - die Revolver lagen immer da, wo man sie schnell ergreifen konnte, wenn es nötig war.« »Und es wurde nicht der Versuch gemacht, sie zu bezeichnen? Das heißt: sie zu unterscheiden?« »Nur - wie gesagt - das eine Mal, als wir vorhatten, sie mit Kennzeichen zu versehen, und es dann doch nicht taten.« »Hatten Sie innerhalb der letzten vier Wochen irgendwelchen Ärger mit der Aufbewahrung des Revolvers?« fragte Mason. »Ist innerhalb der letzten vier Wochen irgend etwas passiert, wodurch ein gewisses Durcheinander entstand?« »Gar nichts«, sagte Anclitas. »Wurde einer der Revolver irgendwann am üblichen Aufbewahrungsort nicht vorgefunden?« »Nicht daß ich wüßte.« »Sie sagten, Sie hätten einen dieser Revolver manchmal bei sich gehabt, wenn Sie einen größeren Geldbetrag nach Hause gebracht hätten?« »Das stimmt.« »Hat irgendeine andere Person unter ähnlichen Umständen ebenfalls einen dieser Revolver mitgenommen?« »Slim Marcus, mein Teilhaber, hatte manchmal einen bei sich.« »Sonst noch jemand?« »Nein, niemand ... oder doch. Ich glaube, eines der Garderobenmädel, das manchmal zu seiner Mutter nach Hause fuhr und erst spät wegkam, hat manchmal einen mitgenommen. Ich verbot es aber sofort, als ich es bemerkte.« -1 6 6 -
»Wie sind Sie denn dahintergekommen?« »Eines Tages hatte sie ihre Handtasche im Waschraum liegengelassen. Niemand wußte, wem die Handtasche gehörte, und deswegen wurde sie zu mir ins Büro gebracht. Ich sah dann hinein, um festzustellen, wem sie gehören könnte, sah, daß sie dem Mädel gehörte und daß ein Revolver drinnen lag. Der Revolver sah genau wie unsere aus, ich ließ das Mädel ins Büro kommen und fragte sie danach, und dabei gab sie dann zu, sich einen unserer Revolver geborgt zu haben.« »Wie heißt das Mädchen, das sich gelegentlich einen Revolver borgte?« »Es war das Garderobenmädchen.« »Der Name?« »Sadie Bradford.« »Waren Zeugen anwesend, als Sie Helman Ellis den Revolver gaben?« »Nur mein Teilhaber, Slim Marcus.« »Und Sie sagten, daß Slim Marcus gelegentlich einen der Revolver bei sich hatte?« »Einspruch, da bereits gefragt und beantwortet«, rief Hamilton Burger. »Genehmigt«, sagte Richter Keyser kurz. »Und abgesehen von dem Kennzeichen an der Vorderseite jenes Revolvers, den Sie Helman Ellis gaben, trugen die übrigen Revolver kein Erkennungszeichen?« »Einspruch, da bereits gefragt und beantwortet. Außerdem unsachlich, unerheblich und unwesentlich und nicht dem Kreuzverhör entsprechend«, rief wiederum Burger. »Genehmigt«, gab Richter Keyser nach. Mason sagte: »Ich habe keine Fragen an den Zeugen mehr.« Im gleichen Augenblick sprang Hamilton Burger auf. »Ich beantrage, Perry Mason als Zeugen der Anklage aufzurufen.« »Kommen Sie in den Zeugenstand, Mr. Mason«, forderte Richter Keyser den Rechtsanwalt auf. -1 6 7 -
»Einen Moment, Euer Gnaden«, stellte Mason die Rechtslage dar. »Ich nehme an, daß der District Attorney vergessen und das Gericht vielleicht übersehen hat, daß der Zeuge Helman Ellis sich im Zeugenstand befand, als Anclitas auf Verlangen des District Attorneys aufgerufen wurde, der damit verhindern wollte, daß Mr. Anclitas der Verhandlung noch länger beiwohnen müßte.« »Die Vernehmung von Mr. Ellis hatte ich abgeschlossen«, betonte Hamilton Burger. »Meiner Ansicht nach steht davon nichts im Protokoll«, konterte Mason. »Ich glaube vielmehr, daß Sie dem Protokoll entsprechend sagten, im Augenblick hätten Sie keine Fragen mehr an den Zeugen.« »Meinetwegen. Dann stelle ich hiermit fest, daß ich die Vernehmung dieses Zeugen abgeschlossen habe und jetzt beantrage, Mr. Mason in der Zeugenstand zu rufen.« »Eine Sekunde«, durchkreuzte Mason den Plan Burgers. »Ich hatte noch keine Gelegenheit, Mr. Ellis nach der zweiten Vernehmung durch den District Attorney ins Kreuzverhör zu nehmen. Wenn Sie Ihre zweite Vernehmung abgeschlossen haben sollten, möchte ich den Zeugen ins Kreuzverhör nehmen.« »Dazu haben Sie überhaupt keinen Grund!« explodierte Hamilton Burger. »Bei der letzten Vernehmung hat der Zeuge lediglich ausgesagt, er hätte von George Anclitas einen Revolver erhalten und diesen Revolver an Bord seiner Jacht aufbewahrt.« »Darüber möchte ich ihn ins Kreuzverhör nehmen«, bestand Mason nachdrücklich. »Und ich möchte, daß Sie endlich in den Zeugenstand kommen, bevor Sie die Möglichkeit haben, sich irgendein Alibi auszutüfteln!« rief Hamilton Burger. »Haben Sie vielleicht die Absicht, mir das Recht zu bestreiten, Mr. Ellis ins Kreuzverhör zu nehmen?« -1 6 8 -
Hamilton Burger holte tief Luft. »Also gut«, versuchte er seinen Willen durchzusetzen. »Ich beantrage, daß die gesamte Aussage des Zeugen Ellis gestrichen wird. Ich ziehe ihn als Zeugen zurück. Ich streiche seine gesamten Aussagen aus dem Protokoll.« »Damit bin ich nicht einverstanden«, kämpfte Mason. »Ich erhebe gegen diesen Antrag Einspruch.« »Warum?« »Weil ich ihn ins Kreuzverhör nehmen möchte.« Hamilton Burger starrte Mason an. Schließlich wandte er sich zum Gericht. »Die Verhandlungszeit ist bereits um mehrere Minuten überschritten«, sagte Richter Keyser. »Ich habe für die Lage der Staatsanwaltschaft vollstes Verständnis; es bleibt jedoch die Tatsache, daß der Verteidiger das Recht hat, alle Zeugen ins Kreuzverhör zu nehmen, die von der Anklagebehörde benannt worden sind. Weil ich anschließend einige Besprechungen angesetzt habe und weil ich weiß, daß einige Gerichtsbeamte anderweitig verabredet sind, werde ich die Verhandlung jetzt unterbrechen, sie jedoch heute abend um acht Uhr wieder aufnehmen. Unter den gegenwärtigen Umständen ist die Staatsanwaltschaft meiner Ansicht nach berechtigt, den Fall möglichst schnell aufzuklären.« »Die Verteidigung erhebt dagegen Einspruch«, wandte Mason ein. »Der Termin ist für mich persönlich völlig unpassend, ich habe das Gefühl, daß die Rechte meiner Mandantin eingeengt werden.« Richter Keyser schüttelte den Kopf. »Ich lasse nicht zu, daß die Abwick lung dieses Falles durch technische Verfahrensfragen aufgehalten wird. Das Gericht legt eine Unterbrechung bis abends acht Uhr ein; zu diesem Zeit punkt haben alle vorgeladenen Personen hier im Gerichtssaal wieder zu erscheinen. Die Verhandlung ist unterbrochen.« -1 6 9 -
13 Mit nachdenklich gefurchter Stirn wanderte Mason im Büro auf und ab. Della Street hatte eine elektrische Kaffeemaschine vor sich; auf der Schreibtischplatte lag eine Papiertüte mit Kuchen. Von Zeit zu Zeit blieb Mason stehen, nahm ein paar Schlucke aus seiner Kaffeetasse und kaute auf einem Stück Kuchen herum. »Sie sollten endlich etwas Nahrhaftes essen«, sorgte sich Della Street. »Soll ich Ihnen nicht unten aus dem Restaurant ein Schinkenbrötchen holen oder irgend etwas ...« Mit einer unwilligen Bewegung brachte Mason sie zum Schweigen und nahm seine Wanderung wieder auf. Nach fast einer vollen Minute sagte er geistesabwesend: »Vielen Dank, Della.« Und nach weiteren zwei Minuten fügte er noch hinzu: »Ich muß überlegen.« »Kann ich Ihnen vielleicht dabei helfen, indem ich Sie frage?« »Versuchen wir es«, meinte Mason. »Nein - einen Moment: ich werde Ihnen die Fragen stellen, und Sie antworten. Mal sehen, ob wir nicht doch einen Fehler finden können.« Sie nickte. Unvermittelt drehte Mason sich herum und blickte sie an. Seine Füße standen leicht gespreizt, seine Schultern waren vorgeschoben, er hatte genau jene Art angenommen, in der er manchmal einen Zeugen ins Kreuzverhör zu nehmen pflegte. »Die Waffe«, überlegte er, »die Ellen Robb bei sich hatte, war von jenem Zeitpunkt ab im Safe eingeschlossen, in dem sie das Büro betrat, bis zu dem Zeitpunkt, als wir sie zurückgaben - mit einer einzigen Ausnahme: als Drake sie zum Ballistiker brachte. Wie ist es also möglich, daß ein aus dieser Waffe stammendes Geschoß in der Leiche der Nadine Ellis gefunden werden konnte, wenn Ellen Robb den Schuß nicht abgegeben hat?«
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»Das ist unmöglich.« Della Street dachte mit. »Chef, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem Sie Ihre Klientin über Bord werfen müssen. Sie hat einen Mord verübt und lügt Sie an.« »Also weiter«, fuhr Mason fort, ohne auf Della Streets Antwort zu achten. »Ich nahm eine Waffe aus meinem Safe - nennen wir sie einfach die Crowder-Waffe. Ellen Robb steckte sie in ihre Handtasche. Eine Kugel aus diesem Revolver wurde jedoch ebenfalls in der Leiche der Nadine Ellis gefunden. Wie könnte sie dahin gekommen sein?« »Die Kugel war aus dem Revolver abgefeuert worden«, soufflierte Della Street. »So dürfte es gewesen sein.« Aber dann fügte sie noch schnell hinzu: »Ich will wirklich keinen Witz machen, Chef. Ich wollte nur darauf hin weisen, daß die Einkerbungen auf dem Geschoß diese Tatsache bestätigten. Wir müssen uns mit den Tatsachen abfinden, je eher wir damit anfangen, desto besser.« »Na schön«, folgerte Mason. »Das Geschoß stammte also aus dieser Waffe. Aber wer könnte den Schuß abgegeben haben?« »Es muß Ellen Robb gewesen sein.« »Eine Tatsache wissen wir jedenfalls mit Sicherheit: daß die beiden Schüsse nicht gleichzeitig abgegeben worden sind, sondern in einem sehr beträchtlichen zeitlichen Abstand, vermutlich von einigen Stunden. Jedenfalls wissen wir es, die Polizei und der District Attorney dagegen wissen es nicht. Also ein kleiner Vorteil für uns.« »Weshalb ist es ein Vorteil?« fragte Della Street. »Weil wir damit etwas über die Reihenfolge wissen. Wir wissen, daß der Schuß der Crowder-Waffe erst abgefeuert wurde, als Nadine Ellis bereits tot war. Wenn wir das erst einmal nachgewiesen haben, Della, kann man mir nur noch vorwerfen, bei der Abgabe eines Schusses auf eine Tote mitschuldig zu sein. Das ist vielleicht ein Vergehen - ich habe mich noch nicht näher damit beschäftigt; aber Mord ist es bestimmt nicht und auch nicht ein Mordversuch.« Della Street nickte. -1 7 1 -
»Andererseits«, wandte Mason ein, »habe ich mir selbst eine Schlinge um den Hals gelegt. In diesem Zimmer habe ich von dieser Entscheidung gesprochen, nach der es nicht Mord ist, auf jemanden zu schießen und ihm eine tödliche Verletzung beizubringen, wenn davon unabhängig ein zweiter Schuß abgegeben wird, der den Tod herbeiführt. Natürlich nehme ich an, daß man den ersten Schützen wegen versuchten Mordes anklagen kann. Aber weil ich diese Entscheidung ausgegraben habe, wird niemand das glauben, was ausgerechnet ich dazu zu sagen habe. Und die Folgen sind wirklich übel. Es sieht aus, als hätte ich versucht, eine Klientin durch legale Schiebung zu retten - durch einen Taschenspielertrick mit Beweisen.« »Ellen Robb saß ausgerechnet in diesem Zimmer«, griff Della Street ein, »als Sie am Telefon mit Darwin C. Gowrie, dem Anwalt der Nadine Ellis, darüber sprachen. Sie hat genau zugehört, als Sie über den feinen Unterschied zwischen den verschiedenen Entscheidungen sprachen. Sie hat damals mitstenografiert. Dabei gaben Sie nicht ihr, sondern Gowrie einen Rat. Aber nehmen wir an, daß Ellen eine sehr gescheite junge Frau ist. Sie hatte Nadine Ellis mit einem Schuß aus der Waffe getötet, die sie angeblich in ihrer Handtasche gefunden hatte. Sie merkte sofort, als Sie ihr eine andere Waffe zurückgaben, und nutzte Ihren Versuch, ihr zu helfen, sofort aus, indem sie die zweite Waffe - die Crowder-Waffe, die Sie ihr statt der mitgebrachten gaben - nahm, loszog und einen zweiten Schuß auf die tote Nadine Ellis abgab.« Mason schnalzte plötzlich mit den Fingern. »Dabei haben wir eins über sehen«, fiel ihm ein. »Die zeitliche Reihenfolge!« »Wieso?« Della Street verstand ihn nicht. »Angenommen«, sagte Mason, »der Schuß aus der AnclitasWaffe wurde erst nach dem Schuß aus der Crowder-Waffe auf die Tote abgegeben?« »Das ist unmöglich«, meinte Della Street. »Warum?«
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»Weil die Anclitas-Waffe von dem Augenblick an, in dem Sie Ellen Robb die Crowder-Waffe gaben, in Ihrem Safe eingeschlossen war.« »Das war sie eben nicht«, erwiderte Mason. »Bei dieser Waffe kommt noch ein verdächtiger Umstand hinzu, den wir bisher völlig unbeachtet gelassen haben: wir brachten sie in das Haus des Anclitas und versteckten sie in der Damentoilette.« Della Streets Augen wurden plötzlich lebendig. »Angenommen«, rief sie aus, »wir drehen die Reihenfolge der beiden Schüsse um. Angenommen, der erste Schuß wurde aus der Crowder-Waffe abgegeben - dann stammte also der zweite Schuß aus der Anclitas-Waffe!« Mason nickte. »Sie glauben also, daß George Anclitas die Waffe, die im Toilettenraum versteckt war, an sich nahm und dann den zweiten Schuß auf die tote Nadine Ellis abgab?« Mason nickte. Della Streets Augen funkelten. .»Das würde dann auch erklären, warum er mit keinem Wort erwähnte, daß er die Waffe in der Toilette fand. Bestimmt hatte er sie vermißt, und bestimmt konnte er sich genau ausmalen, was inzwischen passiert war.« »Was war denn passiert?« fragte Mason. »Ellen Robb hatte Nadine Ellis mit dieser Pistole ermordet.« »Wenn diese Überlegung jedoch richtig ist, wurde sie mit dieser Waffe gar nicht ermordet«, rechnete Mason aus. »Dann wurde sie nämlich mit der Crowder-Waffe erschossen.« »Meinetwegen.« Wieder führte Della Street die Überlegung weiter. »Wir wollen jetzt auch nicht herauszufinden versuchen, woher George wußte, daß Nadine Ellis tot war. Aber aus nur ihm bekannten Gründen nahm er jedenfalls die Waffe an sich, ging hin und gab einen zweiten Schuß auf die Leiche der Nadine Ellis ab.« »Einen kleinen Augenblick«, dachte Mason nach. »Sie sagen, er ging hin und gab den Schuß ab. Vergessen Sie aber dabei -1 7 3 -
nicht, daß sich Nadine auf der Jacht befand, der Brennstofftank dieser Jacht zwar leer war, vorher aber noch gefüllt worden war, als Helman Ellis und seine Frau den Plan faßten, eine Kreuzfahrt zu machen. Vergessen Sie ferner nicht den Standort des Bootes, das schon eine ganze Weile unterwegs gewesen sein muß, so daß es für Anclitas physisch unmöglich gewesen sein dürfte, die Waffe, nachdem wir sie versteckt hatten, an sich zu nehmen, die Jacht aufzusuchen und den zweiten Schuß abzugeben. Und wenn es wirklich so gewesen wäre, hätte das Geschoß Spuren der Schrammen aufweisen müssen, die ich in den Lauf eingefeilt habe. Redfield hätte sie bestimmt entdeckt.« »Dann«, gab Della Street, plötzlich völlig entmutigt, auf, »muß es also doch vorher passiert sein, und dann kann es nur Ihre Klientin gewesen sein.« Mason schüttelte den Kopf. »Ich habe den Kampf um meine Klientin noch nicht aufgegeben, Della.« »Sie ist wie ein Mühlstein, der Ihnen am Halse hängt«, sagte Della Street. »Werfen Sie ihn weg und fangen Sie endlich an zu schwimmen! Schließlich haben Sie bis jetzt in vollstem Vertrauen gehandelt. Sie haben geglaubt, daß Anclitas die Pistole zwischen ihre Sachen geschoben hat, um ihr vorzuwerfen, die Waffe gestohlen zu haben. Daraus wollten Sie ihm einen Strick drehen.« Mason nickte. »Ich wollte die ganze Angelegenheit hochdramatisch werden lassen, um George Anclitas eine Lektion zu erteilen«, bedauerte er. »Jetzt sehen Sie selbst, wie meine unorthodoxe Taktik nach hinten losgegangen ist.« »Aber können Sie denn, wenn Sie im Zeugenstand stehen, nicht einfach erklären, was Sie eigentlich vorhatten?« »Natürlich kann ich es«, resignierte Mason, »aber kein Mensch wird es mir glauben. Denken Sie immer an meinen Hinweis, daß bei zwei selbständig Handelnden, die auf eine Person schießen, nur derjenige des Mordes schuldig ist, der den zweiten Schuß abgibt - vorausgesetzt, der erste Schuß war nicht unmittelbar todbringend. Der Indizienbeweis deutet jedenfalls darauf hin, daß Ellen Robb mich aufsuchte, um mir zu erzählen, sie hätte Nadine Ellis -1 7 4 -
ermordet, und ich ihr riet, mir die Waffe zu geben, daß ich ihr dafür eine andere gab und sie anwies, mit dieser zweiten Waffe auch auf die tote Nadine Ellis zu schießen, ich also die Absicht hatte, meine Verteidigung auf einer Täuschung aufzubauen; ferner, daß ich die erste Waffe in den Geschäftsräumen des George Anclitas versteckte in der Hoffnung, er würde sie irgendwann erwähnen, und ich könnte ihn dann in den Mordfall hineinziehen.« »Schön - aber was wollen Sie jetzt unternehmen?« fragte Della Street. »Wenn ich das nur wüßte«, sagte Mason. »Im Augenblick weiß ich nur, daß ich mit wehender Flagge untergehen und meine Klientin nicht über Bord werfen werde.« »Auch nicht, um Ihre eigene Haut zu retten?« Mason schüttelte den Kopf. »Man wird Sie nicht mehr als Anwalt zulassen.« »Meinetwegen«, sagte Mason. »Dann werde ich mir eine andere Arbeit suchen. Trotzdem werde ich einen Klienten nicht betrügen. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.« »Sie wollen also auch nicht die wahren Tatsachen verraten?« »Das, was ich sagen muß, sind lediglich die Tatsachen; daß sie wahr sind, ist dabei weniger wichtig«, erwiderte Mason. »Ich kann verhindern, daß herauskommt, was meine Klientin mir erzählt hat. Jede unserer Unterhaltungen fällt unter die Schweigepflicht. Als meine Sekretärin gilt dieses Privileg auch für Sie. Man kann mich niemals zwingen, irgend etwas zu verraten, was meine Klientin mir mit der Absicht erzählt hat, daß ich ihren Fall übernähme oder irgendeinen Rat gäbe.« »Man kann Sie fragen, ob Sie den Revolver vertauschten!« meinte Della. »Dann allerdings hat man mich festgenagelt«, mußte Mason zugeben. »Es sei denn, ich verweigerte die Aussage, weil ich mich dadurch selbst belastete.« »Und warum nicht? Beweisen könnte man es Ihnen doch nur durch irgendwelche Folgerungen.« An der Flurtür von Masons Privatbüro erklang Paul Drakes Klopfzeichen. Mason nickte Della Street zu. »Lassen Sie ihn herein, Della. Mal sehen, was er Neues mitbringt.«
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Della Street öffnete die Tür. Paul Drake, der genauso kläglich aussah wie ein Pokerspieler, der mit einem todsicheren Blatt in der Hand verloren hat, spürte sofort, was hier los war, sagte daher nur »Tag, meine Lieben!« steuerte auf die Papiertüte zu, holte sich ein Stück Kuchen und nahm Della Street die Tasse Kaffee ab, die sie ihm hinhielt. »Und?« fragte Mason. Drake schüttelte den Kopf. »Wir kommen nicht weiter, Perry.« »Was habt ihr herausbekommen?« fragte Mason. »Dieses Mal hast du eine Klientin, die dich wirklich und wahrhaftig anlügt. Bis zu ihrem bezaubernden Hals steckt sie in dieser Geschichte, dich hat sie ebenfalls hineingezogen.« »Wie kommst du darauf?« fragte Mason. »Sie hat mit Helman Ellis tatsächlich ein Techtelmechtel gehabt. Anclitas sagte die Wahrheit.« »Weiter«, sagte Mason, als Drake schwieg, als suchte er nach den passenden Worten. »Erinnerst du dich noch, wie Ellen Robb zu dir kam, nachdem sie in The Big Barn an die Luft gesetzt worden war und in den Mond guckte?« Mason nickte. »Sie erzählte damals, sie wäre mit dem Taxi vom Surf and Sea Motel zu dir gefahren, und du schicktest sie wieder dorthin?« Wieder nickte Mason. »Schön - und als sie zum erstenmal in das Motel fuhr, traf sie sich mit Helman Ellis.« Mason nahm seine Wanderung durch das Zimmer wieder auf. »Wie lange war Ellis im Motel?« fragte er Drake. »Etwa eine halbe Stunde.« Plötzlich schüttelte Mason den Kopf. »Es bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, daß meine Klientin lügt«, behauptete er. »Es bedeutet lediglich, daß Helman Ellis ihr gefolgt ist.« »Du mußt dich schon damit abfinden, Perry«, sagte Drake mitfühlend. »Ellis ist ihr nicht gefolgt; er war bereits vor ihr da.« »Was?« -1 7 6 -
»Ja!« »Woher weißt du das?« »Wir haben mit dem Mann gesprochen, dem das Motel gehört. Als Ellen Robb verhaftet wurde, hat er sich alles noch einmal genau durch den Kopf gehen lassen und versucht, sich an Einzelheiten zu erinnern, aus denen hervorgehen könnte, ob Ellen nur eine unschuldige junge Frau ist, die irgendwie in diese Geschichte hineingezogen worden ist, oder aber ob sie tatsächlich schuld hat. Er interessiert sich natürlich für den Fall und erinnerte sich, daß am Dienstagabend - vor Ellens Ankunft - ein Wagen in der Auffahrt zum Motel auftauchte, dann durch das Gelände kurvte und schließlich parkte, als hätte der Fahrer irgendwen gesucht. Der Besitzer dachte zuerst, daß der Fahrer ein Zimmer haben wollte, als der Wagen daher vor dem Hauptgebäude anhielt, schrieb er sich die Wagennummer auf, und zwar auf einen herumliegenden Zettel.« »Die Wagennummer?« fragte Mason. »Genau«, erwiderte Drake. »Du weißt doch selbst, wie die Anmeldung in diesen Motels vor sich geht: der Gast schreibt Namen, Anschrift sowie Marke und Zulassungsnummer seines Wagens hin. Neun Leute von zehn wissen ihre Zulassungsnummer nicht, der Mann von der Anmeldung hat dann die Mühe, hinausgehen zu müssen und die Nummer selbst einzutragen. Aus diesem Grunde hat der Mann des Surf and Sea Motel immer ein paar Zettel auf seinem Tisch liegen; wenn ein Wagen kommt, fällt das grelle Licht des Eingangs genau auf ihn. Der Mann notiert dann automatisch die Nummer; wenn dann die Leute bei der Anmeldung ihre Nummer vergessen haben, muß er nicht erst hinausgehen und nachsehen. Falls man ihm eine erfundene Nummer angibt, merkt er den Schwindel sofort und kann auf der Hut sein.« »Weiter«, drängte Mason. »Der Besitzer kritzelte also die Zulassungsnummer auf einen Zettel; der Fahrer des Wagens kam jedoch nicht herein, sondern karrte draußen herum und parkte dann. Aus diesem Grunde knüllte der Motelbesitzer den Zettel zusammen und wollte ihn in den Papierkorb werfen; dann fiel ihm jedoch ein, -1 7 7 -
daß der Fahrer vielleicht nur auf seine Begleiterin wartete, deshalb glättete er den Zettel wieder und legte ihn in seine Tischschublade. Naja, zehn Minuten später kam Ellen Robb dann tatsächlich in einem Taxi an. Der Besitzer ließ sie die Anmeldung ausfüllen und zeigte ihr dann das Zimmer.« »Und dann sah er, wie Ellis zu Ellen Robb ging?« fragte Mason. »Das hat er nun nicht«, bellte Drake. »Er sah jedoch, daß Ellis aus dem Wagen stieg und sich dem Motel näherte - offensichtlich, um jemanden zu besuchen, demnach nimmt der Besitzer lediglich an, daß er zu Ellen Robb, der Frau ohne sonstige Begleitung, gegangen ist.« »Was unternahm der Besitzer daraufhin?« fragte Mason. »Nichts«, erwiderte Drake. »Motels sind schließlich keine Mädchenpensionate, der Besitzer hat gar nicht die Handhabe, sich die Besucher einer jungen Frau genauer anzusehen oder ihnen das Haus zu verbieten. Wenn er es versuchte, würde es ihm wahrscheinlich an den Kragen gehen, so daß er seinen Laden nach vierzehn Tagen zumachen könnte.« »Nun erzähle schon!« befahl Mason. »Wird es noch sehr schlimm?« »Ziemlich«, erwiderte Drake. »Und das schlimmste dabei ist, daß meine Leute die Sache aufgedeckt haben.« »Was soll das heißen?« »Du erinnerst dich noch, daß ich meine Leute hinschickte, nicht wahr, als eine Art Leibwächter. Immerhin war mittlerweile fast der ganze Tag vergangen, bis sie hinkamen, und deshalb versuchte der eine, sich mit dem Motelbesitzer anzubiedern und ihn über Ellen Robb auszuhorchen. Er erkundigte sich, was seit Ellen Robbs Anmeldung passiert war und ob sie vielleicht Besuch bekommen hätte. Auf diese Weise erinnerte sich der Besitzer an den Fahrer des Wagens und ...« »Hat er ihn genau erkennen können?« fragte Mason. »Anscheinend verdammt genau«, mußte Drake zugeben. »Der Bursche mußte an seinem Fenster vorbei, so daß das Licht ziemlich hell auf ihn fiel, und der Besitzer hat eine Personalbeschreibung gegeben, die haargenau auf Helman Ellis paßt. Außerdem bekam der Mann, den ich hingeschickt -1 7 8 -
hatte, den Mann durch seine Fragen so weit, daß der Besitzer sich plötzlich an den zerknüllten Zettel mit der Zulassungsnummer erinnerte und wo er lag. Der Besitzer durchsuchte also seinen Schreibtisch und fand dann tatsächlich den Zettel. Damit wird die Sache übel.« »Wieso?« fragte Mason. »Der von mir hinbeorderte Mann tat nämlich, als wäre der Zettel überhaupt nicht wichtig, irgendwie gelang es ihm, den Zettel mitzunehmen. Wir haben die Zulassungsnummer mittlerweile nachgeprüft; es ist die von Helman Ellis' Wagen.« »Dieses kleine Aas!« erbitterte Della Street sich. »Uns so zu betrügen!« »Uns gegenüber hat sie hoch und heilig geschworen, daß zwischen ihr und Ellis nichts gewesen wäre und daß sie ihn vor der Sache in The Big Barn, also Dienstagabend, nie gesehen hätte.« »Das kann ich mir vorstellen«, warf Drake trocken ein. »Da scheint sie euch also ganz schön angeschwindelt zu haben.« »Damit sitzen wir jetzt in der Tinte«, meinte Mason. »Wenigstens weiß ich jetzt mit Sicherheit, daß meine Klientin gelogen hat, und damit bin ich zu einem Mithelfer geworden.« »Perry«, sagte Drake, »hast du eigentlich wirklich die Revolver vertauscht?« »Wir brauchen diese Aussage wirklich nicht noch zu proben, Paul.« »Was meinst du damit?« »Hamilton Burger wird mich mit seinen Fragen überschütten, ich werde alle Hände voll zu tun haben, sie zu beantworten. Wenn du wirklich wissen willst, was passiert ist - dann hör' doch einfach bei meiner Vernehmung zu.« »Wenn du es aber tatsächlich getan hast«, schloß Drake, »dann muß der Mord in der Zeit zwischen ...« Mason schnalzte plötzlich mit den Fingern. »Einen Moment, Paul! Wie ist es eigentlich mit der Zeit?« »Was meinst du damit?« fragte Drake. -1 7 9 -
»Auf den Arbeitsblättern unseres Büros steht der genaue Zeitpunkt, an dem Ellen Robb das Büro verließ. Na schön - das eine will ich dir sagen, Paul: wenn ein Schuß aus der Waffe, die Ellen Robb bei ihrer Verhaftung bei sich trug, auf die Leiche der Nadine Ellis abgegeben worden sein sollte, dann muß es in der Zeit zwischen ihrem Verlassen dieses Büros, also Mittwoch morgen, und ihrem Auftauchen im Surf and Sea Motel gewesen sein. Dann wollen wir doch den Zeitplan noch einmal nachprüfen.« »Was soll dabei herauskommen?« fragte Drake. »Du weißt selbst ganz genau, daß sie Zeit dazu hatte - weil sie es eben getan hat. Es muß ausreichend Zeit gewesen sein, den Mord zu verüben, weil sie doch tatsächlich auf die Jacht ging und tatsächlich den Schuß aus jener Waffe abgab - vorausgesetzt, der District Attorney hat mit seinen Überlegungen recht und du hast die Waffen vertauscht. Und ich bin überzeugt, daß die Überlegungen stimmen.« »Meinetwegen kannst du dir sämtliche Überlegungen an den Hut stecken«, wurde Mason böse. »Ich gebe nichts zu wenigstens jetzt noch nicht.« »Immerhin kann ich dir die genaue Zeit ihrer Ankunft im Motel verraten«, sagte Drake. »Es war am Dienstagabend um elf Uhr fünfzig.« »Und jetzt sehen Sie doch einmal bei uns nach, Della, wann sie das Büro verlassen hat«, bat Mason Della Street, die sich sofort an die Arbeit machte und dann feststellte: »Sie kam am Mittwochmorgen um neun Uhr zwanzig herein und verließ das Büro um neun Uhr fünfundvierzig.« »Am Mittwochmorgen lebte Mrs. Ellis noch«, rechnete Mason aus. »Ihr Mann hat sie früh noch gesehen.« »Später als Mittwochabend ab sieben kann sie den Mord nicht begangen haben«, überlegte jetzt auch Drake, »weil wir ihr dann eine Leibwache hingeschickt hatten. Sie stand damit unter Beobachtung. Außerdem kam sie Dienstagabend in einem Taxi zu dem Motel. Am Mittwochmorgen war sie weggegangen, ohne daß der Besitzer sie gesehen hatte. Anscheinend ging sie -1 8 0 -
zur Bushaltestelle, nahm einen Bus und fuhr in einem Taxi hierher. Sie verließ dann das Büro, fuhr mit einem Bus nach Costa Mesa zurück und mit einem Taxi wieder ins Motel. Bis nach Costa Mesa haben wir ihre Fahrt genau verfolgen können, die dabei herausgekommenen Zeiten stimmen. Der Motelbesitzer ist überzeugt, daß sie das Motel am Mittwochnachmittag nicht verlassen hat, und anschließend waren ihre Leibwächter an der Arbeit. Folglich muß sie Mrs. Ellis in der Zeit zwischen Mittwochmorgen, sechs Uhr - als Mrs. Ellis den Beweisen nach zu der Jacht hinausfuhr - und jenem Zeitpunkt umgebracht haben, als sie den Bus bestieg, um zu euch ins Büro zu fahren.« »Vorausgesetzt, sie ist überhaupt mit einem Bus gefahren«, meinte Mason. »Sie könnte genausogut mit einem Taxi gefahren sein, das sie vor dem Jachtklub warten ließ, bis sie den Mord verübt hatte, und kam anschließend in mein Büro.« »Ich wette zehn zu eins, Perry«, schloß Drake daraus, »daß es genauso gewesen ist, und Hamilton Burger wird nachher mit den Taxichauffeuren aufmarschieren, die Ellen Robb genau wiedererkennen werden.« Mason war nachdenklich. »Du ließest das Motel durch deine Leute überwachen; du beschütztest sie vor Leuten, die ihr vielleicht etwas antun wollten - aber sie stand nicht unter ständiger Überwachung.« Drake schüttelte den Kopf. »Das Motel hat nur einen einzigen Ausgang, Perry. Meine Leute paßten auf, daß niemand hineinging, der vielleicht die Absicht haben konnte, irgendwelchen Unsinn zu machen; aber genausogut konnten sie beobachten, wer das Motel verließ.« »Kann man sich auf deine Leute verlassen?« fragte Mason. »Unbedingt!« »Und sie haben genaue Berichte abgeliefert?« »Um keinen Deut andere als die, die du hier anlegen läßt«, versicherte Drake. »Und sie haben ihren Posten auch nicht verlassen?« »Bestimmt nicht«, war Drake seiner Sache gewiß. »Ich hatte zwei Leute hingeschickt. Wenn der eine seinen Bericht -1 8 1 -
durchgeben oder sich die Nase pudern mußte, sprang der andere für ihn ein. Du hattest mir gesagt, daß wir sie hundertprozentig beschützen sollten - und das haben wir auch getan.« »Und als ich dann hinfuhr, gab ich dir Bescheid, die Sache einzustellen.« »Das hast du allerdings gesagt - aber zu der Zeit war Mrs. Ellis bereits tot; und wenig später wurde Ellen Robb verhaftet.« Ein leises Lächeln verzog Paul Drakes Mundwinkel. »Vielleicht«, spöttelte er, »kannst du bei Hamilton Burgers Überlegungen nachweisen, daß der zeitliche Ablauf nicht stimmt, aber ...« Seine Stimme verstummte; dann zuckte er die Schultern. »Stimmt genau!« suchte Mason einen Ausweg. »Deine Gedanken haben sich an der Tatsache festgerannt, daß der Beweis mathematisch ist. Der Schuß wurde aus jener Waffe abgegeben. Wenn ich ihr aber jene Waffe zugesteckt habe, Paul, kann sie den Schuß nur danach abgegeben haben. Um den Schuß abzugeben, brauchte sie auf jeden Fall Zeit - ganz egal, wann sie es getan hat.« »Wenn Nadine Ellis zu dem Zeitpunkt, zu dem der zweite Schuß abgegeben wurde, bereits tot war«, meinte Drake, »dann besteht doch das Verbrechen lediglich darin, eine Leiche verstümmelt zu haben. Das ist nur ein Vergehen, vielleicht sogar nicht einmal das!« »Du vergißt die übrigen Fragen«, erinnerte Mason. »Wenn sie wußte, wer die Tote war, wenn sie dann einen zweiten Schuß auf sie abgab, wollte sie damit einen Mord begehen und nutzte damit jene gesetzlichen Entscheidungen aus, über die ich mich in ihrer Gegenwart am Telefon unterhalten hatte.« Mason blickte auf seine Armbanduhr, seufzte dann und meinte: »Das also ist das Ende eines vollkommenen Tages, Paul. Wir müssen los, damit wir um acht zur Eröffnung der Verhandlung da sind. So lange ich eine Möglichkeit finde, Ellis ins Kreuzverhör zu nehmen, kann ich dem entscheiden den Schlag ausweichen; wenn ich jedoch keine Fragen mehr an ihn habe, wird Hamilton Burger mich in den Zeugenstand rufen, dann bin -1 8 2 -
ich fertig - und das schlimmste ist, daß Richter Keyser genau weiß, was gespielt wird, und daß er nicht die Absicht hat, mich zu schützen. Ich werde meine ganze Phantasie brauchen, um diesen Fall so lange hinauszuziehen, bis ich eine Möglichkeit gefunden habe, dem Zeugenstand auszuweichen.« Mason half Della Street in den Mantel und knipste das Licht aus. Als sie durch die Tür gingen, grinste Paul Drake: »Jetzt weiß ich wenigstens, wie einem zumute ist, wenn man zur Hinrichtung abgeholt wird und die letzten Meter bis zur Gaskammer vor sich hat.« »Ein erhebendes Gefühl, oder?« fragte Della Street. Vielleicht hatte Mason nichts gehört. Mit nachdenklichem Blick ging er zu den Fahrstühlen, seine Schritte hatten den gleichen Rhythmus wie vorhin, als er in seinem Büro hin und her wanderte.
14 Richter Keyser blickte zu den überfüllten Zuhörerbänken hinüber, als er an seinem Platz stand. Dann setzte er sich, und der Gerichtsdiener verkündete »Hinsetzen!« Hamilton Burger erhob sich. »Euer Gnaden«, führte er aus, »in Übereinstimmung und entsprechend dem Verlangen des Verteidigers hat George Anclitas in diesem kleinen Koffer die drei Waffen mitgebracht, die sich in seinen Geschäftsräumen befanden. Ich möchte das Gericht darauf aufmerksam machen, daß eine dieser Waffen, die sich in der Tasche befinden, von wichtigem Beweiswert ist für den Fall, wie es jetzt den Anschein hat; aus einer dieser Waffen stammt jenes zweite Geschoß, das in der Leiche der Nadine Ellis gefunden wurde. Ich erlaube mir daher, dem Gericht einige Tatsachen in Verbindung mit diesen drei Waffen darzulegen. Wir verfügen als Beweisstück über jene Waffe, die an Bord der Jacht Cap's Eyes gefunden wurde. Es war jene Waffe, die von -1 8 3 -
dem Teilhaber des George Anclitas gekauft und von George Anclitas selbst an Helman Ellis weitergeben worden war. Wir wollen sie die Ellis-Waffe nennen und als >Beweis E< bezeichnen. Ferner besitzen wir den Revolver Beweisstück B<, der im Besitz der Beschuldigten gefunden wurde. Lediglich um kein Durcheinander anzurichten, möchte ich feststellen, daß der Ballistiker Alexander Redfield während der Verhandlungspause aus sämtlichen Waffen, die sich im Besitz des George Anclitas befanden, Versuchsschüsse abgegeben hat. Diese Versuche dienten dem Zweck, unsere Interessen in dieser Verhandlung wahrzunehmen. Es ist eine allgemein bekannte Tatsache, daß Mr. Perry Mason bei einem Fall, in dem er einen Klienten gegen Mordanklage verteidigen muß, mit Revolvern und Pistolen nur so um sich wirft, so daß das Gericht wie auch die Zeugen und die eigentlichen Fragen durcheinandergeraten. Wir möchten vermeiden, daß es auch in dieser Verhandlung passiert. Ich will jetzt jedoch zugeben, daß sich zur Überraschung der Staatsanwaltschaft herausstellte, daß das Geschoß, das in der Leiche der Nadine Ellis gefunden wurde und hier als >Beweisstück C-1< bezeichnet wird, tatsächlich aus einer dieser drei Waffen des George Anclitas abgefeuert wurde. Trotz der Tatsache, daß der Lauf der Waffe inzwischen verändert wurde, sind wir in der Lage zu beweisen, daß es die gleiche Waffe ist, die Mr. Maurice Halstead zu Versuchszwecken übergeben wurde und die sich damals im Besitz von Mr. Perry Mason befand; das heißt, überbracht wurde sie Mr. Halstead von Paul Drake, einem Detektiv, der von Perry Mason bei diesem Fall beschäftigt wird. Damit besitzen wir drei Waffen, die entweder in diesen Fall verwickelt sind oder noch verwickelt werden; zwei andere Waffen bleiben übrig, die in keiner Weise in diesen Fall verwickelt sind, und ich schlage nun vor, daß das Gericht sich die drei neuen Waffen von George Anclitas vorlegen läßt. Wir haben hier insgesamt drei Revolver; ich schlage vor, daß diese drei Waffen streng voneinander getrennt gehalten und so -1 8 4 -
bezeichnet werden, daß sie nicht verwechselt werden können. Ich habe bestimmt nicht den Wunsch, daß in dieser Verhandlung noch weitere Waffen auftauchen; ich treffe diese Feststellung jedoch nicht als Beweis, sondern nur, um dem Gericht die gegenwärtige Situation klarzulegen und zu beantragen, daß die beiden in diesem Fall uninteressanten Waffen freigegeben und entfernt werden können.« »Einen Augenblick, bitte«, sagte Richter Keyser. »Das Gericht möchte noch eines wissen. Die Waffe, aus der das Geschoß >Beweisstück C-1< abgefeuert wurde, weist in der Vorderansicht ein Kennzeichen auf, das von einem spitzen Gegenstand herrühren kann?« »Das stimmt, Euer Gnaden«, bemerkte Hamilton Burger. »Ich will jedoch bei dieser Gelegenheit gleich feststellen, daß dies meiner Ansicht nach nicht jene Waffe gewesen sein kann, die Ellis seinerzeit ausgehändigt wurde. Meiner Überzeugung nach bedarf es keiner weiteren Erklärung, daß dieser Zeuge das Opfer eines keineswegs böswilligen Irrtums war, als er behauptete, daß dieses Zeichen sich auf jener Waffe befand, die Helman Ellis ausgehändigt worden war. Helman Ellis erinnert sich der Umstände noch ganz genau, ich nehme mit Sicherheit an, daß er genau angeben wird, was damals geschah. Ich hatte gesagt, daß ich das Verhör des Zeugen beendet hätte, und wollte Perry Mason in den Zeugenstand rufen; da Mason sich jedoch weigert, die Aussagen dieses Zeugen anzuerkennen, der Zeuge sich jedoch andererseits noch im Saal befindet und den Zeugenstand nur vorübergehend verlassen hat, um George Anclitas Platz zu machen, möchte ich den Zeugen Helman Ellis noch einmal vernehmen.« Richter Keyser blickte Perry Mason vielsagend an und erklärte: »Angesichts der Tatsache, daß es sich hier nur um ein Vorverhör handelt und daß das Gericht zu dieser Abendsitzung nur zusammengetreten ist, um gewisse Fragen zu klären, hat das Gericht nicht die Absicht, den Vertretern beider Seiten die Möglichkeit zu geben, mit allgemeinen Fragen und Nachforschungen Zeit zu vergeuden. Die Fragen und -1 8 5 -
Antworten haben den strikten Vorschriften der Beweisführung zu entsprechen. Fangen Sie also an, Mr. Burger. Mr. Ellis, kommen Sie bitte noch einmal in den Zeugenstand.« Hamilton Burger, der flüchtig auf seine Uhr geblickt hatte, sah zu den Zuhörern hinüber, bemerkte die Gruppe der in der ersten Reihe sitzende Reporter, lächelte siegesbewußt und fragte: »Mr. Ellis, erinnern Sie sich der Umstände, unter denen Ihnen ein Revolver ausgehändigt wurde?« »Ganz genau.« »Dann schildern Sie dem Gericht die Einzelheiten.« »Mr. Anclitas und dessen Teilhaber, Mr. W. W. Marcus, hatten wegen irgendeiner Sache betreffs eines Revolvers gewettet. Ich wußte nicht genau um welche Dinge es bei dieser Wette ging, sah jedoch, daß Slim Marcus -Verzeihung, ich wollte sagen: Mr. Marcus - fünfzig Dollar an George Anclitas bezahlte und daß Mr. Anclitas einen Revolver in der Hand hielt Ich bewunderte die Waffe und sagte, daß ich mir zu meinem persönlichem Schutz auch einen kaufen wollte, und in dem Augenblick griff Slim - da heißt, Mr. Marcus - unter die Theke und holte einen Revolver hervor, der genau wie die anderen aussah, dabei sagte er dem Sinn nach ungefähr, daß sie sowieso zu viele hätten und daß er mir daher vielleicht einen geben könnte. Dann schenkte George Anclitas mir die Waffe, die Mr. Marcus mir gegeben hatte. Es war jedoch nicht der Revolver, den Mr. Anclitas in der Hand gehalten hatte, als er vom Friseur zurückgekommen war und mit seinem Teilhaber gewettet hatte.« Hamilton Burger nickte und blickte das Gericht lächelnd an. »Damit wäre meiner Ansicht nach alles erklärt, Euer Gnaden«, frohlockte er. »Ich habe keine Fragen mehr.« »Wollen Sie den Zeugen ins Kreuzverhör nehmen?« fragte Richter Keyser und wandte sich an Perry Mason. »Ja, Euer Gnaden.« »Lassen Sie sich bitte gesagt sein, daß das Gericht unter den derzeitigen Umständen beim Kreuzverhör einen entsprechenden Spielraum gewährt, daß es jedoch allen Versuchen, auf irgendeine Weise Zeit zu gewinnen, energisch -1 8 6 -
entgegentreten wird; das gleiche gilt für Fragen, die nur gestellt werden, um die Verhandlung hinauszuzögern. - Fangen Sie bitte an.« »Lieben Sie die Beschuldigte?« fragte Mason. »Nein, Sir.« »Haben Sie die Beschuldigte irgendwann geliebt?« »Einspruch, da nicht zum Kreuzverhör gehörend!« Schon war Hamilton Burger wieder auf dem Posten. »Abgelehnt«, verkündete Richter Keyser. »Ich glaube, früher schon. Zumindest war ich in sie verliebt.« »Stimmt es, daß Ihre Frau diese Verliebtheit gemerkt hat?« fragte Mason. »Einspruch, da nicht zum Kreuzverhör gehörend!« bellte Hamilton Bur ger. »Wenn das Gericht erlaubt«, unterstrich Mason das Recht der Verteidigung, »aber die Zeugen der Anklage haben hier vorhin ausgesagt, daß es zwischen der Beschuldigten und Nadine Ellis eine Szene gegeben hätte. Ich habe das Recht, den Zeugen über diesen Punkt zu vernehmen.« »Wenn das Gericht erlaubt«, erklärte Hamilton Burger, »haben wir zwar diesen Wortwechsel zur Sprache gebracht, wenn der Verteidiger den Zeugen über diesen Punkt vernehmen will, wird ihm das Recht dazu nicht bestritten. Aber ausgerechnet dieser Zeuge hat zu diesem Punkt nicht ausgesagt, und aus diesem Grunde entspricht die Frage nicht dem Kreuzverhör.« »Mit der Ausnahme, daß damit vielleicht der Wert gezeigt wird, den man den Aussagen dieses Zeugen zumessen kann«, zögerte Richter Keyser bei dem Versuch, beiden Seiten völlig gerecht zu werden. »Was in der Vergangenheit geschah«, bestand Hamilton Burger auf seinem Einspruch, »sagt nichts über den Wert, den die Aussagen dieses Zeugen heute besitzen. Die Tatsache, daß die Ehefrau des Zeugen eifersüchtig war, hat mit dem Zeugen selbst nichts zu tun. Es geht lediglich um die Frage, in welchem Verhältnis der Zeuge heute zu der Beschuldigten steht, wie er über diese Dinge denkt und was er fühlt. Es geht
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nicht um seine Neigungen, sein Vorurteil oder um irgendwelche anderen Dinge!« »Wenn das Gericht erlaubt«, sagte Mason, »möchte ich zu bedenken geben, daß die einzige Möglichkeit, diese Fragen zu beantworten, nicht darin besteht, den Zeugen nach seinen Empfindungen zu fragen, sondern darin, die Beziehungen aufzuzeigen, die früher einmal zwischen den Parteien bestanden.« »Ich schließe mich dieser Meinung an«, gab Richter Keyser zu, »aber einen Bericht über die Streitigkeiten zwischen der Verstorbenen und der Beschuldigten kann ich nicht zulassen.« »Ich werde die Frage anders formulieren«, versprach Mason. Dann wandte er sich wieder an den Zeugen. »Waren Sie, als Ihre Frau und die Beschuldigte sich Ihretwegen stritten und sich gegenseitig Vorwürfe machten, anwesend und waren Sie an dem Streit unmittelbar beteiligt?« »Der gleiche Einspruch«, wiederholte Hamilton Burger. »Die Frage ist zulässig«, bestätigte Richter Keyser. »Ich erhebe weiter Einspruch, weil es hier um eine Tatsache geht, die weder bewiesen noch beweiserheblich ist.« »Sie ist allerdings beweiserheblich«, griff Richter Keyser ein, »wenn auch nicht im Zusammenhang mit diesem Zeugen, so doch mit Ihren anderen Zeugen. Der Einspruch ist abgelehnt. Beantworten Sie die Frage.« »Ich habe keine Stellung dazu genommen«, sagte Ellis. »Haben Sie die Beschuldigte am achten dieses Monats gesehen?« »Ja, Sir.« »In The Big Barn, wo sie beschäftigt war?« »Ja, Sir.« »Waren Sie dabei, als sie am Dienstag, dem Neunten, hinausgeworfen wurde?« »Nein, Sir.« »Haben Sie sie nach ihrer Entlassung, also am gleichen Abend, noch gesehen?« -1 8 8 -
»Ich habe sie gesehen, bevor sie entlassen wurde.« »Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Haben Sie die Beschuldigte später noch gesehen?« »Ich ... ich kann mich nicht erinnern.« »Vielleicht können wir Ihr Gedächtnis etwas auffrischen«, erinnerte ihn Mason. »Die Beschuldigte fuhr zum Surf and Sea Motel in Costa Mes. Fuhren Sie ebenfalls dorthin?« »Doch - ja.« »Und haben Sie sie dort gesehen?« »Nur ganz kurz.« »Wann sahen Sie sie später wieder?« »Das weiß ich nicht mehr. Ich glaube ... Ich glaube, ich sah sie dann erst nach ihrer Verhaftung wieder.« »Genau können Sie sich also nicht daran erinnern?« »Mit Sicherheit kann ich es nicht angeben, Sir.« »Dabei handelt es sich also um ein Mädchen, in das Sie einmal verliebt gewesen waren, trotzdem können Sie sich nicht erinnern, ob Sie die Beschuldigte gesehen haben oder nicht?« »Gesehen habe ich sie - aber erst nach ihrer Verhaftung. Ich weiß es nicht mehr genau. Ich habe sie so oft gesehen, daß ich es nicht mehr auseinanderhalten kann.« »Sie erinnern sich jedoch, die Beschuldigte im Surf and Sea Motel gesehen zu haben?« »Ja, Sir.« »Das war an einem Dienstag, dem Neunten dieses Monats?« »Ja, Sir.« »Wie lange waren Sie da mit der Beschuldigten zusammen?« »Ungefähr zehn oder fünfzehn Minuten.« »Und wohin gingen Sie, als Sie die Beschuldigte dann verließen?« »Einspruch, da unerheblich, unwesentlich und nicht zum Kreuzverhör gehörend!« ärgerte sich Hamilton Burger. »Die Untersuchung richtet sich nicht gegen diesen Zeugen.« -1 8 9 -
»Dem Einspruch wird stattgegeben«, sagte Richter Keyser. »Hat Ihre Frau Ihnen erzählt, daß der Anwalt ihr gesagt hätte, bei zwei Schüssen, die von zwei unabhängig voneinander handelnden Personen abgegeben wären, würde nur diejenige Person als Mörder betrachtet, deren Schuß tatsächlich zum Tode des Opfers führe?« fragte Mason. »Einspruch, da unerheblich, unwesentlich und nicht zum Kreuzverhör gehörend sowie auf einer Andeutung beruhend«, gab Hamilton Burger nicht auf. »Stattgegeben«, folgte sofort der Entscheid des Richters. »Sie waren also am Dienstag, dem Neunten, in The Big Barn?« »Ja.« »Schön«, sagte Mason. »Ich werde Sie also direkt fragen: Befand sich zu diesem Zeitpunkt eine der dem Lokal gehörenden Waffen in Ihrem Besitz? Bedenken Sie, daß Sie unter Eid stehen.« »Was verstehen Sie mit >in ihrem Besitz« »Ich frage Sie, ob Sie nicht mit Sadie Bradford verabredet hatten, einen der Revolver an sich zu nehmen und Ihnen auszuhändigen?« »Einen Augenblick, Euer Gnaden«, wurde Hamilton Burger wieder ärgerlich. »Diese Frage geht erheblich zu weit. Das ist kein Kreuzverhör, das ist ...« Richter Keyser, der sich vorbeugte und dem Zeugen ins Gesicht blickte, sagte plötzlich: »Das Gericht ist anderer Ansicht. Haben Sie das getan, Mr. Ellis, oder nicht?« Der Zeuge wurde unruhig, feuchtete seine Lippen mit der Zungenspitze an und erklärte schließlich: »Ja, das habe ich.« »Und«, Mason beugte sich gespannt vor, »haben Sie nicht auch Ihre Frau mit dieser Waffe ermordet? Anschließend trafen Sie sich mit Sadie Bradford, um die Waffe zwischen die Sachen der Beschuldigten zu legen, während die Angeklagte auf der Toilette war. Später vertraute die Beschuldigte Ihnen an, daß sie mich aufgesucht hatte. Daraufhin sahen Sie sich die Waffe am Mittwochmorgen noch einmal genau an und stellten fest, -1 9 0 -
daß die Waffe, die sich im Besitz der Beschuldigten befand, eine andere war als die, die Sie zwischen den Sachen der Beschuldigten versteckt hatten. Heimlich nahmen Sie daraufhin die Waffe an sich, fuhren sofort - also am Mittwoch wieder zu Ihrer Jacht, gaben auch aus diesem Revolver einen Schuß auf die Leiche Ihrer Frau ab und legten die Waffe heimlich wieder zwischen die Sachen der Angeklagten. Und das alles taten Sie ohne Wissen der Beschuldigten und vor Eintreffen jener Leute, die mit dem Schutz Ellen Robbs beauftragt waren, aber während der ganzen Zeit beteuerten Sie der Beschuldigten gegenüber Ihre große Liebe und versprachen, sie zu heiraten, sobald die notwendigen Formalitäten erledigt wären, während Sie die Beschuldigte zu völligem und bedingungslosem Schweigen ermahnten. War es so?« »Euer Gnaden, Euer Gnaden!« Hamilton Burger stotterte vor Erregung: »Das ist der Gipfel der Albernheit! Das ist die phantastischste, die lächerlichste Behauptung, die ein Verteidiger jemals vorgebracht hat, um seine eigene Haut zu retten! Das ist...« »Es handelt sich hier um eine Frage«, unterbrach Richter Keyser ihn mit leiser, tonloser Stimme, »die mit Sicherheit den Wert zeigen wird, den die Aussagen dieses Zeugen besitzen. Unter diesen Umständen bin ich bereit sie zuzulassen. Der Zeuge hat diese Fragen zu beantworten.« Mit kalkweißen Lippen sagte Helman Ellis: »Ich habe es nicht getan.« Eine plötzliche Bewegung lief durch die Reihen der Zuhörer. Eine junge Frau, die entschlossen nach vorne kam, rief: »Jetzt ist mir alles klar. Genau das hat er getan! Und ich sollte alle Spuren verwischen! Ich möchte mich der Anklage als Zeugin zur Verfügung stellen.« Der Gerichtsdiener wollte die Zuhörer gerade zur Ordnung rufen. Einer der Beamten sprang auf, um die Frau zurückzuhalten, aber Richter Keyser hielt ihn mit einer Handbewegung zurück. »Wer sind Sie?« fragte er die Frau. »Ich bin Sadie Bradford, das Garderobenfräulein«, sagte sie aus. »Ich erkenne jetzt genau, was er gemacht hat. Er hat mich zu seiner Komplicin gemacht.« -1 9 1 -
Richter Keyser blickte Perry Mason an. Der verblüffte Ausdruck seiner Augen verwandelte sich langsam in widerwillige Anerkennung. »Ich glaube«, verfügte er, »das Gericht vertagt die Verhandlung von sich aus bis morgen vormittag, zehn Uhr, und ich schlage vor, daß der District Attorney sich der Mühe unterzieht, die Situation restlos zu klären, bis das Gericht morgen wieder zusammentritt.« »Ich bestehe jedoch darauf, Perry Mason noch heute abend als Zeugen zu vernehmen, und zwar innerhalb dieser Vorverhandlung«, rief Hamilton Burger. Richter Keyser sah ihn lächelnd an. »Ich glaube, Mr. District Attorney, daß Sie bei gründlicherer Überlegung sehr froh sein werden, Mr. Mason nicht in den Zeugenstand gerufen zu haben. Die Verhandlung ist geschlossen.« Richter Keyser erhob sich und verließ seinen Platz. Mason blieb stehen. Der Ausdruck seines Gesichts verriet nichts von seinen Gedanken. Die Reporter, die durch die Tür des Mahagoni-Geländers drängten, bestürmten ihn mit Fragen. Blitzlichter flammten auf. »Kein Kommentar«, wehrte Mason ab. »Ich halte meine Stellungnahme zurück bis morgen früh um zehn Uhr.«
15 Hamilton Burger erhob sich müde, versuchte, den dicht besetzten Gerichtssaal zu ignorieren, und wandte sich unmittelbar an Richter Keyser. »Wenn das Gericht erlaubt«, seufzte er, »beantragt die Staatsanwaltschaft die Niederschlagung des Verfahrens gegen Ellen Robb. Bei dieser Gelegenheit empfindet die Staatsanwaltschaft es als recht und billig, dem Gericht mitzuteilen, daß Helman Ellis ein schriftliches Geständnis abgegeben hat, nach dem er in Ellen Robb tatsächlich verliebt war. Ferner unterhielt er Beziehungen zu Sadie Bradford, jener jungen Frau, die sowohl als Garderobenfräulein wie auch als -1 9 2 -
Toilettenfräulein beschäftigt war. Ellis ist ein Mann, der jede sich bietende Gelegenheit ausnützt, außerdem war er an seiner Frau nicht mehr interessiert. Es ist wahr, daß George Anclitas dem Helman Ellis eine Waffe ausgehändigt hatte. Diese Waffe bewahrte Ellis in seinem Hause auf. Entsprechend dem Geständnis des Ellis verschaffte er sich außerdem einen zweiten Revolver, der hinter der Theke des Lokals The Big Barn als Schutz gegenüber eventuellen Überfällen aufbewahrt wurde. Am Dienstagabend erschoß Helman Ellis seine Frau an Bord der Jacht Cap's Eyes. Um den Anschein zu erwecken, daß seine Frau sich eines Eindringlings erwehren wollte, nahm er die Waffe, die George Anclitas ihm gegeben hatte, gab nach der Ermordung seiner Frau einen Schuß in die Holzverkleidung, und zwar in die Nähe der Tür, ab; anschließend spannte er den Revolver wieder und legte die gespannte und noch geladene Waffe neben die Leiche seiner Frau, in die Nähe ihrer rechten Hand. Helman Ellis kehrte dann zu The Big Barn zurück und sprach nicht nur mit der Beschuldigten, sondern auch mit seiner Freundin Sadie Bradford. Er überredete Sadie Bradford, die Waffe, mit der der Mord verübt worden war, in der Reisetasche der Ellen Robb zu verstecken - in der Hoffnung, daß sie dort versteckt bliebe, bis die Polizei sie entdeckte. Sadie Bradford hatte von dem Mord keine Ahnung. Ellis überredete sie, die Waffe dort zu verstecken, weil er angeblich erreichen wollte, daß Ellen Robb entlassen würde und er sich ungestört mit Sadie Bradford treffen könnte. Später hörte Ellis dann durch seine Freundin Sadie Bradford von dem Streit, der mit der Entlassung Ellen Robbs geendet hatte, und erfuhr, daß Ellen Robb sich im Surf and Sea Motel telefonisch ein Zimmer für die kommende Nacht bestellt hatte. Helman Ellis fuhr sofort zu dem Motel und wartete dort auf Ellen Robb. Unter Vorspiegelung seiner großen Zuneigung zu ihr sowie seines Wunsches, ihr zu helfen, gelang es ihm, sich persönlich zu überzeugen, daß sich die Waffe noch in Ellen Robbs Reisetasche befand; außerdem überredete er Ellen Robb, unter gar keinen Umständen zuzugeben, daß er an -1 9 3 -
diesem Abend im Motel gewesen wäre und daß jemals eine Beziehung zwischen ihnen bestanden hätte. Entsprechend dem Geständnis des Helman Ellis, das anzuzweifeln wir keinen Anlaß haben, verließ Ellis anschließend das Motel, fuhr direkt zum Jachtklub, warf die Leinen seiner Jacht los, ließ das Boot mit der Strömung treiben, bis er den Motor anwerfen konnte, ohne daß irgend jemand im Jachtklub merken konnte, daß die Jacht ausgelaufen war. Er fuhr zum Catalina Island und kehrte am darauffolgenden Morgen mit einem Flugzeug zurück. Da er wußte, daß Ellen Robb sich mit Perry Mason in Verbindung setzen wollte, verabredete er sich anschließend mit ihr. Er begleitete sie bis zu der Haltestelle des Omnibusses nach Costa Mesa und ließ sich von ihr den Besuch bei Perry Mason in allen Einzelheiten schildern. Als Ellen Robb berichtete, daß Mason ihr geraten hätte, die Waffe bei sich zu behalten, jedoch sonst nichts unternommen hätte, wurde Ellis mißtrauisch und überredete Ellen Robb, ihm doch die Waffe zu zeigen, die sie in ihrer Handtasche bei sich hatte. Wir kommen nun zum interessantesten Teil des Geständnisses, der selbst die vernehmenden Beamten völlig verblüffte. Die Waffe, die George Ancli tas dem Helman Ellis geschenkt hatte, war an der Vorderseite mit einer Schramme gekennzeichnet; dagegen hatte die Waffe, mit der der Mord verübt worden war und die sich damals in Ellen Robbs Handtasche befand, dieses Kennzeichen nicht. Ellis hatte nun den heimlichen Verdacht, daß Mason die Waffen vertauscht hatte, um so seine Klientin eventuell zu schützen, und dieser eine andere Waffe gegeben hatte; bei näherer Betrachtung des Revolvers, den Ellen Robb ihm zeigte, war er überzeugt, daß dies auch der Fall war, denn diese Waffe hatte keine Schramme als Kennzeichen. Ellis überredete Ellen Robb, daß es für sie gefährlich wäre, die Waffe im Omnibus bei sich zu haben. Er sagte, daß sie wegen der nicht angemeldeten Waffe sogar verhaftet werden könnte. Er sagte ferner, daß Mr. Mason ihr zweifellos den richtigen Rat -1 9 4 -
gegeben hätte und daß sie die Waffe wieder in die Reisetasche legen sollte, in der sie sie gefunden hatte; aber auf jeden Fall wäre es besser, wenn gerade sie die Waffe nicht bei sich trüge, weil sie doch keinen Waffenschein besäße. Er bot sich freiwillig an, die Waffe an sich zu nehmen und sie ihr später, gegen Abend, ins Motel zu bringen, damit sie sie wieder in die Reisetasche legen könnte. Außerdem überzeugte er sie von der Notwendigkeit, niemandem auch nur das geringste von seinem Eingreifen zu erzählen. Anschließend erklärte er Ellen Robb, daß er noch geschäftliche Dinge zu erledigen hätte, verließ sie an der Haltestelle, fuhr umgehend zum nächsten Flugplatz und mietete sich, da er einen Pilotenschein besitzt, eine Maschine; damit flog er zum Catalina Island. Er ging an Bord seiner Jacht, schloß die Kajütentür auf, gab aus dem zweiten Revolver einen Schuß auf den Leich nam seiner Frau ab, verschloß die Kajütentür wieder, fuhr mit der Jacht auf die andere Seite der Insel, machte sie an einem passenden Felsen fest, drehte ihren Bug in Richtung offenes Meer, verkeilte das Steuerruder, ließ den Motor an, warf die Leinen los und ließ die Jacht allein hinausfahren. Anschließend kehrte er zu der gemieteten Maschine zurück, flog wieder nach Los Angeles, suchte Perry Mason in dessen Büro auf und überzeugte Mason, daß Ellen Robb mit einem tätlichen Angriff durch Nadine Ellis rechnen müßte - in der Überzeugung, daß Mason seine Klientin höchstwahrscheinlich durch eine Leibwache schützen werden lasse. Entsprechend dem Geständnis fuhr Ellis dann zum Surf and Sea Motel und betrat das Gebäude durch den rückwärtigen Zugang, so daß niemand ihn bemerkte. Ellen Robb erklärte er, daß er ihr durch Rückgabe der Waffe einen großen Gefallen täte, aber daß sie ihn in diesem Zusammenhang nie erwähnen dürfte. Er schwor ihr ewige Liebe, versicherte sie seiner unwandelbaren Zuneigung und versprach, daß sie heiraten würden, sobald er seine Frau dazu gebracht hätte, sich scheiden zu lassen. Wiederum entsprechend dem Geständnis, das offensichtlich wahr ist, wußte Ellis nicht, daß das Gebiet jenseits des Catalina -1 9 5 -
Island für kleine Fahrzeuge gesperrt ist. Er glaubte, daß seine Jacht in den Ozean hinaus fahren würde, bis die Tanks leer wären, daß sie dabei wahrscheinlich in einen Sturm geraten und sinken würde. Er wußte, daß das Boot keineswegs seetüchtig war. Sollte jedoch irgend etwas dazwischenkommen und das Boot tatsächlich entdeckt werden, würde die Leiche seiner Frau einen Einschuß aufweisen, der von jener Waffe stammte, die sich im Besitz von Ellen Robb befand. - Und er war überzeugt, daß es ihm gelungen war, sich ein unerschütterliches Alibi zu schaffen. Wenn das Gericht erlaubt, ist dies das Wesentliche des Ellis’schen Geständnisses. Ich halte es für meine Pflicht als Gerichtsbeamter, das Geständnis mit dem Vorschlag zu beschließen, das Verfahren gegen Ellen Robb einzustellen. Ich bin überzeugt, daß sie lediglich ausgenutzt worden ist, ich möchte diese Feststellung hier aussprechen, damit die Tatsachen bekannt werden.« Richter Keyser blickte Hamilton Burger nachdenklich an. Dann wandte er sich an Perry Mason. »Das Gericht begreift immer noch nicht, wie es geschehen konnte, daß die ursprünglich in die Reisetasche der Beschuldigten gelegte Waffe wieder in den Besitz George Anclitas gelangte!« Trocken meinte Hamilton Burger: »Anscheinend fand Sadie Bradford die Waffe auf dem Boden des Toilettenraumes, nachdem sie für kurze Zeit vor der Tür mit Helman Ellis gesprochen hatte. Sie ist überzeugt, daß Helman Ellis sie dort hingelegt hat und daß sie selbst die Waffe beim Öffnen der Tür des Toilettenraums unter eines der Waschbecken geschoben hat. Zu jenem Zeitpunkt befand sich nämlich niemand in diesem Raum. Als sie von ihrer Unterhaltung mit Mr. Ellis zurückkehrte, lag die Waffe unter einem der Waschbecken. Sie nahm sie auf und legte sie wieder an ihren Platz hinter der Theke, weil sie glaubte, damit im Sinne von Ellis zu handeln Der verwirrende Punkt ist, daß Helman Ellis trotz seines sonstigen Geständnisses behauptet, mit der Deponierung der Waffe im Toilettenraum nichts zu tun zu haben. Unter den gegebenen Umständen und angesichts der Tatsache, daß der -1 9 6 -
Toilettenraum kein einziges Fenster hat, sondern durch einen Schacht entlüftet wird, daß ferner nur eine einzige Tür in diesen Raum führt, vor der die Zeugin Sadie Bradford stand, hat es jedoch den Anschein, daß Helman Ellis aus mir bislang unerklärlichen Gründen in diesem Punkt die Wahrheit sagt.« Verächtlich fügte er noch hinzu: »Und ich könnte es mir höchstens damit erklären, daß er auf diese Weise Perry Mason als Vertreter der Verteidigung hereinlegen wollte. Allem Anschein nach hat Perry Mason zwar ungewöhnlich, jedoch keineswegs gesetzwidrig gehandelt. Nach dem Hinweis, daß sich eine Waffe in jener Reisetasche befände, die der Beschuldigten gehörte, ließ er Probeschüsse aus dieser Waffe abgeben und überließ sie einem Fachmann zur Begutachtung. Damit handelte er völlig rechtmäßig.« »Ich verstehe jedoch immer noch nicht, wie die Crowder-Waffe in die Handtasche der Ellen Robb gekommen sein kann - es sei denn, ihr Rechtsbeistand tat dies.« »Darf ich die Aufmerksamkeit des Gerichts einen Augenblick in Anspruch nehmen, Euer Gnaden?« fragte Mason. »Gewiß, Mr. Mason.« »Als meine Klientin zu mir ins Büro kam und aussagte, daß irgend jemand eine Waffe in ihre Reisetasche gelegt hätte, brauchte ich eine Möglichkeit, diese Waffe zu untersuchen«, erzählte Mason. »Ich hatte das Gefühl, dazu berechtigt zu sein, zumal zu jenem Zeitpunkt nichts darauf hindeutete, daß ein Verbrechen geschehen war. Ich nahm deshalb einen Revolver, der sich in meinem Büro befand, und vertauschte die beiden Waffen, ohne daß meine Klientin es merkte. Ich glaube, jeder Anwalt ist berechtigt, derartige Schritte zu unternehmen, wenn er überzeugt ist, daß man seine Klientin dadurch in einen Fall zu verwickeln sucht, daß man ihr gestohlene Dinge unterschiebt, und wenn er feststellt, daß sich gestohlene Dinge im Besitz seiner Klientin befinden sollen; dabei ist es nicht wesentlich, wenn sich später herausstellt, daß die vorsätzlich untergeschobenen Dinge gar nicht gestohlen waren.« -1 9 7 -
»Das leuchtet mir ein«, meinte Richter Keyser. »Das Gericht ist geneigt, Ihnen in diesem Punkt zuzustimmen, obgleich der Vorgang selbst nicht gerade üblich ist. Richtig wäre es gewesen, bei der Polizei Anzeige zu erstatten.« »Das ist eine Frage der Zweckmäßigkeit und hängt allein von den Umständen ab«, sagte Perry Mason. »Aber von allem übrigen abgesehen«, bat Richter Keyser um Auskunft, »einschließlich der verschiedenen Waffen und der Tatsache, daß anscheinend ein Mord mit einer Waffe verübt wurde, die offensichtlich in die Reisetasche Ihrer Klientin gelegt wurde, Mr. Mason - wie erklären Sie sich eigentlich die dann folgenden Ereignisse?« »Ich glaube, daß ausgerechnet ich dafür eine Erklärung schuldig bin«, erstaunte sich Mason. »Ich habe meine Klientin von jedem Verdacht befreit, habe einen Mörder überführt. Wenn meine Methoden etwas ungewöhnlich waren, so führten sie wenigstens zum Erfolg.« Richter Keyser lächelte. Mit leicht gerötetem Gesicht mußte Hamilton Burger zugeben: »Wenn irgendeine Möglichkeit bestünde, daß Perry Mason mit dem Auftauchen der Waffe in der Toilette in Verbindung gebracht werden könnte, würde ich anders darüber denken. So aber habe ich nur die Aussagen eines geständigen Mörders und seiner Komplicin zu den Geschehnissen, und ich bin zufrieden, daß die Situation - ungeachtet der Wahrheit dessen, was mir berichtet wurde - von Sadie Bradford geklärt wurde, die jetzt als einzige Zeugin der Anklage auftritt; demnach wäre es für Perry Mason völlig unmöglich gewesen, die Waffe dort zu hinterlegen, wo sie schließlich aufgefunden wurde. Ich glaube, daß Helman Ellis wegen der Art, in der Perry Mason die Pläne zur Ermordung seiner Frau durchkreuzte, einen verzweifelten Haß auf Mr. Mason empfand. Auf irgendeine Weise setzte Ellis sich in den Besitz dieser Waffe und hinterlegte sie dann auf der Damentoilette in der Hoffnung, Mr. Mason in diesen Fall hineinziehen zu können.
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Ganz offensichtlich hat Mr. Mason - der sehr ungewöhnlich, wenn nicht sogar gesetzwidrig gehandelt haben muß - das Vertrauen seiner Klientin nicht enttäuscht. Da meine eigenen Zeugen behaupten, daß Mr. Ellis die Waffe in seinem Besitz gehabt haben muß, da der einzige Zeuge gegen Perry Mason ein geständiger Mörder ist, der den Anwalt gründlich haßt, und da die Klientin des Anwalts unschuldig ist, bin ich überzeugt, daß es in jedem Fall unmöglich sein würde, gegen Perry Mason vorzugehen. Wenn ich es täte, würde ich damit außerdem die Glaubwürdigkeit eines Zeugen der Anklage in Frage stellen und damit die Position der Anklagebehörde gegenüber Helman Ellis schwächen, der übrigens sein Geständnis inzwischen widerrufen hat und behauptet, er hätte es nur unter Zwang und wegen Zusicherung von Straffreiheit abgegeben.« »Wenn die Staatsanwaltschaft sich damit zufriedengibt, daß meine Person für die Hinterlegung der Waffe nicht in Frage kommt«, sagte Mason, »dann werde ich ihr bestimmt nicht widersprechen.« Richter Keyser dachte über dieses Thema lange und gründlich nach; schließlich schüttelte er den Kopf. »Hier handelt es sich um eine Situation, die das Gericht zutiefst verwirrt. Angesichts der von der Staatsanwaltschaft geschilderten Umstände ist es jedoch ganz offensichtlich, daß alles, was die Verteidigung zum Schutz ihrer völlig unschuldigen Klientin tat, letzten Endes nicht nur in der Entlastung einer schuldlosen Person, sondern auch in der Entdeckung und Verhaftung des Schuldigen mündete. Unter diesen Umständen scheint dem Gericht nur noch eines zu tun zu bleiben: das Verfahren gegen Ellen Robb einzustellen, sie aus der Haft zu entlassen und die Verhandlung zu schließen.« Richter Keyser erhob sich, machte ein paar Schritte, blieb stehen, blickte Perry Mason nachdenklich an, schüttelte dann den Kopf und verschwand schließlich in seinem Büro. Umdrängt von Reportern, die die Einzelheiten des Ellis’schen Geständnisses erfahren wollten, hatte Hamilton Burger keine Möglichkeit, einige Worte mit Perry Mason zu wechseln; und -1 9 9 -
Perry Mason nutzte das Durcheinander, indem er Della Street zuwinkte und den Gerichtssaal schnell verließ. »Woher haben Sie es denn um Himmels willen gewußt?« fragte Della Street, als sie mit dem Lift hinunterfuhren. »Weil«, grinste Mason, »es das einzige war, was geschehen sein konnte. Von dem Augenblick an, als Ellen Robb meinen Revolver an sich nahm, hatte sie keine Zeit gehabt, die Jacht zu suchen, einen Schuß auf die Leiche der Nadine Ellis abzugeben und anschließend zum Surf and Sea Motel zurückzukehren. Vergessen Sie nicht, daß Drake ihren Weg von der Bushaltestelle bis zum Motel verfolgt hat. Das einzige, was passiert sein konnte, war, daß das Boot mit der toten Nadine Ellis in zwei Etappen hinausgebracht worden war: erst in einer Nachtfahrt nach Catalina, dann allein in Fahrt gesetzt, bis der Brennstoff ausgegangen war. Die einzige Möglichkeit, den zweiten Teil dieses Unternehmens vorzubereiten, war meiner Ansicht nach ein Halt in Catalina, und Ellen Robb hatte doch zweifellos keine Gelegenheit, zweimal nach Catalina zu fahren. Außerdem erkannte ich plötzlich, daß die Waffe, die neben der toten Nadine in der Kajüte gefunden worden war, dort hingelegt worden sein mußte, nachdem Mrs. Ellis erschossen worden war. Aus der Waffe war ein Schuß abgegeben, und die Waffe lag - völlig gespannt - auf dem Boden in der Nähe ihrer Hand. Wenn man mit einem doppelschüssigen Revolver genau schießen will, spannt man den Hahn meistens ganz, so daß der Mechanismus schon beim einfachen Abdrücken in Tätigkeit tritt; wenn man dagegen auf kurze Entfernung hintereinander schießen will, hat man keine Zeit, die Waffe mit der Hand zu spannen. Fast immer wird unter diesen Umständen der Doppelschuß-Mechanismus verwendet, und in diesem Fall kann die Waffe unmöglich nach dem ersten Schuß ganz entspannt sein. Daher kam ich auf die Idee, daß die Waffe dort hingelegt worden war, und wenn diese Annahme stimmte, war auch der Schuß in die Holzverkleidung der Kajüte nur eine Finte, die uns von der eigentlichen Spur ablenken sollte. -2 0 0 -
Und nachdem mir dann noch klargeworden war, daß der erste Schuß aus der Anclitas-Waffe abgegeben worden war, wurde alles ganz einfach. Es bedeutete, daß Mrs. Ellis bereits tot gewesen sein mußte, als ich Ellen Robb die andere Waffe gab; folglich mußte die Jacht ausgelaufen sein, bevor Ellen Robb bei mir erschienen war. Das wiederum bedeutete, daß Helman Ellis gelogen hatte, als er behauptete, sich mit seiner Frau noch am Mittwoch morgen unterhalten zu haben. Außerdem besaß das Ehepaar Ellis nur einen Wagen, und da Helman Ellis am Dienstagabend mit diesem Wagen zu Ellen Robbs Motel gefahren war, konnte Mrs. Ellis unmöglich am gleichen Dienstagabend mit dem gleichen Wagen nach Phoenix gefahren sein. Nachdem ich diesen Faden in der Hand hatte, wußte ich, wie es passiert sein mußte.« »Aber woher wußten Sie, daß der erste Schuß aus der Anclitas-Waffe abgegeben worden war?« »Weil ich den Lauf dieser Waffe mit einer Feile bearbeitet hatte, bevor wir sie aus der Hand gaben; und da die in der Leiche der Nadine Ellis gefundene Kugel keine entsprechenden Merkmale aufwies, mußte der Schuß vorher abgegeben worden sein.« »Na schön«, lächelte Della Street, »jedenfalls hatten Sie die ganze Zeit Ihren Rücken gedeckt. Werden Sie daraus nun die Lehre ziehen, sich in Zukunft hinsichtlich Ihrer Klientin nicht nur auf den Zufall zu verlassen?« Mason grinste und schüttelte den Kopf. »Ich habe nur gelernt, daß ich die Kunst der Konzentration mehr üben muß. In meinem ganzen Leben habe ich noch nie so schnell oder so angestrengt nachgedacht wie nach der Vertagung des Gerichts am gestrigen Nachmittag bis zu dem Moment, als ich Helman Ellis vorhin die entscheidende Frage vorlegte. Als ich den Gerichtssaal verließ, hatte ich das Gefühl, durch die Mangel gedreht worden zu sein.« Mit Bewunderung in den Augen blickte Della Street zu ihm auf. »Und trotzdem haben Sie keinen Augenblick in Ihrem Glauben an Ihre Klientin geschwankt, obgleich Sie beinahe überzeugt waren, daß man Sie angelogen hatte.« -2 0 1 -
Mason seufzte tief. »Della«, bat er, »wenn ich ein einziges Mal in meinem Glauben an einen Klienten schwankend werden sollte, müssen Sie mir einen Gefallen tun: sperren Sie das Büro ab und kratzen Sie von der Tür des Empfangszimmers das Wort RECHTSANWALT ab!«
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